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German Pages [861] Year 2023
Bernd Janowski Anthropologie des Alten Testaments
Bernd Janowski
Anthropologie des Alten Testaments Grundfragen – Kontexte – Themenfelder Mit einem Quellenanhang und zahlreichen Abbildungen 2., durchgesehene und ergänzte Auflage
Mohr Siebeck
Bernd Janowski, geboren 1943; Studium der Ev. Theologie, Altorientalistik und Ägyptologie; 1980 Promotion; seit 1995 Professor für Altes Testament an der Ev.-theol. Fakultät Tübingen; seit 1996 Ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; seit 2011 emeritiert.
ISBN 978-3-16-162800-9 (Broschur) / eISBN 978-3-16-162801-6 DOI 10.1628/978-3-162801-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Bodelshausen aus der Minion gesetzt, von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany. Die Umschläge wurden von Uli Gleis in Tübingen gestaltet. Umschlagabbildung der Broschurenausgabe: B. Janowski (Entwurf) und F. Lippke (Fotomontage unter Verwendung des Abdrucks eines Rollsiegels). Rollsiegel (No. 89110) Ende des 3. Jahrtausends v. Chr.: © The Trustees of the British Museum. All rights reserved.
In dankbarer Erinnerung an Hellmut Brunner (1913–1997)
Walter Burkert (1931–2008)
Elena Cassin (1909–2011)
Jean-Pierre Vernant (1914–2007)
Hans Walter Wolff (1911–1993)
Vorwort zur 2. Auflage In den vier Jahren, seit dieses Buch erschienen ist, hat es zahlreiche positive Besprechungen erhalten, zu vielen Lehrveranstaltungen an den Theologischen Fakultäten angeregt und zu fruchtbarem Austausch mit Leserinnen und Lesern aus dem In- und Ausland geführt. Umso mehr freue ich mich, es hier in einer durchgesehenen und erweiterten Neuauflage vorzulegen. Während die inhaltlichen Nachträge jeweils am Ende der einzelnen Paragraphen zusammengestellt werden und damit für die Leser und Leserinnen bequem auffindbar sind (s. Inhaltsverzeichnis), wird die seit 2018/19 erschienene Literatur im Anschluss an das Literaturverzeichnis aufgeführt. Für die verlegerische Betreuung danke ich wieder herzlich Frau E. Müller und Frau S. Mang. Tübingen, im Juli 2023
Bernd Janowski
Vorwort zur 1. Auflage Als erste Lektion lehrt uns die Anthropologie, dass jeder Brauch und jeder Glaube, so schockierend oder irrational sie uns erscheinen mögen, wenn wir sie mit den unseren vergleichen, Teile eines Systems sind, dessen inneres Gleichgewicht sich im Laufe von Jahrhunderten herausgebildet hat, und dass man aus diesem Gebilde kein Element beseitigen kann, ohne Gefahr zu laufen, auch alles übrige zu zerstören. C. Lévi-Strauss, Anthropologie, 33
Ich erinnere mich noch gut an meine erste Lektüre des faszinierenden, 1968 in deutscher Übersetzung erschienenen Buchs Das wilde Denken von Claude LéviStrauss (1908–2009) und an die Vorlesungen des großen Sozialanthropologen, die ich zu Beginn der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts am Collège de France in Paris besucht habe. Seit dieser Zeit begleiten mich seine Schriften zur Anthropologie und Ethnologie, die in dem posthum erschienenen Essai Anthropologie in der modernen Welt von 2012 einen krönenden Abschluss gefunden haben. Mein Interesse an anthropologischen Fragen reicht aber weiter zurück und hängt, so will es mir scheinen, mit der Flucht unserer Familie aus Halle an der Saale (ehemals DDR) in ein rheinisches Dorf bei Koblenz zusammen. Damals, am Anfang der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, begegnete ich Pflanzen und Tieren, die ein Stadtkind nicht so leicht zu Gesicht bekommt, sah den Bauern und Handwerkern bei ihrer täglichen Arbeit zu und erlebte den Rhythmus der Jahreszeiten, so wie er kurz und prägnant in Genesis 8,22 beschrieben wird. Hier habe ich auch zum ersten Mal einen Toten gesehen, wie er in einer engen, dunklen Stube aufgebahrt und später unter großer Anteilnahme der Dorfbevölkerung auf den katholischen Friedhof getragen wurde. Das Interesse an diesen Lebensformen hat sich bis heute erhalten, auch wenn es nicht mehr die Unmittelbarkeit von einst besitzt. Der entscheidende Schritt geschah nach ersten Gehversuchen in Medizin und Philosophie dann mit dem Studium der Theologie und hier besonders des Alten Testaments, dessen Konkretheit, Bildhaftigkeit und Tiefgründigkeit mich von Anfang an begeistert haben. Hinzu kamen das Studium der Altorientalistik und Ägyptologie sowie die intensive Lektüre von Grundlagenwerken der Kultur- und Religionswissenschaft, die mir half, Fragen der Anthropologie ernster zu nehmen, als dies in der damaligen Theologie der Fall war. Im Rückblick wird mir klar,
X Vorwort zur 1. Auflage
wie viel ich dabei der Begegnung und Freundschaft mit J. Assmann, H. Brunner, E. Brunner-Traut, W. Burkert, E. Cassin, H. Gese, O. Keel, K. Koch, N. Lohfink, J.‑P. Vernant, H. und M. Weippert, M. Welker, H. W. Wolff und E. Zenger verdanke. Sie haben mir immer wieder Einblick in ihre Arbeit gewährt und mir damit geholfen, den eigenen Weg zu finden. „Um das geschichtliche Leben wiederzufinden“, sagte einmal der französische Historiker Jules Michelet (1798–1874), „müsste man ihm geduldig auf allen seinen Wegen, in allen seinen Formen, in allen seinen Elementen folgen. Aber man müsste mit noch größerer Leidenschaft auch das Zusammenspiel von alledem rekonstruieren, die Wechselwirkung all der verschiedenen Kräfte im Strom einer mächtigen Bewegung, aus der das Leben selbst entstünde“ (zitiert nach Duby, Geschichte, 57). Das ist eine kaum zu bewältigende Aufgabe, da wir niemals in der Lage sein werden, das, was und wie die Menschen der Vergangenheit erlebt haben, auch nur annähernd zu erfassen. „Aber“, so sieht es der amerikanische Altorientalist D. C. Snell, „wir können versuchen, ein Gefühl dafür zu entwickeln. Und das sollten wir auch tun“ (Snell, Religionen, 7). Dieses Buch handelt von einer Welt, die längst vergangen ist, deren Spuren aber bis in unsere Gegenwart reichen und die unsere Auffassung von Gott, Welt und Mensch nach wie vor beeinflussen. Die Menschen des alten Israel, zu denen wir nicht nur über das Alte Testament/die Hebräische Bibel, sondern auch über die Archäologie, Ikonographie und Religionsgeschichte Palästinas/Israels Zugang haben, haben keine Stimme mehr, die wir hören könnten, denn ihre Lieder und Schreie, ihr Lachen und Weinen sind endgültig verstummt. Wir können auch nicht wissen, was eine Rebekka wirklich empfand, als sie sich in Jakob verliebte (Gen 29), oder ein Amos, als er von Amazja aus Bethel verjagt wurde (Am 7,10– 17). Sie stehen uns aber vor Augen, weil sie in den Texten fortleben, die von ihnen zeugen – auch wenn der „garstige Graben“ (G. E. Lessing), der uns von der Antike trennt, unüberwindlich breit ist. In seiner letzten Notiz, die er am 16. Februar 1546, also zwei Tage vor seinem Tod, auf einem Zettel niedergeschrieben hat, hat M. Luther das treffend ausgedrückt: „Den Virgil in seinen Bucolica und Georgica kann niemand verstehen, er sei denn fünf Jahre Hirt oder Landmann gewesen. Den Cicero in seinen Briefen – so empfinde ich es – wird niemand verstehen, er habe sich denn vierzig Jahre in einem hervorragenden Staatswesen aufgehalten. Die Verfasser der Heiligen Schrift soll niemand meinen auch nur ahnungsweise verstanden zu haben, er habe denn hundert Jahre zusammen mit den Propheten die Gemeinden geleitet. Deshalb ist es ein ungeheures Wunder um Johannes den Täufer, Christus und die Apostel. Vergreife dich nicht an dieser göttlichen Aeneis, sondern beuge dich und verehre die Fußspuren. Wir sind Bettler. Das ist wahr.“ (WA 48, 241, 2ff, zitiert nach Ebeling, Luther, 278f)
In der Tat, das ist wahr, denn: „Eine Reise in die Vergangenheit ist immer eine Reise in ein sehr fremdes Land. Alles ist anders: das Klima, das Essen, das Geld, wenn es überhaupt schon Geld gibt, die
Vorwort zur 1. Auflage XI
Sprache, selbst wenn es die ältere Form einer Sprache sein sollte, die wir beherrschen. Vor allem denken, fühlen und werten die Bewohner der Vergangenheit anders als wir. Eine solche Reise findet immer in der Vorstellung statt: denn die Vergangenheit ist ein Land, in das wir wohl hineinsehen können, soweit unsere eigene Erinnerung reicht, über das wir Nachrichten sammeln können, die uns aus diesem fernen Land zugekommen sind – nur hineingehen und selber nachprüfen, was denn mit diesen Nachrichten auf sich habe, können wir nicht“ (Knauf, Umwelt, 19).
Und dennoch: Wie das Phänomen der anthropologischen Konstanten zeigt, ist die Vergangenheit zwar weit entfernt und in vieler Hinsicht fremd, aber nicht einfach unerreichbar. „Soweit man auf der Suche nach Beispielen in Zeit und Raum auch zurückgeht“, so noch einmal Lévi-Strauss, „immer spielen sich das Leben und die Tätigkeit des Menschen innerhalb von Rahmen ab, die gemeinsame Merkmale aufweisen“ (Lévi-Strauss, Anthropologie, 15). Um diese gemeinsamen Merkmale geht es auch in diesem Buch. Die alttestamentliche Anthropologie ist nicht nur ein Fenster zur Vergangenheit, sondern auch ein Themenfeld, das in vielfältiger Weise Einfluss auf die Gegenwart ausübt. Das Gespräch über Gott und die Welt, in dem J. Habermas an die Strahlkraft der biblischen Gerechtigkeitsidee erinnert hat (Habermas, Gespräch, 173 ff), ist ein hervorragendes Beispiel für diesen Sachverhalt. Ich möchte dieses Buch, das in den Jahren 2014 bis 2018 niedergeschrieben wurde, nicht hinausgehen lassen, ohne diejenigen Personen zu erwähnen, die mich durch ihre Ideen bereichert und die meinen Weg begleitet haben. Dazu gehören neben den bereits Genannten vor allem meine Frau, die meine Aufmerksamkeit schon früh auf die Anthropologie gelenkt hat, sowie M. Bauks, A. Berlejung, D. Bester, D. M. Carr, J. Dietrich, Chr. Dohmen, G. D. Eberhardt, B. Ego, D. Erbele-Küster, K. Finsterbusch, I. Fischer, Chr. Frevel, J. Gärtner, M. Grohmann, A. Grund-Wittenberg, F. Hartenstein, J. Kamlah, A. Krüger, M. Leuenberger, H. Lichtenberger, M. Lichtenstein, K. Liess, F. Lippke, U. Neumann-Gorsolke, J. van Oorschot, M. Pietsch, N. Rahn, H. Randriambola, A. Reinert, P. Riede, J. Schnocks, S. Schroer, Chr. Schwöbel, M. S. Smith, Th. Staubli, G. Thomas, M. Tilly, W. D. Tucker, A. Wagner, A. Weissenrieder und T. Yamayoshi. Mit vielen von ihnen habe ich gemeinsame Lehrveranstaltungen zu anthropologischen Themen durchgeführt, Tagungen organisiert oder Buchprojekte auf den Weg gebracht. Die Erinnerung an diese Begegnungen und Freundschaften erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Ein besonderer Dank geht an Frau Dr. des. N. Rahn, Bern, die die Korrekturen sorgfältig mitgelesen und die Register angefertigt hat. Ebenso an Herrn Ass. F. Lippke, Fribourg, der zwei Abbildungen erstellt hat, und an Frau stud. theol. L. Schwörer, Tübingen für ihre Mithilfe beim Korrekturlesen. Last but not least danke ich Herrn Dr. H. Ziebritzki und Frau Dr. K. Gutekunst für ihr verlegerisches Interesse an der Fertigstellung dieses Buchs sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Verlag Mohr Siebeck, namentlich Frau S. Mang, für ihre immer kundige und engagierte Arbeit.
XII Vorwort zur 1. Auflage Für die Erlaubnis, Abbildungen aus den von ihnen publizierten Werken in das vorliegende Buch zu übernehmen, danke ich herzlich O. Keel, S. Schroer, Th. Staubli und Chr. Uehlinger. Ebenso danke ich den Verlagen C. H. Beck / München, Calwer Verlag / Stuttgart, Gütersloher Verlagshaus / Gütersloh, W. Kohlhammer / Stuttgart, Mohr Siebeck / Tübingen, Neukirchener Verlag / Neukirchen-Vluyn, Philipp Reclam / Stuttgart, Thames & Hudson / London, Vandenhoeck & Ruprecht / Göttingen und der Deutschen Bibelgesellschaft / Stuttgart für die von ihnen gewährte Abdruckgenehmigung. Schließlich danke ich den Trustees des British Museum, London, für die Erlaubnis, das akkadzeitliche Rollsiegel British Museum No. 89110 auf dem Cover abzubilden.
Auf dem Cover bzw. dem Frontispiz ist eine Abbildung zu sehen, die ein elementares Geschehen wiedergibt: den Anbruch des neuen Morgens, den die Kulturen des Alten Orients mit dem Motiv des richtenden und rettenden Sonnengottes verbunden haben und den die mesopotamische Rollsiegelkunst in eine dramatische Szene gefasst hat (s. Q 113 mit Abb. 141). Man sollte sich nicht daran stören, dass diese Szene auf dem Cover eines Buches erscheint, das der alttestamentlichen Anthropologie gewidmet ist. Denn eine ähnliche Szene findet sich auf dem einzigen Rollsiegel wieder, das in Jerusalem gefunden wurde (s. Q 152 mit Abb. 147) und das die Attraktivität bezeugt, die derartige Darstellungen auch auf die Judäer und die Judäerinnen des 7. Jahrhunderts v. Chr. ausübte. Ein letztes Wort zur Widmung. Im frühen 19. Jahrhundert setzten verstärkt Bemühungen ein, durch die die überkommene Sicht der Antike erweitert und korrigiert wurde. Damit zeichnete sich, so R. Schlesier, „eine anthropologische Hermeneutik ... ab, die das weiterwirkend Aktuelle des Vergangenen und Fernen ernst nimmt, ohne es als abzuschaffendes Überbleibsel zu entwerten, und die, ohne dem Sog des Irrationalen nachzugeben, der Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen zu ihrem Recht verhilft“ (Schlesier, Kulte, 14). Mit der Widmung an den Ägyptologen H. Brunner, den Gräzisten und Religionswissenschaftler W. Burkert, die Assyriologin E. Cassin, den Gräzisten und Religionswissenschaftler J.‑P. Vernant und den Alttestamentler H. W. Wolff möchte ich an Gelehrte erinnern, die dem in besonderer Weise gerecht geworden sind und darum als Wegbereiter einer Anthropologie der Antike gelten dürfen. Sie haben es verstanden, hinter dem Besonderen das Allgemeine sichtbar zu machen und so das „weiterwirkend Aktuelle des Vergangenen“ herauszustellen. Für mich waren sie immer eine Quelle der Inspiration. Tübingen, im Januar 2019
Bernd Janowski
Inhalt
Vorwort zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Chronologische Übersichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X XI
I Was ist der Mensch? – Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 § 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forschungsgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Philosophische und Historische Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Alttestamentliche Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Der Ansatz von H. W. Wolff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 1: Psalm 8 als Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Kritische Anfragen an H. W. Wolff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Perspektiven für einen Neuansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die konkreten Lebensumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Natürliche Lebensbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 2: Die longue durée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Kulturelle Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Religiöses Symbolsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die literarischen Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die anthropologischen Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zur Konzeption dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 5 5 10 11 13 17 19 21 22 27 28 33 36 37 39 43
II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens . . . . . . . . . . . . . . 45 § 2 Biographische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Weg ins Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erschaffung durch Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Genesis 2,7 als locus classicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Dualismus von Leib und Seele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 3: næpæš und ψυχή . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geburt und Namengebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 48 40 50 52 54 60
XIV Inhalt
α) Das Wunder der Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der Akt der Namengebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Ende des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bilder von Alter und Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Reflexionen über das Lebensende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „Alt und lebenssatt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verbindung mit den Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Trauerriten und Totenklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Totenkult im alten Israel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 4: JHWH und die Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61 71 77 77 77 82 85 86 88 90 95
§ 3 Gender- und Generationenaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rolle der Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mann und Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Erschaffung der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „Eine Hilfe, die ihm entspricht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 5: Zweisamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frauen und Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Erotik und Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 6: Ehe und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Kette der Generationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eltern und Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Kindheit im alten Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Formen der Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Generationenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Genealogisches Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das Elterngebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 98 99 100 104 105 107 108 115 120 125 125 125 128 133 134 135 139
III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs . . . . . . . . . . . . 141 § 4 Die Leibsphäre des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Körper und seine Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die äußeren Körperteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Terminologischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Synthetische Körperauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 7: Physiognomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die inneren Körperorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Herz und Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der Mutterleib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 144 145 145 148 151 154 154 163
Inhalt XV
2. Die Welt der Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegensätzliche Gefühle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Lieben und Hassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Lachen und Weinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restriktionen des Leiberlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Phänomenologie der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das erschöpfte Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 8: Krankheit und Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166 167 167 170 174 174 178 183 189
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaft und Barmherzigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Das Prinzip Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Exodus 22,20–26 als Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Paradigmen sozialer Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Das Ethos der Hingabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 9: Ruth als personifizierte Hingabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gefährdungen des Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gemeinschaftswidriges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Verletzende Gesten und Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Psalm 69 als Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Paradigmen sozialer Missachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Entehrung und Schande . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der treulose Freund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 10: Feindesliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
191 191 192 192 193 195 195 199 204 207 208 210 212 215 215 222 229 233
IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns . . . . . . . . . . . 235 § 6 Die Tätigkeiten des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Arbeit und Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Mensch und seine Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Ackerbau und Viehhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Haustiere und Arbeitstiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 11: Eschatologischer Tierfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Unterbrechung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Literaturgeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Ruhetags- und Sabbatgebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftssystem und Rechtswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirtschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Subsistenzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 238 238 239 245 247 249 251 252 255 255 256
XVI Inhalt
β) Prekäre Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 12: Die personae miserae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Rechtsprechung im alten Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das Tun der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
258 262 267 267 271 280
§ 7 Die Kommunikation des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundformen der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Rolle der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Sprachliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Israel als Erzählgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nonverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Gesten und Gebärden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Zeichenhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 13: Sehen und Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Kontakt mit dem Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebet und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Der betende Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Musik als Medium des Gotteskontakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Opfer und Opferkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Der Sinn des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Formen der Opfer- und Kultkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 14: Essen und Trinken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
281 282 282 282 287 290 290 294 297 302 302 302 305 310 311 314 319 327
V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung . . . . . . . . . . . . . . . 329 § 8 Die Ordnung des Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der natürliche und der soziale Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Himmelsrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das Verhältnis zur Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Strukturen des sozialen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Dorfkultur und Stadtkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Das Leben im Vierraumhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 15: Das Tor als öffentlicher Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der symbolische Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wahrgenommener und erzählter Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Erinnerungslandschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Erzählräume des Pentateuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorstellungen vom Weltganzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Vertikales und horizontales Weltbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331 332 332 333 337 340 341 343 346 351 352 352 354 357 358
Inhalt XVII
Exkurs 16: Der heilige Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 β) Die Gotterfülltheit der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Nachtrag zu § 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 § 9 Der Rhythmus der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die natürliche und die soziale Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die raumzeitliche Struktur der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Zeiterfahrung und Zeitverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Prediger 1–3 als Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die natürlichen und die sozialen Rhythmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Morgen und Abend, Tag und Nacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 17: Chaosbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Kalender und Zeitrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Feste und Festfreude im alten Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die Erfahrung des Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Deuteronomium 26,1–11 als Beispieltext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 18: Das Doppelgesicht der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frühjahrs- und Herbstfeste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Passa und Mazzot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der Große Versöhnungstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
377 377 378 379 380 386 387 392 395 397 397 397 401 404 406 408 412 420
VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament . . 423 § 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schöpfer und Geschöpf – Anthropologie der Urgeschichte . . . . . . . . . a) Bild Gottes und Schrecken der Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Die lebendige Statue Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der doppelte Herrschaftsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der fehlbare Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Essen vom Baum der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Menschliche Bosheit, göttliche Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuld und Versöhnung – Priesterliche Anthropologie . . . . . . . . . . . . . a) Zum Symbolsystem der Priesterschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Kosmologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Rein und Unrein, Heilig und Profan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der heilige Gott und sein unreines Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Der Ort der Gottesbegegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „… um Versöhnung zu erwirken“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425 425 425 427 428 434 435 439 443 443 444 447 450 450 456 460
XVIII Inhalt
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herrschaft und Heil – Anthropologie des Königtums . . . . . . . . . . . . . . a) Judäische Königsideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Aspekte der Herrschaftslegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der König als soziale Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herrscher der Zukunft und königlicher Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . α) „Ein Reis aus dem Baumstumpf Isais“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der königliche Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellvertretung und Neuschöpfung – Prophetische Anthropologie . . a) Der leidende Gottesknecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Was heißt „Stellvertretung“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „Er trug unsere Krankheiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Neuschöpfung des Sünders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Transformationen des Menschenbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Reines Herz und erneuerter Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
462 462 462 463 466 473 473 476 479 480 480 483 489 490 493 499
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Leben und Tod – Anthropologie der Psalmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Anthropologie der Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Loben und Danken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hoffnung über den Tod hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Diesseits und Jenseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Unsterblichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerechtigkeit und Leiden – Anthropologie der Weisheit . . . . . . . . . . . a) Die weisheitliche Sicht des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Lebenspraktisches Erfahrungswissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) Der Tun/Ergehen-Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zur Anthropologie des Hiobbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Leibsphäre und Sozialsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . β) „Hiob starb alt und lebenssatt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
501 501 501 503 506 511 511 515 519 520 521 523 528 529 534 538
VII Der ganze Mensch – Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 § 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Literaturgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 19: Das Theorem der Achsenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Theologiegeschichtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . α) Frühe Anstöße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
543 544 544 546 548 551
Inhalt XIX
β) Entscheidende Vertiefungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . γ) Späte Ausformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs 20: Der „innere Mensch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Thematische Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Erfahrung der Leiblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Ethos der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Bewusstsein der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Noch einmal: Was ist der Mensch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachtrag zu § 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
553 553 555 561 561 563 565 566 570
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 Quellen zur Anthropologie der Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Was ist der Mensch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Mesopotamien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Kleinasien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ugarit und Nordsyrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Palästina / Israel (mit Elephantine) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Antikes und rabbinisches Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Koran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
575 575 584 622 658 661 669 679 696 701 716
Abkürzungen und Hinweise zur Zitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handbücher und Sammelbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
729 729 734 736 739
Seit 2018/19 erschienene Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Handbücher und Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sammelbände und Festschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Antike Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
801 801 801 802 802 803
Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 1. Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 2. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823
Chronologische Übersichten 1. Archäologische Epochen in Palästina/Israel Siglen: FB = Frühbronze – MB = Mittelbronze – SB = Spätbronze – E = Eisen FB I FB II FB III FB IV MB I MB IIA MB IIB SB I SB IIA SB IIB
ca. 3200–3000 ca. 3000–2600 ca. 2600–2300 ca. 2300–2000 ca. 2300–2000 ca. 2000–1750 ca. 1750–1550 ca. 1550–1400 ca. 1400–1300 ca. 1300–1150
Conventional
Low
Modified
E IA/SB III E IB E IIA E IIB E IIC E III (Babyl.-Pers. Zeit) Perserzeit I Perserzeit II Frühhell. Zeit Späthell. Zeit Römische Zeit
ca. 1250–1150 ca. 1150–925 ca. 1200–1140 ca. 1150–1000 ca. 1150–925 ca. 1150/40–980 ca. 1000–900 ca. 925–835/30 ca. 980–840/30 ca. 900–700 ca. 830–700 ca. 830–732/701 ca. 700–587 ca. 587–450 bzw. ca. 605–520 u. 520–450 ca. 539–450 ca. 450–333 ca. 333–167 ca. 167–37 ca. 37–324 n.Chr.
S. dazu Weippert, Palästina, 25ff und Frevel, Geschichte Israels, 37 ff.
2. Zeittafeln zur Geschichte Israels, Ägyptens und Mesopotamiens Zu den chronologischen Angaben der Dynastien und Herrscher in Ägypten, Mesopotamien und Israel/Juda s. Donner, Geschichte, 503 ff; Keel, Geschichte Jerusalems, 1381 ff und Schlögl, Ägypten, 379 ff.
I Was ist der Mensch? – Einführung
D
ie Frage nach dem Wesen des Menschen spielt in den meisten Kulturen eine zentrale, jeweils unterschiedlich akzentuierte Rolle. Von der thebanischen Sphinx, einem mythischen Wesen mit Frauenkopf, Adlerflügeln und Löwenleib, wird sie in ein Rätsel gekleidet, das von Ödipus gelöst wird. „Es gibt“, so lautet das Rätsel, „auf der Erde etwas, das zweifüßig und vierfüßig und dreifüßig ist, als einziges verändert es sein Wesen von allem, was über die Erde kriecht und sich durch die Lüfte und im Meer bewegt. Aber sobald es auf drei Füße gestützt daher geht, da ist seinen Gliedern die Kraft am schwächsten“ (s. Q 157). Die richtige Antwort – „der Mensch“ – hat für Ödipus bekanntlich tragische Folgen: er tötet seinen Vater Laios und heiratet seine Mutter Iokaste, mit der er vier Kinder zeugt. Die Frage nach dem Wesen des Menschen wird auch in Psalm 8,5 gestellt – „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und ein Menschenwesen, dass du dich seiner annimmst?“ –, hat dort aber einen anderen Fokus. Der Mensch, so der Psalm, ist Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwollend nach ihm sieht. Diese Aufmerksamkeit Gottes ist ein Proprium biblischer Anthropologie und darüber hinaus ein bleibendes Würdeprädikat des Menschen. Was in Ps 8,5; Mi 6,8 oder Hi 7,17 f als Bestimmung oder Wesen des Menschen explizit gemacht wird, das wird in anderen Texten (Erzählungen, Annalen, Rechtstexte, Wirtschaftstexte, Rituale, Hymnen, Gebete, Propheten- und Weisheitssprüche) auf implizite Weise zum Ausdruck gebracht.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und ein Menschenwesen, dass du dich seiner annimmst? Psalm 8,5
„Kein Geheimnis des geistigen Lebens“, so beginnt der amerikanische Evolutionsbiologe E. O. Wilson seine faszinierende Biologische Geschichte des Menschen, „ist schwerer zu fassen und heißer begehrt als der Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Natur. Seit Urzeiten erforscht, wer danach sucht, das Labyrinth der Mythen: im Religiösen die Schöpfungsmythen und die Träume der Propheten; in der Philosophie die Erkenntnisse der Introspektion und das darauf beruhende Denken; in der Kunst Aussagen, die auf einem Drama der Sinne beruhen“1.
An dieser Suche nach dem „Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Natur“ beteiligen sich auch die Alttestamentliche Wissenschaft und ihre altorientalischen Nachbardisziplinen. Denn die Frage, was oder wer der Mensch ist, reicht weit in die vorhellenistische Antike zurück. Schon in den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens haben sich die Menschen Gedanken über sich selbst, ihre Stellung in der Welt und ihr Verhältnis zu den Göttern gemacht, ohne diese Gedanken systematisch zu erfassen und darzustellen. Ähnliches gilt für die griechische Literatur, die mit Homer,2 Hesiod, den Vorsokratikern, Platon (Q 3) und Aristoteles Protagonisten des anthropologischen Denkens besitzt,3 aber die Frage nach dem Menschen weder als selbständigen Teil noch als Disziplin der Philosophie versteht. Beispiele dafür sind das berühmte Rätsel der Sphinx (Q 157) oder die Reflexion über die tragische Natur des Menschen in der Antigone des Sophokles (um 442 v. Chr.): Viel Ungeheures (δεινός) ist, doch nichts So Ungeheures wie der Mensch. Der fährt auch über das graue Meer im Sturm des winterlichen Süd Wilson, Eroberung, 7. Das in den homerischen Epen tradierte Menschenbild repräsentiert „die erste literarische Selbstbeschreibung des ‚europäischen‘ Menschen“ (Meyer, Aristoteles, 29), ohne allerdings eine explizite Anthropologie zu sein. Zur Unterscheidung von impliziter und expliziter Anthropologie s. ders., aaO 29 ff. 3 S. dazu Meyer, Natur, 79 ff. 1
2
4 I Was ist der Mensch? – Einführung und dringt unter stürzenden Wogen durch. Und der Götter Heiligste, die Erde, die unerschöpfliche, unermüdliche, plagt er ab, mit wendenden Pflügen Jahr um Jahr sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht.4
Erst mit der italienischen Renaissance (Pico della Mirandola) und der Aufklärung des 18. Jahrhunderts (J. G. Herder, I. Kant) wird die Anthropologie zu einer philosophischen Disziplin,5 die für die im 19. und 20. Jahrhundert erfolgte Ausdifferenzierung in eine Vielzahl disziplinärer Anthropologien (von der medizinischen über die psychologische bis zur Sozialanthropologie) grundlegend geworden ist. Eines der auffälligsten Merkmale der sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskussionen in den letzten drei bis vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war schließlich die Hinwendung zur Anthropologie. „Mit einer solchen Ausrichtung“, so ein ausgewiesener Kenner der Materie, „sind verschiedene Erwartungen verknüpft. In einigen Fällen werden neue Fragen und Probleme entdeckt, in anderen wird fragmentarisches Wissen auf größere Problemund Sinnzusammenhänge bezogen; dann erhofft man sich Orientierungshilfen angesichts normativer und inhaltlicher Verunsicherung. So heterogen die Erwartungen an Anthropologie sind, so unterschiedlich sind die Vorstellungen davon, was unter Anthropologie zu verstehen ist“6.
Ein neues Interesse an anthropologischen Fragen gibt es nach dem klassischen Entwurf H. W. Wolffs von 1973/20107 seit gut zwanzig Jahren auch in der Alttestamentlichen Wissenschaft. Während die Philosophische Anthropologie traditionellerweise stark von der Theologischen Anthropologie rezipiert wird, treten seit einigen Jahren die Kulturwissenschaften und hier speziell die Historische Anthropologie und Psychologie an ihre Seite und bringen neue, zukunftsweisende Aspekte in die Diskussion ein. Im Folgenden wird versucht, dieser veränderten Forschungslage Rechnung zu tragen (1a) und gleichzeitig die Anstöße der Wolff ’schen Anthropologie des Alten Testaments kritisch zu sichten (1b). Anschließend werden Perspektiven für einen Neuansatz formuliert (2) und die Konzeption dieses Buchs skizziert (3).
Sophokles, Antigone I, 332–341 (s. Q 4). Das Adjektiv δεινός ist wörtlich zu nehmen: „furchtbar, schrecklich“ und „staunenswert, wunderbar“ zugleich. „Der Mensch erscheint als der, der sich seiner Welt bemächtigt, um ihr sein Leben abzuringen, die Welt darin aber zugleich verletzt: Darin besteht seine Tragik“ (Schoberth, Einführung, 31), s. dazu auch Flashar, Sophokles, 67 f. 5 Es gibt verschiedene Vorschläge, die Geschichte der neuzeitlichen Anthropologie in Etappen bzw. Epochen einzuteilen, s. dazu Marquard, Art. Anthropologie, 362 ff und Hartung, Anthropologie. 6 Wulf, Anthropologie, 7. 7 S. dazu unten 11 ff. 4
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 5
1. Forschungsgeschichtliche Aspekte a) Philosophische und Historische Anthropologie Philosophische Anthropologie: Blumenberg, Beschreibung, 478 ff ◆ Cassirer, Versuch ◆ Ha-
bermas, Anthropologie, 31 ff ◆ Hartung, Anthropologie ◆ Jung, Ausdruck, 1 ff ◆ Marquard, Art. Anthropologie, 362 ff ◆ Thies, Einführung ◆ Ders., Art. Mensch, 1515 ff ◆ Ders., Tomasello, 107 ff. – Historische Anthropologie: Böhme, Anthropologie, 251 ff ◆ Bohlken / Thies, Einleitung, 1 ff ◆ Payen / Scheid-Tissinier (éd.), Anthropologie ◆ Ricken, Menschen, 152 ff ◆ Schlesier, Kulte ◆ Tanner, Einführung ◆ Ders., Anthropologie, 147 ff ◆ Vernant, Mythos, 357 ff ◆ Winterling, Begriffe, 9 ff ◆ Ders. (Hg.), Anthropologie ◆ Wulf, Anthropologie, 105 ff.137 ff ◆ Ders. (Hg.), Vom Menschen.
Die Frage nach dem Wesen des Menschen, die mit der „anthropologischen Wende“ des 18. Jahrhunderts ins Zentrum der Natur- und Humanwissenschaften rückte8 und sich in eine „physische Anthropologie“ (Mensch/Tier-Verhältnis), eine „philosophische Anthropologie“ (Leib/Seele-Problem) und eine „ethnographische Anthropologie“ (Typologie der Rassen) ausdifferenzierte, ist in der Philosophischen Anthropologie des 20. Jahrhunderts aufgrund der wachsenden Vertrautheit mit der Biologie, der Psychologie und der Soziologie des Menschen relativiert worden. Wenn wir, wie etwa W. Dilthey (1833–1911) meinte, ebenso Natur wie Geschichte sind, dann ist zu fragen, ob es sinnvoll ist, auf die Frage nach dem invarianten Wesen des Menschen eine abschließende Antwort zu erwarten. Lässt sich also, so fragt H. Plessner (1892–1985), „ein Wesen, an dessen Entwicklung aus vormenschlichen Lebensformen ebensowenig zu zweifeln ist wie an seinen offenen Zukunftsmöglichkeiten, ein Wesen, das uns nach Herkunft und Bestimmung gleichermaßen dunkel ist, abschließend bestimmen? Dürfen weiterhin die Selbstauffassungen des Menschen, die im Laufe der Geschichte und in vielen nicht zu einer Geschichte zählenden Kulturen bezeugt sind, durch ein generalisierendes Verfahren sozusagen überspielt und in einer Wesensformel untergebracht werden?“9
Auf der anderen Seite zog die abstammungsgeschichtliche Herleitung des homo sapiens aus vormenschlichen Lebensformen (frühe Hominiden, s. Abb. 1)10 nicht nur eine Erschütterung der traditionellen Anthropologie, sondern auch die Erschließung einer die Natur des Menschen umgreifenden Dimension nach sich. In ihr sammeln sich seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts (M. Scheler, A. Gehlen, H. Plessner)11 die Erfahrungen und Erkenntnisse der Medizin, S. dazu Wulf, aaO 43 ff. Eine Neuentdeckung des Menschen geschieht zeitgleich in der Literatur des 18. Jh.s, s. dazu Košenina, Anthropologie. 9 Plessner, Anthropologie, 411. Zu Plessners Ansatz s. Habermas, Anthropologie, 36 f und Krüger, Art. Plessner, 63 ff. 10 S. dazu Wilson, Eroberung, 23 ff und Parzinger, Prometheus, 17 ff.55 ff.695 ff. 11 S. dazu die Textbeispiele bei Schüßler (Hg.), Anthropologie, 49 ff.71 ff.85 ff und die Darstellung bei Hartung, Anthropologie, 58 ff.61 ff.65 ff. 8
6 I Was ist der Mensch? – Einführung
der Biologie, der Psychologie, der Soziologie, der Sprachwissenschaft, der Geschichtswissenschaft sowie der Religions- und Kulturwissenschaft.12
Abb. 1: Verband des Australopithecus afarensis (Ostafrika)
Die Kulturwissenschaft etwa hat sich in den letzten Jahrzehnten intensiv den wechselseitigen Beziehungen zwischen Leib und Seele, Individuum und Gemeinschaft, Person und Welt sowie Identität und Alterität zugewandt und dabei gelernt, die anthropologische Grundfrage „Was ist der Mensch?“ durch die Integration neuer Aspekte umfassender, aber auch detailgenauer zu stellen. Wichtig war dabei die Erkenntnis, dass eine Philosophische Anthropologie, die die medizinischen, psychologischen, soziologischen und kulturellen Erfahrungsbereiche einbezieht, die Frage nach dem Wesen und der Bestimmung des Menschen anders beantworten muss als noch vor zwei oder drei Generationen. Die veränderte Situation hängt auch damit zusammen, dass in der Philosophie, aber auch in der Kulturwissenschaft grundsätzliche Kritik am Ansatz essentialistischer Entwürfe geübt wurde, wonach „jeder Versuch einer Bestimmung des Wesens des Menschen in unzulässiger Weise die Vielfalt des Menschseins auf ein Bild reduziere, das unter der Hand normative Qualität gewinnt“13. Der Begriff eines ‚Wesens des Menschen‘ darf
12 13
S. dazu Wulf, aaO 65 ff.83 ff.105 ff. Schoberth, Wozu, 39.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 7
„nicht mehr essenzialistisch als Substanz aufgefasst werden, sondern ist lediglich im Sinne einer inhaltsoffenen Strukturformel zu denken; er muss als dynamisch konzipiert werden, denn seine inhaltliche Füllung bleibt notwendig geschichtlich unabgeschlossen und damit Gegenstand fortwährender Auseinandersetzung zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, Epochen und Disziplinen“14.
Insofern bleibt die Aufgabe bestehen, die anthropologische Grundfrage „Was ist der Mensch?“ nicht einfach zu sistieren oder durch eine vage Pluralität von Anthropologien zu ersetzen, sondern nach Kategorien zu suchen, die sie erfahrungsnah zu konkretisieren erlauben.15 Eine solche Leitkategorie könnte der Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre sein, dem zufolge das individuelle menschliche Leben von der Wiege bis zur Bahre „in eine soziokulturelle Matrix verwoben ist“16. Von dieser Voraussetzung her lässt sich die Frage nach dem ‚Wesen des Menschen‘ nicht mehr unbefangen stellen. Im Unterschied zur traditionellen Philosophischen Anthropologie und ihren essentialistischen Behauptungen über das invariante Wesen des Menschen fragt die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland aufgekommene Historische Anthropologie danach, „in welch tiefgreifender Weise der Mensch historisch ist“17. Sie stellt den konkreten Menschen mit seinem Fühlen, Denken, Wollen und Handeln in den Mittelpunkt der Analyse und schärft, wie der Kulturwissenschaftler G. Böhme schreibt, den Blick für die ‚Innenseite der Geschichte‘, also für die historische und kulturelle Bedingtheit und Vielfalt des menschlichen Lebens: „Die verbreiteten, aber vagen Feststellungen, der Mensch sei das nicht festgestellte Tier (Nietzsche) oder er habe kein Wesen, erhalten erst Inhalt, wenn man sich an der eigenen Kultur deutlich macht, daß der Mensch auch in den fundamentalsten Strukturen nicht derselbe geblieben ist. Es handelt sich bei der historischen Wandelbarkeit ja nicht etwa nur um den Wandel der Arbeitsformen, der Ehestrukturen, der Herrschaftsformen, sondern um die anthropologische Organisation selbst. Das Erstaunen über diese Andersartigkeit unserer Vorfahren wird fast noch übertroffen durch ein anderes Erstaunen: nämlich darüber, daß wir sie trotz ihrer Andersartigkeit verstehen können. Sicherlich nicht direkt und ohne Mühe …, aber wir entdecken in dieser Begegnung doch, daß wir dieses Andere auch in uns selbst haben. Wir spüren, daß wir im Prinzip auch so sein könnten, so erfahren könnten, so empfinden könnten wie die Menschen vor uns.“18
Oder mit den Worten des Gräzisten und Religionshistorikers J.‑P. Vernant (1914– 2007): Bohlken / Thies, Einleitung, 4. S. dazu Tanner, Anthropologie, 147 ff und aus theologischer Sicht Schoberth, Einführung, 84 ff. 16 Tomasello, Naturgeschichte, 13, s. dazu ausführlich unten 143 ff.191 ff. 17 Böhme, Anthropologie, 264. 18 Ders., ebd. 14
15
8 I Was ist der Mensch? – Einführung „Alle menschlichen Verhaltensweisen erweisen sich als in großen Werksystemen organisiert, die – von den Historikern verzeichnet – unterschiedliche Typen von Zivilisationstatsachen bilden. Weil sie variabel sind, erscheinen diese Tatsachen stets mit Ort und Datum versehen. Wir können seither unmöglich annehmen, daß sich hinter den Veränderungen der Verhaltensweisen und der menschlichen Werke ein unbewegter Geist und hinter den ständigen psychologischen Funktionen ein fixes inneres Subjekt verbirgt. Wir müssen dagegen anerkennen, daß der Mensch im Innern seiner selbst der Ort einer Geschichte ist.“19
Der originäre Gegenstand der Geschichtswissenschaft sind deshalb, so der Mentalitätshistoriker M. Bloch (1886–1944), die Menschen in der historisch bedingten Vielfalt ihrer Handlungen, Hervorbringungen und Hinterlassenschaften: „In der Tat haben uns unsere großen Vorgänger – ein Michelet, ein Fustel de Coulanges – schon vor langer Zeit gelehrt, daß der natürliche Gegenstand der Geschichtswissenschaft der Mensch ist. Oder besser gesagt: die Menschen. Einer Wissenschaft von der Vielfalt ist der zur Abstraktion neigende Singular weniger angemessen als der Plural, der grammatische Modus der Relativität. Hinter den Charakteristiken einer Landschaft, hinter scheinbar völlig unpersönlichen Schriftstücken und hinter Institutionen, die sich von ihren Gründern scheinbar völlig losgelöst haben, stehen Menschen, und sie versucht die Geschichtswissenschaft zu verstehen.“20
Auch die Historische Psychologie beruht, wie I. Meyerson (1888–1983), einer ihrer Wegbereiter, betont hat, auf dem Grundsatz, dass das Denken und Fühlen des/der Menschen geschichtlich bedingt, d. h. veränderlich und prinzipiell unabgeschlossen ist: „Die Anwendung der historischen Sichtweise auf die Psychologie, nämlich die Untersuchung des konkreten Menschen, der in seine vielfältigen Aktivitäten, in seine sukzessiv sich ergebenden sozialen und materiellen Kontexte eingebunden ist, führt dazu, die psychischen Funktionen selbst als veränderlich zu betrachten.“21
Die Aufgabenstellung der Historischen Anthropologie, die geschichtliche Natur des Menschen zu beschreiben, unterscheidet sich damit charakteristisch vom Ansatz der traditionellen Philosophischen Anthropologie und ihrer Frage nach dem Wesen des Menschen und den Bedingungen seines Daseins. Nach dem Ende der Verbindlichkeit einer abstrakten anthropologischen Norm schien damit der Zeitpunkt gekommen, „die Ergebnisse der Humanwissenschaften, aber auch die einer geschichtsphilosophisch fundierten Anthropologie-Kritik zusammenzufassen und für neuartige, paradigmatische Fragestellungen fruchtbar zu machen“22. Vernant, Mythos, 359, s. auch ders., Mensch, 7 ff. Vernant gilt als Wegbereiter einer Historischen Anthropologie der Antike, s. dazu Schlesier, Kulte, 296 ff und Schmitt-Pantel / Wittenburg, Anthropologie, 379 ff. 20 Bloch, Apologie, 30. 21 Meyerson, Ecrits 1920–1983, 65, zitiert nach Happ, Meyerson, 116. 22 Wulf (Hg.), Vom Menschen, 13. 19
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 9
Das war die Stunde der Historischen Anthropologie und ihres spezifischen Kulturbegriffs, wonach „Kultur“ nicht eine Anhäufung von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Recht und Brauchtum ist, sondern – gemäß einer Definition des Kulturanthropologen C. Geertz (1926–2006) – „ein geordnetes System von Bedeutungen und Symbolen, vermittels dessen gesellschaftliche Interaktion stattfindet“23. Wie der Fortgang der Diskussion gezeigt hat, ist die Historische Anthropologie allerdings nicht frei von gewissen Einseitigkeiten und Engführungen. Diese stellen sich immer dann ein, wenn gefordert wird, dass die anthropologische Reflexion sich jeglicher Aussage über den Menschen enthalten und die Frage nach anthropologischen Konstanten aufgeben solle.24 Diese Forderung ist schon deshalb problematisch, weil sich Begriffe wie „Körper“, „Geschlecht“ oder „Tod“ auf Erfahrungsbereiche beziehen, die alle Menschen teilen, die also anthropologische Invarianten oder Universalien darstellen. Die Leistung der Historischen Anthropologie besteht daher „nicht in der Dekonstruktion der Anthropologie und ihrer Begriffe, sondern in der Schärfung des für eine integrative Anthropologie unabdingbaren historischen Bewußtseins“25. Wieder war es M. Bloch, der dies hellsichtig gesehen hat: „Wir haben gelernt, dass sich auch der Mensch stark verändert hat, und zwar sowohl mental als auch in den subtilsten Mechanismen seines Körpers. Wie könnte es anders sein? Seine mentale Atmosphäre hat einen grundlegenden Wandel erfahren, seine Hygiene und Ernährungsweise nicht minder. Dennoch muß es in der menschlichen Natur und den menschlichen Gesellschaften einen durchgängigen Grundbestand geben. Ohne ihn wären die Begriffe ‚Mensch‘ und ‚Gesellschaft‘ bedeutungslos.“26
Dieser Ansatz ist eine Chance für die Alttestamentliche Anthropologie, die „nur dann gelingen kann, wenn die ganze Spannbreite der alttestamentlichen Tradition Berücksichtigung findet“27 – und wenn darüber hinaus die Anstöße der historischen und kulturwissenschaftlichen Nachbardisziplinen aufgenommen werden, um die konkreten Lebensumstände und die literarischen Kontexte zu rekonstruieren, in denen die alttestamentlichen Aussagen über den/die Menschen des alten Israel ihren ursprünglichen Ort haben.28 Was für die Historische Anthropologie und ihren Ansatz gilt – nämlich „die strukturellen Kopplungen und Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Ebenen zu betrachten“29 –, das dürfte mutatis mutandis auch für die Alttestamentliche Anthropologie gelten.
23
Geertz, Beschreibung, 99, s. dazu auch ders., Kulturbegriff, 7 ff und unten 28 ff. Bohlken / Thies, Einleitung, 6. Dies., ebd. Bloch, Apologie, 49. Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 10 (Frevel). S. dazu unten 21 ff.36 ff. Winterling, Begriffe, 28. Mit den „verschiedenen Ebenen“ sind bei Winterling die Körpergeschichte, die Psychohistorie, die Sozialgeschichte und die Kulturgeschichte gemeint.
24 Vgl. 25 26 27 28 29
10 I Was ist der Mensch? – Einführung
Mutatis mutandis – denn der Beitrag der Theologischen und speziell der Alttestamentlichen Anthropologie ist gegenüber demjenigen der Historischen Anthropologie insofern noch einmal anders gelagert, als die Theologische Anthropologie mit der Historischen Anthropologie zwar das Axiom des menschlichen Zusammenlebens und seiner Ambivalenz(en) teilt, im Unterschied zu dieser aber davon ausgeht, dass „erst in der Perspektive, die mit Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt rechnet, ein lebbarer Umgang mit dieser Ambivalenz offenbar wird“30. Unter Berufung auf die Gegenwart Gottes wird die Theologische Anthropologie die anthropologische Grundfrage „Was ist der Mensch?“ deshalb auch anders beantworten. b) Alttestamentliche Anthropologie Albertz, Art. Mensch, 464 ff ◆ Frevel, Art. Anthropologie, 1 ff ◆ Ders., Menschenskinder!?, 8 ff ◆ Ders., Frage, 29 ff ◆ Ders. / Wischmeyer, Menschsein, 9 ff ◆ Gertz, Mensch, 19 ff ◆ GrundWittenberg, Kulturanthropologie, 873 ff ◆ Janowski, Anthropologie, 535 ff ◆ Ders., Der ganze Mensch, 3 ff ◆ Ders., „Identität“, 31 ff ◆ Ders. / Bester, Anthropologie, 3 ff ◆ van Oorschot, Grundlegung, 1 ff ◆ Ders., Aspekte, 17 ff ◆ Schmidt, Anthropologie, 156 ff ◆ Schmitt, Perspektiven, 177 ff ◆ Schroer, Grundlinien, 299 ff ◆ Dies. / Zimmermann, Art. Mensch / Menschsein, 368 ff ◆ Schüle, Anthropologie, 399 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder ◆ di Vito, Anthropologie, 213 ff ◆ Ders., Art. Anthropology, 117 ff ◆ Wagner, Körperbegriffe, 289 ff ◆ Ders., Anthropologie(n), 11 ff ◆ Ders., Menschenkonzept, 45 ff ◆ Westermann, Mensch ◆ Wolff, Anthropologie. – Sammelbände: Berlejung u. a. (Hg.), Menschenbilder ◆ Frevel (Hg.), Anthropologie ◆ Hilgert / Wink (Hg.), Menschen-Bilder ◆ Janowski (Hg.), Mensch ◆ Ders. / Liess (Hg.), Mensch ◆ van Oorschot / Wagner (Hg.), Anthropologie(n) ◆ Dies. (Hg.), Gott ◆ Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität ◆ Wagner (Hg.), Aufbrüche.
Der Einsatzpunkt der neueren alttestamentlichen Anthropologie liegt über vierzig Jahre zurück und ist vor allem mit dem Namen H. W. Wolff (1911–1993) verbunden. Wolff, der die Aufgabenstellung einer Historischen Anthropologie noch nicht im Blick haben konnte, hat sich dennoch die Frage gestellt, „wie die Aufgabe einer verläßlichen Lehre vom Menschen wissenschaftlich überhaupt lösbar ist“31. Denn hier „steht der Forscher vor jenem äußersten Grenzfall, bei dem das Problem der Nichtobjektivierbarkeit schlechterdings nicht zu bewältigen ist. So wenig ein Mensch sich selbst gegenübertreten kann, so wenig ein Heranwachsender aus sich selber weiß, wessen Kind er ist, so gewiß bedarf der Mensch grundsätzlich der Begegnung mit einem anderen, der ihn erforscht und erklärt. Doch wo ist der andere, den das Wesen Mensch fragen könnte: Wer bin ich?“32
Skizzieren wir zunächst, wie Wolff diese Frage beantwortet hat. Klein, Inhumanität, 444. Wolff, Anthropologie, 22. 32 Ders., ebd. 30 31
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 11
α) Der Ansatz von H. W. Wolff Im Unterschied zu den älteren Entwürfen von F. Delitzsch, J. Koeberle, J. Pedersen u. a.33 hat Wolff die Frage nach einer alttestamentlichen Anthropologie umfassend gestellt und unter den drei Aspekten einer Anthropologischen Sprachlehre, einer Biographischen Anthropologie und einer Soziologischen Anthropologie entfaltet. Wolff setzt mit einer Anthropologischen Sprachlehre ein, in der er zunächst die anthropologischen Grundbegriffe næpæš („Leben[digkeit], Vitalität“), bāśār („Fleisch“), rûah „Atem, ˙ Wind, Geist“), leb / lebāb („Herz“) und danach die anthropologischen Sachverhalte „Das Leben des Leibes“, „Das Innere des Leibes“, „Die Gestalt des Leibes“ und „Das Wesen des Menschen“ (Sehen und Hören, Ohr, Mund, Sprache) untersucht. Darauf folgt eine Biographische Anthropologie, wobei anhand verschiedener Zeitauffassungen und Schöpfungsvorstellungen die grundlegenden Rhythmen wie Erschaffung und Geburt, Leben und Tod, Jungsein und Altern, Wachen und Arbeiten, Schlafen und Ruhen, Krankheit und Heilung, Hoffnung und Erwartung beschrieben werden. Im dritten, Soziologische Anthropologie genannten Teil kommt Wolff auf die Welt des Menschen zu sprechen, worunter er die Rolle(n) des Einzelnen in der Gemeinschaft (und vor Gott: Der Mensch als „Bild Gottes“) versteht: Mann und Frau, Eltern und Kinder, Freunde und Feinde, Herren und Knechte, Weise und Toren. Den Schluss bildet eine Erörterung über die Bestimmung des Menschen im Verhältnis zu Gott, zum Mitmenschen und zur Schöpfungswelt. Hier hat die Darstellung von Wolff auch ihr Ziel. Danach ist der Mensch „1. … bestimmt, zu leben und nicht dem Tode zu verfallen“, „2. Er ist bestimmt, zu lieben und allen Haß zu überwinden“, „3. Seine Bestimmung in der außermenschlichen Schöpfung ist ebenso eindeutig: herrschen“ und „4. Der Mensch ist bestimmt, Gott zu loben“34. Denn im Loben Gottes „findet die Bestimmung des Menschen zum Leben in der Welt, zum Lieben des Mitmenschen und zum Beherrschen der außermenschlichen Schöpfung ihre wahrhaft menschliche Erfüllung. Sonst wird der Mensch als sein eigener Abgott zum Tyrannen, oder er verliert im Verstummen zur Sprachlosigkeit seine Freiheit“35.
Trotz kritischer Anfragen36 ist die Absicht der Wolff ’schen „Anthropologie“, zu einer umfassenden „Bestimmung des Menschen“37 anzuleiten, in vielem überzeugend. Das wird etwa an der Überschrift des zweiten Paragraphen: „næpæš – der bedürftige Mensch“38 deutlich. Darin zeigt sich das Bemühen, das unter S. dazu Wolff, aaO 22 ff, ferner Koch, Denken, 3 ff; Bester, Körperbilder, 6 ff; van Oorschot, Grundlegung, 4 ff; Hartenstein, Kulturwissenschaften, 32 f und Schmitt, Perspektiven, 177 ff. Zum Entwurf einer „jüdischen Anthropologie“ s. Adler, Mensch, vgl. ders., Wesen, 188 ff. 34 Zu den Formulierungen s. Wolff, aaO 311.313.314.316 (jeweils H. i. O.). 35 Ders., aaO 319. 36 S. dazu unten 17 ff. 37 So die Überschrift des Schlussabschnitts ders., aaO 310 ff. 38 Vgl. ders., aaO 33 ff. Der Einwand von Dietrich, Sozialanthropologie, 227, dass næpæš „nicht nur den bedürftigen Menschen …, sondern auch den nach Beziehung verlangenden Menschen“ bezeichne (zum Kontext des Zitats s. unten Anm. 65), ist in der Sache zwar richtig, 33
12 I Was ist der Mensch? – Einführung
dem Einfluss des griechischen Denkens heimisch gewordene dichotomische bzw. trichotomische Menschenbild (Leib – Seele bzw. Leib – Seele – Geist) zu überwinden und durch eine sachgerechtere Deutung zu ersetzen. So entwickelt Wolff die Bedeutung des anthropologischen Grundbegriffs næpæš „Leben(digkeit), Vitalität“39 aufgrund einer Analyse der sprachlichen Kontexte, die die Korrelation von Körperorganen und emotionalen, kognitiven und voluntativen Vorgängen bzw. Eigenschaften beschreiben. Wenn etwa Körperorgane wie das „Herz“ (leb / lebāb) und die „Nieren“ (kelājôt) mit emotionalen oder kognitiven Vorgängen wie „Freude“ oder „Jubel“ verbunden werden (vgl. Ps 16,7 ff; Spr 23,16 u. ö.) und umgekehrt soziale oder psychische Konflikte wie „Anfeindung“ oder „Verbitterung“ bestimmte Körperorgane wie das „Herz“ und die „Nieren“ in Mitleidenschaft ziehen (vgl. Ps 73,21 u. ö.), ist der Mensch als ganzer, d. h. hinsichtlich seiner somatischen und psychischen / kognitiven Aspekte und Funktionen im Blick: 7 8 9
Ich segne JHWH, der mich beraten hat, auch in Nächten unterweisen mich meine Nieren. Ich habe JHWH ständig vor mich hingestellt, ja, er ist zu meiner Rechten, so dass ich nicht wanke. Darum freut sich mein Herz und jubelt meine Ehre, auch mein Fleisch wohnt in Sicherheit. (Ps 16,7–9)
Mein Sohn, ist dein Herz weise, freut sich auch mein Herz, es jubeln meine Nieren, wenn deine Lippen reden, was recht ist. (Spr 23,16) 21 Als mein Herz sich verbitterte, und ich in meinen Nieren ein scharfes Stechen fühlte, 22 da war ich ein Dummkopf und begriff nicht, (ganz und gar) Vieh war ich vor dir. (Ps 73,21 f)
Auch wenn es aufgrund dieser – noch näher zu erläuternden – Korrelation von Körperorgan und Lebensfunktion „keine Abwertung des Leiblichen, keinen Dualismus von Geist / Seele und Leib“40 und d. h. keine vom Körper abgelöste Persönlichkeit gibt,41 liegt dem Alten Testament dennoch keine einheitliche Lehre vom Menschen zugrunde. Das muss aber kein Nachteil sein. Denn das Fehlen eines einheitlichen Menschenbildes wird nach Wolff aufgewogen durch den „DialogCharakter“42, der ein zentrales Merkmal der anthropologischen Texte des Alten Testaments ist. Die Aufgabe einer biblischen Anthropologie umreißt Wolff denn auch folgendermaßen:
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trifft aber nicht ganz das Anliegen Wolffs, s. dazu die bei Wolff, aaO 41 ff diskutierten Belege wie Gen 34,2 f u. a. Zur Bedeutung von næpæš s. unten 54 ff. Albertz, Art. Mensch, 466, vgl. bereits Schmidt, Begriffe, 79.89 ff. S. dazu Wagner, Reduktion, 183 ff und unten 143 ff. Wolff, aaO 24.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 13
„Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe wird ihren Einsatz dort suchen, wo innerhalb der Texte selbst erkennbar nach dem Menschen gefragt wird. Die ganze Weite der Kontexte ist heranzuziehen, um die spezifischen Antworten zu erarbeiten. Es wird sich zeigen, dass die wesentlichen Beiträge Dialog-Charakter tragen und dass der Konsens im Zeugnis über den Menschen bei allem Wandel sprachlicher Formen geistesgeschichtlich erstaunlich ist. Vor allem im Gespräch mit Gott sieht der Mensch sich in Frage gestellt, erforscht und damit viel weniger festgestellt als vielmehr zu Neuem berufen. Der Mensch ist, so wie er ist, alles andere als das Maß der Dinge.“43
Ausgehend von den Texten und ihren Kontexten nach der Selbstauslegung des Menschen coram Deo zu fragen – das ist nach Wolff die Aufgabe der alt testamentlichen Anthropologie. Signifikant dafür ist Ps 8, dessen Grundfrage „Was ist der Mensch?“ (V. 5) ins Zentrum alttestamentlicher Anthropologie führt. Exkurs 1: Psalm 8 als Beispieltext Altes Testament: Gaß, Handeln, 268 ff ◆ Frevel, Menschenwürde, 244 ff ◆ Irsigler, Psalm
8, 1 ff ◆ Ders., Interdependenz, 195 ff ◆ Janowski, Anerkennung, 200 ff ◆ Ders., Der ganze Mensch, 22 ff ◆ Köckert, „Wo warst du?“, 35 ff ◆ Meinhold, Menschsein, 13 ff ◆ NeumannGorsolke, „Ehre“, 39 ff ◆ Dies., Herrschen, 20 ff ◆ Schellenberg, Mensch, 143 ff ◆ Schnieringer, Psalm 8 ◆ Spieckermann, Heilsgegenwart, 227 ff ◆ Waschke, „Mensch“, 801 ff. – Neues Testament, Systematische Theologie: Brünenberg, Mensch ◆ Sauter, Leben 38 ff ◆ Schoberth, Einführung, 27 ff.
Ps 8, der als Schöpfungs- oder besser: Schöpferpsalm so etwas wie ein „poetisches Kompendium klassischer psalmtheologischer Anthropologie“44 darstellt, besteht aus zwei hymnischen JHWH‑Prädikationen (V. 2b–3 und V. 4–9), die von den beiden Bewunderungsrufen V. 2a und V. 10 gerahmt werden. Diese theozentrische Perspektive kommt in prägnanter Weise auch in V. 5 zum Ausdruck, wenn die Frage nach dem Wesen des Menschen – „Was ist der Mensch?“ (V. 5a) – durch den Hinweis auf das „Gedenken“ (zākar) und das „Nachsehen, In-AugenscheinNehmen“ (pāqad) durch JHWH beantwortet (V. 5b) und damit konstatiert wird, dass sich die Menschenwerdung des Menschen nach biblischem Zeugnis in der Situation „vor Gott“ (coram Deo) ereignet: 1 Dem Musikmeister. Nach der gittitischen Weise. Ein Psalm Davids. 2a JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!
Ders., ebd. Die Kritik von Wagner, Anthropologie(n), 14 Anm. 14, dass bei Wolff „die unbewussten Prägungen und intersubjektiven Aspekte (sc. der Anthropologie) … nicht in den Blick (kommen)“, ist in dieser Ausschließlichkeit überzogen. 44 Spieckermann, Heilsgegenwart, 237. Zur Anthropologie der Psalmen s. unten 501 ff. 43
14 I Was ist der Mensch? – Einführung 2b Der du deine Hoheit gelegt (< gegeben) hast auf den Himmel45 – 3 aus dem Mund von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht gegründet um deiner Bedränger willen, um zum Aufhören zu bringen Feind und Rächer. 4 Wenn ich deinen Himmel sehe, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt hast – 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und das Menschenwesen, dass du dich seiner annimmst? 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott,46 und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt. 7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere. 10 JHWH, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!
Die Struktur dieses Textes lässt sich folgendermaßen darstellen: Überschrift (1) Bewunderungsruf in Anrede JHWHs (2a) Hymnische JHWH‑Prädikation I (2b–3) JHWHs Schöpferwirken am Himmel (2b) JHWHs rettendes Wirken auf der Erde (3): a Machtstellung von Kindern und Säuglingen b Überwindung der Feinde und Gottesleugner Hymnische JHWH‑Prädikation II (4–9) Verwunderte Frage: „Was ist der Mensch?“ 4 Vordersatz zu 5: Blick zum Himmel 5 Fragesatz: Wesen des Menschen Rühmende Antwort: Der königliche Mensch 6 Ausstattung mit „Ehre“ und „Pracht“ 7 ff Herrschaft über die Tierwelt: Einsetzung in die Königsherrschaft (7) Taxonomie der Herrschaftsbereiche (8 f) Bewunderungsruf in Anrede JHWHs (10)
Zum Textproblem von V. 2b s. Neumann-Gorsolke, Herrschen, 22 ff und Hartenstein / J anowski, Psalmen (BK), 292 (Janowski). 46 Genauer: Du hast ihm (nur) wenig fehlen lassen zur Gottheit / im Vergleich mit Gott. 45
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 15
Der Mensch, so V. 5, ist Mensch, weil Gott an ihn denkt und wohlwollend nach ihm sieht (vgl. Ps 144,3) oder weil er – wie Hi 7,17 f den Gedanken der fürsorglichen Aufmerksamkeit Gottes fortschreibt und verändert – sein „Herz“ prüfend auf ihn richtet (s. Q 6).47 Die dem Verb zākar „(denken an >) gedenken“48 eignende intentionale Ausrichtung ist auch für das parallele pāqad („nachsehen, in Augenschein nehmen“) charakteristisch, das die Zuwendung JHWHs im Sinn eines wohlwollenden Interesses am Geschick des Menschen zum Ausdruck bringt. Das heißt: JHWH überlässt den Menschen in Situationen akuter Bedürftigkeit nicht sich selbst, sondern er ist „ihm darin stets Anteil nehmend und wohlwollend zugetan, so dass er aufmerksam nach ihm sieht und erkundet, wessen er bedarf “49. Diese Aufmerksamkeit Gottes gilt allen Menschen und sie gilt, wie V. 4 mit seinem Hinweis auf die majestätische Höhe und Weite des nächtlichen Himmels mit seinen Gestirnen (Mond und Sterne) deutlich macht, dem Menschen in seiner Kleinheit und Hinfälligkeit. Damit steht sie im Dienst der Herausstellung der Größe des Schöpfers von Himmel und Erde (V. 2a + 10!) und damit „der Gnade, die darin besteht, daß dieser so große Gott sich dem so kleinen / hinfälligen Menschen zuneigt“50. Nur von Gott her lässt sich nach Ps 8 also sagen, was der Mensch ist. Und nur von ihm her wächst dem Menschen, wie der weisheitliche Frage/Antwort-Zusammenhang von V. 4–5.6–9 deutlich macht, auch die Fähigkeit zu, seine Stellung in der Welt wahrzunehmen. Diese Stellung wird nicht wie in Gen 1,26–28 unter Rückgriff auf die imago Dei-Terminologie,51 sondern anhand der Metapher vom „königlichen Menschen“ präzisiert, der mit „Ehre“ und „Pracht“ gekrönt ist (V. 6) und der seine Herrschaft über die Tiere ausübt (V. 7–9).52 Diese Position des Menschen zwischen Gott und den Tieren wird in V. 6 f durch entsprechende Verben und Präpositionen umschrieben (Abb. 2). Die Grundfrage aller Anthropologie – „Was ist der Mensch?“ – erfährt mit Ps 8 folglich eine Antwort, die charakteristisch für das biblische Menschenbild ist. Denn die Aussage, dass Gott an den Menschen „denkt“ und er „sich seiner annimmt“, richtet sich nicht darauf, dass er sich punktuell einer Sache erinnert und eine andere vergisst, sondern darauf, dass er „in den Zusammenhängen geschöpflichen Lebens eine Wirklichkeit stiftet, die durch solche duale Abstrak-
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52
Zu Hi 7,17 f s. unten 529 f. S. dazu Janowski, Erinnerung, 172 ff. Schnieringer, Psalm 8, 231, vgl. Schottroff, Art. pāqad, 476; Irsigler, Psalm 8, 12 f.22.30 und Brünenberg, Widerstand, 53 ff.71 ff. Schnieringer, aaO 233. S. dazu unten 423 ff. Zum „königlichen Menschen“ s. unten 476 ff. In der philosophischen Tradition der Neuzeit ist dieser Bezug zur nichtmenschlichen Kreaturwelt in der Regel übersehen und die Frage nach dem Wesen des Menschen vornehmlich subjekttheoretisch beantwortet worden, s. dazu unten 566 ff.
16 I Was ist der Mensch? – Einführung 6a Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, b und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt. 7a Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, b alles hast du gelegt unter seine Füße. 6 a Position des Menschen // b Krönung des Menschen unterhalb von Gott mit Ehre und Pracht
7 a Herrschaft des Menschen // b Position des Menschen über über Gottes Werke den Tieren, die unter seine Füße gelegt sind Abb. 2: Die Position des „königlichen Menschen“ nach Ps 8
tionen selbst nicht zureichend erfaßt wird“53. Anders gesagt: „Gedenken ist der Inbegriff des rettenden Handelns Gottes, nicht eine überdimensionale Gedächtnisleistung, als ob Gott der Oberbuchhalter der Menschheit wäre“54. Es geht in Ps 8 nicht um den Menschen an sich oder um den Menschen in seiner Selbstbezüglichkeit, sondern um die Relation von Schöpfer und Geschöpf und um die Stellung des Menschen in der vom Schöpfer geschaffenen Welt – oder mit den Worten H. W. Wolffs: „Der Mensch des 8. Psalms, der seine Überlegenheit in der Welt entdeckt, kann sie nicht im Selbstruhm zur Sprache bringen, sondern nur in der preisenden Anrede Gottes (V. 6 f.) (…) Und der ganze Psalm wird von der Antiphon gerahmt (V. 2.10) (…) Die Bestimmung zum Loben Gottes und also zum dankbaren Dialog mit dem Schöpfer wird in Psalm 8 deshalb nicht von einer Selbstfaszination des Menschen durch seine eigenen Fähigkeiten verdrängt, weil er sich selbst auch mit seiner eigenen Hilfsbedürftigkeit im Auge behält (V. 5).“55
Und schließlich: Mit der Adressierung der anthropologischen Grundfrage „Was ist der Mensch?“ an Gott verändert sich diese Frage von Grund auf. Denn für Ps 8 ist „die Frage nach dem Menschen keine, die Menschen von sich aus beantworten können; sie ist vielmehr nur als an Gott gerichtete sinnvoll. Dabei ist gerade die Form der Frage bezeichnend: Nicht eine bestimmte Antwort, die aus dem Gegenüber zu Gott gelöst werden könnte, sondern die offene Begegnung gibt ihr ihren Sinn“56.
Schüle, Handeln, 269, s. dazu auch Sauter, Leben, 38 ff. Sauter, aaO 45. 55 Wolff, Anthropologie, 316 f, vgl. 232 f. 56 Schoberth, Einführung, 32. 53 54
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 17
Es geht also um die Lebenswirklichkeit des Menschen, die als Wirklichkeit coram Deo und im Gegenüber zur nichtmenschlichen Kreaturwelt bestimmt wird. Die Wahrnehmung dieser Relationen und damit die Rückbindung an das schöpferische Handeln Gottes an Mensch und Welt entscheidet nach Ps 8 über das Menschsein des Menschen. Dieser Mensch ist kein Despot, sondern ein „Herrscher“, aber weder aus eigener Vollmacht noch über andere Menschen.57 Herrscher ist er allein im Auftrag des Schöpfergottes. 𓇼 β) Kritische Anfragen an H. W. Wolff Wolffs „Anthropologie des Alten Testaments“ zählt nach wie vor zu den Klassikern der Alttestamentlichen Wissenschaft. Dennoch gab es bald Kritik, auf die der Autor im Nachwort zur 3. Auflage von 1977 auch eingegangen ist.58 Weitere Kritiken, die in den letzten zwanzig Jahren erschienen sind, seien im Folgenden kurz angeführt. So erkennen S. Schroer / Th. Staubli59 die Verdienste der Wolff ’schen „Anthropologie“ im Blick auf die Behandlung der Körperbegriffe ausdrücklich an,60 werfen ihr aber bestimmte Verzerrungen vor, die ihrer Auffassung nach auf „systematische Vorurteile“ zurückzuführen sind. So gehe Wolff weiterhin von einer Prävalenz des Hörens gegenüber dem Sehen aus, bevorzuge die männliche gegenüber der weiblichen Lebensform und halte im Blick auf das Thema „Sexualität“ an eingefleischten „antikanaanäischen Klischees“ (Israel / Zucht vs. Kanaan / Unzucht) fest. Grundsätzlicher ist die Kritik von A. Wagner,61 der dafür plädiert, nicht bei den sog. anthropologischen Grundbegriffen næpæš („Leben[digkeit], Vitalität“), bāśār („Fleisch“), rûah „Atem, Wind, Geist“) und leb / lebāb („Herz“) anzusetzen. ˙ Nach Wagner läuft dies auf eine „Reduktion des Lebendigen“ hinaus, weil sich die Beschränkung auf vier Grundbegriffe nicht rechtfertigen lässt. Begriffe wie jād „Hand“, pānîm „Gesicht“, ῾ajin „Auge“, rægæl „Fuß“ und ro᾽š „Kopf “, die öfter belegt sind als jene vier „Grundbegriffe“, sind für die alttestamentliche Anthropologie ebenso relevant. Das aber heißt: „Der Mensch wird also im A. T. unter den verschiedensten Perspektiven betrachtet, ohne dass eine klare Hierarchisierung der verschiedenen Aspekte erkennbar wäre. Das A. T. fasst diese Aspekte nicht zu einer einheitlichen Vorstellung (etwa einen einheitlichen ‚Person‘-Begriff o. ä.) zusammen, sondern bringt seine Ansichten über den Menschen in einer Vielzahl von Aspekten zum Ausdruck. Etliche dieser Aspekte sind dabei nicht nur auf den Menschen beschränkt, sondern sind Aspekte alles Lebendigen.“62
Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 80; Irsigler, Psalm 8, 24 und unten 479. S. dazu Wolff, aaO 351 ff. Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 12 f. Eine Fortführung der Wolff ’schen Darstellung bietet Kegler, Körpererfahrung, 28 ff. S. dazu Wagner, Reduktion, 183 ff. Ders., aaO 198, s. dazu auch mit dem Fokus auf dem Begriff næpæš Müller, „Seele“, 77 ff.
57 Vgl. 58 59 60 61 62
18 I Was ist der Mensch? – Einführung Dieser Sachverhalt lässt sich noch durch die Beobachtung vertiefen, dass die Körperbegriffe als „Stellvertreterausdrücke der Person“63 fungieren und, wie etwa næpæš („Leben, Lebenskraft“) in Ps 54,6 zeigt, die Stelle des Personalpronomens einnehmen können: Siehe, Gott ist mir Helfer, der Herr unter denen, die meine næpæš (= mich) stützen. Der Begriff næpæš „Leben, Lebenskraft“ (+ Suff. 1c. sg.) steht hier „nicht nur als ‚Variante‘ zum Personalpronomen, sondern bringt einen eigenen Bedeutungsaspekt mit in die Aussage ein“64. Dieser Aspekt ergibt sich daraus, dass næpæš „den Menschen (kennzeichnet), soweit er auf etwas aus ist“65. Dementsprechend lässt sich Ps 54,6 folgendermaßen paraphrasieren: Siehe, Gott ist mir Helfer, der Herr unter denen, die (meine næpæš =) mein Verlangen nach Leben stützen.66 „Stellvertreterausdrücke der Person“ sind auch die Begriffe ᾽ozæn „Ohr“, ᾽ap „Nase“, jād „Hand“, pānîm „Gesicht“, ῾ajin „Auge“, ro᾽š „Kopf “, rægæl „Fuß“ und die Bezeichnungen für die inneren Körperorgane „Herz“ (leb / lebāb), „Leber“ (kābed), „Nieren“ (kelājôt), „Eingeweide, Innereien“ (me῾îm) oder „Mutterleib“ (ræhæm).67 ˙
Einen Schritt über Schroer / Staubli und Wagner hinaus macht schließlich R. Schmitt,68 wenn er Wolffs Werk eine explizit „theologische Anthropologie des Alten Testaments“ nennt, dieser aber den Vorwurf macht, der „Wort-GottesTheologie“ verpflichtet zu sein.69 Da die Problematik dieser Theologie Schmitt zufolge „im defizitären Bild vom Menschen (liegt), dessen Sein ganz im Sinne der ‚Wort-Gottes-Theologie‘ im Rahmen des zur Entscheidung aufrufenden Kerygmas gewertet wird“70, gelte es, diese zu überwinden und durch eine dezidiert kulturwissenschaftliche Perspektive zu ersetzen. Obwohl Schmitt die grundsätzliche Bedeutung einer spezifisch theologischen Anthropologie nicht in Frage stellen möchte, fordert er dennoch einen
Zu diesem Ausdruck s. Wagner, Körperbegriffe, 289 ff und unten 148 ff. Ders., aaO 291, vgl. 307 ff und bereits Wolff, Anthropologie, 51 ff. 65 Schmidt, Begriffe, 90, vgl. Wagner, aaO 308; ders., Reduktion, 191; Dietrich, Sozialanthropologie, 227 f und unten 54 ff. Zu Recht erläutert Dietrich, dass „næpæš … eine nach Bezogenheit drängende Vitalität (ist), die ihre Lebenskraft gerade aus den Beziehungen gewinnt, in denen sie steht. næpæš bezeichnet deshalb nicht nur den bedürftigen Menschen, der begehrend sich etwas einzuverleiben bestrebt ist, sondern auch den nach Beziehungen verlangenden Menschen“ (aaO 227), s. dazu aber auch oben Anm. 38. 66 Vgl. Wagner, Körperbegriffe, 308. 67 S. dazu unten 148 ff. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Überlegungen von Stenger, Körper, 163 ff, der darauf hinweist, dass der von Wolff beobachtete Konnex von Körperorgan und Lebensfunktion kein Proprium des Alten Testaments ist, vgl. van Oorschot, Aspekte, 20 und Müller, aaO 13 f.106 u. ö. 68 S. dazu Schmitt, Perspektiven, 177 ff. 69 S. dazu ders., aaO 180 f.185.187 u. ö. 70 Ders., aaO 185. 63 64
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 19
„stärker ethnologischen Blick auf den Menschen, der … auch Elemente einer sozialgeschichtlich fundierten Mentalitätsgeschichte berücksichtigen muß“. Summa: „Eine Anthropologie des Alten Testaments kann sich nicht nur auf literarische Befunde stützen, sondern muß die materielle Kultur und das von ihr bezeugte Symbolsystem bzw. die innerhalb unterschiedlicher Fundgruppen bezeugten Symbolsysteme, welche sich durchaus voneinander und von den in den Texten repräsentierten unterscheiden können, berücksichtigen.“71
Mit diesem Monitum rennt Schmitt, wie nicht zuletzt die ab dem Jahr 2009 erschienenen Sammelbände72 belegen, offene Türen ein. Um im Bild zu bleiben: Im großen Haus der alttestamentlichen Anthropologie(n) stehen die Fenster und Türen inzwischen weit offen. Nur sollten wir nicht den Fehler machen, aus Übereifer alles, was nach Theologie aussieht, aus dem Fenster zu werfen. Dann brauchen wir den Versuch, eine Anthropologie des Alten Testaments (!) zu entwerfen, gar nicht erst zu machen. 2. Perspektiven für einen Neuansatz Vieles an der gegen Wolffs „Anthropologie“ vorgebrachten Kritik ist berechtigt und von der Forschung inzwischen auch beherzigt worden, einiges dagegen ist überzogen73 bzw. wenig hilfreich.74 Auf jeden Fall hat sich die Situation der Disziplin „Altes Testament“ gegenüber der Epoche, für die der Name H. W. Wolff steht, deutlich verändert. So kann eine alttestamentliche Anthropologie heute nicht mehr ohne die Berücksichtigung der Kulturen des alten Ägypten, des Alten Orients (Mesopotamien, Kleinasien, Syrien / Palästina, Iran) und des antiken Mittelmeerraums einschließlich Griechenlands geschrieben werden. Der Anhang: Quellen zur Anthropologie der Antike75 bietet dafür reiches Anschauungsmaterial. Zu der veränderten Situation zählen darüber hinaus Anstöße der Historischen Anthropologie, der Historischen Psychologie, der Genderforschung sowie der Kultur- und der Kognitionswissenschaft.76 Wie eine Anthropologie des Alten Testaments, die diesen Perspektiven Rechnung trägt, heute zu konzipieren wäre, ist eine offene Frage. Man könnte sich dabei an den anthropologischen Grundbegriffen bzw. Haupttexten des Alten Testaments orientieren oder eine thematische oder eine literarturgeschichtliche 71 72
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Ders., aaO 187 f, vgl. 205 f. S. dazu die oben 10 genannten Sammelbände. Das gilt für manche Urteile von Schmitt, aaO 178 ff.180 f.181 ff.185 ff.187 f. Zur Kritik von Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 12 f an der Wolff ’schen These von der Prävalenz des Hörens gegenüber dem Sehen s. die Gegenkritik von Luchsinger, Poetik, 250 f. Das gilt für einige Ausführungen von van Oorschot, Grundlegung, 8 ff, s. dazu die Kritik von Janowski, „Anthropologie“, 398 ff. S. dazu unten 573 ff. Zur Bedeutung der kognitiven Linguistik für die (alttestamentliche) Anthropologie s. etwa Stenger, Körper, 163 ff und Müller, „Seele“, 106 ff.
20 I Was ist der Mensch? – Einführung
Gliederung zugrunde legen. Gegenüber solchen Vorschlägen, für die es prominente Beispiele gibt,77 hätte eine Anthropologie des Alten Testaments m. E. folgende Aspekte zu berücksichtigen: y die konkreten Lebensumstände der Menschen im alten Israel, wie sie in den natürlichen Lebensbedingungen, in den kulturellen Lebensformen und im religiösen Symbolsystem zum Ausdruck kommen (a), y die literarischen Kontexte des Alten Testaments, in denen diese Lebensumstände ihren sprachlichen Niederschlag gefunden und zu einer Vielzahl von Menschenbildern geführt haben (b), y die anthropologische Konstanten, die die unterschiedlichen Menschenbilder des Alten Testaments jenseits von sozial- und literarhistorischen Konkretionen umgreifen und prägen (c). Zwischen den konkreten Lebensumständen (a) und den literarischen Kontexten (b) gibt es ständige Wechselbeziehungen, die den Aufbau der sozialen Welt (Gesellschaft) befördern und die Stellung des Menschen in ihr verständlich machen. Dass es darüber hinaus im Alten Testament auch anthropologische Konstanten (c) gibt, ist m. E. nicht von der Hand zu weisen. Wäre es anders, wäre die Vergangenheit für uns schlechterdings unerreichbar.78 Das ist sie aber nicht, weil „wir sie trotz ihrer Andersartigkeit verstehen können“79. Da die Vergangenheit aber nicht einfach zugänglich ist, weil unsere Verbindung mit ihr durch den „garstigen Graben“ der Geschichte zerrissen ist, steht die Aufgabe, das Fremde und Vergangene zu verstehen, vor einer doppelten Schwierigkeit, die W. Dilthey (1833–1911) in seinem Werk Der Aufbau der geschichtlichen Welt von 1910 folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: „Die Auslegung wäre unmöglich, wenn die Lebensäußerungen gänzlich fremd wären. Sie wäre unnötig, wenn in ihnen nichts fremd wäre. Zwischen diesen beiden äußersten Gegensätzen liegt sie also. Sie wird überall erfordert, wo etwas fremd ist, das die Kunst des Verstehens zu eigen machen soll.“80
Zu beschreiben und zu verstehen, wie fern oder fremd und wie nah oder vertraut uns die Menschen des alten Israel sind – darin besteht u. a. die Aufgabe der alttestamentlichen Anthropologie. Wie sie angegangen werden kann, soll im Folgenden näher skizziert werden.
Vgl. die unterschiedlichen Gliederungen von Wolff, aaO 29 ff; Westermann, Mensch, 11 ff; Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 9 ff (Frevel); Schroer, Grundlinien, 299 ff und van Oorschot, Aspekte, 23 ff. 78 Vgl. Lévi-Strauss / Eribon, Das Nahe, 180 und Lévi-Strauss, Anthropologie, 15 f u. ö. 79 Böhme, Anthropologie, 264, vgl. für das Alte Testament Schroer, aaO 299 und van Oorschot, aaO 17. 80 Dilthey, Welt, 225. 77
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 21
a) Die konkreten Lebensumstände In seiner Antrittsvorlesung am Collège de France von 1933 hat der Mentalitätshistoriker L. Febvre (1878–1956), zusammen mit M. Bloch (1886–1944) das Haupt der Schule der Annales,81 dazu aufgefordert, die Reduktion von Geschichte auf Schrift aufzugeben und die „Humanwissenschaften“ (sciences humaines) um die Analyse der „Tatsachen“ (les faits) zu erweitern. Allerdings sind es, wie er präzisiert, immer „menschliche Tatsachen“82. Dementsprechend besteht die Aufgabe des Historikers darin, „die Menschen wiederzufinden, die sie (sc. die Tatsachen) durchlebt haben, sodann diejenigen, die sich viel später mit ihren Ideen in ihnen eingenistet haben, um sie zu deuten. Die Texte, gewiß – aber es sind menschliche Texte. (…) Die Texte, gewiß – aber alle Texte. (…) Die Texte, freilich – aber nicht nur die Texte. Auch die Dokumente, welcher Art auch immer.“83
Im Blick auf die Anthropologie des Alten Testaments könnte man diesen Impuls so aufnehmen, dass man von der Korrelation von „Mensch“ und „Kultur“ ausgeht84 und die Ergebnisse der Palästinaarchäologie, der Ikonographie Palästinas / Israels und der altorientalischen Religionsgeschichte in die Analyse einbezieht. Um das disparate Material zu ordnen, könnte man dabei die drei Ebenen Natürliche Lebensbedingungen, Kulturelle Lebensformen und Religiöses Symbolsystem unterscheiden: y die natürlichen Lebensbedingungen beziehen sich auf den geographischen Raum Palästinas / Israels (Zeitrhythmen, Klimazonen, Bodenbeschaffenheit, Landschaftsreliefs) mit seiner spezifischen Tier- und Pflanzenwelt (α), y mit den kulturellen Lebensformen sind die Formen der Selbstwahrnehmung (Leibsphäre) und des Zusammenlebens (Sozialsphäre) gemeint, die für das / die alttestamentliche/n Menschenbild/er charakteristisch sind (β), y unter dem religiösen Symbolsystem ist ein kulturelles Zeichensystem zu verstehen, mit dessen Hilfe die Menschen des alten Israel ihrer natürlichen Lebenswelt gegenübertreten und diese auf die in ihr vorhandenen Ordnungselemente zu ‚lesen‘ versuchen (γ). Alle drei Ebenen müssen in ihrer gegenseitigen Verflechtung verstanden und dargestellt werden. Menschliches Leben vollzieht sich auch im alten Israel in bestimmten, jeweils definierten bzw. qualifizierten Räumen und Zeiten, die der natürlichen (Himmelsrichtungen, Tag/Nacht-Rhythmus, Geographie), der soziaS. dazu ausführlich Schöttler, „Annales“-Historiker, 29 ff. Febvre, Historiker, 18. 83 Ders., ebd. (H. i. O.), vgl. Tanner, Anthropologie, 153. 84 Vgl. Ricken, Menschen, 152, demzufolge das Menschenbild davon abhängt, „in welche kulturellen Lebensformen sie (sc. die Menschen) verwoben sind, so dass Raum, (historische) Zeit und (soziale) Gemeinschaft sie allererst konstituieren und formieren“. 81 82
22 I Was ist der Mensch? – Einführung
len (Vierraumhaus, Dorf, Stadt, Tor, Palast, Tempel, Grab) und der symbolischen Ebene (Feste, Grenze zwischen Leben und Tod, Jenseitsvorstellungen) angehören. In diesem Sinn ist die alttestamentliche Anthropologie immer auch eine „Wissenschaft vom Konkreten“85. α) Natürliche Lebensbedingungen Palästina / Israel: Aharoni, Land ◆ Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 67 ff ◆ Borowski,
Agriculture ◆ Keel u. a., OLB 1, 38 ff ◆ King / Stager, Life ◆ Prudky, Art. Wetter, 451 ff ◆ Steck, Welt, 49 ff ◆ Vieweger, Archäologie, 207 ff ◆ Weippert, Palästina, 3 ff ◆ Dies., Welterfahrung, 179 ff ◆ Weippert / Weippert, Vorgeschichte, 341 ff ◆ Zwickel, Einführung, 70 ff ◆ Ders., Leben, 9 ff. – Bibelatlas: Zwickel u. a. (Hg.), Bibelatlas, 10 ff. – Kultur- und Geschichtswissenschaft: Fuchs, Leib, 303 ff ◆ Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 651 ff.
Zu den elementaren Lebensbedingungen gehört auch im alten Israel der natürliche Lebensraum. Als „Lebensraum“ lässt sich „die dauerhafte Gesamtheit des von einer Person präreflexiv gelebten und erlebten Raumes mit seinen Bedingungen, Wirkungen und Möglichkeiten“ bezeichnen, „also der Umraum eines leiblichen und seiner selbst bewussten Subjektes im weitesten Sinn. Er integriert die … anthropologischen Räumlichkeiten, beschränkt sich aber nicht auf die aktuell wahrgenommen Umgebung, sondern bezieht den gesamten natürlichen, sozialen und kulturellen Raum ein, sofern er Einfluß auf die Person hat“86.
Im Sinn dieser Definition konnte der Mensch des alten Israel „räumlichen und zeitlichen Einflüssen … nicht distanziert gegenüberstehen, beides erlebte er hautnah“87 und, wie Gen 8,22 deutlich macht, im Rhythmus der Jahreszeiten:88 Während aller Tage der Erde (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.
So universal dieser Text auch ausgerichtet ist, so sehr ist doch zu beachten, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen des alten Israel in vielem von denjenigen etwa der alten Ägypter unterschieden haben: „In einer Flussoase zu leben auf der einen, oder steinigen Böden die Nahrung abzuringen auf der anderen Seite, prägt über die Generationen hinweg den Alltag einer Kultur, aber zugleich auch ihre Ideenwelt. Im Niltal hat man sich angesichts der Kürze des heißgeliebten Lebens auf ein ewiges Leben nach dem Tod ausgerichtet. In Israel wurde die Grenze des Todes nie in dieser Weise überschritten, die Religion war erstaunlich diesseitig.“89 Zu dieser Formel s. Lévi-Strauss, Denken, 11 ff. Fuchs, Leib, 303. Zur alttestamentlichen Raumauffassung s. unten 331 ff. 87 Weippert, Welterfahrung, 184. 88 Vgl. Keel u. a., OLB 1, 38 ff. 89 Schroer, Grundlinien, 299. Zu den Diesseits/Jenseits-Beziehungen s. unten 511 ff. 85 86
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 23
Zu den natürlichen Lebensbedingungen im alten Israel zählt vor allem der geographische Raum mit seinen Klimazonen und seiner Bodenbeschaffenheit.90 Palästina / Israel war (und ist) ein kleines Land, dessen Längsausdehnung von Norden nach Süden ungefähr 250 km beträgt und dessen Breite wegen des unregelmäßigen Verlaufs der Mittelmeerküste von Norden nach Süden hin zunimmt und dabei zwischen 50 km (Bucht von Akko / See Genezareth) und 150 km (südliches Juda / Totes Meer) schwankt. Charakteristisch ist das Landschaftsrelief dieses Gebiets, das sich in vier markante Zonen einteilen lässt (schmaler Küstenstreifen, westjordanisches Bergland, Jordangraben, transjordanische Hochebenen) und das ihm – bezogen auf das judäische und das ostjordanische Bergland – das Prädikat der „Kleinkammerigkeit“ eingetragen hat.91 Die Klimazonen Entsprechend der subtropischen Lage Palästinas / Israels zerfällt das Jahr in etwa zwei gleich lange, viereinhalb Monate dauernde Jahreszeiten (regenloser Sommer und winterliche Regenzeit), zwischen denen zwei jeweils sechswöchige Übergangszeiten liegen und dem Land im September / Oktober den Frühregen und im April / Mai den Spätregen bringen.92 Im Unterschied zu den großen Flusskulturen Mesopotamiens und Ägyptens mit ihren Bewässerungssystemen (Kanäle, Nilüberschwemmung) war Palästina / Israel, das nur über wenige Seen, perennierende Flüsse und Bäche verfügt, von der Häufigkeit und Verteilung der jährlichen Niederschläge (s. Abb. 3) und deren Nutzung durch Brunnen und Zisternen abhängig. Diese Abhängigkeit hat die Menschen des alten Israel gelehrt, den meteorologischen Phänomenen größte Aufmerksamkeit zu schenken: „Das alte Israel war ein Bauernvolk, das in hohem Maße wetterabhängig war, da ja die Felder ausschließlich vom Regen bewässert wurden. Flüsse, die das ganze Jahr Wasser führten, bildeten entweder für die Landwirtschaft unbrauchbare Sümpfe, oder ihr Bett lag zu tief (wie das des Jordans in seinem Unterlauf), als dass ihr Wasser für die Bewässerung der Felder hätte benützt werden können. Die existentielle Bedeutung der atmosphärischen Bedingungen führte dazu, ihnen größte Aufmerksamkeit zu schenken und in allem, was damit zusammenhing, Gott am Werk oder wenigstens Metaphern für sein Wirken zu sehen.“93
Aufgrund dieser Lebensbedingungen verwundert es nicht, dass die südliche Levante, zu der Palästina / Israel gehörte, aufgrund von Klimaschwankungen, Naturkatastrophen u. a. immer wieder von Hungersnöten heimgesucht wurde. Berühmt ist nicht nur der Schlusspassus der sog. „Israel-Stele“ des Merenptah
S. dazu Aharoni, Land; Weippert, Palästina, 3 ff und Vieweger, Archäologie, 207 ff. S. dazu Weippert / Weippert, Vorgeschichte, 366 ff u. a. 92 S. dazu Keel u. a., aaO 38 ff. Zum altisraelitischen Kalender s. unten 395 ff. 93 Ders., aaO 52 f, vgl. Steck, Welt, 53. 90 91
24 I Was ist der Mensch? – Einführung
150 mm Linie (Wüstenlinie)
Akko Tiberias
unter 100 mm 100–200 mm 200–300 mm 300–400 mm 400–500 mm
Bet-Shean
500–600 mm 600–700 mm 700–800 mm
Sichem
800–900 mm über 900 mm
Jericho Jerusalem
Gaza
Beerscheba
Abb. 3: Jährliche Niederschlagsmengen in Palästina
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 25
(Q 47), sondern auch zahlreiche Texte des Alten Testaments wie Gen 12,10; 26,1; 41,27.30 f; 2 Sam 21,1; 1 Kön 18,2 u. a.94 Das Landschaftsrelief Das Landschaftsrelief, das Klima und die Bodenbeschaffenheit bedingen die typische landschaftliche Dreigliederung Palästinas / Israels in Kulturland, Steppe und Wüste (s. Abb. 4). Während das Kulturland mit seinem mediterranen Klima und ausreichenden Niederschlägen die Voraussetzungen für ein sesshaftes Leben in Dörfern und Städten bot, verhinderte die Wüste mit ihrem Mangel an Wasser und ertragreichen Böden das Entstehen fester Siedlungen. Die Grenze zwischen diesen beiden Landschaftsformen und Ökosystemen bildeten die Steppengürtel, die sich je nach Wasserspeicherung und Wasserverteilung einmal mehr dem Kulturland, einmal mehr der Wüste annäherten. Gemäß den natürlichen Lebensbedingungen bildete sich „die typische palästinische Bevölkerungstrias heraus, die aus Städtern, Dörflern und nomadisierenden Kleinviehhirten besteht“95. Allerdings waren die Übergänge zwischen diesen drei Gruppen fließend und ihre Konsistenz immer auch von klimatischen, ökonomischen oder politischen Umständen abhängig: „Hinzu kommt, dass in einem so kleinen Bereich, wie Palästina ihn darstellt, verschiedene Gruppen zwar durchaus nebeneinander, aber nicht gegeneinander existieren können. Wo ein konfliktloses Zusammenleben nicht gelang, geriet die Balance der kontinuierlichen Entwicklung ins Wanken.“96
Die unvorhersehbaren klimatischen Bedingungen riefen eine ganze Reihe von Bewältigungsstrategien hervor, durch die die Bauern versuchten, ihre traditionelle Produktionsweise (Ackerbau und Viehhaltung) zu erweitern: „Baum- und Stockfrüchte (besonders Oliven, Trauben, Feigen und Mandeln) waren zusammen mit der Aufzucht von Herdentieren die wichtigste Art und Weise der landwirtschaftlichen Diversifikation. Herdentierzucht und Hortikultur ergänzten den regenabhängigen Kornanbau und boten für die Ernährung wesentliche Produkte, die gelagert und transportiert werden konnten.“97
Mit ihren gegensätzlichen Symbolgehalten gehören Kulturland (Kosmos, Fruchtbarkeit, Reinheit) und Wüste / Steppe (Chaos, Sterilität, Unreinheit)98 zu den 94 95 96
97 98
Zum historischen Gehalt dieser Texte s. Zwickel, Hungersnöte, 453 ff. Zu Darstellung von Hunger und Durst in der ägyptischen Ikonographie s. Q 46. Weippert, Palästina, 24. Dies., ebd. Ein typisches Beispiel für derartige Konflikte sind die Brunnenstreitigkeiten in den Erzelternerzählungen, speziell in Gen 21,22 ff; 26,15 ff u. ö., s. dazu Fischer, Erzeltern, 216 ff. Hopkins, Art. Ackerbau / Viehhaltung, 101. Zur bäuerlichen Subsistenzwirtschaft s. unten 256 ff. S. dazu Berlejung, Art. Wüste / Steppe, 465 f; Kreuzer, Art. Wüste, 457 ff und unten 363. Die
O
Damaskus
H
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Sidon
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26 I Was ist der Mensch? – Einführung
GA
LIL
AEA
Tyrus
Haifa
Wüstengürtel Steppengürtel
HAU
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Megiddo
Waldgürtel
Sichem Jafo Amman
Madaba Gaza
ARA
BISC
Hebron
HE W ÜS
TE
Jericho Jerusalem
Beerscheba El-Arisch
SINAI-WÜSTE
Quseme Kadesch
Petra Maan
Abb. 4: Landschaftskarte Palästinas
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 27
metahistorischen Faktoren, die der Mentalitätshistoriker F. Braudel (1902–1985) der sog. longue durée zugerechnet hat. Diese Zeitschicht der „langen Dauer“ ist auch für die alttestamentliche (und altorientalische) Anthropologie von zentraler Bedeutung. Exkurs 2: Die longue durée Altes Testament: Gertz (Hg.), Grundinformation, 68 f ◆ Uehlinger, Bildquellen, 44 ff ◆ Weippert, Geschichte Israels, 73 ff ◆ Weippert / Weippert, Vorgeschichte, 366 ff. – Kulturund Geschichtswissenschaft: Braudel, Mittelmeer, 20 f ◆ Ders., Geschichte, 49 ff ◆ Burke,
Geschichte, 43 ff ◆ Koselleck, Zeitschichten, 12 ff ◆ Raphael, Braudel, 45 ff ◆ Schöttler, „Annales“-Historiker, 29 ff ◆ Vovelle, Geschichtswissenschaft, 103 ff. In seinem Meisterwerk Das Mittelmeer (1949, dt. 1990) und dann in seinem programmatischen Aufsatz Geschichte und Sozialwissenschaften (1958, dt. 1972/1992) plädiert F. Braudel99 dafür, den sich langsam wandelnden Aspekten des historischen Geschehens besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Sein Konzept besteht in einem dreistufigen Modell von Zeitstrukturen: der Struktur der „Langen Dauer“ (longue durée), den „Konjunkturen“ (conjonctures) und den „Ereignissen“ (événements). Während die Mittlere Dauer (conjonctures) Konjunkturen, also primär wirtschaftliche Prozesse von mittlerer Reichweite wie Wirtschaftskrisen, Zyklen wirtschaftlichen Auf- und Abschwungs u. a., und die Kurze Dauer (courte durée) Ereignisse (événements), also politische Umbruchphasen, Gesetzesnovellierungen, Herrscherwechsel u. a. beschreibt, spielen sich auf der Ebene der Langen Dauer (longue durée) jene unauffälligen Prozesse ab, die sich der vollständigen Beherrschung und Steuerung durch den Menschen entziehen. Dazu zählen geographische, biologische und ökologische Vorgaben in den Bereichen von Humangeographie, Demographie, Klima, Fauna, Flora, Ernährung und Alltagskultur. „Mit diesem Modell der drei Zeiten“, so fasst L. Raphael das Programm Braudels zusammen, war „auch eine spezifische Architektur der geschichtlichen Welt verknüpft: Vom Kellergeschoß der materiellen Kultur, in der die Gesetze der natürlichen geographischen und biologischen Kräfte und Rahmenbedingungen dominierten, kam man ins Erdgeschoß der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in denen große Trends das Schicksal großer Kollektive prägten, und schließlich in die erste Etage der Mentalitäten- und Kulturgeschichte, in denen neben den Moden auch die quasi immobilen Strukturen zivilisationsspezifischer Traditionen zu entdecken waren“100.
Braudels Ansatz, die Vielfalt der Geschwindigkeiten im historischen Wandel wahrzunehmen und entsprechend mehrere Zeitschichten zu unterscheiden, ist auch für die Darstellung der Geschichte Israels relevant. Dabei spielt in der Geschichte der Disziplin „Geschichte Israels“ das, was Braudel mit dem Begriff der longue durée meint, von jeher
Erfahrungen der Wüste sind darüber hinaus von einer doppelten Semantik (Ort der Bedrohung vs. Ort der Bewahrung) geprägt, s. dazu Ebach, Art. Wüste, 668 f. 99 Zu Leben und Werk von F. Braudel s. Raphael, Braudel, 45 ff und Burke, Geschichte, 43 ff. 100 Raphael, aaO 54 f.
28 I Was ist der Mensch? – Einführung eine Rolle,101 allerdings ohne die mentalitätshistorischen Implikationen und auch eher am Rand. Die Geschichte der longue durée ist, so Braudel, „eine träge dahinfließende Geschichte, die nur langsame Wandlungen kennt, in der die Dinge beharrlich wiederkehren und die Kreisläufe immer wieder neu beginnen. Diese fast außer der Zeit liegende, dem Unbelebten benachbarte Geschichte wollte ich weder vernachlässigen noch sie, wie es traditionell in so vielen Büchern geschieht, als nutzlose geographische Einführung an die Schwelle der eigentlichen Darstellung verbannen: jene Geschichte mit ihren mineralischen Landschaften, Äckern und Blumen, die man rasch vorzeigt und von der dann nie mehr die Rede ist, als ob die Blumen nicht in jedem Frühling wiederkämen, als ob die Herden in ihren Wanderungen innehielten, als ob die Schiffe nicht auf einem realen Meer segeln müßten, das sich mit den Jahreszeiten verändert“102. Daran hat M. Weippert in seiner Besprechung von H. Donners Geschichte des Volkes Israel (1987/21995) erinnert und als Quellen für eine künftige Geschichte Israels neben den biblischen und außerbiblischen Texten auch die Archäologie Palästinas / Israels sowie die geographische Natur des Landes als den „naturhaften Wurzelboden der Geschichte“103 ins Spiel gebracht. Das ist auch der für die alttestamentliche Anthropologie entscheidende Gesichtspunkt. Das Landschaftsrelief, das Klima, die Fauna, die Flora, die Wasserverhältnisse, die Rohstoffe und die Humangeographie Palästinas / Israels – alle diese Faktoren, die dem menschlichen Verhalten und Handeln zugrunde- und vorausliegen, sind für die kulturellen Lebensformen der Menschen des alten Israel von Bedeutung, nicht in deterministischer Weise,104 sondern in elementarer Hinsicht. Es handelt sich dabei um Vorgaben und Strukturen, „die der Mensch bewußt aufnimmt, ritualisiert, kulturell anreichert und auf jene Stetigkeit einspielt, die seine jeweilige Gesellschaft stabilisieren hilft“105. Ohne eine angemessene Berücksichtigung der Wirkkräfte der longue durée ist die Stetigkeit kultureller Praktiken und ihr geschichtlicher Wandel kaum zu verstehen. 𓇼
β) Kulturelle Lebensformen Altes Testament: Albertz / Schmitt, Family, 21 ff ◆ Dietrich, Sozialanthropologie, 224 ff ◆ Fre-
vel, Person, 65 ff ◆ Ders., Selbstbeobachtung, 13 ff ◆ Ders., ‚Quellen‘, 447 ff ◆ Grohmann, Diskontinuität, 17 ff ◆ Gruber / Michel, Art. Individualität, 270 ff ◆ Janowski, Herz, 31 ff ◆ Ders., „Identität“, 31 ff ◆ Ders., Persönlichkeitszeichen, 315 ff ◆ van Oorschot, Individuum, 171 ff ◆ Schroer / Zimmermann, Art. Mensch / Menschsein, 368 ff ◆ di Vito, Anthropologie, 213 ff ◆ Ders., Art. Anthropology, 117 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Persönlichkeitsbegriff, 963 ff ◆ Foster, Person, 117 ff ◆ Newsom, Self, 5 ff ◆ Dies., Genealogy, 63 ff ◆ Rüpke, Individualität, 199 ff ◆ Snell, Invention, 379 ff ◆ Steinert, Person, 71 ff ◆ Streck, Art. Person, 429 ff ◆ Ver-
dazu mit Fallbeispielen Uehlinger, Bildquellen, 44 ff. Mittelmeer, 20. 103 Weippert, Geschichte Israels, 75, vgl. 75 ff und Weippert / Weippert, Vorgeschichte, 366 ff. 104 So eine beliebte Kritik an Braudels in der Umwelt „gefangenem Individuum“, s. dazu Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 45 (C. von Rüden). Zur Rezeptionsgeschichte der Annales-Schule in Deutschland s. Schöttler, „Annales“-Historiker, 29 ff. 105 Koselleck, Zeitschichten, 112 f. 101 S.
102 Braudel,
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 29
nant, Individuum, 155 ff. – Philosophie, Kulturwissenschaft: Assmann, Gedächtnis, 130 ff ◆ Fuchs, Verkörperung, 99 ff ◆ Habermas, Lebenswelt, 203 ff ◆ Klein, Inhumanität, 427 ff ◆ Mauss, Person, 221 ff.
Im Rahmen der natürlichen Lebensbedingungen Palästinas / Israels haben sich die kulturellen Lebensformen herausgebildet, die für das Zusammenleben der Menschen des alten Israel charakteristisch sind. Wenn man unter „Kultur“ die Gesamtheit der Beziehungen versteht, die die Menschen in einer gemeinsam geteilten Lebenswelt zu sich selbst (Individualität), zu ihren Mitmenschen (Sozialität) und zur äußeren Naturwelt (Welterfahrung) unterhalten,106 dann zählt die Interdependenz von Individuum und Gemeinschaft zum Kernbestand der kulturellen Lebensformen. Soziale Beziehungen beginnen mit der Geburt, sie werden geformt durch das Zusammenleben in Haus und Öffentlichkeit107 und finden ihr Ende bzw. ihre Erfüllung im Alter. Der Lebensbogen des Einzelnen ist dabei linear und zyklisch zugleich: linear durch die Abfolge der Lebensjahre und zyklisch durch die wiederkehrenden Ereignisse in Natur (Jahreszeiten) und Gesellschaft (Feste und Riten). Das aber heißt: Der Einzelne ist keine fensterlose Monade, sondern ein animal sociale. Seine Sozialität ist der Ort, an dem sich das Menschsein des Menschen, aber auch – wie das Alte Testament nicht müde wird zu betonen – seine Inhumanität erweist.108 Die Sozialität des Menschen, d. h. seine Einbindung in soziale Zusammenhänge und Rollen, ist ein Grundkennzeichen alttestamentlicher Anthropologie. Das heißt aber nicht, dass der rollenkonform agierende Mensch keine Freiheit zum Handeln und zur Ausbildung seiner Individualität hätte. Vielmehr gibt, wie J.‑P. Vernant im Blick auf das antike Griechenland formuliert hat, die „Einbindung in die Gemeinschaft … den Fortschritten der Individualisierung ein ganz anderes Gesicht: Sie vollziehen sich im sozialen Rahmen, in dem das allmählich sich herausbildende Individuum nicht als Entsagendes in Erscheinung tritt, sondern als Rechtssubjekt, politischer Akteur, Privatperson in der Familie oder im Kreis der Freunde“109.
Etwas Analoges lässt sich auch im Blick auf das / die alttestamentliche/n Menschenbild/er feststellen, dem / denen zufolge das Verhalten und Handeln des Einzelnen in Bezug auf den sozialen Kontext gesehen wird, in dem es sich vollzieht. Danach ist der Mensch – konkret Männer und Frauen, Eltern und Kinder, Alte und Junge, Freunde und Feinde, Bauern und Krieger, Beamte und Händler, Kö106 Zum Kulturbegriff s. Hahn, Ethnologie, 17 ff. Der auf E. Husserl zurückgehende Begriff „Le-
benswelt“ meint den gemeinsamen Hintergrund von Alltagsüberzeugungen, auf den die handelnden Personen zurückgreifen und den sie nicht verlassen können, weil er sie umfängt und trägt, s. dazu Habermas, Lebenswelt, 203 ff. 107 S. dazu Albertz / Schmitt, Family, 21 ff und unten 340 ff. 108 S. dazu auch Dietrich, Sozialanthropologie, 224 ff, vgl. Klein, Inhumanität, 430 ff; Fuchs, Verkörperung, 99 ff und unten 191 ff. 109 Vernant, Individuum, 157.
30 I Was ist der Mensch? – Einführung
nige und Richter, Herren und Knechte, Priester und Propheten, Weise und Toren, Einheimische und Fremde oder Kranke und Sterbende – ein konstellatives, in die soziale Gemeinschaft eingebundenes Wesen. Der Begriff der „Konstellation“ bringt dabei komplexe, auf Gegenseitigkeit – Gott / Mensch, Mensch / Mitmensch, Mensch / Tier, Mensch/(Um-)Welt – ausgerichtete Beziehungen des Menschseins zum Ausdruck.110 In diesen Beziehungen konkretisiert sich die personale und kollektive Identität des Menschen. Personale und kollektive Identität Beginnen wir mit einer Vorbemerkung. Konstitutiv für das alttestamentliche Personverständnis und sein integratives Konzept des ‚ganzen Menschen‘111 ist zunächst die Korrelation von Leibsphäre und Sozialsphäre. So wird das, was sich in der Leibsphäre als Krankheit vs. Gesundheit oder als Trauer vs. Freude zeigt, in der Sozialsphäre als Schande vs. Ehre oder als Rechtsnot vs. Gerechtigkeit / Rechtfertigung erlebt.112 Die Vorstellung und Wahrnehmung des menschlichen Körpers ist deshalb immer auch sozial vermittelt oder anders gesagt: der Mensch ist ein leibgebundenes Sozialwesen.113 Aufgrund dieser Korrelation von Leibsphäre und Sozialsphäre ist der Mensch nicht auf seine soziale(n) Rolle(n) zu reduzieren. Das scheint aber die Meinung von K. Neumann zu sein: „Die Identität des Menschen wird im AT nicht an ein individuelles Selbst gebunden, sondern resultiert aus der Rolle, die jemand auf der Bühne des sozialen Lebens spielt. Die Identität ist eine soziale Identität. Dafür steht im AT öfters hebr. pānîm (‚Gesicht‘, griech. πρόσωπον) (Dtn 1,17; 10,17; 16,19; Spr 24,23).“114 Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass pānîm ein Körperbegriff ist, der als „Stellvertreterausdruck der Person“ fungiert und in dieser Funktion das mimische Ausdrucks-/ soziale Kommunikationsvermögen im Sinn von „persönlicher Gegenwart, Beziehung, Begegnung“ bezeichnet.115 Neumanns Ausführungen, die ein Proprium alttestamentlicher Anthropologie, nämlich die Bedeutung des Sozialen, zu Recht unterstreichen, lesen sich, da sie die individuellen bzw. leiblichen Aspekte des Personbegriffs übergehen bzw. leugnen, wie eine moderne Variante der Corporate Personality-These von H. W. Robinson
Begriff „Konstellation“ s. Janowski, Der ganze Mensch, 3 ff; ferner Schüle, Anthropologie, 404 ff; Frevel, Art. Anthropologie, 1 ff und Neumann, Art. Kultur, 40 ff. 111 Zur integrativen Formel vom „ganzen Menschen“ s. Janowski, ebd. und unten 541 ff. 112 S. dazu ders., Konfliktgespräche, 50 ff und Dietrich, aaO 224 ff. Zum Thema „Ehre / Schande“ s. unten 215 ff. 113 Vgl. Schüle, aaO 406 und Frevel, Person, 79 ff. 114 Neumann, Art. Person, 362, vgl. ders., Art. Kultur, 40 ff. 115 S. dazu unten 149 ff. 110 Zum
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 31
(1872–1945), die allerdings von J. W. Rogerson, J. Dietrich, A. C. Hagedorn, Chr. Frevel und J. van Oorschot zu Recht kritisiert wurde.116
Wie ist nun der Zusammenhang von personaler und kollektiver Identität genauer zu beschreiben? Im Blick auf die Personale Identität kann man mit J. Assmann von zwei Aspekten, der Individuation (individuelle Identität) und der Sozialisation (soziale Identität), sprechen: „Individuelle Identität ist das im Bewusstsein des Einzelnen aufgebaute und durchgehaltene Bild der ihn von allen (‚signifikanten‘) Anderen unterscheidenden Einzelzüge, das am Leitfaden des Leibes entwickelte Bewußtsein seines irreduziblen Eigenseins, seiner Unverwechselbarkeit und Unersetzbarkeit.“117
Während die individuelle Identität die dem Ich zugänglichen Erlebnisse und Empfindungen beinhaltet und sich ihre Ausbildung immer wieder durch Begegnung mit der äußeren Natur vollzieht,118 ist die soziale Identität „der Inbegriff aller dem Einzelnen durch Eingliederung in spezifische Konstellationen des Sozialgefüges zukommenden Rollen, Eigenschaften und Kompetenzen“119, d. h. der gesamte Bereich der interpersonalen Beziehungen. Dazu zählen Sprache, Erziehung, Arbeit, Handel, Kulturtechniken und anderes mehr. Zur personalen oder „Ich-Identität“ tritt als zweite Dimension die kollektive oder „Wir-Identität“ hinzu (s. Abb. 5). Darunter lässt sich „das Bild (verstehen), das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen. Es gibt sie nicht an sich, sondern immer nur in dem Maße, wie sich bestimmte Individuen zu ihr bekennen. Sie ist so stark und so schwach, wie sie im Bewußtsein der Gruppenmitglieder lebendig ist und deren Denken und Handeln zu motivieren vermag.“120
Diese Zusammenhänge lassen sich anhand des konstellativen Personbegriffs präzisieren und zwar in dem doppelten Sinn einer Auffassung des menschlichen Körpers als einer komplexen und differenzierten Ganzheit (Kompositum seiner Glieder und Organe) und der Eingebundenheit der Person in soziale Zusammenhänge und Rollen. Dieses vormoderne Konzept personaler Identität hat R. A. di Vito anhand von vier ‚Identitätsmarkern‘ charakterisiert:
dazu mit den entsprechenden Nachweisen Rogerson, Conception, 43 ff; Dietrich, Schuld, 8 ff.21 f; ders., Individualität, 77 f; ders., Sozialanthropologie, 233 f; Hagedorn, Corporate Personality, 798 f; Frevel, aaO 75 ff und van Oorschot, Individuum, 171.180 ff. 117 Assmann, Gedächtnis, 131 (H. i. O.), s. dazu auch Grohmann, Diskontinuität, 34 ff. 118 Zur Unterscheidung und Korrelation von Ich-Identität und Individualität s. Frevel, Selbstbeobachtung, 17 ff. 119 Assmann, aaO 131 f. 120 Ders., aaO 132 (H. i. O.). Ein anschauliches Beispiel für den Aufbau kollektiver Identität und deren Niederschlag in der frühen Geschichtsschreibung sind die Kriege Davids mit den Philistern (1 Sam 23,1 ff; 2 Sam 5,17 ff; 8,1), s. dazu Sergi, Formation, 56 ff. 116 S.
32 I Was ist der Mensch? – Einführung „Ich“
„Wir“
individuell Selbstverhältnis
sozial Verhältnis zum anderen leiblich-sozial vermittelt
kollektiv Selbstbild einer Gruppe kulturell-symbolisch geformt
Individuum/Gemeinschaft
Abb. 5: Aspekte der personalen und kollektiven Identität „Das Subjekt ist (1) zutiefst eingebettet in seine soziale Identität bzw. eng damit verbunden. Es ist (2) vergleichsweise dezentriert und undefiniert im Blick auf die Grenzen seiner Person. Es ist (3) relativ transparent, ins gesellschaftliche Leben eingebunden und darin verkörpert (mit anderen Worten: es ermangelt all dessen, was mit ‚inneren Tiefen‘ bezeichnet ist). Und schließlich ist es (4) ‚authentisch‘ gerade in seiner Heteronomie, in seinem Gehorsam anderen gegenüber und in seiner Abhängigkeit von anderen.“121
Diese Charakterisierung hebt zu Recht hervor, dass die personale Identität nicht durch eine alles steuernde „Rationalität“ zustande kommt, sondern durch Konstellationen, die komplexe, auf Sozialität und Gegenseitigkeit ausgerichtete Beziehungen des Menschseins zum Ausdruck bringen. Sie übersieht aber, dass die personale Identität in gleicher Weise durch Binnenmotivationen konstituiert wird, die den Bezug zur Außenwelt steuern und beeinflussen.122 Das hängt nicht zuletzt mit der Rolle der inneren Organe (Herz, Nieren, Eingeweide / Inneres, Bauch / Unterleib u. a.) zusammen, die einen von der leiblichen Existenz ausgehenden Begriff des Selbstbewusstseins hervorbringen. Unter ihnen ist es vor allem das Herz (leb / lebāb), das diese ‚Motivationsarbeit‘ leistet und das die verbindende oder konnektive Kraft des ‚inneren Menschen‘ darstellt.123
121 Di Vito, Anthropologie, 217, s. dazu auch ders., Anthropology, 117 ff. Di Vitos These, dass das
Subjekt „all dessen (ermangelt), was mit ‚inneren‘ Tiefen bezeichnet ist“, bedarf allerdings der Korrektur, s. dazu unten 554 ff. 122 Deshalb kann man m. E. auch nicht mit di Vito, ebd. behaupten, dass „das Subjekt … vergleichsweise dezentriert und undefiniert im Blick auf die Grenzen seiner Person“ sei. Zur Kritik an di Vitos Konzeption der personalen Identität s. Dietrich, Individualität, 79 ff; Grohmann, Diskontinuität, 36 f; Frevel, Person, 69 ff.73 ff.75 ff.79 ff.82 ff; ders., Selbstbeobachtung, 14 ff.20 ff und Grund-Wittenberg, Kulturanthropologie, 884 f. 123 Vgl. Schüle, Anthropologie, 404.413 f; Newsom, Self, 10 ff; Frevel, Selbstbeobachtung, 29 ff.41 f und unten 154 ff.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 33
γ) Religiöses Symbolsystem Altes Testament: Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 65 ff ◆ Cornelius, Representation, 193 ff ◆ Ebach, Art. Weltbild, 646 ff ◆ Gese, Frage, 202 ff ◆ Janowski, Wohnung, 27 ff ◆ Ders., Ort, 214 ff ◆ Ders., Logik, 203 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 13 ff ◆ Ders. / Schroer, Schöpfung, 102 ff ◆ Ders. / Uehlinger, Göttinnen, 7 ff ◆ Leuenberger, Jhwh, 245 ff. – Antike Religionen: Junge, „Land“, 3 ff ◆ Theißen, Erleben, 124 ff ◆ Wilcke, Weltbilder, 1 ff. – Philosophie, Kulturwissenschaft: Cassirer, Versuch, 47 ff ◆ Geertz, Beschreibung, 44 ff ◆ Habermas, Weltbilder, 203 ff ◆ Langer, Philosophie, 34 ff ◆ Ricœur, Poetik, 11 f.
Neben den natürlichen Lebensbedingungen und den kulturellen Lebensformen bildet das religiöse Symbolsystem eine dritte Ebene, die von grundlegender Bedeutung für die alttestamentliche Anthropologie ist. Und zwar deswegen, weil der Mensch im Unterschied zum Tier „nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum“124 lebt und in seinen Lebensvollzügen immer wieder den Schritt vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck macht. Zur Präzisierung des Ausdrucks „Religiöses Symbolsystem“ greife ich auf den Ansatz des Kulturanthropologen C. Geertz (1926–2006) zurück, der Religion als „kulturelles System“, d. h. als ein System von Bedeutungen versteht, die in symbolischer Gestalt auftreten und den Menschen helfen, ihre Einstellungen zum Leben mitzuteilen, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Symbole haben „die Funktion, das Ethos eines Volkes – Stil, Charakter und Beschaffenheit seines Lebens, seine Ethik, ästhetische Ausrichtung und Stimmung – mit seiner Weltauffassung – dem Bild, das es über die Dinge in ihrer reinen Vorfindlichkeit hat, seinen Ordnungsvorstellungen im weitesten Sinne – zu verknüpfen“125.
Das religiöse Symbolsystem stellt eine Übereinstimmung zwischen einem bestimmten Lebensstil („Ethos“) und einer bestimmten Ordnungsvorstellung („Weltauffassung“) her, indem es jede der beiden Seiten mit der Autorität der jeweils anderen Seite stützt. Eine Religion, so definiert Geertz, ist „(1) ein Symbolsystem, das darauf zielt, (2) starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen, (3) indem es Vorstellungen einer allgemeinen Seinsordnung formuliert und (4) diese Vorstellungen mit einer solchen Aura von Faktizität umgibt, daß (5) die Stimmungen und Motivationen völlig der Wirklichkeit zu entsprechen scheinen.“126
Wenn man diese Parameter in das Symbolsystem der Jerusalemer Tempeltheologie übersetzt (s. Abb. 6) und dabei auf die leitende JHWH König-Vorstellung127 rekurriert, ergeben sich folgende Relationen: 124 Cassirer,
Versuch, 50. Beschreibung, 47 (H. v. m.). 126 Ders., aaO 48. 127 S. dazu unten 364 ff. 125 Geertz,
34 I Was ist der Mensch? – Einführung Vorstellung von JHWH als dem ‚Königsgott vom Zion‘ als Zentralinhalt der Jerusalemer Tempeltheologie ↓↑ Sprachlicher / bildlicher Ausdruck dieser Vorstellung durch Elemente des religiösen Symbolsystems: Orte: Höhe / Tiefe (vertikales Weltbild), Zentrum / Peripherie (horizontales Weltbild), Tempel als „Urhügel“/Berg / Palast / Thron / Haus u. a. Zeiten: Urzeit (Thron / Königtum „von Urzeit her“), Heils-/Unheilsgeschichte (Exodus, Exil), Jetztzeit (zyklisch / linear) u. a. Riten: Feste (im Herbst / im Frühjahr), Opfer (Mahl, Dank, Reinigung / Sühne), Wallfahrt u. a. Ikone: Tiere: Keruben, Seraphen, Löwen, Rinder u. a.; Pflanzen: Palm(ett)en, Lotusblüten, Granatäpfel; (Gottes-)Bäume u. a. Texte: Zions-, JHWH‑Königs-, Königs-, Schöpfungs-, Wallfahrts-Psalmen; Klage- und Danklieder des Einzelnen u. a. ↓↑ Glaube an den ‚Königsgott vom Zion‘ und Leben danach (Ethos)
Abb. 6: Religiöses Symbolsystem der mittleren Königszeit
Dieser Zusammenhang von Ethos und Weltauffassung kommt in vielen Texten der Jerusalemer Theologie oder der Individualpsalmen (KE und DE) zum Ausdruck. Er belegt, dass eine Religion aus einer bestimmten Anzahl sprachlicher und bildlicher Zeichen besteht, die aufgrund ihrer Verknüpfung „ein bestimmtes Muster, ein Gewebe“128 bilden und wie die Regeln einer Sprache auf innerer Kohärenz beruhen, also gleichsam eine „Grammatik“ und „Syntax“ besitzen: „Wie sich eine Sprache nicht nur aus ihren Wörtern rekonstruieren läßt, so die religiöse Vorstellungswelt einer Kultur nicht aus isolierten Bildelementen. Wer eine Sprache verstehen will, muß deren Syntax kennen und Sätze analysieren; wer Bilder verstehen will, muß das Hauptaugenmerk auf komplexe Konstellationen richten, wo immer solche zu finden sind.“129
Der zentrale Inhalt dieses Zeichensystems ist die Vorstellung vom Königsgott vom Zion, der Jerusalem / Juda und seinen Bewohnern Stabilität, Fruchtbarkeit und Gerechtigkeit gewährt. Diese Vorstellung wird durch eine überschaubare Anzahl von Symbolen wie den Gottesthron (Aspekt „Stabilität“), den Gottesstrom (Aspekt „Fruchtbarkeit“) und das Angesicht JHWHs (Aspekt „Gerechtigkeit“) gebildet130 und so im kollektiven Gedächtnis Israels verankert. Der Akt der Symbolisierung ist deshalb so zentral, weil in ihm eine Verbindung des Konkreten mit dem Abstrakten und umgekehrt des Abstrakten mit dem Konkreten geschieht 128 Keel / Uehlinger,
Göttinnen, 14. ebd. 130 S. dazu Janowski, Ort, 217 ff. 129 Dies.,
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 35
und damit die Dimension der Anschauung und des Erlebens gewahrt bleibt,131 schematisch: Konkreta Abstrakta
Gottesthron Gottesstrom Angesicht JHWHs ← Symbolisierung Stabilität Fruchtbarkeit Gerechtigkeit
Das religiöse Symbolsystem, das auf diese Weise zustande kam – und dessen Inventar zu erweitern und zu differenzieren wäre! –, hat wie jede symbolische Wahrnehmung der Wirklichkeit eine phänomenologische (Anschaulichkeit) und eine semiotische Dimension (Zeichenhaftigkeit).132 Beide Formen der Wahrnehmung verbinden sich, kognitionswissenschaftlich gesprochen, mit einer „theory of mind“133: y Durch die phänomenologische Wahrnehmung – z. B. des „Angesichts JHWHs“ – werden emotionale Reaktionen wie Geborgenheit und Dankbarkeit hervorgerufen, weil sich der Beter durch die Zuwendung des göttlichen Angesichts als gerechtfertigt – und durch seine Abwendung als den Feinden / dem Tod preisgegeben – erlebt. y Durch die semiotische Wahrnehmung – z. B. des „Gottesthrons“ – erlebt der Mensch die „Welt als ‚sinnvoll‘ wie einen ‚Text‘, der ihm etwas sagt“134. Sie spricht vor allem sein kognitives Vermögen an, indem sie den Dingen und Ereignissen über ihre unmittelbare Existenz hinaus einen Zeichenwert gibt: der Gottesthron im Zentrum der Jerusalemer Welt (axis mundi-Motiv) ist das Zeichen und der Garant ihrer Stabilität. Beide Formen der Wahrnehmung boten auf je ihre Weise den Menschen im alten Israel Orientierungen im Alltag und halfen ihnen, die Spannung zwischen der vorgestellten Ordnung der Welt und den faktischen Gegebenheiten, in denen Ordnungs- und Unordnungselemente immer ineinander liegen, durch wieder Langer, Philosophie, 50 ist „Symbolisierung … vorbegrifflich, aber nicht vorrational. Sie ist der Ausgangspunkt allen Verstehens im spezifisch menschlichen Sinne und umfasst mehr als Gedanken, Einfälle oder Handlungen. Denn das Gehirn ist nicht bloß eine große Vermittlungsstation, eine Superschalttafel, sondern eher ein großer Transformator. Der ihn durchlaufende Erfahrungsstrom verändert seinen Charakter, nicht durch das Zutun des Sinnes, der die Wahrnehmung empfing, sondern vermöge des primären Gebrauchs, der sofort davon gemacht wird: er wird eingesogen in den Strom von Symbolen, den, der den menschlichen Geist konstituiert“. 132 S. dazu Theißen, Erleben, 124 ff. Theißen spricht statt von „phänomenologischer“ von „physiognomischer“ Wahrnehmung und verdeutlicht dies am Beispiel des täglichen Sonnenaufgangs und dessen religiöser Bedeutung: „Auch ein normaler Sonnenaufgang kann religiös erlebt werden, wenn er symbolisch als Ausdruck der Güte Gottes gesehen wird. Damit wird ein natürlicher Vorgang physiognomisch gedeutet. Nicht umsonst spricht man davon, dass die Sonne ‚lacht‘. Eine der Wurzeln der Religion ist diese physiognomische anthropomorphe Wahrnehmung der Welt“ (ders., aaO 125 [H. i. O.]). 133 Vgl. ders., aaO 126. 134 Ders., ebd. 131 Nach
36 I Was ist der Mensch? – Einführung
erkennbare „Muster“ aufzulösen und zu bewältigen. Im Folgenden werden dazu immer wieder Beispiele angeführt. b) Die literarischen Kontexte Altes Testament: Gertz (Hg.), Grundinformation ◆ Kratz, Israel, 79 ff ◆ van Oorschot, As-
pekte, 17 ff ◆ Schmid, Literaturgeschichte ◆ Ders., Kanon, 523 ff ◆ Zenger u. a., Einleitung. –
Sammelbände: Berlejung u. a. (Hg.), Menschenbilder ◆ Frevel (Hg.), Anthropologie ◆
J anowski / Liess (Hg.), Mensch ◆ van Oorschot / Wagner (Hg.), Anthropologie(n) ◆ Dies. (Hg.), Gott ◆ Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität ◆ Wagner (Hg.), Aufbrüche.
Kehren wir von der Skizze der konkreten Lebensumstände (a) zur Aufgabenstellung einer alttestamentlichen Anthropologie zurück. Eine „Anthropologie des Alten Testaments“ ist, wie nicht zuletzt die Ausführungen zum religiösen Symbolsystem deutlich machen, als „Anthropologie des Alten Testaments“, also hinsichtlich der sprachlichen, d. h. der narrativen, präskriptiven, poetischen und didaktischen Gestalt seiner anthropologischen Aussagen zu entfalten. Das hatte auch H. W. Wolff im Blick, wenn er von den Texten und Kontexten spricht, in denen „erkennbar nach dem Menschen gefragt“135 wird. Was die unterschiedlichen literarischen Formen und Kontexte – Erzählungen, Annalen, Rechtstexte, Rituale, Hymnen, Gebete, Propheten- und Weisheitssprüche – angeht, so ist es ein Charakteristikum des Alten Testaments, dass es kein einheitliches Menschenbild, sondern eine Vielzahl von Menschenbildern enthält, die verschiedenen Erfahrungsbereichen (Familie, Stamm, Staat, Erziehung, Kult, Recht, Wirtschaft, Politik u. a.) entstammen und eine diesen Erfahrungsbereichen entsprechende Sicht des Menschen bzw. der Menschen vor Augen stellen. Dennoch gibt es thematische Schwerpunkte in den einzelnen Überlieferungsbereichen des Alten Testaments. Während die priesterliche und die nichtpriesterliche Urgeschichte (Gen 1–11) den Menschen in der Ambivalenz von Gottebenbildlichkeit (imago Dei) und Fehlbarkeit („Sünde“) darstellen, thematisieren die prophetischen Texte ihn als homo socialis in der Spannung zwischen Gerechtigkeit und Sünde / Frevel. Und während der Mensch nach den Individualpsalmen in Klage und Lob „vor Gott“ (coram Deo) steht und um die Errettung vom Tod bittet bzw. dafür dankt, reflektieren die weisheitlichen Texte vor allem den Zusammenhang bzw. Nichtzusammenhang von Tun und Ergehen und damit die (fehlende) iustitia connectiva. Auch in einzelnen Büchern und Kompositionen gibt es spezifische anthropologische Aussagen und Perspektiven wie in den Erzelternerzählungen, in der Josephsgeschichte, in der Aufstiegs- und Thronfolgegeschichte Davids, in den Büchern Jeremia, Ezechiel, Jona, Hiob, Sprüche, Kohelet oder im Hohenlied – ja, „die Frage nach Gottes- und Menschenbild (kann) grundsätzlich an jeden biblischen Text und literarischen Bereich gestellt werden“136. 135 Wolff,
Anthropologie, 24, zum Kontext des Zitats s. oben 12 f, zustimmend Frevel, Frage, 54. Interdependenz, 196 Anm. 5.
136 Irsigler,
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 37
Dies alles zeigt, dass es das alttestamentliche Menschenbild nicht gibt, sondern vielmehr „sich ergänzende und z. T. auch in Kontrast stehende Aspekte“137. Statt von der Anthropologie des Alten Testaments wäre also angemessener von Anthropologien oder von anthropologischen Entwürfen des Alten Testaments zu sprechen. Wie das Gottes- und das Weltbild hat sich auch das Menschenbild des alten Israel über die Zeiten hin verändert138 und entsprechend die Textaussagen geprägt. Das methodische Problem besteht also darin, dass eine literar- und redaktionsgeschichtliche Analyse alttestamentlicher Texte nie ohne sozial-, traditions- und religionsgeschichtliche Konkretionen und Kontexte auskommt, die die Wahrnehmung und Beschreibung der literarischen / redaktionsgeschichtlichen Gestalt der Texte faktisch (!) mitbestimmen.139 Und das ist so, weil biblische Texte nicht frei schwebende Größen, sondern der sprachliche Ausdruck (die „Form“) von gemachter und erfahrener Geschichte mit Gott, Welt und Mensch(en) sind. So kommt, um ein Beispiel zu nennen, eine Analyse der Anthropologie des Hiobbuchs nicht ohne eine Erörterung seiner literarischen Struktur aus wie umgekehrt auch für die literarische Struktur des Hiobbuchs seine innerbiblischen Bezugnahmen (Tora, Prophetie, Psalmen) sowie (!) seine traditions- und religionsgeschichtlichen Vernetzungen (Theodizeefrage, Ludlul bēl nēmeqi, Babylonische Theodizee u. a.) zu beachten sind. Wer also nach der Anthropologie des Hiobbuchs fragt, hat ein ‚Vorwissen‘ darüber, wonach er fragen bzw. worauf er achten soll (Leidens-, Gerechtigkeits-, Anthropodizee / Theodizeeproblematik, Personbegriff, Körperverständnis). Dass dieses Vorwissen, das man über die Sozial-, Traditions- und Religionsgeschichte Israels wie auch über die Archäologie und Ikonographie Palästinas / Israels gewinnt, immer auf die literarische Eigenart des zu untersuchenden Textes abgestimmt und von diesem her gegebenenfalls korrigiert werden muss, versteht sich dabei von selbst.
c) Die anthropologischen Konstanten Altes Testament: Frevel, Frage, 52 ff.54 f ◆ Ders., Person, 65 ff ◆ van Oorschot, Grundlegung, 38 ff ◆ Ders., Aspekte, 17 ff ◆ Schüle, Anthropologie, 413 f. – Kultur- und Religionswissenschaft: Bohlken / Thies, Einleitung, 1 ff ◆ Lévi-Strauss, Anthropologie, 9 ff ◆ Raible,
„Mensch“, 155 ff.
Welche Rolle für die alttestamentliche Anthropologie spielt schließlich die Frage der anthropologischen Konstanten140 und worin bestehen diese? Diese Frage lässt sich auch so stellen, dass man danach fragt, „ob es anthropologische UniArt. Anthropologie, 1, vgl. Schüle, Anthropologie, 401.407 u. ö. dazu unten 548 ff. 139 Das gilt mutatis mutandis auch für die Theologie des Alten Testaments, s. dazu Janowski, Theologie, 87 ff. 140 Schüle, Anthropologie, 413 spricht stattdessen von „thematischen Zentrierungen, die sich buchübergreifend feststellen lassen“. Das ist, wie auch sein Hinweis auf die „Anthropologischen Stichworte“ bei Janowski, Konfliktgespräche, 85 ff (Sehen und Hören).125 ff (Rache).166 ff (Herz und Nieren) usw. zeigt, m. E. aber etwas anderes. 137 Frevel, 138 S.
38 I Was ist der Mensch? – Einführung
versalien oder nur partikulare Typen gibt“141, ob also eine alttestamentliche Anthropologie rein deskriptiv verfahren soll oder ob sie auch normative Aspekte beinhalten darf und sogar muss. Das Problem der anthropologischen Konstanten wird auch in der Literaturwissenschaft diskutiert. In seinem Aufsatz Zur Begriffsgeschichte von ‚Mensch‘ hat der Romanist W. Raible142 eine „Skizze einer kognitiven Landkarte“ angefertigt und in diese Landkarte vier Eckpunkte eingezeichnet, die das Gesamtfeld der Anthropologie gleichsam abstecken. Dazu zählt erstens die „Achse Gott – Mensch – Tier, die sich aus der doppelten Opposition (sc. Gott / Mensch, Mensch / Tier) ergibt, in der der Mensch steht“143, zweitens die Differenzierung des Menschen in Mann und Frau, die zur menschlichen Fortpflanzung und damit „zu Kind, Familie, Verwandtschaft, Genealogie (führt)“144, drittens der menschliche Leib als „ein sehr wichtiges Orientierungszentrum, bei der Bezeichnung der eigenen Person und ihrer Orientierung im Raum ebenso wie bei der Bezeichnung anderer Personen“145 und viertens das Konzept der (sexuellen, kommunikativen, sozialen) Rolle, das für die Ausdifferenzierung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft sorgt und ihre Mitglieder davor bewahrt, zu Außenseitern zu werden. Diese vier Aspekte sind nach Raible gleichsam Konstanten dessen, was den Begriff des Menschen ausmacht, die aber in jeder Kultur unterschiedlich realisiert werden.
Auch im Alten Testament gibt es anthropologische Konstanten, die seine unterschiedlichen Menschenbilder jenseits sozial- und literarhistorischer Konkretionen umgreifen und prägen. So kann auch eine alttestamentliche Anthropologie nicht auf Begriffe wie „Körper“ und „Geschlecht“, „Individuum“ und „Gemeinschaft“, „Krankheit“ und „Heilung“ oder „Leben“ und „Tod“ verzichten, die „sich diesseits gravierender evolutionärer Veränderungen auf Erfahrungsbereiche beziehen, die alle Menschen miteinander teilen“146. Dazu zählen auch Universalien im Bereich von Kommunikation und Sprache wie „Erzählen“, „Beten“ oder „Musizieren“. Wie aber steht es mit den spezifisch biblischen Konzepten „Geschöpflichkeit“ (vs. „Selbstkonstitution“), „Gerechtigkeit“ (vs. „Sünde“) oder „Endlichkeit“ (vs. „Unsterblichkeit“)? Sind auch diese zu den anthropologischen Konstanten zu zählen? Hält man sich an die anthropologischen Leitsätze von Gen 2,7, Mi 6,8 oder Ps 8,5, so wird man diese Frage bejahen müssen.147 Sie machen jedenfalls deutlich, wie grundsätzlich das Alte Testament über die conditio humana spricht 141 Bohlken / Thies,
Einleitung, 6. dazu Raible, ‚Mensch‘, 155 ff. 143 Ders., aaO 171. 144 Ders., aaO 172. 145 Vgl. ders., aaO 173. 146 Bohlken / Thies (Hg.), aaO 6. 147 S. dazu Janowski, Anerkennung, 181 ff und Schroer, Grundlinien, 299 ff. Dieser Sachverhalt wird von van Oorschot, Aspekte, 17 ff zwar nicht geleugnet, er schenkt ihm durch seine Beschränkung auf die „Aspekte impliziter Anthropologien im Alten Testament“ (so der Titel seines Beitrags) aber zu wenig Aufmerksamkeit, s. dazu auch unten Anm. 164. 142 S.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 39
und wie zentral die Erfahrung der Leiblichkeit, das Ethos der Gerechtigkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit für seine Auffassung(en) vom Menschen sind. Diese drei Aspekte gehören ebenso wie die kulturellen und religiösen Varianten m. E. zu den Eckpunkten der alttestamentlichen Anthropologie(n).148 3. Zur Konzeption dieses Buchs Eine Anthropologie des Alten Testaments, so können wir resümieren, hat die Aufgabe, die genannten Aspekte – die konkreten Lebensumstände, die literarischen Kontexte und die anthropologischen Konstanten – umsichtig zu erfassen und im Sinn eines integrativen Ansatzes aufeinander zu beziehen. Das bedeutet zum einen, dass Letztbegründungen metaphysisch-spekulativer Provenienz zu vermeiden sind, und zum andern, dass an der Vieldimensionalität des/r alttestamentlichen Menschenbildes/r festzuhalten ist, die Raum für partikulare Besonderheiten (konkrete Lebensumstände, literarische Kontexte) wie für universale Merkmale (anthropologische Konstanten) lässt. Wie dabei das Verhältnis der Alttestamentlichen zur Philosophischen und zur Historischen Anthropologie149 zu bestimmen ist, ist im Einzelnen noch zu klären. Vorläufig lassen sich aber folgende Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhalten: y Die Gemeinsamkeit mit der Philosophischen Anthropologie besteht in der Wahrnehmung der „Spannung zwischen einer naturhaften Teilhabe am Naturgeschehen und einer Befähigung zum Transzendieren dieser Begrenzung“150. Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass diese Spannung von der Alttestamentlichen Anthropologie so thematisiert wird, dass sie als Theologische Anthropologie „mit Gottes orientierender Gegenwart in dieser Welt“151 rechnet und den Menschen als fehlbares Geschöpf sieht, das dennoch nicht seine Gottebenbildlichkeit verliert.152 y Die Gemeinsamkeit mit der Historischen Anthropologie besteht darin, dass auch die Alttestamentliche Anthropologie die Frage nach dem Wesen des Menschen nicht essentialistisch, sondern unter Berücksichtigung der materiellen Lebensbedingungen und sozialen Kontexte beantwortet. Der Unterschied zu ihr besteht darin, dass sie mit der Historischen Anthropologie das Axiom des menschlichen Zusammenlebens und seiner Ambivalenzen teilt, aber davon ausgeht, dass nur sub specie Dei ein lebensförderlicher Umgang mit diesen Ambivalenzen möglich ist.153 148 S.
dazu unten 561 ff. dazu oben 5 ff. 150 Hartung, Anthropologie, 124. 151 Klein, Inhumanität, 444. 152 S. dazu unten 423 ff.432 ff. 153 Vgl. dies., ebd. 149 S.
40 I Was ist der Mensch? – Einführung
Wenn die Leistung der Historischen Anthropologie demnach in der Schärfung des Bewusstseins von der geschichtlichen Natur des Menschen und das heißt: in der Auffassung besteht, dass der Mensch nicht gleichsam fertig die historische Bühne betritt, sondern dass es „Umbildungen der menschlichen Grundkonstitution selbst in historischer Zeit gibt“154, kann die Alttestamentliche Anthropologie daran anknüpfen. Zugleich geht sie darüber hinaus, indem sie die Erfahrung der Leiblichkeit, das Ethos der Gerechtigkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit reflektiert und damit die Eckpunkte einer genuin Theologischen Anthropologie zur Geltung bringt.155 Sie tut dies ausgehend von den biblischen Texten und deren literatur-, sozial-, traditions- und religionsgeschichtlichem Eigenprofil. Und sie tut es nicht unter Absehung von der konkreten Lebenswelt, wie sie von der Archäologie und Ikonographie Palästinas / Israels erschlossen wird. Die Darstellung der alttestamentlichen Anthropologie beruht demnach nicht nur auf der Einsicht, dass „anthropologische Probleme … nur in aller Offenheit für das Gotteszeugnis der Bibel geklärt werden (können)“156, sondern auch auf der Beachtung und Explikation der Korrelation von Textwelt und Lebenswelt – die gleichzeitig auch ihr neuralgischer Punkt ist. Denn es ist in der Tat die Frage, wie „sich innerhalb der Texte geschichtlich-erfahrungsgestützte Aussagen über den Menschen zu theologischer Imagination (verhalten)“157, wie also die konkrete Lebenswelt und die literarische Textwelt, die der Lebenswelt immer bestimmte Bedeutungen zuschreibt, aufeinander bezogen sind. Der Ansatz beim biblischen Text als literarischer Größe verbietet nach I. Müllner „einen allzu unmittelbaren Zugang zur gelebten Wirklichkeit, eine allzu ‚enge Text- und Ereigniskorrelation‘, und gebietet Vorsicht in Bezug auf die Rückschlüsse von den Inhalten des Textes auf das gelebte Leben der Entstehungszeit“158. Zwei Beispiele können das verdeutlichen. So hat C. Meyers anhand der Frage nach dem Leben von Frauen im alten Israel nachdrücklich darauf hingewiesen, dass man „keine Eins-zu-eins-Entsprechung des biblischen Wortes mit der Lebenswelt Alt-Israels“159 annehmen kann. Um genauere und ausgewogene Informationen über den Frauenalltag in der Eisen- und Perserzeit (ca. 1250–333 v. Chr.) zu erhalten, sind die alttestamentlichen Texte um die frauenspezifischen Aussagen zu ergänzen, die sich der Archäologie Palästinas / Israels, der Hebräischen und Aramäi-
154 Böhme,
Anthropologie, 251. dazu unten 561 ff, vgl. Frevel, Frage, 53, der das Feld der anthropologischen Konstanten noch weiter ausdifferenziert. 156 Wolff, Anthropologie, 24, vgl. 353. Zu dem anders orientierten Ansatz von R. Schmitt s. oben 18 f. 157 Schüle, Anthropologie, 409, s. zu dieser Frage auch Kessler, Anthropologie, 69 ff, der seine Überlegungen unter die Überschrift „Anthropologie und Sozialgeschichte“ stellt und deren gegenseitiges Verhältnis folgendermaßen beschreibt: „Das bedeutet, dass die conditio humana nicht nur … je nach sozialer Stellung sehr unterschiedlich ausgeprägt ist, sondern dass sie auch am geschichtlichen Wandel der sozialen Verhältnisse teilhat.“ 158 Müllner, Geschlecht, 82 f. 159 Meyers, Archäologie, 68, vgl. dies., aaO 101 f. 155 S.
§ 1 Grundfragen alttestamentlicher Anthropologie 41
schen Epigraphik sowie der Ikonographie Palästinas / Israels und seiner Umwelt160 entnehmen lassen. Unsere Darstellung versucht, dieser Aufgabe so gut wie möglich gerecht zu werden. Das zweite Beispiel ist die Frage nach der Auffassung des menschlichen Körpers. In dessen Konzeptualisierung „(gehen) nicht ausschließlich physiologische Erfahrungen ein“, sondern es sind „gleichermaßen kulturelle Codierungen“161 prägend. Derartige Codierungen zeigen sich etwa beim Thema „Schönheit“, für das weniger die Form / das Aussehen als die Dynamis / die Ausstrahlung kennzeichnend ist.162
Im Unterschied zu Wolff setzt unsere Darstellung nicht bei den anthropologischen Grundbegriffen ein,163 sondern sie geht von der Beschreibung der menschlichen Lebensphasen und ihren biographischen und sozialen Aspekten (§§ 2–3) zu den Elementen des Personbegriffs (§§ 4–5) über, um schließlich die Formen des sozialen Handelns (§§ 6–7) in den Blick zu nehmen, die sich immer in Raum und Zeit vollzogen haben (§§ 8–9). Der Weg der Darstellung führt also vom Einzelnen und seinen Lebensphasen und Rollen zur sozialen Gemeinschaft und den raumzeitlichen Gegebenheiten, in die der Einzelne und die Gemeinschaft eingebunden sind. Wie nicht anders zu erwarten, kommt es dabei immer wieder zu Überlappungen und Wiederaufnahmen. Anschließend werden anhand ausgewählter literarisch-thematischer Zusammenhänge – Urgeschichte, Ritualtexte, Erzählliteratur, Prophetie, Psalmen, Weisheit – unterschiedliche Bilder vom Menschen dargestellt, die für die alttestamentliche(n) Anthropologie(n) charakteristisch sind (§§ 10–12). Sie leiten über zu den Schlussüberlegungen, die die Ausführungen im Blick auf die geschichtliche Entwicklung und die thematischen Schwerpunkte der alttestamentlichen Anthropologie(n) bündeln sollen (§ 13). Dieser Aufriss, der die thematischen (§§ 2–9), literarischen (§§ 10–12) und theologiegeschichtlichen Aspekte (§ 13) der anthropologischen Aussagen des Alten Testaments berücksichtigt und aufeinander bezieht, unterscheidet sich auch von dem Kompendium von Th. Staubli und S. Schroer. Der Unterschied wird schon am Titel „Menschenbilder der Bibel“ deutlich, den die beiden Autoren ihrer Darstellung gegeben haben. Sie rechtfertigen ihn durch den Verzicht auf jegliche Systematisierung des Materials164 und wählen stattdessen 90 Einzelthemen aus, die, wenn auch hier und da vernetzt, locker nebeneinander stehen und ein buntes Mosaik ergeben. Entsprechend enthalten auch die verschiedenen Kontexte des dazu die Beispiele bei dies., aaO 77 ff. Körper, 181. 162 S. dazu unten 115 ff. 163 S. dazu die Kritik von Wagner, Reduktion, 183 ff. 164 Zur Begründung dieses Verzichts s. dies., aaO 17. Eine andere Form des Verzichts auf Systematisierung vertritt van Oorschot, Aspekte, 59, der „eine differenzierte Nachzeichnung der unterschiedlichen alttestamentlichen Sprachspiele“ empfiehlt, die durch einen Begriff wie den der „konstellativen Anthropologie“ nicht ersetzt werde. Einen solchen ‚Ersatz‘ aber hat niemand, der mit dem Axiom der „konstellativen Anthropologie“ arbeitet, je behauptet oder zum alleinigen Darstellungsprinzip gemacht. 160 S.
161 Stenger,
42 I Was ist der Mensch? – Einführung
Alten Testaments, wie sie im vorliegenden Buch implizit (§§ 2–9) und explizit (§§ 10–12) zur Darstellung kommen,165 unterschiedliche Menschenbilder, die ein je eigenes Profil mit je eigenen Schwerpunkten haben. Die Rede von der Pluralität der alttestamentlichen Menschenbilder kann aber auch zum Dogma werden, wenn versäumt wird, nach den tragenden Elementen oder „impliziten Axiomen“ zu fragen, die wie die Erfahrung der Leiblichkeit, das Ethos der Gerechtigkeit oder das Bewusstsein der Endlichkeit für die anthropologischen Aussagen des Alten Testaments konstitutiv sind. Die Entscheidung für den Singular „Anthropologie“, der im Titel dieses Buchs steht, ist deshalb eine Entscheidung dafür, dass es eine Ebene der Analyse geben muss, auf der die allgemeinen Voraussetzungen der Entstehung anthropologischer Vielfalt einschließlich ihrer historisch-literarischen Entwicklungen thematisiert werden.166 Diese Ebene und ihre Kohärenz versucht dieses Buch ebenso zur Geltung zu bringen, wie es der Vielfalt der anthropologischen Aussagen des Alten Testaments gerecht zu werden sucht.
der Terminologie von Wagner, Anthropologie(n), 13 ff könnte man im Blick auf §§ 2–9 von einer „Anthropologie des Seins“ sprechen, die danach fragt, was der Mensch „ist, was er kann, wie er funktioniert, wo seine Möglichkeiten und Grenzen liegen, auch was er war und wie er sich verändert hat“, und im Blick auf §§ 10–12 von einer „Anthropologie des Sollens“, die thematisiert, „was er soll, wozu er da ist und welche Aufgaben in der Welt er hat, in die er gestellt ist“ (aaO 13 [H. i. O.]). Das ist allerdings nicht mehr als eine heuristische Empfehlung, da beide Aspekte immer (!) zusammen vorkommen. Es geht also eher um eine Akzentuierung als um eine strikte Unterscheidung. 166 Vgl. zu dieser Formulierung Jung, Ausdruck, 1 Anm. 1. 165 In
Nachtrag zu § 1 1. Forschungsgeschichtliche Aspekte a) Philosophische und Historische Anthropologie (5 ff ) In seinem Buch „Wie wird man ein Mensch?“ bestimmt Gebauer, Mensch die „Anthropologie als Grundlage der Philosophie“ (so der Untertitel). Zum Verhältnis von Historischer und Theologischer Anthropologie s. auch Gies, Anthropologie, 32 ff. Eine Theologische Anthropologie aus systematisch-theologischer Sicht, die von der „Verkörperung des Menschen“ ausgeht, liegt jetzt mit dem Entwurf von Etzelmüller, Ebenbild vor. Er ist sowohl biblisch-theologisch als auch interdisziplinär anschlussfähig. b) Alttestamentliche Anthropologie (10 ff ) Überblicke: Überblicksdarstellungen zur alttestamentlichen Anthropologie finden sich bei Erbele-Küster, Anthropologie, 339 ff; Schmid, Theologie, 370 ff; Schroer, Grundlinien, 305 ff; van Oorschot, Anthropologie(n), 3 ff; Pyschny, Herausforderung, 91 ff und Gies, Anthropologie, 13 ff. Nach einer forschungsgeschichtlichen Orientierung skizziert van Oorschot zunächst die Positionen von Chr. Frevel und B. Janowski (7–10) und umreißt abschließend Aufgaben und Chancen der alttestamentlichen Anthropologie(n) (10–16). Zustimmungsfähig sind dabei natürlich die Argumente für einen interdisziplinären Ansatz (14–16). Sie sind allerdings nicht neu, sondern längst in die Debatte eingeführt, wie die Besprechungen der vorliegenden Anthropologie durch F. Hartenstein, Buch des Monats, ThLZ Juli/August 2019 oder J. Dietrich, ThLZ 145 (2020) 516–524 auch hervorheben. Demgegenüber bleibt van Oorschots eigener Ansatz einer redaktionsgeschichtlich begründeten Anthropologie des Alten Testaments (10 f ) eigentümlich vage und auch in sich widersprüchlich (11: „Ob die Darstellung bzw. das Erkenntnisinteresse dabei primär thematisch oder klassisch literarhistorisch ausgerichtet ist, stellt letztlich eine nebensächliche Frage dar“ – wie jetzt?). Handbücher: Pfoh (ed.), Handbook und Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch. Einzelaspekte: Ergänzend zu den älteren Entwürfen der alttestamentlichen Anthropologie (s. die Hinweise oben 11 mit Anm. 33) sei auf die fünfzehn Klassiker – von F. Delitzsch (1813–1890) bis J. W. Rogerson (1935–2018) – hingewiesen, deren Positionen in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck) ausführlicher skizziert werden. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die vorliegende Anthro-
44 Nachtrag zu § 1
pologie immer wieder auf Abbildungen aus dem Bereich der antiken Religionen zurückgreift, um die Plausibilität der anthropologischen Aussagen durch ikonographische Zeugnisse zu unterstützen. Zur Bedeutung der Bildanthropologie s. jetzt grundsätzlich F. Hartenstein, Bildanthropologie des Alten Testaments, in: Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). Exkurs 1: Psalm 8 als Beispieltext (13 ff ) Zum Verständnis von Ps 8 s. Huber, „Himmel“, 211 ff; Böhler, Psalmen 1–50 (HThK.AT), 162 ff; Gies, Anthropologie, 206 ff und zu V. 5 noch Grund-Wittenberg, Scham, 146 ff. 2. Perspektiven für einen Neuansatz a) Die konkreten Lebensumstände α) Natürliche Lebensbedingungen (22 ff ) Für die konkreten Lebensumstände der Menschen im alten Israel sind neben den kulturellen Lebensformen (s. oben 28 ff ) und dem religiösen Symbolsystem (s. oben 33 ff ) die natürlichen Lebensumstände ausschlaggebend, s. dazu Riede, Boden.
II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
G
eburt und Tod gehören zu den Konstitutionsbedingungen des Menschseins, also zu dem, was die Philosophische Anthropologie als conditio humana bezeichnet (s. Plessner, Frage, 136 ff ). Seit jeher haben Menschen das Wunder der Geburt gefeiert und seit jeher haben sie sich mit dem Geschick des Todes auseinandergesetzt, sei es in bildnerischen Artefakten oder in literarischen Zeugnissen. Die Menschheit besitzt aber „wenige Bilder, die älter sind als die Totenschädel von Jericho“ (Belting, Bild-Anthropologie, 146). Dort wurde ein aus dem präkeramischen Neolithikum (um 7000 v. Chr.) stammender weiblicher Schädel gefunden, dessen Unterkiefer noch erhalten ist und der sorgfältig mit einer Kalkschicht überzogen war. Möglicherweise weist der Schädel ebenso wie auch „eine Reihe von sog. Masken, die das Gesicht eines Totenschädels nachzubilden scheinen“ (Schroer / Keel, IPIAO 1, 62), auf einen ausgeprägten Toten- bzw. Ahnenkult hin. Im alten Israel wurde diese Form des Ahnenkults seit der spätvorexilischen Zeit (7. Jh. v. Chr.) kritisiert und durch alternative Praktiken im Umgang mit dem Tod ersetzt. Ohne dass er damit ein Gott des Todes oder gar ein Totengott wurde, trat der Israelgott in eine immer engere Beziehung zu den Sterbenden und den Toten und ihrem Schicksal. Diesem Glauben begegnet dann ein Denker wie Kohelet mit ausgesprochener Skepsis (Pred 3,16 ff; 9,1 ff ) und insistiert stattdessen auf dem Wert des irdischen Daseins.
§ 2 Biographische Aspekte Nackt kam ich aus dem Schoß meiner Mutter, und nackt kehre ich dorthin zurück. JHWH hat gegeben und JHWH hat genommen, der Name JHWHs sei gesegnet! Hiob 1,21
Beginnen wir unsere Darstellung mit einer Skizze der menschlichen Lebensphasen und ihrer beiden Eckpunkte Geburt und Tod.1 Diese Eckpunkte werden in Hi 1,21 hinsichtlich ihrer natürlichen (Mutter) und religiösen Dimension (JHWH) angesprochen und miteinander verknüpft.2 Diese Reaktion auf die Unheilsbotschaften von Hi 1,13–19 enthält nicht nur den berühmtesten Satz des Hiobbuchs („JHWH hat gegeben …“), sondern auch die kürzeste Form eines Lebenslaufs: „Nackt kam ich aus dem Schoß meiner Mutter, und nackt kehre ich dorthin zurück“. Bemerkenswert an ihm ist zum einen die Identifikation von Mutterleib und Erde, denn das Ortsadverb „dorthin“ „ergibt nur Sinn, wenn es sich nicht auf den konkreten Mutterleib, sondern den mythischen Mutterleib der Erde bezieht“3. Und zum anderen die Einsicht in die kreatürliche Nacktheit des Menschen. Am Ende seines Lebens steht der Mensch genauso da wie am Beginn, nämlich nackt,4 in kreatürlicher Passivität: „Es gibt eine Passivität, ohne die der Mensch nicht menschlich wäre. Dazu gehört, dass man geboren wird. Dazu gehört, dass man geliebt wird. Dazu gehört, dass man stirbt.“5 Zwischen Geburt und Tod aber verläuft das menschliche Leben, das in der Regel die Phasen Kindheit, Sexualreife, Erwachsenwerden, Heirat und Arbeits-/ Berufsleben umfasst. Davon wird im Folgenden ausführlich die Rede sein.
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In den philosophischen und theologischen Debatten der Gegenwart spielen der Lebensanfang und das Lebensende eine zentrale Rolle, s. dazu Böhme, Anthropologie, 45 ff; Schockenhoff, Ethik, 494 ff.518 ff.557 ff und Sauter, Leben, 205 ff.312 ff. S. dazu Lux, Hiob, 103 ff und Leuenberger, Segen, 64 f. Keel / Schroer, Schöpfung, 57, vgl. Ps 139,15; Sir 40,1 und vielleicht auch Hi 17,14. Vgl. Ps 49,18 und 1 Tim 6,7. Zu Pred 5,14 s. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 334 f. Jüngel, Tod, 116, vgl. Lux, aaO 104 ff.
48 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
1. Der Weg ins Leben Altes Testament: Blenkinsopp, Life expectancy, 44 ff ◆ Borowski, Life, 80 ff ◆ Eng, Days,
33 ff ◆ Gerstenberger, Lebenslauf, 254 ff ◆ Köhler, Mensch, 48 ff.74 ff ◆ Leuenberger, Leben, 78 ff ◆ Meinhold, Bewertung, 109 ff ◆ Pola, Lebensalter, 389 ff ◆ Ders., Kleinkind, 127 ff ◆ Schroer / Zimmermann, Art. Lebenszyklus, 344 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 532 f ◆ Utzschneider, Verständnis, 118 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 178 ff ◆ Zwickel, Leben, 223 ff. – Antike Religionen: Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 2, 52 ff ◆ Feucht, Weg, 33 ff ◆ Wagner-Hasel, Alter, 16 ff.68 ff.72 ff ◆ Weinfeld, Phases, 182 ff.
Wie in Ägypten (Papyrus Insinger, Q 12), Mesopotamien (Sultantepe-Tafel 400, Q 70) und der griechisch-römischen Antike – berühmte Beispiele sind Hesiods Erga 106–201, das Rätsel der Sphinx (Q 157), Ovids Metamorphosen (Q 182) oder Horaz’ De arte poetica liber 156–1786 – gibt es auch im Alten Testament zahlreiche Texte, die die Lebensphasen des Menschen reflektieren. Eine Differenzierung nach Produktivkraft, Alter und Geschlecht findet sich in Lev 27,1–8, wo die Auslösung von Gelübden, die bestimmte Personengruppen betrifft, genau beziffert wird:7 (1) Und JHWH sprach zu Mose: (2) Sprich zu den Israeliten und sage zu ihnen: 20–60 Jahre (Erwachsene) Wenn jemand ein Gelübde für JHWH nach dem Richtwert von Personen erfüllen möchte (3) und es um den Richtwert einer männlichen (Person im Alter) zwischen 20 und 60 Jahren geht, dann sei der Richtwert 50 Silberschekel8 nach dem Schekelgewicht des Heiligtums. (4) Wenn es aber (um) eine weibliche (Person geht), dann sei der Richtwert 30 Schekel. 5–20 Jahre (Kinder und Jugendliche) (5) Wenn es nun um (jemanden im Alter) zwischen 5 und 20 Jahren (geht), dann sei der Richtwert einer männlichen (Person) 20 Schekel und der einer weiblichen (Person) 10 Schekel. 1 Monat–5 Jahre (Säuglinge und Kleinkinder) (6) Wenn es nun um (jemanden im Alter) zwischen 1 Monat und 5 Jahren (geht), dann sei der Richtwert einer männlichen (Person) 5 Silberschekel und der einer weiblichen (Person) 3 Silberschekel. Über 60 Jahre (Ältere und Greise) (7) Wenn es nun um (jemanden im Alter) von 60 Jahren und darüber (geht) und es eine männliche (Person ist), dann sei der Richtwert 15 Schekel, (wenn es) eine weibliche (Person ist), 10 Schekel.
S. dazu Wagner-Hasel, Alter, 16 ff.68 ff.72 ff, ferner Q 153; 181 und 214. S. dazu Gerstenberger, Leviticus (ATD), 400 f; Pola, Lebensalter, 390 ff; ders., Kleinkind, 131 f und Hieke, Levitikus (HThK.AT), 1102 ff. 8 Für den Schekel ist ein Gewicht von ca. 11,4 Gramm anzusetzen, s. dazu Jaroš, Maße, 734 f. Zu den Preisrelationen s. Zwickel, Leben, 157 ff. 6 7
§ 2 Biographische Aspekte 49
Armutsfall (8) Wenn einer nun zu arm für den Richtwert ist, dann stelle er (der das Gelübde getan hat) sie (die gelobte Person) vor den Priester, und der Priester schätze sie ein. Entsprechend dem, wofür die Mittel des Gelobenden ausreichen, schätze der Priester sie ein.9
Neben diesem Katalog, der so etwas wie eine ‚Anthropologie in sakralrechtlicher Form‘ darstellt,10 stehen Texte, in denen drei, vier oder fünf Altersstufen unterschieden werden (Dtn 32,25; Jer 6,11; 51,22 u. ö.), wobei eine jeweils andere Auswahl und Anordnung im Vordergrund steht.11 Das gilt auch für den Mischnatraktat Avot 5,21 (Q 191), der sich hinsichtlich seiner Systematik mit der neuassyrischen Sultantepe-Tafel 400 (Q 70) und der Dekadenlehre des spätägyptischen Papyrus Insinger (Q 12) vergleichen lässt. Das Bewusstsein von Lebensphasen wurde, wie Lev 27,1–8 zeigt, offenbar vom Status des erwachsenen Mannes aus generiert (vgl. V. 2b–3), der (schwere) körperliche Arbeit verrichten konnte. „Es geht also nicht um den ‚Wert eines Menschen‘, den man gewiss nicht in einer Geldsumme ausdrücken kann, sondern um eine standardisierte Bewertung der Leistungsfähigkeit“12. Die Familie bzw. Hausgemeinschaft, in der in der Regel drei Generationen zusammenlebten,13 war dabei der Ort, an dem sich die Differenz wie die Gemeinschaft der unterschiedlichen Lebensphasen ausbildete und manifestierte. Die erste Lebensphase umfasste das Ereignis der Geburt und die Zeit der Kindheit. Ihr wenden wir uns zunächst zu. Aufgrund der Erkenntnisse der modernen Humanbiologie haben wir uns angewöhnt, „den Lebensbeginn physisch – und darauf aufbauend auch rechtlich und ethisch – möglichst genau einzugrenzen. Der Beginn des individuellen, menschlichen Lebens ist danach in ‚der befruchteten, entwicklungsfähigen Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an‘ (so § 8,1 des deutschen Embryonenschutzgesetzes von 1990) aufs Engste fokussiert“14.
Nach alttestamentlichem Verständnis beginnt das menschliche Leben dagegen nicht in einem bestimmten Zeitpunkt (Befruchtung der Eizelle), sondern in einem Prozess, an dem der Schöpfergott mitwirkt (a) und der seinen Ort im Mutterleib hat (b). Obwohl es in Gen 2,7 nicht um die Geburt, also den Anfang des 9
Zur Übersetzung vgl. Hieke, aaO 1102 f. Pola, Lebensalter, 405 f. S. dazu auch Meinhold, Bewertung, 109 ff. Die hebräischen Begriffe für die verschiedenen Lebensalter sind nicht scharf voneinander zu trennen, s. dazu Hieke, aaO 1110. Allen Systematisierungsversuchen ist deshalb mit Skepsis zu begegnen, s. dazu Pola, aaO 400 ff und unten 108 f. Hieke, aaO 1108, vgl. Pola, aaO 406. S. dazu unten 120 ff. Utzschneider, Verständnis, 119, s. dazu auch ders., Beginn, 135 ff und Schockenhoff, Ethik, 494 ff.
10 Vgl. 11
12 13 14
50 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
menschlichen Lebens, sondern um die Erschaffung durch Gott geht, gehen wir von diesem Text aus, weil er den geschöpflichen Ursprung des Menschen in den Vordergrund rückt.15 a) Die Erschaffung durch Gott α) Genesis 2,7 als locus classicus Altes Testament: Anthonioz, Sang, 5 ff ◆ Bauks, „Soul Concepts“, 181 ff ◆ Dietrich, Menschen-
schöpfung, 28 ff ◆ Dohmen, Gott, 33 ff ◆ Hieke, Staub, 245 ff ◆ Janowski, næpæš, 73 ff ◆ Ders., Der ganze Mensch, 6 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 121 ff.144 f ◆ Kilwing, næpæsch, 384 ff ◆ Koch, Gen 2,7, 238 ff ◆ Müller, Elemente, 13 ff ◆ Schellenberg, Gen 2,19 f, 294 ff ◆ Schüle, Prolog, 161 ff ◆ Waschke, Mensch, 489 ff ◆ Westermann, Art. næpæš, 73 f.
Gen 2,7 ist ein locus classicus der biblischen Anthropologie. Er enthält mit næpæš „Leben, Lebendigkeit“ zugleich einen anthropologischen Grundbegriff des Alten Testaments16 und besteht syntaktisch aus einem Vordersatz/Nachsatz-Gefüge (V. 4b.7) und drei dazwischen geschalteten Umstandssätzen (V. 5 f): Zeitangabe (Vordersatz) 4b An dem Tag, als JHWH Elohim Erde und Himmel machte,
Umstandssätze
5 6
während noch kein einziges Gesträuch des Feldes auf der Erde entstanden und noch kein einziges Kraut des Feldes gesprosst war, weil JHWH Elohim es noch nicht hatte regnen lassen auf die Erde, und kein Mensch da war, den Ackerboden zu bearbeiten, wobei ein Wasserstrom aus der Erde aufzusteigen und die ganze Oberfläche des Ackerbodens zu tränken pflegte,
Handlungseinsatz (Nachsatz) 7 da formte JHWH Elohim den Menschen aus Erdkrume vom Ackerboden (῾āpār min-hā᾽adāmāh),17 und blies in seine Nase den Hauch des Lebens (nišmat hajjim). ˙ Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen (næpæš hajjāh). ˙
Der Verbalsatz V. 7, der den Vordersatz V. 4b fortsetzt, besteht aus zwei Teilsätzen, die jeweils ein Handeln JHWHs beschreiben – JHWH „formte“ (jāsar) wie ˙ ein Töpfer den Menschen aus „Staub / Erdkrume vom Ackerboden“18 und „blies“
Zur Unterscheidung von „Anfang“ und „Ursprung“ s. Sauter, Leben, 205 ff. S. dazu unten 54 ff. 17 Das Syntagma ῾āpār min-hā᾽adāmāh ist ein Akkusativ des Stoffes (acc. materiae), s. dazu GK28 § 117hh und Dtn 27,6; 1 Kön 7,15 u. ö. 18 Zur Bedeutung von ῾āpār s. Keel / Schroer, Schöpfung, 145; Waschke, Mensch, 498 ff; Bührer, Anfang, 208 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 101 f (der den Terminus einer Fortschreibungsschicht zurechnet). 15
16
§ 2 Biographische Aspekte 51
(nāpah) „Lebensatem in seine Nase“ – und einer Folgeschilderung, die besagt, ˙ dass der erschaffene Mensch nicht ein vitales Selbst hat, sondern ein vitales Selbst ist: „Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen / Lebewesen (næpæš hajjāh).“19 Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: ˙
Der Mensch entsteht durch die beiden Schöpfungsakte
Formung / formatio: + Belebung / animatio: „Erdkrume vom Ackerboden“ „Hauch des Lebens“ (῾āpār min-hā᾽adāmāh) (nišmat hajjim) ˙ mit dem Ergebnis: „da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen / Lebewesen“ (næpæš hajjāh) ˙
Abb. 7: Menschenschöpfung nach Gen 2,7
Der Zusammenhang zwischen der Formung des Menschen aus „Erdkrume vom Ackerboden“ und der Einhauchung des „Lebensatems“ durch Gott ist dabei so eng wie möglich, d. h. die Erschaffung des Menschen vollzieht sich in einer materialen Herstellung (formatio) und einer Belebung (animatio), wodurch der Mensch insgesamt zu einer næpæš hajjāh wird.20 Gottes „Lebensatem“ ist die ˙ Grundbedingung des physischen Lebens, ohne den Mensch und Tier nicht lebensfähig sind (vgl. Gen 7,22; Ps 104,29 f [rûah]).21 ˙ Auf zwei Aspekte sei gesondert hingewiesen. Zum einen will Gen 2,7, ungeachtet der Frage eines möglichen etymologischen, die Farbe „rot(braun)“ indizierenden Zusammenhangs zwischen ᾽ādām und ᾽adāmāh,22 ein Entsprechungsverhältnis zwischen beiden Termini herstellen: der ᾽ādām ist ein „Erdling“ und gehört zur ᾽adāmāh, zu deren „Staub“ er im Tod zurückkehren wird (Gen 3,19a).
Wolff, Anthropologie, 33.51, ferner Seebass, næpæš, 546 und Müller, „Seele“, 185 f.301. In Gen 1,20 f.24.30; 2,19; 9,10. 12. 15 f; Lev 11,10.46 und Ez 47,9 dient næpæš (ha)hajjāh zur ˙ Müller, Bezeichnung der Tierwelt, vgl. Wolff, aaO 50 f; Schellenberg, Gen 2,19 f, 294 ff und aaO 301 f. 20 Zu vergleichen ist das babylonische Weltschöpfungsepos Enūma eliš VI 129 f (Q 73), wo die Menschen als „lebende Gestalt“ bezeichnet werden. Zur koranischen Vorstellung der Menschenschöpfung s. Q 213. 21 Zu JHWH als Spender des Lebensatems s. Krüger, Lob, 362 ff und Schellenberg, aaO 296 ff. Aufgrund des Zusammenhangs von Lebensatem und Lebewesen erklärt sich auch die Parallelität von næpæš „Leben(digkeit), Vitalität“ und hajjim „Leben“ in Dtn 30,6; 2 Sam 11,11; Jon 4,3.8; Ps 7,6; 26,9; 49,19; 66,9; 88,4; Hi 3,20; 9,21; ˙10,1; Spr 3,22 und Klgl 3,58. Zu vergleichen ist auch 1 Kön 17,17–24, wo die næpæš in das „Innere“ des atemlos gewordenen (V. 17b) und damit (!) dem Tode nahe gekommenen Menschen zurückkehrt, so dass dieser wieder lebendig wird, s. dazu Thiel, Könige (BK), 70 f.76 f und Müller, aaO 160 f. 22 S. dazu Keel, Hohelied (ZBK.AT), 186; ders. / Schroer, Schöpfung, 144 f und Bührer, aaO 208 Anm. 191. 19 Vgl.
52 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Zum anderen ist immer wieder gefragt worden, in welchem Verhältnis Gen 2,7 zur Imago Dei-Aussage in Gen 1,26 ff steht. Nach A. Schüle23 wird „nicht nur in Gen 1,26– 28, sondern eben auch in der Eden-Erzählung die Menschenschöpfung in den Kontext der Gottebenbildlichkeit gerückt“24. Zwar wird, was auch Schüle sieht, in Gen 2,7 keine Bildterminologie verwendet, wohl aber wird seiner Ansicht nach „mit der Mund-/Nasenberührung, der Einhauchung des Lebensatems und auch der Lokalisierung des Geschehens im Umfeld des Gottesgartens gleichsam der symbolische Kontext der Erschaffung der Imago Dei eingeführt“25. Schüles Begründung, die über einen Vergleich von Gen 2,7 mit dem mesopotamischen Mundöffnungsritual läuft, kann allerdings nicht überzeugen.26
Gen 2,7, so zeigen unsere Ausführungen, unterscheidet „nicht Leib und ‚Seele‘, sondern realistischer Leib und Leben“27. Deshalb stirbt alle belebte Kreatur (Menschen und Tiere), wenn Gott seinen Lebensatem/-geist zurücknimmt. Neben Hi 34,14 f und anderen Texten ist Ps 104,27–3028 dafür besonders aussagekräftig: 27 Sie alle (sc. Menschen und Tiere) warten auf dich, dass du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit: 28 Gibst du ihnen, so lesen sie auf, öffnest du deine Hand, so sättigen sie sich; 29 verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie, nimmst du ihren Odem (rûah) weg, so verscheiden sie ˙ [und kehren zurück zu ihrem Staub];29 30 sendest du deinen Odem (rûah) aus, so werden sie geschaffen, ˙ und du erneuerst die Oberfläche des Ackerbodens.
Dass die Erschaffung des Menschen durch einen Akt der Formung und der Belebung zustande kommt, hat eine Entsprechung in der ägyptischen Königsideologie (s. Q 13). β) Dualismus von Leib und Seele? Kehren wir noch einmal zu Gen 2,7 zurück. Es gibt nämlich zwei alternative Erklärungsversuche dieses Textes, auf die kurz einzugehen ist. So vertritt O. Loretz die These, dass in Gen 2,7 „die npš zu einem Tongebilde hinzukommt. Dieser Vorgang impliziert von Anfang an wieder eine zukünftige Trennung der beiden Elemente des Menschen (Gen 3,19) …“30. Der Tod, so Loretz, ist demnach als Dissoziation von Leib und „Seele“ (næpæš) zu verstehen, schematisch: 23 24 25 26 27 28 29 30
S. dazu Schüle, Prolog, 161 ff und ders., Urgeschichte (ZBK.AT), 58 ff. Ders., Urgeschichte, 61, vgl. ders., Prolog, 164. Ders., Urgeschichte, ebd. S. dazu ausführlich Bührer, aaO 343 ff, vgl. Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 104 f. Von Rad, Genesis (ATD), 53, vgl. Westermann, Genesis I (BK), 283. S. dazu Krüger, Lob, 338 ff und Janowski, Gottes Sturm, 163 ff (Krüger). V. 29b dürfte Rezeption von Gen 3,19a sein. Loretz, Theoxenie, 472 Anm. 84.
§ 2 Biographische Aspekte 53
Erschaffung
Sterben / Tod
Tongebilde (1) + næpæš „Seele“ (2)
Erde ← 1 | 2 → Gott
Dagegen spricht allerdings, dass die næpæš nach Gen 2,7 nicht zu einem Tongebilde hinzukommt, sondern das Resultat zweier Akte des Schöpfergottes ist, nämlich der Formung der „Erdkrume vom Ackerboden“ und deren Belebung durch den „Hauch des Lebens“. Das so entstandene „Lebewesen“ (næpæš hajjāh) ˙ und nicht nur ein Teil desselben kehrt beim Tod zur Erdkrume / zum Staub zu31 rück, von der / dem es genommen ist: Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden (᾽adāmāh), von dem du genommen bist. Ja, Staub (῾āpār) bist du, und zum Staub (῾āpār) wirst du zurückkehren. (Gen 3,19) Denn er (sc. JHWH) weiß, was wir für Gebilde sind, ist eingedenk, dass wir Staub (῾āpār) sind. (Ps 103,14) Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie (sc. alle Lebewesen), nimmst du ihren Odem (rûah) weg, so verscheiden sie ˙ [und kehren zurück zu ihrem Staub (῾āpār)]. (Ps 104,29) Beide (sc. Menschen und Vieh) gehen zu demselben Ort, beide sind aus Staub (῾āpār), und beide kehren zum Staub (῾āpār) zurück. (Pred 3,20)32
Auch Gen 35,18, der zweite næpæš-Beleg, dem Loretz eine zentrale Bedeutung für seine These beimisst, ist anders zu verstehen: Und als ihr (sc. der Rahel) Leben (næpæš) sie verließ (jāsā᾽), ˙ denn sie starb (mût), nannte sie seinen Namen „Sohn meiner Trauer“ (Ben-Oni), aber sein Vater nannte ihn „Sohn zur Rechten“ (Benjamin).
Loretz zufolge belegt Gen 35,18 die „Vorstellung, daß beim Tod eines Menschen seine npš ‚Seele‘ den Leib verläßt und zum Totengeist (npš, npš mt) wird“33. Demnach besage der Text „klar, daß der Mensch beim Tod in einen Teil zerfällt, der so schnell wie nur möglich begraben werden muß, und in einen Totengeist, der in der Unterwelt haust“34. Dass die „Seele“ beim Tod eines Menschen dessen Leib verlässt, steht aber nicht in Gen 35,18, sondern vielmehr, dass Rahels Leben (næpæš) dahinschwand. Die Wendung jāsā᾽ „hinausgehen, verlassen“ + næpæš ˙ Zum Sterben als „Zu-Staub-Werden“ s. Krüger, Lob, 369 ff. Zu diesen Texten s. auch unten 79 f. Zur Rezeption der ῾āpar-Thematik in den Texten vom Toten Meer s. Lichtenberger, Menschenbild, 80 f und als Beispiel die Niedrigkeitsdoxologie 1 QH 20 (Q 192). 33 Loretz, aaO 475. 34 Ders., ebd. 31
32
54 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
„Leben“ meint hier nicht, dass die „Seele“ den Leib Rahels verlässt – vom „Leib“ Rahels ist keine Rede –, sondern dass Rahels Leben „dahinschwindet“ (// mût „sterben“).35 Wohin Rahel bzw. ihre næpæš nach ihrem Tod geht, wird nicht gesagt, ebenso wenig, dass sie zu einem Totengeist wird, der in der Unterwelt haust. Der zweite Erklärungsversuch geht von der Bedeutung des Blutes aus. Dieses fehlt in Gen 2,7 zwar, St. Anthonioz möchte es aber aufgrund eines angeblichen Wortspiels in den Text hineinlesen: „… on ne peut pas nier que le jeu de mot entre la couleur rouge du sang (᾽dm) et la couleur de la terre (᾽dmh) dans le nom même de l’homme (᾽dm) rende de quelque manière présente la réalité du sang (dm) dans la création, même si une origine étymologique commune est aujourd’hui abondonnée …“36 Anthonioz ist bei ihrer – abenteuerlichen! – These an der Darstellung der Menschenschöpfung im altbabylonischen Atram-hasīs-Epos I (Q 71) orientiert, der zufolge der ˘ Mensch aus der stofflichen Substanz Lehm und dem Fleisch und Blut eines geschlachteten 37 Gottes erschaffen wird. In dieser ‚Vermischung von Gott und Mensch‘ (vgl. Atram-hasīs ˘ I 210–213!) liegt die differentia specifica zur Schöpfungsvorstellung von Gen 2,7.38
So problematisch die Thesen von O. Loretz und St. Anthonioz auch sind, sie unterstreichen auf ihre Weise die zentrale Bedeutung von Gen 2,7 und seines Leitbegriffs næpæš. Im Folgenden wird ein Überblick über die Bedeutungsaspekte dieses anthropologischen Grundbegriffs und seines griechischen Äquivalents ψυχή gegeben. Exkurs 3: næpæš und ψυχή Altes Testament: Albertz, Art. Mensch, 466 f ◆ Barr, Eden, 36 ff ◆ Bauks, Forschungen,
105 ff ◆ Frevel, Person, 83.86 ff ◆ Ders., Unvollkommenheit, 239 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 204 ff ◆ Ders., næpæš, 73 ff ◆ Jones, Reflexivity, 411 ff ◆ Kilwing, næpæsch, 377 ff ◆ Krüger, Seele, 83 ff ◆ Müller, „Seele“ ◆ van Oorschot, npš, 117 ff ◆ Schmidt, Begriffe, 80 ff ◆ Schöpflin, Art. Seele, 737 ff ◆ Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 45 ff ◆ Seebass, Art. næpæš, 531 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 120 ff ◆ di Vito, Anthropologie, 214.223 ff ◆
Vgl. Sir 38,23 hebr., s. dazu auch Ges18, 481 s. v. jāsā᾽ qal. Das „Hinausgehen“ der næpæš ˙ ist ein Vorgang, der dem (drohenden) Tod unmittelbar vorausgeht, vgl. Hhld 5,6 („meine næpæš ging hinaus“) und dazu Keel, Hohelied (ZBK.AT), 183. 36 Anthonioz, Sang, 14. 37 S. dazu Pettinato, Menschenbild, 42 ff. Auch nach dem Weltschöpfungsepos Enūma eliš VI (Q 72) dient das Blut eines Gottes, der als Anführer der aufrührerischen Götter hingerichtet wird, zur Erschaffung des ersten Menschen (nicht aber sein Fleisch und irdener Lehm). Der KAR 4-Mythos (Q 74) dagegen spricht vom Vermischen des Fleisches und Blutes zweier Alla-Götter mit Lehm bei der Erschaffung der Menschen. Zur Schöpfung aus Lehm allein s. ders., aaO 41 f. 38 S. dazu Müller, Elemente, 13 ff; ders., Menschenschöpfungserzählung, 47 f. Die besagte Differenz wird von Dietrich, Menschenschöpfung, 28 ff zwar gesehen, aber durch spekulative Hypothesen zur Überlieferungsgeschichte relativiert. 35
§ 2 Biographische Aspekte 55
Wagner, Körperbegriffe, 289 ff.307 ff ◆ Ders., Reduktion, 190 ff ◆ Westermann, Art. næpæš, 71 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 33 ff. – Antike Religionen: Bauks, „Soul Concepts“, 181 ff ◆ Bratsiotis, næpæsch, 58 ff ◆ Bremmer, Seele, 173 ff ◆ Burkert, Religion, 446 ff.475 f.479 ff ◆ Gödde, Art. Seele, 1092 f ◆ Gzella, Lebenszeit, 96 ff ◆ Marinkovic, Seele, 311 ff ◆ Ders., næpæš, 187 ff ◆ Matijevic, Jenseitsvorstellungen, 147 f.161 ff ◆ Meyer, Wandel, 9 ff ◆ Müller, „Seele“, 138 ff.179 ff.191 ff ◆ Rösel, Mensch, 69 ff ◆ Ders., Seele, 151 ff ◆ Ders., Kehle, 30 ff. Wie die neuere Diskussion gezeigt hat, hat der hebräische Begriff næpæš39 einen organischen Fixpunkt („Kehle, Schlund“), der für seine Bedeutung grundlegend ist und immer wieder durchscheint. Der folgende Überblick skizziert die wichtigsten Bedeutungsaspekte von „Kehle, Schlund“ über „Verlangen, Begehren“, „Vitales Selbst“, „Individuelles Leben“, „Lebewesen, Person“ bis hin zur „Seele“ (ψυχή), die sich in der Septuaginta und in der Sapientia Salomonis als Wiedergabe von næpæš findet.
Kehle und Atem næpæš bezeichnet ursprünglich die „Kehle“ oder den „Schlund“ (Jes 5,14; 58,3–12 [5mal]; Hos 9,4; Hab 2,5; Jon 2,6; Ps 69,2; 107,5.9; Spr 25,25 u. ö.) und deren Funktion: die Atmung, aber nicht den äußeren „Hals“:40 Darum weitet die Unterwelt ihre Kehle (næpæš) und sie reißt ihren Mund auf ohne Grenze, so dass seine (sc. des Volkes) Pracht und seine Menge hinabsteigt und sein Lärm und wer darin frohlockt. (Jes 5,14) Wasser umschlossen mich bis an die Kehle (næpæš), das Urmeer umringte mich, Tang war um mein Haupt geschlungen. (Jon 2,6) Die Bedeutung „Atem“ (Hi 41,13, vgl. Jes 3,20 [?],41 Jer 2,24; 4,31) ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bewegung der Kehle mit dem Atmen zusammenhängt (vgl. das dreimalige Vorkommen des Verbs npš nif. „aufatmen“ in Ex 23,12; 31,17 und 2 Sam 16,14) und der Mensch mit dem Tod zu atmen aufhört: Sechs Tage sollst du dein Werk tun, aber am siebten Tag sollst du aufhören, damit ruhen dein Rind und dein Esel und aufatmen (npš nif.) der Sohn deiner Sklavin und der Fremde. (Ex 23,12)42 Zwischen mir und den Israeliten ist er (sc. der Sabbat) ein Zeichen auf ewig, denn in sechs Tagen hat JHWH den Himmel und die Erde gemacht, am siebten Tag aber ruhte er und atmete auf (npš nif.). (Ex 31,17)43 Zur Forschungsgeschichte s. Müller, „Seele“, 19 ff.211 f.252 ff. Zum Vorkommen des Terminus in Mesopotamien, Ugarit und Nordsyrien s. Q 79; 124; 125 und 127. 40 Vgl. Seebass, Art. næpæš, 538 f, ferner Müller, aaO 126 ff. 41 Wörtlich: „Häuser = Behälter von Lebenskraft / Atem (?)“, vgl. Seebass, aaO 539. 42 Zur Interpretation s. unten 252 f. 43 S. dazu Grund, Entstehung, 282 f, ferner Baumgart, Gott, 46 ff und Kilwing, næpæsch, 382.
39
56 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Verlangen, Begehren Mit der Körperfunktion „Atem“ hängt der Bedeutungsaspekt „Verlangen, Begehren“ zusammen,44 das sich als Appetit / Hunger (Spr 13,25), als Gier (Ex 15,9; Dtn 12,20; Ez 16,27; Ps 27,12; 41,3) oder als Wunsch / Sehnsucht / Bedürfnis (Ps 35,25, vgl. Gen 23,8; Ex, 23,9; 2 Kön 9,15) äußert und für das eine bestimmte Intentionalität kennzeichnend ist: Und einen Fremden sollst du nicht bedrücken, ihr selbst kennt doch das Bedürfnis (næpæš) des Fremden, denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. (Ex 23,9) 2 3 4
Selig, wer auf den Geringen achtet: Am Tag des Unheils wird JHWH ihn retten. JHWH wird ihn behüten und ihn am Leben erhalten, und er wird glücklich gepriesen im Land – ja, du wirst ihn nicht preisgeben der Gier (næpæš) seiner Feinde. JHWH wird ihn stützen auf dem Siechbett – sein ganzes Lager hast du gewendet in seiner Krankheit. (Ps 41,2–4)
Der Gerechte isst bis zur Sättigung seines Appetits (næpæš), aber der Bauch der Frevler wird Mangel haben. (Spr 13,25)45
Vitales Selbst, Lebenskraft Anstelle der Übersetzung von næpæš mit „Seele“ hat H. Seebass zu Recht dafür plädiert, dass es sich bei diesem Begriff um „die Vitalität, die sprudelnde Lebensenergie, die Leidenschaftlichkeit“46 handelt. Dafür spricht, dass die næpæš JHWH lobt/„segnet“ bzw. zum Loben/„Segnen“ aufgefordert wird (Ps 103,1 f.22; 104,1.35, vgl. Jes 61,10; Ps 34,3; 35,9 u. ö.), dass sie „fett gemacht / gestärkt“ wird (Spr 11,25; 13,4), dass sie auf JHWH „hofft“ bzw. „wartet“ (Ps 33,20; 130,5 f; Klgl 3,25) oder dass sie als Lebenskraft „zurückgebracht“ wird (Ps 19,8; 23,3; Spr 25,13; Ruth 4,15; Klgl 1,11.16 u. ö.): 1b 2
Segne, mein Leben (næpæš), JHWH und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen! Segne, meine næpæš, JHWH und vergiss nicht alle seine Wohltaten! (Ps 103,1b–2)
1b 2 3
JHWH ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel, auf Weideplätzen mit frischem Grün lässt er mich lagern, an Wasser der Ruhe führt er mich, meine Lebenskraft (næpæš) bringt er zurück (šûb pol.). Er führt mich auf Bahnen der Gerechtigkeit um seines Namens willen. (Ps 23,1b–3)47
S. dazu auch Müller, aaO 148 ff. S. dazu auch Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 228: „Es geht um das Stillen leiblicher Bedürfnisse“, vgl. Spr 10,3. 46 Seebass, aaO 544. In dieser Bedeutung ist næpæš „das genaue Subjekt der Klagelieder des Psalters“ (Wolff, Anthropologie, 44) – und auch der Danklieder des Einzelnen, s. dazu Janowski, næpæš, 97 ff.105 ff und unten 501 ff. 47 S. dazu Janowski, Hirte, 153 ff. 44 45
§ 2 Biographische Aspekte 57
Es gibt etwa 40 Belege, an denen sich ein Subjekt (Agens) selber als Objekt (Patiens) behandelt und dieses Objekt mit næpæš (+ Suffix) ausgedrückt wird,48 z. B.: (Du,) der sich selbst (næpæš + Suffix 3.m.sg.) zerreißt in seinem Zorn (Hi 18,4) Da næpæš und „Leben(skraft/-erhaltung)“ öfter synonym gebraucht werden und næpæš das vitale Selbst bezeichnen kann,49 kann es auch die Funktion des Personalpronomens50 übernehmen. Die Übergänge sind dabei fließend, z. B.: Sag doch, du (Saraj) seiest meine (sc. Abrams) Schwester, damit es mir um deinetwillen gut gehe und durch dich meine næpæš / ich am Leben bleibe (hājāh). (Gen 12,13) ˙ Wer hätte den Staub Jakobs berechnet, und 〈wer zählt〉 die 〈Lagerung〉 Israels? Sterben möge meine næpæš / ich den Tod von Aufrechten, und meine Nachkommenschaft sei ihm (sc. Jakob / Israel) gleich! (Num 23,10) Um deines Namens willen, JHWH, mögest du mich beleben (hjh pi.)! ˙ In deiner Gerechtigkeit wirst du meine næpæš / mich aus der Not 51 herausführen! (Ps 143,11)
Individuelles Leben In der Bedeutung „individuelles Leben“ meint næpæš nicht Leben allgemein, sondern das in den Individuen (Tier oder Mensch) enthaltene Leben (Gen 9,10; 19,17 u. ö.), also ihre individuelle Lebendigkeit. næpæš ist in diesen Belegen bevorzugt Objekt, nicht Subjekt der Handlung, z. B.: 8 9 10
Und Gott sagte zu Noah und zu seinen Söhnen bei ihm folgendermaßen: „Ich aber, siehe, ich bin dabei, meinen Bund aufzurichten mit euch und mit euren Nachkommen nach euch und mit allen Lebewesen (kål-næpæš hahajjāh), die bei euch sind ˙ an Flugtieren, an Vieh und an allem Getier der Erde bei euch von allen, die aus der Arche herausgegangen sind, für alles Getier der Erde. (Gen 9,8–10)
35 Denn wer mich findet, hat Leben (hajjîm) gefunden, ˙ und er hat Wohlgefallen von JHWH erlangt. 36 Wer mich aber verfehlt, behandelt sein Leben (næpæš) gewalttätig; alle, die mich hassen, lieben den Tod. (Spr 8,35 f)
næpæš fungiert in diesen Belegen als reflexiver Marker, s. dazu Jones, Reflexivity, 411 ff und Müller, aaO 214 ff. 49 S. dazu mit weiteren Belegen Seebass, aaO 545 f. 50 Nach Wagner, Körperbegriffe, 291.307 ff fungiert næpæš dabei als „Stellvertreterausdruck der Person“, s. dazu unten 148 ff. 51 In Ps 143 kommt næpæš 5mal in verschiedenen Bedeutungsnuancen vor (V. 3.6.8.11.12), s. dazu Müller, Vergewisserung, 73 f.79.87.88. 48
58 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Die næpæš in der Bedeutung „individuelles Leben“ wird nicht nur geschont wie in 1 Sam 26,21, sondern auch geachtet (Ps 31,8; Hi 9,21 u. ö.), gerettet (von Gott)52 oder im „Beutel der Lebendigen“ verwahrt (1 Sam 25,29). Hierher gehören auch alle Belege, die von der Bedrohung der næpæš handeln wie in der Wendung „nach dem Leben (næpæš) trachten“ (1 Sam 20,1; 22,23; 1 Kön 19,10 u. ö.), bei Tötungsdelikten53 oder in der Talionsformel (Ex 21,23 ff; Lev 24,18.20, vgl. Dtn 19,21): David floh von … in Rama; er kam und klagte vor Jonathan: „Was habe ich nur getan? Wo liegt meine Schuld, wo meine Verfehlung nach Meinung deines Vaters, dass er mir nach dem Leben (næpæš) trachtet?“ (1 Sam 20,1) 22 Und wenn Männer raufen und (dabei) eine schwangere Frau stoßen, so dass ihre Leibesfrucht abgeht, aber (sonst) kein Unglücksfall passiert, soll er mit einer Zahlung belegt werden, so wie der Mann der Frau (sie) ihm auferlegt, und er soll sie durch Schiedsrichter geben. 23 Falls aber ein Unglücksfall passiert, sollst du geben: Leben für Leben (næpæš tahat næpæš), ˙ 24 Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, 25 Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Strieme für Strieme. (Ex 21,22–25)54 Wo hat das individuelle Leben (næpæš) seinen Ort im menschlichen oder tierischen Körper?55 Nach Dtn Lev 17,11 ist dies das Blut: Denn das Leben (næpæš) des Fleisches – im Blut ist es. Und ich (sc. JHWH) habe es auf den Altar gegeben, um für eure napšôt / für euch Sühne zu erwirken, denn das Blut ist es, das durch das (in ihm enthaltene) Leben (næpæš) Sühne erwirkt. (Lev 17,11)56
Lebewesen, Person Aus der Bedeutung „individuelles Leben“ ergibt sich der Übergang zum Aspekt „lebendes Individuum, Einzelwesen, Person, jemand“,57 der in kasuistischen Rechtssätzen (Gen 17,14; Ex 12,15 f u. ö.) oder in Opferbestimmungen begegnet, wenn der betreffende Täter bzw. Akteur möglichst allgemein eingeführt werden soll (Lev 2,1; 4,2; 5,1 u. ö.), sodann bei Personenzählungen (Jos 10,28.30.32 u. ö.) und schließlich bei der Nennung von Familienangehörigen (Gen 36,6) oder von Abhängigen (Gen 12,5), z. B.: 52 53 54 55
56 57
Zu den zahlreichen Belegen s. Seebass, aaO 547. S. dazu ders., aaO 547 f. S. dazu Otto, Ethik, 73 ff; Graupner, Vergeltung, 459 ff u. a. Zu dieser Problematik s. Kilwing, næpæsch, 389 ff. Vgl. Lev 17,14 und Dtn 12,23, s. dazu Janowski, Sühne, 242 ff und Hieke, Levitikus (HThK. AT), 632 ff. S. dazu auch Müller, „Seele“, 171 ff.
§ 2 Biographische Aspekte 59
Wenn jemand (næpæš) JHWH ein Speisopfer darbringen will, so soll es aus Grieß bestehen; er soll Öl darauf gießen und Weihrauch dazutun. (Lev 2,1) Die (Stadt) Makkeda hatte Josua an diesem Tag eingenommen. Er schlug sie mit der Schneide des Schwertes. Ihren König hatte er der Vernichtung geweiht, die (Bewohner) und alles Leben / alle Personen (næpæš), das / die in dieser (Stadt) war/en. Er hatte keinen Entkommenen übriggelassen. Er verfuhr mit dem König von Makkeda, wie er mit dem König von Jericho verfahren war. (Jos 10,28)
Von der Kehle zur Seele Die Geschichte des næpæš-Begriffs ist damit noch nicht zu Ende. Neue Aspekte kommen in hellenistischer Zeit in der Übersetzung der Septuaginta sowie in der Sapientia Salomonis hinzu. Wie M. Rösel58 gezeigt hat, wurden die Konnotationen des hebräischen Lexems von der Septuaginta weitgehend übernommen, was offenbar darauf zurückzuführen ist, „dass die alte, vorplatonische Vorstellung von ψυχή dem nahe kommt, was in der Hebräischen Bibel unter næpæš verstanden wird“59. Dass der Mensch eine Seele (ψυχή) besitzt, und diese seine Person in ihrer Gesamtheit repräsentiert, ist in der europäischen Tradition zum ersten Mal bei Pythagoras und vor allem bei Heraklit fassbar, der von der „Tiefe“ der ψυχή spricht. Die Opposition Körper vs. Seele taucht dann im späten 5.Jh. v. Chr. auf60 und findet sich auch in der Septuaginta. Allerdings ist das Bild, das die Septuaginta in ihrer Übersetzung von næpæš bietet, nicht einheitlich, weil sie – etwa in den Büchern Genesis und Sprüche – Pointierungen eingebracht hat, die den Text für die philosophische Prägung von ψυχή öffnen.61 Rösel spricht im Blick auf die Übersetzung von næpæš in der Septuaginta deshalb von einer „Misch-Anthropologie“62, die zum einen an den alttestamentlichen Sprachgebrauch von næpæš anknüpft und zum anderen – z. T. unter Aufnahme dichotomischer Aspekte63 – die in der griechischen Philosophie beheimatete Seelenvorstellung rezipiert. Dualistische Seelenkonzepte, die sich an die platonische Anthropologie anlehnen, tauchen auch in der Sapientia Salomonis (letztes Viertel des 1. Jh.s v. Chr./2. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr.) auf und zwar in SapSal 8,19 f und vor allem in SapSal 9,14 f: 19 Ich war ein Kind mit guten Anlagen und hatte dann auch eine gute Seele (ψυχή ἀγαθή) erhalten. 20 Besser gesagt: Da ich gut war, kam ich in einen unbefleckten Leib (σῶμα ἀμίαντον). (8,19 f)64
S. dazu Rösel, Seele, 151 ff und ders., Mensch, 69 ff. Ders., Seele, 161. Zum ψυχή-Begriff bei Homer s. Q 163 und 164. 60 S. dazu Burkert, Religion, 446 ff; Bremmer, Seele, 173 ff; Meyer, Wandel, 15 ff; ders., Aristoteles, 69 ff.79 ff und Marinkovic, Seele, 312 ff. Zu dem komplexen Problem s. aus religionswissenschaftlicher Sicht Hasenfratz, Seele, 68 ff. 61 S. dazu die Beispiele bei Rösel, Seele, 162 ff. 62 Ders., Mensch, 81. 63 S. dazu die Beispiele bei ders., Seele, 163.168 f. 64 Übersetzung Hübner, Weisheit (ATD.A), 120, s. dazu auch Mazzinghi, Weisheit (IEKAT), 248 ff. 58 59
60 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens 14 15
Denn die Berechnungen der Sterblichen gehen nicht auf, und auf unsere Gedanken können wir uns wahrlich nicht verlassen! Denn unser vergänglicher Leib (σῶμα) beschwert unsere Seele (ψυχή), und als unser irdisches Zelt (γεῶδες σκῆνος) belastet er unseren Geist (νοῦς), der sich um so vieles sorgt. (9,14 f)65
Da es innerhalb des ersten Buchteils (SapSal 1,1–6,21) auch andere ψυχή-Belege gibt, die an den alttestamentlichen Sprachgebrauch von næpæš anknüpfen,66 stellt sich das Gesamtbild ähnlich differenziert dar wie im Fall der Septuaginta-Übersetzung. Wirkungsgeschichtlich ist jedenfalls festzuhalten, dass „Hieronymus in seiner Vulgata-Übersetzung dem LXX‑Sprachgebrauch fast durchgängig mit ‚anima‘ und Martin Luther mit ‚Seele‘ gefolgt sind“67. Damit war der Weg für die Karriere der „Seele“ in der abendländischen Geistes- und Kulturgeschichte vorgezeichnet.68 𓇼
Halten wir fest: Nach dem Alten Testament tritt die næpæš „während der ganzen Lebenszeit des Menschen voll in Erscheinung, ja sie ist der bestimmende Faktor des Lebens in seinen emotionalen Äußerungen und geistigen Bezügen“69. Wenn für ihre Eigenschaften und Aktivitäten ein zusammenfassender Begriff genannt werden soll, dann ist es derjenige des Lebens „in seiner individuellen Einzigartigkeit“ bzw. des Menschen „soweit er auf etwas aus ist“70. Dieses „Leben“ ist eine Gabe Gottes – das ist die für alles Weltverhalten des Menschen grundlegende Perspektive. Von einer Unsterblichkeit der næpæš ist im hebräischen Alten Testament jedenfalls nirgends die Rede.71 b) Geburt und Namengebung Mit Gen 2,7 ist ein Gesichtspunkt gewonnen, wonach die Erschaffung des Menschen und seine Stellung in der Welt „prinzipiell als Teilhabe an der elementaren und primären Angewiesenheit und Bezogenheit alles Geschaffenen auf Jahwe den Schöpfer gesehen (ist)“72. Offen bleibt dabei allerdings die Frage einer pränatalen Animation des Fötus, d. h. die Frage, von wann ab der „Lebensatem“ (nešāmāh) in den Menschen kommt und dieser zu einem „lebendigen Wesen, Lebewesen“ (næpæš hajjāh) wird. Erst im rabbinischen Judentum gibt es dazu entsprechende ˙ Hübner, aaO 121. Das anthropologische Konzept dieses Textes ist möglicherweise dreiteilig (Leib – Seele – Geist), s. dazu ders., aaO 130; Engel, Weisheit (NSK.AT), 157 f und Mazzinghi, aaO 269 ff.273 ff. Sehr wahrscheinlich liegt dabei eine Abhängigkeit von Platon, Phaidon 81c vor (s. Q 166), ohne dass die platonische Abwertung des Leibes übernommen wird, vgl. Mazzinghi, aaO 273 f und zur platonischen Auffassung Q 167 und 168. 66 S. dazu Blischke, Eschatologie, 65 ff.180 ff. 67 Rösel, Seele, 167 f (H. i. O.). 68 S. dazu Bremmer, Seele, 185 f.186 ff und die Beiträge in Jüttemann u. a. (Hg.), Seele. 69 Kilwing, næpæsch, 389. 70 Schmidt, Begriffe, 84 (H. i. O.), vgl. Westermann, Art. næpæš, 92; Wagner, Körperbegriffe, 290 f.307 ff und Müller, „Seele“, 292 f. 71 Vgl. Schöpflin, Art. Seele, 739 u. a. Zum Thema „Unsterblichkeit“ s. unten 515 ff. 72 Steck, Welt, 144 (H. i. O.). 65 Übersetzung
§ 2 Biographische Aspekte 61
Überlegungen (s. Q 195). Im Alten Testament fehlen sie. Fragen wir also, welche Vorstellungen sich im alten Israel mit dem werdenden Leben verbinden. α) Das Wunder der Geburt Altes Testament: Albertz / Schmitt, Family, 388 ff ◆ Dieckmann / Erbele-Küster (Hg.), Geburt ◆ Frevel, Entstehung, 295 ff ◆ Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 12 ff ◆ Gies, Geburt ◆ Grohmann, Fruchtbarkeit ◆ Dies., Anfang, 365 ff ◆ Grund, „Gott“, 99 ff ◆ Hartenstein, Horizont, 494 ff ◆ Ders., Wunder, 21 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 136 ff ◆ Köckert, Ausgespäht, 415 ff ◆ Kunz-Lübcke, Kind, 41 ff.46 ff ◆ Ders., Leben, 249 ff ◆ Schroer, Schlüssel (I), 50 f ◆ Dies., Schlüssel (II), 127 ff ◆ Schroer / Zimmermann, Art. Geburt, 186 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 48 ff.53.56 ff ◆ Utzschneider, Beginn, 153 ff ◆ Weippert, Lärm, 176 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 144 ff ◆ Zwickel, Frauenalltag, 55 ff. – Antike Religionen: Dasen (éd.), Naissance ◆ Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 2, 54 f ◆ Feucht, Weg, 33 ff ◆ Morgenstern, Judentum, 48 f.
Auf die Frage, wann genau das menschliche Leben beginnt, gibt es im Alten Testament keine einhellige Antwort. Dass der Beginn des Lebens aber nicht erst mit, sondern schon vor der Geburt einsetzt und überdies auf Gottes schöpferische Kraft zurückzuführen ist, geht sehr klar aus Ps 139 hervor. In diesem Text erinnert der Beter nicht nur an seine „persönliche Schöpfungsgeschichte“73 (V. 13– 18), sondern er behauptet auch seine Individualität, indem er „von anfänglicher Distanz zum allgegenwärtigen Gott zu entschiedener Parteinahme für Gott, zur Bejahung der Gottesgemeinschaft und Annahme der ständigen Prüfung und Leitung kommt“74: 1a Für den Chormeister. Von David. Ein Psalm.
Erfahrung der ambivalenten Gottesnähe 1b 2 3 4 5 6
JHWH, du hast mich erforscht und erkannt. Du, du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen, du durchschaust meine Absicht von ferne. Mein Gehen und mein Lagern hast du abgemessen und mit allen meinen Wegen bist du vertraut. Ja, kein Wort war auf meiner Zunge – siehe, JHWH, du hast es gänzlich erkannt. Von hinten und von vorn hast du mich eingeschlossen und auf mich deine Handfläche gelegt. Zu wunderbar75 ist diese Erkenntnis für mich, zu hoch – ich vermag sie nicht zu fassen!
Wolff, Anthropologie, 149. Zu Ps 139 s. außer der bei Hossfeld / Zenger, Psalmen III (HThK. AT), 714ff (Hossfeld) genannten Lit. noch Hartenstein, Horizont, 494 ff; Eberhardt, JHWH, 103 ff; Grohmann, Fruchtbarkeit, 27 ff; Köckert, Ausgespäht, 415 ff; Lichtenstein, Menschenkenntnis, 121 ff; Hakizimana, Mensch; Frevel, Selbstbeobachtung, 35 ff und Agbagnon, „Nacht“. 74 Hossfeld / Zenger, aaO 731 (Hossfeld). 75 Im Sinn von „unbegreiflich, außerordentlich“, s. dazu Groß, Gottesnähe, 79 mit Anm. 54 und vor allem Hartenstein, Wunder, 11 ff.21 ff. 73
62 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Erwägungen zur Flucht vor Gott in Raum und Zeit 7 8 9 10 11 12
Wohin kann ich gehen vor deinem Geist, und wohin kann ich fliehen vor deinem Angesicht? Wenn ich hinaufstiege in den Himmel – dort bist du, und wollte ich das Lager aufschlagen in der Unterwelt – siehe (, da bist) du! Erhöbe ich die Flügel der Morgenröte, (und) ließe ich mich nieder am Ende des Meeres, auch dort würde mich deine Hand leiten und mich deine Rechte ergreifen. Da sprach ich: „Nur Finsternis möge mich anfallen, und Nacht sei das Licht um mich her!“ Auch Finsternis ist nicht finster vor dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag! Wie die Finsternis so das Licht!76
Rückblick auf die Erschaffung durch Gott 13 14 15 16 17 18
Denn du, du hast meine Nieren geschaffen, hast mich gewoben im Leib meiner Mutter. Ich preise dich, dass ich erschreckend wunderbar bin, wunderbar sind deine Werke, und meine næpæš (= ich)77 weiß das wohl. Nicht war verborgen mein Gebein vor dir, als ich gemacht wurde im Verborgenen, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde. Mein Ungeformtes / Embryo sahen deine Augen, und in dein Buch werden sie allesamt geschrieben werden: die Tage, die geformt wurden, als (noch) nicht einer von ihnen war. Mir aber – wie kostbar sind mir deine Absichten, Gott, wie gewaltig sind ihre Summen! Wollte ich sie zählen – zahlreicher als Sand sind sie, ich wachte auf und bin immer noch bei dir.
Konsequenzen für das Verhalten 19 Wenn du (doch) tötetest, Gott, den Frevler, und ihr Blutmänner, weicht von mir, 20 die von dir sprechen zur Heimtücke, die (ihre Stimme)78 zum Nichtigen erhoben haben, deine Feinde! 21 Hasse ich etwa nicht, JHWH, die dich hassen, und ekle ich mich etwa nicht vor denen, die sich gegen dich auflehnen? 22 Mit äußerstem Hass hasse ich sie, zu Feinden sind sie mir geworden. 76
Oder: „Die Finsternis ist gleich wie das Licht!“ Der Begriff næpæš, der in V. 13–16 im Kontext von Körperbegriffen auftritt (Nieren, Mutterleib, Gebein, Ungeformtes), fungiert dabei als „Stellvertreterausdruck der Person“ (s. dazu unten 148 ff) und meint den Menschen „als in seiner bedürftigen Lebendigkeit von Gott abhängige Person“ (Müller, „Seele“, 276). 78 Zur Übersetzung von V. 20b s. auch Köckert, aaO 423. 77
§ 2 Biographische Aspekte 63
23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne meine Gedanken! 24 Und sieh, ob ein Weg von Pein bei mir ist, und leite mich auf ewigem Weg!
Ps 139 ist eine „weisheitliche Meditation zum intimen Gottesverhältnis des Beters“79. Er beschreibt in vier gleich langen Strophen den Reflexionsprozess eines Beters von der Erfahrung seiner umfassenden Erforschung durch Gott (V. 1b–6) über die Erwägungen zur irrealen Flucht vor ihm (V. 7–12) bis zur emphatischen Bejahung der Verbindung von Schöpfer und Geschöpf (V. 13–18) sowie den sich daraus ergebenden Konsequenzen für sein zukünftiges Verhalten (V. 19–24). Besonders diese letzte Strophe stellt eine Zumutung dar und wurde häufig als Nachtrag gewertet oder um V. 19–22 gekürzt.80 Aber: Im Unterschied zu den Klageliedern des Einzelnen81 geht es dem Beter nicht um seine Rehabilitierung, sondern darum, dass er sich von seinen und JHWHs Feinden trennen will. „Zu diesem Zweck zieht er eine klare Grenze und bittet JHWH um Achtsamkeit, Prüfung und Unterstützung, daß er diesen ‚Kurs‘ durchhält“82. Mit dem Motiv der durchdringenden Menschenkenntnis Gottes, mit dem der Text endet (V. 23 f) und das aus den Unschuldsbeteuerungen anderer Psalmen bekannt ist (Ps 5,6; 7,10; 11,4 f; 17,3; 26,2), beginnt er auch in der Ersten Strophe (V. 1b–6) und nennt diese göttliche Erkenntnis „zu wunderbar“ // „zu hoch“, ja unfassbar (V. 6). Plastisch wird diese ambivalente Allgegenwart JHWHs auf die äußeren Bewegungen des Beters (in chiastischer Anordnung: Sitzen / Aufstehen V. 2a, Gehen / Sich Niederlegen V. 3a) und auf sein inneres Verhalten (Absicht V. 2b / „Wege“ = Lebenswandel V. 3b) bezogen, die damit eine immer bedrohlichere Färbung erhält. V. 5 zeichnet dann das Bild einer totalen Einschließung des Beters, die ihn jeder Fluchtmöglichkeit beraubt.83 Jetzt wird auch deutlich, welches Gefälle das göttliche „Erkennen“ (V. 1bff) für ihn hat. Am Ende bleibt ein großes Rätsel, das irritierend und schier unerträglich ist (V. 6).84 Die Zweite Strophe (V. 7–12) konkretisiert das Gefühl des Beters, der allumfassenden Erkenntnis JHWHs ausgesetzt zu sein, durch den Blick in die kosmische Weite der Welt mit ihrer vertikalen (Himmel / Unterwelt) und horizontalen Achse (Osten: Flügel der Morgenröte / Westen: Ende des Meeres, s. Abb. 8).85 Der Hossfeld / Zenger, aaO 721 (Hossfeld). Zu Ps 139 als Zeugnis für die Selbstthematisierung des Menschen coram Deo s. auch Frevel, aaO 35 ff. 80 S. dazu Köckert, aaO 424 f. 81 S. dazu unten 503 ff. 82 Hossfeld / Zenger, aaO 720 (Hossfeld), vgl. Köckert, aaO 425. 83 Zur Belagerungsmotivik von V. 5 s. Riede, Netz, 74 ff. 84 Vgl. Hartenstein, Horizont, 498 f. 85 Als Sachparallelen sind die Allformeln in Jes 7,11; Am 9,2–4; Hi 11,8 f u. a. zu vergleichen, s. dazu Groß, Gottesnähe, 80 f; Irsigler, Flucht, 222.223 f; Hartenstein, Horizont, 500 und Hakizimana, Mensch, 191 ff. Zu einem entsprechenden Passus im Amarnabrief EA 264 s. Q 149. 79
64 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Himmel
Tag/Licht
Ende des Meeres W
Beter Nacht/Finsternis
Flügel der Morgenröte O
Unterwelt/Tiefen der Erde
Abb. 8: Zur Raumsymbolik von Psalm 139
Kommentar V. 11 f zieht daraus einen Schluss, der die Kosmologie von Gen 1,3– 5 voraussetzt, diese aber überbietet: Der Schöpfer scheidet nicht nur zwischen Licht / Tag und Finsternis / Nacht, sondern die Finsternis ist für ihn „wie das Licht“ (V. 12). Diese alles durchdringende Lichthaftigkeit Gottes transzendiert die empirische Realität von Licht und Finsternis.86 Auf dem Hintergrund dieser kosmologischen Reflexionen gelangt der Beter in der Dritten Strophe (V. 13–18) zur Frage nach seiner Entstehung, der er bei allen Fluchtgedanken nicht mehr ausweichen kann. Nach dem Weg nach außen in die Weite des Kosmos wird jetzt der Weg nach innen zum Geheimnis der Geburt beschrieben. Dabei bezeichnet das Innere – dafür stehen die „Nieren“ (V. 13a) – dasjenige am Menschen, was neben dem „Herz“ (V. 23a) der Prüfung durch JHWH unterliegt (vgl. Ps 33,15).87 Der Mensch, so weiß der Beter, ist von Gott „geschaffen“ // „gewoben im Leib meiner Mutter“ (V. 13). Und dieses Wissen wird für ihn zum Gegenstand der rückblickenden Dankbarkeit (V. 14) für das Wunder der Geburt:
ich preise dich, dass ich erschreckend wunderbar bin,
wunderbar sind deine Werke Schöpfungstat JHWHs
und meine næpæš (= ich) weiß das wohl.
Dank des Beters
Wissen des Beters
V. 15 umschreibt das Geheimnis der Geburt mit singulären Ausdrücken, wobei der Terminus „Knochen, Gebein“ (῾osæm)88 den somatischen Aspekt der ˙ Person in den Vordergrund rückt und die Passivformulierung „ich wurde gemacht“ (V. 15a) die Schöpfungsaussagen von V. 13–14a aufnimmt. Die Angabe „im Verborgenen“ kann sich dabei auf die Erschaffung im Mutterschoß zurückbeziehen (V. 13b), aber auch auf V. 15b – „kunstvoll gewirkt in den Tiefen der
Irsigler, aaO 184 ff. Zur „Prüfung“ von Herz und Nieren durch JHWH s. unten 161 ff. 88 S. dazu Ges18, 1002 s. v. ῾osæm II. ˙ 86 Vgl. 87
§ 2 Biographische Aspekte 65
Erde“89 – vorausgreifen. Damit ist der Text bei dem Motivzusammenhang von Mutterleib und Erde, der auch in Hi 1,21 und Sir 40,1 anklingt und der die Besonderheit des göttlichen Zugriffs auf diesen „unzugänglichen ‚gottfernen‘ Bereich und damit das Geheimnisvolle der Entstehung des Menschen“90 betont. Diese Dimension bringt auch der Terminus „Ungeformtes“ (golæm V. 16a) zum Ausdruck,91 bei dem es nicht um Details der Menschwerdung, sondern um den Rückgriff auf deren zeitlichen Anfang geht. Interessanterweise wird die Aussage über das „Ungeformte“ durch den Gedanken der noch ungeformten Lebenstage fortgeführt, die im göttlichen Buch verzeichnet sind und das Leben des Menschen vorausbestimmen (V. 16b). Das aber heißt: Gott ist nicht nur der Schöpfer des menschlichen Lebens, sondern auch der Souverän der Zeit (vgl. Ps 90,2–4). Der Text stellt den Beter damit abermals vor das Wunder der kostbaren Absichten Gottes (V. 17 f) – und zwar des Gottes, vor dessen Geist und Angesicht er nicht fliehen kann (V. 7), sondern in dessen Nähe er noch immer ist (V. 18b) – jetzt aber, ohne vor ihr zu erschrecken.92 So verläuft der gedankliche Weg des Beters von innen wieder nach außen zur Gewissheit der dauernden Gottesgemeinschaft. Aber diese Gemeinschaft mit Gott ist, wie die Vierte Strophe (V. 19–24) unterstreicht, durch Frevler // Blutmänner gefährdet, wenn der Beter den rechten Weg verlässt, um mit ihnen gemeinsame Sache zu machen (V. 19–22). Das tut er aber nicht. Vielmehr bittet er trotz der in V. 1b–6 geschilderten negativen Gotteserfahrung um eine erneute Erforschung seines Herzens und seiner Gedanken sowie um eine dauerhafte, helfende Führung durch Gott (V. 23 f). Ps 139, so können wir resümieren, ist ein anthropologischer Spitzentext des Alten Testaments. Denn er zeigt nicht nur, dass und wie der Beter „von einer passiven, an Gott ausgelieferten Befindlichkeit zu einer selbstbestimmten Zustimmung zu Gottes Führung“93 kommt, sondern er beschreibt durch seine Erkundung des „inneren Menschen“ (Strophe 3) auch die Ich-Werdung des Menschen Zur Metaphorik des „Webens“ s. Grohmann, Fruchtbarkeit, 34; dies., Anfang, 368 f und öckert, aaO 433 f.435. Die Vorstellung, dass das Geschehen im Mutterleib etwas GeheimK nisvolles ist und mit einer Entstehung in den Erden-/Wassertiefen verbunden wird, ist sowohl in Ägypten (s. Q 14) als auch in Mesopotamien (s. Q 71) belegt. 90 Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 17 (Frevel), vgl. Häusl, Leib, 143 ff. Zu Hi 1,21 s. oben 47. 91 Zu golæm „Ungeformtes, Embryo“ s. Grohmann, Anfang, 368 f; Köckert, Ausgespäht, 438 f und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 49 f. 92 Die Aussage vom „Erwachen“ (qjs hif.) des Beters in V. 18b ist rätselhaft, s. dazu die Hinweise bei Hossfeld / Zenger, Psalmen ˙III (HThK.AT), 726 (Hossfeld) und Hakizimana, Mensch, 241 ff. Möglicherweise trifft die Vermutung von Hupfeld, Psalmen IV, 355 f zu, dass der Beter Tag und Nacht, also wachend und schlafend, mit den Gedanken Gottes beschäftigt ist, ohne sie je erfassen zu können, vgl. Köckert, aaO 422 Anm. 36; 433. Wichtig ist auf jeden Fall der Wechsel der Perspektive vom Du des erforschenden, allgegenwärtigen Gottes in V. 1b ff.7 ff zum Ich des Beters in V. 17 f, der sich der Nähe Gottes neu gewiss wird – ohne vor ihr wieder zu erschrecken. Diese neue Gewissheit entspricht dem positiven Duktus von V. 13–16. 93 Hossfeld / Zenger, aaO 731 (Hossfeld).
89
66 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
in seiner Beziehung zu Gott (V. 15 f). Diese Beziehung zu Gott – das entdeckt der Beter im Prozess seines Betens – besteht von Anfang an, d. h. pränatal (V. 13 f), und sie wird als eine bis ins Somatische reichende „fortschreitende Strukturierung und Festigung von etwas Ungeformtem“94 durch den Deus faber vorgestellt. So wird die Entstehung des menschlichen Lebens als ein mehrdimensionales Geschehen verstanden, das neben einer somatischen, einer personalen und einer sozialen vor allem eine schöpfungstheologische Dimension hat.95 Ein weiterer Text zur Vorstellung vom pränatalen Leben96 ist Hi 10,8–13, wobei der Anfang des Lebens hier weder auf die Mutter noch auf den Vater zurückgeführt wird, sondern auf Gott. Bemerkenswert ist darüber hinaus das Bemühen, die Entstehung des menschlichen Lebens gleichsam ‚naturwissenschaftlich‘ (Materialien Lehm, Milch, Käse, Haut, Fleisch, Knochen, Sehnen) zu erklären: 8 Deine Hände haben mich gebildet, und mich um und um zusammengefügt, doch jetzt hast du mich verschlungen. 9 Gedenk doch, dass du mich wie Lehm gemacht hast und mich zum Staub zurückkehren lässt. 10 Hast du mich nicht wie Milch ausgegossen und wie Käse mich gerinnen lassen? 11 (Mit) Haut und Fleisch hast du mich umkleidet, und mit Knochen und Sehnen mich durchflochten. 12 Leben und Gnade hast du mir gewährt, und durch deine Zuwendung meinen Geist bewahrt. 13 Das hast du in deinem Herzen verborgen, ich weiß, dass dir das im Sinn war.97 Auch für diesen Text ist der Zusammenhang von Lebensanfang und Gottesbezug/-erkenntnis charakteristisch. Der Ort dieser Erkenntnis ist nach Ps 139,14 die „Lebenskraft, Vitalität“ (næpæš) des Menschen, der um das Wunder seiner Erschaffung weiß und dafür dankbar ist. „Gotteserkenntnis“, so M. Grohmann, „ist also im menschlichen Körper verankert und hat einen direkten Bezug zur Erinnerung des Menschen an seine eigene Geburt“98. Eine dramatische Wendung nimmt der Zusammenhang von Lebensanfang und Gottesbezug dagegen in Hi 3. Mit diesem Monolog, der den Dialogteil des Hiobbuchs (Hi 3–31) eröffnet, stellt Hiob seine eigene Biographie in Form einer Klage in den HoriGrohmann, aaO 367, vgl. Frevel / Wischmeyer, aaO 18 (Frevel). Grohmann, aaO 365 ff. 96 S. dazu auch die Textzusammenstellung bei Keel / Schroer, Schöpfung, 154 ff. 97 Zu diesem Text und seiner singulären – bereits bei Aristoteles (s. Q 156) begegnenden – Käseallegorie s. Grohmann, Fruchtbarkeit, 40 f; dies., Anfang, 369 ff und besonders Frevel, Entstehung, 297 ff. Nach Frevel, aaO 304 werden in V. 10 zwei Phasen (Ausgießen der Milch als Besamung, Gerinnungsvorgang im Mutterleib) unterschieden: „Ijob 10 belegt dann die Vorstellung, dass das Sperma das Blut im Mutterleib zur Gerinnung bringt und daraus der Embryo entsteht.“ Zu einer ähnlichen Vorstellung in SapSal 7,1 ff s. Q 194. 98 Grohmann, Anfang, 371, vgl. Jer 1,5; Ps 119,73; Pred 11,5. 94
95 Vgl.
§ 2 Biographische Aspekte 67
zont des Schöpfung/Chaos- bzw. des Licht/Finsternis-Gegensatzes und entfaltet dies nach einer Redeeinleitung in drei Strophen (V. 3–10.11–19.20–26). In unserem Zusammenhang interessieren vor allem Strophe 1 mit ihrer Frage nach dem Tag der Geburt (V. 3–10) und Strophe 2 mit ihrer Frage nach dem Sinn der Fürsorge für Hiob (V. 11–19): 3 Es verschwinde der Tag, an dem ich geboren wurde, und die Nacht, die sprach: Ein Mann wurde empfangen! 4 Jener Tag werde Finsternis, nicht forsche Gott nach ihm von oben! Kein helles Licht strahle über ihm auf! 5 Finsternis fordere ihn ein und Schattendunkel, es lasse sich nieder auf ihm Gewölk! Es sollen ihn schrecken die Tagesverdüsterungen! 6 Jene Nacht – Dunkel nehme sie weg, sie reihe sich nicht ein in die Tage des Jahres! Zur Zahl der Monate komme sie nicht hinzu! 7 Jene Nacht da – sie versteinere! Kein Freudenlaut komme in ihr auf! 8 Verwünschen sollen sie die Tagverflucher, die bereit sind, den Leviathan zu reizen. 9 Es sollen finster werden die Sterne ihrer Dämmerung, sie hoffe auf Licht – doch nichts! Nicht soll sie sehen die Wimpern des Morgenrots! 10 Denn sie hat die Türen des Leibs meiner Mutter nicht verschlossen und die Mühsal nicht verborgen vor meinen Augen. (Hi 3,3–10)99 Im Unterscheid zu den traditionellen Klageliedern des Einzelnen bittet Hiob nicht um die Errettung aus seinem Leiden, sondern er verflucht den Tag seiner Geburt (V. 1.3) und bittet um eine regelrechte Umkehrung der Schöpfungsordnung, wie die Licht/Finsternisbzw. die Tag/Nacht-Metaphorik zeigt. Jene Nacht der Empfängnis, so resümiert V. 10, hat „die Türen meines Mutterleibs“ nicht verschlossen, so dass Hiob zur Welt gebracht wurde und sein Lebensweg begann. Auf geheimnisvolle Weise wird dieser „Öffnungsvorgang“ – wie auch sonst (vgl. Gen 30,22 bei der Geburt Josephs) – mit Gott in Beziehung gebracht, hier aber faktisch ins Gegenteil verkehrt, so dass der Vernichtungswunsch Hiobs in eine Anklage Gottes übergeht. Zusammen mit der zweiten und dritten Strophe von Hi 3 wird damit deutlich, dass Hiobs Problem nicht die Gottesferne, sondern die bedrängende Gottesnähe ist und der Todeswunsch an die Stelle der Bitte im traditionellen Klagelied des Einzelnen tritt. Der Tod wird hier regelrecht zur ‚Heimat‘ (s. Abb. 9), in der alle Lebensbeziehungen und vor allem die Gottesbeziehung aufhören. Bleiben wir, bevor wir zum Thema „Geburt“ zurückkehren, noch kurz bei Hi 3. Die Fragen in V. 11 f beschäftigen sich mit den Aspekten Geburt und Fürsorge: 11 Warum starb ich nicht vom Mutterschoß (meræhæm) weg, ˙ warum kam ich nicht aus dem Mutterleib (mibbætæn) und verschied? ˙ Ebach, Hiob I, 45, s. dazu auch Ha, Frage, 45 ff und van Oorschot, (Selbst-)Begrenzungen, 235 ff.
99 Übersetzung
68 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens V. 3–10 Geburt als Fluch
V. 11–19 Tod als ‚Heimat‘
V. 20–26 Leben als Leiden
Finsternis Freudlosigkeit Hoffnungslosigkeit Rücknahme des Lebens
Ruhe, Schlaf Gleichheit Freiheit Unabhängigkeit
Ruhelosigkeit Qual Freudlosigkeit Schrecken
negativ = Verfluchung der Geburt, um der Nähe Gottes zu entkommen
‚positiv‘ = Aufhören aller Lebensbeziehungen und und der Gottesbeziehung
negativ = Sinnlosigkeit des Lebens wegen bedrängender Gottesnähe
Abb. 9: Zum Todesbild von Hiob 3 12 Weshalb sind mir Knie entgegengekommen, und was sollten mir Brüste, dass ich saugte? 13 Ja, dann läge ich jetzt schon und wäre still, könnte schlafen und hätte meine Ruhe 14 mit Königen und Ratsherren des Landes, die sich Trümmer erbauten, 15 oder mit Beamten, die Gold hatten, die ihre Häuser mit Silber füllten! 16 Oder wie eine verscharrte Fehlgeburt existierte ich nicht, wie Kinder, die das Licht gar nicht sahen.100 In V. 12 ist von „Knien“ und „Brüsten“ die Rede. Beide bringen in der Regel das Geborgensein bei der Mutter zum Ausdruck;101 stattdessen werden sie hier als „Feinde“ betrachtet, denn „sie haben Hiob durch ihre Geborgenheit sein gegenwärtiges Leiden erleben lassen“102.
Wir sind damit bei der Frage nach den konkreten Vorstellungen des Geburtsvorgangs im alten Israel. Sozialgeschichtliche Fakten zur Abfolge von Zeugung / Empfängnis – Schwangerschaft – Geburt lassen sich aus den alttestamentlichen Texten nur indirekt erschließen, weil die Sprache der Geburtsberichte in Genealogien und Geburtserzählungen formelhaft und medizinisches Wissen im heutigen Sinn nicht zu erwarten ist. Dennoch erfahren wir einiges über das konkrete Geburtsgeschehen: „Erwähnt wird der Muttermund (2 Kön 19,3; Jes 37,3; Hos 13,13), auch die Nachgeburt (Dtn 28,56 f). Nach einer – in idealer Sicht – zehnmonatigen Schwangerschaft, während der die Kindsbewegungen das neue Leben ankündigen (Gen 25,22; Lk 1,141),
diesem Text s. Kunz-Lübcke, Leben, 252 ff. dazu Ha, aaO 76 Anm. 312: die Knie der Mutter, die Hiob bei der Geburt entgegenkommen, waren „die erste Hilfeleistung, die ihm bei seinem Eintritt in das Leben erwiesen worden ist. Hier spricht sich mit den symbolisierten Körperteilen (Knie und Brüste) mütterliches Hegen und Pflegen aus“. 102 Ders., aaO 76. 100 Zu 101 S.
§ 2 Biographische Aspekte 69
setzen die Wehen ein, die die Geburt einleiten (Jes 13,8; 21,3; 26,17; Jer 13,21; Mi 4,9; Joh 16,21; 1 Thess 5,3 u. a.) und konkret als ‚Zittern‘ bzw. ‚Beben der Hüften‘ (Jes 21,3; Nah 2,11) oder ‚Krämpfe‘ (Jes 13,8) beschrieben werden. Der Geburtsvorgang wird als kraftraubend (2 Kön 19,13; Jes 37,3), schwer (Gen 35,17) und schmerzvoll (Jes 66,7; Jer 22,23; Joh 16,21; Offb 12,2) wahrgenommen und oft sehr anschaulich beschrieben (z. B. ,stöhnen, hecheln, nach Luft schnappen‘ in Jes 42,14; ,sich winden‘ der Gebärenden in Jes 13,8; 26,17). Auch das eindrückliche ,Schreien‘ (Jer 4,31; Offb 12,2) oder gar ,Brüllen‘ (Mi 4,10) der (Erst-)Gebärenden ist in den sprichwörtlichen Sprachgebrauch eingegangen. In Gen 38,29 (Perez bedeutet Riss) könnte ein Hinweis auf den Dammriss bei schweren Geburten vorliegen.“103
In der Regel gebar die Frau mit der Hilfe von Nachbarinnen (1 Sam 4,20; Ruth 4,13–17) oder Hebammen, wahrscheinlich in Hockerstellung (s. Abb. 10). Nach der Abtrennung der Nabelschnur wurde das Neugeborene gewaschen, mit Salz eingerieben, in Tücher und Binden gewickelt und an die Brust der Mutter oder einer Amme gelegt (Ez 16,4; SapSal 7,4; Lk 2,7). Nach der Namengebung104 folgte für Jungen am 8. Tag die Beschneidung (Lev 12,13).105 Die Entwöhnung nach etwa drei Jahren schloss die eigentliche Zeit des Säuglings-/Kleinkind stadiums ab (Gen 21,8; 1 Sam 1,20–23; 2 Makk 7,28).106
Abb. 10: Tonfigur einer Gebärenden (Zypern, 5. Jh. v. Chr.)
Ein für das Geburtsthema zentraler Begriff ist jālad mit der Doppelbedeutung „zeugen, gebären“. Er begegnet vor allem in den Genealogien,107 aber auch in den
103 Schroer / Zimmermann,
Art. Geburt, 187 (H. v. m.). dazu unten 71 ff. 105 S. dazu Ruwe, Beschneidung, 73 ff. 106 S. dazu Pola, Lebensalter, 392 ff und ders., Kleinkind, 130 f. 107 S. dazu unten 134 f. 104 S.
70 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Erzelternerzählungen Gen 12–36 und in der Hebammen-Episode Ex 1,15–22,108 mit 12 verbalen und nominalen Belegen der Wurzel jld109 einer der zentralen Geburtstexte des Alten Testaments: 15 Und der König von Ägypten sprach zu den hebräischen Hebammen,110 von denen die eine Schifra und die andere Pua hieß, 16 und sagte: „Wenn ihr den Hebräerinnen bei der Geburt helft, dann seht auf die beiden Steine111: Wenn es ein Sohn ist, dann tötet ihn, wenn es aber eine Tochter ist, dann mag sie am Leben bleiben!“ 17 Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie ihnen der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die (männlichen) Neugeborenen am Leben. 18 Da rief der König von Ägypten die Hebammen und sagte zu ihnen: „Warum habt ihr dies getan und die (männlichen) Neugeborenen am Leben gelassen?“ 19 Da sprachen die Hebammen zum Pharao: „Ja, die Hebräerinnen sind nicht wie die ägyptischen Frauen, sondern sie sind lebenskräftig. Bevor die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie (schon) geboren.“ 20 Und Gott tat den Hebammen Gutes, und das Volk wurde zahlreich und sehr stark. 21 Weil aber die Hebammen Gott fürchteten, schuf er ihnen Nachkommen. 22 Da gebot der Pharao seinem ganzen Volk: „Jeden Sohn, der geboren wird, werft in den Nil, jede Tochter aber könnt ihr am Leben lassen!“
Auch dieser Text belegt den konstitutiven Zusammenhang von Geburt und Religion. Nach Ps 22,10 f übernimmt JHWH sogar die Aufgaben einer Hebamme,112 indem er das Kind aus dem Leib der Mutter herauszieht und an ihre Brust legt: 10 Ja, du bist es, der mich herauszog aus dem Mutterleib, der mir Vertrauen einflößte an den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Leib meiner Mutter an bist du mein Gott.
Ex 1,15–22 s. Albertz, Exodus I (ZBK.AT), 48 ff und Utzschneider / Oswald, Exodus I ( IEKAT), 78 ff. 109 jld qal „zeugen, gebären“, jld pi. „gebären helfen / lassen“, mejallædæt „Hebamme“ und jælæd „Kind“. Mit dem Alten Orient und Ägypten teilt das Alte Testament die Überzeugung, dass die Hebammen eine intensive Gottesbeziehung haben (vgl. Ex 1,20 f), weil sie beruflich mit dem werdenden Leben und dessen Gefährdungen (Fehlgeburt u. a.) zu tun haben, s. dazu Grohmann, Anfang, 380 ff.386 ff. 110 Oder mit LXX: „Hebammen der Hebräerinnen“, s. dazu Albertz, aaO 49 f. 111 D. h.: entweder auf die Genitalien der männlichen Neugeborenen (so Utzschneider / Oswald, aaO 78, vgl. Dohmen, Exodus I [HThK.AT], 85.88) oder auf die beiden Gebärsteine, auf die sich die Gebärende setzte (so Albertz, aaO 50), s. dazu auch die Diskussion bei Schmidt, Exodus I (BK), 5 f; Kunz-Lübcke, Kind, 44 f und Feucht, Weg, 46 f. Zur Geburt auf den Knien (Gen 30,3; 50,23) s. Zwickel, Frauenalltag, 56. 112 Auch in Mesopotamien treten Gottheiten als Hebammen auf, z. B. Asalluhi, der Sohn des Enki, in einer Geburtsbeschwörung (Q 75) oder Bēlet-īli, die „Hebamme ˘der Götter“, im Atram-hasīs-Epos I (Q 71), s. dazu Bester, Körperbilder, 136 ff. ˘ 108 Zu
§ 2 Biographische Aspekte 71
Das Kind, das aus dem Mutterleib kommt, wird von Gott „wie von einer Hebamme in Empfang genommen, wenn es aus dem Mutterleib hinausgeworfen wird. Die Gottesbeziehung ist auch hier im menschlichen Körper verankert: btn (Bauch / Mutterleib), rhm (Gebärmutter / Mutterschoß) und šdjm (Brust). ˙ ˙ spiegelt Erfahrungen einer Ps 22,10–11 Hebamme wider. Sie zieht (ghh q.) den Men˙ schen aus dem Mutterleib, das Kind ist auf sie geworfen (šlk ho.)“113.
Wie Ps 22,10 f; 71,5 f; 139,13–18 und andere Texte zeigen, werden die existentiellen Erfahrungen rund um die Geburt zum „Bildspender für religiöse Lebensdeutung“114. Denn durch die Geburt wird der Einzelne nicht nur in die Eltern-, sondern auch in die Gottesbeziehung hineingeboren, wodurch ein lebenslanges Vertrauensverhältnis begründet und in der persönlichen Gottesbezeichnung „Gott meines Vaters“ (Gen 31,5.42.49; 49,25; 50,17 u. ö.) oder „mein Gott“ wachgehalten wird: „Der alttestamentliche Mensch versteht sich von Geburt an und sogar pränatal in Beziehung zu Gott. Die Entstehung des Menschen im Mutterleib, die Geburt und die weitere Entwicklung sind ein von Gott begleiteter Vorgang. Göttliches und menschliches Handeln gehen ineinander über. Das betende Ich holt die eigene Geburt in die Lebensgeschichte, macht sie zum Bild für sein Verhältnis zu Gott. Geborgensein im Mutterleib und Bewahrung bei der Geburt dienen als Bilder für das Vertrauen zu Gott.“115
Diese für das Symbolsystem der Familienreligion116 charakteristische Intimität zwischen Gott und Mensch ist nicht nur für die Herausbildung der individuellen und sozialen Identität konstitutiv und deshalb anthropologisch relevant,117 sie spielt auch bei der Namengebung eine wichtige Rolle. β) Der Akt der Namengebung Altes Testament: Albertz, Frömmigkeit, 49 ff ◆ Ders. / Schmitt, Family, 245 ff.534 ff ◆ Bridge,
Mother’s Influence, 389 ff ◆ Bührer, „Namen“, 481 ff ◆ Janowski, Persönlichkeitszeichen, 318 ff ◆ Kunz-Lübcke, Kind, 71 ff ◆ Neumann, Art. Name, 347 ff ◆ Rechenmacher, Theologie, 151 ff ◆ Ders., Personennamen ◆ Reiterer / Fabry, Art. šēm, 122 ff ◆ Schellenberg, Gen 2,19 f, 291 ff ◆ Schroer / Zimmermann, Art. Namen, 416 ff ◆ Stamm, Namenkunde ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 400 ff – Antike Religionen: Hilgert, ,Menschen-Bilder‘, 105 ff ◆ Kraus, Lebensgefühl, 127 ff ◆ Radner, Macht ◆ Steinert, Person, 80 ff.
Nach der biologischen Geburt als dem Grunddatum der menschlichen Existenz ist die Namengebung die erste Stufe der Individuation, d. h. der ,sozialen GeaaO 381, s. dazu dies., Fruchtbarkeit, 50 ff; Bester, aaO 58 f.77 f.131 ff und Schroer, Bilder (II), 127 ff. 114 Schroer / Zimmermann, Art. Geburt, 189. 115 Grohmann, Anfang, 381 f, vgl. Meyers, Archäologie, 107. 116 Zur Familienreligion und ihrer Geschichte s. Albertz, Religionsgeschichte, 52 f.58 ff.143 ff. 291 ff.327 ff u. ö.; Kessler, 183 ff und unten 75.124 f. 117 S. dazu Grund, „Gott“, 99 ff. 113 Grohmann,
72 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
burt‘. Für Jungen kam mit der Beschneidung am 8. Tag (Lev 12,13) die zweite Stufe hinzu.118 In vormodernen Kulturen wie Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien oder dem alten Israel war der Name nicht „Schall und Rauch“ (Goethe, Faust I, 3457), sondern ein Persönlichkeitszeichen oder identity marker, das / der das soziale Ansehen und den Nachruhm („Gedächtnis“) einer Person in der Welt der Lebenden zum Ausdruck bringt.119 In Ps 41,5–11 beklagt der kranke Beter nicht nur, wie seine Feinde ihm den physischen Tod wünschen, sondern auch, dass sie diese damnatio vitae noch durch den Wunsch steigern, sein Name möge aus dem sozialen Gedächtnis der Gemeinschaft getilgt werden (damnatio memoriae). Der Name meint in diesem Zusammenhang „die Person selbst und gehört damit zu den anthropologischen Termini“120: Meine Feinde reden Böses über mich: „Wann stirbt er und vergeht sein Name (šem)?“ (V. 6)121
Umgekehrt besaßen der Name und das Gedenken an ihn die Kraft, dem menschlichen Leben Dauer über den Tod hinaus zu verleihen: Das Gedenken (zekær) an den Gerechten bleibt in Segen, aber der Name (šem) der Frevler vermodert. (Spr 10,7)122
Die Namengebung ist ein im eigentlichen Sinn kreativer Akt. So folgt im priesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) auf den Bericht von der Erschaffung der ersten Schöpfungswerke in V. 5. 8. 10 jeweils die Notiz, dass Gott die Schöpfungswerke benannte, z. B.: 3 4 5 118 S.
Da sprach Gott: „Es werde Licht“, und es wurde Licht. Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis. Und Gott nannte (qr᾽) das Licht Tag, die Finsternis aber nannte er (qr᾽) Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag. (Gen 1,3–5)
dazu oben 69. dazu Janowski, Persönlichkeitszeichen, 328 ff und Bührer, „Namen“, 481 ff. Zum Fortleben des Namens in Mesopotamien s. Radner, Macht, 1: „… während der Geist im Jenseits – der Unterwelt, dem ,Land ohne Wiederkehr‘ – sein Dasein fristet, bindet der Name das Individuum auch nach dem Tode weiterhin an das Diesseits. Um diese Form des Weiterlebens zu gewährleisten, muß der Name so gut wie möglich – mündlich wie auch schriftlich – verankert werden; der Bewahrung des Namens kommt deshalb weit über die Rolle als Gliederungselement von Erinnerung hinaus die Funktion zu, seinen Träger am Leben zu erhalten“, vgl. aaO 15 f. 120 Reiterer / Fabry, Art. šem, 164, vgl. Bührer, aaO 488 f. 121 S. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 188 und für Mesopotamien Radner, aaO 15 f.70.252 ff. 122 Vgl. Dtn 25,6 f; Ruth 4,5.10; Ps 112,6 und die Hinweise bei Meinhold, „Ewigkeits“-Perspektive, 26 Anm. 37 und ausführlich Bührer, aaO 481 ff. 119 S.
§ 2 Biographische Aspekte 73
Auch die ersten Zeilen des mesopotamischen Weltschöpfungsepos Enūma eliš „Als oben“ verdeutlichen diesen Zusammenhang von physischer Existenz und Namengebung, aber gleichsam via negativa (s. Q 111). Die anthropologische Seite der Namengebung tritt im Alten Testament zum ersten Mal in Gen 2,19 f in Erscheinung, wo dem ersterschaffenen Menschen die Aufgabe zukommt, die Tiere zu benennen: 19 Da formte JHWH Elohim aus dem Ackerboden jegliches Getier des Feldes und alle Vögel des Himmels, und er brachte (sie) zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde, und alles, was ihnen der Mensch – ein lebendiges Wesen123 – zurief, das wurde ihr Name. 20 Da gab der Mensch Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes, aber für den Menschen fand sich keine Hilfe, die ihm entspricht. (Gen 2,18–20)124
Die Namengebung ist zum einen ein Herrschaftsakt, durch den die Tiere ihrem jeweiligen Lebensbereich – die Vögel dem Himmel und die Landtiere der Erde – zugeordnet werden.125 Zum anderen ist sie ein Sprachakt, „die das Begegnende in seiner Eigen-Art erkennt, der humanen Existenz ,assimiliert‘ und dann wiedergibt“126. In der Benennung der Tiere vollzieht sich mithin so etwas wie die „symbolische Eroberung der Welt“127, indem der Mensch die nichtmenschlichen Geschöpfe in die nach Lebensräumen gegliederte Welt ,einfügt‘ und sich damit zu ihnen verhalten kann. Etwas Ähnliches geschieht auch in der Namengebung eines Kindes, das damit zu einer sozialen Person, der ersterschaffenen Frau, die zur Partnerin des Mannes (Gen 2,23), oder eines Ortes, der zu einer (heils-)geschichtlich bedeutsamen Stätte (Gen 28,19) wird.128 Die Benennung des Kindes schließt den Vorgang der Geburt ab, was in der Erzählüberlieferung auch häufig belegt ist (vgl. Gen 16,15 f; 21,1 ff; 35,16 ff u. ö.). Dabei wurde dem Neugeborenen in der Regel von der Mutter ein Name gegeben (vgl. 1 Sam 1,19 f; Lk 1,59 f u. ö.),129 aber auch die Benennung durch den Vater ist belegt:
Bührer, Anfang, 222 ff ist dieser Satzteil am ehesten als Randglosse zu verstehen. Anders Schellenberg, Gen 2,19 f, 298 ff. 124 S. dazu auch Gertz, Gen 1–11 (ATD), 122 f. Zur „Hilfe“, die dem Menschen entspricht, s. unten 104 ff. 125 Deshalb handelt es sich auch nicht um Eigen-, sondern um Gattungsnamen, vgl. Schellenberg, aaO 304 f. 126 Müller, Elemente, 29. 127 Link, Mensch, 23. 128 Vgl. Schroer / Zimmermann, Art. Namen, 417. 129 S. dazu Kessler, Benennung, 113 ff und Bridge, Mother’s Influence, 389 ff. 123 Nach
74 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens 15 Und Hagar gebar dem Abram einen Sohn; und Abram gab seinem Sohn, den Hagar geboren hatte, den Namen Ismael. 16 Und Abram war 86 Jahre alt, als Hagar dem Abram Ismael gebar. (Gen 16,15 f)
Unter den etwa 1.400 Personennamen des Alten Testaments (darunter etwa 135 Frauennamen)130 waren Tier- und Pflanzennamen, Satznamen, theophore Elemente sowie Namen beliebt, die eine bestimmte Bedeutung für die Eltern haben: – Tiernamen 74 Tierbezeichnungen als Personennamen, z. B. Debora („Biene“), Hulda („Maulwurf “), Jona („Taube“), Rachel („Mutterschaf “) u. a. – Pflanzennamen 14 Pflanzenbezeichnungen als Personenamen: z. B. Tamar („Dattelpalme“) u. a. – Satznamen Michael (mîkā᾽el „wer ist wie Gott?“), Elia (᾽elijjāh „mein Gott ist Jah“), Jonathan (jehonātan „JHWH hat gegeben“) u. a. – Theophore Elemente jāhu (Kurzform für JHWH), ba῾al / bel (Herr) u. a. – Bedeutung für die Eltern jedidāh („Liebling), re᾽uben („seht, ein Sohn!“) u. a.
Nehmen wir das Beispiel der Tiernamen. Wo man über den Fleiß der Ameise (Spr 6,6; 30,24 ff), den Ordnungssinn des Storches (Jer 8,7) oder den ,Durchblick‘ der Eselin (Num 22,22 ff) staunt, und sich an der Eigenart der Tiere wie z. B. dem Steinbock (jā῾el, s. Abb. 11) erfreut, „fehlt es nicht an Verbundenheit. Eltern stellten bei ihren Kindern Eigenheiten fest, die sie an bestimmten Tiere bewunderten, oder wünschten ihrem Kind solche Fähigkeit. So scheinen Klugheit, Flinkheit, Kraft, soziale Integration und ähnliches begehrte Eigenschaften gewesen zu sein“131.
Abb. 11: Judäisches Stempelsiegel (8./7. Jh. v. Chr.)
Meyers, Archäologie, 65, anders Stamm, Namenkunde, 105 (etwa 90 Frauennamen), s. dazu den Katalog bei Albertz / Schmitt, Family, 534 ff. 131 Keel / Staubli, „Flügel“, 27, s. dazu umfassend Riede, Spiegel, 165 ff. Während bestimmte Tierbezeichnungen bei uns häufig als Schimpfwörter herhalten müssen („Kuh“, „Ochse“, „Esel“ u. a.), ist das im Alten Testament anders, s. dazu Riede, aaO 102. 130 So
§ 2 Biographische Aspekte 75
Das zweite Beispiel sind Satznamen und Namen, die eine bestimmte Bedeutung für die Eltern haben und Ausdruck der Familienreligion sind. Das wird deutlich, wenn man nach dem Vorgang fragt, zu dem die Namengebung gehört. Einerseits schließt sie das Ereignis der Geburt ab und gibt der Freude darüber Ausdruck (vgl. Danknamen wie Ismael oder Samuel). Andererseits bedeutet jede Geburt eine Gefährdung der Frau und damit der gesamten Familie und Sippe. In Gen 35,16–20 wird berichtet, dass Rahel bei einer schweren Geburt stirbt und wie sich dieses Schicksal in der Namengebung spiegelt: 16 Und sie brachen auf von Bethel, und als noch eine Landspanne, um nach Ephrata zu gehen, war, gebar Rahel; und sie hatte es schwer beim Gebären. 17 Und als es ihr schwer wurde beim Gebären, sagte die Hebamme zu ihr: „Fürchte dich nicht, denn auch dieser wird dir ein Sohn!“ 18 Und als ihr Leben sie verließ, denn sie starb, nannte sie seinen Namen Ben-Oni („Sohn meiner Trauer“), sein Vater aber nannte ihn Benjamin („Sohn zur Rechten“). 19 Und Rahel starb und wurde begraben am Weg nach Ephrata, das ist Bethlehem. 20 Und Jakob errichtete seine Massebe auf ihrem Grab, das ist die Massebe des Rahelgrabes bis heute.
Das ist ein gutes Beispiel aus einer Fülle von Personennamen, die einen Einblick in die persönliche Frömmigkeit der altisraelitischen Familie132 geben. Besonders aufschlussreich dafür sind die theophoren Nominal- und Verbalsatznamen. Der größte Teil der hebräischen Personennamen ist satzhaft gebaut, und zwar mit göttlichem Subjekt. Dabei gilt: während in der frühen Königszeit das theophore Element ᾽el „Gott“ – ferner auch ᾽āb „Vater“, ᾽ādôn „Herr“, ᾽āh „Bruder“, ba῾al ˙ „Herr“, mælæk „König“ u. a. – vorherrscht, wird es im Lauf der Königszeit immer mehr zurückgedrängt. Das könnte ein Hinweis darauf sein, „dass der Nationalgott Jahwe erst allmählich auch im Bereich der familiären Frömmigkeit dominierend wird“133. Im Blick auf die Verbalsatznamen kann man mit H. Rechenmacher134 sechs Gruppen unterscheiden, bei denen zum göttlichen Subjekt jeweils ein Verb hinzugefügt wird, das eine Qualität, ein Ergehen, eine Bewegung, ein Tun, ein Geben oder ein Setzen JHWHs bezeichnet:
Verbalsatznamen
Aussagetyp
JHWH hat sich als gut erwiesen JHWH ist aufgestrahlt JHWH ist gekommen (wohin/-her)
Qualität Ergehen Bewegung
dazu Albertz, Frömmigkeit, 49 ff; ders., Religionsgeschichte, 14 ff; ders. / Schmitt, aaO 245 ff; Norin, Onomastik, 161 ff u. a. Zur Familie s. unten 120 ff. 133 Rechenmacher, Theologie, 153. 134 S. dazu ders., aaO 156 ff. 132 S.
76 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Verbalsatznamen
Aussagetyp
JHWH hat beschützt (wen?) JHWH hat gegeben (was / wem?) JHWH hat befreit (wen / woraus?)
Tun Geben Setzen
Interessant ist die vierte Gruppe „JHWH hat beschützt“, die sich mittels verschiedener Objekte in Subklassen untergliedern lässt:135
Name
Objekt
Beraja Petachja Schemaja Schelemja Asarja Seraja
Kind Mutterschoß Klage Verstorbener Familie unbestimmt
„geschaffen hat JHWH“ „geöffnet hat JHWH“ „gehört hat JHWH“ „ersetzt hat JHWH“ „geholfen hat JHWH“ „geherrscht hat JHWH“
Auch hier ergeben sich weitere Subklassen, wenn man das Wortfeld „Hilfe“ durch die Motive der Bewahrung, des Recht-Verschaffens, des Heilens und des Segnens aufgliedert, die wohl allesamt in den Kontext der Geburt gehören:136
Wortfeld „Hilfe“ Schemarja Asarja Schefatja Refaja Chenanja Berachja
„bewahrt hat JHWH“ „geholfen hat JHWH“ „Recht verschafft hat JHWH“ „geheilt hat JHWH“ „erbarmt hat sich JHWH“ „gesegnet hat JHWH“
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in der Namengebung das familiäre Interesse mit seinen spezifischen Aspekten der Weitergabe des Lebens und seiner Bewahrung im Vordergrund steht, während die großen Themen der Theologie wie Exodus, Sinai, Landnahme und Tempel fehlen. Mit dem Namen ist ein weiterer Aspekt verbunden, der über das diesseitige Leben hinausweist und seine Präsenz im kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaft betrifft. Deshalb war die damnatio memoriae, also das „Vergehen des Namens mit dem Tod … die größte Sorge eines Menschen im alten Israel (Ps 41,6)“137. Wie hat man dieser Sorge gewehrt, und wie spricht das Alte Testament über das Ende des Lebens?
dazu ders., aaO 157. Zum Thema „Gottes Beistand“ s. Renz, Jahwe, 338 ff. dazu Rechenmacher, aaO 158. 137 Schroer / Zimmermann, Art. Namen, 418, vgl. Bührer, „Namen“, 488 f. Zur Klage Ps 41,5–11 s. unten 186 ff. 135 S. 136 S.
§ 2 Biographische Aspekte 77
2. Das Ende des Lebens a) Bilder von Alter und Tod Altes Testament: Dietrich / Vollenweider, Art. Tod, 160 ff ◆ Ernst, Segen ◆ Fischer, Tod, 157 ff ◆
Frevel, Art. Alter / Jugend, 81 ff ◆ Ders., Alter, 327 ff ◆ Gerber / Vieweger, Art. Alter, 8 ff ◆ Liess, Sättigung, 329 ff ◆ Dies., „Glanz“, 453 ff ◆ Meinhold, Bewertung, 103 f ◆ Neumann-Gorsolke, „Alt“, 111 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 531 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 183 ff.187 ff. – Antike Religionen: Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 2, 52 ff ◆ Maul, Alter, 23 ff ◆ Wagner-Hasel, Alter.
Menschliches Leben steht immer im Zeichen der Vergänglichkeit. Wenn das Alter kommt, stellen sich in der Regel körperliche Beschwerden und soziale Minderungen ein, die das Leben empfindlich einschränken können. Die Haare werden grau oder weiß, die Zähne fallen aus und die Haut wird faltig. Ganz zu schweigen vom Nachlassen der kognitiven und alltagspraktischen Fähigkeiten. Davon weiß auch das Alte Testament.138 Einer seiner eindrücklichsten Alterstexte ist das Schlussgedicht des Koheletbuchs (Pred 11,9–12,8), dessen Lebens- und Todesbilder ebenso realistisch wie poetisch sind. α) Reflexionen über das Lebensende Pred 11,9–12,8 gliedert sich in einen Aufruf zur Freude (11,9 f) und zum Gedenken an den Schöpfer angesichts von Alter und Tod (12,1–7) und wird in 12,8 mit der Windhauchaussage abgeschlossen, die eine Inclusio mit 1,2 bildet: Aufruf zur Freude 9 Freue dich, junger Mann, in deiner Jugend, und dein Herz erfreue dich in deinen Jugendtagen! Geh deinen Weg mit Verstand und offenen Augen und wisse, dass für all dies der Gott mit dir ins Gericht gehen wird. 10 Lass dein Herz frei sein von Verdruss, und halte deinem Leib das Übel fern, denn Jugend und schwarzes Haar sind flüchtig.
Aufruf zum Gedenken an den Schöpfer 1
Denk an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugend, ehe die Tage des Übels kommen, und die Jahre dich erreichen, von denen du sagst: Ich mag sie nicht!
den typischen Altersmerkmalen/-beschwerden s. Meinhold, Bewertung, 99 ff; Liess, „Glanz“, 453 f, für einen einschlägigen Text aus der Umwelt Israels s. die Lehre des Ptahhotep (Q 16); zur Ikonographie des Alters s. Q 160. Zur Lebenserwartung s. unten 108 f.
138 Zu
78 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Alter und Tod 2 3 4 5
Ehe sich die Sonne verfinstert und das Licht und der Mond und die Sterne, und die Wolken nach dem Regen wieder aufziehen: Am Tage, da die Wächter des Hauses zittern, und die starken Männer sich krümmen, die Müllerinnen ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige geworden sind, und es dunkel wird bei denen, die durch die Fenster schauen, die Türen zur Straße verschlossen werden, das Geräusch der Mühle verstummt, und man aufsteht beim Zwitschern der Vögel, doch die Töne des Liedes verklingen; selbst vor der Anhöhe fürchtet man sich, und vor dem Schrecken am Weg; und der Mandelbaum blüht, die Heuschrecke schleppt sich dahin, die Kaper platzt, doch ein Mensch geht zu seinem ewigen Haus, und die Trauernden ziehen durch die Straßen;
Naturbilder (Meteorologie): Verfinsterung Regen / Wolken Körperbilder: Arme / Hände, Beine Zähne Augen Ohren Stimme / Zunge? Vergänglichkeitsbilder: Beginn (Aufstehen) Fortdauer (Unterwegssein) Naturbilder (Jahreszeiten): Frühjahr bis Spätsommer Ende (,Heimgang‘: Grab)
Deutungen des Todes
Todesbilder:
6 7 8
silberne Schnur // goldene Schale irdener Krug // hölzernes Schöpfrad Deutung: Rückkehr zur Erde, Rückkehr zu Gott
ehe die silberne Schnur zerreißt, die goldene Schale zerbricht, der Krug an der Quelle zerschmettert wird, und das Schöpfrad zerbrochen in die Grube fällt, der Staub zur Erde zurückkehrt als das, was er war, und der Atem-Geist zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat. Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, das ist alles Windhauch.139
Strukturbildend bei diesem Text ist die Antithese von „Jugend“ und „Alter“ sowie der Aufruf, schon in Jugendtagen an seinen Schöpfer zu denken (V. 1) – und zwar „ehe“ (V. 1.2.6) der Tod das Leben beendet. Signifikant ist überdies seine Metaphorik, wie nicht nur die Naturbilder von V. 2.5a, sondern auch die oikomorphen Körperbilder von V. 3–4a zeigen, wonach der menschliche Leib ein Haus mit „Wächtern“ (= Arme / Hände), „starken Männern“ (= Beine), „Müllerinnen“ (= Zähne), „Fenstern“ (= Augen), „Türen“ (= Ohren) und dem „Geräusch der
Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 521 f, s. zur Auslegung ders., aaO 526 ff, ferner Krüger, Kohelet (BK), 346 ff; Hieke, Gedicht, 176 ff; Irsigler, „Schöpfer“, 297 ff und Köhlmoos, Kohelet (ATD), 236 ff.
139 Übersetzung
§ 2 Biographische Aspekte 79
Mühle“ (= Stimme, Zunge?) ist.140 In V. 6 werden darüber hinaus zwei Bilder des zerbrechenden Lebens vor Augen gestellt – zerreißende Silberschnur // zerbrechende Goldschale (V. 6a) und zerschmetterter Krug // zerbrechendes Schöpfrad (V. 6b) –, die Sterben und Tod als „definitiven Abriss des Menschenlebens“141 zeichnen. Mit einer Anspielung auf Gen 2,7 und 3,19 und der Verheißung einer Rückkehr des „Atems“ zu Gott schließt der Text (V. 7). Analog zu Gen 2,7 (Erschaffung des Menschen durch göttliche Formung und Belebung)142 sowie zu Gen 3,19a und Ps 104,29 (Wegnahme des Atems und Rückkehr des Menschen zum Staub) vollzieht sich nach Pred 12,7 auch das Sterben des Menschen als doppelter Vorgang, nämlich als Rückkehr der „Erdkrume“ (῾āpār) zur Erde „als das, was sie war“ (V. 7a, vgl. Gen 3,19a; Ps 104,29), und als Rückkehr des „Atems“ (rûah) zu Gott, „der ihn gegeben ˙ hat“ (V. 7b, vgl. Gen 2,7). Von einer Dissoziation von Leib und „Seele“, wie O. Loretz behauptet hat, ist dabei keine Rede:143 … da formte JHWH Elohim den Menschen aus Staub / Erdkrume vom Ackerboden (῾āpār min-hā᾽adāmāh), und blies in seine Nase den Hauch des Lebens (nišmat hajjim). ˙ Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen (næpæš hajjāh). (Gen 2,7) ˙ Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden (᾽adāmāh), von dem du genommen bist, denn Staub (῾āpār) bist du, und zum Staub (῾āpār) wirst du zurückkehren. (Gen 3,19)144 Verbirgst du dein Gesicht, so erschrecken sie, nimmst du ihren Atem (rûah) weg, so verscheiden sie ˙ [und kehren zurück zu ihrem Staub ← Gen 3,19a]. (Ps 104,29)145 … (ehe) der Staub (῾āpār) auf die Erde zurückkehrt als das, was er war, und der Atem-Geist (rûah) zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat. (Pred 12,7) ˙
Der in Gen 2,7 und Pred 12,7 geschilderte Vorgang der Erschaffung und des Sterbens des Menschen lässt sich demnach folgendermaßen skizzieren:
140 Zu vergleichen ist das mesopotamische Konzept des „oikomorphen Menschen“, wonach der
menschliche Körper als „Haus“ erscheint, in dem numinose Mächte (Gottheiten, Dämonen) ein- und ausgehen können, s. dazu Zgoll, Mensch, 83 ff. 141 Irsigler, aaO 330. 142 S. dazu oben 50 ff. 143 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, aaO 537 f, Hieke, aaO 186 f und Irsigler, aaO 329 ff. Zur These von Loretz s. oben 52 ff. 144 S. dazu Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 144 f (dort auch zum Fortschreibungscharakter von V. 19b). 145 S. dazu oben 52.
80 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Gen 2,7 Formung aus „Staub vom Ackerboden“ + Belebung durch „Hauch des Lebens“
Pred 12,7 Mensch als lebendige næpæš
Rückkehr des ‘āpār zur Erde Rückkehr der rûah. zu Gott
Die an diesen Stellen mit geringfügigen Abweichungen in der Wortwahl vertretene Anthropologie widerspricht nicht den Ausführungen Kohelets über das Todesschicksal der Menschen und Tiere in Pred 3,20 f. Denn gegen den von einigen Kontrahenten behaupteten Unterschied von Mensch und Tier bezüglich des Sterbens argumentiert er, dass Gott den Lebensatem aller Lebewesen einsammelt und diese zu ein und demselben Ort, nämlich zum „Staub“, zurückkehren: 20 Beide (sc. Menschen und Vieh) gehen zu demselben Ort, beide sind aus Staub (῾āpār), und beide kehren zum Staub (῾āpār) zurück. 21 Wer weiß, ob der Atem (rûah) der Menschen nach oben in die Höhe steigt ˙ und der Atem (rûah) der Tiere nach unten in die Erde steigt?146 ˙ So verlässt der Mensch am Ende seines Lebens sein vergängliches Haus, d. h. seinen hinfälligen Leib (Pred 12,3–4a), und geht zu seinem „ewigen Haus“, d. h. zu seinem Grab (V. 5). Obwohl Pred 12,7 weder von Auferstehung noch von Unsterblichkeit spricht, gibt Kohelet hier der Gewissheit Ausdruck, dass das Leben bzw. ein Teil des Menschen (sein „AtemGeist“) „nur in der Gemeinschaft mit Gott als bleibendes/r gedacht und erfahren werden kann“147.
Innerhalb der biblischen Anthropologie ist die Stimme Kohelets eine ganz besondere. Das gilt auch für Ps 71,148 der in V. 17–21 der Hoffnung auf Gottes Gegenwart von der Jugend bis ins Alter (V. 17 f) Ausdruck verleiht: 17 Gott, du hast mich gelehrt von meiner Jugend an, und bis hierher verkündige ich deine Wundertaten. 18 Und auch bis zum Alter und zum grauen Haar, Gott, verlass mich nicht, bis ich verkündige deine Macht der Generation, jedem, der kommen wird, deine Macht 19 und deine Gerechtigkeit, Gott, bis zur Höhe, der du Großes getan hast – Gott, wer ist wie du? Verständnis dieses Textes, der offenbar in Sir 40,11 (s. Q 196) rezipiert wird, s. Delkurt, Tod, 95 ff und Irsigler, aaO 322 mit Anm. 74–75. Griech.-röm. Parallelen zu Pred 3,21 hat Müller, Sterblichkeit, 85 ff zusammengestellt; als Beispiel s. Q 158. 147 Schwienhorst-Schönberger, aaO 538, vgl. Köhlmoos, aaO 246. Zum schöpfungstheologischen Gottesbild Kohelets s. Leuenberger, Gottesvorstellung, 224 ff. 148 S. dazu Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 289 ff (Hossfeld); Ernst, Segen, 172 ff und Liess, Jung, 145 ff. 146 Zum
§ 2 Biographische Aspekte 81
20 Der du uns hast sehen lassen viele und böse Nöte, du wirst uns wieder beleben, und aus den Meeresfluten der Erde wirst du mich heraufführen. 21 Du wirst meine Größe vermehren und du wirst dich wenden, du wirst mich trösten.
Die Bitte dieses Beters bezieht sich nicht auf die letzte Lebensphase allein, sondern das Alter gilt „als obere Grenze für die Dauer der Bitte“149. Während Ps 71,9 („Verwirf mich nicht zur Zeit meines Alters, beim Schwinden meiner Kraft verlass mich nicht“) das Alter als eine Zeit der körperlichen Schwäche kennzeichnet, wird damit keine generelle Aussage über diesen letzten Lebensabschnitt gemacht.150 Das ist anders in 2 Sam 19,*32–41,151 wo der 80jährige Barsillai, der David auf seiner Flucht versorgt hatte und zum Dank mit ihm nach Jerusalem ziehen soll, diesem seine persönliche Lage darlegt. Dabei spricht er seine verbleibende Lebenszeit, seine Altersbeschwerden,152 die Zumutung seiner Situation für David, sein Sterben und seine Nachfolge an: 35 Und Barsillai sagte zum König: „Wie viel Zeit an Lebensjahren (wird es noch geben), dass ich hinaufgehe mit dem König nach Jerusalem? 36 Achtzig Jahre bin ich heute. Werde ich unterscheiden zwischen Gut und Böse, oder wird dein Knecht schmecken, was ich essen und was ich trinken werde? Oder werde ich noch die Stimme der Sänger und Sängerinnen hören? Und wozu wird dein Knecht noch zur Last auf meinem Herrn, dem König werden? 37 Ein klein wenig zieht dein Knecht über den Jordan mit meinem Herrn, dem König, aber wozu wird der König mir eine solche Vergeltung zukommen lassen? 38 Dein Knecht möchte doch umkehren (dürfen), auf dass ich sterbe in meiner Stadt, beim Grab meines Vaters und meiner Mutter; und siehe, dein Knecht Kimham wird mit meinem Herrn, dem König, ziehen und tue ihm das, was gut ist in deinen Augen. (2 Sam 19,35–38)153
Obwohl Barsillai seine abnehmenden Kräfte realistisch einschätzt, agiert er „nicht wie ein seniler, hilfloser Greis“, sondern er entspricht dem „Bild des weisen und souverän agierenden Alten“154. Ein ähnliches Bild eines erfüllten, langen Lebens aaO 187. Nach Ernst, aaO 172 ff und Liess, aaO 160 f ist Ps 71 kein Gebet eines alten Menschen, anders Hossfeld / Zenger, aaO 296 (Hossfeld) und Meinhold, Bewertung, 101 f. 150 Zur Altersthematik im Psalter s. noch Ps 37,25; 92,13 ff; 105,22; 107,32; 119,100 und 148,12. 151 S. dazu Neumann-Gorsolke, Barsillai, 375 ff und Ernst, aaO 45 ff. 152 Genannt wird das Abnehmen der kognitiven Fähigkeiten (Unterscheidung von Gut und Böse) sowie der Geschmacks- und Hörfähigkeit. 153 Zur Übersetzung s. auch Neumann-Gorsolke, aaO 377 f, die V. 37 allerdings für einen prodavidischen Eintrag hält, s. dazu aber Ernst, aaO 49. 154 Neumann-Gorsolke, aaO 387, vgl. Meinhold, aaO 102: „Barsillai erscheint wie ein Muster für das Greisenhaupt, wie es Spr 16,31 entwirft“: „Ein prächtiges Diadem ist graues Greisenhaar, auf dem Weg der Gerechtigkeit wird es gefunden“ (Spr 16,31), s. dazu Meinhold, aaO 105.106 f.
149 Ernst,
82 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
vermittelt die Wendung „alt und lebenssatt“, die allerdings in einen anderen Kontext gehört. β) „Alt und lebenssatt“ Altes Testament: Ernst, Segen, 222 ff ◆ Leuenberger, Leben, 78 ff ◆ Liess, Sättigung, 329 ff ◆
Meinhold, Bewertung, 103 f ◆ Neumann-Gorsolke, „Alt“, 111 ff.
Es gehört zu den elementaren Hoffnungen der Menschen im alten Israel, nicht vorzeitig zu sterben, sondern die ganze Fülle und Dauer eines langen Lebens auskosten zu können. Das war allerdings ein rares Gut. In der Regel ist nicht vom Mehr-, sondern vom Wenigerwerden der Lebenszeit und immer wieder von der Furcht vor dem vorzeitigen Tod155 die Rede, z. B. in Ps 102,24 f: 24 Er (sc. Gott) hat auf dem Weg meine Kraft gebrochen, verkürzt hat er meine Tage. 25 Ich spreche: „Mein Gott, führe mich nicht hinauf, in der Mitte / Hälfte meiner Tage! Geschlecht um Geschlecht überdauern deine Jahre.“156
Das ist keine Bitte um Bewahrung vor dem Sterben, sondern „um Bewahrung vor dem vorzeitigen Tod, dem Tod in der Lebensmitte, der als harte Strafe gilt (vgl. Ps 55,16.24 und Jes 38,10)“157. In ähnlicher Weise klagt Hiskia in Jes 38,10: Ich dachte: In der Mitte meiner Tage muss ich gehen, zu den Toren der Scheol bin ich entboten für den Rest meiner Jahre.
Die Redeweise von der „Mitte / Hälfte der Tage“ impliziert, dass „das Leben ein Ganzes, Abgeschlossenes, in seiner Länge Vorgegebenes ist, das dem Menschen – von Gott her – gegeben wird, ja zusteht“158. Dieser Aspekt spielt auch bei der Zusage einer langen Lebenszeit eine Rolle. So verheißt JHWH dem, der ihm dient, dass er auch „die Zahl deiner Tage voll machen (ml᾽ pi.)“ (Ex 23,26, vgl. 2 Sam 7,12) und ihn vor einem vorzeitigen Ende durch Gewalt oder Krankheit bewahren wird. Ein exponiertes Beispiel dafür ist Salomo, der JHWH um ein „hörendes Herz“ (1 Kön 3,9) und nicht um die Verlängerung seiner Lebenszeit gebeten hat (1 Kön 3,11). Diese gesteht ihm JHWH neben Reichtum und Ehre ebenfalls zu, bindet seine Zusage aber an das Halten der Gebote: Und wenn du auf meinen Wegen gehst, indem du meine Satzungen und Gebote bewahrst, wie David, dein Vater, (auf ihnen) gegangen ist, werde ich deine Tage (= Lebenszeit) lang machen. (1 Kön 3,14)
dazu Leuenberger, Leben, 87 ff. hif. „hinaufführen“ (V. 25) im Sinn von „wegraffen“ s. Hossfeld / Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 48 (Hossfeld) und Gillmayr-Bucher, Ps 102, 294 f. 157 Hossfeld / Zenger, aaO 47 (Hossfeld). 158 Neumann-Gorsolke, aaO 115. 155 S.
156 Zu ῾lh
§ 2 Biographische Aspekte 83
Im Gegensatz zur Angst vor einem vorzeitigen Tod qualifiziert der Topos „alt und lebenssatt“ das Lebensende als ein Ende ohne Schrecken, weil der Tod „zur rechten, vom gelebten Leben her angemessenen Zeit einzutreten (scheint)“159. Die Wendung „alt und (lebens)satt“ (zāqen w eśābea῾ [jāmîm])160 ist nur in Gen 25,8 (Abraham); 35,29 (Isaak); 1 Chr 23,1; 29,28 (jeweils David); 2 Chr 24,15 (Priester Jojada) und Hi 42,17 (Hiob) belegt. Es sind alles Männer, von denen dies gesagt wird. Überdies handelt es sich ausnahmslos um exilisch-nachexilische Belege, wobei Gen 25,8 und 35,39 (jeweils Priesterschrift) die ältesten Texte darstellen. Da die Todesnotiz Abrahams alle konstitutiven Elemente (im Folgenden kursiv) enthält, gehen wir von ihr aus: 7 Und dies sind die Tage der Lebensjahre Abrahams, die er gelebt hat: 175 Jahre. 8 Und Abraham verschied und starb in gutem Alter, alt und satt (an Tagen), und er wurde versammelt zu seinen Vorfahren. 9 Und Isaak und Ismael, seine Söhne, begruben ihn in der Höhle von Machpela, auf dem Feld Ephrons, des Sohnes Zohars, des Hethiters, das Mamre gegenüber liegt. 10 Das Feld, das Abraham von den Söhnen des Het gekauft hatte, dort wurde Abraham begraben und Sara, seine Frau. 11 Und es geschah nach dem Tod Abrahams, da segnete Gott den Isaak, seinen Sohn, und Isaak wohnte bei Beer Lachaj-Roj. (Gen 25,7–11)
Dieser Text enthält mehrere Angaben, die sich auch in vergleichbaren Texten finden:161 Altersangabe (V. 7) 175 Jahre
vgl. Gen 35,28 f; 2 Chr 24,15; Hi 42,17 u. ö.
Die 175 Jahre entsprechen nicht der realen Lebenserwartung, die in biblischer Zeit durchschnittlich 40 Jahre162 und nach Ps 90,10 siebzig, höchstens achtzig Jahre163 betrug. Die 175 Jahre Abrahams (Isaak 180, Jojada 130, Hiob 140 Jahre) sind als Symbolzahl zu verstehen, die „Fülle“ und „Vollkommenheit“ bedeutet.
Sterbenotiz I (V. 8a) „verscheiden“ „sterben“
vgl. Gen 35,29 vgl. Gen 35,29; 1 Chr 29,28; 2 Chr 24,15; Hi 42,17
Sterbenotiz II (V. 8b) „versammelt werden zu seinen Ahnen“ 159 Dies.,
vgl. Gen 25,8.17; 35,29; 49,33; Num 20,24; 27,13; Dtn 32,50
aaO 118. „alt und satt (an Tagen)“. 161 S. dazu die detaillierte Darstellung bei dies., aaO 121 ff. 162 S. dazu unten 108 f. 163 Zu Ps 90 s. unten 565 f, vgl. auch die Altersangaben in der Sultantepe-Tafel 400 (Q 70) sowie im Papyrus Insinger (Q 12). Zur Erwartung eines langen Lebens s. Q 18 und 138. 160 Wörtlich:
84 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Der Doppelausdruck „verscheiden“ (gw῾) und „sterben“ (mwt) (Sterbenotiz I) und die Angabe „versammelt werden zu seinen (patrilinearen) Vorfahren“ (næ᾽æsap ᾽æl-῾ammāw) (Sterbenotiz II) sind für die Sterbenotizen der Erzväter, Ismaels, Aarons und Moses charakteristisch.164 Beide Notizen sind in Gen 25,8 durch die Angabe der Todesumstände voneinander getrennt.
Todesumstände (V. 8b) „in gutem Alter“
vgl. Gen 15,15; Ri 8,32; 1 Chr 29,28
Der Altersbegriff śêbāh („Alter“) bezeichnet das „graue Haar“ (Hos 7,9; Spr 16,3; Hi 41,24 u. ö.) und steht damit für das hohe Alter (1 Kön 14,4; Jes 46,4; Ps 71,18 u. ö.) bzw. den alten Menschen (Lev 19,32; Dtn 32,25).165 Die Wendung „im guten Alter“ meint deshalb ein Sterben nach einem langen Leben, das – wie ihre Position vor der Wendung „(alt und) satt an Tagen“ in Gen 25,8; 1 Chr 29,28 zeigt – nicht vorzeitig oder gewaltsam, sondern erwartungsgemäß zu Ende geht. Der Zeitpunkt des Todes wird dadurch als das Ende eines erfüllten Lebens charakterisiert. „alt und (lebens)satt“
vgl. Gen 35,29; 1 Chr 23,1; 1 Chr 29,28; 2 Chr 24,15; Hi 42,17
In der Wendung „alt und (lebens)satt“ (zāqen w eśābea῾ [jāmîm]) liegt mit zāqen eine allgemeine Altersbezeichnung vor, die vom Nomen zāqān „Bart“ abgeleitet ist und „Bartträger“ bedeutet.166 Das Verb śāba῾ „sich sättigen, satt werden“ bezeichnet dagegen in den meisten Fällen das Stillen des Hungers, kann aber auch metaphorisch verwendet werden und positiv (Sättigung mit langem Leben) wie negativ (Sättigung mit Übeln wie in Ps 88,4 oder mit Spott wie in Ps 123,3 f) konnotiert sein.167 Wie diese Lebenssättigung konkret aussieht, lässt sich nicht nur vielen ägyptischen (s. Q 17) und mesopotamischen Texten (s. Q 76; 77), sondern auch Hi 42,16 f entnehmen.168
Begräbnisnotiz (V. 9 f) „begraben“
vgl. Gen 35,29; Dtn 32,50; 2 Chr 24,16
Die mit dem Verb „begraben“ (qbr) formulierte Begräbnisnotiz fügt sich in die Abfolge der bisherigen Elemente nahtlos ein. Denn sie verstärkt den Eindruck, dass der Verstorbene ein erfülltes Leben hatte, das mit einer würdevollen Bestattung in Ehren gehalten wird. Ein fehlendes Begräbnis dagegen galt, wie die Rizpa-Erzählung
und zur Wendung „sich legen (škb) zu seinen Vorfahren“ s. Krüger, Sterbenotizen, 137 ff und Suriano, Politics, 32 ff. 165 S. dazu Liess, „Glanz“, 456 ff. Grauhaarigkeit wird nicht nur mit dem Schwinden der Lebenskräfte, sondern – besonders in der Weisheitsliteratur – auch mit der Altersweisheit verbunden, s. dazu dies., aaO 460 ff. Während im Hiobbuch eine kritische Sicht der Altersweisheit aufkommt (s. dazu dies., aaO 467 ff), kommt es in SapSal 4 zu einer Neubewertung, wonach auch ein kurzes Leben als erfüllt und gelungen gilt, s. dazu dies., aaO 471 ff. Parallelen dazu gibt es seit dem Ende des 4. Jh.s. v. Chr. in der griech.-röm. Konsolationsliteratur (Cicero, Plinius d. J., Seneca u. a.), s. dazu dies., aaO 473 ff. 166 Gemeint sind mit den zeqenîm nach Pola, Kleinkind, 138 ff nicht die „ältesten“ Männer, sondern die „Angehörigen der aktiven Generation“. 167 S. dazu Liess, Sättigung, 329 ff und die Hinweise bei Janowski, næpæš, 100. 168 S. dazu unten 536 f. 164 Dazu
§ 2 Biographische Aspekte 85
2 Sam 21,1–14 eindrücklich zeigt, als „schlimmes Übel oder Schmach (vgl. Jer 22,19) und konnte als göttliche Strafe verstanden werden (vgl. u. a. Jer 16,6)“169.
Segensnotiz (V. 11) Die abschließende Segnung (mit brk „segnen“ + Subj. Gott) ist ebenfalls eine Aspekt der Lebenssättigung, weil sie das Leben, das im Nachkommen weiterlebt, als erfüllt erscheinen lässt.
Obwohl einige Elemente, wie die Sterbenotizen I und II, formelhaft geprägt und erst ab der nachexilischen Zeit (Priesterschrift und später) belegt sind, sind die mit ihnen verbundenen Vorstellungen seit der frühen Königszeit greifbar.170 Das führt zur Frage nach den sozial- und religionsgeschichtlichen Aspekten der Todesvorstellung(en) im alten Israel. b) Die Verbindung mit den Toten Altes Testament: Albertz / Schmitt, Family, 429 ff ◆ Fischer, Tod, 138 ff ◆ von Gemünden, Trauer, 41 ff ◆ Gertz, Zerschneiden, 547 ff ◆ Hieke, Sichtweisen, 13 ff ◆ Janowski, Gott Israels, 273 ff ◆ Janssen / Kessler, Art. Trauer, 597 f ◆ Kamlah, Grab, 257 ff ◆ Kühn, Totengedenken, 481 ff ◆ Niehr, Aspekte, 1 ff ◆ Podella, Art. Trauerbräuche, 559 f ◆ Schmitt, Totenversorgung, 501 ff ◆ Ders., Mantik, 61 ff ◆ Schroer, Totenweltmythologie, 290 ff ◆ Dies., Kompetenzen, 9 ff ◆ Dies., Trauerriten, 299 ff ◆ Suriano, Politics ◆ Tropper, Nekromantie, 161 ff ◆ Utzschneider, Tod, 41 ff ◆ Zenger, Israel, 132 ff. – Antike Religionen: Assmann, Tod, 394 ff.432 ff ◆ BruitZaidman / Schmitt-Pantel, Religion, 73 ff ◆ Fischer, Tod, 21 ff ◆ Maul, Trauerriten, 359 ff ◆ Niehr, Ahnen, 379 ff ◆ van der Toorn, Erbe, 105 ff.
In der langen Geschichte des alttestamentlichen Gottesglaubens war JHWH nie ein Gott des Todes oder gar ein Totengott wie der mesopotamische Nergal, der ägyptische Osiris oder der ugaritische Motu, sondern ein „Gott des Lebens“ (Dtn 5,26; 1 Sam 17,26.36; Jer 10,10; 23,36) – gerade auch dann, wenn es in späteren Texten von ihm heißt, dass er den Beter vom Tod errettet und aus der Unterwelt heraufholt.171 Wenn aber JHWH ein Gott des Lebens war und seine Macht nach der Sicht des frühen JHWH‑Glaubens an den Pforten der Unterwelt endete, stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Tod in dieser Epoche für die Lebenden hatte und was sich hinter den Pforten der Unterwelt für die JHWH‑Verehrer auftat: ein „sakrales Vakuum“ oder eine von einer anderen Gottheit beherrschte Region?172 Gehen wir zur Beantwortung dieser Frage von den Trauerriten und der Totenklage aus. 169 Dies., aaO 130. Zu 2 Sam 21,1 ff und dem Vergleich mit der Antigone des Sophokles s. Harten-
stein, Solidarität, 123 ff und Schnocks, Bestattung, 203 ff. dazu die Hinweise bei Leuenberger, Leben, 79 Anm. 14. 171 S. dazu unten 511 ff. 172 Zur These einer „Desakralisierung der Todessphäre“ (Gese, Tod, 38, vgl. 40.42) bzw. einer „konsequenten Entdivinisierung des Todes“ (Zenger, Israel, 145) s. die Kritik von Eberhardt, JHWH, 3 f. 170 S.
86 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
α) Trauerriten und Totenklage In den meisten Gesellschaften ist der Tod eines Angehörigen für die Hinterbliebenen ein einschneidendes Geschehen, das mit Hilfe von Trauerriten bewältigt wird. Diese Riten machen aus dem biologische Ereignis einen sozialen Vorgang, indem sie den Verstorbenen Schritt für Schritt von der Welt der Lebenden zur Welt der Toten geleiten. Auch im alten Israel nahmen Trauerriten einen festen Platz im Totenritual ein, obwohl JHWH in ihnen nicht explizit vorkommt.173 Zu diesen Riten gehörten die folgenden Manipulationen an der Kleidung und am Körper: – Zerreißen des Gewands (Gen 37,34; 2 Sam 1,11; 3,31; Jer 41,4; Hi 1,20 u. ö.) – Anlegen eines groben śaq-Gewands (Gen 37,34; 2 Sam 3,31; 1 Kön 20,31 f; Am 8,10 u. ö.) – Schlagen von Brust (Jes 32,12?) und Lenden (Jer 31,19) – Bestreuen des Haupts mit Asche oder Erde (Jos 7,6; 2 Sam 3,31; Ps 35,13; 69,12; Klgl 2,10 u. ö.) – Fasten (1 Sam 31,13; 2 Sam 1,12) – Anstimmen der Totenklage (Gen 23,2; 1 Sam 3,31; 2 Sam 1,19 ff u. ö.) – Beweinen durch Klagefrauen (Jer 9,16.19; Ez 32,16; 2 Chr 35,25)174
Bei diesen Riten kommen keine körperlichen Eingriffe im engeren Sinn vor. Das ist anders bei den folgenden Manipulationen, die zunächst praktiziert, dann aber verboten wurden: praktiziert (vorexilische / exilische Texte) – Scheren des Haupthaares (Jes 3,24; 22,12; Jer 7,29; 16,6; 41,5; Ez 7,18 u. ö.) – Ritzen der Haut (Jer 16,6; 41,5)
verboten für Laien und Priester (nachexilische Texte) – Haarmanipulationen: Rasur des Kopfes / des Bartes (Lev 19,27; 25,1; Dtn 14,1) – Körpereinschnitte (Lev 19,28; 25,1; Dtn 14,1)175
Ein eindrückliches – wenn auch negatives – Beispiel für die Bedeutung der Trauer- oder Selbstminderungsriten ist die Symbolhandlung an Israel, die nach Jer 16,5–7 von Jeremia gefordert wird:
Gerstenberger, Mensch, 64 ff ist allerdings anzunehmen, dass die Totenklage in Israel „nicht in völliger Abkehr von Jahwe stattgefunden haben kann“ (aaO 65). 174 S. dazu Loretz, Ugarit, 109 ff; Podella, Art. Trauerbräuche, 559 f; Schroer, Kompetenzen, 12 ff; dies., Trauerriten, 301 ff; von Gemünden, Trauer, 41 ff und Albertz / Schmitt, Family, 433 ff. 175 S. dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 747 ff.822 f und Albertz / Schmitt, ebd. Zur rituellen Selbstverletzung, gegen die in 1 Kön 18,28 f und Sach 13,2–6 polemisert wird, s. Schmitt, Ekstase, 191 ff. 173 Mit
§ 2 Biographische Aspekte 87
5 Fürwahr so spricht JHWH: „Betritt kein Haus einer marzeah-Kultfeier,176 geh ˙ nicht zur Totenklage (sāpad Inf.) und bekunde ihnen kein Beileid (nûd),177 denn ich habe diesem Volk mein Heil entzogen – Spruch JHWHs –, die Gnade und das Erbarmen. 6 Große und Kleine werden sterben in diesem Land, sie werden nicht begraben werden (qbr nif.), und man wird sie nicht beklagen (sāpad) und sich nicht die Haut ritzen (gdd hitp.) oder sich für sie kahlscheren (qrh nif.), ˙ 7 und man wird einem 〈Trauernden〉 nicht das 〈Brot〉 brechen (prs + læhæm ῾al-᾽ābel), ˙ um ihn wegen seines Toten zu trösten, und 〈ihm〉 nicht den Trostbecher reichen 178 (šqh hif. + kôs tanhûmîm) wegen seines Vaters oder seiner Mutter.“ ˙
Die „Selbstminderungsriten“, wie E. Kutsch179 die Trauerriten nannte, haben einen sympathetischen Kern: sie bekunden das Mitleiden der Hinterbliebenen mit dem Toten und sind insofern Zeichen und Gesten der Verbundenheit der Lebenden mit den Toten. Darüber hinaus bzw. daneben können sie auch als Trennungs- oder Trostriten verstanden werden.180 Außer in Ägypten und im Alten Orient – ein berühmtes Beispiel ist das Hautritzen des um den toten Ba῾al trauernden El (s. Q 122) – waren sie im gesamten antiken Mittelmeerraum verbreitet (s. Abb. 12 und 13).181 Während im alten Israel die Bestattung in der Verantwortung des pater familias bzw. des nächsten männlichen Angehörigen lag182 und die Trauerriten von allen Familienangehörigen durchgeführt wurden, kam den professionellen Klagefrauen eine besondere Rolle zu.183 Ihr lautes Geschrei oder Geheul (vgl. Mi 1,8) macht „den Todesfall in der Nachbarschaft bekannt, sie gestalten den rite de passage, proklamieren die Befindlichkeit des Kollektivs und integrieren die Toten in das Gedächtnis der Gemeinschaft. Die meisten alttestamentlichen Texte verorten Klage und Trauer im öffentlichen Raum (auf den freien Plätzen, der Gasse vor dem Haus, am Grab, auf der Stadtmauer), nicht im Haus“184.
marzihu-Kultmahl im antiken Syrien-Palsätina s. Loretz, aaO 141 ff und Niehr, Re ˘ ligionen, 56 ff.135 f.183 ff.216.228 f. 177 Genau das taten nach Hi 2,11 die drei Freunde Hiobs, als dieser auf dem Aschehaufen saß, s. dazu Janowski, Gott, 212 f. 178 Zur Interpretation s. Schmidt, Jeremia I (ATD), 289 f. 179 S. dazu Kutsch, „Trauerbräuche“, 78 ff. 180 S. dazu Schroer, Trauerriten, 301 f. 181 S. dazu Loretz, aaO 109 ff; von Gemünden, Überlegungen, 53 ff und Schroer, aaO 299 mit Anm. 2; 307 ff. 182 Vgl. Utzschneider, Tod, 41 f. 183 Vgl. Jes 32,9 ff; Jer 9,16 ff; Ez 32,16 u. ö., s. dazu Weippert, Lärm, 167 ff; Seidl, Tänzerinnen, 110 ff; Bird, „Frauenarbeit“, 31 ff und Schroer, aaO 311 ff. Die Durchführung von Trauerriten war aber nicht auf Frauen beschränkt, s. etwa Davids Totenklage um Saul und Jonathan (2 Sam 1,17 ff) und sein Wehgeschrei um Absalom (2 Sam 19,1 ff). Auch von männlichen Trauerspezialisten ist die Rede (Am 5,16; 2 Chr 35,25). 184 Schroer, aaO 306 f. 176 Zum
88 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Abb. 12: Klagefrauen (äg. Grabmalerei, 19. Dyn.)
Abb. 13: Klagefrauen auf dem Ahirom-Sarkophag (Byblos, 11. Jh. v. Chr.) ˙
Trotz der Verbreitung und hohen Akzeptanz der Trauerriten gab es Restriktionen, die das Scheren der Haare und das Ritzen der Haut betrafen (vgl. Lev 19,28; 21,5 f; Dtn 14,1).185 Noch einschneidender war die Polemik gegen die kultische Verehrung der Toten (Nekromantie und Totenopfer). β) Totenkult im alten Israel? Wie wir am Beispiel der Sterbenotiz „versammelt werden zu seinen Vätern / Ahnen“186 gesehen haben, bildeten die „Väter“ (᾽ābôt), also die patrilinearen Vorfahren, ein Kollektiv, zu dem die Verstorbenen „versammelt wurden“ (᾽sp nif.) oder „sich legten“ (škb). Auf diese Weise „(wird) der familiäre Zusammenhalt … über 185 S. 186 S.
dazu dies., aaO 311 ff. dazu oben 83 f.
§ 2 Biographische Aspekte 89
den Tod hinaus erhalten“187 und die familiäre und lokale Identität gestärkt. Die Vorfahren oder Ahnen werden damit aber nicht deifiziert wie in Mesopotamien und Syrien-Palästina,188 sondern rituell geehrt. Zu den konstitutiven Merkmalen der israelitischen und judäischen Begräbnisriten sind die Rolle der Familie, die Grabbeigaben zur Versorgung der Toten (Gefäße, Lampen, Amulette, Figurinen, Schmuck u. a.) und die Hoffnung auf göttlichen Schutz und Segen zu rechnen.189 Von einer kultischen Verehrung der Verstorbenen, also einem regelrechten Totenkult, verlautet dagegen nichts. „Andernfalls hätte man harsche Polemiken und Verbote im dtn / dtr, priesterlichen und prophetischen Textcorpus erwarten dürfen, was jedoch nicht der Fall ist“190. Wie aber steht es mit den Bewohnern der Unterwelt wie den „Totengeistern“191? Besitzen diese eine sakrale Kompetenz? Wie schwierig diese Frage zu beantworten ist, zeigt die Überlieferung der Totenbeschwörerin von Endor in 1 Sam 28,3–25,192 aus der ein Ausschnitt zitiert sei: (7) Da sagte Saul zu seinen Knechten: „Sucht mir eine Frau, eine Totenbeschwörerin (ba῾alat-᾽ôb),193 dass ich zu ihr gehe und sie befrage!“ Und seine Knechte sagten zu ihm: „Siehe, eine Totenbeschwörerin ist in Endor“. (8) Und Saul vermummte sich, zog andere Kleider an und ging hin, er und zwei Männer mit ihm, und sie kamen zu der Frau bei Nacht. Und er sagte: „Wahrsage mir doch mittels eines Totengeistes (᾽ôb) und bringe mir den herauf, den ich dir nennen werde!“ (9) Aber die Frau antwortete ihm: „Siehe, du weißt ja, was Saul getan hat, wie er die Totenbeschwörer und die Wahrsager aus dem Land ausgerottet hat. Warum stellst du mir eine Falle, um mich zu töten?“ (10) Und Saul schwor ihr bei JHWH zu: „So wahr JHWH lebt, es soll dich in dieser Sache keine Schuld treffen!“ (11) Da sagte die Frau: „Wen soll ich dir heraufholen?“ Und er erwiderte: „Hol mir den Samuel herauf!“ (12) Als aber die Frau den Samuel sah, schrie sie laut auf, und die Frau sagte zu Saul: „Warum hast du mich betrogen? Du bist ja Saul!“ (13) Und der König sagte zu ihr: „Fürchte dich nicht! Nun, was siehst du?“ Die Frau antwortete Saul: „Ich sehe einen Totengeist (᾽ælohîm) aus der Erde heraufsteigen.“ (14) 187 Schmitt,
Mantik, 63, vgl. Albertz / Schmitt, Family, 471 ff.
188 Zum Totenkult im antiken Syrien / Palästina s. Niehr, Religionen, 67 ff.90 ff.106 ff. 139 ff.157 ff.
166 f.230 ff und ders., Ahnen, 379 ff. dazu Schroer, Totenweltmythologie, 294 ff; Kamlah, Grab, 290 f, ferner Kühn, Totengedenken, 481 ff; Schmitt, Totenversorgung, 501 ff und Albertz / Schmitt, aaO 457 ff. 190 Schmitt, aaO 64, vgl. 160 f und Kamlah, aaO 257 ff.290 ff. 191 Wie die „Ahnenfigurinen“ (terāpîm: Gen 31,34 f; 1 Sam 19,13.16; 2 Kön 23,24 u. ö.) gehören auch die „Totengeister“ (᾽ælohîm: 1 Sam 28,13; Jes 8,19) zu den Medien des (familiären) Totenkults, s. dazu van der Toorn, Erbe, 104 ff.114 ff.119 f; Niehr, Aspekte, 3 f; Fischer, Tod, 140 ff und Schmitt, aaO 64.98 ff. 192 S. dazu Tropper, Nekromantie, 205 ff, vgl. 340 ff sowie Fischer, aaO 140 ff. Mit Schmitt, aaO 65 ff und Bührer, Totenbefragung, 203 ff gehe ich von einer literarisch einheitlichen, späten Erzählung aus. 193 Zum Begriff ᾽ôb („Opfergrube“ oder „Ahnen-/Totengeist“?) s. Tropper, aaO 189 ff; Schmitt, aaO 91 ff und Bührer, aaO 214 Anm. 34. Unterweltsbeschwörungen bzw. Beschwörungen der unterirdischen Götter mittels einer Beschwörungsgrube sind in Kleinasien (s. Q 117), Ugarit (Q 123) und Griechenland (s. Q 175) belegt. 189 S.
90 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Er sagte zu ihr: „Wie sieht er aus?“ Und sie antwortete: „Ein alter Mann steigt herauf, und er ist in einen Mantel gehüllt.“ Da erkannte Saul, dass es Samuel war, und er neigte sich mit dem Gesicht zur Erde und fiel nieder.
Es gibt im Alten Testament etwa 15 Texte,194 die sich gegen „ein beschwörendes In-Kontakt-Treten der Menschen mit ihren verstorbenen Ahnen“195 richten. Dabei zeigt sich eine eindeutige Tendenz: obwohl „von einem Totenkult im Sinne einer Verehrung der Toten … für Israel wohl nicht auszugehen ist“196 und auch 1 Sam 28,3 ff dafür nicht als vorexilischer Beleg in Anspruch genommen werden kann, ist das Verbot der Nekromantie ab dem 7.(?)/6. Jh. v. Chr. in einem relativ kurzen Zeitraum entstanden.197 Die Gründe dafür hängen mit dem Aufkommen des Monojahwismus / Monotheismus, der Stärkung der persönlichen und familiären Frömmigkeit (vgl. Dtn 18,11; Lev 19,31; 20,6) und der lebensorientierenden Kraft der Tora (vgl. Jes 8,19 f) zusammen.198 Auf dieser relativ späten Stufe der religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung ist längst entschieden, dass der „Gott des Lebens“ in eine aktive, d. h. rettende Beziehung zu den Toten tritt. Die Frage ist, wann und wodurch dieser Prozess der sog. „Kompetenzausweitung JHWHs“ in Gang kam und welche Stadien er dabei durchlief. Exkurs 4: JHWH und die Toten Altes Testament: Berlejung, Tod, 2 ff ◆ Eberhardt, JHWH ◆ Feldmeier / Spieckermann, Gott, 384 ff ◆ Fischer, Tod, 175 ff ◆ Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 57 ff ◆ Hays, Death, 184 ff ◆ Hieke, Sichtweisen, 13 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 229 ff.453 ◆ Ders., Gott Israels, 279 ff ◆ Leuenberger, Leben, 76 ff ◆ Ders., Segen (AT), 52 ff ◆ Meinhold, „Ewigkeits“-Perspektive, 21 ff ◆ Schnocks, Rettung ◆ Zenger, Israel, 132 ff.
Ein Text wie Hi 1,21, der mit den beiden Eckpunkten Geburt und Tod die kürzeste Form eines Lebenslaufs darstellt,199 steht nicht am Anfang, sondern am Ende der besagten Kompetenzausweitung JHWHs.200 Ihre Anfänge liegen dagegen im Dunkeln der Religions- und Theologiegeschichte Israels. Die Vermutung, dass ein erstes Bindeglied im königlichen 194 Diese Texte entstammen der Erzählliteratur (dtr [?]: 1 Sam 28,3–25 [späte Rezeption in 1 Chr
10,13 f; Sir 46,20]; spätdtr: 2 Kön 21,6 [par. 2 Chr 33,6]; 2 Kön 23,24), der Gesetzesliteratur (dtr: Dtn 18,10 f; H: Lev 19,31; 20,6.27), der Prophetischen Literatur (spätnachexilisch: Jes 8,91 f; 19,3; 29,4; 65,4) und der späten Weisheitsliteratur (Hi 32,19), s. dazu Janowski, Gott Israels, 275 f; Gertz, Zerschneiden, 547 ff und Schmitt, aaO 121 ff.166 ff. 195 Tropper, Nekromantie, 342. 196 Bührer, aaO 204. 197 Dieser Sachverhalt lässt sich so plausibilisieren, dass „die (Denk-)Möglichkeit … (aus) reichte, um Nekromantie in Verboten oder Verwerfungserzählungen als nicht erwünschte mantische Praxis hochzustilisieren, um sie damit gleichzeitig verwerfen zu können. Mit anderen Worten: Die offizielle Religion polemisiert hier gegen eine Praxis, die als solche kaum ausgeübt worden sein dürfte …“ (ders., aaO 217). 198 S. dazu Tropper, aaO 343 ff; Gertz, aaO 553 ff und Bührer, aaO 216 ff. 199 Vgl. oben 47. 200 Zu diesem Begriff s. Janowski, Die Toten, 226 ff; ders., Konfliktgespräche, 229 ff.453 und Eberhardt, JHWH, 25 ff.
§ 2 Biographische Aspekte 91
Totenkult der vorexilischen Zeit zu finden ist,201 hat einige Wahrscheinlichkeit für sich, auch wenn sich belastbare Argumente dafür (noch) nicht beibringen lassen. Ungeachtet zahlreicher Verästelungen, Seitenwege und Abbrüche beschränkt sich die folgende Skizze auf die Hauptetappen, die für die Geschichte des alttestamentlichen Todesverständnisses entscheidend waren. Vorangestellt sei eine tabellarische Übersicht (Abb. 14), die in der linken Spalte die ‚klassische‘ Ausformung der Leben/Tod-Problematik und in der rechten Spalte die wenigen vorexilischen Hinweise auf eine Beziehung zwischen JHWH und den Toten enthält. Ab dem Ende des 7. Jh.s v. Chr. dürfte der Prozess eingesetzt haben, den die neuere Forschung „Kompetenzausweitung JHWHs“ (mittlere Spalte) nennt:
Leben / Diesseits Tod / Jenseits JHWH als Gott der Lebenden JHWH und die Toten
Frühe Weisheit (Spr 10 ff ) 0 Trauerriten? „Lebendiger Gott“ (Jos 3,10 u. ö.) 1 Königlicher Totenkult Prophetische Texte (Am 5,4 ff.14 f; Könige als Empfänger von Hos 6,1 ff u. ö.) Totenopfern (Gräber in Jerusalem?, Samaria) 8./7.Jh. Schöpfungstexte 2 Hebräische Segensinschriften (Gen 2,7; 7,15.22 u. ö.) Gottesschutz auch im Tod/ 7./6.Jh. Schwurformel (Ri 8,19 u. ö.) über den Tod hinaus „Gott des Lebens“ (Dtn 5,26 u. ö.) (Hirbet el-Kōm, Ketef Hinnom) ˘ Ikonographie Palästinas / Israels 3 Individualpsalmen (Lebensbaum, Lebenszeichen) Errettung vom ‚Tod im Leben‘ Personen- u. Ortsnamen u. a. (Hos 13,14?, KE/DE, Ps 68,20 f?) weitere Belege bis in die Spätzeit JHWHs ‚Weg in die Unterwelt‘ (Spr 15,11?, KE/DE)
Kompetenzausweitung JHWHs JHWH als Gott der Lebenden und der Toten
ab 587 3 Individualpsalmen Errettung vom ‚Tod im Leben‘ (KE/DE) JHWHs ‚Weg in die Unterwelt‘ (KE/DE, Hi 26,5 f?) 539–333 4 Weisheitstexte ‚Ewiges Leben‘/Unsterblichkeit (der Gottesbeziehung) (Hi 19,25 ff; Ps 49,15 f; 63,4; 73,23 ff ) Skepsis: Pred 3,19 ff; 9,4 ff (3. Jh.) 4./3. Jh. 5 Apokalyptische Texte Auferstehung der Toten / vom Tod (Ez 37,1 ff; Jes 25,8; 26,19; Ps 22,28 ff u. ö.; 2. Jh. Dan 12,2 f.13)
Abb. 14: Zur Geschichte der Todesvorstellung(en) im alten Israel 201 S.
dazu Janowski, Gott Israels, 271 Anm. 22; 288 f und Kamlah, Grab, 284 ff.
92 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Spätvorexilische Segensinschriften Mit den hebräischen Segensinschriften von Hirbet el-Kōm (Ende 8. Jh. v. Chr.) und Ketef ˘ Hinnom (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr., s. Q 139) tritt die Dimension des über den Tod hinaus wirksamen Gottesschutzes erstmals deutlicher in Erscheinung. Während sich der Segenswunsch der Inschrift 3 von Hirbet el-Kōm nicht nur auf das gelebte Leben des Toten, ˘ sondern auch auf dessen Dasein im Bereich des Todes bezieht, gehen die Silberamulette vom Ketef Hinnom einen Schritt weiter, indem sie den Blick auf eine den Tod überdauernde Beziehung JHWHs zu den Toten richten, die in Analogie zu Num 6,24–26 als lichthaft und darum lebensförderlich qualifiziert ist.202 Im Unterschied zum königlichen Totenkult gelten die besagten Inschriften einem „Reichen“ bzw. einzelnen Angehörigen begüterter Jerusalemer Familien der E IIC‑Zeit (ca. 700–587 v. Chr.). Auch wenn es bei diesen Inschriften nicht um die Hoffnung auf eine postmortale Existenz im Sinn der weisheitlichapokalyptischen Texte geht, dürften die Vorstellungen, die in ihnen zum Ausdruck kommen, die Tendenz zu einer Annäherung von JHWH und Tod / Unterwelt mitbefördert haben.203
Klage- und Danklieder des Einzelnen Die Individualpsalmen (KE und DE),204 deren älteste Exemplare wohl spätvorexilisch zu datieren sind, sprechen demgegenüber eine andere Sprache. Zwar geht es bei ihnen um einen Bedrängten, der JHWH darum bittet bzw. dafür dankt, vom Tod / aus der Unterwelt errettet zu werden bzw. errettet worden zu sein.205 Doch ist mit diesem Tod der ‚Tod im Leben‘ und mit dieser Unterwelt die ‚Unterwelt der Lebenden‘ im Unterschied zur ‚Unterwelt der Toten‘ gemeint.206 Grundlegend ist dabei die in den Klage- und Dankliedern des Einzelnen tradierte Erfahrung, dass der an Feindbedrängnis, Rechtsnot oder Krankheit leidende Mensch mit der Wirklichkeit des Todes in Berührung kommt (vgl. Ps 88,4) – „aber gerade das genügt, um ihn die ganze Wirklichkeit des Todes erfahren zu lassen“207. Dem entspricht die Gegenerfahrung, durch JHWHs Eingreifen „nicht nur aus Lebensgefahr, sondern aus dem Tode, aus dem Innern des Totenreichs und aus der Gewalt des Todes“208 errettet zu sein. Diese Beziehung JHWHs zu den Toten leitet einen neuen Schritt im alttestamentlichen Gottesverständnis ein.
dazu Janowski, aaO 283 ff und Leuenberger, Segen (AT), 53 f. Zu Num 6,24 ff s. unten 411 f. Eberhardt, JHWH, 388 ff. 204 Zur Todesmetaphorik der Individualpsalmen s. unten 501 ff.511 ff. 205 Dies wird in Hos 13,14 („Aus der Gewalt der Unterwelt sollte ich sie [sc. die Israeliten] freikaufen, vom Tod sie auslösen? …“) zwar ausdrücklich negiert, damit aber als Möglichkeit JHWHs vorausgesetzt. Vielleicht ist hier auch Spr 15,11 zu berücksichtigen, wo von JHWHs prüfendem Blick in die Unterwelt die Rede ist. Zu beiden Texten s. Eberhardt, JHWH, 198 ff.243 ff und zu Spr 15,11 noch Schipper, Sprüche I (BK), 846 f. 206 Zu dieser Unterscheidung s. unten 512 ff. 207 Barth, Errettung, 92. Zu Ps 88,4 s. Janowski, Die Toten, 207 ff. 208 Barth, aaO 93. 202 S.
203 Vgl.
§ 2 Biographische Aspekte 93
Zwischenfazit Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Hebräischen Segensinschriften und die Individualpsalmen die Beziehung JHWHs zu den Toten unterschiedlich gewichten. Im Überblick lässt sich das folgendermaßen darstellen:209 – – – – –
Gerichtsprophetie (letztes Drittel 8. Jh. v. Chr.): Errettung vom ‚Tod im Leben‘, aber negiert (Hos 13,14) Ältere Spruchweisheit (8./7. Jh.?): JHWHs prüfender Blick in die Unterwelt (Spr 15,11) Inschrift 3 von Hirbet el-Kōm (Ende 8. Jh. v. Chr.): ˘ Gottesschutz im Leben und auch (?) im Tod (Z. 2 f) Silberamulette vom Ketef Hinnom (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr.): Gottesschutz im Leben und über den Tod hinaus (Amulett I Z. 11–18) KE und DE (ab spätvorexilischer Zeit): Errettung vom ‚Tod im Leben‘ (Ps *3–41.*42–72, vgl. Ps 68,20 f?)
Das verbindende Element zwischen diesen Aussagen, die auf unterschiedlichen Ebenen liegen, ist die Vorstellung von einem Gott, dessen Kompetenz sich auch auf den Bereich des Todes erstreckte und der gemäß der Metapher vom „leuchtenden Angesicht JHWHs“ (Ketef Hinnom Amulett I Z. 16–18, vgl. Num 6,24–26) möglicherweise solar konnotiert war.210 Man verband in spätvorexilischer Zeit mit dem Glauben an JHWH demnach die Hoffnung, dass er auch die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits überschreiten werde – ohne damit zu einem Totengott zu werden.
Weisheitlich-apokalyptische Texte Die vorexilische Textbasis für eine Verbindung zwischen JHWH und den Toten / dem Tod ist demnach zwar schmal, aber inhaltlich gewichtig. Diese Texte bildeten den fruchtbaren Boden, auf dem in persischer und hellenistischer Zeit umfassender als zuvor über die Kompetenz des vom Tod rettenden Israelgottes nachgedacht wurde. Dies kommt vor allem in den weisheitlichen Texten zum Ausdruck, die in spätnachexilischer Zeit dem JHWH‑Glauben mit den Topoi „ewiges Leben“ und „Unsterblichkeit (der Gottesbeziehung)“ neue Perspektiven eröffnen. Gemeint ist damit eine selbst durch den Tod nicht zerstörbare, dauerhafte Gemeinschaft mit Gott (vgl. Ps 16,10 f) bzw. die Hoffnung, dass die im Leben gewachsene Gemeinschaft mit Gott von diesem verendgültigt wird (vgl. Ps 73,23 ff).211 In hellenistischer Zeit treten schließlich nicht nur spätprophetisch-apokalyptische Texte hinzu, die von der Auferstehung vom Tod / der Toten sprechen (Ez 37,1 ff; Jes 25,6 ff; 26,17 ff; Ps 22,28 ff; Dan 12,1 ff, vgl. 2 Makk 7,9 ff u. a.), sondern auch spätweis-
Janowski, Gott Israels, 286 ff. Berlejung, Tod, 489 könnte man diesen Prozess mit der Solarisierung JHWHs in Zusammenhang bringen, der ab der mittleren Königszeit (8./7. Jh. v. Chr.) in Juda / Jerusalem einsetzte, s. dazu auch Schroer, Totenweltmythologie, 298 f; Leuenberger, Leben, 112 und Eberhardt, aaO 208 ff. 211 S. dazu auch unten 515 ff. 209 Vgl. 210 Mit
94 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens heitliche Texte, in denen die Unsterblichkeits- und Auferstehungshoffnungen skeptisch beurteilt werden (Pred 3,19 ff; 9,4 ff u. ö.).212 𓇼
Überblickt man die skizzierte Gesamtentwicklung, so ist festzuhalten, dass die Kompetenzausweitung JHWHs nicht auf einer sukzessiven Addition entsprechender Perspektiven und Tendenzen, sondern auf einem ‚Umschlag des Denkens‘ beruht, der vor allem mit der Entstehung des Monojahwismus / Monotheismus, der Todesmetaphorik der Individualpsalmen und der Krise des Tun/ Ergehen-Zusammenhangs zusammenhängt. Die Entwicklung verlief dabei nicht in klar voneinander abgegrenzten Phasen, sondern ineinander verzahnt und mit vielfältigen Überlappungen:213 Spätvorexil./exil.nachexil. Zeit ab 7. Jh.
Individualpsalmen Ps *3–41.*42–72 u. ö.
Errettung vom ‚Tod im Leben‘
Persische Zeit 539–333
Weisheitstexte Hi 19,25 ff; Ps 16,10 f; 73,23 ff
‚Ewiges Leben‘/Unsterblichkeit (der Gottesbeziehung)
Hellenist. Zeit ab 4. Jh.
Ps 49,15 f (3. Jh.?) Skepsis: Koh 3,19 ff u. ö.
4./3. Jh. 2. Jh.
Apokalyptische Texte Ez 37,1 ff; Jes 25,8; 26,19; Ps 22,28 ff Dan 12,2 f.13
Auferstehung vom Tod / der Toten
Abb. 15: Zur Geschichte der Kompetenzausweitung JHWHs
Im Übrigen ist es ein Vorurteil anzunehmen, dass das Alte Testament „im Blick auf das Geschick der Toten mit seiner kanaanäischen Umwelt … die Erwartung eines endgültigen ‚Aus‘ (teilt)“214. Das Gegenteil ist der Fall. Selbst ein Skeptiker wie Kohelet zerschneidet in seinem Schlussgedicht (Pred 11,9–12,8) nicht die Verbindung zu seinem Schöpfer, sondern ruft – in pointierter Umkehrung von Gen 2,7 – dazu auf, an ihn zu denken, „ehe die Tage des Übels kommen“ (12,1) und der Mensch als „Staub zur Erde“ und sein „Atem-Geist zu Gott“ zurückkehrt, der ihn gegeben hat (12,7).215 Wie anders nimmt sich demgegenüber das stoische Fazit Epikurs – „Der Tod geht uns nichts an“ (s. Q 159) – aus, das in dem großen Lehrgedicht De rerum natura (s. Q 184) seines römischen Bewunderers Lukrez mehrfach wiederholt wird! den genannten weisheitlich-apokalyptischen Texten s. Janowski, aaO 291 ff und Fischer, Tod, 181 ff.214 ff. 213 S. dazu Janowski, aaO 298 f, ferner Eberhardt, aaO 393 ff.401 und Schnocks, Rettung, 17 ff. Die Datierung einzelner Texte wird dabei unterschiedlich beurteilt. So wird etwa Ps 88 von Schnocks, aaO 117 f ins 5. Jh. v. Chr. datiert. 214 Müller, Weltbild, 13. 215 S. dazu oben 77 ff. 212 Zu
Nachtrag zu § 2 (47 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Lebensphasen“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). Zur Vorstellung von der Erde als Mutter der Toten (oben 47) s. Schroer, Nackt, 175 ff. 1. Der Weg ins Leben a) Die Erschaffung durch Gott (50 ff ) Zur Erschaffung und Geschöpflichkeit des Menschen s. Janowski, Schöpfungsglaube, 91 ff, ferner Gies, Anthropologie, 41 ff. α) Gen 2,7 als locus classicus (50 ff ) S. dazu Tödter, Hoffnung, 57 f.206.410 (mit z. T. problematischen Thesen). Zu nešāmā in Gen 2,7 (und rûaḥ in Ps 104,27 u. a.) s. Newsom, Models, 109 ff. Exkurs 3: næpæš und ψυχή (54 ff ) Zur Bedeutung und Rezeptionsgeschichte von næpæš und ψυχή s. die neueren Beiträge von Grund-Wittenberg, Soliloquy, 485 f.497 ff; Weissenrieder / Dolle (Hg.), Körper, 144 ff; Smith, Soul Talk, 77 ff; Newsom, Models, 111 ff; Böhmisch, Anthropologie, 37 ff; Schaper, Elements, 156 ff; Volp, „Gebote“, 407 ff; Kumpmann, Seele, 107 ff; Marschall, Doe’s Call, 1 ff; Böhler, Psalmen 1–50 (HThK.AT), 782 (Exkurs); Lilly, Corporeality, 396 ff; Janowski, „Kehle“, 176 ff; Gies, Anthropologie, 21 f und Tödter, Hoffnung. Im Gespräch mit Sauter, Seele, 308 ff gehe ich noch einmal auf die Frage ein, ob næpæš mit „Seele“ zu übersetzen ist (s. Janowski, „Kehle“, 176 ff ). Wenn man für næpæš auf die Übersetzung „Seele“ verzichtet und stattdessen den Bedeutungsaspekt „Leben, Lebenskraft“ zugrunde legt, mag das für manch einen ein herber Verlust sein, der nicht hinnehmbar ist. Dann aber muss man zeigen können, dass die Übersetzung „Seele“ für næpæš nicht nur Hand und Fuß hat, sondern unhintergehbar ist. Solange das nicht gelingt, gibt es m. E. keine Alternative zum Verzicht auf diese Deutung. Im Übrigen ist der Gewinn, der mit diesem Verzicht, einhergeht, nicht zu übersehen. Er besteht in der Erkenntnis, dass
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der Begriff næpæš von seiner Grundbedeutung „Kehle, Schlund“ bis zu seinen Bedeutungen „vitales Selbst“, „Leben(skraft)“, „individuelles Leben, Person“ ein ganzes Spektrum von Aspekten umfasst, die den Menschen des alten Israel in seiner psychosomatischen Ganzheit in den Blick zu nehmen erlauben. Diese Erkenntnis zurückzugewinnen und für die theologische Anthropologie fruchtbar zu machen, dürfte eine Bereicherung sein. Dass andererseits der in der abendländischen Tradition entstandene Seelenbegriff in der christlichen Frömmigkeitsgeschichte eine zentrale und auch unersetzbare Bedeutung gewonnen hat, dürfte ebenso deutlich sein. Der Vorschlag von G. Sauter, im Blick auf diese Frömmigkeitsgeschichte von der Seele als „eine(r) Metapher für geprägte Lebendigkeit“ (Sauter, aaO 310) zu sprechen, ist jedenfalls bedenkenswert. Denn er wahrt mit dem Begriff „Lebendigkeit“ die Verbindung zum Bedeutungsspektrum des alttestamentlichen næpæš-Begriffs. Leider wird die materialreiche Untersuchung von Tödter, Hoffnung diesen Zusammenhängen kaum gerecht. Besonders sein Festhalten an der Übersetzung von næpæš und auch von leb/lebāb („Herz“) und kelājôt („Nieren“) mit „Seele“ (s. zusammenfassend 391 ff.431 ff ) kann nicht überzeugen, weil seine Argumentation etwas Gezwungenes hat und Gegenmeinungen z. T. ohne Begründungen einfach abgetan werden. Zum Thema „Seele“ im Alten Orient und in Ägypten s. Bauks, Seele-Begriff, 45 ff, zu ψυχή im griechischen Denken s. Meyer, Psyche, 67 ff und Tödter, aaO 303 ff. b) Geburt und Namengebung α) Das Wunder der Geburt (61 ff ) Zu Ps 139 s. Krause-Vilmer, Nah, 77 ff und Gies, Anthropologie, 199 ff. Zum Geburtsschmerz und zu den Riten im Kontext der Geburt s. Sager, Die Leidtragenden, 109 ff und Schmitt, Religionen, 83 ff. β) Der Akt der Namengebung (71 ff ) Das Alte Testament enthält mehrere Personennamen, die mit Schöpfungsverben (bānāh „bauen“, bārāʾ „schaffen, hervorbringen“, ʿāśāh „machen, erschaffen“ u. a.) und einem theophoren Element (JHWH oder Gott) gebildet sind. Dazu treten die Nomina jeṣær „Gebilde“, maʿaśæh „Werk“ und miqnæh „Geschöpf “, die z. T. ebenfalls um ein theophores Element erweitert sind. Insgesamt sind die mit diesen Verben und Nomina gebildeten Personenamen über 90-mal belegt (s. dazu Albertz, Individualität, 142 ff u. a.). Die Frage ist natürlich, wie alt diese Vorstellung ist. Einen Hinweis könnten die Personennamen ʿaśāhʾel „Gemacht hat Gott“ (2 Sam 2,18 ff u. ö.), ʾælqānāh „Gott hat geschaffen“ (1 Sam 1,1 ff u. ö.) und benājāhû „Gebaut hat JHW“ (2 Sam 8,18; 23,20.22 u. ö.) geben, die in die frühe Königszeit (10./9. Jh. v. Chr.) gehören dürften. Überbewerten sollte man diesen
Nachtrag zu § 2 97
Sachverhalt nicht. Immerhin wird diese Beobachtung durch die althebräische Epigraphik gestützt. Denn im Korpus der althebräischen Inschriften gibt es 39 Personennamen mit Schöpfungsbezug, die insgesamt 148-mal belegt sind und aus dem 9.–6. Jh. v. Chr. stammen, s. dazu Albertz / Schmitt, Religion, 277 ff.587 ff; Schmitt, Religionen, 69 ff und Janowski, Schöpfungsglaube, 188 ff. 2. Das Ende des Lebens a) Bilder von Alter und Tod (77 ff ) Zum Thema „Lebensalter/Lebenserwartung“ s. Liess, Kulturen, 39 ff; dies., Ideal, 31 ff und dies., Perspectives (im Druck). Speziell zu Pred 11,9–12,8 s. Sitzler, Tod; Saur, Maß, 54 ff; Spieckermann, Jugend, 193 ff und Gies, Anthropologie, 182 ff. Für eine theologische Perspektive auf das Alter s. Sauter, Alter b) Die Verbindung mit den Toten (85 ff ) Zur Bestattung, zur Totenfürsorge und zu den Trauerriten s. Schmitt, Religionen, 89 ff; Krüger, Leiden, 383 ff und Kamlah, Art. Tomb/s, 983 ff.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie. Genesis 1,27
Im Vorhergehenden war ausführlich von den Lebensphasen des Menschen mit ihren beiden Eckpunkten Geburt und Tod die Rede. Zwischen ihnen verlief das Leben des Einzelnen von der Kindheit und Jugend über das Erwachsenendasein (Heirat, Beruf, Arbeitsleben) bis zum Erreichen des Alters mit seinen kleinen und großen Beschwerden. Die Lebensphasen wurden im Kreis der Familie bzw. der Hausgemeinschaft durchlebt, die in der Regel drei bis vier Generationen umfasste.1 Hier wurden nicht nur Werte wie Vertrauen, Verantwortung und Gerechtigkeit vermittelt, sondern auch die Geschlechterrollen geprägt, die für das Zusammenleben im privaten wie im öffentlichen Raum leitend waren. 1. Die Rolle der Geschlechter Altes Testament: Bauks, Selbstreflexivität, 93 ff ◆ Berlejung / Merz, Art. Sozialstatus / Gesell-
schaft, 55 ff ◆ Bird, Persons, 123 ff.155 ff ◆ Cohn Eskenazi, Frauen, 15 ff ◆ Engelken, Frauen ◆ Fechter / Sutter Rehmann, Art. Frau / Mann, 149 ff ◆ Fischer, Egalitär, 265 ff ◆ Dies., Exegese ◆ Dies., Verhältnis, 309 ff ◆ Frevel, Art. Frau / Mann, 197 ff ◆ Maier, Körper, 183 ff ◆ Meyers, Archäologie, 63 ff ◆ Dies., Eve ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 63 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 238 ff ◆ Zwickel, Frauenalltag. – Antike Religionen: Klinger u. a. (Hg.), Geschlechterdifferenz ◆ Morgenstern, Mensch, 252 ff ◆ Schmitt-Pantel (Hg.), Frauen.
Da das alte Israel eine agrarisch geprägte Gesellschaft war, die sich hauptsächlich durch Ackerbau und Viehhaltung ernährte und wenige urbane Zentren besaß, war das Auskommen der Familien auf die Zusammenarbeit aller ihrer Mitglieder angewiesen. Die Familie war nicht nur ein Geflecht von gestuften Rechten und Pflichten, sondern auch von gegenseitigen Solidaritätsbeziehungen, wie die Arbeitsteilung von Männern und Frauen im Israel der Königszeit zeigt.2 Mit der in der perserzeitlichen Provinz Juda / Jehud (450–333 v. Chr.) einsetzenden
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S. dazu unten 121. S. dazu unten 108 ff.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 99
„Herausbildung einer Marktwirtschaft auf der Grundlage von Marktbeziehungen differenzierten sich Berufe aus, die meist von M.(ännern) ausgeübt wurden (Töpfer, Bäcker, Weber, Winzer, Fischer u. a.)“. In diesem Kontext wurde den Frauen zunehmend „die (gesellschaftlich geachtete, vgl. Spr 31) Rolle der Hausfrau und Mutter zugewiesen, die für die Haushaltsführung sowie die Alten- und Kinderversorgung zuständig ist. Diese Arbeitsteilung gilt bis in ntl. Zeit“3.
Trotz dieses Sachverhalts wird die Sicht des Geschlechterverhältnisses immer wieder von Reflexionen begleitet, die für eine patriarchale Gesellschaft überraschend sind, weil sie von der fundamentalen Gleichheit der Geschlechter ausgehen und auch heute ein kritisches Korrektiv zu traditionellen Rollenbildern darstellen. Eine solche Reflexion findet sich am Anfang der nichtpriesterlichen Urgeschichte (Gen *2,4b–8,22), der wir uns zunächst zuwenden. a) Mann und Frau Obwohl es für den priesterlichen Verfasser(kreis), wie die Kult- und Reinheitsbestimmungen in Lev 1–15 und in Lev 17–26 zeigen,4 große Statusunterschiede zwischen Mann und Frau gibt, geht der priesterliche Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) von der schöpfungsgemäßen Gleichheit der Geschlechter aus: 26 Und Gott sprach: „Wir wollen Menschen machen als unser Bild, etwa wie unsere Ähnlichkeit, damit sie herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alles 〈Wild〉 der Erde und über alle Kriechtiere, die kriechen auf der Erde.“ 27 Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie. (Gen 1,26 f)
Nach Gen 1,27 wird mit dem ersten Menschenpaar die Menschheit erschaffen, und zwar in geschlechtlicher Differenzierung als „Mann“ und „Frau“ bzw. genauer: „männlich“ und „weiblich“:5 ᾽ādām „Mensch / Menschen, Menschheit“ zākār + neqebāh „männlich“ „weiblich“
Frevel, Art. Frau / Mann, 197 f, s. dazu auch Cohn Eskenazi, Frauen, 25 ff.33 ff; Altmann, Economics und zu den sozialen Rahmenbedingungen im perserzeitlichen Juda Kessler, Sozialgeschichte, 142 f. 4 S. dazu unten 441 ff. 5 S. dazu Fischer, Egalitär, 267 f; dies., Verhältnis, 309 ff und Kessler, Ethik, 98 f. 3
100 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Dies ist „ein egalitäres Konzept der Geschlechterdifferenz“6. Nach dem nichtpriesterlichen Text Gen 2,4b–25 wird dagegen nicht die – geschlechtlich differenzierte – Menschheit gebildet, sondern aus dem Protoplasten, also dem geschlechtlich noch undifferenzierten „Menschen“ (Gen 2,7)7 werden zwei einzelne Exemplare der Gattung geschaffen, die in der Folge „Mann“ und „Frau“ genannt werden: hā᾽ādām „der Mensch“ (Gen 2,7)
᾽iššāh (Gen 2,22 ff ) ← ᾽îš (Gen 2,23 f ) „Frau“ „Mann“
Das bedeutet, dass vom „Mann“ erst nach der Erschaffung der „Frau“ gesprochen wird. Die Sachlage ist allerdings komplexer als in dieser Skizze dargestellt. In Gen 2,4b–20 steht die Gattungsbezeichnung „(der) Mensch“. Das ändert sich ab V. 22: 22 Mensch (hā᾽ādām) + Frau (᾽iššāh) 23 f Mensch differenziert in Mann + Frau 23 hā᾽ādām + ᾽iššāh8 24 ᾽îš + ᾽iššāh 25 Mensch (hā᾽ādām) + „seine Frau“ (᾽iššāh)
Die oszillierende Verwendung von ᾽ādām setzt sich dann in Gen 3,1 ff fort, um in Gen 3,22 ff zur allgemeinen Rede vom „Menschen“ zurückzukehren, wie es in Gen 2,4b–20 der Fall war.9 Was die in Gen 1,27 beschriebene Gleichheit von Mann und Frau angeht, so bleibt diese ein „kritisches Korrektiv für heutige Anthropologien“10. Auch die nichtpriesterliche Schöpfungs- und Paradiesgeschichte (Gen 2,4b–3,24) konstruiert, trotz der frauenfeindlichen Rezeption von Gen 3 durch Sir 25,24 (s. Q 203) und darüber hinaus, kein schöpfungsgemäßes Gefälle zwischen Mann und Frau. Im Gegenteil, wie wir sehen werden. α) Die Erschaffung der Frau Altes Testament: Bird, Persons, 163 ff ◆ Brandscheidt, „Nicht gut“, 29 ff ◆ Bührer, Anfang, 222 ff.226 ff.230 f ◆ Dohmen, Schöpfung, 64 ff ◆ Ders., Gott, 41 ff ◆ Janowski, Anerkennung, 185 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 147 ff ◆ Meinhold, Frau, 35 ff ◆ Meyers, Eve, 59 ff ◆ Schün-
Fischer, Egalitär, 268. S. dazu ausführlich Bauks, Selbstreflexivität, 95 ff.100 ff, anders Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 103. Sowohl in der mesopotamischen (Atram-Hasīs I, s. Q 71) als auch in der antikjüdischen ˘ die Auffassung, dass der Schöpfergott, um Tradition (Genesis Rabba 8,1, s. Q 193) findet sich zur Zweiheit von Mann und Frau zu gelangen, eine Teilung des androgynen Urmenschen vornimmt. Zur platonischen Vorlage s. Q 155. 8 Zur Volksetymologie in V. 23b (᾽iššāh „Frau“ ← ᾽îš „Mann“) s. die Hinweise bei Bührer, Anfang, 227 Anm. 278. 9 S. dazu Dohmen, Gott, 41 ff; Bührer, aaO 188 ff und Bauks, aaO 100 ff. 10 Frevel, Art. Frau / Mann, 199. 6
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§ 3 Gender- und Generationenaspekte 101
gel-Straumann, Frau, 103 ff ◆ Uehlinger, Eva, 90 ff ◆ Ders., Knochenfrau, 31 ff ◆ Witte, Urgeschichte, 159 ff.
Nachdem der ersterschaffene und geschlechtlich noch undifferenzierte Mensch (hā᾽ādām) von Gott in den Garten Eden gesetzt (Gen 2,8 f) und mit Nahrung von allen Bäumen des Gottesgartens bis auf den „Baum des Wissens von Gut und Böse“ versorgt worden war (Gen 2,16 f), setzt der Bericht von der Erschaffung der Frau in Gen 2,18–25 damit ein, dass dieser Mensch eine „Hilfe“ braucht, die ihm entspricht (V. 18, vgl. V. 20, ferner Tob 8,6, s. Q 202). Der Text versucht das Wesen des Menschen durch „die narrativ entfaltete Suche nach einem ihm entsprechenden Gegenüber“11 zu erfassen, die aber zunächst einen negativen Ausgang nimmt: 18 Da sprach JHWH Elohim: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht.“ 19 Da formte JHWH Elohim aus dem Ackerboden jegliches Getier des Feldes und alle Vögel des Himmels,12 und er brachte (sie) zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde, und alles, was ihnen der Mensch – ein lebendiges Wesen13 – zurief, das wurde ihr Name. 20 Da gab der Mensch Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes, aber für den Menschen fand sich keine Hilfe, die ihm entspricht.
Der Versuch, die Tiere als eine „Hilfe“ für den Menschen zu erschaffen, die ihm entspricht, gelingt nicht, weil sie dem Menschen keine entsprechende Hilfe bieten (2,19 f). Worin diese bestehen könnte, lässt sich zunächst via negativa bestimmen. Eine „Hilfe“ für die Arbeit des Menschen im Garten (Gen 2,5, vgl. 2,15) ist damit jedenfalls nicht intendiert, weil die Tiere – die Tiere des Feldes und die Vögel des Himmels14 – dafür von vornherein ungeeignet sind. Was der Mensch braucht, ist nicht Assistenz, sondern Gemeinschaft bzw. Vergesellschaftung (vgl. 2,18.20). Diese können ihm die Tiere – trotz ihrer kreatürlichen Verwandtschaft mit dem Menschen – aber nicht bieten, was der Mensch offenbar an ihrer Benennung erkennt (2,20b).15 Dohmen, aaO 43. Im Unterschied zum Menschen (zu Gen 2,7 s. oben 50 ff) wird den Tieren von Gott kein Lebensatem eingeblasen. Wie Gen 6,17; Ps 104,29; Pred 3,21 u. a. zeigen, heißt das aber nicht, dass sie keinen Lebensatem besitzen. „Es dürfte stillschweigend vorausgesetzt sein, dass die Tiere den gleichen Lebensatem in sich tragen wie die Menschen. Zumindest wird Gen 2,19 durch Koh 3,21 in diesem Sinne vereindeutigt“ (Schwienhorst-Schönberger, Kohelet [HThK. AT], 538), s. dazu auch Irsigler, „Schöpfer“, 331 Anm. 72. 13 S. dazu oben 73 mit Anm. 123. 14 Nicht die Fische des Meeres, vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 146 Anm. 24. 15 Zum Akt der Namengebung s. oben 71 ff. 11
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102 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
So unternimmt Gott einen zweiten Versuch und „baut“ (bānāh) eine der „Rippen“ (selā῾)16 des Menschen zu einer Frau aus, die er zu ihm bringt, um zu ˙ sehen, wie er reagiert (2,21 f). Diese Reaktion fasst der Text in die hymnischpoetische Verwandtschaftsformel (V. 23), die bei geschlechtlicher Differenz von Mann und Frau ihre somatische Gleichheit betont (V. 23a: „Gebein von meinen Gebeinen …“), was durch die Volksetymologie ᾽iššāh „Frau“ ← ᾽îš „Mann“ in V. 23b17 noch unterstrichen wird: 21 Da ließ JHWH Elohim einen Tiefschlaf auf den Menschen fallen, und er schlief ein, und er nahm eine von seinen Rippen, und er verschloss das Fleisch an ihrer Stelle. 22 Und JHWH Elohim baute die Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer Frau und brachte sie zu dem Menschen. 23 Da sagte der Mensch: „Diese endlich ist Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleisch, und diese soll ᾽iššāh („Frau“) genannt werden, denn vom ᾽îš („Mann“) ist diese genommen. 24 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch.“ 25 Und beide waren nackt, der Mensch und seine Frau, und sie schämten sich nicht voreinander.
Die Verwandtschaftsformel V. 2318 besagt, dass der Mensch nicht dem Tier, sondern nur dem Menschen verwandt ist und der Mann allein in der Frau und diese in ihm sein / ihr „Gegenüber“ hat. Dieser Formel wird in V. 24 eine Metareflexion angehängt, die davon spricht, dass ein Mann seine Eltern „verlässt“ (῾āzab) und seiner Frau „anhängt“ (dābaq, vgl. Gen 34,3 u. ö.) und sie beide zu „einem Fleisch“ (bāśār ᾽æhād) werden. V. 25 formuliert schließlich ein Summarium und ˙ bildet gleichzeitig den Übergang zur Paradieserzählung in Gen 3.19 Der mit begründendem „darum“ eingeleitete Satz V. 24 widerspricht nicht der patrilinear organisierten Gesellschaft des alten Israel20 und ist auch kein Plädoyer für eine matrilokale Eheform. Vielmehr verweist der Text auf die elementare Kraft der Liebe zwischen Mann und Frau und will
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Der Terminus selā῾ gehört nicht zum Schöpfungsvokabular, sondern ist ein Begriff der ˙ bezeichnet die „Seite“ (eines Berges, der Lade u. a.) oder ein Bauelement Architektur und (Bretter, Balken beim Bau des Tempels u. a.), s. dazu Uehlinger, Eva, 96 und Ges18, 1120 f s. v. selā῾. Zur Rezeption von Gen 2,22 im Midrasch Bereschit Rabba 18,2 s. Plietzsch, Rippe, ˙ 159 ff. S. dazu oben 100 Anm. 8. Zu dieser Formel und ihren Abwandlungen s. noch Gen 29,14; Ri 9,2; 2 Sam 5,9; 19,13 f; 1 Chr 11,1 und Bührer, aaO 227 Anm. 279. S. dazu unten 432 ff. Zur Patrilinearität s. Utzschneider, Patrilinearität, 60 ff und unten 120 ff.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 103
„vermutlich … nicht an vorfindliche Lebensverhältnisse anschließen, sondern dazu eine Gegenwelt entwerfen. Der Liebe zwischen Mann und Frau eignet eine Intimität, die soziale Konventionen übersteigt und im Garten Eden ihren eigentlichen, wenngleich imaginären Ort findet“21.
Damit ist auch ein Maßstab für die Frage nach dem Menschen gewonnen: nicht soziale Konvention, sondern – diese transzendierend – die empathische Beziehung des Menschen zum Menschen macht das proprium humanum aus.22 Dass dieser Maßstab auch im alten Israel immer wieder außer Kraft gesetzt wurde, tat seiner Verbindlichkeit keinen Abbruch. Diese Verbindlichkeit wird nach Gen 2,21–23 „ursprungsmythisch“ in der Erschaffung der Frau aus dem Menschen verankert und nach Gen 2,24 als Lebens- und Liebesbeziehung von Mann und Frau expliziert. Es gibt einen interessanten intertextuellen Zusammenhang zwischen Gen 2,24 und Ruth 2,11. Nur in diesen beiden Texten begegnet die Wendung „Vater und Mutter verlassen (῾āzab)“, zum einen in Bezug auf den ersterschaffenen Menschen / Mann (Gen 2,24) und zum anderen in Bezug auf Ruth (Ruth 2,11), der Boas bei ihrer ersten Begegnung auf ihre Frage nach dem Grund für seine „Gunst“ antwortet: Verkündet, ja verkündet wurde mir alles, was du für deine Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes: Du hast deinen Vater und deine Mutter und das Land deiner Verwandtschaft verlassen und bist zu einem Volk gegangen, das du zuvor nicht gekannt hast. (Ruth 2,11) Dieser Text kombiniert Gen 2,24 und Gen 12,123 miteinander und besagt, „dass das Verlassen von Vater und Mutter in andere – aber ebenso gottgewollte – Beziehungen führen kann als in eine Ehe“24.
Werfen wir abschließend noch einmal einen Blick auf den Vorgang der Erschaffung der Frau. Auch dieser vollzieht sich – darin Gen 2,7 vergleichbar – in zwei Akten des Schöpfergottes: im Nehmen einer der „Rippen“ des Menschen und in deren Ausbau zu einer Frau. Dabei entsprechen sich die Wendungen „von seinen Rippen“ (V. 21) und „von meinen Gebeinen / Knochen“ (V. 23), womit die Herkunft der Frau vereindeutigt und ihre leibliche Verwandtschaft mit dem Mann betont wird. „Durch diese Herkunft vom Mann (me᾽îš) hat sie (sc. die Frau) Anteil an all dem, was den Mann ausmacht, sie besteht wie dieser aus Gebein und Fleisch (2,23).“25 Worin aber besteht die „Hilfe“, die die Frau dem Mann bringen soll? Schüle, Prolog, 172, s. dazu auch Keel, Hohelied (ZBK.AT), 39 ff; Keel / Schroer, Schöpfung, 152 f und Bührer, Anfang, 230 f. 22 Vgl. Dohmen, Gott, 43 f. 23 „Geh aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde!“. 24 Köhlmoos, Ruth (ATD), 42, vgl. Fischer, Rut (HThK.AT), 176 f und unten 202 f. 25 Bührer, aaO 227, vgl. auch Haag, Art. Gebeine, 738 und Brandscheidt, aaO 42 f. Für die Vorstellung, dass Gott die „Rippe“ (selā῾), die er vom Menschen genommen hatte, zu einer Frau ˙ 21
104 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
β) „Eine Hilfe, die ihm entspricht“ Altes Testament: Beyer, Hoffnung, 197 ff ◆ Brandscheidt, „Nicht gut“, 38 ff ◆ Bührer, An-
fang, 224 f ◆ Dohmen, Gott, 42 ff ◆ Fischer, Egalitär, 268 f ◆ Janowski, Anerkennung, 189 f ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 147 ff ◆ Meyers, Eve, 73 ff.
Der Impuls zur Erschaffung der Frau geht nicht vom Motiv der Zeugung und Aufzucht der Kinder,26 sondern von dem Gedanken aus, dass es für den „Menschen“ nicht gut ist, dass er allein sei. Die Verhinderung der Einsamkeit durch Zweisamkeit – und wie der Reflexionstext V. 24 präzisiert: durch Liebe – ist, wie der Schöpfer nach V. 18 feierlich deklariert, der eigentliche Sinn der Erschaffung der Geschlechter: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein (lebad) ist, ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht (῾ezær kenægdô).
Wie die Wendung „eine Hilfe, die ihm entspricht“ (῾ezær kenægdô V. 18b, vgl. V. 20b) zeigt, wird die Zweisamkeit der Geschlechter durch zwei Aspekte konkretisiert: zum einen durch die Hilfsbedürftigkeit des „Menschen“ (῾ezær- Aspekt) und zum anderen durch die Entsprechung der Geschlechter (nægæd-Aspekt). Entgegen der Auslegungsgeschichte – wie sie, den hebräischen Wortlaut karikierend, in vielen Übersetzungen von Gen 2,18.20 zum Ausdruck kommt – besteht die „Hilfe“ der Frau für den Mann nicht in der Entlastung bei der Arbeit im Gottesgarten,27 sondern in der Überwindung der Einsamkeit. Nicht derjenige, der Hilfe braucht, ist stark – er ist im Gegenteil „allein“ und „elend“ (Ps 25,16; 72,12; 107,12 u. ö.) –, sondern derjenige, der anderen eine Hilfe ist.28 Von einer Unterordnung ist dabei nirgends die Rede. Das zeigt mit wünschenswerter Deutlichkeit die Nebenprädikation kenægdô, die syntaktisch als pleonastische Variante zur Vergleichspartikel ke „wie“ fungiert29 und mit „wie sein Gegenüber“ oder vereinfachend mit „ihm entsprechend“ bzw. „seinesgleichen“ zu übersetzen ist. Die von Lebenserfahrung geprägte Einsicht, dass Einsamkeit für einen Menschen nicht gut ist, findet sich auch in der Weisheitsliteratur und hier besonders im Kohelet- und im Sirachbuch.30
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„(aus)baute“ (bānāh), gibt es vielleicht eine Analogie in den Lehmfiguren aus ῾En Ghazal (s. Q 136). S. dazu Schüngel-Straumann, Frau, 103ff und Keel / Schroer, Schöpfung, 153f. Das wäre auch deswegen nicht plausibel, weil die Arbeit (Gen 2,5, vgl. 2,15) offenbar „mühelos“ vonstatten geht und von einer Arbeitsbelastung („unter Mühsal“) erst in Gen 3,17–19 die Rede ist. S. dazu Hieke, Staub, 258; Keel / Schroer, aaO 148 und Fischer, Egalitär, 268 f. Diese Lebenshilfe ist auch dort gemeint, wo Gott das Subjekt von ῾ezær „Hilfe“ bzw. von ῾āzar „helfen“ ist (Ps 25,5; 27,9 f; 33,20; 70,6; 115,9–11; 121,1 f; 124,8; 146,5 u. ö.) und den Beter / Israel aus Gewalt, Unterdrückung oder Todesnot errettet. S. dazu Jenni, Vergleichbarkeit, 210 und ders., Kaph, 44; zur Konstruktion vgl. Ps 55,14. Vgl. Sir 6,5 ff; 37,1 ff u. ö., s. Q 205.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 105
Exkurs 5: Zweisamkeit Altes Testament: Dietrich, Sozialanthropologie, 229 ff ◆ Janowski, Anerkennung, 190 ff ◆
Keel / Schroer, Schöpfung, 147 f ◆ Krüger, Erwägungen, 53 ff ◆ Riede, Art. Vereinzelung, 415 ff • Seidel, Einsamkeit ◆ Weippert, Welterfahrung, 184 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 302 ff. – Antike Religionen: Uehlinger, Qohelet, 180 ff. – Kultur- und Literaturwissenschaft: Assmann / Assmann (Hg.), Einsamkeit. Nach dem Alten Testament gilt Einsamkeit nicht als erstrebenswertes Ziel, sondern als Bedrohung.31 Auf diese Bedrohung kommt Kohelet in Pred 4,1–6,9 zu sprechen, wobei er zwei alternative Lebensentwürfe – den des einsamen (V. 7 f) und den des vergesellschafteten Menschen (V. 9–12) – einander gegenüberstellt:
Einsamkeit 7 Und wiederum sah ich Windhauch unter der Sonne: 8 Jemand steht allein (᾽æhād) und hat niemanden bei sich, ˙ ja, er besitzt nicht einmal einen Sohn oder Bruder, aber seine Arbeit nimmt kein Ende, und überdies kann sein Auge vom Reichtum nicht genug bekommen. Doch für wen strenge ich mich an, und (warum) gönne ich mir nichts Gutes? Auch das ist Windhauch, ja, ein schlechtes Geschäft ist es.
Zweisamkeit 9 Zwei sind besser als einer allein (᾽æhād), ˙ wenn ihnen guter Lohn aus ihrer Arbeit zuteil wird. 10 Denn wenn sie hinfallen, kann der eine seinem Gefährten aufhelfen. Doch wehe dem, der allein (᾽æhād) ist, wenn er hinfällt, ˙ ohne dass einer bei ihm ist, der ihm aufhilft! 11 Außerdem: Wenn zwei zusammen schlafen, wärmen sie einander, doch einem allein (᾽æhād) – wie soll ihm warm werden? ˙ 12 Und wenn jemand den überwältigt, der allein (᾽æhād) ist, ˙ zwei können ihm standhalten, und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell. (Pred 4,7–12)32 Um was es Kohelet hier geht, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, konkret die Frage nach dem „Guten“ bzw. dem „Glück“ (tôb / tôbāh).33 Glück im Sinn von „glücklich sein“ – ˙ ˙ und nicht von „Glück haben“ – ist „kein direkter Gegenstand menschlichen Strebens, sondern die Begleiterscheinung im Falle des Gelingens: die Qualität eines zufriedenstellenden, weil sinnvollen, eben guten Lebens“34. Zum Glück kann man sich nicht entschließen. Wohl aber zu einer Lebensform, die das sinnvolle, gute Leben erhoffen lässt. „Nicht im Menschen gründet das Glück“ hatte Kohelet am Ende der Köngistravestie (Pred 1,12–2,26) erkannt und dazu ausgeführt: S. dazu Seidel, Einsamkeit; Wolff, Anthropologie, 302 ff und Dietrich, Sozialanthropologie, 229 ff. 32 Übersetzung Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 297 f. 33 S. dazu Krüger, Erwägungen, 53 ff. 34 Höffe, Art. Glück, 115. 31
106 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Nicht im Menschen gründet das Glück, wenn er isst und trinkt und er seine næpæš35 Gutes sehen lässt bei seiner Arbeit. Vielmehr habe ich selbst gesehen (rā᾽āh), dass dies aus der Hand Gottes stammt. (Pred 2,24) Das Lebensglück, von dem hier die Rede ist, besteht „in einer spezifischen Form von Erfahrung“36. Später, in der Auseinandersetzung mit einem vorphilosphischen Glücksverständnis (Pred 4,1–6,9), kommt Kohelet zu der Einsicht, dass „zwei besser sind als einer allein“ (Pred 4,9a). Das ist die Alternative zum Individualismus von Pred 4,7 f. Während Gen 2,18.20 die Frage nach der Zweisamkeit schöpfungstheologisch beantwortet, entfaltet Pred 4,9–12 diese Frage anhand einer sprichwörtlichen These (V. 9.12b), die er dreifach begründet:
Sturz 10 Denn wenn sie hinfallen, kann der eine seinem Gefährten aufhelfen. Doch wehe dem, der allein ist, wenn er hinfällt, ohne dass einer bei ihm ist, der ihm aufhilft!
Kälte 11 Außerdem: Wenn zwei zusammen schlafen, wärmen sie einander, doch einem allein – wie soll ihm warm werden?
Überfall 12 Und wenn jemand den überwältigt, der allein ist, zwei können ihm standhalten, und eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell. Sturz, Kälte und Überfall beschwören typische Gefahren des Alleinseins und warnen damit vor einem fragwürdigen Individualismus.37 In allen drei Gefahren melden sich „Nöte des menschlichen Lebens, in denen der Tod als Bote vernehmbar wird“38. Natürlich meint Kohelet nicht, dass die Gefahren des Todes durch Zweisamkeit gebannt werden könnten, sondern vielmehr, dass der Alleinstehende ihnen in besonderer Weise ausgesetzt ist. In der von ihm propagierten Hochschätzung von körperlicher und sozialer Nähe wirken somit Vorstellungen nach, die wir dem konstellativen Personbegriff zuordnen können, „um damit ein Selbstbewusstsein zu beschreiben, das sich nicht aus der Abgrenzung gegenüber anderen, sondern gerade aus den Beziehungen zu ihnen herleitet“39. 35 36 37
38 39
Gemeint ist mit næpæš hier wie auch in Pred 6,2.7.9 wohl das „vitale Selbst und sein Begehren / Verlangen nach Gutem, s. dazu Köhlmoos, Kohelet (ATD), 111 f und oben 56 f. Schwienhorst-Schönberger, aaO 240 (H. i. O.). Zu rā᾽āh „sehen“ in der Bedeutung von „erfahren, erleben“ s. Fuhs, Art. rā᾽āh, 241 f. Zur Auslegung s. Schwienhorst-Schönberger, aaO 297 ff; Schellenberg, Kohelet (ZBK.AT), 85 ff und Köhlmoos, Kohelet (ATD), 135 ff. Uehlinger, Qohelet, 180 ff und SchwienhorstSchönberger, aaO 301 f weisen für V. 10 und V. 12 auf eine mögliche mesopotamische Sachparallele hin (Gilg. IV, s. Q 91). Weniger in Frage kommen dagegen griechische Belege (Homer, Ilias X, s. Q 169, und Aristoteles, Nikomachische Ethik IX, s. Q 173), die gleichwohl für das Thema „Freundschaft“ von Bedeutung sind. Schwienhorst-Schönberger, aaO 300. Weippert, Welterfahrung, 186.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 107
Man kann noch einen Schritt weiter gehen und die besagten Texte des Koheletbuchs im Licht der sog. „Interdependenzhypothese“ des Evolutionsanthropologen M. Tomasello40 lesen. Dann wird klar, dass Kooperation – auch heute – notwendig ist, „weil angesichts des äußeren Drucks durch ökologische Umstände und soziale Konflikte jeder von uns allein zu schwach ist. Wir sind, mit Gehlen gesprochen, Mängelwesen und nur gemeinsam stark genug“41. 𓇼
Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen, nämlich zu der in Gen 1,27 und 2,21–24 beschriebenen Geschlechterdifferenz, zurück. Da diese „als einzige Differenz von Menschen in der Schöpfungsordnung verankert ist, muß sich biblische Anthropologie notwendigerweise der Genderfrage stellen“42. Dabei ist, wie wir sahen, Gen 2,18–25 von zentraler Bedeutung: zum einen, weil die Entsprechung der Geschlechter schöpfungstheologisch begründet wird. Und zum anderen, weil dieser Text der von körperlicher Mühsal und Geschlechterhierarchie geprägten Alltagserfahrung, wie sie im Strafspruch über die Frau – „Überaus zahlreich mache ich deine Mühsal und deine Schwangerschaft, unter Schmerzen wirst du Kinder gebären, und nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen“ (Gen 3,16) – zum Ausdruck kommt,43 die Vision der geschlechtlichen und sozialen Ebenbürtigkeit entgegensetzt. Was aus dieser Vision des Anfangs wird, das ist eines der großen Themen der nachfolgenden Menschheits- und Israelgeschichte außerhalb des Gottesgartens. Hier, „jenseits von Eden“, herrschen härtere, realistische Lebensbedingungen – für Männer und Frauen, für Kinder und Alte. b) Frauen und Männer „Was ein Mann und eine Frau ist, welche Eigenschaften, Rollen, spezifischen Aufgaben und Bilder mit dem einen oder anderen Geschlecht verbunden werden, ist in hohem Maße variabel und kulturbedingt“44. Die Zuschreibung des sozialen Geschlechts (gender) hebt dementsprechend „auf die kulturelle Bedingtheit und die geschichtliche Veränderbarkeit von Weiblichkeit und Männlichkeit, sowie des damit verknüpften Dualismus ab“45. Das gilt nicht nur für die heutigen Gesellschaften Europas, Asiens, Australiens, Afrikas oder Amerikas, sondern auch für das alte Israel und die Kulturen Ägyptens und des Alten Orients. Es ist deshalb verfehlt, heutige Maßstäbe – seien sie nun überholt oder nicht – an die 40 41 42 43 44 45
S. dazu Tomasello, Naturgeschichte, 14.223.233 u. ö. sowie die zusammenfassende Skizze aaO 224. Thies, Tomasello, 110. Zur Ermöglichung von Kooperation s. zusammenfassend ders., aaO 110 f. Fischer, Egalitär, 294, vgl. bereits Wolff, Anthropologie, 238 mit Anm. 2, der die Zweigeschlechtlichkeit deshalb auf die „Behandlung der sozialen Komponente“ ausdehnt. S. dazu Meyers, Art. ῾āsab, 300 f; dies., Eve, 81 ff und Fischer, aaO 269 ff. ˙ auch dies., Verhältnis, 317 f; Häusl, Geschlechterordnung, 15 ff u. a. Fischer aaO 274, s. dazu Häusl, aaO 15.
108 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Antike anzulegen und mit ihrer Hilfe die Texte einer vormodernen Gesellschaft auszuwerten.46 Demgegenüber meint der Begriff „Geschlechterdifferenz“ primär die Verschiedenheit der Lebenswirklichkeiten von Mann und Frau. Davon ist im Folgenden die Rede. α) Arbeitsteilung Altes Testament: Bird, Persons, 13 ff.52 ff.81 ff.103 ff ◆ Dies., „Frauenarbeit“, 23 ff ◆ Fischer,
Exegese ◆ Dies., Egalitär, 265 ff ◆ Dies., Arbeit, 195 ff ◆ Dies., Verhältnis, 316 ff ◆ Frevel, Art. Frau / Mann, 197 ff ◆ Häusl, Geschlechterordnung, 15 ff ◆ Kessler, Familie, 185 ff ◆ King / Stager, Life, 49 ff ◆ Maier, Körper, 183 ff ◆ Meyers, Remains, 425 ff ◆ Dies., Archäologie, 63 ff ◆ Dies., Eve, 103 ff.125 ff.147 ff ◆ Pola, Lebensalter, 392 ff ◆ Ders., Kleinkind, 131 ff ◆ Staubli, Geschlechtertrennung, 166 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 63 ff ◆ Weippert, Lärm, 171 ff ◆ Zwickel, Frauenalltag, 62 ff ◆ Ders., Leben, 195 ff. – Antike Religionen: Reuthner, Schwestern ◆ Morgenstern, Judentum, 50 ff.
Im alten Israel begann die geschlechtsspezifische Differenzierung bei einem Jungen bereits in der zweiten Woche, wenn er am 8. Tag nach der Geburt beschnitten wird.47 Sie setzt sich nach der Entwöhnung am Ende des 3. Lebensjahrs fort in der Erziehung durch beide Elternteile48 und in der Einführung in die Arbeitswelt, die dem pater familias oblag. Wenn man den Katalog von Lev 27,1–849 zugrunde legt, reichte die Phase der Kindheit und Jugend / Adoleszenz vom 5. bis zum 20. Lebensjahr, in der bei einem Jungen nicht nur die geistige (mit dem 12./13. Lebensjahr), sondern auch die körperliche Reife (ab dem 17. Lebensjahr) erlangt wurde. Mit dem 20. Lebensjahr konnte und sollte der junge Erwachsene, der in der Regel mit 18–20 Jahren heiratete,50 in eigener Verantwortung seinen Beruf aufnehmen (vgl. Ex 30,13 f; 38,26; Lev 27,5). Bei einem Mädchen verlief die Entwicklung insofern etwas anders, als dieses durch seine Mutter oder andere weibliche Personen, die in der Großfamilie lebten, in die entsprechenden Arbeits- und Kulturtechniken eingewiesen wurde und auch etwas früher als die Jungen die geistige (mit dem 11./12. Lebensjahr) und die körperliche Reife (vor dem 17. Lebensjahr) erlangte.51 Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von knapp 40 Jahren52 war mit dem Eintritt in die Ehe beinahe die Hälfte der Lebenszeit abgelaufen. Zu beachten ist in diesem 46 47 48
49 50 51
52
Vgl. auch das Monitum von Meyers, Archäologie, 101 f. S. dazu oben 69. S. dazu unten 128 ff. Bis zum Entwöhnungsfest (Gen 21,8; 2 Makk 7,28, vgl. 1 Sam 1,22 ff) war der Vater nicht an der Erziehung beteiligt. In dieser Phase war der Einfluss der Mutter auf die frühkindliche Prägung groß, s. dazu im Folgenden. S. dazu oben 48 f. S. dazu unten 123. S. dazu Pola, Kleinkind, 130 ff und ders., Lebensalter, 392 ff. S. dazu ders., Lebensalter, 403 ff; ders., Kleinkind, 127 ff, ferner Köhler, Mensch, 30; Wolff, aaO 178 f und Leuenberger, Leben, 79 mit abweichenden Angaben (Köhler: 47/48 Jahre, Wolff: knapp 44 Jahre, Leuenberger: knapp 30 Jahre), s. dazu aber Pola, Lebensalter, 403 f.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 109
Zusammenhang die große Bandbreite der hebräischen Wörter für die einzelnen Lebensalter:53 Säuglinge, Kleinkinder gāmûl entwöhnt (Pt. pass. von gāmal), Kleinkind tap (nicht marschfähiges) Kleinkind ˙jôneq Säugling (im Gegensatz zu gāmûl) ῾awîl Knabe ῾ûl Säugling, Kleinkind ῾ôlāl,῾ôlel Säugling, Kleinkind
Kinder / Jugendliche jælæd jaldāh jelādîm na῾ar na῾arāh
(abgestilltes, entwöhntes) Kind (männlich) (abgestilltes, entwöhntes) Kind (weiblich) Kinder (männlich / weiblich) (heiratsfähiger) Knabe, junger Mann (heiratsfähiges) Mädchen, junge Frau
Erwachsene (junge / ältere / alte) ᾽ îš (wehrfähiger, verheirateter) Mann ᾽iššāh (verheiratete) Frau bāhûr (wehrfähiger, noch unverheirateter) junger Mann ˙ betûlāh unberührtes Mädchen, Jungfrau hātān Bräutigam, Schwiegersohn, Verwandter (mütterlicherseits) ˙ kallāh Braut, Schwiegertochter, Jungverheiratete mele᾽ jāmîm Hochbetagter ῾ælæm junger Mann ῾almāh junge Frau zāqen (barttragender Mann >) männlicher Erwachsener54 zāqen me᾽od Hochbetagter
Abb. 16: Hebräische Termini für die Lebensalter Bei den genannten Bezeichnungen ist mit mannigfachen Unschärfen zu rechnen, wie das Nebeneinander von bāhûr „(wehrfähiger, noch unverheirateter) junger Mann“ und ˙ ᾽îš „(wehrfähiger, verheirateter) Mann“ oder von ᾽îš und zāqen „(barttragender Mann >) männlicher Erwachsener“ zeigt. Parallel zu den Termini für „Hochbetagte“ kann zāqen auch den älteren Erwachsenen bezeichnen.55
Für die Könige von Israel und Juda betrug die durchschnittliche Lebenserwartung dagegen 50 Jahre. 53 S. dazu Wolff, Anthropologie, 180 ff; Engelken, Frauen; Michel, Gott, 21 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 47 ff; Fischer, Lust, 56 f; Pola, Kleinkind, 137 f.138 ff; ders., Lebensalter, 397 ff.400 ff; Fechter / Rehmann, Art. Frau / Mann, 150 u. a. 54 Üblicherweise mit „Ältester“ übersetzt, s. dazu aber Pola, Kleinkind, 138 ff.141, der zāqen mit „Angehöriger der aktiven Generation“ umschreibt. 55 Vgl. ders., Lebensalter, 403.
110 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Gemäß der dreijährigen Stillzeit der Kleinkinder muss der Einfluss der Mutter auf die frühkindliche Prägung und damit auf die religiöse Erziehung entscheidend gewesen sein: „Die jüngeren Kinder mussten sich zwangsläufig stets in der Nähe ihrer Mutter aufhalten, sodass diese wiederum für die Arbeiten außerhalb des Hauses (Tiere zu hüten und auf den Feldern zu arbeiten), geschweige denn für militärische Einsätze gar nicht in Frage kamen. Die Rollenverteilung zwischen den Müttern und ihrem jeweiligen Ehemann war also biologisch bedingt und kein modisches Diktat der Gesellschaft, das man hätte ändern können. Angesichts einer Kindersterblichkeit von etwa 80 Prozent und einem Leben am Rande des Existenzminimums war man darüber hinaus darauf angewiesen, so viele Kinder wie möglich zu bekommen, um im Alter auf Grund der Arbeitskraft der überlebenden Kinder versorgt sein zu können. Die also der Mutter aus biologischen Gründen zugewiesene Rolle war die entscheidende Basis zum Überleben aller.“56
Obwohl Männer und Frauen im Kontext der altisraelitischen Agrargesellschaft die gleiche Erfahrungswelt teilten, ist für die alltäglichen Tätigkeiten eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vorauszusetzen.57 So sind das Getreidemahlen, das Brotbacken, das Kochen u. a. Frauensache, während das Pflügen des Ackerbodens, das Schneiden und Worfeln des Getreides u. a. Männerarbeit ist.58 Wie Ruth 2,3–18a59 zeigt, gab es auch Arbeiten, die gemeinsam durchgeführt wurden. Viele dieser Tätigkeiten waren ein Reservoir, um mittels Bildsprache grundlegende Vorgänge im Gott/Mensch-Verhältnis auszudrücken. So handelt, um nur zwei Beispiele zu nennen, JHWH nach Ps 22,10 f als Hebamme, die das Kind aus dem Mutterleib herauszieht, und sind nach Ps 1,4 f die Frevler wie die Spreu, die der Wind verweht: 10 Ja, du bist es, der mich herauszog aus dem Mutterleib, der mir Vertrauen einflößte an den Brüsten meiner Mutter! 11 Auf dich bin ich geworfen vom Mutterschoß an, vom Leib meiner Mutter an bist du mein Gott. (Ps 22,10 f) 4 Nicht so die Frevler, sondern wie die Spreu (sind sie), die ein Wind verweht. 5 Darum stehen nicht auf Frevler im Gericht und Sünder in einer Versammlung von Gerechten. (Ps 1,4 f)60
Ders., Kleinkind, 140, s. dazu auch Weippert, Lärm, 176 ff. Zur Altersversorgung s. unten 135 ff. S. dazu Meyers, Family, 34 f; dies., Archäologie, 69 f; Fischer, Lust, 58 f; dies., Egalitär, 279 f. Zu der Frage, ob es im sog. Vierraumhaus eine Geschlechtertrennung gab, s. unten 343 ff. 58 S. dazu unten 256 f. Wie Gen 29,9 f und Ex 2,16 ff zeigen, gibt es Ausnahmen von dieser Regel, s. dazu im Folgenden. 59 S. dazu unten 201 ff. 60 Die Metapher der Spreu gehört zur alttestamentlichen Gerichtsmetaphorik, vgl. Ps 35,5 ff; Zeph 2,2; Hi 21,17 f u. ö. und s. dazu Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 40 f (Janowski). 56
57
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 111
Abgesehen von ihren häuslichen Aktivitäten konzentrierte sich der religiöse Handlungsspielraum der Frauen auf den Umgang mit Geburt (Hebammen) und Tod (Klagefrauen) sowie die dazu gehörenden „Schwellensituationen im Leben der Einzelnen und der Gemeinschaft“61. Frauen waren gleichsam „Schwellenwächterinnen des Lebens“62. Besonders die von professionellen Klagefrauen ausgeübte Totenklage63 zeigt, dass Frauen im öffentlichen Raum – auf der Gasse vor dem Trauerhaus, auf den freien Plätzen, auf der Stadtmauer, am Grab – agierten und damit der Befindlichkeit der Trauergemeinschaft gestischen und stimmlichen Ausdruck verliehen. Während die Vorgänge um die Geburt zum Hauskult gehören, ist die Totenklage Teil des sog. Lokalkults.64 Im Blick auf die Frage, ob es im offiziellen Kult des alten Israel eine aktive Rolle von Frauen gab, stößt man nur auf einzelne Spuren. „Es ergibt sich aus dem sehr dünnen Textbefund kein System, geschweige denn eine Korrektur des Befundes von der männlichen Dominanz im Kult Altisraels.“65 Diese männliche Dominanz ist der cantus firmus im Kult des Zweiten Tempels. Für die vorexilische Zeit lassen sich nach Th. Seidl allerdings mehrere Texte anführen, die Frauen sowohl in korrespondierenden, auf Männer zugeordneten Kultrollen wie die Klagefrauen von Jer 9,16–21 oder die tanzenden und musizierenden Frauen von Ri 21,15–25 als auch in frauenspezifischen, nicht auf Männer zugeordneten kultischen Rollen, wie die um Tammuz weinenden Frauen von Ez 8,14 oder die Weberinnen der Aschera von 2 Kön 23,7 zeigen.66 Die Klagefrauen von Jer 9,16–21 werden als berufsmäßig organisierte und „kundig, weise“ agierende Personengruppe dargestellt, die ihr Spezialwissen über die Totenklage (qînāh) an die nächste Generation weitergibt: 16 So spricht JHWH Zebaoth: Gebt acht und ruft Klagefrauen, dass sie kommen, und schickt nach den weisen Frauen, dass sie kommen 17 und eilen und eine Wehklage über uns erheben, dass unsere Augen von Tränen überfließen und unsere Wimpern von Wasser strömen. 18 Ja, horch, von Zion hört man Klage: Wie sind wir überwältigt, sehr beschämt, denn wir müssen das Land verlassen, unsere Wohnungen hat man zerstört.
61 62 63 64 65 66
Schroer, Kompetenzen, 28. Zum Hebammendienst s. oben 69 ff. Dies., aaO 26. S. dazu oben 87 f. Zur Unterscheidung beider Kultformen s. Seidl, Tänzerinnen, 107 ff. Ders. aaO 107, s. zur Sache auch Schroer, aaO 27 f; Bird, „Frauenarbeit“, 23 ff; Fischer, Egalitär, 285 f u. a. S. dazu im Einzelnen Bird, Persons, 62 f.81 ff; dies., „Frauenarbeit“, 27 ff; Seidl, aaO 110 ff und Zwickel, Frauenalltag, 79 f. Zum angeblichen „Spiegeldienst“ der Frauen am Eingang des Begegnungszeltes in Ex 38,8 s. die kritischen Überlegungen bei Dohmen, Exodus II (HThK. AT), 396 ff und Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 358, anders Seidl, aaO 115 ff; Schroer, Bilder (I), 55 f u. a.
112 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens 19 Ja, hört ihr Frauen, das Wort JHWHs, und euer Ohr nehme auf das Wort seines Mundes! Lehrt eure Töchter die Wehklage, eine die andere die Totenklage: 20 „Ja, der Tod ist durch unsere Fenster gestiegen, in unsere Paläste eingedrungen, um das Kind von der Straße wegzuraffen, die jungen Männer von den Plätzen. 21 Rede: So ist der Spruch JHWHs: Die Leichen der Menschen liegen wie Dünger auf der Oberfläche des Feldes und wie eine Garbe hinter dem Schnitter – doch niemand liest sie auf.“ (Jer 9,16–21)67
Die Interpretation der Texte zur kultischen Rolle der Frau ist schwierig, weil wir, so Ph.A. Bird, „oft nicht sicher (sind), wie sie innerhalb der Praxis israelitischer Religion zu kontextualisieren sind“68. Etwas anders gelagert sind demgegenüber Erzähltexte über die vorstaatliche Zeit, die belegen, dass die mit der Geschlechterdifferenz verknüpfte Opposition Privat / Öffentlich immer wieder durchbrochen wird.69 Das gilt etwa für Rahel, die bis zu ihrer Heirat mit Jakob das Kleinvieh hütete (Gen 29,9 f), oder für die Töchter des Priesters von Midian: 9 Während er (sc. Jakob) noch mit ihnen (den anderen Hirten) redete, war Rahel mit dem Kleinvieh ihres Vaters herbeigekommen, denn sie war Hirtin. 10 Als Jakob Rahel, die Tochter Labans, seines Mutterbruders, bemerkte, trat Jakob hinzu, wälzte den Stein von der Brunnenöffnung und tränkte das Kleinvieh Labans, seines Mutterbruders. (Gen 29,9 f) 16 Der Priester von Midian aber hatte sieben Töchter. Die kamen und schöpften und füllten die Tränkrinnen, um das Kleinvieh ihres Vaters zu tränken. 17 Doch die Hirten kamen und wollten sie vertreiben. Da erhob sich Mose und half ihnen und tränkte ihr Kleinvieh. 18 Als sie zu ihrem Vater Reguel heimkamen, sprach der: „Warum seid ihr heute schon so früh heimgekehrt?“ 19 Da sagten sie: „Ein ägyptischer Mann hat uns aus der Hand der Hirten gerettet, auch hat er kräftig für uns geschöpft und das Kleinvieh getränkt“. (Ex 2,16–19)
Ein prominentes und spätes Beispiel für die Überschreitung der traditionellen Geschlechtergrenzen ist Spr 31,10–31. Dieses Lob der einzigartig tüchtigen (V. 10), weisen (V. 26) und gottesfürchtigen (V. 30) Frau, die „alle Korallen an Wert übertrifft“ (V. 10, vgl. Pred 3,15; 8,11) und die die „Gestalt gewordene Weisheit“70 verS. dazu Seidl, ebd. und Schmidt, Jeremia I (ATD), 209 ff. Bird, Frauenarbeit, 28. 69 S. dazu Fischer, Lust, 58 f; dies., Egalitär, 279 f; Häusl, Geschlechterordnung, 16 ff und Schroer, Kompetenzen, 27 f. 70 Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 521. 67 68
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 113
körpert, ist ein alphabetisches Akrostichon, das einen Rahmen mit Spr 2,1–22 bildet: Thema 10 Die einzigartig tüchtige Frau – wer kann (sie) finden? Und weit entfernt von Korallen ist ihr Kaufpreis!
Miteinander von Frau und Mann 11 Es vertraut auf sie das Herz ihres Mannes, und Gewinn ermangelt (ihm) nicht. 12 Sie wendet ihm Gutes zu und nicht Böses alle Tage ihres Lebens.
Wirtschaftliches Handeln der Frau 13 Sie erstrebt Wolle und Flachs und schafft im Vergnügen ihrer Handflächen. 14 Sie ist Handelsschiffen vergleichbar, und von ferne bringt sie ihre Nahrung herbei. 15 Sie erhebt sich noch in der Nacht und gibt ihrem Haus Verpflegung und das Maß ihren Mägden. 16 Sie sinnt auf ein Feld und erwirbt es, vom Ertrag ihrer Handflächen pflanzt sie einen Weinberg. 17 Sie gürtet mit Stärke ihre Hüften und stärkt ihre Arme. 18 Sie schmeckt, dass ihr Handelsertrag gut ist. (Selbst) in der Nacht verlöscht ihre Lampe nicht.
Fleiß und Barmherzigkeit 19 Ihre Hände streckt sie zum Spinnrocken aus, und ihre Handflächen ergreifen die Spindel (?). 20 Ihre Handfläche breitet sie dem Elenden aus, und ihre Hände streckt sie dem Armen entgegen.
Zukunftsgewissheit 21 Ihr Haus braucht den Schnee nicht zu fürchten, denn ihr ganzes Haus ist mit Scharlach bekleidet. 22 Decken macht sie sich, Leinen und Purpur sind ihr Gewand. 23 Bekannt ist ihr Mann in den Toren, wenn er mit den Ältesten der Stadt (während der Beratung) sitzt. 24 (Atlas-)Seide stellt sie her und verkauft sie, und Gürtel übergibt sie dem Fernhändler. 25 Stärke und Glanz sind ihr Gewand, und sie lacht dem folgenden Tag entgegen.
114 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Leitungskompetenz 26 Ihren Mund tut sie in Weisheit auf, und gütige Weisung befindet sich auf ihrer Zunge. 27 Sie überblickt die Vorgänge ihres Hauses, und Brot isst (bei ihr) Faulheit nicht.
Lob und Anerkennung 28 Erheben sich ihre Söhne, preisen sie sie, ihr Mann, er lobt sie: 29 „Viele Frauen vollbringen Tüchtigkeit, aber du übertriffst sie alle!“ 30 Trügerisch ist die Anmut und nichtig die Schönheit, eine Frau, die JHWH fürchtet, sie muss gelobt werden! 31 Gebt ihr (Ehre) wegen der Frucht ihrer Hände, denn in den Toren loben sie ihre Taten! (Spr 31,10–31)71
Durch die Reihenfolge der 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets von Aleph (V. 10) bis Taw (V. 31) soll die vollständige Behandlung des Themas zum Ausdruck gebracht werden. Wenn man die einzelnen Themenaspekte durchgeht, so ist zunächst vom guten Miteinander von Frau und Mann die Rede (V. 11 f), das sich während der gemeinsamen Lebenszeit gewinnbringend auswirkt. Etwas Ähnliches kann man in der spätägyptischen Lehre des Anchscheschonqi (Q 30) lesen. Die Gründe für dieses ökonomisch tüchtige Handeln der Frau werden in Abschnitt V. 13–18 dargelegt. Dessen Tenor ist die Fürsorge (V. 15) und Unermüdlichkeit (V. 18) der Frau und damit die Einheit von Fleiß und Barmherzigkeit (V. 19 f). Deshalb braucht ihr Haus den nächsten Schnee nicht zu fürchten (V. 21) und deshalb lacht sie auch dem folgenden Tag entgegen (25). In der Lehre des Anchscheschonqi Z. 69 heißt es: „Der Gewinn eines Weisen ist seine Rede“ (s. Q 30). Das gilt auch für die tüchtige Frau (V. 26 f). So bleiben ihr, wie der Schlusspassus (V. 28–31) unterstreicht, das Lob ihrer Söhne und ihres Manns, aber auch die öffentliche Anerkennung nicht versagt.72 Alles in allem präsentiert sich uns in Spr 31,10–31 „eine Momentaufnahme der Stellung der Frau im nachexilischen Israel in persischer Zeit, die in mancher Beziehung nicht unseren Erwartungen entspricht. Es ist eine Schilderung gelungenen Alltagslebens“73. Meinhold, aaO 520 f, zur Interpretation s. ders., aaO 521 ff, ferner Yoder, Wisdom; Willi-Plein, Eschet Chajil, 411 ff; Brockmöller, „Frau“, 70 ff und Fischer, Gotteslehrerinnen, 142 ff. 72 Zur Hochschätzung der Frau in der Weisheitsliteratur s. noch Spr 5,15 ff; 12,4; 18,22; 19,14; Sir 25,1 und 26,1 ff. 73 Willi-Plein, aaO 424. Ein Gegentext zu Spr 31,10–31 scheint Pred 7,25–29 zu sein, dessen Dictum V. 26 („Bitterer als der Tod ist die Frau. Sie besteht aus Schlingen, Fangnetze sind ihr Herz, Fesseln ihre Arme“) Kohelet den Ruf eines Frauenfeindes eingetragen hat. Dem widerspricht allerdings die frauenfreundliche Aufforderung von Pred 9,9 („Genieße das Leben mit einer Frau, die du liebst …“). Dazu, wie die Spannung zwischen beiden Texten aufzulösen ist, s. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 40 ff, der Pred 7,25 ff zwar für 71 Übersetzung
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 115
β) Erotik und Sexualität Altes Testament: Augustin, Mensch, 26 ff ◆ Berlejung, Liebe, 2 ff ◆ Gerhards, Augen, 13 ff ◆
Gruber / Michel, Art. Schönheit, 503 f ◆ Keel, Blicke, 27 ff ◆ Kunz-Lübcke, Art. Liebe, 307 ff ◆ Peetz, Anmut, 55 ff ◆ Dies., Emotionen, 175 ff.224 ff ◆ Richter, Geschlechtlichkeit, 37 ff ◆ Schorch, Garten, 11 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 39 ff.132 ff ◆ Westermann, Das Schöne, 479 ff. – Homoerotik/-sexualität: Fischer, Liebe, 71 ff ◆ Hieke, Homosexualität, 19 ff ◆ Hossfeld, Homosexualität, 48 ff ◆ Nissinen, Homoeroticism ◆ Schroer / Staubli, Saul, 15 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 46 f. – Antike Religionen: Fox, Liebeslyrik, 21 ff ◆ Morgenstern, Judentum, 64 ff ◆ Sigrist, Liebeslyrik, 14 ff ◆ Volk (Hg.), Erzählungen, 93 ff.
Das Miteinander von Mann und Frau, das Spr 31,10–31 so überschwänglich preist (V. 11 f), versteht sich nicht von selbst. Immer wieder kommt es nach dem Zeugnis des Alten Testaments zu sexueller Gewalt und beherrschender Über- und Unterordnung.74 Ein besonders krasses Beispiel ist die Erzählung von Tamar und Amnon (2 Sam 13,1–22), in der nicht nur von einer Vergewaltigung, sondern von der Vergewaltigung einer Schwester durch ihren Bruder berichtet wird.75 Das Thema des misslingenden Geschlechterverhältnisses beginnt allerdings bereits in der nichtpriesterlichen Paradiesgeschichte mit den sog. Strafsprüchen über die Frau (Gen 3,16) und den Mann (Gen 3,17–19).76 Eine Gegenutopie dazu entwirft das Hohelied mit seinem Motiv einer „Rückkehr der Liebenden zu einer schöpfungsgemäßen Geschlechterordnung, die keine Herrschaft kennt“77. Aufschlussreich dafür sind die Beschreibungen von Mann und Frau (Hhld 4,1–7; 5,10–16; 7,2–7), die aus der Perspektive des jeweils anderen vorgenommen werden und einen Einblick in das Verständnis der Person des / der Geliebten geben. Nehmen wir als Beispiel die Beschreibung der Geliebten durch den Mann in Hhld 4,1–7: Rahmen 1 Siehe, du bist schön, meine Freundin, siehe, du bist schön!
74 75 76 77
Hauptteil
Vergleichstexte Bedeutungsspender
Deine Augen / Blicke – Tauben durch deinen Schleier hindurch. Dein Haar – wie die Herde der Ziegen, die herab wallten vom Gebirge Gilead.
1,15; 5,12 4,3; 6,7 6,5bα 6,5bβ
Tauben Ziegen
eine frauenfeindliche Aussage hält, die aber nicht die Meinung Kohelets darstellt. Kohelet zitiere eine fremde, aber gängige Meinung und weise sie unter Rekurs auf die Schöpfungstheologie zurück, s. dazu ders., aaO 407 f. Frauenfeindliche Äußerungen sind nicht nur in der griechischen Literatur verbreitet (s. dazu ders., aaO 408; Reuthner, Schwestern, 48 ff), es gibt sie auch im Sirachbuch, speziell in Sir 25,17 ff (Q 203). S. dazu Häusl, Geschlechterordnung, 20 f und Fischer, Verhältnis, 319 f. S. dazu Müllner, Gewalt; Kunz-Lübcke, Kind, 216 ff und ders., Art. Liebe, 310. S. dazu oben 107 und unten 435. Fischer, Egalitär, 274.
116 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Hauptteil
Vergleichstexte Bedeutungsspender
2 Deine Zähne – wie die Herde der Schur- 6,6aα schafe, die heraufgestiegen sind vom Bade, 6,6aβ die alle Zwillinge haben, und kinderlos – keines unter ihnen. 6,6b 3 Wie ein Karmesinfaden – deine Lippen und dein Mund – anmutig. Wie ein Riss der Granatfrucht – deine 6,7 Wange, durch deinen Schleier hindurch. 4 Wie der Turm Davids – dein Hals, 7,5 gebaut in Schichten, tausend Schilde – aufgehängt daran, alle Waffen der Starken. 5 Deine beiden Brüste – wie zwei Kitzlein, 7,4 Zwillinge eines Gazellenweibchens, die weiden unter Lotusblumen. 2,16; 6,3 6 Bis dass der Tag weht 2,17 und die Schatten fliehen, will ich gehen zum Myrrhenberg 3,6? und zum Weihrauchhügel.
Schafe
Karmesinfaden Granatapfel Davidsturm Schilde Kitzlein Gazellen
Rahmen 7 Deine Ganzheit ist schön, meine Freundin, und kein Makel an dir.78
Hhld 4,1–7 gehört wie auch Hhld 5,10–16 und 7,2–7 zur Gattung „Beschreibungslied“, dessen formale Kennzeichen die sukzessive Aufzählung von Körperteilen,79 der Nominalstil sowie Verbalsätze sind, die „einen dynamischen Aspekt des Bedeutungsempfängers“80 hervorheben. Diese Lieder sind keine Schilderungen individueller Menschen, sondern Zeugnisse des hebräischen Schönheitsideals. Schönheit wird danach nicht in der vollendeten Form, sondern in der Ausstrahlung und Dynamis erfahren, die ein schöner Mensch durch seine Gestalt, seine Attraktivität und seine Bewegung auf einen anderen ausübt und diesen in seinen Bann zieht:81 Peetz, Emotionen, 175 f, vgl. Keel, Hohelied (ZBK.AT), 129 und Müller u. a., Hohelied u. a. (ATD), 41 f (Müller). 79 Zum ägyptischen Beispiel Papyrus Chester Beatty s. Q 29. Zu den Liebesdichtungen aus Ägypten, Mesopotamien und Griechenland s. den Überblick bei Keel, aaO 27 ff.31 ff; Gerhards, Hohelied, 87 ff sowie Sigrist, Liebeslyrik, 14 ff und Fox, Liebeslyrik, 21 ff. Zur Gattung „Beschreibungslied“ (arab. wasf ) s. Keel, ebd. und Zakovitch, Hohelied (HThK.AT), 186 f. 80 Keel, aaO 130. 81 S. dazu Keel, Blicke, 27 ff; ders., Hohelied, 35 ff; Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 21 ff; Gerhards, Augen, 13 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 19 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 78 Übersetzung
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 117
„Schönheit ist immer ein Wechselspiel zwischen Subjekt und Objekt, sie ist eine Atmosphäre, die vom schönen Objekt ausgeht, und die vom empfindenden Subjekt als beglückend, anziehend und belebend erfahren wird. (…) Schönheit ist eine Weise der Dinge in Erscheinung zu treten, sich zu zeigen.“82
Eindrücklich zeigt das etwa Hhld 2,13b–14: 13b Mach dich auf, geh, meine Freundin, meine Schöne, so geh, du. 14 Meine Taube in den Felsspalten, im Verborgenen der Felswand, lass mich sehen deine Erscheinung, lass mich hören deine Stimme. Ja, deine Stimme – angenehm und deine Erscheinung – anmutig.83
Auch das Beschreibungslied Hhld 4,1–7 ist diesem Schönheitsideal verpflichtet. Es ist so strukturiert, dass die Beschreibung dem Aufbau des weiblichen Körpers von oben nach unten folgt. Genauer müsste man sagen, dass sie zunächst aufwärts von den Augen zum Haar (V. 1) und dann abwärts zu den Lippen / dem Mund, der Wange, dem Hals und den Brüsten (V. 2–5) verläuft. Die Lippen und der Mund der Geliebten bilden das Zentrum der Beschreibung und rufen im Geliebten die Sehnsucht nach den roten, verführerischen Lippen hervor, die zum Küssen verlocken.84 Die Vergleiche des Hauptteils sind dabei der natürlichen (Fauna und Flora) und der kulturellen Umwelt (Karmesinfaden, Turm, Schilde) entnommen. Dadurch wird eine ganze Kette von Assoziationen wie erotische Ausstrahlung, Jugendlichkeit, Makellosigkeit und Unnahbarkeit ausgelöst und „die Schönheit eines Menschen im Nacheinander der einzelnen Körperteile“85 umrissen. Dennoch gerät das Ganze nicht aus dem Blick, denn wenigstens „einige Beschreibungselemente zielen über den jeweiligen Körperteil hinaus auf die Person überhaupt. Der Vergleich des geschmückten Halses mit dem schildbewehrten Davidsturm und die sich daran anschliessende Assoziation des Stolzen oder Unnahbaren charakterisiert nicht nur den Hals, sondern die Persönlichkeit der Geliebten. Es wird also weder zwischen Einzelnem und Ganzem noch zwischen Körper und ,innerem‘ Wesen klar getrennt“86.
132 ff. Zur „Schönheit“ als Thema der Anthropologie s. die grundsätzlichen Überlegungen von Böhme, Ich-Selbst, 147 ff. 82 Böhme, aaO 150, vgl. ders., aaO 148. 83 Übersetzung Peetz, Emotionen, 130, s. dazu dies., aaO 139 ff. 84 Vgl. dies., aaO 180 f.183 f. 85 Gerhards, aaO 31. 86 Ders., ebd.
118 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Die Beschreibung des Mannes durch die Frau in Hhld 5,10–16 setzt andere Akzente. Seine Schönheit ist die einer „Götterstatue“87, die aus erlesenen Materialien (Feingold, Gold, Elfenbein, Marmorsäulen) besteht. Auch hier gleitet der Blick von oben (Kopf V. 11) nach unten (Lenden und Füße V. 15), um am Ende wieder nach oben (Gaumen V. 16) zu gehen. Insgesamt versieht die Geliebte den Geliebten mit einer „göttlichen Aura“88: 10 Mein Geliebter ist strahlend und rotbraun, hervorragend aus Tausenden. 11 Sein Kopf – reines Feingold, seine Locken – Dattelrispen, schwarz wie der Rabe. 12 Seine Augen / Blicke – wie Tauben an Wasserbächen, badend in Milch, weilend am Gefüllten. 13 Seine Wangen – wie das Balsambeet, Türme von Gewürzkräutern. Seine Lippen – Lotusblumen, triefend von flüssiger Myrrhe. 14 Seine Arme – Rollen aus Gold, besetzt mit Tarschisch. Seine Lenden – ein Kunstwerk aus Elfenbein, bedeckt mit Saphiren. 15 Seine Schenkel – Säulen aus Marmor, gegründet auf Podesten aus Feingold. Sein Aussehen – wie der Libanon, auserlesen wie Zedern. 16 Sein Gaumen – Süßigkeiten. Und seine Ganzheit – begehrenswert. Dies ist mein Geliebter, so ist mein Freund, Töchter Jerusalems.89
Halten wir fest: Während in Hhld 4,1–7 die Geliebte vom Geliebten angesprochen wird, ist dies in Hhld 5,10–16 umgekehrt. Daraus resultiert eine doppelte Sprechbzw. Blickrichtung. Es ist allerdings fraglich, ob man diese mit Hilfe des Oppositionspaars dynamisch / Natur (Frauenbeschreibungslied) und statisch / Kultur (Männerbeschreibungslied) kennzeichnen kann. Denn nicht alle Vergleiche in den besagten Texten können der Polarität weiblich = Natur / männlich = Kultur zugeordnet werden, wie zum einen Hhld 4,3 f (Beschreibung von Lippen und Müller u. a., Hohelied u. a. (ATD), 59 (Müller), s. dazu auch Keel, Hohelied, 184 ff und Peetz, aaO 224 ff. Instruktiv ist der Vergleich mit der Statuenbeschreibung in Dan 2,31–33, vgl. Schorch, Garten, 19 und ausführlich Schmidt, Anthropologie, 224 ff. 88 Peetz, aaO 235. 89 Übersetzung Peetz, aaO 224 f, vgl. Keel, Hohelied (ZBK.AT), 184 und Müller u. a., aaO 58 f. 87 So
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 119
Mund mit den Kulturmetaphern „Karmesinfaden“ und „Turm Davids“) und zum anderen Hhld 5,12 f (Beschreibung von Augen und Mund mit den Naturmetaphern „Tauben“ und „Lotusblumen“) zeigen.90 Für die Frage nach der Geschlechterdifferenz heißt das: „Eine Frau trägt nach altisraelitischer Auffassung zwar stark naturhafte Züge, ist aber nicht mit der Natur identisch, ebenso wie ein Mann zwar Kultur schaffen soll, aber nicht selbst Kultur ist.“91 Das Hohelied gehört zu den am häufigsten ausgelegten Büchern des Alten Testaments. Seine Attraktivität rührt von der Art und Weise her, mit der die Liebe zwischen Mann und Frau besungen und in Szene gesetzt wird.92 Das innige Bekenntnis von Hhld 2,16 bringt diese Gegenseitigkeit bündig zum Ausdruck: Mein Geliebter ist mein und ich bin sein, der weidet unter Lotusblumen.93
Davon, dass Liebe und Sexualität zum Menschsein gehören, spricht das Alte Testament auch außerhalb des Hohenlieds und von Gen 2,24.94 Darauf wird zurückzukommen sein. Es gibt aber auch Liebesverhältnisse anderer Art, die ebenso auf freier Wahl beruhen, aber eine intensive (homoerotische?) Beziehung beinhalten. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Beziehung zwischen David und Jonathan (1 Sam 18,1–4; 2 Sam 1,26 u. ö.).95 Den eigentlichen Stein des Anstoßes aber bilden die Bestimmungen in Lev 18,22 und 20,13: Und bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt. Es (wäre) ein Gräuel. (Lev 18,22) Und ein Mann, der bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt – ein Gräuel haben die beiden begangen. Sie werden gewiss getötet werden. Ihr Blut (ist) auf ihnen. (Lev 20,13) Um diese Texte richtig einzuordnen, ist zum einen ihr Kontext zu beachten. So ist den Verboten von Lev 18,21–23 – gegen den Molech-Kult (V. 21), den homosexuellen Verkehr (V. 22) und die Sodomie (V. 23) – „gemeinsam, dass aus diesen Praktiken keine Nachkommenschaft für JHWH entsteht“96. Entscheidend ist also zunächst die soziale Funktion 90 91
92
93 94
95
96
S. dazu Schorch, aaO 19 ff. Ders., aaO 22, vgl. Peetz, Anmut, 74 f. Hinzukommt die allegorische Ebene, weil viele, allerdings nicht alle Bilder und Termini des Hohenlieds auf Gott und Israel übertragen werden können, s. dazu zusammenfassend Peetz, Emotionen, 439 ff. S. dazu Keel, aaO 106 f und Peetz, aaO 145 f. Zu Gen 2,24 s. oben 102 f. Ob hier tatsächlich Homoerotik oder gar Homosexualität vorliegt, ist nicht so klar, wie Schroer / Staubli, Saul, 15 ff; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 46 f annehmen, s. dazu die umsichtigen Überlegungen von Kreuzer, Art. Freundschaft, 168; Dietrich, Samuel II (BK), 412 ff und Hieke, Homosexualität, 45 ff. Hieke, Levitikus (HThK.AT), 687.
120 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens der Sexualität. Zum anderen wird mit der Qualifikation „Gräuel“ (tô῾ebāh Lev 18,22; 20,13) keine menschliche Gerichtsinstanz angerufen, sondern die Sanktionierung der Tat allein Gott überlassen.97 Das Alte Testament ist mit diesem Verbot also „weniger am Glück des Einzelnen oder an individuellen Vorlieben orientiert, sondern zielt auf Ordnung und Stabilität des Gemeinwesens; dazu werden in einer kompliziert erfahrenen Welt klare Verbote ausgesprochen. Sie sollen verhindern, dass durch eine ungeordnete sexuelle Betätigung zwischen Männern zusätzliche Spannungen aufkommen, die noch dazu im doppelten Sinne ,unfruchtbar‘ sind. Das Verbot bezieht sich also auf unter bestimmten Lebensverhältnissen schädliches sexuelles Verhalten“98.
Das Alte Testament kennt nicht das heutige Konzept von Homosexualität als Lebensentwurf und thematisiert dementsprechend auch „nicht die Frage sexueller Identität und Orientierung“99. In seiner Intention, bestimmte Praktiken zu brandmarken, die dazu dienen, die eigene Lustbefriedigung über das Wohl der Gemeinschaft zu stellen und damit die soziale Dimension der Sexualität zu verfehlen, kann es gleichwohl einen Beitrag zur Diskussion um eine heutige Sexualmoral leisten.100 Kehren wir zum Hauptfaden zurück. Wie Gen 29,15–30101 und andere Texte belegen, weiß das Alte Testament von Liebesheiraten. Der Regelfall aber war die durch die Brauteltern arrangierte Ehe, die ökonomisch wie sozial in die (Groß-) Familie, das „soziale Netz“102 im alten Israel, eingebettet war. Exkurs 6: Ehe und Familie Altes Testament: Albertz, Familie, 401 ff ◆ Ders., Religionsgeschichte, 112 ff ◆ Ders. / Schmitt,
Family, 21 ff ◆ Boecker, Recht, 93 ff ◆ Fechter, Familie ◆ Ders. / Sutter Rehmann, Art. Ehe, 91 ff ◆ Fischer, Egalitär, 274 ff ◆ Dies., Menschheitsfamilie, 190 ff ◆ Dies., Verhältnis, 312 ff ◆ Kessler, Sozialgeschichte, 58 ff ◆ Ders., Familie, 183 ff ◆ Ders., Ethik, 188 ff.306 ff.402 ff.527 ff. 559 ff ◆ King / Stager, Life, 36 ff ◆ van Oorschot, Aspekte, 38 ff ◆ Otto, Ethik, 39 ff.47 ff ◆ Ders., Recht, 177 ff ◆ Richter, Geschlechtlichkeit, 65 ff.117 ff ◆ Stager, Familiy, 17 ff ◆ Utzschneider, Patrilinearität, 64 ff ◆ Weippert, Lärm, 164 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 238 ff ◆ Zwickel, Frauenalltag, 31 ff.38 ff.46 ff. – Antike Religionen: Manthe (Hg.), Rechtskulturen, 342 (Register s. v. Eherecht) ◆ Morgenstern, Judentum, 31 ff ◆ Richter, aaO 149 ff. Im Unterschied etwa zum Deutschen – das deutsche Wort „Ehe“ ist abgeleitet von althochdeutsch ēwa „Vertrag“ – hat das Althebräische kein eigenes Wort für „Ehe“. Das hängt offenbar damit zusammen, dass die Ehe in die (Groß-)Familie eingebettet war und die Frau in der Regel in die Familie des Mannes einheiratete (patrilokale Wohnfolgeordnung, ders., aaO 689. Ders., aaO 690. Das gilt mutatis mutandis auch für die Belege aus der Erzählliteratur wie Gen 9,20 ff; 19,5 ff und Ri 19,22, s. dazu ders., Homosexualität, 41 ff. 99 Ders., Homosexualität, 40. 100 Vgl. ders., aaO 41. 101 S. dazu unten 168. 102 Zu diesem Ausdruck s. Albertz, Familie, 401 f. 97 Vgl. 98
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 121
vgl. Gen 24,1–9 u. ö.). Die patrilokale und patrilineare Familienstruktur ermöglichte „die geregelte Übergabe der materiellen Ressourcen der Familie von einer Generation auf die andere (,Erbfolge‘), sowie die geregelte Übergabe der Leitungsfunktion des ,pater familias‘ von einer Generation auf die andere (,Primogenitur‘) …“103.
Kern- und Verbandsfamilie Der Kern der Gesellschaftsorganisation der früheisenzeitlichen Dorfkultur (Eisen I‑Zeit: 1200–1000 v.Chr) ist die Familie (bêt ᾽āb „Vaterhaus“), die in der Regel drei bis vier Generationen (vgl. Gen 46,31; 47,12; 1 Sam 22,1 u. ö.) umfasste und zwar neben dem pater familias und seiner/en Frau/en die erwachsenen Söhne mit ihren Frauen und deren Kinder und Enkel sowie die jüngeren Brüder des Hausvaters mit ihren Frauen, dazu die Schwestern des Hausvaters und seine unverheirateten Töchter:104
1. Generation Hausvater (pater familias) und seine Frau(en)
jüngere Brüder des Hausvaters (mit ihren Frauen) Schwestern des Hausvaters
2. Generation
erwachsene Söhne mit ihren Frauen unverheiratete Töchter des Hausvaters
deren Kinder (und vielleicht Enkel)
3. (und 4.) Generation Abb.17: Generationen in der Kern- und Verbandsfamilie Wie Jos 7,14–18 zeigt, bildeten mehrere Familien eine Sippe oder einen Clan (mišpāhāh) ˙ und mehrere Sippen einen Stamm (mattæh oder šebæt). Um Achans Diebstahl in einem ˙ ˙ ˙ sakralen Gerichtsverfahren aufzuklären, lässt Josua das Volk geordnet nach Stämmen, Sippen und Familien antreten: (16) Am Morgen stand Josua früh auf und ließ Israel nach den Stämmen herantreten, und es traf den Stamm Juda. (17) Dann ließ er 〈die Sippen〉 Judas herantreten, und es traf die Sippe der Serachiter, und der ließ die Sippe der Serachiter nach 〈Familien〉 herantreten, und es traf Sabdi. (18) Dann ließ er dessen Familie nach Männern herantreten, und es traf Achan, den Sohn Karmis, des Sohnes Sabdis, des Sohnes Serachs vom Stamme Juda. (Jos 7,16–18)
Eherechtliche Bestimmungen Während die verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit auf der Stufe des Stamms fiktiv ist, bildeten die Familie und die Sippe den „eigentlichen Lebensraum für den einzelnen, in 103 Utzschneider,
Patrilinearität, 73. dazu Kippenberg, Religion, 23 ff; Otto, Ethik, 48; Meyers, Family, 16 ff; King / Stager, Life, 36 ff; Kessler, Familie, 183 ff u. a.
104 S.
122 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens dem er Solidarität erwarten konnte und in dem von ihm Solidarität gefordert wurde“105. Als Wirtschaftseinheit mit einem eigenen, unveräußerlichen Erbbesitz wird die Familie über ihr männliches Oberhaupt, den pater familias, definiert. Dieser ist es auch, an den der Mann, der eine Frau heiraten will, den „Brautpreis“ (mohar) zu entrichten hat. Dessen Höhe ist nach Ex 22,15 f und Dtn 22,28 f geregelt: 15 Wenn ein Mann eine Jungfrau (betûlāh), die nicht verlobt ist, verführt und mit ihr schläft, so muss er sie in jedem Fall zur Frau nehmen. 16 Wenn sich ihr Vater aber weigert, sie ihm zu geben, so muss er Silber abwiegen entsprechend dem Brautpreis (mohar) für Jungfrauen. (Ex 22,15 f)106 28 Wenn ein Mann ein unberührtes Mädchen (na῾arāh betûlāh) trifft, das nicht verlobt ist, und er packt sie und schläft mit ihr, und sie werden dabei angetroffen, 29 dann soll der Mann, der mit ihr geschlafen hat, dem Vater des Mädchens 50 Silberschekel geben, und sie wird seine Frau dafür, dass er sie sich gefügig gemacht hat. Er kann sich sein Leben lang nicht von ihr scheiden lassen. (Dtn 22,28 f) Während die Inzestverbote von Lev 18,6–18 (vgl. Lev 20,10–21)107 den einen Pol für die Geschlechts- und Ehebeziehungen bildeten, war der andere Pol das Endogamiegebot, d. h. das Gebot, innerhalb derselben sozialen Gruppe oder Großfamilie zu heiraten. Die Wahl der passenden Ehefrau bewegte sich damit „zwischen Inzest (,zu nahe verwandt‘) und Exogamie (Heirat außerhalb der eigenen Gruppe, also ,zu fremd‘). Die biblischen Bücher Genesis, Esra-Nehemia und Tobit thematisieren in ihren Erzählungen diese Fragen“108. Die Eheschließung geschah in zwei Schritten, zum einen in der Übergabe des Brautpreises (ohne Vollzug der Ehe, incohative marriage) und zum anderen in der Heirat,109 die mit den Verben „nehmen“ (Ex 21,10; Lev 21,7 u. ö.) oder „in Besitz nehmen“ (Dtn 21,13; 24,1 u. ö.) bzw. mit der Wendung „ihm (sc. dem Mann) zur Frau werden“ (1 Sam 25,43 u. ö.) ausgedrückt wird. Beide Wendungen finden sich in Gen 24,66 f, wo es von der durch Eleazar eingefädelten Heirat von Isaak und Rebekka heißt: (66) Der Knecht (sc. Eleazar) aber berichtete Isaak alle Angelegenheiten, die er bewirkt hatte, (67) und Isaak brachte sie (sc. Rebekka) ins Zelt. So nahm er (lqh) Rebekka, und ˙ sie wurde ihm zur Frau (hājāh lô le᾽iššāh), und er gewann sie lieb, und so fand Isaak Trost nach (sc. dem Tod) seiner Mutter.
Religionsgeschichte, 113. Zur Struktur der mišpāhāh s. Kippenberg, Religion, 25 ff ˙ und Kessler, aaO 193 ff. 106 S. dazu Dohmen, Exodus II (HThK.AT), 168 f. Zum Brautpreis s. Otto, aaO 51 ff. 107 Nach den nachexilischen Inzestverboten Lev 18,6 ff wird „Geschlechtsverkehr … nie ,an sich‘, sondern immer im Kontext seiner sozialen Funktion und Verankerung betrachtet. Es geht also immer um die Familie als sozialen Lebens- und Schutzraum“ (Hieke, Levitikus [HThK.AT], 654, s. dazu auch ders., aaO 652 ff. Zu den Analogien im altorientalischen Recht (Hethitische Gesetze, s. Q 116; Kodex Hammurapi, s. Q 90) s. ders., aaO 658 f. 108 Ders., aaO 657. Genauer müsste man zwischen familienexogam und verwandschaftsendogam unterscheiden, vgl. Otto, aaO 48. 109 Beide Regelungen, die auch aus Mesopotamien bekannt sind, sind in Dtn 22,22a. 23 ff vorgesehen, s. dazu Otto, aaO 51 f. 105 Albertz,
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 123
Die Hochzeit, die den Eintritt in das Erwachsenenalter bedeutete110 und soziale Absicherung mit sich brachte, war der Zeitpunkt, an dem nicht nur die (Groß-)Familie, sondern auch die lokale Öffentlichkeit einbezogen wurde. Das zeigt sich an der Überführung der Braut von ihrem Vaterhaus in die Familie ihres Bräutigams, die vom Jubel jauchzender Frauen begleitet wurde. Nach dem Geschichtspsalm Ps 78,62–64 findet dieser Brautjubel infolge des Untergangs des Nordreichs 722 v. Chr. nicht mehr statt: 62 Und er (sc. JHWH) lieferte sein Volk dem Schwert aus, und seinem Erbteil zürnte er. 63 Seine Jünglinge fraß Feuer, und seine Jungfrauen (betûlot) wurden nicht bejubelt (hll pu.).111 64 Seine Priester fielen durch das Schwert, und seine Witwen weinten nicht mehr. H. Weippert hat dieses Jauchzen mit dem Verb hll pi. „rühmen, preisen“ in Verbindung gebracht, für das die Grundbedeutung „trillern“ anzunehmen ist112 und das man sich nach Analogie altorientalischer Gesten (s. Abb. 18) vorstellen kann.
Abb. 18: Trillernde Frau (Ninive, 7. Jh. v. Chr.)
110 Ihr
Zeitpunkt lag bei einem männlichen Erwachsenen in der Regel zwischen dem 18. und dem 20. Lebensjahr, s. dazu oben 108. 111 Vgl. Jer 7,34; 16,9, s. dazu Schmidt, Jeremia I (ATD) 290 f und Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 439 (Hossfeld). Weippert, Lärm, 165 erläutert die Übersetzung „bejubeln“ folgendermaßen: „d. h. ihnen wurde nicht getrillert“, vgl. Keel, Bildsymbolik, 313 f. 112 S. dazu Weippert, aaO 164 ff.
124 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Zwischen dem Hochzeitsjubel und der Totenklage, die beide von Frauen ausgeübt wurden,113 spielte sich das Alltags- und Eheleben mit seinen Höhen und Tiefen ab. Zu den Tiefpunkten gehörte neben den Spannungen und Konflikten in einer polygamen Ehe114 natürlich die Scheidung. Die Gründe dafür waren vielfältig und reichten vom Nichtgefallen der Ehepartner aneinander (Dtn 21,1) über das Begehren nach einer anderen Frau (Ex 20,14 par. Dtn 5,8) bis zum regelrechten Ehebruch, der vorlag, wenn ein Mann mit einer verheirateten Frau schlief und damit in eine andere Familie einbrach (Lev 20,10; Dtn 22,22a).115 Rechtlich sah die Scheidung so aus, dass der Ehemann die Formel „Du bist nicht meine Frau, ich bin nicht dein Mann“ (Hos 2,4) sprach und die Scheidungsurkunde ausstellte (Dtn 24,1.3, vgl. Jes 50,1; Jer 3,8). Wohlgemerkt: der Mann war der Akteur der Ehescheidung, ein Scheidungsrecht der Frau kennt das Alte Testament nicht116 – anders als die Eheverträge in Elephantine (5. Jh. v. Chr., s. Q 147).
Familienreligion Die Familie war der Hort des religiösen Lebens und der religiösen Traditionen.117 Das zeigt sich bereits an den Vorgängen rund um die Geburt mit den begleitenden Gebeten, Gelübden, Gottesbefragungen und Geburtsorakeln (Gen 25,21 f; 1 Sam 1,10 f; 2 Kön 4,16 u. a.) sowie dem anschließenden Ritus der Beschneidung und dem Akt der Namengebung. Auf die Rolle der Hebammen wurde bereits hingewiesen.118 Durch die Geburt wird der Einzelne nicht nur in seine Familie, sondern auch in die Gottesbeziehung hineingeboren, wodurch ein lebenslanges Vertrauensverhältnis begründet wird (vgl. Ps 22,10 f; 71,5–7 u. a.). Die andere Schwellensituation ist der Tod eines Angehörigen, der von den Familienmitgliedern und professionellen Klagefrauen rituell begleitet wurde. In diesem Fall überschneiden sich der Haus- und der Lokalkult. Die religiöse Bedeutung der Familie zeigt sich sodann in der Erziehung, in der nicht nur das für die lebenssichernden Gemeinschaftsaufgaben (Nahrungszubereitung, Landwirtschaft) benötigte Alltagswissen vermittelt, sondern auch die Grundüberzeugungen des JHWH‑Glaubens – das „Hören“ auf die Gebote der Tora – weitergegeben wurden (Dtn 6,6–9 u. a.).119 Das gilt auch für das vom pater familias vollzogene und jeweils am 14. Nisan gefeierte Passaritual, in dessen Verlauf das Haus durch Bestreichen des Türrahmens mit Blut vor dem „Verderber“ geschützt und der Familienzusammenhalt durch den gemeinsamen Verzehr des Passalamms gestärkt werden sollte (Ex 12,3–13.22 f). Eine besonders kritische Situation war schließlich die Krankheit, die den Betroffenen ans Bett fesselte und die Erfahrung der sozialen Isolation auf dramatisch Weise steigern konnte (vgl. Ps 41,5–11 u. a.). Auch hier waren die Angehörigen gefordert und auch hier spielte der
113 Zur
Totenklage s. oben 86 ff. sind die Fälle von Rahel und Lea (Gen 29,30), von der geliebten und der ungeliebten Frau (Dtn 21,15 ff, mit Folgen für das Erbrecht) und von Hanna und Pennina (1 Sam 1,1 ff). Zur Polygamie s. Otto, Ethik, 49 ff. 115 S. dazu Schmidt, Zehn Gebote, 114 ff und Otto, aaO 39 ff. 116 S. dazu Otto, aaO 54 ff. Zur Levirats- oder Schwagerehe s. unten 220 f.349 f. 117 S. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 112 ff; ders., Familie, 404 und umfassend ders. / Schmitt, Family. 118 S. dazu oben 69 ff. 119 S. dazu unten 128 ff. 114 Beispielhaft
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 125
Gottesbezug eine konstitutive Rolle (vgl. Ps 6,2–4 u. a.).120 So macht sich die Familienreligion in allen zentralen Bereichen des Lebens bemerkbar und prägt das Leben und Erleben des Einzelnen von der Wiege bis zur Bahre. 𓇼
2. Die Kette der Generationen Es ist eine ebenso banale wie elementare Tatsache, dass Mann und Frau mit der Zeugung und Geburt eines Kindes zu Eltern werden. Und ebenso, dass damit eine Beziehung beginnt, die ein Leben lang anhält, so lange jedenfalls, wie die Eltern und ihr(e) Kind(er) leben – und darüber hinaus. Diese Beziehungen sind im Folgenden näher zu betrachten. Im Mittelpunkt stehen dabei die Eltern/KindBeziehung, wie sie sich vor allem in der Erziehung (a), und die Kind/Eltern-Beziehung, wie sie sich besonders in der Altersversorgung (b) zeigt. a) Eltern und Kinder Beim Thema „Schwangerschaft und Geburt“ haben wir bereits gesehen, dass der Einfluss der Mutter auf die frühkindliche Entwicklung entscheidend gewesen ist.121 Das hängt vor allem mit der dreijährigen Stillzeit zusammen, während der sich die Säuglinge und Kleinkinder in unmittelbarer Nähe ihrer Mutter aufhielten und deren Bewegungen und Geräusche hautnah mitbekamen.122 Danach oder vielleicht schon früher begann die Zeit des Spielens123 und der allmählichen Einführung in die Arbeits- und Kulturtechniken. Jetzt waren die Eltern in besonderer Weise gefordert. α) Kindheit im alten Israel Altes Testament: Finsterbusch, Kinder, 4 ff ◆ Fischer, Mütter, 5 ff ◆ Dies., Lust, 55 ff ◆ Hüb-
ner, Spiele, 10 ff.136 ff ◆ Kunz-Lübcke, Erwachsenwerden, 103 ff ◆ Lux, Kindheit, 32 ff ◆ Maier / Lehmeier, Art. Kinder, 293 f ◆ Michel, Gewalt ◆ Ders., Art. Kind, 254 ff ◆ Ders., Art. Kindheit, 259 ff ◆ Steinberg, Child ◆ Wolff, Anthropologie, 182 f. – Antike Religionen: Dasen (éd.), Naissance ◆ Lux (Hg.), Kind ◆ Kunz-Lübcke, Kind. ◆ Ders. / Lux (Hg.), Kindheit.
120 S.
dazu unten 186 ff. dazu oben 110. 122 S. dazu Weippert, Lärm, 176 ff. 123 S. dazu ausführlich Hübner, Spiele, 10 ff.136 ff, ferner Kunz-Lübcke, Kind, 221 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 151 ff. Das erste Spielzeug, das Kinder in die Hände bekamen, „dürften in der Regel die Amulette (gewesen) sein, die den Neugeborenen von Eltern und anderen Verwandten geschenkt wurden“ (Hübner, aaO 14). Sie wurden offenbar auch von Frauen als Schutz vor dämonischen Kräften getragen, die für sie oder ihre ungeborenen oder kleinen Kinder lebensbedrohlich sein konnten. Beliebt waren Amulette mit dem ägyptischen Gott Bes (s. Abb. 19), s. dazu Frey-Anthes, Unheilsmächte, 44 ff; Meyers, Archäologie, 92 und Staubli / Schroer, aaO 50 f. 121 S.
126 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Im Blick auf die Rolle der Kinder im alten Israel ist Nüchternheit angebracht. Gewiss, Kinder waren sehr erwünscht und als Gabe Gottes willkommen (Gen 30,1 f; Dtn 28,11; Ps 139,13–15 u. ö.),124 nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch aus ökonomischen Gründen. Denn Nachkommen waren „nötig, um über Arbeitskräfte zu verfügen, zur Versorgung der alten Eltern und um – im Falle männlicher Nachkommen – die Familie fortzuführen und den Anspruch auf den Besitz aufrechtzuerhalten“125.
Abb. 19: Bes-Amulette aus Palästina / Israel (um 1100 v. Chr.)
Angesichts der hohen Kindersterblichkeit126 und der Gefahren, denen die Frauen im alten Israel während der Schwangerschaft und der Geburt ausgesetzt waren – die verbreiteten Bes-Amulette (s. Abb. 19) sollten sie davor schützen127 –, waren diese Wünsche und Erwartungen alles andere als selbstverständlich. Das zeigt etwa die Kindheitsgeschichte Samuels in 1 Sam 1–3, in der erzählt wird, wie Hanna zunächst kinderlos geblieben war (1 Sam 1,2) und ihre Unfruchtbarkeit nur durch ein Eingreifen JHWHs – er „gedachte“ ihrer (1 Sam 1,19) – beendet wurde:128 Und es geschah im Verlauf des Jahres, und Hanna wurde schwanger. Und sie gebar einen Sohn und rief seinen Namen „Samuel“. (1 Sam 1,20)
In seinem bahnbrechenden Buch „Geschichte der Kindheit“ ist der französische Historiker Ph. Ariès (1914–1984) der Frage nachgegangen, wie sich seit dem Mittelalter in Europa die Einstellung zur Kindheit gewandelt hat. Dabei wurde deutlich, dass die Kindheit mehr und mehr zu einer eigenständigen Lebensphadazu Wolff, Anthropologie, 252 und zu Ps 139,13 ff oben 64 f. aaO 107, s. dazu auch Kunz-Lübcke, aaO 194 ff. Zur Versorgung der alten Eltern s. unten 135 ff. 126 Sehr prägnant ist die Erzählung vom Tod des unehelichen Kindes von David und Bathseba in 2 Sam 12,15 ff. 127 Zur therapeutischen Funktion von Amuletten s. Staubli, Amulette, 91 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 50 ff. 128 S. dazu Dietrich, Samuel I (BK), 50 f und Kunz-Lübcke, Erwachsenwerden, 117 ff. 124 S.
125 Meyers,
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 127
se wurde, die in engem Zusammenhang mit den Veränderungen der jeweiligen Gesellschaftsstruktur stand. Das Anschauungsmaterial, auf das Ariès für seine Untersuchungen zurückgreift, ist vor allem der schulische Alltag, aber auch die Kleidung und Spiele der Kinder.129 Die vormoderne Gesellschaft des alten Israel ist damit nicht vergleichbar. So ist bereits fraglich, ob es „neben der Kleinstkindphase bis zur Entwöhnung eine erlebte Kindheit, gar unterschieden von einer Jugendphase, gegeben hat“130. Nach Lev 27,5 wird die Lebensphase von Kindheit (ab dem 5. Lebensjahr) und Jugend / Adoleszenz (bis zum 20. Lebensjahr) in einer einzigen Kategorie zusammengefasst. Das bedeutet, dass es den Jugendlichen im heutigen Sinn nicht gab.131 Die Bilder, die das Alte Testament von Kindern zeichnet, sind vielfältig und hängen von verschiedenen Faktoren wie dem Geschlecht, der körperlichen Verfassung (Gesundheit / Krankheit, Behinderung), der Position unter den Geschwistern, der sozialen Zugehörigkeit, der wirtschaftlichen Stellung des Vaters und dem Eheverhältnis der Mutter ab. Zum konkreten Leben von Kindern im alten Israel gehörten nicht nur alltägliche Erfahrungen von Krankheit, Gewalt und Tod,132 sondern auch traumatische Erlebnisse aufgrund von Krieg und Deportation.133 Solche Erlebnisse sind etwa auf den assyrischen Reliefs aus Ninive festgehalten, die die Belagerung und Zerstörung von Lachisch 701 v. Chr. und die Deportation ihrer Bevölkerung dokumentieren (Abb. 20).
Abb. 20: Deportierte Judäerin mit Kind (Ninive, 704–681 v. Chr.)
Handbuch zu diesen Themen hat Weber-Kellermann, Kindheit vorgelegt. Kinder, 240. 131 Anders Wolff, aaO 182 f, s. dazu aber Pola, Lebensalter, 395 mit Anm. 50. 132 S. dazu Kunz-Lübcke, Kind, 112 f.215 ff und Michel, Art. Kindheit, 259 ff.261 ff. Einen ausführlichen Katalog der zahlreichen Gewalt gegen Kinder-Texte bietet Michel, Gott, 31 ff. 133 S. dazu Michel, Gott, 31 ff.41 ff und Kunz-Lübcke, aaO 186 ff. 129 Ein
130 Michel,
128 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Es gibt aber auch anrührende Gegenbeispiele von Liebe, Fürsorge und Barmherzigkeit gegenüber Kindern. So wird in der Parabel vom Salomonischen Urteil in 1 Kön 3,16–28134 berichtet, wie sich Salomos Weisheit, die sich in seinem „hörenden Herzen“ (leb šome῾a 1 Kön 3,9) zeigt,135 in einem klugen Gerichtsurteil bewährt, das in ganz Israel Eindruck macht (1 Kön 3,28). Denn der König wird hier mit einem an sich unlösbaren Fall konfrontiert, bei dem Aussage gegen Aussage steht und es keine objektiven Rechtsmittel (Zeugen, Indizien) gibt. Überraschenderweise verhilft ein höchst subjektiver Faktor zur Wahrheitsfindung. Denn die richtige Mutter bekommt ihr Kind zugesprochen, weil sie in mütterlichem „Erbarmen“ will, dass das Kind am Leben bleibt und nicht durch das königliche Schwert zerschnitten wird: Da sprach die Frau, deren Sohn lebendig war, zum König, denn es entbrannte ihr Erbarmen (rahamîm)136 über ihren Sohn, und sie sagte: „Bitte, mein Herr, gebt jener das ˙ lebendige Geborene und tötet, tötet es nicht!“ Diese aber sagte: „Weder mir noch dir soll es gehören, zerschneidet (es)!“ (1 Kön 3,26)
Dass Kinder im familiären Produktionsprozess der Nahrungszubereitung, der Textilherstellung, der Land- und Viehwirtschaft frühzeitig mitarbeiteten, war auch im alten Israel selbstverständlich. Dazu war Alltagswissen nötig, das durch die elterliche Erziehung vermittelt wurde. β) Formen der Erziehung Altes Testament: Carr, Schrift, 133 ff ◆ Ders., Bildung, 183 ff ◆ Delkurt, Einsichten, 23 ff ◆
Ders., Erziehung, 227 ff ◆ Ego, Aufgabe, 1 ff ◆ Finsterbusch, Kollektive Identität, 99 ff ◆ Dies., Weisung ◆ Dies., Modelle, 223 ff ◆ Dies., Aspekte, 68 ff ◆ Hausmann, Menschenbild, 168 ff ◆ Kunz-Lübcke, Kind, 197 ff.225 ff.229 ff ◆ Maier, Körper, 196 f ◆ Wolff, Anthropologie, 254 ff. – Antike Religionen Brunner, Art. Erziehung, 22 ff ◆ Ego / Merkel (Hg.), Lernen ◆ Lichtenberger, Lesen, 23 ff ◆ Stemberger, Kinder, 121 ff ◆ Tesch, Weisheitsunterricht ◆ Volk, Edubba᾽a, 1 ff ◆ Wilcke, Konflikte, 10 ff.
Blicken wir, bevor wir zur Erziehung im alten Israel kommen, kurz auf Ägypten und Mesopotamien. In beiden Hockkulturen stand die Erziehung im Dienst einer Einübung in die Ordnung des Lebens, wie sie von der kulturellen Tradition vorgegeben war. „Gerade dieser Gedanke“, so der Ägyptologe H. Brunner, „dass ein Verstoß gegen die Ordnung des Lebens – ob er sich sofort, später oder für die Mitmenschen unmerklich rächt – ein Verstoß gegen Gottes Willen ist, also eine Sünde, er ist für die Lehren Fundament und Ziel“137. Das Organ, mit dem der dazu Michel, aaO 317 ff. dazu unten 157 f. 136 Oder: „ihre Mitleidsregungen“. Diese „entbrennen“ (kmr nif.) und führen zu einem konkreten Handeln, s. dazu Grohmann, Anfang, 372 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 53.93. 137 Brunner, Weisheit, 17, vgl. ders., Zentralbegriffe, 402 ff. 134 S. 135 S.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 129
Mensch Gottes Willen, also die Ma᾽at (äg. mꜢꜤ.t), erfahren kann, ist das Herz, „das den Menschen mit der Gottheit verbindet, das zu Gott hin offen steht und durch das Gott zum Menschen spricht“138. Dieses gilt es zu bilden, um die Weisungen Gottes zu empfangen, sie zu verstehen, zu behalten und sich „einzuverleiben“.139 Deshalb richten die Weisheitslehrer ihre Appelle unentwegt an das Herz des Schülers. Denn das Herz ist das Organ, mit dem, wie der Epilog der Lehre des Ptahhotep einschärft, „gehört“, „gehorcht“ und „verstanden“ wird: 462 Es ist das Herz, das seinen Besitzer werden lässt 463 zu einem Hörenden oder zu einem, der nicht hört. 464 Leben, Heil und Gesundheit eines Menschen bestimmt also sein Herz.140 (s. Q 26, vgl. Q 27)
Auch in den alttestamentlichen Weisheitstexten geht es um die Vermittlung des Traditionswissens. Diese Vermittlung fand überall dort statt, wo Eltern die Aufgabe der Erziehung in die Hand nahmen und ihre Kinder in den Geboten und Weisungen unterrichteten. Spr 6,20–24 mahnt den Sohn, die elterlichen Gebote und Weisungen zu beherzigen: Ermahnungen zum Umgang mit Gebot und Weisung 20 Bewahre, mein Sohn, das Gebot (miswāh) deines Vaters, ˙ und verwirf nicht die Weisung (tôrāh) deiner Mutter! 21 Binde sie ständig auf dein Herz, binde sie um deinen Hals!
Wirkungen und Qualifizierungen der Tora 22 Wenn du umhergehst, führt sie dich, wenn du liegst, wacht sie über dir, und bist du aufgewacht, spricht sie dich an. 23 Denn eine Leuchte ist das Gebot, und die Weisung ein Licht, und der Weg des Lebens sind die Zurechtweisungen der Unterweisung (tôkehôt mûsār), ˙ 24 um dich zu bewahren vor der Frau von Bosheit, vor der Glattheit der Zunge einer Fremden.
Diese Einleitung zur 9. Lehrrede des Sprüchebuchs (Spr 6,20–35), die zum Thema „Warnung vor der ,fremden Frau‘“ (vgl. V. 24) gehört, enthält vier Mahnungen (V. 20 f) sowie eine zweiteilige Begründung (V. 22 f).141 Der Lebenswandel des 138 Ders.,
Weisheit, 23. Zur Rolle des Herzens s. unten 154 ff. Prozess der „Internalisierung der Tradition“ hat Carr, Schrift, 201 ff am Beispiel der Bildungssysteme Mesopotamiens, Ägyptens, Griechenlands und Israels beschrieben. 140 Zur Trias Hören – Gehorchen – Verstehen s. Brunner, aaO 27 f. Wie schwierig das Erreichen diese Bildungsziels im konkreten Einzelfall gewesen ist, verschweigen die Texte allerdings nicht, s. dazu ders., aaO 28 ff und speziell für Mesopotamien Volk, Edubba᾽a, 1 ff; Wilcke, Konflikte, 10 ff sowie Q 87. 141 S. dazu Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 117 f und Schipper, Sprüche I (BK), 408 ff. 139 Diesen
130 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Heranwachsenden wird dabei durch die drei Verben „umhergehen“, „liegen“ und „aufwachen“ gekennzeichnet (V. 22, vgl. Dtn 6,7) und sein Gelingen mit Hilfe der Lichtmetaphorik – „eine Leuchte ist das Gebot, und die Weisung ein Licht“ – auf die „Zurechtweisungen der Zucht“ (V. 23) zurückgeführt. Die in Gebot und Weisung enthaltene Weisheit (vgl. Spr 7,1–4) ist kein abstraktes oder unverbindliches Wissen, sondern diejenige Kraft, aus der sich das menschliche Leben speist und die es gelingen lässt.142 Obwohl im alten Israel ebenso wie in Mesopotamien und Ägypten die Erziehung auch körperliche Züchtigung einschloss (Spr 10,13; 13,24; 20,30; Sir 30,1 u. ö.),143 sind die Verben jkh hif. „zurechtweisen“ und jsr „unterweisen“ und die ˙ Substantive tôkahat „Zurechtweisung“ und mûsār „Unterweisung“ keine Termini ˙ der „Rohrstockpädagogik“. Denn das Organ, mit dem die weisheitliche Erziehung aufgenommen werden soll, ist in der Regel das Ohr, weniger der Rücken. Bestätigt wird dies durch „eine Untersuchung der Begriffe, die in den Proverbien für erziehen bzw. Erziehung gebraucht werden, die Verben jsr und jkh sowie die zugehörigen Substantive mûsār ˙ und tôkahat. In deutschen Übersetzungen werden die Verben zumeist mit ,züchtigen‘, ˙ die Substantive mit ,Zucht‘ wiedergegeben. Diese Begriffe sind im heutigen Deutsch jedoch ungebräuchlich; zudem haben sie einen einseitigen Schwerpunkt: Nach einer Definition von I. Kant ist Zucht ,die mit Absicht und Energie geübte Einwirkung auf das Verhalten und die Ausbildung des Charakters, besonders der Jugend. Sie gibt dabei den negativen Factor ab im Unterschiede von der Unterweisung und Belehrung, die einen positiven Beitrag leistet‘. Damit betont der Begriff ,Zucht‘ einerseits undifferenziert den strafenden Aspekt der Erziehung und lässt andererseits die inhaltlichen Aspekte verschwimmen, so dass er wenig geeignet erscheint für die vielfältigen Facetten, die hinter den hebräischen Begriffen stehen“144.
Das ist der eigentliche Sinn der Wendung „Zurechtweisungen der Unterweisung“ in Spr 6,23: beide Termini dieser Wendung – tôkehôt und mûsār – meinen das ˙ „Erziehen zu einer Lebensführung, die die Regeln des Miteinanders nicht verletzt“145. Die Hauptintention der elterlichen Unterweisung war es demnach, „den Sohn zu einer Haltung zu erziehen, die ihn Recht und Ethos seiner Gemeinschaft zu schätzen und zu halten lehrt“146. Es geht also um die Art der Lebensführung, d. h. um die Einübung in den Weg der Rechtschaffenheit, der zum Leben führt (Spr 12,28; 21,21) und der allein wahrhaften Gewinn bringt: 17 Sich selbst tut wohl, wer ein gütiger Mann (᾽îš hæsæd) ist, ˙ aber sich selbst behandelt feindselig, wer grausam ist. dazu Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 30 ff (Janowski). dazu Delkurt, Einsichten 41 ff; ders., Erziehung, 233 f; Michel, Gott, 59 f; Kunz-Lübcke, Kind, 225 ff u. a. 144 Delkurt, Erziehung, 231 f, vgl. ders., Einsichten, 44 und Hausmann, Menschenbild, 113 ff.171 ff. 145 Delkurt., Einsichten, 34, vgl. Schipper, aaO 412. 146 Delkurt, aaO 44 (H. i. O.), s. dazu auch Hausmann, aaO 37 ff.288 ff. 142 S.
143 S.
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 131
18 Ein Frevler schafft trügerischen Lohn, aber einer, der Gerechtigkeit (sedāqāh) aussät, beständigen Lohn. ˙ 19 So (ist es:) (?) Gerechtigkeit gereicht zum Leben, aber wer Bösem nachjagt, (dem gereicht es) zu seinem Tod. 20 Ein Gräuel für JHWH sind diejenigen, die verkehrten Sinnes sind, aber sein Wohlwollen finden diejenigen, die tadellos in (ihrem) Weg sind. 21 Die Hand darauf, kein Böser wird unschuldig gesprochen, aber das Geschlecht der Gerechten wird freikommen. (Spr 11,17–21)147
Oder knapp und bündig: Wer Gerechtigkeit (sedāqāh) und Güte (hæsæd) nachjagt, ˙ ˙ wird Leben, Gerechtigkeit und Ehre finden. (Spr 21,21)
Wo, wie und durch wen wurde dieser Lerninhalt – das Achten auf die das Leben bewahrenden Gebote und Weisungen – vermittelt? In der Schule, im FamulusSystem (Weisheitslehrer / Schüler), in der Familie oder in einem familienähnlichen Kontext (Vater bzw. Eltern / Sohn)? Die immer wieder unternommenen Versuche, die Institution „Schule“ in Form eines entsprechenden Gebäudes mit professionellen Lehrern nachzuweisen, haben bislang zu keinem Ergebnis geführt.148 Dagegen weisen viele Texte des Sprüchebuchs, vor allem wenn von Vater und Mutter die Rede ist,149 auf die Familie als den Ort der Erziehung. In mehreren Beiträgen hat D. M. Carr den Nachweis erbracht, dass „das Hauptziel der Textproduktion und Textrezeption im Rahmen von Bildung / Inkulturation … nicht darin (bestand), Texte auf Pergament oder Papyrus zu überarbeiten oder sie auf Tontafeln festzuhalten. Das Ziel war vielmehr, diese Texte Wort für Wort der nächsten Generation ,einzuprägen‘. Es ging also um mehr als das Erlernen von Buchstaben und Wörtern oder der Fähigkeit zu schreiben; es ging um die Aneignung eines gesamten Vokabulars von Episoden, Versen, narrativen Themen und Werten“150.
Zu denken ist dabei an Texte wie Spr 3,3; 7,3 mit ihrem Motiv vom „Schreiben auf die Tafel des Herzens“151 oder an Dtn 6,6–9, in dem nicht wie in Spr 6,20–24 von der Erziehung in Alltagsdingen, sondern von religiöser Erziehung die Rede ist. Dieser locus classicus des religiösen Lernens aus der ausgehenden Königszeit Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 193, vgl. zur Interpretation ders., aaO 194 ff; Hausmann, aaO 288 f.289 ff und Schipper, aaO 682 ff. 148 S. dazu den Forschungsüberblick bei Delkurt, Grundprobleme, 43 ff; ders., Erziehung, 240 ff, ferner Hausmann, aaO 119 f.168 f; King / Stager, Life, 315 ff; Carr, Schrift, 22 f.134 f; Finsterbusch, Modelle, 229 f und Zwickel, Leben, 227 f. Eine andere Frage ist die Ausbildung von Schreibern in Schulen, die dem Tempel oder Palast angegliedert waren, s. dazu Schmid, Literaturgeschichte, 46 f.66 f.79 f. 149 So in Spr 1,8; 4,3 f; 6,20; 10,1; 17,25 u. ö., s. dazu Hausmann, aaO 113 ff. 150 Carr, Bildung, 185, vgl. 193. 151 Weitere Beispiele bei ders., aaO 192. Die Lehrrede Spr 3,3–12 enthält einen Katalog von lebenspraktischen Themen, die für das rechte Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen essentiell sind, s. dazu Meinhold, aaO 71 ff und Schipper, aaO 216 ff. 147 Übersetzung
132 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
(7./6. Jh. v. Chr.) schreibt das „Höre, Israel!“ von Dtn 6,4 f152 fort und verfügt, dass „diese Worte“ (V. 6), wohl die in Dtn 12–26 enthaltenen Gebote bzw. eine Auswahl von ihnen, auf das Herz eines jeden Israeliten geschrieben153 und im privaten wie im öffentlichen Raum präsent gemacht und gehalten werden sollen: 6 Und es sollen diese Worte, [die ich dir heute gebiete], auf deinem Herzen sein. 7 Und du sollst sie deinen Kindern wiederholt vorsprechen, und du sollst über sie reden,154 bei deinem Sitzen in deinem Haus und bei deinem Gehen auf dem Weg, und bei deinem Liegen und bei deinem Aufstehen. 8 Und du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen Merkzeichen zwischen deinen Augen sein. 9 Und du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben.155
Orte und Zeiten Herz
Raum: Innen / Außen Zeit: Abend / Morgen Hand Augen Raum: Innen / Außen
Das Herz (lebāb), auf dem „diese Worte“ wie auf einer Schreibtafel eingraviert sind, ist derjenige Ort im Menschen, von dem sie ihren Ausgang nehmen und helfen, den Anforderungen des täglichen Lebens gerecht zu werden. Dabei führt der Weg von innen (Herz V. 6) über die Weitergabe an die nächste Generation (wiederholtes Vorsprechen, Auslegung V. 7) nach außen, wo „diese Worte“ zu ,Zeichen der Verbundenheit mit JHWH‘ an Hand und Stirn (V. 8, s. Abb. 21) wie auf Türpfosten und Stadttoren (V. 9) werden. Das ist ganz konkret gemeint: der Text – „diese Worte“ – soll am Handgelenk und an der Stirn getragen und darüber hinaus auf die Türpfosten (mezûzôt) des Hauses und die Stadttore geschrieben werden.156
152 S.
dazu unten 556 ff. meint dagegen, dass mit „diesen Worten“ an V. 4b gedacht ist und in V. 6 „die Vorschrift erteilt (wird), die bekenntnishaften Worte von V. 4b als ein neuartiges Amulett auf der Brust zu tragen“ (ders., Deuteronomium [ATD], 179), vgl. auch Berlejung, Gottgegenwart, 162. Allerdings spricht Dtn 6,6 ausdrücklich davon, dass „diese Worte“ direkt „auf dem Herzen“ eines jeden Israeliten sein sollen, während weder von einer „Brusttasche“ auf dem Herzen (wie in Ex 28,29 f) noch von einem „Siegel“ auf dem Herzen (wie in Hhld 8,6) die Rede ist, vgl. Carr, Schrift, 158 f.172. 154 Nämlich mit deinen Kindern, oder: „Und du sollst von ihnen reden“ (nämlich zu deinen Kindern), s. zur Diskussion Finsterbusch, Weisung, 239 ff und dies., Identität, 103 ff. 155 Zur Interpretation diese Textes s. Braulik, Deuteronomium I (NEB), 56 ff; ders., Deuteronomium, 122 ff; Veijola, aaO 174 ff; Carr, aaO 158 ff; Finsterbusch, Weisung, 239 ff; dies., Mose, 34 ff; dies., Modelle, 232 f; Otto, Deuteronomium II (HThK.AT), 793 ff; Geiger, Gottesräume, 142 ff u. a. Neben dem textgestützten Lernen in Dtn 6,6 ff ist noch vom situationsorientierten Lernen (Dtn 6,20 ff, vgl. 26,5 ff) und vom öffentlichen Lernritual (Dtn 31,10 ff) die Rede, s. dazu Braulik, aaO 128 ff und Finsterbusch, Identität, 111 ff. 156 S. dazu Keel, Zeichen, 166 ff und ders., Geschichte Jerusalems 1, 585 ff. 153 Veijola
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 133
Abb. 21: Tefillin (moderne Nachzeichnung)
So ist Dtn 6,6–9 mit seiner Verknüpfung von mündlichen (V. 7) und schriftlichen (V. 8 f) Lehr- und Lernformen ein Dokument der kulturellen Mnemotechnik, das aufgrund der Fokussierung auf das Herz (V. 6, vgl. Dtn 6,5) nicht nur die Verinnerlichung des JHWH‑Glaubens vorantreibt, sondern auch seinem kollektiven Vergessen entgegenwirkt157 – und zwar durch Internalisierung der fundierenden Geschichte JHWHs mit seinem Volk, wie sie im deuteronomischen Gesetz aufgehoben und vergegenwärtigt ist: „Durch diese ,Internalisierung‘ kann die jeweils nächste Generation die Funktion erfüllen, Träger der kollektiven Identität Israels zu sein, eine wesentliche Voraussetzung, um diese Identität generationenübergreifend zu bewahren. Wie in keinem anderen Buch der Hebräischen Bibel ist im Deuteronomium das klare Bewusstsein dafür erkennbar, dass es nicht zuletzt die Kinder sind, an denen sich maßgeblich die Zukunft einer Gemeinschaft entscheidet.“158
b) Generationenbeziehungen Kehren wir von den Formen der Erziehung zur Frage nach der Eltern/Kind-Beziehung zurück, wie sie mit der Geburt begründet wird. Diese Beziehung ist die elementarste Generationenbeziehung, die es geben kann. In ihr zeigt sich nicht nur, wie stabil oder zerbrechlich das Verhältnis von Eltern und Kindern ist, sie ist auch ein Ausdruck dessen, was im Alten Testament mit dem Terminus tôledôt „Generationen, Geschlechterfolge“159 bezeichnet wird. Dieser Terminus ist der Schlüsselbegriff des genealogischen Denkens. dazu Assmann, Gedächtnis, 212 ff. Identität, 120, vgl. Lohfink, aaO 93 und Albertz, Religionsgeschichte, 330 f. 159 Wesentlich für das Verständnis ist der etymologische Zusammenhang mit dem Verb jālad „zeugen, gebären“, s. dazu Hieke, Genealogien, 18 ff; Bührer, Anfang, 155 und zu jālad oben 70 mit Anm. 109. 157 S.
158 Finsterbusch,
134 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
α) Genealogisches Denken Altes Testament: Bührer, Anfang, 152 ff ◆ Fischer, Lust, 71 ff ◆ Grohmann, Anfang, 382 f ◆
Dies., Art. Geburt, 179 ◆ Gruber / Michel, Art. Individualität, 270 ff ◆ Hieke, Genealogien ◆ Ders., Genealogie, 149 ff ◆ Staubli / Schoer, Menschenbilder, 115 ff.525 f ◆ Utzschneider, Patrilinearität, 60 ff. – Antike Religionen: Ebach, Art. Genealogie, 486 ff ◆ Hieke, Genealogie, 151 ff.
Was mit genealogischem Denken gemeint ist, lässt sich in besonderer Weise der biblischen Urgeschichte (Gen 1–11) entnehmen, die darin an Traditionen Ägyptens und Mesopotamiens wie etwa die Sumerische Königsliste (Q 86) anknüpft, diese aber signifikant abwandelt. Der Begriff tôledôt „Generationen, Geschlechterfolge“ taucht zuerst im redaktionellen Brückentext Gen 2,4a160 und dann in der aus zehn Gliedern bestehenden Adam-Toledot in Gen 5,1–32 auf, die die lineare Abfolge der Generationen von Adam bis zu Noah umfasst und die eine narrative Entfaltung des Schöpfungssegens von Gen 1,28 darstellt.161 Möglicherweise sollte mit den hohen Zahlenangaben in Gen 5,3 ff signalisiert werden, „dass der göttliche Segen bis zur Sintflut eine Intensität hatte, die er später nie mehr erreichte“162. Als Beispiel sei die Seth-Genealogie in Gen 5,6–8 zitiert: 6 7 8
Und Seth lebte 105 Jahre, und er zeugte Enosch. Und Seth lebte, nachdem er Enosch gezeugt hatte, 807 Jahre, und er zeugte Söhne und Töchter. Und es waren alle Tage Seths 912 Jahre, und er starb.
Eine Genealogie enthält bestimmte Informationen wie „Vater“, „Mutter“, „Sohn“ oder „Tochter“ sowie einen Indikator (das Verb jālad „zeugen, gebären“), der die genealogische Beziehung zwischen ihnen angibt.163 Im vorliegenden Fall handelt es sich, wie die Abfolge der Verben leben – zeugen (– weiterleben – weiterzeugen) – sterben zeigt, um eine lineare Genealogie. Sie kommt ohne weitere Charakterisierungen aus und qualifiziert eine Person „durch ihr genealogisches Verhältnis zu anderen Personen“164. Im Vordergrund steht dabei nicht die konkrete ist die Entstehungsgeschichte (tôledôt) von Himmel und Erde, als sie geschaffen wurden“, s. dazu Hieke, Genealogien, 47 ff und Bührer, aaO 142 ff. Zu den weiteren Vorkommen der sog. Toledotformel s. Bührer, aaO 152 ff. 161 Dass die Adam-Toledot im Schöpfungssegen von Gen 1,1–2,3 verankert ist und der Schöpfungssegen genealogisch vermittelt wird, ergibt sich aus dem Rückgriff von Gen 5,1 f auf die Erschaffung und Segnung des Menschen in Gen 1,26 ff, dazu Witte, Urgeschichte, 126; Hieke, aaO 67.71 f.83 ff.257 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 196 f. 162 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 526. Gen 5,1 ff veranschlagt einen Zeitraum von 1556 Jahren für die zehn Geschlechter und eine Lebensalterssumme von 8575 Jahren. 163 Zu den Fragen der Definition s. Hieke, aaO 18 ff. 164 Ders., aaO 19. Zur Unterscheidung einer linearen von einer segmentären Genealogie s. ders., aaO 19 f. 160 „Dies
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 135
Biographie mit ihren Eigenheiten, sondern die patrilineare Filiation, wie sie auch in der hebräischen Namengebung zum Ausdruck kommt (z. B. „Josua, der Sohn des Nun“ Jos 1,1 oder „Michal, die Tochter Sauls“ 2 Sam 3,13).165 Die Menschen im alten Israel haben also zuerst „eine durch Generationen von – gelegentlich auch weiblichen – Vorfahren bestimmte Identität“166, die in der Vergangenheit wurzelt und in die Zukunft reicht.167 Insofern ist eine genealogische Liste nicht ein Zeichen von erzählerischem Reduktionismus, sondern ein Beleg für die Eingebundenheit des Einzelnen in verwandtschaftliche Zusammenhänge, die der Kontinuität des Lebens und der Bindekraft der Tradition dient.168 Dieses Bewusstsein der Eingebundenheit kann aber auch verloren gehen oder verdunkelt werden. Dies ist der Fall, wo Kinder ihre Eltern belügen und betrügen (Jakob in Gen 27; Rahel in Gen 31,19–35) oder wo der Sohn den nahen Tod seines Vaters nicht erwarten kann (Adonja in 1 Kön 1,5–10). Extreme Fälle sind das Verhalten und Schicksal des widerspenstigen Sohns in Dtn 21,18–21 oder auch der Umstand, dass die erwachsenen Kinder dem Gebot, für ihre alt gewordenen Eltern zu sorgen, nicht nachkommen. Auf diesen Problemfall reagiert das Elterngebot. β) Das Elterngebot Altes Testament: Albertz, Hintergrund, 157 ff ◆ Ders., Art. Eltern / Elterngebot, 533 f ◆ Fabry,
Generationenvertrag, 14 ff ◆ Fischer, Lust, 67 ff ◆ Frevel, Alter, 38 ff ◆ Kessler, Ethik, 187 f ◆ Köckert, Zehn Gebote, 73 ff ◆ Lang, Altersversorgung, 90 ff ◆ Meinhold, Verständnis, 61 ff ◆ Otto, Ethik, 33 ff ◆ Schmidt, Zehn Gebote, 98 ff. – Antike Religionen: Jungbauer, „Vater“ ◆ Loretz, Ugarit, 128 ff ◆ Otto, Altersversorgung, 83 ff ◆ Tesch, Weisheitsunterricht, 79 ff.
Auffällig häufig ist im Alten Testament davon die Rede, dass die Eltern/SohnBeziehung nicht konfliktfrei war und die Eltern der Verachtung und Respektlosigkeit ihrer Kinder ausgesetzt waren.169 In warnendem Ton ist die Rede vom Schlagen, Fluchen, Herabsetzen, Verjagen, Verspotten, Verachten und Bestehlen der Eltern. Zuweilen werden dabei harte Sanktionen angedroht: Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt (nkh hif.), wird des Todes sterben. (Ex 21,15)
165 Zur
Namengebung s. oben 71 ff. Art. Individualität, 271. 167 Vgl. Fischer, Lust, 72 f und Grohmann, Art. Geburt, 179. 168 Vgl. Ebach, Art. Genealogie, 490. Dieser Aspekt ist auch für die übrigen Genealogien bestimmend, in denen es um die Relationen von Familien, Sippen und Völkern (Gen 11,27– 25,11; 25,12 ff; 25,19–35,29; 36; 37–50; Ex 1,1 ff; 6,16 ff; Num 3,1 ff) sowie um die Legitimation der Abstammung geht (Ruth 4,18 ff), s. dazu den Textanhang bei Hieke, aaO 384 ff. 169 Zum abschätzigen Verhalten gegen die Eltern s. Delkurt, Einsichten, 44 ff. Zum berüchtigten Fall des störrischen Sohns in Dtn 21,18 ff s. Braulik, Deuteronomium II (NEB), 156 ff und Otto, Altersversorgung, 93 f. 166 Gruber / Michel,
136 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens Wer seinen Vater oder seine Mutter verächtlich behandelt (qll pi.),170 wird des Todes sterben. (Ex 21,17, vgl. Lev 20,9; Ez 22,7) Verflucht, wer seinen Vater oder seine Mutter verächtlich behandelt (qlh hif.). Und das ganze Volk soll rufen: Amen! (Dtn 27,16, vgl. Mi 7,6) Wer den Vater gewalttätig behandelt (šdd pi.), die Mutter vertreibt (brh hif.), ˙ ist ein schändlicher und schmählicher Sohn. (Spr 19,26) Wer seinen Vater und seine Mutter verächtlich behandelt (qll pi.), dessen Lampe erlöscht beim Anbruch der Dunkelheit. (Spr 20,20) Höre auf deinen Vater, der dich gezeugt hat, und verachte (bûz) nicht deine Mutter, weil sie alt geworden ist! (Spr 23,22) Wer seinen Vater und seine Mutter beraubt (gāzal) und meint, es ist kein Vergehen, der ist ein Kumpan des Verderbers. (Spr 28,24) Eine Clique, wo man seinen Vater verächtlich behandelt (qll pi.) und seine Mutter nicht segnet (brk pi.) … (Spr 30,11) Ein Auge, das über den Vater spottet (lā῾ag) und das den Gehorsam gegenüber der Mutter verachtet (bûz), das werden die Bachraben aushacken und die Geierjungen fressen. (Spr 30,17)
Im Unterschied zu den Rechtsbestimmungen von Ex 21,15.17 und Dtn 27,16 wollen die zitierten Sentenzen des Sprüchebuchs „zu einer Lebensführung erziehen, die die Regeln des Miteinanders nicht verletzt“171. Worin diese Regeln bestehen, lässt sich dem Elterngebot des Dekalogs in Ex 20,12 par. Dtn 5,16 und der selbstständigen Parallelfassung in Lev 19,3 entnehmen: Ehre (kibbed) deinen Vater und deine Mutter, wie Jahwe, dein Gott dir geboten hat, damit deine Tage lang sind und damit es dir gut geht auf dem Ackerboden, den JHWH, dein Gott, dir gibt! (Ex 20,12 / Dtn 5,16)172 Jeder von euch fürchte (jāre᾽) seine Mutter und seinen Vater, und meine Sabbate sollt ihr befolgen! (Lev 19,3)
Im Horizont der Begründung des fünften Gebots in M. Luthers Großem Katechismus sind wir gewohnt, bei der „Ehrung“ an den Gehorsam der Kinder gegenüber ihren Eltern zu denken.173 Mit der Erziehung zu Sitte und Anstand, wie es in geht bei qll pi. offenbar um die Herabsetzung, das ,Klein-Machen‘ der Eltern, s. dazu Otto, Altersversorgung, 91 f mit Anm. 62. 171 Delkurt, aaO 51. 172 Normalschrift: gemeinsamer Text, Kursivschrift: Zusatz in Dtn 5. Zu den unterschiedlichen Gebotsmotivationen (Ex 20,12: „damit deine Tage lang sind“, Dtn 5,16 zusätzlich: „damit es dir gut geht“) s. Albertz, Hintergrund, 161 ff und Schmidt, Zehn Gebote, 104 f. 173 S. dazu Schmidt, aaO 98 f und Köckert, Zehn Gebote, 113 ff. Die Umdeutung des Eltern170 Es
§ 3 Gender- und Generationenaspekte 137
der christlichen Tradition bis in unsere Tage verstanden wurde, hat dieses Gebot allerdings nichts zu tun. Denn zum einen wendet es sich an erwachsene Kinder, „die selber Eltern sind oder wenigstens sein könnten“174. Zum anderen meint das Elterngebot, wie die beiden Verben kibbed „ehren, jem. Ehre erweisen“ (Ex 20,12 par. Dtn 5,16)175 und jāre᾽ „jem. fürchten, Ehrfurcht haben“ (Lev 19,3) zeigen, die „angemessene Versorgung der alten Eltern mit Nahrung, Kleindung und Wohnung bis zu ihrem Tod, darüber hinaus einen respektvollen Umgang und eine würdige Behandlung, die trotz der Abnahme ihrer Lebenskraft ihrer Stellung als Eltern entspricht. Dazu gehört schließlich eine würdige Beerdigung“176.
Und schließlich impliziert das Elterngebot, wenn man es vor dem Hintergrund des Todesrechtsatzes „Wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt, wird des Todes sterben“ (Ex 21,15, vgl. Ex 21,17) liest, die würdige Behandlung der alten Eltern und den Schutz vor der Missachtung und Aggression durch ihre Kinder.177 So will das Elterngebot, das seinen Sitz im Leben möglicherweise in der Übergabe von Hof und Besitz an den (ältesten) Sohn hatte,178 Einsicht in die Versorgung der alt gewordenen Eltern und den respektvollen Umgang mit ihnen fördern. Es dient dem Schutz derjenigen, von denen die Kinder einst abhängig waren und die selber von ihren Kindern abhängig sein werden, wenn für sie die Zeit des Alters mit seinen Einschränkungen und Gebrechen gekommen ist.179 In seiner Mahnrede an Demonikos hat (Pseudo-)Isokrates (4. Jh. v. Chr.) diese Einsicht in eine Sentenz gefasst, die man als „Goldene Regel der Eltern/Kind-Beziehung“ bezeichnen kann: Verhalte dich gegenüber deinen Eltern so, wie du möchtest, dass sich deine eigenen Kinder dir gegenüber verhalten.180 gebots auf eine Ethik des Gehorsams findet sich bereits im Neuen Testament (Eph 6,1–3, vgl. Kol 3,20 f), s. dazu Jungbauer, „Vater“, 333 ff. 174 Köckert, aaO 72. 175 Nach Otto, Ethik, 34 ist kibbed „wörtlich als ,Beilegen von Gewicht durch Anerkennung‘ zu verstehen. Ehren bezeichnet also das spiegelbildliche Gegenteil von ,mindern‘ (Ex 21,17)“; zu qll pi. „diskreditieren, herabsetzen“ in Ex 21,17 u. ö. s. oben Anm. 170. 176 Albertz, aaO 185. Auch nach altorientalischen Vergleichstexten aus dem 2. und 1. Jt. v. Chr. bedeutet die „Ehrung“ der Eltern deren Versorgung mit Nahrung und Kleidung bis zum Tod einschließlich einem ehrenvollen Begräbnis. Es handelt sich dabei um familienrechtliche Urkunden (Adoptionsverträge, Erbschaftsverträge, Schenkungsurkunden, Testamente) und Weisheitstexte, in denen sich die mit hebr. kbd pi. und jāre᾽ vergleichbaren akkadischen Verben kubbutu „schwer machen, ehren, achtungsvoll behandeln“ und palāhu „(sich fürchten >) respektvoll behandeln, verehren, dienen“ finden, s. dazu die Beispiele˘ Q 88. 177 Zu vergleichen ist außer Tob 4,3 f (Q 200) auch der ausführliche Kommentar zum Elterngebot in Sir 3,1–16 (Q 201). 178 S. dazu Albertz, aaO 180 ff. 179 Sehr eindrücklich wird dieser ,Generationenvertrag‘ in der Weisheitslehre des Ani (Q 15) beschrieben, vgl. auch Q 28. 180 Zitiert nach Jungbauer, „Vater“, 144.
138 II Von der Wiege bis zur Bahre – Phasen des Lebens
Bündiger kann man nicht an die familiäre Solidarität appellieren. Das Spezifische von Ex 20,12 par. Dtn 5,16 liegt aber darin, dass das Elterngebot im Kontext des Dekalogs überliefert wird und damit zu einem grundlegenden Gebot JHWHs für Israel geworden ist. Die hinter ihm stehende familiäre Solidarität ist nicht nur „das große Bindeglied zwischen den Generationen im Alten Testament“181, sondern auch das Bindeglied zwischen JHWH und seinem Volk Israel, der dieses aus Ägypten herausgeführt (Ex 20,2 par. Dtn 5,6) und ihm ein Land gegeben hat, dessen Gaben ein langes und gutes Leben ermöglichen.182
Generationenvertrag, 28, vgl. Frevel, Alter, 42. Meinhold, Verständnis, 69.
181 Fabry, 182 Vgl.
Nachtrag zu § 3 1. Die Rolle der Geschlechter (98 ff ) Zum Verhältnis der Geschlechter s. Fischer, Verhältnis, 315 ff und Gies, Anthropologie, 115 ff. Speziell zur Genderproblematik in der Priesterschrift s. Shectman, Language, 416 ff. a) Mann und Frau (99 ff ) Zur Erschaffung der Frau und ihrer Bestimmung als „Hilfe, die ihm (sc. dem Mann) entspricht“ (Gen 2,18.20) s. Janowski, Schöpfungsglaube, 99 ff. Speziell zum Verständnis von Gen 2,21–25: Der erste Teil der nichtpriesterlichen Paradieserzählung in Gen 2,4b–25 endet mit den beiden Stichwörtern „Nacktheit“ und „Scham“ (V. 25), die auch für den zweiten Teil (Gen 3,1–24) von zentraler Bedeutung sind. Das Verständnis von 2,25 (Nacktheit ohne Scham) hängt dabei mit der Frage zusammen, ob das erste Menschenpaar bereits im Garten Eden geschlechtlich miteinander verkehrte. Während diese Frage von Schmid, Sexualität, 3 ff u. a. mit guten Gründen verneint wird, wird sie etwa von Fischer, Geschlechtlichkeit, 12 ff bejaht. Ausschlaggebend dafür ist ihre Interpretation von V. 24 („Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und sie werden zu einem Fleisch [bāśār ʾæḥād]“). Zwar sieht auch Fischer, dass dieser Vers mit seiner ätiologischen Ausrichtung („darum …“) eine nachparadiesische Perspektive einnimmt, dennoch muss ihr zufolge V. 24b („und sie werden zu einem Fleisch“) auf die „sexuelle Vereinigung“ (aaO 15) bezogen werden. Das aber ist nicht nur eine Engführung, sondern auch eine Vermischung zweier unterschiedlicher Ebenen, nämlich der Ebene der ätiologischen Begründung der Verwandtschaftsformel, die V. 24 einnimmt, und der Ebene der Darstellung der Vorgänge im Garten Eden, die V. 25 im Blick hat. Was im nachparadiesischen Äon ab Gen 4,1 der Regelfall ist, ist es noch nicht im Garten Eden. Demgegenüber wird das Verhältnis von Nacktheit und Scham von F. Hartenstein, „Und sie erkannten, dass sie nackt waren …“ (Gn 3,7). Beobachtungen zur Anthropologie der Paradieserzählung, EvTh 65 (2005) 277–29 zu recht im Kontext einer „kulturellen Symbolik“ (279 f ) expliziert und V. 25 als „Ausdruck ungestörter Gemeinschaft“ (286 f, vgl. 292) verstanden. Auch nach H. Seebass, Art. bôš usw., ThWAT 1 (1973) 568–580, hier: 571 ist das Verb bôš „in keiner Weise an der sexuellen Scham orientiert … – Gen 2,25 (hitp) dürfte
140 Nachtrag zu § 3
bedeuten ‚sich in bezug auf seine Blöße nicht im Status der Schande finden‘“, vgl. Hartenstein, aaO 287 und Grund-Wittenberg, Scham, 153 ff. b) Frauen und Männer β) Erotik und Sexualität (115 ff ) Einen kompakten Überblick über die wichtigsten der mit dem Thema „Sexualität im Alten Testament“ verbundenen Aspekte bietet Fischer, Liebe, s. ferner die Beiträge in Bindrim u. a. (Hg.), Erotik und Gies, Anthropologie, 133 ff. Speziell zur Homosexualität s. Leuenberger, Geschlechterrollen, 206 ff; Fischer, aaO 71 ff und Gies, aaO 160 ff. Exkurs 6: Ehe und Familie (120 ff ) Zur Eheschließung, zu den Eheformen und zum Eheleben s. Schmitt, Religionen, 86 ff; Fischer, Liebe, 22 ff.63 ff.68 ff.77 ff u. ö. Zur Familienreligion und zu den durch die Familie begründeten sozialen Strukturen s. Schmitt, Religionen, 69 ff; Albertz, Individualität, 133 ff und Kessler, Familie, 186 ff. 2. Die Kette der Generationen a) Eltern und Kinder (125 ff ) Zur Bedeutung des Kindes und der Kinder im Alten Testament und seiner Umwelt s. Betsworth / Parker (ed.), Handbook.
III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
E
s gibt nur wenige bildliche Darstellungen aus alttestamentlicher Zeit, die wie die Malerei aus Kuntilet Άgˇrūd (8. Jh. v. Chr.) einen Einblick in die hebräische Auffassung des menschlichen Körpers geben. Ähnlich wie bei der homerischen Körperauffassung, wonach der Körper keine organische Einheit, sondern die Summe einzelner Organe und Glieder ist (s. Q 162), liegt der Fokus hier auf der „Addition von Körperteilen in verschiedenen, für sie typischen Ansichten (Kopf in Seitenansicht, Auge in Vorderansicht)“ (Wagner, Gottes Körper, 63). Überdies ist die Darstellung auf wesentliche Körperteile beschränkt: „Kopf, Angesicht, Auge, Nase, und (Lippe), Hals, Rumpf, Arm / Hand, Fuß / Bein. Individuelle physiognomische Züge und Details fehlen völlig“ (ders., ebd.). Dieser Sachverhalt ist charakteristisch für die alttestamentliche Anthropologie und ihre aspektivische Körperauffassung. Ebenso charakteristisch ist der Zusammenhang zwischen Körperteilen/-organen und gestischen bzw. funktionalen Bedeutungsaspekten. So steht die „Hand“ für das gestische Ausdrucksvermögen, also die Macht, Tatkraft oder (Verfügungs-)Gewalt. Auch nach alttestamentlicher Auffassung existiert der menschliche Leib nicht für sich selbst, sondern ist immer bezogen auf den ihn umgebenden Raum (Sozialsphäre, Lebenswelt) und die dort sich vollziehenden Vorgänge und Widerfahrnisse. Die Menschen des alten Israel waren keine „Bewusstseinsmonaden“, sondern Lebewesen mit einem verkörperten oder leiblichen Selbst (embodied self).
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen Ein weises Herz macht seinen Mund achtsam, und auf seinen Lippen fügt es Einsicht hinzu. (Wie) Fließen von Honig sind liebliche Worte, süß für das Leben und Heilung für die Knochen. Sprüche 16,23 f
Seit Platon (ca. 427–347 v. Chr.) war das abendländische Denken über weite Strecken von einem anthropologischen Dualismus bestimmt, der sich in der Trennung von Innen und Außen, von Leib und Seele sowie von Körper und Geist niedergeschlagen hat. Auch wenn dabei zu differenzieren ist,1 liegt hier eine Erblast vor, die bis heute nachwirkt und immer wieder ,abgearbeitet‘ werden muss. Für einen kritischen Umgang mit dem anthropologischen Dualismus plädiert besonders der Philosoph und Psychiater Th. Fuchs, dem zufolge sich das menschliche Bewusstsein „nicht als eine unsichtbare Kammer auffassen (lässt), die sich im Kopf hinter den Sinnesorganen verbirgt. Es ist überhaupt nicht ,im Körper‘, sondern es ist verkörpert: Bewusst sind bestimmte, integrale Tätigkeiten eines lebendigen, sinnesempfänglichen und eigenbeweglichen Organismus. Die primäre Dimension des Bewusstseins ist damit die wechselseitige, sensorisch-motorische und aktiv-rezeptive Beziehung von Lebewesen und Umwelt. Erst in der Selbstreflexion tritt das menschliche Bewusstsein sich als erlebendem und tätigem Bewusstsein noch einmal gegenüber und scheint so zu einer Innenwelt zu werden. Diese dem Menschen mögliche Selbstdistanzierung hebt aber sein primäres, verkörpertes In-der-Welt-Sein nicht auf. Wir sind keine Bewusstseinsmonaden, denen ein Bild der Welt vorgespiegelt wird, sondern Lebewesen: Wir bewohnen unseren lebendigen Körper und durch ihn die Welt“2.
Wenn der Leib – im Unterschied zum Körper als der Natur, die wir haben – die Natur ist, die wir sind,3 dann nimmt sich der Mensch in seinem Ausdruck und in seinem Handeln leiblich, also „nicht als eine Kombination von reinem Körper und verborgener Psyche, sondern als ein geeintes Ganzes“4 wahr. Im Unterschied zum Körper als der Gesamtheit anatomischer Strukturen und physiologischer S. dazu Müller, Art. Dualismus, 263 ff. Fuchs, Gehirn, 95 f, s. dazu auch Böhme, Ethik, 119 ff und Avrahami, Study, 5 ff. 3 S. dazu Fuchs, Leib, 122 ff und Böhme, Leib. 4 Fuchs, Gehirn, 99 f. 1 2
144 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Prozesse, die „sich insbesondere aus der medizinischen Fremdperspektive objektivieren lassen“5, ist der Leib „das Ensemble aller Fähigkeiten und Vermögen, die uns zur Verfügung stehen“6 und mit denen wir uns im sozialen Raum bewegen und uns in ihm als Personen verhalten.7 Das Selbst ist immer ein verkörpertes oder leibliches Selbst (embodied self ). Das gilt, wie im Folgenden zu zeigen ist, auch für die alttestamentliche Körperauffassung, die sich von den traditionellen „Zwei-Schichten-Anthropologien“8 im Stil Platons und seiner Erben kategorial unterscheidet. 1. Der Körper und seine Organe Altes Testament: Albertz, Art. Mensch, 464 ff ◆ Avrahami, Senses ◆ Dies., Study, 3 ff ◆ Berle-
jung, Körperkonzepte, 299 ff ◆ Bester, Körperbilder ◆ Erbele-Küster, Gender Trouble, 131 ff ◆ Dies., Körper, 339 ff ◆ Frevel, Art. Körper, 297 ff ◆ Gillmayr-Bucher, Images, 301 ff ◆ Dies., „Zunge“, 197 ff ◆ Häusl, Leib, 134 ff ◆ Janowski / Bester, Anthropologie, 20 ff ◆ Kegler, Körpererfahrung, 28 ff ◆ Maier, Körper, 189 ff ◆ Schellenberg, „Fleisch“, 95 ff ◆ Schmidt, Begriffe, 77 ff ◆ Schroer / Staubli, Körpersymbolik ◆ Stavrakopoulou, Bodies, 532 ff ◆ Thomas, Idiom ◆ Tucker, Body, 109 ff ◆ di Vito, Anthropologie, 213 ff ◆ Wagner, Körperbegriffe, 289 ff ◆ Ders., Art. Körper, 279 ff ◆ Ders., Bedeutungsspektrum, 1 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 29 ff. – Antike Religionen: Berlejung u. a. (Hg.), Menschenbilder ◆ Brunner-Traut, Körper, 25 ff ◆ Dietrich / Loretz, Anatomie, 141 ff ◆ Kammenhuber, Vorstellungen, 150 ff.177 ff ◆ Klinger u. a. (Hg.), Körper ◆ Mayer, Tätigkeiten, 304 ff ◆ Müller / Wagner (Hg.), Körperauffassung ◆ Nun, Körperkonzeptionen, 119 ff ◆ Quack, Gliederpuppe, 13 ff ◆ Steinert, Aspekte, 132 ff ◆ Dies., Person, 40 ff ◆ Thommen, Körpergeschichte ◆ Weissenrieder, Leitfaden, 15 ff. – P hilosophie, Theologie, Kulturwissenschaft: Benthien / Wulf (Hg.), Körperteile ◆ Böhme, Ethik, 119 ff ◆ Ders., Ich-Selbst, 197 ff ◆ Ders., Leib ◆ Elm, Art. Leib / Leiblichkeit, 367 ff ◆ Etzelmüller / Weissenrieder (Hg.), Verkörperung ◆ Fuchs, Leib, 15 ff.87 ff ◆ Ders., Gehirn, 93 ff ◆ Jung u. a. (Hg.), Körper ◆ Rosa, Resonanz, 83 ff.144 ff ◆ Sauter, Leben, 194 ff ◆ Tanner, Anthropologie, 123 ff ◆ Wulf, Anthropologie, 137 ff ◆ Ders. (Hg.), Vom Menschen, 407 ff.
Die Körperorgane und die mit ihnen verbundenen Aktivitäten und Fähigkeiten wie Atmen, Sprechen, Sehen, Hören, Riechen, Gehen oder Stehen gehören zu den Grundelementen der Selbst- und Weltbeziehung.9 Sie sind aber nicht nur die Basis für die menschliche Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit, also für das, was Th. Fuchs den „Richtungsraum“10 nennt. In unterschiedlicher Ausprägung und Reichweite stehen sie auch mit bestimmten Emotionen und Gefühlen in Zusammenhang, denen eine signifikante Bedeutung für die Anthropologie zu5 6
7 8
9 10
Ders., aaO 100. Ders., aaO 98 (H. i. O.). Zu diesem Doppelaspekt von Leib und Körper s. ders., aaO 99 ff. S. dazu ders., Leib, 15 ff.87 ff; Sturma, Art. Person, 1728 f.1735 f und Elm, Art. Leib / Leiblichkeit, 367 ff. Zu diesem Ausdruck s. Fuchs, Verkörperung, 12, vgl. Tanner, Anthropologie, 123 ff. S. dazu Fuchs, Leib, 87 ff, Rosa, Resonanz, 83 ff und für das AT besonders Avrahami, Study, 3 ff. S. dazu Fuchs, aaO 151 ff.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 145
kommt. Die Korrelation beider Aspekte, des somatischen und des emotionalen Aspekts, kommt im Folgenden immer wieder zur Sprache. a) Die äußeren Körperteile α) Terminologischer Überblick Für die Auffassung des menschlichen Körpers im alten Israel sind zunächst die Termini aufschlussreich, die – vom Kopf bis zu den Füssen – zu den am häufigsten (über 100mal) genannten Körperteilbezeichnungen des Alten Testaments zählen: Oberhalb des Halses
Unterhalb der Kopfes
Kopf ro᾽š 596 Angesicht pānîm 2127 Auge ῾ajin 866 Ohr ᾽ozæn 187 Nase ᾽ap 277 Mund pæh 500 Lippe śāpāh 176
(Kehle Hand – Rechte – Handfläche Fuß
næpæš 15 [?])11 jād 1618 jāmîn 139 kap 199 rægæl 24712
Dazu kommen die äußeren Körperteile sowie die Bezeichnungen für die inneren Organe und Körperteile: Äußere Körperteile
Innere Organe und Körperteile
Haar(e) śe῾ār Gehirn – Kopf, Scheitel qådqod Zunge lāšôn Backe lehî Zahn šen ˙ Bart(haar) zāqān Herz leb, lebāb13 Hals saww᾽ār Lunge – ˙ Genick ῾oræp Leber kābed Schulter šekæm Nieren kelājôt Rücken gab Mutterleib ræhæm ˙ Arm zerôa῾ Bauch, bætæn ˙ (weibl.) Brust šad Unterleib a Lenden, h lāsajim, jārek, Eingeweide, me῾îm, qæræb ˙ ˙ Hüften måtnajim Inneres
S. dazu Müller, „Seele“, 126 ff und oben 54 ff. Zu den Zahlenangaben vgl. Wagner, Art. Körper, 281. Der Dual (raglajim) von rægæl kann auch die Genitalien bezeichnen, so in Ex 4,25; Jes 6,2 und 7,20. Darüber hinaus steht der Ausdruck bên hāraglajim „zwischen den Beinen“ in Dtn 28,57 für die Geschlechtsteile der Frau. Auch andere Körperteile der Beingegend wie birkajim „Knie“ (Dual von bæræk), mebûšîm „Schamteile, Genitalien (des Mannes)“ und ῾āqeb „Ferse“ können euphemistisch die Geschlechtsorgane bezeichnen, s. dazu Schorch, Euphemismen, 194 ff. 13 leb / lebāb kann auch den „Brustkorb“ bezeichnen, s. dazu unten 166 Anm. 107. 11
12
146 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Äußere Körperteile Innere Organe und Körperteile Knie bæræk Magen14 – Sehne, Muskel kesæl Darm – Fuß pa῾am Knochen, ῾æsæm, ῾asmôt ˙ ˙ Ferse ῾āqeb Gebein(e) 15 e e Fleisch bāśār, š ᾽er Galle m rerāh, merorāh16 Haut ῾ôr
Abb. 22: „Kritias-Ephebe“ und Zeus (Athen, 5. Jh. v. Chr.)
Abb. 23: Menschendarstellung aus Kuntilet ‘Aǧrūd (8. Jh. v. Chr.)
Die Verdauungstätigkeit wird vom „Bauch, Unterleib“ (bætæn) übernommen, s. Ez 3,3; ˙ Ps 17,14; Spr 13,25 u. ö. 15 Euphemistisch für Penis in Lev 15,2 f.7 u. ö. 16 Es handelt sich um Hapax legomena (Hi 16,13; 20,25), s. dazu Frevel, ,Quellen‘, 458 f. Eine Analyse der Körperbegriffe in den Psalmen (ca. 53 Begriffe) und im Hiobbuch (ca. 65 Begriffe) ergibt ein noch differenzierteres Bild, s. dazu Gillmayr-Bucher, Images, 325 f; Schellenberg, „Fleisch“, 122 ff und Tucker, Body, 110 f. 14
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 147
Welches Bild des menschlichen Körpers lässt sich diesen Begriffen entnehmen? Bekanntlich gibt es keine Darstellungen des menschlichen Körpers aus dem alten Israel, die denjenigen aus dem klassischen Griechenland (s. Abb. 22) oder dem antiken Rom vergleichbar sind. Dennoch gibt es bildliche Darstellungen wie diejenigen aus Kuntilet ‘Aǧrūd (Abb. 23), die einen authentischen Einblick in die hebräische Auffassung des menschlichen Körpers gewähren. Ähnlich wie bei der homerischen Körperauffassung, wonach der menschliche Körper keine geschlossene Einheit, sondern die Summe einzelner Organe und Glieder ist,17 liegt der Fokus hier auf der „Addition von Körperteilen in verschiedenen, für sie typischen Ansichten (Kopf in Seitenansicht, Auge in Vorderansicht). Dies widerspricht unserer Sehgewohnheit, die in der Regel bei zweidimensionalen Bildern eine einheitliche Perspektive verlangt. Die Körperdarstellung ist weiterhin auf sehr wesentliche Körperteile beschränkt: Kopf, Gesicht, Auge, Nase, und (Lippe), Hals, Rumpf, Arm / Hand, Fuß / Bein. Individuelle physiognomische Züge und Details fehlen völlig“18.
Dargestellt werden also „wesentliche und typische Teile des Menschen, die zu einem Ganzen addiert sind“19 und die, gemäß dem bildhermeneutischen Ansatz von H. Schäfer und O. Keel, nicht ein Seh-, sondern ein Denkbild ergeben.20 Ein Seitenblick auf das alte Ägypten kann das Gesagte verdeutlichen. In mehreren Beiträgen hat E. Brunner-Traut21 die These vertreten, dass der menschliche Körper nach ägyptischer Auffassung nicht als Organismus, sondern als Kompositum seiner Glieder und Organe zu verstehen ist, die miteinander ‚verknotet‘ oder ‚zusammengeknüpft‘ sind: „Der Körper wird … auch nach Ausweis des Vokabulars nicht etwa als Organismus verstanden, selbst wenn das Herz vielfach als eine Art Zentrum gesehen worden ist, von dem außer Gedanken und Gefühlen auch die Gefäße ausgehen. Der Körper wird aus einer Anzahl von Teilstücken zusammengesetzt, ‚verknotet, zusammengeknüpft‘, er ist etwa das, was wir eine ‚Gliederpuppe‘ nennen.“22
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S. dazu Snell, Entdeckung, 16 ff; Böhme, Anthropologie, 252 ff; Thommen, Körpergeschichte, 17 ff; Meyer, Aristoteles, 29 ff und Q 162. Wagner, Gottes Körper, 63, s. dazu mit weiteren Menschendarstellungen der E IIB- und der Perserzeit ders., aaO 58 ff.81 f u. ö. Ders., aaO 80. S. dazu Keel, Bildsymbolik, 7.9 u. ö. S. dazu Brunner-Traut, Körper, 25 ff und dies., Frühformen, 71 ff. Zum Begriff der „Aspektive“ s. noch dies., Art. Aspektive, 474 ff, aber auch die Kritik von Stadler, Weiser, 19 ff, der auf die impliziten und expliziten Wertungen bei Brunner-Traut aufmerksam macht. Widerspruch meldet auch Quack, Gliederpuppe, 25 an, ohne allerdings zu überzeugen. Wenn man mit „Aspektive“ die Fähigkeit bezeichnet, ein Gesamtphänomen in Einzelaspekte zu zerlegen und jenes durch diese zur Darstellung zu bringen, kann man den Ausdruck, der auf eine „analytische Begabung“ der Ägypter hinweist (vgl. Stadler, aaO 21), durchaus beibehalten und in ihm so etwas wie eine ,regulative Idee‘ sehen, s. dazu auch Wagner, aaO 73 ff und ders., Art. Körper, 280. Brunner-Traut, Frühformen, 72.
148 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs Diesem Prinzip der Aspektive, das den menschlichen Körper nicht als eine organische Einheit wahrnimmt, sondern in seine Einzelteile („Glieder“) zerlegt, ist – wie J. Assmann in Weiterführung des Ansatzes von Brunner-Traut gezeigt hat23 – das Prinzip der Konnektivität an die Seite zu stellen, das nach dem die Einzelteile verbindenden Ganzen fragt und das sowohl auf der Ebene des Körperbildes, wo es um „Zergliederung“ und „Zusammenfügung“, als auch auf der Ebene der Sozialstruktur hervortritt, wo es um „Isolation“ und „Einbindung“ geht (s. Abb. 24). Die ‚Schnittstelle‘ zwischen der Leibsphäre und der Sozialsphäre ist das Herz, das sowohl in leiblicher wie in sozialer Hinsicht die personale Identität des Menschen herbeiführt und garantiert, schematisch: Leibsphäre/Innen Sozialsphäre/Außen
Der Körper und seine Glieder:
Individuum und Gemeinschaft:
Zergliederung Isolation „Herz“ als Zentralorgan Zusammenfügung Einbindung („Verknotung“) („Vergesellschaftung“) durch durch „Blut“ (= Leben) als konnektives Prinzip vs. Tod, Krankheit u. a. als Kräfte des Zerfalls
„Gerechtigkeit“ als konnektives Prinzip vs. Ungerechtigkeit, Habgier u. a. als Kräfte des Zerfalls
Abb. 24: Leibsphäre und Sozialsphäre im alten Ägypten Eine vergleichbare, die Leib- und die Sozialsphäre verbindende Funktion kommt dem Herzen auch im Alten Testament zu.24
β) Synthetische Körperauffassung Für die Frage nach der alttestamentlichen Körperauffassung ist der Sachverhalt wichtig, dass die Körperbegriffe als „Stellvertreterausdrücke der Person“25 fungieren können. Dieser Zusammenhang von Körperorgan und Bedeutungsfunktion, den A. Wagner als „Synthetische Körperauffassung“ bezeichnet,26 ist – ohne ein Proprium des Alten Testaments zu sein27 – charakteristisch für die Art der Selbst- und Weltwahrnehmung im Alten Testament. Zum einen können Körperbegriffe ein Personalpronomen vertreten, zum anderen repräsentieren sie, wie
S. dazu Assmann, Tod, 34 ff. S. dazu unten 154 ff. Ein singuläres Beispiel für den Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre ist die bei Livius überlieferte Fabel vom Bauch und den Gliedern (s. Q 187). 25 S. dazu Wagner, Körperbegriffe, 289 ff, ferner Janowski, Der ganze Mensch, 12 f. Zu den Belegen in der althebräischen Epigraphik s. Q 140. 26 S. dazu Wagner, aaO 309 ff; Janowski, næpæš, 105ff und Müller, „Seele“, 100 ff. Zum synthetischen Bedeutungsspektrum der akkadischen Körperteilbezeichnungen s. Steinert, Person, 43 ff. 27 S. dazu die Hinweise oben 18 Anm. 67 und Q 78; 115; 126; 129; 161; 215. 23
24
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 149
die folgende Übersicht zeigt, gestische und funktionale Bedeutungsaspekte der Person:28 Körperteil
Gestische und funktionale Bedeutungsaspekte
᾽ozæn „Ohr“ akustisches Erkenntnis-/Kommunikationsvermögen, Aufmerksamkeit ᾽ap „Nase“ Ausdrucks-/Kommunikationsvermögen, Zorn zerôa῾ „Arm“ Macht, Präsenz, Handlungsfähigkeit jād „Hand“ gestisches Ausdrucksvermögen, Macht, Tatkraft, (Verfügungs-) Gewalt, vgl. jāmîn „Rechte (Hand)“ und kap „Handfläche“ ῾ajin „Auge“ visuelles Erkenntnis-/Kommunikationsvermögen, Aufmerk samkeit pæh „Mund“ Sprache, sprachliches Kommunikationsvermögen, vgl. lāšôn „Zunge“ und śāpāh „Lippe“ pānîm „Angesicht“ mimisches Ausdrucks-/soziales Kommunikationsvermögen, persönliche Gegenwart, Anwesenheit ro᾽š „Kopf “ Wertschätzung, Rang / Status, individuelle und soziale Identität rægæl „Fuß“ Bewegung(sfähigkeit), Macht, Herrschaft, Präsenz, vgl. kap rægæl „Fußsohle“ und pa῾am „Schritt, Tritt, Fuß“
Auch die inneren Organe und Körperteile haben funktionale Bedeutungsaspekte:29 Körperorgan/-teil
Funktionale Bedeutungsaspekte
bāśār „Fleisch“ helæb „Fett“ ˙ leb / lebāb „Herz“ kābed „Leber“ kelājôt „Nieren“ ræhæm „Mutterleib“ ˙ me῾îm „Eingeweide“
Vergänglichkeit (Ps 84,3 u. ö.) menschliche Unzugänglichkeit (Ps 17,10 u. ö.) Fühlen, Denken, Wollen (Ps 13,3.6 u. ö.) Gefühle (Klgl 2,11: Trauer) Gewissen, Aufrichtigkeit (Jer 11,20 u. ö.) Erbarmen, vgl. rahamîm (1 Kön 3,26) ˙ Gefühlsregungen, Wille (Jer 4,19 u. ö.)
Zwei Beispiele zu den äußeren Körperteilen können diesen Sachverhalt verdeutlichen: pānîm „Angesicht“ pānîm „Angesicht“ bezeichnet die „ganze menschliche Person“30, insofern sie sich dem anderen zuwendet und mit ihm kommuniziert. Ein aussagekräftiges Beispiel dafür ist
28
Darüber hinaus kann ein Körperteil auch in Parallele zu einem oder zwei anderen Körperteil(en) stehen, so dass sich ihre spezifischen Funktionen, ohne dabei austauschbar zu sein, zu einer aspektivischen Gesamtaussage addieren, s. z. B. Ps 84,3: „Gesehnt, ja sogar verzehrt hat sich mein(e) Leben(skraft) (næpæš) nach den Vorhöfen JHWHs, mein Herz (leb) und mein Leib (bāśār) jubeln dem lebendigen Gott zu“, s. auch Ps 16,9; 63,2 und dazu Müller, aaO 219 f.257.270. 29 S. dazu Smith, Herz, 171 ff. Zu Herz und Nieren s. unten 154 ff, zum Mutterleib s. unten 163 ff. 30 Simian-Yofre, Art. pānîm, 649, vgl. 635 f.648 ff und Wagner, aaO 299 ff.
150 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs der Erzählzusammenhang Gen 32,14–33,7 mit den pānîm-Belegen in Gen 32,21.31 und Gen 33,10. Nach aufwendigen Vorbereitungen, die von seiner Furcht, aber auch von seiner Versöhnungsabsicht zeugen (Gen 32,4–22), kommt es zur Begegnung Jakobs mit Esau, der sein Erstgeburtsrecht an ihn verkauft (Gen 25,29–34) und den Jakob um den väterlichen Segen betrogen hatte (Gen 27,1–40). Im Blick auf diese Begegnung gedenkt Jakob, sich seinem Bruder wie ein Untergebener einem Höhergestellten zu nähern und ihm damit seine Reverenz zu erweisen: Ich (sc. Jakob) will sein (sc. Esaus) Angesicht besänftigen (= ihn versöhnen) mit dem Geschenk (minhāh), das vor mir herzieht; erst dann will ich sein Angesicht sehen ˙ (= mich ihm nähern), vielleicht erhebt er mein Angesicht (= ist er mir gnädig gestimmt). (Gen 32,21) Das materielle Geschenk – die voraus gesandten 550 Tiere (Gen 32,6.8.15 f) –, tritt danach zwischen Jakobs und Esaus „Angesicht“ (pānîm im Sinn von persönlicher Gegenwart) und konkretisiert auf diese Weise die Versöhnungsabsicht Jakobs.31 Ein weiteres Beispiel ist der Bericht von der Tötung Isebels in 2 Kön 9,30–35(36 f). Hier kommt der Begriff pānîm zwar nicht vor, dafür aber die geschminkten Augen und das geschmückte Haupt Isebels: Als Jehu nach Jesreel kam und Isebel (dies) erfuhr, legte sie ihre Augen in Schminke und schmückte ihr Haupt und schaute durch das Fenster hinab. (V. 30) Dennoch ist vom Verlust ihrer personalen Identität die Rede, denn die Hunde hatten, wie der deuteronomistische Kommentator in V. 36 f ausführt, ihren Körper gefressen und nur noch ihren Schädel (nicht: Angesicht) sowie ihre Füße und Handflächen übriggelassen (V. 35), „so dass man nicht sagen kann: Dies ist Isebel!“ (V. 37).32
raglajim „Füße“ Ein besonders sprechendes Beispiel für die gestisch-funktionale Bedeutung der Füße ist Jes 52,7 f: 7 8
Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße (raglajim) des Boten, der Heil hören lässt, der Gutes verkündet, der Rettung hören lässt, der zu Zion sagt: „König geworden ist dein Gott!“ Die Stimme deiner Wächter – sie haben die Stimme erhoben, zusammen jubeln sie, denn Auge in Auge sehen sie, wie JHWH zu Zion zurückkehrt.
Geschildert wird in diesem Text, der in den Umkreis der exilisch-nachexilischen Verheißungen von der Rückkehr JHWHs zum Zion gehört,33 das Eintreffen des Freudenboten mit seiner Botschaft vom kommenden Heil. Charakteristisch ist dabei, wie dieses Ereignis dargestellt wird. Es heißt nicht: „Der Bote kommt freudestrahlend und lässt Heil hören“, S. dazu Fischer / Backhaus, Sühne, 28 ff (Fischer) und Grund, Homo donans, 105 ff. S. dazu Stavrakopoulou, Bodies, 539 ff. 33 S. dazu Schmidt, Glaube, 300 f und Koch, Wohnstatt, 118 ff. 31 32
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 151
sondern: „Wie schön sind auf den Bergen die Füße des Boten, der Heil hören lässt“ (vgl. Nah 2,1). „Schön“, schreibt C. Westermann, „sind die Füße des Boten nicht in ihrer Gegenständlichkeit, sondern als das die Schönheit des Eintreffens der Botschaft Anzeigende; und dies ist ,schön‘ eben darin, daß es den Jubel erweckt, so etwa wie in unserem Adverb: ,Wie schön, daß du da bist!‘. ,Auf den Bergen‘ ist fast das einzig konkret schildernde Wort; dieses eine Wort genügt, um den Hörern in Babylon den Schauplatz der Ankunft der Botschaft lebendig vor Augen zu stellen (vgl. Ps 125,2: ,Rings um Jerusalem sind Berge …‘).“34
Das Angesicht, die Füße und andere Körperteile sind für die menschliche Weltwahrnehmung elementar. Wer körperlich behindert, also „blind“ (῾iwwer), „lahm“ (pisseah) oder „taub“ (hereš) ist, wird deshalb andere Erfahrungen mit ˙ ˙ sich und seiner Umwelt machen als der „Normale“. Im alten Israel war die häufigste Einschränkung der körperlichen Integrität mit dem Bewegungsapparat,35 den Ohren (Taubheit), den Augen (Blindheit), dem Mund (Stummheit) oder den Reproduktionsorganen (Unfruchtbarkeit) verbunden.36 Auch Gefühle und Emotionen wie Angst und Depression hatten somatische Auswirkungen.37 Eine spezielle Frage ist, ob von der äußeren Erscheinung eines Menschen auf dessen Persönlichkeit geschlossen werden kann (Physiognomik) und ob es dafür Beispiele im Alten Testament gibt. Dem ist im Folgenden gesondert nachzugehen. Exkurs 7: Physiognomik Altes Testament: Berlejung, Physiognomik, 7 ff ◆ Dies., Körperkonzepte, 299 ff ◆ Dies., Menschenbilder, 367 ff ◆ Maier, Körper, 192 f. – Antike Religionen: Berlejung, Physiognomik,
20 ff ◆ Dies., Körperkonzepte, 301 ff ◆ Bonatz, Schrei, 55 ff ◆ Keel, Porträts, 27 ff ◆ Steinert, Person, 72 ff.76 ff. – Kultur- und Literaturwissenschaft: Weigel, Grammatologie, 70 ff.
Die bisherigen Ausführungen haben deutlich gemacht, wie komplex das Körperthema ist. Denn im Umgang mit dem eigenen Körper zeigt sich eindrücklich „die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen“38. Die Modi der Selbst- und Weltbeziehung werden aber niemals nur individuell bestimmt, sie sind immer auch soziokulturell vermittelt.39 Wie die folgenden Beispiele aus der Physiognomik unterstreichen, gilt dies auch für das alte Israel. Seit J. C. Lavaters (1741–1801) Theorie besteht der Grundgedanke der Physiognomik darin, „dass sich Charakter, Verhalten und Westermann, Jesaja III (ATD), 202 f, vgl. ders., Das Schöne, 479 ff; Wolff, Anthropologie, 30 f und Wagner, Art. Körper, 280 f. 35 S. etwa die Bestimmungen für Aaroniden mit einem körperlichen Schaden (mûm) in Lev 21,16 ff und dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 835 ff und Raphael, Disability, 280 ff. Zur körperlichen Behinderung in der ägyptischen und römischen Bildkunst s. Q 25 und 186. 36 S. dazu Olyan, Disability; Berlejung, Normkörper, 15 ff; Raphael, aaO 277 f und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 481 ff. 37 S. dazu unten 174 ff. 38 Rosa, Resonanz, 19. 39 Vgl. ders., aaO 33 f.35.61 ff. 34
152 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs Werke eines Menschen in sichtbaren Zeichen an seinem Körper niederschlagen“40 und diese Zeichen von anderen ,gelesen‘ und gedeutet werden. Die Dinge sind allerdings weniger eindeutig, als es zunächst scheint. Das gilt jedenfalls für die Frage, ob die altorientalischen Bildquellen (Herrscherporträts u. a.) Auskunft über die Emotionen der dargestellten Personen geben (wollen).41 Näher an das Thema heran führen die Texte, namentlich die mesopotamischen physiognomischen Omina der Serie šumma alamdimmû („Wenn die ausgeprägte Gestalt“) aus der Mitte des 2. Jt.s v. Chr., die aus einer Protasis („wenn“) und einer Apodosis („dann“) bestehen und Auskunft über den Zusammenhang von äußerer Erscheinung (Körper) und innerem Wesen (Moral, Werte) bzw. zukünftigem Geschick (Lebens-/Todeserwartung) geben. So heißt es etwa: Wenn es (sc. das Angesicht eines Mannes) wie das eines Löwen aussieht, wird er energisch handeln. Wenn es (sc. das Angesicht) strahlend ist, ist er ein Gottesmann.42 Die Tafeln der Serie šumma alamdimmû beschäftigen sich mit dem Körper von Männern und Frauen,43 der jeweils von oben (Kopf, Angesicht) bis unten (Füße) beschrieben und beurteilt wird. In den Apodosen („dann“-Nachsätze) finden sich „Hinweise darauf, welche impliziten Werte und Maximen das Verhalten und Streben der altorientalischen Menschen bestimmten, was in ihrer Gedankenwelt, Mentalität, ihren Handlungsfeldern und ihrem Weltbild eine Rolle spielte“44. Charakteristisch sind dabei die Oppositionen Langlebigkeit vs. Kurzlebigkeit, Reichtum vs. Armut, Freude vs. Trauer, Gesundheit vs. Krankheit oder Intaktes vs. Gestörtes Gottesverhältnis. Anthropologisch sind diese Texte deshalb von besonderem Interesse, weil „der Mensch (Mann wie Frau) … als psychosomatische Einheit verstanden (wird), in der Körperlichkeit, Emotionalität, Wollen, Denken, Handeln, inneres und äußeres Sein zusammengehören“45. Im Unterschied zu den physiognomischen Omina aus Mesopotamien enthalten die vergleichbaren alttestamentlichen Texte – vor allem aus dem Sprüche- und dem SirachBuch – keine Zukunftsprognosen, sondern ausschließlich Hinweise zum positiven / negativen Charakter des betreffenden Menschen.46 Grundsätzlich heißt es in Sir 19,29 f: 29 An seinem Aussehen wird ein Mann erkannt, und an dem Ausdruck seines Angesichts wird ein Verständiger erkannt. 30 Die Kleidung eines Mannes und das Lächeln, das die Zähne sichtbar werden lässt, und die Schritte eines Menschen zeigen an, was es mit ihm auf sich hat.47
Berlejung, Körperkonzepte, 301. S. dazu die kritischen Bemerkungen von Nun, Körperkonzeption, 119; Bonatz, Schrei, 55 ff und Keel, Porträts, 27 ff. 42 Zitiert nach Berlejung, aaO 302 f. Zu weiteren Beispielen s. Q 80. 43 Zur geschlechtlichen Differenzierung s. dies., aaO 311 ff.321 f. 44 Dies., aaO 303. 45 Dies., aaO 306. 46 Zu den physiognomischen Texten aus Qumran (4Q186; 4Q534; 4Q561) s. dies., Physiognomik, 20 ff. 47 Übersetzung Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 155. 40
41
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 153
Sehr klar formuliert dieser Text den Zusammenhang von äußerer Erscheinung und innerem Wesen sowie die Korrelation von somatischen (Angesicht, Zähne) und sozialen / ethischen Aspekten (Kleidung, Schritte). Eine besondere Rolle spielen immer wieder die leuchtenden Augen und das strahlende Angesicht (Spr 15,13.30; 16,15; Sir 26,4; 26,17, vgl. Gen 29,17) im Gegensatz zur finsteren, Bosheit ankündigenden Miene (Sir 25,17.23; 26,11, s. Q 197): Das Licht von Augen erfreut das Herz, eine gute Nachricht erquickt den Körper. (Spr 15,30) Die Bosheit einer Frau lässt finster werden das Angesicht eines Mannes, und er entstellt sein Angesicht wie ein Bär. (Sir 25,17, s. Q 203)48 Öfter genannt werden auch die Augen, die Lippen und der Mund, die zusammengekniffen werden (Ps 35,19; Spr 6,12–15; 10,10; 16,30; Sir 27,22) oder die Augen, die geradeaus blicken (Spr 4,25, im Kontext von 4,23–27) und die als „Stellvertreterausdrücke der Person“49 die soziale Kommunikationsfähigkeit eines Menschen bezeichnen, z. B.: Deine Augen sollen geradeaus blicken und deine Lider auf das dir Gegenüberliegende gerade ausgerichtet sein! (Spr 4,25) 12 Ein nichtiger Mensch ist ein Mann des Unheils: er geht mit der Verkehrtheit des Mundes einher, 13 er kneift seine Augen zusammen, scharrt mit seinen Füßen, gibt Zeichen mit seinen Fingern, 14 Verdrehungen sind in seinem Herzen, er schmiedet Böses, zu jeder Zeit entfacht er Streitigkeiten. 15 Deshalb wird sein Unglück plötzlich kommen, innerhalb eines Augenblicks wird er zerbrochen werden, ohne dass es Heilung gibt. (Spr 6,12–15)50 Bei solchen Empfehlungen und Aussagen bleibt es allerdings nicht. Vielmehr wird der Zusammenhang von Außen und Innen immer wieder durchbrochen wie in 1 Sam 16,7, wo es heißt, dass JHWH auf das Herz und nicht auf die äußere Gestalt sieht: Und JHWH sagte zu Samuel: „Achte nicht auf sein (sc. Eliabs) Aussehen und auf die Höhe seiner Gestalt, denn ich habe ihn verworfen. Denn nicht, was der Mensch sieht, 〈sieht Gott〉. Zu Recht weist Berlejung, Körperkonzepte, 325 f auf die Polarität von Licht und Finsternis als Vorstellungshintergrund dieser Aussagen hin. Zur anthropologischen Bedeutung der Licht/Finsternis-Metaphorik s. Janowski, Licht, 227 ff und für Mesopotamien Cassin, Splendeur divine, 27 ff.121 ff. 49 S. dazu oben 148 ff. 50 Übersetzung Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 97.107 (mit dem Kommentar 98 f.113 f). Zur Geschlechterdifferenz – in Spr 6,12 ff ist vom Mann, in Sir 25,17 ff von der Frau die Rede – s. Berlejung, aaO 328 f. 48
154 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs Denn der Mensch sieht auf das Aussehen, 〈Gott〉 aber sieht auf das Herz“.51 Damit sind wir beim Thema des „inneren Menschen“ und seinem anatomischen Symbol, dem menschlichen Herzen. 𓇼
b) Die inneren Körperorgane α) Herz und Nieren Altes Testament: Abart, Lebensfreude, 35 ff ◆ Fabry, Art. leb / lebāb, 413 ff ◆ Frevel, Art.
Herz, 266 ff ◆ Ders. / Wischmeyer, Menschsein, 32 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 166 ff ◆ Ders., Herz, 31 ff ◆ Kellermann, Art. kelājôt, 185 ff ◆ Krüger, „Herz“, 91 ff ◆ Ders., Herz, 107 ff ◆ M arkter, Transformationen ◆ Rösel, „Prüfer“, 289 ff ◆ Schmidt, Begriffe, 86 ff ◆ Sedlmeier, Transformationen, 203 ff ◆ Smith, Herz, 171 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 218 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 75 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Persönlichkeitsbegriff, 966 f.969 ff ◆ Ders., Geschichte des Herzens, 81 ff ◆ Ders., Tod, 34 ff ◆ Brunner, Art. Herz, 1158 ff ◆ Ders., Das hörende Herz, 3 ff ◆ Ders., Herz, 8 ff ◆ Mayer, Tätigkeiten, 332 ff ◆ Müller, Körperteilbezeichnungen, 17 ff ◆ Toro Rueda, Herz ◆ Steinert, Aspekte, 232 f.249 f.253 ff.263 f.518 f.
Das Herz als Mitte der Person Bekanntlich spricht das Alte Testament nicht vom Gehirn und hat dafür auch kein hebräisches oder aramäisches Lexem. Die Funktion, die wir traditioneller Weise dem Gehirn zuordnen – nämlich das Denken –, übt nach alttestamentlichem Verständnis das Herz als die „Zentralinstanz im Inneren des Menschen“52 aus. Aber auch das Fühlen und Wollen werden hier lokalisiert. Diese drei Funktionen repräsentieren nicht gegeneinander abgegrenzte Eigenschaften,53 sondern sie gehen ineinander über und haben im Herzen einen gemeinsamen organischen Fixpunkt. Beginnen wir mit der emotionalen Ebene. Fühlen Auch im Alten Testament ist, obwohl die Anzahl der Belege überschaubar ist (1 Sam 25,37 f; 2 Sam 18,14 f; Hos 13,8 u. ö.), von den physiologisch-vegetativen Funktionen des Herzens die Rede.54 Der vegetativen Schicht der Person entstammen auch die meisten Sprachbilder in der Topologie der Klage: das Herz Zur Übersetzung und Interpretation s. Dietrich, Samuel II (BK), 207.225 f. Zur Kritik an der Physiognomik s. Berlejung, Physiognomik, 18 ff und dies., Körperkonzepte, 329 ff. 52 Krüger, „Herz“, 97. Die beiden Ausdrücke für „Herz“ (leb / lebāb) begegnen über 850mal, und zwar am häufigsten in den Psalmen (137), im Buch der Sprüche (99) sowie in den Büchern Ex (47), Dtn (51), Jes (49), Jer (66), Ez (47), Pred (42), 2 Chr (44) und Sir (68), zur Statistik s. mit z. T. abweichender Zählung Fabry, Art. leb / lebāb, 420 f und Markter, Transformationen, 15 ff. Zu lbb „Herz“ in der althebräischen Epigraphik s. Q 141 und 142. 53 So aber Krüger, „Herz“, 91 ff, s. dazu die Kritik von Janowski, Herz, 67 ff. 54 S. dazu ausführlicher Janowski, aaO 40 ff. 51
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 155
des Klagenden „flattert“ (Ps 38,11), „bebt“ (Ps 55,5), „tobt“ (Jer 4,19), „wankt“ (1 Sam 28,5), „verdorrt“ (Ps 102,5), „wird heiß“ wie Feuer (Ps 39,4) oder weich „wie Wachs“ und „zerfließt“ (Ps 22,15, vgl. 2 Sam 17,10 u. ö.).55 So wird es zum Ausgangspunkt der Klage – es schreit (Jes 15,5), es klagt (Jer 48,36), es weint zu JHWH (Klgl 2,18) –, aber auch der Freude,56 wie z. B. in Ps 4,7–9: 7 8 9
Viele sagen: „Wer lässt uns Gutes sehen?“ Erhebe doch über uns das Licht deines Angesichts, JHWH! Du hast Freude in mein Herz (leb) gegeben, mehr als in der Zeit, da ihr Korn und ihr neuer Wein viel waren. In Frieden will ich mich zugleich hinlegen und einschlafen, denn du, JHWH, allein, in Sicherheit du lässt mich wohnen.57
Kummer (Ps 13,3 [// „Sorgen“]; 34,19), Angst und Not (Ps 25,17), Armut (Ps 109,16.22), Schmach (Ps 69,21) und Verzweiflung (Jes 65,14; Klgl 1,20) lassen das Herz dagegen verzagen, z. B. in Ps 13,2 f (im Gegensatz zu V. 6): 2 3 6
Wie lange, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir? Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen (lebāb) Tag für Tag? Wie lange erhebt sich mein Feind über mich? (…) Doch ich – auf deine Güte habe ich vertraut, mein Herz (leb) juble über deine Rettung: „Singen will ich JHWH, dass er an mir gehandelt hat!“58
Es liegt auf der Hand, warum innere Organe wie das Herz, die Leber oder die Eingeweide zum Ort von Gefühlen / Emotionen werden. Und zwar deswegen, weil sie dort physisch erfahren werden. Und sie werden dort physisch erfahren, weil das Herz ein physiologisch empfindliches Organ ist: „Physiologisch zeigt das Herz deutliche Veränderungen in Verbindung mit unterschiedlichen Emotionen. Dieser Punkt ist besonders relevant bei biblischen Gebeten, denn das Herz erscheint als physischer Ort, an dem eine Vielzahl von Emotionen körperlich in Erscheinung tritt. Folglich ist es kaum überraschend, dass das Herz jenes Organ ist, das von den Israeliten und anderen Völkern des antiken mittleren Ostens mit Gefühlen in Verbindung gebracht wurde.“59
S. dazu Bester, Körperbilder, 190 f.191 f.194 ff.197 ff. Zu den weiteren Gefühlsregungen des Herzens wie Furcht, Schrecken, Verzagtheit, Wut, Zorn, Sympathie / Liebe und Antipathie / Hass s. Wolff, Anthropologie, 80 ff; Fabry, aaO 426.427 ff; Smith, Herz, 176 f und Markter, aaO 23 f. 57 S. dazu Abart, Lebensfreude, 31 ff. 58 Zu Ps 13 s. Janowski, Konfliktgespräche, 56 ff und unten 283 ff.503 ff. 59 Smith, aaO 177. 55
56
156 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Die physiologischen Veränderungen, die das Herz in Verbindung mit unterschiedlichen Emotionen zeigt, erlauben es dem Menschen, sich auf bestimmte Situationen einzustellen. Das lässt sich durch eine Vielzahl von Texten belegen, z. B. durch die Klage eines Depressiven in Ps 38,7–9.60 Man kann noch einen Schritt weiter gehen. Denn Emotionen sind nicht nur ein äußerer Ausdruck der inneren Gefühlswelt, sondern auch das Medium, durch das der Mensch mit anderen kommuniziert und sich ,vernünftig‘, d. h. richtig auf eine Handlung oder Entscheidung vorbereitet.61 Ein gutes Beispiel dafür ist die Parabel vom Salomonischen Urteil in 1 Kön 3,16–28,62 denn sie zeigt, wie sehr Emotionen in einer bestimmten Situation die Aufmerksamkeit auf die relevanten Gesichtspunkte lenken können – wozu rationale Überlegungen allein nicht in der Lage sind. Denken Emotionen, so zeigen die bisherigen Überlegungen, sind nicht Ausdruck einer inneren Gefühlswelt, die unabhängig von der Außenwelt existiert. Im Gegenteil: Sie spielen eine konstitutive Rolle für die Kommunikation mit anderen, indem sie dem Individuum helfen, sich gedanklich auf eine bestimmte Handlung oder Entscheidung vorzubereiten („gedankliche Fokussierung“). Das Herz ist dasjenige Organ, das diese Vermittlung zwischen Innenwelt und Außenwelt in hervorragender Weise leistet – oder vor dieser Aufgabe versagt63 –, und damit beide Sphären in Entsprechung zueinander bringt. Deshalb zählt „nur dasjenige Außen …, das auch innen ist. Jetzt wird die Tat zur Außenseite von etwas Umfassenderem, und es kommt alles darauf an, dass sie von innen kommt, dass das ,Herz‘ meint, was der Mund sagt und die Hände tun“64. Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen: Die Übereinstimmung / Nichtübereinstimmung von Innen (Herz, Gewissen) und Außen (Mund, Hände) besteht in bzw. führt zu ↓ Aufrichtigkeit vs. Lüge Wahrheit vs. Trug Gerechtigkeit vs. Sünde
Abb. 25: Aspekte der Innen/Außen-Relation
60
S. dazu unten 180 ff. ders., aaO 171.179 ff, ferner di Vito, Anthropologie, 223 ff; Kruger, Gefühle, 243 ff; Janssen / Kessler, Art. Emotionen, 107 ff und aus Sicht der neueren Emotionsforschung Engelen, Emotionen, 23 und dies., Gefühle. 62 S. dazu oben 128. 63 S. dazu paradigmatisch den Topos des „störrischen und widerspenstigen Herzens“ in Dtn 21,18.20 (rebellischer Sohn); Jer 5,23 (Volk Israel) und Ps 78,8 (Vorfahren). 64 Assmann, Geschichte des Herzens, 81, vgl. Q 150. Diese Innen/Außen-Relation wird besonders im Totengericht akut, s. Q 50. 61 Vgl.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 157
Diese Innen/Außen-Relation wird besonders dort deutlich, wo die kognitive Funktion des Herzens in Erscheinung tritt. Von den zahlreichen Belegen65 seien nur einige exemplarische Fälle angeführt. Dass leb / lebāb die „Erkenntnis, Vernunft“ meint, macht via negativa Dtn 29,3 deutlich, wo die sensorische Wahrnehmung des Herzens mit der Seh- und Hörfähigkeit der Augen und Ohren parallelisiert wird: Aber JHWH hat euch nicht gegeben ein Herz (leb) zum Erkennen (lāda῾at) und Augen zum Sehen und Ohren zum Hören bis zum heutigen Tag. (Dtn 29,3)66
Viele Texte des Psalters und des Sprüchebuchs sehen die Aufgabe des Herzens folglich in der Suche nach Lebensklugheit und Weisheit, die auch zu einer realistischen Einsicht in die Begrenztheit des Lebens führt: Das Herz des Verständigen (leb nābôn) sucht Erkenntnis, aber der Mund der Selbstzufriedenen weidet Narrheit. (Spr 15,14) Unsere Tage zu zählen, lass (uns) erkennen, und wir werden einbringen ein Herz von Weisheit (lebab håkmāh)! (Ps 90,12) ˙ Woher kommt solche Erkenntnisfülle des Herzens? Sie kommt aus dem aufmerksamen Hören, um das der weise Salomo JHWH bittet: So gib deinem Knecht ein hörendes Herz (leb šomea῾), um deinem Volk Recht zu sprechen, um den Unterschied zwischen Gut und Böse zu verstehen, denn wer vermag, diesem deinem zahlreichen Volk Recht zu sprechen? (1 Kön 3,9, vgl. V. 12) Das „hörende Herz“ besitzt die „Weite“, d. h. den umfassenden Verstand, mit dem es die Fülle der Sinneseindrücke erfassen und verarbeiten kann: Und Gott gab Salomo Weisheit und Einsicht in sehr großem Maß und Weite des Herzens (rohab leb), vergleichbar dem Sand, der am Rand des Meeres ist. (1 Kön 5,9)67 ˙ „Der Salomo von 1 Kön 3“, schreibt G. von Rad, „hätte auch … sagen können: Er erbäte sich von Jahwe, dass ihm die Welt nicht stumm bleibe, sondern ihm vernehmbar werde“68. Sie wurde ihm vernehmbar, denn er besaß ein „weites Herz“, das ihn lehrte, auf die Ordnung der Schöpfung (Pflanzen und Tiere) zu achten und die kulturellen Leistungen des Menschen (Sprüche und Lieder) zu pflegen (1 Kön 5,9–14).69 Im Anschluss an den Soziologen H. Rosa70 könnte man im Blick auf den Topos des „hörenden Herzens“ (1 Kön 3,9.12) bzw. der „Weite des Herzens“ (1 Kön 5,9) auch von ei65 66 67 68 69
70
S. dazu Wolff, Anthropologie, 84 ff; Fabry, Art. leb / lebāb, 432 ff und Markter, Transformationen, 26 ff. Vgl. Dtn 8,5, s. dazu mit weiteren Texten Fabry, aaO 433; Markter, aaO 27 f und Dietrich, Anthropologie, 147 ff. Vgl. 1 Kön 10,24; 2 Chr 1,11 und 9,23. Von Rad, Weisheit, 309. Zu 1 Kön 5,9 ff s. Wälchli, Salomo, 67 ff. S. dazu Rosa, Weltbeziehungen, 34 ff im Anschluss an Ch. Taylors Konzept vom „durchläs-
158 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs ner resonanten Weltbeziehung sprechen, der zufolge die Außenwelt nicht stumm bleibt, sondern dem vernehmenden, nicht in sich verschlossenen oder „abgepufferten“ Selbst auf vielfältige Weise ,antwortet‘. Von solchen Resonanzerfahrungen – und entsprechend auch Resonanzdefiziten! – sind die alttestamentlichen und ägyptischen Weisheitstexte voll. Das Herz, das in ihnen eine zentrale Rolle spielt, kann man deshalb als das Resonanz- oder Beziehungsorgan des Menschen bezeichnen.
Die im Herzen lokalisierte Einsicht drängt aber auch zu dauerhaftem Bewusstsein, so dass das Herz die Schatzkammer des Wissens, der Erinnerung und des Gedächtnisses ist.71 Aber nicht nur das. Das Herz ist auch das Organ, das auf die Entsprechung zwischen Innen und Außen achtet (Spr 16,23), das diese Entsprechung in kritischen Situationen bewahrheitet und sich nicht trügerisch verstellt (Spr 26,24 f): Ein weises Herz (leb hākām) macht seinen Mund achtsam, ˙ und auf seinen Lippen fügt es Einsicht hinzu. (Spr 16,23) Außen Außen Ohr Mund / Lippen Herz (Innen)
Abb. 26: Das Herz als Beziehungsorgan zwischen Innen und Außen
Die Bewegungsrichtung der „weisen“ Rede, die im „hörenden“ Herzen lokalisiert ist, führt vom Herzen (innen) über den Mund (innen / außen) bis zu den Lippen (außen), wo das Wort den Körper verlässt. Diese Rede ist „besonnen, durchdacht, vorsichtig, aber auch bestimmt und wirksam, weil sie die möglichen Verfehlungen vermeidet“72. Die wohltuende Wirkung des „weisen Herzens“, das seinen Mund „achtsam macht“ und auf seinen Lippen „Einsicht hinzufügt“, wird anschließend (Spr 16,24) in einer Weise beschrieben, die den Menschen in seiner personalen, lebendigen Ganzheit (V. 24b: næpæš „Leben“ // ῾æsæm „Knochen“)73 ˙ in den Blick nimmt: (Wie) Fließen von Honig sind liebliche Worte, süß für das Leben und Heilung für die Knochen.
sigen“ vs. „abgepuffertem Selbst“. Weiterführend im Blick auf das Alte Testament s. Frevel, ,Quellen‘, 447 ff. 71 Vgl. Dtn 6,6 (s. dazu oben 131 ff); Ri 16,15.17 f; Jes 33,18 und dazu Markter, aaO 28 f. Im Umkreis dieses Bedeutungsaspekts von leb / lebāb als „Einsicht, Bewusstsein“ gibt es prägnante Metaphern wie die „Tafel des Herzens“, auf die nach Spr 7,3 die Weisheitsworte und nach Jer 17,1 die Sünde Judas eingraviert sind, s. dazu Schenker, Tafel, 68 ff. 72 Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 276. 73 Zu næpæš s. oben 54 ff.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 159
Wollen Das Herz ist schließlich der Sitz des Wollens und Planens (vgl. Spr 16,9),74 wobei der Übergang von der kognitiven zur voluntativen Funktion wieder fließend ist. Da das Tun des Guten sich nicht von selbst versteht, muss der Mensch zu ihm angeleitet werden. Dies geschieht in Ägypten (s. Q 22) wie im alten Israel durch das Herz, das die Triebfeder des menschlichen Handelns ist. Dabei lassen sich mit H.‑J. Fabry drei Schritte unterscheiden:75 Der erste Schritt besteht im Nachdenken, d. h. in der Formierung eines Gedankens „im Herzen“, die zu einer Handlungsabsicht führt. So sagt Nathan zu David, als dieser darüber nachdenkt, dass er in einem Haus aus Zedernholz sitzt, während die Lade Gottes in einem Zelt wohnt: Alles, was in deinem Herzen (bilbābekāh) ist, geh, tue es, denn JHWH ist mit dir! (2 Sam 7,3) Der zweite Schritt umfasst den Übergang von der Absicht zum Wunsch. Er gewinnt Kontur, wenn vom Sprechen im Herzen oder zum eigenen Herzen die Rede ist. So heißt es im Prolog der nichtpriesterlichen Flutgeschichte (Gen 6,5–8), dass JHWH, den es reute, den Menschen geschaffen zu haben, und der darüber und über die Bosheit des menschlichen Herzens (Gen 6,5) Schmerz empfand: 5 Und JHWH sah, dass die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens (jesær mahšebot libbô) ˙ ˙ nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin (wajjit῾asseb ᾽æl-libbô). ˙˙ 7 Und JHWH sprach: „Ich will austilgen den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche des Ackerbodens, vom Menschen bis zum Vieh, bis zum Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.“ 8 Noah aber fand Gnade in den Augen JHWHs.76 Das Herz richtet sich drittens auf ein bestimmtes Ziel aus, das die Handlung einleitet. Beispiele mit destruktiver Zielausrichtung sind die Vernichtung eines Beters durch dessen ,Freund‘ (Ps 55,22), die Gewalt der „bösen Männer“ (Spr 24,2) oder die Gottlosigkeit Jerobeams (2 Chr 12,14): 74
„Das Herz des Menschen plant seinen (Lebens-)Weg, aber JHWH lenkt seinen Schritt“. S. dazu Fabry, Art. leb / lebāb, 434 f.437 f. 76 Die kursiv gesetzten Satzteile in V. 7 stellen eine Fortschreibung dar. Am Ende der nichtpriesterlichen Fluterzählung nimmt JHWH seinen Vernichtungsbeschluss durch einen Akt der Barmherzigkeit zurück und sichert der Erde damit ihren Fortbestand zu (Gen 8,20 ff), s. dazu Janowski, Empathie, 178 ff und unten 438 f. 75
160 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 21 Er legte seine Hände an seine Freundschaft, entweihte seinen Bund. 22 Glatt waren die Butterstücke seines Mundes, aber sein Herz (leb) war Krieg. Milder waren seine Worte als Öl, doch sie waren gezückte Messer. (Ps 55,21 f) 1 2
Sei nicht eifersüchtig auf die bösen Männer und begehre nicht, mit ihnen zu sein! Denn auf Gewalttätigkeit sinnt ihr Herz (leb), und Beschwerliches reden ihre Lippen. (Spr 24,1 f)
Und er (sc. Rehabeam) tat das Böse, denn er hatte sein Herz nicht gefestigt, JHWH zu suchen. (2 Chr 12,14) Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Fokussierung des Herzens auf ein bestimmtes Ziel ist schließlich die Beschreibung der Innenwelt des Frevlers und seines Tuns in Ps 36,2–5:77 2 3 4 5
Raunen des Verbrechens zum Frevler inmitten meines Herzens (leb), kein Gottesschrecken (ist / steht) vor seinen Augen. Denn es schmeichelte ihm in seinen Augen78 hinsichtlich des Findens seiner Verkehrtheit, um (sie) zu hassen. Die Worte seines Mundes sind Unheil und Trug, er hat aufgehört, klug zu handeln, Gutes zu tun. Unheil ersinnt er auf seinem Lager, er stellt sich auf einen Weg, der nicht gut ist, Böses verabscheut er nicht.
Der Beter, der hier spricht, hört in sich hinein und vernimmt dabei das „Raunen des Verbrechens“, das ihn zum Frevler machen will (V. 2a). Die Sünde, so konstatiert der Text, ist eine Kraft, die im Inneren des – oder genauer: jedes – Menschen, nämlich in seinem „Herzen“ (leb), lokalisiert ist. Sie kommuniziert über die Augen (V. 2b.3a) weder mit Gottes Wirklichkeit („Gottesschrecken“) noch mit der Außenwelt, sondern allein mit sich selbst und verliert deshalb jedes Maß des Menschlichen: „Die Stelle des Leibes, wo der Sünder das Maß des Menschlichen verliert, sind seine Augen. Das Wort ,Auge‘ wird wiederholt (2b. 3a) und beherrscht dadurch den Anfang der Beschreibung. Die Fenster des Menschen zur Welt sind keine Fenster mehr. Das Instrument, mit dem Wirklichkeit wahrgenommen und akzeptiert werden sollte, funktioniert nicht mehr. Denn vor den Augen müsste, wenn ein Mensch schon in die Sünde hineingeraten ist, Gottes Schrecken ansichtig werden: Gottes Reaktion auf das wirklichkeitszerstörende Sündigen, und nochmals dahinter einfach seine absolute Andersheit, sein Gottsein. Das können diese Augen nicht mehr wahrnehmen.“79
Zu Ps 36 s. auch unten 370 ff. Speziell zu V. 2 s. Yamayoshi, „Raunen“, 53 ff. Wörtlich: „denn es (sc. das Verbrechen) glättete ihm (seine Zunge / Worte) in seinen Augen / umschmeichelte ihn in seinen Augen“. 79 Lohfink, aaO 178. 77
78
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 161
Und warum? Weil der Frevler, wie V. 3–5 ausführen, ein in sich verkrümmter Mensch (homo incurvatus in seipsum) – oder mit Ch. Taylor gesprochen: ein „abgepuffertes Selbst“ (buffered self )80 – ist, der Augen hat, die nicht fähig sind, die eigene Verkehrtheit aufzudecken und entsprechend zu hassen (V. 3), und einen Mund, der aufgehört hat, aus Einsicht Gutes zu tun (V. 4). Darum ersinnt er Unheil „auf seinem Lager“ (V. 5aα)81 und führt es auch aus, indem er – wie bereits die klassische Prophetie und die alte Weisheit wussten – einen Weg betritt, der nicht gut ist, und das Böse nicht verabscheut (V. 5aβ).82 So führt die Bewegungsrichtung des frevelhaften „Raunens“ vom Herzen (V. 2a) über die Augen (V. 2b.3) zum Mund (V. 4) und von da zur bösen Tat (V. 5). Das ist eine Handlungskette, die an Konsequenz nichts zu wünschen übrig lässt!
„Der Herz(en) und Nieren prüft“ Von den inneren Organen des Menschen sind es neben dem Herzen und der Leber (kābed)83 besonders die Nieren (kelājôt), die im Alten Testament (13mal) mit den verschiedensten Regungen und Qualitäten in Verbindung gebracht werden.84 Sie, die von JHWH erschaffen wurden (Ps 139,13),85 sind der Sitz der Empfindungen und fungieren als nächtliche Lehrmeister des Menschen. Sitz der Empfindungen Die Nieren gelten als Sitz der Empfindungen von der höchsten Freude bis zum tiefsten Leid: 15 Mein Sohn, wenn dein Herz (leb) weise geworden ist, freut sich tatsächlich mein Herz (leb), 16 und es frohlocken meine Nieren (kelājôt), wenn deine Lippen Aufrichtiges sagen. (Spr 23,15 f) 21 Als mein Herz (leb) sich verbitterte, und ich in meinen Nieren (kelājôt) ein scharfes Stechen fühlte, 22 da war ich ein Dummkopf und begriff nicht, (ganz und gar) Vieh war ich vor dir. (Ps 73,21 f)
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82 83 84
85
S. dazu oben 157 Anm. 70. Vgl. das Wehewort Mi 2,1: „Wehe denen, die Unrecht (᾽āwæn) planen und Böses (ra῾) tun auf ihren Lagern: beim Morgenlicht führen sie es aus, denn es steht in der Macht ihrer Hand“. Nach Kessler, Micha (HThK.AT), 114 f zeigt die sprachliche Nähe von Ps 36,5 zu Mi 2,1 „dass in der prophetischen Sozialkritik häufig von außen eben die Zustände kritisiert werden, die in den Klagen des Einzelnen der Betende als Betroffener beklagt“. Ps 36,5 beschreibt also die Innensicht der Vorgänge, deren Außenwirkung Mi 2,1 ff demonstriert. Vgl. Jes 1,16 f; Am 5,14 f u. ö., s. dazu Jeremias, Amos (ATD), 71 f. S. dazu Smith, Herz, 171 ff.174 f.177 ff. Zu den Nieren und zur Wendung „Herz(en) und Nieren“ s. Wolff, aaO 111 f; Kellermann, Art. kelājôt, 185 ff; Kegler, Körpererfahrung, 33 ff; Liess, Weg, 194 ff; Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 34 ff (Frevel); Frevel, Selbstbeobachtung, 30 f.38 f und Müller, „Seele“, 260 f. S. dazu oben 64.
162 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Nach Hi 16,12–14 erscheint Gott sogar als feindlicher Bogenschütze, der seine Pfeile auf seinen leidenden Knecht abschießt und dessen Nieren „spaltet“: 12 Ruhig lebte ich, da hat er mich durchgeschüttelt, er hat mich im Genick gepackt und mich zerstückelt. Er hat mich für sich zur Zielscheibe hingestellt, 13 es umringen mich seine Pfeile, er spaltet meine Nieren (kelājôt) und verschont nicht, er gießt zur Erde aus meine Galle (mererāh); 14 er zerreißt mich, Riss auf Riss, er rennt gegen mich an wie ein Kriegsheld. (Hi 16,12–14)86 Er hat gebracht über meine Nieren (kelājôt) die Söhne des Köchers (= seine Pfeile). (Klgl 3,13)
Nächtliche Lehrmeister Schließlich ist die in Ps 16,7 begegnende Metapher von den Nieren als den nächtlichen Lehrmeistern zu nennen, die im Alten Testament ohne Parallele ist: Ich segne JHWH, der mich beraten hat, auch in Nächten unterweisen mich meine Nieren (kelājôt).87
Als Sitz der innersten Regungen des Menschen sind die Nieren ebenso wie das Herz der Ort des Einwirkens Gottes. So steht die in Jer 11,20; 12,3 (nur leb); 17,10; 20,12 sowie in Ps 7,10 und 26,2 belegte Wendung vom ,Prüfen von Herz(en) und Nieren‘88 für das innerste Wesen des Menschen, zu dem nur Gott Zugang hat und das er „prüft“: JHWH Zebaoth ist ein Prüfer des Gerechten (bohen saddîq), ˙ ˙ ein Nieren- und Herz-Seher (ro᾽æh kelājôt wāleb). Ich werde deine Ahndung an ihnen sehen, denn dir habe ich meinen Rechtsstreit enthüllt. (Jer 20,12)
Dass im Alten Testament „Herz(en) und Nieren“ als Objekt der göttlichen Prüfung genannt werden, soll den ,ganzen Menschen‘ charakterisieren, „indem je ein besonders wichtiges Organ der zwei Teile des menschlichen Leibes erwähnt wird: das Herz als Körperteil im Oberbauch über dem Zwerchfell und die Nieren als Repräsentanten des unter dem Zwerchfell sich ausdehnenden Unterbauchs“89.
Ebach, Hiob I, 136. Dieser Text deutet nicht auf Nierenschmerzen (so Kellermann, aaO 189), sondern auf die „beratende“ (j῾s) // „unterweisende“ (jsr pi.) Funktion der Nieren hin, s. dazu Liess, Weg, ˙ aaO 111 („Gewissen“) und Frevel, aaO 30 f. 194 ff, vgl. Wolff, 88 S. dazu Rösel, „Prüfer der Herzen“, 293 ff, zu Ps 7,10 und 26,2 s. Janowski, Konfliktgespräche, 150. 89 Kellermann, aaO 191, zur medizinischen Problematik s. Smith, Herz, 1711 ff. 86 Übersetzung 87
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 163
Derselbe Sachverhalt – das göttliche Wissen um den Menschen – kann auch allein vom Herzen ausgesagt werden: 13 Vom Himmel blickte JHWH herab, er sah alle Menschenkinder, 14 von der Stätte seines Wohnens schaute er auf alle Bewohner der Erde, 15 der Bildner ihrer Herzen (leb) allesamt, der Achtende auf alle ihre Werke. (Ps 33,13–15)
Das Herz, so können wir resümieren, ist der Ort der emotionalen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten und Bestrebungen im Inneren des Menschen (Fühlen, Denken, Wollen), das als Zentrum der Binnenmotivation und Innensteuerung fungiert. Deswegen ist der biblische Mensch nicht kopfgesteuert, sondern ,herzgeleitet‘90 – oder sollte es vielmehr sein. Und zwar in dem Sinn, dass die Gefühle, Gedanken und Absichten in seinem Inneren (Herz) ansetzen, sich aber in der Regel auf die Außenwelt und deren mannigfache Anforderungen richten.91 Diese Entsprechung von Innen und Außen ist der Zentrum der alttestamentlichen Rede vom menschlichen Herzen. β) Der Mutterleib Altes Testament: Bester, Körperbilder, 131 ff.150 ff ◆ Erbele-Küster, Gender Trouble, 136 ff ◆
Freedman / Lundbom, Art. bætæn, 616 ff ◆ Grohmann, Fruchtbarkeit, 28 ff.52 ff.102 ff.117 ff. ˙ 120 ff.244 ff ◆ Dies., Anfang, 365 ff ◆ Häusl, Leib, 142 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 108 ff. ◆ 154 ff Kronholm, Art. ræhæm, 477 ff ◆ Maier, Aspekte, 182 ff ◆ Schroer / Staubli, Körper˙ symbolik, 57 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 53 ff.
Unterhalb von Herz und Nieren befindet sich bei Frauen – und im Alten Orient und in Ägypten auch bei Göttinnen92 – der Mutterleib, das neben dem Herzen am häufigsten erwähnte innere Organ. Der Mutterleib wird überwiegend mit ræhæm, zuweilen aber auch mit bætæn (Ri 16,17; Ps 22,10; 71,6; Hi 1,21; 3,11 u. ö.)93 ˙ ˙ bezeichnet, wobei vom Kontext her jeweils ein Geburtsvorgang gemeint ist (Gen 49,25; Num 12,12; Hi 3,11; 10,18 u. ö.). Nach alttestamentlicher Vorstellung hat JHWH die Macht, den Mutterleib zu verschließen (vgl. Gen 30,1 f; 1 Sam 1,5 f u. ö.) und zu öffnen (Gen 29,31; 30,22). So wendet sich etwa Hanna in ihrer Verbitterung an JHWH und bittet ihn flehentlich um die Öffnung ihres Mutterleibs, konkret um einen männlichen Nachkommen: Zu diesem Ausdruck s. Assmann, Geschichte des Herzens, 81 ff. Dietrich, Individualität, 87. Zu den Belegen von leb / lebāb, denen zufolge sich der Mensch in seine ,Innerlichkeit‘ zurückziehen und vor der Außenwelt abgrenzen kann, s. ders., aaO 83 ff. 92 S. dazu Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 58 mit Abb. 20. 93 Im Unterschied zu ræhæm ist bætæn geschlechtsneutral, zum männlichen „Bauch, Unter˙ 18,18 u. ö. ˙ leib“ s. Ri 3,21 f; Spr 13,25; 90
91 Vgl.
164 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 10 Und sie war verbittert,94 und sie betet zu JHWH und weinte dabei heftig. 11 Und sie leistete ein Gelübde und sprach: „JHWH Zebaoth, wenn du die Erniedrigung deiner Magd wirklich ansiehst und meiner gedenkst und deine Magd nicht vergisst und deiner Magd einen männlichen Nachkommen gibst, dann bringe ich ihn 〈vor dich〉 für alle Tage seines Lebens, und es soll kein Schermesser auf sein Haupt kommen.“ (1 Sam 1,10 f)95
Dass der Beginn des Lebens auf Gottes schöpferische Kraft zurückzuführen ist, geht nicht nur aus Ps 139,13–16,96 sondern auch aus Jer 1,5 und Ps 71,5 f hervor: Ehe ich (sc. JHWH) dich im Mutterleib (bætæn) bildete, erkannte ich dich, ˙ ehe du aus dem Mutterschoß (ræhæm) hervorgingst, weihte ich dich – ˙ zum Völkerpropheten bestimmte ich dich. (Jer 1,5) 5 6
Denn du bist meine Hoffnung, mein Herr, JHWH, meine Sicherheit seit meiner Jugendzeit. Auf dich habe ich mich gestützt von Mutterleib (bætæn) an, ˙ vom Inneren (me῾îm) meiner Mutter hast du mich abgeschnitten, 97 durch dich ist mein Lobpreis beständig. (Ps 71,5 f)
Nicht war mein Gebein (῾osæm) verborgen vor dir, ˙ als ich gemacht wurde im Verborgenen, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde. (Ps 139,15)
Während Jer 1,5 die enge Beziehung zwischen Gott und Mensch anhand des Erkanntseins durch JHWH begründet, umschreibt Ps 139,15 das Geheimnis der Geburt mit der Passivformulierung „ich wurde gemacht“ (V. 15b), die die Schöpfungsaussagen von V. 13–14a aufnimmt. Die Angabe „im Verborgenen“ kann sich dabei auf die Erschaffung im Mutterleib zurückbeziehen (bætæn V. 13b), aber ˙ auch auf V. 15b vorausgreifen: „kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde“. Damit wird eine personale Gottesbeziehung des Menschen von Anfang an und das heißt: mit dem Beginn des menschlichen Lebens im Mutterleib (pränatal) konstituiert. „Die Geburt aus dem btn ist der terminus a quo des Menschenlebens“98. ˙ Neben den konkreten Vorstellungen des Geburtsvorgangs99 ist für unseren Zusammenhang auch die Korrelation von Geburt und Religion wichtig, wie sie
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95 96
97 98 99
Wörtlich: „sie war von bitterer næpæš“. S. dazu Dietrich, 1 Samuel I (BK), 43 ff; Müller „Seele“, 157 f und zu den anthropologischen Aspekten von 1 Sam 1 noch Beyer, Vom Menschen, 273 ff. S. dazu oben 64 ff. S. dazu Bester, aaO 141 ff. Mit der Formulierung „vom Inneren meiner Mutter hast du mich abgeschnitten“ ist die Durchtrennung der Nabelschnur gemeint. Freedman / Lundbom, Art. bætæn, 617. ˙ S. dazu oben 68 ff.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 165
etwa in der Hebammen-Episode Ex 1,15–22100 zum Ausdruck kommt. In besonders eindrücklicher Weise wird diese Korrelation in der Vertrauensäußerung Ps 22,10 f beschworen, wonach JHWH die Aufgaben einer Hebamme übernimmt, indem er das Kind aus dem Leib der Mutter herauszieht und an ihre Brust legt.101 Die Erfahrungen rund um die Geburt werden, wie dieser und andere Texte zeigen, zum „Bildspender für religiöse Lebensdeutung“102 und geben der Gottesbeziehung des Einzelnen eine leibliche Dimension: von Anfang an sieht sich der Beter auf den Gott „geworfen“, der ihn als Hebamme aus dem Mutterleib „herausgezogen“ hat! Die Bedeutung von Mutterleib und Geburt, die sich in den anthropologischen Aussagen von Jer 1,5, Ps 71,5 f und Ps 139,13–16 zeigt, gewinnt noch einmal eine zusätzliche Dimension durch die Belege für rahamîm „Mitleid(sregungen), Er˙ barmen“ (+ Subj. Mensch / Gott). Zwar ist rahamîm terminologisch und meta˙103 phorisch mit ræhæm „Mutterleib“ verbunden, als menschliche Emotion wird ˙ das „Mitleid, Erbarmen“ jedoch beiden Geschlechtern, dem weiblichen (leibliche Mutter in 1 Kön 3,26) wie dem männlichen (Joseph in Gen 43,30, vgl. 43,14, Frevler in Spr 12,10) zugeschrieben. Das bedeutet, dass ræhæm zwar geschlechts˙ spezifisch auf den weiblichen Körper verweist, rahamîm aber keineswegs Ge˙ schlechtsidentität voraussetzt, biologisches und soziales Geschlecht also nicht übereinstimmen.104 Dieser Sachverhalt ist für das Verständnis der Wendungen rhm pi./rahamîm + ˙ ˙ Subj. Gott105 wichtig, weil JHWH zwar kein biologisches Geschlecht hat, aber über „Mitleid, Erbarmen“ verfügt. Dies zeigt sich in eindrucksvoller Weise in Jes 49,15; 54,8; 63,15; Ps 25,6; 40,12; 77,10 u. ö., wobei in Ps 77,10 mit dem Verb „verschließen“ (sc. des Mutterleibs) die leibliche Verortung des göttlichen Erbarmens zum Ausdruck kommt: Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder hat er im Zorn sein Erbarmen (rahamîm) verschlossen? ˙
Der Zusammenhang zwischen göttlichem Erbarmen und Mutterleib besagt nicht, dass Gott geschlechtsspezifisch wahrgenommen wird, wohl aber, „dass Gottes Emotion ,Erbarmen‘, die meist ein rettendes Handeln begleitet, körperlich verortet werden kann“106. 100 S.
dazu oben 70. dazu oben 70 f. 102 Schroer / Zimmermann, Art. Geburt, 189. 103 Zur Frage eines etymologischen Zusammenhangs zwischen ræhæm und rahamîm s. Bester, ˙ Anfang, ˙393 f und Maier, Körperbilder, 150 Anm. 298; Grohmann, Fruchtbarkeit, 120 f; dies., Körper, 183 f. 104 Vgl. Erbele-Küster, Gender Trouble, 136 f und Maier, aaO 200. 105 S. dazu Simian-Yofre / Dahmen, Art. rhm, 462 ff; Grohmann, Fruchtbarkeit, 123 ff; Maier, Aspekte, 185 ff; Janowski, Gott, 169 f und˙ Jeremias, Theologie, 299 f.488 f. 106 Maier, aaO 186, s. dazu auch Grohmann, aaO 125 ff. 101 S.
166 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
2. Die Welt der Emotionen Altes Testament: Gillmayr-Bucher, Nase, 21 ff ◆ Dies., Emotion, 279 ff ◆ Janssen / Kessler,
Art. Emotionen, 107 ff ◆ Maier, Körper, 198 ff ◆ Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 55 ff ◆ Smith, Herz, 171 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 157 ff ◆ Thomas, Idiom ◆ Wagner, Emotionen ◆ Ders., Grundüberlegungen, 27 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 80 ff.84 ff. – Antike Religionen: Egger-Wenzel / Corley (ed.), Emotions ◆ Kipfer (ed.), Emotions ◆ Steinert, Person, 58 ff ◆ Wagner, Grundüberlegungen, 27 ff ◆ Ders. (Hg.), Körper. – Psychologie, Kultur- und Geschichtswissenschaft: Engelen, Gefühle ◆ Dies., Emotionen, 22 ff ◆ Febvre, Sensibilität, 91 ff ◆ Frevert, Gefühle ◆ Fuchs, Leib, 217 ff ◆ Kövecses, concepts ◆ Plamper, Geschichte.
Von Emotionen und Gefühlen ist in den bisherigen Überlegungen immer wieder die Rede gewesen, sei es im Zusammenhang mit dem Herzen oder sei es im Zusammenhang mit dem Mutterleib. Als Organ im Leibesinneren ist das Herz ständig in Bewegung und von außen spürbar. In ihm konzentriert sich nicht nur das emotionale, kognitive und voluntative, sondern auch das leibliche Wesen des Menschen (vgl. Spr 4,23; 25,13), der gelabt bzw. „gestützt“ werden muss, in der Regel mit Brot (Ri 19,5.8, vgl. Gen 18,5; 1 Kön 21,7; Ps 102,5), aber auch durch die Gewissheit, dass Gott den Menschen hört (Ps 69,33). Vom Gegenteil, nämlich vom Verlust der Lebenskraft, wird gesprochen, wenn der Mensch in Situationen der Angst und Bedrängnis gerät: Mein Inneres (me῾îm), mein Inneres (me῾îm), ich winde mich, Wände meines Herzens (qîrôt leb)! Es tobt mir mein Herz (leb), ich kann nicht schweigen! Denn den Schall des Horns 〈hörst du〉, meine næpæš, den Lärm des Krieges. (Jer 4,19)107
Es ist darum keine Frage, dass die Gefühle ein zentraler Aspekt des Körperthemas sind. Das zeigt nicht nur ein Text wie Enūma eliš IV 97 ff (Q 83), sondern auch die Tatsache, dass Gefühle und Körperempfindungen „im Begriff des Fühlens schon sprachlich eine Wurzel“108 haben. Darüber hinaus verweisen sie, wie die folgenden Ausführungen zeigen, nicht nur auf die Leib-, sondern auch auf die Sozialsphäre des Menschen.
Anthropologie, 77 diagnostiziert hier einen regelrechten „Herzanfall“, vgl. auch Frevel / Wischmeyer, Menschsein, 33 (Frevel). M. E. ist eher eine äußerste emotionale Erregung ausgedrückt, vgl. Fabry, Art. leb / lebāb, 424; Bester, Körperbilder, 192 f und Müller, „Seele“, 262 f. Mit den „Wänden meines Herzens“ dürfte der Brustkorb, konkret die das Herz wie „Wände“ schützenden Rippen gemeint sein. 108 Fuchs, Leib, 235 (H. i. O.). 107 Wolff,
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 167
a) Gegensätzliche Gefühle Die Erforschung der Emotionen und Gefühle im Alten Testament109 ist relativ jung und findet erst seit wenigen Jahren die ihr gebührende Aufmerksamkeit. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass „der Bereich der Gefühle als Teil der irrationalen und unbeherrschten Seite des Menschen betrachtet wurde, der keine ernsthafte Untersuchung rechtfertige. Demgegenüber stehe der menschliche Geist, der Sitz der menschlichen Rationalität und Beherrschtheit, der – so behaupten einige – von viel höherem Rang sei“110.
Dieses Vorurteil wird inzwischen Zug um Zug korrigiert. Um dabei nicht erneut in Einseitigkeiten zu verfallen, ist aber nicht nur die leibliche, sondern auch die kommunikativ-soziale Dimension der Gefühle zu beachten. Denn Emotionen stehen „an der Schnittstelle zwischen individuellem und sozialem Menschenbild“111 und helfen dem Einzelnen, sich auf eine Handlung vorzubereiten und diese (vielleicht) zu bestehen. Darüber hinaus ist mit der Überlappung zwischen Gefühlen zu rechnen,112 was eine eindeutige Zuordnung zuweilen erschwert. Im Folgenden sollen zum einen gegensätzliche Gefühle wie Lieben / Hassen und Lachen / Weinen und zum anderen starke Emotionen wie Angst und Depression zur Sprache kommen. α) Lieben und Hassen Altes Testament, Alter Orient: Berlejung, Liebe, 2 ff ◆ Fischer, Liebe, 63 ff ◆ Gropp, Formen,
57 ff ◆ Janssen / Kessler, Art. Liebe / Gemeinschaft, 356 f ◆ Jenni, Art. ᾽hb, 60 ff ◆ Ders., Art. śn᾽, 835 ff ◆ Kunz-Lübcke, Art. Liebe, 307 ff ◆ Müller, Lieben, 219 ff ◆ Oeming (Hg.), Ahavah ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 39 ff ◆ Wagner, Emotionen, 49 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 243 ff.247 ff ◆ Zwickel, Iconography, 103 ff. – Nächsten- und Fremdenliebe: Gaß, Handeln, 300 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 126 ff ◆ Köckert, Nächstenliebe, 31 ff ◆ Schüle, Lev 19,18, 515 ff ◆ Otto, Ethik, 243 ff ◆ Söding, Nächstenliebe, 62 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 267 ff.
Auf das Thema „Liebe“ sind wir bereits im Zusammenhang mit Gen 2,24 und den Aspekten „Erotik und Sexualität“ eingegangen.113 Zwar ist die Liebe nach alttestamentlichem Verständnis keine Voraussetzung für die Ehe, sondern eine Unterscheid zu Wagner, Gefühl, 7 ff wird im Folgenden nicht zwischen Gefühl (subjektiv wahrnehmbar / Innen) und Emotion (von außen beobachtbar / Außen) differenziert, weil dies der spezifischen Innen/Außen-Relation (man denke nur an das Lachen, Weinen u. a.) nicht gerecht wird, vgl. Gillmayr-Bucher, Emotion, 280 Anm. 6 und Kipfer, Angst, 16 Anm. 8. Zu den Fragen der Definition s. noch Engelen, Gefühle, 7 ff und Frevert, Gefühle, 9 ff. 110 Kruger, Gefühle, 244. 111 Gillmayr-Bucher, aaO 279 f. Den Zusammenhang von Emotion und Kommunikation macht dies., aaO 282 ff anhand einer Übersicht deutlich, s. dazu auch Smith, Herz, 179 ff. 112 S. dazu die Texte bei Thomas, Idiom, 321. 113 S. dazu oben 102 f.115 ff. 109 Im
168 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Folge der endogamen Heirat. Dennoch wird ebenso ausführlich wie anrührend erzählt, wie Isaak und Rebekka (Gen 24,1–67) oder Jakob und Rahel (Gen 29,15– 30) sich verlieben114 und dann eine Ehe eingehen: (15) Und Laban sagte zu Jakob: „Bist du mein Bruder und dienst mir umsonst? Erkläre mir doch, was dein Lohn ist.“ (16) Laban aber hatte zwei Töchter. Der Name der älteren war Lea, der Name der jüngeren Rahel. (17) Leas Augen waren matt, Rahel aber war von schöner Gestalt und von schönem Aussehen. (18) Und Jakob liebte (᾽āhab) Rahel und sprach: „Ich will dir sieben Jahre um Rahel, deine jüngere Tochter, dienen.“ (19) Da sagte Laban: „Es ist besser, dass ich sie dir gebe, als dass ich sie einem anderen Mann gebe. Bleibe doch bei mir!“ (20) Da diente Jakob sieben Jahre um Rahel, und sie wurden in seinen Augen wie ein paar Tage, weil er sie liebte (᾽āhab). (Gen 29,15–20)115
Nachdem die Frist von sieben Jahren um war, verlangte Jakob von Laban Rahel als seine Frau – und erhielt stattdessen Lea (V. 21–26), die er weniger liebte als Rahel (V. 31.33).116 Nach weiteren sieben Jahren bekam Jakob endlich seine geliebte Rahel zur Frau, musste Laban aber noch einmal sieben Jahre lang dienen: „Da ging er auch zu Rahel ein. Und er liebte (᾽āhab) Rahel mehr als Lea, und er diente bei ihm noch weitere sieben Jahre.“ (V. 30)
Da Jakobs Liebe zu Rahel nach Gen 29,18 der Handlungsgrund für seinen siebenjährigen Dienst bei Laban ist, kann man von ,handlungsleitender Liebe‘117 sprechen, die auf der freien Wahl der beiden Partner beruht.118 Die Formen der Liebe sind sehr unterschiedlich. Das Verb ᾽āhab/᾽āheb „lieben“119 verweist auf die Liebe eines Mannes zu einer Frau (Gen 24,67; 29,18.20.30.32, vgl. Hhld 4,1–7 u. ö.) oder einer Frau zu einem Mann (1 Sam 18,20.28, vgl. Hhld 5,10–16), auf die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn (Gen 22,2; 25,28; 44,20) oder auf die unterschiedliche Intensität der Gefühle eines Vaters gegenüber seinen Söhnen (Gen 37,3 f), auf die Freundesbeziehung zwischen David und Jonathan (1 Sam 18,1–4; 20,17; 2 Sam 1,26), auf die Zuneigung eines 114 Ganz
und gar nicht anrührend sind dagegen die Erzählungen von der Vergewaltigung Dinas (Gen 34) und Tamars (2 Sam 13), s. dazu Kunz-Lübcke, Art. Liebe, 309 f. 115 S. dazu Blum, Vätergeschichte, 98 ff und Fischer, Gottesstreiterinnen, 100 ff. 116 Die Zurücksetzung Leas wird jeweils mit dem Verb śāne᾽ „(hassen >) nicht mehr lieben, verschmähen“ ausgedrückt, vgl. Jenni, Art. śn᾽, 836. Zur Bedeutungsbreite von śāne᾽ s. ders., aaO 835 f und Wagner, Emotionen, 69 ff. 117 S. dazu Müller, Lieben, 234 f. 118 S. dazu Fischer, Erzeltern, 83 Anm. 42, mit dem Hinweis auf das Recht der freien Partnerwahl für die Frau („ein Ehemann nach meinem Herzen“) im Kodex Hammurapi, s. Q 89. 119 Zum Bedeutungsumfang von ᾽āhab/᾽āheb s. Jenni, Art. ᾽hb, 62 f und Gropp, Formen, 57 ff. Nach Müller, Lieben 227 Anm. 21 „(lassen) viele dieser Belegstellen … leider keinen Schluss auf das zugrunde liegende Gefühlskonzept zu, da sie lediglich festhalten, wer wen liebt, oder ohne Bilder von der Liebe zu Dingen oder Abstrakta sprechen“, vgl. 236. Dieses Urteil ist m. E. zu pauschal, wie etwa Hhld 8,6 f (die Funken der Liebe sind „Feuerfunken“) und vor allem Dtn 6,5 zeigen, s. dazu Peetz, Emotionen, 313 ff und zu Dtn 6,5 unten 556 ff. Für den Gegenbegriff śāne᾽ „hassen“ kann in ähnlicher Weise auf 2 Sam 13,15; Ps 25,19; 139,22 hingewiesen werden, s. dazu Jenni, Art. śn᾽, 835 f.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 169
Mannes (Sichems) zu einer Frau (Dina), nachdem er diese vergewaltigt hat (Gen 34,3), auf die emotionale Bindung eines Schuldknechts an seinen Herrn (Ex 21,15; Dtn 15,16), auf loyale politische Beziehungen (1 Sam 18,16; 2 Sam 19,7; 1 Kön 5,15) oder auf die Vorliebe für bestimmte Speisen (Gen 27,4. 9. 14; Hos 3,1) oder Dinge und Handlungen wie Bestechung oder das Gute (Jes 1,23; Am 5,15).120 Die Ambivalenz von anfänglicher Liebe (᾽āhab) und späterer Abneigung (śāne᾽) wird psychologisch einfühlsam in 2 Sam 13,1–22 dargestellt. Und schließlich wird im Zusammenhang mit der Feindproblematik die Störung der liebevoll-aufmerksamen Beziehung thematisiert (Ps 38,13; 109,4 f; Hi 19,19).
Ein besonderer Fall mit großer Wirkungsgeschichte ist das Gebot der Nächstenund Fremdenliebe in Lev 19,17 f.33 f. Das Nächstenliebegebot Lev 19,17 f, das in Israels Umwelt keine direkten Parallelen hat,121 gewinnt im Neuen Testament122 zentrale Bedeutung: 17 Du sollst deinen Bruder nicht hassen (śāne᾽) in deinem Herzen,123 du sollst deinen Volksgenossen scharf zurechtweisen (jkh hif.), ˙ auf dass du nicht wegen ihm eine Sünde trägst. 124 18 Du sollst nicht Rache üben (nāqam) und nichts nachtragen (nātar) den Kindern deines Volkes. ˙ Und du sollst deinen Nächsten lieben (᾽āhab) – (er ist) wie du (kāmôkā). Ich bin JHWH.
Dieses Gebot wird in Lev 19,33 f auf den Fremden ausgeweitet: 33 Und wenn ein Fremder bei dir in eurem Land wohnt, dann sollst du ihn nicht ausnutzen (jānāh).125 34 Wie ein Einheimischer unter euch gelte euch der Fremde, der bei euch wohnt. Und du sollst ihn lieben (᾽āhab) – (er ist) wie du, denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. Ich bin JHWH, euer Gott.
Der Spitzensatz lautet in beiden Fällen: „Du sollst deinen Nächsten (V. 18) / ihn (sc. den Fremden) (V. 34) lieben – (er ist) wie du! (kāmôkā)“. Grammatisch ist die Wendung kāmôkā attributiv auf den „Nächsten“126 und nicht adverbial auf dazu Jenni, Art. ᾽hb, 67 mit weiteren Belegen. aber die akkadischen Texte zum Racheverzicht (s. Q 93) und zum Liebes- bzw. Loyalitätsgebot (s. Q 92). Von ethischen Konsequenzen der Liebe ist, mit dualistischen Zuspitzungen, in den Texten vom Toten Meer die Rede, s. Q 207. 122 Vgl. Mk 12,31.33; Mt 5,43; 19,19; 22,39; Lk 10,27; Röm 13,9; Gal 15,4; Jak 2,8, s. dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 731 ff; Gaß, Handeln, 320 ff und Söding, Nächstenliebe. 123 Mit der Aussage, nicht „in seinem Herzen“ zu hassen, ist die innere Einstellung gemeint, die das emotionale und das kognitiv-voluntative Vermögen des menschlichen Herzens umfasst, s. dazu Hieke, aaO 728 f. 124 Oder: „Du sollst nicht Ahndung üben“, zum Problem der Rache s. Janowski, Gott, 110 f und Dietrich, Rache, 44 ff.46 ff. 125 Vgl. Ex 22,20 (jānāh „ausnutzen“ // lāhas „bedrücken“) und Ex 23,9 (nur lāhas), s. dazu ˙ ˙ Dohmen, Exodus II (HThK.AT), 172 ff. ˙ ˙ 126 S. dazu Schüle, „Du“, 524 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 126 ff; Gaß, Handeln, 300 ff und 120 S. 121 S.
170 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
das „Lieben“127 zu beziehen. Damit wird die Nächstenliebe nicht mit der Selbstliebe verglichen,128 sondern es wird eine Aussage über den Nächsten gemacht, der geliebt werden soll. Für das Menschenbild von Lev 19,18 und Lev 19,34 ergibt sich damit eine wichtige Perspektive: „Wer den anderen nur nach Maßgabe des eigenen Selbstverständnisses, des eigenen Status und Prestigebewußtseins liebt, kann tatsächlich nur in einer Schleife leerer Selbstreferenz von sich ausgehen und bei sich selbst ankommen. Er wird dabei aber aus dem Auge verlieren, wofür Lev 19 insgesamt zu sensibilisieren versucht: daß auch unter Gleichen einige gleicher sind als andere.“129
Liebe, so lässt sich zusammenfassen, ist „die grundlegende Form jedweden sozialen Lebens, weil sie auf der elementaren anthropologischen Bestimmung von Gleichheit als einer Gleich-Bedürftigkeit aufruht“130. Auf die Frage, wie das liebevolle Handeln am anderen aussieht, der nicht der Nächste, sondern der Feind ist, ist im Zusammenhang der Frage nach der Feindesliebe zurückzukommen.131 β) Lachen und Weinen Altes Testament, Alter Orient: Bartelmus, Art. sāhaq, 730 ff ◆ Gruber, Aspects, 401 ff ◆
˙ ˙ Hvidberg, Weeping ◆ Schroer / Staubli, Weinen, 485 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 182 ff ◆ Stolz, Art. bkh, 313 ff ◆ Zgoll / Lämmerhirt, Lachen, 449 ff. – Philosophie, Kultur- und Literaturwissenschaft: Fischer, Art. Lachen, 363 ff ◆ Plessner, Lachen, 201 ff ◆ Rosa, Resonanz, 132 ff ◆ Weigel, Grammatologie, 168 ff.
Warum lachen und warum weinen wir? In seiner einflussreichen Studie Lachen und Weinen von 1941 hat H. Plessner (1892–1985) eine Untersuchung zu diesen Grundformen des menschlichen Verhaltens vorgelegt und an ihnen den Zusammenhang der leiblichen und emotional-kognitiven Selbst- und Weltbeziehung verdeutlicht. Lachen und Weinen sind nonverbale körperliche Reaktionen, in denen sich die Resonanzfähigkeit des Menschen zeigt, wie sie sich aus seiner „exzentrischen Positionalität“132 ergibt. „Hier“, schreibt Plessner, „verliert zwar die menschliche Person ihre Beherrschung, aber sie bleibt Person, indem der Körper gewissermaßen für sie die Antwort übernimmt. Damit verrät sich eine
Hieke, aaO 734 f.755, anders Köckert, Nächstenliebe, 37 ff; Kazen, Ethics, 445 f u. a. In Lev 19,18 ist der Nächste der Mit-Israelit, in Lev 19,34 aber der Fremde, s. dazu unten 229 f. Mit ihrer Ausweitung auf alle Menschen hat Test XII.Is 7,6 das Liebesgebot universalisiert, s. Q 208. 127 So außer in Lev 19,18bLXX auch in Jub 20,2; 35,20; 36,4 und 46,1 f, s. dazu Hieke, aaO 734 f. 128 So z. B. Wolff, aaO 276 u. a., s. zu dieser Auslegungstradition Schüle, aaO 515 ff und Hieke, aaO 734 ff. 129 Schüle, aaO 529 f (H. i. O.), vgl. Hieke, aaO 734. 130 Schüle, aaO 531 (H. i. O.), vgl. Hieke, ebd. 131 S. dazu unten 229 ff. 132 S. dazu Plessner, Lachen 236 ff, vgl. Rosa, Resonanz, 133 f.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 171
Möglichkeit des Zusammenwirkens zwischen der Person und ihrem Körper, die für gewöhnlich geheim bleibt, weil sie nicht beansprucht wird“133.
Lachen und Weinen sind zwar „gleichsam pure Natur“134, geschehen aber nicht ohne einen auslösenden Anlass. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie die Formen. Im Alten Orient135 und im Alten Testament gibt es sowohl reaktive als auch aktive Formen. So kann Lachen als „gelockert-entspannter Gemütszustand“136 eine Reaktion aus Freude und Erleichterung, Spott und Hohn, Arroganz und Überheblichkeit oder Souveränität und Überlegenheit sein. Während für sāhaq q. an fast allen Stellen die einfache Bedeutung „lachen, zulächeln“ ˙ ˙ passt,137 werden mit sāhaq pi. nach E. Jenni kompliziertere Vorgänge aus˙ ˙ gedrückt:138 froh sein scherzen sich belustigen spielen tändeln, kosen sein Spiel treiben Kurzweil treiben tanzen, spielen ein Kampfspiel aufführen
Jer 30,19; 31,4 Gen 19,14; Jer 15,17; Spr 26,19 Gen 21,9; 39,14.17; Ex 32,6 Sach 8,5; Hi 40,20.29 Gen 26,8 Ps 104,26 Ri 16,25 1 Sam 18,7; 2 Sam 6,5.21; Spr 8,30.31; 1 Chr 13,8; 15,29 2 Sam 2,14 f
In jedem Fall ist das Lachen – genau wie das Weinen – nicht einfach ein physischer Reflex, sondern eine spezifische Form der Kommunikation. Nehmen wir als Beispiel die Geburtsgeschichte Isaaks, für die drei Szenen mit dem Motiv „Lachen“ typisch sind: das ungläubige Lachen Abrahams bzw. Saras bei der Ankündigung der Geburt eines Sohns (Gen 17,17; 18,12. 13. 15[2mal]), das dankbar freudige Lachen Saras nach der Geburt Isaaks (Gen 21,6a) und das von Sara befürchtete spöttische Lachen der Umwelt über die späte Geburt Isaaks (Gen 21,6b): Da fiel Abraham auf sein Angesicht, lachte (sāhaq) und sagte zu sich: „Soll etwa einem ˙ Mutter sein? Soll Sara als NeunzigjähHundertjährigen geboren werden und Sara ˙eine rige gebären?“ (Gen 17,17) (11) Abraham und Sara waren alt geworden, in die Tage gekommen, und das Ergehen, wie die Frauen es haben, hatte für Sara aufgehört einzutreten. (12) Und Sara lachte (sāhaq) in ihrem Inneren (qæræb), indem sie sagte: „Tritt mir Liebeswonne ein, nach˙ ˙ aaO 237, s. dazu auch Fischer, Art. Lachen, 363 ff. aaO 364. 135 Für Mesopotamien s. Zgoll / Lämmerhirt, Lachen, 449 ff. 136 So die allgemeine Definition von „Lachen“ bei Bartelmus, Art. sāhaq, 733. Beim Spott- oder ˙ ˙ Hohnlachen ist allerdings von einem aggressiv-angespannten Gemütszustand auszugehen. 137 Speziell zum Lachen Gottes (Ps 2,4; 37,13; 59,9) und der Weisheit (Spr 1,16) s. Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 90 ff (Hartenstein). Auch Tiere können lachen: Hi 39,7; 39,18.22 und 41,21. 138 S. dazu Jenni, Pi῾el, 155 und Bartelmus, aaO 736 ff. 133 Plessner, 134 Fischer,
172 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs dem ich verbraucht bin und mein Gemahl alt ist?“ (13) Da sagte JHWH zu Abraham: „Warum hat Sara gelacht (sāhaq), indem sie sagte: ,Soll ich denn wirklich gebären? Ich? ˙ ˙ Ich bin alt.‘ (14) Ist JHWH etwa ein Ding unmöglich. Zu diesem Zeitpunkt kehre ich zu dir zurück nach einem Jahr, und Sara hat einen Sohn.“ (15) Da leugnete Sara und sagte: „Ich habe nicht gelacht (sāhaq).“ Denn sie war in Furcht geraten. Er aber sagte: „Nein, ˙ ˙ nein. Du hast wirklich gelacht (sāhaq).“ (Gen 18,11–15) ˙ ˙ (5) Abraham war hundert Jahre alt, als ihm sein Sohn Isaak geboren wurde. (6) Da sagte Sara: „Ein Lachen (śehoq) hat mir Gott bereitet. Wer (das) hört, wird über mich ˙ lachen (sāhaq)“. (Gen 21,5 f) ˙ ˙
Alle drei Aktionen hängen mit dem Verbalsatznamen Isaak (jishāq) und des˙˙ sen etymologischer bzw. kontextbezogener Erklärung zusammen. Dabei dürfte die Deutung, die von der Situation der Geburt ausgeht und den Namen als „er lacht / beginnt zu lachen“ versteht oder die das Lächeln Abrahams über den Neugeborenen ausgedrückt sieht, einige Wahrscheinlichkeit für sich haben. Aber auch die traditionelle Deutung mit Gott / El als Subjekt („Gott lacht / möge lachen“) bleibt prinzipiell möglich.139 Die für das Lachen charakteristische Körpergebundenheit gilt ebenso für das Weinen (bākāh „weinen, beweinen“).140 Die wichtigsten Kontexte und Anlässe sind Trauer, Schmerz und Zorn, aber auch Freude, Glück und Ergriffenheit. Der leidvolle Vorgang des (nächtlichen) Weinens kommt etwa in der Bitte von Ps 6,7 f und ihrer expliziten Wassermetaphorik zum Ausdruck: 7 8
Ich bin müde (geworden) durch mein Seufzen, ich überschwemme in jeder Nacht mein Bett mit meinen Tränen lasse ich mein Ruhelager überfließen. Schwach geworden ist von Kummer mein Auge, es ist gealtert wegen aller meiner Bedränger.141
Zu einem Leitmotiv, an dem sich die dramatische Verhaltensänderung des Protagonisten ablesen lässt, wird das Weinen vor allem in der Josephsgeschichte (Gen 42,24; 43,30; 45,2.14 f; 46,29; 50,1.17).142 Denn ihr Erzähler war „weniger Reiseberichterstatter als Sozialpsychologe. Obwohl er seine Figuren auf mehrwöchige Wanderungen schickt, lässt er diese in der Erzählung auf Bruchteile einer Minute zusammenschrumpfen. Ihn interessieren die Menschen, die Gespräche, das, was zwischen ihnen zur Debatte steht“143.
Bartelmus, aaO 735. Weinen von Kindern, Frauen und Männern s. die Übersicht bei Stolz, Art. bkh, 314 f und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 182 ff. 141 Zur Übersetzung und Interpretation s. Kuckhoff, Psalm 6, 30 f.33 ff.137 ff. In V. 8 wird im Bild des vor Kummer geschwächten und wegen der Bedränger gealterten Auges der Zusammenhang von Leib- und Sozialsphäre unterstrichen, vgl. ders, aaO 147. 142 S. dazu Ebach, Genesis III (HThK.AT), 297 f.344.384 ff.470 f.657. 143 Lux, Josef, 157. 139 Vgl.
140 Zum
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 173
Nachdem das Begräbnis Jakobs durch seine Söhne stattgefunden hatte und damit die familiäre Einheit wiedergefunden wurde (Gen 50,1–14), löst der Tod des Vaters bei den Brüdern Josephs dennoch Angst vor Vergeltung aus. Daraufhin schicken sie zu Joseph und lassen ihm ein Wort ihres Vaters ausrichten, das dieser vor seinem Tod zu ihnen gesprochen hatte: (15) Und als Josephs Brüder sahen, dass ihr Vater gestorben war, sagten sie: „Wenn nun Joseph uns anfeindet und uns all das Böse vergilt (šûb hif.), das wir ihm angetan haben!“ (16) So entboten sie dem Joseph und ließen sagen: „Dein Vater hat vor seinem Tod befohlen und gesagt: (17) ,So sollt ihr zu Joseph sagen: Ach, trag doch das Verbrechen deiner Brüder und ihre Sünde, dass sie dir Böses angetan haben!‘ Und nun trag doch das Verbrechen der Knechte des Gottes deines Vaters!“ Da weinte (bākāh) Joseph, als sie zu ihm redeten. (Gen 50,15–17)
Jetzt wird das Verbrechen der Brüder klar und sogar zweimal benannt und die Bitte geäußert, es zu vergeben bzw. zu „tragen“.144 Die dann folgende Reaktion Josephs ist unterwartet: er weint – und löst damit eine Gegenreaktion bei seinen Brüdern aus, die ihre Bereitschaft zur Schuldübernahme ausdrückt: (18) Und auch seine Brüder gingen und fielen vor ihm nieder und sagten: „Siehe, da hast du uns zu deinen Knechten.“ (19) Joseph aber sagte zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Bin ich denn an Gottes Stelle? (20) Ihr habt Böses gegen mich beabsichtigt, Gott (aber) gedachte es gut zu machen, um zu tun, was heute am Tage ist: ein großes Volk am Leben zu erhalten. (21) Und nun, fürchtet euch nicht! Ich werde euch und eure Kinder versorgen.“ Und er tröstete sie und redete ihnen zu Herzen. (Gen 50,18–21)
Das ist das gute Ende eines Konflikts, an dessen Beginn schon einmal, aber anders vom Weinen Josephs die Rede war. In Gen 42,24 und 43,30 weinte Joseph, als er seinen Brüdern zum ersten Mal wieder begegnete (Gen 42,24) und als er Benjamin, den „Sohn seiner Mutter“, erblickte (Gen 43,30). Beide Male geschieht das Weinen heimlich, weil er sich von seinen Brüdern bzw. von Benjamin abwandte (Gen 42,24). Besonders eindrücklich ist die Schilderung in Gen 43,30 f: (30) Da ging Joseph schnell weg, denn es entbrannte sein Erbarmen (rahamîm) zu sei˙ nem Bruder hin und es verlangte ihn zu weinen (bākāh). Und er ging in die Kammer und weinte dort. (31) Dann wusch er sein Angesicht und ging hinaus und nahm sich zusammen (᾽pk hitp.)145 und sagte: „Tragt das Essen auf!“
Zur Phänomenologie des Weinens gehört die Abwendung des Weinenden.146 Sie vermag seinen Schmerz vor den Anderen zu verbergen, hat aber auch das Potential, die Zuwendung der Anderen zum Weinenden, also ihre Empathiefähigkeit, auszulösen. Soweit ist es hier noch nicht. Im weiteren Verlauf der Erzählung „Tragen“ der Schuld als Akt der Vergebung s. ders., aaO 206 ff. „er hielt an sich“, vgl. Gen 45,1; Jes 42,14; 63,15; 64,11 und Est 5,10. Zur Sachparallele Homer, Od. XIX s. Q 165. 146 Vgl. Fischer, Art. Lachen, 366. 144 Zum
145 Oder:
174 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
gibt sich Joseph, der nicht mehr an sich halten kann (᾽pk hitp. Gen 45,1), ihnen unter lautem Weinen zu erkennen (Gen 45,2) und fällt Benjamin und ihnen nach seiner Rede (Gen 45,4–13) weinend um den Hals: (14) Er fiel seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte (bākāh). Auch Benjamin weinte an seinem Hals. (15) Joseph küsste dann weinend alle seine Brüder. Darauf unterhielten sich seine Brüder mit ihm. (Gen 45,14 f)
Damit ist der Wandel im Verhalten Josephs vollzogen und der Weg zur Versöhnung, wie sie dann in Gen 50,15–21 besiegelt wird, endgültig frei. Lachen und Weinen, so hat die klassische Studie von H. Plessner gezeigt, sind „keine Randphänomene, sondern führen in eine zentrale Phänomengruppe der Sonderstellung des Menschen insgesamt“147. Aufgrund ihres Antwortcharakters sind sie ein elementares Mittel der Kommunikation. Sie sind zwar nicht-sprachlicher Natur, aber doch von unmittelbarer, leiblicher Evidenz. Das gilt auch für die Äußerungen der Angst, der Furcht und der Depression. b) Restriktionen des Leiberlebens Bei Angst, Furcht und Depression handelt es sich um das Gegenteil von resonanten Weltbeziehungen,148 nämlich um Beziehungen, die Ausdruck einer gestörten Selbst- und Weltwahrnehmung sind und die „den normalen Lebensrhythmus verunsichern, unterbrechen und bedrohen, indem sie den Menschen zu außergewöhnlichen Vorkehrungen und Erwiderungen zwingen“149. Da die alttestamentliche Anthropologie eine realistische, auf die Lebenswirklichkeit des / der Menschen bezogene Anthropologie ist, werden diese Emotionen nicht verschwiegen oder verdrängt, sondern überraschend ehrlich thematisiert. α) Phänomenologie der Angst Altes Testament: Bester, Körperbilder, 197 ff ◆ Janowski, Raum, 23 ff ◆ Kipfer, Angst, 15 ff ◆
Kruger, Gefühle, 258 f ◆ Ders., Fear, 77 ff ◆ Loader, Angst, 260 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 173 ff ◆ Thomas, Idiom, 101 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Furcht, 359 ff ◆ Gruber, Fear, 411 ff ◆ Maul, Wissenskultur, 8 ff ◆ Ritter / Wilson, Prescription, 23 ff ◆ Stol, Suffering, 65 f ◆ Zwickel, Iconography, 99 ff. – Philosophie, Kulturwissenschaft: Häfner, Art. Angst, 310 ff ◆ Rosa, Resonanz, 187 ff ◆ Waldenfels, Platon, 197 ff.
Die Phänomenologie der Angst umfasst nach dem Modell der kognitiven Linguistik, wie es von Z. Kövecses u. a. vertreten wird, typische Merkmale wie physische Unruhe, erhöhte Herzfrequenz, Erbleichen, Aufstellen der Haare, Atem-
147 Ders., 148 Zum
52 ff.
aaO 367. Konzept der gelingenden und misslingenden Weltbeziehungen s. Rosa, Resonanz,
149 Waldenfels,
Platon, 198.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 175
beschwerden, Schwitzen, Schreien, Schreckhaftigkeit, Fluchtreflex und anderes mehr.150 Auch im Alten Testament und im Alten Orient (s. Q 81) gibt es zahlreiche Texte und Termini, die diese Angstsymptome mit wünschenswerter Deutlichkeit beschreiben:151 – – – – – – – – – – – – – –
Physische Unruhe (Gen 42,28; Ex 19,16 [zittern]; Ex 15,15; Ps 48,7 [beben]; Ex 20,18; Jes 7,2 [schwanken]; Ex 15,14; Dtn 2,25 [erbeben] u. a.) Erhöhte Herzfrequenz (Ps 38,11; Hi 37,1) Erbleichen (Nah 2,11; Dan 5,6.9) Sich aufstellende Haare (Ez 27,35; Hi 4,14 f ) Unfähigkeit, sich zu bewegen (Ex 15,16; Jes 13,7; Ez 7,27) Unfähigkeit zu atmen (Dan 10,17b; Jos 2,11) Unfähigkeit zu sprechen (Jer 4,9; Ps 48,6; Dan 10,15) Unfähigkeit zu denken (Dan 5,6; Jer 21,3 f ) (unfreiwillige) Entleerung des Darms / der Blase (Hi 18,11; Ez 21,12) Nervöser Magen (Hab 3,16; Jer 4,19) Trockener Mund (Ps 22,15 f ) Schreien (Jer 4,31; Jes 26,17) Veränderter Gesichtsausdruck (Jes 13,8; Gen 42,28) Fluchtreflex (Ps 48,5–8; Jer 26,21)
Abb. 27: Angstphänomene im Alten Testament
Die Angst ist durchweg ein Phänomen, das den Körper ergreift.152 Sehr oft ist dabei vom pochenden oder verzagten Herzen153 und von schlotternden Knien oder strauchelnden Füßen154 die Rede. Zuweilen wird das Erlebnis der Angst auch mit dem Zittern einer Gebärenden verglichen: Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und getrennt haben sich alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz wie Wachs, zerfließend in meinem Inneren. (Ps 22,15)155 Mein Herz pochte heftig, verlassen hat mich meine Kraft, und das Licht meiner Augen – auch diese – ist nicht (mehr) bei mir. (Ps 38,11) Öde, Verödung, Verwüstung, und ein zerfließendes Herz und Schlottern der Knie
dazu Kövecses, concepts, 70 ff. dazu Kruger, Fear, 77 ff; ders., Gefühle, 258 f; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 173 f und zu den Verben Kipfer, Angst, 19 ff. 152 S. dazu ausführlich Kipfer, aaO 32 ff und zu vergleichbaren Texten aus Mesopotamien und Ugarit s. Q 81 und Q 128. 153 Zu diesem Sprachbild s. Thomas, Idiom, 109 ff und Kipfer, aaO 40 ff. 154 S. dazu Thomas, aaO 121 ff. 155 Zu diesem Text und seinem Topos vom „zerfließenden Herzen“ (vgl. Dtn 1,28; 20,8; Jes 13,7 Ez 21,12 u. ö.) s. Bester, Körperbilder, 197 ff und Kipfer, aaO 51. 150 S. 151 S.
176 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs und Zittern in allen Hüften und die Angesichter alle haben Glut eingesammelt. (Nah 2,11)156 Ich hörte es, und es erbebte mein Bauch, wegen des Geräuschs erbebten meine Lippen. Fäulnis dringt in meine Knochen, und was unter mir war, zitterte. Ich warte ab den Tag der Not, der heraufkommt über das Volk, das uns angreift. (Hab 3,16) 5 6 7 8
Denn siehe: Die Könige hatten sich verabredet, waren gemeinsam herangezogen. Sie – wie sie (es) sahen, so erstarrten sie, sie wurden erschreckt, sie wurden bestürzt. Zittern ergriff sie dort, Wehen wie die Gebärende. Durch den Ostwind zerbrichst du die Tarsis-Schiffe. (Ps 48,5–8, vgl. Jes 13,8; Jer 4,31)
Das Phänomen Angst hat viele Ursachen und in den verschiedenen Kulturen auch eine je unterschiedliche Geschichte. Eine dieser Ursachen ist die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, also die „Enge“, die in vielen Sprachen (lat. anxietas, angustia, engl. anxiety, frz. angoisse) der semantische Kern von Angst ist.157 In der Situation der Angst ist jedes Gefühl von Weite und Offenheit ausgelöscht. Deshalb gehört es zu den Charakteristika der Psalmensprache, dass die Überwindung der Todesangst als elementare Bewegungsfreiheit, als „Weite“ bzw. „weiter Raum“ beschrieben wird, die dem Beter in seiner lebensbedrohlichen „Enge“ von JHWH zurückgegeben wurde: Auf mein Rufen antworte mir, Gott meiner Gerechtigkeit! In der Enge / Bedrängnis (sar) hast du mir Raum geschaffen (rhb hif.). ˙ ˙ Sei mir gnädig, und höre auf mein Gebet! (Ps 4,2) 19 Sie (sc. die Feinde) näherten sich mir am Tag meines Unheils, doch wurde JHWH mir zur Stütze. 20 Er führte mich hinaus ins Weite (mærhāb), ˙ er riss mich heraus, denn er hatte Gefallen an mir. (Ps 18,20) Aus den Bedrängnissen (sārôt) meines Herzens verschaffe mir Weite (rhb hif.), ˙ ˙ und aus meinen Beklemmungen führe mich hinaus (ys᾽ hif.)! (Ps 25,17) ˙ Aus der Bedrängnis (mesar) rief ich JH, ˙ in der Weite (mœrhāb) erhörte mich JH. (Ps 118,5) ˙ 156 Dass
die Angesichter „Glut eingesammelt“ haben, bedeutet, dass sie bleich geworden sind, vgl. Kipfer, aaO 37 f. 157 Vgl. ders., aaO 168 f, für das Alte Testament s. Kipfer, aaO 47 ff.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 177
Ein locus classicus für diese Thematik ist Ps 31, der am Ende seines ersten, von Bitten und Vertrauensaussagen geprägten Teils auf die Antithetik von „Enge, Bedrängnis“ und „Weite“ rekurriert: 7 8 9
Ich hasse die, die nichtige Wahngebilde verehren (< bewahren), ich selbst aber habe auf JHWH vertraut. Ich will jubeln und mich freuen an deiner Güte, der du gesehen hast mein Elend, der du dich gekümmert hast um die Bedrängnisse (sārôt) meines Lebens! ˙ Und nicht hast du mich preisgegeben in die Hand des Feindes, du hast gestellt meine Füße auf weiten Raum (mærhāb). ˙
Anschaulich wird hier die Lebenssituation des Beters mit Hilfe des Gegensatzes „Hand des Feindes“ (V. 9a) vs. „Füße des Beters“ (V. 9b) geschildert, wodurch die ungehinderte Bewegungsfreiheit plastisch zum Ausdruck kommt. Möglicherweise ist der Beter sogar mit seinen Füßen in ein von den Feinden über einer Grube gespanntes Netz geraten (vgl. V. 5a), aus dem ihn JHWH befreit hat. Auf jeden Fall ist mit den „Füßen“ das Gehen-Können, also die elementare Bewegungsfreiheit gemeint.158 Wenn man die Wendung von den „Bedrängnissen meines Lebens“ (V. 8b) aufgrund der Netzaussage von V. 5a wörtlich nimmt, wird auch die Wendung vom „(Hin)Stellen“ (῾md hif.) der Füße „auf weiten Raum“ verständlich: als figurative Aussage für das Rettungshandeln JHWHs (vgl. Ps 30,8a). Dieser Gott rettet auch, wie der Beter von Ps 91,5 f hofft, vor übermenschlichen Gefahren, die nichts als Angst und Schrecken verbreiten: 5 6
Nicht brauchst du dich zu fürchten vor einem Schrecken in der Nacht, vor einem Pfeil, der daherfliegt am Tag, vor der Pest, die in der Finsternis umhergeht, vor der Seuche, die verwüstet am Mittag.
Es gibt auch andere Weisen, mit Angst und Furcht umzugehen und sie zu überwinden – nämlich nicht mit Gottvertrauen, sondern durch Vernunft. Dieses Paradigma ist in der hellenistischen Philosophie (Stoa, Epikureismus) und bei ihren Protagonisten verbreitet. Bei der Überwindung der Furcht vor den Göttern und vor dem Tod ging es ihnen um die Vermeidung von Unlust.159 Der Todesfurcht hielt etwa Epikur (341–270 v. Chr.) seinen berühmten Satz entgegen, dass der Tod uns nichts angehe, weil er der Verlust der Wahrnehmung sei (Q 159, zur Rezeption durch Lukrez s. Q 184). Der Topos Furchtüberwindung durch Vernunft spielt auch in der jüdisch-hellenistischen Weisheit Salomos (SapSal 17,12– 15) eine Rolle, und zwar im Kontext der Nacherzählung der ägyptischen Plagen, wo argumentiert wird, dass die irrationale Furcht vor der Nacht und dem Tod „jene Menschen heimsucht, die üble Taten begehen und nicht auf die Stimme ihres Gewissens hören“160. Hier fällt denn auch der – äußerst problematische – Spitzensatz, dass die Furcht nichts anderes sei als eine Preisgabe der von der Vernunft gebotenen Mittel (SapSal 17,12, s. Q 199). 158 Zu
den Füßen als „Stellvertreterausdruck der Person“ s. oben 150 f. dazu Hossenfelder, Glückslehren, 172 f.204 ff.221 ff. 160 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 176. 159 S.
178 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
β) Das erschöpfte Selbst Altes Testament: Barré, Depression, 177 ff ◆ Janowski, Selbst, 77 ff; Kselman, Depression,
275 ff ◆ Ders. / Barré, Psalm 55, 440 ff ◆ Kruger, Gefühle, 243 ff ◆ Veijola, Depression, 158 ff. –
Antike Religionen: Maul, Wissenskultur, 8 ff ◆ Ritter / Wilson, Prescription, 23 ff ◆ Stol, Suffering, 57 ff ◆ Zernecke, Gott, 180 ff ◆ Zgoll, Kunst, 88 ff. – Medizin, Kulturwissenschaft:
Ehrenberg, Selbst ◆ Fuchs, Chronopathologie, 52 ff ◆ Lepenies, Melancholie.
Das, was wir Depression nennen, ist ebenso komplex wie Angst und Furcht, zuweilen aber ungreifbarer.161 Sie ist eine besondere Form „personaler Erkrankung“162, die das gesamte Verhalten bestimmt. Ein berühmtes Beispiel ist der Fall des Königs Saul (1 Sam 16,14–23, s. Abb. 28), der statt vom „Geist JHWHs“ immer wieder von einem „schlimmen Geist“ überfallen wurde und dem der junge David als Musiktherapeut zur Seite trat: Sooft der Gottesgeist zu Saul kam, nahm David die Leier und spielte (darauf) mit seiner Hand. Und Saul war erleichtert (rāwah)163 und es ging ihm (wieder) gut, und der ˙ schlimme Geist wich von ihm (V. 23).
Abb. 28: Otto Dix, Saul und David (1958)
dazu Fuchs, Gehirn, 273 ff u. a. Zu den sozialen Aspekten der Depression s. Lepenies, Melancholie und Ehrenberg, Selbst. 162 Fuchs, aaO 274. 163 Vgl. Hi 32,20: „Ich will reden, damit ich erleichtert bin (rāwah), die Lippen öffnen und ant˙ worten“. 161 S.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 179
Sauls Schwermut – sein „schlimmer Geist“– hatte offenbar etwas mit seiner Verwerfung durch Gott zu tun und wurde auf dessen überfallartige Einwirkung zurückgeführt (V. 14 f). Die den depressiven Anfall beendende Erleichterung, die ihm durch Davids Leierspiel verschafft wurde, wird mit dem Zustandsverb rāwah ˙ „(weit sein / werden >) erleichtert sein“164 ausgedrückt. Wenn Saul durch Davids Leierspiel „Erleichterung“ erfährt, muss er zuvor „beschwert“ oder „niedergedrückt“ gewesen sein. Dieses Beispiel zeigt, dass depressive Verstimmungen „mit einer tiefgreifenden Veränderung, einer Einengung bzw. Restriktion des Leiberlebens einher(gehen)“165. Zur Phänomenologie der Depression gehören spezifische Eigenheiten in der Körperhaltung (niedergedrückt, abwärts gerichtet) und in der Körperbewegung (schleppend / unruhig). Typisch sind auch Appetitlosigkeit, Schlafstörungen und Verstummen, jeweils in Verbindung mit wiederkehrenden Gedanken an den Tod. Von den über 40 Texten, die von M. L. Barré, J. Kselman und P. Kruger für das Thema „Depression“ veranschlagt werden, bleiben m. E. 25 oder – falls Jes 38,15; Spr 15,13 und 17,22 nicht in Frage kommen – nur 22 übrig, die dafür relevant sind.166 Diese Texte lassen sich folgenden Themenaspekten zuordnen: – Körperhaltung/-bewegung (2 Sam 12,16; 1 Kön 21,27; Jer 8,21; Ps 38,7.9; 42,10; 43,2; 55,3.8; 56,9; Hi 30,28; Klgl 1,1.7; 2,10; 3,19.28) – Schlafstörungen (Jes 38,15 (?); Ps 102,8; Hi 7,4) – Appetitlosigkeit (Ps 102,5) – Niedergeschlagenheit (Spr 15,13; 17,22 [?]) – Verstummen / Schweigen (Ps 38,14 f; Klgl 2,10; 3,28) – Unspezifisch (1 Sam 16,23)
Abb. 29: Aspekte der Depression im Alten Testament
Semantik der Depression Die meisten Texte, die für das Krankheitsbild „Depression“ in Frage kommen, finden sich in den Psalmen (11), in den Klageliedern (5), im Hiobbuch (2) und im Sprüchebuch (2?). Je ein Text entfällt auf 1 Sam, 2 Sam, 1 Kön, Jes (?) und Jer. Die häufigsten Symptome sind dabei anormale Körperhaltungen und -bewegungen. In ihrem Umkreis können weitere Verben auftreten, die ursprünglich anderen Kontexten – vor allem dem Trauerritual – angehören, aber von dort auf das Phänomen „Depression“ übertragen wurden. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich die Bedeutungsaspekte der relevanten Verben und Wendungen überlappen, um die körperliche und soziale Notlage des Beters so umfassend wie möglich
dazu Ges18, 1224 s. v. rwh und Olyan, Disability, 70 f mit Anm. 27, vgl. auch die Nominal˙ bildungen ræwah „Erleichterung, Rettung“ (Est 4,14) und rewāhāh „Erleichterung“ (Ex 8,11; ˙ ˙ Klgl 3,56). 165 Fuchs, aaO 274 f. 166 S. dazu Janowski, aaO 116 f. 164 S.
180 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
darzustellen. Anders gesagt: Der Komplexität des Phänomens „Depression“ entspricht die Komplexität bzw. Multiperspektivität seines sprachlichen Ausdrucks. Hier gibt es Analogien zu vergleichbaren mesopotamischen Gebeten (s. Q 81 und Q 82). Das entsprechende Material lässt sich in zwei Bedeutungsgruppen gliedern: Verben, die eine anormale Körperhaltung bezeichnen dkh nif. „zerschlagen sein“ (Ps 38,9) jrd hif. „hinabsteigen lassen“ + lā᾽āræs „(den Kopf ) zu Boden sinken lassen“ (Klgl 2,10) ˙ jšb q. „sich setzen, sitzen“ + bādād „einsam“ (Klgl 1,1; 3,28) + lā᾽āræs „auf dem Erdboden“ (Klgl 2,10, vgl. Q 185) ˙ ῾wh nif. „gebeugt, verdreht, verstört sein“ (Ps 38,7) pûg nif. „matt werden, erkalten“ (Ps 38,9) qdr q. „schwarz werden, sich verfinstern > niedergedrückt sein“ (Ps 42,10; Ps 38,7; Hi 30,28; 43,2) šbr hof. „zerbrochen sein / werden“ (Jer 8,21) šhh q. „sich bücken / beugen > niedergebeugt sein“ (Ps 38,7) ˙˙ škb q. „sich (nieder)legen, liegen“ (1 Kön 21,27) + ᾽arsāh „auf die Erde“ (2 Sam 12,16) ˙
Verben, die eine anormale Körperbewegung bezeichnen
hlk pi. „ziellos umhergehen, hin- und hergehen“ (1 Kön 21,27; Ps 38,7; Hi 30,28) hitp. „ziellos umhergehen, hin- und hergehen“ (Ps 43,2) ndd q. „(rastlos, ziellos) fliehen“ (Ps 55,8, vgl. nedudîm „Unrast, Schlaflosigkeit“: Hi 7,4) nwd q. „umherirren, fliehen“ (Ps 56,9) rwd hif. „umherirren“ (Ps 55,3, vgl. mārûd „Heimatlosigkeit, Unrast“: Klgl 1,7, vgl. Klgl 3,19)
Abb. 30: Anormale Körperhaltungen/-bewegungen in alttestamentlichen Texten
Zwei Textbeispiele Gehen wir für unsere Überlegungen von dem Musterbeispiel Ps 38 aus. Entsprechend der Struktur der Klagelieder des Einzelnen167 enthält er die klassischen Gattungselemente Klage, Bitte, Vertrauensäußerung und Sündenbekenntnis. Besonders zu beachten sind die Invokationen (V. 2.10.16.22 f), weil sie Wendepunkte des Bittgeschehens markieren. Der Psalm hat einen konzentrischen Aufbau mit zwei Rahmenteilen (V. 2 f.22 f) und drei gleichlangen Strophen (V. 4–9.10–15.16–21), die sich zu einem ABA’-Chiasmus fügen. Der folgende Textausschnitt beschränkt sich neben den Eingangsbitten von V. 2 f auf die Elendsschilderung V. 4–9 und die Klage über körperliche Ohnmacht und soziale Isolation V. 10–15:
167 S.
dazu unten 503 ff.
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 181
Eingangsbitten mit Gott-Klage (→ 22 f) 2 3
JHWH, in deinem Zorn weise mich nicht zurecht, und nicht in deinem Grimm züchtige mich! Denn deine Pfeile sind eingedrungen in mich, und es fuhr herab auf mich deine Hand.
Elendsschilderung (Ich-Klage) 4 5 6 7 8 9
Keine heile Stelle ist an meinem Fleisch wegen deines Zorns, nichts Heiles ist an meinen Gebeinen wegen meiner Sünde. Fürwahr, meine Vergehen sind mir über den Kopf gewachsen, wie eine schwere Last sind sie zu schwer für mich. Gestunken, geeitert haben meine Wunden wegen meiner Torheit. Ich war gekrümmt, niedergebeugt gar sehr, den ganzen Tag ging ich niedergedrückt umher. Denn meine Lenden waren voller Brand, und keine heile Stelle war an meinem Fleisch. Ich war erstarrt und zerschlagen gar sehr, ich brüllte (auf) wegen des Gestöhns meines Herzens.
Klage über körperliche Ohnmacht und soziale Isolation Vertrauensbekenntnis mit Invocatio + Ich-Klage 10 Herr, vor dir ist all mein Sehnen, und mein Seufzen war dir nicht verborgen! 11 Mein Herz pochte heftig, verlassen hat mich meine Kraft, und das Licht meiner Augen – auch diese – ist nicht (mehr) bei mir. Freund-Klage 12 Meine Freunde und Gefährten stehen abseits von meiner Plage, und meine Verwandten standen von fern. 13 Es legten Schlingen, die nach meinem Leben trachteten, und die mein Unheil suchten, redeten Verderben und Betrügereien sinnen sie den ganzen Tag.168 Ich-Klage 14 Ich aber bin wie ein Tauber, höre nicht hin, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. 15 Ich wurde wie ein Mann, der nicht hört und in dessen Mund keine Widerreden sind.
Die Eingangsbitte V. 2 f gibt als Thema die zürnende Zurechtweisung Gottes an, um deren Nicht-Ergehen der Beter bittet und deren Auswirkung er mit traditionellen Sprachbildern („Pfeile“, „Hand“) beschwört. Die zwischen Zorn und Zurechtweisung geknüpfte Verbindung ist auch für den ersten Teil der Elends168 V. 13b
dürfte eine Fortschreibung darstellen.
182 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
schilderung V. 4–9 leitend, wenn der Zorn JHWHs als Reaktion auf die Sünde des Beters in Kraft gesetzt wird. Dieser Zusammenhang wird sprachlich durch die drei Termini „Sünde“, „Vergehen“ und „Torheit“ unterstrichen. Darüber hinaus ist auch das Ausmaß der Belastung („schwere Last“ V. 5) zu beachten, die als Folge der Vergehen des Beters durch die herabfahrenden Pfeile und die niedergesenkte Hand Gottes (V. 3) hervorgerufen worden ist. Dadurch wird eine Abwärtsbewegung indiziert, die den Beter „krümmt“ und „niederbeugt“ (vgl. V. 7). Mit dem Hinweis auf die schweren körperlichen Schädigungen in V. 4 und V. 6169 wird das Thema angeschlagen, das im zweiten Teil der Elendsschilderung in den Vordergrund tritt und das in V. 8b die Formulierung von V. 4a („keine heile Stelle an meinem Fleisch“) wieder aufnimmt: 7 8 9
Ich war gekrümmt (῾wh nif.), niedergebeugt (šhh q.) gar sehr, ˙˙ den ganzen Tag ging ich niedergedrückt umher (qdr Ptz. q. + hlk pi.), denn meine Lenden waren voller Brand, und keine heile Stelle war an meinem Fleisch. Ich war erschöpft (pûg nif.) und zerschlagen (dkh nif.) gar sehr, ich brüllte (auf) wegen des Gestöhns meines Herzens.
Eine medizinisch korrekte Diagnose ist mit dieser Elendsschilderung nicht beabsichtigt. Vielmehr machen die fünf verba depressionis das Ausmaß der physischen und psychischen Niedergeschlagenheit des Beters deutlich. Während V. 7 mit den beiden Verben „gekrümmt sein“ (῾wh nif.) und „niedergebeugt sein“ (šhh q.) sowie mit der Wendung „niedergedrückt umhergehen“ (qdr Ptz. q. + ˙˙ hlk pi.) die krank machenden Folgen der Sünde ausmalt, kennzeichnet V. 9 mit dem seltenen Verb pûg nif. „matt werden, erkalten“ den Zustand der Lebensminderung,170 in den der Beter eingetreten ist. An diesem Punkt wird mit dem Vertrauensbekenntnis V. 10 der erste Schritt zu einer Wende getan – der zweite folgt mit V. 16 –, auch wenn der Beter in V. 11–15 wieder in die Klage zurückfällt und seine physische und soziale Ohnmacht eingesteht. Während V. 12 f die soziale Dimension der Not durch das aggressive Verhalten der Freunde, Gefährten und Verwandten des Beters ausmalt (vgl. Ps 41,6–10; Hi 19,13–19 u. a.), nennt V. 11 mit dem heftig pochenden Herzen (Rückgriff auf V. 9b) und dem schwindenden Licht der Augen diejenigen Körperorgane, die als Zentralinstanz im Inneren des Menschen gelten (Herz) und für 169 Neben Jes 53,5 ist auch die Schilderung des schwer verletzten Israel in Jes 1,6 zu vergleichen:
„Der ganze Kopf ist wund, das ganze Herz ist krank. Von der Fußsohle bis zum Scheitel ist nichts heil an ihm. Beule, Strieme und frischer Schlag: Sie sind nicht ausgedrückt, nicht verbunden, nicht mit Öl gelindert.“ 170 Vgl. zur Bedeutung von pûg noch Gen 45,26: Als Josephs Brüder ihrem Vater Jakob erzählen, dass Joseph lebt und Herrscher in Ägypten ist, reagiert dieser ganz apathisch: „Aber sein Herz wurde matt / erkaltete (pûg), denn er glaubte ihnen nicht.“ Erst als sie die Worte zitieren, die Joseph zu ihnen geredet hatte, und er die Wagen sah, die dieser mitgeschickt hatte, lebte sein Lebensgeist (rûah) wieder auf (V. 27). ˙
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 183
die Kommunikation mit der Außenwelt sorgen (Augen). Beide haben hier ihre Funktion verloren. Aber nicht nur das, auch die Ohren und der Mund versagen ihren Dienst, so dass sich der Beter am Ende als „taub“ (hereš) und „stumm“ ˙ (᾽illem) bezeichnet. Die Fortsetzung von Ps 38 gibt keinen Aufschluss darüber, ob sich die Lage des Beters gebessert hat oder bessern wird. Nach dem Bekenntnis der Zuversicht angesichts bestehender Anfeindungen (V. 16–21)171 endet der Text in V. 22 f mit Bitten um Nähe, Hilfe und Rettung, die an Dringlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Eine Depression, so können wir festhalten, ist eine „personale Erkrankung“172, die das gesamte Verhalten bestimmt. In keinem der relevanten Texte gibt es allerdings Hinweise auf eine medizinische Therapeutik zur Behandlung dieser Krankheit. Angesichts dessen stellt sich die Frage nach dem alttestamentlichen Krankheits- und Heilungsverständnis. Exkurs 8: Krankheit und Heilung Altes Testament: Berlejung, Krankheit, 26 ff ◆ Beyerle, „Medizin“, 45 ff ◆ Frevel, Art. Krank-
heit, 301 ff ◆ Frey-Anthes, Unheilsmächte, 68 ff ◆ Janowski, Krankheit, 47 ff ◆ Kaiser, Krankheit, 218 ff ◆ Niehr, Arzt, 3 ff ◆ Paganini, „Krankheit“, 291 ff ◆ Ruwe / Starnitzke, Art. Krankheit / Heilung, 315 ff ◆ Seybold, Gebet ◆ Ders., Art. hālāh, 960 ff ◆ Ders. / Müller, Krankheit ◆ ˙ Stoebe, Art. rp᾽, 803 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 209 ff. – Antike Religionen: Frey-Anthes, Unheilsmächte, 71 ff ◆ Maul, Lösung, 79 ff ◆ Reuthner, Schwestern, 77 ff ◆ Steinert, Aspekte, 526 ff ◆ Westendorf, Heilkunst. – Philosophie, Theologie, Kulturwissenschaft: Böhme, IchSelbst, 228 ff ◆ Etzelmüller, Mensch, 163 ff ◆ Rothschuh, Art. Krankheit, 1184 ff ◆ Schockenhoff, Ethik, 298 ff ◆ Waldenfels, Platon, 146 ff.
Krankheit und Heilung gehören zweifellos zu den anthropologischen Konstanten. Sie betreffen alle Menschen, werden aber unterschiedlich erlebt. Als krank gilt jemand, „der wegen eines Verlustes des abgestimmten Zusammenwirkens der leiblichen, seelischen oder leibseelischen Funktionsglieder der Organismus subjektiv oder klinisch hilfsbedürftig wird“173. Deutlich ist dabei, dass Krankheit und Behinderung „Widerfahrnisse (sind), die einen unausweichlich mit dem Faktum Leib zu sein konfrontieren“174 und deshalb eindringlich zeigen, was es heißt, Mensch zu sein. Das gilt auch für das Alte Testament und den Alten Orient, deren Konzepte von Krankheit und Heilung gegenüber dem heutigen Verständnis weltbildgebunden und gottbezogen sind.
171 In
der Feind- und Ich-Klage von V. 17 f ist wie in V. 7 von der unsicheren Körperhaltung/ -bewegung des Beters die Rede: „(17) Fürwahr, ich sprach: ,Damit sie sich nicht freuen über mich, nicht großtun gegen mich beim Wanken meines Fußes.‘ (18) Fürwahr, dem Straucheln bin ich nahe, und mein Schmerz ist mir ständig vor Augen“, vgl. noch Ps 35,15. 172 Fuchs, aaO 274. 173 Rothschuh, Art. Krankheit, 1187. 174 Böhme, Ich-Selbst, 228, vgl. Etzelmüller, Mensch, 163 ff u. a.
184 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Kriterien für Krankheit und Heilung Bei dem Versuch, das spezifisch alttestamentliche Konzept von Krankheit und Heilung zu umreißen, trifft man zunächst auf die Frage nach den Kriterien für die Bestimmung der Krankheits- und Heilungstexte des Alten Testaments.175 Dazu gehören nach K. Seybold176 Sprachelemente, Vorstellungsformen, soziale Implikationen und religiöse Praktiken, im Einzelnen:
– Krankheits- und Heilungstermini wie hālāh „schwach, krank werden / sein“,177 kā᾽ab ˙ „Schmerz empfinden, leidend sein“, sāla῾ „hinken, lahmen“ u. a. und hjh qal./pi./hif. ˙ ˙ „wiederaufleben, genesen (lassen)“, hālam „kräftig werden, erstarken“, rāpā᾽ „hei˙ len“178 u. a. – Bestimmte Auffassungen über Tod und Leben, Scheol-Motiv, Reste magischer Vorstellungen, Sünde/Strafe-Korrelation u. a. – Vereinsamung, Aussatz (sāra῾at),179 Ächtung, Anfeindung, kultische Unreinheit u. a. ˙ – Beschwörungen, Orakeleinholungen, Krankengebete, Bußriten, kultische Heilpraktiken (Amulette)180 u. a.
Hinzukommen zwei weitere Aspekte. Zum einen besteht zwischen Krankheit und Heilung eine gewisse Asymmetrie, weil die Heilung immer JHWH zugeordnet ist, während die Krankheit auf JHWH („Zorn Gottes“, „Hand Gottes“), auf menschliche Schuld, aber auch auf das Einwirken von Unheilsmächten (wie „Krankheit, Pest“, „Seuche [?], Stachel“) zurückgeführt wird. Es gibt also äußere und innere Ursachen der Krankheit, die zuweilen miteinander verknüpft werden. Zum anderen ist zu beachten, dass es im alten Israel zwar Priester (Lev 13 f; Dtn 24,8) und Propheten (2 Kön 5,1–17; Jes 38,1.21 u. a.) mit diagnostischen und therapeutischen Kompetenzen gab, die heilende Wirkung aber in der Hand JHWHs, des „Heilenden“, lag (Ex 15,26, vgl. Hos 6,1; Ps 103,3; 147,3 u. a.).181 So heißt es im Moselied Dtn 32,49: Jetzt erkennt, dass ich, (ja) ich es bin, und mit mir gibt es keinen Gott. Ich töte und mache lebendig, ich habe zerschmettert und ich mache (wieder) heil (rāpā᾽), und niemand kann aus meiner Hand entrinnen.182 Blick auf die Psalmen hat Seybold, Gebet, 98 ff.123 ff.153 ff.169 f die Unterteilung in Psalmen mit sicherem Bezug (Ps 38; 41; 88; Ps III [syr.3 = 11QPsa 155]), Psalmen mit wahrscheinlichem Bezug (Ps 30; 39; 69; 102; 103; Jes 38,9 ff) und Psalmen mit unsicherem Bezug zu Krankheit oder Heilung (Ps 6; 13; 32; 51; 91) vertreten, vgl. ders. / Müller, Krankheit, 11 ff. Diese Einteilung ist allerdings kritisch zu sehen. 176 S. dazu Seybold, aaO 17 ff.165 f, vgl. Achenbach, Klagegebete II, 584 ff. 177 S. dazu Seybold, hālāh, 960 ff und Paganini, aaO 292 ff. ˙ 178 S. dazu Stoebe, Art. rp᾽, 803 ff u. a. 179 S. bes. Lev 13; Lev 14,1 ff und dazu Gerstenberger, Leviticus (ATD), 140 ff.155 ff.158 ff und Hieke, Levitikus (HThK.AT), 465 ff.494 ff. 180 S. dazu Beyerle, aaO 69 ff und Staubli, Amulette, 91 ff. 181 S. dazu Lohfink, Arzt, 121 ff; ferner Niehr, Arzt, 6 ff. Von Ärzten ist nicht erst in Sir 38,1 ff (s. Q 198) und Tob 2,10, sondern bereits im 7./6. Jh. v. Chr. die Rede, s. dazu Kaiser, Krankheit, 222 f. Zu den Heilmitteln und Heilpflanzen im alten Israel s. Neumann-Gorsolke / Riede (Hg.), Kleid, 80 ff und Beyerle, aaO 58 ff. 182 S. dazu und zu Ex 15,26 Beyerle, aaO 48 ff. 175 Im
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 185
Da das Erlebnis von Krankheit und Heilung in den Gesamtrahmen einer religiösen Daseinsbewältigung eingebunden ist, kann man von einer „konventionierten Typik“183 sprechen. Diese Typik bildet einen „Ersatz für fehlende begriffliche Klarheit“184 und wird damit der sprachlichen und motivlichen Eigenart der Texte gerecht. Das sei an zwei Texten bzw. Themenfeldern verdeutlicht.
Psychosomatische und -soziale Aspekte Das erste Beispiel ist das individuelle Klagelied Ps 102, das mit einer fünffachen Bitte um die Zuwendung JHWHs einsetzt (V. 2 f) und in drei Klagegängen (V. 4–6.7–9.10 f) und einer abschließenden Vergänglichkeitsklage (V. 12) die Leiderfahrung des Beters thematisiert. Die Dringlichkeit der Klagen wird an der Verschränkung mehrerer Ebenen sowie an der Häufung der Bilder und Vergleiche deutlich. Zunächst tritt mit der Ich-Klage die Leibsphäre des Beters in den Vordergrund: 4 5 6
Denn vergangen sind in Rauch meine Tage und meine Gebeine (῾æsæm pl.f.) – wie ein Kohlebecken glühten sie. ˙ Versengt wie das Gras und verdorrt ist mein Herz (leb), denn ich vergaß, mein Brot zu essen. Vom Klang meines Stöhnens klebte mein Gebein (῾æsæm) an meinem Fleisch (bāśār). ˙ Die Notlage des Beters schlägt sich danach in psychosomatischen Symptomen nieder: seine Gebeine „glühten“ (V. 4b, vgl. Hi 30,30b) und „klebten“ an seinem Fleisch (V. 6b).185 Die Auszehrung durch (Fieber-)Hitze zeigt sich nicht nur an den äußeren Körperpartien (Gebein, Fleisch), sondern reicht bis ins Innere der Person (Herz), der aufgrund der Appetitlosigkeit die stärkende Nahrung („Brot“) fehlt (V. 5). Daraus eine exakte Krankheitsdiagnose ableiten zu wollen, scheint unangebracht. Vielmehr geht es um „die subjektive Empfindung des gestörten Lebens“186, das in jeder Hinsicht, d. h. äußerlich (Gebein, Fleisch) wie innerlich (Herz), von der „Not“ (V. 3a) tangiert ist. Die zweite Ebene betrifft die Sozialsphäre des Beters. Sie kommt in der Feindklage V. 7–9 zur Geltung und umfasst die beiden Motive Einsamkeit (V. 7 f) und Anfeindung (V. 9): 7 8 9
Ich gleiche einer Dohle der Wüste, ich bin geworden wie eine Eule in Trümmerstätten. Ich war schlaflos (šqd q.) und ich wurde wie ein Vogel, einsam (bdd Ptz. q.) auf dem Dach. Den ganzen Tag beschämten mich meine Feinde, die mich zum Gespött machen, haben mir geflucht.
Die soziale Isolation des Beters wird in V. 7 durch den Vergleich mit den unreinen Tieren „Dohle“ und „Eule“187 sowie den Genitivattributen „Wüste“ und „Trümmerstätten“ 183 Seybold,
Gebet, 168. ebd. 185 Vgl. Klgl 4,8 und Hi 19,20. 186 Brunert, Psalm 102, 116. 187 S. dazu Riede, Netz, 293 ff. 184 Ders.,
186 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs ausgedrückt. Diese Tiervergleiche sind nicht eine ästhetische Ausschmückung der Wirklichkeit, sondern Ausdruck eines Wirklichkeitsverständnisses, das man mit H.‑P. Müller als religiöse Daseinsaneignung bezeichnen kann.188 Das bedeutet: Im Vergleich wird das Geschick des Beters so eng mit der äußeren Wirklichkeit (Natur- und Kulturwelt) verbunden, dass dem Vergleichsempfänger (Beter) etwas vom Wesen des Vergleichsspenders („Dohle der Wüste“, „Eule in Trümmerstätten“, „Vogel auf dem Dach“) zugeeignet und so „durch das Anschaubare das Nicht-Anschaubare ein-sichtig“189 gemacht wird. Die Krankheit besteht danach nicht nur in körperlichem, sondern auch in sozialem Leiden: in Missachtung,190 Desintegration und Einsamkeit, kurz in der Zerstörung der Lebenswelt des Beters. Dementsprechend spiegelt die Gesundheit die Balance wider, die der Einzelne in der Auseinandersetzung mit seiner Mitwelt immer wieder herstellen muss – wenn er es denn kann! Gemeinsam ist dem alttestamentlichen Krankheits- und Heilungsbegriff aber nicht nur die Interaktion zwischen Mensch und Mitwelt, sondern auch die Einordnung dieser Interaktion in die Vorstellungen des JHWH‑Glaubens.
Soziale und theologische Aspekte Aufschlussreich für die sozialen und theologischen Aspekte von Krankheit ist u. a. der individuelle Dankpsalm Ps 41,191 der in V. 2–4 mit einer weisheitlich-paränetischen Sentenz einsetzt. Im Zentrum steht das ausführliche Klagegebet (V. 5–11), das nach einer Zitateinleitung zwei Bitten enthält, eine um Erbarmen (V. 5aβ // V. 11aα) und eine andere um Heilung (V. 5b): 2 3 4
Selig, wer auf den Geringen achtet: Am Tag des Unheils wird JHWH ihn retten. JHWH wird ihn behüten und ihn am Leben erhalten, und er wird glücklich gepriesen im Land – ja, du wirst ihn nicht preisgeben der Gier (næpæš) seiner Feinde. JHWH wird ihn stützen auf dem Siechbett – sein ganzes Lager hast du gewendet in seiner Krankheit.
5 6 7 8 9
Ich selbst sprach: JHWH, sei mir gnädig! Heile (rāpā᾽) mein Leben / mich (næpæš), denn ich habe an dir gesündigt! Meine Feinde reden Böses über mich: „Wann stirbt er und vergeht sein Name?“ Und wenn einer kommt, (mich) zu sehen, redet sein Herz Falsches, er sammelt sich Unheil zusammen, er geht hinaus, er redet. Gemeinsam zischeln über mich alle, die mich hassen, gegen mich ersinnen sie Böses für mich: „Eine Sache des Verderbens ist über ihn ausgegossen, und wer einmal liegt, steht nicht mehr auf!“
dazu Müller, Vergleich, 49 ff. Poetik 1, 193. 190 Zur sozialen Missachtung s. unten 207 ff. 191 Zu Ps 41 s. Janowski, Konfliktgespräche, 174 ff, ferner Bauks, Feinde, 84 ff; Kuckhoff, Psalm 6, 176 ff.184 ff.192 ff u. a. 188 S.
189 Seybold,
§ 4 Die Leibsphäre des Menschen 187
10 Sogar der Mann meines Friedens, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat groß getan (= geprahlt) gegen mich. 11 Aber du, JHWH, sei mir gnädig und richte mich auf, damit ich ihnen vergelten kann! Eine Heilungsbitte wie in V. 5 findet sich auch in anderen Klageliedern,192 wobei Ps 6,2– 4193 besonders interessant ist, weil diese Bitte zeigt, dass „heilen“ (rāpā᾽) nicht allein das Verbinden von Wunden, sondern das „Beleben“ von Leib und Leben (næpæš) meint: 2 JHWH, nicht in deinem Zorn weise mich zurecht und nicht in deiner Glut unterweise mich! 3 Sei mir gnädig (hānan), JHWH, denn verdorrt bin ich, ˙ heile mich (rāpā᾽), JHWH, denn schreckensstarr (bhl nif.) sind meine Gebeine (῾asmot), ˙ 4 und mein Leben (næpæš) ist sehr schreckensstarr (bhl nif.). Aber du, JHWH – bis wann? Die hier beschriebene Todeserfahrung kann nur durch einen Akt der „Heilung“, durch eine „Wiederbelebung“ (vgl. V. 3) überwunden werden. „Da die Krankheit als Ergriffenwerden vom Tod betrachtet wurde, ist Heilung ein Zurückführen ins Leben“194 – und zwar ein Zurückführen, das allein von „JHWH, dem Heilenden“ (Ex 15,26) bewerkstelligt werden kann. Die Feindschilderung von Ps 41,5–11, die eine kleine Phänomenologie des sozialen Todes195 darstellt, ist ausgesprochen dramatisch. Sie beginnt mit dem vernichtenden Todeswunsch zunächst außenstehender „Feinde“ (V. 6), lässt dann einen einzelnen Krankenbesucher (Nachbar oder Familienangehöriger?), der die Hilflosigkeit des Beters ausnutzt, auftreten (V. 7) und begleitet diesen vom Krankenbett nach draußen auf die Straße, wo man bereits dabei ist, dem Opfer mittels Zusammenrottung und regelrechter Todesdeklaration den Garaus zu machen (V. 8 f). Damit nicht genug, tritt auch noch der vertraute Freund in Erscheinung, der aus der Menge der Feinde hervorsticht, weil er zur unmittelbaren Umgebung des Geschundenen gehörte (Tischgemeinschaft) und jetzt zur höchsten Gefahr für ihn geworden ist. Dieser Kontrast von intimer Nähe und höchster Gefahr wird in V. 10 mit der Steigerungspartikel „sogar“ eingeführt. Die Feindschaft gegen den Kranken äußert sich nach Ps 41,8 als „Hass“,196 der sich gleichsam konspirativ entlädt: „alle“, die ihn hassen, zischeln gegen den kranken Beter und planen Unheilvolles gegen ihn. Worin dieses Unheil besteht, sagt die Todesdeklaration V. 9 mit Hilfe der seltenen Wendung „eine Sache des Verderbens“ (vgl. Ps 18,5; 101,3), die auf den Kranken wie eine Flüssigkeit „ausgegossen“ ist. Damit wird, genau wie in Ps 18,5 f, das Bild eines Menschen evoziert, der bereits die Unterwelt betreten und deren lebenzerstörende Macht erfahren hat:
192 Vgl.
Ps 6,3; 30,3; 60,4; 107,20; 147,3 u. ö. diesem Text s. Kuckhoff, aaO 99 ff.111 ff. 194 Lohfink, Arzt, 126 Anm. 102, vgl. Niehr, Arzt, 11 f. 195 Zum Begriff ‚Sozialer Tod‘ s. Janowski, Konfliktgespräche, 47 f. 196 Zum „Hassen“ s. oben 167 ff. 193 Zu
188 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 5 6
Schlingen des Todes umgaben mich, und Ströme des Verderbens erschrecken mich. Stricke der Unterwelt umfingen mich, Fangnetze des Todes näherten sich mir.
Im Licht dieser Klage deutet die Todesdeklaration von Ps 41,9 an, dass der Beter in den Augen seiner Feinde bereits von chaotischen „Strömen des Verderbens (belija῾al)“ (Ps 18,5b) erfasst und allseits umgeben ist.197
Polarität von Leben und Tod Für das alttestamentliche Konzept von Krankheit und Heilung ist das Fehlen einer regelrechten medizinischen Diagnostik und Therapeutik zu konstatieren und stattdessen von einer „konventionierten Typik“198 auszugehen, die auf den Gesamtrahmen einer religiösen Daseinsbewältigung bezogen ist. Im Vordergrund steht demzufolge nicht die exakte „wissenschaftliche“ Krankheitsdiagnose, sondern die „subjektive Empfindung des gestörten Lebens“199, also das Erlebnis des drohenden Todes, der die Trennung von JHWH, dem Gott des Lebens, bedeutet. Diese Polarität von Leben (Heil-Sein, soziale Integrität, Gottesnähe) und Tod (Unheil, soziale Ausgrenzung, Gottesferne) ist der Erfahrungs- und Deutungshorizont, in den alle Widerfahrnisse von Krankheit und Heilung im alten Israel eingeordnet wurden. Die Auflösung dieser Polarität zugunsten des Lebens ist gleichbedeutend mit der Erfahrung des Heil-Seins / Werdens. 𓇼
Bedeutung von belija῾al s. Otzen, Art. belija῾al, 654 ff. Eine Sachparallele für diese kosmische Dimension von Krankheit und Heilung bietet zum einen das berühmte LamaštuAmulett aus Assur (Q 85) und zum anderen das Bann-Lösungs-Ritual BAM 234 (Q 82). 198 Seybold, Gebet, 168. 199 Brunert, Psalm 102, 116, vgl. Frevel, Art. Krankheit / Heilung, 301. 197 Zur
Nachtrag zu § 4 (143 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Person“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). Wichtige Aspekte, die eine gesonderte Darstellung verdienen, sind das Thema „Schlafen und Wachen/Schlaflosigkeit“ (s. dazu Dällenbach, Schlaf ) und die Anthropologie des Schmerzes, s. dazu Sager, Die Leidtragenden, 76 ff. Zu einzelnen Aspekten wie dem Geburtsschmerz, dem Zusammenhang von Schmerz und Krankheit, den chronischen Schmerzen, den durch Gewalt verursachten Schmerzen und den Todesschmerzen s. ders., aaO 109 ff. 1. Der Körper und seine Organe a) Die äußeren Körperteile (145 ff ) Zur Funktion des Gesichts im alten Ägypten – seine Hin- und Abwendung ist „Zeichen der Wahrnehmung und Kommunikation“ – und seinen einzelnen Organen (Auge, Ohr, Mund) s. Gräßler, Konzepte, 70 ff.73 ff. Exkurs 7: Physiognomik (151 ff ) Interessant ist der Vergleich mit der ägyptischen Gesichtswahrnehmung, s. dazu Gräßler, Konzepte, 65 ff. b) Die inneren Körperorgane α) Herz und Nieren (154 ff ) Zur Bedeutung des Herzens im Alten Testament und in seiner Umwelt s. GrundWittenberg, Soliloquy, 485 f.486 ff; Janowski, Fühlen, 3 ff.; Lasater, Heart, 367 ff und Gies, Anthropologie, 22 ff. Zu den leb-Belegen im Sirachbuch s. Böhmisch, Anthropologie, 37 ff. 2. Die Welt der Emotionen a) Gegensätzliche Gefühle (167 ff ) Zum Motiv der Tränen in akkadischen und alttestamentlichen Gebeten s. Bosworth, Weeping. Zum „öffentlichen Weinen des Königs als Mittel politischer
190 Nachtrag zu § 4
Kommunikation in alttestamentlichen Texten“ (so der Untertitel des Aufsatzes) s. Naumann, „König“, 243 ff. b) Restriktionen des Leiberlebens (174 ff ) Ein kulturwissenschaftliches Kompendium der Gefühle hat Frevert, Gefühle vorgelegt. Behandelt werden, unterstützt von 61 Abbildungen und detaillierten Anmerkungen (442 ff ), zwanzig Themenaspekte und darunter auch die Angst (31 ff ). Angst ist ein starkes und komplexes Gefühl. Es ist so stark, dass es den Körper ergreift und selbst körperlich ist. Zu den medizinischen, psychologischen und philosophischen Aspekten der Angst s. Domschke, Angst, 13 ff u. a. Die Frage, wie der Angst widerstanden werden kann, ist nicht nur eine Frage unserer Zeit (s. dazu Böhme, Resilienz), sondern auch ein Thema der Individualpsalmen, s. dazu Móricz, Wie die Verwundeten; Hartenstein, Sünde, 167 ff; Frevel, Resilienzmuster, 203 ff; Janowski, Angst, 139 ff (zu Ps 22) und Wagner, Psalmen, 291 ff. Auch außerhalb des Psalters ist die psychische Widerstandskraft (Resilienz) ein zentrales Thema im Alten Testament, s. dazu die Beiträge in Gärtner / Schmitz (Hg.), Resilienznarrative. Exkurs 8: Krankheit und Heilung (183 ff ) Zur Krankheit im Alten (und Neuen) Testament s. den Überblickartikel von Eisele / Gross, Schlag, 237 ff. Zum Zusammenhang von Schmerz und Krankheit s. Sager, Die Leidtragenden, 116 ff.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was JHWH von dir fordert: nichts als Recht tun und Hingabe lieben und einsichtsvoll gehen mit deinem Gott. Micha 6,8
Bei den Ausführungen zur Leibsphäre1 ist immer wieder der Zusammenhang zwischen der leiblichen und der sozialen Dimension des Menschseins zur Sprache gekommen. Dieser Zusammenhang ist im Folgenden zu präzisieren, wobei der sozialen Dimension – ganz im Sinn von Mi 6,8 – besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Die Sozialität ist „die Vollzugsbedingung des Menschseins und somit der Ort, an dem sich das Menschsein des Menschen“2 erweist. Und umgekehrt zeigt sich seine Inhumanität oder Asozialität daran, was sich dieser „Einordnung durch die Normen des Menschlichen“3 entzieht und dementsprechend in destruktiver Gestalt auftritt. Legt man diese Leitdifferenzen zugrunde, so ergeben sich für die folgenden Überlegungen die beiden Gliederungsebenen Grundlagen des Zusammenlebens (1) und Gefährdungen des Zusammenlebens (2). Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach den alttestamentlichen Normen des Humanum. 1. Grundlagen des Zusammenlebens Altes Testament: Barton, Ethics ◆ Dietrich, Sozialanthropologie, 224 ff ◆ Frevel, Person, 65 ff ◆ Ders., Art. Anthropologie, 1 ff ◆ Grohmann, Diskontinuität, 34 ff ◆ Janowski, Tat, 167 ff ◆ Ders., Anerkennung, 192 ff ◆ Ders., Gott, 40 ff ◆ Ders., Identität, 32 ff.54 ff ◆ Kazen, Ethics, 431 ff ◆ Kessler, Ethik ◆ Kowalski, Gerechtigkeit, 95 ff ◆ Neumann, Art. Kultur, 37 ff ◆ Ders., Art. Person, 362 f ◆ Otto, Ethik, 81 ff ◆ Schroer, Grundlinien, 303 f ◆ Schroer / Zimmermann, Art. Mensch / Menschsein, 368 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 299 ff. – Antike Religionen: Assmann, Ma᾽at, 58 ff ◆ Ders., Der eine lebt, 147 ff ◆ Ders., Gemeinschaftskunst, 23 ff ◆ Ders. u. a. (Hg.), Gerechtigkeit. – Philosophie, Soziologie, Theologie: Böhme, Anthropologie, 1
S. oben 143 ff. Klein, Inhumanität, 427. Im Unterschied zur Sozialität als Vollzugsbedingung des Menschseins sind die Geschöpflichkeit und die Sterblichkeit dessen Konstitutionsbedingungen, s. dazu auch unten 561 ff. 3 Dies., aaO 435.
2
192 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 139 ff ◆ Höffe, Art. Anerkennung, 18 f ◆ Honneth, Anerkennung, 148 ff ◆ Iser, Art. Anerkennung, 291 ff ◆ Klein, Inhumanität, 427 ff ◆ Rosa, Resonanz, 331 ff.
a) Gemeinschaft und Barmherzigkeit In seinem Buch Kampf um Anerkennung hat der Sozialphilosoph A. Honneth Elemente einer „moralischen Grammatik sozialer Konflikte“ (so der Untertitel) zusammengestellt, um von ihnen her eine normativ anspruchsvolle Gesellschaftstheorie zu entwickeln. Danach sind soziale Konflikte durch bestimmte Typen von Missachtung motiviert, die sich als Misshandlung und Vergewaltigung, als Entrechtung und Ausschließung sowie als Entehrung und Beleidigung des anderen bestimmen lassen.4 Alle drei Missachtungsformen stellen Angriffe auf die physische, die soziale und die moralische Integrität der Person und ihrer Handlungsfähigkeit dar. Ihnen stehen drei Formen der Anerkennung gegenüber, die als Fürsorge, Achtung und Wertschätzung eine ungestörte Gemeinschafts- und Weltbeziehung ermöglichen: „Anerkennung ist ein wesentlich soziales Phänomen. (…) Während die A.(nerkennung) im schlichten Verständnis eine Belobigung oder, etwas anspruchsvoller, die im Ansehen zutage tretende Achtung fremder Leistung bedeutet, bezeichnet sie als philosophischer Grundbegriff eine Wechselbeziehung, jenen gegenseitigen Respekt, der sich weder zwischen Individuen noch zwischen Gruppen, Rechtsgemeinschaften und selbst Kulturen von allein einstellt.“5
α) Das Prinzip Anerkennung In der Tat: Anerkennung stellt sich nicht von allein ein, sondern sie ist eine „Form der Resonanz in unseren sozialen Weltbeziehungen“6. Wie aber, so ist zu fragen, kommt Anerkennung zustande und vor allem: was oder wer garantiert ihre Verbindlichkeit? Die Antworten, die das Alte Testament sowie die altorientalischen und die antik-mediterranen Kulturen auf diese Fragen geben, haben ihr Zentrum in der Idee der Gerechtigkeit.7 Begriffe wie ägyptisch ma᾽at „Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit“,8 akkadisch kittu „Recht“ und mīšaru „Gerechtigkeit“,9 hebräisch mišpāt „Recht(sentscheid)“ und sædæq/sedāqāh „Gerechtigkeit(stat)“ sowie grie˙ ˙ ˙ 4 5 6
7 8
9
S. dazu Honneth, Anerkennung, 212 ff. Höffe, Art. Anerkennung, 18, s. dazu auch Honneth, aaO 148 ff. Rosa, Resonanz, 332. Nach Rosa ist die klassische Anerkennungstheorie um resonanztheoretische Aspekte zu erweitern, denn: „Die Resonanztheorie geht … in ihrem Erklärungsanspruch über die Anerkennungstheorie hinaus, weil sie auch diejenigen Hoffnungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte, aber auch die Entfremdungs- und Frustrationserfahrungen zu erfassen und zu erklären vermag, die Menschen jenseits der Sozialsphäre haben oder machen“ (ders., aaO 333). S. dazu die Beiträge in Assmann u. a. (Hg.), Gerechtigkeit und unten257 ff. S. dazu Assmann, Ma᾽at, 58 f.178 f.283 ff und Q 31. S. dazu Janowski, Richter, 89 ff und Lämmerhirt, Wahrheit, 15 f.337 ff.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 193
chisch δίκη „Weisung, Richtspruch“, δικαιοσύνη „Gerechtigkeit“, θέμις „Satzung“ u. a. beziehen sich – so unterschiedlich sie im Einzelnen sind – auf den jeweiligen sozialen, politischen und kosmologischen Kontext. Ihnen ist gemeinsam, dass sie immer auch ,Weltordnung‘ bedeuten, insofern gerechtes Handeln ein Handeln in Übereinstimmung mit dem der Welt inhärenten Sinn ist. Die Welt ist ,aus den Fugen‘, wenn Recht und Gerechtigkeit nicht mehr greifen, d. h. wenn das Böse straffrei ausgeht und das Gute sich nicht mehr lohnt. Wer aber garantiert, dass das Gute sich lohnt und das Böse nicht straffrei ausgeht, dass der Bedrängte gerettet und der Frevler in die Schranken gewiesen wird? Es geht also um die Frage nach der letztinstanzlichen Grundlage gerechten Lebens und Handelns. β) Exodus 22,20–26 als Beispieltext Auf diese Frage gibt es unterschiedliche Antworten. Die Antwort des Alten Testaments besteht in der Idee einer rettenden Gerechtigkeit. Was damit gemeint ist, lässt sich an dem Transformationsprozess beobachten, der mit dem Begriff der ,Theologisierung des Rechts‘ bezeichnet wird.10 Dieser Prozess, in dessen Verlauf das Recht ins Zentrum der Gottesbeziehung Israels rückte und dessen Geschichte in der sozialen und politischen Krise der mittleren Königszeit (2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr.) begann,11 lässt sich an den Schutzbestimmungen für soziale Randgruppen in Ex 22,20–26 ablesen: Doppelprohibitiv (Fremdling) 20 Einen Fremdling sollst du nicht bedrücken und ihn nicht bedrängen, denn ihr seid Fremdlinge im Land Ägypten gewesen.
Prohibitiv mit Konditionalsatzgefüge (Witwe und Waise) 21 Keine Witwe und Waise sollt ihr erniedrigen. 22 Wenn du ihn wirklich erniedrigst, wenn er dann laut zu mir schreit, werde ich sein Geschrei ganz bestimmt erhören. 23 Dann wird mein Zorn entbrennen, und ich werde euch mit dem Schwert töten, so dass eure Frauen zu Witwen und eure Söhne zu Waisen werden.
Doppelprohibitiv (Armer) 24 Wenn du meinem Volk, dem Armen bei dir, Geld leihst, sollst du ihm gegenüber nicht wie ein Pfandnehmer auftreten. Ihr sollt auf ihn keinen Zins legen. S. dazu Otto, Ethik, 81 ff; Albertz, Theologisierung, 187 ff und Kessler, Ethik, 213 ff.218 ff. Während Otto, aaO 83 den Prozess der theologischen Rechtsbegründung als „Ausdifferenzierung eines Ethos aus dem Recht“ beschreibt, geht es nach Albertz, aaO 196 Anm. 27 umgekehrt um eine „Einbeziehung“ des Ethos ins Recht, vgl. Crüsemann, Tora, 224 ff und Kessler, aaO 218 ff. 11 S. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 248 ff; Otto, aaO 18 ff.83 ff, ferner Assmann, Politische Theologie, 63 ff; Janowski, Richter, 97 ff u. a. 10
194 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Gebot mit Begründung und Konditionalsatzgefüge (Nächster) 25 Wenn du den Mantel deines Nächsten als Pfand nimmst, sollst du ihm diesen bis Sonnenuntergang zurückgeben. 26 Denn er ist seine einzige Decke, er ist sein Gewand für seine Haut. Womit soll er sich hinlegen? Wenn er zu mir schreit, werde ich (es) hören, denn ich bin gnädig (hannûn ᾽anî).12 ˙ In V. 25 f geht es nicht wie in Dtn 24,17 um das Kleid einer Witwe, das nicht gepfändet werden darf,13 sondern um den Mantel des Bedürftigen, „deines Nächsten“ (rea῾), für den Solidarität eingefordert wird. Wer nichts weiter an seinem Körper trägt als einen Mantel, muss zwar damit rechnen, dass dieser als Pfand einbehalten wird – aber nur bis zum Sonnenuntergang. Denn auch ein völlig Verarmter braucht eine Decke, in die er sich hüllen kann, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen (vgl. Dtn 24,12 f). Der Mantel ist seine ,soziale Haut‘.
Angesichts der sozialen Verwerfungen, die die Propheten des 8. Jh.s v. Chr. in Reaktion auf den Gesellschafts- und Normenwandel ihrer Zeit beklagt hatten,14 griffen die Verfasser des älteren Bundesbuchs (Ex *20,24–23,19)15 zu der Lösung, Recht und Ethos in einem Rechtsbuch zu vereinen und damit beide Bereiche, für die im Alltag unterschiedliche Rechtsträger (Priester, Älteste, Richter) zuständig waren, „in ein und denselben Rechtswillen Jahwes zu integrieren“16. So hat die Paränese von Ex 22,20–26 ihren Zielpunkt in der Begründung von V. 26 und dessen Barmherzigkeitsmotiv: „… denn ich bin gnädig (hannûn)“ (vgl. ˙ Ex 34,6; Num 14,18; Ps 86,15 u. ö.).17 Sie zeichnet JHWH in der Funktion eines göttlichen Königs, der den Schrei des sozial Schwachen hört und ihm zum Recht verhilft – ebenso wie im Alten Orient der Sonnengott bzw. der ihn repräsentierende König den Bedrängten rettet und das Unrecht ahndet.18 Diese Kompetenz wird in Israel auf JHWH übertragen und damit „ein Ethos der Solidarität und der Barmherzigkeit mit den Schwachen in der Gesellschaft“19 begründet. Diese Theologisierung des Rechts gewann im Juda des 8. und 7. Jh.s v. Chr. eine Bedeu12
13
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15 16
17
18 19
Zu diesem Text s. Crüsemann, aaO 217 ff; Otto, aaO 83 ff.88 ff; Dohmen, Exodus II (HThK. AT), 172 ff; Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 114 ff; Janowski, Persönlichkeitszeichen, 330 f und Kazen, Ethics, 440 ff. Im Alten Testament gibt es kein grundsätzliches Pfändungsverbot, sondern lediglich Einschränkungen, die entweder das Objekt (Dtn 24,6.10 f), die Person (Dtn 27,17) oder die Dauer der Pfändung betreffen (Ex 22,25 f; Dtn 24,12 f), s. dazu Braulik, Deuteronomium II (NEB), 178.181 f.183 f. S. dazu unten 258 ff.271 ff. Zu Umfang, Datierung und Herkunft des ursprünglichen Bundesbuchs s. Dohmen, aaO 147 ff und Albertz, aaO 129 f. Albertz, Theologisierung, 195. Zur sog. Gnadenformel von Ex 34,6 f s. zusammenfassend Feldmeier / Spieckermann, Gott, 133 ff, ferner Janowski, Gott, 156 ff und Jeremias, Theologie, 290 ff. Zu einem epigraphischen Beleg für die Wendung hnn („gnädig sein“) + Subj. Gott aus Hirbet Bēt Layy s. Q 148. ˘ S. dazu unten 468 ff. ˙ Otto, aaO 85.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 195
tung,20 die die Herausbildung einer Kultur der Anerkennung beförderte und die – allen Widerständen zum Trotz – zu einem normativen Maßstab der gesellschaftlichen Entwicklung wurde. b) Paradigmen sozialer Anerkennung Die im Motiv des barmherzigen Königsgottes vorliegende Verbindung von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, die die Frage nach der Grundlage des sozialen und politischen Lebens zu beantworten suchte, ist „ein für die biblische Theologiegeschichte und ihren Gottesbegriff zentrales Ereignis“21. Sie begegnet in spätvorexilischer und exilisch-nachexilischer Zeit vor allem in Texten, die JHWH als Richter und Retter akklamieren.22 Einer ihrer Leittexte ist Ps 82,23 ein anderer Mi 6,1–8. Da dieser Text die Solidarethik explizit mit der Anthropologie verknüpft, steht er im Folgenden im Mittelpunkt. α) Das Ethos der Hingabe Altes Testament: Dietrich, Sozialanthropologie, 237 ff ◆ Ebach, Micha, 172 ff ◆ Feldmeier / Spieckermann, Gott, 131 ff ◆ Janowski, Tat, 167 ff ◆ Ders., Konfliktgespräche, 196 ff ◆ Ders., Anerkennung, 192 ff ◆ Ders., Kultkritik, 182 ff ◆ Kessler, Ethik, 425 ff.555 f ◆ Kowalski, Gerechtigkeit, 97 ff ◆ Michel, hæsæd, 73 ff ◆ Otto, Ethik, 81 ff ◆ Willi-Plein, hn, 90 ff ◆ Zobel, Art. ˙ ˙ hæsæd, 48 ff. ˙
Der spätnachexilische Text Mi 6,1–824 ist als ein Streitgespräch JHWHs mit Israel über den Zusammenhang von Kult und Ethik stilisiert, wie er seit der mittleren Königszeit zum Grundbestand der prophetischen Sozialkritik (Am 5,*21–27 u. a.) gehört.25 Dieser Zusammenhang wird hier ins Grundsätzliche gewendet, weil er in V. 8 mit einer Reflexion über „das Gute“ und die Forderung Gottes an den Menschen abgeschlossen wird: Doppelter Höraufruf des Propheten 1 2 20 21 22
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Hört doch, was JHWH sagt: Auf streite mit den Bergen, und die Höhen sollen deine Stimme hören. Hört, ihr Berge, den Streit JHWHs, und ihr beständigen Grundfesten der Erde!
Zu der an das Bundesbuch anschließenden Geschichte der Theologisierung des Rechts (Dtn *12–26; Lev 17–26 u. a.) s. Albertz, aaO 198 ff und Otto, Art. Recht, 204 ff. Crüsemann, Tora, 224, vgl. Kowalski, Gerechtigkeit, 100. Über die Hälfte aller auf JHWH bezogenen Vorkommen von sædæq und sedāqāh findet sich ˙ ˙ im Psalter, s. dazu Crüsemann, Gerechtigkeit, 437 ff. S. dazu unten 266 f. S. dazu Oberforcher, Micha (NSK.AT), 122 ff; Ebach, Micha, 172 ff; Kessler, Micha (HThK. AT), 256 ff und Jeremias, Joel u. a. (ATD), 197 ff. S. dazu Janowski, Kultkritik, 182 ff. Zu Am 5,*21–27 s. unten 274 f.
196 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Denn einen Streit hat JHWH mit seinem Volk, und mit Israel setzt er sich auseinander.
Vorwurf JHWHs an sein Volk 3 4 5
Mein Volk, was habe ich dir getan und womit habe ich dich ermüdet? Antworte mir! Ja, ich habe dich heraufgeführt aus dem Land Ägypten und aus dem Sklavenhaus habe ich dich losgekauft, und ich habe vor dir hergeschickt Mose, Aaron und Mirjam. Mein Volk, gedenke doch, was Balak, der König von Moab, geplant hat, und was ihm Bileam, der Sohn Beors, geantwortet hat, von Schittim bis Gilgal, um die Gerechtigkeitstaten JHWHs zu erkennen.
Fragen Israels 6 7
Womit soll ich JHWH entgegentreten, mich beugen vor dem Gott der Höhe? Soll ich ihm entgegentreten mit Brandopfern, mit einjährigen Kälbern? Hat JHWH Wohlgefallen an Tausenden von Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meine Erstgeborenen geben für meine Verfehlung, die Frucht meines Leibes für mein sündiges Leben?
Antwort des Propheten 8
Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist und was JHWH von dir fordert: nichts als Recht tun und Hingabe lieben und einsichtsvoll gehen mit deinem Gott.
Der Text beginnt mit einem doppelten Höraufruf des Propheten (V. 1 f)26 sowie dem Vorwurf JHWHs an sein Volk (V. 3–5) und setzt dann mit Fragen des kollektiven Ich, nämlich Israels, fort (V. 6 f), die in V. 8 eine Antwort des Propheten finden. In allen drei Abschnitten geht es leitmotivisch um das „Was“ (V. 3.5.6.8) des göttlichen und des menschlichen Tuns: Doppelfrage an Israel 3 Mein Volk, was habe ich dir getan und womit habe ich dich ermüdet? Antworte mir!
JHWHs Taten an Israel: Exodus, Führung in der Wüste 4 Ja, ich habe dich heraufgeführt aus dem Land Ägypten und aus dem Sklavenhaus habe ich dich losgekauft, und ich habe vor dir hergeschickt Mose, Aaron und Mirjam.
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Zum Verständnis s. Kessler, aaO 261 ff.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 197
Aufforderung zum Gedenken und Erkennen 5 Mein Volk, gedenke doch, was Balak, der König von Moab, geplant hat, und was ihm Bileam, der Sohn Beors, geantwortet hat, von Schittim bis Gilgal, um die Gerechtigkeitstaten JHWHs zu erkennen.
Auf diesen Vorwurf reagiert Israel mit einer durch „womit“ (V. 6a) eröffneten Reihe von Fragen (V. 6 f), die seine Ratlosigkeit verraten und erst in V. 8 eine Antwort finden. Dabei wird die Position des Menschen coram Deo nach V. 6 f in vertikaler – JHWH „entgegentreten“ (qdm pi. V. 6a.b),27 „sich beugen“ (kpp nif. V. 6a) vor dem Gott der Höhe, JHWH Erstgeborene // Frucht des Leibes „geben“ (nātan V. 7b) – und nach V. 8 in horizontaler Richtung beschrieben:
Gott der Höhe
Mensch
entgegentreten, sich beugen, geben V. 6 f
Recht tun, Hingabe lieben, einsichtsvoll gehen mit Gott V. 8b
Abb. 31: Das Ethos der Hingabe nach Mi 6,6–8
Die ,Richtungsänderung‘, die mit V. 8 stattfindet, ist entscheidend. Denn die Erwartung einer Annäherung an den „Gott der Höhe“, die sich in den Fragen von V. 6 f artikuliert, erfüllt sich nicht, weil die Mittel dieser Annäherung auf falschen Voraussetzungen beruhen. Das richtige Leben beruht dagegen auf Maximen, die das Gemeinschafts- und Gottesverhältnis betreffen und die vom Text als „gut“ qualifiziert werden. Was dieses „Gute“ ist, wird in V. 8b unmissverständlich gesagt: „nichts als Recht tun und Hingabe lieben und einsichtsvoll gehen mit deinem Gott“. Ungewöhnlich ist dabei die zweite der beiden Was-Fragen – „was JHWH von dir fordert“ (V. 8bα) –, die entgegen der sonstigen Suchrichtung Mensch → Gott von einer Bewegung Gottes hin zum Menschen (Gott → Mensch) spricht und dessen Forderung durch drei Verben konkretisiert, die „eine sich steigernde Linie“28 bilden, wobei „Hingabe lieben“ das „Recht tun“ einschließt, und beides in „einsichtsvoll gehen mit deinem Gott“ enthalten ist.29 Während der dritte Infinitiv „einsichtsvoll / besonnen gehen (hasnea῾ lækæt)30 ˙ mit deinem Gott“ das menschliche Leben als ,Weg mit Gott‘ beschreibt, bei dem 27
Womit man JHWH „entgegentreten“ soll, bringt der spätnachexilische „Festpsalm“ Ps 95,1 f folgendermaßen zum Ausdruck: „Auf, lasst uns JHWH zujubeln, zujauchzen dem Felsen unserer Rettung! Lasst uns seinem Angesicht mit Dank entgegentreten, mit Gesängen ihm zujauchzen!“, s. dazu Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 662 f (Hossfeld) und Hartenstein, Angesicht, 192 f. 28 Kessler, aaO 270. 29 Vgl. ders., ebd. und Oberforcher, Micha (NSK.AT), 128 ff. 30 Zur Bedeutung von sn῾ hif. s. Stoebe, Art. sn῾, 566 ff; Kessler, aaO 271 und Jeremias, Joel u. a. ˙ ˙ (ATD), 204.
198 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
es auf die praktische (!) Einsicht in die „Gerechtigkeitstaten JHWHs“ (V. 5bβ) ankommt, rekurrieren die beiden ersten Infinitive „Recht tun“ und „Hingabe lieben“ in expliziter Antithese zu Mi 3,8 (Verbrechen Jakobs // Verfehlung Israels, vgl. Mi 6,7!) auf das Tun des „Rechts“ (mišpāt) und das Lieben der „Hingabe“ (hæsæd) ˙ ˙ gegenüber dem Nächsten. Dadurch erhält das Zusammenleben seinen Maßstab („Recht“) und seine Ausrichtung („Hingabe“). Die Verbindung von ᾽ahabat (Inf. cstr. von ᾽āheb „lieben“) und hæsæd ist dabei ungewöhnlich und zeigt, dass die ˙ Hingabe „über das reine ‚Tun‘ hinausgeht und die innerste Intention bezeichnet“31. Eine eindrückliche Parallelformulierung dazu findet sich in dem als Zitat stilisierten Mahnwort JHWHs an Jakob in Hos 12,7: Ja, du darfst mit Hilfe deines Gottes zurückkehren. Bewahre nur Hingabe (hæsæd) und Recht (mišpāt) ˙ ˙ und harre beständig auf deinen Gott!
Wie Mi 6,8 und Hos 12,7 zeigen, ist hæsæd („Hingabe, Güte“) die konnektive ˙ Kraft, die der Gemeinschaft Sinn und Zusammenhalt verleiht, weil sie verlässlich ist und „dem anderen mehr gibt, als rechtlich gefordert ist“32. Dieses Mehr ist das soziale Band, das als Füreinander-Handeln33 zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft geknüpft wird. J. Jeremias hat diese Bedeutung von hæsæd ˙ folgendermaßen beschrieben: „Hæsæd (,Hingabe‘, ,Güte‘, ,Huld‘) ist ein Relationsbegriff, üblicherweise für zwischen˙ menschliche Beziehungen. Er bezeichnet ein Handeln, das der Verpflichtung zu Rücksichtnahme und Hilfe in vorgefundenen oder einmal eingegangenen Bindungen – Familie, Sippe, Beruf, Stadt, Staat – voll nachkommt, und zwar in einer dauerhaften und verlässlichen Weise … Solche selbstverständliche, keinen Schwankungen unterlegene, gefühlsmäßige und willentliche Verbundenheit mit anderen orientiert sich nicht an Pflichtenkatalogen, sondern schließt unerwartete und unverdienbare Großherzigkeit, Güte und Liebe ein und ist nie Ausdruck bloßer Gesinnung, sondern äußert sich stets in der Tat. Sie ist primär auf Menschen bezogen, betrifft aber ebendarin auch Gott, weil sich in Vollzug oder aber Unterlassung solchen Tuns intaktes oder zerbrochenes Gottesverhältnis widerspiegelt.“34
Der Begriff hæsæd „Hingabe, Güte, Freundlichkeit“ meint also eine Lebenshaltung, ˙ die man als „respondierendes Verhalten“35 oder als „gegenseitige Hochschätzung“36 Jeremias, aaO 204, vgl. Kessler, aaO 271. Kessler, ebd., vgl. Jeremias, aaO 203 f. 33 S. dazu Janowski, Tat, 175 ff. 34 Jeremias, Hosea (ATD), 60 f, vgl. Gese, Johannesprolog, 186 und Spieckermann, Liebeserklärung, 205 f. 35 So Michel, hæsæd, 74 f: „Wir wollen dieses Verhalten (sc. hæsæd) anders als (N.) Glueck (,ge˙ ˙ meinschaftsgemäße Verhaltensweise‘) lieber nennen: ,respondierendes Verhalten‘ – denn darum geht es: auf eine erwiesene Wohltat hat man … entsprechend zu antworten.“ 36 Oberforcher, Micha (NSK.AT), 131, vgl. zur Gegenseitigkeit des hæsæd-Erweises Zobel, Art. ˙ hæsæd, 52 f. ˙ 31 32
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 199
bezeichnen kann, bei dem / der immer das Moment des Tuns intendiert und das / die durch Beständigkeit charakterisiert ist.37 Hæsæd ist deshalb ein sozial˙ anthropologischer Grundbegriff des Alten Testaments ebenso wie die folgenden Substantive und Adjektive:38 – ᾽æmæt, ᾽æmûnāh – hen ˙ – hannûn ˙ – hāsîd ˙ – jāšār – mišpāt ˙ – næ᾽æmān – sædæq, sedāqāh ˙ ˙ – saddîq ˙ a – rah mîm ˙ – tām, tāmîm
Beständigkeit, Richtigkeit, Wahrheit39 Gunst, Sympathie, Freundlichkeit gnädig, barmherzig liebevoll, treu, fromm gerade, recht, redlich Recht(sentscheid) fest, beständig, zuverlässig Gerechtigkeit, Gemeinschaftstreue40 gerecht, gemeinschaftstreu Erbarmen, Mitleid(sregungen) ganz, vollständig, integer
Im Blick auf Mi 6,6–8 ist festzuhalten, dass die Frage nach dem rechten Gottesverhältnis – „womit soll ich JHWH entgegentreten?“ – nicht mit der Darbringung von noch so zahlreichen, kostbaren oder gar abnormen Opfergaben zu beantworten ist, sondern mit einem Ethos, das auf dem inneren Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe beruht und das die beiden Grundrichtungen der menschlichen Existenz miteinander verbindet: „In horizontaler Ausrichtung ist der ethische Kosmos menschlicher Verantwortlichkeit füreinander angesprochen, in vertikaler Ausrichtung die religiöse Dimension der Gestaltung der Gottesbeziehung.“41 Diesem Zusammenhang von Ethos und Religion, der nach dem Grund-Satz von Mi 6,8 das „Fadenkreuz jeder Daseinsorientierung“42 bildet, wird im Buch Ruth ein literarisches Denkmal gesetzt, das seinesgleichen sucht. Exkurs 9: Ruth als personifizierte Hingabe Altes Testament: Beyer, Hoffnung ◆ Fechter, Familie, 233 ff ◆ Fischer, Gottesstreiterinnen,
181 ff ◆ Kessler, Ethik, 558 ff ◆ Kippenberg, Religion, 29 ff ◆ Kowalski, Gerechtigkeit, 101 ff ◆ Niditch, Self, 120 ff ◆ Olyan, Friendship, 62 ff ◆ Seybold, Poetik 2, 165 ff ◆ Zakovitch, Rut ◆ Zwickel, „Mann“, 241 ff.
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s. dazu Zobel, aaO 53.56 ff. S. dazu auch Dietrich, Sozialanthropologie, 237 ff und für den Alten Orient Lämmerhirt, Wahrheit. S. dazu Michel, aaO 77 ff. Zur Unterscheidung von sædæq als nomen collectivum (Gerechtigkeitsnorm) und sedāqāh ˙ ˙ (Mials nomen unitatis (Gerechtigkeitstat) s. Michel / Zmijewski, Art. Gerechtigkeit, 795 ff chel). Oberforcher, aaO 132. Ders., ebd. In Pred 6,12 wird dieser Grundsatz allerdings in Frage gestellt, s. dazu Q 8.
200 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs Ebenso wie die Josephsgeschichte und das Jonabuch ist das perserzeitliche Buch Ruth (5./4. Jh. v. Chr.) ein Kleinod althebräischer Erzählkunst und zugleich ein Grundtext alttestamentlicher Anthropologie.43 In nur vier Kapiteln entwirft es ein Panorama menschlicher Verhaltensweisen, die nicht nur anthropologisch beispielhaft sind, sondern auch ein helles Licht auf die Geschichte Gottes mit seinem Volk werfen. Und dabei, so will es die Erzählung, ist Ruth eine Moabiterin, also eine Ausländerin, aber eine Ausländerin, die zum zweiten Mal einen Judäer heiratet44 und die nach 4,13–17 zur Mutter Obeds, des Vaters Isais, des Vaters Davids wird.
Von Bethlehem nach Moab – und zurück Am märchenhaften Anfang der Erzählung – „Und es geschah zu der Zeit, als die Richter regierten“ (1,1) – steht eine bittere Hungersnot und eine Familie, die sich deswegen aus Bethlehem in die Gefilde Moabs begab, wo sie ihr Auskommen fand.45 Die beiden Söhne Machlon und Kiljon heirateten dort die Moabiterinnen Orpa und Ruth. Als Elimelech und seine beiden Söhne starben, machte sich seine Witwe Naomi auf, um nach dem Ende der Hungersnot nach Bethlehem zurückzukehren. Während Orpa in Moab blieb, wollte Ruth ihre Schwiegermutter nicht allein ziehen lassen, sondern sprach die berühmten Sätze von 1,16 f und handelte danach: 16 Und Ruth sprach: „Zwing mich nicht, dich zu verlassen (῾āzab),46 indem ich zurückkehre, von dir weg! Fürwahr: Wohin du gehst, gehe ich und wo du übernachtest, übernachte ich. Dein Volk – mein Volk und dein Gott – mein Gott. 17 Wo du stirbst, sterbe ich, und dort will ich begraben werden. JHWH möge mir tun, was er will – fürwahr: Der Tod allein wird mich von dir trennen!“ Dann folgen die Schilderung der Ankunft der beiden Frauen in Bethlehem (1,19b–21) und die zusammenfassende Rückblende (1,22), die das Eingangskapitel abschließen. Die persönliche und soziale Desintegration, die dabei in V. 21 in Naomis Klage zum Ausdruck kommt, ist „inhaltlich wie atmosphärisch der vollständige Kontrast zu Ruths Schwur in Vv. 16–17“47:
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S. dazu auch Niditch, Self, 120 ff und zur Josephsgeschichte oben 172 ff. Zur Datierung und Redaktionsgeschichte des Ruthbuchs s. außer den Kommentaren noch Fechter, Familie, 239 ff. Köhlmoos, Ruth (ATD), XIV Anm. 17 spricht dabei nicht von einer „Mischehe“, sondern von einer „Fremdehe“. Zur Herkunft Ruths sowie zur Fremdenthematik s. Beyer, Hoffnung, 36 ff.49 ff. Zu den geographischen und klimatischen Gegebenheiten s. Zwickel, „Mann“, 241 ff. Als Gegenbegriff zu dābaq „anhängen“ (Ruth 1,14, vgl. 2,8.21.23) ist῾āzab (Ruth 1,16; 2,11) ein zentraler Begriff des Ruthbuchs, s. dazu auch Köhlmoos, aaO 16 ff. Beide Verben begegnen in Gen 2,24, s. dazu oben 102 f. Köhlmoos, aaO 24, s. dazu auch Beyer, aaO 81 ff.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 201
Ich – erfüllt bin ich gegangen, aber leer hat mich JHWH zurückkehren lassen. Wozu solltet ihr mich Naomi nennen? Hat doch JHWH mich gedemütigt und Šaddaj mir Böses angetan! (1,21)
Abb. 32: Arbeitsteilung bei der Gerstenernte (Grabmalerei, 19. Dyn.) Das zweite Kapitel zeigt Ruth auf dem Feld von Boas, einem Verwandten aus der Sippe Elimelechs, zu Beginn der Gerstenernte im Mai / Juni (2,1–23, s. Abb. 32).48 Jedes der vier Kapitel, die spiegelbildlich angeordnet sind (außen: Kap. 1 und 4, innen: Kap. 2 und 3),49 enthält einen zentralen Dialog zweier Figuren, der die Handlung thematisch und erzählerisch vorantreibt (1,8 ff; 2,4 ff; 3,9 ff; 4,1 ff). Diese Dialoge tragen zur indirekten Charakterisierung der Erzählfiguren bei,50 die damit zu „ethischen Modellen“51 mit entsprechenden Identifikationsangeboten werden. Im Unterschied zur direkten Charakterisierung mit ihrer Beschreibung der äußeren Erscheinung und der charakteristischen Wesenszüge ist die indirekte Charakterisierung aus den Aussagen / Dialogen der Personen, ihren Handlungen und den Nebenfiguren ablesbar.52 Das Ruthbuch ist dafür ein großartiges Beispiel.
Ruth als personifizierte Hingabe Ruth ist die Hingabe in Person, die personifizierte hæsæd („Hingabe, Güte, Freundlich˙ keit“).53 Bereits im ersten Dialog (1,8–17) begegnet das Stichwort hæsæd, und zwar aus ˙ dem Mund Naomis, die ihre beiden Schwiegertöchter zur Rückkehr nach Moab auffordert: Geht, kehrt zurück, jede in das Haus ihrer Mutter! JHWH tue an euch Güte (hæsæd), wie ihr sie an den Toten und an mir getan habt. (1,8) ˙ 48
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Zur Gerstenernte s. Fischer, Rut (HThK.AT), 160 ff und Köhlmoos, aaO 31 f. Zur Buchkomposition s. die Übersicht bei Fischer, aaO 24 f und ausführlich Beyer, aaO 68 ff.148 ff. Zu den literarischen Stilmitteln des Buchs s. Fischer, aaO 24 ff; Seybold, Poetik 2, 165 ff und Köhlmoos, aaO XIff. Kowalski, Gerechtigkeit, 95. S. dazu dies., aaO 95 ff.101 ff und Niditch, Self, 124 ff. Zur Bedeutung von hæsæd s. oben 195 ff. ˙
202 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs Wohlgemerkt: Diese Aufforderung und dieser Wunsch kommen aus dem Mund einer Judäerin, die das liebevolle Handeln der beiden Ausländerinnen mit dem gewichtigen Begriff hæsæd „Hingabe, Güte, Freundlichkeit“ bezeichnet und so ihrer Wertschätzung ˙ Ausdruck verleiht. Darüber hinaus stattet Naomi „die beiden Moabiterinnen mit einer zentralen Eigenschaft JHWHs aus. Dem Schreckgespenst der moabitischen Frauen, das durch die atl. Literatur geistert, wird hier der Abschied gegeben“54. Damit erhält die Erzählung von Anfang an eine Färbung, die nicht mehr verblasst, sondern die nach und nach ausgestaltet und intensiviert wird. Das zweite Kapitel beginnt dann damit, dass Ruth auf dem Feld des Boas Nachlese bei der Gerstenernte halten will und zwar „hinter demjenigen her, in dessen Auge ich Gunst (hen) finde“ (2,2).55 Obwohl sie eine Ausländerin ist, der das Nachleseprivileg eigentlich ˙ nicht zusteht (vgl. Lev 19,9 f; Dtn 24,19), findet sie Gunst in den Augen des Boas (2,8 f) und reagiert darauf mit Ehrfurcht und Demut: Da fiel sie auf ihr Angesicht und verneigte sich bis zur Erde und sagte zu ihm: „Warum habe ich Gunst (hen) gefunden in deinen Augen, dass du ˙ mich mit Achtung behandelst (nkr hif.)? Ich bin doch eine Ausländerin (nåkrîjjāh)!“ (2,10) Das Wortspiel zwischen nkr hif. „mit Achtung behandeln“ (vgl. 2,19)56 und nåkrîjjāh „Ausländerin“ ist vom Erzähler beabsichtigt und demonstriert die Macht der Anerkennung an einem Fall, der, weil er die Grenze des Familien- und Nachbarschaftsethos überschreitet, exemplarisch ist: am Fall des/r Fremden (nåkrî, nåkrîjjāh), der / die in nachexilischer Zeit abwertend behandelt wird (vgl. Neh 13,23–30 u. ö.).57 Wenn also Ruth zu Boas sagt, dass er sie „mit Achtung behandelt“ habe, dann „verwendet sie den Begriff für das genaue Hinsehen, das hinter der äußeren Erscheinung das wahre Wesen des Gegenübers zu erkennen vermag (Gen 27,23; 42,7 f; Hi 2,12)“58. Der Begriff hen „Gunst, Sympathie, Freundlichkeit“ erscheint nach 2,2.10 zum dritten ˙ Mal in der Reaktion Ruths (2,13) auf die Antwort des Boas (2,11 f), wobei dieser als Grund für sein Verhalten das Verhalten Ruths gegenüber Naomi (vgl. 1,8) angibt und dann einen Wunsch anschließt: 11 Und Boas antwortete und sagte zu ihr: „Verkündet, ja verkündet wurde mir alles, was du deiner Schwiegermutter getan hast nach dem Tod deines Mannes: Du hast deinen Vater und deine Mutter und das Land deiner Abstammung verlassen (῾āzab) und bist zu einem Volk gegangen, das du nie zuvor gekannt hast. Köhlmoos, aaO 14. Willi-Plein, hn, 90 ff ist hen „immer etwas …, das eine Sache oder Person liebenswert ˙ lässt“ (aaO ˙ 95). Man kann das als Sympathie bezeichnen. sein oder erscheinen 56 Zu nkr hif. „(aufmerksam, genau betrachten >) mit Achtung behandeln“ s. Jenni, Pi῾el, 235 und Seeligmann, Terminologie, 310 f, ferner Zakovitch, Rut, 117; Fischer, aaO 175; Ebach, Genesis III (HThK.AT), 141 ff und Köhlmoos, aaO 41. In Ruth 3,14 bedeutet nkr hif. „wahrnehmen“: „Da legte sie (sc. Ruth) sich an sein Fußende bis zum Morgen. Und dann erhob sie sich, bevor man jemanden wahrnehmen konnte (nkr hif.). Da sprach er (sc. Boas): ,Man darf nicht wissen (jāda῾), dass die Frau zur Tenne gekommen ist!‘“. 57 S. dazu Fischer, aaO 58 ff.63 f.75. Skeptisch demgegenüber Beyer, Hoffnung, 36 ff.49 ff. 58 Köhlmoos, ebd. 54
55 Nach
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 203
12 Es vergelte dir JHWH dein Tun und dein Lohn sei vollständig von JHWH, dem Gott Israels, zu dem du gekommen bist, um dich unter seinen Flügeln zu bergen.“ 13 Da sagte sie: „Möge ich weiterhin Gunst (hen) finden in deinen Augen, ˙ mein Herr! Denn du hast mich getröstet und hast deiner Magd zu Herzen geredet. Aber ich, ich bin nicht wie eine deiner Mägde!“ (2,11–13) Die ihr gegenüber erwiesene Gunst, die von Boas gegenüber den Schnittern noch einmal eingeschärft wird (2,15 f, mit negiertem klm hif. „verächtlich behandeln“ und negiertem gā῾ar „beschimpfen“), ermutigt Ruth in der folgenden Szene (3,1–18), den entscheidenden Schritt zu wagen und sich nachts auf der Tenne zu Boas zu legen und ihn um Rechtsschutz zu bitten. Als er sie um Mitternacht an seinem Fußende bemerkt, schreckt er auf, beugt sich vor, sieht sie und fragt, wer sie sei: 9b Und sie sagte: „Ich bin Ruth, deine Dienerin! Breite deinen Gewandsaum (kānāp)59 über deine Dienerin, denn Löser bist du!“ 10 Da sagte er: „Sei gesegnet von JHWH, meine Tochter! Du hast jetzt noch größere Güte (hæsæd) gezeigt als zuvor, weil du nicht hinter den Jünglingen hergelaufen ˙ bist, seien sie arm oder reich.“ (3,9b–10) Diese Szene, die noch bis V. 15 reicht, ist „erzählerisch und inhaltlich die intensivste des Ruthbuches und gleichzeitig eine der intimsten Szenen des Alten Testaments“60. Damit ist auch die Entscheidung für den öffentlichen Vorgang des „Lösens“ gefallen, der in 4,1–12 erzählt wird.
Eine narrative Anthropologie Das Thema „Hingabe“, das im Ruthbuch nicht wie in Mi 6,8 („Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist …“) normativ gesetzt, sondern in den Dialogen und Handlungen der Hauptpersonen narrativ entfaltet wird, enthält einen aktiven („Hingabe üben“) und einen passiven Aspekt („Gunst finden“, „Achtung erlangen“). Beide Aspekte sind aufeinander bezogen und werden durch buchinterne Rückbezüge immer wieder miteinander verknüpft. Dadurch entsteht ein dichtes Geflecht, wie am Vorkommen der Leitwörter zu erkennen ist (Abb. 33). JHWHs impliziter (1,8; 2,20) und Ruths expliziter hæsæd-Erweis (1,8, vgl. 1,16 f ohne ˙ den hæsæd-Begriff) sind, wie diese Übersicht noch einmal verdeutlicht, die grundlegen˙ den Handlungen, die alles Weitere in Gang setzen und die durch die Akte der Anerkennung und Großherzigkeit seitens des Vorarbeiters, aber vor allem des Boas ,beantwortet‘ werden. Diese Antwort wird in 2,2. 10. 13 mit der Wendung „jemandes Gunst (hen) finden“ ˙ Übersetzung: „Flügel“. Zu kānāp in der Bedeutung „Gewandsaum/-zipfel“ s. Dtn 22,12; Num 15,38; 1 Sam 15,27 u. ö. und zur Sache Janowski, Persönlichkeitszeichen, 336 Anm. 70. Ruth 3,9b ist m. E. weder „symbolisch-theologisch“ (Köhlmoos, aaO 62) noch konkret sexuell (so die übliche Auslegung), sondern rechtssymbolisch zu verstehen. Die Begründung dieser Bitte „denn Löser bist du!“ dürfte das bestätigen. Dass zwischen 2,12 und 3,9 ein buchinterner Zusammenhang besteht, der aber unterschiedlich perspektiviert ist (dort aus der Sicht des Boas, hier aus der Sicht Ruths), ist dagegen unstrittig. 60 Köhlmoos, aaO 65. 59 Andere
204 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Naomi, Boas, Vorabeiter
1,8 Naomi zu ihren Schwiegertöchtern (hæsæd JHWHs und der Schwiegertöchter) ˙ 2,6 f Vorarbeiter zu Boas (Rückbezug auf 1,8.16 f )61 2,11 Boas zu Ruth (Rückbezug auf 1,8.16 f ) 2,15 f Boas zu den Schnittern (klm hif., gā῾ar, jeweils negiert) 2,19 Naomi zu Ruth (nkr hif., Rückbezug auf 2,10) 2,20 Naomi zu Ruth (hæsæd JHWHs) ˙ 3,10 Boas zu Ruth (hæsæd Ruths, Rückbezug ˙ auf 1,8.16 f )62
Ruth
1,16 f Ruth zu Naomi (ohne den Begriff hæsæd) ˙ 2,2 Ruth im Selbstgespräch (hen) ˙ 2,10 Ruth zu Boas (hen) ˙ 2,10 Ruth zu Boas (nkr hif.) 2,13 Ruth zu Boas (hen) ˙
Abb. 33: Leitwörter zum Thema „Hingabe“ im Ruthbuch ausgedrückt: „Doch hen und hæsæd sind zwei Seiten derselben Medaille; wer hen findet, ˙ ˙ ˙ dem wird hæsæd erwiesen“63 oder m. E. besser: wer hæsæd erweist, der wird hen finden. ˙ ˙ ˙ So erzählt das spätnachexilische Ruthbuch eine Beispielgeschichte der Achtung gegenüber dem anderen, der überdies ein Fremder bzw. eine Fremde / Ausländerin ist, im Gewand einer Familiengeschichte. Indem es die Ereignisse in die Richterzeit verlegt (1,1), schafft es eine übergreifende Perspektive, die mehrere Jahrhunderte umfasst und die die ethischen Maßstäbe seiner Protagonisten als Identifikationsmöglichkeit vor Augen stellt – für die Zeit des Erzählers und weit darüber hinaus. 𓇼
β) Gastfreundschaft Altes Testament: Fuhs, Gemeinschaftsmahl, 233 ff ◆ Gerber / Vieweger, Art. Gastfreundschaft, 181 f ◆ Römer, Lot, 135 ff ◆ Schreiner, Gastfreundschaft, 50 ff. – Antike Religionen:
Felber u. a., Art. Gastfreundschaft, 793 ff.
Das Ruthbuch ist auch eine Erzählung über die Gastfreundschaft. Die Geste, mit der Boas die Moabiterin Ruth zum gemeinsamen Essen einlädt, besticht durch ihre Selbstverständlichkeit: Und Boas sprach zu ihr zur Essenszeit: „Komm hierher und iss von dem Brot und tauche deinen Bissen in die Tunke!“ Und sie setzte sich an die Seite der Schnitter. Und
Der Vorarbeiter ist der erste, der Ruth ausdrücklich anerkennt, s. dazu Köhlmoos, aaO 36 f.46. 62 Worterklärungen für Abb. 33: gā῾ar „beschimpfen“, hen „Gunst, Sympathie, Freundlichkeit“, ˙ Achtung behandeln“, klm hif. „verhæsæd „Hingabe, Güte, Freundlichkeit“, nkr hif. „mit ˙ächtlich behandeln“. 63 Beyer, Hoffnung, 176, vgl. dies., aaO 224 ff. 61
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 205
er reicht ihr Röstkorn, und sie aß und wurde satt und behielt noch etwas übrig. (Ruth 2,14)
Eingerahmt wird diese Urszene der Gastfreundschaft mit der Darreichung von Brot (læhæm), Tunke (homæs „Essiglimonade“) und Röstkorn (qālî) durch die ˙ ˙ ˙ Ruth widerfahrene Anerkennung durch Boas (Ruth 2,8–13) und dessen Vermahnung an seine jungen Männer, sie bei der Nachlese nicht verächtlich zu behandeln und zu beschimpfen (Ruth 2,15). „Die kleine Szene zeigt, wie weit Ruths Integration schon fortgeschritten ist, wenn der Herr, die Arbeitskräfte und die ausländische Nachleserin gemeinsam Seite an Seite essen.“64 Die hier gewährte Gastfreundschaft mündet denn auch in ein dauerhaftes Bindungsverhältnis (Ruth 4,13–17). Elementare Regeln der Gastfreundschaft gibt es nicht nur in Mesopotamien, sondern auch in Griechenland und Rom.65 Was nach dem Alten Testament zum ,Ritual‘ der Gastfreundschaft gehörte, lässt sich etwa anhand der Bewirtung der drei Männer durch Abraham in Gen 18,1–866 ablesen. Es wird ihnen zunächst Wasser zum Waschen der staubigen Füße gereicht, sie ruhen abgestützt an einem der Schatten spendenden Bäume, und der Gastgeber bereitet ihnen ein köstliches Mahl zu, um sie für die Weiterreise zu stärken. Dabei steht er respektvoll abseits, ohne mit ihnen zusammen zu essen: (1) Da erschien ihm (sc. Abraham) JHWH bei den Terebinthen von Mamre, als er während der Hitze des Tages im Eingang des Zeltes saß. (2) Und er erhob seine Augen und siehe, drei Männer standen vor ihm. Als er das sah, lief er ihnen vom Zelteingang her entgegen. Und er verneigte sich zur Erde (3) und sagte: „Meine Herren, wenn ich in euren Augen Gunst (hen)67 finde, zieht nicht an eurem Diener vorüber! (4) Es möge ˙ ein wenig Wasser genommen werden, und so wascht eure Füße und ruht aufgestützt unter dem Baum! (5) Ich will einen Bissen holen und euer Herz (leb)68 stärken, danach mögt ihr weiterziehen; denn dazu seid ihr an eurem Diener vorübergekommen.“ Sie sagten: „Ja, du magst tun, wie du gesagt hast.“ (6) Da eilte Abraham zu Sara ins Zelt und sagte: „Beeil dich, knete drei Se᾽a Mehl (Feinmehl) und mach Fladenbrote!“ (7) Und Abraham lief zum Vieh und nahm ein zartes und schönes Kalb und gab es dem Knecht und eilte, es zuzubereiten. (8) Dann nahm er Dickmilch und Milch sowie das Kalb, das er zubereitet hatte, und legte es ihnen vor. Er aber blieb unter dem Baum neben ihnen stehen, während sie aßen. (Gen 18,1–8) Köhlmoos, aaO 45, vgl. Fischer, aaO 181 f. S. dazu Felber u. a., Art. Gastfreundschaft, 793 ff. Was es für einen Reisenden bedeutete, in einer fremden Stadt ohne Verwandte und Freunde dazustehen, zeigt etwa ein ägyptischer Text (s. Q 43). 66 Zur vorexilischen Abraham-Lot-Erzählung Gen 13*.18 f* (8./7. Jh. v. Chr. [?]) s. außer Seebass, Genesis II, 121 ff u. a. bes. Blum, Vätergeschichte, 273 ff.282 f.287 f. 67 Zu hen „Gunst, Sympathie, Freundlichkeit“ s. oben 202 Anm. 55. ˙ 68 Im Herzen konzentrieren sich nicht nur die emotionalen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten des Menschen (s. dazu oben 154 ff), sondern auch sein leibliches Wesen (vgl. Spr 4,23; 25,13), das gelabt bzw. „gestützt“ werden muss, in der Regel mit Brot (Ri 19,5.8, vgl. Gen 18,5; 1 Kön 21,7; Ps 102,5). 64
65
206 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Dann folgt – als Gastgeschenk der / des göttlichen Besucher/s – die Ankündigung der Geburt eines Sohns (V. 9–15) und die Überleitung zur Sodomgeschichte (V. 16*). Auffallend nach der wortreichen Einladung (V. 3–5a) und der knappen Antwort der drei Männer (V. 5b) ist das eilige Bemühen Abrahams (vgl. V. 2.6.7), seinen Gästen ein üppiges und feines Mahl zu bereiten. Dieses besteht aus Fladenbroten (῾ugôt), die aus 3 Se᾽a Mehl (qæmah)69 gebacken werden, Fleisch vom ˙ geschlachteten Kalb sowie Dickmilch / Rahm (hæm᾽āh) und Milch (hālāb). ˙ ˙ Die Erzählung vom beispielhaften Gastgeber Abraham hat in der nachfolgenden Sodomgeschichte Gen 19 ein Gegenstück – allerdings mit einer unverhofften Wendung und einem überraschenden Ausgang.70 Zunächst setzt die Geschichte mit einem eindrücklichen Bild ein, das an die Eingangszene von Gen 18 erinnert.71 Aber im Unterschied dazu spielt sie hier am Abend, so dass Lot seine beiden Gäste nötigt, mit ihm in sein Haus zu kommen: (1) Und es kamen die zwei Boten am Abend nach Sodom, als Lot im Tor(raum) von Sodom saß. Als Lot (sie) sah, erhob er sich ihnen entgegen und warf sich mit seiner Nase bis zur Erde nieder (2) und sagte: „Seht doch, meine Herren, biegt doch ab zum Haus eures Knechts und bleibt über Nacht und wascht eure Füße und brecht am Morgen auf und geht (dann) eures Weges!“ Sie aber sagten: „Nein, sondern wir übernachten auf dem Platz (sc. innen vor dem Tor).“ (3) Da drang er sehr in sie, und so bogen sie ab zu ihm und gingen in sein Haus. Er aber bereitete ihnen ein Gastmahl (mištæh) und buk Mazzen (massôt), und sie aßen. ˙˙
Der Fortgang der Geschichte mit dem brutalen Missbrauch des Gastrechts durch die Bewohner von Sodom und dessen Folgen ist bekannt.72 Von einem solchen Missbrauch ist auch in Ri 4,17–24 und vor allem in Ri 19,22–2573 die Rede. Gastfreundschaft, so machen beide Erzählungen via negativa überdeutlich, ist praktizierte Nächsten- und Fremdenliebe und deshalb eine elementare Form des Sozialen. Sie kann im äußersten Fall gebrochen, sie kann aber auch ausgenutzt werden (vgl. die Warnung in Sir 11,27–32, s. Q 206). Das rechtfertigt aber nicht, sie nicht zu gewähren. Als Begründung dient vor allem der Hinweis auf die Fremdlingschaft Israels in Ägypten, wie er von den Verfassern des ursprünglichen Bundesbuchs (Ex *20,24–23,19) als Abrundung der Gebote zum Schutz der Rechtsprechung (Ex 23,1–9) gegeben wird: Und einen Fremden sollst du nicht bedrücken, ihr selbst kennt doch das Bedürfnis (næpæš)74 des Fremden, denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen. (Ex 23,9) Jaroš, Art. Maße, 734 entspricht das der riesigen Menge von 3 × 7,3 Liter! S. dazu Keel, Geschichte Jerusalems, 278 ff; Römer, Lot, 135 ff und Janowski, „Übernachtung“, 169 ff. Zum Vergleich der beiden Texte s. Blum, aaO 280 f. S. dazu unten 277 f. S. dazu ders., aaO 835 ff. Gemeint ist hier das Verlangen nach Lebendigkeit / Lebensentfaltung, s. dazu Seebass, Art. næpæš, 540 ff und oben 54 ff.
69 Nach 70
71 72 73
74
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 207
Zusammen mit Ex 22,20 bildet diese Bestimmung einen Rahmen um die Gebote von Ex 22,20–23,9, wobei die beiden Obersätze, die dem Begründungssatz „denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen“ jeweils vorausgehen, mit ihrem Begriff „bedrücken“ (lāhas) aufeinander bezogen sind. Der Zusammenhang von Obersatz und Begründungs˙ ˙ satz, der das Fremdlingsdasein in den Blick nimmt, bildet gleichsam eine „Goldene Regel“. In Lev 19,33 f75 und Dtn 10,17–19 wird dieses Motiv mit der Forderung der Fremdenliebe verbunden: (17) Fürwahr, JHWH, euer Gott, er ist der Gott der Götter und der Herr der Herren, der große, starke Gott und der furchterregende, der die Person nicht ansieht und keine Bestechung annimmt, (18) der der Waise und der Witwe Recht verschafft und der den Fremden liebt, so dass er ihn mit Brot speist und mit Kleidung versorgt. (19) Deshalb sollt auch ihr den Fremden lieben, denn ihr wart Fremde im Land Ägypten. (Dtn 10,17–19)76
Gastfreundschaft und Fremdenliebe, so der Tenor der Bestimmung von Ex 23,9, implizieren eine Grundhaltung, die man als Rücksicht oder Empathie bezeichnen kann. Sie wird auch von JHWH dem bedrängten Beter (Ps 23,5 f) und in der eschatologischen Heilszeit allen Völkern entgegengebracht (Jes 25,6–8). So endet der Vertrauenspsalm Ps 23 mit der Gewissheit von der Rückkehr ins das „Haus“ des Gottes, der als guter Hirte die Lebenskraft (næpæš V.3a) des Beters zurückgebracht und ihn als Gastgeber mit allem Lebensnotwendigen versorgt hat: 5 6
Du bereitest vor mir einen Tisch gegenüber meinen Bedrängern, du hast erquickt mit Öl mein Haupt, mein Becher ist Überfließen. Ja, Gutes (tôb) und Güte (hæsæd) verfolgen mich alle Tage meines Lebens, ˙ ˙ und ich werde zurückkehren in das Haus JHWHs für die Länge der Tage.77
2. Gefährdungen des Zusammenlebens Altes Testament: Berlejung / Merz, Art. Feind, 189 ff ◆ Dietrich, Schadenfreude, 80 ff ◆ Ders.,
Sozialanthropologie, 237 ff ◆ Grund, Schmähungen, 174 ff ◆ Dies., Art. Scham, 347 ff ◆ Häusl, Zuraten, 34 ff ◆ Dies., Art. Feind, 134 ff ◆ Hartenstein, Feindbilder, 19 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 98 ff.196 ff ◆ Ders., Anerkennung, 192 ff ◆ Ders., Gott, 175 ff ◆ Keel, Feinde ◆ Ders., Bildsymbolik, 68 ff ◆ Lamp / Tilly, Öffentlichkeit, 46 ff ◆ Lemos, Violence, 500 ff ◆ Zobel, Art. hæsæd, 48 ff. – Antike Religionen: Bojowald, Bespucken, 17 ff ◆ Mayer, Vor˙ würfe, 207 ff. – Philosophie, Soziologie, Kulturwissenschaft: Gehring, Körperkraft, 211 ff ◆ Honneth, Anerkennung, 212 ff ◆ Klein, Inhumanität, 430 ff ◆ Krämer, Sprache, 31 ff ◆ Rosa, Resonanz, 331 ff.739 ff.
Die soziale Gemeinschaft wird, wie die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, nicht nur durch gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen wie die grundlegende Exodusmemoria, sondern auch durch gemeinsame Einstellungen und 75
S. dazu oben 169 f. S. dazu Otto, Deuteronomium II (HThK.AT), 1037 ff. 77 S. dazu Janowski, Der gute Hirte, 159 ff. 76
208 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Haltungen wie Wahrheit (᾽æmæt), Hingabe (hæsæd) und Gerechtigkeit (sedāqāh) ˙ ˙ zusammengehalten.78 „Der einzelne Hebräer“, so schrieb einst L. Köhler, „lebt mit seinem Nachbarn und seinem Dorfgenossen auf der Grundlage der gegenseitigen Anerkennung und des billigen, gerechten Ausgleiches der gegenseitigen Ansprüche und Rechte“79. Wo diese Einstellungen und Haltungen erodieren, kommt es unweigerlich zu persönlichen Aggressionen und sozialen Verwerfungen. a) Gemeinschaftswidriges Verhalten Das Beispiel des Ruthbuchs zeigt mit großer Eindringlichkeit, was der Begriff hæsæd („Hingabe, Güte“) konkret bedeutet,80 nämlich die liebend-tätige Hin˙ wendung zum anderen, die diesem mehr gibt als rechtlich gefordert ist. Dieses Mehr, so lehrt auch Mi 6,8,81 ist das soziale Band, das als Füreinander-Handeln zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft geknüpft wird. Seine Lockerung oder gar Auflösung wird von Kräften betrieben, die viele Prophetenbücher, die Individualpsalmen, das Sprüche- und das Hiobbuch mit der Verletzungsmacht in Verbindung bringen, d. h. mit der Macht, die darauf gerichtet ist, anderen Schaden zuzufügen, sei es mit physischer oder mit sprachlicher Gewalt.82 Ein ganzer Katalog derartiger Verletzungen findet sich in Mi 7,1–7,83 einer nachexilischen Klage über das Zerbrechen aller sozialen und familiären Bindungen: Klage 1
Weh mir! Denn es ist mir ergangen wie beim Einsammeln von Sommerobst, wie bei der Nachlese der Traubenernte: keine Weintraube zu essen, keine Frühfeige, die mein Verlangen (næpæš)84 begehrte!
Beschreibung der chaotischen Zustände im Volk 2
Verschwunden ist der Gütige (hāsîd) aus dem Land, ˙ und kein Aufrechter (jāšār) ist (mehr) unter den Menschen. Sie alle lauern auf Blutschuld, jeder jagt seinen Bruder mit dem Netz.
Dietrich, Sozialanthropologie, 237 ff. Köhler, Mensch, 134. 80 S. dazu oben 199 ff. 81 S. dazu oben 195 ff. 82 Vgl. Popitz, Macht, 43. Zur physischen Gewalt s. Lemos, Violence, 500 ff, zur sprachlichen Gewalt s. unten 210 ff. 83 S. dazu Kessler, Micha (HThK.AT), 284 ff; Jeremias, Joel u. a. (ATD), 212 ff, ferner Fechter, Familie, 287 ff.323 ff und Kruger, World, 73 f (mit altorientalischen Parallelen). 84 Zur intentionalen Bedeutung von næpæš s. oben 54 ff. 78 Vgl. 79
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 209
3 4a
Um des Bösen willen sind die Hände da,85 es gut auszuführen: der Beamte fordert, und der Richter (tut es) gegen Bezahlung, und der Große redet nach seinem begehrlichen Verlangen (næpæš); so verdrehen sie es. Ihr Gutes (tôb) ist wie eine Dornenhecke, ˙ der Aufrichtige (jāšār) ist schlimmer als Stachelgestrüpp.
Warnung an jeden einzelnen (mit Begründung) 4b Der Tag deiner Späher, deine Ahndung ist gekommen! Jetzt geschieht ihre Verwirrung. 5 Glaubt nicht dem Nächsten, vertraut nicht dem Freund! Vor der, die in deinem Schoß liegt, hüte die Pforten deines Mundes! 6 Denn der Sohn behandelt den Vater als Narren, die Tochter steht auf gegen ihre Mutter, die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter, die Feinde eines jeden sind seine Haussklaven.86
Vertrauensbekenntnis 7 Ich aber will ausspähen nach JHWH, will harren auf den Gott meiner Rettung. Es wird mich erhören mein Gott.
Diese Beschreibung der chaotischen Zustände im Volk knüpft antithetisch an Mi 6,8 an, insofern der „Gütige“ (hāsîd) und der „Aufrechte“ (jāšār) verschwun˙ den und an ihre Stelle „alle“ (V. 2), speziell aber die Beamten, Richter und Großen (V. 3) getreten sind. Anstelle des Ethos der Hingabe (hæsæd) herrscht das ˙ Recht des Stärkeren und statt des Geraden das Krumme, in dem man sich wie in einem Gestrüpp nur noch verfangen kann (V. 4a).87 Selbst vor der Familie, der Keimzelle der Solidargemeinschaft, machen die Fliehkräfte des Asozialen nicht Halt, sondern lösen alle verwandtschaftlichen, nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen auf (V. 5 f). Ihnen stellt sich nach dem gerichtstheologischen Kontrapunkt von V. 4b („der Tag deiner Späher“) in V. 7 schließlich die prophetische Stimme mit ihrer kontrafaktischen Hoffnung auf den rettenden Gott entgegen: „Weil es der Prophet ist, der auf JHWH späht, wartet er nicht auf seine Erlösung aus der ,Verwirrung‘ Israels, sondern auf die Erlösung Israels aus seiner Verwirrung.“88 85
Zum funktionalen Bedeutungsaspekt „Macht, Tatkraft, (Verfügungs-)Gewalt“ des Körperteils „Hände, Handflächen“ (kappajim) s. oben 148 ff. 86 Das in V. 6a geschilderte Verhalten unterläuft das Gebot der Elternehrung, s. dazu Jeremias, aaO 217 und oben 135 ff. Eine Sachparallele zu V. 6 findet sich bei Hesiod, Erga, s. Q 170. 87 S. dazu Kessler, aaO 288 f und Jeremias, aaO 216. 88 Keesler, aaO 293.
210 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
α) Verletzende Gesten und Worte Die Formen sozialer Missachtung, die in Mi 7,1–7 ebenso hellsichtig wie bedrückend geschildert werden, begegnen vor allem in den Individualpsalmen, den Konfessionen Jeremias, dem Sprüche- und dem Hiobbuch. Sie sind gestischer wie verbaler Natur und reichen von spöttischem Augenzwinkern bis zu verletzender Beschimpfung und Verleumdung:89 Gesten – Augenzwinkern als Zeichen eines den anderen ausschließenden Einvernehmens (Ps 35,19, vgl. Spr 6,13; 10,10 u. ö.) – „Schärfen, Wetzen“ des Auges als Ausdruck von Angriffslust (Hi 16,9) – Mundaufsperren als Geste der Feindschaft (Hi 16,10) – Bespucken als Ausdruck sozialer Ächtung (Num 12,14; Dtn 25,9; Jes 50,6; Hi 17,6; 30,9 f )90 – Kopfschütteln als Ausdruck ungläubigen Erstaunens / der Verhöhnung (Ps 22,8; 109,25, vgl. Jer 18,16; Ps 44,15; Hi 16,4; Klgl 2,15 u. ö.) – Lippenverziehen als Zeichen der Erniedrigung (Ps 22,8) – Zähneknirschen als Zeichen der Erniedrigung (Ps 35,15 f; 37,12; 112,10, vgl. Hi 16,9; Klgl 2,16, im politischen Kontext: 2 Kön 18,30.32b–35; 19,10–13) – Auslachen als ,soziale Strafe‘ (Dtn 21,6b u. ö.)
Worte – verbale Beschimpfung, Beschämung, Verachtung und Verleumdung (Ps 22,7; 31,19; 69,8.10 f.20 f; Spr 26,18–26) – prahlerisches Reden (Ps 35,26; 38,17; 41,10; 55,13, vgl. Jer 48,26.42 u. ö.) – schmeichlerisches = täuschendes Reden (Spr 26,2; 28,23; 29,5; Ps 55,22 u. ö.) – Preisgeben / Weitertragen von Geheimnissen (Spr 16,28; 17,9; 29,19) – üble Nachrede / höhnisches Gerede (Ps 41,6–9; 69,13; 71,10 u. ö.) – (keine) Schadenfreude (persönlicher Feind: Spr 17,5; 24,17; Hi 31,29; politischer Feind: Ob 11–15) – Aussagen als „Lügenzeuge“ (Ex 20,16, par. Dtn 5,20: „nichtiger Zeuge“)
Abb. 34: Verletzende Gesten und Worte im Alten Testament
Der öffentliche Ort der sozialen Missachtung war das Tor der Ortschaft bzw. der Stadt. Hier wurde nicht nur Gericht gehalten, gekauft und verkauft, sondern „… daneben immer auch mit Billigung und Missbilligung ,gehandelt‘ …, da hier die Menschen zum Gespräch verweilten, Gerüchte weitergegeben und Urteile gefällt wurden, wo Meinungen sich verdichteten, wo alles von allen zu beobachten war und der Mensch sich seiner nach außen gewendeten Natur am deutlichsten bewusst wurde.
S. dazu Lamp / Tilly, Öffentlichkeit, 46 ff. Es handelt sich bei diesen Verhaltensformen in der Hauptsache um körpersprachliche Gesten, die durch verba gesticulationis ausgedrückt werden, s. dazu auch Jenni, Verba gesticulationis, 150 ff, mit der aufschlussreichen Tabelle 159 ff. Dass Worte verletzen und kränken können, gehört auch heute leider zur Alltagserfahrung, s. dazu Gehring, Körperkraft, 211 ff und Krämer, Sprache, 31 ff. 90 S. dazu mit ägyptischen Parallelen Bojowald, Bespucken, 17 ff. 89
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 211
Wer hier das Augenmerk auf sich lenkte oder zum Gesprächsthema wurde, der war zugleich in aller Munde; was daher ,im Tor‘ über den Beter ,geklatscht‘ und an neuesten, beim Wein etwa geprägten Spottversen ausgetauscht wurde (und umgekehrt), das wird dem Beter sogleich auch in den Straßen nachgerufen worden sein, sobald man seiner ansichtig wurde“91.
Verletzende Gesten wie Augenzwinkern, Mundaufsperren, Kopfschütteln, Lippenverziehen oder Zähneknirschen sind Ausdruckshandlungen, die ebenso beschädigen oder gar ,töten‘ können wie verletzende Worte. Ein Beispiel für das Nebeneinander beider Kommunikationsformen – neben dem Augenzwinkern und Füßescharren ist in V. 13 von einem Zeigegestus mit den Fingern92 die Rede – ist der Passus über den belijja῾al-Menschen in Spr 6,12–15: 12 Ein belijja῾al-Mensch, ein Unheils-Mann (ist), wer wandelt in Falschheit des Mundes, 13 mit seinem Auge zwinkert, mit seinem Fuß scharrt, mit seinen Fingern deutet. 14 Aus Tücke in seinem Herzen richtet er Böses an, immerzu entfacht er Streit. 15 Darum: Plötzlich wird sein Unglück kommen, schlagartig wird er zerschmettert, und es gibt keine Heilung.93
Was die verletzenden Worte angeht, so kommen sie nicht nur aus dem Mund von Feinden, sie fallen auch in der Familie, wenn etwa der Sohn seine alt gewordenen Eltern, anstatt sie zu ehren, verächtlich behandelt bzw. „klein macht“ (qll pi.).94 Was dabei gesprochen wurde, ist nicht überliefert, man kann es sich aber vorstellen. Jedenfalls wird mit verletzenden, verachtenden und beschämenden Worten in den entsprechenden Texten soziale Degradierung nicht nur beschrieben, angekündigt oder angedroht, sondern regelrecht in Gang gesetzt. Denn, so P. Gehring in ihrem erhellenden Beitrag Über die Körperkraft von Sprache: „Im Moment der sprachlichen Verletzung wirkt nicht die Sprache verletzend, sondern in einem solchen Moment fungiert die Sprache als Ding. Die fragliche Sprechhandlung verwandelt sich – auch wenn Wörter gesagt werden mögen – in ihrem Sinn, in der Art ihrer physischen Qualität. Sie wird zu einer physischen Handlung der Person, die spricht. Die Sprache wird nicht wie, sondern tatsächlich als eine physische Berührung wirksam, und wird auch so erlebt: als ein Schlag, als ein Akt. Und im Grenzfall: als Vernichtung des Gegenübers.“95
Lamp / Tilly, aaO 51. Zum Tor als Ort der Rechtsprechung und der (männlichen) Öffentlichkeit s. unten 346 ff. 92 Vom Kommunikationsinhalt her ist dieser Gestus als ein „Lehren“ (jrh hif.) dargestellt, vgl. Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 113 f und Jenni, Verba gesticulationis, 157. 93 Übersetzung Schäfer, Poesie, 162 f, s. dazu auch Schipper, Sprüche I (BK), 392 ff. Zum Begriff belîja῾al „Schlechtigkeit, Bosheit, Nichtswürdigkeit“ s. Meinhold, aaO 113. 94 S. dazu oben 136 f. 95 Gehring, Körperkraft, 123 (H. i. O.). 91
212 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Ein markantes Beispiel für die gestische und verbale Vernichtungsabsicht des Frevlers ist der gestaffelte Zahlenspruch Spr 6,16–19, der sieben Aspekte gemeinschaftswidrigen Verhaltens aufzählt und dabei in vertikaler Anordnung fünf Körperbegriffe von den Augen, der Zunge, den Händen über das Herz bis zu den Füßen nennt: 16 Sechs sind es, die JHWH hasst, und sieben sind Gräuel für ihn: 17 hochmütige Augen, eine lügnerische Zunge Hände, die unschuldiges Blut vergießen, 18 und ein Herz, das Unheilspläne schmiedet, Füße, die eilig zum Bösen laufen, 19 einer, der als falscher Zeuge Lügen ausbläst, und wer zwischen Brüdern Streit entfacht.96
Körperbegriffe Augen, Zunge, Hände (oben) Herz (Mitte) Füße (unten)
β) Psalm 69 als Beispieltext Wie reagierte man im alten Israel auf diese Äußerungen sozialer Missachtung: mit blindem Hass, mit Selbststigmatisierung oder mit stummer Ergebenheit? Das alles wird es gegeben haben. Einen anderen Weg beschreiten die Klagen der Individualpsalmen und des Hiobbuchs, mit denen der Beter, das paradigmatische Opfer solcher Machenschaften, seine Demütigung hinausschreit und sich dabei an JHWH wendet. Die Gottklage von Ps 69,6–14a97 ist dafür einschlägig: 6 Gott, du, du hast erkannt meine Torheit, und meine Verschuldungen sind vor dir nicht verborgen gewesen. 7 Nicht sollen durch mich zuschanden werden (bôš), die auf dich hoffen, Herr, JHWH Zebaoth, nicht sollen durch mich beschämt werden (klm nif.), die dich suchen, Gott Israels! 8 Fürwahr, deinetwegen habe ich Schmach (hærpāh) ertragen, ˙ hat Beschämung (kelimmāh) bedeckt mein Angesicht! 9 Entfremdet worden bin ich meinen Brüdern, und ein Fremder98 den Söhnen meiner Mutter. 10 Fürwahr, der Eifer um dein Haus hat mich verzehrt, und die Schmähungen (hærpôt) derer, die dich schmähen, sind ˙ auf mich gefallen!
S. dazu Meinhold, aaO 114 ff und Schipper, aaO 397 ff. Zur Reihenfolge der fünf Körperbegriffe (mit dem Herzen im Zentrum!) s. auch Sæbø, Sprüche (ATD), 99 f. Zu einer ägyptischen Sachparallele aus der Lehre des Amenemope s. Q 40. 97 Außer den Kommentaren s. zu Ps 69 noch Grund, Schmähungen, 179 ff; Bremer, Gott, 369 ff und Poser, Beschämung, 118 ff. 98 Oder: „Ausländer“ (nåkrî). V. 9 beschreibt „eine Situation, wie sie für eine familienorientierte Person des antiken Jehud schlimmer kaum vorstellbar war, eine Situation zudem, die sie gänzlich auf die Beziehung zur persönlichen Gottheit zurückwirft“ (Grund, aaO 188). 96
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 213
11 Als ich 〈beugte〉 beim Fasten meine Lebenskraft (næpæš),99 geschahen Schmähungen (hærpôt) gegen mich. ˙ 12 Als ich zu meinem Gewand den Bußsack machte, wurde ich ihnen zum Spottwort. 13 Es reden über mich die, die am Stadttor sitzen, und Spottlieder (singen) die, die Rauschtrank trinken. 14 Ich aber, mein Bittgebet (geht) zu dir, JHWH, zur Zeit des Wohlgefallens.
In keinem anderen Psalm „werden die sozialen Mechanismen von Demütigung und Scham so facettenreich erfasst“100 wie in diesem Text. Allein das Wortfeld von Schmach, Schande und Scham ist singulär.101 Gezeichnet wird damit ein dichtes Bild der religiösen und sozialen Konflikte, die nicht nur den Beter, sondern auch diejenigen in Mitleidenschaft ziehen, die sich wie er zu JHWH Zebaoth halten (In-Group V. 7). Die agressiven Akteure (Out-Group) gehören möglicherweise verschiedenen Personengruppen an, nämlich einer Gruppe, die sogar JHWH verspottet (V. 10b), sodann einer Gruppe, die den Beter bei der Verrichtung von Fasten- und Trauerriten verhöhnt (V. 11 f), und schließlich einer Gruppe, die sich am Tor, dem Ort des öffentlichen Lebens,102 auf seine Kosten verlustiert (V. 13). Die Dinge geschehen jedenfalls in aller Öffentlichkeit und führen – horribile dictu! – sogar zur Entfremdung von seinen leiblichen Brüdern (V. 9). Auslöser der dramatischen Ereignisse scheint der „Eifer“ des Geschmähten für den JHWH‑ Tempel (V. 10a) zu sein, der seinen Kontrahenten ein Dorn im Auge ist.103 Dennoch hält der Beter an seinem Gott fest. Aber nicht nur das. Im zweiten Klagegang (V. 20–30) geschieht eine regelrechte Umkehrung, indem der Geschmähte die Schmähungen, die ihm angetan wurden, auf seine Gegner herabwünscht. Die an JHWH gerichteten Feindschädigungsbitten V. 23–26 (im Kontext von V. 23–29), die an die Notschilderung V. 20–22 nahtlos anschließen, sprechen eine deutliche Sprache: 23 Es werde ihr Tisch vor ihnen zum Klappnetz und 〈für die sich sicher Wähnenden〉104 zum Fangholz. 24 Es sollen finster werden ihre Augen, dass sie nicht mehr sehen, und ihre Hüften lass immerdar wanken. 25 Gieß aus über sie deinen Grimm, und die Glut deines Zorns soll sie erfassen. Oder: „Als ich mich mit Fasten demütigte“. Statt bākāh „weinen“ ist wahrscheinlich kāpap „beugen“ (+ Obj. napšî) zu konjizieren, vgl. Jenni, Beth, 144 mit Anm. 239. 100 Grund, aaO 180. 101 S. dazu und zu den Lexemen bôš, hrp, klm u. a. die Hinweise bei dies., aaO 181 Anm. 43, ferner Dietrich, Scham, 58 ff; Kepper,˙ „Scham“, 41 ff und Poser, aaO 115 ff. 102 S. dazu oben 210 f. 103 Zum religionssoziologischen Hintergrund s. Grund, aaO 183, ferner die Hinweise bei Bremer, aaO 370 Anm. 1257. 104 Zum Text s. Riede, Tischmotiv, 159.162 f. 99
214 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 26 Ihr Lagerplatz soll zur Öde werden, in ihren Zelten soll niemand mehr wohnen.105
Der Sinn dieser Bitten ist, wie die Metaphorik von V. 23 zeigt, eindeutig. Denn hier wird der „aus einer ausgebreiteten Matte bestehende ,Tisch‘ der Opferteilnehmer mit einer offenen Falle und die auf dieser Matte liegenden Fleischstücke und Brotfladen mit den Ködern (verglichen), die auf dem Stellholz der Falle angebracht sind [s. Abb. 35]. So also sind diese ,Opferteilnehmer‘: Ihnen geht es nur um diese Fleischstücke, deshalb soll die Falle des göttlichen Gerichts über ihnen zuschlagen, das dann in V. 24–29 ausgemalt wird“106.
Abb. 35: Klappfalle zum Vogelfang (Beni Hasan, MR)
Statt einer friedlichen Tischgemeinschaft möge es, so der entehrte und marginalisierte Beter, zum göttlichen Gericht kommen, das den Lagerplatz und das Zelt der Frevler verödet (V. 26). Wird hier hemmungslos überzogen und Gleiches mit Gleichem vergolten? So scheint es zu sein. Allerdings sollte das Ausmaß der beschriebenen Degradierungserfahrungen nicht relativiert werden. Im Übrigen gilt, dass „hier nicht der Weg der Wiederherstellung der eigenen Ehre durch direkte Wiederschädigung gesucht, sondern JHWH als zuständiger Rechtshelfer angerufen (wird)“107. So „verweist diese biblische Traditionslinie auf ein Ethos, in dem das Ansehen des anderen Menschen vor Verleumdung geschützt und Schamgrenzen respektiert werden, auf ein Ethos, das ein aktives Bemühen um eine Kultur der Anerkennung einschließt“108. dazu Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 277 (Zenger). aaO 277 f, s. dazu auch Riede, aaO 158 ff, allerdings ohne die Hypothese einer Opfermahlfeier. Dagegen spricht auch V. 26 (Lagerplatz, Zelte). 107 Grund, aaO 191. 108 Dies., aaO 193. 105 S.
106 Dies.,
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 215
b) Paradigmen sozialer Missachtung Dass der entehrte Beter, wie die angeführten Texte zeigen, zu dem ihm zugefügten Unrecht nicht schweigt, macht bei all seinem Leiden seine Würde aus. Der Preis dafür war unter Umständen hoch. Wie hoch er im Einzelfall war, soll – in Weiterführung der bisherigen Überlegungen – am Beispiel der Themen Entehrung / Schande und Freundschaft / Feindschaft gezeigt werden. α) Entehrung und Schande Altes Testament: Dietrich, Ehrgefühl, 419 ff ◆ Ders., Ehre, 16 ff ◆ Ders., Sozialanthropologie, 237 ff ◆ Ders., Scham, 58 ff ◆ Grund, Schmähungen, 178 ff ◆ Janowski, Persönlichkeitszeichen, 315 ff ◆ Janssen / Kessler, Art. Ehre / Schande, 97 ff ◆ Kumpmann, Schöpfen, 318 ff ◆ Neumann, Art. Ehre, 144 ff ◆ Olyan, Honor, 201 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 382 ff.386 ff.393 ff.400 ff ◆ Westermann, Art. kbd, 794 ff. – Antike Religionen: Kraus, Lebensgefühl, 127 ff ◆ Malina, Welt, 40 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 393 ff ◆ Steinert, Aspekte, 187 ff.405 ff.500 ff. – Philosophie, Kulturwissenschaft: Honneth, Anerkennung, 212 ff ◆ Vogt / Zingerle (Hg.), Ehre.
In den Kulturen des antiken Mittelmeerraums sind Ehre und Schande Werte, die das soziale Mit- bzw. Gegeneinander durch Markierung sozialer Grenzen regeln.109 Im Blick auf das Alte Testament lassen sich dabei folgende Hauptformen unterscheiden:110 – Leibesehre Ehre und Schande zeigen sich nicht nur im Angesicht als dem Körperteil, das für das soziale Kommunikationsvermögen steht (Ausdruck: Sir 19,29; Erheben: Gen 4,7; 32,21, vgl. 33,10; Bespucken: Num 12,14; Dtn 25,9; Jes 50,6; Hi 17,6; 30,9 f) und dem Kopf als dem Körperteil, das den Rang bzw. Status ausdrückt (Erheben: Gen 40,13.19 f; 2 Kön 25,27 = Jer 52,31; Ps 3,4), sondern auch an der Kleidung als der ,sozialen Haut‘ (Entblößung: 2 Sam 10,1–5 u. ö.; Abschneiden des Gewandzipfels: 1 Sam 15,27 f; 24,5– 7; Pfändung: Am 2,6–8 u. ö.; Königswürde / Aura: 2 Sam 12,30; 2 Kön 11,12; Ps 21,4.6 u. ö.).
– Statusehre Die Leibesehre ist aufs engste mit der Statusehre verbunden (2 Sam 10,1 ff u. ö.). Statusehre ist die „Ehre, die einer Person aufgrund des sozialen Ranges zukommt“111 (kābed „schwer, gewichtig“: Gen 13,2; Ex 12,38; 1 Kön 10,2 = 2 Chr 9,1 u. ö.; kābôd „Ehre, Ansehen, Prestige“: Gen 31,1; 45,13; Jes 10,3 u. ö.). Ein eindrücklicher Beleg für die Status-
109 S. dazu den Überblick bei Malina, aaO 40 ff; Dietrich, Ehrgefühl, 419 ff; Neumann, Art. Ehre,
144 ff u. a. Zu der in der älteren Literatur beliebten Unterscheidung zwischen „Schamkulturen“ und „Schuldkulturen“ s. die Kritik von Dietrich, aaO 420 f; Steinert, Aspekte, 492 ff und Grund, Schmähungen, 173 ff. 110 S. dazu vor allem Dietrich, aaO 422 ff, vgl. ders., Ehre, 16 ff. 111 Dietrich, aaO 429 f, vgl. Staubli, Kleider, 13 ff.
216 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs ehre ist die Erhöhung Josephs in Gen 41,42 f.112 Zur Statusehre zählen auch Hoheitstitel bei Propheten (Num 22,17), Gottesmännern (1 Sam 9,6) und Priestern (Jes 22,23).113
– Elternehrung Das Gebot, die Eltern zu „ehren“ (kbd pi.), bedeutet, sie mit dem Lebensnotwendigen (Nahrung, Kleidung, Wohnung) zu versorgen und respektvoll zu behandeln (Ex 20,12 par Dtn 5,16; Lev 19,3; Dtn 27,16; Mal 1,6 und Sir 3,1–6). Das Gegenteil ist das Herabsetzen oder „Klein-Machen“ (qll pi.) der Eltern (Ex 21,17; Lev 20,9; Ez 22,7; Spr 20,20; 30,11).114
– Ruhmesehre Die Ruhmesehre hat ihren Sitz im Leben offenbar im Kontext von Herausforderung (challenge) und Erwiderung (response), also von kriegerischen Auseinandersetzungen (2 Sam 21,15–22; 23,8–39). Begleitet werden diese Kämpfe zuweilen von Gesten der Verhöhnung des Gegners (2 Sam 21,16.21). Gekrönt werden sie vom Erwerb eines „großen Namens“ (2 Sam 23,18b. 22b, vgl. 2 Sam 8,13 u. ö.).115 Die mit dem „Namen“ verbundene Ruhmesehre spielt auch im Alten Orient eine zentrale Rolle.116
– Totenehre Ehre kommt nicht nur den Lebenden, sondern auch den Toten zu (2 Sam 10,3 = 1 Chr 19,3; in der Unterwelt bleiben Helden Helden und Könige Könige: Jes 14,9.18; Ez 32,21.27 u. ö.). Sie kann ihnen zwar genommen werden, doch wird dies als Sakrileg gewertet, weil es eine damnatio memoriae, also die Vernichtung ihres Trägers im kollektiven Gedächtnis bedeutet (Ps 41,6 u. ö.).117 Die Furcht vor einem unehrenhaften Tod belegen Ri 9,52–54 und 1 Sam 31,4.
– Weisheitliche Ehre Die Ehre des Weisen ist nicht an Äußerlichkeiten abzulesen, sondern an inneren Werten wie Weisheit, Demut und Gottesfurcht (1 Sam 16,7; 1 Kön 3,5–15; Spr 3,13–16; 4,8; 15,33; 18,12; 22,4; 29,23 u. ö.). Aus der in Gottesfurcht gründenden Weisheit heraus setzt Jesus Sirach zu einer Kritik an traditionellen Ehrvorstellungen an und unterscheidet berechtigte von falscher Scham (Sir 41,14–24; 42,1–8 u. ö.). Eine Besonderheit des weisheitlichen Konzepts von Ehre besteht darin, dass die Ehre des (reichen) Toten anthropologisch relativiert wird und die Würde des Menschen sich allein in seinem Bezug zu Gott konkretisiert (Ps 49,17 f).118 dazu Ebach, Genesis III (HThK.AT), 248 ff. Von der Königsehre ist in Dan 2,37; Est 3,1; 5,1; 6,6 ff; 8,2.16 u. ö. die Rede. Um Statuserhöhung geht es auch bei der Vergabe von „Ehrengold“ und anderen Schmuckstücken durch den Pharao an verdiente Beamte, Priester und Heerführer, s. Q 36. 113 S. dazu Dietrich, aaO 434 f. 114 S. dazu oben 135 ff. 115 Zur Bedeutung des Namens s. Dietrich, aaO 436 f; Bührer, „Namen“, 49 ff und oben 71 ff. 116 S. dazu Kraus, Lebensgefühl, 1127 ff und Zgoll, Unsterblichkeit, 1 ff. 117 S. dazu oben 72. Auch nach mesopotamischer Vorstellung bot das Weiterleben der Person in ihrem Namen die „Möglichkeit, mit der Unausweichlichkeit des Todes umzugehen“ (Zgoll, aaO 11). 118 S. dazu Dietrich, aaO 443 f. 112 S.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 217
– Entehrung I (Personen) Es gibt zahlreiche verbale und nonverbale Formen der Entehrung wie die Verspottung, die Verhöhnung, die Beschimpfung, das Augenzwinkern, das Mundaufsperren, das Kopfschütteln, das Lippenverziehen, das Zähneknirschenoder das Bespucken.119 In den Individualpsalmen und im Hiobbuch geht es dabei immer wieder um die Minderung bzw. Zerstörung der Ehre des Beters / Hiobs durch seine Feinde / Gott (Ps 4,3; 7,6; Hi 19,7–12.13–19 u. ö.) und die Wiederherstellung der Ehre durch Gott (Ps 3,4; 16,9; 30,13; 62,8; 73,24; 84,12; 91,15 u. ö.). Nach Hi 42,7–10 „erhebt“ JHWH das Angesicht Hiobs und wendet damit sein Geschick, d. h. er bringt ihn wieder zu Ehren (V. 10).120
– Entehrung II (Städte und Länder) Auch Städte und Länder können entehrt werden, wie das Beispiel der Schändung Judas durch die Assyrer (s. Abb. 36) und Babylonier121 oder der Ehrverlust Moabs (Jes 16,14) zeigen. Entsprechend vehement ist, besonders nach der Katastrophe von 587 v. Chr., der „Ruf nach Restauration der symbolischen Institutionen“122 und damit nach der Rehabilitierung durch den rettenden Gott. Das ist ein durchgängiges Thema der Klagelieder des Volkes (Ps 44; 74; 79 u. ö.). In Ps 44,14–18 tauchen „ungefähr sämtliche Begriffe auf, die dem Hebräischen zur Verfügung stehen, um ,Verachtung, Spott, Hohn, Schimpf, Schande, Schmach‘ u.ä. auszudrücken“123.
Abb. 36: Häutung von Gefangenen aus Lachiš (assyr. Wandrelief, Ninive)
119 S.
dazu die Auflistung oben 210. dazu Janowski, Gott, 227 ff. Zu mesopotamischen Sachparallelen zum „Heben / Senken bzw. Hoch-/Niedrig-Sein des Kopfes“ als Zeichen von Ehre bzw. Schande s. Steinert, aaO 187 ff.198 ff. 121 Zur Kriegspraxis der Assyrer s. Otto, Krieg, 37 ff und Berlejung, Gewalt, 205 ff. 122 Keel, Geschichte Jerusalems, 801 ff. 123 Ders., aaO 815, vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 396 f. 120 S.
218 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
– Menschenwürde Die dem Menschen nach Ps 8,6 von Gott verliehene „Ehre und Pracht“, die von Hiob als argumentum ad deum verwendet wird (Hi 7,17 f), stellt eine anthropologische Konstante dar, d. h. sie ist als allgemeines Gut so etwas wie eine „Gattungsehre“. Diese Entwicklung von der Leibes-, Status- und Ruhmesehre zur Würde jedes einzelnen Menschen ist nach wie vor ein Argument für die Gleichheit aller Menschen.124
Einige Beispiele sollen das Gesagte veranschaulichen. Sie kommen aus der Erzählliteratur (1 Sam 15,27 f; 24,5–7; 2 Sam 10,3 f), der Rechtsüberlieferung (Dtn 25,5–10) und der Gerichtsprophetie (Am 2,6–8) und stellen allesamt gravierende Formen sozialer Ächtung dar. Die Schande der Entblößung Ehre und Schande werden besonders sinnfällig an der Kleidung des Geehrten oder Beschämten. Denn Kleider sind ebenso wie der Name Persönlichkeitszeichen (identity marker),125 also „ein Teil der Person, und zwar ihr sichtbarster. Sie symbolisieren Ehre, Ansehen, Zugehörigkeit, Reichtum, Freude oder Schande, Verworfenheit, Fremdheit, Armut, Trauer, Protest. Das nobelste Gewand im alten Israel war das Gewand des Hohenpriesters. Die Ehre des Volkes fand darin einen sinnen- und sinnhaften Ausdruck. Die Sprache der Kleider wurde im Altertum – nicht anders als heute, im Zeitalter der Kopftuchdebatte – ganz genau wahrgenommen und interpretiert. Es geht also um ein zentrales, manchmal sogar heikles Thema“126.
SB I
SB II
SB II
SB II
EI
Abb. 37: Männerkleidung der Spätbronze- und Eisenzeit
Neumann-Gorsolke, Menschenwürde, 63 f und Dietrich, Ehrgefühl, 441 ff. Thema „Persönlichkeitszeichen“ s. Janowski, Persönlichkeitszeichen, 315 ff. 126 Staubli, Kleider, 7, vgl. Staubli / Schroer, aaO 386 ff. Zur alttestamentlichen Kleiderterminologie s. Bender, Sprache und Staubli, aaO 38 ff. 124 Vgl.
125 Zum
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 219
Aufschlussreich für das Thema „Ehre und Schande“ sind die Belege für den „Mantel“ (me῾îl)127 in den Erzählungen von Samuel, Saul und David (zur Männerkleidung s. Abb. 37).128 Wir beschränken uns auf drei Texte. So ist das Abreißen des Zipfels von Samuels Mantel durch Saul ein Zeichen für den künftigen Verlust des Königtums. Denn der Gewandzipfel oder Gewandsaum ist „eine Art Identitätskarte der Person“129: 27 Und Samuel wandte sich zum Gehen, und 〈Saul〉 packte den Zipfel seines Mantels (kenap-me῾îl) und riss 〈ihn〉 ab. 28 Und Samuel sagte zu ihm: „Heute hat JHWH das Königtum Israels von dir abgerissen. Und er wird es einem dir Nahestehenden geben, der besser ist als du.“ (1 Sam 15,27 f)130
Auch in der Erzählung von Sauls Notdurft in einer Höhle bei En-Gedi (1 Sam 24,1– 9) geht es um den Gewandzipfel und seine Symbolik. Nachdem David dem dort kauernden und seine Notdurft verrichtenden Saul heimlich einen Mantelzipfel abgeschnitten hatte, schlägt ihm sein Gewissen: 5 6 7
Und die Männer Davids sagten zu ihm: „Siehe, das ist der Tag, von dem JHWH dir gesagt hat: ,Ich werde deinen Feind in deine Hände geben!‘ Sieh, geht mit ihm um, wie es in deinen Augen gut ist!“ Und David erhob sich und schnitt heimlich den Zipfel von Sauls Mantel (kenap-hamme῾îl) ab. Und es war danach, und Davids Herz schlug ihn, dass er den Zipfel von Sauls 〈Mantel〉 abgeschnitten hatte. Und er sagte zu seinen Männern: „Das sei fern von mir um JHWHs willen, dass ich so etwas meinem Herrn, dem Gesalbten JHWHs, antue, meine Hand nach ihm auszustrecken, denn der Gesalbte JHWHs ist er!“ (1 Sam 24,5–7)131
Das nachträgliche „Schlagen“ von Davids Herz (= „Gewissen“) belegt nicht nur, welchen Tabubruch dieser Zugriff auf den Mantel der durch die Salbung geheiligten Person des Königs darstellt, sondern auch wie gefährlich nah David vor der Versuchung stand, Hand an Saul zu legen (vgl. V. 11 f!). Der „Zipfel des Mantels“ ist, wie auch 1 Sam 15,27 f zeigt, „kein nebensächliches Kleidungsaccessoire“, er steht vielmehr für „die Unversehrtheit des Trägers; den Zipfel abzuschneiden, ist
dazu Bender, aaO 113 f.114 ff. dazu Stansell, Honor, 94 ff und Olyan, Honor, 201 ff. 129 Staubli, aaO 15. 130 Zu diesem Text s. Dietrich, 1 Samuel II (BK), 136 f.170 ff. 131 S. dazu Janowski, Herz, 54 f, vgl. Dietrich, aaO 718 f. 127 S. 128 S.
220 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
ein Eingriff in dessen private Sphäre, ein Übergriff auf seine Integrität und ein Angriff auf seine Autorität“132. Und schließlich lässt der Ammoniterkönig Hanun die Diener Davids, die ˙ gekommen waren, um ihm Davids Beileidsbekundung wegen des Todes seines Vaters Nahasch zu überbringen – und damit der Pflicht zur Totenehrung zu ge˙ nügen133 –, festnehmen, ihnen die Hälfte des Bartes abscheren und auch noch die Kleider bis zum Gesäß abschneiden (2 Sam 10,4, vgl. 1 Chr. 19,4). Als Davids Gesandtschaft zu den Ammonitern gekommen war, sagten ihre Mächtigen folgendes zu ihrem Herrn Hanun: ˙ 3 „Meinst du wirklich, dass David deinem Vater damit eine Ehre erweisen wollte (kbd pi.), dass er eine Abordnung zum Kondolieren geschickt hat? Hat nicht viel eher David seine Leute zu dir geschickt, um die Stadt zu erforschen, auszuspionieren, um sie schließlich von Grund auf zu vernichten?“ 4 Darauf hielt Hanun die Abordnung Davids fest und ließ ihnen den Bart zur Hälfte ˙ abscheren und die Kleider (maddîm) halb bis zum Gesäß wegschneiden. So jagte er sie weg. (2 Sam 10,3 f)
Das Abschneiden der Barthälfte und die Entblößung des Gesäßes sind rüde Formen der öffentlichen Beschämung134 und Parallelen zur Aufdeckung der männlichen / weiblichen Scham.135 Um sie vor völliger Bloßstellung zu bewahren, beordert David, der mit seiner Initiative dem verstorbenen Ammoniterkönig eine „Ehre“ erweisen wollte (kbd pi. V. 3), die so Diffamierten (vgl. klm nif. „diffamieren, bloßstellen“ V. 5)136 nach Jericho, wo ihre Bärte ungestört nachwachsen können. Wie beschämend sich die Entblößung von Gefangenen ausnimmt, zeigt für den syrisch-palästinischen Raum die berühmte Elfenbeinplakette aus Megiddo (14./13. Jh. v.Chr, s. Q 144). Das Bespucken des Angesichts Eine drastische Form öffentlicher Beschämung ist auch das Bespucken (des Angesichts). Es trifft nicht nur den Ausgegrenzten (Hiob: Hi 17,6; 30,9 f; Gottesknecht: Jes 50,6), sondern auch den, der sich weigert, die Schwagerehe (Levirat) zu vollziehen. Die Institution des Levirats gilt für den Fall, dass eine Ehefrau ohne männliche Nachkommen zur Witwe wird.137 Nach Gen 38,8 ist dieser Fall folgendermaßen zu regeln:
132 Dietrich,
aaO 717. Totenehre s. oben 216. 134 S. dazu auch Olyan, Honor, 212 f und Dietrich, Ehrgefühl, 428 f. 135 Vgl. Gen 9,22 f; Jes 20,4 f und zur Aufdeckung der weiblichen Scham die metaphorischen Aussagen in Jes 47,3 (Babel); Ez 16,36 f (Jerusalem); 23,10 (Samaria / Ohola und Jerusalem / Oholiba); Nah 3,5 (Ninive) und dazu Dietrich, Nahum u. a. (IEKAT), 80 ff. 136 S. dazu Klopfenstein, Scham, 124 ff. 137 Zur Levirats- oder Schwagerehe als einem Sonderfall des altisraelitischen Eherechts s. Otto, 133 Zur
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 221
Geh mit der Frau deines Bruders die Schwagerehe ein und (richte auf =) schaffe deinem Bruder Nachkommen (zæra῾).
In Dtn 25,5–10 wird das „Aufrichten“ der Nachkommenschaft dagegen mit der Wendung „einen Namen für seinen Bruder aufrichten (qûm hif.)“ (V. 6, vgl. V. 7) bezeichnet und die Verweigerung dieser innerfamiliären Solidaritätspflicht mit einer Sanktion belegt: (5) Wenn zwei Brüder zusammen wohnen und einer von ihnen, der keinen Sohn hat, stirbt, so soll die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes außerhalb der Familie werden. Ihr Schwager soll sich ihrer annehmen, sie heiraten und die Schwagerehe mit ihr eingehen. (6) Der Erstgeborene, den sie gebiert, soll den Namen (šem) seines verstorbenen Bruders aufrichten.138 So soll sein Name in Israel nicht erlöschen. (7) Wenn der Mann aber seine Schwägerin nicht heiraten will und seine Schwägerin ans Tor(gericht) zu den Ältesten hinaufgeht und sagt: „Mein Schwager weigert sich, für seinen Bruder einen Namen aufzurichten in Israel,139 er will die Schwagerehe nicht mit mir eingehen!“, (8) und die Ältesten seiner Stadt rufen ihn herbei und reden ihm zu, er aber bei seiner Haltung bleibt und erklärt: „Ich will sie nicht heiraten!“, (9) dann soll seine Schwägerin vor den Augen der Ältesten zu ihm hintreten, ihm seine Sandale (na῾al) vom Fuß ziehen und ihm ins Gesicht spucken (jāraq) und ausrufen: „So behandelt man einen Mann, der seinem Bruder nicht das Haus baut!“ (10) Sein Name soll in Israel „Barfüßerhaus“140 genannt werden.
Was die Witwe am Bruder ihres verstorbenen Ehemanns vollzieht, ist ebenso rechtsverbindlich (Schuhausziehen) wie drastisch (Bespucken). Während das Ausziehen der Sandale ein performativer Akt ist, durch den die Verweigerung des Levirats rechtsverbindlich beantwortet wird,141 ist das Bespucken „eine soziale Sanktion, die von der Schwägerin unter Billigung durch die Gerichtsöffentlichkeit vollzogen wird“142. Die Pfändung des Gewands Das dritte Beispiel ist die physische Erniedrigung, die häufig im Kontext der Pfändung des Gewands143 begegnet. Von dieser Form der Entehrung handelt die Israelstrophe des Amosbuchs (Am 2,6–8) mit ihrer vierfachen Anklage, die mit einem gestaffelten Zahlenspruch beginnt (V. 6a) und nach den Anklagen gegen Ethik, 57 ff; Fischer, Rut (HThK.AT), 49 ff; Köhlmoos, Ruth (ATD), 73 f; Bührer, „Namen“, 487 f und unten 349 f. 138 Das „Aufrichten des Namens“ meint die Fortsetzung der Genealogie der Familie, s. dazu Otto, Altersversorgung, 106 f. 139 D. h.: die Genealogie seines Bruders zu erhalten. 140 Wörtlich: „Haus / Familie des ,Ausgezogen an Sandale‘“, vgl. Ges18, 825 s. v. na῾al. 141 Sein Kontext ergibt sich aus der Erzählung von Ruth 4,1 ff mit ihrer singulären Kombination von Levirat und Löserinstitution (vgl. Lev 25,25 ff), s. dazu unten 349 f. 142 Otto, aaO 108 Anm. 149. 143 Zur Pfändung des Gewands s. Ex 22,25 f (dazu oben 193 f) und Dtn 24,12 f, vgl. Spr 20,16; 27,13; Hi 22,6; 24,7 und die Petition eines Erntearbeiters aus Mesad Hašavyāhū, s. Q 146. ˙ ˙
222 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Schuldknechtschaft (V. 6b), physische Demütigung und Rechtsbeugung (V. 7a) und Sexualvergehen mit sozialem Hintergrund (V. 7b) an letzter Stelle von „gepfändeten Kleidern“ bzw. von „Wein von Bußgeldern“ spricht (V. 8): 6 7 8
So hat JHWH gesprochen: Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier kann ich es nicht zurücknehmen: weil sie den Aufrechten um Geldes willen verkaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen; die da noch im Staub der Erde die Geringen auf den Kopf treten und den Weg der Bedürftigen beugen; ein Mann und sein Vater gehen zum gleichen Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen; auf gepfändeten Kleidern (begādîm habulîm) strecken sie sich aus ˙ neben jedem Altar, und Wein von Bußgeldern trinken sie im Haus ihres Gottes.144
Im Unterschied zu Ex 22,25 f und Dtn 24,12 f liegt der Ton bei den in V. 8 inkriminierten Vergehen nicht auf der Dauer der Pfandnahme, sondern auf der Art der Verwendung des Pfandgutes. Das Kleid, das mit seinem Träger aufs engste verbunden ist, wird hier zweckentfremdet und „die Person, deren Kleid gepfändet wurde, im wahrsten Sinne des Wortes ,in den Dreck gezogen‘“145. So wird an der Zweckentfremdung des Gewands die soziale Entehrung seines Trägers öffentlich sichtbar. β) Der treulose Freund Altes Testament: Bauks, Feinde ◆ Dietrich, Freundschaft, 37 ff ◆ Ders., Sozialanthropologie, 237 ff ◆ Grund, Schmähungen, 174 ff ◆ Hardmeier, Sinnerschließung, 1 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 98 ff ◆ Kreuzer, Art. Freundschaft, 166 ff ◆ Olyan, Friendship, 69 ff ◆ Reiterer, Freundschaft, 269 ff ◆ Riede, Netz ◆ Ruwe, Vertrauenszuwachs, 147 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 360 ff. – Antike Religionen: Assmann, Ma᾽at, 58 ff ◆ Dietrich, Freundschaft, 39 f.40 ff ◆ Gehrke / von Reibnitz, Art. Freundschaft, 669 ff ◆ von Weiher, Gilgameš, 106 ff.
Feindschaft ist das Gegenteil von Freundschaft. Während diese – wenn sie gelingt – eine tragende Säule einer Gesellschaft146 ist, ist jene eine zerstörerische Kraft, die alle sozialen Beziehungen vergiftet. Das gilt besonders für den Fall, dass aus Freunden Feinde werden.147 Und zwar deshalb, weil Feindschaft, zumal diejenige des einstigen Freundes, etwas Kostbares und Fragiles zerstört, nämlich das Vertrauen in die Ordnung der sozialen Welt und ihre schutzbedürftigen Handlungsräume. 144 S.
dazu auch unten 260 ff. Joel / Amos (NSK.AT), aaO 162 (Fleischer). 146 Vgl. zu dieser Formulierung Reiterer, Freundschaft, 269 ff. 147 S. dazu unten 226 ff. 145 Dahmen / Fleischer,
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 223
Hellsichtig und klar hat dies Aristoteles (384–322 v. Chr.), der große Theoretiker der Freundschaft, in den Büchern VIII und IX seiner Nikomachischen Ethik beschrieben. Zu Beginn von Buch VIII nennt er drei Gründe für die Behandlung des Themas „Freundschaft“, nämlich ihre Lebensnotwendigkeit, ihre Nützlichkeit und ihre Werthaftigkeit (s. Q 172). Als Inbegriff aller positiven Beziehungen ist Freundschaft aber nicht nur ein Thema der griechisch-römischen Antike,148 sondern auch des Alten Orients. Das klassische Beispiel ist die Freundschaft zwischen Gilgamesch und Enkidu, die nach dem Prinzip der Gleichrangigkeit aufgrund äußerer Eigenschaften, vor allem aufgrund der Ebenbürtigkeit an Kraft geschlossen wird. Nach dem Plan des Himmelsgottes Anum soll Enkidu, den die Götter als Gegenspieler für Gilgamesch erschaffen, dessen ungestümem Wesen entgegenwirken: 97 Dem Sturm seines (sc. Gilgameschs) Herzens soll jener (sc. Enkidu) der Widerpart sein. 98 Aneinander mögen sie sich messen, dass Uruk (so) zur Ruhe kommen kann! (Taf. I 97 f)149
In den Abenteuern, die sie dann gemeinsam bestehen, zeigt sich, dass Freundschaft in verlässlicher Hilfe für den anderen besteht und Enkidu als „starker Genosse“ (dannu tappu) und „Retter des Freundes“ (mušezib ibri) auftritt: Zu dir wird kommen ein starker Genosse, einer, der errettet den Freund. (Taf. I 268, vgl. 291)
Gleichheit, Gegenseitigkeit und Verlässlichkeit, die die Grenzen von Abstammung und Verwandtschaft übersteigen, sind auch im Alten Testament die Hauptcharakteristika von Freundschaft.150 Berühmte Beispiele sind die Freundschaft zwischen David und Jonathan (1 Sam 18–23)151 und zwischen David und Huschai (2 Sam 15,37; 16,16, vgl. 1 Kön 4,5; 1 Chr 27,33). Besonders eindrücklich wird in 1 Sam 18,1–4 die starke emotionale Beziehung Jonathans zu David geschildert („er liebte ihn wie sich selbst“). Er schließt sogar einen Bund mit David und übergibt ihm als sichtbares Zeichen für dessen Abschluss seinen Mantel samt seinen Gewändern und Waffen, d. h. sein ,symbolisches Kapital‘,152 und schenkt ihm damit „ein Stück seiner Identität“153: dazu die Hinweise bei Marböck, Jesus Sirach (HThK.AT), 110 f. Maul, Gilgamesch-Epos, 49, s. dazu auch Sallaberger, Gilgamesch-Epos, 113 f und Dietrich, Freundschaft, 42. Zur Klage um den toten Freund Enkidu in Taf.VIII 42–45; X 226–248 u. ö. s. Dietrich, aaO 44 f. 150 S. dazu Dietrich, Freundschaft, 39 f und im Folgenden. 151 Vgl. 1 Sam 18,1 ff; 19,1 ff; 20,1–21,1; 23,15bff; 2 Sam 1,26 und dazu Schroer / Staubli, David, 15 ff; Dietrich, aaO 43 f und Olyan, Friendship, 69 ff. Zur Frage, ob die Freundschaft zwischen Jonathan und David homoerotisch geprägt war, s. oben 119. 152 S. zu diesem auf P. Bourdieu zurückgehenden Ausdruck Dietrich, Ehrgefühl, 434 f. Zum Kleid als Persönlichkeitszeichen s. oben 218 ff. 153 Dietrich, 1 Samuel II (BK), 418, vgl. Weippert, Art. Kleidung, 496. 148 S.
149 Übersetzung
224 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs 1 2 3 4
Und es war, als er (sc. David) zu Saul zu sprechen aufgehört hatte, da verband sich Jonathan mit David.154 Und Jonathan liebte ihn wie sich selbst (kenapšô). Und Saul nahm ihn an diesem Tag (zu sich) und ließ ihn nicht ins Haus seines Vaters zurückkehren. Und Jonathan schloss mit David einen Bund, weil er ihn liebte wie sich selbst (kenapšô). Und Jonathan zog den Mantel (me῾îl), den er trug, aus und gab ihn David – und seine Gewänder (maddîm) und sogar sein Schwert und sogar seinen Bogen und sogar seinen Gürtel (hagôr). (1 Sam 18,1–4) ˙
Während im Unterschied zu gr. φιλία und zu lat. amicitia ein hebräischer Terminus für „Freundschaft“ fehlt, gibt es mehrere Begriffe, die die familiäre, soziale und politische Dimension freundschaftlicher Beziehungen zum Ausdruck bringen, wobei zu beachten ist, dass sich das Bedeutungsfeld der deutschen Begriffe „Freund, Freundin, Freundschaft“ nicht genau mit den hebräischen Begriffen deckt.155 Dazu gehören folgende Ausdrücke: – ᾽oheb „Liebender, Freund“ – ᾽āh „Bruder“ ˙ – ᾽āhôt „Schwester“ ˙ – dôd „Liebling“ – hāber „Genosse, Kamerad, Freund“ ˙ – rea῾ „Nächster, Nachbar, Freund“ – rā῾jāh „Freundin“
Die älteren Sammlungen des Sprüchebuchs enthalten einzelne Sentenzen zum Thema „Freundschaft“, und zwar zur Freundschaft, die dem Armen fehlt (Spr 14,19–24; 19,1–7), die sich in der Not bewährt (Spr 17,17; 25,19), die durch Verleumdung zerstört wird (Spr 25,18; 26,18 f, vgl. Spr 3,32; 6,28) oder die durch Zurückhaltung und Aufrichtigkeit gefördert wird (Spr 25,17–19; 27,5 f.17): 19 Die Bösen müssen sich mit Sicherheit vor den Guten bücken und die Frevler an den Toren des Gerechten. 20 Sogar seinem Freund ist der Arme verhasst, aber die Liebhaber des Reichen sind zahlreich. 21 Wer seinen Nächsten verachtet, verfehlt sich, aber wer sich der Elenden erbarmt – glückselig ist er! 22 Werden nicht diejenigen, die Böses schmieden, irregehen? Aber zuverlässige Güte (sind / erlangen) diejenigen, die Gutes schmieden.
154 Wörtlich:
„Da kettete sich das Verlangen (næpæš) Jonathans an das Verlangen (næpæš) Davids“. Offenbar meint næpæš hier so etwas wie „leidenschaftliche Anhänglichkeit“, vgl. Seebaß, Art. næpæš, 540 und Müller, „Seele“, 221. 155 S. dazu Kreuzer, Art. Freundschaft, 167 ff, vgl. Dietrich, Freundschaft, 39.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 225
23 In jeder Mühe gibt es Gewinn, aber (lediglich) ein Wort der Lippen (gereicht) nur zum Mangel. 24 Das Diadem der Weisen ist ihr Reichtum, aber die Selbstklugheit der Selbstzufriedenen ist (und bleibt) Selbstklugheit. (Spr 14,19–24) 18 Wie derjenige, der sich irrsinnig stellend, Brandpfeile, Pfeile und (schließlich) Tod schleudert, 19 ist einer, der seinen Nächsten täuschte und sagte: „Scherze ich nicht nur?“ (Spr 26,18 f) 17 Mach deinen Fuß selten im Haus deines Freundes, damit er deiner nicht übersättigt wird und dich hasst! 18 (Wie) Kriegshammer, Schwert und geschärfter Pfeil ist ein Mensch, der gegen seinen Nächsten als Lügenzeuge aussagt. 19 (Wie) ein bröckliger Zahn und ein wackliger Fuß ist Vertrauen, das sich als unzuverlässig am Tag der Bedrängnis erweist. (Spr 25,17–19)156
In der Spätzeit des Alten Testaments gewinnt das Freundschaftsthema, nicht zuletzt aufgrund des Kulturkontakts mit der hellenistischen Welt, zunehmend an Bedeutung. So enthält das Sirachbuch (1. Viertel des 2. Jh.s v. Chr.) zahlreiche Texte zur Freundschaft (s. Q 205), die sich gleichermaßen durch sensible Beobachtung wie durch definitorische Prägnanz auszeichnen. Der locus classicus ist Sir 6,5–17, wo es u. a. heißt: 14 Ein treuer Freund – ein starker Schutz, wer ihn gefunden, hat einen Schatz gefunden. 15 Für einen treuen Freund gibt es keinen Gegenwert und nichts wiegt seine Vortrefflichkeit auf. 16 Ein treuer Freund – eine Arznei des Lebens und die den Herrn fürchten, werden ihn finden. 17 Wer den Herrn fürchtet, hält aufrichtige Freundschaft, denn wie er selbst, so auch sein Gefährte.157
Die Kostbarkeit eines „treuen Freundes“ (φίλος πιστός / ᾽hb ᾽mwnh) – starker Schutz (V. 14a), unbezahlbarer Wert (V. 15a), Arznei des Lebens (V. 16a) – hat nach V. 16b. 17 ihren Grund „in der Gottesfurcht als letzter Übereinstimmung vor Gott, die auch in Bedrängnis standhält (V. 8b.10b). Hierin liegt der persönliche Beitrag der Erziehung Sirachs zur Freundschaft, der nicht nur über das Ideal der Antike, sondern auch über bisherige Aussagen des Alten Testaments hinausweist“158.
Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 237; II (ZBK.AT), 423.433. Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 108. 158 Ders., aaO 113. 156 Übersetzung 157 Übersetzung
226 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Vor diesem Hintergrund wiegt es umso schwerer, wenn aus Freunden Feinde werden. Davon spricht derselbe Text einige Verse vorher im Zusammenhang einer Erörterung von Erprobung und Bewährung der Freundschaft: 7 Willst du einen Freund gewinnen, gewinne ihn durch Erprobung und schenke ihm nicht zu rasch Vertrauen. 8 Es gibt nämlich einen Freund nur für seinen Zeitpunkt, doch er bleibt es nicht am Tag deiner Bedrängnis. 9 Und es gibt einen Freund, der sich zur Feindschaft kehrt und schmählichen Streit von dir enthüllen wird. 10 Und es gibt einen Freund als Tischgenossen doch er bleibt es keineswegs am Tag deiner Bedrängnis 11 und in deinem Glück wird er sein wie du und bei deinem Hausgesinde kühn das Wort führen, 12 wenn du erniedrigt bist, wird er gegen dich sein und sich vor deinem Angesicht verbergen. 13 Von deinen Feinden trenne dich und vor deinen Freunden nimm dich in Acht! (Sir 6,7–13)159
Das stichhaltige Kriterium wahrer Freundschaft ist der „Tag meiner Bedrängnis“ (V. 8.10, vgl. Spr 25,19), an dem der einstige Freund versagt und sich zum Feind wandelt, sobald es schwierig wird (V. 9). Wie gravierend diese Wandlung ist, lässt sich auch an anderen Texten studieren. Neben Ps 41,10 und Hi 19,19160 ist vor allem die Gebetsreflexion Ps 55161 zu nennen, die nach den Bitten um Erhörung (V. 2–3a) mit einer Leidklage über die Bedrohung durch die Feinde (V. 3b–6) und dem Wunsch nach Flucht vor den Feinden (V. 7–9) einsetzt: Bitten um Erhörung 2 Vernimm, Gott, mein Gebet, und verbirg dich nicht vor meinem Flehen! 3 Achte doch auf mich und antworte mir!
Klage Ich irre umher in meiner Klage und ich bin außer mir162 4 wegen der Stimme des Feindes, wegen der Bedrängnis des Frevlers,
159 Ders.,
aaO 108. Ps 41,10 s. oben 186 ff, zu Hi 19,19 (im Kontext von V. 13 ff) s. außer den Kommentaren noch Seybold, Gebet, 51 ff; Janowski, Konfliktgespräche, 174 f; Bauks, Feinde, 74 f und Heckl, Hiob, 114 ff.350 ff. 161 Zu Ps 55 s. außer den Kommentaren noch Riede, Netz, 279 ff; Süssenbach, Psalter, 115 ff; Hardmeier, Sinnerschließung, 1 ff und Ruwe, Vertrauenszuwachs, 147 ff. Zum Vergleich zwischen dem treulosen Freund von Ps 55,13 ff.21 ff und den Freunden Hiobs s. Köhlmoos, Audiatur, 83 ff. 162 Zu den Textproblemen s. Janowski, Selbst, 100 Anm. 114. 160 Zu
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5 6
denn sie wälzen auf mich Unheil,163 und im Zorn feinden sie mich an. Mein Herz bebt in meinem Inneren, und Todesschrecken sind auf mich gefallen. Furcht und Zittern überkommen mich, und es hat mich Entsetzen bedeckt.
Irrealer Wunsch 7 8 9
Und ich sprach: Hätte ich doch Flügel wie eine Taube, fliegen wollte ich und mich niederlassen! Siehe, ich möchte in die Ferne fliehen,164 übernachten möchte ich in der Wüste! – Sela Eilen möchte ich zu meinem Zufluchtsort vor dem reißenden Wind, vor dem Sturm. (Ps 55,2–9)
Gemäß der Klage V. 3b–6165 ist die existentielle Situation des Beters bedrückend klar: er leidet unter der anhaltenden Bedrängnis seiner Feinde, die ihn zu unkoordinierten Bewegungen veranlasst (rwd hif. „[ziellos] umherirren“ V. 3b, vgl. Gen 27,40) und mit Todesschrecken, Furcht, Zittern und Entsetzen überzieht (V. 5 f). Während V. 3b die depressive Reaktion des Beters („umherirren“ // „außer sich sein“) ausmalt und V. 4a den Grund dafür angibt, expliziert V. 4b die Aktion der Feinde. Die dabei verwendete Wendung „sie bringen Unheil zum Wanken“ dürfte besagen, dass „das Unheil wie eine Mauer oder ein Felsblock gedacht (ist), den man über dem Dichter ,zum Umfallen bringt‘“166. Das passt zur vertikalen Bewegungsrichtung der Bedrohung, von der in V. 5b („fallen auf etwas / jemanden“) und V. 6b („bedecken“) die Rede ist. Demgegenüber entwerfen V. 7–9 ein horizontales Gegenbild, indem sie den Wunsch des Beters nach einer Flucht aus der bedrohlichen Stadt (vgl. V. 10b–12) in die – lebensfeindliche! – Wüste167 formulieren, wo er, was eine Steigerung ist, sogar „übernachten“ (lîn) möchte. Der Passus verwendet dabei Verben der Bewegung („fliegen“, „in die Ferne fliehen“, „eilen“), die nach V. 7b und V. 8b zur Ruhe kommt („sich niederlassen“, „übernachten“). Obwohl der Wunsch des Beters irreal ist („hätte ich doch Flügel …“) und auch unvermittelt abbricht, tut er mit ihm den ersten Schritt aus der Umklammerung seiner Feinde und ihrer hinterhältigen Sprachgewalt (V. 22), der aber erst nach mehreren Stadien (Klagegänge V. 10b–16.21 f[.23], unablässiges Gebet V. 17–19, Bitte V. 24a) in das abschließende Vertrauensbekenntnis mündet (V. 24b). 163 Wörtlich:
„Sie bringen Unheil zum Wanken“, s. dazu im Folgenden.
164 Wörtlich: „Ich möchte das Fliehen fern machen“, zu ndd q. „(rastlos, ziellos) fliehen“ s. ders.,
aaO 101 ff. dazu Hardmeier, aaO 44 ff.49 ff. 166 Duhm, Psalmen (KHC), 219 mit der Übersetzung: „denn sie stürzen auf mich Unheil“. 167 S. dazu Riede, aaO 287 ff. 165 S.
228 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs
Im zweiten Teil (V. 10–16) des Klagegebets V. 2–16 wird die Feindthematik, die bereits in V. 4 anklingt, dann in voller Breite entfaltet. Hier kommen die Folgen der Feindseligkeit zur Sprache, und zwar in der sozialen (V. 10b–12) wie in der persönlichen Umgebung des Beters (V. 13–15):168 Anrede an Gott 10 Vertilge, mein Herr, spalte ihre Zunge, denn ich habe gesehen Gewalttat und Streit in der Stadt! 11 Bei Tag und bei Nacht umkreisen sie (sc. die Feinde) sie (sc. die Stadt) auf ihren Mauern, und Unheil und Bedrückung sind in ihrem Inneren. 12 Frevel sind in ihrer Mitte, und nicht weicht von ihrem (Markt-)Platz Unterdrückung und Betrug.
Anrede an den Freund 13 Fürwahr, nicht ein Feind ist es, der mich schmäht – ich würde (es) ertragen, nicht einer, der mich hasst, hat gegen mich groß getan – ich könnte mich vor ihm verstecken, 14 sondern du, ein Mensch meinesgleichen,169 mein Vertrauter und Bekannter, 15 die wir zusammen vertraute Gemeinschaft pflegten,170 im Haus Gottes umhergingen in der Menge! 16 Er (sc. JHWH) 〈möge Tod legen〉 auf sie, hinabsteigen sollen sie ins Totenreich lebendig,171 denn Bosheiten sind in ihrer Wohnung, in ihrem Inneren! (Ps 55,10–16)
Nach dem „Bild eines völlig zerrütteten Gemeinwesens“172 mit Gewalt, Unterdrückung und Betrug (V. 10b–12) wird in V. 13–15 die persönliche Not des Beters geschildert. Nicht ein Feind, der ihn verhöhnt – was er ertragen könnte –, auch nicht ein Hasser, der ihn demütigt – vor dem er sich verstecken könnte (V. 13b) –, sondern „ein Mensch meinesgleichen, mein Vertrauter und Bekannter“ (V. 14) ist es, der die tiefe Bestürzung des Beters auslöst.173 „Ist es nicht ein Kummer, der bis an den Tod heranreicht“, fragt der späte Text Sir 37,2 mit rhetorischer Prägnanz, „wenn ein Freund, der dir ganz nahe steht, sich in einen Feind verwandelt?“ (s. Q 205). Dem ist nichts hinzuzufügen.
dazu Hardmeier, aaO 50 ff und Köhlmoos, aaO 99 ff. „ein Mann, der mit mir gleichrangig ist“, s. dazu Jenni, Vergleichbarkeit, 208 f. 170 Wörtlich: „die wir die Gemeinschaft süß machten“. 171 Oder: „bei lebendigem Leib“. 172 Hardmeier, aaO 51. 173 Ders., aaO 62 f vermutet m. E. zu Recht, dass der Kern der Vertrauenskrise mit den gewalttätigen Vorgängen in der Stadt (V. 10bff) zusammenhängt, denen der einstige, jetzt aber treulose Freund tatenlos zusieht (Entsolidarisierung) und denen der Beter schutzlos ausgesetzt ist. 168 S.
169 Oder:
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 229
Exkurs 10: Feindesliebe Altes Testament: Dietrich, Rache, 44 ff.46 ff ◆ Gaß, Handeln, 300 ff ◆ Janowski, Tat, 186 ff ◆
Ders., Konfliktgespräche, 125 ff ◆ Köckert, Nächstenliebe, 31 ff ◆ Meinhold, Feind, 189 ff ◆ Otto, Ethik, 243 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 270 f. – Antike Religionen, Neues Testament: Meinhold, Feind, 192 f ◆ Reiser, Love, 411 ff ◆ Söding, Nächstenliebe, 145 ff.
Es gibt auch andere biblische Texte zum Verhältnis von Freund(en) und Feind(en) als die zuletzt besprochenen. An erster Stelle natürlich das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, dem Urbild der Nächstenliebe (Lk 10,25–37).174 Das Gebot der Feindesliebe (Mt 5,38– 47; Lk 6,27–35) geht noch einen Schritt weiter, indem es auch im Feind den Nächsten sieht: „Auch der Feind kann zum Nächsten werden, der geliebt werden soll. Er wird es, wenn er nahekommt – auch wenn er zudringlich wird. Jesus nimmt den genuinen Impuls des alttestamentlichen Liebesgebotes auf, dass die persönlichen Gegner nicht von der Nächstenliebe ausgenommen sind, sondern im Gegenteil die Nächstenliebe herausfordern. Aber er wählt Beispiele, die diese Impulse nicht nur über alles hinaus verstärken, was im Judentum der Zeit vertreten worden ist, sondern zeigen sollen, dass es überhaupt keinen Grund geben kann, einen Menschen, der sich als Feind aufführt, nicht doch zu lieben.“175 Gibt es auch im Alten Testament und seiner altorientalischen Umwelt ein Gebot der Feindesliebe? Während es in Ägypten und Mesopotamien kein explizites Feindesliebegebot, wohl aber Forderungen gibt, dem (persönlichen) Feind wohl gesonnen zu sein (Lehre des Ani, s. Q 38; Lehre des Amenemope, s. Q 39; Counsels of Wisdom, s. Q 93), begegnet ein implizites (!) Gebot der Feindesliebe wohl im Gebot der Nächstenliebe von Lev 19,17 f: 17 18
Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, du sollst deinen Volksgenossen scharf zurechtweisen, auf dass du nicht wegen ihm eine Sünde trägst. Du sollst nicht Rache üben und nichts nachtragen den Kindern deines Volkes. Und du sollst deinen Nächsten (rea῾) lieben – (er ist) wie du. Ich bin JHWH.
Wie die drei anderen synonymen Begriffe „Bruder“, „Volksgenosse“ und „Kinder / Söhne deines Volkes“ zeigen, ist der „Nächste“ zunächst der Mit-Israelit.176 In Lev 19,33 f wird das Gebot dann auf den Fremden (ger) ausgeweitet, der zu lieben und mit derselben Achtung zu behandeln ist wie ein Einheimischer (᾽æzrāh).177 Wie diesen soll man jenen „nicht aus˙ dazu Söding, Nächstenliebe, 129 ff. Zur Nächstenliebe in Tob 4,5 ff s. Q 204. aaO 186. 176 S. dazu Gaß, Handeln, 301 f.307 f. Der Begriff rea῾ „Nächster, Nachbar, Freund“ bezeichnet ganz allgemein „den Mitbürger, den Menschen, mit dem man zusammen am selben Ort wohnt, mit dem man täglich zu tun hat, d. h. die menschliche Gemeinschaft, in der man zu Hause ist“ (Gese, Dekalog, 74 [H. i. O.]), s. dazu auch Kellermann, Art. rea῾, 545 ff und die Hinweise bei Schmidt, Zehn Gebote, 125 mit Anm. 2. 177 S. dazu oben 169 f, vgl. Dtn 10,18 f (Liebe JHWHs zum Fremden) und dazu Otto, Deuteronomium II (HThK.AT), 1038 ff. 174 S.
175 Ders.,
230 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs nutzen“ (Lev 19,33), also nicht durch Rechtsbeugung oder falsche Gewichte und Maße übervorteilen. Daher gilt das Gebot der Nächstenliebe gegenüber dem, „der gerade in meiner Nähe ist und meine Hilfe braucht“178. Wenn man es aus seinem Kontext herauslöst und für sich nimmt, ist es „durchaus offen für eine inklusive Deutung, die nationale Grenzen übersteigt. Die wird in V. 34 auch gegeben, war aber in V. 18 ursprünglich nicht im Blick“179. Dem Gebot der Nächsten- und Fremdenliebe in Lev 19,17 f.33 f, das das Wort „Feind“ nicht verwendet, entspricht sachlich das Gebot der Feindeshilfe in Spr 25,21 f,180 für das es Sachparallelen in der ägyptischen Weisheitsliteratur gibt: 21 22
Wenn es deinen Hasser hungert, speise ihn mit Brot, wenn es ihn dürstet, tränke ihn mit Wasser! Fürwahr, feurige Kohlen sammelst du auf seinen Kopf, und JHWH wird (es) dir vergelten (šlm pi.). (Spr 25,21 f)
Man gibt auch Brot dem, den man nicht mag, und Speise dem, der ungerufen kommt. Beeile dich nicht, den anzugreifen, der dich angegriffen hat. 290 Überlasse ihn der Gottheit, melde ihn täglich (im Gebet) dem Gott, morgen ebenso wie heute: dann wirst du sehen, was der Gott tut: Er lässt den fallen, der sich vergangen hat. (Lehre des Ani Z. 287–294, s. Q 38) 80
Steure, dass wir den Bösen übersetzen, wir wollen nicht handeln wie seinesgleichen. Richte ihn auf, reiche ihm deine Hand, setze ihn in die Arme des Gottes, fülle seinen Leib mit Brot von dir, dass er satt werde und sich schäme. (Lehre des Amenemope Z. 77–82, s. Q 39)
Die Aufforderung von Spr 25,21 f, dem „Hasser“, also dem persönlichen Feind, mit Brot und Wasser das Lebensnotwendigste zu gewähren, und damit – im Gegensatz zu Spr 17,13: „Wer Gutes mit Bösem vergilt (šûb hif.), von dessen Haus wird Böses nicht weichen“ – auf die „Vergeltung“ der bösen Tat („hassen“) zu verzichten, zeigt, wie wenig dem Weisen feindliches Verhalten entspricht oder besser: entsprechen sollte. Während dieser aus zwei Bedingungen (V. 21) und einer begründeten Folge (V. 22) bestehende Mahnspruch im Bedingungsteil die Relation Feind / Weiser enthält, kehrt der Begründungsteil dies in seiner ersten Hälfte (V. 22a) um und bringt in seiner zweiten Hälfte (V. 22b) durch
178 Ders.,
aaO 733. Nächstenliebe, 37, s. dazu ders., aaO 39 ff.43 ff, ferner Hieke, Levitikus (HThK.AT),
179 Köckert,
754 ff.
180 Andere
Texte wie Ex 23,3 f und Dtn 22,1 ff behandeln das Verhältnis zum ausdrücklich genannten „Feind“ in konkreten Notfällen, s. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 128 und Köckert, aaO 41.
§ 5 Die Sozialsphäre des Menschen 231
den Bezug auf JHWHs „Vergeltungshandeln“ eine auffällige Weiterung ein, schematisch dargestellt: 21a Mensch (Feind) ← Mensch (Weiser) b Mensch (Feind) ← Mensch (Weiser) 22a Mensch (Weiser) → Mensch (Feind) b Gott (JHWH) → Mensch (Weiser) K. Koch zufolge „(macht) JHWH … die Guttat dem Täter ,vollständig‘ in dem dazugehörigen Ergehen“181, d. h. der Mahnspruch spricht JHWH „… nicht ein ,Vergelten‘ zu, das dem Täter etwas seinem Wesen und seiner Tat Fremdes zukommen lässt, sondern setzt … voraus, dass Tat und Ergehen zusammengehören, wobei dieses jenem entspricht. Diese Voraussetzung wird allerdings hier dahingehend ergänzt – und zwar bei einer Guttat –, dass Jahwe u. U. diesen Zusammenhang erst ,vollendet‘ und zu Ende bringt“182. Die Zusammengehörigkeit von Tun und Ergehen besteht nach Koch also darin, dass JHWH dem Täter die Tat (V. 21) nicht „vergilt“, sondern im Ergehen (V. 22b) „vollständig“ macht und diesen Zusammenhang somit „,vollendet‘ und zu Ende bringt“. Das entspricht m. E. aber nicht der Aussageintention des Textes. Denn mit der erwiesenen Wohltat des Speisens und Tränkens ist die Feindschaft überwunden und beendet, was das Bildwort vom Sammeln / Tragen „feuriger Kohlen“ (V. 22a) als Zeichen der vollzogenen Abkehr von der Feindschaft auch bestätigt. Im Anschluss an den Ägyptologen S. Morenz hat A. Meinhold dabei auf eine mögliche ägyptische Parallele – die Erzählung von Seton Chaemwêse (Q 44) – aufmerksam gemacht: „Unausgesprochen bleibt, dass die Hilfe den Feind nicht in der Weise stärken wird, dass er seine Feindschaft umso stärker fortsetzen kann. Vielmehr wird stillschweigend damit gerechnet, dass mit der geleisteten Hilfe und Wohltat die Feindschaft überwunden und beendet wird. Praktisch hat sie der Helfende von seiner Seite aus bereits hinter sich gelassen. Die Begründung seiner Tat liegt nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. (…) Von seiten der Ägyptologie ist anhand der demotisch geschriebenen Erzählung des Seton Cha-em-wese ein aufschlussreicher Erklärungsversuch der konkreten Vorgänge beim Tragen von Feuerkohlen auf dem Haupt beigebracht worden. Danach brachte der Dieb Cha-em-wese ein aus einem Grab entwendetes Zauberbuch zurück und trug u. a. dabei ein Kohlebecken mit Feuer auf dem Kopf. Das Feuer befand sich vermutlich auf einer Ascheschicht, so dass es keine Brandverletzungen verursachte. Solches Feuer auf dem Kopf veranschaulicht Bewusstsein und Haltung von Beschämung, Reue, Buße und letzten Endes Umkehr.“183 Damit dürfte die Aussageintention von Spr 25,21 f deutlich sein: Die vom „Weisen“ vollbrachte Tat des Speisens und Tränkens (V. 21) samt deren – zukünftiger – Wirkung (V. 22a) wird von JHWH in einem ihr entsprechenden Akt „vergolten“ (šlm pi. V. 22b). Der Nexus 181 Koch,
Vergeltungsdogma, 68. aaO 68 f. 183 Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 430, vgl. ders., Feind, 192 f und Sæbø, Sprüche (ATD), 321. 182 Ders.,
232 III Mit Leib und ,Seele‘ – Elemente des Personbegriffs von Tun und Ergehen, wie er dem Füreinander-Handeln zugrunde liegt, wird in Spr 25,21 f und verwandten Sentenzen dadurch aufgebrochen, dass JHWH als Subjekt der „Vergeltung“ benannt wird, d. h. als jemand, der entsprechend menschlichem Tun handelt. Gottes Eingreifen folgt also demselben Prinzip der Gegenseitigkeit, wie es dem Handlungsmodell der sozialen Interaktion184 zugrunde liegt – mit dem entscheidenden Unterschied, dass sein Handeln zwar erwartbar ist, aber unverfügbar bleibt. Damit beginnt ähnlich wie im ägyptischen Neuen Reich ein Diskurs, wonach der freie Wille Gottes an die Stelle des traditionellen Tun/Ergehen-Zusammenhangs tritt185 und Gott diesen Zusammenhang gewissermaßen selbst ,in die Hand nimmt‘. Denn wenn der Mensch darauf verzichten soll, das soziale Ethos gegen das Böse selbst durchzusetzen, also „Vergeltung“ zu üben, bedarf es Gottes „als Garanten der Ordnung. Ethos des Verzichts auf Vergeltung weist über sich hinaus und kann nicht in der Ordnung selbst, nach der zu vergelten wäre, gesucht werden“186. 𓇼
Mit Spr 25,21 f – und Spr 24,17 – befinden wir uns nicht nur im Vorfeld des Gebots der Nächstenliebe von Lev 19,17 f, sondern auch der Paränese von Röm 12,18–21: 18 Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht, haltet mit allen Menschen Frieden. 19 Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn (Gottes); denn es steht geschrieben: Mir (steht zu) die Rache, ich will zurückgeben, spricht der Herr. [Dtn 32,35] 20 Vielmehr: Wenn es deinen Hasser hungert, speise ihn mit Brot, wenn es ihn dürstet, tränke ihn mit Wasser! Denn feurige Kohlen sammelst du auf seinen Kopf, und JHWH wird (es) dir vergelten. [Spr 25,21 f] 21 Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern mit dem Guten besiege das Böse. (Röm 12,18–21)187
Feindschaft wird auch nach diesem Text als etwas Böses verstanden: „Es kann nicht mit Gleichem aus der Welt geschafft werden. Dazu bedarf es seines Gegenteils, des Guten.“188 Das ist auch die Intention von Spr 25,21 f: Der Umgang mit dem Feind ist ein Maßstab für das Menschsein189 und deshalb ein Meilenstein der biblischen Anthropologie.
184 S.
dazu unten 523 ff. „Theologie des Willens Gottes“ in Ägypten s. Assmann, Ma᾽at, 252 ff und die Hinweise bei Janowski, Tat, 189 f. 186 Otto, Ethik, 183. 187 S. dazu Wilckens, Römer, 24 ff. 188 Meinhold, Feind, 189. 189 Vgl. ders., aaO 189 ff. 185 Zur
Nachtrag zu § 5 (191 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Soziale und ethische Aspekte“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). 1. Grundlagen des Zusammenlebens a) Gemeinschaft und Barmherzigkeit (191 ff ) Zum Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft s. van Oorschot, Individuum, 174 ff. α) Das Prinzip Anerkennung (192 f ) Zum Ethos der Anerkennung s. noch Janowski, „JHWH kennt“, 65 ff. b) Paradigmen sozialer Anerkennung β) Gastfreundschaft (204 ff ) Zur Gastfreundschaft s. Altmann, P. / Al-Souadi, S., Essen, 47 ff. 2. Gefährdungen des Zusammenlebens (207 ff ) S. dazu den Überblicksaufsatz von Schnocks, Gewalt, 346 ff. Nach einer Einführung beschreibt Schnocks verschiedene Dimensionen zwischenmenschlicher Gewalt (verbale G., G. gegen Arme, G. gegen Eltern und Kinder, sexualisierte G., religiöse G.), die Todesstrafe, G. und Gender und die Überwindung der G. b) Paradigmen sozialer Missachtung α) Entehrung und Schande (215 ff ) Zum Thema „Ehre und Schande“ in den alttestamentlichen Königsüberlieferungen s. Naumann, Ehre, 35 ff. Ehre und Schande werden an der Kleidung des Geehrten, Beschämten oder Geschändeten besonders sinnfällig, s. dazu die Beiträge in Berner et al. (ed.), Clothing, die dieses Thema umfassend darstellen, sowie Berlejung, Art. Clothes/Clothing and Nudity, 164 ff.
IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
D
as alte Israel war eine agrarisch geprägte Gesellschaft, die von Ackerbau, Viehhaltung und Obstanbau lebte. Daneben übten die Menschen des alten Israel handwerkliche Tätigkeiten aus, sie trieben Handel und waren als Beamte, Krieger, Priester, Schreiber und Propheten tätig. Bei der mühseligen Feldarbeit half das Rind, zuweilen auch der Esel, die den einfachen, aus einer geschwungenen Holzstange sowie einer eisernen Pflugschar bestehenden Hakenpflug zogen und damit den steinigen Boden auflockerten. Die Bewohner der Landstädte und Dörfer waren Bauern, die die umliegenden Felder, Gärten, Weinberge und Olivenhaine bewirtschafteten. In der engen Bindung der Familien an den Boden ging es um mehr als um Besitzrecht. Es ging um die Integration von Gemeinschaft, konkret um „die Verpflichtung von Menschen zur Gemeinschaft bezogen auf eine Sache “ (Otto, Ethik, 50). Diese ,Sache‘ war der Ackerboden, den „im Schweiße deines Angesichts“ zu bearbeiten der Mensch nach Gen 3,19 beauftragt war. Da das Überleben der Familien von der Zusammenarbeit aller ihrer Mitglieder abhängig war, prägten sich Formen des sozialen Handelns aus, die auf gegenseitiger Solidarität beruhten und deren Missachtung empfindliche Störungen im Zusammenleben nach sich zogen. Das Wirtschaftsleben war aber nicht nur von der Subsistenzwirtschaft geprägt, sondern kannte auch prekäre Arbeitsverhältnisse, die vor allem die personae miserae betrafen. Auch hier ging es um Fragen des Menschseins und um die Einhaltung elementarer Grenzen, deren Überschreitung den sozialen Frieden gefährdete. Die Propheten Israels bzw. die Prophetenbücher wurden nicht müde, dem entgegenzutreten.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für JHWH, deinen Gott. Nicht sollst du irgendein Werk tun, weder du noch dein Sohn und deine Tochter, weder dein Sklave noch deine Sklavin noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist. Exodus 20,9 f
Was tun wir, wenn wir tätig sind? – dieser Frage ist Hanna Arendt (1906–1975) in ihrem 1967 in deutscher Übersetzung erschienen Buch Vita activa oder Vom tätigen Leben (engl. The Human Condition, 1958) nachgegangen, um eine Antwort auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu formulieren. Das Buch handelt von den elementaren Dimensionen menschlicher Tätigkeit und damit von den Grundbedingungen menschlicher Existenz (conditio humana). Dazu zählen nach Arendt das Arbeiten, das Herstellen und das Handeln: „Sie sind Grundtätigkeiten, weil jede von ihnen einer der Grundbedingungen entspricht, unter denen dem Geschlecht der Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist. Die Tätigkeit der Arbeit entspricht dem biologischen Prozeß des menschlichen Körpers, der in seinem spontanen Wachstum, Stoffwechsel und Verfall sich von Naturdingen ernährt, welche die Arbeit erzeugt und zubereitet, um sie als die Lebensnotwendigkeiten dem lebendigen Organismus zuzuführen. Die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben selbst.“1
Während das Herstellen „eine künstliche Welt von Dingen (produziert), die sich den Naturdingen nicht einfach zugesellen“2, sondern sich von ihnen dadurch unterscheiden, dass sie als Gegenstände der „Dingwelt“ der Natur bis zu einem gewissen Grade wiederstehen, ist das Handeln „die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt“3. Von diesem Handeln war in § 5 (Die Sozialsphäre des Menschen) die Rede und wird in § 7 (Die Kommunikation des Menschen) erneut die Rede sein müssen. Im Folgenden steht zunächst die Tätigkeit der Arbeit, aber auch ihre Unterbrechung durch das Ruhen am siebten Tag im Vordergrund. Arendt, Vita activa, 14. Dies., ebd. 3 Dies., ebd. 1 2
238 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
1. Arbeit und Ruhe Mit dem Wechsel von Arbeit und Ruhe ist der grundlegende Rhythmus des menschlichen Arbeitslebens bezeichnet. „Sechs Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun, aber der siebte Tag ist Sabbat für JHWH, deinen Gott“ heißt es im Sabbatgebot des Dekalogs (Ex 20,9 f par. Dtn 5,13 f), an dessen Schluss (Ex 20,11) begründend auf das Ruhen Gottes am siebten Tag (Gen 2,2 f) zurückverwiesen wird. Dieser Zusammenhang zeigt, dass das, was in der Arbeitswelt geschieht, nicht nur anthropologisch und ökonomisch von Bedeutung ist, sondern auch etwas mit Religion zu tun hat. a) Der Mensch und seine Arbeit Altes Testament: Albertz, Kulturarbeit, 1 ff ◆ Borowski, Life, 25 ff.63 ff ◆ Ebach, Art. Arbeit, 678 ff ◆ Eisen / Kegler, Art. Arbeit / Lohnarbeit, 16 ff ◆ Fischer, Arbeit, 187 ff ◆ Frevel, Arbeitsverhältnisse, 57 ff ◆ Galling, Art. Ackerwirtschaft, 1 ff ◆ Gertz, Arbeit, 267 ff ◆ Hopkins, Art. Ackerbau / Viehhaltung, 98 ff ◆ King / Stager, Life, 85 ff ◆ Meyers, Archäologie, 63 ff ◆ Neumann-Gorsolke / Riede, Acker- und Nutzpflanzen, 55 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 248 ff.494 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 190 ff ◆ Zwickel, Frauenalltag, 62 ff ◆ Ders., Leben, 85 ff.117 ff.125 ff.139 ff ◆ Zwingenberger, Dorfkultur, 315 ff. – Antike Religionen: Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 2, 186 ff.190 ff ◆ Krüger, Mensch, 613 ff ◆ von Reden, Art. Arbeit, 964 ff ◆ Reuthner, Schwestern ◆ Vernant, Arbeit, 287 ff. – Philosophie, Kultur- und Geschichts wissenschaft: Arendt, Vita activa, 76 ff ◆ Böhme, Anthropologie, 153 ff ◆ Leroi-Gourhan, Hand, 208 ff.211 ff.213 ff ◆ Spittler, Art. Arbeit, 300 ff.
„Arbeit“ ist ein zentrales Thema der Anthropologie, weil hier der Mensch in seiner Beziehung zur Natur, Kultur und Technik in den Blick kommt.4 Wie die Betätigung der Handmühle oder des Hakenpflugs zeigen (s. Abb. 41 und 42), muss körperliche Arbeit ausdauernd wiederholt werden und erfordert technische Fähigkeiten, ganz zu schweigen von der physischen Anstrengung. Darüber hinaus hat Arbeit immer auch einen „interaktiven Charakter“5, weil sie darauf gerichtet ist, mit Tieren, Pflanzen und Dingen (Werkzeuge, Rohstoffe) bestimmte Ziele zu erreichen. Die Art und Weise dieser Interaktion sagt etwas über das Menschsein des Menschen aus. Charakteristisch dafür ist etwa die Pflege, die der „Gerechte“ (saddîq) im Unterschied zum ˙ „Frevler“ (rāšā῾) seinen Arbeitstieren angedeihen lässt: 10 Der Gerechte kennt das Bedürfnis (næpæš) seines Viehs, aber das Innere (rahamîm) der Frevler ist grausam. ˙ 11 Wer sein Ackerland bearbeitet, kann sich an Brot sättigen, aber wer leeren Dingen nachjagt, dem fehlt es an Verstand. Spittler, Art. Arbeit, 300 und für das Alte Testament Fischer, Arbeit, 191 f.202. Zum Wortfeld „Arbeit“ im Hebräischen s. Ebach, Art. Arbeit, 678 f und Eisen / Kegler, Art. Arbeit / Lohnarbeit, 16. 5 Spittler, aaO 301. 4 Vgl.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 239
12 Der Frevler begehrt das Fangnetz der Bösen (?), aber die Wurzel der Gerechten gibt (es?). (Spr 12,10–12)6 Worauf es diesem Text ankommt, ist der auch sonst belegte Aspekt der Barmherzigkeit gegenüber den Tieren (vgl. Dtn 25,4), die der Gerechte als Mitgeschöpfe behandelt, so wie er sich dem Mitmenschen gegenüber als Mensch verhält bzw. verhalten soll.7 Ein konkretes Beispiel für ein solches Verhalten – und zugleich für sein Gegenteil – ist das Wehewort über die „Sorglosen auf Zion“ in Am 6,4: Die auf Elfenbeinliegen lagern und sich fläzen auf ihren Betten und Böckchen aus der Herde verspeisen und Kälber mitten aus der Fesselung(szeit) (marbeq) heraus. Das Problem dieses Textes ist die Interpretation des Begriffs marbeq, der üblicherweise mit „Masthürde, Maststall“8 – statt mit „Fesselung(szeit)“9 – wiedergegeben wird. Zum Verständnis hat H. Weippert auf die Melkszene auf dem Sarg der Kauit (11. Dyn., s. Q 49) hingewiesen.: „Vielleicht ist aber … mit marbeq an einen anderen ,Bindeort‘ für junge Kälber gedacht. Einen solchen zeigen uns ägyptische Sarkophagreliefs. (…) Die Darstellungen führen uns keine Kälbchen bei der Mast vor. Eher ist hier das Gegenteil ins Bild eingefangen, nämlich die allmähliche Entwöhnung des Kälbchens von der Muttermilch. Nur dosiert läßt der Mensch dem Jungtier die mütterliche Nahrung zukommen, beläßt es aber in engster Nähe beim Muttertier, indem er es an ihr Vorderbein fesselt. Wird ein solches Kälbchen zur Schlachtung freigegeben, dann zerschneidet man das auch vom Bauern respektierte und durch die Anbindung des Jungtiers an das Muttertier quasi künstlich nachvollzogene Band zwischen beiden.“10 Auf diese Missachtung der natürlichen Bindung zwischen dem Muttertier und seinem Jungen macht Amos mit seinem Weheruf aufmerksam.
α) Ackerbau und Viehhaltung Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung des eisenzeitlichen Palästina / Israel (E I–III) lebte und arbeitete in bäuerlichen (Groß-)Familien, in denen Nahrung, Kleidung und Werkzeuge nicht für den Markt bzw. Handel,11 sondern für Meinhold, Sprüche I (ZBK.AT), 203, s. dazu auch Schipper, Sprüche (BK), 717 ff. Zu rahamîm in der Bedeutung „Inneres“ s. Dahmen, Art. rhm, 467 f, zur Übersetzung von næpæš ˙mit „Bedürfnis, Verlangen, Begehren“ s. oben 56. ˙ 7 Vgl. Meinhold, aaO 207, ferner Keel, Böcklein, 51 (mit Hinweis auf Totenbuch Spruch 125, s. Q 42) und Riede, Spiegel, 63 f. 8 So etwa Jeremias, Amos (ATD), 83.87 f. 9 S. dazu Ges18, 735 s. v. marbeq, vgl. Dahmen / Fleischer, Joel / Amos (NSK.AT), 219 f (Fleischer). 10 Weippert, Amos, 219, s. dazu auch Keel, aaO 46 ff und Janowski / Neumann-Gorsolke, Manifestation, 16 f. 11 Die Vorratswirtschaft mit anschließendem Verkauf der eingelagerten Naturalien (Getrei6 Übersetzung
240 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
den eigenen Bedarf hergestellt wurden. Es ging also nicht um objektbezogene Wertschöpfung, sondern um familiäre Lebenssicherung. Diese Form der Subsistenzwirtschaft12 zeichnete sich durch eine starke Bindung an den Boden aus, der nicht als eine Sache betrachtet wurde: „In der Bindung der Familie an den Boden geht es um mehr als um Besitzrecht (cf. Num 27,1–11). Besitz ist wie das Verwandtschaftsbewusstsein ein Medium der Gemeinschaftsintegration. Besitz meint in bezug auf den Boden also nicht das Verfügungsrecht einer Person über eine Sache. Der Landbesitz vermittelt den Zusammenhalt der Großfamilie.“13 Deshalb kann das Produktionsmittel Land auch nicht beliebig verkauft oder gegen Güter anderer Art getauscht werden. Über dem Prinzip des Tauschs steht, wie etwa der Ackerkauf Jeremias in Anatot zeigt (Jer 32,6–15), das Prinzip der Verwandtschaft. Die Rechtsstellung des Landes als „Erbbesitz“ (nahalāh) beinhaltet, dass der Besitz innerhalb der ˙ Familie bzw. Verwandtschaft bleibt und dort gegebenenfalls durch Loskauf zirkuliert. Ein anschauliches Beispiel dafür ist das Buch Ruth14 und ein Gegenbeispiel die Nabot-Erzählung in 1 Kön 21 (vgl. Ez 48,13 f). Bodenrecht war „eher personales Recht als Sachenrecht. (…) ,Erbanteil‘ meint somit weniger einen Gegenstand als eine Beziehung“15. Jenseits der sozialen Realität, in der gegen diese Beziehung immer wieder verstoßen wurde, bildet die Programmatik des Bodenrechts „die argumentative Basis der prophetischen Kritik bes. des 8. Jh. (Am 2,6–8; Jes 5,8–10; Mi 2,1–5 u. ö.) an der ökonomischen Verschiebung zugunsten der Oberschicht in einer sich ausdifferenzierenden Klassengesellschaft“16.
Die elementare Bindung an den Ackerboden (᾽adāmāh) wird bereits in der nichtpriesterlichen Urgeschichte (Gen *2,4b–8,22) thematisiert.17 So wurde der Mensch nach Gen 2,4b–7 aus „Erde vom Ackerboden“ – und dazu aus dem göttlichen „Hauch des Lebens“ – geformt und war dazu bestimmt, diesen Ackerboden zu „bearbeiten“: 4b An dem Tag, als JHWH Elohim Erde und Himmel machte, 5 während noch kein einziges Gesträuch des Feldes auf der Erde entstanden und noch kein einziges Kraut des Feldes gesprosst war, weil JHWH Elohim es noch nicht hatte regnen lassen auf die Erde, und kein Mensch da war, den Ackerboden (᾽adāmāh) zu bearbeiten (῾ābad), 6 wobei ein Wasserstrom aus der Erde aufzusteigen und die ganze Oberfläche des Ackerbodens (penê-hā᾽adāmāh) zu tränken pflegte,
12 13 14 15 16 17
de u. a.) gewann in persisch-hellenistischer Zeit zunehmend an Bedeutung, s. dazu Staubli / Schroer, Menschenbilder, 250 f und Altmann, Economics. S. dazu unten 256 ff. Otto, Ethik, 50. S. dazu oben 199 ff. Ebach, Art. Bodenrecht, 313. Ders., ebd., s. dazu auch Jeremias, Joel u. a. (ATD), 148 f und Zwickel, Wirtschaftsreform, 198 f. Zur nichtpriesterlichen Urgeschichte s. unten 432 ff.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 241
7 da formte JHWH Elohim den Menschen (᾽ādām) aus Erdkrume vom Ackerboden (῾āpār min-hā᾽adāmāh), und blies in seine Nase den Hauch des Lebens. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.18
Nachdem mit Gen 2,5 f das Thema „Ackerboden“ eingeführt ist,19 erhält es infolge des sog. Sündenfalls (Gen 2,16 f; 3,1 ff)20 eine dramatische Wendung, wenn es nach den Strafsprüchen über die Schlange (Gen 3,14 f) und die Frau (Gen 3,16) im Strafspruch über den Mann heißt: 17 Und zum Menschen sprach er: „Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört hast und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir befohlen habe: ,Nicht sollst du von ihm essen‘, sei der Ackerboden (᾽adāmāh) verflucht um deinetwillen. Unter Mühen wirst du dich von ihm ernähren alle Tage deines Lebens. 18 Und Dornen und Disteln wird er für dich wachsen lassen, und du sollst essen das Kraut des Feldes. 19 Im Schweiße deines Angesichts wirst du Brot essen, bis du zum Ackerboden (᾽adāmāh) zurückkehrst, denn von ihm bist du genommen. Ja, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.“ (Gen 3,17–19)
Jeder dieser Strafsprüche21 hat zwei Dimensionen: eine Einzelstrafe in Form einer spezifischen Daseinsminderung und eine Gemeinschaftsstrafe, insofern die am „Sündenfall“ beteiligten Wesen in einem von gegenseitiger Feindschaft bestimmten Verhältnis stehen. Die Konsequenz ist die Vertreibung aus dem Gottesgarten (Gen 3,22–24). Östlich von Eden spielt dann die Brudermorderzählung Gen 4,1–16, die von den Folgen erzählt, die sich aus der Gebotsübertretung ergeben, und die eine Steigerung gegenüber der „Sündenfallgeschichte“ bedeuten. Auch hier spielt das Thema „Ackerboden“ eine zentrale Rolle (Gen 4,3.10–12). Nimmt man noch die nichtpriesterliche Fluterzählung Gen *6,5–8,22 hinzu, so zeigt sich, dass in Gen *2,4b–8,22 mit Hilfe des Stichworts „Ackerboden“ eine Grundlagenreflexion über die conditio humana angestellt wird. Diese Reflexion beginnt in Gen 2,5, sie läuft über Gen 2,7; 3,17.19a.23 und 4,3.11 f und hat ihr Ziel in Gen 8,21 f (Abb. 38). Erst mit der bindenden Zusage JHWHs von Gen 8,21 f ist der Fortbestand der Schöpfung gesichert – trotz der weiter bestehenden Bosheit des Menschen.22 Damit ist der mit Gen 2,4b einsetzende Erzählbogen insofern an ein Ende gelangt, 18 19 20 21 22
Zu diesem Text s. auch oben 50 ff, ferner Bührer, Anfang, 204 ff. Zur Bedeutung von ᾽adāmāh s. Plöger, Art. ᾽adāmāh, 95 ff. Vgl. auch Ps 90,2; Spr 8,22–26 und Enūma eliš I (s. Q 111), s. dazu Bührer, aaO 208 f. S. dazu unten 432 ff. Oder besser: Sprüche über elementare Daseinsminderungen. S. dazu unten 438 f.
242 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns 2,5 Es gibt noch keinen Menschen, um die ᾽adāmāh zu bearbeiten 2,7 Der Mensch ist aus Erdkrume von der ᾽adāmāh und vom göttlichen Lebenshauch geschaffen 3,17 Die ᾽adāmāh ist um des Menschen willen verflucht 3,19a Im Tod kehrt der Mensch zur ᾽adāmāh zurück, von der er genommen ist (vgl. 2,7) 3,23 Der Mensch wird aus dem Garten Eden weggeschickt, um die ᾽adāmāh zu bearbeiten (vgl. 2,5) 4,3 Kain bringt JHWH von den Früchten der ᾽adāmāh eine Gabe dar 4,11 f Die ᾽adāmāh ist um Kains willen verflucht 8,21 f Zusage JHWHs, den dauernden Bestand der ᾽adāmāh zu sichern
Abb. 38: Zum Thema „Ackerboden“ in der nichtpriesterlichen Urgeschichte
als der Übergang von der Urgeschichte zur Menschheitsgeschichte vollzogen ist und die Voraussetzungen für das Leben in der realen Welt gegeben sind. Jetzt kommt der Mensch in den Blick, wie er in Wirklichkeit ist: „Sterblich, aber erkenntnisbegabt und damit fähig, seine beschwerliches Leben auf Erden zu bewältigen – freilich nicht ohne dieses Leben auch genießen zu können – in der Zweisamkeit von Mann und Frau und durch die Erbringung von Kulturleistungen (im weitesten Sinne).“23
So spricht die nichtpriesterliche Urgeschichte über den „vorfindlichen Menschen und nicht über einen imaginären … Ur-Menschen und dessen Leben“24. Das tut sie allerdings bereits am Ende ihrer Schöpfungs- und Paradiesgeschichte (Gen 2,4b–3,24), wo mit Gen 3,17–19a ganz realistisch die Situation des Ackerbauern im alten Israel in den Blick kommt. Im Unterschied dazu hat die Kulturarbeit des Menschen in den mesopotamischen Schöpfungsepen eine andere Bedeutung, weil die Menschen dazu geschaffen sind, den Göttern die Arbeit (dullum), speziell den Kanalbau, abzunehmen und für sie auszuführen (s. Q 94). In der biblischen Urgeschichte wird die Kulturarbeit dagegen vergleichsweise ,profan‘ aufgefasst: „sie dient der menschlichen Lebenserhaltung und der menschlichen Lebenssteigerung, nicht der ,Erhaltung‘ und dem Ruhme Gottes. Es fehlt ihr jede religiöse Überhöhung“25. Im Gegenteil: Das reale Leben auf dem Ackerboden ist geprägt von Mühsal („Dornen und Disteln“ Gen 3,18) und geschieht „im Schweiße deines Angesichts“ (Gen 3,19a). Um die harte Feldarbeit auszuführen, bedarf es spezifischer Fertigkeiten, die auf den Rhythmus des agrarischen Jahres abgestimmt sind. Das agrarische Jahr ist bereits im Bauernkalender von Geser (s. Abb. 39) dokumentiert, der mit der Olivenernte im September / Oktober beginnt und zwölf Mondmonate umfasst (vgl. 1 Kön 4,7; 1 Chr 27,1–15):
Bührer, aaO 271. Ders., ebd. 25 Albertz, Kulturarbeit, 10. 23 24
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 243
1 2 3 4 5 6 7
Zwei Monate des Einsammelns, zwei Monate der Saat, zwei Monate der Spätsaat, ein Monat des Abhackens des Flachses, ein Monat der Gerstenernte, ein Monat der Ernte und des Abmessens, zwei Monate des Schneitelns, ein Monat der Obsternte.
September / Oktober November / Dezember Januar / Februar März April Mai Juni / Juli August26
Abb. 39: Der Bauernkalender von Geser (10. Jh. v. Chr.)
Der Geser-Kalender, der ein Herbstkalender ist,27 stellt ein Verzeichnis bäuerlicher Tätigkeiten dar, die nach ihrer Dauer von einem Monat oder von zwei Monaten klassifiziert werden und damit den engen Zusammenhang der astronomisch-natürlichen und der ökonomisch-sozialen Zeit belegen. Im Einzelnen handelt es sich, wenn man der Struktur des Kalenders folgt, um folgende Tätigkeiten und Erntevorgänge:28 26 Übersetzung: Weippert, Textbuch, 225 f, s. dazu auch Smelik, Dokumente, 25 ff; Renz / Röllig,
HAHE 1, 34 ff; Borowski, Agriculture, 31 ff und Jaroš, Zeugen, 101 ff. Möglicherweise stellt der Bauernkalender eine Schreibübung für angehende Schreiber dar. Zu dem anders strukturierten Bauernkalender in Hesiod, Erga s. Q 174. 27 Zur Frage, ob das Jahr im alten Israel im Herbst oder im Frühjahr begann, s. Weippert, Art. Kalender, 167 f und Jaroš, Art. Kalender, 431 f. 28 S. dazu Zwickel, Leben, 89. Höhepunkte des sozialen Jahres sind die Feste Israels, s. dazu unten 397 ff.
244 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Sept / Okt Ernte von Bohnen, Sesam, Zwiebeln, Knoblauch; Mitte September: Traubenlese für die Produktion von Rosinen; Oktober: Olivenernte Nov / Dez Getreidesaat Jan / Febr Getreidesaat; Blüte der Saubohnen; 1. Pflügen in Weinberg und Oliven pflanzung, Neupflanzung von Stecklingen / Beschneiden der alten Triebe März Neupflanzung von Stecklingen / Beschneiden der alten Triebe April Aussaat von Sesam, Kichererbsen, Bohnen, Gurken, Melonen; Blüte von Gerste, Hafer, Linsen, Salat, Spinat; Ernte von Bohnen; Jäten der Getreidesaat; 2. Pflügen in Weinberg und Olivenpflanzung Mai Blüte von Weizen, Erbsen, Gurken, Kürbis, Salat, Minze, Petersilie; Ernte von Linsen, Kichererbsen, Gerste; Aussaat von Sesam; 3. Pflügen in Weinberg und Olivenpflanzung Juni / Juli Blüte von Melonen, Zwiebeln, Knoblauch; Ernte von Gerste, Weizen, Kichererbsen (Wintersaat); Blüte von Rüben, Bohnen; Ernte von Weizen, Kichererbsen (Sommersaat), Gurken, Kürbis, Salat, Minze, Zwiebeln; Mitte Juli: Feigenlese; Dreschen von Gerste und Weizen August Ernte von Sesam, Bohnen, Rüben, Minze, Salat, Zwiebeln; Fortsetzung des Dreschens; Mitte August: Traubenlese
Abb. 40: Arbeitsabläufe in Palästina / Israel
Wenn man einen einzelnen Arbeitsbereich – wie das Säen und Ernten des Getreides (Weizen und Gerste) – herausgreift, so lässt sich der Arbeitsablauf in zahlreiche, von Männern wie Frauen ausgeübte Tätigkeiten aufgliedern: Roden, Pflügen, Säen, Ernten, Transport zur Tenne, Dreschen, Worfeln, Sieben, Messen, Lagern, Mahlen und Backen.29 So hat das ganze Jahr, jeder Monat und – bis auf die Unterbrechung am Ruhetag / Sabbat – jeder Tag seine eigene Mühe und Arbeit: 22 Es geht die Sonne auf, sie (sc. die Junglöwen) ziehen sich zurück, und zu ihren Verstecken lagern sie sich. 23 Heraus geht der Mensch zu seinem Tun (po῾al) und zu seiner Arbeit (῾abodāh) bis zum Abend. (Ps 104,22 f)30
Die Arbeit des Menschen – gemeint ist die landwirtschaftliche Arbeit – wurde vor allem mit Hilfe von Tieren (Rind, Esel) verrichtet. Von ihr und ihren Erzeugnissen (Wein, Öl, Brot) heißt es einige Verse vorher: 14 Der Gras sprießen lässt für das Vieh und Pflanzen für die Arbeit (῾abodāh) des Menschen, 15 um Nahrung aus der Erde hervorzubringen und Wein, der das Herz des Menschen erfreut, um das Angesicht von Öl glänzen zu lassen, und Brot, das das Herz des Menschen stärkt. (Ps 104,14 f)31 S. dazu Zwickel, 85 und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 248 ff. Zur Getreideernte s. auch Fischer, Rut (HThK.AT), 160 ff; Köhlmoos, Ruth (ATD), 31 f. Zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung s. oben 110 ff und unten 256 ff. 30 Zu diesem Text s. unten 390 f. 31 S. dazu Krüger, Lob, 181 ff.191 ff. 29
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 245
β) Haustiere und Arbeitstiere Altes Testament: Borowski, Agriculture, 51 ff ◆ Galling, Art. Viehwirtschaft, 351 ff ◆ Hop-
kins, Highlands, 245 ff ◆ Ders., Art. Ackerbau / Viehhaltung, 101 ff ◆ Janowski, Tiere, 3 ff ◆ Ders. / Neumann-Gorsolke, Haustiere, 62 ff ◆ Keel u. a., OLB 1, 106 ff ◆ King / Stager, Life, 112 ff ◆ Riede, Spiegel ◆ Ders., Art. Tier, 391 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 97 ff ◆ Weippert, Art. Stall, 317 f.
Im Palästina der Spätbronze- und Eisenzeit zählen Schaf, Ziege, Rind, Schwein, Esel, Pferd, Elefant, Kamel, Taube, Huhn, Gans, Hund und Katze zu den domestizierten Tieren.32 Der Haustierbestand umfasste Rinder, Schafe, Ziegen, Esel und Tauben, die außer dem Esel (Ex 34,20) auch opferfähig waren.33 Diese Tiere produzierten Milch, Wolle, Fell, Knochen, Horn, Fleisch und Dünger für den Eigenbedarf, den Tausch oder den Verkauf. Rinder, Schafe und Ziegen wurden in Herden außerhalb der städtischen und dörflichen Siedlungen gehalten und von berufsmäßigen Hirten oder – zumeist jüngeren – Mitgliedern der Familie versorgt (Führung zur Tränke bzw. vom Lagerplatz zur Hürde, Schutz vor Raubtieren u. a.). Ställe zu ihrer Unterbringung sind archäologisch bisher nicht nachgewiesen, dafür aber ummauerte Hürden, d. h. kreisrunde oder ovale Steinsetzungen, in die die Tiere abends hineingetrieben wurden (vgl. Ps 50,9; 78,70).34 Im offenen Hof des Vierraumhauses, der typischen Hausform Palästinas / Israels in der Eisenzeit I/II,35 dürften auch Schafe und Ziegen oder ein Rind angebunden gewesen sein, um die Versorgung mit Milch und Käse zu gewährleisten. Die Bewohner der Dörfer und Landstädte waren Bauern und Bäuerinnen, die die umliegenden Felder, Gärten, Weinberge und Olivenhaine bewirtschafteten. Bei der mühseligen Feldarbeit half vor allem das Rind, zuweilen auch der Esel. Vor dem Säen wurde der steinige Boden mit dem einfachen, von Rindern oder Eseln (einzeln oder paarweise, niemals zusammen, vgl. Dtn. 22,10) gezogenen Hakenpflug aufgelockert. Die Grabmalerei aus Medine (Abb. 41) und das kassitische Siegel aus Nippur (Abb. 42) liefern anschauliche Bilder eines ägyptischen bzw. babylonischen Saatpfluges. Dieser wird auf dem kassitischen Siegel von zwei Buckelochsen (Zebus) gezogen. Dabei trägt die mittlere Gestalt ein Saattuch über der Schulter und füllt daraus Saatgut in die Trichteröffnung einer Röhre, durch die diese in den Pflug und dann in die Ackerfurche geleitet wird. Sobald das Getreide S. dazu den Überblick bei Galling, Art. Viehwirtschaft, 351 ff, vgl. Hopkins, Highlands, 245 ff. Schafe und Ziegen gehören zu den ältesten Haustieren, s. dazu Weippert, Palästina, 100 ff. Zum Prozess der Domestikation (und der Kultivierung der Pflanzen), die während des 10.– 7. Jt.s v. Chr. in Obermesopotamien einsetzte („neolitische Revolution“), s. Leroi-Gourhan, Hand, 204 ff und Parzinger, Prometheus, 118 ff. 33 Zum Tieropfer sowie zu den reinen / unreinen Tieren s. unten 445 ff.454 ff. 34 S. dazu s. Weippert, Art. Stall, 317 f, vgl. Fritz, Stadt, 147 f. Für die Abbildung einer Kleinviehhürde s. Keel, Bildsymbolik, 209 Abb. 314. 35 S. dazu unten 343 ff. 32
246 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Abb. 41: Grabmalerei aus Der el-Medine (Grabmalerei, 19. Dyn.)
Abb. 42: Siegel aus Nippur (Rollsiegel, um 1300 v. Chr.)
geschnitten war, wurde es zu Garben aufgebunden (vgl. Gen 37,7; Dtn 24,19 u. ö.) und von Eseln oder Maultieren zur Dorftenne, einem ebenen, bisweilen künstlich geglätteten Platz außerhalb der Siedlung (2 Sam 24,16), aber möglichst in der Nähe des Tores (2 Kön 22,10; Jer 15,7), gebracht und dort mit Hilfe eines Dreschschlittens gedroschen und anschließend geworfelt (vgl. Hos 10,11; Am 1,3 u. ö., s. Abb. 46).36 Die Angewiesenheit des israelitisch-judäischen Bauern auf seine Arbeits- und Nutztiere förderte das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit von Mensch und Tier. Die Bedeutung etwa des Rindes war so groß, dass ihm sogar einzelne Gesetzesbestimmungen galten wie das Verbot, ihm beim Dreschen das Maul zu verbinden, damit es Anteil an dem gedroschenen Getreide hatte: Du sollst einem Ochsen beim Dreschen nicht das Maul verbinden. (Dtn 25,4)
Neben diesem Gebot, das dem Ethos von Spr 12,10 entspricht,37 sind die tier ethischen Bestimmungen des Ruhetagsgebots (Ex 23,12) sowie des Sabbatgebots 36 37
S. dazu Weippert, Art. Dreschen, 63 f und Borowski, Agriculture, 57 ff. S. dazu Riede, Spiegel, 62.224 und Otto, Deuteronomium IV (HThK.AT), 1849.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 247
(Ex 20,10 par. Dtn 5,14) für das Verhältnis zu den Haus- und Arbeitstieren besonders bezeichnend. Darauf ist gesondert einzugehen.38 Die größte Konzentration von Motiven des Ackerbaus und der Viehhaltung finden sich im Buch Ruth, in Jes 5,1–7 (Weinberglied), in Jes 28,23–29 (poetische Beschreibung der Feldarbeit) und in Ps 23 (JHWH als „Guter Hirte“). Sie bieten keine systematische Abhandlung über die landwirtschaftlichen Praktiken,39 sondern sie belegen die Vertrautheit der Menschen des alten Israel mit den Gegebenheiten ihres natürlichen Lebensraums. Exkurs 11: Eschatologischer Tierfrieden Altes Testament: Ebach, Ende, 75 ff ◆ Hunziker-Rodewald, Hirt, 197 ff ◆ Janowski, Wolf,
55 ff ◆ Riede, Spiegel, 153 ff ◆ Schmid, Herrschererwartungen, 37 ff ◆ Steck, „Knabe“, 104 ff ◆ Zenger, Jes 11,1–10, 137 ff.
Neben den genannten Belegen finden sich im Alten Testament weitere Texte, in denen Tiere eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehören der priesterliche Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3, das Sabbatgebot Ex 20,8–11, die Opferbestimmungen Lev 1–7,40 die Geschichte von Bileams Eselin Num 22,22–35, die Gottesreden Hi 38,1–42,6, die Tiermetaphorik der Psalmen (Ps 22,13–19 u. a.) oder das Trishagion Jes 6,2 f, das von Serafen gerufen wird. Überboten werden sie von der berühmten Verheißung des eschatologischen Tierfriedens in Jes 11,6–9:41 6 7 8 9
Und Gast sein wird der Wolf beim Lamm und der Leopard wird beim Böckchen lagern, Jungstier und Junglöwe 〈werden〉 zusammen 〈fett〉, und ein kleiner Knabe leitet sie. Und Kuh und Bärin werden weiden, zusammen lagern sich ihre Jungen, der Löwe wird wie das Rind Stroh fressen. Und der Säugling wird sich am (Schlupf-)Loch der Kobra vergnügen, und nach der 〈Höhle〉 der Viper hat der Entwöhnte seine Hand ausgestreckt. Nichts Böses und nichts Verderbliches wird man tun auf meinem ganzen heiligen Berg, denn voll sein wird das Land von der Erkenntnis JHWHs wie von Wassern, die das Meer bedecken.
Im Blick auf die Beziehung zwischen den hier genannten Lebewesen – Tiere und Menschen – ergibt sich zunächst eine Unterscheidung in gefährliche und ungefährliche bzw. 38
S. dazu unten 251 ff. Die erste Darstellung der bäuerlichen Lebenswelt im mediterranen Raum ist das epische Gedicht Hesiod, Erga, s. Q 174. 40 Zu Ex 20,8 ff s. unten 251 ff und zu Lev 1 ff unten 454 ff. 41 Zu den literarhistorischen Fragen s. Schmid, Herrschererwartungen, 63 ff. Es gibt folgende Referenztexte aus Gen 1–9 und Jes 1,2–11,5: zu V. 6 vgl. Gen 1,26.28, zu V. 7 vgl. Gen 1,29 f, zu V. 8 vgl. als Gegentext Gen 3,14 f, zu V. 9 vgl. als Gegentexte Jes 1,4; Gen 6,*11 f sowie Jes 1,13; Gen 6,*11 ff. Zum Vergleich von Jes 11,6 ff mit der 4. Ekloge Vergils s. Q 189. 39
248 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns gefährdete Tiere und Menschen. Die Reihe der gefährlichen Tiere besteht aus Wolf, Leopard, Junglöwe, Bärin, erwachsener Löwe, Kobra und Viper, d. h. aus Tieren, die im palästinischen Lebensraum beheimatet sind und deren Auftreten für Menschen und (schwächere bzw. ungefährliche) Tiere todbringend sein konnten. Ihnen gegenüber stehen (Schaf-) Lamm, (Ziegen-)Böckchen, Jungstier, Kuh, Rind und Kinder (kleiner Knabe, Säugling, Entwöhnter), die allesamt zu den durch jene Tiere potentiell gefährdeten Lebewesen zählen. Die Anordnung dieser beiden Reihen – gefährliche Tiere vs. gefährdete Tiere / Menschen – folgt bestimmten Aspekten. So ist bei den Haus- und Nutztieren die Untergliederung nach Kleinvieh und Großvieh leitend (V. 6a: Lamm, Böckchen; V. 6b–7: Jungstier, Kuh, Rind), während der Text bei der Beschreibung der Tier/Mensch-Beziehung jeweils beim Kleinen und Jungen (Lamm, Böckchen, Jungstier / Säugling) ansetzt und zum Größeren und Älteren (Kuh, Rind / Entwöhnter) fortschreitet. Wichtiger aber sind, wie die folgende Skizze (Abb. 43) verdeutlicht, die Aussagen, die die Beziehungen zwischen den gefährlichen Wildtieren und den gefährdeten Haus- und Nutztieren sowie zwischen den Tieren und den Menschen betreffen:
Bilder vom Tierfrieden 6a Wolf → Lamm Leopard → Böckchen b Jungstier und Junglöwe: ein Knabe leitet sie 7a Kuh und Bärin: Jungen lagern zusammen b Löwe und Rind: beide fressen Stroh 8a Säugling → Kobra b Viper ← Entwöhnter
gefährliches → gefährdetes Tier gefährliches → gefährdetes Tier Gemeinsamer Lebensraum (Jungtiere) Bildmotiv „Muttertier und sein Junges“ Gemeinsamer Lebensraum (ausgewachsene Tiere) gefährdeter Mensch → gefährliches Tier gefährliches Tier ← gefährdeter Mensch
Resümee 9a Überwindung des Bösen b Fülle der JHWH‑Erkenntnis
Abb. 43: Die Anordnung der Tiere in Jes 11,6–9 Die todbringenden Tiere verhalten sich so, dass ein ungefährdetes Zusammenleben zwischen den Lebewesen möglich wird. Dieser Grundgedanke wird in drei Bildern entfaltet. Zunächst wird gesagt, dass der Tierfrieden das Resultat einer Entfeindung ist, wobei das jeweils gefährliche Tier (Wolf, Leopard) den ‚ersten Schritt‘ macht und sich in friedlicher Absicht zu dem von ihm bedrohten schwächeren Tier begibt (V. 6a). „Gast sein, weilen“ (gûr) und „sich lagern“ (rābas) wird nicht das schwache Tier beim starken, sondern umge˙ kehrt das starke Tier beim schwachen. Es geht also um die Aufhebung eines naturgegebenen Gegeneinanders durch eine Art „Vergesellschaftung“ in der Tierwelt, die ein Vorschein der künftigen Heilszeit ist. Diese als Entfeindung beschriebene Umwertung der üblichen Normen setzt sich auf der Ebene der Mensch/Tier-Beziehung fort und wird in dem abschließenden Chiasmus von V. 8 (a: gefährdeter Mensch → gefährliches Tier, b: gefährliches Tier ← gefährdeter Mensch) so ausgedrückt, dass der Säugling vergnügt am Schlupfloch der Kobra spielen und das von der Muttermilch entwöhnte Kind seine Hand nach der Höhle der Viper ausstre-
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 249
cken kann. Erst nachdem der Text alle Aspekte der Entfeindung bis zum Stroh fressenden Löwen (V7b) durchgespielt hat, kann der Säugling // Entwöhnte von V. 8 es von sich aus wagen, auf den natürlichen Feind (Kobra // Viper) zuzugehen und mit ihm zu „spielen“.42 Der Mittelvers V. 7a der kleinen Komposition V. 6b–7 ist demgegenüber von geradezu statischer Ruhe und fasst den Tierfrieden in das Bildmotiv vom ‚Muttertier und seinem Jungen‘.43 Seine Brisanz erhält dieses Motiv durch die Überwindung einer naturgegebenen Todfeindschaft (Kuh – Bärin), die den Frieden an seiner empfindlichsten Stelle, nämlich im Blick auf die „Jungen / Jungtiere“ gefährdet. Das lässt auf ein Gesellschaftsideal schließen, das die Qualität des sozialen Organismus am Ergehen ihrer verletzlichsten Glieder (vgl. V. 4a) misst. Der leitende Aspekt des Textes besteht – jedenfalls, wenn man ihn ohne seinen Abschluss in V. 944 liest – demnach darin, dass sich für Israel „die empirische Tierwelt gleichsam in eine allumfassende Haustierwelt“45 verwandeln wird. So kann dann in V. 9 das Resümee vom Ende des „Verderbens“ gezogen werden, weil auch die todbringenden Tiere in die umfassende Erkenntnis JHWHs einbezogen werden, die das ganze Land „bedeckt“. Die Friedenshoffnung des Textes Jes 11,6–9, der nicht wie Lev 26,6 f: (6) Ich gebe (euch) Frieden im Land; ihr könnt ruhig schlafen, niemand soll euch aufschrecken. Ich werde die wilden Tiere aus dem Land vertreiben, und das Schwert soll nicht in eurem Land umhergehen. (7) Ihr sollt eure Feinde verfolgen, sie werden eurem Schwert zum Opfer fallen die Ausrottung der wilden Tiere // politischen Feinde (vgl. Ez 34,25 und Hos 2,20), sondern ihre „Konversion“46 erwartet, hat demnach mit denselben Fragen zu tun wie Gen 1,29 f und 9,1–7. Im Blick auf die wilden Tiere geht er aber über jene Texte hinaus. Auch wenn in Jes 11,6–9 von der Bedrohung durch menschliche Feinde und deren Abwehr nicht unmittelbar die Rede ist, kann in den Bildern vom Tierfrieden dennoch ein Modell für den Umgang mit dem Feind gesehen werden, weil sie aufgrund der Korrelation von Sozialordnung (Jes 11,*1–5) und Naturordnung (Jes 11,6–8) transparent sind für das die Gewalt der Frevler beendende Gerechtigkeitshandeln des künftigen Herrschers.47 Insofern hat Jes 11,6–9 ein politisch-utopisches Profil. Denn: „Nicht, ob der Löwe wirklich Stroh fressen wird, ist die Frage, sondern welche Erwartung, welche Einschätzung des Feindlichen, zuletzt welche gegenwärtige Praxis jener Friedenshoffnung entspricht.“48 𓇼
b) Die Unterbrechung der Arbeit Altes Testament: Baumgart, Gott, 45 ff ◆ Ebach, Arbeit, 90 ff ◆ Grund, Entstehung ◆
Dies., „Volk“, 51 ff ◆ Hartenstein, Sabbat, 103 ff ◆ Kessler, Sabbatgebot, 85 ff ◆ Ders., Ethik,
V. 8 stellt mit seiner Antithese: Säugling // Entwöhnter (= Mensch in seiner wehrlosesten Erscheinungsform) vs. Kobra // Viper (= Tier in seiner gefährlichsten Erscheinungsform) einen gelungenen Abschluss der Tierbilder dar, vgl. als Kontrastaussage Gen 3,14 f. 43 Zu diesem Motiv s. Janowski / Neumann-Gorsolke, Manifestation, 15 ff. 44 S. dazu Janowski, Wolf, 65 ff. 45 Steck, „Knabe“, 112. 46 Vgl. Ebach, Ende, 79 f. 47 S. dazu unten 473 ff. 48 Ders., aaO 81. 42
250 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns 102 f.158 ff.186 f.388 f ◆ Köckert, Palast, 109 ff ◆ Ders., Zehn Gebote, 68 ff ◆ Schmidt, Zehn Gebote, 86 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 199 ff. – Antike Religionen: Grund, Entstehung, 311 ff ◆ Heschel, Sabbat ◆ Maier, Koran-Lexikon, 144 f ◆ Petuchowski / Thoma, Lexikon, 338 ff.
Die Arbeit gehört auch nach dem Alten Testament zur conditio humana. Nicht nur die der familiären Selbstversorgung dienende Ackerarbeit, sondern jegliche Arbeit, auch die des Künstlers, des Schmieds und des Töpfers – „diese alle“, befindet Jesus Sirach im ersten Viertel des 2. Jh.s. v. Chr., „vertrauen auf ihre Hände, und ein jeder ist weise in seinem Werk“ (Sir 38,31, s. Q 209). Über ein Leben ohne Arbeit denkt das Alte Testament dagegen nicht nach, im Gegenteil: der Faule wird mit Spott übergossen und als ausgemachter Tor bezeichnet: 6 Geh zur Ameise, Fauler! Sieh ihre Wege an, damit du weise wirst! 7 Sie hat keinen Anführer, Vorgesetzten oder Herrscher, 8 pflegt (aber doch) im Sommer ihre Nahrung zu bereiten, sammelt in der Erntezeit ihre Speise. 9 Bis wann, Fauler, willst du liegen? Wann wirst du von deinem Schlaf aufstehen? 10 „Ein wenig Schlafen, ein wenig Schlummern, ein wenig Verschränken der Hände, um zu ruhen!“ 11 Da kommt (schon) wie ein Marschierer deine Armut, und dein Mangel wie ein bewaffneter Mann. (Spr 6,6–11) 13 Es sagte der Faule: „Ein Löwe ist auf dem Weg, ein Löwe zwischen den Plätzen!“ 14 Der Türflügel dreht sich auf seinem Türzapfenloch, und der Faule auf seinem Lager. 15 Es tauchte der Faule seine Hand in die Schüssel – er war zu erschöpft (davon), sie zu seinem Mund zurückzuführen. 16 Weiser ist der Faule in seinen Augen als sieben, die geschmackvoll zu antworten verstehen. (Spr 26,13–16)49
Einem ununterbrochenen Durcharbeiten redet das Alte Testament dennoch nicht das Wort. Wohin das führt, kann man in der Reflexion von „König Kohelet“ über die Not der Ruhelosigkeit in Pred 2,22 f nachlesen: 22 Ja, was bleibt dem Menschen von all seiner Arbeit (῾āmāl) und der Anstrengung seines Verstandes (leb), womit er sich abgemüht hat unter der Sonne? 23 Ja, alle seine Tage sind Leid, und Kummer ist sein Geschäft. Selbst in der Nacht findet sein Herz keine Ruhe. Auch das ist Windhauch.
49
Zu diesen beiden Texten s. Meinhold, Sprüche I–II (ZBK.AT), 111 ff.441 ff, ferner Wolff, Anthropologie, 192 ff und zu Spr 6,6 ff noch Schipper, Sprüche (BK), 383 ff.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 251
Hier hat „die negative Seite der Anthropologie des Koheletbuches … ihren Tiefpunkt erreicht“50. Nicht einmal die Nacht kann als Zeit der Ruhe und Erholung genossen werden, schon gar nicht der siebte Tag der Woche, an dem die Arbeit den Sabbatgeboten (Ex 20,8–11 par. Dtn 5,12–15) zufolge unterbrochen werden soll. Was hat es mit diesem siebten Tag, dessen Geschichte mit den Ruhetagsgeboten von Ex 23,12 und 34,21 beginnt und der in persischer Zeit zum Hauptgebot wird (Neh 9,14 u. ö.), auf sich? α) Literaturgeschichtliche Aspekte Wie die Beschneidung gehört auch der Sabbat zu den unterscheidenden Charakteristika Israels.51 Für seine Entstehung ist die Verschmelzung von VollmondSabbat und Siebtem Tag konstitutiv.52 In vorexilischer Zeit war der Sabbat ein bestimmter Tag im 29,5 Tage andauernden Mondzyklus, am ehesten wohl der Vollmond am 15. Tag, während der Siebte Tag auf die Woche bezogen war und diese durch den Rhythmus von 6 Tagen + 1 Tag konstituierte. Der Siebte Tag ist unabhängig vom Naturgeschehen und begegnet in der gesamten antiken Welt nur in Israel. Erst in exilisch-nachexilischer Zeit kommt es in Ex 20,8–11 zu einer Gleichsetzung des Siebten Tages mit dem Vollmond-Sabbat und einer Novellierung in Dtn 5,12–15.53 Schematisch lässt sich das so darstellen: Vorexilische Zeit Vollmond-Sabbat (15. Tag)
Siebter Tag
An den Mondzyklus gebundener Tabutag, vgl. 2 Kön 4,23; Am 8,5(?); Hos 2,13; Jes 1,13; neuassyr. šab/pattu
Tag der Arbeitsenthaltung, vgl. Ex 23,12; 34,21, ferner šābat in Gen 8,22; Jos 5,12; Jes 14,4 u. ö.
Exilisch-nachexilische Zeit In Ex 20,8–10 und Dtn 5,12–15 kommt es zu einer sekundären Gleichsetzung von Siebtem Tag (šābat „[mit der Arbeit] aufhören“) und Sabbat (šabbāt „Sabbat“) und damit zu einer Umbildung dieses ehemaligen Tabutages zu einem wöchentlichen Feiertag. Die Entstehung beider Überlieferungen verlief dabei unterschiedlich: Ex 20,2–17 (älter)
Dtn 5,6–21 (jünger)
Grundüberlieferung (exil.): ohne Bilderverbot u. Sabbatgebot
Grundüberlieferung (dtr): Überarbeitung von Ex 20,8–10 unter Rezeption von Ex 23,12; 34,21
Novellierung (frühnachexil.): Novellierung (spätdtr): Eintragung von Bilderverbot und Sabbatgebot Überarbeitung der Grundüberlieferung
Abb. 44: Vollmond-Sabbat und Siebter Tag Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 234, vgl. Krüger, Kohelet (BK), 147. Köckert, Zehn Gebote, 68. 52 S. dazu Hartenstein, Sabbat, 103 ff und Grund, Entstehung, 19 ff. 53 Zur Entstehungsgeschichte der beiden Dekaloge s. Köckert, Palast, 111 ff; ders., Zehn Gebote, 38 ff; Grund, aaO 151 ff und Jeremias, Theologie, 363 ff. Zum Dekalog im Koran s. Q 216 50
51 Vgl.
252 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Während das Sabbatgebot von Ex 20,8–11 in V. 11(Ps) eine schöpfungstheologische Begründung enthält, die einerseits auf Gen 2,2 f (Pg) rekurriert und andererseits auf Ex 31,12–17 (Ps)54 ausstrahlt, rezipiert Dtn 5,12–15 (dtr) das Sabbatgebot von Ex 20,8–10 (ohne die Begründung V. 11) und gibt ihm in V. 15 mit dem Bezug auf den Exodus eine heilsgeschichtliche Begründung. Der Exodus-Text lautet folgendermaßen: 8 Gedenke (zākôr)55 des Sabbattages, um ihn zu heiligen. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und all deine Arbeit tun, 10 aber der siebte Tag ist Sabbat für JHWH, deinen Gott. Nicht sollst du irgendeine Arbeit tun, weder du noch dein Sohn und deine Tochter, weder dein Sklave noch deine Sklavin noch dein Vieh noch dein Fremdling, der in deinen Toren weilt. 11 Denn in sechs Tagen hat JHWH den Himmel und die Erde gemacht, das Meer und alles, was in ihm ist. Aber am siebten Tag ruhte er. Darum segnete JHWH den Sabbattag und heiligte ihn. (Ex 20,8–11)
Hier wie in Dtn 5,12–15 wird der 7. Tag mit dem Sabbat gleichgesetzt. Welche Bedeutung hat dieser Tag, den die beiden Dekaloge (Ex 20,2–17 par. Dtn 5,6–21) als „Sabbat“ (šabbāt) bezeichnen? β) Ruhetags- und Sabbatgebote Zur Beantwortung dieser Frage ist ein Blick in die Vorgeschichte der Sabbatgebote, nämlich in die Ruhetagsbestimmungen von Ex 23,12 und 34,21 nötig. Hier ist nicht nur von der Unterbrechung der Arbeit am siebten Tag die Rede (šābat „aufhören“),56 sondern – und zwar nur in Ex 23,12 – auch davon, dass die Arbeitstiere Rind und Esel „ruhen“ und der Sohn der Sklavin und der Fremde „aufatmen“: Sechs Tage sollst du dein Werk tun (῾āśāh + ma῾aśæh), aber am siebten Tag sollst du aufhören (šābat), damit ruhen (nûah) dein Rind und dein Esel ˙ und aufatmen (npš nif.) der Sohn deiner Sklavin und der Fremde. (Ex 23,12)57
S. dazu Hartenstein, aaO 123 ff, zu Gen 2,2 f s. im Folgenden. Wörtlich: „Gedenken (sollst du)“; zum imperativischen Gebrauch des Inf. abs. s. GK28, § 113bb. Zum inklusiven Verständnis des männlichen formulierten „Du“ s. Fischer, Arbeit, 192 mit Anm. 16. 56 Zur Bedeutung von šābat „aufhören“ im Sinn der Unterbrechung der menschlichen Leistung s. Köckert, Palast, 121 f und Grund, aaO 43 ff. 57 S. dazu Köckert, aaO 126 ff und Grund, aaO 19 ff. 54
55
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 253
Sechs Tage sollst / darfst du arbeiten (῾ābad),58 aber am siebten Tag sollst du aufhören (šābat), beim Pflügen und beim Ernten sollst du aufhören (šābat). (Ex 34,21)59
Während in Ex 34,21 eine inhaltliche Bestimmung des siebten Tages fehlt, wird diese in Ex 23,12 mit den beiden Verben „ruhen“ und „aufatmen“ angegeben. Gemeint ist damit mehr als eine 1tägige Arbeitsunterbrechung. „Ruhen“ meint vielmehr „wieder zu Atem und zu Kräften kommen, sich erholen. Hier ist der siebte Tag eindeutig eine von Gott seinen Geschöpfen gewährte Wohltat. Die soll auch denen zugute kommen, die für ihr Aufatmen nicht selber sorgen können, den Arbeitsmitteln (Zugund Lasttiere) und den Abhängigen, selbst auf der untersten sozialen (,Sohn der Sklavin‘) und rechtlichen Stufe (,Fremde‘)“60.
Über die Ruhetagsgebote von Ex 23,12 und 34,21 mit ihren auf „eine symbolische Wiederherstellung der geschöpflichen Lebensverhältnisse“61 bezogenen Bestimmungen geht das Sabbatgebot der beiden Dekaloge noch hinaus, weil es mit der Formulierung „irgendeine Arbeit“ (Ex 20,10 par. Dtn 5,14) jede Tätigkeit am Sabbat ausschließt. Begründet wird diese Maßnahme zum einen mit der Erinnerung an die Herausführung aus Ägypten (Dtn 5,15) und zum anderen mit dem Hinweis auf das „Ruhen“ Gottes am siebten Tag (Ex 20,11 Ps), an dem er dem priesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) zufolge die Schöpfungswoche „vollendete“: 2 Und Gott vollendete (klh pi.) am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte auf (šābat) am siebten Tag mit all seiner Arbeit, die er getan hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und er heiligte ihn, denn an ihm hörte er auf (šābat) mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er (sie) tat. (Gen 2,2 f) Das Verb klh pi. („vollenden, zum Abschluss bringen“ V. 2a) meint das Zum-AbschlussBringen der in sich bereits abgeschlossenen Schöpfungsarbeit der voraufgehenden sechs Tage.62 Dem entspricht das parallele Verb šābat in V. 2b (vgl. V. 3b), dessen Bedeutung von den Ruhetagsgeboten Ex 23,12 und Ex 34,21 herzuleiten und mit „aufhören (zu arbeiten)“ zu übersetzen ist.63 58 59 60
61
62 63
Zur Bedeutung von῾ābad „arbeiten“ im Sinn der auf die Ackerarbeit bezogenen Grundtätigkeit des Menschen s. Köckert, aaO 123 f. Zu diesem Text und seiner im Nachsatz V. 21b („beim Pflügen und Ernten …“) formulierten Zumutung s. ders., aaO 121 ff und Grund, aaO 51 ff. Köckert, Zehn Gebote, 71 f. Wie in Ex 31,17 (von Gott) und in 2 Sam 16,14 (von David) bedeutet das von næpæš abgeleitete Verb npš nif. auch in Ex 23,12 „aufatmen, Atem schöpfen“, s. dazu Hartenstein, Sabbat, 125 f; Grund, aaO 50 f; Baumgart, Gott, 46 ff und oben 55. Grund, aaO 50. S. dazu Steck, Schöpfungsbericht, 179 Anm. 758; 184 Anm. 778; 186 f, ferner Zenger, Gottes Bogen, 67 f u. a. S. dazu Grund, aaO 224 ff und oben 252 Anm. 56.
254 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Demgegenüber formuliert V. 3a etwas Neues, weil die Segnung und die Heiligung des siebten Tages auf dessen zukünftige Daseinsgestalt ausgerichtet sind. Während das Verb brk pi. „segnen (< mit lebensfördernder Kraft ausstatten)“64 wie in Gen 1,22 (Segnung der Wasser- und Flugtiere) und in Gen 1,28 (Segnung des / der Menschen) den Aspekt der Lebensfülle/-steigerung betont und so dem erstmals eingetretenen siebten Tag ebenso wie den ersterschaffenen Tieren und Menschen von Gott „Fortbestand auf Dauer“65 über das unmittelbare Schöpfungsgeschehen hinaus verliehen ist, meint das „Heiligen“ (qdš pi.), dass dieser Tag als ein besonderer, Gott zugehöriger Tag gegenüber den voraufgehenden sechs Schöpfungstagen ausgegrenzt ist. Bedeutet also das „Heiligen“ des siebten Tages dessen Setzung als eines ausgegrenzten, Gott zugehörigen Tages, so bewirkt das „Segnen“ die fortdauernde, lebensförderliche Gültigkeit dieser Ordnung,66 d. h. die stetige Wiederkehr des geheiligten siebten Tages nach einer Folge von sechs Arbeitstagen, die zusammen mit diesem abschließenden Tag als Zeiteinheit von 6 + 1 Tagen (= 1 Woche) geschaffen sind. Mit Gottes Handeln am siebten Tag ist deshalb dieser siebte Tag als solcher und damit alle künftigen siebten Tage geheiligt – als „ein Raum im Zeitablauf, auf dem Segen liegt, der aber als Heiliges ausgesondert ist aus allen anderen Bereichen der Zeit“67. Auf diesen Zusammenhang bezieht sich die Begründung des Sabbatgebots in Ex 20,11.
Was bedeutet vor diesem Hintergrund der das Sabbatgebot einführende Imperativ „Gedenke des Sabbattages, um ihn zu heiligen“ (Ex 20,8)?68 Den Sabbat zu „heiligen“ (qdš nif.) heißt, den siebten Tag aus dem gleichmäßigen Fluss der sechs Arbeitstage auszusondern, weil er „Sabbat für JHWH, deinen Gott“ (Ex 20,10) ist – und sein soll. Mit dem „Gedenken“ (zākar) dieses Tages ist aber mehr als nur ein kognitiver Akt, nämlich, wie die Konstruktion zākar + Infinitiv von qdš pi. („heiligen“) zeigt, ein „tathafter Bezug“69, eine existentielle Vergegenwärtigung dieser von Gott in der Schöpfungswoche eingesetzten Lebensordnung Israels (vgl. Gen 2,2 f) gemeint. Indem also die mit dem Infinitiv „um ihn zu heiligen“ ausgedrückte Handlung den Sinn des „Gedenkens“ expliziert, „verweist jeder Sabbat auf die weltlich unableitbare Freiheit des Schöpferhandelns und macht Geschöpflichkeit als Gabe und Aufgabe bewußt“70. Anders gesagt: Indem der einzelne Israelit des Sabbattages gedenkt, um ihn zu heiligen, folgt er dem Schöpfer nach (imitatio Dei), der den siebten Tag gesegnet und geheiligt hat (Gen 2,2 f). Und: er ermöglicht die Wohltat dieser Heiligung nicht nur seinen Kindern, sondern auch seinen SklaZur Semantik s. Leuenberger, Segen, 9 f. Steck, aaO 194. 66 Vgl. Jacob, Genesis, 67: „Wenn also Gott den siebten Tag gesegnet hat, so hat er ihn mit der Kraft ausgestattet, Gutes zu schaffen, so wie der Segen über Tiere (sc. in 1,22) und Menschen (sc. in 1,28) Fruchtbarkeit und Vermehrung verlieh.“ 67 Zimmerli, Mensch, 145. 68 Zur imperativischen Bedeutung von zākôr s. oben 252 Anm. 55. Dtn 5,12 formuliert anders: „Halte (šāmar) den Sabbattag, um ihn zu heiligen“, s. dazu Köckert, Palast, 128 ff und Grund, aaO 163 f. 69 Schottroff / Kleinknecht, Art. Gedächtnis, 754 (Schottroff), vgl. Schottroff, „Gedenken“, 153 ff. 70 Hartenstein, Sabbat, 131. 64 65
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 255
ven, seinem Vieh und seinem Schutzbefohlenen (Ex 20,10 par. Dtn 5,14). Größer und zugleich wirklichkeitsnäher kann man vom Sabbat nicht denken. 2. Wirtschaftssystem und Rechtswesen Kehren wir von den weitreichenden Perspektiven des Sabbatgebots zurück zur realen Welt der Arbeit. Diese Welt umfasst nicht nur die subsistenzorientierten Arbeitsformen des Ackerbaus und der Viehhaltung, sondern auch diejenigen des Handwerks und des Handels (aα). Überdies kennt sie prekäre Arbeitsverhältnisse wie Schuldsklaverei und Frondienst (aβ). Spätestens an diesem Punkt bricht erneut die Frage nach der Gerechtigkeit auf (b), die wir bereits im Zusammenhang mit den Themen „Anerkennung“ und „Missachtung“ berührt haben.71 a) Wirtschaft und Gesellschaft Altes Testament, Palästina / Israel: Altmann, Economics ◆ Berlejung / Merz, Art. Sozialsta-
tus / Gesellschaft, 55 ff ◆ Eisen / Kegler, Art. Arbeit / Lohnarbeit, 16 ff ◆ Fischer, Arbeit, 187 ff ◆ Frevel, Arbeitsverhältnisse, 57 ff ◆ Jochum-Bortfeld / Kessler, Art. Wirtschaftsrecht, 658 ff ◆ Dies., Art. Wirtschaftssystem, 662 ff ◆ Kessler, Sozialgeschichte ◆ Ders., Wirtschaft, 12 ff ◆ Ders., Ethik, 159 ff.260 ff.366 ff ◆ Kippenberg, Religion, 42 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 494 ff ◆ Zwickel, Grundlagen, 143 ff. – Antike Wirtschaftsgeschichte: Finley, Wirtschaft ◆ von Reden, Wirtschaft ◆ Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 971 ff.
Wie beschreibt man die Wirtschaft einer antiken Gesellschaft, und welche Rolle spielen die Menschen in ihr? Im Vergleich mit der modernen Wirtschaft gibt es bei der Analyse der antiken Wirtschaft spezifische Probleme. Dazu zählt die Frage der Methode: „Wirtschaftsgeschichte untersucht kollektive Verhaltensweisen, Geld- und Güterströme und nur in geringem Maße einmalige Ereignisse und einzelne Personen. Um Entwicklungen zu erklären, abstrahieren Untersuchungen von den Komplexitäten menschlicher Gedanken und Einzelbeziehungen und versuchen übergeordnete Strukturen aufzudecken. Sie arbeiten mit Modellen, die das Typische hervorheben und die vielen Ausnahmen und Abweichungen menschlichen Verhaltens vernachlässigen. Grundsätzlich versuchen Wirtschaftshistoriker ihre Aussagen zu quantifizieren, d. h. ihre Hypothesen mit messbaren Größen nachzuweisen.“72
Diese Methode wird, soweit es die Quellen erlauben, vermehrt auch in den Untersuchungen zur Wirtschaft des alten Israel angewendet. Daneben behalten die literarischen Quellen, d. h. die biblischen und außerbiblischen Texte, ihre große Bedeutung, weil sie Auskunft über die Mentalitäten und Ordnungsvorstellungen der am Wirtschaftsleben beteiligten sozialen Gruppen geben. In diesem Sinn ste-
71 72
S. dazu oben 191 ff. Von Reden, Wirtschaft, 3 f, vgl. den Überblick bei dies., aaO 2 ff.
256 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
hen im Folgenden die wirtschaftsanthropologischen Aspekte und ihre ethischen und religiösen Implikationen im Vordergrund.73 α) Subsistenzwirtschaft Für jedes wirtschaftliche Handeln gibt es Rahmenbedingungen, die in unterschiedlicher Weise und Intensität aufeinander abgestimmt sind. Im Fall des alten Israel waren dies seine natürlichen Lebensbedingungen, seine geopolitische Lage als Brückenland zwischen den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens sowie seine politischen und sozialen Organisationsformen.74 Das Zusammenspiel dieser Faktoren war komplex und in den verschiedenen Epochen der Geschichte Israels von unterschiedlichem Gewicht. Zunächst: Die bäuerlichen Haushalte waren die primäre soziale Einheit, in der die meisten Männer und Frauen im alten Israel tätig waren. Ihre Wirtschaftsform war die auf dem Ackerbau und der Viehhaltung beruhende Subsistenzwirtschaft. In Anlehnung an das lateinische Wort subsistentia „Bestand“ ist damit eine Wirtschaftsweise gemeint, bei der der familiäre Haushalt die Grundlage der Selbstversorgung bildete. Der Ausdruck „Haushalt“ ist dabei wörtlich zu nehmen, denn das sog. Vierraumhaus war im eisenzeitlichen Palästina / Israel die Grundeinheit der Subsistenzwirtschaft.75 Innerhalb der bäuerlichen Familien waren die Tätigkeiten aus praktischen Gründen geschlechtsspezifisch aufgeteilt.76 So waren das Getreidemahlen (Ri 9,53; Hi 31,10; Pred 12,3, s. Abb. 45),77 das Brotbacken (Gen 18,6; 27,14; 2 Sam 13,5–10), das Kochen, das Buttern,78 das Wasserholen (Gen 24,11–20; 1 Sam 9,11), das Spinnen, das Färben und das Weben (Ri 16,13 f; Spr 31,19–24) Frauensache,79 während das Pflügen des Ackerbodens, das Schneiden und Worfeln des Getreides (s. Abb. 46), das Schlachten der Tiere, die Arbeit in den Weinbergen und Ölhainen sowie das Hüten des Kleinviehs 73
74 75 76
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79
Der Frage, in welcher Form der Lohn vor der Einführung des Münzgeldes im 5. Jh. v. Chr. gezahlt wurde, kann im Folgenden nicht nachgegangen werden, s. dazu Frevel, Arbeitsverhältnisse, 57 ff. Zur Ausbreitung des Münzgeldes s. Kippenberg, Religion, 49 ff und Altmann, Economics, 89 ff. S. dazu oben 22 ff sowie den Überblick bei Knauf, Umwelt, 28 ff; Kessler, Sozialgeschichte, 27 ff; ders., Wirtschaft, 14 ff und Berlejung / Merz, Art. Sozialstatus / Gesellschaft, 57 ff. S. dazu unten 343 ff. Zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung s. auch oben 110 ff. Um genug Mehl für eine Kleinfamilie zu mahlen, benötigte eine Frau mehrere Stunden Arbeit, s. dazu Zwickel, Frauenalltag, 62 ff; Cohn Eskenazi, Frauen, 34 und Meyers, Archäologie, 79 f.85 f. Frühestens in persisch-hellenistischer Zeit wurde die rotierende Mühle mit zwei Mühlsteinen eingesetzt. Das Buttern geschah „nicht in einem Faß, sondern in einer als Butterschlauch verwendeten, an einem Gestell aufgehängten Tierhaut … Mit unermüdlich wiederholten, gleichmäßigen Stößen brachte die butternde Frau den Behälter zum Schaukeln. Das dadurch entstehende dumpfe Klopfgeräusch ertönte ein bis zwei Stunden lang. Erst dann hatten sich Butter und Buttermilch voneinander getrennt“ (Weippert, Lärm, 183 f). S. dazu Zwickel, aaO 62 ff und Meyers, Archäologie, 84 ff.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 257
Abb. 45: Müllerin mit Mühlsteinen (Gizeh, 5. Dyn.)
Abb. 46: Worfeln auf der Tenne (moderne Nachzeichnung)
Männerarbeit war.80 Wie Ruth 2,3–18a81 zeigt, gab es auch Arbeiten, die gemeinsam durchgeführt wurden. Die bäuerlich-familiäre Subsistenzwirtschaft bildete in allen Epochen der Geschichte Israels die ökonomische Basis. Mit dem Aufkommen des Königtums in Israel und Juda und dem damit verbundenen Übergang zur Staatlichkeit zu Beginn des 1. Jt.s v. Chr., begannen sich die Wirtschaftsstrukturen allerdings merklich zu verändern.82 Diese Entwicklung zog sich über 200 Jahre hin und verlief regional (Samaria, Jerusalem) unterschiedlich. 80
Es gibt Ausnahmen von dieser Regel, s. dazu oben 110 ff. S. dazu oben 201 ff. 82 S. dazu Kessler, Sozialgeschichte, 73 ff; ders., Wirtschaft, 23 ff und Frevel, Geschichte Israels, 93 ff.172 ff. 81
258 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Die Bedeutung, die das Königtum für die Wirtschaft hatte, zeigt sich an mehreren Punkten. Zum einen kommt es infolge öffentlicher Bautätigkeiten (Tempel, Paläste) zu einem Aufblühen von Werkstätten und zu einer Spezialisierung der Handwerker (Stein-, Holz‑, Metall- und Textilarbeiter).83 Zum anderen steht den vor allem in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen „eine Schicht von Menschen gegenüber, die nicht selbst produzieren“, sondern die als „staatliche Funktionsträger von dem Mehrprodukt leben, das die große Masse erwirtschaftet“84. Zu diesen Funktionsträgern gehören die Mitglieder des königlichen Hofs, die Beamten und andere Berufsgruppen. Ein bekanntes Beispiel dafür, wie die Mehrproduktion abgeschöpft wurde, sind die aus dem 2. Viertel des 8. Jh.s v. Chr., d. h. aus der Zeit Jerobeams II. (787–747 v. Chr.) stammenden Ostraka von Samaria.85 Auf ihnen werden Wein- und Öllieferungen registriert, die aus königlichen Ländereien in der Umgebung Samarias kommen und für die dem Königshof verbundenen und verpflichteten lokalen Eliten bestimmt waren. Eine königliche Wirtschaftspolitik, die direkten Einfluss auf die Volkswirtschaft nahm, war das noch nicht. Das änderte sich im Lauf des 8./7. Jh.s v. Chr. mit der Zunahme des außenpolitischen Drucks (Kriege, Tributzahlungen, Abholzung von Wäldern und Fruchtbäumen).86
β) Prekäre Arbeitsverhältnisse Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte, 245 ff ◆ Altmann, Economics, 65 ff ◆ Fischer,
Arbeit, 193 ff ◆ Fleischer, Menschenverkäufer, 346 ff ◆ Frevel, Arbeitsverhältnisse, 57 ff ◆ Hardmeier, Unheilsprophetie, 243 ff ◆ Jeremias, Theologie, 146 ff ◆ Kessler, Staat, 22 ff.117 ff ◆ Ders., Sozialgeschichte, 114 ff ◆ Ders., Wirtschaft, 33 ff ◆ Koch, Entstehung, 146 ff ◆ Loretz, Götter, 372 ff ◆ Otto, Ethik, 104 ff ◆ Reiterer, „Arbeit“, 238 ff ◆ Zwickel, Wirtschaftsreform, 179 ff.
Dokumente wie die Ostraka von Samaria87 geben keine Auskunft darüber, welche Auswirkungen die veränderten ökonomischen Strukturen auf das Leben und Empfinden der von ihnen betroffenen Menschen hatten. Im Vordergrund stehen „die komplexen Implikationen, mit denen die clanbasierte Gesellschaft und zentralisierte Monarchie aufeinander bezogen waren“88. Für die Kehrseite dieser Wirtschaftsform kann man etwa auf das Wehewort Am 6,1–7 verweisen, wo es zum Thema „Wein und Öl“ heißt: Die Wein aus Schalen trinken und erstklassiges Öl versalben,
83 84
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S. dazu Kegler, Arbeitsorganisation, 511 ff und Hübner / Zangenberg, Art. Handwerk, 243 ff. Kessler, Wirtschaft, 24. S. dazu Smelik, Dokumente, 50 ff; Jaroš, Zeugen, 110 ff; Weippert, Textbuch, 278 ff und die Kurzdarstellung bei Frevel, aaO 197 f. Besonders gravierend war das Abschlagen von Fruchtbäumen während der Belagerung einer Stadt, wogegen Dtn 20,19 f vehement protestiert, s. dazu Otto, Krieg, 98 ff und Wright, Zerstörung, 179 ff (mit einer Kritik an Ottos These einer antiassyrischen Polemik). S. dazu die Hinweise oben 258 Anm. 85. Frevel, aaO 198.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 259
aber um den Zusammenbruch Josephs haben sie sich nicht bekümmert. (Am 6,6)89
Der Kommentar zum „Zusammenbruch Josephs“ (= dezimiertes Nordreich) wird literarisch nachgetragen sein. Er trifft aber exakt die Dimension der sozialen Verwerfungen. Noch härter – für die Ausbeuter aber auch folgenreicher – nimmt sich die Kritik von Hab 2,6b–9 aus dem späten 7. Jh. v. Chr. aus. Angesprochen ist dabei vordergründig das neubabylonische Reich und hintergründig das Handeln eines individuellen Adressaten (wohlhabender Judäer), der Darlehen gegen Zins vergibt und als Sicherheit dafür „Wertgegenstände, möglicherweise auch die Arbeitskraft von Familienmitgliedern des Schuldners“90 pfändet: 6b Wehe dem, der vermehrt, was nicht sein ist – bis wann? – und der schwer macht über sich gepfändetes Gut! 7 Werden nicht plötzlich aufstehen deine Schuldner und aufwachen, die dich zittern machen, und du wirst ihnen zum Raub? 8 Denn du, du hast viele Völker geraubt; es werden dich ausrauben alle übrig gebliebenen Nationen wegen des Blutes von Menschen und der Gewalt im Land, der Siedlung und allen, die darin wohnen. (Hab 2,6b–8)
Das Motiv für die Kreditvergabe ist, wie V. 6b knapp und präzise formuliert, unrechtmäßige Bereicherung: „der vermehrt, was nicht sein ist“. Indem diese Praxis von Habakuk kritisiert wird, geht die Zinskritik in ökonomische Kritik und damit in eine Kritik der sozialen Verhältnisse über.91 Wirtschaftlich schwache Gruppen, für die traditionell Witwen, Waisen und Fremde stehen,92 hat es im alten Israel und in seiner Umwelt schon vor dem 8. Jh. v. Chr. gegeben. Die Lage änderte sich im Lauf der 2. Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. aber dramatisch, weil die sozialen Probleme von den Rändern in die Mitte der Gesellschaft wanderten.93 In dieser Epoche war die gesellschaftliche Entwicklung geprägt vom wachsenden Gegensatz zwischen Arm und Reich, was sich paradigmatisch an den Phänomenen Landraub und Bodenkonzentration zeigt. Von den einschlägigen Texten sei das Wehewort Mi 2,1–3 zitiert, das den prophetischen Schuldaufweis gegen die Mächtigen in die Stilform der Leichenklage („Wehe!“) kleidet:
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S. dazu Jeremias, Amos (ATD), 83 ff und Dahmen / Fleischer, Joel / Amos (NSK.AT), 213 ff (Fleischer). Dietrich, Nahum u. a. (IEKAT), 149. Zur folgenden Übersetzung s. ders., aaO 144.146. S. dazu Kessler, Zinsverbot, 142 ff, vgl. Dietrich, aaO 149. S. dazu unten 263. S. dazu Koch, Entstehung, 146 ff; Hardmeier, Unheilsprophetie, 243 ff; Fleischer, Menschenverkäufer; Otto, Ethik, 104 ff; Albertz, Religionsgeschichte, 245 ff; Zwickel, Wirtschaftsreform, 179 ff; Kessler, Staat, 22 ff; ders., Wirtschaft, 33 ff und Jeremias, Theologie, 146 ff.
260 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns 1 2 3
Wehe denen, die Unheil planen und Böses tun auf ihren Lagern: Beim Morgenlicht führen sie es aus, denn es steht in der Macht ihrer Hand.94 Sie begehren (hāmad) Felder und reißen sie an sich, ˙ Häuser und nehmen (sie).95 Sie unterdrücken einen Mann und sein Haus, und einen Menschen und seinen Erbbesitz (nahalāh). ˙ Darum hat JHWH so gesprochen: Siehe, ich plane über dieses Geschlecht Unheil, aus dem ihr eure Hälse nicht ziehen könnt, und nicht werdet ihr aufrecht gehen, denn eine böse Zeit ist dies. (Mi 2,1–3)96
Es geht in diesem Text nicht um ein Nebeneinander von Arm und Reich, sondern um den scharfen Gegensatz zwischen wirtschaftlich Starken und wirtschaftlich Schwachen. Davon handelt innerhalb des Völkerspruchzyklus Am 1,3–2,16 auch die „Israelstrophe“ (Am 2,6–8) mit ihrer vierfachen Anklage, die mit einem gestaffelten Zahlenspruch beginnt (V. 6a) und nach den Anklagen gegen Schuldknechtschaft (V. 6b), physische Demütigung und Rechtsbeugung (V. 7a) sowie Sexualvergehen mit sozialem Hintergrund (V. 7b) an letzter Stelle von „gepfändeten Kleidern“ und von „Wein von Bußgeldern“ spricht (V. 8): 6 So hat JHWH gesprochen: Wegen der drei Verbrechen von Israel und wegen der vier kann ich es nicht zurücknehmen: weil sie den Gerechten (saddîq) für Geld97 verkaufen ˙ und den Armen (᾽æbjôn) wegen eines Paars Sandalen; 7 die da noch im Staub der Erde die Geringen (dallîm) auf den/ nach dem Kopf treten (?)98 und den Weg der Elenden (῾anāwîm) beugen; ein Mann und sein Vater gehen zum gleichen Mädchen, um meinen heiligen Namen zu entweihen; 8 auf gepfändeten Kleidern strecken sie sich aus neben jedem Altar, und Wein von Bußgeldern trinken sie im Haus ihres Gottes.99
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Zur sprachlichen Nähe von V. 1 zu Ps 36,5 s. oben 160 f. Im Begehrverbot des Dekalogs Ex 20,17 par. Dtn 5,21 wird genau das verboten, s. dazu Schmidt, Zehn Gebote, 131 ff. S. dazu Kessler, Micha (HThK.AT), 112 ff; Jeremias, Joel u. a. (ATD), 147 ff und Zwickel, Wirtschaftsreform, 196 ff. Nach Ex 21,32 kostete ein Sklave 30 Silberschekel, s. dazu die Tabelle bei Zwickel, Leben, 160 f. Möglicherweise ist das Verb von šûp „angreifen, attackieren“ abzuleiten, s. dazu Ges18, 1335 s. v. šûp und Jeremias, aaO 18 Anm. 2. Zu diesem Text (und seinen Fortschreibungen in V. 7) s. Jeremias, Amos (ATD), 21 ff und
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 261
Im Kontext des Völkerspruchzyklus besagt diese Anklage, dass die Schuld Israels die Freveltaten seiner Nachbarvölker noch übertrifft. In V. 6b–7a tauchen dabei die Begriffe für die personae miserae (Gerechter, Armer, Geringer, Bedürftiger) auf, die mit speziellen Aktionen der Täter gegen ihre Opfer verbunden werden. So ist im Blick auf V. 6b der Sachverhalt zu beachten, dass der „Verkauf “ der Schuldner in die Sklaverei nicht wie üblich zum Abtragen der aufgelaufenen Schulden dient (vgl. Ex 21,2; Dtn 15,12), sondern den endgültigen Verlust der Rechtsfähigkeit mit sich bringt. Im Unterschied zur auf sieben Jahre begrenzten Schuldknechtschaft (vgl. Ex 21,1–6; Dtn 15,12–18), in die ein verarmter Bauer sich selbst oder eines seiner Familienmitglieder verkaufen musste, geht es im vorliegenden Fall um den Verkauf des Schuldners durch den Gläubiger an Dritte. Und das wegen einer minimalen Schuld, die dem Wert eines Paars Sandalen entspricht. Die Schuldner werden damit „zu Opfern skrupelloser Geldgier, die den Menschen nur als Ware ansieht“100. Bei V. 7a geht es demgegenüber um Schädigungen besonderer Art: zum einen um körperliche Attacken (?), und zum anderen um regelrechte Rechtsbeugung. Beides sind direkte Angriffe auf die körperliche Integrität und die soziale Existenz der personae miserae.
Das Thema der Prekarisierung ist damit noch nicht ausgeschöpft. In Am 8,4– 7 gibt es einen späten Kommentar101 zu Am 2,6 f, der mittels einer langen, aus sechs Gliedern bestehenden Infinitivkette (V. 4–6: I–VI) die Gewichte drastisch verschiebt: 4 Hört dies, die ihr den Armen (᾽æbjôn) zertretet (und) um die Elenden (῾anāwîm) im Land zu beseitigen (I),
← Am 2,7a
5 indem ihr sagt (II): Wann ist der Neumond vorbei, dass wir Getreide herausgeben können, und der Sabbat, dass wir Korn feilbieten können, damit wir das Epha verkleinern (III), den Schekel vergrößern (IV) und die trügerische Waage verbiegen (V), 6 um die Geringen (dallîm) für Geld zu erwerben (VI) und den Armen (᾽æbjôn) wegen eines Paares Sandalen? [Auch den Abfall vom Korn wollen wir herausgeben!]102
← Am 2,6b
Die Bedeutungsverschiebung besteht darin, dass die personae miserae nicht mehr in die Schuldsklaverei „verkauft“ (mākar Am 2,6b), sondern dass sie „beseitigt“ (šbt hif.) und „gekauft“ (qānāh Am 8,6) werden. Die reichen Darlehensgeber tun dies durch Manipulationen des Epha (Verkleinerung), des Schekel (VergrößeDahmen / Fleischer, Joel / Amos (NSK.AT), 159 ff (Fleischer). Zum Verständnis von V. 8 s. oben 221 f. 100 Dahmen / Fleischer, aaO 159 (Fleischer). 101 Am 8,3 ff ist eine späte Auslegung der 4. Amosvison (Am 8,1 f), s. dazu Jeremias, aaO 112 ff. 102 Zur Übersetzung s. auch Kessler, Kornhändler, 267 ff, ferner Fleischer, Menschenverkäufer, 186 ff.
262 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
rung) und der Waage (Verbiegung des Waagebalkens).103 Erworben werden damit keine Güter wie Getreide oder Korn, sondern Menschen (personae miserae), die zu Waren werden. Direkter und drastischer kann die „Beseitigung“ der Armen nicht ausgedrückt werden. Exkurs 12: Die personae miserae Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte, 248 ff.337 ff.569 ff.629 ff ◆ Berges / Hoppe,
Arm ◆ Bremer, Gott ◆ Ders., Armentheologie, 350 ff ◆ Braulik, Gesellschaft, 563 ff ◆ Coulange, Dieu ◆ Delkurt, Einsichten, 84 ff ◆ Kessler, „Armer“, 19 ff ◆ Ders., Ungerechtigkeit, 142 ff ◆ Schellenberg, Witwen, 189 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 274 ff.279 ff. – Antike Religionen: Brunner, Wertung, 189 ff ◆ Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 2, 86 ff ◆ Janowski, Rettungsgewissheit, 84 ff.113 ff ◆ Loretz, Götter, 337 ff ◆ Schellenberg, Witwen, 183 ff. Das Bild der sozialen Verwerfungen, das die prophetische Sozialkritik des 8.–6. Jh.s v. Chr. entwirft, hat scharfe Konturen und z. T. grelle Farben. Sie ist aber auch ein Impulsgeber für „die Aktivitäten von Rechtsgelehrten, die ein Wirtschaftsrecht formulieren, das der krisenhaften Entwicklung gegensteuern soll“104. Auch in der älteren Weisheit kommt das Unrecht gegen Arme und die Mahnung zur Barmherzigkeit ungeschminkt zum Ausdruck, z. B.: Wer den Geringen (dal) bedrückt, um sich zu bereichern, wer einem Reichen (῾āšîr) (Geschenke) gibt – nur zum Mangel (ist beides)! (Spr 22,16) 22 Beraube nicht einen Geringen (dal), weil er gering (dal) ist, und zermalme nicht einen Elenden (῾ānî) im Tor! 23 Denn JHWH wird ihre Rechtssache (rîb) ausfechten, und er wird diejenigen, die sie berauben, des Lebens berauben. (Spr 22,22 f)105 In dieser Mahnung, deren erster Teil (V. 22) eine Entsprechung in der Lehre des Amenemope hat (s. Q 40, ferner Q 48), kommt eine Grundüberzeugung des JHWH‑Glaubens zum Ausdruck: „Mit jedem Unrecht am Mitmenschen, mit dem an den bedürftigen Menschen verübten aber besonders ([Spr] 14,31a; 17,5a), wird JHWH selbst betroffen. Deshalb kündigt er für derartige Fälle sein Einschreiten an.“106
Trockenhohlmaß Epha und zum Schekel s. Jaroš, Art. Maße, 731 ff. Zur Manipulation an Getreidemaßen und Gewichtssteinen im Kodex Hammurapi s. Q 95. 104 Jochum-Bortfeldt / Kessler, Art. Wirtschaftsrecht, 658 (mit einem Überblick über das Wirtschaftsrecht des Bundesbuchs Ex 20,24 ff, des dtn Gesetzes Dtn 12 ff und des Heiligkeitsgesetzes Lev 17 ff). 105 S. dazu Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 372 f.380 f und Coulange, Dieu, 123 ff. 106 Meinhold, aaO 381. Zum Tor als Ort der Rechtsfindung s. unten 346 ff. 103 Zum
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 263
Semantische Aspekte Die Empathie für die Armen zeigt sich nicht zuletzt an der differenzierten Terminologie für die personae miserae. Dazu gehören folgende Verben, Adjektive und Substantive (mit Nennung ausgewählter Stellen): – ᾽æbjôn arm, bedürftig; Armer, Bedürftiger (Ex 23,6.11; Dtn 15,4; Am 2,6) – dak zerschlagen; Zerschlagener (Ps 9,10; 10,18; 74,21) – dal schwach, gering; Schwacher, Geringer, pl. dallîm (Lev 19,15; Ps 82,2 f; Spr 22,9. 16. 22) – helekāh schwach; Schwacher (Ps 10,8. 10. 14) ˙ – hāser entbehrend, Mangel leidend (2 Sam 3,29; Spr 12,9) ˙ – jāhîd einsam (Ps 25,16 //῾ānî) ˙ – misken arm (Pred 9,15 f ) – ῾ānāh II niedergedrückt, gebeugt, elend sein (79mal) – ῾ānāw/῾ānî elend, arm; Elender, Armer, pl.῾anāwîm/῾anijjîm (Ex 22,24; Am 2,7; Ps 9,13 f )107 – ῾ånî Elend, Leiden, Armut (Ps 88,10; Hi 10,15; Klgl 1,3) – rûš arm, dürftig sein, darben; arm; Armer (Ptz. rāš) (1 Sam 18,23; 2 Sam 12,1.3 f; Ps 82,3) – rêš Armut (Spr 30,8)
Abb. 47: Hebräische Termini für die personae miserae Im Unterschied zu den Armen, die zwar (grund)besitzlos, aber – solange sie nicht in Schuldsklaverei geraten – nicht rechtlos sind, gehören sowohl in Ägypten und im Alten Orient (s. Q 58 und Q 104) als auch im alten Israel die Witwen, Waisen und Fremden zu den nicht rechtsfähigen personae miserae.108 Die Schwierigkeit der semantischen Differenzierung zwischen den einzelnen Termini hängt mit der Frage zusammen, ob von Armut in materiell-sozialer oder in spirituell-religiöser Hinsicht die Rede ist. Es geht dabei oft um Nuancen. So sind dal und helekāh stärker materiell-sozial und ᾽æbjôn und ῾ānāw/῾ānî ˙ stärker spirituell-religiös konnotiert. Hinzukommen eventuelle Bedeutungsabweichungen von Nomina gegenüber Verben oder von Doppelausdrücken (wie ῾ānî w e᾽æbjôn) gegenüber einem Einzelbegriff.109 Die Analyse des jeweiligen Kontextes kann diese Schwierigkeit minimieren, aber nicht beheben.
Geschichtliche Entwicklung Armut ist immer konkret. Sie zeigt sich in Hunger, Unterernährung (s. Abb. 121 und 122), fehlender oder schlechter Kleidung, Anfeindung, Krankheit oder Rechtsnot. Bereits im Bundesbuch (Ex *20,24–23,19) findet sich die Bestimmung, den gepfändeten Mantel vor Sonnenuntergang zurückzugeben, weil er die ,soziale Haut‘ ist (Ex 22,25 f).110 Hier sind Unterscheidung der beiden Termini s. Berges / Hoppe, Arm, 14 (Berges). Trias „Witwen, Waisen und Fremde“ s. Schellenberg, Witwen, 180 ff; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 279 ff und Achenbach, Protection, 110 ff. Sie ist bereits im Ostrakon von Khirbet Qeiyafa belegt, s. Q 145. 109 S. dazu Berges / Hoppe, aaO 11 ff (Berges); Bremer, Gott, 318 ff und ders., Armentheologie, 356 ff. 110 S. dazu oben 193 f. 107 Zur 108 Zur
264 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns „Vorstellungen von einem Existenzminimum greifbar, die wegweisend geworden sind für die Entwicklung der Menschenrechte. Um es zu sichern, braucht die Witwe ihr kleines Feld und ihren Esel, die Grundbesitzlosen die Sozialbrache (Ex 23,11), der arme Mann in der Natanparabel sein Lamm, die Familie die Handmühle. Als soziales Auffangnetz werden Verwandte in die Pflicht genommen (Dtn 25,5–10; Lev 25). Das Gefälle zwischen Besitzenden und Verarmten wurde durch den Appell an die Wohlhabenden zu großzügigen Gaben (Dtn 15,11) und mit dem Zinsverbot (Ex 22,24) gemildert. Das Almosengeben war nicht der persönlichen Entscheidung überlassen, sondern eine sozial kontrollierte Pflicht (vgl. Dtn 14,22–29; 26,12 ff). Darüber hinaus hatten die Armen ein Recht, auf Feldern und in Weinbergen Nachlese zu halten (Dtn 24,19–22 und Rut)“111. Eine realitätsnahe Schilderung der Lebensbedingungen von Armen, die von den Reichen ausgegrenzt werden, findet sich in Hi 24,5–8: 5 6 7 8
Schau: Wildesel in der Steppe – so ziehen sie (sc. die Armen) zu ihrem Tun aus, sie suchen nach Nahrung, die Wüste bietet ihnen Brot für die Jungen. Auf dem Feld schneiden sie sein Futter ab und halten im Weinberg des Frevlers Nachlese. Nackt übernachten sie, ohne Kleid und ohne Decke in der Kälte, vom Regen der Berge sind sie durchnässt, klammern sich ohne Schutz an den Felsen.112
Texte wie Ex 22,25 f und Hi 24,5–8 machen deutlich, dass Armut im alten Israel ein Dauerphänomen war und spätestens von der mittleren Königszeit (8. Jh. v. Chr.) bis weit in die hellenistische Zeit (ab 333 v. Chr.) reichte. Im Ganzen handelt es sich um „eine längerfristige strukturelle Entwicklung …, welche ihre Wurzeln schon in den mit der Staatenbildung eingeleiteten gesellschaftlichen Veränderungen hat, die sich erstmals im 8. Jh. krisenhaft zuspitzte“113. Hauptstadien dieser Entwicklung sind die prophetische Sozialkritik des 8. Jh.s v. Chr., die dtn Sozialgesetzgebung vom Ende des 7. Jh.s v. Chr., die mit den Eroberungen Jerusalems 597/96 und 588/87 v. Chr. verbundenen sozialen Umbrüche sowie die steigende Anzahl von Schuldsklaven, Tagelöhnern und Bettelarmen in der persischen Epoche (ab 539 v. Chr.).114 In hellenistischer Zeit schließlich formuliert Kohelet eine Reichtumskritik, die die „Liebe zum Geld“ zum Gegenstand hat und die dieser die Maxime einer nicht entfremdeten Arbeit entgegensetzt: 9 Wer Geld liebt, wird vom Geld nicht satt, und wer Reichtum liebt, nicht vom Ertrag. Auch das ist Windhauch. Menschenbilder, 275, vgl. Albertz, Religionsgeschichte, 338 f; Kessler, Wirtschaft, 39 f. Zur Nachlese in Ruth 2,1 ff s. oben 201 f. 112 Übersetzung Ebach, Hiob II, 25. Zum Vergleich der sozial Deklassierten mit Wildeseln s. Riede, Spiegel, 125 f. 113 Albertz, aaO 248. 114 Für einen Kurzabriss der Geschichte der Armut im alten Israel s. Kessler, „Armut“, 24 ff, ferner s. dazu Albertz, aaO 337 ff.569 ff.629 ff und Braulik, Gesellschaft, 568 ff. 111 Staubli / Schroer,
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 265
10 Mehrt sich das Gut, mehren sich auch die, die es verzehren. Welchen Erfolg hat sein Besitzer, außer dass seine Augen es sehen? 11 Süß ist der Schlaf des Arbeiters, ob er wenig oder viel gegessen hat, doch die Sattheit des Reichen lässt ihn keine Ruhe finden zum Schlafen. (Pred 5,9–11)115
Gott und die Armen Welche Antworten gab es im Alten Orient und im Alten Testament auf diese Entwicklungen? Neben dem Motiv der sozialen Verantwortung des Königs, wie es in der Lehre für Merikare (Q 58), im Kodex Hammurapi (Q 105), im Aqhatu-Epos (Q 134) oder in Ps 72 begegnet,116 ist es vor allem die als Persönliche Frömmigkeit bezeichnete Haltung, die die direkte Beziehung des Bedrängten zu seinem Gott ins Zentrum rückt. Ein berühmtes Beispiel ist die Persönliche Frömmigkeit des ägyptischen Neuen Reichs (18.–21. Dyn.), die im Kairener Amunshymnus (Ende der 2. Zwischenzeit) wohl ihr ältestes Zeugnis hat. Hier wird das auf den Armen bezogene göttliche Wirken als „Erhören / Zuwenden“ (Z. 69 f) und „Retten / Richten“ (Z. 71 f) des Armen qualifiziert (s. Q 35). Auch im Alten Testament hat das Thema der Armut religiöse Konnotationen. Diese zeigen sich zuerst in der alten Weisheit117 und in der Prophetie des 8. Jh.s v. Chr. und erfahren in der deuteronomischen Sozialgesetzgebung eine breite Ausgestaltung. Dass es in Israel keine Armen mehr zu geben braucht, liegt, wie die nachexilische Fortschreibung Dtn 15,4–6 ausführt, am Segen Gottes: (4) Doch eigentlich sollte es bei dir gar keinen Armen (᾽æbjôn) geben; denn JHWH wird dich reich segnen in dem Land, das JHWH, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt und das du in Besitz nimmst, (5) wenn du auf die Stimme JHWHs, deines Gottes, hörst, auf dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, achtest und es hältst. (6) Wenn JHWH, dein Gott, dich segnet, wie er es dir zugesagt hat, dann kannst du vielen Völkern gegen Pfand leihen, du selbst aber brauchst nichts zu verpfänden; du wirst über viele Völker Gewalt haben, über dich aber werden sie keine Gewalt haben.118 Die Realität sieht allerdings anders aus, denn Die Armen werden niemals ganz aus deinem Land verschwinden. Darum mache ich dir zur Pflicht: Du sollst deinem Not leidenden und armen Bruder, der in deinem Land lebt, deine Hand öffnen. (Dtn 15,11) Die Hand öffnen – diese Maxime einer „Gesellschaft ohne marginale Gruppen“ (N. Lohfink) verklärt weder die Armut noch die Armen, sondern „sie stellt praktikable Bestimmungen für den Umgang mit vorhandener Armut auf und enthält ein Ethos des Respekts gegenüber Armen“119. dazu Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 326 ff. dazu Loretz, Götter, 337 ff und zu Ps 72 unten 466 ff. 117 Programmatisch ist Spr 14,31: „Wer einen Geringen bedrückt, hat dessen Schöpfer geschmäht, aber es ehrt ihn, wer sich einem Armen gegenüber barmherzig verhält“, vgl. ferner Spr 17,5 u. ö. und dazu Coulange, Dieu, 169 ff. 118 S. dazu Braulik, Deuteronomium I (NEB), 111 f und Otto, Deuteronomium III (HThK.AT), 1353 ff. Zur dtn Segenstheologie s. Leuenberger, Segen, 60 ff. 119 Kessler, „Armer“, 19. 115 S. 116 S.
266 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Das Armenethos spielt auch im Psalter eine große Rolle.120 Paradigmatisch dafür ist der nachexilische Ps 82,121 der mit einer Vision des in der Götterversammlung agierenden Israelgottes einsetzt und mit einer Bitte um Gottes Rechtsentscheid über die Erde endet. Das Zentrum bildet eine zweiteilige, aus Anklage (V. 2–4) und Urteil (V. 6 f) bestehende Gottesrede über die ungerechten Richter // unverständigen Götter: 1* 2 3 4 5 6 7 8
Gott steht in der Gottesversammlung, inmitten der Götter hält er Gericht (šāpat): ˙ ) „Wie lange wollt ihr ungerecht richten (šāpat ˙ und die Frevler begünstigen? – Sela Richtet (šāpat) den Geringen und die Waise, dem Elenden˙ und Bedürftigen schafft Gerechtigkeit (sdq hif.), ˙ befreit (plt pi.) den Geringen und Armen, ˙ aus der Gewalt der Frevler rettet (ihn) (nsl hif.)!“ ˙ Sie haben weder Erkenntnis noch Einsicht, in Finsternis wandeln sie umher, es wanken alle Fundamente der Erde. „Ich erkläre hiermit: Götter seid ihr und Söhne des Höchsten ihr alle! Jedoch: Wie Menschen werdet ihr sterben und wie einer der Fürsten werdet ihr fallen!“ Auf, Gott, richte (šāpat) die Erde, denn du hast Erbbesitz˙ in Gestalt aller Völker!
In der einleitenden ,Gerichtsszene‘ (V. 1aβ.b) wird das Richtertum Gottes in die himmlische Götterversammlung transponiert, in der dieser sein Richteramt über die Mitglieder des Thronrats („Götter“) ausübt und sie zum Tod verurteilt („sterben“ // „fallen“ V. 7). Drei Aspekte sind dabei miteinander verschränkt: Zum einen fungiert der göttliche Richter, wie die Parallelität von V. 3 und V. 4 unterstreicht, als soziale Instanz, d. h. indem er den personae miserae zum Recht verhilft („richten“ V. 3) und sie aus der Gewalt der Frevler befreit („retten“ V. 4). Die Verben für das göttliche Richten und Retten sind dabei aufeinander bezogen, und zwar so, dass das gerechte Richtertum Gottes entgegen dem ungerechten Richtertum der Götter auf der Korrespondenz von Richten und Retten, d. h. auf dem Zu-Recht-Bringen des Bedrängten beruht. Neben der sozialen hat das göttliche Richtertum eine kosmische Dimension, die in V. 5 nach ihrer chaotischen Seite hin entfaltet wird („Finsternis“, „wanken“), weil Einsichtslosigkeit und ,Blindheit‘ der Götter die „Fundamente der Erde“ zum Wanken bringen (vgl. Ps 75,4 u. a.). Der dritte, theologische Aspekt ergibt sich schließlich aus der Antithese von V. 2 (ungerechtes Richten) zu V. 3 f (Richten in Gerechtigkeit). Diese Antithese macht in Verbindung mit V. 5 deutlich, dass das Gott-Sein Gottes vom Begriff der Gerechtigkeit her definiert wird: „Götter“ und „Söhne des Höchsten“ sind nicht das, was sie zu sein vorgeben – nämlich Instanzen, die das Recht der Armen garantieren und darin das Antlitz
dazu Bremer, Armentheologie, 360 ff, vgl. ders., Gott, 334 ff.410 ff.473 ff und Berges / Hoppe, Arm, 49 ff (Berges). 121 S. dazu Janowski, Richter, 100 ff; ders., Gott, 46 ff; Bremer, Gott, 380 ff u. a. 120 S.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 267
des „wahren“ Gottes zu erkennen geben. Diese Korrelation von Gott und Gerechtigkeit ist ein entscheidender Schritt in der Geschichte des biblischen Gottesbegriffs. 𓇼
b) Recht und Gerechtigkeit In der bisherigen Darstellung sind wir immer wieder auf den Begriff „Gerechtigkeit, Gemeinschaftstreue“ (sædæq/sedāqāh) als denjenigen alttestamentlichen ˙ ˙ Begriff gestoßen, der das Handeln des homo socialis umfassend beschreibt und der öfter in Parallele zu den Termini ᾽æmæt/᾽æmûnāh „Beständigkeit, Richtigkeit, Wahrheit“, hæsæd „Hingabe, Güte, Freundlichkeit“ und mišpāt „Recht(sent˙ ˙ scheid)“ steht.122 Als sozialethischer Grundbegriff hat „Gerechtigkeit“ zwei aufeinander bezogene Bedeutungen. In „objektiver“, d. h. institutioneller und politisch-sozialer Hinsicht ist Gerechtigkeit „das grundlegende normative Prinzip des äußeren Zusammenlebens in seinen Kooperations- und Konfliktaspekten. Gerechtigkeit ist das sittliche Ideal und Kriterium von individuellen Handlungen, von Institutionen, selbst der Grundordnung einer politischen Gemeinschaft. Diese Gerechtigkeit betrifft vor allem den Bereich von Recht und Staat: die Gesetzgebung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt (die politisch-soziale Gerechtigkeit als normative Idee von Recht und Staat) …“123.
In „subjektiver“, d. h. personaler Hinsicht bezeichnet Gerechtigkeit dagegen „jene sittliche Lebenshaltung im Verhältnis zu den Mitmenschen, die – im Unterschied zu Freundschaft, Liebe und Wohlwollen – weder auf freier Zuneigung zum anderen beruht noch beim Handeln über das hinausgeht, was man einem anderen schuldet (Gerechtigkeit als Tugend). Gerechtigkeit als Persönlichkeitsmerkmal bedeutet nicht bloß, das Gerechte zu tun, weil es gerecht ist, sondern es aus einer bestimmten Gesinnung und ,freien Herzens‘ und nur deshalb zu tun, weil es gerecht ist, aber nicht etwa, weil man andernfalls bestraft oder sozial geächtet würde“124.
Auf diesem zweiten Aspekt hat das Alte Testament besonders insistiert und dem Gerechtigkeitsthema damit eine Richtung gegeben, die unverwechselbar ist. Dass es dabei aber immer wieder „über das hinausgeht, was man einem anderen schuldet“, kann man in Ex 22,20–26; Mi 6,8; Hos 12,7 und anderen Texten lesen.125 Dieses Mehr ist das Herz des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffs und seines Potentials zur Regelung und Befriedung von Konflikten. α) Rechtsprechung im alten Israel Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte, 139 ff.251 f.257 ff.286 ff.317 ff ◆ Bieberstein /
Bormann, Art. Gerechtigkeit / Recht, 197 ff ◆ Boecker, Recht, 20 ff ◆ Crüsemann, Gericht,
122 S.
dazu oben 198 f und im Folgenden. Art. Gerechtigkeit, 96. 124 Ders., aaO 97. 125 Vgl. Otto, Art. Gerechtigkeit, 703. 123 Höffe,
268 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns 69 ff ◆ Köhler, Mensch, 143 ff ◆ Niehr, Rechtsprechung ◆ Niemann, Herrschaft, 174 ff ◆ Otto, Funktionen, 188 ff ◆ Ders., Art. Recht, 202 ff ◆ Ders., Recht, 151 ff. – Antike Religionen: Boecker, Recht, 15 ff ◆ Manthe (Hg.), Rechtskulturen ◆ Niehr, Rechtsprechung, 19 ff ◆ Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 1029 ff.
Um soziale Konflikte zu befrieden und Rechtsstreitigkeiten zu schlichten, bedarf es eines Regelsystems, das normgemäß (Gerechtigkeitsmotiv) und solidarisch (Barmherzigkeitsmotiv) ist. Im Alten Testament liegt ein solches Regelsystem in den großen Rechtssammlungen des Bundesbuchs (Ex *20,24–23,19), des dtn Gesetzes (Dtn 12–26) und des Heiligkeitsgesetzes (Lev 17–26) vor. Deren Entstehung und Intention ist hier nicht darzustellen.126 Im Folgenden stehen vielmehr die sozial- und begriffsgeschichtlichen Aspekte des altisraelitischen Gerichtswesens im Vordergrund. Zunächst: Wie hat man sich die Geschichte der Rechtspraxis im alten Israel vorzustellen?127 Einen Überblick von der vorstaatlichen bis in die nachexilische Zeit hat H. Niehr128 vorgelegt und dabei drei Hauptstadien unterschieden (Abb. 48). Wichtig für die Gesamtentwicklung ist dabei der Hinweis von R. Albertz, dass „wie für die politischen und kultischen Institutionen der frühisraelitischen Gesellschaft … auch für ihre Rechtsinstitutionen eine erstaunliche Dezentralität und Pluralität charakteristisch (sind). Das gemeinsame Rechtsempfinden ist anfangs nicht von oben her gesetzt, sondern von unten gewachsen“129. Das wird auch von H. Niehr so gesehen. Es gibt dabei allerdings eine Reihe offener Fragen wie diejenige, ob der König als juristische Appellationsinstanz fungierte und eine besondere Rechtshoheit über seine Hauptstadt (Jerusalem, Samaria) ausgeübt hat. Das wird von Niehr unter Hinweis auf die Fiktionalität der entsprechenden Texte (2 Sam 12,1 ff; 14,5 ff; 1 Kön 3,16 ff u. a.) strikt verneint.130 Allerdings: „Auch fiktive Berichte können nicht einfach Umstände konstruieren, die der geltenden Rechtspraxis zuwiderlaufen, und ihre Datierung fern von der Zeit, aus der zu sprechen sie vorgeben, bedarf überzeugenderer Begründungen.“131 Wichtiger dürfte der Hinweis sein, dass es im Südreich Juda bis zur Josianischen Reform Konfliktfälle zwischen dem königlichen Bereich und Angehörigen der Bevölkerung der Ortschaften gab, die „durch den König bzw. zunehmend durch kö-
dazu den Überblick bei Otto, Ethik, 18 ff.175 ff.230 ff und ders., Art. Recht, 202 ff. der umstrittenen Datierung vieler Rechtstexte und der Unterschiedlichkeit ihrer Gattungen ist diese Frage schwierig zu beantworten. Das gilt etwa für das ursprüngliche Bundesbuch Ex *20,24–23,19, das gegen Niehr, Rechtsprechung, 42 ff nicht für die vorstaatlichen Verhältnisse in Anspruch genommen werden kann, weil es im Juda der mittleren Königszeit (8. Jh. v. Chr.) entstanden ist, s. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 283 ff und ders., Exodus II (ZBK.AT), 129 f. 128 S. dazu Niehr, aaO 39 ff (mit der Zusammenfassung 125 ff), ferner Baumann u. a., Art. Rechtswesen / Rechtsprechung, 460 ff. 129 Albertz, Religionsgeschichte, 139. 130 S. dazu Niehr, aaO 72 ff.118 ff, ferner Boecker, Recht, 32 ff und Niemann, Herrschaft, 174 ff. 131 Thiel, Rez. Niehr, 309. 126 S.
127 Wegen
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 269
Vorstaatliche Zeit Zwei gentile und eine außergentile Form der Rechtsprechung; Fehlen einer richterlichen Zentralinstanz und von Stammesrichtern; keine Rechtsfunktion des Volkes: – pater familias (bei innerfamiliären Konflikten) – Älteste (bei Konflikten zwischen Familien, Ortsgerichtsbarkeit) – Priester (bei Reinigungseiden und Ordalen)
Zeit der Monarchie (10. Jh.–587 v. Chr.) Verschiebung der Rechtskompetenz vom pater familias zu den Ältesten; keine übergeordnete Rechtsbefugnis des Königs; Neuerung unter Josia mit der Einsetzung beamteter Richter: – Älteste (Ortsgerichtsbarkeit) – pater familias – König mit Rechtsbefugnis über den Hofstaat (Höflinge, Beamte) und das Heer (Heeresführer) – Neuerung unter Josia: beamtete Richter – Priesterliche Gerichtsbarkeit
Nachexilische Zeit (ab 587 v. Chr.) Schwinden des Einflusses von Ältesten und des pater familias; Ausübung der staatlichen Gerichtsbarkeit durch Statthalter und Richter; Steigender Einfluss von Priestern / des Hohepriesters: – (Älteste, pater familias) – Statthalter und Richter – Priester, Hoherpriester
Abb. 48: Zur Geschichte der Rechtsprechung im alten Israel nigliche Delegaten / Funktionäre“132 geklärt wurden. Auch wenn dadurch die autonome Rechtsprechung der Ortsgerichtsbarkeit in gewissem Maße unterlaufen wurde, kam es dennoch nicht einfach zu einer Ablösung ihrer Rechtskompetenzen, sondern zu einer Komplementarität von königlicher und lokaler Gerichtsbarkeit.133
Aus der Rechtsfunktion der Ältesten hat sich in staatlicher Zeit die Ortsgerichtsbarkeit entwickelt. Diese hatte ihren Ort im Tor,134 wo sich bei Bedarf die Ältesten und die freien, grundbesitzenden Männer und nach deuteronomischer Vorstellung die Richter und Gerichtssekretäre einfanden. So heißt es im Richtergesetz Dtn 16,18–20:135 (18) Richter (šopetîm) und Gerichtsschreiber (šoterîm) sollst du in allen deinen Toren ˙ ˙ einsetzen, die JHWH, dein Gott, dir in deinen Stammesgebieten gibt. Sie sollen das Volk aaO 181 f. Zu den Beamten im alten Israel s. Rüterswörden, Art. Beamte, 252 ff. Niemann, aaO 178 ff, ferner Crüsemann, Gericht, 74 ff. 134 S. dazu unten 346 ff. 135 Der kursiv gesetzte Textbestand dürfte dtr Fortschreibung sein, s. dazu Gertz, Gerichtsorganisation, 71 ff. 132 Niemann, 133 Vgl.
270 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns mit gerechtem Urteil richten. (19) Du sollst das Recht nicht beugen, die Person nicht ansehen, und keine Bestechung annehmen, denn Bestechung macht die verständigen Augen blind und verdreht die Rechtsfälle der Gerechten. (20) Gerechtigkeit, Gerechtigkeit sollst du nachjagen, damit du lebst und das Land in Besitz nimmst, das JHWH, dein Gott, dir gibt.
Die Anweisung, Richter und Gerichtsschreiber in allen Provinzstädten einzusetzen (V. 18), stellt eine Neuordnung dar, die „die Professionalisierung der Ortsgerichtsbarkeit zum Ziel (hat)“136. Bei der Ortsgerichtsbarkeit handelt es sich um eine öffentliche Instanz, die bei Bedarf zusammentritt und die anstehenden Rechtsfälle zu klären sucht. Da es im Alten Testament keine allgemeine Prozessordnung gibt, muss man zahlreiche Einzeltexte zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Nach H.‑J. Boecker137 gehören dazu verschiedene Redeformen (Anklage, Verteidigung, Geständnis, Schlichtung), die in einen Urteilsspruch mit anschließenden Tatfolgebestimmungen münden.138 Ausschlaggebend ist die Intention der altisraelitischen Rechtsprechung, nicht einer abstrakten Vorstellung von Gerechtigkeit zu genügen, sondern „Streitigkeiten zu schlichten und das Wohl der Gemeinschaft zu wahren. Richten heißt für sie schlichten“139. Das kommt in besonderer Weise im abschließenden Urteilsspruch zum Ausdruck.140 In Spr 24,23b–25, wo ein solcher Urteilsspruch wörtlich zitiert wird (V. 23b), begegnet er in einem Kontext, in dem es um einen Richter geht, der jemanden, der Unrecht getan hat, fälschlicherweise für unschuldig erklärt: 23b Das Ansehen der Person bei Gericht ist nicht gut. 24 Wer zum Frevler (rāšā῾) sagt: „Gerecht bist du!“ (saddîq ᾽attāh), den werden Völker verfluchen, ˙ dem werden Nationen Verwünschungen aussprechen. 25 Aber für diejenigen, die zurechtweisen (jkh hif.), ˙ wird es angenehm sein, und auf sie wird der Segen des Guten kommen.
bal-tôb ˙
birkat-tôb ˙
Der Text beginnt in V. 23b mit dem rechtsanthropologischen Motiv der Ansehung der Person (vgl. Dtn 1,17; 16,19; Spr 28,21; Sir 38,10), das mit dem substantivierten Infinitiv hakker (< nkr hif. „aufmerksam, genau betrachten“) + pānîm „Angesicht“ ausgedrückt wird. Im Unterschied zur Wendung vom „Aufheben (nāśā῾) des Angesichts“, die ursprünglich „nach bestandenem Gericht aufstehen lassen“ (Spr 18,5) bedeutet, heißt nkr hif. + pānîm „freundlich ansehen, Rücksicht neh-
136 Ders.,
aaO 96. dazu Boecker, Redeformen und ders., Recht, 20 ff. 138 S. dazu ders., Redeformen, 71 ff. 139 Köhler, Mensch, 150, vgl. Boecker, Recht, 29 f. 140 S. dazu Boecker, Redeformen, 122 ff. 137 S.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 271
men auf “.141 Die parallele Aufforderung „Seht nicht freundlich an im Gericht!“ (Dtn 1,17, vgl. Dtn 16,19) lässt sich auch mit „Seid unparteiisch im Gericht!“ übersetzen. Es geht also, genau wie in der Lehre des Amenemope (s. Q 41), um das Gebot der Unparteilichkeit. Dieses Gebot wird nach V. 24 durch den Freispruch des Frevlers unterlaufen. Das richtige Verhalten, auf dem „der Segen des Guten“ liegen wird, besteht demgegenüber in der entschlossenen „Zurechtweisung“ (jkh ˙ hif.)142 des Frevlers. Damit ist ein Rechtsgrundsatz formuliert, der auch bei den Völkern // Nationen Anerkennung findet (V. 25). Der Zusammenhang von Gerechtigkeit und Leben, den Spr 24,23b–25 so eindrucksvoll artikuliert und mit V. 25 ins Universale ausweitet, ist der Kerngedanke des alttestamentlichen Rechtswesens. Er stellt sich aber nicht von allein ein, sondern muss durch ein entsprechendes Handeln immer neu herbeigeführt werden. Was gerecht und was ungerecht ist, unterliegt dabei nirgends dem Eigenurteil (!),143 sondern ausschließlich dem Richter(kollegium), einem der beiden Rechtskontrahenten (Kläger, Angeklagter) oder dem Urteil Gottes. Dem wenden wir uns abschließend zu. β) Das Tun der Gerechtigkeit Altes Testament: Bieberstein / Bormann, Art. Gerechtigkeit / Recht, 197 ff ◆ Boecker, Rede-
formen, 122 ff ◆ Crüsemann, Begriff, 49 ff ◆ Janowski, Richter, 75 ff ◆ Ders., „Übernachtung“, 163 ff ◆ Jeremias, Theologie, 146 ff ◆ Kessler, Ethik, 260 ff.356 ff ◆ Koch, Art. sdq, 507 ff ◆ Mi˙ chel / Zmijewski, Art. Gerechtigkeit, 795 ff ◆ Niehr, Herrschen ◆ Ders., Art. šāpat, 408 ff ◆ ˙ ◆ ◆ Otto, „Gerechtigkeit“, 107 ff Ders., Art. Gerechtigkeit, 702 ff Seeligmann, Terminologie, 293 ff ◆ Spieckermann, Recht, 119 ff ◆ Ders., Gerechtigkeit, 13 ff.
Das Alte Testament verfügt über eine reiche Terminologie, die den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Leben und insbesondere die Maxime des Tuns der Gerechtigkeit zum Ausdruck bringt. Als Beispiel seien die Lexeme der Wurzel SDQ angeführt,144 weil sie für das Thema „Gerechtigkeit“ zentral sind (Abb. 49). ˙ Für das Verständnis von sædæq und sedāqāh ist dabei zu beachten, dass sædæq ˙ ˙ ˙ ein Kollektivbegriff (nomen collectivum) ist, der die Gesamtheit der Gerechtigkeitserweise meint, während sedāqāh ein Einzelwort (nomen untiatis) ist, das ei˙ nen einzelnen Gerechtigkeitserweis bezeichnet. Nur sedāqāh kann einen Plural ˙ (sedāqôt) bilden.145 Diese begriffliche Differenzierung „zwingt jeden einzelnen ˙ 141 S. dazu Seeligmann, Terminologie, 311 f und Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 299. Zu nkr hif.
im Ruthbuch s. oben 202. bedeutet jkh hif. „feststellen, was recht ist“, s. dazu Boecker, aaO 45 ff und See˙ ligmann, aaO 306 ff.
142 Ursprünglich 143 Die
Formulierung „Ich bin gerecht“ gibt es in alttestamentlichen Rechtstexten nicht, vgl. Boecker, aaO 125 Anm. 1. 144 S. dazu den Forschungsüberblick bei Koch, Art. sdq, 514 ff; Michel / Zmijewski, Art. Gerech˙ tigkeit, 795 f und Bieberstein / Bormann, Art. Gerechtigkeit / Recht, 198 f. 145 S. dazu Michel, aaO 796 ff.
272 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns – sædæq „Gerechtigkeit“ (nomen collectivum)
˙
Typische Wendungen – Ausdruck der Normgemäßheit (Waagschalen u. a. der G.) (Lev 19,36; Ez 45,10; Hi 31,6 u. ö.) – Prädikatsnomen zur Angabe eines Stoffes (Ps 119,75, vgl. Ps 119,142.144.172) – Verbindung mit einem Terminus für „richten“ (Lev 19,15; Dtn 1,16; Ps 9,9 u. ö.) – „Heil“ (Jes 42,6; 45,13 u. ö.) – Charakterisierung einer Person (Ps 7,9.18 u. ö.)
– sedāqāh „Erweis der Gerechtigkeit“ (nomen unitatis)
˙
Typische Wendungen – Verbindung mit ῾āśāh „tun, machen“ (häufig) – Pluralisch („G.taten JHWHs“) (Ri 5,11; 1 Sam 12,7–11; Ps 103,6–8 u. ö.) – „Heilstaten JHWHs“ (Ri 5,11; 1 Sam 2,7; Mi 6,5 u. ö.) – JHWH hilft / rettet u. a. durch seine G. (Ps 24,5; 31,2; 71,2 u. ö.) – Binom mišpāt und sedāqāh (Jes 5,7; Am 5,7.24; Ps 72,2 f u. ö.) ˙ ˙
– saddîq „gerecht“
˙
Gen 6,9; Esr 9,15; Neh 9,23 f u. ö.
– sdq qal / pi./hif.
˙
qal „gerecht sein, sich als gerecht erweisen“ (Gen 38,26; Ez 16,52 u. ö.) pi. „jemanden als gerecht erweisen“ (Jer 3,11; Hi 33,2 u. ö.) hif. „jemanden gerecht sprechen, (in seinen sozialen Bezügen) rehabilitieren“ (Dtn 25,1; 2 Sam 15,4 u. ö.)
Abb. 49: Zur Semantik der Wurzel SDQ ˙
,Hebräer‘, mit dem Allgemeinbegriff ,Gerechtigkeit‘ immer auch schon den Erweis dieser Haltung in einem konkreten Tun mitzudenken und dann auch sein Handeln entsprechend auszurichten“146. Dieser Sachverhalt soll anhand zweier Beispiele aus der prophetischen Literatur erläutert werden. In beiden Fällen geht es um den Zusammenhang zwischen dem Tun der Gerechtigkeit und dem Leben, das aus diesem Tun erwächst. „Sucht das Gute und nicht das Böse!“ (Am 5,14) Das erste Beispiel ist das Wehewort Am 5,1–17, das eine kunstvolle Ringkomposition darstellt und als „Leichenklage“ (Qinah) auf den unaufhaltsamen Tod Israels stilisiert ist (A/A'). Während in den inneren Abschnitten (B/C // C'/B') der Zusammenhang von Gerechtigkeit / Rechtsbruch und Leben / Tod entfaltet wird, steht im Zentrum die nachexilische Doxologie auf den Schöpfergott (D), der tötet und Leben schenkt:
146 Ders.,
aaO 797.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 273
A 1–3 Leichenklage: Tod B 4–6 Aufruf zum Suchen: Leben C 7 Schuldaufweis: Rechtsbruch D 8 f Doxologie C' 10–13 Schuldaufweis: Rechtsbruch B' 14 f Aufruf zum Suchen: Leben A' 16 f Leichenklage: Tod
Nach J. Jeremias147 liegen dieser Komposition drei ursprüngliche Amosworte (V. 2 f; 4 f*; 7. 10. 12.16 f) zugrunde, die von den ersten Tradenten (sog. Amosschule) fortgeschrieben (V. 8 f.11.14 f) und in die vorliegende Gestalt gebracht wurden.148 Relevant für das Thema „Tun der Gerechtigkeit“ ist der zweifache Aufruf zum Suchen JHWHs (V.*4–6/14 f) und der zweifache Schuldaufweis (V. 7.*10–13): Aufruf zum Suchen: Leben (B) 4 5 6
Denn so hat JHWH zum Haus Israel gesprochen: Sucht mich, so werdet ihr leben! Aber sucht nicht Bet-El, und nach Gilgal wallfahrtet nicht, und nach Beerscheba zieht nicht hinüber! Denn Gilgal endet zwingend im Exil, und Bet-El wird zur Unheilsstätte, Sucht JHWH, so werdet ihr leben! Sonst durchdringt er das Haus Joseph wie Feuer, das frisst, und keiner kann löschen. Betrifft Bet-El.
Schuldaufweis: Rechtsbruch (C) 7 Ihr, die ihr Recht (mišpāt) zu Wermut umstürzt ˙ und Gerechtigkeit (sedāqāh) zu Boden stoßt! ˙
Schuldaufweis: Rechtsbruch (C')
10 Sie hassen den, der im Tor zurechtweist (jkh hif.),149 ˙ und verabscheuen den, der lauter redet. 11 Darum, weil ihr Pachtzins vom Geringen erhebt, und ihm Getreideabgaben abverlangt: Quadersteinhäuser habt ihr gebaut, aber werdet nicht in ihnen wohnen; kostbare Weingärten habt ihr gepflanzt, aber werdet ihren Wein nicht genießen. 12 Ja, ich weiß, wie vielfältig eure Verbrechen und wie zahlreich eure Vergehen sind,
dazu Jeremias, Amos (ATD), 61 ff (mit weiterer Lit.). (im Folgenden kursiv) gehören zur exilisch-nachexilischen Redaktion. 149 Zum „Zurechtweisen“ s. oben 273 f. 147 S.
148 V. 5aβ.6.13
274 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns die ihr den Gerechten anfeindet, Bestechungsgelder nehmt und die Armen im Tor zurückstoßt! 13 Darum schweigt der Kluge in jener Zeit; denn es ist schlimme Zeit.
Aufruf zum Suchen: Leben (B') 14 Sucht das Gute und nicht das Böse, damit ihr am Leben bleibt, auf dass JHWH, der Gott der Heerscharen, mit euch sei, wie ihr behauptet! 15 Hasst das Böse, liebt das Gute, und richtet im Tor das Recht (mišpāt) auf: ˙ Vielleicht wird JHWH, der Gott der Heerscharen, gnädig sein dem Rest Josephs!
Dieser Text, der durchgängig von Rechtsterminologie geprägt ist (V. 7.10–12.15), kulminiert im Aufruf zum Suchen des Guten (V. 14 f, vgl. V. 6).150 Was dieses Gute ist, wird dabei durch chiastische Bezüge (V. 14a/15a) und zwei Folgebestimmungen konkretisiert: 14a Gutes suchen, Böses nicht suchen b Folge: Mitsein JHWHs 15a Böses hassen, Gutes lieben b Folge: Gnade JHWHs
Das Tun des „Guten“ (tôb) – V. 15a spricht sogar vom „Lieben“ des Guten!151 –, ˙ das zum Leben bzw. zum Mitsein JHWHs führt (V. 14), ist wesentlich mit dem Aufrichten des Rechts im Tor, d. h. mit dem Rechtshandeln an den personae miserae identisch (V. 15a, vgl. V. 10–12). Ohne funktionierendes Recht ist alles Tun der Gerechtigkeit wertlos. Ob dieses Tun (Gutes vs. Böses) Früchte in einem entsprechenden Ergehen (Leben vs. Tod) trägt, steht allerdings unter dem Vorbehalt des göttlichen „Vielleicht“ (V. 15b) und gilt nur dem „Rest Josephs“, also den Überlebenden der Katstrophe von 722 v. Chr. Unmissverständlich ist aber der kausale Zusammenhang von Gerechtigkeit und Leben, der auch die Kultkritik von Am 5,*21–27 prägt. Hier taucht das berühmte Bildwort vom „Strömen der Gerechtigkeit“ auf, das in Am 5,7 und Am 6,12 negative Seitenstücke hat: 〈Wehe denen, die ihr〉 Recht zu Wermut umstürzt und Gerechtigkeit zu Boden niederwerft! (Am 5,7) Fort von mir den Lärm deiner Lieder und dein Harfenspiel will ich nicht hören, aber es ströme wie Wasser (das) Recht und (die) Gerechtigkeit wie ein reißender Bach. (Am 5,23 f)
Begriff des „Suchens“ JHWHs (V. 4.6) bzw. des Guten (V. 14) s. Jeremias, aaO 65 f. dazu Jeremias, aaO 71 f. Zum „Guten“ in Mi 6,8 s. oben 195 ff.
150 Zum 151 S.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 275
Laufen Pferde über Felsen oder pflügt man mit Rindern 〈das Meer〉? Ihr aber habt Recht zu Gift umgestürzt und die Frucht der Gerechtigkeit zu Wermut. (Am 6,12)
in Gift // Wermut 5,7; 6,12 4 die das Leben vergiften // verbittern
3 Israel hat Recht // Gerechtigkeit verwandelt
Recht // Gerechtigkeit sollen fließen
damit sie bringen Früchte der Gerechtigkeit 2
1
5,24 wie Wasser // reißender Bach
⎫ ⎪ ⎪ ⎪ Vergiftung ⎬ ⎪ des Lebens ⎪ ⎪ ⎭ ⎫ ⎪ ⎪ ⎪ Frucht der ⎬ ⎪ Gerechtigkeit ⎪ ⎪ ⎭
Abb. 50: Der Kreislauf der Gerechtigkeit nach Am 5–6
Wenn man die obige Skizze (Abb. 50), beginnend bei der Position 1, gegen den Uhrzeigersinn liest, ergibt sich ein geschlossener Aussagezusammenhang, der als – unterbrochener – Kreislauf der Gerechtigkeit bezeichnet werden kann. Denn im Gegensatz zu den Substanzen „Wermut“ (Am 5,7; 6,12) und „Gift“ (Am 6,12), die das soziale Leben vergiften, „strömen“ nach Am 5,24 Recht und Gerechtigkeit wie lebenspendendes Wasser und durchtränken alle Bereiche der Gesellschaft.152 Wenn Israel dies in seinem sozialen Handeln beherzigt, wird auch sein Gottesdienst nicht mehr auf JHWHs Ablehnung stoßen. Die beiden Ausdrücke „Recht“ und „Gerechtigkeit“, die innerhalb des Amosbuchs nur in Kapitel 5 und 6 vorkommen, wirken wie ein Brennglas, in dem die sozial- und kultkritischen Probleme des ausgehenden 8. Jh.s v. Chr. gebündelt sind. „Gerechtigkeit übernachtete in ihr“ (Jes 1,21) Das zweite Beispiel ist das nachexilische Gerichtswort Jes 1,21–26,153 das in Form einer kunstvollen Ringkomposition „die ethische Botschaft des gesamten Buches auf einen Nenner bringt: ,Recht und Gerechtigkeit‘ (mšpt / sdq[h])“154: ˙ ˙
dazu auch Dahmen / Fleischer, Joel / Amos (NSK.AT), 196 ff (Fleischer). Folgenden s. Janowski, „Übernachtung“, 163 ff. 154 Beuken, Jesaja I (HThK.AT), 82, dort auch die weiteren Belege für mišpāt und sædæq/ ˙ ˙ sedāqāh im Jesajabuch, s. zur Sache auch Jeremias, Theologie, 154 ff. ˙ 152 S.
153 Zum
276 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Schuldaufweis 21 Wie ist zur Dirne geworden die treue Stadt, erfüllt mit Recht (mišpāt), Gerechtigkeit (sædæq) übernachtete ˙ ˙ in ihr – jetzt aber Mörder! 22 Dein Silber wurde zur Bleiglätte, dein Wein ist gepantscht mit Wasser! 23 Deine Führer sind Aufrührer und Kumpane von Dieben, jeder liebt Bestechung und jagt Geschenken nach. Der Waise verhelfen sie nicht zum Recht (šāpat), ˙ zu ihnen. und der Rechtsstreit (rîb) der Witwe gelangt nicht
JHWH‑Spruchformel 24a Darum – Spruch des Herrn JHWH Zebaoth, des Starken Israels:
Gerichtsankündigung 24b „Wehe, ich werde mich letzen an meinen Widersachern und mich rächen an meinen Feinden! 25 Und werde meine Hand gegen dich kehren, und ich werde mit Pottasche deine Bleiglätte läutern und entfernen alle deine Schlacken. 26 Ich werde deine Richter machen wie zur ersten Zeit und deine Ratgeber wie zu Anbeginn. Danach wird man dich nennen ,Stadt der Gerechtigkeit (sædæq), treue Stadt‘.“ ˙
Wie vielfach gesehen worden ist, sind der Schuldaufweis V. 21–23 und die Gerichtsankündigung V. 24b–26 in dreifacher Entsprechung chiastisch aufeinander bezogen (A/B/C // C'/B'/A'), wobei die JHWH‑Spruchformel V. 24a als Spiegelachse fungiert: 21–23
Schuldaufweis (Prophetenrede)
Korruption der früher „treuen Stadt“ (qîr næ᾽æmānāh) Metaphorik: unreines Metall / gepanschter Wein Korrupte Beamte und ihr Tun
A 21 B 22 C 23
24a JHWH‑Spruchformel als Spiegelachse (eingeleitet durch lāken) 24b–26
Gerichtsankündigung (Gottesrede)
C' 24b Heimsuchung der Widersacher und Feinde JHWHs B' 25 Metaphorik: reinigendes Ausschmelzen des Metalls A' 26 Restitution Jerusalems zur „treuen Stadt“ (qîr næ᾽æmānāh)
Thema dieses Gerichtsworts ist eine – ehemals treue – Frau / Stadt (Jerusalem), die aufgrund der Korruptheit ihrer Beamtenschaft zur „Dirne“ geworden ist (V. 21–23) und die durch ein Läuterungsgericht JHWHs wieder zu einer treuen Stadt werden soll (V. 24b–26). Der Text lebt nicht nur von der Metaphorik des wertlos gewordenen Metalls bzw. Weins (V. 22), das gereinigt werden soll (V. 25αβ.b), sondern auch von der Gegenüberstellung von Einst und Jetzt, wie
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 277
sie in V. 21 anklingt und in V. 26 konkretisiert wird. Wenn man für das Verb lîn (V. 21) statt der üblichen Übersetzung „wohnen“ die konkrete Bedeutung „übernachten“ annimmt155 und dafür auf die Erzählung von der Zerstörung Sodoms in Gen 19,*1–29 rekurriert, erhält der Text eine prägnante Aussageintention. Die Sodomgeschichte ist für unseren Zusammenhang deshalb von besonderem Interesse, weil es in ihr – in Fortsetzung des Zwiegesprächs Abrahams mit Gott in Gen 18,22– 33156 – ebenfalls um das Thema „Gerechtigkeit“ (vs. Ungerechtigkeit Gen 18,20; 19,7.15) geht. Zunächst setzt Gen 19 mit einem eindrücklichen Bild ein, das an die Eingangsszene von Gen 18,1–8 erinnert.157 Aber im Unterschied dazu spielt sie hier nicht zur Mittagszeit, sondern am Abend, so dass Lot seine beiden Gäste nötigt, mit ihm in sein Haus zu kommen, damit sie dort unter dem Schutz seines Daches die Nacht verbringen können (lîn V. 2, vgl. šākab V. 4): (1) Und es kamen die zwei Boten am Abend nach Sodom, als Lot im Tor(raum) von Sodom saß. Als Lot (sie) sah, erhob er sich ihnen entgegen und verneigte sich mit seiner Nase bis zur Erde (2) und sagte: „Seht doch, meine Herren, biegt doch ab zum Haus eures Knechts und bleibt über Nacht (lîn) und wascht eure Füße und brecht am Morgen auf und geht (dann) eures Weges!“ Sie aber sagten: „Nein, sondern wir übernachten (lîn) auf dem Platz (sc. innen vor dem Tor).“ (3) Da drang er sehr in sie, und so bogen sie ab zu ihm und gingen in sein Haus. Er aber bereitete ihnen ein Gastmahl und buk Mazzen, und sie aßen. (4) Sie waren noch nicht schlafen gegangen (šākab), da umstellten die Einwohner der Stadt das Haus, die Männer von Sodom, jung und alt, alles Volk von weit und breit. (5) Sie riefen nach Lot und fragten ihn: „Wo sind die Männer, die heute abend zu dir gekommen sind? Heraus mit ihnen, wir wollen mit ihnen verkehren!“ Der Fortgang der Geschichte mit dem brutalen Missbrauch des Gastrechts durch die Bewohner von Sodom ist bekannt. Gastfreundschaft ist praktizierte Nächsten- und Fremdenliebe und deshalb eine elementare Form des Sozialen.158 Diese wird hier ad absurdum geführt und das Verbrechen von JHWH entsprechend geahndet. Das Gottesgericht, das bei Sonnenaufgang über Sodom hereinbricht, ist dabei von kosmischen Ausmaßen: (23) Als die Sonne (šæmæš) über dem Land aufgegangen und Lot nach Zoar gekommen war, (24) ließ JHWH es regnen über Sodom und Gomorrha: Schwefel und Feuer von JHWH, vom Himmel her. (25) Und er stürzte diese Städte und den ganzen Umkreis um und alle Bewohner der Städte und das Gewächs des Ackerlandes. (26) Als seine Frau hinter ihn blickte, wurde sie zu einer Salzsäule. (Gen 19,23–26) Die Flucht Lots, seiner Frau und seiner beiden Töchter aus Sodom (Gen 19,15–22) beginnt aber früher, nämlich mit dem Heraufziehen der Morgenröte, was die beiden Gottesboten zur Eile veranlasst: (15) Sobald die Morgenröte (šahar) heraufzog, drängten die Boten Lot zur Eile an und ˙ sagten: „Auf, nimm deine Frau und deine beiden Töchter, die hier sind, damit du nicht dazu Janowski, „Übernachtung“, 166 ff. dazu oben 205 f. 157 Zum Vergleich der beiden Texte s. Blum, Vätergeschichte, 280ff. 158 S. dazu oben 204 ff. 155 S. 156 S.
278 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns durch die Schuld der Stadt hinweggerafft wirst.“ (16) Da er zögerte, fassten die Männer seine Hand, die seiner Frau und seiner beiden Töchter, weil JHWH Mitleid mit ihm hatte, führten ihn hinaus und ließen ihn erst außerhalb der Stadt los. (Gen 19,15 f) Wie O. Keel gezeigt hat, wird das Vernichtungsgericht über Sodom von JHWH in der Rolle einer richtenden Sonnengottheit herbeigeführt.159 Während mit dem Heraufziehen der Morgenröte die Eile verbunden ist, zu der die Boten Lot und die Seinen drängen, setzt das Vernichtungsgericht mit dem Aufgehen des Tagesgestirns ein. In diesem dramatischen Moment lässt JHWH Schwefel und Feuer vom Himmel regnen (vgl. Ps 11,6),160 denn „der Sonnengott straft … bei seinem Eintritt in die Welt die Verbrechen, die während der Nacht, während seiner Abwesenheit, begangen worden sind“161. Dass diese Motivtradition, die in der altorientalischen und ägyptischen Gebetsliteratur und Ikonographie verbreitet war (s. Q 64; 105; 113), in Jerusalem bekannt gewesen ist, belegt auch ein akkadzeitliches Rollsiegel, das in Jerusalem in einem Grab des 7. Jh.s v. Chr. gefunden wurde und das das einzige akkadzeitliche Rollsiegel ist, das bisher in Palästina / Israel entdeckt wurde (s. Q 152).
Über die bisherigen Beobachtungen hinaus gibt es noch einen weiteren Aspekt, der für den Bezug von Jes 1,21–26 auf die Sodomgeschichte spricht, nämlich der Sachverhalt, dass die Ouvertüre des Jesajabuchs in Jes 1,2–2,5 zweimal auf die Sodom-Tradition Bezug nimmt (Jes 1,9.10) – „und zwar als auf etwas selbstverständlich Bekanntes“162. So sind mit den „Anführern von Sodom“ und dem „Volk von Gomorrha“ in dem kult- und sozialkritischen Passus Jes 1,10–17.18–20 die korrupten Beamten Jerusalems und Judas gemeint: Hört das Wort JHWHs, Anführer von Sodom! Horcht auf die Tora unseres Gottes, Volk von Gomorrha! (Jes 1,10)
Unmittelbar davor endet der Abschnitt Jes 1,2–9, der in V. 7 das Sodom/Gomorrha-Thema durch verschiedene Begriffe („Einöde“, „feuerverbrannt“, „Umsturz“) vorbereitet, mit dem Hinweis auf den „kleinen Rest“, den JHWH übrig gelassen hat, um Jerusalem und Juda nicht wie Sodom und Gomorrha werden zu lassen.163 Vor diesem Hintergrund gewinnt die Aussage von der „Übernachtung“ der Gerechtigkeit in Jes 1,21 ihr theologisches und anthropologisches Profil. „Die Gegenwart der Gerechtigkeit wird explizit auf den Abschnitt eines Tages – nämlich die Nacht – ausgedehnt, der in mythisch-traditioneller Hinsicht keine Verbindung mit der Gerechtigkeit hat“164 – der diese Verbindung aber in der
dazu Keel, Sodom, 10 ff und ders., Geschichte Jerusalems, 278 f.375 f.727 f. dazu Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 91 f (Zenger). 161 Keel, Sodom, 13. 162 Ders., Geschichte Jerusalems, 375. 163 S. dazu Beuken, Jesaja I (HThK.AT), 73 ff. Hinzukommt, dass Jerusalem und Juda auch in Jes 3,8 f mit Sodom verglichen werden, s. dazu ders., aaO 112 f. In der Gerichtsankündigung gegen Babel Jes 13,19 spielt der Vergleich mit Sodom und Gomorrha ebenfalls eine Rolle. 164 Schmid, Jesaja I (ZBK.AT), 57. 159 S. 160 S.
§ 6 Die Tätigkeiten des Menschen 279
Vergangenheit hatte (V. 21) und aufgrund eines Läuterungsgerichts in Zukunft wieder haben soll (V. 26). So wird das Bildwort von der „Übernachtung“ der Gerechtigkeit zu einem vielsagenden Kontrastmotiv, durch das die göttliche und die menschliche Gerechtigkeit einander zugeordnet werden und zwar so, dass die Gerechtigkeit Gottes die menschliche Gerechtigkeit garantiert und restituiert165 – nicht nur am helllichten Tag, sondern auch in der dunklen Nacht.
165 Vgl.
ders., aaO 58.
Nachtrag zu § 6 (237 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter den Rubriken „Recht“ und „Wirtschaft und Gesellschaft“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). 1. Arbeit und Ruhe a) Der Mensch und seine Arbeit (238 ff ) Zur (mühevollen) Arbeit und zu den arbeitsrechtlichen Regelungen s. Fischer, Arbeit, 1152 ff und Gies, Anthropologie, 91 ff. β) Haustiere und Arbeitstiere (245 ff ) Zu den ethischen Aspekten des Mensch/Tier-Verhältnisses s. Neumann-Gorsolke, „Der Gerechte“, 139 ff. 2. Wirtschaftssystem und Rechtswesen a) Wirtschaft und Gesellschaft (255 ff ) Zu den Konstanten und Variablen der altisraelitischen Wirtschaftsgeschichte s. Schäfer-Lichtenberger, Wirtschaft 214 ff. b) Recht und Gerechtigkeit (267 ff ) Eine zusammenfassende Darstellung der Thematik „Recht und Gerechtigkeit“ findet sich bei E. Otto, Rechtsanthropologie des Alten Testaments, in: Dietrich u.a, Handbuch (HAA) (im Druck). Zur kosmologischen Dimension der alttestamentlichen Gerechtigkeitsauffassung s. Saur, Ordnung, 84 f und ders., Ṣædæq, 379 ff. β) Das Tun der Gerechtigkeit (271 ff ) Zu Am 5,1 ff s. Gies, Anthropologie, 106 ff.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen Von der Frucht des Mundes eines Mannes sättigt sich sein Leib, der Ertrag seiner Lippen sättigt (ihn). Leben und Tod sind in der Gewalt der Zunge, und alle, die sie lieben – jeder isst ihre Frucht. Sprüche 18,20 f
Zu den klassischen Antworten auf die Frage „Was ist der Mensch?“ gehören Begriffsbildungen wie animal rationale, zoon politikon und animal symbolicum. Der von E. Cassirer (1874–1945) verwendete Begriff des animal symbolicum bzw. homo symbolicus ist für die folgenden Überlegungen zentral. Er besagt, dass der Mensch im Unterschied zum Tier „nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum“1 lebt und in seinen Lebensvollzügen immer wieder den Schritt vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck macht.2 Dieser Schritt ist elementar an die Sprache und ihre Fähigkeit zur Artikulation von Erfahrungen3 gebunden. Sprechen und Handeln sind „die Modi, in denen sich das Menschsein selbst offenbart. (…) Sprechend und handelnd schalten wir uns in die Welt der Menschen ein, die existierte, bevor wir in sie geboren wurden, und diese Einschaltung ist wie eine zweite Geburt, in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen, gleichsam die Verantwortung dafür auf uns nehmen “4.
Man kann, wie Spr 18,20 f mit dem Hinweis auf die ambivalente „Gewalt der Zunge“ einschärft (vgl. Spr 13,3; 17,20; 21,23), diese Verantwortung auch verfehlen, man muss sie aber auf sich nehmen. Dabei gilt, dass Sprache „Auswirkungen auf den Sprechenden wie den Hörenden (hat). Sie bewirkt Leben oder Tod, Wohltat oder Zerstörung und ermöglicht Beeinflussung anderer“5. Wie die Menschen des Cassirer, Versuch, 50. S. dazu oben 33 und im Anschluss an Cassirer auch Jung, Ausdruck, 13. 3 Zum Begriff „Artikulation“ s. ders., aaO 12: „Unter Artikulation verstehe ich die anthropologisch basale Tatsache, dass Menschen ihre Lebensvollzüge für sich und andere verständlich machen, indem sie erlebte Qualitäten und motorische Impulse artikulieren, sie also in gegliederte Handlungsabläufe und syntaktisch strukturierte Symbolketten transformieren.“ 4 Arendt, Vita activa, 165. 5 Hausmann, Menschenbild, 186. 1 2
282 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
alten Israel die lebensförderliche bzw. lebenszerstörende Kraft der Sprache eingesetzt haben – das ist das Thema der folgenden Überlegungen. 1. Grundformen der Kommunikation a) Die Rolle der Sprache Die Sprache ist ein elementares Instrument der Kommunikation. Mit dem Begriff „Kommunikation“ – von lat. communicatio „Mitteilung“ und communicare „gemeinsam machen“ – bezeichnet man Handlungen, die für die „Koordination des Verhaltens zwischen Interaktionspartnern“6 charakteristisch sind. Jenseits dieser allgemeinen Definition beginnen die eigentlichen Fragen: Wer kommuniziert mit wem, mit welcher Intention und mit welchen Mitteln (Worte, Gesten)? Und: Inwiefern sind die sprachlichen Handlungen (Sprechakte) Ausdruck der jeweiligen Kultur und ihres Symbolsystems?7 α) Sprachliches Handeln Altes Testament: Bieberstein / Bieberstein, Abschiedsworte, 3 ff ◆ Boecker, Redeformen ◆
Bühlmann, Reden ◆ Häusl, Zuraten, 26 ff ◆ Hardmeier, Textwelten 1, 37 ff.47 ff.152 ff; 2, 42 ff ◆ Hausmann, Menschenbild, 186 ff ◆ Schmid, šalôm, 47 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 222 ff ◆ Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 64 ff ◆ Wagner, Sprechakte ◆ Westermann, Grundformen ◆ Wolff, Anthropologie, 122 ff.
Texte gehen aus bestimmten Kommunikationssituationen hervor, in denen Menschen interagieren, indem sie sprechen, hören, schreiben oder lesen. „Sprechen ist Handeln, ist Interaktion. Sprech-Handeln geschieht in diesem Sinne dann auch nur innerhalb des allgemeinen Handlungskontextes einer Gesellschaft“8. Deshalb ist die Sprachform der biblischen Texte nicht nur die primäre Quelle für die Kommunikation, die in und mit diesen Texten vollzogen wurde, vielmehr sind in diesen Texten „auch eine Menge von kommunikationspragmatischen Indizien aufbewahrt und zahlreiche Hinweise verschlüsselt, die erstaunlich zuverlässig auch signifikante Rückschlüsse auf das textexterne soziokommunikative Umfeld und die soziohistorischen Hintergründe der überlieferten Texte möglich machen“9. Bevor wir diesem Hinweis anhand ausgewählter Beispiele (Klagelied, Abschiedsworte, Erzählung) nachgehen, soll ein Überblick über die Hauptredeformen des Alten Testaments gegeben werden. Diese Redeformen beginnen mit
Rusch, Art. Kommunikationsmodell, 367. Wagner, Sprechakte, 17: „Eine sprachliche Äußerung ist in ihrer Handlungsbedeutung abhängig vom zugrundliegenden Regel- und Wissenssystem (Kontext) einer Gesellschaft; der Vollzug einer sprachlichen Handlung schafft … eine ,institutionelle Tatsache‘.“ Zu den Grundproblemen der Sprechakttheorie s. ders., aaO 7 ff. 8 Ders., aaO 19. 9 Hardmeier, Textwelten 1, 38, vgl. Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 66 f. 6
7 Vgl.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 283
der einfachen Grußformel „šālôm (sei mit dir)!“ bzw. „Geh hin in šālôm!“10 und enden mit den theologisch reflektierten Abschiedsworten von Sterbenden. Dazwischen liegt das ganze Spektrum der Redeformen, wie sie im Alltag und in seinen unterschiedlichen Lebensbereichen Recht, Verwaltung, Krieg, Diplomatie / Königshof, Religion, Kult, Erziehung, Prophetie und Weisheit vorkommen (s. Abb. 51). Wenn man aus diesem (unvollständigen) Katalog Einzelbeispiele herausgreift und mit Hilfe der Sprechaktanalyse näher betrachtet, ergeben sich weitere Differenzierungen. So gewähren die Klagelieder des Einzelnen, sprechaktanalytisch gelesen, nicht nur einen Einblick in die Kommunikationsstruktur, sondern auch in das soziale Umfeld dieser Gebete. Das Musterbeispiel dafür ist Ps 13: 1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids. 2 3
Wie lange, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? Wie lange verbirgst du dein Gesicht vor mir? Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen Tag für Tag? Wie lange erhebt sich mein Feind über mich?
4 5
Blick doch her, erhöre mich, JHWH, mein Gott! Mach hell meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe, damit mein Feind nicht behauptet: „Ich habe ihn überwältigt!“, meine Gegner nicht jubeln, dass ich wanke!
6 Aber ich – auf deine Güte habe ich vertraut, mein Herz juble über deine Rettung: „Singen will ich JHWH, dass er an mir gehandelt hat!“11
Die einzelnen Gattungselemente sind klar erkennbar und in der Anlage des Psalms aufeinander bezogen. Die dreiteilige Klage – Gott-Klage, Ich-Klage, Feind-Klage (V. 2 f) – ist stilistisch durch vier Wie lange-Fragen gestaltet, wobei die Not des Beters unter drei Aspekten erscheint: – – –
im Blick auf JHWH als Entzug seiner Gegenwart („vergessen“ // „Gesicht verbergen“) (V. 2) im Blick auf den Beter als Tragen von „Sorgen“ in seiner næpæš12 // von „Kummer“ in seinem Herzen (V. 3a) im Blick auf den Feind als Überwältigung und Vernichtung des Beters (V. 3b)
Die ebenfalls dreiteilige Bitte – Gott, Beter, Feind(e) (V. 4 f) – wird demgegenüber durch drei gattungstypische Adhortative bzw. Imperative eingeleitet, woZur Bedeutung von šālôm („Wohlergehen“) in den Grußformeln s. Schmid, šalôm, 47 ff. Zu diesem Text s. Janowski, Konfliktgespräche, 56 ff und unten 503 ff. 12 Zum Bedeutungsspektrum von næpæš s. oben 54 ff. Im vorliegenden Text dürfte am ehesten der Aspekt „vitales Selbst, individuelles Leben“ vorliegen. 10
11
Ps 22,23 ff; 78,1 ff; 116,3 ff u. ö.b Hhld 2,13 f; 4,1 ff; 8,13 u. ö. Ri 14,12 ff u. ö. Gen 27,1 ff; 50,24 ff; 1 Kön 2,1 ff u. ö.
1 Sam 16,14 ff u. ö. 1 Sam 25,41; 2 Kön 8,13 u. ö. Gen 32,4 ff u. ö. 2 Kön 22,11 ff u. ö. 1 Sam 11,7.9; 2 Sam 11,25 u. ö. 1 Sam 17,8 ff
S. zu diesen Formeln Staubli / Schoer, Menschenbilder, 226. Gemeint ist hier nicht die Textform der Erzählung (s. dazu unten 287 ff Anm. 35), sondern die Redeform des Erzählens. c S. dazu Boecker, Redeformen, 18 ff.71 ff. d S. dazu im Folgenden und unten 506 ff.
b
a
1 Kön 21,17 ff; Am 7,16 f; Mi 3,1 ff u. ö.e Jes 5,8 ff; Am 5,16; Mi 2,1 ff u. ö. Am 5,4 ff u. ö. Jes 40,12 ff.18 ff; 49,16 f u. ö. Jes 41,8 ff; 43,1 ff u. ö. Jer 11,18 ff; 12,1 ff; 15,10 ff u. ö.
Dtn 26,5 ff u. ö. Jes 7,9; Ps 116,10 f u. ö. Ps 13,6 u. ö.
– Unterweisung – Kinderkatechese
Didaktische Redeformen
S. dazu Westermann, Grundformen, 92 ff.120 ff; Seybold, Poetik 2, 20 ff und Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 186 ff. f Zu den Sprechhandlungen des Sprüchebuchs s. Hausmann, Menschenbild, 186 ff und Häusl, Zuraten, 26 ff. g Zu den didaktischen Redeformen s. Luchsinger, Poetik, 45 ff. e
Spr 6,20 ff; 19,20; 22,6 u. ö. (Alltagsverhalten) Dtn 6,6 ff; 6,20 ff (religiöse Erziehung)g
– Zurechtweisen, Raten Spr 12,1.15; 27,5 u. ö. – Besänftigen Spr 15,1 u. ö. – Sich Zurückhalten Spr 10,19 u. ö. – Schweigen Spr 11,12 f u. ö.f
Weisheitliche Redeformen
– Gerichtswort – Weheruf – Mahnwort – Disputationswort – Heilswort – Konfessionen
Prophetische Redeformen
Abb. 51: Katalog alttestamentlicher Redeformen
– Außergerichtlich: Beschuldigen, Beschwichtigen u. a. – Gerichtsverfahren: Anklagen / Verteidigen, Schlichten, Urteilen u. a.c
Redeformen des Rechtslebens
– Diplomatische Rede – Höflichkeitsformel – Botenformel/-befehl – Königsbefehl – Mobilmachung – Herausforderungsrede
Diplomatische / höfische und militärische Redeformen
– Erzählen – Liebeslied – Rätsel – Abschiedsworte
Literarische Redeformen
– Wohlwollens-, Missbilligungs-, Gen 18,3; 1 Sam 28,12 f; 2 Sam 12,21; Vorwurfsformel 13,12; 19,28; 2 Kön 9,18 f u. ö.a
Redeformen im Kontext konventionellen Sprechens
– Bekennen – Glauben – Vertrauen
Religiöse Redeformen
– Hymnus – Klagelied des Volkes – Klage des Einzelnen – Danklied des Einzelnen
Ex 15,21; Ps 100; 136 u. ö. Ps 44; 74; 79 u. ö. Ps 3–7; 13; 22 u. ö. Ps 30; 41; 116 u. ö.d
Redeformen von Hymnus und Gebet
– Begrüßungsformel – Segensformel – Gespräch, Dialog – Wohltuende Worte – Schädigende Worte – Fluchformeln – Namengebung – Abschiedsformel
Gen 43,23; 1 Sam 25,6; Ri 6,23 u. ö. Gen 14,19; Ri 17,2; Ruth 3,10 u. ö. passim Spr 12,25; 15,30; 25,25 u. ö. Ps 41,6 ff; 69,13; Spr 26,18 ff u. ö. Dtn 27,15 ff; Jos 6,26; Jer 11,3 u. ö. Gen 35,18; Ex 2,10; Ruth 4,17 u. ö. Ex 4,18; 1 Sam 29,7; 2 Kön 5,19 u. ö.
Redeformen des Alltagslebens
284 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 285
bei in V. 4a ein Adhortativ und ein Imperativ asyndetisch nebeneinander stehen („sehen“ // „hören“ + Subj. JHWH) und von dem zweiten Adhortativsatz V. 4b („mach hell meine Augen …“) zwei damit nicht-Sätze abhängig sind. Auch V. 5b dürfte als ein dritter damit nicht-Satz von V. 4bα abhängig sein. Mit seinem Motivwort „jubeln“ (gîl) stellt er einen scharfen Kontrast zu dem Vertrauensbekenntnis V. 6a dar. Der durch das sog. waw adversativum („aber ich“) markierte V. 6 besteht aus einem Darstellungssatz (Vertrauensbekenntnis) und einem Wunschsatz (Lobversprechen), dessen Ausführung im abschließenden Lobredezitat vorliegt. Im Anschluss an H. Irsigler13 lässt sich der Sprechaktprozess dieses Textes folgendermaßen zusammenfassen: 2 3
Um Abhilfe bittender Vorwurf an JHWH Abhilfe wünschende Klage (vor JHWH)
4* 4*.5
Auf positive Reaktion zielende Bitten an JHWH Motivation des erbetenen Handelns JHWHs als Kundgabe des dringenden Wunsches, dass befürchtete Sachverhalte (Todesgeschick, Feindbedrängnis) nicht eintreten
6
Bekenntnis des bekundeten Vertrauens an JHWH Kundgabe des Lobwunsches mit Lobredezitat
Damit erweist sich das Klagelied des Einzelnen als anthropologischer Grundtext, der in seinen Sprechakten die Situation des leidenden Beters umfassend thematisiert. Es stellt den Menschen nicht als isoliertes Ich, als eine fensterlose Monade dar, sondern als ein Wesen, das in die grundlegenden Konstellationen (Gott, Welt, Mitmensch / en) eingebunden ist und in diesen Bezügen handelt und lebt (konstellativer Personbegriff ).14 Das zweite Beispiel sind die Abschiedsworte von Sterbenden (Isaak, Jakob, Joseph). Deren Formular besteht aus folgenden Einzelelementen:15
Isaak Jakob Joseph
Konstatierung der Todesnähe 27,1 47,29; 48,1 Versammlung der Zuhörerschaft 27,1 47,29; 48,1; 49,1 Rede(wechsel) 27,1 ff.18 ff 47,29 ff; 48,2 ff; 49,1 ff Tod 35,28 f 47,31; 49,33 Bestattung 35,29 50,1 ff; 50,12 f
– (50,24) 50,24 ff 50,26 50,26; Jos 24,32
Irsigler, Psalm-Rede, 76 ff. S. dazu Janowski, aaO 36. Zum Begriff der Konstellation s. oben 29 f.31 f. 15 S. dazu Bieberstein / Bieberstein, Abschiedsworte, 5 ff. Die Beispiele stammen aus Gen 27–50. 13 14
286 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Für das Verständnis dieser Reden ist zu beachten, dass die sterbenden Erzeltern, dazu Mose, Josua, Samuel und David (Dtn 32 ff; Jos 23 f; 1 Sam 11 f; 1 Kön 2) in der Stunde des Todes einen Rückblick auf ihr Leben geben, ohne ihre Einstellung zu Tod und Jenseits zur Sprache zu bringen. Nehmen wir als Beispiel die Abschiedsworte Josephs in Gen 50,22–26, die statt eines Blicks über die Schwelle des Todes16 den Wunsch des Sterbenden nach einer Überführung seiner Gebeine ins Land der Väter artikulieren: (22) Und Joseph wohnte in Ägypten – er und seines Vaters Haus – und Joseph lebte hundertundzehn Jahre. (23) Und Joseph sah bei Ephraim Söhne der dritten Generation. Auch wurden die Söhne Machirs, des Sohnes Manasses, auf Josephs Knien geboren. (24) Joseph sagte zu seinen Brüdern: „Ich sterbe, und Gott wird ganz aufmerksam auf euch Acht haben; Gott wird euch hinaufführen aus diesem Land in das Land, das er Abraham, Isaak und Jakob eidlich zugesagt hat.“ (25) Und Joseph beschwor die Söhne Israels: „Gott wird ganz aufmerksam auf euch Acht haben, dann bringt meine Gebeine von hier hinauf!“ (26) Und Joseph starb als ein Mann von hundertundzehn Jahren; man balsamierte ihn ein und legte ihn in einen Schrein im Land Ägypten.
Auch im Blick auf die Frage nach dem Sitz im Leben dieser Abschiedsworte ist Zurückhaltung am Platz. Denn sie „erlauben … keinen Schluss auf gelebte Realitäten, sondern wurden von vornherein für einen ‚Sitz in der Literatur‘ verfasst“17. Als literarische Gestaltung des letzten Lebensabschnitts stellen sie den relativ späten Versuch dar, „die ursprüngliche Verbundenheit und Einheit zwischen der familiären Frömmigkeit der ‚Väter Israels‘ und der offiziellen Staatsreligion“18 herzustellen. Das ist ein theologisches Konstrukt – und als solches bedeutsam genug! –, das einer bestimmten Erzählperspektive, nämlich der Gestaltung der Volksgeschichte als Familiengeschichte, verpflichtet ist. Deren Intention ist „im retrospektiven Verlangen der Geschichtsschreibenden zu suchen, die Geschichten der eigenen Ahnen nicht in der Fremde enden zu lassen, sondern ins verheißene Land zurückzubinden“19. Wie E. Blum und I. Fischer20 detailliert gezeigt haben, sind die Familien-Erzählungen von Gen 12–36 nicht als historische Biographien von Familienclans, sondern als „Welt erzeugende Erzählungen“21 zu verstehen und insofern ein Ausdruck narrativer Theologie. Erzählenswert sind diese Episoden nicht allein wegen der genealogischen Kontinuität, die sie 16 17
18 19
20
21
S. dazu Bieberstein / Bieberstein, aaO 8 f.46. Dies., aaO 5. Die soziale Realität des Todes, wie sie von den Menschen erlebt und bewältigt wurde, kommt dagegen in den Trauerriten und in den – indirekten – Hinweisen auf die Ahnenverehrung und den Totenkult zum Ausdruck, die seit vorexilischer Zeit unter Leitung des pater familias im Kreis der Familie stattfanden, s. dazu oben 86 ff. Podella, Nekromantie, 133. Bieberstein / Bieberstein, aaO 12. S. dazu Blum, Vätergeschichte, 478 ff; Fischer, Erzeltern; dies., Gottesstreiterinnen; dies., Menschheitsfamilie, 190 ff, ferner Köckert, Vätergott, 306 ff und Gertz (Hg.), Grundinformation, 269 ff (Gertz). Fischer, Menschheitsfamilie, 196 f (im Anschluss an N. Goodman).
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 287
mit den Stammvätern und -müttern Israels (Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Rahel / Lea) verbindet. „Vielmehr vermag diese Ursprungsgeschichte“, wie E. Blum präzisiert, „wesentliche Grundgegebenheiten Israels zu erklären: wie es zu einem Volk wurde; wie es – in Abgrenzung zu den Nachbarn – zu diesem seinem Land kam; wie es sich selbst in der Umwelt der benachbarten Völker zu ,definieren‘ hat. Im weiteren Sinne handelt es sich also um Ätiologien Israels, Ätiologien, die zugleich Sinnorientierungen für die Gegenwart bieten“22.
Da die Darstellung der Volksgeschichte als Familiengeschichte immer auch „eine Beispielerzählung für menschliche Grunderfahrungen im Lebensbereich von Sippe und Familie – und umgekehrt“23 ist, ist das Erzählen eine wesentliche Form der Identitätsbildung im alten Israel. β) Israel als Erzählgemeinschaft Altes Testament: Assmann, Gedächtnis, 15 ff.48 ff.196 ff ◆ Bar-Efrat, Erzählung, 97 ff ◆ Fi-
scher, Erinnern, 11 ff ◆ Gärtner, Geschichtspsalmen, 40 ff ◆ Hardmeier, Textwelten 1, 64 ff ◆ Naumann, Art. Erzählen, 241 ff ◆ Seybold, Poetik 2, 24 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 339 ff ◆ Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 140 ff.
Die einfachste Form der Erzählung ist neben dem Aufzählen24 die Aneinanderreihung von Ereignissen und Dingen durch die Kopula „und“ wie z. B. in Gen 22,1 f: 1 2
Und es geschah nach diesen Ereignissen, da prüfte Gott den Abraham, und er sprach zu ihm: „Abraham!“, und er sagte: „Hier bin ich!“ Und er sprach: „Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und geh du in das Land (des) Morija und bring ihn dort als Brandopfer dar auf einem der Berge, den ich dir sagen werde.“25
Die erzählerische Verknüpfung von Geschehnissen, in die direkte Reden eingebettet sind (in denen ebenfalls mit dem Bindewort „und“ konstruiert wird), ermöglicht „das Erinnern in einer Gesellschaft, wo Geschichten und die durch sie konstituierte kollektive Geschichte einen zentralen Stellenwert haben“26. Dieser Blum, aaO 480 f, vgl. Naumann, Art. Erzählen, 241 ff. Gertz, aaO 278. 24 Vgl. Jes 43,26; Ps 40,6; 50,16 und 119,13 (jeweils spr pi.), s. dazu Jenni, Pi῾el, 218 f und Seybold, Poetik 2, 25. 25 S. dazu Janowski, Gott, 117 ff. 26 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 339. 22 23
288 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Zusammenhang von Erzählen und Erinnern ist Gegenstand von Texten, die wie die Geschichtspsalmen (Ps 78; 105; 106 u. a.) die vergangenen Heilstaten Gottes durch die Erzählung von ihnen vergegenwärtigen, z. B. in Ps 78,1–6: 1
Ein Maskil. Von Asaph.
Höre, mein Volk, meine Weisung, neigt euer Ohr den Worten meines Mundes! 2 Ich will öffnen meinen Mund mit einem (Mahn-)Spruch, ich will verkünden (nb῾ hif.) Rätsel aus (der) Vorzeit, 3 die wir gehört (šāma῾) und verstanden haben (jāda῾) und (die) unsere Väter uns erzählt haben (spr pi.). 4 (Sie) wollen wir nicht vor ihren Kindern verbergen, einer nachkommenden Generation erzählen (spr pi.): die Ruhmestaten JHWHs und seine Macht und seine Wundertaten, die er getan hat. 5 Und er stellte ein Zeugnis auf in Jakob, und eine Weisung hat er in Israel eingesetzt, das / die er befohlen hat unseren Vätern, damit sie ihren Kindern bekannt machen (jd῾ hif.), 6 auf dass eine nachkommende Generation erkenne, Kinder – sie werden (erst) geboren – aufstehen und (sie es) ihren Kindern erzählen (spr pi.) …27
Es geht hier nicht um die Erzählung als Textform28 – Ps 78 ist kein Erzähltext, sondern ein Psalm –, sondern um das Erzählen als Sprechhandlung. Erzählt wird nicht, um zu unterhalten, sondern um die Heilstaten JHWHs (V. 12 ff.40 ff), die aus der Tiefe der Vergangenheit („Rätsel aus der Vorzeit“ V. 2) kommen, dem Vergessen zu entreißen und für die Gegenwart und die Zukunft lebendig zu halten. Das preisende Erzählen (spr pi.) der Rettungstaten JHWHs hat eine anamnetische Funktion und ist „identitätsstiftend für die vergangenen, die gegenwärtigen und die zukünftigen Generationen Israels als Volk Jhwhs“29. Entsprechendes gilt auch für die Klage- und Danklieder des Einzelnen: Ich will dich preisen, JHWH, von ganzem Herzen, ich will erzählen alle deine Wundertaten. (Ps 9,2) Sei mir gnädig; JHWH, sieh meine Erniedrigung an durch meine Hasser – Du, der mich erhebt aus den Toren des Todes – Damit ich erzähle all deinen Lobpreis, in den Toren der Tochter Zion juble über deine Rettungstat. (Ps 9,14 f)
S. dazu Seybold, aaO 26 ff.221 ff und Gärtner, Geschichtspsalmen, 40 ff. S. dazu Bar-Efrat, Erzählung, 97 ff. Zu den alttestamentlichen Erzählformen s. den Überblick bei Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 140 ff; Seybold, aaO 43 ff und Naumann, Art. Erzählen, 241 ff. 29 Gärtner, aaO 51, vgl. Assmann, Gedächtnis, 16 f und Fischer, Erinnern, 11 ff. 27
28
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 289
Ich will erzählen deinen Namen meinen Brüdern, inmitten der Gemeinde will ich dich loben. Die ihr JHWH fürchtet, lobt ihn, aller Same Jakobs, ehrt ihn, fürchtet euch vor ihm aller Same Israels. (Ps 22,23 f)30
Die generationenübergreifende Weitergabe der Heilserfahrungen ist eine Grundform des kollektiven Gedächtnisses, die an konkrete Orte und Zeiten gebunden ist. Diese sind die Familie (Kinderkatechese), der Kult / das Fest (Kleines geschichtliches Credo Dtn 26,1 ff)31 und die versammelte Gemeinde (KE und DE). Die Familie ist der Ort der religiösen Unterweisung, wie das Beispiel von Dtn 6,20–25 lehrt. Hier wird ein fragendes Kind vorgestellt, das von seinen Eltern eine ausführliche, die Exoduserfahrung memoriende (V. 21 ff) und den JHWH‑ Gehorsam fordernde Antwort (V. 24 f) erhält: (20) Wenn dich dein Kind morgen fragt: „Was (hat es auf sich mit) den Vorschriften, (und) den Satzungen und Rechtsvorschriften, die JHWH, unser Gott, euch geboten hat?“, (21) dann sollst du deinem Kind antworten: „Wir waren Sklaven des Pharaos in Ägypten, und JHWH hat uns aus Ägypten herausgeführt mit starker Hand. (22) Und JHWH hat große und schlimme Zeichen und Wunder an Ägypten, am Pharao und an seinem ganzen Haus vor unseren Augen gewirkt. (23) Und uns hat er von dort herausgeführt, damit er uns herkommen lasse, uns das Land zu geben, das er unseren Vätern zugeschworen hatte. (24) Und JHWH hat uns geboten, alle diese Satzungen zu tun, JHWH, unseren Gott, zu fürchten, damit es uns gut ergehe alle Tage, damit er für unseren Unterhalt aufkomme, wie es heute der Fall ist. (25) Und es wird uns Gerechtigkeit eignen, wenn wir darauf achten, dieses ganze Gebotene zu tun vor JHWH, unserem Gott, wie er uns gebot.“32
Während diese Antwort das fragende Kind dazu ermutigen soll, sich – ebenso wie dies die Eltern taten, die die erzählten Taten JHWHs selbst „gesehen“ haben (V. 22) – als Teil des kollektiven „Wir“ zu begreifen, demonstrieren die individuellen Danklieder (Ps 22,22 ff; 30; 116 u. ö.) eine andere Redesituation, die aber ebenfalls eine identitätsstiftende Weitergabe des Glaubens durch Erzählen bezeugt. Darauf ist gesondert einzugehen.33 Halten wir fest: Israel ist eine Erzählgemeinschaft, in der die kollektive (Errettung aus Ägypten) wie die individuelle Rettungserfahrung (Errettung vom Tod) Vgl. noch Ps 26,7; 107,22 u. ö. und dazu die Hinweise bei Gärtner, aaO 50 ff und Tita, Gelübde, 139 ff. 31 S. dazu unten 401 ff. 32 Vgl. zur Übersetzung und Interpretation Finsterbusch, Weisung, 250 ff, ferner dies., Identität, 108 ff; Braulik, Deuteronomium I (NEB), 60 ff und Albertz, Religionsgeschichte, 319 f.332 f. Interessanterweise hat Assmann, aaO 15 ff diesen Text zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen zum „kulturellen Gedächtnis“ gemacht. 33 S. dazu unten 506 ff. 30
290 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
erinnert und für die lebenden wie die künftigen Generationen vergegenwärtigt wird. Als „Versuch, Erlebnisse zu ordnen und in sinnvolle Zusammenhänge einzubetten“, ist auch das biblische Erzählen „ein grundlegender Modus, um Wirklichkeit zu bewältigen“34. Woher kommt dieser Impuls zur Vergegenwärtigung durch Erzählen? „Im Unterschied zu Erzähltraditionen anderer Kulturen“, so schreibt K. Seybold, „ist der hebräischen Erzählkultur ein Impuls eigen, sich selbst zu erhalten und sich durch die Zeiten hindurch zu festigen. Nach eigenem, späteren Zeugnis ist dieser Impuls von religiöser Art und wird auf die Initiative JHWHs zurückgeführt. Von ihm wird gesagt, dass er selbst ein ,Gedächtnis seiner Wunder gestiftet hat‘ (Ps 111,4), wozu – wie die Verwendung der hebräischen Vokabel für ,erzählen‘ (spr pi.) an verschiedenen Stellen zeigt – das mündliche Weitergeben des Erlebten an die folgenden Generationen und ,für alle Zeit‘ wesentlich gehört“35.
Es gilt also beides: Die Erzählkultur Israels wurzelt in den Redeformen der alltäglichen und nichtalltäglichen Kommunikation. Und sie ist, wie die Texte immer wieder betonen, zugleich bezogen auf eine Wirklichkeit, die ihren Grund in der schöpferischen und rettenden Zuwendung seines Gottes hat. Diese emotionale Bindung an die „Wundertaten“ JHWHs (Ps 111,4) ist dem biblischen Erzählen von Anfang an eigen und hat in einer nicht mehr vollständig aufzuhellenden Weise zum Kanon als der „große(n) identitätsstiftende(n) Meta-Erzählung Israels“36 geführt. b) Nonverbale Kommunikation Neben den eigentlichen Sprechhandlungen kommt den Gesten und Gebärden eine besondere Rolle für die Kommunikation zu. Dem Evolutionsanthropologen M. Tomasello zufolge ist in ihnen sogar „der erste Schritt der Menschen auf dem evolutionären Weg zur Sprache zu sehen …“37. Auch wenn diese Hypothese nicht Gegenstand unserer historisch-anthropologischen Überlegungen ist, kann sie doch den Blick für die elementare Dimension der interpersonalen Beziehungen schärfen, wie sie in Gesten und Gebärden zum Ausdruck kommt. α) Gesten und Gebärden Altes Testament: Gruber, Aspects ◆ Jenni, Verba gesticulationis, 150 ff ◆ Schroer / Staubli,
Körpersymbolik, 123 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 230 ff ◆ Strawn, Fear, 91 ff ◆ Thomas, Idiom ◆ Weippert / Weippert, Mensch, 470 ff. – Antike Religionen: Bonatz u. a., Art. Gebärden, 818 ff ◆ Luiselli, Bild, 87 ff ◆ Weippert / Weippert, Mensch, 435 ff ◆ Wülfing, Art.
Grethlein, Odyssee, 118. Seybold, Poetik 2, 24. 36 Naumann, Art. Erzählen, 241. 37 Tomasello, Kommunikation, 347. 34 35
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 291
Gestus, 1021 ff. – Philosophie, Religions- und Kulturwissenschaft: Jung, Ausdruck, 325 ff ◆ Leroi-Gourhan, Hand, 296 ff ◆ Tomasello, Kommunikation ◆ Weigel, Grammatologie.
„Auch wenn der Mund nicht spricht, so tut es doch der Körper.“38 Die nonverbalen, mit dem Körper und seinen Teilen – dem Kopf, dem Gesicht, den Augen, der Nase, dem Mund, den Händen oder den Füßen – ausgeführten Kommunikationsvorgänge sind universal und zugleich kulturspezifisch. Nicht jeder wirft sich wie ein Muslim beim Gebet zu Boden (arab. sugˇūd „Prostration“, s. Q 218), bekreuzigt sich wie ein Katholik über Stirn, Bauch und Brust oder hält wie die jüdische Hausfrau segnend die Hände über die Sabbatkerzen (qabbalat šabbāt „Empfang des Sabbat“, s. Abb. 52). Aber alle tun dies mit ihrem Körper oder mit einem bestimmten Körperteil.
Abb. 52: Sabbatsegen (B. Schatz, Berlin)
Das war in der Antike nicht anders. Das Repertoire von Gesten und Gebärden ist von Ägypten über das alte Israel bis nach Rom außerordentlich reich.39 So gibt es im Alten Testament einen ganzen Katalog von verba gesticulationis, die sich nach den beteiligten Körperteilen anordnen lassen:40 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 230. S. dazu den Überblick bei Bonatz u. a., Art. Gebärden, 818 ff. 40 S. dazu Jenni, Verba gesticulationis, 150 ff. Wir beschränken uns auf jeweils einen Beleg. 38 39
292 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns – Kopf: schütteln (Ps 22,8), erheben (Ri 8,28), senken (Klgl 2,10), beugen (Jes 58,5) – Gesicht: strahlend machen (Num 6,25), fallen lassen (Jer 3,12), frech machen (Spr 7,13) – Augen: wetzen (Hi 16,9), zukneifen (Spr 16,30), zwinkern (Ps 35,19), blinzeln (Jes 3,16) – Mund: aufreißen (Ob 12), aufsperren (Jes 5,14) – Zunge: herausstrecken (Jes 57,4), spitzen (Jos 10,21) – Lippen: verziehen (Ps 22,8), aufreißen (Spr 13,3), zusammenkneifen (Spr 16,30) – Zähne: knirschen (Klgl 2,16) – Arm: ausstrecken (Ex 6,6) – Hand: schütteln (Zeph 2,15), ausstrecken (Ex 7,5), erheben (Ez 20,5), klatschen (Ps 98,8), ausbreiten (1 Kön 8,22) – Finger: ausstrecken (Jes 58,9) – Fuß: stampfen (Ez 6,11), scharren (Spr 6,13)
Abb. 53: Katalog der alttestamentlichen verba gesticulationis
Wenn man zusätzlich die Kontexte dieser und weiterer verba gesticulationis berücksichtigt, wird das Bild dichter und vor allem konkreter. Neben Gesten im Alltag (Begrüßung, Abschied, Trauer)41 sind Gesten und Gebärden im Rechtsleben,42 in der Politik / Herrschaftssymbolik,43 in der privaten Frömmigkeit (Gebet)44 und in der offiziellen Religion (Ritus)45 verbreitet. Berühmt ist etwa die Szene auf dem Schwarzen Obelisken aus Nimrud, die den israelitischen König Jehu (845–818 v. Chr.) in der Haltung der Unterwerfung vor Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) zeigt (s. Q 106). Oder die Unterwerfungs- und Jubelszene auf dem Relief aus dem Grab Haremhabs in Saqqara (s. Q 52), die den alttestamentlichen Gestus des „Erhebens des Hauptes“ (Gen 40,13.19 f; 2 Kön 25,27; Ps 3,4 u. ö.) veranschaulichen kann. Diese Aspects of nonverbal communication hat M. I. Gruber in seinem gleichnamigen Buch klassifiziert und unter Rückgriff auf die alttestamentliche, akkadische und ugaritische Terminologie umfassend dokumentiert.46 Aus der Fülle der relevanten Texte sei – neben den bereits genannten Höflichkeitsgesten in Gen 18,1–3 und 19,1 f47 – die eindrückliche Schilderung von Jakobs Reverenzerweis gegenüber seinem Bruder Esau angeführt. Am Ende der Jakobgeschichte kommt es nach aufwändigen Vorbereitungen, die von Jakobs Furcht, aber auch von seiner Versöhnungsabsicht gekennzeichnet sind (Gen 32,4–22), 41
42
43 44 45 46 47
Zu Begrüßung und Abschied s. oben 282 f, zu den Trauerriten und Trauergesten s. oben 86 ff. Dazu gehören der rechtsverbindliche Handschlag (2 Kön 10,15 f, s. dazu Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 123 f), der Schwur (Gen 14,22 f), das Setzen des Fußes auf eine bestimmte Stelle (Dtn 11,24) oder das Werfen der Sandale auf ein Stück Land (Ps 60,10 = 108,10; Ruth 4,17). Dazu gehören das Setzen des Fußes auf die Feinde / Unterworfenen (Jos 10,24, vgl. Ps 110,1 u. ö., s. dazu Schroer / Staubli, aaO 147 ff) u. a. S. dazu unten 302 ff. Zum Gestus der Handaufstemmung s. unten 456. S. dazu Gruber, Aspects, 22 ff. S. dazu oben 205 f.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 293
zur Begegnung mit Esau (Gen 33,1–17).48 Dieser hätte trotz des tiefgreifenden Konflikts zwischen ihnen allen Grund gehabt, Jakob unversöhnlich gegenüberzutreten. Überraschenderweise passiert aber das Gegenteil. Zunächst wird erzählt, was Jakob tat und wie er sich verhielt: er sah Esau mit 400 Mann auf sich zukommen, teilte die Frauen, Mägde und Kinder so auf, dass sie nicht (gleich) in Gefahr gerieten, stellte sich selbst an die Spitze des Zugs und warf sich siebenmal zur Erde nieder, bis er sich Esau näherte: (1) Da hob Jakob seine Augen und er sah, und siehe, Esau kam, und mit ihm 400 Mann. Und er verteilte die Kinder auf Lea und auf Rahel und auf die zwei Sklavinnen. (2) Und er stellte die Sklavinnen und ihre Kinder voran und Lea und ihre Kinder dahinter und Rahel und Joseph dahinter. (3) Er aber ging vor ihnen her und warf sich siebenmal zur Erde (hwh hišt. +᾽arsāh) nieder, bis er seinen Bruder erreichte. (Gen 33,1–3)49 ˙ ˙
Abb. 54: Unterwerfungsgeste (Theben West, 18. Dyn.)
Wenn man sich eine Vorstellung von Jakobs Körperhaltung machen möchte, kann man Unterwerfungsgesten heranziehen, wie sie häufig auf ägyptischen Darstellungen zu sehen sind.50 Abb. 54 zeigt einen untertänig Grüßenden an der Spitze eines Tributzugs, der sich prosterniert, während die Gestalt hinter ihm in kauernder Haltung verweilt. Der Sinn derartiger Unterwerfungs- und Höflichkeitsgesten ist klar: „Betende zeigten auf diese Weise ihre Ehrfurcht vor den Gottheiten, ägyptische Beamte, fremdländische Delegationen speziell Tributbringer, aber auch Gefangene, unterwarfen sich auf diese Weise dem Pharao und machten sich so deutlich sichtbar zu seinen Untertanen, und auch den Vertretern des Pharao gebührten diese Gesten der Höflichkeit. Wer sie ausführte, zeigte, dass seine Hände leer, er also ein Empfangender
48
S. dazu auch oben 149 f. Zur Bedeutung der Wendung hwh hišt. „sich niederwerfen“ + ᾽arsāh „zur Erde“ s. Gruber, ˙ ˙ aaO 187 ff.305 ff und Weippert / Weippert, Mensch, 470 ff. 50 S. dazu Weippert / Weippert, aaO 447 ff, ferner Keel, Bildsymbolik, 282 ff und Schroer, IPIAO 3, 118 mit Abb. 22. 49
294 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns war, und man machte sich willentlich klein, um den Geehrten noch größer erscheinen zu lassen.“51
Zurück zur Begegnung zwischen Jakob und Esau. Genau in dem kritischen Moment, als Jakob sich siebenmal zur Erde verneigte, bis er seinen Bruder erreichte, wendet sich der Erzähler Esau zu, um dessen Reaktion zu schildern: Esau aber lief ihm entgegen und umarmte ihn, fiel ihm um den Hals und küsste ihn, und sie weinten. (Gen 33,4)
Das Verhalten Esaus ist nicht nur unerwartet, sondern im wörtlichen Sinn atemberaubend, denn Jakob hatte gar keine Möglichkeit, seine Schuld mit Worten – dafür aber mit seiner Körperhaltung (siebenmaliges Niederwerfen)52 – zu bekennen. Er wird von den starken Emotionen seines Bruders geradezu überwältigt, so dass sich die jahrelange Spannung zwischen ihnen nun löst. „An kaum einer anderen Stelle des Alten Testaments wird von einer so herzlichen und intensiven Begrüßung erzählt wie hier.“53 β) Zeichenhandlungen Altes Testament: Lang, Art. Zeichenhandlung, 1189 f ◆ Schmitt, Magie, 138 ff.244 ff.278 ff ◆
Seybold, Poetik 3, 176 ff ◆ Uehlinger, „Stadt“, 111 ff ◆ Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 197 ff.
Vom Kopf bis zu den Füßen sind zahlreiche Körperteile und Körperorgane – das Gesicht, die Augen, der Mund, die Zunge, die Lippen, die Zähne, der Arm, die Hand, die Finger, die Füße – am Vorgang der gestischen Artikulation beteiligt.54 Diese Körperlichkeit macht die Gesten und Gebärden auf spezifische Weise physisch wahrnehmbar: „Aufgrund seiner Herkunft und / oder seiner Form kann ein Gestus spontan oder konventionell (Herkunft), einfach oder komplex (Form) sein. Ferner kann er entweder realitätskonstituierend oder spontan sein. Der Verweischarakter, den er in Bezug auf eine bestimmte seelische Haltung hat, ist aber arbiträr. Deshalb kann ein Gestus als ein Symbol aufgefasst werden, das eine semantische Konnotation beinhaltet.“55
Auch bei den prophetischen Zeichenhandlungen ist von einem hohen Symbolgehalt auszugehen. Unter dem Begriff „Zeichenhandlungen“ werden dabei Handlungen zusammengefasst, die der Veranschaulichung, der Herbeiführung oder der Deutung bzw. Kommunikation eines bestimmten Sachverhalts / Geschehens dienen. Beispiele sind u. a.:56 51 52 53 54 55 56
Weippert / Weippert, aaO 451. Zum 7maligen Niederwerfen in der Amarnakorrespondenz (14. Jh. v. Chr.) s. Q 143. Dietrich / Mayordomo, Gewalt, 221. S. dazu die Liste oben 210. Luiselli, Bild, 92. S. dazu den Überblick bei Lang, Art. Zeichenhandlung, 1189 f und Schmitt, Magie, 138 ff.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 295
1 Kön 19,19–21 Elia wirft seinen Mantel auf Elisa 2 Kön 13,14–19 Elisa schießt Pfeile in die vier Himmelsrichtungen ab Hos 1,2–9 Hosea heiratet eine Dirne und zeugt mit ihr Kinder Hos 3,1–5 Hosea heiratet eine Ehebrecherin Jer 13,1–11 Jeremias verrotteter Gürtel Jer 19,1 f.10 f Jeremia zerbricht einen Tonkrug Jer 27,1 ff; 28,10 f Jeremia trägt ein Joch Jer 51,59 ff Seraja versenkt im Auftrag Jeremias ein Papyrusblatt an einem Stein im Euphrat Ez 4,1 ff Ezechiels Belagerung einer Stadt Ez 4,4 ff Ezechiels Liegen auf zwei Seiten
Die prophetischen Zeichenhandlungen haben einen je spezifischen, die Dimension der Magie nicht exkludierenden Sinn. Im Unterschied zu der durch G. Fohrer repräsentierten Forschungsrichtung, wonach Religion und Magie strikt voneinander zu trennen sind,57 ist „Magie, verstanden als ritualsymbolische Handlung, die eine göttliche Intervention antizipiert, … im ganzen antiken Vorderen Orient eine reguläre Form der Kommunikation mit dem Göttlichen. Magie ist damit integraler Bestandteil von Religion“58.
Dieser Zusammenhang von Religion und Magie ist für das Verständnis der prophetischen Zeichenhandlungen konstitutiv. Denn sie basieren „grundsätzlich auf göttlicher Realisierung des im menschlichen Akt Symbolisierten und Antizipierten“59. Ein gutes Beispiel dafür ist das symbolische Zerbrechen des Tonkrugs in Jer 19,1 f.10 f:60 Gottesbefehl mit Angabe des ritualsymbolischen Mediums 1
So spricht JHWH 〈zu mir〉: Geh und kaufe dir einen 〈irdenen〉 Krug und 〈nimm〉 einige von den Ältesten des Volkes und von der Priestern 〈mit dir〉.
Anweisung zur öffentlichen Inszenierung 2a Und geh hinaus zum Tal Ben-Hinnom am Eingang des Scherbentors!
Anweisung zur ritualsymbolischen Handlung 10 Und zerbrich den Krug vor den Augen der Männer, die mit dir gehen!
S. dazu die forschungsgeschichtliche Skizze bei Schmitt, aaO 34 ff. Ders., Heilen, 193, s. dazu auch Albertz, Art. Magie, 691 ff. 59 Schmitt, aaO 140. 60 S. dazu Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 591 ff und Schmidt, Jeremia I (ATD), 326 ff, zur ritualsymbolischen Deutung s. Schmitt, aaO 141 f. 57 58
296 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Verbale Antizipation im Gotteswort 11a
Und sprich zu ihnen: „So spricht JHWH Zebaoth: ,Genau so zerbreche ich dieses Volk und diese Stadt, wie man Töpfergeschirr zerbricht, so dass es nicht wieder heil werden kann‘.“
Es geht hier nicht darum, dass der geschilderte Vorgang „selbst-wirksam (ist)“ und „ähnlich einer Zauberhandlung das Ereignis herbeiführen (will)“61 – so die traditionelle Polemik gegen ein magisches Verständnis der prophetischen Symbolhandlungen. Auch geht es nicht an, die Elemente Befehl (V. 1.2a.10) und Deutung (V. 11a) voneinander zu trennen.62 Vielmehr ist zu beachten, dass „manuelle und verbale Realisation … gemeinsam die Vernichtung von Volk und Stadt (antizipieren)“63. Kennzeichnend für die prophetische Zeichenhandlung ist demnach die Antizipation der göttlichen Intervention und damit eine „Veränderung der Situation“64 in der näheren oder ferneren Zukunft. Damit eine ritualsymbolische Handlung ihre Wirkung nicht verfehlt, muss dem Publikum ihr unheilvoller Charakter bewusst sein. Gewährleistet wird dies durch den Einsatz von Medien, die wie der Mantel (1 Kön 19,19 ff), die Pfeile (2 Kön 13,14 ff), der Gürtel (Jer 13,1 ff), der Tonkrug (Jer 19,1 f.10 f), das Joch (Jer 27,1 ff) oder das Papyrusblatt (Jer 51,59 ff) allgemeine Gebrauchsgegenstände waren. Davon lebt auch die Zeichenhandlung der Belagerung einer Stadt in Ez 4,1–2(.3):65 1 2 3
Und du, Menschensohn, nimm dir einen Ziegel. Und du sollst ihn vor dich hinlegen und darauf eine Stadt einritzen: Jerusalem. Und du sollst über sie eine Belagerung verhängen und gegen sie ein Belagerungswerk bauen und gegen sie eine Sturmrampe aufschütten und gegen sie Heerlager errichten und Sturmböcke ringsum aufstellen. Und du, nimm dir eine eiserne Platte, und du sollst sie als eiserne Wand zwischen dir und der Stadt errichten, und du sollst dein Angesicht auf sie richten. Und sie soll eine Belagerung sein, und du sollst sie belagern. Ein Zeichen ist es für das Haus Israel.
Mit dieser und den anschließenden Zeichenhandlungen in Ez 4,4 ff.9 ff und 5,1 ff, zu denen der Prophet von JHWH beauftragt wird, setzt das öffentliche Wirken Ezechiels ein. Ebenso wie im Fall von Jer 19,1 f.10 f ist auch die Zeichenhandlung von Ez 4,1 ff mehr als ein didaktisches Mittel zur Veranschaulichung seiner 61 62 63 64
65
Schmidt, aaO 328. Zur Unterstellung der Selbstwirksamkeit des ritualsymbolischen Handelns s. die Kritik von Schmitt, aaO 143 f. Zur diesbezüglichen Position Fohrers s. Schmitt, aaO 139 f. Ders., aaO 142. Ders., aaO 143. Zur literarischen Problematik s. Uehlinger, „Stadt“, 117 ff.120 ff und Pohlmann, Ezechiel I (ATD), 78 ff (dort auch zu V. 3 als Fortschreibungstext). Zum zeitgeschichtlichen Kontext s. Keel, Geschichte Jerusalems, 684 ff.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 297
Verkündigung. Sie drückt vielmehr aus, dass „die Botschaft Gottes bereits zur Wirkung kommt“66, auch wenn diese Wirkung dem menschlichen Auge noch verborgen ist. Bedrückend konkret – die Rede ist von Belagerungswällen, Sturmrampen, Heerlagern und Sturmböcken67 – wird die Belagerung Jerusalems vom Propheten zeichnerisch in Szene gesetzt und als göttliche Willensbekundung ausgewiesen, nicht um sie herbeizuführen, sondern um das kommende Unheil zu verhindern. Die göttliche Willensbekundung durch symbolisches Handeln zu antizipieren – das ist der Kern der prophetischen Zeichenhandlungen.68 Exkurs 13: Sehen und Hören Altes Testament, Septuaginta: Avrahami, Senses ◆ Boman, Denken, 60 ff.180 ff ◆ Dietrich,
Anthropologie, 145 ff ◆ Dohmen, Gottesschau, 31 ff ◆ Fuhs, Sehen, 271 ff ◆ Ders., Art. rā᾽āh, 225 ff ◆ Hartenstein, Angesicht, 65 ff ◆ Ders., „Gestalt“ JHWHs, 49 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche, 85 ff.447 f ◆ Kraus, Hören, 84 ff ◆ Krüger, Art. Ohr / Hören, 351 ff ◆ Lang, Sehen, 555 ff ◆ Luchsinger, Poetik, 249 ff ◆ Podella, Lichtkleid JHWHs, 186 ff ◆ Rösel, Gottesschau, 163 ff ◆ Schroer / Staubli, Körpersymbolik, 85 ff.99 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 199 ff.205 ff ◆ Vincent, Auge, 11 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 122 ff. – Antike Religionen: RenduLoisel, Chants. – Religions- und Kulturwissenschaft: Konersmann, Augen, 9 ff ◆ Vernant, Mensch, 7 ff ◆ Wenzel, Hören. Neben dem Mund (Sprechen) sind das Auge (Sehen) und das Ohr (Hören) die leitenden Sinnes- und Kommunikationsorgane des Menschen.69 Sehend nehmen wir den Gesichtsausdruck und die Gestik des anderen wahr und hörend achten wir auf den Rhythmus und die Intonation seiner Rede. Dabei gibt es kulturelle Unterschiede. Die abendländische Kultur, so urteilt der Philosoph R. Konersmann, ist „… eine Kultur des Sehens. Der Blick durchdringt und überschaut, er forscht und prüft, er verbindet und trennt, und er ist selbst da noch gegenwärtig, wo es eigentlich nichts mehr zu sehen gibt. (…) Die Geschichte des Sehens ist lang, und sie ist reich verzweigt. Weit davon entfernt, einer einzigen, klar vorgezeichneten Bahn zu folgen, umfaßt diese Geschichte zahllose, nicht selten rivalisierende Einstellungen und Positionen“70. Diese Einstellungen nehmen ihren Ausgangspunkt in der Regel bei den Theorien der Vorsokratiker und verlaufen von dort über bedeutungsgeschichtliche Einschnitte bis in die Moderne.71 Als besonders wirkungsvoll erweist sich dabei die Dimension des Hörens, Sedlmeier, Ezechiel I (NSK.AT), 110. Dieses Vokabular wird bei der realen Belagerung Jerusalems in Jer 21,27 wieder aufgegriffen, s. dazu im Einzelnen Uehlinger, aaO 141 ff. 68 Vgl. Schmitt, aaO 143 f. 69 S. dazu die Übersicht oben 149. Zu den fünf klassischen Sinnen gehören neben dem Sehen und Hören noch das Riechen, Schmecken und Tasten, s. dazu Avrahami, Senses; Schellenberg, „Geruch“, 135 ff und mit dem Fokus auf mesopotamischen Texten und ihrer „sonoren Landschaft“ Rendu-Loisel, Chants. 70 Konersmann, Augen, 9. 71 Zur Kulturgeschichte von Auge und Ohr s. Wenzel, Hören. 66
67
298 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns dem in der geschichtlichen Entwicklung aber nie der Primat zukommt. Das ist in der hebräischen Tradition anscheinend anders, die offenbar dem Paradigma des vernehmenden Worts und des ,Gehorsams‘ folgt. Die Dinge liegen allerdings nicht so einfach, wie die eingeschliffene Alternative „Sehen oder Hören“ suggeriert.
Primat des Hörens? Geht man zu den biblischen Wurzeln zurück, so scheint der Primat des Hörens vor dem Sehen nicht strittig zu sein.72 So kommt H. W. Wolff am Ende des ersten Teils seiner Darstellung auf das Wesen des Menschen zu sprechen und sieht dieses durch dessen Fähigkeit zur Sprache definiert.73 Dass der hörende und antwortende Mensch auch sieht, ist zwar selbstverständlich, dem Hören und Antworten aber untergeordnet. „Hören, hören ([Ps 38,] 14a.15a), das macht den Menschen, und entsprechend den Mund öffnen, antworten können ([Ps 38,] 14b.15b)“74 schreibt Wolff im Blick auf Ps 38,14 f: 14 15
Ich aber bin wie ein Tauber, ich höre (šāma῾) nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. Ich wurde wie ein Mann, der nicht hört (šāma῾), und keine Widerrede hat in seinem Mund.
Die These von der „Prävalenz des Ohrs und der Sprache für wahrhaft menschliches Verstehen“75 gehörte lange Zeit zu den Grundaxiomen der alttestamentlichen Wissenschaft und hat etwa bei Th. Boman zu der Auffassung geführt, dass „die Griechen das Dasein sehend, die Hebräer hörend und empfindend erlebten“76. Maßgeblich für diese Annahme war der Sachverhalt, dass das schöpferische Gotteswort nach Gen 1,1–2,3 die Welt ins Dasein ruft und die Geschichte unablässig in Bewegung hält. Aber nicht nur im Blick auf das Gottesbild – man beachte die mit dem Verb „sehen“ (rā᾽āh) eingeleitete Billigungsformel in Gen 1 („Und Gott sah …“ V. 4.8.10 u. ö.) –, sondern auch auf das Menschenbild des Alten Testaments ist hier Vorsicht geboten. So ist zu fragen, ob das Privileg des Menschen nach Gen 2,18–23 einzig und allein darin besteht, „daß er zu Wort kommen kann“77. Sein Sprechen beginnt sicherlich damit, dass er die Tiere benennt und so auf die Gabe des Schöpfers antwortet (V. 18–20). Dennoch ist es die Wahrnehmung des Auges, auf die der Jubel von Gen 2,23 antwortet.78 Das menschliche Sehen hat auch sonst fundamentale Bedeutung im Alten Testament.79 Es kann das Gehörte verifizieren oder korrigieren. Für beide Sachverhalte gibt es zahlreiche Beispiele. So preisen die Zionspsalmen die Schönheit der Gottesstadt und die 72
Dieser Primat ist ein Erbe der aristotelischen Logoslehre, die die Welt der Erscheinungen hinterfragt, um auf den Logos zu stoßen, s. dazu Gadamer, Wahrheit, 466 f, vgl. Fuhs, Art. rā᾽āh, 234 und Vincent, Auge, 30 f. 73 Vgl. Wolff, Anthropologie, 122 ff. 74 Ders., aaO 122 f. 75 Ders., aaO 124, vgl. Kraus, Sehen, 93.94. 76 Boman, Denken, 9, vgl. 60 ff.180 ff, s. dazu die Kritik von Dietrich, Denken, 47 ff. Zur Bedeutung des Sehens im alten Griechenland s. Vernant, Mensch, 7 ff. 77 Wolff, Anthropologie, 126. 78 S. dazu oben 102 f. 79 S. dazu Kraus, aaO 94 ff. Im Übrigen ist vom Auge fast 5mal häufiger die Rede als vom Ohr, vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 199. Auch die Parallelität von „Sehen“ und „Erken-
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 299
Majestät des dort residierenden Königsgottes JHWH (Ps 48,2–4). Anlässlich einer Wallfahrt zum Zion konnten sich die Pilger durch Anschauung vergewissern, dass die Kunde von der Schönheit des Zion mit der Wirklichkeit des Gesehenen übereinstimmt: Wie wir es gehört haben (šāma῾), so haben wir es gesehen (rā᾽āh) in der Stadt 〈JHWH Zebaoths〉, in der Stadt unseres Gottes: Gott gründet sie fest auf ewig – Sela. (Ps 48,9) Das zweite Beispiel kommt aus dem Hiobbuch, genauer aus dem Passus Hi 42,5 f, der die Neuausrichtung Hiobs (sog. „Reue“) auf eine visionäre Gottesbegegnung zurückführt: 5 6
Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört (šāma῾), jetzt aber hat mein Auge dich gesehen (rā᾽āh). Darum liegt mir nichts (mehr) daran, und ich bin (tröstlich) umgestimmt – auf Staub und Asche.
Dieser Text zeigt, dass das „Schauen Gottes“ eine Form der personalen Gotteserfahrung ist, die noch über das Hören hinausgeht, ja alles über Gott bisher Vernommene umstürzt, weil es zur direkten Begegnung mit dem lebendigen Gott führt.80 Es gibt im Alten Testament daneben einen anderen Traditionsstrang, wonach die Transzendenz JHWHs die wahre Form des israelitischen Kults begründet und demzufolge das Bilderverbot (Ex 20,4 par. Dtn 5,8) zusammen mit dem Fremdgötterverbot das Hauptgebot des JHWH‑Glaubens ist. In diesem Sinn zielt die Horebtheophanie, wie der spätdtr Text Dtn 4,9–31 zeigt, auf das Hören Israels, nicht aber auf das Sehen der Gestalt JHWHs: 11 Und ihr tratet näher und standet unten am Berg, wobei der Berg im Feuer brannte bis zum Inneren des Himmels (unter) Finsternis, Wolken und Wolkendunkel, 12 und JHWH sprach zu euch mitten aus dem Feuer. Einen Klang von Worten hörtet ihr (šāma), aber eine Gestalt (temûnāh) habt ihr nicht gesehen (rā᾽āh)! Nur eine Stimme! (Dtn 4,11 f) Die in Dtn 4,15 ff genannte Unmöglichkeit einer symbolischen Repräsentation JHWHs ist inneralttestamentlich nicht ohne Vorläufer. So sprechen ältere Überlieferungen wie Ex 3,6 (Mose am Dornbusch) oder 1 Kön 19,13 (Elia am Horeb) davon, dass Mose bzw. Elia sein Gesicht verhüllt habe aus Furcht, Gott „anzublicken“ (Ex 3,6). Die Geste der Gesichtsverhüllung ist Ausdruck der Ehrfurcht vor Gott und zugleich Bewahrung des Menschen vor dem Anblick seiner verzehrenden Majestät. Was hier unausgesprochen als Grundmotiv wirkt, wird in Ex 33,20 als allgemeiner Grundsatz formuliert: Nicht kannst du mein Angesicht sehen (rā᾽āh), denn nicht sieht (rā᾽āh) mich ein Mensch und bleibt am Leben!81
nen“ ist häufiger als diejenige von „Erkennen“ und „Hören“, s. dazu Seeligmann, Erkenntnis Gottes, 233 ff. 80 S. dazu unten 534 f. 81 Vgl. Ex 19,21 u. a. und zur Sache Dohmen, Gottesschau, 32.46; Vincent, Auge, 32 ff; Hartenstein, Exodus 32–34, 171 ff und ders., Angesicht, 277 ff. Zur Wiedergabe von Ex 33,20 in der Septuaginta s. Rösel, Gottesschau, 167 f.
300 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Gott / Gottes Angesicht schauen Genau dies – dass Menschen Gott schauen und dennoch am Leben bleiben, ja sogar eine gesteigerte Form der Gotteserfahrung erleben – wird im Alten Testament mehrfach berichtet, nicht nur in Überlieferungen über die Erzeltern,82 sondern an exponierter Stelle auch im Kontext der Sinaiperikope (Ex 19–24) in Ex 24,9–11.83 Hier wird erzählt, dass Mose, Aaron, Nadab und Abihu zusammen mit 70 Ältesten auf den Sinai gestiegen sind und dort den Gott Israels sahen: 9 Und es stieg(en) hinauf Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels, 10 und sie sahen (rā᾽āh) den Gott Israels, und unter seinen Füßen war etwas wie Ziegelwerk aus Lapislazuli und wie der Himmel selbst an Klarheit. 11 Aber gegen die Vornehmen der Israeliten streckte er seine Hand nicht aus, und sie schauten (hāzāh) Gott, und sie aßen und tranken. ˙ Das Ungewöhnliche dieser Gottesschau wird im Vergleich mit den Vulkan- und Gewittererscheinungen von Ex 19,16–19 deutlich. Denn der Gott, den die Repräsentanten Israels sahen, ist ein Gott, dessen Thron im Himmel steht und unter dessen Füßen sich etwas befindet „wie Ziegelwerk aus Lapislazuli und wie der Himmel selbst an Klarheit“. Wenn man zu dieser Gottesbeschreibung die Sachparallelen Ez 1,22.26 und 10,1 hinzunimmt, dann kann der Schluss nur lauten, dass in Ex 24,1*.9–11 Jerusalemer Tempeltheologie nachträglich mit dem Sinai in Verbindung gebracht wurde.84 Obwohl der Text von der Gefährlichkeit der Gottesschau weiß – er setzt sie in V. 11 ja implizit voraus –, stellt er ausdrücklich fest, dass sie hier nicht gegeben war. Die alttestamentlichen Visionsberichte (Jes 6,1 ff; Ez 1,4 ff; Am *7,1–9,4 u. a.), zu denen auch Ex 24,9–11 gehört, sind theologisch und anthropologisch zu bedeutsam, als dass man sie – weil der Glaube angeblich allein vom Hören komme (vgl. Röm 10,17) – disqualifizieren dürfte.85 Das gilt auch für den Topos vom „Schauen Gottes“. Die Wendung „Gott / Gottes Angesicht schauen“ bezeichnet eine besonders intensive, konkret-„leibhafte“ Form des Gotteskontakts. Die Klage Ps 42,2–4 ist dafür bezeichnend: 2 3 4 82
Wie eine Hirschkuh lechzt an Wasserbächen, so lechzt mein Leben (næpæš) nach dir, Gott. Es dürstet mein Leben (næpæš) nach Gott, dem lebendigen Gott: wann werde ich kommen und 〈sehen〉 (rā᾽āh) das Angesicht Gottes? Es wurden mir meine Tränen (zu) Brot bei Tag und bei Nacht, wenn man zu mir sagt den ganzen Tag: „Wo ist dein Gott?“86
Vgl. Gen 12,7; 17,1; 18,1; 26,2 u. ö. Zu diesem Text s. Jeremias, Theophanie, 204 ff; ders., Theologie, 106 f; Vincent, Auge, 25 ff und Hartenstein, Wolkendunkel, 136 ff. Zur Wiedergabe von Ex 24,9 ff in der Septuaginta s. Rösel, aaO 167. 84 S. dazu Jeremias, aaO 205 f und besonders Hartenstein, aaO 138 ff. 85 Vgl. Staubli / Schroer, Menschenbilder, 202. 86 S. dazu Janowski, næpæš, 101 ff und Müller, „Seele“, 283 ff. In V. 3b liest MT aus dogmatischen Gründen r᾽h nif. („[vor Gottes Angesicht] erscheinen“), s. dazu die Hinweise bei Janowski, aaO 101 Anm. 104; 106 Anm. 123. 83
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 301
Mit V. 2 wird der Grundton des Psalms, nämlich die Sehnsucht nach dem lebendigen Gott, angeschlagen – und zwar mit dem elementaren Bild der nach Wasser suchenden Hirschkuh, das mehrfach auch auf hebräischen Namenssiegeln des 8. und 7. Jh. v. Chr. erscheint (s. Abb. 55).
Abb. 55: Judäisches Namenssiegel (8. Jh. v. Chr.) Die Relation von Bild (Siegel) und Text (Ps 42,2) dürfte darin bestehen, dass „die Verwundbarkeit der Hirschkuh dem menschlichen Gefährdungsbewusstsein einen Anknüpfungspunkt gab. Indem sie sich mit einer nach Wasser bzw. Futter suchenden Hirschkuh, also einem unter möglicher elementarer Bedrohung stehenden Tier, identifizieren, bringen sich die Besitzer der Siegel und die Autoren sowie die Beterinnen und Beter des Psalms als verletzliche, vom Untergang bedrohte Kreaturen zur Sprache, die gleichwohl ihre Hoffnung auf Gott setzen“87. Für den Beter, das macht Ps 42,2–4 deutlich, ist das Sehen des göttlichen Angesichts im Heiligtum auf dem Zion so lebenswichtig wie das Wasser für die lechzende, vom Verdursten bedrohte Hirschkuh. „Gottesschau ist letztlich Gemeinschaft stiftende Gottesbegegnung.“88 Noch in der Spätzeit des Alten Testaments gibt es Personennamen wie „Auf JHWH/JH (sind) meine Augen (gerichtet)“ (1 Chr 3,23 f; 26,3; Esr 8,4; Neh 12,41 u. ö.), die zur Gruppe der Vertrauensnamen gehören und die die auf der Gottesschau beruhende Gebetshaltung prägnant zusammenfassen.
Auge und Ohr Die alttestamentliche Anthropologie ist, wie diese Beispiele abermals zeigen, eine Anthropologie der Sinne. Sehen und Hören – keine der beiden Fähigkeiten des Menschen hat einen Vorrang vor der anderen. Für beide, das Auge und das Ohr, gilt: Ein hörendes Ohr und ein sehendes Auge – JHWH hat sie tatsächlich beide geschaffen. (Spr 20,12)
87 88
Schaper, „Hirsch“, 77 (H. i. O.). Staubli / Schroer, Menschenbilder, 203. Schwieriger sind demgegenüber Ps 11,7; 17,15; 27,4.13; 63,3 u. a. zu deuten, s. dazu Janowski, Ort, 229 ff.
302 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Mit der Erschaffung von Auge und Ohr hat JHWH „die Voraussetzungen für eine gute, nicht verfehlte Existenz geschaffen, der Mensch aber muß sie selbständig nutzen“89. Die Spruchweisheit wird nicht müde zu konkretisieren, wie das zu erreichen ist.90 𓇼
2. Der Kontakt mit dem Heiligen Nach den Grundformen der Kommunikation ist im Folgenden noch auf die speziellen Formen des Betens, Musizierens und Opferns einzugehen. Jede von ihnen hat ihre eigene Funktion, alle drei aber beziehen sich auf die Situation „vor Gottes Angesicht“.91 Diese Situation verleiht dem Gebet, der Musik und dem Opfer eine besondere anthropologische Bedeutung. a) Gebet und Musik α) Der betende Mensch Altes Testament: Albertz, Art. Gebet, 34 ff ◆ Fischer / Backhaus, Beten ◆ Gerstenberger,
Mensch ◆ Gruber, Aspects, 22 ff.90 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche ◆ Keel, Bildsymbolik, 287 ff ◆ Leuenberger, Art. Gebet / Beten ◆ Miller, They cried ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 541 ff ◆ Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 205 ff ◆ Wagner, Strukturen, 197 ff ◆ Ders., Gebet, 284 ff ◆ Weber, Werkbuch 3, 55 ff ◆ Weippert / Weippert, Mensch, 435 ff. – Antike Religionen: Burkert / Stolz (Hg.), Hymnen ◆ Jacques (Hg.), Klagetraditionen ◆ Janowski, Hymnen, 197 ff ◆ Luiselli, Bild, 87 ff ◆ Renger u. a., Art. Gebet, 828 ff ◆ Witte / Diehl (Hg.), Orakel ◆ Zgoll, Kunst ◆ Dies., Mensch, 121 ff.
Was heißt Beten? Auf diese Frage gibt es naturgemäß viele Antworten. „Beten“, so bringt es E. Jüngel auf den Punkt, „heißt Gott bittend, dankend und klagend anrufen, um in solcher Anrufung Gottes aus sich selbst herauszugehen. Man kann sich dabei zu seinem eigenen Wohl selber vergessen. Doch wer sich betend vergißt, der wird sich selbst und mehr als sich selber finden. Er wird Gott finden“92.
Weil sich im Gebet „das menschliche Ich einem anderen Du an(vertraut)“, ist Beten eine „außerordentlich intime Angelegenheit“93. Intimität heißt aber nicht Isolation oder Weltabgewandtheit, im Gegenteil. Das belegen auch die Gebetshaltungen und die Gebetsformen, die im alten Israel so vielfältig waren wie in den Kulturen seiner altorientalischen Umwelt. Während die unterschiedlichen Gebetsformen (Klage-/Bittgebete, Danklieder, Hymnen u. a.) die Innenseite des Gebetsprozesses zum Ausdruck bringen, demonstrieren die Gebetshaltungen so etwas wie dessen leibliche Außenseite. Diese Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 337. S. dazu Luchsinger, Poetik, 249 ff.251 ff. 91 S. dazu Simian-Yofre, Art. pānîm, 651 ff. 92 Jüngel, Beten, 404 f, s. dazu auch Fischer / Backhaus, Beten, 11 f. 93 Jüngel, aaO 397. 89 90
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 303
ist nichts anderes als das Spiegelbild des inneren Geschehens.94 Leider gibt es in der Ikonographie Palästinas / Israels keine Wiedergaben von Gebetsgesten, wie sie aus Ägypten (s. Q 53) und dem Alten Orient (s. Q 97) bekannt sind. Auch lässt sich „keine Korrelation einer bestimmten Haltung mit einem bestimmten Gebetsinhalt ausmachen (man lobt auch kniend bzw. klagt stehend usw.)“95. Deutlich ist aber, dass das – laut gesprochene – Gebet im Stehen (mit erhobenen / geöffneten Händen) und in Proskynese, selten dagegen im Sitzen (2 Sam 7,18) vorgebracht wurde. In der Hauptsache kommen folgende Termini und Wendungen vor:96 – Im Stehen beten: 1 Sam 1,26 (nsb nif.); 1 Kön 8,22 (῾āmad); 2 Chr 20,5. 13 (῾āmad) ˙ – Erheben (nāśā᾽) der Hände: Ps 28,2; 119,48; 134,2; 141,2 u. ö. – Ausbreiten (pāraś) der Hände / Handflächen (zum Himmel / Tempel): Ex 9,29. 33; 1 Kön 8,22.38 – Im Knien und mit ausgebreiteten Händen beten: 1 Kön 8,54 – Ausbreiten (šth pi.) der Handflächen: Ps 88,10 ˙ – Niederknien ˙(qāra῾): 1 Kön 8,54; 19,18; Jes 45,23 – Niederfallen (qādad) vor Gott / vor seinem Thron: Gen 24,26.48; Ex 34,8; Num 22,31 u. ö. – Sich Niederwerfen, die Proskynese vollziehen (hwh hišt. + ᾽arsāh „zur Erde, erd˙ ˙ wärts“): Gen 24,26.48; Ex 34,8; Num 22,31 u. ö.
Abb. 56: Alttestamentliche Gebetshaltungen
Der explizite Gottesbezug ist das Kennzeichen der Klage-/Bittgebete, Danklieder und Hymnen. Aber auch die Alltagsgebete sind nicht einfach ,Konversationen mit Gott‘. Als Zeugnisse einer kultfreien Gebetspraxis sind sie vornehmlich in zwei Kontexten verortet, die zuweilen miteinander verbunden sind (Abb. 57)97 Die „Hochblüte des Gebets“98 ist der Psalter mit seinen Hauptgattungen Klagelied des Einzelnen (Beispiel Ps 13), Danklied des Einzelnen (Beispiel Ps 30), Klagelied des Volkes (Beispiel Ps 74) und Hymnus (Beispiel Ps 136).99 Wodurch sind Weippert / Weippert, Mensch, 435 und Wagner, Gebet, 284 f. Leuenberger, Art. Gebet / Beten (1.3.4). 96 S. dazu Gruber, Aspects, 22 ff.90 ff; Miller, They cried, 50 ff; Keel, Bildsymbolik, 287 ff; Leuenberger, ebd. und Wagner, aaO 287 f. Zur Bedeutung von hwh hišt. (+ ᾽arsāh) s. oben ˙ Termini, ˙ aber zahlreiche Anm. 49. Es gibt im Alten Testament keinen Oberbegriff „Gebet“, die bestimmte Aspekte akzentuieren wie ᾽āmar / dbr pi. „(mit / zu Gott) sprechen“, bqš pi./ dāraš „(Gott) suchen“, hll pi. „loben, preisen“, hnn „um Gnade flehen“, jdh hif. „danken, loben“, ῾ātar „bitten“, pll hitp. „beten, fürbitten“, ˙sā῾aq „schreien“, qārā᾽ „rufen“, šā᾽al „(Gott) ˙ tôdāh „Dankopfer/-gebet“ und tepillāh fragen“ und die Substantive tehillāh „Lobpreis“, „Klage-/Bittgebet“. 97 Zum Folgenden s. Leuenberger, aaO (2.1), ferner Albertz, Art. Gebet, 36 ff; Fischer / Backhaus, Beten, 13 ff.23 ff.35 ff.48 ff und Wagner, aaO 288 ff. Dazu kommen Bitt-, Wunsch- und Dank-/Lobelemente in Personennamen (s. dazu auch oben 75 f), Gelübde (Gen 28,20 ff; 1 Sam 1,11; Ri 11,29 ff u. ö.), Vertrauensbekenntnisse (Gen 48,15 f; 1 Sam 7,12 u. ö.) und stoßgebetartige Ausrufe (Jes 6,5; Jer 1,6; Hi 19,7 u. ö.). 98 Fischer / Backhaus, aaO 62. 99 S. dazu den Überblick bei Hartenstein / Janowski, Art. Psalmen / Psalter, 1763 ff; Schnocks, Psalmen, 33 ff und Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 216 ff.226 ff. Zu den Hauptgattungen 94 Vgl. 95
304 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Biographische Kontexte – – – –
Bitten um Nachkommenschaft (Gen 15,2 ff ) und bei Geburtsgefahren (Gen 25,22 f ) Stilles Beten um Nachkommenschaft (1 Sam 1,13) Segenswünsche bei der Heirat (Gen 24,60) Klage im Todesfall / um einen Toten (Gen 23,2; 2 Sam 19,1)
Lebensgeschichtliche Kontexte – – – – – – –
Bitten um Rettung aus Todesgefahr (Gen 32,10 ff; Ri 6,22 ff ) Notschrei von Bedrückten (Ex 3,7) Klage von Verdurstenden (Gen 21,16 f; Jos 15,18) Bitten um Abwendung von Schmach (Tob 3,1 ff ) Bitten um göttliche Führung (Gen 24,12 ff; Ri 6,36 ff u. ö.) Fürbitten ( Ex 8,4.24; 9,28; 10,17 u. ö.) Lobgebet (Ex 15,1.21 u. ö.)
Abb. 57: Alltagsgebete im Alten Testament
diese unterschiedlichen Textgattungen als Gebete ausgewiesen? Dadurch, so lässt sich mit A. Wagner antworten, „dass ein Text für die dialogische Kommunikationssituation zwischen Gott und Mensch gebraucht wird. Entscheidend ist also die Kommunikationssituation, die von den Kommunikationspartnern bestimmt und durch sie konstituiert wird“100. Diese Situation zeigt sich an der jeweiligen Sprechrichtung und den beteiligten Kommunikationspartnern wie z. B. in dem Bittgebet Ps 70: 1 Für den Chormeister. Von David. Zum Gedenken.
Der Beter und sein Gott (A)
Du – Ich
2 Gott, um mich herauszureißen, JHWH, eile mir doch zu Hilfe!
Gruppe der Schändlichen (B) 3 4
Sie – Ich
Sich schämen und zuschanden werden sollen, die nach meinem Leben trachten! Zurückweichen und beschämt werden sollen, die mein Unheil wünschen! Umkehren wegen ihrer Schande sollen, die sagen: „Haha, Haha!“
Gruppe der Gottsucher (B')
Sie – Du
5 Frohlocken und sich freuen über dich sollen alle, die dich suchen.
des Psalters gibt es zahlreiche Sachparallelen in der ägyptischen und altorientalischen Gebetsliteratur, s. als repräsentative Textsammlung TUAT.NF 7 (2013) und zur Sache Janowski, Hymnen, 197 ff. 100 Wagner, Strukturen, 199.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 305
Und stets sagen „Groß ist Gott“ sollen die, die deine Rettung lieben!
Der Beter und sein Gott (A') 6
Ich – Du
Ich aber bin elend und arm, Gott, eile doch zu mir! Meine Hilfe und mein Retter bist du, JHWH, zögere nicht!
Die Sprechrichtungen der Kommunikationspartner Beter – Feinde / Gottsucher – Gott werden in diesem Psalm durch formale Kennzeichen wie an Gott gerichtete Vokative / Aufforderungen (2. Pers. Sg.), Sprechermarkierungen (1. Pers. Sg./ Suff.) sowie Feind-/Gottsucher-Markierungen (3. Pers. Pl./Suff.) ausgestaltet. Konstitutiv ist dabei die Ich/Du-Beziehung (A: V. 2 / A': V. 6), wie sie für ein Gebet typisch ist. Dieses Reden zu Gott ist zu unterscheiden vom Reden über Gott, das wie die Hymnen (Ps 104; 113; 117 u. ö.) allgemeine Aussagen über seine Eigenschaften und sein schöpferisches / heilvolles Tun macht.101 Im Gebet kommt dagegen die persönliche Erfahrung von Anfeindung, Krankheit und Rechtsnot zur Sprache, die der Beter macht bzw. gemacht hat und von der er errettet zu werden hofft. Der betende Mensch ist der bittende, klagende und dankende Mensch, der sich dem göttlichen Du zuwendet und der dabei „ich“ sagt.102 „Diese Bedingung des Dialogs“, so hat es der Sprachwissenschaftler E. Benveniste (1902–1976) formuliert, „ist es, welche die Person konstituiert, denn sie impliziert umgekehrt, daß ich zu einem du werde in der Anrede desjenigen, der sich seinerseits als ich bezeichnet“103. Die Gebete des Psalters sind nicht die einzigen Texte, in denen sich das Werden der Person mittels der Sprache vollzieht. Wie die Monologe und Dialoge des Hiobbuchs gehören sie aber zu denjenigen Texten, in denen die anthropologische Dimension des Gebets am klarsten und umfassendsten zum Ausdruck kommt.104 β) Musik als Medium des Gotteskontakts Altes Testament: Braun, Musikkultur ◆ Hartenstein, „Wach auf “, 101 ff ◆ Janowski, „Hindin“, 293 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 313 ff ◆ Kessler, David musicus, 77 ff ◆ Seidel, Musik ◆ Seybold, Psalmen, 74 ff ◆ Staubli, Musik ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 140 ff ◆ Utzschneider / Nitsche, Arbeitsbuch, 202 ff. – Antike Religionen: Hickmann u. a., Art. Musik, 516 ff ◆ Dies. u. a., Art. Musikinstrumente, 536 ff ◆ Staubli, Musik. – Soziologie, Kultur wissenschaft: Rosa, Resonanz, 160 ff.
dazu Spieckermann, „Hymnen“, 97 ff; Wagner, aaO 202 ff; Schnocks, ebd. u. a. Zum Übergang vom Reden zu Gott zum Reden über Gott in ein und demselben Text s. Wagner, aaO 204 ff. 102 Zum „Ich“ in den Psalmen s. Wilke, Identität, 98 ff. 103 Benveniste, Probleme, 289 (H. i. O.). 104 S. dazu unten 501 ff. 101 S.
306 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Neben die Gottes- und Weltbeziehung, wie sie durch das Gebet konstituiert wird, tritt die durch Musik gestiftete Form der Gottes- und Weltbeziehung. Wie die Sprache ist sie nicht einfach ein Mittel, mit dem sich der Mensch gleichsam instrumentell auf die Weltdinge und die Sphäre des Göttlichen bezieht, sondern eine Kraft, die welterschließende und weltkonstituierende Bedeutung hat. Töne, Klänge, Rhythmen und Melodien transportieren „zumindest einen über ihre Zeichenhaftigkeit und ,Bedeutsamkeit‘ hinausgehenden, irreduziblen ästhetischen Überschuss …, der einen spezifischen Erfahrungsbereich eröffnet, welcher (anderen) Sprachen oder symbolischen Zeichensystemen nicht zugänglich ist. (…) Der Klangkosmos besteht … daraus, dass er alle Arten und Schattierungen von Beziehungen auszudrücken oder zu stiften vermag: Zerrissenheit, Einsamkeit, Verlassenheit, Feindseligkeit, Entfremdung, Spannung, aber auch Sehnsucht, Zuflucht, Geborgenheit, Liebe, Responsivität“105.
Nun haben wir, auch wenn wir die entsprechenden Musikinstrumente exakt nachbauen und spielen könnten, keinen authentischen Zugang mehr zum Musikerleben des alten Israel. Gleichwohl lassen sich gewisse Rückschlüsse aus den musikalisch-technischen Angaben des Alten Testaments und hier besonders des Psalters ziehen. „Ein Psalm (mizmôr) Davids“ – so heißt es in der Überschrift zahlreicher Psalmen. Der hebräische Terminus mizmôr, der sich von der Verbalwurzel zāmar „singen, spielen“ herleitet, meint das von Instrumenten begleitete „Lied“, eben einen „Psalm“. Die Psalmenüberschriften, zu denen diese Angabe gehört, können aus fünf Elementen bestehen:106 – Gattungsangabe (z. B. mizmôr „Lied“, vgl. Sir 47,9), – Zuschreibung an eine Person / Personengruppe (z. B. „für / von David“), – Kultisch-liturgische Zweckangabe (z. B. „für den Chormeister“, vgl. Ps 4,1), – Melodieangabe (z. B. „nach ,Hindin der Morgenröte‘“, Ps 22,1) und – Biographische Situationsangabe (z. B. „Ein Psalm Davids, als er floh vor Absalom, seinem Sohn“, Ps 3,1).
Wichtig für das Musikthema sind besonders die Elemente 1 (Gattungsangabe) und 4 (Melodieangabe), die mehrere Termini und Wendungen enthalten (Abb. 58). Diese Angaben liegen auf verschiedenen Ebenen und gehören unterschiedlichen Kontexten an. Darüber, welche Musiker(gruppen) in Aktion traten und wie die Musikpraxis im Einzelnen aussah, ist leider nur wenig bekannt, und „das wenige beruht auf einigen Angaben und Daten der Psalmen selbst“107. Was die Musikinstrumente angeht, so kommen für den Psalmenvortrag in der Regel nicht die Signalinstrumente Widderhorn (šôpār, s. Abb. 59) und Trompete (hasôserāh), ˙ ˙ ˙ sondern die typischen Begleitinstrumente des kantillierenden Gesangs wie 105 Rosa,
Resonanz, 161. dazu ausführlich Janowski, „Hindin“, 294 ff. 107 Seybold, aaO 74. 106 S.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 307
Gattungsangabe – – – – – – –
mizmôr miktām maskîl šîr šiggājôn tehillāh tepillāh
„Lied, Psalm“ (Ps 3–6.8. 9. 12.13 u. ö.) „Inschrift / Aufzeichnung“ (?) (Ps 16; 56–60) „Kunstlied / Lehrgedicht“ (?) (Ps 32; 42; 44; 45 u. ö.) „Lied, Gesang“ (Ps 30; 46; 48 u. ö.)108 „Klagelied“ (?) (Ps 7, vgl. Hab 3,1 und akk. šigû „Klageruf“) „Lobpreis“ (Ps 145; ferner Ps 22,26; 33,1; 34,2 u. ö.) „(Bitt-)Gebet“ (Ps 17; 86; 90 u. ö., vgl. Hab 3,1; Ps 4,2; 35,13 u. ö.)
Musikalisch-technische Angabe / Melodieangabe – – – – – – – – – –
„zum Flötenspiel“ (?) (Ps 5) „zu(r Melodie) ,Lotosblumen des Zeugnisses‘“ (Ps 80) „mit Saitenspiel / Leiermelodie“ (Ps 4; 6; 54 u. ö.) „nach ,Hindin der Morgenröte‘“ (Ps 22) „nach der gittitischen (Weise)/der Kelterlied-Melodie“ (?) (Ps 8; 81; 84) „nach ,Taube des Verstummens der Fernen (Gegenden)‘“ (Ps 56) „nach ,Krankheit‘/nach Art der Flöte / Holzpfeife“ (?) (Ps 53; 88) „nach ,Junge Frauen / Mädchen‘“ (?) (Ps 46, vgl. Ps 68,26; 1 Chr 15,20) „auf der Achtsaitigen“ (Ps 6; 12, vgl. 1 Chr 15,21) „nach ,Lotosblumen‘“ (Ps 45; 69)
Abb. 58: Gattungs- und Melodieangaben in den Psalmenüberschriften
Standleier (nebæl), Handleier (kinnôr, s. Abb. 60), Zimbeln (sælselîm), Handpau˙ ˙ ke (top), (Lang-)Flöte (῾ûgāb) u. a. in Frage.
Abb. 59: Schofar und Rahmentrommel (Karkemisch, 9./8. Jh. v. Chr.)
108 Außerhalb
der Überschriften: Ps 137,3. Das „Lied“ wird zuweilen von Musikinstrumenten wie Stand-, Tragleiern u. a. begleitet, vgl. Ps 81,3 f; 98,5 f; 150,3 ff sowie 1 Chr 6,16f; 13,8 (pl.); 15,16 u. ö. Zu den Musikinstrumenten s. Seybold, Einführung 76 f; Braun, Musikkultur, 28 ff und Staubli, Musik, 7 ff.
308 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Abb. 60: Gefangene judäische Leierspieler (Ninive, 7. Jh. v. Chr.)
Eine kompakte Zusammenstellung von Musikinstrumenten findet sich in Ps 150, der zusammen mit den Halleluja-Psalmen 146–149 den hinteren, doxologischen Rahmen des Psalters bildet. Der kurze Text lautet folgendermaßen: 1 Lobt JH! 2
⎫ Lobt Gott in seinem Heiligtum, ⎪ ⎪ lobt ihn in der Feste seiner Macht! ⎬ Lobt ihn wegen seiner Heldentaten, ⎪ ⎪ lobt ihn gemäß seiner gewaltigen Größe! ⎭
3 4 5
Lobt ihn mit Schofarstößen, Tempelinneres lobt ihn mit Harfe und Leier! Lobt ihn mit Handpauke und Tanz, Vorhöfe lobt ihn mit Saiten und Flöte! Lobt ihn mit klingenden Zimbeln, jenseits des lobt ihn mit Zimbeln von Jubellärm! Tempelareals
6 Aller Atem lobe JH!
Irdisches und himmlisches Heiligtum als Ort des Gotteslobs Machttaten und Größe Gottes in Schöpfung und Geschichte ⎫ ⎪ ⎪ ⎪ Festszenario mit ⎬ ⎪ Musikinstrumenten ⎪ ⎪ ⎭
Universales Gotteslob
Lobt JH!
Dieser Psalm, der nach V. 1b–2 den im irdischen wie im himmlischen Heiligtum109 erklingenden Lobpreis Gottes zusammenbindet und Gottes Machttaten und Größe in Schöpfung und Geschichte feiert, folgt nach V. 3–5 einer „räumlichen Bewegung von ,innen‘ nach ,außen‘, die wohl der symbolischen Topographie des zweiten Jerusalemer Tempels entspricht, also konzentrisch um den MitHartenstein, „Wach auf “, 118 bezeichnet rāqîa῾ „die Himmelsplatte, über der sich das innerhimmlische Heiligtum JHWHs befindet“.
109 Nach
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 309
telpunkt des Allerheiligsten angeordnete Bereiche abnehmender Heiligkeit voraussetzt“110.
Diese Bewegung hat ihr Ziel in der Hinwendung des sprachfähigen und darum lebendigen Geschöpfs Mensch zu seinem Schöpfer. Diese „Sprachfähigkeit des menschlichen Atems, die ihm eine existentielle Gottverbundenheit gibt“, kommt in der Sicht von Ps 150,6 „zu ihrer höchsten Vollendung, wenn der dem Menschen von Gott gegebene Atem die sprachliche Gestalt des Lobpreises JHWHs annimmt“111. Im universalen Lobpreis JHWHs vollendet sich so das Glück des Menschen, zu dem Ps 146,1 f den Psalmisten auffordert: 1 2
Lobt JH, lobe, meine næpæš, JHWH! Ich will JHWH loben in meinem Leben, ich will spielen meinem Gott, solange ich bin.112
Der Psalter und die Chronik (1/2 Chr) sind nicht die einzigen Textbereiche für die religiöse Bedeutung der Musik im Alten Testament. Weitere Zeugnisse sind die vom Schlagen der Handpauken begleiteten Reigentänze Mirjams und der Frauen (Ex 15,19 ff), die Funktion des Widderhorns als Signalinstrument (Ex 19,10 ff; Ri 3,27; 6,33 ff u. ö.), das Läuten der Glöckchen am Gewandsaum des Hohenpriesters (Ex 28,31 ff), der Einsatz diverser Musikinstrumente bei der Überführung der Lade (2 Sam 6,1 ff), das durchdringende Trillern der Klagefrauen u. a.113 Wie die ägyptischen, altorientalischen (s. Q 98) und griechisch-römischen Musikformen114 sind auch diese Formen elementare Mittel der religiösen Kommunikation. Sie eröffnen einen Zugang zur hintergründigen Sphäre des Göttlichen und ihrer die menschliche Wirklichkeit prägenden Kraft. Die Sprache der Musik ist einzigartig, „kein anderes Medium vermag Hingabe zu erzeugen wie sie, vermag im sinnlichen Erleben eine ,Verzauberung der Welt‘ aufscheinen zu lassen, die sogar dem ,religiös Unmusikalischen‘ (M. Weber) Transzendenzen beschert“. Musikinstrumente erscheinen deshalb „von Anfang an besonders als Mittel religiöser Kommunikation. Ihr Klang, der die Reichweite der menschlichen Stimme erweitert und ihren Charakter verändert, vermittelt Unsichtbares. Wie der Rauch des Opfers transportiert und transzendiert musikalischer Klang sprachliche Bedeutung“115.
aaO 119 (H. i. O.), s. zur Interpretation noch Hossfeld / Zenger, Psalmen III (HThK. AT), 871 ff (Zenger). 111 Dies., aaO 884 (Zenger), unter Aufnahme von Koch, Güter, 245. 112 Zur Bedeutung von næpæš als Metonymie für das betende Subjekt des Lobens s. Müller, „Seele“, 177 f. 113 S. dazu die Zusammenstellung bei Staubli, Musik, 46 ff. Zum Trillern der Klagefrauen s. oben 123. 114 S. dazu Hickmann, Art. Musik, 516 ff; Hartenstein, „Wach auf “, 106 ff und Staubli, aaO 40 ff. 115 Hartenstein, aaO 102 (H. i.O). Zur Resonanzwirkung der Musik s. Rosa, Resonanz, 160 ff.
110 Ders.,
310 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns
Musik ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach Lebensfülle und Gotteskontakt. Davon zeugt auch das Tieropfer, das im Übrigen, weil es ein gewalttätiger und ausgesprochen blutiger Vorgang ist, aber anderen Parametern folgt. b) Opfer und Opferkritik Schlachten und Opfern – ist die rituelle Tiertötung gegenüber dem Gebet und der Musik nicht so etwas wie ein Paradigmenwechsel? Ja und Nein. Nein, weil das Opfer ebenso wie das Gebet und die Musik zur Sphäre der Religion gehört und wie diese den Kontakt mit dem Heiligen herstellt. Und Ja, weil das Töten von Tieren nicht zu den erbaulichen Aspekten der Religion und des Menschseins zählt, denn: „Mit der Transgressionshandlung der Tiertötung handelt der Mensch aggressiv und greift in die Lebenssphäre des Tieres ein.“116 Warum also werden Tiere überhaupt geopfert? Diese Frage wurde in der Geschichte der Religionen unterschiedlich beantwortet. Ein Grund war die Nahrungsbeschaffung, ein anderer die Bildung oder Festigung der Gemeinschaft.117 Im nachexilischen Israel kam zusätzlich das Motiv der Schuldbewältigung hinzu. Für den modernen Menschen hat das Tieropfer allerdings etwas Anstößiges, weil es materiell vollzieht – die Tötung des Tieres –, was spirituell wirken soll: die Begegnung mit dem heiligen Gott. Widerspricht das eine nicht dem anderen? Die altorientalischen Darstellungen von Opferszenen (Abb. 61) machen diese Anstößigkeit nur noch sinnfälliger. Da ist das Opfermesser, das dem gefesselten Widder an die Kehle gesetzt wird (links), oder der Vorderlauf, der mit einem scharfen Schnitt vom Kadaver der Kuh abgetrennt und mit reinigendem Wasser übergossen wird (rechts).
Abb. 61: Mesopotamische und ägyptische Opferszenen
Um sich das Verständnis nicht von vornherein zu verbauen, muss man den rituellen und ökonomischen Kontext beachten, in dem das Opfer vollzogen wurde.
116 Lippke,
Priester, 40. Bendlin u. a., Art. Opfer, 1230 f (Bendlin), der den Handlungsaspekt des Opfers betont und es als „sakralisiertes Pendant zu der profanen Gabe, des Grundelements sozialer Kommunikation“ (aaO 1231) versteht. Zu den gabetheologischen/-anthropologischen Aspekten des Opfers s. Janowski, Kultkritik, 173 ff.
117 Vgl.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 311
Das war bei der Schächtung des Widders die Eingeweideschau (Mesopotamien) und bei der Tötung der Kuh die Zubereitung des Opfertisches für die Götter (Ägypten). Beide Szenen rufen die Frage nach dem Sinn des Opfers wach. α) Der Sinn des Opfers Altes Testament: Eberhart, Studien ◆ Ders., Opfer, 93 ff ◆ Frevel, Unvollkommenheit, 215 ff ◆
Janowski, Art. Opfer, 36 ff ◆ Ders., Homo ritualis, 134 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 301 ff ◆ Marx, Opferlogik, 129 ff ◆ Ders., Art. Opfer, 572 ff ◆ Müllner, Geschlecht, 69 ff ◆ Neumann-Gorsolke, „Hand“, 47 ff ◆ Staubli, Räuchern, 152 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 270 ff ◆ Willi-Plein, Opfer ◆ Dies., Ritus, 150 ff ◆ Dies., Forschung, 16 ff ◆ Dies., Sühne, 271 ff. – Antike Religionen: Bendlin u. a., Art. Opfer, 1232 ff ◆ Bruit-Zaidman / Schmitt-Pantel, Religion, 29 ff ◆ Burkert, Homo necans ◆ Ders., Anthropologie, 3 ff ◆ Georgoudi et alii (éd.), La cuisine ◆ Janowski / Welker (Hg.), Opfer ◆ Lippke, Priester, 23 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft: Bendlin u. a., Art. Opfer, 1228 ff ◆ Eberhart, Kult, 4 ff.
Das Tieropfer gehört zu den elementaren und zugleich archaischen Phänomenen der Kultur, durch die der Mensch versucht, Beziehungen zur Welt der Götter aufzubauen, um mit ihnen zu kommunizieren, sie in ihrer Souveränität anzuerkennen und die kreatürliche Abhängigkeit von ihnen zu bekräftigen. Ein Ritual besteht in einer Abfolge von Handlungen, „die im Namen eines einzelnen oder einer Gemeinschaft ausgeführt werden und die dazu dienen, Raum und Zeit zu ordnen, die Beziehungen zwischen Menschen und Göttern zu regeln sowie den menschlichen Kategorien und den sie verbindenden Beziehungen ihren Platz zuzuweisen.“118 Das deutsche Wort „Opfer“ ist ambivalent, weil es sowohl den Vollzug der Handlung (lat. sacrificium < sacrum facere, „eine heilige Handlung vollziehen“, vgl. engl./frz. sacrifice) als auch ihr Objekt (lat. victima „Opfer[tier]“, vgl. engl./frz. victime) bezeichnen kann. Im Übrigen geht es auf lat. operari („ins Werk setzen, verrichten“) zurück und fungiert als Oberbegriff für den Vollzug des Rituals bzw. dessen Ergebnis.119 Die Schwierigkeit einer klaren Begriffsbestimmung gilt auch für das Hebräische, das darüber hinaus keinen zusammenfassenden Ausdruck für „Opfer“ besitzt.120 Eine gewisse Ausnahme bilden die Termini minhāh „Gabe“ (Gen 4,3 ff, vgl. 1 Sam 2,17; Mal 1,10–13 u. ö.) und qorbān „Dar˙ bringung“ (Lev 1,2, vgl. Ez 20,28; 40,43 u. ö.). Die übrigen Ausdrücke bezeichnen jeweils eine bestimmte, nach der Art der Darbringung (Schlachten, Verbrennen), des Anlasses (Dank, Freiwilligkeit, Gelübde), des Zwecks (Schuld, Sünde), des Termins (morgens, abends), der Opfermaterie (tierisch, vegetabilisch), der sozialen Stellung des Opfernden u. a. unterschiedene Opferart.121 Religion, 29, s. dazu auch Soeffner, Art. Rituale, 402 ff und Frevel, Unvollkommenheit, 222 ff. 119 S. dazu Burkert, Anthropologie, 3 f; Willi-Plein, Sühne, 272 u. a. 120 S. dazu Willi-Plein, Opfer, 25 ff.71 ff. 121 S. dazu den Überblick bei Janowski, Art. Opfer, 38 f; Willi-Plein, Sühne, 272 ff und Müllner, Geschlecht, 73 ff. 118 Bruit-Zaidman / Schmitt-Pantel,
312 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Dem Fehlen eines kulturübergreifenden Ausdrucks für „Opfer“ steht zudem eine Vielfalt von Opferformen in den einzelnen Kulturen und Religionen gegenüber. So hat etwa W. Burkert die anthropologische Dimension des religiösen Opfers unter Rückgriff auf K. Lorenz’ Aggressionstheorie als „Sakralisierung der Gewalt“ beschrieben, während R. Girard ein konkurrierendes Modell vertritt, wonach der opfernde Mensch nicht Jäger, sondern Gejagter („Sündenbock-Mechanismus“) ist.122 Beispiele dafür sind die Figur des „Sündenbocks“ in Israel (Lev 16,10.20 ff) oder die Austreibung des „Pharmakos“ Ödipus in Griechenland (s. Q 177).123
In den Religionen der Antike ist das Opfer die heilige Handlung schlechthin.124 Der Ort, an dem sie vollzogen wird, ist der Altar, nach dem Alten Testament der „Ort, an dem geschlachtet wird“ (hebr. mizbeah, s. Abb. 62).125 Als Opfertiere ˙ wurden weder Gazelle, Esel, Pferd, Kamel und Hund noch Wildtiere, sondern Haus- und Arbeitstiere wie Rinder, Ziegen und Schafe verwendet, die für die bäuerliche Existenz von elementarer Bedeutung waren.126 In besonderen Armutsfällen konnten auch Haus- und Turteltauben geopfert werden.
Abb. 62: Kalksteinaltar (Megiddo, 10./9. Jh. v. Chr.)
Das Opfertier musste makellos, männlich und mindestens sieben Tage alt sein (Lev 1,3; Dtn 15,21 u. ö.). Was als „Makel“ (mûm) galt, ist in Lev 22,17–25 geregelt.127 Kultgeschichtlich stellt dieser Text ein fortgeschrittenes Stadium dar. dazu zusammenfassend Bendlin u. a., Art. Opfer, 1230 f (Bendlin) und Eberhart, Kult, 7 ff. Sündenbockritus von Lev 16,20 ff ist allerdings nicht als Opfer, sondern als Eliminationsritus zu verstehen, s. dazu unten 417 ff. Zu den griechischen Pharmakosriten s. Q 176. 124 S. dazu Janowski / Welker (Hg.), Opfer und Georgoudi et alii (éd.), La cusine. Zum Opfer im AT s. Willi-Plein, Opfer; dies., Ritus, 150 ff; Eberhart, Studien; ders., Opfer, 93 ff; NeumannGorsolke, „Hand“, 47 ff u. a., ferner Janowski, Art. Opfer, 36 ff; Marx, Art. Opfer, 572 ff und den Forschungsüberblick von Willi-Plein, Forschung, 16 ff. 125 S. dazu Dohmen, Art. mizbeah, 787 ff und Neumann-Gorsolke, „Hand“, 57 ff. ˙ 126 Zu den Haus- und Arbeitstieren im alten Israel s. oben 245 ff. Zum Geschlecht der Opfertiere s. Müllner, Geschlecht, 73 ff. 127 S. dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 857 ff. 122 S.
123 Der
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 313
Geht man von ihm zu älteren Bestimmungen zurück, so stößt man im sog. ltargesetz Ex 20,24–26128 auf einen Text, der von grundsätzlicher Bedeutung A ist: Prolog des Bundesbuchs 22 JHWH sagte zu Mose: „So sollst du sagen zu den Israeliten: Ihr habt gesehen, dass ich vom Himmel mit euch geredet habe. 23 Ihr sollt nichts neben mir machen: silberne und goldene Götter sollt ihr euch nicht machen.
Altargesetz 24 Einen Altar von Erde sollst du mir machen und du sollst auf ihm schlachten deine Brandopfer und deine Heilsopfer, dein Kleinvieh und deine Rinder. An jedem Ort, an dem ich meines Namens gedenken lassen werde, werde ich zu dir kommen und dich segnen. 25 Wenn du mir aber einen Altar aus Steinen machst, sollst du sie nicht bauen als Behauenes, denn du würdest deinen Meißel über es schwingen und es dadurch entweihen. 26 Und du sollst nicht auf Stufen auf meinen Altar hinaufsteigen, damit deine Blöße nicht auf ihm enthüllt wird.“
Die Endgestalt von V. 24–26 besteht aus einem Ineinander von Geboten und Gebotsmotivierungen mit V. 24b als theologischer Sachmitte: 24a Altar von Erde Brandopfer + Heilsopfer Kleinvieh + Großvieh b An jedem Ort „Gedenken lassen“ seines Namens „Kommen“ + „Segnen“ JHWHs
Israel
JHWH
Diesem Text lassen sich drei für die Theologie und Anthropologie des Opfers wichtige Hinweise entnehmen: – Der Altar ist der Ort des Kommens Gottes, und zwar des Gottes, der – nachdem er vom Himmel zu seinem Volk gesprochen und so seine Transzendenz bekundet hatte (Ex 20,22) –, „jetzt seine Bereitschaft ankündigt, auf die Erde hinabzusteigen, um zu seinem Volk zu kommen, und dies jedes Mal, wenn es ihn darum bittet, indem es ein Opfer darbringt“129. Beim Opfer geht es nicht darum, den Menschen in die himmlische Sphäre zu versetzen, sondern darum, dass Gott aus Anlass des Opfers „kommt“, um dem Menschen zu begegnen (vgl. Ex 19,9).
128 Die
folgende Übersetzung unterscheidet zwischen vordtn Geboten (recte) und spätdtr Gebotsmotivierungen (kursiv), s. dazu auch Janowski, Kultkritik, 179 ff. 129 Marx, Opferlogik, 133.
314 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns – Das Feuer, das die bereitgelegten Opferstücke verzehrt, ist die sichtbare Seite des unsichtbaren Gottes und das Opfer eine rituelle Nachahmung der Sinaitheophanie: „In demselben Moment, an dem Gott Israel als sein Volk erklärt und sich ihm in Blitz und Donner offenbart, erklärt er ihm auch seine Bereitschaft, zu ihm zu kommen, jedes Mal wenn es ihn darum durch ein Opfer bittet.“130 – Das Opfer ist Zeichen der Gastfreundschaft gegenüber Gott. Die Tiere, die ihm dargebracht werden, werden bei außergewöhnlichen Anlässen wie einem Fest (1 Sam 25,2– 11 u. ö.) oder Gastmahl (Gen 18,1–8 u. ö.)131 geschlachtet und verzehrt. Gott werden die Opfergaben nicht in rohem Zustand vorgelegt, sondern sie werden für ein Mahl zubereitet, d. h. enthäutet, gebraten, gekocht (Lev 1,5–9; 2,13 u. ö.) oder – beim vegetabilischen Opfer – gemahlen, gebacken, gekeltert. „Wenn also Gott anlässlich eines Opfers kommt, so um die Gastfreundschaft seines Volkes anzunehmen.“132
Aufgrund dieser Merkmale kann man das Altargesetz Ex 20,22–26 als die Ätiologie des israelitischen Opferkults bezeichnen. Es kulminiert „in der zentralen Zusage (V. 24b), dass bei jedem Opfer JHWH zum Opfernden kommt, um ihn zu segnen, und somit wird jedes Opfer zum Ort der Begegnung mit JHWH“133 – es sei denn, dass bestimmte Umstände diese Begegnung unmöglich machen. Das ist das Thema der Opfer- und Kultkritik. β) Formen der Opfer- und Kultkritik Altes Testament: Ernst, Kultkritik ◆ Hartenstein, „Spiritualisierung“, 52 ff ◆ Hermisson, Spra-
che, 131 ff ◆ Hieke, Kult, 29 ff ◆ Janowski, Kultkritik, 182 ff ◆ Ders., „Schlachtopfer“, 207 ff ◆ Jeremias, Theologie, 146 ff ◆ Krüger, Erwägungen, 37 ff ◆ Willi-Plein, Opfer, 29 ff.143 ff ◆ Dies., Sühne, 274 ff. – Religions- und Kulturwissenschaft: Auffarth, Religion, 39 ff ◆ Bendlin u. a., Opfer, 1224 ff ◆ Rüpke, Römische Religion, 7 ff ◆ Stroumsa, Ende, 86 ff.
Immer wieder ist im Zusammenhang mit der prophetischen Opfer- und Kultkritik von der „Überwindung“ oder dem „Ende“ des Opfers die Rede.134 Hält man sich an die Texte, kommen allerdings andere Aspekte zum Vorschein. Sie hängen damit zusammen, dass „die Krise, um die es in solchen Texten allenfalls geht, … keine Krise des Kultes, sondern der Gesellschaft (ist)“135. Insofern gilt die prophetische Kritik „nicht dem Kult als solchem, sondern gesellschaftlichen Sachverhalten, die nach Ansicht der betreffenden Autoren zu einer Diskrepanz zwischen kultischem Lebenszusammenhang und lebensfeindlichen Verhaltens-
130 Ders.,
ebd. Gen 18,1 ff s. oben 205 f. 132 Ders., aaO 136. 133 Ders., Art. Opfer, 574. 134 S. dazu Willi-Plein, Opfer, 7 und Marx, Opferlogik, 129 ff. Zur prophetischen Kultkritik s. Hermisson, Sprache, 131 ff; Willi-Plein, aaO 143 ff; dies., Sühne, 274 ff; Krüger, Erwägungen, 37 ff; Hieke, Kult, 29 ff; Radebach-Huonker, Opferterminologie, 223 ff.227 f und Janowski, Kultkritik, 182 ff. Zur Opferkritik im antiken Griechenland s. Q 178. 135 Willi-Plein, Ritus, 153. 131 Zu
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 315
weisen einzelner oder bestimmter Gruppen führen“136. Das klassische Beispiel dafür ist Am 5,21–27.137 Dieser Text gliedert sich in eine Mahnung zum gerechten Handeln (V.*21–24) und in eine Gerichtsankündigung (V. 27), die beide als Gottesrede stilisiert sind: Mahnung 21 Ich hasse, ich verwerfe eure Feste, und nicht kann ich riechen eure Festversammlungen: 22 Es sei denn, ihr brächtet mir Brandopfer dar. An euren Gabeopfern138 habe ich kein Wohlgefallen und das Mahlopfer eures Mastviehs sehe ich nicht an. 23 Fort von mir den Lärm deiner Lieder, und dein Harfenspiel höre ich nicht, 24 aber es ströme wie Wasser (das) Recht und (die) Gerechtigkeit wie ein reißender Bach.139 25 Habt ihr mir Schlachtopfer und Speisopfer in der Wüste vierzig Jahre lang dargebracht, Haus Israel? 26 Und habt ihr Sakkut, euren König, und Kajwan, eure Bilder, euren Sterngott, die ihr euch gemacht habt, getragen?
Gerichtsankündigung 27 So führe ich euch in die Verbannung, über Damaskus hinaus, hat JHWH gesprochen, Gott der Heerscharen ist sein Name.
Seit der Zeit der Aufklärung, besonders aber in der Liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts hat man diesen Text neben Am 4,4 f; Hos 6,6; Jes 1,10–17; Jer 7,1– 15; Mi 6,1–8; Mal 2,1–9 u. a.140 immer wieder als Kronzeugen für die radikale Opfer- und Kultkritik der Propheten aufgerufen und diese Kritik in die Formel „Recht statt Gottesdienst / Kult“ gefasst.141 Für ein sachgemäßes Textverständnis ist demgegenüber die Beobachtung wichtig, dass „die Abweisung Gottes sachlich beim Umfassenden, den Festen (V. 21), einsetzt und erst danach Opfer (V. 22) und Musik (V. 23) genannt werden“142, also die herrschende Praxis des Gottesdienstes abgelehnt wird: 136 Dies.,
ebd.
137 S. dazu Jeremias, Amos (ATD), 77 ff. Bei der folgenden Übersetzung sind die Fortschreibun-
gen V. 22aα.25 f kursiv gesetzt. sind mit minhôt hier nicht „Speiseopfer“, sondern „Gabeopfer“ gemeint, s. ˙ dazu Janowski, aaO 183 Anm. 44. 139 Zur Übersetzung von nahal ᾽etān mit „ein reißender/s Bach / Wadi“ s. Dietrich, Schuld, ˙ 257 ff. 140 Zu Mi 6,1 ff s. oben 195 ff. 141 S. dazu Krüger, Kultkritik, 37 ff. 142 Jeremias, aaO 77. 138 Möglicherweise
316 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns 21 22* 23 24
Feste // Festversammlungen: Opfer: Gabeopfer + Mahlopfer Musik: Lieder + Instrumentalmusik Recht // Gerechtigkeit
hassen, verwerfen // nicht riechen kein Wohlgefallen haben // nicht ansehen nicht hören strömen
Im Übrigen belegen die Wendungen „eure Feste“, „eure Festversammlungen“, „eure Speisopfer“, „das Mahlopfer eures Mastviehs“, „der Lärm deiner Lieder“ und „dein Harfenspiel“, dass „nicht die Bedeutung des Gottesdienstes gegen die Bedeutung des Ethos abgewogen und auf diese Weise der Gottesdienst im Vergleich zum Ethos abgewertet, wie die liberale Theologie meinte, sondern einem schuldigen Israel … gesagt (wird), dass sein Gottesdienst Gott nicht mehr erreicht und insofern zum ,Dienst an sich selber‘ pervertiert ist“143.
So feiert Israel seinen Gott, als ob sein Gottesverhältnis intakt wäre und „merkt nicht, dass er bei der Feier gar nicht anwesend ist“144, sondern sich, wie die negierten Verben der sinnlichen Wahrnehmung und der priesterlichen Akzeptanz – „riechen“,145 „ansehen“, „hören“, „Wohlgefallen haben“ – zeigen, längst abgewendet hat. Insofern ist Am 5,*21–24 ein Gegentext zu Ex 20,24–26 und seinem Grundmotiv vom Kommen und Segnen JHWHs anlässlich der Opfer Israels. Der Text sagt aber noch mehr, weil er den Gegensatz von verfehlter Kultpraxis und richtiger Alltagsethik poetisch ins Bild setzt und damit der Hoffnung auf die „dynamische Kraft der Gerechtigkeit“146 Ausdruck verleiht. Noch in spätnachexilischer Zeit geht es um ähnliche Fragen, wenn Mal 2,1–9 eine drastische Gerichtsankündigung gegen die Priester und ihre Nachlässigkeit im Opferwesen formuliert.147 Opfer- und Kultkritik gibt es auch in der Weisheitsliteratur und in den Psalmen. Für die kultkritischen Sentenzen der Weisheit, die sich im Unterschied zur prophetischen Kultkritik nicht an das Volk, sondern an Einzelne wenden, ist es „charakteristisch, daß sie kultische Handlungen, sei es das Schlachtopfer oder das Gebet, einem Beurteilungskriterium unterstellen, welches außerhalb des kultischen Bereichs liegt. Dieses Kriterium ist die weisheitliche Überzeugung, dass sich Jahwe,Fürchten‘ und -,Ehren‘ wesentlich nicht im Kult (durch Schlachtopfer), sondern in der Lebenshaltung, also im Ethos vollziehen“148.
143 Ders.,
aaO 79. ebd. 145 Vgl. Gen 8,21; Lev 26,31 und 1 Sam 26,19. 146 Dietrich, aaO 258 (H. i. O.). Demgegenüber zeichnen Am 5,7 und 6,12 das Bild einer umfassenden ,Vergiftung‘ des sozialen Lebens, s. dazu oben 274 f. 147 S. dazu unten 563 f. 148 Ernst, aaO 199 (H. i. O.). Zu den Haupttexten Spr 15,8 f.29; 17,1; 21,3.27; 28,9; Pred 4,17; Sir 34,21 ff; 35,1 ff.16 ff u. ö. s. Ernst, Kultkritik; Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 242 ff.244 f.245 ff; Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 312 f und Urbanz, Gebet, 40 ff.141 ff. 144 Ders.,
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 317
Die Psalmen wiederum verfügen über eine eigene Opfertheologie, die neben Berührungen mit der prophetischen Opfer- und Kultkritik von dieser signifikant unterschieden ist. Die folgende Übersicht unterscheidet zwischen opferkritischen Aussagen und der Metaphorisierung von Opferaussagen:149
Opferkritische Aussagen – Gegen falsches Opferverständnis (Ps 40,7–9; 50,7–15; 51,18 f; 69,31 f) – Kritik an Opfern für Fremdgötter bzw. Tote / an Kinderopfern für Dämonen // Götzen Kanaans (Ps 16,4; 106,28.37 f)
Metaphorisierung von Opferaussagen – Im Rahmen der Opferkritik (Ps 50,14.23; 51,19) – Ohne opferkritischen Hintergrund (Ps 119,108; 141,2)
Materielle (?)/metaphorische (?) Opfer – „Schlachtopfer der Gerechtigkeit“ (Ps 4,6; 51,21) Mit der prophetischen Kultkritik haben die kultkritischen Psalmen zwar die Anrechnungsterminologie („Gefallen / Wohlgefallen haben“) gemeinsam, dennoch „sind Propheten und Psalmen von verschiedenen Positionen aus zu einer Kritik am Opferkultus gelangt“150. Während bei den Propheten die Suche nach der gerechten Gesellschaft im Vordergrund steht, betonen die Psalmen die Situation des Menschen vor Gott. Diese Differenz zeigt sich auch an der sprachlichen Gestalt der Psalmentexte, namentlich an den Wendungen „Schlachtopfer der Gerechtigkeit“ (Ps 51,21), „die Gaben meines Mundes“ (Ps 119,108), „〈Mein〉 Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist“ (Ps 51,19) und „mein Gebet als Räucheropfer“ // „das Erheben meiner Hände als Abendgabe“ (Ps 141,2). Wie sind diese Aussagen zu verstehen? Während die Wendung „Schlachtopfer der Gerechtigkeit“ auf eine Wertung zielt (genitivus qualitatis), lässt sich in Ps 51,19; 119,108 und 141,2 eine deutliche Akzentverschiebung vom Ritus zum Gebet bzw. vom Kult zur Anthropologie feststellen. Das belegen die anthropologischen Begriffe „Geist“, „Herz“, „Mund“ und „Hände“, die das Augenmerk auf den Beter und dessen persönliche ,Hingabe‘ im Gebet bzw. im Danklied lenken. Nicht blutige Schlacht- und Brandopfer, die den Geretteten ,symbolisieren‘ sollen, sondern, wie Ps 51,19 betont, „sich selbst als den an Herz und Geist erneuerten Menschen übergibt er seinem Gott“151: 〈Mein〉 Schlachtopfer, Gott, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes, zerschlagenes Herz verachtest du, Gott, nicht. (Ps 51,19) Die Gaben meines Mundes nimm doch wohlgefällig an, JHWH, und lehre mich deine Rechtsentscheide! (Ps 119,108) Mein Gebet möge als Räucheropfer dastehen vor dir, das Erheben meiner Hände als Abendgabe! (Ps 141,2)
Begriff „Metaphorisierung“ s. Hartenstein, „Spiritualisierung“, 52 ff. Sprache, 144 (H. i. O.). 151 Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 55 (Zenger [H. i. O.]). 149 Zum
150 Hermisson,
318 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die zu einer fundamentalen Transformation des Opfers führte. Besonders eindrücklich ist in diesem Zusammenhang das Motiv der von JHWH gegrabenen Ohren, die nach Ps 40,7–11 der Tora den Weg ins Innere des Beters weisen: 7 An Schlachtopfer und Speisopfer hast du kein Gefallen – Ohren (᾽åznajim) hast du mir gegraben (kārāh), Brandopfer und Sündopfer hast du nicht verlangt. 8 Einst sprach ich: „Siehe, ich komme, in der Buchrolle ist mir vorgeschrieben!“152 9 Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, habe ich Gefallen, und deine Tora (ist) inmitten meiner Eingeweide (me῾îm). 10 Ich verkündigte Gerechtigkeit in großer Versammlung. Siehe, meine Lippen (śepātajim) halte ich nicht zurück, JHWH, du, du weißt es! 11 Deine Gerechtigkeit verbarg ich nicht inmitten meines Herzens (leb). Von deiner Beständigkeit und Rettung sprach ich, nicht verhehlte ich deine Güte und Wahrheit der großen Versammlung. Charakteristisch für diesen Text ist zum einen die Semantik des „Grabens“ der Ohren (Subj. Gott), des „nicht Verschließens“ der Lippen (Subj. Mensch) bzw. des Erbarmens (Subj. Gott) und des „nicht Verbergens“ der Gerechtigkeit / Güte / Wahrheit (Subj. Mensch), durch die die Unmittelbarkeit der Gott/Mensch-Beziehung zum Ausdruck gebracht wird. Zum anderen rahmen die in V. 7 aufgezählten Opfer, die den gesamten Opferkult repräsentieren sollen, die zentrale Wendung „graben“ (kārāh) + „Ohren“ (᾽åznajim V. 7), die sich im Alten Testament nur hier findet und schöpfungstheologisch zu verstehen sein dürfte.153 Denn durch das „Graben“ der Ohren übereignet der Schöpfer dem Menschen die Fähigkeit, auf seine Tora zu hören und nach ihr zu handeln und damit seiner schöpfungsgemäßen Bestimmung zu entsprechen – oder sich zu verschließen und sie damit zu verfehlen. Das gerade tut der Beter aber nicht (V. 10 f). Im Gegenteil: die Tora befindet sich in seinen „Eingeweiden“ (me῾îm), also dort, wo nach Jer 4,19; Ps 22,15 und Klgl 1,20 (jeweils in Verbindung mit leb „Herz“) das emotionale Zentrum der menschlichen Person lokalisiert wird.154
Es ist also nicht vordergründige Opferkritik, die sich in Ps 40,7–11 niederschlägt, sondern die volle Einbeziehung des Menschen in das Wesen des Opfers. Wenn das Wesen des Opfers, der Glaube Israels war, dass JHWH seinem Volk nahekommt und der Kult der Ort ist, wo dies sinnfällig wird (vgl. Ex 20,24–26), so 152 Möglicherweise
ist mit der Wendung „mir ist vorgeschrieben“ gemeint, dass der Beter in der Buchrolle (dem Dtn?) liest und in dem Geschriebenen den geoffenbarten Gotteswillen als die für sein Leben verbindliche Norm erkennt und anerkennt (V. 9a), vgl. zur Formulierung 2 Kön 22,13 und Braulik, Psalm 40, 15 ff.149 ff. 153 Vgl. Radebach-Huonker, Opferterminologie, 101 und Kumpmann, Schöpfen, 83. Vom „Öffnen“ der Ohren ist auch in spätägyptischen Schöpfungshymnen die Rede (s. Q 24). 154 Zu Jer 4,19 s. oben 166.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 319
wird dieser Sinn durch die kultkritischen Psalmen transformiert und erweitert. Angewendet auf Ps 40: Die hörende und tätige Hinwendung des Menschen zu Gott (V. 7aα.9a), dessen Tora sein Inneres erfüllt (V. 9b), ist als solche „die ,Opfergabe‘, mit der der Beter für seine Rettung danken will.“155 Eine tiefgründigere Transformation des Opferkults lässt sich kaum denken. Exkurs 14: Essen und Trinken Altes Testament: Berlejung, Tisch, 10 ff ◆ Borowski, Life, 63 ff ◆ Frevel, Art. Essen / Trinken, 176 ff ◆ Fuhs, Gemeinschaftsmahl, 233 ff ◆ Geiger u. a. (Hg.), Essen ◆ Janowski, Art. Opfermahl, 43 ff ◆ King / Stager, Life, 61 ff ◆ Klinghardt / Staubli, Art. Brot, 69 ff ◆ Dies., Art. Essen, 116 ff ◆ Dies., Art. Essensgewohnheiten, 12 ff ◆ Smend, Essen, 200 ff ◆ Staubli, Art. Nahrung, 405 ff.410 ff ◆ Ders., Art. Nahrungszubereitung, 413 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 257 ff.415 ff ◆ Zwickel, Leben, 195 ff. – Antike Religionen: Rüpke, Mähler, 32 ff ◆ SchmittPantel, Art. Esskultur, 149 ff.
„Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ – gegen den Wahrheitsgehalt dieses Sprichworts lässt sich kaum etwas einwenden. Gleichwohl ist seine Erschließungskraft begrenzt. Essen und Trinken sind ein kultureller Operator, der „wesentlich zur Definition von kultureller Identität bei(trägt) und … ein bevorzugter Indikator für die Art und Weise (ist), wie sich eine Gesellschaft strukturiert“156. Der folgende Überblick bietet nur einen kleinen Ausschnitt aus dem komplexen Thema.
Die Gaben des Landes Israel – ein „Land, das von Milch und Honig fließt“ (Ex 3,8.17; Dtn 6,3; Jos 5,6 u. ö.) und dessen Fruchtbarkeit sich dem Segen seines Gottes verdankt. Das ist das Credo der deuteronomischen Landtheologie, die in dem langen Satzgefüge von Dtn 8,7–18 gepriesen wird und die mit einer überschwänglichen Beschreibung des „guten Landes“ beginnt: (7) Wenn JHWH, dein Gott, dich in ein gutes Land führt, ein Land mit Wasserbächen und Quellen und Wasser im Überfluss in der Tiefe, die im Tal und am Berghang entspringen, (8) ein Land mit Weizen und Gerste, Weinstock, Feigenbaum und Granatbaum, ein Land mit ölreichen Olivenbäumen und Honig, (9) ein Land, in dem du nicht in Armut das Brot isst, in dem es dir an nichts fehlt, ein Land, dessen Steine aus Eisen sind und aus dessen Bergen du Kupfererz gewinnst, (10) du isst und satt wirst und
155 Hossfeld / Zenger,
Psalmen I (NEB), 256 (Zenger). Art. Esskultur, 149, s. dazu auch Q 188. Die kulturelle Identität einer Gesellschaft zeigt sich besonders auch daran, was man nicht isst, d. h. an ihren Esstabus, s. für das Alte Testament bes. die Vorschriften über reine und unreine Tiere (Lev 11,2 ff; Dtn 14,3 ff), s. dazu Janowski / Neumann-Gorsolke, Reine Tiere, 214 ff; Hieke, Levitikus (HThK.AT), 405 ff.433 ff und Otto, Deuteronomium III (HThK.AT), 1300 ff. Auch das Verbot, das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter zu kochen (Ex 23,19; 34,26; Dtn 14,21), gehört hierher, s. dazu Keel, Böcklein. Zu den Esstabus im Koran s. Q 220.
156 Schmitt-Pantel,
320 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns JHWH, deinen Gott, für das gute Land segnest (brk pi.), das er dir gegeben hat, (11) dann nimm dich in acht …157 Auch wenn diese Beschreibung auf die Begrenzungen von Gen 3,19 („Im Schweiß deines Angesichts wirst du Brot essen …“)158 verzichtet, ist die Gabe des „guten Landes“ für Israel nicht etwas Selbstverständliches. Im Gegenteil, sie ist etwas, was nur mit Dankbarkeit beantwortet werden kann (vgl. V. 10).
Das tägliche Brot Wie elementar diese Beziehung ist, zeigen – bis hin zur Brotbitte des Vaterunsers (Mt 6,11, vgl. Lk 11,3)159 – die Aussagen über das tägliche Brot, das „Realsymbol als Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“160. Von ihm heißt es unter weisheitlicher Betonung des ausreichenden Lebensunterhalts (V. 8) im Gebet Agurs: 7 8 9
Zweierlei habe ich von dir erbeten, halte es nicht von mir zurück, bevor ich sterbe! Nichtiges und Lügenwort entferne von mir! Armut und Reichtum gib mir nicht! Lass mich das mir bestimmte Maß an Brot (læhæm huqqî) essen, ˙ ˙ damit ich nicht satt werde und (Gott) verleugne und sage: „Wer ist JHWH?“, damit ich nicht verarme und stehle und mich am Namen meines Gottes vergreife! (Spr 30,7–9)
Abb. 63: Tisch mit Schaubroten (Hasmonäische Münze, 40–37 v. Chr.)
dazu Braulik, Deuteronomium I (NEB), 70 f und Otto, Deuteronomium II (HThK.AT), 914 ff, ferner Geiger, Schlaraffenland, 15 ff. 158 Zu Gen 3,17 ff s. oben 241 und unten 435. 159 S. dazu Gese, Vaterunser, 419 ff. 160 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 257. 157 S.
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 321
Da Kartoffeln und Mais unbekannt und Reis, Hirse und Eierspeisen kaum verbreitet waren, bildete das aus Gersten-, Dinkel- oder Weizenmehl gebackene Fladenbrot, das das Alte Testament mit dem Begriff læhæm „Brot, Nahrung“161 bezeichnet, die Grundlage ˙ der täglichen Mahlzeiten.162 Wegen seiner elementaren Bedeutung, die auch der Grund für seine symbolische Funktion („Brot des [göttlichen] Angesichts“ Ex 25,30; 35,13; 39,36 u. ö.) ist (s. Abb. 63), kann læhæm auch den Lebensunterhalt bezeichnen (vgl. Dtn 8,3; ˙ Am 7,12; Sir 29,21 u. ö.). Die Herstellung des Mehls und des Brots gehörte zur täglichen Arbeit der Hausfrau (Gen 18,6; 1 Kön 17,12; Jer 7,18 u. ö.). In der Regel wurde nur soviel Mehl auf Reibesteinen gemahlen (s. Abb. 45), mit Wasser, Öl, Milch, Rosinen, Datteln u. a. vermischt, geknetet und auf heißen Steinen, einer tönernen Backplatte oder in einem Ofen (tannûr) zu Fladen gebacken, wie viel pro Tag gebraucht wurde (ca. 2 kg Mehl pro Familie).163 Ergänzend zum Brot traten Wein, Olivenöl, Milchprodukte, Honig, Gemüse (Bohnen, Linsen, Erbsen u. a.) und Früchte (Trauben, Feigen, Granatäpfel u. a.) hinzu, selten dagegen Fleisch (vor allem vom Rind, dann von Ziege, Schaf, Geflügel).164 Zusammen mit Wein bildete Brot eine vollständige Mahlzeit (Gen 14,18; Ri 19,19 u. ö.),165 während Brot und Wasser das Nahrungsminimum für unterwegs, in der Not oder im Gefängnis waren (Gen 21,14; 1 Kön 22,27; Jes 30,20 u. ö.). Die Zubereitung der Nahrung bestand aus einer Vielzahl von Tätigkeiten, die in der Hauptsache von Frauen ausgeführt wurden. Dazu benötigte man Vorratskrüge, Krüge zum Schöpfen von Wasser am Brunnen (Gen 24,15 ff; 1 Sam 9,11), Kochtöpfe zur Zubereitung von Brühen, Suppen, Fleisch und Gemüse (Ri 6,19; 2 Sam 17,28; Ez 11,3), Trinkbecher (Ps 23,5), Trinkflaschen für unterwegs (1 Kön 19,6), Teller und Schalen (2 Kön 21,13) u. a.166 Die tägliche Mahlzeit wird, was die Präsentation der Speisen angeht, schlicht gewesen sein. Anders verhielt es sich mit besonderen Anlässen wie einem Fest oder einem Versöhnungsmahl.
Mahlgemeinschaften In den antiken Religionen war das gemeinsame Essen eine elementare Form der Vergesellschaftung, die z. T. religiös besetzt und vielfach symbolisch konnotiert war.167 Das gilt auch für das alte Israel. Besondere Anlässe waren hier das Gastmahl (Gen 18,1 ff; 19,3), das Opfer- und Festmahl (Ex 12; 1 Sam 1,3 ff), das Versöhnungsmahl (Gen 43,32 ff), das Segensmahl (Gen 27), das Vertrags- und Opfermahl (Gen 31,43 ff), die Toda-Feier (Ps 116), das Totenmahl (Am 6,1 ff; Jer 16,5 ff), die gemeinschaftliche Gottesschau (Ex 24,9 ff), das dazu Klinghardt / Staubli, Art. Brot, 69. römische Dichter Ovid hat später die Einführung des Getreideanbaus mit der Entstehung der Kultur verbunden, s. Q 190. 163 Zur Brotherstellung s. Klinghardt / Staubli, aaO 69 ff. In größeren Ortschaften mit fortgeschrittener Arbeitsteilung gab es berufsmäßige Bäcker, s. dazu Hos 7,4 und Jer 37,21 (Bäckerstrasse). 164 Zur tierischen und pflanzlichen Nahrung s. Staubli, Art. Nahrung, 405 ff.410 ff. 165 S. dazu Staubli / Schroer, aaO 257 f. 166 Zum judäischen Tongeschirr der Eisenzeit II s. die Abbildungen bei Staubli, Art. Nahrungszubereitung, 415. 167 S. dazu Schmitt-Pantel, Esskultur, 149 ff; Klinghardt / Staubli, Art. Essen, 116 ff und Rüpke, Mähler, 32 ff. 161 S.
162 Der
322 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns eschatologische Festmahl (Jes 25,6 ff) u. a. Im Folgenden beschränken wir uns auf drei ausgewählte Beispiele.
Joseph und seine Brüder Das erste Beispiel ist das Mittagsmahl, zu dem Joseph seine Brüder einlädt, die – nun aber mit Benjamin – zum zweiten Mal nach Ägypten gekommen sind. Allerdings verfehlt das Mahl seinen Zweck, den Brüdern die Identität Josephs zu enthüllen, und endet in einem ausgelassenen Trinkgelage. Nach der anrührenden Reaktion Josephs (Weinen) auf die Anwesenheit Benjamins168 und der Anordnung, das Essen aufzutragen (V. 29–31), fährt der Text folgendermaßen fort: (32) Und sie stellten (sc. die Mahlzeit) hin für ihn gesondert und für sie (sc. die Brüder) gesondert und für die mit ihm essenden Ägypter gesondert. Denn die Ägypter können nicht Brot essen mit den Hebräern, denn das ist ein Gräuel (to῾ebāh) für Ägypten. (33) Und sie saßen vor ihm, der Erstgeborene entsprechend seinem Erstgeburtsrang und der Kleinste entsprechend seinem Alter, und die Männer sahen einander verwundert an. (34) Und er trug die Portionen, die vor ihm lagen, zu ihnen. Und die Portion Benjamins war gegenüber den Portionen aller anderen fünfmal so groß! Und sie tranken und sie berauschten sich mit ihm. (Gen 43,32–34) Es ist fast ein gemeinsames Essen, das hier geschildert wird, aber nur fast. Dabei hatte Joseph seinen Hausverwalter angewiesen, Tiere zu schlachten und für das gemeinsame Mahl herzurichten (V. 16). Auch sonst wird alles sorgfältig arrangiert, vor allem die Tischordnung: die Ägypter hier, Joseph bei ihnen und dennoch für sich, und die Hebräer dort, was den Erzähler zu einer kulturgeschichtlichen Notiz à la Herodot (s. Q 179) veranlasst (V. 32). Sodann trägt Joseph die Mahlzeiten persönlich von seinem Platz zu seinen Brüdern, um die seit dem Konflikt in Dothan (Gen 37,12 ff) zwischen ihnen bestehende Kluft zu überbrücken. Damit nicht genug, bekommt sein leiblicher Bruder Benjamin eine fünffache Portion. Dennoch geht den Brüdern, die darüber ins Staunen geraten (V. 33), immer noch kein Licht auf. Die kleine Erzählung setzt das „diffizile Spiel … um die Verhüllung und Enthüllung der Person Josefs“169 gekonnt in Szene. Wenn das gemeinsame Mahl „die ursprünglichste Ermöglichungs- und Erlebnisform von Gemeinschaft“170 ist, so ist sie im vorliegenden Fall nicht bzw. noch nicht gegeben.
Elkana und seine Familie Auch das Opfer, zu dem Elkana Jahr für Jahr nach Silo zieht (1 Sam 1,1–8), ist ein hervorragendes Beispiel für die religiöse und soziale Bedeutung des gemeinsamen Mahls. Der Text beginnt in V. 3 mit einer zusammenfassenden Bemerkung, die die beiden Ritualakte des „Sich Niederwerfens“ (hwh hišt., vgl. 1,19.28)171 und des „Schlachtens“ (zābah, vgl. 1,21; ˙ ˙ 2,19, ferner 1,25) nennt:
168 S.
dazu oben 173. Josef, 161, s. dazu auch Ebach, Genesis III (HThK.AT), 344 ff. 170 Fuhs, Gemeinschaftsmahl, 235. 171 Zur Bedeutung von hwh hišt. s. oben 293 f. ˙ 169 Lux,
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 323
Und jener Mann (sc. Elkana) zog aus seiner Stadt (sc. Ramatajim) Jahr für Jahr hinauf, um niederzufallen (hwh hišt.) und JHWH Zebaoth in Silo Opfer darzubringen (zābah). ˙ ˙ Und dort waren die beiden Söhne Elis, Hophni und Pinchas, Priester für JHWH. Dann folgt durch Elkana das Zerteilen des geschlachteten Tieres, die Verteilung der Fleisch-Portionen an seine beiden Frauen Peninna (samt Kindern) und Hanna sowie das anschließende gemeinsame Essen des Kochfleisches (vgl. V. 9): 4 Und an dem Tag, an dem Elkana opferte (zābah), ˙ gab er seiner Frau Peninna und all ihren Söhnen und Töchtern (ihre) Stücke, 5 Hanna aber gab er ein extra Stück, denn Hanna hatte er lieb. Und JHWH hatte ihren Mutterschoß verschlossen. 6 Und ihre Rivalin kränkte sie tief, um sie zu bedrücken, weil JHWH ihren Mutterschoß verschlossen hatte. 7 Und so geschah es Jahr für Jahr, sooft sie hinaufzog zum Haus JHWHs, kränkte sie sie. Und da weinte sie und aß nicht. 8 Und Elkana, ihr Mann sagte zu ihr: „Hanna, warum weinst du und warum isst du nicht und warum ist dein Herz böse? Bin ich nicht besser für dich als zehn Söhne?“ Wenn man auf den rituellen Vorgang und seinen religiösen Bezug – jährliche Wallfahrt zum JHWH‑Heiligtum in Silo – achtet, so zeigt der Text eine frühe, vordeuteronomische Form des Opfermahls:172 Elkana, der Opferherr, ist kein Priester, sondern ein Familienvater (pater familias), der selbst schlachtet, das Fleisch kocht (?, vgl. aber 1 Sam 2,13), das Opfertier zerteilt und die Portionen an seine Familienmitglieder ausgibt. „Die Priester und seine Söhne überwachen den Vorgang, vielleicht aber auch nur, um die Wahrung der Heiligkeit zu gewährleisten.“173 Alle bekommen beim Festessen ihren Anteil, aber Hanna erhält ein besonderes Stück Fleisch. Um ihr Schicksal geht es, sie ist die zentrale Erzählfigur. Bei keiner anderen Gelegenheit „wird Elkanas Liebe für Hanna (und seine Nicht-Liebe für Peninna) so öffentlich und demonstrativ deutlich geworden sein wie beim großen Opferfest“174. Darin zeigt sich die familiäre und soziale Bedeutung des gemeinsamen Mahls.
Der göttliche Gastgeber Von einem Gastmahl besonderer Art ist schließlich im Vertrauenspsalm Ps 23 die Rede.175 Denn hier ist es nicht ein menschlicher Gastgeber, der wie in Gen 18,1 ff; 19,3 u. a. einen Fremden bewirtet, sondern Gott selber, der dem Beter aufwartet und zwar gegenüber seinen Bedrängern. Der Text besteht aus einer Bildhälfte, die JHWH als Hirten (V. 1b– 4), und einer Sachhälfte, die ihn als Gastgeber (V. 5 f) zeichnet. Die Bildhälfte enthält die Einzelbilder der Lebensversorgung (V. 1–3a) und der Lebensführung (V. 3b–4aα) durch dazu Dietrich, Samuel I (BK), 32 ff, ferner Bird, „Frauenarbeit“, 28 ff. Opfer, 74. 174 Dietrich, aaO 39 f. 175 S. dazu ausführlich Janowski, Hirte, 147 ff. 172 S.
173 Willi-Plein,
324 IV Vom tätigen Leben – Formen des sozialen Handelns den göttlichen Hirten.176 Dem entspricht die Sachhälfte mit ihren korrespondierenden Aussagen der Lebensversorgung (V. 5) und der Lebensführung (V. 6) durch den göttlichen Gastgeber. In der Mitte zwischen Bild- und Sachhälfte steht die poetisch hervorgehobene Vertrauensaussage von V. 4aβ.b (2 + 2 + 2), die die Hirtenmetaphorik der Bildhälfte (V. 1b– 4) abschließt und zugleich mittels der Stilform der Du-Anrede zur Sachhälfte und ihrer Metaphorik von JHWH als Gastgeber (V. 5 f) überleitet. Dieser Vers, der thematisch zur Bildhälfte und stilistisch zur Sachhälfte gehört, bildet die Sinnachse des beeindruckenden Psalms: 1b 2 3 4 5 6
JHWH ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel, auf Weideplätzen mit frischem Grün lässt er mich lagern, an Wasser der Ruhe(plätze) führt er mich, meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Bahnen der Gerechtigkeit um seines Namens willen. Auch wenn ich gehe im Tal der Finsternis, fürchte ich nichts Böses, denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab – sie trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch gegenüber meinen Bedrängern. Du hast erquickt mit Öl mein Haupt, mein Becher ist Überfließen. Ja, Gutes und Huld verfolgen mich alle Tage meines Lebens, und ich werde zurückkehren in das Haus JHWHs für die Länge der Tage.
Der Passus über den göttlichen Gastgeber (V. 5 f) ist eine theologische Zuspitzung des Themas „Gastfreundschaft“.177 Der Tisch wird von JHWH „vor“ dem Beter bereitet – nicht insgeheim, sondern „gegenüber seinen Bedrängern“. Damit ist die Situation einer Konfrontation gegeben: die Feinde sitzen nicht mit am Tisch, sondern der von Gott mit überreichen Gaben gedeckte Tisch bildet das Gegenüber zu den Feinden.178 Er ist das Realsymbol der Gottesnähe – von der die Feinde ausgeschlossen bleiben.179 Sie sind zwar da, gleichsam in Sichtweite, aber von JHWH schützend auf Distanz gehalten (vgl. Ps 31,20 f). Ob sie ihre Verfolgung wieder aufnehmen, wird nicht weiter thematisiert. Im Gegenteil: Wenn von „Verfolgung“ die Rede ist, dann von der lebenslangen „Verfolgung“ durch „Gutes (tôb) und Huld (hæsæd)“ (V. 6a, vgl. Ps 5,8). ˙ ˙ endet der Text, So wie die Stichwortbeziehung zwischen „zurückbringen“ (šûb pol. V. 3a) und „zurückkehren“ (šûb qal.V. 6b) unterstreicht, genauso zuversichtlich, wie er begonnen hat: mit der Rückkehr in das „Haus“ des Gottes, der den Beter als „Guter Hirte“ mit allem Lebensnotwendigen versorgt und der ihm seine Lebenskraft (næpæš) „zurückgebracht“ hat.180 Das Verhältnis JHWHs zum Beter ist deshalb weit mehr als das einer temporären Gastfreundschaft, es ist eine Schutz- und Tischgemeinschaft, die dauerhaft
176 Zum
Motiv des göttlichen Hirten in Ägypten und im Alten Orient s. Q 2; 59; 61 und 105. Gastfreundschaft s. oben 204 ff. 178 Zum Tischmotiv s. Riede, Tischmotiv, 152 ff mit Beispielen aus der altorientalischen Ikonographie (sog. Bankettszenen). 179 Es handelt sich also um ein Kontrastmotiv und nicht, wie immer wieder unterstellt wird, um ein „Idyll“ oder um ein „bukolisches“ Motiv, s. dazu Janowski, aaO 161. 180 Zum Begriff næpæš „Leben, Lebenskraft“ oben 54 ff. 177 Zur
§ 7 Die Kommunikation des Menschen 325
und verlässlich ist: „Und ich werde (immer wieder) zurückkehren in das Haus JHWHs für die Länge der Tage“ (V. 6b).181 𓇼
Es sind also oft bedeutende, ja lebensentscheidende Situationen, in denen im Alten (und Neuen) Testament vom Essen und Trinken die Rede ist. Denn es geht bei der Ernährung nicht nur um die Befriedigung eines leiblichen Bedürfnisses, sondern darum, einem oder mehreren Menschen seinen / ihren Platz in der Gesellschaft und vor Gott anzuweisen.
Fuhs, Gemeinschaftsmahl, 243 f. Die von der Septuaginta vorausgesetzte Lesart „und mein Wohnen ist [= wohnen darf ich] im Haus des Herrn für die Länge der Tage“ gibt der eschatologischen Hoffnung auf JHWHs Gastfreundschaft jenseits der Todesgrenze Ausdruck, s. dazu Janowski, aaO 155.
181 Vgl.
Nachtrag zu § 7 (281 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Kultur und Kommunikation“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). 1. Grundformen der Kommunikation b) Nonverbale Kommunikation Exkurs 13: Sehen und Hören (297 ff ) Zu den Sinnes- und Kommunikationsorganen des Menschen s. die interdisziplinären Beiträge in Schellenberg / Krüger (ed.), Sensory Profiles. 2. Der Kontakt mit dem Heiligen (302 ff ) Zu den Themen Gebet, Musik, Ritual(experten), Opfer, Hl. Zeiten u. a. s. das Kompendium von Balentine (ed.), Handbook. Leider ist dieses Handbuch unübersichtlich gegliedert und enthält auch mehrere sehr randständige Beiträge. a) Gebet und Musik (302 ff ) Zum Gebet und zur Musik s. Wagner, Gebet, 289 ff und Burgh, Art. Music, 676 ff. Im Blick auf das Gott/Mensch-Verhältnis im Gebet spricht Rosa, Unverfügbarkeit, 67 f von einer wechselseitigen Erreichbarkeit oder Bezogenheit: „Der Mensch soll auf Gott oder sein Wort hören, und Gott lässt sich im Gebet erreichen – was eben nicht heißt, dass er sich in irgendeiner Form verfügbar machen ließe. Responsivität bedeutet hier – ungeachtet aller endloser theologischen Kontroversen – ein gleichsam hörendes, auf-hörendes Aufeinanderbezogensein, das verwandelnde Kraft hat, aber beiden Seiten die ‚eigene Stimme‘ und die Antwortfreiheit lässt: Ob sich Resonanz einstellt und was ihr Ergebnis sein wird, bleibt unverfügbar offen. Meines Erachtens liegt diese Konzeption oder diese Form des Bezogenseins der Praxis des Betens zugrunde, die anders nicht zu verstehen ist: Anders als in magischen oder alchemistischen Praktiken wird hier nicht versucht, die andere Seite bzw. ein bestimmtes Ergebnis oder Ereignis manipulativ verfügbar zu machen, sondern es geht eher darum, ein entgegenkommendes
327
Antworten oder ein Antwortgeschehen zu erspüren, dessen Inhalt eben nicht schon feststeht“ (H. i. O.). b) Opfer und Opferkritik (310 ff ) Zum Opfer und zur Opferkritik s. Altmann / Al-Souadi, Essen, 49 ff und WillPlein, Opfer, 276 ff. Exkurs 14: Essen und Trinken (319 ff ) Zum Essen und Trinken im Alten und Neuen Testament s. Bauks, Esskulturen, 12 ff und vor allem Altmann / Al-Souadi, Essen, 15 ff (AT).77 ff (NT). Unterstützt wird die Darstellung durch 16 Abbildungen. Zur „Anthropologie des Essens“ (8 f ) bemerken die Autoren im Anschluss an L. Feuerbachs Dictum „Der Mensch ist, was er ißt“: „Erst in den letzten Jahrzehnten ist eine Flut wissenschaftlicher Untersuchungen zum Essen und Trinken entstanden, die sich mit zahlreichen sozialen, kulturellen, politischen und religiösen Aspekten des Themas auseinandersetzen. Neu hinzugekommen sind also neben dem ‚Was‘ das ‚Wie‘, ‚Wann‘, ‚Wo‘ und ‚Mit wem‘“ (8). Hauptvertreter dieser neuen Fragerichtung sind J. Goody und M. Douglas. Speziell zu den Speisegeboten in Lev 11,2–23 und Dtn 14,3– 20 s. dies., aaO 62 ff und Janowski, Schöpfungsglaube, 225 ff.
V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Haran
Ninive
Ebla
Kalach Nuzi Mari
MIT TELMEER
Tigris
AAN
Babylon
KAN
Jerusalem
Euphrat
N W
ÄG TEN
I
YP
Nil
Tayma
O S
n vielen Kulturen gibt es elementare Vorgaben für die Orientierung im natürlichen und im sozialen Raum. So ist für das alte Israel die Ausrichtung nach Osten, d. h. zum Sonnenaufgang hin, maßgebend (solare Achse). Diese Ausrichtung hat sich in der Bezeichnung „Orient“ erhalten, die auf die lateinische Wendung sol oriens „aufgehende Sonne“ zurückgeht. Deshalb liegt der Süden nach alttestamentlicher Auffassung – im Unterschied zur ägyptischen Ausrichtung am Nord/Süd-Verlauf des Nil – rechts (jāmîn) und der Norden links (śemôl), wenn man vom menschlichen Körper und seiner natürlichen Vertikalachse ausgeht. Neben den Koordinaten des natürlichen Raums wie den Himmelsrichtungen, den Jahreszeiten und dem Tag/Nacht-Wechsel ist auch das religiöse Symbolsystem für die Anthropologie ausschlaggebend. Als kulturelles Zeichensystem macht es die Korrelation von Oben (Himmel, Tempel) und Unten (Chaos, Unterwelt) ebenso ,anschaulich‘ wie die Grenze zwischen Leben und Tod bzw. zwischen Diesseits und Jenseits. Zwischen diesen beiden Eckpunkten, die den Lebensraum mit bestimmten Wertungen versehen, entspannt sich der Rhythmus des menschlichen Lebens mit seinen natürlichen, sozialen und symbolischen Ausdrucksformen. Die obige Karte des „Fruchtbaren Halbmonds“ veranschaulicht den geographischen Raum, zu dem auch Palästina / Israel mit seinen markanten Landschaften gehört.
§ 8 Die Ordnung des Raums JHWH, bis an den Himmel (reicht) deine Güte, deine Zuverlässigkeit bis zu den Wolken! Deine Gerechtigkeit ist den Gottesbergen gleich, dein Recht der Urflut, Mensch und Tier rettest du, JHWH! Psalm 36,6 f
Im Unterschied zum neuzeitlichen Verständnis von „Welt“ haben frühe Kulturen eigene, auf die spezifischen Erfahrungen von Raum und Zeit abgestimmte Konzepte ihrer natürlichen Lebenswelt entwickelt. So ist im Blick auf die Weltbilder vorneuzeitlicher Kulturen wie Mesopotamien, Ägypten oder Israel1 zu bedenken, dass „diese Welt nicht dieselbe ,Ausdehnung‘ hat wie die unsere“2. Sie ist übersichtlich und erfahrungsgebunden. Der Mensch der Antike erfährt seine Umwelt zergliedert in Raum und Zeit, Ursache und Wirkung. Die Anordnung der Dinge und die für ihre Bewertung verantwortlichen Kräfte machen ein Weltbild aus. Im Sinn dieser Definition hat H. Weippert die intensive Einbindung des Einzelnen in Raum und Zeit anhand eindrücklicher Beispiele beschrieben. Der Mensch des alten Israel konnte „räumlichen und zeitlichen Einflüssen … nicht distanziert gegenüberstehen, beides erlebte er hautnah“3. Sei es die Erfahrung des Tag/Nacht-Rhythmus mit seinem „Wechsel von der tags größeren, nachts kleineren Menschenwelt“4, sei es der jahreszeitliche Rhythmus mit seinem Wechsel von der Sommer- zur Winterweide und von der Saat zur Ernte – immer erfuhr man Raum und Zeit als etwas Elementares und vor allem, wie der Epilog der nichtpriesterlichen Fluterzählung (Gen 8,21 f) deutlich macht, als etwas Zusammengehöriges und Ordnung Stiftendes: 21 Da roch JHWH den lieblichen Duft, und er sagte zu seinem Herzen (= zu sich): „Ich will nicht noch einmal den Ackerboden um des Menschen willen verfluchen, denn das Gebilde des Herzens des Menschen ist böse von Jugend auf, 1
Zur Frage des Weltbilds s. unten 357 ff. Stolz, Weltbilder, 4. 3 Weippert, Welterfahrung, 184. 4 Dies., aaO 183, s. dazu auch Janowski, Rettungsgewissheit, 19 ff u. ö. 2
332 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung und ich will nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. 22 Während aller Tage der Erde (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.“5
Der Rhythmus des sozialen Lebens – „Saat und Ernte“ – und der Rhythmus der erlebten, von Gott geschaffenen und erhaltenen Raumzeit waren, wie dieser Text zeigt, eng miteinander verschränkt. Was das konkret bedeutet, soll zunächst anhand des natürlichen und sozialen Raumverständnisses im alten Israel gezeigt werden. 1. Der natürliche und der soziale Raum Altes Testament: Beyerle, Raum, 56 ff ◆ Bunzel, Ijob, 37 ff ◆ Dietrich, Art. Welterfahrung ◆
Ebach, Art. Naturerfahrung, 420 ff ◆ Ders., Art. Raum, 455 ff ◆ Hübner, Art. Himmelsrichtungen, 161 f ◆ Janowski, Raum, 3 ff ◆ Ders., Logik, 203 ff ◆ Jenni, Art. qædæm, 587 ff ◆ Jooß, Raum, 122 ff.232 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 34 ff.37 ff ◆ Koch, Qädäm, 248 ff ◆ Kronholm, Art. qædæm, 1163 ff ◆ Steck, Welt, 49 ff ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff. – Antike Religionen: Hölscher, Räume ◆ Kurth, Art. Himmelsrichtungen, 1213 ff ◆ Wyatt, Vocabulary, 351 ff ◆ Ders., Space. – Philosophie, Religions- und Kulturwissenschaft: Baudy, Art. Orientierung, 293 ff ◆ Fuchs, Leib, 151 ff ◆ Gehlen, Art. Raum, 377 ff ◆ Jooß, Raum, 29 ff.79 ff ◆ Pezzoli-Olgiati, Art. Orientation, 655 f ◆ Rosa, Resonanz, 633 ff.
Es gibt Vorprägungen für die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt, aufgrund derer die Menschen im alten Israel ein spezifisches Verhältnis zu sich selbst, ihren Mitmenschen, den Tieren, den Pflanzen und den Dingen entwickelt haben. Dazu gehören neben der geomorphologischen Beschaffenheit des Landes und dem Rhythmus der Jahreszeiten6 auch die Ordnungen des natürlichen und des sozialen Raums. a) Die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt Der Alltag spielte sich im alten Israel „in landschaftlich und sozial kleinen Räumen und in überschaubaren Zeitabschnitten ab, er war eng begrenzt“7. Diese überschaubare und im wörtlichen Sinn ,anschauliche‘ Welt lässt sich an den geographischen Termini des Alten Testaments, seinen Tier- und Pflanzennamen, aber auch an seinen Begriffen für die Himmelsrichtungen belegen. Allenthalben stößt man dabei auf eine Dimension der Raum- und Zeiteinteilungen, die auf dem Primat der menschlichen Wahrnehmung beruht.
5
Zu diesem Text s. auch unten 438 f. S. dazu oben 22 ff und unten 379 f.396 f. 7 Weippert, aaO 187. 6
§ 8 Die Ordnung des Raums 333
α) Die Himmelsrichtungen Die Menschen der Antike (und des Mittelalters) waren viel stärker in Raum und Zeit eingebunden, als wir dies gewohnt sind. So stand bei der Strukturierung des Raums der menschliche Körper mit seiner natürlichen Vertikalachse im Vordergrund, von der aus der Raum in ein Rechts und Links, in ein Vorn und Hinten sowie in ein Oben und Unten zerfällt: „Aus dem Wahrnehmungssystem des Körpers ergeben sich Grundunterscheidungen wie oben und unten, vorne und hinten, rechts und links. Darüber hinaus werden in unterschiedlichen religiösen Kontexten Teile des Körpers bestimmten Bereichen des Kosmos zugewiesen. Die jeweiligen positiven oder negativen Konnotationen dieser Grundkategorien sind kaum konstant, sondern müssen im jeweiligen Kontext rekonstruiert werden.“8
Aus den Oppositionspaaren rechts / links, vorn / hinten und oben / unten resultiert eine Vierteilung (Quadrierung) des Raums, die sich am klarsten im System der Himmelsrichtungen widerspiegelt. Die entsprechende Terminologie bezieht sich auf unterschiedliche Ebenen: Anthropologie: auf den Standpunkt des Menschen bezogene Ebene Osten qādîm qædæm qadmonî Westen ᾽ahar, ᾽ahôr ˙ ˙ ᾽ah arôn ˙ e Norden ś môl Süden yāmîn yemānî tēmān
Ostseite, Osten, Ostwind Vorderseite, Vorzeit, vorn östlich, vormalig Rückseite, hinten hinterer, letzter links, linke Seite rechts, rechte Seite rechter/-e/-es, südlich rechte Seite, Südland
Kosmologie: auf die Position der Sonne bezogene Ebene Osten mizrāh (šæmæš) Sonnenaufgang ˙ môsā᾽ Ausgangsort (der Sonne) ˙a Westen ma῾ rāb Untergangsort (der Sonne) mābô᾽ (haššæmæš) Eingangsort (der Sonne) Norden – Süden –
Topographie: auf geographische Gegebenheiten bezogene Ebene Osten (šæmæš) (nur in Verbindung mit mizrāh und mābô᾽, ˙ s. unter Kosmologie) Westen yām Meer Norden sapôn vgl. ug. spn ˙ ˙ Süden nægæb Trockenland dārôm Südland (?)
Abb. 64: Hebräische Termini für die Himmelsrichtungen 8
Pezzoli-Olgiati, Art. Orientation, 655, s. dazu auch Fuchs, Leib, 151 ff und Jooß, Raum, 92 ff.
334 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Gˇebel al-‘Aqra‘ (ug. s.pn)
s.āpôn „S.āpôn (Götterberg i. N.), Norden“ śemôl „links“
yām „Meer“ ma‘arāb W „Untergang (der Sonne), Westen“
N
S
qādîm „Osten“ O mizrāh. „Aufgang (der Sonne), Osten“
nægæb „Süden, Trockenland“ yāmîn „rechts“
Abb. 65: Himmelsrichtungen im alten Israel
Wie N. Wyatt hervorgehoben hat, ist die primäre Orientierungsebene die auf den Standpunkt des Menschen bezogene Ebene, die, wie die Terminologie zeigt, einen elementaren Anhalt am Aufgang der Sonne und der Position des Menschen im Gegenüber zu diesem Tagesgestirn hat (Abb. 65).9 Es genügte, den „eigenen Körper so auf die aufgehende Sonne auszurichten, wie wir mit der Magnetnadel 9
S. dazu Weippert, aaO 188 f; Baudy, Art. Orientierung, 293; Wyatt, Space, 35 f sowie das altorientalische Material bei Janowski, Logik, 210 ff. Im alten Ägypten richtete sich die Orientierung nach Süden aus, s. Q 62. Zu den Himmelsrichtungen im Sumerischen, Akkadischen usw. s. die Übersichten bei Wyatt, aaO 42 ff.
§ 8 Die Ordnung des Raums 335
des Kompasses den Norden anpeilen, um uns räumlich zu orientieren“10. Die anthropologische Orientierungsebene ist, so N. Wyatt, „… also the most subjective one (and so is validated emotionally). Self centredness may seem ‚selfish‘ in the moral sense, but is the necessarily irreducible basis for all experience. We have to start from our own self-awareness, and even if it is conditioned by our social context (i. e., it is a ,social construction of realitiy‘) then society itself is in part a function of innumerable individual experiences. Much that follows in cosmology and ritual may be seen to have its roots in this starting point“11.
Drei Textbeispiele – Gen 13,8 ff; Ps 139,1bff und Hi 23,8 f – sollen diesen Sachverhalt verdeutlichen: (8) Da sagte Abram zu Lot: „Es soll kein Streitanlass sein zwischen meinen und deinen Hirten; denn wir sind verbrüderte Männer. (9) Ist nicht das ganze Land vor dir (offen)? Trenn dich doch von mir: wenn nach links (= nach Norden), so will ich nach rechts (= nach Süden) gehen; wenn nach rechts, so will ich nach links gehen!“ (10) Da erhob Lot seine Augen und sah den ganzen Jordankreis; denn insgesamt gab es Wasser – bis dahin, dass JHWH Sodom und Gomorrha vernichtete, war er wie der Garten JHWHs, wie das Land Ägypten, bis man nach Zoar kommt. (11) So wählte sich Lot den ganzen Jordankreis, und Lot brach in östlicher Richtung (miqqædæm)12 auf. (Gen 13,8–11) 1b 2 3 4 5 6
JHWH, du hast mich erforscht und erkannt. Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen, du durchschaust meine Absicht von ferne. Mein Gehen und mein Lagern hast du abgemessen und mit allen meinen Wegen bist du vertraut. Ja, kein Wort war auf meiner Zunge – siehe, JHWH, du hast es gänzlich erkannt. Hinten (᾽āhôr) und vorn (qædæm) hast du mich eingeschlossen ˙ und auf mich deine Handfläche gelegt. Zu wunderbar ist diese Erkenntnis für mich, zu hoch – ich vermag sie nicht zu fassen! (Ps 139,1b–6)13
(8) Siehe, vorwärts (qædæm = nach Osten) gehe ich, und er ist nicht da, und zurück (᾽āhôr = nach Westen), und ich nehme ihn nicht wahr, (9) nach links (śemôl = nach ˙ Norden), doch ich sehe sein Tun nicht, verhüllte er sich zur Rechten (yāmîn = im Süden), so schaue ich (ihn) nicht. (Hi 23,8 f)14
Weippert, aaO 189. Wyatt, aaO 35. 12 Miqqædæm, wörtlich: „von Osten weg (auf den Standpunkt des Betrachters zulaufend)“, ist eine sog. Dislokationsangabe, deren konkrete Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext zu erheben und im Deutschen entsprechend schwierig wiederzugeben ist, s. dazu auch Kronholm, Art. qædæm, 1166. 13 S. dazu oben 61.63. 14 S. dazu Bunzel, Ijob, 232 ff. 10 11
336 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Bemerkenswert ist dabei, in welchem Ausmaß die Orientierung nach Osten, d. h. nach „vorn“ zur aufgehenden Sonne hin, das Raum- und Zeitverständnis geprägt hat. Das trifft beispielsweise auf den 61mal im Alten Testament belegten Begriff qædæm zu, der im räumlichen („Vorderseite“) wie im zeitlichen Sinn („frühere Zeit, Vorzeit“) verwendet wird.15 Der Bedeutungsaspekt „frühere Zeit, Vorzeit“ oder „Vergangenheit“ steht dabei aber nicht für „Rückwärtsgewandtheit“, sondern umgekehrt für „Vorwärtsgewandtheit“ oder – um ein treffendes Sprachbild H. W. Wolffs aufzunehmen – für eine Haltung, die einem Ruderer auf dem Neckar gleicht: „Der Israelit sieht die früheren Zeiten als Gegebenheiten vor sich, während wir meinen, sie als Vergangenheit hinter uns zu haben. Ps 143,5: ,Ich gedenke der Tage vor mir (mikkædæm), ich bedenke alle deine Werke.‘ Die Zukunft hingegen liegt für den Israeliten nicht ,vor‘ ihm, sondern in seinem Rücken (᾽ahar). Nach Jer 29,11 sagt Jah˙ we: ,Ich kenne die Gedanken, die ich für euch plane, Pläne des Friedens und nicht des Unheils, daß ich euch gebe ᾽aharīt und Hoffnung.‘ Mit ᾽aharīt ist das Künftige als ˙ ˙ das Rückwärtige, das hinter mir folgt, bezeichnet. Eine ähnliche Anschauung vertritt ein schmaler Sektor des deutschen Sprachgebrauchs, der ,Vorfahren‘ und ,Nachfahren‘ kennt. Nach dieser Sicht bewegt sich der Mensch durch die Zeiten wie ein Ruderer, der sich rückwärts in die Zukunft bewegt: er erreicht das Ziel, indem er sich orientiert an dem, was einsichtig vor ihm liegt; diese enthüllte Geschichte bezeugt ihm den Herrn der Zukunft.“16
Bezeichnen „vorn“ (qædæm u. a.) und „hinten“ (᾽ahar u. a.) als Raumbegriffe den ˙ „Osten“ und den „Westen“, so haben sie als Zeitbegriffe die Bedeutung „Vergangenheit“ und „Zukunft“. Dass bei qædæm bisweilen die Grenze zwischen Raum und Zeit verschwimmt und ein in bestimmter Hinsicht qualifizierter ,Zeit-Raum‘ gemeint ist, trifft besonders für die Bedeutung „frühere Zeit, Vorzeit“ im Sinn von „(mythischer) Urzeit“ zu. Neben einigen Belegen, die offen lassen, ob mit qædæm in relativer Weise eine „frühere Zeit“ oder in absoluter Weise eine „uralte Zeit, (mythische) Urzeit“ gemeint ist,17 gibt es eindeutige Belege für qædæm in der Bedeutung „(mythische) Urzeit“18, z. B.: S. dazu Jenni, Art. qædæm, 587 ff und Kronholm, aaO 1163 ff. Wolff, Anthropologie, 137 f, vgl. Weippert, aaO 189 f und dazu die – überzogene – Kritik von Jenni, Zeitbestimmungen, 27 ff. Etwas Vergleichbares lässt sich im Blick auf die akkadischen Begriffe für „Vergangenes“ und „Zukünftiges“ feststellen. An ihnen wird deutlich, dass „in der Sichtweise eines Babyloniers die Vergangenheit ihm ,angesichtig‘ daliegt, wohingegen das Kommende, Zukünftige (warkītum) das ist, was er als ,hinter‘ sich liegend betrachtet. (…) Spinnen wir diesen Gedanken weiter fort, bedeutet dies, daß wir ,der Zukunft zugewandt‘ auf der Zeitachse voranschreiten, wohingegen die Mesopotamier sich zwar wie wir auf dieser Achse in Richtung auf die Zukunft fortbewegten, allerdings mit Blick in die Vergangenheit gerichtet. Gewissermaßen schritten sie ,mit dem Rücken nach vorn‘, also rückwärts gehend, in die Zukunft“ (Maul, Hauptstadt, 109 f), vgl. zum Thema bereits Wilcke, Geschichtsbewusstsein, 31 ff, ferner Selz, Geschehen, 509 ff und Renger, Zeit, 17 f. 17 S. dazu Kronholm, aaO 1167 f, vgl. Jenni, Art. qædæm, 588. 18 S. dazu Kronholm, aaO 1168 und Koch, Qädäm, 254 ff.262 ff.273. 15 16
§ 8 Die Ordnung des Raums 337
13* Gesegnet (von) JHWH (ist) sein Land, vom Ertrag an Früchten des Himmels, vom Tau und von der Urflut, die unten lagert. 14 Und vom Ertrag an Früchten, Erzeugnis(se) der Sonne, und vom Ertrag an Früchten, Ertrag des Monats. 15 Und vom Ersten der Berge der Urzeit (qædæm), und vom Ertrag der Hügel von Ewigkeit (῾olām). (Dtn 33,*13–15) 9 Reg dich, reg dich, bekleide dich mit Kraft, Arm JHWHs! Reg dich, wie in den Tagen der Vorzeit (qædæm), den Geschlechtern der Urzeit (῾ôlāmîm). Bist du es nicht, der Rahab 〈zerschlagen〉 hat, Tannin durchbohrt hat? 10 Bist du es nicht, der das Meer ausgetrocknet hat, die Wasser der großen Urflut, die Tiefen des Meeres zu einem Weg gemacht hat, dass die Erlösten hindurch ziehen können? (Jes 51,9 f) 22 JHWH schuf mich als Anfang (rešît) seines Weges, als erstes (qædæm) seiner Werke, damals (me᾽āz), 23 von uraltersher (me῾ôlām) wurde ich gewebt, von Anfang (mero᾽š), von den Vorzeiten der Erde (miqqadmê ᾽āraes) an. (Spr 8, 22 f) ˙
Zurück zum Thema „Himmelsrichtungen“. „Weil Menschen“, so H. Rosa, „leibliche Wesen sind, entwickeln sich ihre Weltbeziehungen stets in einem physischen und sozialen Raum“19. Solche Räume sind durch die Eigenheiten der kulturellen Wahrnehmungsmuster wie beispielsweise die Wahrnehmung der Himmelsrichtungen qualifiziert (in Israel anders als etwa in Ägypten). Sie werden aber auch grundsätzlicher durch das Verhältnis zur Natur und deren positive / anziehende wie negative / abstoßende Qualitäten geprägt, die eine elementaren Einfluss auf die menschliche(n) Weltbeziehung(en) haben. β) Das Verhältnis zur Natur Die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt spiegelt sich nicht nur in der Strukturierung des Raums durch die Himmelsrichtungen, sondern auch in der Tatsache wider, dass die Grenze zwischen Natur und Kultur im alten Israel anders verlief als in modernen Gesellschaften. So belegen die Gestik (bei Begrüßung, Gebet, Trauer u. a.)20 und der Werkzeuggebrauch (beim Ackerbau, Handwerk, Hausbau u. a.), dass der äußere, soziale Raum als „eine Erweiterung des Leibraums … begriffen (wird), der nicht an der Körpergrenze endet“21. Für diese Einbindung des Menschen in Raum und Zeit hat H. Weippert aussagekräftige Beispiele beigeRosa, Resonanz, 635. S. dazu oben 86 ff.282 f.302 f. 21 Fuchs, Leib, 151, s. dazu auch ders., Verkörperung, 99 ff. 19 20
338 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
bracht.22 Besonders signifikant ist der Sachverhalt, dass Teile des menschlichen Körpers auf die äußere Natur übertragen und dieser – wie einer handelnden Person – damit funktionale Bedeutungsaspekte23 zugeschrieben werden, z. B.: – die Erde hat ein „Angesicht“ (pānîm: Gen 2,6; 8,13 u. ö.), aber ebenso das Land (Gen 19,28 u. ö.) oder der Erdkreis (Jes 14,21; 27,6) – die Quellen sind gleichsam die „Augen“ (῾ajin) der Erde (Ex 10,5.15; Num 22,5.11 u. ö.) – fließende Gewässer haben einen „Mund“ (pæh: Jes 19,7), ebenso kann die Erde ihren „Mund“ öffnen, um Lebewesen oder Dinge zu verschlingen (Gen 4,11; Num 16,30.32; Dtn 11,6) – die Ufer von Gewässern sind deren „Hände“ (jād: Ex 2,5 u. ö.) und die Meere sküste / die Flussufer deren „Lippen“ (śāpāh: Gen 22,17; Dtn 2,36; 2 Kön 2,13) – die Gipfel von Bergen oder Hügeln sind „Köpfe“ (ro᾽š: Gen 8,5 u. ö.); ein langgestreckter Berg oder Hügel hat eine „Schulter“ (kātep: Ez 25,9 u. ö.) oder einen „Nacken“ (šekæm: Gen 48,22) – das Meer hat ein „Herz“ (leb: Ez 27,4.25 ff; 28,2 Ps 46,3 u. ö.), aber ebenso der Himmel (Dtn 4,11)
Abb. 66: Anthropomorphe Aspekte der Natur im Alten Testament
Dass sich der Mensch nicht einfach als Gegenüber zur Natur, sondern als Teil der natürlichen Lebenswelt empfand und gleichsam ,in seine Umwelt hinein verlängerte‘24, zeigen schließlich die Begriffe für das althebräische Maßsystem, die von den Gliedmaßen des menschlichen Körpers ausgehen (und deshalb keine exakte Festlegung erlauben): – ᾽ammāh „Elle“ (Gen 6,15 f u. ö.) bezeichnet den Abstand vom Handgelenk bis zum Ellbogengelenk – zæræt „Spanne“ (Jes 40,12 u. ö.) ist die Entfernung zwischen dem kleinen Finger und dem Daumen bei gespreizter Hand – tæpah/topah „Handbreite“ (1 Kön 7,26 u. ö.) entspricht einem Sechstel der gewöhn ˙˙ ˙ ˙lichen Elle – ᾽æsba῾„Finger“ (Jes 52,21 u. ö.) bezieht sich als Maßbegriff auf die Fingerbreite ˙
Abb. 67: Zum althebräischen Maßsystem
Auch für die Bemessung von Wegstrecken (Längenmaße) orientierte man sich am menschlichen Körper und seiner (individuellen) Leistungsfähigkeit (eintägige Wegstrecke: Num 11,31, dreitägige Wegstrecke: Gen 30,36, siebentägige Wegstrecke: Gen 31,23). Ähnliches galt für die Abgrenzung von Grundstücken, Baumgärten oder Feldern (Flächenmaße) bzw. für die Abmessung flüssiger und
S. dazu Weippert, Welterfahrung, 184 ff. Ein spezifisches Problem ist die rechtsförmige Interpretation der natürlichen und kosmischen Phänomene im alten Israel und im Alten Orient, s. dazu Schmid, Orient, 12 ff. 23 S. dazu oben 148 ff. 24 So die Formulierung von Weippert, aaO 191 ff. 22
§ 8 Die Ordnung des Raums 339
trockener Substanzen (Hohlmaße).25 Immer wieder zeigt sich, dass der Mensch im alten Israel „in seiner Umgebung sein eigenes Spiegelbild fand, dass er sich und seine eigene, nach Zeiteinheiten bemessene Leistungskraft mit Längen-, Flächen- und Hohlmaßen gleichsam in seine Umgebung hinein verlängerte“26. Das besondere Verhältnis der Menschen im alten Israel zur Natur / Umwelt zeigt sich auch an ihrer numinosen Wertung. Unter „Numinosität“, so O. Keel und S. Schroer, „wird die geheimnisvolle Ausstrahlung verstanden, die einer mit göttlicher Macht begabten, von übermenschlicher Kraft erfüllten Größe eigen ist. Der numinosen Ausstrahlung entspricht auf menschlicher Seite das Gefühl der pietas, der Abhängigkeit, der dankbaren Liebe und des Respekts, der am schnellen Zupacken hindert, am Bäumefällen, am Abernten der Felder bis zum letzten Korn oder bis zum Rand“27.
Dementsprechend wird in verschiedenen Texten des Alten Testaments der Gedanke formuliert, dass „JHWH im Kosmos und in seinen Geschöpfen präsent ist“28, ohne dass der Israelgott zu einer Naturgottheit oder die Natur vergöttlicht wird. Dieser Vorgang vollzieht sich nicht in objektivierender Redeweise, sondern in Form der Metaphorisierung. Spuren davon haben sich in den folgenden Aspekten erhalten: – Meer und Flüsse (Jes 17,12 f; Jer 51,55; Ps 74,13; 89,10; 114,3; Hi 38,8; Spr 29,11 u. ö.) – Berge, Felsen, Steine (Gen 28,18; Ex 19,12; Dtn 32,18; Jer 2,27; Mi 6,1; Ps 76,5; 121,1 f u. ö.) – Ackerbau und Erdentiefen (Gen 1,11 f; Lev 25,1 ff; Jes 26,19; 34,1; Ps 90,3.5; 139,15; Hi 1,21; 28,5 u. ö.) – Pflanzenwelt (Gen 18,1.8; 30,37 ff; Ex 3,1 ff; Dtn 33,16; Ri 6,11; Hos 14,9 u. ö.)29 – Tierwelt (Ex 19,4; 22,28 f; Lev 11,27; Dtn 7,13; 22,6 f; 32,11; 1 Kön 6,23 ff; 7,25.29; Jes 6,1 ff; Hos 5,14; Hi 38–41; Hhld 2,7; 3,5 u. ö.)30 – Wetter und andere Naturgewalten (Gen 9,12 ff; Ex 13,21; 14,19 f; Jes 26,19; 45,8; Jer 23,19; Ez 1,28; Hos 14,6; Ps 18,10 ff; 29; 65; 104,4; Hi 37,1 ff u. ö.) – Gestirne (Gen 19,23 f; 49,25 f; Dtn 33,14; 1 Kön 8,12 f; 2 Kön 21,3 ff; Ps 19,6; 81,4; 84,12; Hi 38,12 u. ö.)31
Abb. 68: Numinose Aspekte der Natur im Alten Testament
Diese Sensibilität des Alten Testaments für die numinosen Aspekte der Natur ist nicht Ausdruck einer romantisierenden Haltung, sondern des Glaubens an das Wirken des Schöpfergottes im Kosmos und in seinen Geschöpfen: 25 26 27 28 29 30 31
S. dazu Jaroš, Art. Maße, 731 ff und Weippert, aaO 192 ff. Weippert, aaO 195. Keel / Schroer, Schöpfung, 37 f. Zum Fällen von Fruchtbäumen in Kriegszeiten (vgl. Dtn 20,19 f) s. oben 258. Dies., aaO 38. Kritik: Jes 1,29; Ez 20,28 u. ö. Kritik: Ex 32; Num 21,4 ff; Dtn 4,17 f; 1 Kön 12,28; 2 Kön 18,4 u. ö. Kritik: Dtn 4,19; 2 Kön 23,5; Hi 31,26 ff u. ö. Zur Gesamtproblematik s ausführlich dies., aaO 44 ff.
340 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung „Erde und Himmel sind voll von Gott (Jer 23,24), seiner Herrlichkeit (kabod Jes 6,3), seiner Güte (hæsæd Ps 33,5), seinem Geist (SapSal 1,7). Die Numinosität wird jedoch ˙ in den Texten selten explizit auf die verbleibende, eine göttliche Macht JHWH zurückgeführt. Häufiger wird sie ohne ausdrückliche Nennung JHWHs als eine Art Gegebenheit religiöser Erfahrung vorausgesetzt. Die metaphorische Redeweise von agierenden, urteilenden, sprechenden und angesprochenen Teilen des Kosmos, des Himmels, der Erde, der Berge usw. ist in der Numinosität, die ihnen ursprünglich innewohnt, verwurzelt.“32
So „freuen sich“ (śāmeah) der Himmel, die Berge, die Wälder, die Bäume, das ˙ Feld, das Meer und die Tiefen der Erde beim Kommen / Handeln Gottes und brechen in überschwänglichen „Jubel“ aus: Jubelt, ihr Himmel: Ja, gehandelt hat JHWH! Jauchzt, Tiefen der Erde! Brecht aus, Berge, in Jubel, Wald und jeder Baum in ihm: Ja, erlöst hat JHWH Jakob und in Israel verherrlicht er sich. (Jes 44,23) 11 Der Himmel freue sich, und es jauchze die Erde, es brause das Meer und seine Fülle. 12 Es frohlocke das Feld und alles, was in ihm ist; jubeln sollen alle Bäume des Waldes 13 vor dem Angesicht JHWHs, denn er kommt, denn er kommt, die Erde zu richten. Er richtet den Erdkreis in Gerechtigkeit und die Völker in seiner Treue. (Ps 96,11–13)33
Die Beispiele für diese ,Personifizierung der Natur‘ sind überaus zahlreich.34 Sie zeigen, dass die äußere Natur und ihre Erscheinungen eine „Quelle starker Wertungen“35 sind, die den Menschen des alten Israel halfen, sich in der Welt zu orientieren und die eigene Identität coram Deo auszubilden. Im Topos von der Gotterfülltheit der Welt36 erfährt diese Art Welterfahrung eine theologische Ausdeutung, die für das Verhältnis des Alten Testaments zur Natur charakteristisch ist. b) Die Strukturen des sozialen Raums Altes Testament: Frevel, Geschichte Israels, 66 ff.77 ff.87 ff ◆ Fritz, Stadt ◆ Gertz (Hg.), Grundinformation, 93 ff ◆ Janowski, Raum, 12 ff ◆ King / Stager, Life, 21 ff ◆ Knauf, Umwelt,
Dies., aaO 38. Vgl. Ps 98,4–9; Jes 49,13; 55,12, s. dazu Riede, „Himmel“, 126 ff. 34 S. dazu König, Stilistik, 105ff und Bühlmann / Scherer, Stilfiguren, 75. 35 Zu dieser Formulierung s. Rosa, Natur, 128 ff. 36 S. dazu unten 368 ff. 32 33
§ 8 Die Ordnung des Raums 341
28 ff ◆ Lehmann / Niemann, Klanstruktur, 134 ff ◆ Otto, Art. ῾îr, 56 ff ◆ Stager, Archaeology, 1 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 345 ff ◆ Weippert, Palästina, 354 ff.393 ff.425 ff.530 ff. 594 ff ◆ Dies., Welterfahrung, 179 ff ◆ Zwickel, Welt, 21 ff ◆ Zwingenberger, Dorfkultur. – Soziologie, Religions- und Kulturwissenschaft: Gehlen, Art. Raum, 377 ff ◆ Leroi-Gourhan, Hand, 387 ff ◆ Löw, Art. Raum, 46 ff.
Neben den beschriebenen Formen des menschlichen Raum/Zeit-Bezugs (Himmelsrichtungen, Naturverhältnis) gibt es ein zweites Ordnungssystem, das mit der Strukturierung des sozialen Raums durch den Bau von Häusern, Dörfern und Städten zusammenhängt. „Die Organisation des bewohnten Raumes“, schreibt der französische Prähistoriker A. Leroi-Gourhan (1911–1986) in seinem Meisterwerk Hand und Wort, „ist keine Frage bloßer technischer Bequemlichkeit, sie ist im gleichen Sinne wie die Sprache der symbolische Ausdruck eines allgemein menschlichen Verhaltens. In allen bekannten menschlichen Gruppen ist die Wohnstätte Ausdruck einer dreifachen Notwendigkeit; des Erfordernisses, eine technisch effiziente Umgebung zu schaffen, der Notwendigkeit, dem sozialen System einen Rahmen zu geben, und des Erfordernisses, im umgebenden Universum von einem Punkt her eine Ordnung zu schaffen“37.
Beispiele dafür sind die Dorf- und Stadtkultur der Eisenzeit (ca. 1200/1150–587/6 v. Chr.), das Vierraumhaus als der vorherrschende eisenzeitliche Haustyp und das Stadttor als das architektonische Symbol des öffentlichen Raums. Beginnen wir mit einem kurzen Überblick über die in der frühen Eisenzeit (E I: ca. 1200/1150– 1000 v. Chr.) im mittelpalästinischen Bergland aufkommende Dorfkultur. α) Dorfkultur und Stadtkultur Als am Ende der Spätbronzezeit (SB IIB: ca. 1300–1150 v. Chr.) die kanaanäischen Stadtstaaten zusammenbrachen bzw. aufgegeben wurden, setzte im zentralen Bergland Mittelpalästinas (von der Jesreel-Ebene im Norden bis zum Nordende des Toten Meers im Süden), aber auch in einem schmalen Streifen östlich des Jordans und nördlich des Toten Meers ein Umbruchprozess von der Stadtkultur zur Dorfkultur ein.38 Dieser Übergang war weder abrupt noch verlief er homogen. Vielmehr ist mit einer regional unterschiedlichen Entwicklung zu rechnen, die „im Norden anders verlief als im Süden, im Bergland anders als in der Schefela und in Gilead anders als im Jordantal“39. Gleichwohl bildeten sich in seinem Verlauf neue Siedlungsformen mit entsprechenden sozioökonomischen Strukturen heraus, in deren Zentrum die bäuerliche Subsistenzwirtschaft mit Getreideanbau, Viehhaltung (Schafe, Ziegen, Rinder) und Obstanbau (Oliven, Wein) stand.40 Leroi-Gourhan, Hand, 397. S. dazu Weippert, Palästina, 354 ff.393 ff; Fritz, Entstehung, 66 ff.75 ff; Zwingenberger, Dorfkultur, 540 ff; Frevel, Geschichte Israels, 66 ff.77 ff.87 ff u. a. 39 Frevel, aaO 66. 40 Zur Subsistenzwirtschaft s. oben 256 ff. 37
38
342 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Wichtig für die Gesamtentwicklung ist dabei der Sachverhalt, dass die frühe Eisenzeit (E I: ca. 1200/1150–1000 v. Chr.) eine Übergangsperiode zwischen der spätbronzezeitlichen Stadtkultur (SB II B: ca. 1300–1150 v. Chr.) und der durch Reurbanisierung gekennzeichneten Kultur der mittleren Eisenzeit (E II: ca. 1000– 587/86 v. Chr.) darstellt. Deshalb ist mit mehr Kontinuität als Diskontinuität zwischen der Spätbronzezeit und der frühen Eisenzeit zu rechnen. In ökonomischer und sozialer Hinsicht sind sie dagegen grundverschieden: „Während die spätbronzezeitliche Stadtkultur durch Arbeitsteilung und das Erzielen eines ökonomischen Mehrwerts (Handel und Handwerk) gekennzeichnet war, ist die Dorfkultur subsistenzwirtschaftlich und durch den Tauschhandel mit Naturprodukten geprägt. Das bedingt die relativ geringe soziale Stratifizierung, d. h. es gibt nur geringe Statusunterschiede, kaum Elite oder Schichtenbildung.“41
Die Hauptmerkmale der eisenzeitlichen Dorfkultur sind die nicht durch eine schützende Mauer befestigten Dörfer, der Typ des Drei- und Vierraumhauses und eine bestimmte Art von Vorratskrügen. Die Dörfer sind in der Regel klein (oft nicht größer als 1 ha)42 und bestehen aus einer Ansammlung von Häusern, die wie etwa in Hirbet el-Mšāš ringförmig angeordnet sind (s. Abb. 69). Typisch ˘ für die Lebens- und Wirtschaftsweise sind die Gebrauchskeramik, der Terassenfeldbau und die Regenfeldzisternen. Die Vorratskrüge mit Halswulst (collared rim jar) „sind den Bedürfnissen der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft angepasst und gehören in den Kontext einer agrarischen Wirtschaftsweise“43.
Abb. 69: Hirbet el-Mšāš (Stratum II) ˘ Ders., aaO 78. In der Forschung wird, wie Frevel fortsetzt, die früheisenzeitliche Sozialstruktur deshalb häufig als „egalitäre Stammesgesellschaft“ bezeichnet; zur Kritik an diesem sozialromantischen Ideologem s. Knauf, Umwelt, 68 ff und Frevel, aaO 88 f. 42 Zur Lage und Größe der Dörfer s. Stager, Archaeology, 23 f; Weippert, aaO 402 ff und Zwingenberger, aaO 138 ff. 43 Frevel, aaO 82.
41
§ 8 Die Ordnung des Raums 343
Der Übergang von der dezentralen früheisenzeitlichen Dorfkultur zur reurbanisierten Stadtkultur, der seit der Eisenzeit IIA (ab ca. 1000 v.Chr) stattfand, war fließend und brachte eine die traditionellen Familienverbände übergreifende Herrschaftsorganisation mit zunehmender Ausdifferenzierung und Institutionalisierung (Beamte, Händler, Söldner) mit sich. Wenngleich „der früheisenzeitliche Siedlungsprozeß stringent auf die Organisationsform eines staatlich verfassten Israel und seine Manifestation in Städten und ihrer spezifischen Kultur zuläuft“44, ist die Differenz zwischen Dorf- und Stadtkultur unübersehbar. Sie lässt sich an der Organisation der jeweiligen sozialen Räume studieren, für die zum einen das dörfliche Vierraumhaus und zum anderen die städtische Toranlage steht. β) Das Leben im Vierraumhaus Altes Testament, Biblische Archäologie: Bunimovitz / Faust, Identity, 401 ff ◆ Frevel, Ge-
schichte Israels, 77 ff ◆ Gertz (Hg.), Grundinformation, 93 ff ◆ King / Stager, Life, 28 ff ◆ Meyers, Archäologie, 80 ff ◆ Stager, Archaeology, 11 ff ◆ Staubli, Geschlechtertrennung, 166 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 345 ff ◆ Vieweger, Häuser, 44 f ◆ Weippert, Palästina, 393 ff ◆ Dies., Lärm, 171 ff ◆ Zwickel, Welt, 26 ff ◆ Zwingenberger, Dorfkultur, 205 ff.256 ff.
Die früheisenzeitliche Dorfkultur war durch eine „Ausrichtung am Lebensnotwendigen und an den Naturgegebenheiten“45 geprägt. Von Überfluss und Luxus kann dabei keine Rede sein, wohl aber von der Sorge um die Sicherung der Existenz. Im Vordergrund stand demgemäß „ein landwirtschaftliches Lebenswissen, das es ermöglicht, Naturvorgänge wahrzunehmen und adäquat auf sie zu reagieren und so Leben mit beschränkten Mitteln zu gestalten“46. Die Sozialstruktur der Dorfkultur präsentiert sich als eine Abfolge von konzentrischen Kreisen, die von der Familie bzw. Großfamilie über die Dorfgemeinschaft (mit durchschnittlich 20–25 Häusern und 80–120 Personen) bis zur Nachbarschaft mehrerer dörflicher Siedlungen reichen und die ein System gegenseitiger Durchlässigkeit zwischen diesen Sozialformen bilden.47 Im innersten Ring stand das Vierraumhaus, der für die gesamte Eisenzeit (ca. 1200/1150–587/6 v. Chr.) vorherrschende Haustyp (s. Abb. 70).48 Es bestand aus einem hinteren Breitraum und einem gepflasterten oder mit gestampftem Lehmboden versehenen Außenhof, der durch zwei Pfeilerreihen bzw. eine Pfeilerreihe (s. Abb. 71) in 44
45 46 47
48
Zwingenberger, aaO 547. Diese Entwicklung „Israels“ zu einem übergreifenden Sozialverbund und zur Herausbildung eines Flächenstaates mit zentralisierter Herrschaftsstruktur ist im Einzelnen sehr komplex und verlief regional unterschiedlich, s. dazu Lehmann / Niemann, Klanstruktur, 134 ff; Frevel, aaO 88 f u. a. Zwingenberger, aaO 542. Dies., aaO 543. S. dazu Meyers, Archäologie, 82 ff. Zur regionalen Verteilung der Drei- und Vierraumhäuser im zentralen Bergland und auf dem transjordanischen Plateau s. Weippert, aaO 397 ff.
344 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
drei Zonen geteilt war und von dem aus man die jeweiligen Räume (Stallungen, Vorrats- und Geräteräume) betreten konnte.
Abb. 70: Rekonstruktion eines eisenzeitlichen Vierraumhauses
Abb. 71: Grundriss eines Vierraumhauses (Hirbet el-Mšāš) ˘
Einer der langgestreckten Räume sowie ein Teil des Hofs waren überdacht. Manche Häuser waren im hinteren Breitraumbereich zweistöckig und mit einem Flachdach versehen, wobei die Dachfläche als (zusätzlicher) Wohn- und Schlafbereich (vgl. 1 Kön 17,19; 2 Kön 4,10) sowie als Platz zum Trocknen von Ernteerzeugnissen (vgl. Jos 2,6) genutzt wurde:49 49
Zur Größe der einzelnen Hausflächen s. dies., aaO 395 f.
§ 8 Die Ordnung des Raums 345
(8) Eines Tages kam Elisa in Schunem vorüber. Dort (wohnte) eine vornehme Frau, die nötigte ihn zum Essen. Sooft er nun vorbeikam, kehrte er dort zum Essen ein. (9) Sie aber sprach zu ihrem Mann: „Siehe, ich habe erkannt, dass dieser ein heiliger Gottesmann ist, der immer bei uns vorbeikommt, (10) lass uns doch ein kleines Obergemach bauen und es ihm mit Bett, Tisch, Stuhl und Leuchter einrichten, damit er sich dorthin zurückziehen kann, wenn er zu uns kommt.“ (2 Kön 4,8–10) Sie (sc. die Dirne Rahab) hatte sie (sc. die beide Kundschafter) aber auf das Dach hinaufgebracht und unter Flachsstängeln versteckt, die sie auf dem Dach ausgebreitet hatte. (Jos 2,6)
Abb. 72: Männliche Terrakotte aus Marescha (E II B)
Interessant ist der Hinweis von K. van der Toorn, dass das Schlafgemach im hinteren Bereich des Hauses der Ort war, wo die Teraphim-Figurinen von 10–15 cm Größe standen (vgl. Abb. 72). Wie die „Totengeister“ (1 Sam 28,13; Jes 8,19) gehörten diese „Ahnenfigurinen“ (Gen 31,34 f; 1 Sam 19,13.16; 2 Kön 23,24 u. ö.) zu den Medien des häuslich-familiären Totenkults: „Die Wahl dieses Ortes ist natürlich, insofern er eine gewisse Privatsphäre garantiert. Auch im ugaritischen Kirtu-Epos zieht sich der Hauptheld in das Schlafzimmer (hdr) ˙ zurück, wenn er seinem Gott sein Herz ausschütten will. Die relative Abtrennung des Schlafzimmers machte es zu einem privilegierten Platz für rituelle Aktivitäten, und man kann hinzufügen: für die Installation religiöser Bilder. In Jes 57,8 heißt es, dass einige Leute ihr Memorial ,hinter die Tür und den Türpfosten‘ gestellt hatten. Betrachtet man die Wichtigkeit des ,Bettes‘ im Rest dieses Abschnittes, müssen wir an den Eingang zum Schlafzimmer denken. Im Kontext von Jes 57,8 bezieht sich das ,Memorial‘ wahrscheinlich auf ein Memorial für die Toten.“50
50
Van der Toorn, Erbe, 115, s. dazu auch Schmitt, Mantik, 98 ff und oben 88 ff mit Anm. 194. Zum Verhalten des von äußerster Not bedrängten Königs Kirta im ugaritischen Kirta-Epos s. Q 131.
346 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Der Zugang ins Haus erfolgte in der Regel durch eine Türöffnung an der Schmalseite des Vierraumhauses. Von dort gelangte man zunächst in den langgestreckten Hof, der den Mittelpunkt der gesamten Anlage bildete und in dem sich das alltägliche Leben abspielte. Das Zusammenleben auf einem so engen Raum wirft eine Reihe von Fragen auf wie die nach den konkreten Arbeitsabläufen, nach einer eventuellen Geschlechtertrennung51 oder auch nach dem Geräuschpegel, der von den Stimmen und Arbeitsgeräten produziert wurde. H. Weippert hat zu Recht davor gewarnt, sich allzu idyllische Vorstellungen davon zu machen: „Das Leben war laut, die Stille nicht mehr als reduzierter Lärm.“52 Der Grund dafür liegt vor allem an den beengten Wohnverhältnissen. Freistehende und luxuriös ausgestattete Gebäude blieben den Begüterten und den Palastbewohnern in den Städten vorbehalten, die im Unterschied zu den Dörfern auch über z. T. aufwendig gestaltete Toranlagen verfügten. Exkurs 15: Das Tor als öffentlicher Raum Altes Testament, Biblische Archäologie: Crüsemann, Gericht, 69 ff ◆ Fritz, Stadt, 113 ff ◆
King / Stager, Life, 234 ff ◆ Metzger, Tür, 1 ff ◆ Otto, Art. ša῾ar, 358 ff ◆ Ders., Funktionen, 188 ff ◆ Weippert, Palästina, 440 f.551 ff.608 ff ◆ Dies., Welterfahrung, 181 ff. Das eisenzeitliche Vierraumhaus war „das Zentrum des ökonomischen Lebens, in dem Frauen- und Männerarbeit zusammen für Nahrung, Obdach, Kleidung und einfache Werkzeuge sorgten, die eine Familie am Leben hielten“53. Neben diesem familiären gab es den öffentlichen Raum, der mit der in der Eisen IIA‑Zeit (ab 1000 v. Chr.) einsetzenden Reurbanisierung erstaunlich schnell Gestalt gewann.
Schnittstelle zwischen Außen- und Innenwelt Die Stadtanlagen der E IIA‑Zeit waren zwar klein,54 in der Regel aber gleichförmig strukturiert durch Stadtmauern, Tore, Paläste und Wohnhäuser. Eines der hervorstechenden baulichen Merkmale war das Zwei-/Vier- oder Sechskammer-Tor (s. Abb. 73). Es bildete die Schnittstelle zwischen Außenwelt (umgebendes Kulturland, Steppe, Wüste) und Innenwelt (Weiler, Stadt) und musste als schwächster Punkt im Gefüge der Stadtmauern mit besonderen baulichen Maßnahmen (Verstärkung der Mauern, vorkragende Türme) geschützt werden. Die Toranlagen, die in Hazor, Geser, Megiddo und Adod eine Länge von ca. 20m und eine Breite von 16–18m hatten, waren stadteinwärts gerichtet, was ihren zivilen Funktionen entsprach. Zu der von Bunimovitz / Faust, Building Identity, 401 ff vertretenen These einer räumlich organisierten und im Falle der Menstruationsphase einer Frau akuten Geschlechtertrennung s. die Kritik von Meyers, aaO 81 f; Maier, Körper, 195 und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 349. 52 Weippert, Lärm 171, s. auch die plastische Schilderung dies., aaO 171 ff. Zum Verhältnis von Lärm und Stille in Mesopotamien s. Cassin, Splendeur divine, 36 ff.46 ff und umfassend Rendu-Loisel, Chants, 19 ff (Überblick). 53 Meyers, aaO 101, s. dazu auch Kessler, Familie, 187 f. 54 S. dazu Weippert, Palästina, 426 ff. 51
§ 8 Die Ordnung des Raums 347
Abb. 73: Toranlage in Megiddo (10./9. Jh. v. Chr.) Das mit zwei Türflügeln versehene Tor wurde morgens geöffnet und bei Einbruch der Dunkelheit wieder verschlossen (vgl. Jos 2,5; 2 Sam 15,2). Es ist zwar nicht bekannt, wann genau die Stadttore geöffnet wurden (möglicherweise bei Sonnenaufgang), deutlich ist aber, dass das Arbeitsleben „parallel zum aufscheinenden Sonnenlicht wieder über Lagerstätten, Haus- und Stadtmauern hinaus ausgriff “55 und die Welt damit ,begehbar‘ machte. Diese ,Begehbarkeit der Welt‘56 beschreibt auf eindrückliche Weise Ps 104,19–23, wo sich mit dem morgendlichen Aufgang der Sonne, deren Licht die Welt erschließt, die wilden Tiere in ihre Verstecke zurückziehen (V. 22) und der Mensch „heraustritt“ zu seinem Tun bis zum Abend (V. 23): 19 Er (sc. JHWH) hat gemacht (den) Mond für die (festgesetzten) Zeiten, die Sonne hat kennengelernt ihren Untergang. 20 Du bestimmst Finsternis, und es wird Nacht, in ihr wimmeln alle Tiere des Waldes. 21 Die Junglöwen brüllen nach Beute, um von Gott ihre Nahrung zu fordern. 22 Geht die Sonne auf, ziehen sie sich zurück, und zu ihren Verstecken lagern sie sich. 23 Da geht hinaus der Mensch zu seinem Tun und zu seiner Arbeit bis zum Abend.57 Zu den Tagesgeschäften gehörten neben den bäuerlichen Tätigkeiten im Haus, auf den Feldern und in den Baum- und Weingärten auch die Aktivitäten, die ihren Ort im / am Tor Dies., Welterfahrung, 182. Zu diesem für die ägyptischen Sonnenhymnen charakteristischen Topos s. Assmann, Re, 108 ff und Q 67. 57 Dieser Text schildert den zeitlichen Ablauf eines einzigen Tages, s. dazu unten 390 f. 55
56
348 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung hatten. In Kriegszeiten waren dies militärisch-defensive Maßnahmen und in Friedenszeiten zivile Aufgaben. In der Regel waren die Tore mit einem geräumigen Platz (rehôb) ver˙ bunden (vgl. Neh 8,1–3; 2 Chr 32,6 u. ö.), der einer größeren Anzahl von Personen Raum bot und der als öffentliche Versammlungs- und Verwaltungsstätte diente.
Zivile Funktionen des Stadttors Die zivilen Funktionen der eisenzeitlichen Tore waren vielfältig. Zum einen fungierten sie zusammen mit dem zur Stadt hin angelegten Platz als Versammlungsort der rechtsfähigen Bürger,58 die dort zusammenkamen, um Proklamationen entgegenzunehmen (vgl. Jer 17,19 f; Spr 1,21; 8,3 u. ö.), um über öffentliche Angelegenheiten zu beraten (vgl. Jes 29,21; Ps 69,13; Spr 24,7; 2 Chr 32,6 u. ö.)59 oder auch, um Ränke zu schmieden (vgl. Ps 69,13 u. ö.): 19 So hat JHWH zu mir (sc. Jeremia) gesprochen: „Geh und stell dich in das Tor der Angehörigen des Volkes, durch das die Könige Judas ein- und ausgehen, und in alle Tore Jerusalems, 20 und sage zu ihnen: ,Hört das Wort JHWHs, ihr Könige Judas und ganz Juda und alle Bewohner Jerusalems die ihr durch diese Tore kommt!‘“ (Jer 17,19 f) 11 Als ich 〈beugte〉 beim Fasten meine Lebenskraft, geschahen Schmähungen gegen mich. 12 Als ich zu meinem Gewand den Bußsack machte, wurde ich ihnen zum Spottwort. 13 Es reden über mich die, die am Stadttor sitzen, und Spottlieder (singen) die, die Rauschtrank trinken. (Ps 69,11–13) Zum anderen war das Tor ein Handelsplatz, an dem die aus- und eingehenden Waren kontrolliert und verzollt wurden.60 So informiert 2 Kön 7,1 über die Kosten von Feinmehl und Gerste, die am Tor von Samaria verkauft wurden, und berichtet Neh 13,15–22, dass am Sabbat (!)61 landwirtschaftliche Produkte wie Wein, Trauben, Feigen sowie Fische und allerlei Waren durch die Stadttore nach Jerusalem gebracht und dort zum Verkauf angeboten wurden: Morgen um diese Zeit kostet am Tor von Samaria 1 Sea Feinmehl 1 Schekel und 2 Sea Gerste 1 Schekel. (2 Kön 7,1) (15) In jenen Tagen sah ich (sc. Nehemia) in Juda Leute am Sabbat die Kelter treten und Getreidesäcke hereinbringen und auf die Esel laden, und auch Wein, Trauben und Feigen und allerlei (sonstige) Traglasten, und (das alles) nach Jerusalem bringen am Sabbat. Da verwarnte ich 〈sie〉 〈wegen des Verkaufs von Lebensmitteln〉. (16) Und (auch) die Tyrer, die dort wohnten, brachten Fische und allerlei Waren und verkauften sie am Sabbat den Judäern und in Jerusalem. (17) Da rügte ich die Adligen Judas und 58
Zu den genderspezifischen Aspekten (die Frauen trafen sich am Brunnen, die Männer am / im Tor) s. Fischer, Rut (HThK.AT), 231 f. 59 S. dazu Otto, Funktionen, 191 ff. 60 S. dazu ders., aaO 193 ff. 61 S. dazu oben 252 ff.
§ 8 Die Ordnung des Raums 349
sprach zu ihnen: „Was ist das für eine böse Sache, die ihr da tut, indem ihr den Sabbat entweiht?“ (Neh 13,15–17) Überdies war das Tor der Ort der lokalen Gerichtsbarkeit. Diese Funktion ist textlich gut bezeugt (vgl. Dtn 21,19 f; 22,15–17; 25,7–9; Jes 29,21; Jer 1,15; Am 5,10. 12. 15; Spr 22,22 u. ö.)62 und wird in Ruth 4,1–12 anschaulich geschildert.63 Die Szene spielt am Tor von Bethlehem und nennt als beteiligte Personen Boas, den anonymen Löser, die Ältesten der Stadt und das „ganze Volk“: (1) Boas aber stieg zum Tor hinauf und blieb dort. Und siehe: Der Löser (go᾽el) ging vorüber, von dem Boas gesprochen hatte. Und er sagte „Bieg ab, bleib hier, Soundso!“ Und er bog ab und blieb. (2) Und er nahm zehn Männer von den Ältesten der Stadt und sagte: „Bleibt hier!“ Und sie blieben. (3) Und er sagte zu dem Löser: „Den Anteil des Feldes, der unserem Bruder Elimelech gehörte, will Naomi, die Rückkehrerin aus dem Feld Moabs, verkaufen. (4) Ich sagte mir darum: Ich will folgendes vor deinem Ohr aufdecken: Erwirb es in Gegenwart der Hiergebliebenen und in Gegenwart der Ältesten meines Volkes! Wenn du lösen (gā᾽al)64 willst, dann löse. Wenn du aber nicht lösen willst, dann künde es mir, damit ich es erkenne. Denn es gibt keinen außer dir zum Lösen; ich aber komme nach dir“. Da sagte er: „Ich, ich löse es!“ (5) Da sagte Boas: „An dem Tag, an dem du das Feld aus der Hand Naomis erwirbst, erwirbst du auch Ruth, die Moabiterin, die Frau des Toten, um den Namen des Toten auf seinem Erbbesitz erstehen zu lassen.“ (Ruth 4,1–5) In diesem Augenblick tritt der anonyme Löser, der das Vorkaufsrecht für das Feld der Naomi hatte (vgl. Ruth 3,12 f), aber davon zurück, weil er das damit verbundene Levirat mit Ruth nicht eingehen will. Der Text sagt nicht, warum. Er verbindet aber den Verzicht des anonymen Lösers mit dem Brauch des Schuhausziehens: (6) Da sagte der Löser: „Ich kann nicht für mich lösen, damit ich nicht meinen Erbbesitz (nahalāh) schädige. Löse du für dich meine Lösung, denn ich kann nicht lösen!“ ˙ (7) Und dies war früher Brauch in Israel bei einer Lösung und beim Tauschgeschäft: Um jegliche Angelegenheit zu ratifizieren,65 zog ein Mann seine Sandale aus und gab sie seinem Nächsten. Und dies war die Bestätigung in Israel. (8) Da sagte der Löser zu Boas: „Erwirb für dich!“ Und er zog seine Sandale aus. (Ruth 4,6–8)66 Damit ist der Rechtsfall entschieden: (9) Da sagte Boas zu den Ältesten und zum ganzen Volk: „Zeugen seid ihr heute, dass ich alles erwerbe, was Elimelech gehörte, und alles, was Kiljon und Machlon gehörte, aus der Hand Naomis! (10) Und auch Ruth, die Moabiterin, die Frau Machlons, er-
S. dazu Otto, aaO 195 f, ferner Fischer, aaO 232 ff. Zum Erzählzusammenhang s. oben 199 ff. 64 Zum Leitwort gā῾al „lösen“ s. Beyer, Hoffnung, 120 ff u. a. 65 qjm pi. „für gültig erklären, ratifizieren“, vgl. Otto, Altersversorgung, 109 Anm. 150. 66 Die Sandale (na῾al, s. Abb. 74) ist hier ebenso wie in Dtn 25,9 f und Ps 60,10 par. Ps 108,10 ein Persönlichkeitszeichen: sie vertritt rechtssymbolisch die Person, der sie gehört, und setzt den mit ihr vollzogenen Rechtsakt performativ in Kraft, s. dazu Janowski, Persönlichkeitszeichen, 332 ff. 62 63
350 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung werbe ich für mich zur Frau, um den Namen des Toten erstehen zu lassen auf seinem Erbbesitz, damit der Name des Toten nicht ausgetilgt werde unter seinen Brüdern und aus dem Tor seines Ortes. Zeugen seid ihr heute!“ (11) Da sagte das ganze Volk, das im Tor war, samt den Ältesten: „Zeugen (sind wir)! Es gebe JHWH, dass die Frau, die in dein Haus kommt, wie Rahel und Lea werde, die zwei, die das Haus Israel auferbaut haben! Sei fähig in Ephrata und rufe deinen Namen aus in Bethlehem! (12) Es sei dein Haus wie das Haus des Perez, den Tamar dem Juda gebar, vom Samen, den JHWH dir von dieser jungen Frau geben wird!“ (Ruth 4,9–12)
Abb. 74: Sandalen (Hebron, 1925)
Der Kult am Stadttor Und schließlich: Wie stand es mit dem Kult am Tor? Gibt es dafür archäologische und textliche Belege? In Frage kommen neben den eisenzeitlichen Kultanlagen am Tor in Dan (E IIB/C)67 vor allem die Kulteinrichtungen am Tor der eisenzeitlichen Stadt Betsaida (E IIB, s. Abb. 75) unweit des Nordendes des Sees Genezareth. Allerdings gehörte Bethsaida in der Eisenzeit nicht zu Palästina / Israel, sondern zum aramäischen Königtum von Geschur (2 Sam 15,8) bzw. Damaskus, was auch die Ikonographie der Stele belegt, die einen als Wettergott interpretierten Mondgott oder einen lunarisierten Wettergott darstellt.68 Der hier ausgeübte Kult dürfte von Einzelpersonen, von Familien oder auch, vermittelt durch Priester oder Herrscher, von einem Kollektiv vollzogen worden sein. Literarisch ist die Existenz von Kulten am Stadttor in 2 Kön 23,8 und Ez 8,3–5 belegt,69 die für Jerusalem von einem Kult zwischen einem Vortor und einem Haupttor (wie in Dan) berichten – allerdings mit kultpolemischer Spitze. So heißt es im Reformbericht 2 Kön 23,8: Und er (sc. Josia) ließ alle Priester aus den Städten Judas kommen und machte die bāmôt unrein, auf denen die Priester geräuchert hatten, und er riss die bāmôt der Tore nieder, die (sich) am Eingang des Tores des Josua (befanden), des Stadtkommandanten, auf der linken Seite im Stadttor.
S. dazu Bernett / Keel, Mond, 47 ff. Zu weiteren möglichen Kultstätten s. dies., aaO 53 ff. S. dazu dies., aaO 87 ff und Pietsch, Kultreform, 348 ff. 69 S. dazu Bernett / Keel, aaO 74 ff. 67 68
§ 8 Die Ordnung des Raums 351
Abb. 75: Kult am Tor von Betsaida (9./8. Jh. v. Chr.) Gemeint ist hier die Zerstörung der „Kultanlangen, die sich im Eingangsbereich von Stadttoren befanden, wie sie archäologisch etwa in Dan (Tell el-Qādi) oder Betsaida (et˙ Tell) nachweisbar sind“70. Noch im Spiegel dieser Zerstörung scheint die zentrale Bedeutung auf, die den Stadttoren über Jahrhunderte im Vorderen Orient zukam. 𓇼
2. Der symbolische Raum Altes Testament: Ballhorn, Israel ◆ Beyerle, Raum, 56 ff ◆ Bieberstein, Erinnerungslandschaften, 3 ff ◆ Ebach, Art. Raum, 455 ff ◆ Fischer, Raum, 59 ff ◆ Geiger, Gottesräume ◆ Janowski, Raum, 12 ff ◆ Ders., „Himmel“ – Antike Religionen: Assmann, Ägypten, 67 ff ◆ Cassin, Splendeur divine, 27 ff ◆ Gehrke, Raumwahrnehmung, 17 ff ◆ Junge, „Land“, 3 ff ◆ Rathmann (Hg.), Wahrnehmung ◆ Wiggermann, Mythologie, 109 ff. – Philosophie, Religions- und Kulturwissenschaft: Cassirer, Versuch, 47 ff ◆ Habermas, Formgebung, 9 ff ◆ Langer, Philosophie, 34 ff.
Neben seiner architektonischen Funktion als Schnittstelle zwischen Außen- und Innenwelt besaß das Stadttor eine eminent symbolische Bedeutung. Denn es markierte die Grenze zwischen dem ungeschützten und darum oft unsicheren Gelände außerhalb der Stadt (Steppe, Wüste) und dem geschützten Binnenraum der Stadt. Beide Bereiche waren Teil der symbolischen Landschaft, die die diesseitige (Kosmos, Licht, Welt der Lebenden) und die jenseitige Welt (Chaos, Finsternis, Tod) umfasste.71 Für das Erleben und Handeln war dieser Gegensatz von grundlegender Bedeutung.
70 71
Pietsch, aaO 31 Anm. 44. Zum Text von 2 Sam 23,8 s. ders., aaO 30 f. S. dazu unten 363.
352 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
a) Wahrgenommener und erzählter Raum Zum Verständnis der symbolischen Raumerfahrung greife ich auf den Ansatz E. Cassirers (1874–1945) zurück, der den Menschen als homo symbolicus, also als ein Wesen definiert hat, das eine eigentümliche Fähigkeit zur symbolischen Gestaltung seiner Lebenswelt besitzt: „Er (sc. der Mensch) lebt nicht mehr in einem bloß physikalischen, sondern in einem symbolischen Universum. Sprache, Mythos, Kunst und Religion sind Bestandteile dieses Universums. Sie sind die vielgestaltigen Fäden, aus denen das Symbolnetz, das Gespinst menschlicher Erfahrung gewebt ist. Aller Fortschritt im Denken und in der Erfahrung verfeinert und festigt dieses Netz. Der Mensch kann der Wirklichkeit nicht mehr unmittelbar gegenübertreten; er kann sie nicht mehr als direktes Gegenüber betrachten. Die physische Realität scheint in dem Maße zurückzutreten, wie die Symboltätigkeit des Menschen an Raum gewinnt. Statt mit den Dingen hat es der Mensch nun gleichsam ständig mit sich selbst zu tun. So sehr hat er sich mit sprachlichen Formen, künstlerischen Bildern, mythischen Symbolen oder religiösen Riten umgeben, dass er nichts sehen oder erkennen kann, ohne dass sich dieses artifizielle Medium zwischen ihn und die Wirklichkeit schöbe.“72
Symbolisierungsakte, so schreibt J. Habermas die These von Cassirer fort, „zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass sie artspezifisch festgelegte Umwelten aufsprengen, indem sie fluktuierende Sinneseindrücke in semantischen Sinn transformieren und derart fixieren, dass der menschliche Geist die Eindrücke im Gedächtnis reproduzieren und bewahren kann. Damit erschließen sich ihm auch die zeitlichen Dimensionen von Vergangenheit und Zukunft“73.
Mit der symbolischen Formgebung der empirischen Wirklichkeit wird eine Ebene erreicht, die man als „exemplarische Verallgemeinerung und totalisierende Einordnung des fixierten Eindrucks in ein gegliedertes Ganzes“74 bezeichnen kann. Im Folgenden soll an zwei Beispielen gezeigt werden, welche Bedeutung diese Symbolisierungstätigkeit für die alttestamentliche Anthropologie und Theologie hat. α) Erinnerungslandschaften In seiner Studie Israel am Jordan hat E. Ballhorn ausführlich dargelegt, dass das Josuabuch als eine Art „,Landkarte‘ der Identität Israels“75 zu verstehen ist. Natürlich beziehen sich seine Erzählungen auf die geomorphologischen und sied-
Cassirer, Versuch, 50. Zu Cassirers Ansatz s. Habermas, Formgebung, 9 ff. Habermas, aaO 19. 74 Ders., aaO 20 f. 75 S. dazu Ballhorn, Israel, 493 ff und zu diesem Ansatz Beyerle, Raum, 58.61 f. 72 73
§ 8 Die Ordnung des Raums 353
lungsgeographischen Gegebenheiten Palästinas / Israels.76 Darüber hinaus ist das Josuabuch aber „nicht allein ein Referenzspeicher für außerhalb liegende historische Kultur- und Landschaftsphänomene des Alten Orients, sondern von seinem Gesamtduktus her ebenso eine literarische Gesamtheit für sich, eine durchlaufende Erzählung. Im Verlaufe dieser Erzählung wird nicht allein Topographie beschrieben, sondern vielmehr durch Erzählung Raum verfertigt. Das Buch konstituiert einen Erzähl-Raum, in der Doppeldeutigkeit des Begriffs. Durch den Ablauf des Erzählens wird ein Textraum errichtet, zugleich aber auch ein fiktiver Raum, in dem sich vor den Augen der Leserinnen und Leser das Geschehen abspielt.“77
Statt von einem „fiktiven Raum“ könnte man auch von einem symbolischen Raum sprechen. Das Land Israel ist nicht nur der geographische Ort des Einzugsgeschehens, sondern auch das intendierte Ziel der Erzählung(en) und „die Topographie des Buches Josua … daher das Ausdrucksmedium seiner Theologie“78. Die Tatsache, dass der in Jos 1–24 erzählte Raum des verheißenen Landes als Erinnerungslandschaft, d. h. als eine Landschaft gestaltet ist, die mit ihren Ortsnamen, Grenzpunkten und Handlungsorten nicht einfach als Naturraum, sondern als „idealer Raum der Tora“79 entworfen wird, bedeutet, „dass die normative Gründungszeit nicht allein Bestandteil einer ruhmreichen, aber für immer versunkenen Vergangenheit ist, sondern im Modus der Geschichtsschreibung und der Raumgestaltung ihre fortwährende Gegenwartsbedeutung entfalten kann“80. Mutatis mutandis gilt dies auch für die drei Erinnerungslandschaften Jerusalems: den Tempelberg im Zentrum, das Hinnomtal an der westlichen Peripherie sowie das Kidrontal und den Ölberg an der östlichen Peripherie.81 Sie bieten eine elementare Orientierung und stiften „auch noch nach Verlassen des Ortes im kollektiven Gedächtnis Erinnerung“82. Das Phänomen der symbolischen Landschaft ist kein Proprium des Alten Testaments, sondern findet sich auch in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland und Rom.83 Das klassische Beispiel ist die „erzählte Räumlichkeit“84 in Homers Odyssee. Die Irrfahrt des Odysseus, die immer wieder konkrete geographische Gegebenheiten – wie die Stadt der Phaiaken (Od. VI, 262 ff) oder die Insel beim Land der Kyklopen (Od. XI, 132 ff) – ein76 77 78
79 80 81 82
83 84
S. dazu oben 22 ff und Ballhorn, aaO 15 ff. Ders., aaO 137 (H. i. O.). Ders., aaO 140 (H. i. O.). Ebenso wie die historische Rückfrage nach dem Beitrag des JosBuchs zur Geschichte Israels behält die Frage nach seiner Entstehungs- und Redaktionsgeschichte aber ihr volles Recht, s. dazu ders., aaO 137 ff. S. dazu ders., aaO 149 ff.473 ff. Ders., aaO 141. S. dazu Bieberstein, Erinnerungslandschaften, 9 ff. Ders., aaO 39. Für Mesopotamien s. Wiggermann, Mythologie, 109 ff und Q 107, für Ägypten s. Assmann, Ägypten, 25 ff. Hölscher, Odyssee, 139.
354 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung schließt, ist „eine Fahrt durch eine mythisch-märchenhafte Welt, die mit dem Vertriebenwerden am Kap Malea beginnt und in dem ,Verlorensein an den Grenzen der Welt‘ kulminiert“85. Die Angaben zur Reise des Odysseus sind „präzise, so wie sie auch wirkliche Seefahrer gemacht hätten, mit Beschreibungen der Himmels- und Windrichtungen, der Strömungen und Tagesreisen“86. Zugleich aber sind sie mehr, nämlich Ausdruck eines Weltbilds, das „einen erfahrenen Raum umschließt und zu ihm ins erzählerische Verhältnis der ,Handlung‘ tritt“87.
β) Erzählräume des Pentateuch Dass das verheißene Land als Erinnerungslandschaft (Mnemotop), gestaltet ist, lässt sich auch am Pentateuch zeigen. Auch hier ist der erzählte Raum mit seinen Wanderbewegungen, Ortsnamen und Grenzmarkierungen die ,Bühne‘, auf der die Protagonisten Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob und Leah / Rahel, Joseph und seine Brüder, Mose und Pharao, Mirjam und Aaron handeln. Wenn man den Pentateuch nicht, wie es üblicherweise geschieht, in entstehungsund redaktionsgeschichtlicher Hinsicht analysiert, sondern im Blick auf seine Erzählperspektive betrachtet (s. Abb. 76), lässt er sich „als der spannungsreiche Weg Israels in das Land der den Erzeltern gegebenen Verheißung lesen, der mit Abrahams Herausrufung aus der Völkerwelt beginnt und mit einem ,offenen Schluss‘ an der Grenze zum Gelobten Land endet – aber mit dem Auftrag, in das Land zu ziehen. Diesen leidens- und konfliktreichen Weg erzählt der Pentateuch als dramatische Biographie Israels“88. Gen
Ex
Lev
Num
Dtn
Weltschöpfung Von Ägypten Aufenthalt Vom Sinai Weisungen für und Verheißung durch die Wüste am Sinai durch die Wüste das Leben im des Landes zum Sinai nach Moab Land der Verheißung Gen 12,7
Dtn 34,4
Abb. 76: Von der Weltschöpfung bis zum Tod des Mose
Im Zentrum des Pentateuchs mit seinen beiden Landverheißungstexten in Gen 12,7 und Dtn 34,4 als motivlicher Klammer steht das Buch Levitikus und in dessen Zentrum das Ritual des Großen Versöhnungstags (Lev 16), das die Botschaft vom Versöhnung stiftenden Israelgott propagiert.89 Jedes der fünf Bücher Gehrke, Raumwahrnehmung, 19. Ders., aaO 20 f. 87 Hölscher, aaO 158. 88 Zenger u. a., Einleitung, 79 (H. i. O.) (Zenger / Frevel). Zum Pentateuch und seiner Erzählperspektive s. noch Gertz (Hg.), Grundinformation, 193 ff u. a. 89 S. dazu unten 412 ff. 85 86
§ 8 Die Ordnung des Raums 355
hat seinen eigenen Plot und sein spezifisches theologisches Profil.90 Im Unterschied zum Josuabuch, in dem keine neue Tora offenbart wird, sondern das als „narrative Übersetzung der Tora in die Gegebenheiten des Verheißungslandes“91 gelesen werden kann, zeichnet sich der Pentateuch durch ein Neben- und Ineinander von narrativen und präskriptiven Texten aus, die einen komplexen und vielgestaltigen Erzählraum konstituieren. Das lässt sich exemplarisch an der Exoduserzählung Ex 1–15 ablesen. Bei ihrer Interpretation geht es nicht nur um die Frage nach der Historizität der einen, grundlegenden Begebenheit, sondern auch um „die Historizität der Erfahrungen, die in dieser einen Begebenheit ver-dichtet werden“92. Die Erinnerung an sie wird mannigfach lebendig gehalten (vgl. Ex 20,2; Lev 16,36; Dtn 26,1–11; Jer 2,6; Ps 114; Dan 9,5 u. ö.) und tritt in der Überwindung des Chaosdrachens Rahab durch den Schöpfergott auch in mythischer Gestalt auf (Jes 30,7; Ps 51,9 f; 87,4 u. ö.). Wenn man Ex 1–15 in sechs Erzählphasen gliedert,93 so spielt die erste Phase (Ex 1,8–2,22), die die Epoche des Pharaos der Unterdrückung umfasst, in Ägypten. An ihrem Ende flieht der junge Mose nach Midian (Ex 2,15–22), wo er Zippora, die Tochter des midianitischen Priesters Reguel, heiratet und wo die zweite Erzählphase (Ex 2,23–6,1) angesiedelt ist. Hier ereignet sich, zentriert um den Gottesberg und den Dornbusch (Ex 3,1–6), die Begegnung Moses mit JHWH, der ihn zurück nach Ägypten schickt und ihm seinen Bruder Aaron als Helfer zur Seite stellt. Allerdings kommt es in der dritten Erzählphase (Ex 6,2–7,13) zu krisenhaften Situationen, weil sich die Israeliten der Befreiungsbotschaft verschließen und Mose den Auftrag JHWHs zurückgeben will. Erst die vierte Erzählphase (Ex 7,14–11,10) bringt mit den zehn Plagen, durch die Mose und Aaron als die Repräsentanten JHWHs den Pharao und seine Magier niederringen, die Peripetie. Das gelingt aber erst in der letzten Plage, der Ankündigung der Tötung der ägyptischen Erstgeburt (Ex 11,1–10). Insgesamt schildert die Plagenerzählung zwar katastrophale Naturereignisse, ist aber „über weite Strecken als ein redundanter, gleichsam prall gefüllter Bilderbogen gestaltet. Zu diesem Bilderbogen gehören das Groteske, das Bizarre und der Horror dazu“94. Die fünfte Erzählphase (Ex 12,1–13,16) bringt dann mit der Ankündigung und Feier von PassaMassot die Erfüllung der Rettungsverheißung – nämlich die Herausführung aus Ägypten –, die mit ihrem Topos „Nacht des Wachens“ (Ex 12,42, vgl. 12,8) für alle Zeit und von allen Generationen kultisch erinnert und vergegenwärtigt wird. Den Abschluss bildet die sechste Erzählphase (Ex 13,17–15,21), zum einen mit der Meerwundererzählung (Ex 14,1– 31), die den Schauplatz des Geschehens in eine Region außerhalb Ägyptens an die Grenze zur Ostwüste / zum Schilfmeer (Ex 13,17 f) bzw. zum Meer (Ex 14,2) verlegt,95 und zum an90 91 92 93 94
95
S. dazu nur Zenger u. a., aaO 71 ff. Zum Raum-Konzept des Gen-Buchs s. Leibold, Raum, 39 ff. Ballhorn, Israel, 495. Utzschneider, Atem, 124, s. dazu auch Assmann, Exodus, 29 ff.123 ff. S. dazu Utzschneider / Oswald, Exodus I (IEKAT), 30 ff (Utzschneider). Dies., aaO 193 (Utzschneider). Zur Raum- und Zeitsymbolik der Meerwundererzählung (Wasser / Trockenes, Tag / Nacht) s. dies., aaO 295 ff (Utzschneider). Zu den mit dem Exodus verbundenen historisch-geographischen Fragen s. Donner, Geschichte, 97 ff und Frevel, Geschichte Israels, 58 ff.
356 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung deren mit dem Moselied (Ex 15,1–18) und der abschließenden Mirjamszene (Ex 15,19–21) samt dem Mirjamlied (Ex 15,21b).
Durch die Szenen und Episoden von Ex 1–15 werden die einzelnen Vorgänge, Handlungen und Ortswechsel zu einem dichten Netz verknüpft, an dem sich die kollektive Erinnerung festmachen und Israel sich seine Befreiungsgeschichte vergegenwärtigen kann – im Kult (Dtn 16,1 ff), in der generationenübergreifenden Erzählung (Dtn 26,1 ff), in der Volksklage (Ps 78,10 ff u. ö.) und im individuellen Gotteslob (Ps 22,4 ff). Ein anderes Raumkonzept liegt dem Deuteronomium zugrunde.96 Dessen einzige Handlung besteht aus Reden, die Mose am Tag seines Todes „jenseits des Jordans“ an Israel richtet. Diese Redesituation wird in der Buchüberschrift Dtn 1,1–5 folgendermaßen beschrieben: (1) Dies sind die Worte, die Mose zu ganz Israel gesprochen hat jenseits des Jordans, in der Wüste, in der Araba, gegenüber von Suf, zwischen Paran und Tofel, sowie Laban und Hazerot und Di-Sahab. (2) Elf Tage sind es vom Horeb auf dem Weg zum Gebirge Seir bis nach Kadesch-Barnea. (3) Und es war im vierzigsten Jahr, im elften Monat, am ersten Tag des Monats, da sagte Mose den Israeliten genau das, was ihm JHWH für sie aufgetragen hatte, (4) nachdem er Sihon, den König der Amoriter, der in Heschbon residierte, geschlagen hatte, und Og, den König von Baschan, der in Aschtaraot residierte bei Edrei. (5) Jenseits des Jordans im Land Moab begann Mose, diese Tora auszulegen mit den Worten …97
In den Orts- und Zeitangaben dieses Textes, der als Überschrift über die erste Moserede Dtn 1,1–4,43 fungiert, geht es um eine theologische Topographie, die das Deuteronomium an der Schwelle zum Land ,verorten‘ will und die dabei die Wüstensituation der Exilsgeneration, d. h. die Entstehungszeit des Deuteronomiums hervorhebt. Viele der hier vorkommenden Orte und Personen enthalten Hinweise, die im weiteren Verlauf aufgegriffen und ausgestaltet werden wie Kadesch-Barnea (Dtn 1,19–46), Seir (Dtn 2,1–7), Sihon (Dtn 2,24–37), Og von Basan (Dtn 3,1–11) und andere.98 Besonders markant ist die Angabe „jenseits des Jordans“ (V. 1.5), die insgesamt 10mal begegnet und die Grenze benennt, um die es im Deuteronomium geht, nämlich die Grenze zwischen Drinnen und Draußen, d. h. zwischen dem Innen- und dem Außenbereich des verheißenen Landes.99 Das Deuteronomium ist vom Standort des Westjordanlandes, dem eigentlichen Land der Verheißung, aus geschrieben („Erzählstimme“) – aber mit dem Blick auf das Land „jenseits des Jordans“. So soll (das exilierte) Israel seine konfliktreiZur Raumkonzeption des Deuteronomium s. Geiger, Gottesräume und Beyerle, Raum, 59 ff. In V. 6 ff folgt dann der Aufbruchsbefehl, s. dazu Otto, Deuteronomium I (HThK.AT), 302 ff. 98 S. dazu Geiger, aaO 59 ff. 99 Vgl. dies., aaO 61. Die Erzählstimme des Dtn bezeichnet mit der Wendung „jenseits des Jordans“ immer das Land östlich des Jordans (1,1.5; 4,41.46.47.49, vgl. 3,8). Wenn aber Mose spricht, ist damit das Land westlich des Jordans gemeint (3,20.25; 11,30), s. dazu dies., aaO 63 ff. 96 97
§ 8 Die Ordnung des Raums 357
che Vergangenheit verstehen lernen, um daraus Konsequenzen für sein Leben im Land zu ziehen: „Worauf es im Deuteronomium ankommt, ist die Zumutung, sich im Lande an Bindungen zu erinnern, die außerhalb des Landes eingegangen sind und ihren Ort in einer exterritorialen Geschichte haben: Ägypten – Sinai – Wüste – Moab. Die eigentlich fundierenden ,lieux de mémoire‘ liegen außerhalb des Gelobten Landes. Damit wird eine Mnemotechnik fundiert, die es möglich macht, sich außerhalb Israels an Israel zu erinnern, und das heißt, auf den historischen Ort dieser Ideen bezogen: im babylonischen Exil Jerusalem nicht zu vergessen (Ps 137,5). Wer es fertigbringt, in Israel an Ägypten, Sinai und die Wüstenwanderung zu denken, der vermag auch in Babylonien an Israel festzuhalten.“100
Brechen wir hier ab. Die Raumkonzeptionen von Büchern (Dtn, Jos, Jon, Hhld), Teilkompositionen (Gen 12–36; 37–50; Ex 1–15; 25–31.35–40; Ez 10 f; 40–48 u. a.) und Einzeltexten (Gen 1,1–2,4a; 2,10–14; 3 f; Lev 16; Num 10,11 f; Jes 6,1–7; Ps 30; 36; 116 u. a.)101 führen eindrücklich vor Augen, wie zentral der Schritt vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck für die alttestamentliche Anthropologie und Theologie ist. Die mit ihm verbundenen Symbolisierungsakte beziehen sich – implizit oder explizit – auf das biblische Weltbild und seine mental map. Diese setzt als eine Art ,innere Landkarte‘ den Einzelnen wie die Gemeinschaft instand, seine / ihre Umwelt wahrzunehmen und ihre natürlichen und kulturellen ,Zeichen‘ zu deuten.102 Dem wenden wir uns abschließend zu. b) Vorstellungen vom Weltganzen Altes Testament: Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 67 ff ◆ Cornelius, Representation,
193 ff ◆ Dietrich, Art. Welterfahung ◆ Gese, Frage, 202 ff ◆ Hartenstein, Weltbild, 15 ff ◆ de Hulster et al. (eds.), Exegesis, 45 ff ◆ Janowski, Art. Weltbild, 1409 ff ◆ Ders., Logik, 203 ff ◆ Ders. / Ego (Hg.), Weltbild ◆ Keel, Bildsymbolik, 13 ff ◆ ders., Weltbild, 163 ff ◆ ders. / Schroer, Schöpfung, 102 ff ◆ Koch, Art. Welt / Weltbild ◆ Ders., Wohnstatt ◆ Oeming, Welt, 569 ff ◆ Stadelmann, World. – Antike Religionen: Hartenstein, Weltkarte, 12 ff ◆ de Hulster, Geography, 45 ff ◆ Junge, „Land“, 3 ff ◆ Pongratz-Leisten, Ina šulmi īrub ◆ Dies., mental map, 261 ff ◆ Wiggermann, Foundations, 279 ff ◆ Ders., Mythologie, 109 ff ◆ Wilcke, Weltbilder, 1 ff. – Philosophie, Religions- und Kulturwissenschaft: Dux, Logik ◆ Habermas, Weltbilder, 203 ff ◆ Jooß, Raum, 122 ff ◆ Markschies u. a. (Hg.), Atlas ◆ Stolz, Weltbilder.
Unter einem „Weltbild“ versteht man das Zusammenspiel der für eine bestimmte Kultur leitenden Anschauungen über den Aufbau des Kosmos, die Natur der Dinge und das Zusammenleben der Menschen, durch die sowohl die Struktur des Ganzen als auch die Funktion seiner Teile organisiert wird und in Erscheinung tritt. Obwohl das Alte Testament keinen abstrakten Begriff für „Welt“ besitzt 100 Assmann,
Gedächtnis, 213. den relevanten Texten s. den Überblick bei Ebach, Art. Raum, 456 f und Fischer, Raum, 59 ff. Zum Raumkonzept des Hhld s. Thöne, Frauenraum, 144 ff. 102 Zum Zeichencharakter des religiösen Symbolsystems s. oben 33 ff. 101 Zu
358 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
(κόσμος begegnet erst in Gen 2,1LXX; SapSal 11,22; 18,24; 2 Makk 7,9 u. ö.), kann es den gemeinten Sachverhalt durch den Merismus „Himmel und Erde“ (Gen 1,1; 2,1.4 f; 14,19.22; Ps 50,4 u. ö.) oder durch drei- (Gen 1,26; Ex 20,11; Ps 8,8 f; 69,35; Hi 12,8 u. ö.) und viergliedrige kosmologische Formeln (Ps 95,4 f; 139,8 f; Am 9,2; Hi 11,7–10) ausdrücken.103 Das altorientalisch-biblische Weltbild, das belegen diese Formeln, ist das „Weltbild der menschlichen Wahrnehmung“104. α) Vertikales und horizontales Weltbild Der erste Schritt zu einem sachgerechten Verständnis des/r altorientalisch-biblischen Weltbilds/er ist die Überwindung eingefleischter Vorurteile, wie sie im sog. ,Käseglockenmodell‘ vieler Kinderbibeln, Schulbücher und populärwissenschaftlicher Darstellungen zum Ausdruck kommen.105 „Gern wird uns“, wie H. Gese dazu anmerkt, „das alte Bild gezeigt, das darstellt, wie jemand mit dem Kopf durch das Firmament stößt und nun die Welt ,draußen‘ betrachtet“106 Gemeint ist der berühmte Holzschnitt „Wanderer am Weltenrand“ (Abb. 77), mit dem der Populärastronom Camille Flammarion (1842–1925) den Wandel der Welt- und Raumvorstellung im Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ins Bild gesetzt hat.107
Abb. 77: Wanderer am Weltenrand (C. Flammarion) 103 S. dazu Krüger, Himmel, 65 ff und Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 67. Erst relativ spät
finden sich Wortverbindungen mit dem Allquantor, s. dazu Oeming, Art. Welt, 569. Frage, 212. 105 S. dazu Keel, Bildsymbolik, 47 f; Cornelius, Representation, 193 f und Janowski, Logik, 207 f. 106 Gese, aaO 211. 107 S. dazu Senger, „Wanderer“, 343 ff. 104 Gese,
§ 8 Die Ordnung des Raums 359
Dieses Bild repräsentiert aber gerade nicht die antike Anschauung des Firmaments, die von einem derartigen Naturalismus weit entfernt war. Im Unterschied dazu gibt es in den Kulturen der vorhellenistischen Antike Firmamentvorstellungen, die ganz anderen Parametern folgen: „Da sind etwa die hochgeistigen Spekulationen über das Wesen des Firmaments im Midrasch und im Talmud oder jene urtümlichen Vorstellungen über den Himmel, die aus mythischen Wahrnehmungskonzeptionen kommen und viel tiefer als unser Realismus reichen; so wird z. B. nach dem babylonischen Weltschöpfungsepos der Himmel als die obere Hälfte des Leibes der Chaosgöttin Tiamat vorgestellt, die ,wie ein ins Trockene gesetzter Fisch‘ gehälftet worden ist. (…) Gewiß können wir in der Bibel eine Fülle urtümlicher Vorstellungen finden, aber erst unsere Blindheit für die gerade im Urtümlichen liegende tiefe Geistigkeit läßt jene vordergründige ,Primitivität‘ entstehen, die wir dann inakzeptabel finden müssen.“108
Im Gegensatz zu den populärwissenschaftlichen Weltbilddarstellungen hat O. Keel überzeugend dargelegt, dass für den Alten Orient und das Alte Testament die empirische Welt nicht einfach das ist, was „vor Augen“ liegt, sondern etwas, was über sich selbst hinausweist und deshalb immer auch eine symbolische Bedeutung hat: „Es findet eine ständige Osmose zwischen Tatsächlichem und Symbolischem statt. Diese Offenheit der alltäglichen, irdischen Welt auf die Sphären göttlich-intensiven Lebens und bodenloser, vernichtender Verlorenheit hin ist wohl der Hauptunterschied zu unserer Vorstellung der Welt als eines praktisch geschlossenen mechanischen Systems. Der Hauptfehler der landläufigen Darstellungen des ao (= altorientalischen) Weltbildes ist ihre schlackenlose Profanität und ihre Transparenz- und Leblosigkeit. Die Welt ist nach biblischer und ao Vorstellung auf das Über- und Unterirdische hin offen und durchsichtig. Sie ist keine tote Bühne.“109
Nehmen wir als Beispiel den morgendlichen Sonnenaufgang, ein für das religiöse Weltbild der altorientalischen Kulturen grundlegendes Ereignis.110 Die Himmelsgöttin Nut, die am Morgen die Sonnescheibe „gebiert“, war für den Ägypter ebenso wirklich wie die östlichen Horizontberge, zwischen denen allmorgendlich der Sonnengott Re über dem Wüstengebirge erschien und die zusammen mit der Sonnenhieroglyphe (𓈌) das Wort für „Horizont“ (Ꜣht) ergeben (s. Abb. 78).111 ˘ Das Problem, das sich für den Ägypter hier stellte, war die Frage der Vorstellbarkeit: er sah die Sonne / den Sonnengott hinter dem Osthorizont aufsteigen, wusste aber zugleich, dass sich dieser Vorgang nicht 10 oder 20 km von ihm entfernt, sondern ,sehr viel weiter draußen‘, nämlich am Rand der bewohnten Welt vollzog. 108 Gese,
aaO 211 f. aaO 47, s. dazu bereits Frankfort / Frankfort, Einführung, 9 ff und Wiggermann, Foundations, 279 ff. Ein frühes Beispiel ist die Babylonische Weltkarte (Q 109). 110 S. dazu Janowski, Rettungsgewissheit; ders., „Wo du hinblickst“, 30 ff und Q 113. 111 Die Darstellung des Weltgebäudes enthält die Aspekte „Himmel“ (pt), „Erde“ (Doppellöwe) und „Horizont“ (Ꜣht), s. dazu ders., Rettungsgewissheit, 150 ff. ˘ 109 Keel,
360 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Da er von jenen fernen und undurchsichtigen Grenzbezirken der Welt aber keine eindeutigen Vorstellungen besaß, war er darauf angewiesen, diese mit Hilfe von Analogien aus dem biologischen oder technischen Bereich zu vereindeutigen. So wird der Sonnenaufgang bald als Geburt der Sonnenscheibe aus dem Leib der Himmelsgöttin Nut (Abb. 79)112 und bald als ihr Eintritt durch das Himmelstor (Abb. 80)113 dargestellt. Das eine war für ihn so real wie das andere. Während wir „ständig Gefahr (laufen), diese Bilder zu konkret und, wenn wir davon abgekommen sind, sie wieder abstrakt zu nehmen“114, boten dem Ägypter die wenigen und unpräzisen Informationen, die er über die fernen Randbezirke seines Universums besaß, zahlreichen Spekulationen symbolischer und technischer Art Raum. Immer stand dabei das Interesse an der Verbindung des Abstraktem mit dem Konkreten und des Konkreten mit dem Abstrakten im Vordergrund.115
Abb. 78: Sonnengott (links) und Weltgebäude (rechts)
Abb. 79: Geburt der Sonnenscheibe aus dem Leib der Nut (Dendera, 1./2. Jh. n. Chr.) dazu die Beschreibung bei Keel, Bildsymbolik, 34, vgl. Janowski, „Himmel“. Wie man auf Abb. 79 sieht, steht der Hathor-Tempel von Dendera mitten in der auf dem Urozean (Nun) schwimmenden Mulde, die die bewohnte, von Randgebirgen und Horizontbäumen begrenzte Erde darstellt. Die Himmelsgöttin Nut, ,bekleidet‘ mit dem Himmelsozean, aus dem der Regen herab fällt, beugt sich mit ihrem Leib schützend darüber. Aus ihrem Schoß gebiert sie am Morgen die Sonne, die den Tempel bestrahlt und die ganze Welt belebt, um am Abend vom Mund der Himmelsgöttin wieder aufgenommen zu werden. 113 S. dazu die Beschreibung bei Keel, aaO 18 f. Die Abbildungen zeigen das geschlossene und das geöffnete Sonnentor über den Horizontbergen. 114 Ders., aaO 8. 115 S. dazu auch oben 34 ff. 112 S.
§ 8 Die Ordnung des Raums 361
Abb. 80: Weltentor mit Sonnengott und Sonnenscheibe (Totenbuchpapyri, NR)
Der beschriebene Sachverhalt hängt mit der Eigenart des altorientalischen und biblischen Weltbilds zusammen. Dessen Grundkoordinaten hat O. Keel116 in eine aussagekräftige Skizze übersetzt (Abb. 81).
➁
➀ ➂ ➁
➃
➄
Abb. 81: Rekonstruktion des biblischen Weltbilds dazu ders., Weltbild, 161; ders. / Schroer, Schöpfung, 102 ff, vgl. Cornelius, Representation, 217.
116 S.
362 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung Auf der geöffneten Torarolle (5) steht der Text von Spr 3,19a („JHWH hat die Erde in Weisheit gegründet“, vgl. Ps 104,24 u. ö.), dessen Aussagegehalt in Anlehnung an eine ägyptische Bildidee durch zwei nach oben geöffnete und angewinkelte Arme (vgl. die Hieroglyphe für Ka „Lebenskraft“) veranschaulicht wird. Diese Arme stützen die „Säulen“ bzw. die „Grundfesten der Berge / Erde“, auf denen JHWH die Erde gegründet hat (1 Sam 2,8, vgl. Ps 18,8.16; 75,4; Hi 9,6; Jes 24,18 u. ö.). Der einer mesopotamischen Weltbilddarstellung (Kudurru aus Susa, 12. Jh. v. Chr.) entnommene gehörnte Schlangendrache mušhuššu (4) ˘ symbolisiert dabei die ständige Bedrohung der Welt durch die Mächte des Chaos, die nach alttestamentlichem Verständnis durch das „Meer“ (jām, vgl. ug. yammu) und seine Repräsentanten Leviathan (Ps 74,14 u. ö.), Rahab (Jes 51,9) und Tannin (Ps 74,13; 148,7 u. ö.) verkörpert werden. Der Tempel auf dem Zion mit dem Kerubenthron (2, vgl. Ps 80,2; 99,1; Jes 37,16 u. ö.) und den geflügelten Seraphen (3), die den thronenden Königsgott flankieren (Jes 6,2 f), ist das unerschütterliche Bollwerk gegen die andrängenden Chaosfluten. Seine Gegenwart verwandelt die drohenden Wassermassen in fruchtbare Kanäle und lebenspendende Bäche (vgl. Ps 46,5; 65,10; 104,10 ff), während die stilisierten Bäume, die den Tempel flankieren, die Fruchtbarkeit des Heiligtumsbereichs charakterisieren. Das Licht des Himmels (1), symbolisiert durch die Flügelsonne (Mal 3,20, vgl. Ps 139,9), verkündet die Herrlichkeit Gottes, an deren Glanz die ganze Schöpfung partizipiert. Für den in dieser Welt lebenden Menschen war es ein unbegreifliches Wunder, dass die von JHWH über dem „Nichts“ gehaltene Erde (vgl. Hi 26,7) nicht in den Chaosfluten versank.
Trotz ihrer innovativen Bedeutung liegt die Problematik der Keel’schen Rekonstruktion allerdings auf der Hand. Denn es werden ganz disparate, unterschiedlichsten literarischen Kontexten zugehörige Elemente zu einem Bild zusammengefasst und als ,Das alttestamentliche Weltbild‘ ausgegeben. Im Sinn einer Historischen Kosmologie des Alten Testaments aber müssten die diachronen Aspekte Berücksichtigung finden und in die Darstellung einfließen.117 So könnte man etwa anhand von Jes 6,1–7 das vertikale Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit beschreiben.118 Ein anderes Beispiel ist das horizontale Weltbild von Ps 46,2–8,119 wieder ein anderes dasjenige von Am 9,1–4,120 von Gen 1,1–2,3 und 2,4b–25,121 von Jes 66,1 f, des Esra- und Nehemiabuchs122 oder von Hi 38,1–38.123 In diesem Sinn wären die Transformationen der vorexilischen, exilischen und nachexilischen Weltbilder Text für Text zu beschreiben, um ,Das biblische Weltbild‘ in seiner Genese und Vielfalt zu rekonstruieren. 117 S. dazu Bartelmus, Art. šāmajim, 211 ff; Janowski, Wohnung, 60 ff; Hartenstein, Weltbild, 23 ff;
Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 67 ff; Leuenberger, Jhwh, 245 ff; Koch, Art. Welt / Weltbild (1.2.2) und ders., Wohnstatt. 118 S. dazu unten 365 ff. Zur Unterscheidung von vertikalem (Himmel / Erde / Meer bzw. Unterwelt) und horizontalem Weltbild (Erde als Lebensraum und dessen Grenzen: Inseln / Horizontberge / umschließender Ozean) s. Berlejung, aaO 67 ff. 119 S. dazu die Hinweise unten 368 Anm. 135. 120 S. dazu Jeremias, Amos (ATD), 122 ff. 121 S. dazu Steck, Welt, 54 ff.70 ff und unten 423 ff.432 ff. 122 S. dazu Koch, Weltordnung, 308 ff. 123 S. dazu Keel, Entgegnung, 51 ff.
§ 8 Die Ordnung des Raums 363
Dennoch besitzt die von O. Keel vorgelegte Rekonstruktion einen heuristischen Wert. Denn sie verdeutlicht den grundlegenden Sachverhalt, dass die Welt nach altorientalischer und biblischer Auffassung nicht ein geschlossenes und profanes System, sondern eine nach allen Seiten hin offene Größe darstellte. Diese Offenheit war die eine Seite. Die andere Seite bestand in den Anforderungen, die diese Offenheit an das menschliche Erkenntnis- und Handlungsvermögen stellte. Denn da eine auf das Über- und Unterirdische hin offene Welt prinzipiell ambivalent ist, war es die Aufgabe der Menschen im alten Israel, die in sich zweideutige Welt zu vereindeutigen, d. h. die in vielfältiger Weise von antagonistischen Mächten – Kosmos / Chaos, Licht / Finsternis, Leben / Tod, Reinheit / Unreinheit, Gesundheit / Krankheit, Fruchtbarkeit / Sterilität u. a. – durchwaltete Wirklichkeit (s. Abb. 82)124 auf eine Welt hin zu bestimmen, die Bestand hatte und in der ein sinnvolles Leben möglich war. Das hier aufbrechende Problem bestand also darin, mit Hilfe kultisch-ritueller, magischer, divinatorischer, medizinischer oder (sakral-)rechtlicher Operationen und Unterscheidungen zu verlässlichen Bestimmungen hinsichtlich der von antagonistischen Kräften durchwalteten Wirklichkeit zu gelangen. Wie wir sehen werden, kann der Visionsbericht Jes 6,1–7 diesen Sachverhalt beispielhaft veranschaulichen. Chaos
Kosmos
Welt vor der Schöpfung Bewegungslosigkeit (Tod) Wüste Staub Sterilität
Finsternis (Nacht)
Schöpfungswelt Bewegung (Leben) Kulturland Bewässerung Fruchtbarkeit
Licht (Tag)
Sonnenfinsternis Belagerung Niederlage, Gefangenschaft
Tag/Nacht-Wechsel Handel, Kulturkontakt Sieg, Frieden
Totenstille, Schweigen
Kommunikation, Gebet, Musik
Sünde Krankheit Fluch Trauer, Einsamkeit, Klage, Weinen
Reinheit Gesundheit, Schönheit Segen Freude, Gemeinschaft, Lob, Lachen
Abb. 82: Der Kosmos/Chaos-Gegensatz
zu dieser Skizze auch Cassin, Splendeur divine, 27 ff (mit der Tabelle 52), ferner Janowski, Konfliktgespräche, 64 f.
124 Vgl.
364 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Exkurs 16: Der heilige Raum Altes Testament: Albertz, Heiligkeit, 123 ff ◆ Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 67 ff ◆
Fischer, Raum, 59 ff ◆ Hartenstein, Unzugänglichkeit, 30 ff ◆ Ders., Weltbild, 25 ff ◆ Irsigler, Gott, 31 ff ◆ Janowski, Wohnung, 35 ff ◆ Ders., Ort, 207 ff ◆ Ders., „Sinai“, 11 ff ◆ Ders., „Himmel“ ◆ Keel, Jahwe-Visionen, 46 ff ◆ Ders., Geschichte Jerusalems, 264 ff.385 ff.890 ff.912 ff ◆ Koch, Wohnstatt, 15 ff ◆ Leuenberger, Jhwh, 245 ff ◆ Utzschneider, Raum, 19 ff.
Kosmologische Aspekte des Jerusalemer Tempels Beginnen wir mit einer kurzen Beschreibung des Jerusalemer Tempels der mittleren Königszeit (s. die idealtypische Umsetzung Abb. 83) und seiner kosmologischen Bezüge, wie sie sich 1 Kön 6 f entnehmen lassen.125 Für diese Bezüge sind vor allem das Kerubenpaar, die Säulen Jachin und Boas, die Palmetten- und Blumenkelchdarstellungen, das Eherne Meer und die bronzenen Kesselwagen zu beachten:
Abb. 83: Jerusalemer Tempel (Rekonstruktion) – Das aus Olivenholz (?)/aus dem Holz der Aleppokiefer gefertigte und mit Gold überzogene Kerubenpaar (1 Kön 6,23–28) trägt als Symbol der Gegenwart JHWHs der kosmischen Dimensionierung des Tempels Rechnung und qualifiziert die über ihm thronende Gottheit als souveränen Königsgott. dazu Keel, Geschichte Jerusalems, 286 ff, ferner Zwickel, Tempel; Kamlah, Tempel, 40 ff und Janowski, Ort, 207 ff.
125 S.
§ 8 Die Ordnung des Raums 365
– Die Säulen Jachin und Boas (1 Kön 7,15–22) verweisen aufgrund ihrer lotusförmigen und mit bronzenen Granatäpfeln behängten Kapitelle in den Bereich der Regeneration (Lebensbaummotiv). – Die von Keruben bewachten Palmen der Kesselwagen, die ebenso wie die Palme(tte)n- und Blumenkelchdarstellungen an den Wänden und Torflügeln des Tempels (1 Kön 6,29.32.34 f) in den Kontext einer Lebens- und Regenerationssymbolik gehören, bringen die Präsenz einer numinosen Macht zum Ausdruck (Lebensbaummotiv). – Das sog. Eherne Meer (1 Kön 7,23–26), ein von zwölf Rindern (Stieren?) getragenes und in Form einer Lotusblüte stilisiertes Bronzebecken, symbolisiert den kosmischen Süßwasserozean (vgl. akk. apsû und ägyptische Tempelseen). – Die bronzenen Kesselwagen (1 Kön 7,27–39), die mit Löwen-, Rinder- und Keruben- (1 Kön 7,29) bzw. Keruben-, Löwen- und Palmettendarstellungen (1 Kön 7,36) dekoriert sind, übernehmen Wächter- und Trägerfunktion. Während die Löwen als aggressive Wächter zur Sphäre der königlichen Herrschaft gehören, verweisen die Rinder wie beim Ehernen Meer auf die Sphäre des über das Meer triumphierenden Wettergottes. Was immer zur historischen und baugeschichtlichen Zuverlässigkeit des in 1 Kön 6 f (vgl. 2 Chr 2–4) beschriebenen Tempelgebäudes kritisch anzumerken ist126 – seine kosmologische Symbolik lassen diese Beschreibungen auf jeden Fall erahnen.
Der Visionsbericht Jes 6,1–7 Das gilt auch für die Beschreibungen des heiligen Raums, wie sie in Ex 25–31.35–40, Ez 40–48 und anderen Texten vorliegen.127 Unter ihnen kommt Jes 6,1–7 eine besondere Bedeutung zu, weil dieser Visionsbericht einen Einblick in das vertikale (und horizontale) Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit gibt. „Im Todesjahr des Königs Ussia“, so beginnt der in der erzählten Zeit auf das Jahr 736 v. Chr. datierte Text, „sah ich den Herrn, sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron“ (V. 1a).128 Er schildert Jesajas Begegnung mit dem heiligen Gott Israels und kontrastiert diese (frühere) Erfahrung im Kontext der sog. Denkschrift Jes *6,1–8,18129 mit seiner jetzigen Beauftragung zur Verstockung „dieses Volks“ (Jes 6,8–11). Der Text lautet folgendermaßen: 1 2
Im Todesjahr des Königs Ussia sah ich den Herrn, sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron (kisse᾽), wobei seine Gewandsäume den Tempelraum (hêkāl) ausfüllten. Seraphen standen über ihm: Je sechs Flügel hatte einer:
126 Zum suggestiven Charakter der Beschreibungen von 1 Kön 6 f mit ihren überdimensionalen
Maßangaben s. Keel, aaO 329 f und Kamlah, aaO 43 f.49.50. dazu den Überblick bei Fischer, Raum, 59 ff, speziell zu Ex *25–40 s. unten 448 ff, zu Ez 40–48 s. Albertz, Heiligkeit, 123 ff und Koch, Wohnstatt, 175 ff. 128 S. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 30 ff und Koch, aaO 23 ff. 129 Zur sog. Denkschrift Jesajas Jes *6,1–8,18 s. Blum, Testament, 547 ff; Barthel, Prophetenwort, 66 ff und Williamson, Isaiah II (ICC), 11 ff. 127 S.
366 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung mit zweien bedeckte er sein Angesicht und mit zweien bedeckte er seine Füße und mit zweien flog er (ständig). 3 Und einer rief dem anderen zu und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaoth, die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit!“ 4 Da bebten die Zapfen der Schwellen vor der Stimme des Rufers, und das Tempelhaus (bajit) füllte sich mit Rauch. 5 Da sagte ich: „Weh mir, denn ich bin vernichtet / verloren! Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich und inmitten eines Volkes unreiner Lippen wohne ich; denn den König JHWH Zebaoth haben meine Augen gesehen!“ 6 Da flog einer der Seraphen zu mir, eine Glühkohle in seiner Hand, die er mit der Zange vom Altar genommen hatte, 7 und ließ (sie) meinen Mund berühren und sprach: „Wenn dies deine Lippen berührt, weicht deine Schuld und deine Sünde wird gesühnt.“ Wie die Partizipien „thronend“ und „füllende“ in V. 1 zeigen, wird die Thronvision zunächst im Modus der Gleichzeitigkeit von Visionserlebnis (V. 1a) und Visionsinhalt (V. 1b) geschildert, um dann mit V. 2a die Seraphen, also die unmittelbare Umgebung des Thronenden, in den Blick zu nehmen. Auch hier vollzieht sich ein mit V. 1 gleichzeitiges und andauerndes Geschehen, das mittels dreier Imperfektformen näher bestimmt wird: Die sechsflügeligen Seraphen130 bedecken mit jeweils zwei Flügeln ihr Gesicht und ihre Füße, während sie sich mit zwei Flügeln in fliegender Stellung halten. Mit V. 3 schließt sich die Schilderung des Rufs der Seraphen an, der ebenfalls als wiederholter Vorgang dargestellt wird. Damit ist der auf andauernde Vorgänge bezogene Visionsbericht abgeschlossen. Mit V. 4 f wird demgegenüber von einem punktuellen Geschehen berichtet, das in zwei Aspekte – das Beben der Schwellen und das Erfülltwerden des „Hauses“ mit Rauch (V. 4) – zerlegt wird. Ausgelöst durch die Vision V. 1b–3 und deren Wirkung auf den Tempel V. 4 wird zusätzlich eine Reaktion des Propheten (V. 5a) geschildert, deren begründender Abschluss V. 5b („meine Augen“) eine Inclusio mit V. 1a („sehen“) bildet. Darauf folgt die Entsühnungsszene in V. 6 f.
Die Gottesbezeichnungen Im Blick auf die kosmologischen Implikationen dieses Visionsberichts ist zu beachten, dass in V. 5b – „denn den König JHWH Zebaoth haben meine Augen gesehen“ – alles in V. 1–4 zuvor Geschaute unter dem Oberbegriff der machtvollen Präsenz des Königsgottes
in Jes 6,1–7 von Seraphen (s. dazu Keel, Jahwe-Visionen 70 ff; ders. / Uehlinger, Göttinnen, 311 ff) und nicht von Keruben bzw. vom „Kerubenthroner“ (1 Sam 4,4; 2 Sam 6,2; 2 Kön 19,15 = Jes 37,16; Ps 80,2; 99,1) die Rede ist, dürfte mit der singulären Raum- und Thronvorstellung des Textes zusammenhängen Textes, s. dazu Irsigler, Gott, 43 ff und Koch, aaO 26 f.
130 Dass
§ 8 Die Ordnung des Raums 367
zusammengefasst wird. Darüber hinaus dürfte der mit der Bezeichnung JHWH Zebaoth verbundene Königstitel im Makrotext von Jes *1,21–11,5 die Funktion einer kompositorischen und theologischen Mitte haben. Aber auch auf der Ebene von Jes 6,1–5 kommt ihm eine strukturierende Funktion zu. So lässt sich eine steigernde Linie von Gottesbezeichnungen erkennen, die bei V. 1 („der Herr“) ansetzt, über V. 3a (JHWH Zebaoth) läuft und bei dem Syntagma „der König JHWH Zebaoth“ in V. 5b endet. Da die um die Thronmotivik appositionell erweiterte Gottesbezeichnung „der Herr“ V. 1 auf den Königsgott anspielt,131 und der Königstitel in V. 5b explizit erwähnt wird, entsteht eine Rahmung (Inclusio), innerhalb deren das Thema „Königtum Gottes“ entfaltet wird.
Die Gottesbeschreibungen Neben dieser die Gottesbezeichnungen miteinander verbindenden Linie gibt es ein vertikales Gefälle im Text, das sich an den Gottesbeschreibungen festmachen lässt. In V. 1–5 finden sich zwei beschreibende Prädikationen Gottes: das Objektprädikat „sitzend auf einem hohen und aufragenden Thron“ (V. 1) und das Satzprädikat V. 3b, das die „Herrlichkeit“ des Königsgottes JHWH Zebaoth auf der ganzen Erde proklamiert. Während damit eine horizontale Dimension in den Blick kommt – die „ganze Erde“ ist von der „Herrlichkeit“ des „heiligen“ Gottes JHWH Zebaoth erfüllt132 –, bringt das Motiv des Throns eine vertikale Dimension zum Ausdruck. Zusammen mit der Notiz über den den Tempelraum ausfüllenden unteren Teil der Gestalt JHWHs („seine Gewandsäume“ V. 1b)133 verrät der Text dabei die Tendenz, alle kultischen Vorstellungen vom Thronen JHWHs im Tempel zu entgrenzen, so dass der „hohe und aufragende Thron“ (V. 1) die universale Majestät des auf ihm sitzenden Königsgottes symbolisiert. Höhe Gottesthron
Peripherie Horizontberge
Erde
ZENTRUM
Tempel
Erde
Peripherie Horizontberge
Tempelschwellen Tiefe
Abb. 84: Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit
„Thronen“ (jāšab) Gottes bzw. des irdischen Königs s. Hartenstein, aaO 41 ff. aaO 49 hat zutreffend bemerkt, das sich „heilig“ und „Herrlichkeit“ in V. 3 „wie ein Innen zum Außen (verhalten): qādôš ,heilig‘ ist die Eigenschaft, die im erscheinenden kābôd Jahwe Zebaots die ganze Erde durchdringt“, s. dazu auch Hartenstein, aaO 78 ff.99 ff.107 ff und Keel, Geschichte Jerusalems, 392 f. Eine ähnliche Aussage wie diejenige von Jes 6,3b findet sich in der Inschrift aus Hirbet Bēt Layy (s. Q 151). ˘ 133 S. dazu Keel, Jahwe-Visionen, 62 ff; Irsigler, aaO 141 f und Hartenstein, aaO 56 ff. 131 Zum
132 Irsigler,
368 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Vertikale und horizontale Achse Die Dominanz der vertikalen Achse ergibt sich zusätzlich aus der Schilderung der Wirkung (Beben), die der Ruf der Seraphen auslöst. Da das „Beben“ der (unten befindlichen) Tempelschwellen eine Reaktion auf die Präsenz des (in der Höhe) thronenden Königsgottes sowie auf das Trishagion der Seraphen ist, ergibt sich für das Weltbild der Jerusalemer Tempeltheologie der (mittleren / späten) Königszeit eine dominante vertikale Achse, die um eine horizontale, auf die „ganze Erde“ (V. 3b) bezogene Dimension ergänzt wird (s. Abb. 84).134 Der von Jesaja im Jerusalemer Tempel visionär geschauten Anwesenheit JHWHs auf einem „hohen und aufragenden Thron“ (V. 1) entspricht damit die „Ausstrahlung“ der wirkmächtigen Präsenz des Königsgottes in die „ganze Erde“ (V. 3b), d. h. bis an die Peripherie des vom Zentrum (Tempel / Stadt) und seinem dort präsenten Königsgott aus organisierten Weltganzen. 𓇼
Jes 6,1–7 ist ein für die Jerusalemer Tempeltheologie der mittleren Königszeit zentraler Text. Sein Raumkonzept basiert auf einem vertikalen Weltbild, demzufolge „Höhe“ (Gottesthron) und „Tiefe(n)“ (Tempelschwellen) einander gegenübergestellt werden und das im Tempel von Jerusalem sein ,Gravitationszentrum‘ hat.135 β) Die Gotterfülltheit der Welt Wie alle kulturellen Erscheinungsformen unterliegen auch Weltbilder dem Aufstieg neuer und dem Niedergang alter politischer, religiöser und sozialer Rahmenbedingungen. Wie tiefgreifend dieser Transformationsprozess war, zeigen zwei weitere Texte des Jesajabuchs (Jes 40,18–26 und Jes 66,1 f), die das Raumkonzept von Jes 6,1–7 fort- und umschreiben.136 Nach dem von zwei Unvergleichlichkeitsaussagen (Jes 40,18–20.25 f) gerahmten Mittelteil Jes 40,21–24137 thront JHWH nicht mehr auf einem „hohen und aufragenden Thron“ (Jes 6,1), sondern auf / über dem Horizont und greift von dort in Natur und Geschichte ein:
einer ähnlichen, allerdings auf das horizontale Weltbild ausgelegten Skizze s. Leuenberger, Jhwh, 258 Abb. 2. 135 In anderen Texten der Jerusalemer Theologie wie Ps 46,2 ff; 48 u. a. wird demgegenüber nicht das Symbol des Gottesthrons, sondern dasjenige der Gottesstadt in den Vordergrund gerückt und diese als Mittelpunkt eines horizontalen Weltbilds im Gegensatz zu den chaotischen Bereichen der Wirklichkeit (Wüste, Meer) qualifiziert. Die vertikale Achse ist dabei nicht einfach inexistent, sie tritt lediglich in den Hintergrund, s. dazu Janowski, Wohnung, 45 ff; ders., „Himmel“; Berlejung, Art. Weltbild / Kosmologie, 68 ff und Koch, Wohnstatt, 28 ff. 136 Zu den Raumkonzeptionen in Jes 40 ff s. zusammenfassend Spans, Raum, 183 ff. 137 Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Disputationsrede Jes 40,18 ff ist die Auseinandersetzung Deuterojesajas mit dem religiösen Symbolsystem der mesopotamischen MardukReligion. Aufgrund der ,Umbuchung‘ der universalen Kompetenzen Marduks auf JHWH tritt dieser an die Stelle des babylonischen Hauptgottes, s. dazu Albani, Gott, 123 ff und Koch, aaO 97 ff. 134 Zu
§ 8 Die Ordnung des Raums 369
21 Erkennt ihr nicht? Hört ihr nicht? Wurde es euch nicht kundgetan von Anbeginn? Habt ihr denn nicht begriffen die Fundamente der Erde? 22 Der thront über dem (Horizont-)Kreis der Erde und ihre Bewohner (sind) wie Heuschrecken, der ausspannt wie einen (dünnen) Schleier die Himmel und sie spannte wie ein (Nomaden-)Zelt zum Wohnen. 23 Der preisgibt Würdenträger dem Nichts, Richter der Erde wie Nichtiges machte. 24 Kaum waren sie gepflanzt, kaum waren sie ausgesät, kaum schlug Wurzel in der Erde ihr Reis, da blies er sie an und sie verdorrten und Sturmwind wie die Spreu trägt sie davon. (Jes 40,21–24)
Mit dem Syntagma „Der thront auf / über dem (Horizont-)Kreis der Erde“ (V. 22a)138 setzt die Disputationsrede Jes 40,18–26 neue theologische Akzente. So wird nach V. 22 gegenüber der älteren Zionstradition mit ihrer Vorstellung vom kosmisch dimensionierten Tempel (vgl. Jes 6,1–5 u. a.) die Unterscheidung von Himmel und Erde in eine komplementäre Beziehung überführt, wonach das „Thronen“ JHWHs über dem Horizont die Voraussetzung für die Bewohnbarkeit der Erde ist (s. Abb. 85). Dazwischen steht die Aussage über die Erdbewohner, deren Kleinheit kontrastiv die Größe und Souveränität des Schöpfers verdeutlicht. Himmel als „Schleier“/„Zelt“ mit Gestirnen JHWHs Thron über dem Horizontkreis der Erde
(Zenit)
Erde als „Wohnstatt“ der Menschen
Abb. 85: Die Zenit-Position JHWHs nach Jes 40,22
Aufgrund dieser Umakzentuierung der vorexilischen Tempeltheologie – die in Jes 66,1 f noch weiter vorangetrieben wird139 – ist deutlich, wie die Rede von der „Entgrenzung JHWHs“ bei Deuterojesaja zu verstehen ist, nämlich als Plausibilisierung seines Monotheismusarguments. Anders gesagt: „Als einziger Gott ist
hûg „Kreis, (mit dem Zirkel gezogene) Kreislinie“ ist außer in Jes 40,22 nur noch in ˙ 26,10 und Spr 8,27 die Rede, s. ferner Sir 43,12 (vom Regenbogen) und dazu SeyHi 22,14; bold, Art. hûg, 780 ff und Koch, aaO 105 ff. ˙ 139 S. dazu Albani, Schöpfung, 37 ff.
138 Von
370 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
JHWH auch der universale Gott.“140 Der Universalisierungsaspekt kommt durch den Verlust von Land, Königtum und Tempel zustande und führt in der Auseinandersetzung mit der konkurrierenden Marduk-Religion zu einer räumlichen und zeitlichen Entschränkung des JHWH‑Glaubens. Die zitierten Texte des Jesajabuchs zeigen deutlich, in welchem Ausmaß der Raum theologisch konfiguriert und literarisch konstruiert werden konnte. Das ist kein bloßes Spiel mit Worten, sondern ein Diskurs, der tief in den religiösen Traditionen Israels verankert ist und der sich – als Reaktion auf religionspolitische Veränderungen – von der vorexilischen (Jes 6,1 ff) über die exilische (Jes 40,21 ff) bis zur spätnachexilischen Zeit (Jes 66,1 f) entfaltet und ausdifferenziert hat. Sein Ziel ist die Bildung und Stabilisierung der kollektiven Identität Israels coram Deo.141 Ein vergleichbarer Identitätsdiskurs, diesmal aber bezogen auf einen einzelnen Beter, findet sich in Ps 36.142 Diese weisheitlich geprägte Reflexion über die welterfüllende Gerechtigkeit Gottes beginnt mit einer Beschreibung des Frevlers (V. 2–5),143 der ein Hymnus auf die Güte Gottes gegenübergestellt wird (V. 6 f.8– 10). Der Text schließt mit Bitten um das Ende der Frevler (V. 11–13) und lautet wie folgt: 1 Für den Chormeister. Vom Knecht JHWHs. Von David.
Beschreibung des Frevlers 2 Raunen des Verbrechens zum Frevler inmitten meines Herzens, kein Gottesschrecken (ist) vor seinen Augen.144 3 Denn es schmeichelte ihm in seinen Augen145 hinsichtlich des Findens seiner Verkehrtheit, um (sie) zu hassen. 4 Die Worte seines Mundes sind Unheil und Trug, er hat aufgehört, klug zu handeln, Gutes zu tun. 5 Unheil ersinnt er auf seinem Lager, er stellt sich auf einen Weg, der nicht gut ist, Böses verabscheut er nicht.
Hymnus auf Gottes Güte 6 JHWH, bis an den Himmel (reicht) deine Güte, deine Treue bis zu den Wolken! 140 Ders.,
Gott, 18. Spans, aaO 202 f. 142 Zu Ps 36 s. außer Lohfink, Innenschau, 172 ff; Janowski, Gott, 239 ff; ders., „Himmel“ noch Yamayoshi, „Raunen“, 53 ff; Dietrich, Individualität, 83 ff und Müller, Wettergott, 201 ff. 143 Zu V. 2–5 s. oben 160 f. 144 Die Numerusdifferenz der beiden Suffixe „mein Herz“/„seine Augen“ ist beabsichtigt und nicht zu korrigieren, d. h. der Beter „rechnet mit der Möglichkeit, den Einflüsterungen der Sünde zu erliegen“ (Hossfeld / Zenger, Psalmen I [NEB], 225 [Hossfeld]), vgl. Lohfink, aaO 174.177 f; Yamayoshi, aaO 53 ff u. a. 145 Zum Text s. oben 160 mit Anm. 78. 141 Vgl.
§ 8 Die Ordnung des Raums 371
7 Deine Gerechtigkeit ist den Gottesbergen gleich, dein Recht der großen Urflut, Mensch und Tier rettest du, JHWH! 8 Wie kostbar ist deine Güte, Gott, und Menschenkinder – im Schatten deiner Flügel bergen sie sich! 9 Sie laben sich am Fett deines Hauses, und mit dem Bach deiner Wonnen tränkst du sie. 10 Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir Licht!
Bitten um das Ende der Frevler 11 Lass andauern deine Güte denen, die dich kennen, und deine Gerechtigkeit denen, die geraden Herzens sind! 12 Nicht erreiche mich der Fuß des Hochmuts, und die Hand der Frevler soll mich nicht verjagen! 13 Dort sind hingefallen die Übeltäter, sie wurden umgestoßen und können nicht mehr aufstehen.
Für die Textgliederung ist zu beachten, dass der die Themazeile V. 2 begründende Abschnitt V. 3–5 vier verschiedene Termini für „Sünde“ – Verkehrtheit, Unheil (2mal), Trug, Böses – enthält, denen in V. 6 f vier Termini für Gottes Zuwendung – Güte, Treue, Gerechtigkeit, Recht – gegenüberstehen.146 Darüber hinaus bildet der JHWH‑Name in V. 6 f eine Inclusio, und schließlich besitzt das Motivwort „Güte“ (hæsæd V. 6a.8a.11a)147 eine abschnittsgliedernde Funktion. Daraus ˙ ergibt sich eine Abfolge von drei großen Einzelbildern, die in V. 11–13 in die Bitten um das Ende der Frevler münden: 2–5
Porträt des Frevlers
anthropologische / ethische Aspekte
6–7 Kosmosmetapher kosmologische Aspekte 8–10 Tempelmetapher tempeltheologische Aspekte 11–13 Ende der Frevler
anthropologische / ethische Aspekte
Den Auftakt des Ganzen bildet der Abschnitt V. 2–5 mit einer phänomenologisch hellsichtigen Beschreibung des Frevlers.148 Dieser erste Abschnitt des Psalms demonstriert nicht nur den gottfreien Innenraum des Sünders – „kein Gottesschrecken (ist) vor seinen Augen“ (V. 2b) –, sondern auch den engen Zusammenhang von Anthropologie und Ethik, wie er in den Körperbegriffen „Herz“ (V. 2a), „Augen“ (V. 2b.3a), „Mund“ (V. 4a) und dem ethischen Grundbegriff „(Lebens-)Weg“ (V. 5aβ) zum Ausdruck kommt. Während in V. 2–5 der Blick nach innen auf das in sich selbst verkrümmte Ich des Frevlers gerichtet ist, wird er in V. 6–7 nach außen auf die Schöpfung Gottes gelenkt. Dieser Wechsel der Blickrichtung geschieht dazu auch Lohfink, aaO 178 f.180. Bedeutung von hæsæd s. oben 195 ff. ˙ 148 S. dazu oben 160 f. 146 Siehe 147 Zur
372 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
im Text abrupt und geht mit einem Wechsel der Sprechrichtung (hin zur Anrede JHWHs) einher.149 Dabei nimmt der Beter nach V. 6 f zunächst die Welt in ihrer räumlichen Ausdehnung vom Himmel // den Wolken (Vertikale: oben) über die Gottesberge (Horizontale) bis zur großen Urflut (Vertikale: unten) wahr und sieht in diesen Erscheinungen der Schöpfungswelt Zeichen der „Güte“, der „Treue“, der „Gerechtigkeit“ und des „Rechts“ Gottes, die sich rettend (jš῾ „retten“ hif.) an Mensch und Tier auswirken und insofern eine soziale Komponente haben. Mit N. Lohfink kann man hier von einer „Kosmosmetapher“ (s. Abb. 86) sprechen: Himmel/Wolken (Güte/Treue)
Gottesberge (Gerechtigkeit)
Gottesberge (Gerechtigkeit)
(Recht) große Urflut
Abb. 86: Die Kosmosmetapher von Ps 36 „Der riesenhafte Raum der gesamten Schöpfung ist … von Gottes Güte angefüllt. Die Welt in ihrer Weite ist der Raum der Gottesgegenwart und damit auch der möglichen Gottesbegegnung. Alle lebendigen Bewohner dieser Schöpfung begegnen hier dem Gott Israels, JHWH: nicht nur die Israeliten, auch nicht nur alle Menschen, sondern ,Mensch und Tier‘ (V. 7). Sie begegnen ihm, indem er sie ,rettet‘ (V. 7). Das Thema der Sünde ist also – so plötzlich und so deutlich markiert auch der Umschwung bei Vers 6 war – immer noch heimlich andrängend da. Gottes Gegenwart ist nicht friedlichselbstverständlich. Seine Geschöpfe sind gefährdet. Die Bewohner des Weltenraumes müssen beständig vor dem in der Sünde andringenden Chaos ,gerettet‘ werden. Gott ist ihnen nah, insofern er sie rettet.“150 Ohne dass terminologisch vom Licht der Sonne gesprochen würde, steht im Hintergrund der Kosmosmetapher von V. 6 f das Bild des welterfüllenden Sonnenlichts: „Denn was erfüllt den Raum zwischen Himmel und Erde, von einem Horizont zum andern? Allein das köstliche und alles klärende Licht der Sonne.“151 Der Topos der Gotterfülltheit der Welt begegnet nicht nur in Ps 33,5; 57,6.11 f = 108,5 f; 71,19; 103,11 f; 113,46; 119,64.96; 139,8–12; 149 Vgl. Lohfink, aaO 175. Anders Müller, Wettergott, 201 ff, der im Gefolge von Duhm, Psalmen
(KHC), 102 ff und ohne stichhaltige Argumente V. 6 ff als „ursprünglich selbstständige(n) Mittelteil“ (203) ausgegrenzt und jeglichen Zusammenhang mit V. 2 ff und V. 11 ff negiert. 150 Lohfink, aaO 180. 151 Ders., aaO 181.
§ 8 Die Ordnung des Raums 373
148,13 oder im Ruf der Seraphen von Jes 6,3, sondern auch in der ägyptischen Sonnentheologie des Neuen Reichs (s. Q 67). Die Sonne, deren Licht die gesamte Welt vom Himmel mit seinen beiden Horizonten bis zu den Enden der Erde erfüllt, spendet dieses Licht allen Geschöpfen, die davon leben und mit ihm ihr Leben gestalten: Du hast den Himmel in Besitz genommen mit seinen beiden Horizonten indem du erglänzt über dem Luftraum. Die Erde ist unter dir bis an ihr Ende, du hast sie ergriffen.152
Die ganze Schöpfung ist nach Ps 36,6 f von der Gegenwart JHWHs erfüllt (vgl. Jes 6,3; Ps 72,19), deren ,Ausstrahlungen‘ (Güte, Treue, Gerechtigkeit, Recht) sich heilvoll in alle Welt bis hin zu den Menschen und Tieren auswirken. Mit der Rettungsaussage von V. 7b153 erreicht der erste Teil (V. 6 f) des Hymnus V. 6–10 das Thema des zweiten Teils (V. 8–10), der die kultische Partizipation der Menschen an Gottes Gegenwart und Gottes Gaben preist. Das Motivwort „Güte“ (hæsæd), ˙ das in V. 6 die „Kosmosmetapher“ einleitet, wird hier hinsichtlich seiner Bedeutung für die Menschenwelt entfaltet und in V. 11 f auf die JHWH‑Treuen und die Frevler ausgedehnt. Im Blick auf unser Thema sind dabei die beiden Lebensbilder – das Einzelbild „Im Schatten deiner Flügel“ und das Doppelbild „Fett deines Hauses“ // „Bach deiner Wonnen“ – wichtig, die in V. 10 gebündelt und mit einem rätselhaften und schönen Satz ins Grundsätzliche gewendet werden: Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht sehen wir Licht.
Mit der Ortsbestimmung „bei dir“ (῾im + suff. 2.m.Sg.), d. h. in der Nähe des Tempelgottes, wird die Lebensmetaphorik von V. 8 f – Kostbarkeit, Schutz, Sättigung und Durststillung – aufgenommen und räumlich ‚verortet‘. Das begründende Bekenntnis von V. 10 entfaltet diese Aussage durch die auf V. 9 zurückgreifende Wendung „Quelle des Lebens“ und vor allem durch eine doppelte Lichtmetapher. Das erste „Licht“ dürfte „… das ‚Licht seines (d. h. Gottes) Angesichts‘ (vgl. [Ps] 4,7; 44,4; 89,16) sein. Dabei ist ‚seines Angesichts‘ (d. h. seiner Zuwendung; pnjm ‚Zugewandtes, Gesicht‘) ein erklärender Genitiv. Er setzt ‚Licht‘ mit ‚Zuwendung‘ Gottes gleich. Das zweite Licht bedeutet nichts anderes als ‚Leben‘, wie der Ausdruck ‚Licht des Lebens‘ ([Ps] 56,14), nahegelegt. ‚Des Lebens‘ ist ebenso wie ‚seines Angesichts‘ ein erklärender Genitiv, der das Licht mit dem Leben identifiziert. (…) Der Sinn von (Ps) 36,10b ist also: ‚Durch deine Freundlichkeit leben wir!‘ und diese Bedeutung paßt ausgezeichnet zur ersten Hälfte des Verses: ‚Bei dir ist der Quell des Lebens‘ ([Ps] 36,10a)“154.
152 Textzitat
nach Assmann, Re, 111, s. auch Q 67.
153 Zu diesem Rettungshandeln JHWHs gibt es eine interessante Sachparallele in einem spätba-
bylonischen Hymnus auf Ninurta, s. Q 100. Bildsymbolik, 166, vgl. Hartenstein, Angesicht, 179 ff.
154 Keel,
374 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Im Bereich des Tempels, so konstatiert Ps 36,8–10, erfährt der Mensch die intensivste Form der Gottesnähe. Während in V. 8 das Bild eines schützenden Baldachins („Flügel“) evoziert wird, in dessen „Schatten“ sich die „Menschenkinder“ bergen, zeichnet V. 9 das Bild eines köstlichen Mahls, das von JHWH als Gastgeber an heiliger Stätte bereitet wird.155 Mit der Lichtaussage von V. 10 schließt sich der Kreis, der mit der Schilderung der welterfüllenden Gerechtigkeit Gottes in V. 6 f eröffnet wird und zugleich einen Kontrapunkt zur verschlossenen und düsteren Welt des Frevlers setzt (V. 5a). Jetzt tritt auch der Mensch wieder hervor, aber nicht in seiner gottfernen Vereinzelung wie am Anfang (V. 2–5), sondern als ein „Wir“, d. h. in der Gemeinschaft derer, „die dich (sc. JHWH) kennen“ und „die geraden Herzens sind“ (V. 11). Anders, so resümiert V. 13, die Übeltäter, die „dort“, am heiligen Ort des Tempels,156 hingefallen sind: „sie wurden umgestoßen und können nicht mehr aufstehen“. So erfährt die alttestamentliche Raumthematik mit Ps 36 aufgrund ihrer anthropologisch-ethischen (V. 2–5.11–13), kosmologischen (V. 6 f) und tempeltheologischen Konkretisierungen (V. 8–10) eine Tiefenschärfe, die ihresgleichen sucht.
dazu Janowski, Konfliktgespräche, 332 f; Lohfink, Innenschau, 182 ff; Hartenstein, aaO 146 ff.181 f u. ö. und zum göttlichen Gastgeber in Ps 23,5 f oben 323 ff. 156 Vgl. Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 223.228 (Hossfeld). 155 Siehe
Nachtrag zu § 8 (331 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Raum und Zeit“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). 1. Der natürliche und der soziale Raum a) Die Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt (332 ff ) Zur Wahrnehmung und Gefährdung der natürlichen Lebenswelt und ihren Ordnungen s. Janowski, Schöpfungsglaube, 132 ff.151 ff. β) Das Leben im Vierraumhaus (343 ff ) S. dazu Faust, Art. House/s, 395 ff. Zum Hauskult in der Eisenzeit I–III s. Schmitt, Religionen, 72 ff. Exkurs 15: Das Tor als öffentlicher Raum (346 ff ) Zum Tor als Gerichtsstätte im alten Ägypten und in Israel s. Bojowald, Tor, 243 ff. 2. Der symbolische Raum a) Wahrgenommener und erzählter Raum (352 ff ) Zur theologischen Geographie alttestamentlicher Texte s. den Überblicksaufsatz von Krause, Spatial Turn, 6 ff. b) Vorstellungen vom Weltganzen (357 ff ) Die Vorstellungen vom Weltganzen sind Ausdruck des „erfahrungsgesättigten und denkerischen Erfassen(s) der Welt“ (Dietrich, Welterfahrung, 69). J. Dietrich unterscheidet dabei mehrere Dimensionen bzw. Aspekte der Welterfahrung (W.): leiblich-sinnliche und raum-zeitliche W. (72 ff ), sozial gebundene W. (81 ff ), analogistische W. (86 ff ), ästhetische W. (88 f ), religiöse W. (89 ff ), schöpfungsgemäße W. (95 ff ), geschichtliche W. (95) sowie W. und Katastrophenerfahrung (96).
376 Nachtrag zu § 8
Exkurs 16: Der heilige Raum (364 ff ) Einen kompakten Überblick über die Tempel und den Tempelkult von der Bronzezeit bis zum Herodianischen Tempel bieten Schmitt, Religionen, 114 ff und Zwickel, Orte, 148 ff. β) Die Gotterfülltheit der Welt (368 ff ) Zu Ps 36 s. Krusche, Tempeltheologie, 55 ff und Böhler, Psalmen 1–50 (HThK. AT), 645 ff.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit Für alles gibt es eine Stunde, und eine Zeit für jede Angelegenheit unter dem Himmel. Prediger 3,1
„Alles“, sagt Kohelet, „hat seine Zeit“ – was aber, so wird Augustin (354–430 n. Chr.) gut 600 Jahre später fragen, ist die Zeit? Und er gesteht: „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht. Aber zuversichtlich behaupte ich zu wissen, dass es vergangene Zeit nicht gäbe, wenn nichts verginge, und nicht zukünftige Zeit, wenn nichts herankäme, und nicht gegenwärtige Zeit, wenn nichts seiend wäre.“1
Die Frage nach dem Wesen der Zeit ist in der Tat schwierig zu beantworten, und jede Antwort ist immer auch Ausdruck der Kultur, in der sie gegeben wird.2 In der Regel erfahren wir Zeit als etwas, was vergeht: der Tag beginnt und neigt sich dem Abend zu, die Woche schreitet voran und geht vorüber, die Monate folgen aufeinander und bilden eine Linie, die an bestimmten Punkten des Jahres eine festliche Höhe erreicht. Dann flacht die Zeit wieder ab und schreitet im Rhythmus der Tage, Wochen und Monate weiter voran. 1. Die natürliche und die soziale Zeit So unumkehrbar sie sind – allen diesen Formen des Voranschreitens und Vergehens der Zeit wohnt die Struktur der Wiederholung inne: die Tage, die Wochen und die Monate wiederholen sich im Rhythmus des Jahres und gliedern unser Alltagsleben, denn sie gehören zu den „naturalen Vorbedingungen, die unabhängig vom Menschen dessen Leben ermöglichen“3. R. Koselleck (1926–2006) hat diese Wiederholungsstrukturen eindrücklich beschrieben und dem linearen, teleologischen Zeitverständnis gegenübergestellt:
Augustin, Confessiones XI,14,22–27. Zum augustinischen Zeitverständnis s. Flasch, Augustin, 263 ff. 2 S. dazu etwa Peisl / Mohler (Hg.), Zeit und Rüsen, Typen, 365 ff. 3 Koselleck, Was sich wiederholt, 6, vgl. ders., Wiederholungsstrukturen, 96 ff. 1
378 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung „Wer von Geschichte spricht, bedient sich gerne teleologischer Modelle. Geschichte folge dem Fortschritt auf bestimmbare Ziele hin, oder sie bewege sich im Kreislauf, dessen Ende im Anfang enthalten sei. Und um einer Dekadenz zu entgehen, werden Fortschritt und Kreislauf zur Spirale zusammengedacht, die aufwärts führe. Selbst ein dialektischer Prozeß, der seine eigenen Ziele generiert, ist linear ausgerichtet. Auch der Historismus, sofern er die Geschichte als eine Kette einmaliger Ereignisse aneinanderreiht, bleibt einer linearen Gedankenfigur verpflichtet.“4
Alle geschichtliche Erfahrung scheint dagegen zu sprechen, dass es so etwas wie Wiederholung gibt: „Geschichte wiederholt sich nicht“, heißt es, jedenfalls nicht in identischer Weise. Dennoch gibt es Wiederholungsstrukturen in Natur und Geschichte, wie die natürlichen (Tag/Nacht-Wechsel, Lauf der Gestirne, Jahreszeiten) und sozialen Rhythmen (Jahresfeste, landwirtschaftlicher Kalender, Regierungszeiten) belegen. Das gilt nicht zuletzt auch für das alte Israel. a) Die raumzeitliche Struktur der Lebenswelt Altes Testament: Barr, Time ◆ Fabry, Art. ῾et, 243 ff ◆ Janowski / Grund, „Solange“, 487 ff ◆
Jenni, Art.῾et, 370 ff ◆ Krüger, Art. Zeit, 471 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Art. Zeit, 1409 ff ◆ Ders., Verständnis, 356 ff ◆ Ders., Ordnung, 3 ff ◆ Willi-Plein, Zeit, 11 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 131 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Zeit, 1186 ff ◆ Ders., Sinngeschichte, 25 ff ◆ Beckman, Art. Zeit, 248 ff ◆ Cancik, Rechtfertigung, 257 ff ◆ Cancik-Kirschbaum / Westermann, Art. Zeitkonzeptionen, 709 ff ◆ Renger, Zeit, 6 ff ◆ Streck, Art. Zeit, 246 ff ◆ Wittke (Hg.), Frühgeschichte, 64 ff. – Kultur- und Geschichtswissenschaft: Koselleck, Zeitschichten, 9 ff.19 ff.78 ff ◆ Ders., Wiederholungsstrukturen, 96 ff ◆ Momigliano, Zeit, 38 ff ◆ Müller, Zeitkonzepte, 221 ff ◆ Rüsen, Typen, 365 ff.
Bei der Frage nach Wiederholungsstrukturen im alttestamentlichen Zeitverständnis stößt man immer wieder auf das Problem des Verhältnisses von Mythos und Geschichte, das in der Regel im Sinn einer Antithese beschrieben wird.5 Während der Mythos auf die Kreisbewegung der „ewigen Wiederkehr“6 festgelegt zu sein scheint, wird die Geschichte meistens auf ein strikt lineares Konzept reduziert. Dieses Axiom hat über F. Nietzsche (1844–1900) Eingang in das neuzeitliche Geschichtsdenken gefunden und die entsprechende Hypothese zum ‚Gegensatz von hebräischem und griechischem Denken‘ (Th. Bomann u. a.) geprägt.7 Es besagt: Während die Griechen die Welt zyklisch denken, erscheint sie den Juden und den Christen als linear. Und: Da das zyklische Denken die Einmaligkeit und Gerichtetheit von Zeit aufhebt, können die Griechen Zeit nicht sachgemäß denken, im Gegenteil: sie „verräumlichen“ sogar die Zeit. Ist das zutreffend? Ders., Was sich wiederholt, ebd. Für die alttestamentliche Diskussion s. Keel / Schroer, Schöpfung, 11 ff.15 ff und unten 404 ff. 6 Zur Theorie der „Ewigen Wiederkehr“ s. Löwith, Weltgeschichte, 173 ff.228 ff und Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 170 ff. 7 Zum Ansatz von Boman, Denken s. die Kritik von Barr, Time; Cancik, Rechtfertigung, 262 ff und Dietrich, Denken, 47 ff. 4 5
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 379
α) Zeiterfahrung und Zeitverständnis Altes Testament: Dietrich, Art. Welterfahrung ◆ Grund / Janowski, „Solange“, 487 ff ◆ Ja-
nowski, Was sich wiederholt, 315 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Verständnis, 356 ff ◆ Ders., Ordnung, 3 ff ◆ Seidl, Zeit, 171 ff ◆ Weippert, Welterfahrung, 179 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Zeit, 1186 ff ◆ Cancik-Kirschbaum / Westermann, Art. Zeitkonzeptionen, 709 ff ◆ Streck, Art. Zeit, 246 ff.
Weder die griechische noch die alttestamentlich-jüdische Tradition bestätigen diesen strikten Dual von Linearität vs. Zyklizität.8 Stattdessen ist mit einer komplexen Verschränkung beider Zeitebenen zu rechnen, die als Zusammenhang von Vergegenwärtigung und Wiederholung bezeichnet werden kann.9 In traditionalen Kulturen wie dem alten Israel sind Raum und Zeit unauflöslich miteinander verbunden und bilden ein komplementäres, das gesamte Leben prägendes Ganzes, eine, so der Ethnologe K. E. Müller, „erlebte Raumzeit“10: „Jahreszeiten schied man nach Umlauf und ‚Wendepunkten‘ der Sonne, konkreter jedoch nach Warm- und Kaltphasen, Regen- und Trockenzeiten, differenziert nach der Dichte der Niederschläge und Höhe der Temperaturen, sowie den längerfristigen viehzüchterischen oder agrarischen Tätigkeitszyklen, markiert jeweils durch entsprechende, feierliche Eingangs-, Höhepunkts- und Abschlußrituale, oft wieder zusätzlich kombiniert mit spezielleren saisonspezifisch charakteristischen Vorgängen in der Natur: mit Fischzügen und Wanderbewegungen von Tieren, der Wiederbelebung und den Wachstums- und Reifephasen der Wildvegetation, der Verfärbung des Herbstlaubs u. a. mehr.“11
Auf diese Weise entstanden hochdifferenzierte Kalender, deren Präzision den spezifischen Gegebenheiten des Sozial- und Wirtschaftslebens entsprach. Auch die Lebensführung des Einzelnen, ja seine gesamte Lebenszeit war Teil des Ganzen, wobei die einzelnen Phasen, Tätigkeiten und Pflichten sozial strukturiert und raumzeitlich gebunden waren. Das gilt auch für das alte Israel. Der Mensch des alten Israel konnte, wie wir bereits gesehen haben, „räumlichen und zeitlichen Einflüssen … nicht distanziert gegenüberstehen, beides erlebte er hautnah“12. Sei es die Erfahrung des Tag/Nacht-Wechsels oder sei es der jahreszeitliche Rhythmus – immer erfuhr man Raum und Zeit, wie Gen 8,22 deutlich macht, als etwas Zusammengehöriges und Ordnung Stiftendes:
8 9
10 11 12
S. dazu Momigliano, Zeit, 38 ff; Cancik, Rechtfertigung, 262 ff.282 ff und SchwienhorstSchönberger, Ordnung, 3 ff. Für das Alte Testament s. unten 404 ff. Müller, Zeitkonzepte, 221. Ders., aaO 222. Weippert, Welterfahrung, 184, vgl. Dietrich, Art. Welterfahrung (Ziffer 3).
380 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung Während13 aller Tage der Erde (, gilt): Aussaat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.
Dessen ungeachtet hat sich im abendländischen Geschichtsdenken seit Augustin ein kulturtypologischer Dualismus herausgebildet, der strikt zwischen einer linearen Heilsgeschichte und einer zyklischen Naturgeschichte unterschied und diese Differenz an dem Vergleich von hebräischem und griechischem Denken festmachte.14 Diese Kulturtypologie gilt heute als widerlegt, denn: „Jede Kultur entwickelt Formen und Institutionen der Zyklisierung wie auch der Linearisierung von Zeit. Die zyklisierenden Institutionen (= Riten) dienen der Erneuerung der Zeit und des (individuellen wie sozialen) Lebens, die linearen Institutionen dagegen dienen dem sozialen und kulturellen Gedächtnis, das auf jede (individuelle wie kollektive) Identität angewiesen ist.“15
Erst das spezifische Zusammenspiel von Linearität und Zyklizität macht die Besonderheit einer bestimmten Kultur aus. Für das alte Israel kann man sich das am Beispiel des Koheletbuchs klar machen. β) Prediger 1–3 als Beispieltext Altes Testament: Backhaus, Zeit, 8 ff ◆ Jenni, Art.῾et, 382 f ◆ Krüger, Wahrnehmungen, 21 ff ◆
Lohfink, Wiederkehr, 95 ff ◆ von Rad, Weisheit, 147 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Ordnung, 13 ff ◆ Saur, Einführung, 121 ff.125 ff ◆ Seidl, Zeit, 186 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 140 ff. – Systematische Theologie: Sauter, Leben, 95 ff.
Obwohl das Koheletbuch in die hellenistische Zeit gehört (2. Hälfte des 3. Jh.s v. Chr.) und damit am Ende der alttestamentlichen Literaturgeschichte steht, ist es sinnvoll, mit ihm zu beginnen. Denn das berühmte Gedicht über die Zeit in Pred 3,1–9, das in den Kontext der Frage nach der Möglichkeit menschlichen Glücks gehört (Pred 1,3–3,22),16 ist ein locus classicus der alttestamentlichen Zeitkonzeption(en). Es entfaltet, eingefasst von einem mottoartigen Lehrsatz (V. 1) und einer Schlussfrage (V. 9), das Thema „Zeit“ in sieben Strophen (Zahl der Totalität) mit je vier Aufzählungen (Zahl der Himmelsrichtungen): Mottoartiger Lehrsatz
1 Für alles gibt es eine (bestimmte) Stunde (zemān), und eine (angemessene) Zeit (῾et) für jede Angelegenheit unter dem Himmel:
Das Substantiv ῾ôd „Wiederkehr, Wiederholung, Dauer“ fungiert hier als Adverb der Zeitdauer, s. dazu Janowski, Vergegenwärtigung, 55 mit Anm. 82. 14 S. dazu die Hinweise oben 378 Anm. 7. 15 Assmann, Art. Zeit, 1188. 16 Zum Aufbau von Pred s. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 46 ff und Köhlmoos, Kohelet (ATD), 28 ff. 13
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 381
Sieben Strophen zu je zwei Bikola 2 Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Pflanzen und eine Zeit, Gepflanztes auszureißen, 3 eine Zeit zum Töten und eine Zeit zum Heilen, eine Zeit zum Einreißen und eine Zeit zum Aufbauen, 4 eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen, eine Zeit des Klagens und eine Zeit des Tanzens, 5 eine Zeit, Steine zu werfen, und eine Zeit, Steine zu sammeln, eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, sich des Umarmens zu enthalten, 6 eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verloren-gehen-lassen, eine Zeit zum Aufbewahren und eine Zeit zum Wegwerfen, 7 Zeit zum Zerreißen und Zeit zum Zusammennähen, eine Zeit zum Schweigen und eine Zeit zum Reden, 8 eine Zeit zum Lieben und eine Zeit zum Hassen, eine Zeit des Kriegs und eine Zeit des Friedens.
Abschließende „Gewinn“-Frage 9 Welchen Gewinn (jitrôn) hat der, der etwas tut, davon, dass er sich abmüht?
Es geht in diesem Text nicht um eine abstrakte oder absolute, sondern um die konkrete Zeit, wie sie in den genannten Handlungen und Vorgängen des menschlichen Lebens aufscheint.17 Ob dabei von den Möglichkeiten (für jedes Vorhaben gibt es einen günstigen Zeitpunkt) oder den Grenzen menschlichen Handelns (alles hat seine Zeit) die Rede ist, lässt der Text bewusst offen,18 indem er weder positiv noch negativ votiert, sondern an den weisen und klugen Menschen appelliert, den rechten Zeitpunkt zu ergreifen: „Das Zeitgedicht stellt ganz nach dem altorientalischen Weisheitsideal … einen Appell an den weisen, klugen, dem Leben zugewandten Menschen dar, doch den rechten Augenblick und Zeitpunkt für die grundlegenden Tätigkeiten des Lebens zu erkennen: in der Landwirtschaft, in Handel und Wirtschaft, in der Politik, in der Gestaltung der persönlichen Beziehungen.“19
Im Blick auf die in den vierzehn Antithesen genannten Handlungen / Vorgänge kann man „immer nur eines von beidem tun; und um zu wissen, was denn nun jeweils zu tun ist, dazu muß man eben wissen, dass ,alles seine Zeit‘ hat“20. Nach der weisheitlichen Lehre von der rechten Zeit geschieht alles, was geschieht, zu einer „angemessenen“ Zeit. So gibt JHWH dem Land Regen „zu seiner Zeit“ (Dtn 11,14; 28,12), kennt der Storch am Himmel „seine Zeit“ und halten TurtelS. dazu Krüger, Kohelet (BK), 153 ff; Lohfink, Kohelet (NEB), 31 ff; Schwienhorst-Schönberger, aaO 244 ff und Köhlmoos, aaO 114 ff. Zum Aufbau der Bikola s. die Skizze bei SchwienhorstSchönberger, aaO 247. 18 Vgl. Krüger, aaO 156 und Seidl, Zeit, 187. 19 Seidl, aaO 188 f, vgl. Jenni, Art. ῾et, 382. 20 Von Rad, Weisheit, 147. 17
382 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
taube, Schwalbe und Drossel die Zeit ihrer Rückkehr ein (Jer 8,7), gibt JHWH allen Geschöpfen, die auf ihn warten, Speise „zur rechten Zeit“ (Ps 104,27, vgl. Ps 145,15), werden die Garben „zu ihrer Zeit“ eingebracht (Hi 5,26, vgl. Ps 104,19.24) und haben die Steinböcke ihre Wurfzeit (Hi 39,1). Das Motiv von der rechten Zeit „zielt darauf ab, die einem Handeln angemessene Zeit zu erkennen und ihr entsprechend zu handeln“21. Obwohl der Mensch nach Pred 3,1–9 also einen – begrenzten – Handlungsspielraum hat, ist dieser nicht von ihm selbst geschaffen. Vielmehr ist er bezogen auf den größeren Horizont der Ewigkeit Gottes: Alles hat er (sc. Gott) so gemacht, dass es schön ist zu seiner Zeit (be῾ittô). Auch hat er die ferne Zeit (῾ôlām) in ihren (sc. der Menschen) Verstand gegeben, nur dass der Mensch das Werk, das der Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen kann. (Pred 3,11) Zeit Gottes ῾ôlām „fernste Zeit“ Anfang Vergangenheit
῾ôlām „fernste Zeit“ Mitte Gegenwart
Ende Zukunft
Zeit des Menschen Carpe diem-Motiv
Abb. 87: Zeit Gottes und des Menschen nach Pred 3
Damit ist der Unterschied zwischen Gott und Mensch deutlich markiert (s. Abb. 87): der Mensch ist zwar aufgerufen, den jeweils rechten Zeitpunkt zu ergreifen, kann aber „über sein Leben als ganzes nicht verfügen“22. Deshalb endet Pred 3,1–9 auch mit der Frage nach dem „Gewinn“ (V. 9) des menschlichen Lebens. Was bleibt, ist die „Erfahrung und Annahme der Gegenwart“23 – nicht aus Resignation, sondern aus Einsicht in die Realität des Lebens. Zum Thema „Zeit“ äussert sich Kohelet aber nicht erst in Pred 3,1–9, sondern bereits in dem das Buch eröffnenden Gedicht über den Kosmos in Pred 1,3–11.24 Beide Texte sind in der Buchkomposition aufeinander bezogen: Schwienhorst-Schönberger, Art. Zeit, 1410, vgl. Spr 15,23; 25,11; Sir 4,20; 20,7 u. ö. und dazu von Rad, aaO 182 ff.295 ff; Jenni, aaO 382 f; Schwienhorst-Schönberger, Verständnis, 361 und Krüger, Art. Zeit, 473 f. 22 Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 259. 23 Ders., ebd. 24 S. dazu Krüger, Kohelet (BK), 108 ff; Lohfink, Kohelet (NEB) 21 ff; Schwienhorst-Schönberger, aaO 148 ff.155 ff und Köhlmoos, aaO 76 ff. 21
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 383
1,3 Frage nach dem Gewinn 1,4–11 Gedicht über den Kosmos 1,12–2,26 Königstravestie: Kohelet als König 3,1–8 Gedicht über die Zeit 3,9 Frage nach dem Gewinn
Das Kosmosgedicht beginnt mit der „Gewinn“-Frage, mit der das Zeitgedicht endet: Ausgangsfrage 3 Welchen Gewinn hat der Mensch von all seiner Mühe, für die er sich abmüht unter der Sonne?
Kosmologie
Mensch – Kosmos
4 Eine Generation geht, und eine Generation 4a Generationen kommt, (vergänglich) die Erde aber bleibt in Ewigkeit bestehen. b Erde (unvergänglich) 5 Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter 5 Sonne (Licht / Feuer) und strebt atemlos zu ihrem Ort, wo sie (wieder) aufgeht. 6 Er geht nach Süden und dreht nach Norden, 6 Wind (Luft) drehend, drehend geht der Wind, und zu seinen Umdrehungen kehrt er um – der Wind. 7 Alle Flüsse fließen ins Meer – 7 Flüsse (Wasser) aber das Meer wird nicht voll. Zu dem Ort, wo die Flüsse entspringen, dorthin kehren sie zurück, um (wieder) zu entspringen.
Anthropologie
Kosmos – Mensch
8 Alle Worte sind rastlos tätig, 8 Sprach- und Erkenntis kein Mensch ist in der Lage zu reden, fähigkeit (begrenzt) kein Auge wird satt zu sehen, und kein Ohr wird vom Hören voll. 9 Was war, wird wieder sein, 9 These und was getan wurde, wird wieder getan werden. Und es gibt nichts Neues unter der Sonne. 10 Gibt es etwas, von dem man sagt: 10 Einwand und „Sieh dies an, es ist neu!“ – Widerlegung schon längst gab es das in den fernen Zeiten, die vor uns waren. 11 Es gibt keine Erinnerung an die Früheren, 11 Begründung und auch an die Späteren, die noch sein werden, an sie wird es keine Erinnerung geben bei denen, die danach sein werden.
384 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Der Text setzt mit der Leitfrage nach dem „Gewinn“ (jitrôn) ein (V. 3), die für das Koheletbuch charakteristisch ist und die durch die auf das diesseitige Leben bezogene Umstandsangabe „unter der Sonne“ (tahat haššæmæš) den anthropolo˙ gischen Fragehorizont des Buchs aufspannt.25 Das Gedicht gliedert sich dann in zwei Teile zu je vier Strophen (V. 4–7 und V. 8–11), die das Mensch/Kosmos- bzw. das Kosmos/Mensch-Verhältnis zum Thema haben.26 Dabei fungiert V. 4 – „Eine Generation geht, und eine Generation kommt, die Erde aber bleibt in Ewigkeit bestehen“ – zum einen als Überschrift über den ganzen Text und zum anderen als Einleitung seines ersten Teils (V. 5–7). Im Gegenüber zur Windhauch-Aussage von V. 2 – „Windhauch (hæbæl), Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das alles ist Windhauch“ – ist damit die Spannung von Vergänglichkeit (Mensch V. 4a) und Dauer (Erde V. 4b) gesetzt, die in Analogie zur Elementenlehre der griechischen Naturphilosophie27 entfaltet wird: Erde (V. 4b), Sonne (= Licht / Feuer V. 5),28 Wind (= Luft V. 6) und Flüsse (= Wasser V. 7). Das Problem von V. 4–7 besteht in der Frage, ob das hier beschriebene kosmische Kreislaufgeschehen Ausdruck von Sinnlosigkeit ist und ob seine Übertragung auf die Anthropologie in V. 8–11 dieser einen negativen Zug verleiht. Das könnte zunächst so scheinen, da V. 8 die Begrenztheit des menschlichen Fassungs- und Ausdrucksvermögens angesichts der Fülle des kosmischen Geschehens zum Thema hat.29 Dieses Thema wird so abgehandelt, dass zunächst eine These (V. 9), sodann ein Einwand samt Widerlegung (V. 10) und abschließend eine Begründung (V. 11)30 formuliert wird. Wie ist in diesem Zusammenhang die Wendung „nichts Neues (hādāš) unter ˙ der Sonne“ (V. 9b) zu verstehen: im Sinn der Erschaffung des nie Dagewesenen („qualitativ Neues“) oder im Sinn der Wiederherstellung des Gewesenen („Erneuerung“)? Fast alle Ausleger gehen von der These der „Wiederkehr des Gleichen“ aus und verstehen das Gedicht und speziell V. 8–11 als Beschreibung von Sinn-
Schwienhorst-Schönberger, aaO 153 f. Zum Leitwort jitrôn (10mal in Pred) s. ders., aaO 150 f. 26 Zur poetischen Analyse von Pred 1,3–11 s. Backhaus, Zeit, 8 ff, ferner Lohfink, Wiederkehr, 98 ff u. a., zur Sachparallele Sir 42,15 ff s. Q 211. 27 S. dazu Krafft, Art. Elementenlehre, 978 ff. Zur Frage eines Bezugs von V. 4 auf ägyptische Texte s. Uehlinger, Qohelet, 214 ff und Q 68. 28 Von den menschlichen Generationen, die einen Weg ohne Wiederkehr gehen (V. 4), unterscheidet sich die Sonne durch ihren ständigen, wiederkehrenden Kreislauf (V. 5), s. dazu Schwiehorst-Schönberger, aaO 161 ff. Von der „unermüdlichen Sonne“ ist auch in Homer, Ilias XVIII die Rede, s. Q 180. Der im Hintergrund anklingende Sonnen-Mythos, der möglicherweise Analogien in ägyptischen Texten hat, hat auch Eingang in die antik-jüdische Mosaikkunst von Beth Alpha gefunden, s. Q 212. 29 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, aaO, 166 f. 30 Mit der Bestreitung der „Erinnerung“ (zikrôn / zikkārôn) an die Früheren und die Späteren (V. 11) ist gemeint, dass es im kulturellen Gedächtnis der Nachfahren kein Fortleben der Toten gibt, der Tod also endgültig ist (damnatio vitae et memoriae), s. dazu SchwienhorstSchönberger, aaO 177 f und oben 72; für eine ägyptische Sachparallele s. Q 20. 25 Vgl.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 385
losigkeit oder Absurdität. Es kann aber auch so verstanden werden, dass anhand des Laufs der Sonne, des Wehens des Windes und des Fließens der Flüsse die kosmische Ordnung vor Augen gestellt wird und „der Mensch … Anteil daran (hat)“31, weil er Teil der Schöpfung ist. Das wäre dann eine andere Perspektive. Wesentlich für das Verständnis von V. 9b scheint der logische Ausgangspunkt zu sein. Wenn das „Neue“, wie in der Regel angenommen wird, für Kohelet einen positiven Klang hatte, muss seine Negation als Ausdruck der Enttäuschung und Resignation empfunden werden. Anders wird es, wenn das „Neue“ die Wiederkehr des Alten, also die Wiederherstellung des Gewesenen impliziert wie in den Gedankenfiguren vom „neuen Exodus“ oder von der „neuen Schöpfung“. „Etwas Kommendes“, so N. Lohfink, „ist ‚neu‘, wenn es das alte, bei der Schöpfung grundgelegte Urmuster möglichst stark und möglichst rein wiederholt“32 – so wie der Sabbat, der Israel immer wieder neu mit dem Uranfang verbindet, oder wie der Neumond (hodæš),33 der nach 28 Tagen wieder aufleuchtet, oder wie ˙ der Morgen, der immer wieder „ganz frisch und neu“ (EG 440, vgl. Klgl 3,22 f) ist.34 Nicht das Gewesene wird also im Sinn des Fortschrittsglaubens qualitativ überboten, sondern das Beständige, d. h. „das alte, bei der Schöpfung grundgelegte Urmuster“ wiederholt sich und erneuert sich ständig.
So gesehen gibt es „nichts Neues unter der Sonne“, weil sich alles im Zusammenhang der Schöpfung wiederholt und der Mensch daran Anteil hat. Anders gesagt: „Wir machen keine neuen Erfahrungen, aber es sind immer neue Menschen, die alte Erfahrungen machen“ – dieser Tagebucheintrag von Rahel Varnhagen (1771– 1833)35 bringt auf den Punkt, was Kohelet in seinem Zeitgedicht in poetischer Diktion sagt. Man mag diese Sicht als gegen die prophetische Ankündigung des Neuen36 oder gegen die Modernität der hellenistischen Kultur gerichtet lesen37 – sie ist aber ganz in der alttestamentlichen Schöpfungstheologie und ihrem Primat der kosmischen Ordnung verankert. Das menschliche Leben, so lässt sich die Aussageintention von Pred 1,3–11 zusammenfassen, ist zeitlich begrenzt, in seiner Begrenztheit aber bezogen auf das Maß und den Rhythmus der Schöpfung, an der der Mensch von der Geburt bis zum Tod partizipiert (Pred 3,2) und an deren Schönheit er sich nicht satt sehen kann (Pred 1,8, vgl. Sir 42,15–25, s. Q 21). Dieser „Weg von der Anthropozentrik zur Kosmozentrik“38 gibt der Position Kohelets eine große Gelassenheit, Ders., aaO 160, vgl. 166.167 f u.ö; Lohfink, Wiederkehr, 124; Krüger, Kohelet (BK), 116.118 ff u. a. 32 Lohfink, aaO 119, vgl. ders., Kohelet (NEB), 21 f und Schwienhorst-Schönberger, Ordnung, 13 ff. 33 Etwa 280 der insgesamt 350 Belege der Wurzel hdš beziehen sich auf den Neumond (hodæš), ˙ ˙ der gleichsam das Muster einer stetigen Wiederkehr ist. 34 Vgl. Lohfink, Wiederkehr, 117 f. 35 Zitiert nach Koselleck, Wiederholungsstrukturen, 104. 36 Vgl. Jes 42,9; 43,18 f; 48,3.6; 65,17; 66,22 u. ö. 37 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 175 f. 38 Ders., aaO 180. 31
386 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
die nicht mit Enttäuschung oder Resignation zu verwechseln ist. Im Gegenteil: „Damit dem Augenblick Dauer zukomme, muss der Mensch der Geschichte entkommen. Die anscheinend gerade Linie seiner Zeit muss sich als immer wieder in sich selbst zurücklaufender Kreis erweisen.“39 Der Aufruf, den rechten Zeitpunkt zu ergreifen (vgl. Pred 3,1–9), hat hier seinen Grund. b) Die natürlichen und die sozialen Rhythmen Wie das Beispiel Pred 3,1–9 zeigt, geht es beim hebräischen Terminus ῾et „Zeit, Zeitpunkt“ nicht um eine absolute oder abstrakte Zeit, sondern immer um „die konkrete Zeit, den rechten Zeitpunkt, den begrenzten Zeitraum für eine bestimmte Tätigkeit“40. Das gilt auch für die anderen Zeittermini des Alten Testaments: ᾽ætmôl „gestern“ dôr „Dauer, Geschlecht, Generation“ (Zeitspanne von 30–40 Jahren, vgl. Herodot, Historien 2,142, s. Q 154) zemān „(bestimmte) Zeit, Termin“ hajjôm „heute“, vgl. hajjôm hazzæh „dieser Tag“ jôm „Tag“, pl. jāmîm „Tage“ (Ausdruck der Zeitdauer) Tageseinteilung:41 šahar „Morgenröte“, boqær „Morgen“ ˙ såhårajim „Mittag(szeit)“ ˙ ῾æræb „Abend“, bên hā῾arbajim „zw. den beiden Abenden“ lajl, lajlāh „Nacht“ māhār „morgen“ ˙ mô῾ed „verabredeter Zeitpunkt, Termin, Fest(zeit)“ ῾ad „Ewigkeit, immer“ ῾ôd „Wiederkehr, Wiederholung, Dauer“42 ῾ôlām „(die dem gegenwärtigen Zeitpunkt vorausgehende bzw. folgende Zeit in undefinierter Erstreckung >), fernste Zeit, Ewigkeit“ ῾attāh „jetzt, nun“ qædæm „Ur-/Vorzeit, vorn“43 ræga῾ „Augenblick, Moment, plötzlich“ šā῾āh „Augenblick, Stunde“ (aram., Dan 3,6 u. ö.)
Abb. 88: Alttestamentliche Zeittermini
Im Folgenden gehe ich von der elementaren Zeiteinheit Tag und Nacht bzw. Abend und Morgen aus, wie sie zum ersten Mal in Gen 1,5 begegnet.
Lohfink, Wiederkehr, 117 f. Seidl, Zeit, 186. Zu den alttestamentlichen Zeitbegriffen s. ders., aaO 175 ff. 41 S. dazu Belzer, Art. Tageseinteilung, 771 f und im Folgenden. 42 S. etwa Gen 8,22 und dazu oben 379 f. 43 S. dazu oben 333 ff. 39 40
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 387
α) Morgen und Abend, Tag und Nacht Altes Testament: Belzer, Art. Tag, 769 ff ◆ Ders., Art. Nacht, 884 ff ◆ Janowski, Licht, 221 ff ◆
Ders., Welt des Anfangs, 3 ff ◆ Rösel, Art. Tag, 381 ff ◆ Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 67 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Verständnis, 357 f ◆ Ders., Ordnung, 3 ff ◆ Seidl, Zeit, 175 ff ◆ Seiler, Art. Nacht, 322 ff ◆ Spieckermann, Nacht, 187 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 523 ff ◆ Steck, Schöpfungsbericht, 158 ff ◆ Weippert, Lärm, 180 ff. – Antike Religionen: Janowski, Rettungsgewissheit ◆ Renger, Zeit, 7 ff.14 ff ◆ Streck, Tageslauf, 12 ff ◆ Wilcke, Weltbilder, 1 ff. – Kultur- und Geschichtswissenschaft: Febvre, Geschichte, 79 ff ◆ Schivelbusch, Lichtblicke.
„Das Erwachen des Tages“, so beginnt G. Dalman (1855–1941) seine plastische Schilderung des Tagesanbruchs in Palästina / Israel, „ist bei klarem Himmel überall eine erhabene Erscheinung. In Palästina drängen sich besonders im dunstarmen Sommer die einzelnen Momente des Morgens (subh) noch ˙ enger zusammen. Man meint zuweilen, daß das Wachsen des jungen Lichts ruckweise fortschreitet, bis mit dem Aufblitzen der Sonne der Tag mit seiner blendenden Helle und glühenden Wärme plötzlich da ist“44.
Und vom Sonnenuntergang heißt es: „Der Sonnenuntergang hat im palästinischen Bergland bei klarem Himmel stets seine Eigenheit. Die Kahlheit und Farbenarmut des Landes läßt das, was dabei am Himmel von Farbe erscheint, besonders herrlich erscheinen. Zuweilen, besonders im Frühjahr und Herbst, ist aber auch rotes Licht in besonderer Stärke am Westhimmel ausgebreitet und ergießt sich über die felsigen Berghänge, die sich von den dunklen, schon im Schatten liegenden Tälern scharf abheben. Noch öfter vielleicht ist es vor und nach dem Sonnenuntergang ein goldiges Gelb, das sich am Horizont ausbreitet, über welchem der Himmel zunächst in Grün, dann in Blau übergeht“45 – bevor die dunkle Nacht hereinbricht.
Die mit dem markanten Licht/Finsternis-Gegensatz verbundenen Erlebnisformen sind weitgehend aus unserem Alltagsleben verschwunden – was den Mentalitätshistoriker L. Febvre (1878–1956) einst zu dem Urteil veranlasste, dass dieser Gegensatz für die Menschen des 20. Jahrhunderts „nichts oder so gut wie nichts“ bedeute: „Ein Knopfdruck – und das elektrische Licht löst das Sonnenlicht ab. Wir sind Herren über Tag und Nacht, wir spielen damit ganz nach Belieben. Die Menschen des Mittelalters? Oder die des 16. Jahrhunderts? Sie waren nicht Herren über Tag und Nacht, jedenfalls nicht die Armen, die nicht einmal Öllampen besaßen, nicht einmal Kerzenlicht, wenn die Nacht hereinbrach. Ein Leben, das Tag um Tag durch den Wechsel von Finsternis und Licht skandiert wurde, das in zwei (je nach Ort und Jahreszeit verschieden große) Stücke zerschnitten wurde: Tag und Nacht, Hell und Dunkel, Totenstille
44 45
Dalman, AuS 1/2, 597. Ders., aaO 620.
388 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung und lärmende Betriebsamkeit – wie sollte es bei den Menschen dieselben geistigen Gewohnheiten, dieselben Weisen des Denkens, Fühlens, Wollens, Agierens und Reagierens erzeugt haben wie unser gesichertes, behütetes, von Anstößen und schroffen Gegensätzen bereinigtes Leben?“46 1,1 f
Anfang der Schöpfung
Anfang des göttlichen Schöpfungs- handelns (1) Vorweltschilderung (2)
Himmel und Erde Erde als Tohuwabohu
1,3–31 Schöpfungswerke und Schöpfungstage
Lebensräume
1. Tag: Licht und Finsternis (3–5) 2. Tag: Himmelsfeste (6–8) 3. Tag: Erde, Meer, Pflanzen (9–13) – vom Meer getrennte Erde – Pflanzen tragende Erde 4. Tag: Gestirne (14–19)
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
ZEIT: Erschaffung Raum: Himmel Raum: Erde / Meer ZEIT:
Rhythmisierung
Lebewesen
5. Tag: Wasser- und Flugtiere (20–23) 6. Tag: Landtiere und Menschen (24–31) – Landtiere – Menschen 2,2 f
Abschluss der Schöpfung
Abschluss der Schöpfung am 7. Tag (2) Segnung und Heiligung des 7. Tages (3a) Begründung: Ruhen Gottes am 7. Tag (3b)
Raum: Meer / Himmel
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
Raum: Erde
⎫ ⎪ ⎬ ⎪ ⎭
ZEIT: Vollendung
Abb. 89: Die Komposition von Gen 1,1–2,3
Nach biblischer Auffassung ist menschliches Leben demgegenüber elementar auf den Wechsel von Tag und Nacht bezogen, wie er seinen klassischen Ausdruck im priesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) gefunden hat (s. Abb. 89). Dieser Text beschreibt Gottes Schöpfungshandeln als Ermöglichung von Leben „in einem allen Lebewesen gemeinsam zugewiesenen Lebensraum“47, wobei den Ordnungskategorien Raum und Zeit eine fundamentale Bedeutung zukommt. Das zeigt sich nicht nur in der Scheidung von Licht und Finsternis (V. 3–5) sowie in der Erschaffung der beiden Leuchten Sonne und Mond (V. 14–19), sondern auch in der Abfolge von sechs Arbeitstagen und einem siebten Ruhetag. Die SchöpFebvre, Geschichte, 86 f, s. dazu Schivelbusch, Lichtblicke und Janowski, Rettungsgewissheit, VIIff (Vorwort). 47 Zenger, Gottes Bogen, 78, vgl. 58.65.81 f u. ö., zum Folgenden s. auch Janowski, Welt des Anfangs, 9 ff. 46
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 389
fung ist damit als Sieben Tage-Einheit gestaltet, innerhalb derer die Tage I–IV (V. 3–19) einen thematisch selbständigen Textabschnitt bilden, von dem die Tage V–VI (V. 20–31) als ein zweiter, durch eine Reihe von Besonderheiten (Verben bārā᾽ „schaffen“, brk pi. „segnen“) ausgezeichneter Abschnitt abgesetzt sind.48 Die der Schöpfung eingestiftete Wiederkehr des 7. Tages, den Gott segnete und heiligte (2,3), ist „wohl die eindrücklichste Institution eines zyklischen Zeitverständnisses“49. Die Aussagen zum Thema „Zeit“ (1./4./7. Tag) legen sich wie ein Rahmen um die übrigen Schöpfungswerke, die nach der Vorweltschilderung von V. 1 f in V. 3–5 mit der Erschaffung von Licht und Finsternis eröffnet werden: 1 Als Gott anfing, den Himmel und die Erde zu schaffen, 2 während die Erde Tohuwabohu war, wobei Finsternis über der Oberfläche der Urflut war, und der Wind / Sturm Gottes über der Oberfläche des Wassers in Bewegung war / flatterte, 3 da sprach Gott: „Es werde Licht“, und es wurde Licht. 4 Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag (jôm), die Finsternis aber nannte er Nacht (lajlāh). Und es wurde Abend (῾æræb), und es wurde Morgen (boqær): ein Tag.50
Die Entstehung der Zeiteinheit „ein Tag“ (jôm ᾽æhād V. 5b)51 beruht auf der Erst˙ erschaffung des Lichts, das vom Schöpfer von der uranfänglichen Finsternis (vgl. V. 2a) geschieden und als „gut“ (tôb) bezeichnet wird (V. 4 f).52 Diese Wertungs˙ aussage ist „nicht als ästhetische Kategorie aufzufassen, sondern nimmt eine ,Ordnung‘, eine Sinnhaftigkeit, in den Blick“53. Die Scheidung von Licht und Finsternis bringt den regelmäßigen Rhythmus von Tag und Nacht und damit die Abfolge von Abend und Morgen hervor (V. 3–5).54 Demgegenüber sichern nach Gen 1,14–19 die kosmischen Größen Sonne, Mond – „die beiden großen Leuch48
49 50
51 52 53 54
Zum thematischen Einschnitt nach Tag IV (Gen 1,14–19) und zu den Besonderheiten in der Darstellung der Tage V–VI s. Janowski, aaO 9 ff. Zu einer etwas anderen Gliederung kommt Bührer, Anfang, 131 ff. Schwienhorst-Schönberger, Ordnung, 18. Zur (kontrovers beurteilten) Syntax von V. 1–3 s. die Hinweise bei Janowski, aaO 5 ff. Erst vom 2. Schöpfungstag an (V. 6 ff) wird in der sog. Tagesformel die Ordinalzahl verwendet. S. dazu Steck, Schöpfungsbericht, 169 ff; Dohmen, Exodus I (HThK.AT), 395 f u. a. Dohmen, aaO 395, s. dazu auch Hardmeier / Ott, Naturethik, 149 ff, denen zufolge sich diese Sinnhaftigkeit mit den Adjektiven „zweckdienlich, funktionsgerecht“ beschreiben lässt. Zur Frage, wann im alten Israel der Tag begann – morgens oder abends –, s. Belzer, Art. Tagesbeginn, 770 f, ferner Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 67 ff (Abendtheorie) und Steck, aaO 174 ff (Morgentheorie).
390 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
ten“ (V. 16) – und Sterne diesen Rhythmus ebenso wie die längerfristigen Rhythmen der Festzeiten und Jahre: 14 Und Gott sprach: „Es seien Leuchten an der Feste des Himmels, um zu scheiden zwischen dem Tag und der Nacht, und sie seien zu Zeichen, und zwar für Festzeiten, für Tage und Jahre, 15 und sie seien zu Leuchten an der Feste des Himmels, um zu leuchten über der Erde.“ Und es geschah so: 16 Und Gott machte die beiden großen Leuchten: die große Leuchte zur Herrschaft über den Tag und die kleine Leuchte zur Herrschaft über die Nacht und die Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, um zu leuchten über der Erde, 18 und um zu herrschen über den Tag und über die Nacht, und um zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. 19 Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag.55
Der erste (V. 3–5) und der vierte Schöpfungstag (V. 14–19) stehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sie thematisieren unterschiedliche Aspekte der Zeit:56 dort die Erschaffung des Lichts (im Gegensatz zur Finsternis) und hier die Rhythmisierung der Zeit durch die zählbare Folge von Tagen, Monaten und Jahren sowie die aus dem kontinuierlichen Jahreslauf herausgehobenen Festzeiten. Die astronomische bzw. natürliche Zeit (Tag/Nacht-Wechsel) und die soziale Zeit (Sonnen-, Mondjahr, Planetenzyklen) sind elementar aufeinander bezogen. Das belegt auf eindrückliche Weise auch Ps 104,19–23, wo sich mit dem morgendlichen Aufgang der Sonne die wilden Tiere in ihre Verstecke zurückziehen (V. 22) und der Mensch heraustritt zu seinem Tun bis zum Abend (V. 23): 19 Er (sc. JHWH) hat gemacht (den) Mond für die Festzeiten (mô῾adîm), die Sonne kennt ihren Untergang. 20 Du bestimmst Finsternis, und es wird Nacht, in ihr wimmeln alle Tiere des Waldes. 21 Die Junglöwen brüllen nach Beute, um von Gott ihre Nahrung zu fordern. 55
Zur „Herrschaft“ (mæmšælæt) der Sonne über den Tag und des Mondes über die Nacht (V. 16b, vgl. V. 18a) s. Janowski, Statue, 158. 56 S. dazu Steck, aaO 170 f und ausführlich Ederer, Begegnung, 51 ff, der darüber hinaus auf die intertextuellen Bezüge zwischen Gen 1,3 ff.14 ff und Ex 27,20 f (Menora) aufmerksam macht: „Die Zeitgröße ,Tag‘ wird somit im ,Heiligen‘ des Begegnungszeltes durch den rhythmisierten Wechsel von Licht (des Tages) und Licht (der Menora) generiert und erkennbar gemacht, während die Finsternis als Element des primordialen ,Chaos‘ keinen Platz mehr findet“ (58).
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 391
22 Es geht die Sonne auf, sie ziehen sich zurück, und zu ihren Verstecken lagern sie sich. 23 Heraus geht der Mensch zu seinem Tun und zu seiner Arbeit bis zum Abend.
Dieser Text schildert den zeitlichen Ablauf eines einzigen Tages: er beginnt entsprechend dem Mondjahr am Abend und endet am Abend des folgenden Tages: 20 f
Abend / Nacht
22.23a
Sonnenaufgang / Morgen
23b Tag / Abend
⎫ ⎪ ⎪ Tiere (Rückzug in ihre Verstecke) ⎪ 1 ganzer ⎬ Mensch (Verlassen des Hauses) Tag ⎪ ⎪ ⎪ Mensch (Arbeit) ⎭
Tiere (Beute, Nahrung)
Nur am Rand sei angemerkt, dass dieser Text immer wieder Anlass zum Vergleich mit dem Großen Amarnahymnus (s. Q 64) gegeben und bei J. Assmann zu der These geführt hat, dass Ps 104,20–30 literarisch (!) von der ägyptischen ,Vorlage‘ abhängig sei. Entscheidend ist für Assmann „die Wertung der Nacht als Gottesferne“57, wie sie in Z. 27–37 des Großen Amarnahymnus geschildert wird: Gehst du unter im westlichen Lichtland (= Westhorizont), ist die Erde in Finsternis, in der Verfassung des Todes. 30 Die Schläfer (oder: sie schlafen) in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe, kein Auge sieht das andere. Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weg gestohlen, und sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle herausgekommen, alle Schlangen beißen. 35 Dunkel ist das Herdfeuer (oder: die Finsternis ist ein Grab), die Erde liegt in Schweigen: ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland.58 Der These Assmanns ist allerdings zu widersprechen, weil der Differenzpunkt das unterschiedliche Gottesbild und die damit zusammenhängende Wertung der Nacht ist: Während JHWH nach Ps 104,20 f auch nachts in seiner Schöpfung anwesend ist und den Junglöwen Nahrung gibt (das in Ps 104,21 stehende Verb „fordern“ impliziert eine aktive Beziehung zwischen Gott und seinen tierischen Geschöpfen!), ist Aton, der Lichtgott von Amarna, in der Nacht abwesend, weil er „in seinem Lichtland untergegangen“ ist (Z. 37). Im Unterschied zur traditionellem Sonnentheologie mit ihrem Tag und Nacht umfassenden Sonnenlauf (s. Q 63) gibt es für die Amarna-Religion keine Gottesnähe außerhalb des Lichts, und ist deshalb die Welt während der Nacht „in der Verfassung des Todes“ (Z. 29). Trotz zahlreicher Ähnlichkeiten in der Naturauffassung steht somit der raumzeitlich eingeschränkten Wirksamkeit Atons die Allwirksamkeit JHWHs gegenüber.59 Assmann, Ägypten, 247. ders., ÄHG2, 218. 59 S. dazu auch Spieckermann, Heilsgegenwart, 38 ff; Müller, Wettergott, 228 ff; Krüger, Lob, 403 ff und Janowski, Hymnen, 199 ff. 57
58 Übersetzung
392 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Der Rhythmus der Festzeiten und die Zuverlässigkeit des Sonnenlaufs sorgen für die Ordnung der Zeit und geben dem menschlichen Leben Verlässlichkeit. Da sie als „natürliche Gegebenheiten“ erlebt werden, scheinen sie wenig spektakulär zu sein – es sei denn, sie bleiben aus oder der Mensch nimmt den in ihnen sich abbildenden Ordnungszusammenhang nicht mehr wahr. Von beidem: dem Ausbleiben der grundlegenden Zeitrhythmen wie ihrer Missachtung durch den Menschen weiß das Alte Testament beredt zu berichten. Exkurs 17: Chaosbeschreibungen Altes Testament: Janowski, Welt ohne Licht, 31 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 191 ff ◆ Kruger,
Mundus inversus, 173 ff ◆ Ders., World, 58 ff ◆ Schmid, Weltgericht, 409 ff ◆ Trimpe, Schöpfung, 55 ff. – Antike Religionen: Assmann, Königsdogma, 259 ff ◆ Blum, Prophetie, 81 ff ◆ Ders., Kombination I, 573 ff ◆ Kruger, Disaster, 391 ff ◆ Schipper, Endzeitszenarien, 11 ff.
Ebenso wie die altorientalischen Kulturen besaß auch das Alte Testament eine hohe Sensibilität für die Zerbrechlichkeit der Schöpfung und ihre Gefährdung durch menschliche Schuld. Prophetische und apokalyptische Texte wie Am 5,18–20; Jes 13; 24; 34,8–11; Zeph 1,2 f u. a. sind in dieser Hinsicht einschlägig.60 Sie kommen nicht ohne den Rekurs auf die Phänomene der natürlichen Lebenswelt aus, kehren die Aussagerichtung aber konsequent um, indem sie den drohenden Untergang aller Lebensformen als Rückfall ins Chaos, als „Anti-Schöpfung“ und „Anti-Natur“61, vor Augen stellen. Als Beispiel sei der nachjeremianische Visionsbericht Jer 4,23–2862 zitiert, der gegenüber den vorausgehenden Sprüchen (Jer 4,*5–22) das Unheilsgeschehen ins Kosmische ausweitet:
Vision des Propheten 23 Ich sah die Erde, und siehe: Tohuwabohu, und zum Himmel: dahin war sein Licht. 24 Ich sah die Berge, und siehe, sie bebten, und alle Hügel schwankten. 25 Ich sah, und siehe, (da war) kein Mensch, und alle Vögel des Himmels waren entschwunden. 26 Ich sah, und siehe, das fruchtbare Land war die Wüste, und alle seine Städte waren zerstört vor JHWH, vor der Glut seines Zorns.
Bestätigung JHWHs 27 Denn so spricht JHWH: „Ödnis wird die ganze Erde sein, und ein Ende werde ich 〈ihr〉 bereiten.
60
Zu den Chaosbeschreibungen in Ägypten, Mesopotamien, Kleinasien und Syrien / Palästina s. Q 66; 114; 120 und 150. 61 Vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 191 ff. 62 S. dazu außer den Kommentaren noch Weippert, Schöpfer, 49 ff und Trimpe, Schöpfung, 55 ff.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 393
28 Darüber wird trauern die Erde und schwarz werden der Himmel oben, darüber, dass ich geredet, geplant habe, und ich nicht bereue und nicht davon umkehre. Das ist ein unheimliches Bild, eine „in Bilder umgesetzte Rücknahme der Schöpfung“63. Denn nicht nur das Land und seine Bewohner, sondern die gesamte Schöpfung wird in JHWHs Gerichtshandeln einbezogen und in das uranfängliche Tohuwabohu zurückverwandelt. Man muss schon zu den „negativen Urgegebenheiten“ von Gen 1,264 zurückgehen, um das Ausmaß dieser Katastrophe zu ermessen: 1 Als Gott anfing, den Himmel und die Erde zu schaffen, 2 während die Erde Tohuwabohu war, wobei Finsternis über der Oberfläche der Urflut war, und der Wind / Sturm Gottes über der Oberfläche des Wassers in Bewegung war / flatterte, 3 da sprach Gott: „Es werde Licht“, und es wurde Licht. (Gen 1,1–3) Diese Tradition wird hier rezipiert, wobei die Elemente in ähnlicher Reihenfolge, wie sie im Sechstagewerk von Gen 1,1–31 erschaffen wurden, zurückgenommen werden. Diese Rücknahme der Schöpfung vollzieht sich in vier großen, jeweils durch „ich sah“ + „und siehe“ eingeleiteten Bildern: zuerst Erde und Himmel (V. 23), dann Berge und Hügel (V. 24), darauf Menschen und Tiere (V. 25)65 und schließlich fruchtbares Land und Städte (V. 26): Bild 1: Erde und Himmel Bild 2: Berge und Hügel
⎫ ⎬ ⎭
Bild 3: Menschen und Tiere (Vögel) ⎫ ⎬ Bild 4: fruchtbares Land und Städte ⎭
Der Kosmos und seine Stabilität Die Lebewesen und ihre Lebensräume
Vergleicht man den ersten Schöpfungsbericht mit dieser prophetischen Vision,66 so ergibt sich eine regelrechte Inversion der Schöpfung: wo dort das Chaos am Anfang (Gen 1,2) und die „sehr gute“ Schöpfung am Ende stand (Gen 1,31), beginnt hier alles mit dem Chaos (V. 23), das auch am Ende nicht überwunden oder vom Schöpfergott gar niedergehalten wird (V. 26). In V. 27 f wird mit der Wendung „die ganze Erde“ (V. 27) und besonders mit dem Merismus „Erde“/„Himmel“ (V. 28a) noch einmal das Anfangsbild von V. 23 aufgenommen und so die Gültigkeit der prophetischen Vision durch das JHWH‑Wort umfassend bestätigt. Die intertextuellen Anspielungen von Jer 4,23–26 auf Gen 1,1–31 (im Folgenden kursiv) sehen folgendermaßen aus:
Weippert, aaO 51. S. dazu Janowski, Gottes Sturm, 148 ff. 65 Pars pro toto werden in V. 25b die „Vögel des Himmels“ genannt: „Wenn sie fehlen, heißt das, daß es nicht einmal mehr Leichen zum Fressen gibt“ (Fischer, Jeremia I [HThK.AT], 225), vgl. Jer 7,33! 66 Zu den intertextuellen Bezügen s. Trimpe, Schöpfung, 79 ff. 63 64
394 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Jer 4,23–26
23 Erde / Tohuwabohu, Himmel / Licht 24 Berge Hügel 25 kein Mensch alle Vögel des Himmels 26 fruchtbares Land Städte
Gen 1,1–31 1,2 (Vorwelt) 1,3–5 (Tag I), vgl. 1,14–19 (Tag IV) – – 1,26–31 (Tag VI), vgl. Gen 2,5 1,20–23 (Tag V) 1,11–13 (Tag III)67 –
Interessant ist bei dieser Gegenüberstellung das, was fehlt: aus der Vorweltschilderung Gen 1,2 ist es die Urflut / das Wasser und aus der Darstellung der Schöpfungstage I–IV (Gen 1,3–19) ist es das Wasser / das Meer (1,6–8: Tag II; 1,9 f: Tag III). Dafür nennt Jer 4,23– 26 die Berge//Hügel als die – schwankenden – „Fundamente“ des Kosmos (V. 24, vgl. Jes 24,18b–20), die Wüste als den Gegenort zum Fruchtland (V. 26a) und die Städte als den – zerstörten – Lebensraum der Menschen (V. 26b). Das aber bedeutet, dass Jer 4,23– 26 den Prätext Gen 1,1–31 nicht einfach zitiert,68 sondern dessen Fokus unter Beibehaltung der Grundperspektive – die Erde als kosmisches Lebenshaus – verschiebt: weg von der Darstellung der raumzeitlichen Ordnung der Welt (Tage I–IV) und der in ihr existierenden Lebewesen (Tage V–VI) hin zur Rücknahme der Schöpfung, wobei die Aspekte Instabilität (V. 24) und Unfruchtbarkeit / Unbewohnbarkeit (V. 26) in den Vordergrund rücken. Beide Aspekte sind das Spezifikum von Jer 4,23–26. Sie begegnen in positiver Gestalt auch in anderen Schöpfungstexten, bei denen ebenfalls das Motivwort tohû „Öde, Leere“ auftaucht: 18 Denn so spricht JHWH, der Schöpfer des Himmels, er ist der Gott, der Bildner der Erde und ihr Schöpfer, er ist es, der sie gründet/ gegründet hat, nicht zur Öde (tohû) hat er sie geschaffen, zum Wohnen hat er sie gebildet. Ich bin JHWH und keiner sonst! 19 Nicht im Verborgenen habe ich gesprochen, am Ort eines Landes der Finsternis, nicht habe ich gesagt zur Nachkommenschaft Jakobs: „In der Öde (tohû) sucht mich!“ Ich bin JHWH, der Gerechtigkeit spricht, der Geradheit kundtut. (Jes 45,18 f)69 Der den Norden ausspannt über der Öde (tohû), der die Erde aufhängt über dem Nichts. (Hi 26,7)
67
Nach Jer 4,24 wird das fruchtbare Baumgartenland (karmæl) zur „Wüste“ (midbār), d. h. es geht um die Zerstörung der Lebensgrundlagen. In Gen 1,11 f ist zwar nicht von Fruchtland, aber von den Bäumen die Rede, die Früchte bringen, in denen ihr Same ist. 68 Vgl. Trimpe, aaO 82. 69 S. dazu Trimpe, aaO 64 ff; Berges, Jesaja IV (HThK.AT), 427 ff und Janowski, Welt ohne Licht, 40.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 395
Mit ähnlichem Vokabular wie Jes 45,18 f, aber mit umgekehrter Aussageintention rückt Jer 4,23–26 die Aspekte Instabilität (V. 24) und Unfruchtbarkeit / Unbewohnbarkeit (V. 26) in den Vordergrund. Diese Inversion der Schöpfung – das sog. mundus inversus-Motiv – lässt sich besonders am Motiv des „Bebens“ und „Erschüttert-Werdens, Schwankens“ der Berge // Hügel in Jer 4,24 gegenüber dem Motiv des „Fest Hinstellens, Gründens“ der Erde in Jes 45,18aα erkennen: „Die durch den Schöpfer hergestellte und garantierte Stabilität der Erde schließt ein, dass sie auch politisch, sozial und ethisch nicht aus den Fugen gerät. Da er sie ,nicht als Chaos geschaffen‘ hat (Perfekt), kann sie weder zur menschenfeindlichen Wüste verkommen (vgl. Jes 24,10; 34,11; Dtn 32,10; Jer 4,23) und damit in den vorgeschöpflichen Zustand zurückfallen (Gen 1,2; Hi 26,7), noch im Chaos der Rechtsbeugung enden (Jes 29,21; 59,4; Hi 6,18).“70 Genau dies geschieht aber nach Jer 4,23–28. In seinem glühenden Zorn (V. 26b) zerstört JHWH die von ihm geschaffene und geordnete Welt und zwar, wie V. 28b formuliert, definitiv. Wo in Gen 1,1–31 der Schöpfer nach der abschließenden Billigungsformel alles, was er gemacht hatte, ansah und für „sehr gut“ befand (Gen 1,31), muss der Prophet nach Jer 4,23 Erde und Himmel, also die gesamte Welt, ansehen und feststellen, dass sie „wüst und leer“ und ohne Licht war. Eine Welt ohne Licht ist eine Welt ohne Leben. Ihr Himmel, der Lebensraum der Vögel, wird „schwarz“ (V. 28b) wie die Nacht, und ihre Erde / ihr Land „trauert“ (V. 28a)71 über das Ende allen Lebens.72 𓇼
β) Kalender und Zeitrechnung Altes Testament: Borowski, Agriculture, 31 ff ◆ Jaroš, Art. Kalender, 429 ff ◆ Müllner / Dschulnigg, Feste, 14 ff ◆ Seidl, Zeit, 175 ff ◆ Weippert, Art. Kalender, 165 ff. – Antike Religionen:
Jaroš, Art. Kalender, 430 f ◆ Rüpke, Religion, 183 ff ◆ Weippert, Art. Kalender, 165 ff.
Die Grundeinheiten der Zeitrechnung sind astronomisch bedingt: der Tag durch die Erdrotation, der Monat durch den Mondumlauf und das Jahr durch den (scheinbaren) Umlauf der Sonne um die Erde.73 Das spiegelt sich auch in den alttestamentlichen Bezeichnungen für die Zeiteinheiten von Monat und Jahr wider (Abb. 90). Im alten Israel war der vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung reichende Tag in drei Abschnitte – den Morgen, den Mittag und den Abend – gegliedert. In der Nacht gab es drei Nachtwachen (Abb. 91).
Berges, aaO 428. Vgl. Jer 12,4 u. a. Zum Topos vom „trauernden Land“ s. Hugger, Land, 301 ff. 72 Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund (Belagerung Jerusalems durch die Babylonier in der 1. Hälfte des Jahres 587 v. Chr.) s. Hardmeier, Zeitverständnis, 97 ff. 73 Vgl. Weippert, Art. Kalender, 165. 70 71
396 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung – jærah „Mond(umlauf ), Monat“ bezeichnet den Mondumlauf von Neumond (hodæš) ˙ ˙ zu Neumond (hodæš) ˙ – hodæš „Neumond(stag), Monat“ bezeichnet ursprünglich die beiden Pole des ˙ Mondumlaufs (vom Sichtbarwerden des Neumonds bis zu seinem erneuten Sichtbarwerden) – šānāh „Jahr“ bezeichnet das aus ca. 354 Tagen (= 12 Mondumläufen) bestehende lunare Jahr. Die Differenz zum Sonnenjahr (ca. 365 Tage), von denen die Jahreszeiten abhängen, wird später mit Schalttagen (Interkalationen) ausgeglichen
Abb. 90: Hebräische Termini für Monat und Jahr – der Morgen (šahar „Morgenröte“, boqær „Morgen“) war die Zeit des aufgehenden Mor˙ gensterns, der Morgenwache (1 Sam 11,11), des Beginns des Arbeits- oder Reisetags (Gen 22,3; Ri 19,5 f; Ps 104,22 f ), der Darbringung des Morgenopfers (Num 22,3; 2 Kön 3,20) und des rettenden Eingreifens Gottes (Jes 33,2; 5,4; 30,5 f; 46,6; Zeph 3,5 u. ö.) – der Mittag (såhårajim „Mittag(szeit)“) war die Zeit der größten Hitze, des Fehlens jeg˙ lichen Schattens (1 Sam 11,9–11) und der Mittagsruhe (Gen 18,1–5; 43,16.25; 2 Sam 4,5) – der Abend (῾æræb „Abend“, bên hā῾arbajim „zwischen den beiden Abenden“) war die Zeit des Arbeitsendes vor dem Einbruch der Dunkelheit, des Abendessens (Gen 26,30 f; 1 Sam 25,36 f; Ruth 3,3 f.7 u. ö.) sowie des Abendopfers und -gebets (Num 24,4.8; 1 Kön 18,29; Esr 9,4 u. ö.) – die Nacht (lajl, lajlāh) war in drei Nachtwachen unterteilt, die aufgrund der unterschiedlichen Dauer der Nacht von unterschiedlicher Länge waren (Anfang: Klgl 2,19; Mitte: Ri 7,19; Morgenwache: Ex 14,24; 1 Sam 11,11)74
Abb. 91: Zur Tageseinteilung im Alten Testament Man wüsste natürlich gern, wie der Tageslauf der Menschen im alten Israel wirklich ausgesehen hat. Aufgrund des zeitlichen Abstands und vor allem der Art der zur Verfügung stehenden Text- und Bildquellen, die keinen unmittelbaren Zugang zur gelebten Wirklichkeit erlauben, sind hier nur Annäherungen möglich. Immerhin vermitteln die fiktiven Schilderungen von Ph.J. King / L. Stager, H. Weippert, O. Borowski und K. van der Toorn75 eine Idee von den tatsächlichen Verhältnissen. Die anthropologischen Aspekte werden dabei besonders von H. Weippert und K. van der Toorn herausgestellt.
Von einem bestimmten Zeitpunkt an war die Woche in sechs Arbeitstage und einen Ruhe- oder Sabbattag76 gegliedert. Noch älter ist die Einteilung des Jahres. So kennt bereits der aus der 2. Hälfte des 10. Jh.s v. Chr. stammende Bauernkalender von Geser (s. Abb. 39), der mit der Olivenernte im September / Oktober beginnt, zwölf Mondmonate.77 Mit seinem Katalog bäuerlicher Tätigkeiten, die nach ihrer Dauer von einem Monat oder von zwei Monaten klassifiziert werden, belegt er den engen Zusammenhang der astronomisch-natürlichen und der ökoBelzer, Art. Tageseinteilung, 772 und ders., Art. Nacht, 884 f. S. dazu King / Stager, Life, 12 ff; Weippert, Lärm, 180 ff; Borowski, Life, 109 ff und van der Toorn, Nine Months, 393 ff. Zum Tageslauf in Mesopotamien s. Wilcke, Weltbilder, 1 ff. 76 S. dazu oben 252 ff. 77 S. dazu oben 242 ff. 74 Vgl. 75
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 397
nomisch-sozialen Zeit. Dieser Zusammenhang gewinnt an den Festen Israels eine besondere Bedeutung. 2. Feste und Festfreude im alten Israel Entsprechend den klimatischen Bedingungen waren im alten Israel nur zwei Jahreszeiten bekannt: die winterliche Regenzeit und der regenlose, heiße Sommer (vgl. Gen 8,22).78 Frühjahr und Herbst, für die es keine hebräischen Bezeichnungen gibt, haben wegen der kurzen, etwa sechswöchigen Übergangszeiten nicht dieselbe Bedeutung. Dennoch spielen sie, wie der Festkalender zeigt (s. Abb. 92), eine zentrale Rolle im Leben des alten Israel.79 a) Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt Altes Testament: Berlejung, Zeiten, 3 ff ◆ Grund, Entstehung ◆ Hartenstein, Sabbat, 107 ff ◆ Janowski / Zenger, Jenseits des Alltags, 39 ff ◆ Müllner / Dschulnigg, Feste, 9 ff. – Antike Religionen: Assmann (Hg.), Fest ◆ Ders., Mensch, 13 ff ◆ Ders., Tag, 200 ff ◆ Blum / Lux (Hg.),
Festtraditionen ◆ Linke, Religion, 14 ff.95 ff ◆ Rüpke, Religion, 86 ff.176 ff.
Wie das Opfer so ist auch das Fest in den antiken Kulturen ein religiöser Kontrapunkt zur Alltagswelt, der dem Leben Sinn und Ziel durch die Unterbrechung der Alltagsroutine und die Eröffnung übergreifender Perspektiven verleiht.80 Das Fest, so definiert J. Assmann, ist „der Ort des Anderen“81, und zwar des „Anderen“ als Inbegriff all dessen, was eine Kultur im Interesse ihres alltäglichen Funktionierens ausblenden muss: „Die dem Menschen im Alltag auferlegten Handlungszwänge bedingen eine Konzentration aufs nächstliegende und damit Horizontverengung, die offenbar unerträglich ist. Die Feste müssen hier einen Ausgleich schaffen und Orte bereitstellen, in denen sich das im Alltag ausgeblendete ‚Andere‘ ereignen kann. Dieses Andere ereignet sich 82 aber nicht von selbst, es muß inszeniert werden.“
Im Folgenden stellen wir einige zentrale Aspekte dieser ,Inszenierung‘ zusammen. α) Die Erfahrung des Heiligen Es gehört zu den Merkmalen des Festes, dass es der Primärort und die Primärzeit solcher Inszenierungen des „Anderen“, d. h. eines religiösen Kontrapunkts zur Alltagswelt und seiner Merkmale der „Kontingenz“, der „Knappheit“ und 78
Vgl. oben 23 ff. S. dazu unten 406 ff. 80 Zum Opfer s. oben 310 ff. 81 Assmann, Mensch, 13, s. zum Thema den Überblick bei Berlejung, Zeiten, 3 ff. 82 Assmann, aaO 15. 79
398 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
der „Routine“ ist.83 Da im Fest die Besinnung auf die großen Zusammenhänge (Kosmos und Geschichte) und die Aufwallung der Gefühle (Erregung und Ergriffenheit) zum Durchbruch gelangen und das Geschehen prägen, ist das Fest im Gegensatz zum Alltag der Ort und die Zeit der Fülle, wo der Mangel an Sinn (Kategorie der „Knappheit“) aufgehoben und die Monotonie des Alltags überwunden ist. Eine literarische Verdichtung erfährt dieser Aspekt beispielsweise im Topos vom „Schönen Tag“, der sowohl in Ägypten (s. Q 51) als auch in Israel eine besondere Rolle spielt. So treten in ägyptischen Beamtengräbern der 18. Dynastie (1540–1292 v. Chr.) im Zusammenhang bildlicher Darstellungen von Gastmählern kommentierende Beischriften auf, die den dargestellten Szenen eine zusammenfassende, auf die Festlichkeit des Geschehens bezogene Überschrift geben, z. B.: Das Herz erfreuen, etwas Schönes sehen, Gaben empfangen im Hause.84
In der Regel geht es dabei um die Aspekte des Sehens und Hörens, des Riechens und Schmeckens, also um eine Anthropologie der Sinne.85 Darüber hinaus geht es aber auch um das „,Verweilen im Augenblick‘, in den die Ewigkeit einströmt“86, sowie um die Erfahrung der Emanation der Gottheit, deren Aura dem Fest seine besondere Atmosphäre verleiht, z. B.: O schöner Tag, da man der Schönheit Amuns gedenkt – wie freut sich das Herz – und bis zur Höhe des Himmels dir lobpreist. ‚Herrlich!‘ sagen unsere Herzen zu dem, was sie sehen.87
Die ‚überwältigende Präsenz Gottes‘ ist auch das Basismotiv des nachexilischen Zionspsalms Ps 84,88 wonach „ein Tag in deinen (sc. JHWHs) Vorhöfen besser ist als tausend, die ich selbst erwählt habe“ (V. 11a): Wohnen im Haus JHWHs 2 3
Wie lieblich sind deine Wohnungen, JHWH Zebaoth! Gesehnt, ja sogar verzehrt hat sich meine næpæš89 nach den Vorhöfen JHWHs, mein Herz und mein Leib jubeln dem lebendigen Gott zu.
ders., aaO 14 ff. S. dazu Assmann, Tag, 209, ferner ders., Glück, 17 ff. S. dazu die Hinweise oben 297. Ders., Tag, 210. S. zu diesem Text ders., aaO 211. Zum Folgenden s. auch Janowski, Ort, 210 ff. Bei der folgenden Übersetzung sind die kursiv gesetzten Texte als Fortschreibungen zu beurteilen. Der Begriff næpæš erscheint hier unter dem Aspekt der Bedürftigkeit, s. dazu Müller, „Seele“, 257.270 und oben 56.
83 Vgl. 84 85 86 87 88
89
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 399
4 Sogar der Sperling hat ein Haus gefunden und die Schwalbe: sie hat ein Nest für sich, wo sie ihre Jungen hingelegt/-gesetzt hat bei deinen Altären.90 JHWH Zebaoth, mein König und mein Gott. 5 Wohl denen, die in deinem Haus wohnen, immerdar preisen sie dich! – Sela
Wallfahrt zum Zion 6 Wohl den Menschen, deren Stärke in dir ist, gebahnte Wege91 in ihrem Herzen! 7 Ziehen sie durch das Tal der Dürre, machen sie es zu einem Quellgrund, sogar mit Segnungen bedeckt es der Frühregen. 8 Sie gehen von Kraft zu Kraft, 〈sie schauen〉92 Gott in Zion. – Sela
Manifestationen der Gegenwart JHWHs 9 JHWH, Gott Zebaoth, höre doch mein Gebet, vernimm doch, Gott Jakobs! – Sela 10 Unseren Schild sieh an, o Gott, und blick an das Angesicht deines Gesalbten! 11 Ja, besser ist ein Tag in deinen Vorhöfen als tausend, die ich erwählt habe; (besser) stehen an der Schwelle im Haus meines Gottes, als wohnen in den Zelten des Frevels. 12 Denn Sonne und Schild ist JHWH Gott, Gnade und Ehre gibt JHWH, nicht versagt er Gutes denen, die in Makellosigkeit wandeln. 13 JHWH Zebaoth, wohl dem Mensch, der auf dich vertraut!
Ps 84 spricht von einer auf das Zionsheiligtum ausgerichteten Bewegung, die sowohl eine emotionale (Sehnsucht: V. 2–5) wie eine reale Bewegung (Wallfahrt: V. 6–8) ist. Mit der Gottesschau auf dem Zion – V. 8: „Sie gehen von Kraft zu Kraft, 〈sie schauen〉 Gott in Zion“ – verbindet sich nach V.(9 f.)11–13 eine grundlegende Bestimmung der menschlichen Existenz, wenn in V. 11 der Jerusalemer Tempel als Ort der Fülle (1 Tag vs. 1000 Tage, Haus Gottes vs. Zelte des Frevels), in V. 12a der Gott dieses Ortes als richtende und schützende („Sonne und Schild“)93
90
Oder: „auf deine Altäre“. Oder: „Pilgerwege“, s. zu diesem Syntagma Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 509 (Zenger). 92 Zur dogmatischen Korrektur des MT (r᾽h nif. + Präp. ᾽æl) s. dies., ebd. und Dyma, Wallfahrt, 306 ff. 93 S. dazu Janowski, Sonnengott, 199.206.213 und Keel, Geschichte Jerusalems, 281. 91
400 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
wie als anziehende und königlich-herrschaftliche Macht („Gnade und Ehre“) und in V. 12b die Menschen als „Gottes-Pilger“94 und Empfänger all dieses „Guten“ gepriesen werden. So beschreibt V. 12 „die Audienz bei JHWH als Beschenktwerden mit ,Gutem‘, d. h. mit allem, was ein Menschenleben braucht, damit es gelingt und glücklich wird. Mehr noch: Wer zur Audienz zugelassen wird, hat die Chance, JHWHs ,Gnade‘ und Anteil an seiner ,Herrlichkeit‘ zu erlangen, d. h. von ihm in ein besonderes Dienst- und Schutzverhältnis aufgenommen zu werden. V. 12a faßt dies mit den zwei Metaphern ,Sonne‘ und ,Schutzschild‘ zusammen“95.
Die im Heiligtum erfahrbare Gottesnähe ist das Lebensziel des Beters, der sich mit seiner næpæš, d. h. in seiner individuellen Bedürftigkeit, nach den Vorhöfen JHWHs verzehrt und dessen Herz (leb) und Leib (bāśār) dem lebendigen Gott zujubeln (V. 3). Diese Gottessehnsucht fasst Ps 63,2 – wie auch Ps 42,3 – in das Bild vom „Dürsten“96 der næpæš nach Gott, das nur durch diesen selbst gestillt werden kann: 2 3 4 5
Gott, mein Gott, ich suche dich, gedürstet hat nach dir mein Leben (næpæš), geschmachtet hat nach dir mein Leib (bāśār) im dürren und erschöpften Land, ohne Wasser. So habe ich im Heiligtum nach dir geschaut, um zu sehen deine Macht und deine Herrlichkeit. Denn deine Güte ist besser als Leben (hajjim), ˙ meine Lippen sollen dich rühmen. So segne ich dich mein Leben (hajjim) lang, ˙ in deinem Namen erhebe ich meine Hände. (Ps 63,2–5)
Dass es der Tempel ist, nach dessen Gott sich die næpæš des Beters sehnt, hängt mit seiner kosmologischen Funktion und der Wirkmächtigkeit des hier präsenten Lebens- und Rettergottes zusammen.97 Von ihm geht die „Güte“ (hæsæd) ˙ aus,98 die besser ist als „Leben“ (V. 4a). Wie konstitutiv der Jerusalemer Tempel für das Leben des Einzelnen und des Volkes war, zeigt via negativa die Klage über den Untergang der Gottesstadt in Klgl 1,4, die sich gleichsam als Gegentext zur Tempeltheologie von Ps 8499 liest: Die (Pilger-)Wege Zions sind in Trauer, weil niemand zum Fest kommt, alle ihre Tore sind verödet, 94 95 96 97 98 99
Hossfeld / Zenger, aaO 516 (Zenger). Janowski / Zenger, Jenseits des Alltags, 75 (Zenger). S. dazu Ruppert, Dürsten, 211 ff. Zu Ps 42,3 s. oben 300 f. S. dazu Janowski, Ort, 377 ff. Zur Bedeutung von hæsæd s. oben 195 ff. ˙ Vgl. auch Jes 33,20; Ps 42,5 und 132,7.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 401
ihre Priester seufzen, ihre Jungfrauen sind betrübt, ihr selbst bleibt Bitterkeit.100
Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, so lehren die Klagelieder, war ein traumatischer Schock mit weitreichenden Folgen für das alttestamentliche Gottes- und Menschenbild. Erst nach der ,Rückkehr JHWHs zum Zion‘, wie sie in Jes 52,7–10 verheißen und in anderen Texten in ihrem Verlauf geschildert wird,101 kann sich die Festfreude wieder einstellen, die das religiöse Leben Israels so lange geprägt hatte. β) Deuteronomium 26,1–11 als Beispieltext Altes Testament: Braulik, Freude, 171 ff ◆ Dahmen, Leviten, 353 ff ◆ Gertz, Stellung, 30 ff ◆
Janowski / Zenger, Jenseits des Alltags, 42 ff ◆ Lohfink, Opferzentralisation, 219 ff.
Die Rede von ausgelassener Festfreude ist ein Topos zahlreicher alttestamentlicher Texte. Ganz besonders gilt dies für das Deuteronomium, wo die Termini „Freude“ (śimhāh) und „sich freuen“ (śāmeah) programmatische Bedeutung ha˙ ˙ ben. Als Beispiel sei das sog. Kleine geschichtliche Credo von Dtn 26,5–9102 ausgewählt, das ein summierendes Spätprodukt der Tradition von Israels ältester Geschichte darstellt und das sich nach seinem deuteronomistischen Rahmen V. 1 f.10b.11 auf den Kontext der jährlichen Darbringung der Erstlingsfrüchte wohl am Laubhüttenfest (Sukkot) bezieht. Nach der Deponierung der Erstlingsfrüchte in einem Korb, so der vordere Rahmen von Dtn 26,1–11, soll der Familienvater („du“) zur erwählten Stätte ziehen (V. 1 f), um dort vor JHWH das Bekenntnis zu sprechen, das den Segen der Ernte als Frucht der Befreiung der Vorfahren aus Ägypten deutet (V. 5–9):103 Ritueller Rahmen (1) Wenn du in das Land, das JHWH, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, hineinziehst, es in Besitz nimmst und darin wohnst, (2) dann sollst du von den ersten Erträgen aller Feldfrüchte, die du in dem Land, das JHWH, dein Gott, dir gibt, eingebracht hast, etwas nehmen und in einen Korb legen. Dann sollst du zu der Stätte gehen, die JHWH, dein Gott, erwählt, um dort seinen Namen wohnen zu lassen. dazu Berges, Klagelieder (HThK.AT), 101 f und Frevel, Klagelieder (NSK.AT), 96 ff. dazu umfassend Ehring, Rückkehr JHWHs. 102 Zur Interpretation s. außer den Kommentaren noch Dahmen, Leviten, 353 ff und Gertz, Stellung, 30 ff, ferner Janowski / Zenger, Jenseits des Alltags, 42 ff (Janowski) und die bei Otto, Deuteronomium IV (HThK.AT), 1865 ff genannte Lit. 103 Innerhalb des dtr Rahmens V. 1 f.10b.11 (recte) dürften V. 3 f und V. 10a (jeweils kursiv) zu einer Fortschreibungsschicht gehören, vgl. Gertz, aaO 36 ff. Die Rekapitulation der Heilsgeschichte in V. 5–9 stammt demgegenüber wohl aus dtn-dtr Hand (Helvetica). Ob V. 5a* („Mein Vater war ein umherirrender Aramäer“) und V. 10a die älteste, vordtn Fassung des Darbringungsgebets darstellen (so Braulik, Deuteronomium II [NEB], 191), lässt sich nicht mehr erweisen, s. dazu Gertz, ebd. und zur Diachronie des Textes Otto, aaO 1880 ff.1885 ff. 100 S. 101 S.
402 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Bekenntnis (3) Du sollst vor den Priester treten, der dann amtiert, und sollst zu ihm sagen: Heute bestätige ich vor JHWH, deinem Gott, dass ich in das Land gekommen bin, von dem ich weiß: Er hat unseren Vätern geschworen, es uns zu geben. (4) Dann soll der Priester den Korb aus deiner Hand nehmen und ihn vor den Altar JHWHs, deines Gottes, stellen.
Gebetsformular („Kleines geschichtliches Credo“)
Redeeröffnungsformel
5a* Du aber sollst anheben und vor JHWH, deinem Gott, sagen:
Ereignisse vor der Volkwerdung in Ägypten
5a*.b ‚Mein Vater war ein umherirrender Aramäer.104 Er zog nach Ägypten, lebte dort als Fremder mit wenigen Leuten und wurde dort zu einem großen, mächtigen und zahlreichen Volk.
Not
6 Die Ägypter behandelten uns schlecht, machten uns rechtlos und legten uns harte Fronarbeit auf.
Klage 7a Wir schrien zu JHWH, dem Gott unserer Väter, Erhörung b und JHWH hörte unser Schreien und sah unsere Rechtlosigkeit, unsere Arbeitslast und unsere Bedrängnis. Rettung
8 JHWH führte uns aus Ägypten mit starker Hand und hoch erhobenem Arm, unter großen Schrecken, unter Zeichen und Wundern, 9 und er brachte uns an diese Stätte und gab uns dieses Land, ein Land, in dem Milch und Honig fließen.‘
Bestätigung (10a) Und nun, siehe ich bringe hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, JHWH.
Ritueller Rahmen (10b) Wenn du den Korb vor JHWH, deinen Gott, gestellt hast, sollst du dich vor JHWH, deinem Gott, niederwerfen. (11) Dann sollst du fröhlich sein über alles Gute, das JHWH, dein Gott, dir und deiner Familie gegeben hat: du und der Levit und der Fremde in deiner Mitte.
Für unsere Fragestellung ist zunächst wichtig, dass der Familienvater im Aussprechen des Credos nicht nur einer längst vergangenen Epoche der Heilsgeschichte
104 Oder:
„ein dem Untergang naher Aramäer“, vgl. Gertz, aaO 36.44.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 403
gedenkt, sondern diese sich, wie die Fortschreibung V. 10a explizit macht, ‚jetzt‘, d. h. im Augenblick des Festes, auch zurechnet: Und nun, siehe ich bringe hier die ersten Erträge von den Früchten des Landes, das du mir gegeben hast, JHWH.
In diesem Satz und dazu in den Rahmenformulierungen V. 10b.11 kommt der Grundgedanke der deuteronomisch-deuteronomistischen Festtheorie zum Ausdruck: Die Darbringung der Erstlingsfrüchte ist Ausdruck des Danks für den von JHWH geschenkten Segen, über dessen Gabe Israel „sich freuen“ soll (V. 11).105 Liest man Dtn 26,1–11 darüber hinaus auf der Endtextebene, so wird im kultischen Leben Israels einmal im Jahr der Zeitpunkt erreicht – V. 3 spricht von „heute“ (= Tag des Erntedanks) –, an dem der Familienvater sich und den Seinen öffentlich die Wirklichkeit seines Lebens deutet, indem er sein Bekenntnis zum Gott des Exodus ablegt.106 Der Deutehorizont ist der von JHWH geleitete Weg des Gottesvolks von Ägypten bis in das Land, „in dem Milch und Honig fließen“ (V. 9bβ). Gewiss, das geschichtsdeutende Modell Not – Klage – Erhörung – Rettung (V. 5a*–9) suggeriert das lineare Fortschreiten Israels auf einem von Gott geleiteten Weg, der aus der Sklaverei in Ägypten bis zur Ankunft im gelobten Land führt. Beachtet man aber, dass dieses Credo in den jährlichen Ritus der Darbringung der Erstlingsfrüchte eingebettet ist (V. 1 f.10b.11), so zeigt sich, dass Israel im Aussprechen dieses Bekenntnisses nicht nur gedanklich an den Anfangspunkt seines Geschichtswegs „zurückkehrt“, sondern auch, dass es dies im Rhythmus des agrarischen Jahres tut. Dadurch entsteht ein sprachlich-kulturelles Muster, das auf den beiden Grundpfeilern der Wiederholung und der Vergegenwärtigung beruht.107 Während die Wiederholung gewährleistet, dass jede Begehung – die Darbringung der Erstlingsfrüchte – im zeitlichen Ablauf an die vorhergehende Begehung – die Feier des Vorjahrs – anknüpft, holt die Vergegenwärtigung ein weit zurückliegendes Geschehen – den Auszug aus Ägypten („Urzeit“) – in die jeweilige Gegenwart („Jetztzeit“) hinein und verleiht dieser damit einen übergreifenden Horizont. Die narrative Vergegenwärtigung der Geschichte, so lehrt das Beispiel von Dtn 26,1–11, verwandelt den Zeitstatus der Vergangenheit, und zwar so, dass diese „als vergangene gegenwärtig wird und dabei eine Zukunftsperspektive eröff-
„Freude“ (śimhāh) und das „Sich Freuen“ (śāmeah Dtn 12,7.12.18; 14,26; 16,11.14; 26,11 ˙ u. ö.) sind die Leitbegriffe der dtn Festtheorie, s. dazu˙ Braulik, Freude, 171 ff, ferner WilliPlein, Opfer, 128 ff; Lohfink, Opferzentralisation, 239 und Berlejung, Zeiten, 48 ff. 106 Zu dem in V. 5 ff herausgestellten Ursprung Israels in Ägypten s. Gertz, aaO 43 ff. Zum geschichtsdeutenden Modell Not – Klage – Erhörung – Rettung s. Braulik, Deuteronomium II (NEB), 192 f. 107 Vgl. Assmann, Gedächtnis, 17 f. 105 Die
404 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
net“108. Das dabei zu Tage tretende Zeitverständnis soll – im kritischen Gespräch mit G. von Rad – noch etwas genauer betrachtet werden. Exkurs 18: Das Doppelgesicht der Zeit Altes Testament: Hartenstein, Sabbat, 107 ff ◆ Janowski, Doppelgesicht, 79 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 11 ff.19 ff.22 ff ◆ von Rad, Theologie 2, 108 ff. – Kultur- und Geschichtswissenschaft: Koselleck, Zeitschichten, 9 ff.19 ff.78 ff ◆ Ders., Wiederholungsstrukturen, 96 ff ◆
Rüsen, Typen, 365 ff.
Um die beschriebene Vergegenwärtigung der Geschichte in Gang zu bringen und in Gang zu halten, bedarf es bestimmter Orte und Zeiten. Diese Orte und Zeiten sind die Feste Israels, die als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt den Blick auf die großen Zusammenhänge wie die Schöpfung oder den Exodus freigeben und damit, wie F. Hartenstein zutreffend formuliert, eine „doppelte Zeiterfahrung“, nämlich die Erfahrung der grundlegenden Urzeit und der historischen Jetztzeit, ermöglichen.109 Die Tatsache, dass G. von Rad diesen Sachverhalt nicht zureichend gewürdigt hat, gehört zu den Einwänden gegen sein Konzept der „Heilsgeschichte“. Die Feste Israels werden bei ihm zwar besprochen, sie bleiben aber ein theologisches Randthema.110 Der Grund dafür hängt mit seinen Ausführungen zum „hebräischen Geschichtsdenken“ zusammen, wonach Zeit und Geschichte nicht von dem jeweiligen Geschehen abstrahiert, sondern immer als „gefüllte Zeit“ verstanden werden und „alles Geschehen … seine bestimmte zeitliche Ordnung“111 hat. Alles, was in diesen Zeit- und Geschichtsbegriff nicht hineinpasst, rückt auf die Seite der „zyklischen Naturordnung“, die wie das „mythische Kreislaufdenken“ wesentlich „geschichtslos“ ist. Signifikant dafür ist das folgende Zitat: „Das Weltbild des alten Orients ist mehr oder minder deutlich geprägt von einem mythischen Kreislaufdenken, also von einem Denkschema, das gerade das sakrale Geschehen vom Rhythmus naturhafter Ordnungen her begriff. Diese umfassende Vorstellungswelt entstammte dem Anschauen der Gestirnwelt und der davon abhängigen naturhaften Rhythmik der Erde. Im Mythus verarbeitete der Mensch der Frühe urtümliche Machterlebnisse, die ihn in seinem Lebensraume beschäftigten, – und auch Ordnungen sind Machterlebnisse! Es ist der Grund der Welt und das sie tragende rhythmische Geschehen, das er in ihnen wahrnimmt und das er gottheitlich anschaut. In den theogonischen Mythen ebenso wie in den Mythen vom göttlichen ἱερὸς γάμος und in denen vom Göttersterben ist es immer diese im Grunde zyklische Naturordnung, der die altorientalischen Völker göttliche Dignität zuerkannt haben und die sie ganz un108 Rüsen,
Geschichtskultur, 216.
109 S. dazu Hartenstein, Unzugänglichkeit, 231 f.242 f. Zu den Festen im alten Israel s. unten 406 ff. 110 S.
dazu auch die Auslegung von Dtn 26,1 ff in seinem Dtn-Kommentar: „Das Wichtigste des ganzen Zeremoniells ist die von dem Darbringer abzugebende Erklärung …“ (von Rad, Deuteronomium [ATD], 113), also das Credo V. 5 ff. Und im Blick auf V. 10a: „Daß bei einer Danksagung für die Früchte der Erde nicht der Schöpfung und der Segnungen des 1. Glaubensartikels gedacht wird, sondern allein der rettenden Geschichtstaten Gottes, das entspricht der Konzentration sonderlich des frühen Jahweglaubens auf die Heilstaten, die Israel erfahren hat“ (114). 111 Ders., Theologie 2, 109.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 405
mittelbar als ein gottheitliches Geschehen wahrnahmen. Dieses sakrale Weltverständnis ist wesentlich geschichtslos; jedenfalls hat in ihm gerade das, was Israel als für seinen Glauben konstituierend ansah, nämlich die Einmaligkeit innergeschichtlicher göttlicher Heilstaten, schlechterdings keinen Raum.“112 Dieses Zitat steht im Kontext der Ausführungen zur „Entstehung des hebräischen Geschichtsdenkens“113, in denen von Rad auch auf die Feste Israels eingeht. Leitend ist dabei die scharfe Antithese von linearem Geschichtsglauben und zyklischer Naturordnung, die er erstmals in seinem frühen Aufsatz „Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens“ formuliert und in seiner späten Studie „Aspekte alttestamentlichen Weltverständnisses“ wiederholt hat.114 Die Dinge stellen sich heute allerdings nicht nur differenzierter, sondern schon im Ansatz anders dar.115 Denn es ist die Frage, ob in Israel „die Heilsfakten aus dem Raum des Kultus entlassen und zur Ausgestaltung einer linearen Geschichtsstrecke freigegeben (wurden)“116, die als umfassende „Historisierung ehedem rein agrarischer Feste“117 in Erscheinung trat. Konstitutiv für von Rads Konzept der Heilsgeschichte ist das Historisierungsargument: „Hier hat sich ganz im Verborgenen der Prozeß einer tiefgehenden Entmythologisierung vollzogen, durch den sich der Jahweglaube kultische Vorstellungen und Bräuche assimiliert hat, die ganz anderen Kultkreisen entstammten.“118 Dieses Theorem ist vielfach aufgenommen worden und hat bis hinein in die Lehrbücher gewirkt. Die Problematik des von Rad‘schen Historisierungsbegriffs erwächst m. E. aus dessen Verknüpfung mit dem Entmythologisierungsbegriff, der auf eine Überwindung oder Außer-Kraft-Setzung des Mythos zielt.119 Wenn man beide Begriffe aber voneinander trennt und unter „Historisierung ehedem rein agrarischer Feste“ (G. von Rad) einen Vorgang versteht, der den symbolischen Gehalt der Feste Israels – nämlich „Ordnung“, „Fülle“ und „Ergriffenheit“120 – nicht abstößt, sondern in das Erleben, Gestalten und Reflektieren der Geschichte integriert, ließe sich der Historisierungsbegriff durchaus beibehalten. Die Schieflage in von Rads Argumentation, der zufolge unter Historisierung das völlige „Heraustreten aus dem sakralen Raum“121 und der sakralen Zeit zu verstehen ist, dürfte demnach durch deren Verbindung mit dem Axiom der Entmythologisierung zustande kommen. Man muss die Dinge im Blick auf Dtn 26,1–11 und vergleichbare Texte122 deshalb geradezu umkehren: Indem der Familienvater sein Bekenntnis (V. 5–9) bei der jährlichen Dar-
112 Ders.,
aaO 120 (H. v. m.). aaO 108 ff. 114 S. dazu ders., Problem, 136 ff und ders., Aspekte, 311 ff. 115 S. dazu Keel / Schroer, Schöpfung, 11 ff.19 ff.22 ff und die Hinweise bei Janowski, Doppel gesicht, 87 Anm. 36. 116 Von Rad, Theologie 2, 118. 117 Ders., Theologie 1, 40, vgl. ders., Theologie 2, 113. 118 Ders., Theologie 1, 40 (H. v. m.), vgl. 37 und ders., Theologie 2, 117 f. 119 S. dazu die Hinweise bei Janowski, aaO 87 Anm. 42. 120 Zu diesen Merkmalen des Festes s. oben 397 ff. 121 Von Rad, Theologie 2, 118. 122 S. dazu die Zusammenstellung bei Berlejung, Zeiten, 16 ff. 113 Ders.,
406 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung bringung der Erstlingsfrüchte (V. 1 f.10b.11) spricht, verlässt er nicht den Raum des Kults, sondern er tritt in diesen Raum im Rhythmus des agrarischen Jahres ein und rechnet sich im Rezitieren des Credos die heilsvolle Anfangszeit des Gottesvolks als auch ihm geltend zu. Dtn 26,1–11 verknüpft also die beiden Zeitdimensionen – die kultisch-kalendarische Zeit (Zyklizität) und die chronologisch-historische Zeit (Linearität) – miteinander, und zwar so, dass zwar einmalige Ereignisse (Exodus, Hineinführung ins Land) vergegenwärtigt werden – aber im Rhythmus des Jahreszyklus, der aufgrund seiner ‚Wiederholungsstruktur‘ den Aspekt der Dauer hervorbringt. 𓇼
Die Korrelation von Vergegenwärtigung und Wiederholung wird dem alttestamentlichen Zeit- und Geschichtsverständnis eher gerecht als der Gegensatz von Linearität und Zyklizität. Sicher: Wiederholungsstrukturen können die Einmaligkeit von Ereignissen nicht (hinreichend) begründen, sie schaffen aber die Voraussetzung dafür, dass einmalige Ereignisse überhaupt vergegenwärtigt werden können. Denn durch die Wiederholung entsteht eine konnektive Struktur, aufgrund deren „sich die Handlungsabläufe nicht im Unendlichen verlaufen, sondern zu wiedererkennbaren Mustern ordnen und als Elemente einer gemeinsamen ‚Kultur‘ identifizierbar sind“123. Genau das geschieht nach Dtn 26,1–11 beim jährlichen Darbringen der Erstlingsfrüchte – und zwar in Form einer Vergegenwärtigung der grundlegenden Heilstaten JHWHs und in Form einer rituellen Wiederholung dieser narrativen Vergegenwärtigung im Festgeschehen. Dadurch wird die heilvolle Anfangszeit dem Vergessen entrissen, gegenwärtiger Erfahrung (neu) zugänglich gemacht und im kulturellen Gedächtnis Israels verankert.124 b) Frühjahrs- und Herbstfeste Altes Testament: Albani, Fest, 111 ff ◆ Berlejung, Zeiten, 16 ff ◆ Gesundheit, Three Times ◆
Grünwaldt, „Zeit“, 171 ff ◆ Körting, Schall ◆ Müllner, Art. Fest, 138 ff ◆ Müllner / Dschulnigg, Feste, 7 ff ◆ Otto, Art. Feste / Feiern, 87 ff ◆ Schmidt, Glaube, 180 ff.
Als Hauptfeste im agrarisch geprägten Jahreskreis (s. Abb. 92)125 gelten die drei Wallfahrtsfeste: das Fest der ungesäuerten Brote / Mazzot am 15.–21. Nisan, das eintägige Wochenfest / Schawuot im Monat Siwan und das siebentägige Laubhüttenfest / Sukkot am 15.–21. Tischri. Nur sie werden, wie der deuteronomische Festkalender Dtn 16,16 f zeigt, als „Fest“ (hāg) bezeichnet: ˙
123 Assmann,
Gedächtnis, 17. Fest als „Medium des kollektiven Gedächtnisses“ s. Assmann, Mensch, 13 ff, vgl. Müllner / Dschulnigg, Feste, 9 f.59 ff (Müllner). 125 Zu den unterschiedlichen Monatsnamen (Abib usw./Nisan usw.) s. Albani, Feste, 115 ff und die tabellarische Übersicht bei Körting, Schall, 69. 124 Zum
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 407
16 Dreimal im Jahr soll jeder deiner Männer das Angesicht JHWHs, deines Gottes, an der Stätte, die er ausgewählt, 〈sehen〉:126 am Fest der ungesäuerten Brote (hag ˙ hammassôt), am Wochenfest (hag šābu῾ôt) und am Laubhüttenfest (hag sukkôt). ˙ ˙ ˙ ˙ Man soll nicht mit leeren Händen das Angesicht JHWHs 〈sehen〉, 17 sondern jeder mit seiner Gabe, entsprechend dem Segen JHWHs, deines Gottes, den er dir gegeben hat. (Dtn 16,16 f)127
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Tammuz
6: Wochenfest/ Pfingsten
Frühe nreife Feige
3
Wein ernte
4
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März
14: Spätes Passa
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14: Passa 15–21: Ungesäuerte Brote 16: Erstlinge
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5
6 1: Posaunenblasen 10: Versöhnungsfest 15–21: Laubhüttenfest 22: Heilige Versammlung
Abb. 92: Der altisraelitische Festkalender Textproblem s. Janowski, næpæš, 106 Anm. 123 und Dyma, Wallfahrt, 306 ff, vgl. auch oben 399 Anm. 92 zu Ps 84,8. 127 Vgl. Ex 23,14 ff und 34,18 ff und dazu Gesundheit, Three Times, 12 ff. 126 Zum
408 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
Demgegenüber ist das Passa, das in der Vollmondnacht des Frühjahrsäquinoktiums (14. Nisan) gefeiert wird und dessen göttliche Anordnung in dem priesterlich bearbeiteten Text Ex 12,1–14 vorliegt, ursprünglich eine häuslich-familiäre Feier mit Schlachtritus, apotropäischem Blutritus und nächtlichem Mahl,128 die im Zug der komplexen Überlieferungsbildung von Ex 12 historisiert und als Erinnerungsmahl auf den Exodus bezogen wurde (vgl. zikkārôn Ex 12,14).129 Im Folgenden beschränken wir uns auf zwei ausgewählte Beispiele: auf das deuteronomische Passa/Mazzot-Fest im Frühjahr (Dtn 16,1–8) und auf den nachexilischen Versöhnungstag im Herbst (Lev 16). α) Passa und Mazzot Altes Testament: Berlejung, Zeiten, 25 f.48 ff ◆ Geiger, Befreiung, 40 ff ◆ Gertz, Passa-Mas-
sot-Ordnung, 56 ff ◆ Gesundheit, Festkalender, 57 ff ◆ Ders., Three Times, 96 ff ◆ Veijola, Geschichte, 131 ff.
Während das vordeuteronomische Mazzotfest im Monat Abib sieben Tage lang mit ungesäuerten Broten (massôt) gefeiert wurde (Ex 23,15; 34,18), legt Dtn 16,1– ˙˙ 8130 innerhalb des Festkalenders Dtn 16,1–17 das Passa auf den Termin des Mazzotfestes und verbindet beide Feste zu „eine(r) um die Massotgesetze erweiter˙˙ te(n) Pesah-Regelung“131. In der deuteronomischen Festtheorie ist dieses Passa/ ˙ Mazzot-Fest das Hauptfest im Jahreszyklus: Chronologischer Rahmen 1a Achte auf den Monat Abib und feiere JHWH, deinem Gott, das Passa,
Passarahmen (Zeit, Opfermaterie, Ort)
1b denn im Monat Abib hat JHWH, dein Gott, dich aus Ägypten herausgeführt in der Nacht. 2 Als Passa sollst du JHWH, deinem Gott, Kleinvieh und Rinder schlachten an der Stätte, die JHWH erwählen wird, um dort seinen Namen wohnen zu lassen.
Passa/Mazzot-Bestimmung
3 Du sollst nichts Gesäuertes dazu essen. Sieben Tage lang sollst du ungesäuertes Brot dazu essen, die Speise der Bedrängnis, denn in Hast bist du aus
älteste Ritualüberlieferung liegt nach Otto, Art. Feste / Feiern, 87 f in Ex 12,3b*.6b*.7a. 8a.11bβ vor, s. dazu aber die Skepsis von Albertz, Exodus I (ZBK.AT), 199. 129 S. dazu Müllner / Dchulnigg, Feste, 27 ff (Müllner); Berlejung, Zeiten, 23 ff; Albertz, aaO 206 ff; Utzschneider / Oswald, Exodus I (IEKAT), 243 ff und zur Bedeutung von zkr „sich erinnern, gedenken“ Jeremias, Theologie, 93 f. 130 Zu diesem Text s. Braulik, Deuteronomium I (NEB), 116 ff; Gertz, Passa-Massot-Ordnung, 56 ff sowie – bei Annahme einer Mehrschichtigkeit des Textes – Veijola, Geschichte, 131 ff; Gesundheit, Festkalender, 57 ff; Geiger, Befreiung, 40 ff; Otto, Deuteronomium III (HThK. AT), 1379 ff u. a. 131 Gesundheit, aaO 61. 128 Die
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 409
dem Land Ägypten ausgezogen, damit du dein ganzes Leben lang des Tages deines Auszugs aus Ägypten gedenkst. 4a In deinem ganzen Gebiet soll sieben Tage lang kein Sauerteig zu finden sein, 4b und von dem Fleisch, das du am Abend des ersten Tages schlachtest, darf über Nacht bis zum Morgen nichts übrigbleiben. 5 Du darfst das Passa nicht in einem deiner Tore schlachten, die JHWH, dein Gott, dir geben wird, 6 sondern an der Stätte, die JHWH, dein Gott erwählt, indem er dort seinen Namen wohnen lässt. Dort sollst du das Passa schlachten, am Abend bei Sonnenuntergang, zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten.
Passarahmen (Ritus, Ort, Zeit)
7 Du sollst es kochen und essen an der Stätte, die JHWH, dein Gott, erwählt, und am Morgen sollst du dich aufmachen und zu deinen Zelten zurückkehren.
Chronologischer Rahmen 8 Sechs Tage lang sollst du ungesäuertes Brot essen, und am siebten Tag ist eine Festversammlung für JHWH, deinen Gott; da sollst du keine Arbeit tun.
Hier werden Passa und Mazzot miteinander verschmolzen und auf den Neumond des Monats Abib (14. Nisan) festgelegt, so dass das Passa jetzt den Anfang der ganzen Feier in Jerusalem (mit der nächtlichen Exodus-Memoria) bildet. Am folgenden Tag geht man wieder nach Hause („zu deinen Zelten“ V. 7b), wo das Essen der ungesäuerten Brote sich noch sieben Tage lang hinzieht.132 Die aus ungesäuerten Fladen bestehende „Speise der Bedrängnis“ (læhæm ῾onî) ist ˙ „das Brot für unterwegs, wenn vorbereiteter und somit gesäuerter Teig nicht ver133 fügbar ist“ . Das Essen dieser Speise, die den hastigen Aufbruch aus Ägypten symbolisiert, hält „dein ganzes Leben lang“ (V. 3b) die Erinnerung an jenen Tag der Befreiung wach: „Die Art der Feier vergegenwärtigt zentrale Elemente dieses Ereignisses, indem es diese imitiert und entsprechend deutet. Die Feier beginnt am Abend und dauert bis zum Morgen, da auch der Auszug aus Ägypten in der Nacht vorgestellt wird. Das Elend des Lebens in Ägypten und die Eile des Essens vor dem Aufbruch werden wiederholt, und durch den Zeitpunkt der Nacht klingt die Bedrohung an, aus der Israel durch den Exodus gerettet wird. (…) Durch die jährliche rituelle Vergegenwärtigung wird es zur Erfahrung jedes und jeder Einzelnen, aus Ägypten ausgezogen und von Jhwh aus dem Sklavenhaus befreit worden zu sein (vgl. Dtn 5,15; 6,21–23; 26,6–9 u. ö.).“134
Neben dieser spezifischen Zeitkonzeption ist die veränderte Raum- und Opferkonzeption für die deuteronomische Passa/Mazzot-Bestimmung charakteristisch: Passa und Mazzot werden vom Familien- (Passa) und vom Lokalkult Zeichenfunktion der sieben Tage s. Geiger, aaO 53 ff. aaO 117. 134 Geiger, aaO 55, vgl. Braulik, ebd.; ders., Frauen, 238 ff und Veijola, aaO 150 f. 132 Zur
133 Braulik,
410 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
(Mazzot) dissoziiert (V. 5), in den Opferkult an der „Stätte, die JHWH erwählt“ (V. 2.6.7) eingebunden und durch die Umstellung der Zubereitungsart vom Braten auf das Kochen (V. 7) neu ausgerichtet. Die Wirklichkeit dieses Festes ergreift alle Schichten des Gottesvolks und gibt dem Alltag seinen Sinn und sein Ziel. Denn die rituellen Handlungen „münden in die Festgemeinschaft, und das gemeinsame Festerleben an einem Ort ermöglicht wiederum die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten“135. Diese Festgemeinschaft ist für das Deuteronomium der religiöse Kontrapunkt zur politischen, gesellschaftlichen und familiären Alltagswirklichkeit und als solche der Ausdruck eines sozialen Ereignisses, ja das eigentliche Sacrum: „Vom bisherigen, gewissermaßen archaisch-kultischen Verständnis des Sacrum her gesehen mag das, was das Deuteronomium entwickelt, wie eine Auflösung des Sakralen erscheinen. Für das Deuteronomium selbst ist es die Überführung der gesamten WeltWirklichkeit der Gesellschaft ‚Israel‘ ins Sakrale hinein.“136
Da nach Dtn 16,1–8 das Ziel des Festes das Nacherleben des Auszugs aus Ägypten ist,137 werden „alle Lebensbereiche Israels in diese Nähe Gottes“138 hineingeholt. Erfahrbar wird diese Gottesnähe, wie am Ende des Festkalenders resümierend festgestellt wird, in der Gabe des „Segens“ (berākāh), der seinerseits die religiöse Wurzel der Festfreude ist: 16b Man soll nicht mit leeren Händen das Angesicht JHWHs 〈sehen〉, 17 sondern jeder mit seiner Gabe, entsprechend dem Segen JHWHs, deines Gottes, den er dir gegeben hat. (Dtn 16,16b–17) Zum alttestamentlichen Wortfeld „Segen“ gehören das Substantiv berākāh (Grundbedeutung: „Heilskraft, heilschaffende Kraft“) und die Verbalwurzel brk, von der die sog. bārûkFormel („gesegnet, gepriesen sei / ist“) abgeleitet ist, die den Zustand des Segens bzw. des Gesegnet-Seins bezeichnet.139 In semantische Nähe zum Segen gehört die Seligpreisung ᾽ašrê „selig, glücklich“ (Ps 72,17 u. ö.), Ausdrücke wie šālôm „Friede“, Verben wie prh „fruchtbar sein“ oder das Jawort ᾽āmen „wahrlich“ (im Psalter nur in den Schlußdoxologien Ps 41,14; 72,19; 89,53; 106,48), das als Sprechakt der Anerkennung bzw. des Ja-Sagens zum Ausdruck des Glaubens wird.
Entsprechend seiner positiven Grundbedeutung besteht der Segen in langem Leben, in der Fruchtbarkeit von Mensch und Tier und in Wohlstand und Macht (vgl. Ex 23,25–27; Dtn 15,4–6 u. ö.). Der Segen kann zwar von Menschen über Menschen ausgesprochen werden – von Priestern (Gen 14,19), Königen (2 Sam 6,18), Eltern (Gen 31,55), Propheten (Num 23,11.20.25), Volk Israel (Dtn 27,12) u. a. –, aaO 56, s. dazu auch Lohfink, Opferzentralisation, 240 ff. aaO 244. Zur deuteronomischen Festtheorie s. auch Berlejung, Zeiten, 48 ff. 137 Vgl. Geiger, aaO 57. 138 Lohfink, aaO 252. 139 S. dazu Vonach, Art. Segen, 359 ff; Steymans, Art. Segen, 1132 ff; Leuenberger, Segenstheologien, 3 ff und ders., Segen, 49 ff. 135 Geiger,
136 Lohfink,
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 411
dennoch kommt er von Gott, der „Wirkursache und Quelle jeglichen Segens“140. Dieser segnet die Tiere (Gen 1,22), die Menschen (Gen 1,28, vgl. 5,2), den Sabbat (Gen 2,3, vgl. Ex 20,11), die Erzeltern (Gen 24,1 u. ö.), das Volk Israel (Lev 25,21 u. ö.), den König (Ps 45,3), den Gerechten (Ps 5,13) und den Gottesfürchtigen (Ps 115,13). In liturgisch dichter Sprache werden die Hauptaspekte des biblischen Segens in Num 6,22–27 gebündelt: 22 Und JHWH sagte zu Mose folgendermaßen: 23 „Sprich zu Aaron und zu seinen Söhnen folgendermaßen: So sollt ihr die Israeliten segnen (brk pi.), indem ihr sagt:
24 ,JHWH segne (brk pi.) dich und behüte dich! 25 JHWH lasse leuchten sein Angesicht zu dir und sei dir gnädig! 26 JHWH erhebe sein Angesicht zu dir und gebe dir Wohlergehen!‘
27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, und ich will sie segnen (brk pi.).“
In V. 24–26 werden insgesamt sechs Segenswünsche ausgesprochen: drei, die von Gott erbeten werden (unterstrichen: Segnung, Leuchtenlassen des Angesichts, Zuwendung), und drei, die das Erbetene bei den Gesegneten bewirken mögen (kursiv: Schutz, Gnade, Wohlergehen). So ist „der ganze Spruch … vom ersten Wort (segnen) bis zum letzten (Heil / schalom) ein einziges Crescendo, wobei diese beiden Worte nochmals eine Klammer um den Segen bilden …“141 Diese Segensaspekte, die ihr Zentrum in der Vorstellung von „Gottes Zuwendung zu seiner Schöpfung, insbesondere zu den Menschen“142 haben, sind auch für die deuteronomische Segenstheologie143 ausschlaggebend, wie das alte Summarium Dtn 28,3–6 eindrücklich belegt: 3 4 5 6
Gesegnet (bārûk) seist du in der Stadt, und gesegnet seist du auf dem Feld! Gesegnet sei die Frucht deines Leibes und die Frucht deines Ackerbodens und die Frucht deines Viehs, der Wurf deines Rindes und die Nachkommen deines Kleinviehs! Gesegnet sei dein Korb und dein Backtrog! Gesegnet seist du bei deinem Kommen, und gesegnet seist du bei deinem Ausziehen!
Die Paare Stadt / Feld (V. 3), Korb / Backtrog (V. 5), Kommen / Ausziehen (V. 6) sowie die Reihe der „Früchte“ (des Leibes, des Bodens, der Tiere V. 5) drücken Totalität aus, weil alle Bereiche und Aktivitäten des bäuerlich-agrarischen Lebens 140 Vonach,
aaO 359, vgl. Leuenberger, aaO 67.
141 Staubli, Levitikus / Numeri (NSK.AT), 228, s. dazu noch Berlejung, Mensch, 37 ff und Geiger,
Synergie, 51 ff. Zur Rezeption von Num 6,24 ff im Silberamulett I vom Ketef Hinnom s. Q 139.
142 Feldmeier / Spieckermann, Gott, 272, s. dazu auch Vonach, Art. Segen, 359 f und Leuenberger,
Segen, 49. dazu ausführlich Leuenberger, Segenstheologien, 301 ff.
143 S.
412 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
umschlossen sind und der Segensgehalt durchweg einen materiellen Grundzug aufweist (Nahrung, Nachkommen, Schutz). So zielt der göttliche Segen auf „das vitale Wohlergehen, indem lebensförderlich Kraft vermittelt wird“144 – nicht nur im Festgeschehen, das dreimal im Jahr stattfindet (vgl. Dtn 16,16 f) und den segnenden Gott und sein feierndes Volk zusammenbringt, sondern überall (in der Stadt und auf dem Feld) und bei jeglichem Tun (beim Kommen und beim Ausziehen). β) Der Große Versöhnungstag Altes Testament: Douglas, Goat, 121 ff ◆ Fischer / Backhaus, Sühne, 54 f ◆ Frey-Anthes, Un-
heilsmächte, 218 ff ◆ Görg, Art. Sühnestätte, 727 f ◆ Hieke, Kult, 141 ff ◆ Janowski, Versöhnung, 117 ff ◆ Ders., „Sinai“, 23 ff ◆ Jürgens, Heiligkeit ◆ Keel, Geschichte Jerusalems, 916 ff ◆ Körting, Schall, 119 ff.162 ff ◆ Müllner / Dschulnigg, Feste, 39 ff ◆ Nihan, Torah, 340 ff ◆ Rudman, Azazel-goat, 396 ff ◆ Schenker, Unreinheit, 10 ff ◆ Seidl, Levitikus 16, 219 ff.
Das deuteronomische Festverständnis unterscheidet sich gravierend von der priesterlichen Kulttheologie, die mit ihrem rituellen Kontrapunkt zur Welt der Unreinheit anderen Parametern folgt.145 Ihr Hauptfest ist der Große Versöhnungstag / Jom Kippur (Lev 16), der seit nachexilischer Zeit im Herbst am 10. Tischri gefeiert wurde (vgl. Abb. 92). Es muss, wenn man sich den Mischnatraktat Joma („Der Tag“, s. Q 210) vor Augen führt, ein dramatisches Ereignis gewesen sein. Was die Mischna im Anschluss an die biblischen Bestimmungen narrativ entfaltet und z. T. ausführlich kommentiert, wird in Lev 16 äußerst gedrängt dargestellt. Zusammen mit Lev 17 bildet dieses Kapitel die kompositorische und konzeptionelle Mitte des Leviticusbuchs, die die Botschaft vom Versöhnung stiftenden Gott propagiert. Ein komplexes Ritual Liest man Lev 16,2–28.34b als synchronen Text, d. h. unbeschadet der redaktionellen Erweiterungen (im Folgenden kursiv), so lässt sich dessen Struktur – ohne den narrativen Anfang V. 1 und ohne den paränetischen Schluss V. 29–34a – wie folgt darstellen:146 Ausstattung Aarons beim Eintritt ins Heiligtum (2) Und JHWH sagte zu Mose: Sprich zu Aaron, deinem Bruder, dass er nicht zu jeder Zeit in das Heiligtum kommen soll, hinter den Vorhang vor die kapporæt, die auf der Lade ist, damit er nicht stirbt, wenn ich in der Wolke über der kapporæt erscheine. (3) Damit geht Aaron in das Heiligtum: mit einem Stier, einem Rind, zum Sündopfer und
144 Ders.,
Segen, 66. dazu auch unten 441 ff. 146 Wir beschränken uns dabei auf die Übersetzung von V. 2–22. Zur Textgliederung s. Seidl, Levitikus 16, 228 ff; Jürgens, Heiligkeit, 57 ff und Nihan, Torah, 340 ff. 145 S.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 413
einem Widder zum Brandopfer. (4) Einen leinenen heiligen Leibrock zieht er an und leinene Hosen sind auf seinem Körper. Und mit einem leinenen Gürtel gürtet er sich. Und einen leinenen Turban bindet er sich um. Heilige Kleider sind es. Und er badet seinen Körper mit Wasser und er zieht sie an. (5) Und von der Versammlung der Israeliten nimmt er zwei Ziegenböcke zum Sündopfer und einen Widder zum Brandopfer.
Zweckbestimmung von Stier und Ziegenböcken (6) Und Aaron bringt den Sündopferstier dar, der für ihn ist, und schafft Sühne für sich und sein Haus. (7) Und er nimmt die beiden Böcke und stellt sie vor JHWH an den Eingang des Begegnungszeltes. (8) Und Aaron gibt auf die beiden Böcke Lose, ein Los für JHWH und ein Los für Azazel. (9) Und Aaron bringt den Bock dar, auf den das Los für JHWH gefallen ist, und bereitet ihn als Sündopfer. (10) Und der Bock, auf den das Los für Azazel gefallen ist, wird lebend vor JHWH gestellt, um auf ihm Sühne zu schaffen, um ihn zu Azazel in die Wüste zu schicken.
Ritus an der kapporæt (11) Und Aaron bringt den Sündopferstier dar, der für ihn ist, und schafft Sühne für sich und sein Haus. Und er schlachtet den Sündopferstier, der für ihn ist. (12) Und er nimmt eine Feuerpfanne voll von glühender Kohle vom Altar vor JHWH und beide Hände voll von wohlriechendem feinem Räucherwerk und bringt es hinter den Vorhang. (13) Und er gibt das Räucherwerk auf das Feuer vor JHWH. Und die Wolke des Räucherwerks bedeckt die kapporæt, die auf dem Zeugnis ist, damit er nicht stirbt. (14) Und er nimmt vom Blut des Stiers und sprengt (es) mit seinem Finger vorn auf die kapporæt ostwärts.147 Und vor die kapporæt sprengt er siebenmal vom Blut mit seinem Finger. (15) Und er schlachtet den Sündopferbock, der für das Volk ist. Und er bringt sein Blut hinter den Vorhang und verfährt mit seinem Blut, wie er mit dem Blut des Stiers verfahren ist. Und er sprengt es auf die kapporæt und vor die kapporæt. (16) Und er schafft dem Heiligtum Sühne wegen der Unreinheiten der Israeliten und wegen ihrer Übertretungen hinsichtlich aller ihrer Sünden. Und so verfährt er mit dem Begegnungszelt, das bei ihnen wohnt inmitten ihrer Unreinheit. (17) Und niemand soll im Begegnungszelt sein, wenn er hineingeht, um Sühne im Heiligtum zu schaffen, bis er herauskommt. Und er schafft Sühne für sich und sein Haus und für die ganze Versammlung Israels.
Ritus am Brandopferaltar (18) Und er geht hinaus zum Altar, der vor JHWH ist, und schafft Sühne auf ihm. Und er nimmt vom Blut des Stiers und vom Blut des Bockes und gibt es ringsum an die Hörner des Altars. (19) Und er sprengt auf ihn vom Blut mit seinem Finger siebenmal. Und er reinigt ihn und heiligt ihn von den Unreinheiten der Israeliten.
Sündenbock-Ritus (20) Und er vollendet, das Heiligtum, das Begegnungszelt und den Altar zu sühnen. Und er bringt den lebenden Bock dar. (21) Und Aaron stemmt seine beiden Hände auf den Kopf des lebenden Bocks. Und er bekennt auf ihm alle Verschuldungen der Israeliten und alle ihre Übertretungen hinsichtlich aller ihrer Sünden. Und er gibt sie auf den 147 Wörtlich:
kapporæt.
„auf die Vorderseite der kapporæt nach Osten / ostwärts“, d. h. auf die Ostseite der
414 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung Kopf des Bocks. Und er schickt ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste. (22) Und der Bock trägt auf sich alle ihre Verschuldungen in ein abgeschnittenes Land. Und er schickt den Bock in die Wüste.
Wie der Text zeigt, steht der Ritus mit dem Sündopferstier für Aaron (vgl. V. 3) und einem der beiden Sündopferböcke für das Volk (vgl. V. 5) im Zentrum des Gesamtrituals, das die Riten an der kapporæt (V. 11–17) und am Brandopferaltar (V. 18 f) umfasst. Beide Riten werden gerahmt durch den Losritus V. 6–10 und den Ritus am lebenden Bock („Sündenbock“ V. 20–22). Den äußeren Rahmen bilden die Vorbereitungshandlungen V. 2–5 auf der einen und die Abschlussriten V. 23–28 auf der anderen Seite: 1
Narrative Einleitung (Nadab und Abihu ← Lev 9,1–10,20)
2–28
Ablauf des Rituals
Beginn des Rituals (2–5) Rede JHWHs zu Mose Vorbereitungshandlungen Aarons
Losritus (6–10)
Sündopferriten (11–17.18 f ) Ritus an der kapporæt Ritus am Brandopferaltar
Sündenbock-Ritus (20–22)
Abschluss des Rituals (23–25.26–28) Kleiderwechsel, Darbringung des Brandopfers Reinigungsriten, Beseitigung der Kadaver 29–34a Paränetischer Schluss (Festkalender → Lev 23,26–32) 34b Ausführungsbericht
Abb. 93: Abfolge der Ritualakte in Lev 16
Zwei Aspekte sind für die Interpretation dieses Textes entscheidend: Zum einen bildet Lev 16,2–28.34b „eine Art ‚Groß-hattā(᾽)t‘ zur Entsündigung von Priestern, ˙ ˙˙ Volk und Heiligtum“148, indem die Riten in Lev 16 alle vorausgehenden Sühneund Reinigungsriten von Lev 1 ff überbieten und vollenden.149 Zum anderen ist die traditionelle Unterscheidung zwischen einem Textstrang mit dinglichen von einem Textstrang mit personalen Sühne- und Reinigungsobjekten nicht (mehr) aufrecht zu erhalten.150 Es werden also das Heiligtum und der Altar, aber auch Personen (Aaron, Israel) gereinigt und für sie Sühne geschaffen. Ursprünglich war Lev 16 wohl „eine priesterlich-theoretische Abhandlung über die Tilgungs-
148 Seidl,
Levitikus 16, 239. ders., aaO 238 ff. 150 Vgl. ders., aaO 221 ff und Schenker, Unreinheit, 7 f. 149 Vgl.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 415
möglichkeiten aller Sündenarten und ihrer materia peccans“151, die erst nachträglich durch den Kolophon V. 29–34a zur Agende eines einzigen Versöhnungstages am 10. Tischri geworden ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die rituelle Komplementarität von kapporæt und Sündenbock zu verstehen. Zwei komplementäre Riten Lev 16 ist vor allem wegen seines sprichwörtlich gewordenen Sündenbockritus (vgl. V. 10.20 ff) bekannt. Das ist allerdings nur ein, wenn auch zentraler Aspekt des Rituals vom Großen Versöhnungstag. Der andere Aspekt ist mit dem Ritus an der kapporæt verbunden, die in der Mitte des Allerheiligsten auf der dort aufgestellten Lade angebracht ist (s. Abb. 94). N
Becken
goldener Leuchter
10
Inneres Heiligtum (10 x 30 Ellen/ ca. 5 x 15 m)
30
Ganzopferaltar
Decke
Decke
Lade Vorhang
Eingang (20 Ellen)
Räucheraltar SchaubrotAllerheiligstes tisch
äußere Abgrenzung (100 x 50 Ellen/ ca. 50 x 25 m)
100 Ellen
Abb. 94: Grundriss des priesterlichen Begegnungszeltes
Die kapporæt genannte, auf einem offenen Kasten (᾽ārôn „Lade“) platzierte Goldauflage, die ihrerseits zwei aus den Plattenenden getriebene Keruben trägt, verdankt ihren Namen nicht ihrer äußeren Position, sondern der „Funktion im Rahmen des Ritualsystems zur Sühne (vgl. Lev 4,3–21; 16)“152. Aufgrund des etymologischen Zusammenhangs mit kippær „sühnen, Sühne schaffen“ oder „Versöhnung erwirken“153 ist das Wort am besten mit „Sühnmal, Sühneort“ zu übersetzen.154 Seine Anfertigung wird in Ex 25 angeordnet: aaO 243, vgl. 246 und Gerstenberger, Leviticus (ATD), 204. Art. Sühnestätte, 727 f, s. dazu Janowski, Sühne, 277 ff.443 f und Keel, Geschichte Jerusalems, 916 ff. 153 Hieke, Kult, 144 f übersetzt kippær mit „Versöhnung erwirken“, s. auch ders., Levitikus (HThK.AT), 131 ff. 154 Mit einem „Deckel“ auf der Lade hat dieser Kultgegenstand nichts zu tun, s. dazu Janowski, aaO 274 f.340 und Keel, Geschichte Jerusalems, 916 ff. 151 Ders.
152 Görg,
416 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung (17) Und du sollst eine kapporæt aus reinem Gold machen, zweieinhalb Ellen lang und eineinhalb Ellen breit. (18) Und du sollst zwei Keruben aus Gold anfertigen, als getriebene Arbeit sollst du sie machen aus den beiden Enden der kapporæt. (19) Und (zwar) mach den einen Kerub aus dem einen Ende und den anderen Kerub aus dem anderen Ende der kapporæt, aus der kapporæt sollt ihr die Keruben an ihren beiden Enden machen. (20) Und die Keruben sollen (so) sein, dass sie (ihre) Flügel nach oben hin ausbreiten, mit ihren Flügeln die kapporæt beschirmend; und ihre Vorderseiten sollen sich einander zuwenden, zur kapporæt hin sollen die Vorderseiten der Keruben (gerichtet) sein. (21) Und du sollst die kapporæt oben auf die Lade geben (setzen), und in die Lade sollst du das Zeugnis geben (legen), das ich dir geben werde. (22) Und ich werde dir dort begegnen (j‘d nif.) und mit dir von der kapporæt aus, von (dem Ort) zwischen den beiden Keruben, die auf der Lade des Zeugnisses sind, reden alles, was ich dir für die Israeliten auftragen werde.
Wie Ex 25,17–22 zeigt, markiert die kapporæt den Ort der Gottesnähe, an dem JHWH Mose begegnen und ihm alles mitteilen wird, was er den Israeliten sagen soll (V. 22). War die Bedeutung der beiden Keruben im salomonischen Tempel – als Tragtiere des „Kerubenthroners“155 markieren sie die Grenze zur göttlichen Sphäre – darauf zurückzuführen, dass an diesem Ort himmlischer und irdischer Bereich ineinander übergehen (vgl. 1Kön 6,23–28 = 2Chr 3,10–13), so wird die Art der Gottesgegenwart im priesterlichen Begegnungszelt nach Ex 25,22 anders bestimmt: nicht als ein „Thronen“ (jāšab) auf den Keruben, sondern als ein „Begegnen“ (j‘d nif.) und als ein „Reden“ JHWHs mit Mose von der kapporæt aus, genauer „von (dem Ort) zwischen den beiden Keruben aus, die auf der Lade des Zeugnisses sind“. Vor diesem Hintergrund bekommt die Szenerie von Lev 16,*11–17 ihre eminente kultsymbolische Bedeutung. Denn in dem zeichenhaften Blutritus von V. 14 f des Hohenpriesters (siebenmaliges Sprengen des Blutes vorn auf die kapporæt) wird das schuldig gewordene Israel in Kontakt mit dem sich auf der kapporæt offenbarenden Gott gebracht, der hier dem kultischen Repräsentanten seines Volks „begegnet“: „In einer Zeremonie, die das Nahekommen zu Gott bis zur letzten materiellen Berührung verdichtet und doch die äußerste Sublimität der Berührung in der Sprengung des Tropfens wahrt, wird das Urphänomen der heiligenden Gottesbegegnung vollzogen, der Kontakt des sich offenbarenden Gottes und des sich ganz und gar hingebenden Menschen.“156
Das ist das Herzstück des Rituals des Großen Versöhnungstags. Die kostbarste Gabe, die JHWH seinem Volk zur Versöhnung gegeben hat, ist das tierische Blut, in dem, wie Lev 17,11 konstatiert, das „Leben“ bzw. die „Lebenskraft“ (næpæš) ist:
155 1 Sam 4,4; 156 Gese,
2 Sam 6,2; 2 Kön 19,15 = Jes 37,16; Ps 80,2; 99,1 und 1 Chr 13,6. Sühne, 104, s. dazu auch Schenker, Unreinheit, 10 ff.
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 417
Denn das Leben (næpæš) des Fleisches – im Blut ist es. Und ich (sc. JHWH) habe es auf den Altar gegeben, um für eure napšôt / für euch Sühne zu erwirken, denn das Blut ist es, das durch das (in ihm enthaltene) Leben (næpæš) Sühne / Versöhnung erwirkt.157 Wüste
Lager
Lager Wüste
Heiligtum Wüste
Blutritus Lager
Sündenbockritus Lager
Wüste
Abb. 95: Zur Raumsymbolik von Lev 16
Wenn man den Ritus an der kapporæt innerhalb des Vorhangs (Lev 16,*11–17) mit den vor dem Allerheiligsten und dem Vorhang vollzogenen Sühneriten von Lev 4 f und Lev 9 vergleicht, dann wird das sündige Israel nach der Komposition des Leviticusbuchs „schrittweise an das Heilige Jahwes angenähert“158. Dem entspricht – gemäß den kulttopographischen Gegebenheiten (s. Abb. 95) – gleichsam spiegelbildlich, dass der mit den Verschuldungen Israels beladene Sündenbock (vgl. Abb. 96) von einem Begleiter aus dem Bereich des Heiligtums in die „Wüste“ bzw. in ein „abgeschnittenes Land“ geführt wird (V. 8.10.20–22). Die für den Sündenbockritus charakteristischen Elemente sind das Aufstemmen der beiden Hände Aarons auf den Kopf des Tieres,159 die Übertragung der Verschuldungen Israels auf den rituellen Unheilsträger und das Wegschicken des Sündenbocks in die Wüste. Besonders die Formulierung von V. 22 veranschaulicht die Funktion dieses Ritus, nämlich dass der Sündenbock alle Verschuldungen Israels in ein abgeschnittenes Land wegträgt und damit die Kultgemeinde Israel von ihrer Schuld entlastet. Unter dem „Sündenbockritus“ ist ein Ritualtyp zu verstehen, dessen Heimat Südostanatolien-Nordsyrien war (s. Q 118; 119 und 132) und der vor allem im alten Israel und im antiken Mittelmeerraum (Griechenland, Rom, Etrurien, s. Q 176) verbreitet war. Sein Zweck war die räumliche Entfernung der stofflich ver standenen Unreinheit durch einen „rituellen Unheilsträger“ (Tier oder Mensch), 157 Vgl.
dazu oben 58. Levitikus 16, 239. 159 Zur Handaufstemmung s. unten 456. 158 Seidl,
418 V Räume und Zeiten – Aspekte der Welterfahrung
der das ihm durch kontagiöse Magie übertragene miasma („Befleckung“) aus dem Bereich der menschlichen Lebenswelt in den gegenmenschlichen Bereich der (sterilen) Wüste / des (feindlichen) Auslands transportierte.
Abb. 96: Ziegenbock (Alaçahüyük, 1400/1200 v. Chr.)
Die räumliche Elimination der Unreinheit ist auch der Sinn des alttestamentlichen Sündenbockritus. Nach Lev 16,22 wird nämlich der Sündenbock von seinem Begleiter in ein Gebiet geführt, das „abgeschnittenes Land“ (᾽æræs ge˙ zerāh)160 bzw. „Wüste“ (midbār) genannt wird: Und der Bock trägt auf sich alle ihre Verschuldungen in ein abgeschnittenes Land. Und er schickt den Bock in die Wüste.
In ähnlicher Weise dürfte mit der Bezeichnung „abgeschnittenes Land“ in Lev 16,22 „‚unfruchtbares Land‘ gemeint sein, vielleicht aber auch ein Gebiet, das strikt getrennt vom kultisch relevanten Lagerbereich liegt“161. Der Sündenbockritus von Lev 16,20–22 ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Das „abgeschnittene Land“ repräsentiert raumsymbolisch deshalb die Sphäre des Todes bzw. die Gegenwelt. Darum muss auch sein Begleiter vor seiner Rückkehr ins Lager seine Kleider waschen und seinen Körper mit Wasser reinigen (V. 26). Nimmt man beide Riten – den Blutritus an der kapporæt und den Sündenbockritus – zusammen, so wird das Ritual des Großen Versöhnungstages „zwischen den beiden äußersten Polen der den Texten der Bücher Exodus bis Numeri zugrunde liegenden konzentrischen Heiligtumskonzeption vollzogen: dem Allerheiligsten im Innersten des Begegnungszeltes auf der einen und der Wüste (midbār Lev 16,10a.12.21d.22b) bzw. dem ‚abgeschnittenen Land‘ (᾽æræs gezerāh Lev 16,22a) auf ˙ gzr-Formulierung gehört zu einer Beleggruppe des Verbs, die vom „AbgeschnittenSein“ vom Land der Lebenden (Jes 53,8), vom Haus JHWHs (2 Chr 26,21) oder von seiner Hand (Ps 88,6) handelt, vgl. noch Ez 37,11 und Klgl 3,54, s. dazu Görg, Art. gzr, 1003 f. 161 Ders., aaO 1003. 160 Diese
§ 9 Der Rhythmus der Zeit 419
der anderen Seite. Alle zwischen diesen beiden extremen Punkten liegenden Orte werden im Lauf des Rituals berührt“162.
Beide Orte – das Allerheiligste im Innersten des Begegnungszeltes und die Wüste außerhalb von Heiligtum und Lager – verhalten sich als Kontrastelemente der religiösen Topographie komplementär zueinander. Während das Heiligtum einen „microcosmos of creation“ darstellt, ist die Wüste das „home of chaos“.163 Rituelle Kohärenz Die Feste im alten Israel, so lässt sich festhalten, waren Chronotope, die dem Einzelnen die Gewißheit vermittelten, einer Gemeinschaft anzugehören, und die es ihm ermöglichten, diese Gemeinschaft auch sinnlich zu erleben: „Was einzelne Individuen zu einem solchen Wir zusammenbindet, ist die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbilds, das sich zum einen auf die Bindung an gemeinsame Regeln und Werte, zum anderen auf die Erinnerung an eine gemeinsam bewohnte Vergangenheit stützt.“164
Im Fall von Dtn 16,1–8 wird die konnektive Struktur eines gemeinsamen Wissens und Selbstbilds durch die Erinnerung an den Auszug aus Ägypten und im Fall von Lev 16 durch das Bedürfnis nach Überwindung der Schuld aktiviert und gestärkt. Das eine ist so konstitutiv wie das andere. Beides macht sich an Dingen und Vorgängen fest, die ganz und gar nicht äußerlich sind: an der „Speise der Bedrängnis“ beim Passa/Mazzot-Fest (Dtn 16,1–8) und an den Blut- und Eleminationsriten des Großen Versöhnungstags (Lev 16). So evozieren die Feste eine Wirklichkeit, die nicht nur im sozioökonomischen Leben des alten Israel (agrarischer Jahreszyklus) verankert ist, sondern die durch den Bezug auf die gemeinsame Vergangenheit (Exodus-Memoria) und durch die kultische Überwindung der Schuld (Versöhnungstag) auch einen übergreifenden Horizont eröffnet. Die rituellen Handlungslinien, die sich im Jahresrhythmus wiederholen (Frühjahr / Herbst), ordnen sich dabei zu wiedererkennbaren Mustern, die als Elemente einer gemeinsamen Kultur identifizierbar und erlebbar sind.165 Dieser konnektiven Struktur werden wir in Teil VI: Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament auch bei anderen Themenfeldern begegnen.
162 Jürgens,
Heiligkeit, 75. dazu Rudman, Azazel-goat, 398 ff. Zur Opposition rein / unrein s. unten 445 ff. 164 Assmann, Gedächtnis, 16 f (H. i. O.). 165 Vgl. ders., aaO 17. 163 S.
Nachtrag zu § 9 (S. 377 ff ) Für die in diesem Paragraphen dargestellten Aspekte s. die unter der Rubrik „Raum und Zeit“ zusammengestellten Begriffsartikel in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck). 1. Die natürliche und die soziale Zeit b) Die natürlichen und sozialen Rhythmen β) Prediger 1–3 als Beispieltext (380 ff ) Zum Kosmosgedicht Pred 1,3–11 und zum Zeitgedicht Pred 3,1–9 s. Saur, Maß, 44 ff.48 ff und Gies, Anthropologie, 94 ff. 2. Feste und Festfreude im alten Israel (397 ff ) Zu den Festen und kalendarischen Ritualen s. Schmitt, Religionen, 98 ff. a) Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt α) Die Erfahrung des heiligen (397 ff ) Zu Ps 84 s. Seo, Gottesgegenwart, 147 ff. b) Frühjahrs- und Herbstfeste β) Der Große Versöhnungstag (412 ff ) Zu Lev 16 s. Janowski, Schuld, 371 ff.
VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
W
ie Abraham und Sara oder Amos und Jeremia ausgesehen und sich bewegt haben, können wir nicht wissen. Ebenso wenig, wie ihre Stimme klang oder welche Hautfarbe sie hatten. Selbst bei Saul und David reichen die Angaben zu ihrer Körpergröße (1 Sam 9,2) und Haarfarbe (1 Sam 16,12) nicht aus, um ihre Gestalt zu identifizieren. Was wir von ihnen kennen, sind ihre Worte und Taten, die im Alten Testament überliefert sind. Sie haben die Dichter, Maler und Musiker aller Zeiten inspiriert und auch dem theologischen Nachdenken reichlich Nahrung gegeben. Die obige Abbildung aus dem 16. Jahrhundert trägt den schönen Titel Isaias doth lament the syns of Ierusalem (Lyon 1549) und zeigt den Propheten mit typischem Mantel und zum Himmel erhobenem Haupt. Auch die Bilder vom Menschen, die in den verschiedenen Literaturbereichen des Alten Testaments begegnen, sind ein Beleg für die Vielfalt der alttestamentlichen Anthropologie(n). Wir beschränken uns im Folgenden auf eine Auswahl, die jedoch zentrale Aspekte veranschaulichen kann: die Anthropologie der Urgeschichte (Schöpfer und Geschöpf ), die Priesterliche Anthropologie (Schuld und Versöhnung), die Anthropologie des Königtums (Herrschaft und Heil), die Prophetische Anthropologie (Stellvertretung und Neuschöpfung), die Anthropologie der Psalmen (Leben und Tod) und die Weisheitliche Anthropologie (Gerechtigkeit und Leiden). Da sie grundlegend ist, bildet die biblische Urgeschichte den Anfang.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 1. Schöpfer und Geschöpf – Anthropologie der Urgeschichte Jedoch euer Blut, euer eigenes, werde ich einfordern, von jedem Tier werde ich es einfordern, und von dem Menschen, von jedem, fordere ich das Leben des Menschen ein: Wer das Blut des Menschen vergießt, dessen Blut soll um des Menschen willen vergossen werden, denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht. Genesis 9,5 f
Die ersten elf Kapitel des Buchs Genesis sind nichts weniger als eine magna carta der biblischen Anthropologie oder, so E. Blum, eine „paradigmatisch akzentuierte Ätiologie der conditio humana“1. Denn hier wird alles zum ersten Mal erzählt: die Erschaffung von Welt und Mensch (Gen 1–2), der sog. Sündenfall (Gen 3), der Brudermord (Gen 4), die große Flut und deren Ende (Gen 6,5–8,22) sowie der Bund Gottes mit seiner Schöpfung (Gen 9). Den Auftakt bilden die priesterschriftlichen Themen „Gottebenbildlichkeit“ und „Herrschaftsauftrag“ (Gen 1,26–28). Ihnen wenden wir uns zunächst zu. a) Bild Gottes und Schrecken der Tiere Altes Testament: Bührer, Anfang, 65 ff ◆ Dohmen, Gott, 22 ff ◆ Ebach, Bild Gottes, 16 ff ◆
Gaß, Handeln, 239 ff ◆ Gertz, Mensch, 25 ff ◆ Groß, Art. Gottebenbildlichkeit, 871 ff ◆ Ders., Gottebenbildlichkeit, 11 ff ◆ Hardmeier / Ott, Naturethik, 103 ff ◆ Janowski, Herrschaft, 33 ff ◆ Ders., Statue Gottes, 140 ff ◆ Jeremias, Theologie, 344 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 173 ff ◆ Koch, Imago Dei ◆ Neumann-Gorsolke, Herrschen, 136 ff ◆ Oberforcher, Lesarten, 131 ff ◆ Rüterswörden, Dominium terrae ◆ Schellenberg, Mensch, 37 ff ◆ Wagner, Art. Gottebenbildlichkeit, 217 ff ◆ Wagner, Ebenbild, 209 ff ◆ Weippert, Tier, 35 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 229 ff. – Antike Religionen: Angerstorfer, Ebenbild, 47 ff ◆ Assmann, Ägypten 50 ff ◆ Hornung, Der Eine, 125 ff ◆ Ockinga, Gottebenbildlichkeit. – Philosophie, Systematische Theologie: Härle, Dogmatik, 444 ff.447 ff ◆ Höffe, Moral, 196 ff ◆ Pannenberg, Anthropologie, 40 ff.71 ff ◆ Sauter, Leben, 61 ff.
1
Blum, Art. Urgeschichte, 436, s. dazu auch Bührer, Anfang, 270 ff.
424 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Der Spitzenaussage alttestamentlicher Anthropologie, der Mensch sei als „Bild Gottes“ erschaffen und zur Herrschaft über die Tiere bestimmt (Gen 1,26 ff; 5,1 und 9,6),2 kommt seit dem antiken Christentum zentrale Bedeutung zu.3 Vornehmlich auf die körperliche Gestalt, die Geistnatur oder die Ansprechbarkeit des Menschen bezogen und seit Irenäus von Lyon (2. Jh. n. Chr.) mit Hilfe der Unterscheidung der beiden Lexeme εἰκών und ὁμοίωσις bzw. imago und similitudo ausgelegt, gehört die Gottebenbildlichkeitsaussage seit jeher zu den Fundamentalsätzen einer theologischen Anthropologie.4 Allerdings: Die hohe Bedeutung dieses Theologumenons auf der einen und die anhaltende Kritik seiner Wirkungsgeschichte auf der anderen Seite provozieren die Frage nach seinem Ursprungssinn. Diese hat ihren Ausgang von einer Interpretation von Gen 1,26– 28 und dessen Kontext, dem priesterlichen Schöpfungsbericht Gen 1,1–2,3, zu nehmen (im Folgenden werden die Bildaussagen kursiviert und die Herrschaftsaussagen unterstrichen): 26 Und Gott sprach: „Wir wollen Menschen machen als unser(e) Bild / Statue, etwa wie unsere Ähnlichkeit, damit sie herrschen über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über alles 〈Wild〉5 der Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen.“ 27 Und Gott schuf den Menschen als sein(e) Bild / Statue, als Bild / Statue Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie. 28 Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde und (betretet sie =) nehmt sie in Anspruch, und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“
Der Schlüsselsatz V. 26 über den göttlichen Beschluss zur Erschaffung des Menschen, der Gott im pluralischen Kohortativ („Wir wollen machen …“) einführt (1), gebraucht nicht nur zwei suffigierte Substantive (Bildbegriffe) und zwei Präpositionen („als“ und „wie“), mit denen die imago Dei-Aussage formuliert wird
2
Alle drei Texte gehören zur Priestergrundschrift (PG). Rezeptionsgeschichtlich wichtig sind die Übersetzung der Septuaginta sowie Sir 17,3–7 (s. Q 9) und SapSal 2,23 f, s. dazu Oberforcher, Lesarten, 150 ff.153 ff. 3 S. dazu Westermann, Genesis 1–11 (BK), 203 ff; Schüle, Genesis 1–11 (ZBK.AT), 42 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 63 ff. 4 S. dazu den Überblick bei Härle, Dogmatik, 444 ff.447 ff und Sauter, Leben, 65 ff. 5 So mit Syr, vgl. Gen 1,24.25.28 und Gertz, aaO 28 Anm. 14.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 425
(2), sondern er enthält auch eine finale Fortsetzung („damit sie herrschen …“),6 die den Menschen mit der Herrschaft über die Tiere (dominium animalium) beauftragt (3): Schöpfungsaussage (1) Wir wollen Menschen (᾽ādām) machen
Bildaussagen (2)
als unser/e Bild / Statue (sælæm), etwa wie unsere Ähnlichkeit (demût) ˙ Beth essentiae „als“7 + Objektprädikat „unser(e) Bild / Statue“ + Attribut „unseresgleichen“ oder Lexem „etwa wie unsere Ähnlichkeit“
Herrschaftsaussage (3) damit sie herrschen über (rādāh + Präp. b) die Fische des Meeres …
Aufgrund der Struktur dieses Satzes geht der Blick von Gott zum Menschen und von diesem zu den Tieren unter ihm. Der Text setzt demnach drei Größen in Beziehung zueinander: die Erschaffung des Menschen, seine Bestimmung zum „Bild“ und zur „Ähnlichkeit“ Gottes sowie seine Beauftragung zur Herrschaft über die Tiere. Die Bildaussage nimmt dabei die zentrale Position ein, denn sie steht zwischen der Schöpfungs- und der Herrschaftsaussage, ist also auf den Schöpfergott und auf die nichtmenschlichen Kreaturen bezogen. α) Die lebendige Statue Gottes Wie die neuere Forschung deutlich gemacht hat, bedeutet sælæm „Statue, Rund˙ plastik“,8 wobei ein Relief / eine reliefierte Stele, eine kleinere oder größere Rundplastik gemeint sein kann. Zusatzangaben aus dem Kontext (z.B Ez 23,14: Wandrelief) oder ein Attribut (z. B. Num 33,52) präzisieren Material und Bildträger. Der Gegenstand der Darstellung (Tiere, Menschen oder „Gräuel“ [Ez 7,20]) wird öfter genauer bestimmt. Da das Abgebildete in dem sælæm genannten Kunst˙ oder Bildwerk wirkmächtig präsent ist, lässt sich das Wort am besten mit „Repräsentationsbild“ wiedergeben.9 Diese Annahme findet darin eine Stütze, dass auch in der altorientalischen Umwelt Israels (Ägypten, Mesopotamien) der König als „Bild Gottes“ bezeichnet wird (s. Q 57 und Q 102). Trotz offener Fragen hinsichtlich des Überlieferungswegs10 dürfte die alttestamentliche Imago Dei-Vorstellung ihren Ursprung in der altorientalischen Königsideologie haben. Sie ist aber kaum das Ergebnis eiS. dazu Groß, Gottebenbildlichkeit, 30. S. dazu Jenni, Beth, 84 f, vgl. Groß, aaO 20 ff und ders., Art. Gottebenbildlichkeit, 871. 8 S. dazu Schroer, Bilder, 322 ff; Janowski, Statue Gottes, 146 ff u. a. 9 S. dazu Janowski, aaO 151 ff, vgl. Hartenstein / Moxter, Hermeneutik, 175 f u. a. 10 Als traditionsgeschichtliches Zwischenglied fehlt vor allem die Bezeichnung des Königs als „Bild Gottes“. Der (judäische) König wird „Erwählter“, „Sohn“ oder „Erstgeborener“ Gottes 6 7
426 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
ner innerisraelitischen „Demokratisierung“ des Königsbilds,11 sondern – nach dem Ende des judäischen Königtums – vielmehr das Resultat einer Universalisierung der Herrschaftsvorstellung, in die durch die Priesterschrift offenbar absichtsvoll königsideologische Metaphern eingebaut wurden („Royalisierung“ des Menschenbildes, vgl. Ps 8,6 f).12 Königsideologische Züge sind auch sonst in Gen 1,26–28 auszumachen und vor allem mit der Herrschaftsaussage verbunden. Neben den ersten Bildbegriff sælæm tritt in Gen 1,26a mit demût ein zweiter Bildbegriff, ˙ der mit der Präposition Kaph „wie, entsprechend“ eingeführt wird: „etwa wie unsere Ähnlichkeit“. Da das Hebräische keine Abstufung der Gleichheit ausdrücken kann, also nicht unterscheidet, ob etwas „gleich“ oder nur „ähnlich“ ist,13 intendiert die Wendung „etwa wie unsere Ähnlichkeit“ offenbar weder eine Abschwächung noch eine Verstärkung der konkreten sælæm-Aussage („Statue, [Rund-]Plastik“). Sie dürfte vielmehr ein pleonas˙ tischer Ausdruck für Vergleichbarkeit („wie etwas Ähnliches zu uns / unseresgleichen“) oder ein vollsemantisches Lexem („etwa wie / gemäß unsere/r Ähnlichkeit“) sein, das die Ähnlichkeit / Entsprechung (nicht die Identität!) zweier Größen zum Ausdruck bringt. Während also sælæm den funktionalen Aspekt der Gottebenbildlichkeit im Sinn des Re˙ präsentationsgedankens betont, präzisiert die demût-Aussage – um eine Identität von Bild (Mensch) und Abgebildetem (Gott) zu vermeiden – diesen Aspekt im Sinn einer Entsprechung des Menschen zu Gott, nicht aber im Sinn einer theomorphen Qualität des gottebenbildlichen Menschen.14
Der Mensch ist also „nicht kraft unbekannter Qualität Gottes Bild und soll infolgedessen u. a. über die Tiere herrschen, sondern der Mensch ist Gottes Bild, insofern er ermächtigt ist, über die Tiere zu herrschen“15. Darin zeigt sich die doppelte Verantwortung des gottebenbildlichen Menschen gegenüber seinem Schöpfer (Gottesbezug) wie gegenüber der Schöpfung (Weltbezug). Die Sinnspitze der Imago Dei-Aussage von Gen 1,26 scheint demnach nicht darin zu liegen, dass die Herrschaft über die Tiere die Folge, sondern darin, dass sie – zusammen mit dem Motiv der Inanspruchnahme der Erde (Gen 1,28a) – das Interpretament der Gottebenbildlichkeit ist. β) Der doppelte Herrschaftsauftrag In der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte von Gen 1,26–28 sind die beiden Herrschaftsverben rādāh (Gen 1,26b. 28b) und kābaš (Gen 1,28a) immer wieder genannt, s. dazu unten 465. Zum Menschen als „Bild Gottes“ in der römischen Religion s. Q 183. 11 So Koch, Imago Dei, 23 u. a., s. dazu aber Gertz, aaO 66 f. 12 S. dazu Janowski, aaO 150 f und Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 313 ff (Janowski), ferner Schüle, Gen 1–11 (ZBK.AT), 44; Wagner, Art. Gottebenbildlichkeit, 218; Hartenstein / Moxter, aaO 176 f u. a. 13 Vgl. Jenni, Kaph, 44. 14 Vgl. Wagner, aaO 218 f. 15 Groß, Gottebenbildlichkeit, 31, vgl. 30.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 427
als Ausdrücke verstanden worden, die die rücksichtslose Beherrschung der Natur durch den Menschen propagieren. Das Problem war die aggressive Interpretation der Herrschaftsaussagen, also die Übersetzung von rādāh mit „(nieder) treten, trampeln“ und von kābaš mit „untertan machen“.16 Daneben hat sich ein Deutungsmodell herausgebildet, das einer pazifistischen Interpretation das Wort redete und das Verb rādāh mit der Tätigkeit des Hirten, mit seinem fürsorglichen Verhalten zu seinen Tieren, in Verbindung brachte. Keines der beiden Deutungsmodelle kann allerdings überzeugen.17 Wenn man demgegenüber auf die Komposition von Gen 1,1–2,3 achtet, so fällt auf, dass in Gen 1,20–31 (5. und 6. Schöpfungstag) mit Meer, Luft und Himmel die Lebensbereiche in den Blickpunkt genommen werden, die von den entsprechenden Lebewesen, den Wasser-, den Flug- und den Landtieren samt dem Menschen, bevölkert werden (s. Abb. 89).18 Für das Verständnis des Herrschaftsauftrags ist das insofern von Bedeutung, als der am 6. Tag zusammen mit den Landtieren erschaffene Mensch – beide leben auf dem gemeinsamen Lebensraum „Erde“ – mit der Aufgabe betraut wird, über diesen lebendigen Organismus zu „herrschen“ (rādāh)19 und nicht Verhältnisse herbeizuführen, die diesen in seinem Funktionieren in Frage stellen. Mit den Wendungen „Fische des Meeres“, „Vögel des Himmels“ und „Vieh, Wild, Kriechtiere der Erde“ ist in Gen 1,26.28 der Bezug zum Gesamtrahmen des ersten Schöpfungsberichts, speziell zu den Werken des 2. und 3. Tags (Himmel, Erde, Meer) als den drei Bereichen der geschaffenen Welt, explizit hergestellt. Für das Verständnis von rādāh bedeutet das, dass mit diesem Verb nicht eine spezielle Herrschaftsmaßnahme – „niedertreten“, „domestizieren“ oder „leiten, weiden, hegen“20 –, sondern die universale Ordnungsfunktion zum Ausdruck gebracht wird, die der Mensch als lebendige „Statue“ bzw. als Repräsentant des Schöpfergottes wahrnimmt.21 Dieser Taxonomie des altorientalisch-biblischen Weltbilds ist offenbar auch die rādāh-Aussage von Gen 1,26b. 28b verpflichtet.22 „Herrschaft“, so die Priesterschrift, ist um der Schöpfung im ganzen und ihres Fortbestandes willen notwendig, sie definiert den gottebenbildlichen Menschen als Sachwalter für das Ganze der Schöpfungswelt. Gen 1,28 konkretisiert diese Bestimmung des Menschen im Zum Verständnis von kābaš „(betreten >) in Anspruch / Dienst nehmen“ s. Janowski, aaO 161 f; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 274 ff; Hardmeier / Ott, Naturethik, 137 ff und Gertz, aaO 68 f. Anders Schellenberg, Mensch, 54 f u. ö., die wieder die Übersetzung „unterwerfen“ präferiert. 17 S. dazu Janowski, aaO 153 ff. 18 S. dazu oben 388. 19 S. dazu ders., aaO 158 ff und Schellenberg, aaO 49 ff. 20 Zu diesen Deutungsmodellen s. Janowski, Herrschaft, 34 ff. 21 Der universale Aspekt von Herrschaft kommt in vergleichbarer Weise auch in der neuassyrischen Königsideologie zum Ausdruck, s. Q 103. 22 Vgl. Weippert, Tier, 44 mit Anm. 14. Zur Taxonomie der Weltbereiche in neuassyrischen Texten s. Q 108. 16
428 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Sinn einer doppelten Ermächtigung zur Inanspruchnahme der Erde (dominium terrae) und zur Herrschaft über die Tiere (regnum animalium). Der Mensch ist also „Bild Gottes, insofern er sich verantwortlich handelnd zu seinem Lebensraum samt den Lebewesen darin verhält“23 und nicht, insofern er zu einem autonomen Verfügen über die Tierwelt für selbstgewählte Zwecke ermächtigt wird. Dem entspricht auch der Sachverhalt, dass das Zusammenleben des Menschen mit den Tieren durch die Nahrungszuweisung Gen 1,29 f reguliert wird.24 Denn diese impliziert Gemeinschaft (gleicher Lebensraum „Erde“) und Differenz (unterschiedliche Nahrung) und schützt Mensch und Tier vor wechselseitigem Blutvergießen. Und schließlich steht die Herrschaft des Menschen unter dem Primat des Segens (Gen 1,28!) und findet ihre Grenzen am Ganzen der Schöpfungswelt. Wollte man demnach die Position des Menschen im Schöpfungsganzen, wie sie Gen 1 sieht, skizzieren, so könnte man sie – nicht als ,Krone der Schöpfung‘,25 sondern – als eine ,umgekehrte Pyramide‘ darstellen (s. Abb. 97). ,Umgekehrte Pyramide‘ heißt: der Mensch ist auf alles bezogen, was vor ihm erschaffen worden ist. 1.–4. Tag: Raumzeitliche Ordnung
Mensch
5. Tag: Wasser- und Flugtiere 6. Tag: Landtiere und Menschen
Abb. 97: Die Position des Menschen nach Gen 1
Das Thema „Gottebenbildlichkeit des Menschen“ ist damit aber noch nicht ausgeschöpft. Das zeigt der Zusammenhang zwischen dem priesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) und der priesterlichen Fluterzählung (Gen *6,5– 9,29).26 Während Gen 1,26–28 die Erschaffung des Menschen zum Bild Gottes und seine Beauftragung zur Herrschaft über die Tiere sowie zur Inanspruchnahme der Erde beschreibt, scheint Gen 9,1–727 die gute Ordnung der uranfänglichen Schöpfung durch eine Art ,Notverordnung‘ wieder rückgängig zu machen. Nachdem sich die Arche auf einem der Berge von Ararat niedergelassen hatte (Gen 8,4), die Wasser vollständig von der Erde weggetrocknet waren (Gen 8,13a.14) und Noah mit allem, was bei ihm war, die Arche auf Gottes Befehl Groß, Gottebenbildlichkeit, 33. S. dazu Neumann-Gorsolke, Herrschen, 229 ff und Hardmeier / Ott, Naturethik, 144 ff. 25 Zu dem im 19. und 20. Jh. entwickelten Verständnis vom Menschen als „Krone der Schöpfung“ s. Schmitz, „Krone“, 18 ff. 26 Zu den kompositorischen Aspekten s. Witte, Urgeschichte, 130 ff und Blum, Art. Urgeschichte, 441 f. 27 Zu Gen 9,1 ff.*8 ff (PG) s. Ebach, Bild Gottes, 16 ff; Baumgart, Umkehr, 290 ff; Groß, Statue, 26 ff.34 f; Oberforcher, Lesarten, 147 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 248 ff; Janowski, Erinnerung, 183 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 276 ff. 23 24
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 429
hin verlassen hatte (Gen 8,15–17, Ausführungsbericht 8,18 f), segnete Gott Noah und seine Söhne (Gen 9,1a) und sagte zu ihnen: Segenszusage 1b Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde.
Übereignung der Tiere (dominium animalium) 2 Und Furcht vor euch und Schrecken vor euch sei auf allen Tieren der Erde und auf allen Vögeln des Himmels, mit allem, das auf dem Erdboden kriecht, und mit allen Fischen des Meeres sind sie in eure Hand gegeben.
Tiertötung (erlaubt) 3 Alles, was sich regt, was lebendig ist – euch sei es zur Nahrung, wie das Grün des Krautes habe ich euch alles gegeben. 4 Nur Fleisch mit seinem Leben – sein Blut – sollt ihr nicht essen.
Menschentötung (verboten) 5 Jedoch euer Blut, euer eigenes, werde ich einfordern, von jedem Tier werde ich es einfordern, und von dem Menschen, von jedem 〈seinem Bruder〉, fordere ich das Leben des Menschen ein: 6 Wer das Blut des Menschen vergießt, dessen Blut soll um des Menschen willen28 vergossen werden, denn als Bild / Statue (sælæm) Gottes hat er den Menschen gemacht. ˙
Segenszusage
7 Ihr aber seid fruchtbar und werdet zahlreich, wimmelt auf der Erde und werdet zahlreich auf ihr.
Wenn 9,1–7 den Fortbestand der Menschheit garantiert, so muss zunächst verwundern, mit welchen Maßnahmen diese Garantie von Gott der nachsintflutlichen Menschheit gegeben wird. Zwar soll unkontrollierte Gewalt (hāmās ˙ Gen 6,11) auf der Erde hinfort ausgeschlossen sein – aber um den Preis, dass die Tiere der Verfügungsgewalt des Menschen unterliegen (Gen 9,2), ihre Tötung zu Nahrungszwecken erlaubt ist (Gen 9,3), diese Erlaubnis aber durch das Blutgenussverbot eingeschränkt wird (Gen 9,4).29 Demgegenüber sind Tötungsdelikte am Menschen verboten, weil Gott ihn als sein „Bild“ (sælæm) gemacht hat ˙ (Gen 9,6). Die in Gen 9,3 f erlaubte Tiertötung intendiert aber keine Ausrottung der Tierwelt. Das widerspräche nicht nur jeder Klugheitserwägung,30 sondern auch Beth pretii („um willen, für“) in der Wendung bā᾽ādām s. Gertz, aaO 282 f. In der Systematik der Priesterschrift bezieht sich das Blutgenussverbot von Gen 9,4 auf Lev 17,11: „denn das Leben (næpæš) des Fleisches – im Blut ist es“, s. dazu Gertz, aaO 280 f und oben 58.416 f. 30 Vgl. Höffe, Moral, 196 ff. 28 Zum 29
430 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
der Segensverheißung von Gen 9,8–17, wonach auch die Tiere zum Gottesbund gehören.31 Mit schrankenloser Gewalt hat die nachsintflutliche Neuregelung also nichts zu tun. Sie zeigt aber, als wie gravierend die Priesterschrift die Kluft zwischen dem Menschen und seinen Mitgeschöpfen empfunden hat und wie konfliktträchtig das Zusammenleben von Mensch und Tier in dem gemeinsamen Lebensraum „Erde“ in Wirklichkeit ist. Diese Situation wurde nach Gen 6,11–13 durch die „Gewalttat“ (hāmās) allen Fleisches, also von Mensch und Tier, her˙ beigeführt und die Erde mit Gewalt regelrecht „angefüllt“: 11 Und die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde füllte sich mit Gewalttat. 12 Und Gott sah die Erde und siehe: sie war verdorben, denn verdorben hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. 13 Und Gott sagte zu Noah: „Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen,32 denn die Erde ist ihretwegen voll mit Gewalttat, und siehe: Ich werde sie verderben mit der Erde.“ (Gen 6,11–13)
Damit ist, wie Gen 6,12a („und siehe: sie war verdorben“) gegenüber Gen 1,31a („Und siehe: sie war sehr gut“) prägnant zeigt, „ein Totalumschlag von der idealen Schöpfung in eine durch Gewalt pervertierte Welt ausgesagt“33. Nach dem Sintflutgericht, in das die Gewalt unter den Geschöpfen führte, setzte Gott nach Gen 9,2 f eine Art Kriegszustand zwischen Mensch und Tier ein.34 Jetzt war der Mensch nicht nur ein „Herrscher“ über die Tiere, sondern ihr furchterregender „Schrecken“.35 Die tödliche Gewalt von Gen 6,11 f kennzeichnet aber nicht die Totalität des Lebens, die durch Gen 9,2 f nur ratifiziert würde. Vielmehr enthält Gen 9,1–7 – trotz der offenen Rivalität zwischen Mensch und Tier – ein Stück Utopie: Der Mensch bleibt das Bild Gottes (Gen 9,6, vgl. 1,26 f),36 er übt seine Herrschaft über die Tiere aber als begrenzte ,Schreckensherrschaft‘ aus (Gen 9,2), indem ihm, dem ursprünglichen Vegetarier (Gen 1,29 f), die Tiere zwar zum Verzehr freigegeben werden (Gen 9,3), wegen des Bluttabus aber nicht unbeschränkt (Gen 9,4). S. dazu Janowski, aaO 188 ff. V. 13a ist ein über Ez 7,2 ff vermitteltes Zitat aus Am 8,2, s. dazu Gertz, aaO 248 f. 33 Oberforcher, aaO 145, s. dazu auch Gertz, aaO 246 ff. 34 S. dazu Baumgart, aaO 295 f und Neumann-Gorsolke, aaO 253 ff. 35 S. dazu Ebach, Bild Gottes, 16 ff. 36 Nach Hossfeld, „Du sollst nicht töten!“, 68 zeigt sich in Gen 9,6 gegenüber Gen 1,26 f insofern eine Veränderung im Blick auf die Gottebenbildlichkeit, als der Mensch hier „nicht mehr definiert (wird) im Gefälle von Mensch zu Tier, sondern im Kontext der Übergriffe von Mensch gegen Mensch. In diesem Kontext begründet der Halbvers (sc. Gen 9,6b) den vorausgehenden Rechtssatz und macht nun eine Wesensaussage. Weil der Mensch als Gottes Ebenbild einen so hohen Wert hat, darf kein Menschenblut vergossen werden, muß aber zugleich Mord geahndet werden. Die Bibel erfaßt hier zum erstenmal reflex den Gedanken des Menschenrechts bzw. der Menschenwürde“. 31 32
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In der Wahrnehmung dieser Ambivalenz, die bestehende Gewaltverhältnisse zwischen Mensch und Tier nicht leugnet, aber auf das nötige Minimum einzugrenzen sucht, ist der priesterliche Verfasser ein Realist. Er weiß, dass das Leben in seiner geschichtlichen Realität bedroht ist und deshalb mit ,ordnender Gewalt‘ reguliert werden muss. Er ist zugleich aber mehr als ein Realist, weil er, wie die zweite Gottesrede Gen 9,8–17 ausdrücklich sagt (V. 10, vgl. V. 12), auch die Tiere in den „Bund“ (berît) Gottes mit dem Menschen hineingenommen sieht: 8 Und Gott sagte zu Noah und zu seinen Söhnen mit ihm folgendermaßen: 9 „Ich aber, siehe, ich bin dabei, meinen Bund aufzurichten mit euch und mit euren Nachkommen nach euch 10 und mit allen Lebewesen, die bei euch sind an Vögeln, an Vieh und an allem Getier der Erde bei euch, von allen, die aus der Arche herausgehen, für alles Getier der Erde. 11 Ich werde meinen Bund aufrichten mit euch (des Inhalts): Nicht mehr wird alles Fleisch ausgerottet werden von den Wassern der Flut, und nicht mehr wird eine Flut sein, die Erde zu verderben.“ (Gen 9,8–11)37
Und Gen 1,26–28? Redet dieser Text gegenüber der harten Realität von Gen 9,2 f nicht einem unrealistischen Ideal das Wort? Wie auch immer man hier die Akzente setzt – er hält jedenfalls den Glauben daran fest, dass der Mensch als Bild Gottes sein Weltverhältnis verfehlt, wenn er es im Sinn von Gen 6,11–13 auslebt, wenn er also sein Handeln von der Maxime der Gewalt bestimmt sein lässt. Sowenig Gen 9,2 f einfach die Gewaltlinie von Gen 6,11 ff fortschreibt, sowenig reduziert der Herrschaftsauftrag von Gen 1,26.28 die Wirklichkeit auf das Ideal der heilen Welt. Zusammen mit Gen 9,1–7.*8–17 kann er auch als Utopie und d. h. als Aufforderung gelesen werden, es nicht bei der Normativität des Faktischen, wie sie Gen 9,2–6 beschreibt, zu belassen, sondern die Herrschaft des Menschen zu begrenzen, wo sie schrankenlos zu werden droht. Dafür spricht auch die Segensformulierung von Gen 1,28, wonach nicht nur die Vermehrung, sondern auch die Herrschaft des Menschen (dominium terrae et animalium) Segensinhalte sind, die nur um den Preis der Gewalt und deren Folgen (Gen 6,11 ff!) in ihrem Ursprungssinn verkehrt werden. Das also ist die anthropologische Summe der priesterlichen Urgeschichte (Gen *1–9): es nicht bei bestehenden Gewaltverhältnissen zu belassen, sondern den Menschen daran zu erinnern, dass er als Bild Gottes zwar zur Herrschaft beauftragt, aber als Geschöpf inmitten der anderen Geschöpfe erschaffen ist. So „(übersteigen) im Gottes- und Menschenbild … die priesterlichen Texte alle partikularen Eingrenzungen, ohne dass die kultische und geschichtliche Partikularität aus dem Blick gerät“38.
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Zu diesem Text s. Groß, Zukunft, 45 ff und Gertz, aaO 283 f. Van Oorschot, Aspekte, 43, vgl. 60 f. Zur priesterlichen Kulttheologie s. unten 441 ff.
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b) Der fehlbare Mensch Altes Testament: Barr, Eden ◆ Bauks, Nacktheit, 17 ff ◆ Baumgart, Umkehr ◆ Ders., Ende, 25 ff ◆ Bird, Genesis 3, 3 ff ◆ Blum, Gottesunmittelbarkeit, 9 ff ◆ Bührer, Anfang, 165 ff ◆ Dohmen, Gott, 33 ff ◆ Grund, Art. Scham, 347 ff ◆ Hartenstein, Paradieserzählung, 277 ff ◆ Janowski, Eden, 134 ff ◆ Ders., Erinnerung, 172 ff ◆ Ders., Empathie, 175 ff ◆ Jeremias, Theologie, 340 ff ◆ Keel / Schroer, Schöpfung, 173 ff ◆ Schmid, Unteilbarkeit, 21 ff ◆ Ders., Schöpfung, 92 ff ◆ Schmitz, Mensch, 13 ff ◆ Smith, Sin, 215 ff. – Philosophie, Systematische Theologie: Härle, Dogmatik, 478 ff ◆ Hünermann, Peccatum originale, 92 ff ◆ Krötke, Art. Sünde / Schuld, 1867 f.1871 ff.1887 ff ◆ Ricœur, Erbsünde, 140 ff ◆ Sauter, Leben, 88 ff.
Im Unterschied zur priesterlichen Urgeschichte steht im Zentrum der nichtpriesterlichen Schöpfungs- und Paradieserzählung Gen 2,4b–3,2439 nicht das Thema der Gottebenbildlichkeit des Menschen, sondern der in Gen 2,16 f formulierte Konflikt zwischen Erkenntnis und Verfehlung, d. h. zwischen dem Wissen von Gut und Böse und der Übertretung des göttlichen Gebots. In der Interpretation dieses Konflikts ist die Auslegungsgeschichte unterschiedliche Wege gegangen: Die kirchliche Tradition hat mit dem sog. Sündenfall den Verlust des Paradieses als Preisgabe eines unschuldigen Urstandes beklagt und diesen Verlust als „Erbsünde“ (peccatum originale) bezeichnet. Dieser Begriff ist deswegen problematisch, weil „der Begriff des ,Erbes‘ im Widerspruch zum Begriff der Sünde als selbstverantworteter Lebenstat (steht)“40. Noch problematischer ist es, wenn man im Anschluss an Augustin behauptet, dass die Sünde durch Zeugung weitergegeben werde und insofern „Erbsünde“ sei. Diese biologistische Interpretation widerspricht im Übrigen auch dem unmittelbaren Kontext mit seiner Bejahung der Geschlechtlichkeit (Gen 2,23 f). Gleichwohl sollte das Anliegen der christlichen Sündenlehre (Hamartiologie), den menschheitsgeschichtlichen Schuldzusammenhang zur Geltung zu bringen, nicht preisgegeben werden. Dieser Zusammenhang kommt in der Erzählung Gen 2,4b–4,26 auf eine Weise zum Ausdruck, die N. Lohfink als das „vorpersonale Böse“41 bezeichnet hat. Die philosophische Tradition von Aufklärung und Idealismus hatte im sog. Sündenfall dagegen eine „glückliche Schuld“ (felix culpa) gesehen, weil sie als der notwendige Schritt zur Menschwerdung des Menschen und zur Herausbildung seiner Freiheit verstanden wurde. Das Problem bei dieser Deutung ist die Annahme, dass dieser Schritt notwendig gewesen sei. Dazu richtet er immer wieder zu viel Unheil an, denn „er dient der Zerstörung derjenigen Bedingungen und Grundlagen des eigenen Lebens von Menschen, auf die sie doch angewiesen sind, um zu leben“42. Deshalb wäre es angemessener, von einem folgenreichen Schritt zu sprechen, von einem Schritt also, der nicht ein äußerliches Verhängnis darstellt, sondern der wesentlich personal ist und sich in sozialen Zusammenhängen vollzieht.43
S. dazu Blum, Gottesunmittelbarkeit, 9 ff; Schmid, Schöpfung, 92 ff; Gertz, aaO 80 ff u. a. Krötke, Art. Sünde / Schuld, 1868. 41 Lohfink, Das Jüdische, 167 ff. 42 Krötke, aaO 1872. 43 S. dazu bes. Hünermann, Peccatum originale, 92 ff.
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Es geht in Gen 2,4b–3,24 also „nicht um eine Herleitung und ,Erklärung‘ des Bösen, vielmehr um eine Annäherung an seine Faktizität“44. Die Erzählung von Gen 3 nähert sich dieser Faktizität der Sünde auf eine ebenso dramatische wie elementare Weise an. Seinen Ausgang nimmt das Drama bei der Dialektik von Verbot und Übertretung. α) Essen vom Baum der Erkenntnis Die in Gen 3 erzählten Ereignisse werden von dem Verbot in Gen 2,16 f ausgelöst, vom Baum des Wissens von Gut und Böse45 zu essen: 16 Und JHWH Elohim gebot dem Menschen: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, 17 aber vom Baum des Wissens von Gut und Böse: nicht sollst du von ihm essen, denn an dem Tag, an dem du von ihm isst, wirst du unweigerlich sterben.“
Es ist zunächst bemerkenswert, dass die Gebotsübertretung nicht als „Sünde“ bezeichnet wird. Der Terminus „Sünde“ fehlt in Gen 2,4b–3,24 und begegnet zum ersten Mal in Gen 4,7 (῾āwôn „Verkehrtheit“) und 4,13 (hattā᾽t „Verfehlung“).46 ˙ ˙˙ Hätte der biblische Autor das Wissen von Gut und Böse47 als „Sünde“ bezeichnet, hätte er damit das menschliche Urteilsvermögen, das auf dieses Orientierungswissen fundamental angewiesen ist, diskreditiert. Das Problem liegt woanders, nämlich darin, dass das Wissen von Gut und Böse eine Unterscheidungsfähigkeit impliziert, die nur Gott zukommt (vgl. Gen 3,5.22), während sie für den Menschen ambivalent ist als etwas, das „Schmerz wie auch Trauer (bringt), Gewahrsein des Bösen wie auch des Guten“48. Im Garten Eden braucht das erste Menschenpaar dieses Wissen nicht. Es braucht es aber außerhalb des Gartens, wo es zum Überleben in der realen Welt unabdingbar ist.49 Für das Verständnis von Gen 2,16 f ist sodann zu beachten, dass der Mensch die mit dem Wissen von Gut und Böse verbundene Erkenntnis durch die Übertretung eines göttlichen Verbots gewinnt. Deshalb ist seine Begabung mit Er44
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Ders., aaO 106. Zu den mit dem Erkenntnisbaum (Gen 2,9b. 17; 3,5) und dem Lebensbaum (Gen 2,9b; 3,11 f.22.24) verbundenen Problemen s. Blum, Gottesunmittelbarkeit, 19 ff und Schmid, Schöpfung, 93 ff. Folgt man der Erzähllogik von Gen 2,4b–3,24, so sind beide Bäume von Anfang an integraler Bestandteil der Erzählung, sie sind aber nicht identisch, s. dazu Gertz aaO 88 ff. Zu den Hauptbegriffen für Sünde s. Janowski, Gott, 236 ff. Mit dem Wissen von Gut und Böse ist die umfassende Erkenntnis, also die Fähigkeit gemeint, zwischen Lebenszuträglichem und Lebensabträglichem zu unterscheiden, vgl. Dtn 1,39 f; 2 Sam 19,36; 1 Kön 3,9; Jes 7,15 f und dazu Barr, Eden, 62; Bird, Gen 3, 17 f; Schmid, aaO 94 und Gertz, aaO 118 f. Bird, aaO 18. S. dazu nach wie vor von Rad, Weisheit, 13 ff.
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kenntnis eine zutiefst ambivalente Angelegenheit: sie ist zwar grundsätzlich positiv, aber zugleich mit einem Verlust erkauft. Denn der Mensch muss nun sein Leben „ständig neu so gestalten, daß er aus einer Fülle von Möglichkeiten der Selbstbestimmung auswählt. Jeder dieser Wahlakte und darum auch das menschliche Leben im ganzen steht unter der Alternative von Scheitern und Gelingen. In dem Verbot, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, ist das Wissen enthalten und angedeutet, daß es diese beiden Möglichkeiten gibt. Dabei bedeutet das Sich-Einlassen auf das Böse einerseits, daß das Erfahrungsspektrum des Menschen ungeheuer ausgeweitet wird, weil der Mensch in ihm das Gegenteil des Guten kennenlernt, dass aber andererseits eben damit ein lebensbedrohlicher Riß durch sein Dasein geht“50.
Vor diesem Hintergrund ist noch einmal auf die Formulierung von Gen 2,16 f zu achten. Dem Verbot in Bezug auf den Baum des Wissens von Gut und Böse wird in V. 16b nämlich eine unbegrenzte Erlaubnis vorangestellt: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen“. Das folgende Verbot („Aber vom Baum des Wissens von Gut und Böse …“ V. 17a) wirkt demgegenüber wie eine willkürliche Beschränkung dieser Erlaubnis, erweist sich durch den Nachsatz „denn an dem Tag …“ (V. 17b) aber als lebensdienlich. Deshalb hat das Verbot den „Charakter einer heilsamen Warnung vor einer todbringenden Gefahr“51. Die Tatsache, dass diese Warnung aber als Verbot gegeben wird, zeigt, „daß und wie das Leben des Menschen durch ihn selbst gefährdet ist“52. Der Mensch kann seine personale Bestimmung verfehlen, darin liegt seine Fähigkeit zur „Sünde“. Während der sog. Sündenfall vom göttlichen Verbot in Gen 2,16 f ausgelöst wird, kommt der Anstoß zur Übertretung des Verbots von außen, nämlich von der Schlange,53 die ein Geschöpf JHWHs ist (Gen 3,1!) und die im Kontext der mythischen Rollenkonstellation die Funktion eines agent provocateur übernimmt. „Es bedarf nur eines kleinen Anstoßes von außen, um das Böse zur aktuellen Sünde werden zu lassen.“54 Dies geschieht durch eine kluge Frage, die die Schlange an die Frau stellt: „Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht von allen Bäumen des Gartens essen?“ (Gen 3,1). Darauf geht die Frau korrigierend ein, nimmt von der Frucht, isst davon und gibt sie ihrem Mann, der ebenfalls davon isst (Gen 3,2 f.6). Und nun geschieht etwas Eigenartiges: die Augen der beiden werden aufgetan – aber sie sterben nicht! Es kommt schlimmer. Denn was sie zu sehen beHärle, Dogmatik, 482 (H. i.O). Ders., ebd. (H. i. O.). 52 Ders., aaO 483 (H. i. O.). 53 Die Schlange ist ein Wesen mit ,Grenzcharakter‘, d. h. ein Wesen, das Gegensätze (Tod / Leben) vereint und Trennungslinien überschreitet: es bewegt sich zu Land wie ein Wassertier und erneuert sich durch Abstreifen seiner Haut, s. dazu Fabry, nāhāš, 384 ff und Gertz, aaO ˙ 129 ff. 54 Fabry, aaO 393. 50 51
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kommen, sind sie selbst, nicht als gottgleiche, sondern als „nackte“ Wesen,55 die sich mit Schurzen bekleiden, weil sie sich schämen. „Die Scham ist hier also nicht Symptom oder Folge der Sünden, sondern geht unmittelbar mit der Erkenntnis von Gut und Böse einher.“56 Das aber heißt: Gottgleiches Wissen macht das erste Menschenpaar nicht göttlich, sondern vergrößert sein „Bewusstsein der Grenze zwischen sich selbst und Gott“57. Diese Grenze bestand von Anfang an, weil Gott der Schöpfer und der Mensch sein Geschöpf ist. Aber jetzt ist diese Grenze bewusst und dieses Bewusstsein ,tut weh‘.58 Nach dem Verhör des ersten Menschenpaars (Gen 3,9–13) kommt es zu den Strafsprüchen über die Schlange (Gen 3,14 f), die Frau (Gen 3,16) und den Mann (Gen 3,17–19). Jeder dieser Sprüche hat zwei Dimensionen: eine Einzelstrafe in Form einer spezifischen Daseinsminderung (Schlange: auf dem Erdboden kriechen und Staub fressen, Frau: Schwangerschaft unter Schmerzen, Mann: Feldarbeit unter Mühsal) und eine Gemeinschaftsstrafe, insofern die am „Sündenfall“ beteiligten Wesen in einem von gegenseitiger Feindschaft bestimmten Verhältnis stehen. Die Konsequenz ist die Vertreibung aus dem Gottesgarten (Gen 3,23) in ein Gebiet „östlich vom Garten Eden“ (vgl. 3,24). Hier spielt dann die Brudermorderzählung Gen 4,1–16, die von den Folgen erzählt, die sich aus der Gebotsübertretung ergeben, und die eine Steigerung gegenüber der „Sündenfallgeschichte“ bedeuten. Sehen wir noch etwas genauer hin. Eva, die „Mutter aller Lebenden“ (Gen 3,20b), hatte zwei Söhne geboren: Abel, der Kleinviehhirte, und Kain, der Ackerbauer wurde (Gen 4,2). Kain war eigentlich das Schicksal beschieden, die Tätigkeit seines Vaters Adam auszuüben, nämlich den Ackerboden (᾽adāmāh) zu bebauen (vgl. Gen 2,5.15; 3,17), jene ᾽adāmāh, die nach der Vertreibung aus dem Garten Eden unter dem Fluch stand. Gerade er aber muss diese ,Bodenhaftung‘ aufgeben und ein flüchtiges Leben im Land Nod, östlich von Eden, führen (Gen 4,16). Ausgelöst wurde der Konflikt durch die Gabe (minhāh), die die beiden ˙ Brüder Gott machten und die dieser akzeptierte bzw. nicht akzeptierte (Gen 4,3–5): 3 Nach geraumer Zeit brachte Kain von den Früchten des Ackerbodens (᾽adāmāh) JHWH eine Gabe, 4 und auch Abel brachte von den Erstgeborenen seines Kleinviehs, und zwar von ihrem Besten (= ihren besten Tieren). Da blickte JHWH auf Abel und seine Gabe,
Gen 3,7 (῾ārôm „nackt“, vgl. V. 10 f: ῾êrom „nackt“) greift kontrastiv auf Gen 2,25 zurück, wo das erste Menschenpaar ebenfalls als „nackt“ (῾arûmmîm, pl. von ῾ārôm) bezeichnet wird, sich aber nicht „schämt“ (bôš hitp.), s. dazu Grund, Scham, 115 ff. Ein besonders anrührender Zug der Erzählung folgt dann in V. 21: Gott machte Adam und Eva Fellkleider und „bedeckte sie damit“, d. h. er beschämte sie nicht noch zusätzlich durch lieblose ,Bloßstellung‘, s. zur Sache auch Hartenstein, Paradieserzählung, 277 ff und Bauks, Nacktheit, 17 ff. 56 Grund, aaO 121, vgl. dies., Art. Scham, 347 f und Dietrich, Scham, 72 ff. 57 Bird, Gen 3, 20. 58 Vgl. dies., aaO 18.20. 55
436 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament 5 aber auf Kain und seine Gabe blickte er nicht. Da erzürnte Kain sehr, und sein(e) Gesicht(szüge) sank(en). Einen Grund für das Verhalten Gottes nennt der Text nicht, stattdessen aber die Reaktion des Zurückgesetzten. Kain ärgert sich, dass er nicht die Aufmerksamkeit findet, die er erwartet hatte, und überlässt sich ganz seinem Zorn. Hätte er eine andere Möglichkeit gehabt? Ja, meint die Erzählung. Denn bevor Kain den Konflikt auf gewaltsame Weise löst, stellt ihn Gott vor eine Alternative, die sich wie eine Warnung vor einer Gefahr liest: 6 7
Da sagte JHWH zu Kain: „Warum entbrennt dir (der Zorn), und warum ist dein Angesicht gesenkt? Ist es nicht so: wenn du es gut sein lässt, (bedeutet es) Erheben (des Angesichts), und wenn du es nicht gut sein lässt, lagert er sich als (Öffnung >) Anlass zu einer Verfehlung (hattā᾽t), ˙ ˙˙ und doch ist sein Verlangen zu dir hin (gerichtet), und du bist es, der seiner walten mag?“ (Gen 4,6 f)
Wie ich an anderer Stelle dargelegt habe,59 ist es Abel, der für Kain der Anlass („Öffnung / Tür“ V. 7a) zur Verfehlung ist, die er dann nach V. 8 auch begeht: Da sagte / erwähnte Kain (es) Abel, seinem Bruder.60 Und als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain zu Abel, seinem Bruder, und tötete ihn. Hier wird knapp und ohne Emotionen erzählt: Ein Mensch verfehlt sich gegen einen Menschen, der sein Bruder ist, obwohl er die Möglichkeit hatte, den Konflikt anders zu lösen und damit seine Verantwortung wahrzunehmen (V. 7b).61 Stattdessen tötet er ihn und muss hinfort mit seiner Tat leben, die er aber nicht tragen kann: 10 Und er (sc. JHWH) sagte: „Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden (᾽adāmāh) her! 11 Und nun: Verflucht bist du fort vom Ackerboden (᾽adāmāh), der seinen Mund aufgetan hat, um das Blut deines Bruders von deiner Hand zu nehmen. 12 Wenn du den Ackerboden (᾽adāmāh) bearbeitest, wird er dir nicht mehr seine Kraft geben, unstet und flüchtig wirst du auf der Erde sein.“ S. dazu Janowski, Eden, 134 ff. Zu dieser berühmten Leerstelle s. ders., aaO 149 f. 61 Als Erstgeborener hatte Kain die Vormundschaft gegenüber Abel, der sich brüderlich zu ihm hingezogen fühlt (tešûqāh, vgl. Gen 3,16b; Hhld 7,11), d. h. er ist dem Jüngeren gegenüber bevollmächtigt. 59 60
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13 Da sagte Kain zu JHWH: „Zu groß ist meine Verkehrtheit (῾āwôn), um sie zu tragen. 14 Siehe, du vertreibst mich heute fort vom Ackerboden, und deinem Angesicht bin ich entzogen, und ich werde unstet und flüchtig sein auf der Erde, und jeder, der mich antrifft, wird mich töten.“ (Gen 4,10–14) Und Gott? Dieser nimmt dem Brudermörder seinen ῾āwôn („Verkehrtheit“) zwar nicht ab,62 aber er macht ihm ein Zeichen, das ihn vor Nachstellungen schützt.
So endet die dramatische Geschichte nicht mit einer Bestrafung durch Gott, sondern mit der Inkraftsetzung der durch Kain geschaffenen Unheilssituation. Der Abgrund der menschlichen Gewalt, der sich hier auftut, bereitet dann das Kommen der Flut vor. Davon berichtet die nichtpriesterliche Fluterzählung (Gen *6,5–8,22). β) Menschliche Bosheit, göttliche Gnade Den Auftakt der nun folgenden dramatischen Ereignisse bildet der Prolog der nichtpriesterlichen Fluterzählung in Gen 6,5–8, wonach JHWH es „reute“, den Menschen geschaffen zu haben. Diesen Menschen, der sein Wesen durch seine „Bosheit“ pervertiert hatte, beschloss JHWH, von der Erde auszutilgen, nahm aber Noah von seinem Vernichtungsbeschluss aus: Exposition 5 Und JHWH sah, dass die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens (leb) nur böse war alle Tage.
Reue und Schmerz 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu seinem Herzen (leb) hin.
Vernichtungsbeschluss 7
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Und JHWH sagte: „Ich will austilgen den Menschen, den ich geschaffen habe, von der Oberfläche des Ackerbodens (᾽adāmāh), vom Menschen bis zum Vieh, bis zum Kriechtier und zu den Vögeln der Himmels, denn es reut mich, dass ich sie (ihn) gemacht habe.“
Die Wendung nāśā᾽῾āwôn kann auch die Bedeutung „den ῾āwôn (eines anderen tragen >) vergeben“ haben, wenn der Schuldträger ein anderer ist als der Schuldige, s. dazu unten 485.
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Kontrapunkt 8 Noah aber fand Gnade in den Augen JHWHs. (Gen 6,5–8)63 Wie sind in V. 6 die „Reue“ und der „Schmerz“ JHWHs aufeinander bezogen: im Sinn eines Parallelismus („es reute JHWH …“ // „es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin“) oder im Sinn eines neuen Aspekts („es reute JHWH …“ → „es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin“), der nicht die „Reue“ JHWHs, sondern den Schmerz über die drohende Vernichtung der Menschheit in den Blick nimmt? Nach V. 6a bezieht sich JHWHs „Reue“ auf die Erschaffung des Menschen, die dadurch zurückgenommen wird. Was JHWH nach V. 6b dagegen „schmerzt“, ist nicht diese Reue – die er ansonsten ja „bereuen“ würde –, sondern die drohende Vernichtung der Menschheit, die in V. 7 dann beschlossen wird – aber unter Schmerzen, d. h. in einem „Zustand psychischer und emotionaler Not“64.
Das wird durch Gen 8,20 ff bestätigt. Denn hier heißt es, dass JHWH seinen Vernichtungsbeschluss durch einen Akt der Barmherzigkeit zurücknimmt und damit den Fortbestand der Erde zusichert – obwohl die Schuld des Menschen unverändert weiterbesteht. Das ist nichts weniger als eine „Zeitenwende“65 von der Vernichtung zur Bewahrung der Schöpfung: 20 Und Noah baute einen Altar für JHWH und er nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und er ließ ein Brandopfer aufsteigen auf dem Altar. 21 Da roch JHWH den beruhigenden Duft, und JHWH sagte zu seinem Herzen (leb): „Ich will nicht noch einmal den Ackerboden (᾽adāmāh) um des Menschen willen verfluchen, obwohl das Gebilde des Herzens des Menschen böse ist von Jugend auf, und ich will nicht noch einmal alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. 22 Während aller Tage der Erde (gilt): Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht sollen nicht aufhören.“ (Gen 8,20–22)
Während Gen 6,11 f (PG) die Ursache für die Flut in der „Gewalt“ unter den Geschöpfen sieht,66 liegt sie nach Gen 6,5–8 in der „Bosheit“ des menschlichen Herzens. Darauf reagiert JHWH mit einer besonderen Gemütsbewegung: „es reute ihn“ (nhm nif.),67 den Menschen geschaffen zu haben, und „es schmerzte ihn (῾sb ˙ ˙
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Zum menschlichen / göttlichen Herzen (leb) s. oben 154 ff. Die kursiv gesetzten Satzteile in V. 7 dürften redaktionell sein, s. dazu Janowski, Empathie, 178 Anm. 13. Die Sperrigkeit des Pluralsuffixes „sie“ (statt „ihn“) in V. 7b ist offenbar durch diese Zusätze veranlasst. Meyers, Art. ῾āsab, 299, vgl. Baumgart, Umkehr, 136 f und Ges18, 999 s. v. ῾sb hitp. ˙ 165, s. dazu auch Janowski, aaO 191 ff. ˙ Baumgart, aaO S. dazu oben 430. Zur Bedeutung von nhm nif. „sich etwas leid sein lassen“ s. Gertz, Beobachtungen, 55 ff und ˙ ders., Genesis 1–11 (ATD), 239 f.
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hitp.)68 zu seinem Herzen hin“. Eigentlich erwartet man eine andere Reaktion Gottes, etwa seinen menschheitsvernichtenden Zorn. Davon ist allerdings keine Rede!69 Die Rede ist vom „Schmerz“ Gottes, der an seiner Schöpfung und ihrer Vernichtung leidet: „Im Gegensatz zu den Göttern der altorientalischen Umwelt, schmerzt JHWH sein Vernichtungsbeschluss nicht erst post factum, sondern bereits vor der Katastrophe. Nicht aus Zorn, sondern in tiefer Anteilnahme ringt sich JHWH zur Vernichtung der Menschheit durch.“70
Nur Noah fand „Gnade“ (hen)71 in den Augen JHWHs. Und wieder stellt sich ˙ die Frage: Warum dieses plötzliche Wohlwollen, diese „sympathische Inkonsequenz“72 Gottes? Aber auch hier kommt dieses Wohlwollen nicht plötzlich, sondern ist in der Erzählfolge von Gen *2,4b–4,26 vorbereitet, insbesondere durch JHWHs Reaktion auf die Scham des ersten Menschenpaars (Gen 3,21) und durch seinen Schutz, den er dem Brudermörder Kain angedeihen lässt (Gen 4,11 f.15).73 Wenn Gen 6,5–8 die Opposition von menschlicher Bosheit und göttlicher Gnade am Beginn der nichtpriesterlichen Fluterzählung dramatisch verstärkt, dann offenbar in der Absicht zu zeigen, dass es ihr um eine substantielle Veränderung im Verhältnis des Schöpfers zu seinen Geschöpfen und damit um eine weitreichende Entscheidung in der Menschheitsgeschichte geht. Wie weitreichend diese ist, zeigt sich am Epilog der nichtpriesterlichen Fluterzählung in 8,21 f. Denn hier wird klar, dass die Flut nicht den Menschen, sondern den Schöpfergott verändert hat, weil dieser seine „Reue“, die gleichbedeutend ist mit der Preisgabe einer Heilssetzung (Erschaffung der Geschöpfe: Gen 6,6a), durch „Umkehr“ zu überwinden vermochte.74 Und noch etwas anderes ist zu beachten: Da Gen 6,5–8 unmittelbar vor dem Beginn der priesterlichen Fluterzählung (Gen 6,9 ff) positioniert ist, dürfte in dieser Abfolge eine Absicht der kanonischen Fluterzählung zu sehen sein.75 D. h. die priesterliche Darstellung, die ihre Klimax im Motiv vom „Gedenken“ Gottes an Noah und an alle Lebewesen in der Arche (Gen 8,1a) erreicht,76 geht der nichtpriesterlichen Darstellung voraus, die vom „Wohlwollen“ JHWHs gegenüber Noah (Gen 6,8) und der damit verbundenen Umkehr des Schöpfergottes han68
S. dazu noch Gen 3,16 (Mühen der Frau bei der Geburt).17 (Mühsal des Mannes bei der Feldarbeit); 5,29 sowie Meyers, aaO 300 f und Baumgart, aaO 137 f. 69 Anders Schüle, Prolog, 274 ff. 70 Berges, Zorn Gottes, 312, s. ferner Baumgart, aaO 135 ff und Janowski, aaO 178 ff. Zu den ägyptischen und mesopotamischen Kontrastparallelen zu Gen *6,5–8,22 s. Q 65; 110 und 112. 71 S. dazu Baumgart, aaO 137 f; Ebach, Noah, 48 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 242 ff. 72 Baumgart, Ende, 35. 73 S. dazu oben 436 f. 74 S. dazu ausführlich Baumgart, Umkehr, 163 ff. 75 Vgl. Gertz, Beobachtungen, 44 ff. 76 S. dazu Janowski, Erinnerung, 183 ff.
440 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
delt. Liest man beide Darstellungen hintereinander (s. Abb. 98), so ergibt sich ein dichtes Netz von Bezügen, die in der doppelten Opposition von menschlicher Bosheit / Gewalt und göttlicher/m Gnade / Gedenken kulminieren:
Prolog der nichtpriesterlichen Fluterzählung (Gen 6,5–8) 5 Und JHWH sah, dass die Bosheit des Menschen zahlreich war auf der Erde und jedes Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse war alle Tage. 6 Da reute es JHWH, dass er den Menschen auf der Erde gemacht hatte, und es schmerzte ihn zu seinem Herzen hin. (…)
Prolog der priesterlichen Fluterzählung (6,9–22) 9 Dies ist die Toledot Noahs. Noah war ein gerechter Mann, untadelig unter seinen Zeitgenossen, mit Gott wandelte Noah. 10 Und Noah zeugte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet. 11 Und die Erde war verdorben vor Gott, und die Erde füllte sich mit Gewalttat. 12 Und Gott sah die Erde und siehe: sie war verdorben, denn verdorben hatte alles Fleisch seinen Weg auf der Erde. (…) Abb. 98: Die doppelte Einleitung der Fluterzählung
Obwohl Gen 6,5–8 „eine Wahrnehmung Jahwes und eine darauf folgende Reaktion Jahwes schildern, die nach innen gerichtet ist, während Gen 6,9–22 auf eine Mitteilung Gottes nach außen hinausläuft“77, ist die theologische Intention in beiden Erzählzusammenhängen dieselbe: Der Schöpfergott lässt sich weder durch die menschliche Bosheit noch durch die menschliche Gewalt zu einer definitiven Preisgabe seiner Schöpfung verleiten. Nicht die Katastrophe hat das letzte Wort und ist das Ziel der Geschichte, sondern Gottes Zusage an Noah und in ihm an die Menschheit (Gen 8,20–22) bzw. Gottes Bund mit allen Lebewesen (Menschen und Tiere Gen 9,8–17).78 „Dies“, nämlich Gottes Bogen in den Wolken (Gen 9,12–15), „ist das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch, das auf der Erde ist“ (Gen 9,17) – so lautet der solenne Schluss der priesterlichen Fluterzählung.
77 78
Gertz, aaO 44. Zu Gen 8,20 ff und 9,8 ff s. oben 431.438 f.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 441
2. Schuld und Versöhnung – Priesterliche Anthropologie Und er mache es mit dem Stier, wie er es mit dem Stier des Entsündigungsopfers gemacht hat. So mache er es mit ihm. Und der Priester erwirke Versöhnung für sie, und es wird ihnen vergeben werden. Leviticus 4,20
Mit einem Text wie Lev 4,20 betritt man eine Vorstellungswelt, nämlich die Welt der Rituale, die so ganz anders ist als diejenige der Urgeschichte (Gen 1–11), der Erzelternerzählungen (Gen 12–26) oder der Josephsgeschichte (Gen 37–50). Denn hier geht es um das Tieropfer und um die Versöhnung, die seine rituell korrekte Darbringung erwirkt bzw. erwirken soll. Für das alte Israel gab es mehrere Wege, um aus Situationen der Schuldverstrickung und Unversöhntheit herauszufinden: „1. den Weg des Rechts mit der Wiedergutmachung des angerichteten Schadens, 2. den Weg des Kultus mit dem Opfer und anderen Reinigungsmitteln, wobei Blut und Wasser eine große Rolle spielen, 3. den Weg der Fürbitte, welche eine Vertiefung und Vergeistigung des Opfers ist, in der Gott durch einen Mittler selber den zerbrochenen Bund wiederherstellt. Alle drei Wege zeigen, wie die Sünde ernst genommen wird und nur durch Aufwand aller göttlichen und menschlichen Kräfte überwunden wird.“79
Diesen drei „Wegen der Versöhnung“ kann man weitere Wege hinzufügen, die alle von Schuld und gelungener Vergebung bzw. Versöhnung zeugen.80 Im Folgenden steht die priesterliche Sicht im Mittelpunkt, die für den Umgang des Alten Testaments mit Schuld und Versöhnung von zentraler Bedeutung ist. Da diese Sicht vom rituellen Denken geprägt ist, soll zunächst nach dessen Symbolik gefragt werden. a) Zum Symbolsystem der Priesterschrift Altes Testament: Cranz, Atonement, 18 ff ◆ Ego, Reinheit, 131 ff ◆ Erbele-Küster / Tönges, Art.
Reinheit / Unreinheit, 471 ff ◆ Feld, Levitikus, 40 ff ◆ Frevel, Unvollkommenheit, 239 ff ◆ Grohmann, Heiligkeit, 266 ff ◆ Janowski, Unterscheiden, 32 ff ◆ Ders. / Neumann-Gorsolke, Tiere, 214 ff ◆ Kessler, Identität, 414 ff ◆ Ders., Ethik, 224 ff ◆ Nihan, Purity, 311 ff ◆ Ruwe, „Heiligkeitsgesetz“ ◆ Schellenberg, Borders, 23 ff ◆ Dies., Spirit, 163 ff ◆ Schmitt, „Rein“, 121 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 408 ff ◆ Willi-Plein, Opfer, 39 ff.45 ff. – Antike Religionen: Burschel / Marx (Hg.), Reinheit ◆ Frevel / Nihan (ed.), Purity. – Philosophie, Soziologie, Religions- und Kulturwissenschaft: Douglas, Reinheit ◆ Lang, Art. Ritual / Ritus, 442 ff ◆ Langer, Philosophie, 53 ff ◆ Leach, Kultur, 45 ff.101 ff ◆ Soeffner, Art. Rituale, 402 ff.
79 80
Jacob, Art. Versöhnung, 2097. S. dazu Ebach, Versöhnung, 337 ff und Janowski, Schuld, 353 ff.
442 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Wie wir bei der Frage nach dem Sinn des kultischen Opfers81 gesehen haben, bewegt sich der Mensch, der Pflanzen und Tiere als Opfer darbringt, im Kontext regulierter und wiederholbarer Handlungsabläufe (Ritus, Ritual), die als performative Akte die Bewältigung kritischer Situationen ermöglichen und damit Orientierungen für das individuelle und soziale Leben geben.82 Allgemein lässt sich das Ritual charakterisieren als eine „Verknüpfung von symbolisierten Einzelhandlungen und Gesten in gleich bleibenden, vorstrukturierten, also intern geordneten Handlungsketten. Wo andere Symbole ihre Kraft und Wirkung aus der fixierten Gestalt beziehen, verlangen Rituale Tätigkeit: die Darbietung einer spezifischen ,Handlungsfigur‘. Sich in rituellen Konventionen ,richtig‘ zu bewegen, erfordert daher von jedem Einzelnen … die Kenntnis der Verknüpfung unterschiedlicher Einzelhandlungen und Handlungsketten nach gesellschaftlichen Spielregeln, nach ,Sprachspielen‘, in denen sie einander zugeordnet sind. Als vorstrukturierte Aktionsformen repräsentieren Rituale Ordnungen, die im symbolischen Handeln allerdings immer erst und immer wieder hergestellt werden müssen.“83
Dass Rituale Ordnungen repräsentieren, die im symbolischen Handeln immer wieder hergestellt werden müssen, lässt sich beispielhaft an den priesterlichen Bestimmungen zu Rein vs. Unrein und Heilig vs. Profan ablesen. Damit wollen die priesterlichen Verfasser die von kultischen und ethischen Zerklüftungen durchzogene Lebenswirklichkeit auf eine Welt hin bestimmen, die ganz von Gottes Heiligkeit geprägt ist.84 Um dies zu erreichen, greifen sie auf Vorstellungen zurück, die ihren Ursprung in der Auffassung der Welt als Schöpfung haben. α) Kosmologische Aspekte Es ist, wie G. Feld moniert, ein grobes Missverständnis, im Leviticusbuch ein „blutrünstiges Buch“ und in seinen Priestern Akteure zu sehen, die „sich wie Metzger aufführen, Häuser abreißen lassen und Kranke absondern“85. Übersehen wird dabei die schöpfungstheologische Dimension, wie sie im priesterlichen Schöpfungsbericht (Gen 1,1–2,3) grundgelegt und nach den priesterlichen Opferund Reinheitsbestimmungen (Lev 1 ff.11 ff) in religiöse Praxis übersetzt wird.86 Der priesterliche Schöpfungsbericht beginnt nach der Schilderung des Anfangs der Schöpfung (V. 1 f) mit der Darstellung der Schöpfungswerke und der grundlegenden Scheidung von Licht und Finsternis (V. 3–5): 81
S. dazu oben 311 ff. S. dazu Soeffner, Art. Rituale, 402 ff und den Überblick bei Lang, Art. Ritual / Ritus, 442 ff, ferner Hieke, Levitikus (HThK.AT), 79 f; Cranz, Atonement, 18 ff und Frevel, Unvollkommenheit, 222 ff. 83 Soeffner, aaO 403, s. dazu auch Langer, Philosophie, 53 ff. 84 Vgl. Hieke, aaO 72 f. 85 Feld, Levitikus, 40. 86 Müllner, Geschlecht, 85 spricht deshalb zu Recht von „eine(r) performative(n) Aktualisierung der Schöpfungsordnung“, vgl. Douglas, Leviticus, 66. 82
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 443
1 Als Gott anfing, den Himmel und die Erde zu schaffen, 2 während die Erde (noch) Tohuwabohu war, wobei Finsternis über der Oberfläche der Urflut (lag), und der Wind / Geist Gottes über der Oberfläche des Wassers in Bewegung war / flatterte, 3 da sagte Gott: „Es werde Licht!“, und es wurde Licht. 4 Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied (bdl hif.) zwischen dem Licht und der Finsternis. 5 Und Gott nannte das Licht Tag, die Finsternis aber nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag. (Gen 1,1–5)87
V. 2 hat den Zustand der Erde im Blick, wie dieser zum Zeitpunkt ihrer chaotischen Existenzform (als Tohuwabohu, Urflut / Wasser und Finsternis) bestand. Diese chaotische Vorwelt88 wird „durch die göttlichen Ordnungsakte der ersten Schöpfungstage in den Kosmos hinein verwandelt …“89, wobei der – ,jenseits des Chaos‘ liegende – Ausgangspunkt der elementare Akt des Sprechens Gottes ist, der das Licht als erstes Element der kosmischen Ordnung in das vorweltliche Chaos hineinträgt. An diesem kreativen Geschehen findet das Chaos seine Grenze.90 Während also Gen 1,1 + Gen 1,3–31 von der Erschaffung der geordneten Lebenswelt sprechen, nennt Gen 1,2 „vorgegebene Größen, ohne deren Vorgegebenheit zu problematisieren, an denen Gott erschaffend handelt“91. Er handelt an ihnen erschaffend, indem er sie in den Kosmos hinein verwandelt und ihnen damit ihre ausschließlich chaotische Potenz nimmt. Charakteristisch für das Schöpfungsverständnis von Gen 1,3–2,3 – und damit für den Aspekt „Ordnung“ des priesterlichen Symbolsystems – ist der göttliche Akt des Unterscheidens, wonach die Schöpfung als eine „Folge fortschreitender Grenzziehungen“92 stilisiert ist. Gott „schied“ (bdl hif.) zwischen dem Licht und der Finsternis (1,4), sodann zwischen den Wassern unterhalb und oberhalb der „Feste“ (1,6 f), und schließlich mittels der Leuchten an der Feste des Himmels zwischen dem Tag und der Nacht (1,14) bzw. zwischen dem Licht und der Finsternis (1,18): 4 Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis.
87 88 89 90 91 92
Zu diesem Text s. auch oben 389. Zu diesem Ausdruck s. Bauks, Welt. Weippert, Schöpfung, 22. S. dazu Schüle, Prolog, 134 ff und Janowski, Gottes Sturm, 155 ff. Groß, Art. Creatio, 486, vgl. Weippert, aaO 21 f u. a. Link, Mensch, 20.
444 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament 6 7
Und Gott sprach: „Es sei eine Feste inmitten der Wasser, und sie sei (andauernd) scheidend zwischen Wasser und Wasser.“ Und Gott machte die Feste, und sie schied zwischen dem Wasser, das unterhalb der Feste war, und dem Wasser, das oberhalb der Feste war. Und es geschah so.
14 Und Gott sprach: „Es seien Leuchten an der Feste des Himmels, um zu scheiden zwischen dem Tag und der Nacht, und sie seien zu Zeichen, und zwar für Festzeiten, für Tage und Jahre … 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, um zu leuchten über der Erde, 18 und um zu herrschen über den Tag und über die Nacht, und um zu scheiden zwischen dem Licht und der Finsternis …93
Erschaffen, so lässt sich dieser Sachverhalt verstehen, heißt in Gen 1 „Grenzen setzen und dadurch definierte Verhältnisse und Beziehungen stiften, die … der Grund dafür sind, daß sich das Leben durch Auswahl und Entscheidung von Möglichkeiten entwickelt“94. In dieses Gefüge voneinander abgegrenzter und aufeinander bezogener Lebensräume samt der ihnen zugeordneten Lebewesen wird der Mensch am 6. Tag gleichsam als Spitze einer ,umgekehrten Pyramide‘ (s. Abb. 97) eingebunden und damit „gebunden an alles, was vor ihm geschaffen ist: an Raum und Zeit, an Pflanzen und Tiere“95 – und doch herausgehoben durch seine Bestimmung zum „Bild Gottes“ und zur „Herrschaft“ über die Tiere.96 Mit der Metapher von der ,Herrschaft über die Tiere‘ wird der Mensch in ein Verhältnis zur Welt gesetzt wird, die er gestalten soll – und zwar innerhalb der Grenzen der Schöpfung. Diese Grenzen sind keine Barrieren oder Mauern, sondern Grundbestimmungen des Lebens, die gleichsam natural vorgegeben und vom Schöpfergott inauguriert sind. Zu dieser gegliederten und darum wohlgeordneten Welt (vgl. Gen 1,31a: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe: es war sehr gut“) kann sich der Mensch in ein Verhältnis setzen und sie als Welt ausdrücklich ergreifen. Dass er es kann, hängt mit den vom Schöpfergott geschaffenen Unterscheidungen zusammen, „ohne die wir der uns umgebenden Welt blind ausgeliefert wären, Unterscheidungen, die wir brauchen, um in eine Beziehung zu ihr zu treten“97. Dies alles gilt für die Welt des Anfangs und ihr von Gott geschaffenes Ordnungsgefüge. In der geschichtlichen Welt, deren Dramatik mit den Folgen der 93
Zu Gen 1,14 ff s. auch oben 389 f. Ders., ebd. (H. i. O.). Zur Trennung von Himmel und Erde im Koran s. Q 221. 95 Ders., aaO 20 f. 96 S. dazu oben 423 ff. 97 Link, aaO 22 (H. i. O.). 94
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 445
Gebotsübertretung von Gen 3 beginnt,98 werden dann diejenigen Kräfte in Gang gesetzt, die die Ereignisse und Strukturen der realen Lebenswelt hervorbringen. Jetzt kommt es zu Grenzziehungen, die, um handlungsfähig zu werden, das Erfordernis menschlicher Abgrenzungsbedürfnisse erfüllen müssen, seien diese nun religiöser, ökonomischer, politischer oder kultureller Art. Im Lauf der Geschichte vervielfältigen sich diese Grenzen und überlappen sich immer wieder,99 bis neue Binnenunterscheidungen neue Handlungsspielräume eröffnen. β) Rein und Unrein, Heilig und Profan Solche Binnenunterscheidungen werden besonders im Bereich des Kults nötig. Auch hier, literarisch gesprochen in Lev 11–15 und Lev 17–26 (H), begegnet der Begriff des Unterscheidens (bdl hif.),100 der für den priesterlichen Schöpfungsbericht grundlegend ist. Unterschieden wird jetzt aber nicht zwischen Licht und Finsternis, Wasser oberhalb / unterhalb der Feste oder Tag und Nacht (Gen 1,4.6 f.14.18), sondern zwischen Rein und Unrein bzw. Heilig und Profan (s. Abb. 99).101 Die anthropologische Wurzel dieser Unterscheidungen ist „das unerträglich Hässliche (Fäkalien, Verwesung, Ekelerregendes, Abstoßendes in Bezug auf Sehen und Riechen). Jede menschliche Gesellschaft muss Mittel und Wege finden, wie sie mit diesen unvermeidbaren Wirklichkeiten umgeht. Grenzen müssen das Reine und Anständige vom Unerträglichen und Unanständigen trennen. Diese Grenzziehung führt zu (kulturellen) Systemen der Unterscheidung von rein und unrein“.102
Erst, wenn durch das rituelle Handeln, wie es im Buch Leviticus beschrieben wird, „eine der ursprünglichen Schöpfungsordnung entsprechende Welt“103 geschaffen wird, kommt es zu einer die kultischen und ethischen Zerklüftungen (heilig / profan, rein / unrein) überwindenden und von Gottes Heiligkeit geprägten Gegenwelt zur Welt der Unreinheit und der Verfehlung.104 Die Entscheidung darüber, was heilig und profan bzw. rein und unrein ist, obliegt dem Priester (Lev 10,10 f), der den Laien diese Grundkategorien im Rahmen der Speisevorschriften zu erläutern hat:
98
S. dazu oben 432 ff. Vgl. etwa die Gewaltübergriffe unter den Geschöpfen (Mensch und Tier), von denen in Gen 6,9 ff die Rede ist und die erst im eschatologischen Tierfrieden von Jes 11,6 ff beendet sein werden, s. dazu oben 247 ff. 100 Lev 10,10; 11,47; 20,25, vgl. Ex 26,33; Ez 22,26; 42,20 und dazu Otzen, Art. bdl, 518 ff; Schmidt, Schöpfungsgeschichte, 167 ff; Steck, Schöpfungsbericht, 110 ff u. ö.; Gerstenberger, Leviticus (ATD), 114 f und Hieke, Levitikus (HThK.AT), 115 f. 101 S. dazu den Überblick bei Hieke, aaO 119 ff. 102 Schenker, Unreinheit, 16. 103 Jürgens, Heiligkeit, 426. 104 S. dazu auch Janowski / Zenger, Jenseits des Alltags, 48 ff und unten 448 ff. 99
446 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Göttlicher Bereich
Zwischenbereich
Gottwidriger Bereich
z. B. Tempel Sabbat Priester Kultbegehungen
z. B. Volk Israel Werktag Haus und Land Rechtes Handeln
z. B. Ausland Fluchtage Unbeschnittene/Leichen Frevelhandlungen
Reine Welt
Unreine Welt dringt vor, mindert Reinheit
Heilige Welt stärkt Reinheit drängt Unreinheit zurück Profane Welt
Abb. 99: Zur Polarität von Rein / Unrein und Heilig / Profan 10 Ihr sollt Heiliges und Profanes, Unreines und Reines unterscheiden (bdl hif.). 11 Ihr sollt die Israeliten alle diese Vorschriften lehren, die JHWH ihnen durch Mose übermittelt hat. (Lev 10,10 f) 43 Ihr sollt euch nicht mit dem vielen Getier besudeln. Ihr sollt euch weder an ihm verunreinigen noch durch es verunreinigen lassen. 44 Denn ich, JHWH, bin euer Gott. Darum heiligt euch und haltet euch heilig, denn ich bin heilig. Ihr sollt euch nicht an dem Kleingetier, das auf der Erde kriecht, verunreinigen. 45 Denn ich, JHWH, habe euch aus Ägypten herausgeführt, um euch Gott zu sein. Seid heilig, denn ich bin heilig. (Lev 11,43–45)
Der schöpfungstheologische Bezug von Lev 11,43 f geht aus der Schlussbestimmung Lev 11,46 f hervor und macht deutlich, dass der Akt der rituellen Unterscheidung „die Schöpfungstätigkeit Gottes, der das Chaos durch Unterscheidung in einen Kosmos verwandelt hat (Gen 1), fort(setzt), … also praktizierende imitatio Dei (ist)“105: 46 Das ist das Gesetz über das Vieh, die Flugtiere, die Wassertiere und das Kleingetier der Erde, 47 um zu unterscheiden (bdl hif.) zwischen dem Unreinen und dem Reinen und zwischen den essbaren und den nichtessbaren Tieren. (Lev 11,46 f)
Wie die moderne Ritualforschung gezeigt hat, liegen solchen Vorschriften Einstellungen zugrunde, die auf den ersten Blick absonderlich erscheinen, in Wahrheit aber ihre eigene Logik besitzen. „Unreinheit“, schreibt die britische Sozial-
105 Staubli,
Levitikus / Numeri (NSKAT), 94.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 447
anthropologin M. Douglas (1921–2007) im Blick auf die Vorschriften über die reinen und unreinen Tiere in Lev 11, „ist nie etwas Isoliertes. Sie kann nur dort auftreten, wo Vorstellungen systematisch geordnet sind. Daher ist jede fragmentarische Interpretation von Verunreinigungen in den Vorschriften einer anderen Kultur zum Scheitern verurteilt. Die Vorstellung einer Verunreinigung ergibt nur einen Sinn im Zusammenhang mit einer umfassenden Denkstruktur, deren Hauptstützen, Grenzen, Randbereiche und inneren Unterteilungen durch Trennungsrituale aufeinander bezogen sind“.106
Diese umfassende Denkstruktur kommt in der Opposition der Begriffe Heilig / Profan und Rein / Unrein zum Ausdruck, wie sie außer in Lev 10,10 f und 11,43–45 noch in der Schlussparänese Lev 20,25 f begegnet. Hier spielt auch der Leitbegriff bdl hif. eine zentrale Rolle: 25 So unterscheidet (bdl hif.) zwischen reinem und unreinem Vieh und zwischen unreinen und reinen Vögeln. Verunreinigt euch nicht an Vieh und Vögeln oder an irgendetwas, was auf der Erde kriecht. Ich habe es von euch als unrein abgesondert (bdl hif.). 26 Seid mir heilig, denn ich, JHWH, bin heilig. Ich habe euch abgesondert (bdl hif.) von den Völkern, damit ihr mir gehört. (Lev 20,25 f)
Die göttliche Aussonderung Israels aus den Völkern, die nach V. 26 als ein Wesenszug des JHWH‑Glaubens herausgestellt wird, soll „in der auf Trennung und Scheidung basierenden Observanz der zwischen reinen und unreinen Tieren differenzierenden Speisevorschriften eine Entsprechung finden. In der Beachtung dieser Bestimmungen realisiert Israel die Forderung, heilig zu sein, was zugleich als eine Akkomodation Israels an die Heiligkeit Gottes hingestellt wird (V. 26)“107.
Die Kategorien „rein“ und „unrein“ bedeuten so viel wie kultfähig und nicht kultfähig. Dieser Sachverhalt soll im Folgenden vertieft werden, indem wir von den Leviticus-Texten zur priesterlichen Sinaigeschichte in Ex *19,1–40,35108 zurückgehen.
106 Douglas, Reinheit, 60, s. zur Sache auch dies., Leviticus, 134 ff; Janowski / Neumann-Gorsolke,
Tiere, 214 ff; Ego, Reinheit, 131 ff; Nihan, Torah, 336 ff; Hieke, aaO 405 ff.433 ff und Schellenberg, Borders, 27 ff.31 ff. Zur rituellen Reinheit im Koran s. Q 219. 107 Ruwe, „Heiligkeitsgesetz“, 243, s. dazu auch Ego, Reinheit, 135 ff. Ähnlich grundsätzliche Unterscheidungen finden sich im Heiligtumsentwurf Ez 40–48, s. dazu Albertz, Heiligkeit, 122 ff. Die kultischen Reinheitsvorstellungen sind dann in zwei Richtungen weiter entwickelt worden: zum einen im Blick auf die Verehrung fremder Götter und zum anderen im Blick auf die Ethisierung des JHWH‑Glaubens in der Weisheit, s. dazu unten 520 ff. 108 S. dazu den Überblick bei Zenger u. a., Einleitung, 183 ff.203 f (Zenger / Frevel) und Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 12 ff.
448 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
b) Der heilige Gott und sein unreines Volk Altes Testament: Cranz, Atonement, 107 ff ◆ Ederer, Begegnung ◆ Fischer / Backhaus, Sühne,
50 ff ◆ Frevel, Unvollkommenheit, 239 ff ◆ Gese, Sühne, 85 ff ◆ Hieke, Kult, 141 ff ◆ Hossfeld, Versöhnung, 54 ff ◆ Janowski, Sühne ◆ Ders., Art. Sühne, 552 ff ◆ Ders., Versöhnung, 117 ff ◆ Ders., „Sinai“, 11 ff ◆ Jeremias, Theologie, 323 ff ◆ Jürgens, Heiligkeit ◆ Koch, Wohnstatt, 202 ff ◆ Seidl, Levitikus 16, 219 ff ◆ Schellenberg, Spirit, 163 ff ◆ Dies., „Geruch“, 135 ff ◆ Schenker, Art. Sühne, 335 ff ◆ Schüle, Schuld, 309 ff ◆ Utzschneider, Raum, 19 ff ◆ Willi-Plein, Opfer, 96 ff ◆ Dies., Sühne, 271 ff.
In vielen Kommentaren und Bibellexika finden sich Abbildungen, die die sog. „Stiftshütte“ von Ex *25–40 detailgenau wiedergeben und in eine karge Wüstenlandschaft versetzen.109 Ob es dieses Bauwerk jemals gegeben hat oder ob es fiktional ist – entscheidend ist der Sachverhalt, dass der Textkomplex Ex *25–40 ein Heiligtum beschreibt, das zwar „keinen historisch fassbaren örtlichen oder zeitlichen Bezug“110 hat, das aber dennoch kein realitätsfernes Konstrukt ist.111 Vielmehr rekurriert die Priesterschrift auf traditionelle Elemente wie die Lade, die Keruben oder den Altar, denen sie im Rahmen ihrer Heiligtumskonzeption eine neue Bedeutung beilegt.112 Im Übrigen muss die Frage des Realitätsbezugs von Ex *25–40 vom Kontext der Sinaiperikope her angegangen werden und hat darüber hinaus auch das Symbolsystem der Heiligtumskonzeption in die Betrachtung einzubeziehen, wie es in Ex *24,15b–40,35 beschrieben wird. α) Der Ort der Gottesbegegnung „Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten, an diesem Tag, kamen sie in die Wüste Sinai. Und sie lagerten in der Wüste“ (Ex 19,*1 f) – mit dieser sog. Itinerarnotiz beginnt die priesterliche Sinaigeschichte Ex *19,1–40,35 (vgl. Abb. 100), in der sich viermal die theologisch gewichtige Wendung šākan „sich niederlassen, wohnen“ + Subj. JHWH/„Herrlichkeit JHWHs“/„Wolke“ findet (Ex 24,16; 25,8; 29,45 f; 40,35).113 Im Zentrum stehen dabei, gerahmt von den beiden Berichten über das Erscheinen der „Herrlichkeit JHWHs“ auf dem Sinai (Ex 24,15b–18a) und seiner Gegenwart auf dem Zeltheiligtum (Ex 40,17.34 f), die Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex *25,1–31,18) sowie der Ausführungsbericht des Heiligtumsbaus (Ex *35,1–40,35):
dazu Assmann, Exodus, 343 ff und Utzschneider, Raum, 19 f.23 ff. aaO 23. 111 S. dazu Jacob, Pentateuch, 342 ff, ders., Exodus, 756 ff.855 ff; Hieke, Levitikus (HThK.AT), 145 f und Janowski, „Sinai“, 32 ff. 112 S. dazu die Hinweise bei Janowski, aaO 11 Anm. 6. Zur priesterlichen Ladekonzeption s. oben 415 ff. 113 S. dazu Janowski, Tempel, 224 ff; ders., Versöhnung, 134 ff, ferner Dohmen, Exodus II (HThK. AT), 273 f.399 ff; Weimar, Sinai, 269 ff und Nihan, Torah, 31 ff. 109 S.
110 Utzschneider,
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 449
Erscheinen der Herrlichkeit JHWHs auf dem Sinai 24,15b Und die Wolke bedeckte den Berg, 16 und die Herrlichkeit JHWHs ließ sich auf dem Berg Sinai nieder (šākan), und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage lang. Und er (JHWH) rief Mose am siebten Tag mitten aus der Wolke. 17 Und die Erscheinung der Herrlichkeit JHWHs war wie ein verzehrendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Augen der Israeliten. 18a Und Mose ging mitten in die Wolke hinein, und er stieg auf den Berg hinauf. Bau des Heiligtums
Anweisungen + Ankündigung (Gottesrede) 25,8 9
Sie sollen mir ein Heiligtum machen, und ich werde in ihrer Mitte wohnen (šākan). Entsprechend allem, was ich dir zeige, das Modell der Wohnstätte und das Modell all ihrer Geräte, so sollt ihr (es) machen.
29,43 Dort werde ich den Israeliten begegnen, und er wird geheiligt werden114 durch meine Herrlichkeit. 44 Ich werde das Zelt der Begegnung und den Altar heiligen, und Aaron und seine Söhne werde ich heiligen, um mir Priester zu sein. 45 Und ich werde inmitten der Israeliten wohnen (šākan) und ich werde ihnen Gott sein, 46 damit sie erkennen, dass ich JHWH, ihr Gott bin, der sie aus dem Land Ägypten herausgeführt hat, um in ihrer Mitte zu wohnen (šākan). Ich bin JHWH, ihr Gott.
Ausführung + Billigung + Segnung (Bericht) 39,32 So wurde die ganze Arbeit an der Wohnstätte des Zeltes der Begegnung vollendet. Die Israeliten hatten (sie) gemacht, entsprechend allem, was JHWH dem Mose geboten hatte, so hatten sie (es) gemacht. 43 Und Mose sah die ganze Arbeit, und siehe, sie hatten sie gemacht, wie JHWH geboten hatte, so hatten sie (sie) gemacht. Und Mose segnete sie. Gegenwart der Herrlichkeit JHWHs auf dem Zeltheiligtum 40,34 35
Und die Wolke bedeckte das Zelt der Begegnung, und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte. Und Mose konnte nicht in das Zelt der Begegnung hineingehen, denn die Wolke hatte sich auf ihm niedergelassen (šākan), und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte. Abb. 100: Zur Komposition von Ex *24,15b–40,35
114 D. h.:
der Brandopferaltar, s. dazu Janowski, „Sinai“, 13 Anm. 10.
450 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Innerhalb des Mittelstücks der priesterlichen Sinaigeschichte (Ex *25,1–39,43) bildet die JHWH‑Rede Ex 29,43–46 den sachlichen Höhepunkt und kann deshalb als Mitte der priesterlichen Sinaierzählung bezeichnet werden.115 Denn dieses Zeltheiligtum, dessen „Modell“ (tabnît)116 Mose auf dem Sinai gezeigt wird (Ex 24,15b–18a) und dessen Herstellungsanweisungen Ex 26,1–27,21 detailliert entfalten, ist der irdische Ort, an dem JHWH inmitten seines Volkes „wohnen“ (Ex 25,8) oder – wie Ex 29,43–46 formuliert – an dessen Eingang er den Israeliten „begegnen“ will (j῾d nif. V. 43). Dabei führt in Ex 29,43–46 die thematische Linie vom j῾d nif. „begegnen, sich offenbaren“ (V. 43) über das qdš pi. „heiligen“ (V. 44) zu den šākan-Aussagen in V. 45a und V. 46aγ, denen mit ihren formelhaften Wendungen (Bundes-, Erkenntnis-, Selbstvorstellungs-, Herausführungsformel) eine rahmende Funktion zukommt. Schlägt man von dieser Sinnmitte der priesterlichen Sinaigeschichte einen Bogen zu der abschließenden Darstellung in Ex 40,34 f, so wird deutlich, dass mit dieser ‚Besitzergreifung‘ des Heiligtums durch die „Herrlichkeit JHWHs“ das auf dem Sinai begonnene Geschehen der Gottesbegegnung (Ex 24,15b–18a) zu seinem (vorläufigen) Abschluss kommt: 40,34 Und die Wolke bedeckte das Zelt der Begegnung, und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte. 35 Und Mose konnte nicht in das Zelt der Begegnung hineingehen, denn die Wolke hatte sich auf ihm niedergelassen, und die Herrlichkeit JHWHs erfüllte die Wohnstätte.
vgl. 24,15b
vgl. 24,16aα
Wie die Komposition von Ex *24,15b–40,35 zeigt, konstruiert die priesterliche Sinaigeschichte einen heiligen Raum, in dem sich die Gottespräsenz als „Einwohnung“ (šākan „sich niederlassen, wohnen“) ereignet. Die mit dieser Gottespräsenz verbundene Symbolik ist komplex und hat, wie die folgende Übersicht (Abb. 101) zu den Motiventsprechungen zwischen Gen *1,1–2,3 und Ex *24,15b– 40,35 zeigt, eine schöpfungstheologische Dimension.117 Dass es Entsprechungen zwischen Sinai und Schöpfung gibt, ist seit längerem gesehen worden.118 Dazu gehört zum einen die Korrespondenz zwischen der Vollendung der Schöpfung und der Errichtung des Heiligtums, wie sie durch die Verben „sehen“ (Ex 39,43a // Gen 1,31a), „vollenden“ (Ex 39,32a // Gen 2,1; Ex 40,33b // Gen 2,2a), „segnen“ (Ex 39,43b // Gen 2,3aα) und „heiligen“ (Ex 40,9b // Gen 2,3aβ) angezeigt wird. Gegenüber Gen 1 f ist die Reihenfolge in Ex 39 f allerdings verändert: dazu Janowski, Sühne, 317 ff, ferner Dohmen, aaO 273 f; Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 226 ff und Ederer, Begegnung, 249 ff. 116 S. dazu unten 452 f. 117 S. dazu Janowski, Sühne, 306 ff und ders., „Sinai“, 16 ff. 118 S. dazu Jacob, Pentateuch, 157 f.245; Weimar, aaO 297 ff; Janowski, Tempel, 223 f; Bührer, Anfang, 126 f; Albertz, Exodus 19–40 (ZBK.AT), 371 ff u. a. 115 S.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 451
Sinai Ex 24,15b–18a „Begegnung“ zwischen JHWH und Mose (V. 16.18a), 6 Tage/7. Tag (V. 16) „verzehrendes Feuer“ auf dem Sinai (V. 17) Schöpfung Heiligtum Gen *1,1–2,3 Ex *25,1–40,38
6 Tage/7. Tag Gen 1,*3–31/2,2 f Entsprechungsformel Gen 1,7 ff Vollendung der Schöpfung Gen 1 f „Leuchten“ Gen 1,14 ff
vgl. Ex 24,15b–18a Entsprechungsformel Ex 40,*19 ff Vollendung der Wohnstätte Ex 39 f Menora als „Leuchte“ Ex 27,20 f (Ps)
Abb. 101: Motiventsprechungen zwischen Gen 1 und Ex *25–40 1,31a Und Gott sah alles, was er 39,43a Und Mose sah die ganze Arbeit, gemacht hatte, und siehe, es und siehe, sie hatten sie gemacht, war sehr gut wie JHWH geboten hatte, so hatten sie (sie) gemacht (2,1RP Vollendet wurden der Him- 39,32a Und er (Mose) vollendete die gan mel und die Erde und all ihr ze Arbeit der Wohnstätte des Dienst) Begegnungszeltes 2,2a Und Gott vollendete am 40,33b Und Mose vollendete die Arbeit siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte 2,3aα Und Gott segnete den 39,43b Und Mose segnete sie siebten Tag (sc. die Israeliten). 2,3aβ und heiligte ihn 40,9b du sollst sie (sc. die Wohnstätte) heiligen und alle ihre Geräte, dass sie heilig seien Abb. 102: Formulierungsentsprechungen zwischen Gen 1 und Ex *25–40
Zum anderen wird die Korrespondenz zwischen Sinai und Schöpfung am Motiv Sechs Tage/7. Tag deutlich, das die Offenbarung JHWHs am Sinai (Ex 24,15b–18a: 6 Tage/7. Tag) in Analogie zum Schöpfungshandeln Gottes am Anfang (Gen 1,3– 31: 6 Schöpfungstage / Gen 2,2 f: Ruhen Gottes am 7. Tag) bringt: 2 Und Gott vollendete am siebten Tag seine Arbeit, die er getan hatte, und er hörte am siebten Tag auf mit all seiner Arbeit, die er getan hatte. 3 Und Gott segnete den siebten Tag und er heiligte ihn: denn an ihm hörte er auf mit all seiner Arbeit, die Gott geschaffen hatte, indem er (sie) tat. (Gen 2,2 f) 15b Und die Wolke bedeckte den Berg, 16 und die Herrlichkeit JHWHs ließ sich auf dem Berg Sinai nieder, und die Wolke bedeckte ihn sechs Tage lang. Und er (JHWH) rief Mose am siebten Tag mitten aus der Wolke. (Ex 24,15b–16)
452 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Neben dem schöpfungstheologischen Motiv Sechs Tage/7. Tag (Ex 24,16) ist in Ex 24,15b–18a ein zweiter Aspekt zu beachten, der für das Symbolsystem der priesterlichen Heiligtumskonzeption konstitutiv ist. Mose, so heißt es in V. 16b, wird am siebten Tag von JHWH mitten aus der Wolke gerufen und, so setzt V. 18a fort, „er ging mitten in die Wolke hinein, und er stieg auf den Berg hinauf “. Dieser Szene kommt aufgrund ihrer Erzählstruktur eine programmatische Bedeutung zu. Denn die beiden aufeinander zugehenden Bewegungen – das „Sich Niederlassen“ (šākan) der Herrlichkeit JHWHs auf den Sinai und das „Hineingehen“ Moses in die Wolke – führen zu einer Begegnung zwischen Gott und Mensch, die den für die priesterliche Heiligtumskonzeption bezeichnenden Terminus „Zelt des Sich-Treffens / der Begegnung“ (᾽ohæl mô῾ed) der Sache nach (!) vorweg nimmt. „Das einmalige Ereignis vom Sinai“, so hat es C. Westermann ausgedrückt, „wird zum schlechthin Stetigen im Tempelgottesdienst, der heiliges Geschehen allein durch den, Ex 24,15 dargestellten Vorgang wird: Gott läßt sich auf den heiligen Ort herab, um zu seinem Volk zu reden; auf den Ruf Gottes hin (der jetzt im Gottesdienst institutionalisiert wird) geht der Priester als Mittler des heiligen Geschehens in das Heiligtum hinein“119.
Nachdem Mose „am siebten Tag“ in die Wolke, die sich sechs Tage lang auf dem Sinai niedergelassen hatte (Ex 24,15b–18a), hineingegangen war, ergeht die JHWH‑Rede mit den Anweisungen zum Bau des Heiligtums und aller seiner Geräte an ihn (Ex *25,1–31,18). Gleich im göttlichen Spendenaufruf von Ex 25,1– 9120 begegnet dabei nicht nur der theologische Leitbegriff vom „Wohnen“ (šākan) JHWHs inmitten der Israeliten, sondern auch der für die priesterliche Heiligtumskonzeption aufschlussreiche Terminus tabnît „Modell, Bauplan“: 8 Sie sollen mir ein Heiligtum machen, und ich werde in ihrer Mitte wohnen (šākan). 9 Entsprechend allem, was ich dir zeige, das Modell (tabnît) der Wohnstätte (miškān) und das Modell (tabnît) all ihrer Geräte, so sollt ihr (es) machen. (Ex 25,8 f) Der zweite tabnît-Beleg findet sich am Schluss der Anweisungen zur Herstellung des siebenarmigen Leuchters in Ex 25,31–40 (mit Rückverweis auf Ex 25,8 f): Und sieh zu und mach (es) nach ihrem Bauplan (tabnît), der dir auf dem Berg gezeigt wurde. (Ex 25,40) Von der Wortbildung her ist tabnît eine Nominalbildung des Verbs bānāh „bauen“, die „die Beziehung eines künstlich geschaffenen Gebildes zu einer ihm entsprechenden gestalthaften Wirklichkeit als formale Entsprechung und Ähnlichkeit akzentuiert“121. Die Herrlichkeit Gottes, 120, vgl. Janowski, Sühne, 306. dazu Albertz, aaO 153 ff. 121 Schroer, Bilder, 336. 119 Westermann, 120 S.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 453
allgemeine Bedeutung „Gebilde, Gestalt“122 kommt dem am nächsten. Für das Verständnis von Ex 25,8 f, wo mit der Wendung „entsprechend allem, was ich dir zeige“ (V. 9) auf die Urszene von Ex 24,15b–18a zurückverwiesen wird, ist nicht nur die Bedeutung von tabnît „Modell, Bauplan“ ausschlaggebend, sondern auch der Sachverhalt, dass das Heiligtum von den Israeliten gemacht werden soll, und zwar aus den freiwilligen Gaben „von jedem, den sein Herz dazu treibt“ (Ex 25,2).123 Diese Adressierung an die Israeliten als Tempelerbauer ist ein Proprium der priesterlichen Heiligtumskonzeption, die sich damit nicht nur von 1 Kön 5,15–32 und 6,1 ff, sondern auch von altorientalischen Tempelbauberichten (s. Q 101) unterscheidet.
Kultsymbolische Bedeutung kommt auch den übrigen Geräten und Sakralgegenständen des priesterlichen Heiligtums zu. Dazu zählen neben der Lade, der kapporæt („Sühnmal, Sühneort“), dem Schaubrottisch und dem siebenarmigen Leuchter (Ex 25,10–40) die Zeltdecken und Bretter der Wohnung, die Vorhänge, der Räucheraltar (Ex 26–27) sowie die Kleider für den Hohenpriester und die gewöhnlichen Priester (Ex 28).124 Von besonderem Interesse ist dabei der hohepriesterliche Ornat mit seinen drei Bestandteilen Ephod, Brusttasche und Kopfbund mit Diadem (s. Abb. 103):125
Abb. 103: Die Kleidung des Hohenpriesters gibt es bei den 20 alttestamentlichen tabnît-Belegen allerdings Bedeutungsnuancen, die mit dem jeweiligen Kontext zusammenhängen, s. dazu Janowski, aaO 311 mit Anm. 210; Schroer, aaO 336 f und Dohmen, Exodus II (HThK.AT), 247 f. 123 S. dazu Albertz, aaO 153 ff. 124 S. dazu Utzschneider, Raum, 24 ff. Zur Lade und zur kapporæt s. oben 415 ff. 125 S. dazu Keel, Brusttasche, 379 ff; ders., Geschichte Jerusalems, 929 ff; Bender, Sprache, 228 ff; Staubli, Kleider, 64 ff; Schellenberg, „Geruch“, 147 f.154 f; Utzschneider, aaO 28 ff; Nihan, pectoral, 23 ff und Ederer, Begegnung, 76 ff. 122 Konkret
454 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament – Der aus farbigem Mischgewebe hergestellte Ephod (᾽epôd Ex 28,6) ist eine Art Lendenschurz, an dessen beiden Trägern in Schulterhöhe zwei Karneolsteine mit den eingravierten Namen der 12 Stämme Israels angebracht sind. Diese Edelsteine werden „Steine der Erinnerung an die Israeliten“ genannt und vom Hohenpriester „vor JHWH zum Gedenken“ getragen (Ex 28,9–12). Durch diese Bezeichnung soll JHWH daran erinnert werden, dass es die Israeliten waren, die das Heiligtum erbaut haben. – Die Brusttasche (hošæn) ist ebenfalls aus Mischgewebe gefertigt und auf ihrer Vor˙ derseite mit 12 Edelsteinen besetzt, in die jeweils der Name eines der 12 Stämme Israels eingraviert ist (Ex 28,15–21). Die Brusttasche soll Aaron „auf dem Herzen tragen, wenn er in das Heiligtum hineingeht, zur ständigen Erinnerung vor JHWH“ (Ex 28,29). In der Brusttasche befinden sich (die ehemaligen Orakelinstrumente) Urim und Tummim. Sie sollen, so heißt es in Ex 28,30, „auf dem Herzen Aarons sein, wenn er vor JHWH tritt. So soll Aaron das Recht (mišpāt) für die Israeliten ˙ „Brusttasche des vor JHWH ständig auf seinem Herzen tragen“ (vgl. V. 15). Mit der Rechts“ (Ex 28,15.29 f) repräsentierte der Hohepriester „das gerechte, im Gesetz niedergelegte, der göttlichen Weltordnung gemäße Verhalten der Israeliten“126. – Schließlich trägt der Hohepriester einen Kopfbund, an dem sich ein goldenes Diadem, die sog. „Blüte“ (sîs), befindet (Ex 28,36–38). Auf der Blüte stehen die Worte: ˙˙ „Heilig für JHWH“.
So ist der hohepriesterliche Ornat ebenso wie die Ausstattung des Heiligtums und seiner Geräte integraler Bestandteil des priesterlichen Symbolsystems. Durch seine Farbgebung, die der Farbgebung des Heiligtums entspricht, erscheint sein Träger, der kultische Repräsentant Israels, „als Teil der göttlichen Sphäre“127. Wenn er das Heiligtum betritt, ereignet sich „eine Begegnung zwischen Gott und dem Volk (Ex 25,22), in der die Verpflichtung des Volkes auf die göttliche Weltordnung, aber auch der Anspruch des Volkes als Stifter des Heiligtums vergegenwärtigt werden“128. β) „… um Versöhnung zu erwirken“ Was, so ist abschließend zu fragen, geschieht in diesem Heiligtum, dessen Errichtung und Ausstattung in Ex *25–40 so detailgenau beschrieben wird? Eine erste Antwort enthält der Text, mit dem die Opferbestimmungen des Leviticusbuchs einsetzen. Verortet wird der dort angeordnete Opferritus am Begegnungszelt (V. 1) bzw. an dessen Eingang (V. 3.5, s. den Lageplan Abb. 94):129
aaO 30, vgl. Ederer, aaO 93 ff. aaO 29. Zu den Aufgaben der Priester (Dienst am Altar, Unterscheiden und Belehren) und ihrer Ausübung s. Hieke, Levitikus (HThK.AT), 112 ff und Schellenberg, aaO 152 ff. 128 Utzschneider, aaO 30. 129 Zum Folgenden s. Hieke, aaO 148 ff (mit der Übersicht 178), ferner Eberhart, Studien, 22 ff. 126 Utzschneider, 127 Utzschneider,
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 455
Anrufung des Mose 1 Und er rief Mose zu, und JHWH sagte zu ihm vom Zelt der Begegnung her:
Einleitung (Opferherr/-material/-art u. a.) 2 Sprich zu den Israeliten und sage ihnen: Wenn ein Mensch (᾽ādām) von euch für JHWH eine Darbringung vom Vieh darbringen möchte, sollt ihr vom Rind und vom Kleinvieh eure Darbringung darbringen. 3 Wenn nun seine Darbringung ein Brandopfer vom Rind (ist), bringe er ein männliches fehlerloses (Tier) dar;130 zum Eingang des Zeltes der Begegnung hin bringe er es dar – ihm zum Wohlgefallen vor JHWH.
Handaufstemmung und Opfereffekt (Akt 1) 4 Und er stemme seine Hand auf den Kopf des Brandopfers, und es wird ihm als wohlgefällig angenommen werden, um für ihn Versöhnung zu erwirken.
Schächtung und Blutritus (Akt 2 und 3) 5 Und er schlachte das Stück Rindvieh vor JHWH, und die Söhne Aarons, die Priester, sollen das Blut darbringen. Sie sollen das Blut ringsum an den Altar aussprengen, der am Eingang des Zeltes der Begegnung (steht).
Abziehen der Haut und Zerteilen des Opfertiers (Akt 4 und 5) 6 Und er ziehe dem Brandopfer die Haut ab und zerteile es in seine Stücke.
Nebenhandlung (Feuer und Holz auf dem Altar) 7 Und die Söhne Aarons, die Priester, sollen Feuer auf den Altar geben und Holz auf dem Altar anordnen.
Anordnen der Opferstücke (Akt 6) 8 Und die Söhne Aarons, die Priester, sollen Stücke, (dazu) den Kopf und das Nierenfett auf dem Holz, das auf dem Feuer (ist), das auf dem Altar (ist), anordnen.
Verbrennen (Akt 7, Nebenhandlung Waschen) 9 Und seine Innerei und seine Beine wasche er mit Wasser, und der Priester lasse das Ganze auf dem Altar in Rauch aufgehen –
Deklaratorische Schlussformeln
ein Brandopfer (ist es), ein Feueropfer zum Duft der Beruhigung für JHWH. (Lev 1,1–9)
Dieser Text ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen steht er am Übergang vom Heiligtumsentwurf in Ex *25–40 zu den Opferbestimmungen in Lev 1–7 und ist somit in den Gesamtzusammenhang der priesterlichen Sinaigeschichte (Ex *19,1 ff) eingebettet („Zelt der Begegnung“: Lev 1,1 ← Ex 40,34 f).131 130 Zu
den geschlechtlichen Spezifika der Opfertiere in Lev 1 ff s. Müllner, Geschlecht, 73 ff. Hieke, aaO 152.156 und zu Ex 40,34 f oben 450.
131 Vgl.
456 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Zum anderen stellt er mit dem Begriff „Mensch“ (᾽ādām V. 2) einen expliziten Bezug zum priesterlichen Schöpfungsbericht in Gen 1,1–2,3 her.132 Und schließlich enthält er konstitutive Elemente des priesterlichen Opferrituals wie die Handaufstemmung, den Opfereffekt, die Schlachtung, den Blutritus, das Zerteilen der Opferstücke und den Verbrennungsritus. Der Opfereffekt wird in V. 4 angegeben und mit dem ersten Akt des Rituals, der Handaufstemmung, verbunden: Und er stemme seine Hand (sāmak jād) auf den Kopf des Brandopfers, und es wird ihm als wohlgefällig angenommen werden (rsh nif.), ˙ um für ihn Versöhnung zu erwirken (kpr pi.).
Wie immer man die Handaufstemmung versteht – als Identifikation des Opferherrn mit dem Opfertier, als Anzeige, dass das Opfertier aus dem Besitz des Opferherrn stammt, oder als persönliche Zueignung des Opfereffekts133 –, sie stellt als Berührungsgestus einen engen Zusammenhang zwischen Mensch und Tier her.134 Dieser Zusammenhang wird durch den folgenden Satz „und es wird ihm als wohlgefällig angenommen werden, um für ihn Versöhnung zu erwirken“ als Wiederherstellung der Gott/Mensch-Beziehung qualifiziert. Denn beim „Wohlgefallen“ handelt es sich um das Wohlgefallen JHWHs, das damit die „Versöhnung erwirkt“ (kpr pi.).135 Um zu konkretisieren, wer der Empfänger des göttlichen Wohlgefallens und der Versöhnung ist, „muss“, wie Th. Hieke erläutert, „per Handaufstemmung der Zusammenhang zwischen Mensch und Tier, zwischen Opfermaterie und der menschlichen Person, um deren Gottesbeziehung es geht, hergestellt werden“136. Es gibt im Alten Testament verschiedene Sühneriten/-handlungen (wie die Tötung der jungen Kuh Dtn 21,1–9 oder die Reinigungszeremonie Jes 6,6 f), aber auch vielfältige Termini, die das Wortfeld aufgliedern, vgl. die Synonyme / Antonyme in Jes 27,9; Jer 18,23; Neh 3,37.137 Im außerkultischen Belegbereich lassen sich vier Themenkreise erkennen, die den Bedeutungsumfang der Wurzel KPR geprägt haben: die zwischenmenschliche Versöhnung (Gen 32,21; 2 Sam 21,3 u. ö.), das Sühnehandeln JHWHs (Dtn 21,8a; 1 Sam 3,14; Jes 6,7 u. ö.) bzw. eines Interzessors (Ex 32,30; Num 17,11 f; 25,13) und die Auslösung des verwirkten dazu Feld, Levitikus, 44 f und Hieke, aaO 72.161. den verschiedenen Interpretationen s. Janowski, Sühne, 199 ff.430 f (mit Korrektur der Identifikationshypothese) und Hieke, aaO 166 ff (Zusammenhang zwischen Mensch und Tier). Aufgrund seiner Deutung der Handaufstemmung als Gestus der „Besitzanzeige“ (allerdings ohne nähere Begründung) und des Blutritus als Akt der „Reinigung oder Weihe“, lehnt Eberhart, Sühne, 45.55 das Konzept der Stellvertretung für das Verständnis des Sündopfers kategorisch ab; überzeugend ist das nicht, s. dazu auch unten 481. Zum Blutritus des Sündopfers s. demgegenüber Schenker, Unreinheit, 10 ff (keine Reinigung, sondern „Hinbringen des versöhnenden Zeichens des Blutes vor Jhwh“), s. dazu auch unten Anm. 143. 134 Vgl. Janowski, aaO 431; Schellenberg, „Geruch“, 151 und Hieke, aaO 168. 135 Zum Verständnis von kpr pi. „sühnen, Versöhnung erwirken“ s. Janowski, Sühne, 95 ff; Hieke, aaO 131 ff und Cranz, Atonement, 119 ff. 136 Hieke, aaO 169. 137 Zum Folgenden s. ausführlich Janowski, aaO 103 ff, vgl. ders., Art. Sühne, 552 ff. 132 S.
133 Zu
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 457
Lebens durch ein „Lösegeld“ (kopær in Ex 21,30; Num 35,31 f u. ö.). Vorstellung und Begriff waren ursprünglich wohl im Bereich des (Sakral-)Rechts (Dtn 21,8b; 2 Sam 21,3; Ex 21,30) und rechtlich-sozialer Verhaltensformen (Gen 32,21) beheimatet. Hier hat auch der Begriff kopær seine Bedeutung als „Lösegeld, Lebensäquivalent“ erhalten. Konstitutiv für den nichtkultischen Sühnebegriff ist der Kontext menschlicher Schulderfahrung: In einer Situation, in der das individuelle / kollektive Leben verwirkt ist, kann der Sünde/UnheilZusammenhang nur durch ein bestimmtes Sühnehandeln unterbrochen und auf diese Weise Versöhnung erwirkt werden. Seit der mittleren Königszeit (Ex 32,30; Dtn 21,8a; Jes 6,7; 22,14) und dem Exil (Jer 18,23; Ps 78,38; 79,9 u. ö.) ist kpr pi. als Terminus der theologischen Sprache belegt. In (nach-)exilischer Zeit (Ez 40–48; Opfer- und Reinheitsbestimmungen in Lev 1 ff; 11 ff) werden Sühneriten schließlich zur Mitte des Kults. Das zeigt sich u. a. daran, dass fast alle Opfer (v. a. Sünd-, Schuld-, Brandopfer) und zahlreiche Riten (z. B. Priesterweihe Lev 8,34 par.; kathartischer Vogelritus Lev 14,53) sühnende Qualität erlangen. Hierin wirkt die Katastrophe von 587 v. Chr. und das durch sie geschärfte Sünden- und Verantwortlichkeitsbewusstsein Israels nach.
In Neubesinnung auf den Geschichtsweg Israels coram Deo gelang es der priesterlichen Sühnetheologie sich neu der Nähe JHWHs zu vergewissern und dieser Gewissheit in ihrem religiösen Symbolsystem (Unterscheidung von Rein / Unrein und Heilig / Profan, Zusammenhang von ritueller Versöhnung und göttlicher Vergebung u. a.) auch Ausdruck zu verleihen. So wird im Kontext der Sünd- und Schuldopferriten von Lev 4 f, die gegenüber Lev 1–3 Fortschreibungen darstellen dürften,138 der Aspekt der priesterlichen Versöhnung, wie er in Lev 1,4 hervortritt, durch denjenigen der göttlichen Vergebung ergänzt (Lev 4,20.26.31.35; 5,10.13.16.18.26 u. ö.). Dabei wird eine formelhafte Wendung gebraucht, bei der das aktive kpr pi. „Versöhnung erwirken“ mit dem Priester als Subjekt stets mit dem passiven slh nif. „vergeben werden“ zu einer Art Hendiadyoin verbunden ˙ und auf diese Weise die kultische Versöhnung als ein Wechselgeschehen zwischen dem die Sühnehandlung vollziehenden Priester und dem die Vergebung gewährenden Gott qualifiziert wird. Am Ende der Sündopferbestimmung für die ganze Gemeinde Israels in Lev 4,13–21 heißt es dementsprechend: Und er (sc. der Priester) mache es mit d(ies)em Stier, wie er es mit dem Stier des Entsündigungsopfers gemacht hat. So mache er es mit ihm. Und der Priester erwirke Versöhnung (kpr pi.) für sie, und es wird ihnen vergeben werden (slh nif.). (Lev 4,20) ˙
Wie das sog. passivum divinum „es wird ihnen vergeben werden“ (slh nif. V. 20) ˙ zeigt, ist Sühne / Versöhnung kein vom Menschen ausgehender Akt der Selbsterlösung, sondern die von Gott her ermöglichte, im kultischen Geschehen Wirk-
dazu Nihan, Torah, 614 f, vgl. Hieke, aaO 68 f und ausführlich Schenker, Versöhnung, 164 ff.
138 S.
458 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
lichkeit werdende und hier dem Menschen / Israel zugute kommende Aufhebung des Sünde/Unheil-Zusammenhangs.139 Und noch etwas ist zu beachten: Die Sünd- und Schuldopferriten in Lev 4 f beschreiben Opfer, die notwendig werden, wenn eine unabsichtliche, d. h. ohne Vorsatz (bišgāgāh) begangene Übertretung der göttlichen Gebote vorliegt. Vorsätzliche, d. h. „mit erhobener Hand“ (bejād rāmāh) begangene Übertretungen werden dagegen mit Sanktionen belegt.140 Die Anlässe, der Stand des Opfernden (Gesalbter Priester, Gemeinde Israels, Fürst, Einzelner) und die Art des Opfertiers (Stier, Ziege, Schaf u. a.), die ein Entsündigungsopfer erfordern, werden in Lev 4,1–5,13 dargelegt. Auf die Redeeinleitung in 4,1–2a folgt dabei in 4,2b mit der Formulierung „Wenn jemand unabsichtlich sündigt …“ ein Obersatz über die gesamten Bestimmungen in 4,3–35.141 So heißt es in der Anordnung für die ganze Gemeinde Israels: Präsentation des Opfertiers, Handaufstemmung, Schächtung (13) Wenn nun die ganze Gemeinde Israels sich unabsichtlich falsch verhält, und die Sache bleibt verborgen vor den Augen der Versammlung, und sie tun eines von alledem, was nach den Geboten JHWHs nicht getan werden soll, und sie werden sich ihrer Schuld bewusst und (14) und es wird die Sünde, die sie begangen haben, bekannt, dann bringe die Versammlung einen Stier für das Entsündigungsopfer dar, und sie sollen ihn vor das Zelt der Begegnung bringen. (15) Und die Ältesten der Gemeinde sollen ihre Hände auf den Kopf des Stieres stemmen vor JHWH, und man schlachte den Stier vor JHWH.
Blutritus, Entsorgung des Bluts (16) Und der gesalbte Priester bringe (etwas) von dem Blut des Stieres zum Zelt der Begegnung. (17) Und der Priester tauche seinen Finger in das Blut und sprenge (davon) sieben Mal vor JHWH an die Vorderseite des Vorhangs.142 (18) Und von dem Blut gebe er (etwas) an die Hörner des Altars, der vor JHWH (steht), im Zelt der Begegnung. Das ganze (übrige) Blut aber schütte er an den Fuß des Brandopferaltars, der am Eingang des Zeltes der Begegnung (steht).143
Verbrennen des Fetts (19) Und sein ganzes Fett hebe er von ihm ab und lasse (es) auf dem Altar in Rauch aufgehen.
139 S. dazu Janowski, Sühne, 249 ff.358 f; Eberhart, Studien, 171 f; Schüle, Schuld, 312 ff und Hieke,
aaO 139 f. dazu Hieke, aaO 89 f.243 ff u. ö., ferner Eberhart, aaO 115 ff. 141 Lev 5,1–13 ist dagegen anders aufgebaut, s. dazu ders., aaO 240 f. 142 Gemeint ist der Vorhang im Inneren des Begegnungszeltes vor dem Allerheiligsten, s. den Lageplan Abb. 94. 143 Wie in Lev 4,5 ff handelt es sich in Lev 4,16 ff um den sog. „großen Blutritus“. Entstehungsgeschichtlich dürfte der sog. „kleine Blutritus“ in Lev 4,22 f.27 ff ursprünglich sein, s. dazu Janowski, aaO 227 ff; Hieke, aaO 262 f und Schenker, Unreinheit, 10 ff. 140 S.
§ 10 Menschenbilder im Ersten Kanonteil 459
kippær / nislah-Formel, Entsorgung des Kadavers, Klassifikationsformel ˙
(20) Und er (sc. der Priester) mache es mit d(ies)em Stier, wie er es mit dem Stier des Entsündigungsopfers gemacht hat. So mache er es mit ihm. Und der Priester erwirke Versöhnung (kpr pi.) für sie (sc. die ganze Gemeinde Israels), und es wird ihnen vergeben werden (slh nif.). (21) Und man bringe den Stier nach draußen vor das Lager und ˙ verbrenne ihn, wie man den ersten Stier verbrannt hat. Ein Entsündigungsopfer der Versammlung (ist) das. (Lev 4,13–21)
Wenn man Lev 16 als Endpunkt des mit Gen 1,1–2,3 beginnenden priesterlichen Erzählfadens versteht144 und innerhalb von Lev 1–16 die Opfer- und Reinheitsbestimmungen Lev 1–3; 8 f und 11–16 zum integralen Bestandteil von PG rechnet, dann stellt das Ritual des Großen Versöhnungstages den Höhepunkt der priesterlichen Kulttheologie dar. Einmal im Jahr kommt es somit zu dem Versöhnungsgeschehen, das in Lev 16 so eindrücklich geschildert wird.145 Bewältigung von Schuld, Reintegration in die Gemeinschaft, Vergebung durch Gott – diese drei Aspekte sind der Schlüssel für das Verständnis der priesterlichen Kulttheologie.
Nihan, Torah, 379 und Hieke, aaO 68 f. dazu oben 412 ff.
144 Vgl. 145 S.
Nachtrag zu § 10 (S. 423 ff ) In Kapitel VI des vorliegenden Buchs (s. oben 421 ff ) kommen sechs ausgewählte Anthropologien des Alten Testaments zur Darstellung: die Anthropologie der Urgeschichte, die Priesterliche Anthropologie, die Anthropologie des Königtums, die Prophetische Anthropologie, die Anthropologie der Psalmen und die Weisheitliche Anthropologie. Weitere Anthropologien des Alten Testaments wie die Anthropologie der Erzelternerzählungen (U. Neumann-Gorsolke), des Deuteronomiums (M. Geiger), des Hohenlieds (A. Schellenberg), der Rechtsüberlieferungen (E. Otto), der Septuaginta (M. Rösel), der Qumran-Texte (H. Lichtenberger) sowie der deuterokanonischen und pseudepigraphischen Texte (B. Ego) werden in Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch dargestellt. Dazu kommen die Beiträge von F. Hartenstein, Bildanthropologie des Alten Testaments und von Chr. Schwöbel, Impulse der alttestamentlichen Anthropologie für die christliche Theologie. 1. Schöpfer und Geschöpf – Anthropologie der Urgeschichte (423 ff ) Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei U. Neumann-Gorsolke, Anthropologie der Urgeschichte, in: Dietrich u.a, Handbuch (HAA) (im Druck). a) Bild Gottes und Schrecken der Tiere (423 ff ) Zur Gottebenbildlichkeit des Menschen s. Schmid, Theologie, 376 f; ders., Mensch, 5 ff; Schellenberg, „Bild“, 41 ff; Janowski, Schöpfungsglaube, 61 ff; Gies, Anthropologie, 41 ff und zur Problematik in der Septuaginta Volp, „Gebote“, 403 ff. Nach Schmid, Mensch, 5 ff „demokratisiert“ Gen 1 die traditionelle Königsideologie und legt damit die Grundlagen für jede Demokratie. Natürlich: „Die Bibel ist weder ein demokratisches noch demokratietheoretisches Dokument“ (18). Aber, so Schmid weiter: „Sie formuliert … mit ihrer Idee der ‚Gottebenbildlichkeit‘ aller Menschen in Genesis 1 – statt nur des Königs – eine frühe konzeptionelle Voraussetzung des Egalitarismus, der die anthropologische Grundlage jeder Demokratie darstellt. Sie demokratisiert die traditionelle Königsideologie und macht jeden Menschen zu einem königlichen Menschen, der zu verantwortlicher Herrschaft fähig ist“ (ebd.). Da der Begriff der Demokratisierung aufgrund seiner institutionsgeschichtlichen Implikationen in diesem Zusammenhang
Nachtrag zu § 10 461
m. E. missverständlich ist, plädiere ich für den Begriff der Anthropologisierung der Königsvorstellung, d. h.: der/jeder Mensch ist als ‚lebendige Statue Gottes‘ der Repräsentant des Schöpfergottes, dem die Herrschaft über die nichtmenschliche Kreaturwelt übertragen ist. b) Der fehlbare Mensch (416 ff ) Zum ambivalenten Menschenbild der nichtpriesterlichen Urgeschichte s. Janowski, Schöpfungsglaube, 87 ff, ferner Gies, Anthropologie, 48 ff.69 ff 2. Schuld und Versöhnung – Priesterliche Anthropologie (441 ff ) Zusammenfassende Darstellungen der priesterlichen Anthropologie finden sich bei Janowski, Schuld, 361 ff und Th. Hieke, Priesterliche Anthropologie, in: Dietrich u.a, Handbuch (HAA) (im Druck). a) Zum Symbolsystem der Priesterschrift β) Rein und Unrein, Heilig und Profan (445 ff ) Rein und Unrein sind wie Heilig und Profan die Grundkoordinaten des priesterlichen Symbolsystems, s. dazu Hieke, Heiligkeit, 349 ff. b) Der heilige Gott und sein unreines Volk (448 ff ) Zum Gottesdienst und zum Kultpersonal s. Mathys, Gottesdienst, 263 ff. Zur Sühnetheologie der Priesterschrift s. Willi-Plein, Opfer, 276 ff. α) Der Ort der Gottesbegegnung (448 ff ) Zur Kleidung des Hohenpriesters und der gewöhnlichen Priester s. MacDonald, Priestly Vestments, 435 ff.
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 1. Herrschaft und Heil – Anthropologie des Königtums Gott, gib deine Rechtsentscheide dem König und deine Gerechtigkeit dem Königssohn! Er richte dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht. Psalm 72,1 f
In der Erzählliteratur (Jos – 2 Kön) und in den Prophetenbüchern (Jes – Mal) des Zweiten Kanonteils finden sich zahlreiche anthropologische Entwürfe, in deren Zentrum der König und / oder der Prophet stehen. Es gehört zur Eigenart dieser Entwürfe, dass sie zahlreiche Verbindungen zu ähnlichen Konzepten im Psalter und im Hiobbuch (Dritter Kanonteil) aufweisen. Das verbindende Element ist die Figur des Königs, der – wie das Beispiel von Ps 72 zeigt –, der Inbegriff von Herrschaft und Heil ist. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Königskritik von Ri 9,8–15 und anderen königskritischen Texten.1 Im Blick auf die Gesamtentwicklung gibt es nur ein Kriterium, das als Maßstab für ein gerechtes Königtum fungiert: es muss rechtsförmig sein (vgl. 1 Sam 8,20).2 Dieses Kriterium steht im Folgenden im Vordergrund. a) Judäische Königsideologie Altes Testament: Arneth, „Sonne“ ◆ Becker, Psalm 72, 123 ff ◆ Hartenstein / Krispenz, Art. König, 272 ff ◆ Janowski, Frucht, 157 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 224 ff ◆ Kessler, Ethik, 319 ff ◆ Levin, Königsritual, 231 ff ◆ Loretz, Götter, 395 ff ◆ Metzger, Thron, 95 ff ◆ Müller, Königtum ◆ Ders., Herrschaftslegitimation, 189 ff ◆ Niemann, Herrschaft ◆ Oswald, Königtum, 197 ff ◆ Otto, Krieg, 117 ff ◆ Pietsch, Art. König / Königtum ◆ Salo, Königsideologie ◆ Schmitt, Herrschaftsrepräsentation ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder, 321 ff ◆ Weippert / Janowski, Art. Königtum, 513 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 272 ff. – Antike Religionen: Assmann, Ma᾽at,
1
S. dazu Müller, Königtum. Kessler, Ethik, 319. In 1 Sam 8,20 werden die beiden wichtigsten Handlungsrollen des Königs formuliert: „Auch wir wollen sein wie alle Völker: unser König soll uns Recht verschaffen (šāpat) und er soll vor uns ausziehen (jāsā᾽) und unsere Kriege führen (lhm nif.)“, s. ˙ die Wirt˙ ˙ Zur Bedeutung des Königs für dazu Müller, Herrschaftslegitimation, 207 ff.212 ff. schaft und das Rechtswesen s. auch oben 258.268 f.
2 Vgl.
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 463
200 ff ◆ Ders., Herrschaft ◆ Gundlach, Pharao ◆ Levin / Müller (Hg.), Herrschaftslegitimation ◆ Maul, König, 65 ff ◆ Sallaberger, Sakralität, 86 ff.
Die Einführung des Königtums markiert einen tiefen Einschnitt in der Religionsund Sozialgeschichte des frühen Israel. Die Befugnisse des mit dem Titel „König“ (mælæk) ausgestatteten Amtsträgers erstreckten sich auf den Beamtenapparat, die Verwaltung, die Gerichts- und Kultorganisation, die Wirtschaft, die Bautätigkeit und das Militärwesen.3 Sie führten Schritt für Schritt zur Zentralisierung der Herrschaft, entfalteten im Nord- und im Südreich unterschiedliche Dynamiken und wurden durch prägnante Formen der Herrschaftslegitimation abgestützt. α) Aspekte der Herrschaftslegitimation Eingriffe in tribale Gesellschaftsstrukturen, wie sie das frühe Königtum mit sich brachte, bedurften der Legitimation.4 Auch im alten Israel war diese, wie die Ikonographie der Eisenzeit II B (900–700 v. Chr.) belegt, religiöser Natur. So zeigt ein Beamtensiegel aus dem 8. Jh. v. Chr. (Abb. 104) auf der Vorderseite „einen vornehm gekleideten Beamten mit Szepter, den die Beischrift als sûbnym (ohne Patronym!) identifiziert. Auf der Rückseite wird die Inschrift sûbnym ᾽bd ᾽zyw (wiederum ohne Vatername, dafür mit Nennung des Titels und des königlichen Patrons [sc. Usija / Asarja]) oben von einer Sonnenscheibe mit gebogenen Flügeln umrahmt“5.
Die Botschaft dieser Art Bildträger ist deutlich: es soll die Anbindung des Königs und seiner Beamten an den (hier solar konnotierten) Dynastiegott im Rahmen des religiösen Symbolsystems gewährleistet und im Sinn des Wortes ‚sichtbar‘ gemacht werden.
Abb. 104: Judäische Herrschaftssymbolik des 8. Jh.s v. Chr.
S. dazu Niemann, Herrschaft; Weippert / Janowski, Art. Königtum, 513 ff (Weippert); Frevel, Geschichte Israels, 93 ff und Oswald, Königtum, 197 ff. 4 S. dazu ausführlich Müller, aaO 189 ff. 5 Keel / Uehlinger, Göttinnen, 300, s. dazu auch Weippert / Janowski, aaO 518 f (Janowski) und Schmitt, Herrschaftsrepräsentation, 100 ff. 3
464 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Während nach der Theorie der Myth and Ritual School die judäische Königsideologie ein direkter Ausfluss eines vorderorientalischen „divine kingship pattern“ war,6 sind die Dinge heute nüchterner zu beurteilen und vor allem historisch zu differenzieren. Ausdruck der religiös geprägten Königsidee ist etwa in Ägypten die Vorstellung vom König als „Bild“ oder „Sohn“ Gottes, der auf Erden die göttliche Herrschaft nach außen machtvoll durchsetzt (Abwehr der ‚chaotischen Feinde‘, ‚Erweiterung der Grenzen‘ Ägyptens) und nach innen durch sein kultisches und soziales Handeln (Darbringung von Opfern, Verwirklichung von Ma᾽at) festigt (s. Q 57; 59 und 60). Er ist der Mittler par exellence, der als ‚Sonnengott auf Erden‘7 wie Amun-Re „von der Ma᾽at lebt“. So sagt die Königin Hatschepsut (18. Dyn.) von sich: Ich habe die Ma᾽at groß gemacht, die er (sc. der Sonnengott) liebt, denn ich habe erkannt, dass er von ihr lebt. (Auch) meine Speise ist sie, ich schlucke ihren Tau, indem ich eines Leibes mit ihm bin.8
Analoges lässt sich für Mesopotamien feststellen, wo etwa der assyrische Herrscher als „Hüter der Weltordnung“ fungiert, indem er – wie der Sonnengott Šamaš, der als „Lichtbringer“ und „Herr des Oben und des Unten“ den Kosmos recht leitet – „Recht“ (kittu) und „Gerechtigkeit“ (mīšaru) im politisch-sozialen Raum durchsetzt.9 Dieser Zusammenhang wird besonders deutlich in einer Inschrift des neuassyrischen Königs Asarhaddon (681–669 v. Chr.), wenn er zum Beweis für seine Legitimität und Rechtschaffenheit proklamiert: [Sîn und Ša]maš, die Zwillingsgötter, hielten, u[m] einen Rechtsentscheid nach Recht und Gerechtigkeit d[em Land] und den Leuten zu schenken, Monat für Monat die Bahn von Recht und Gerechtigkeit ein.10 Auf der Basis der altorientalischen und ägyptischen Königsideologie(n) wurde ausweislich der sog. Königspsalmen (Ps 2; 18; 20; 21; 45; 72; 89; 101; 110; 132; 144) und der Erzählüberlieferung (2 Sam 7; *1 Sam 16–2 Sam 5; *2 Sam 9–1 Kön 2) auch die religiöse Legitimität des judäischen Königtums formuliert. Zwar wurde dieses nicht wie im Alten Orient mythisch begründet,11 doch folgt bereits das judäische Königsritual in wichtigen Elementen wie Salbung (2 Sam 2,4; 5,3; 1 Kön 1,39, älteste theologische Deutung in 1 Sam 16,1–13), Adoption (Ps 2,7), Titulatur (2 Sam 23,1; Jes 9,5), Königsprotokoll (Ps 2,7–9, vgl. 1 Kön 11,12), Einsetzung zur „Rechten“ Gottes (Ps 110,1) und Übergabe der Königsinsignien (Ps 21,4.6) Albertz, Religionsgeschichte, 175. Die Grundlagen dieses Königskonzepts wurden bereits in der ägyptischen Frühzeit gelegt, s. dazu Gundlach, Pharao, 11 f.40 f. 8 Sog. Speos Artemidos-Inschrift, zitiert nach Assmann, Ma᾽at, 211. 9 S. dazu Janowski, Frucht, 177 ff und als Textbeispiel den Epilog des Kodex Hammurapi (Q 105). 10 S. den Textnachweis bei ders., aaO 180 Anm. 126, ferner Arneth, „Sonne“, 112. 11 Für Mesopotamien s. etwa die Sumerische Königsliste (Q 86) und für Ägypten den Mythos von der Geburt des Gottkönigs (Q 56). 6 Vgl. 7
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 465
ägyptischen und kanaanäischen Vorbildern. In der mittleren und späten Königszeit kamen assyrisch-babylonische Einflüsse hinzu.12 Der judäische König ist nicht „Bild Gottes“ – wie der ersterschaffene Mensch (Gen 1,26 f)13 –, sondern Gottes „Erwählter“ (Ps 89,4.20, vgl. Ps 45,5), Gottes „Sohn“ (2 Sam 7,14; Ps 2,7) oder Gottes „Erstgeborener“ (Ps 89,28), den JHWH selber „geboren“ hat (Ps 2,7; 110,3, vgl. Ez 28,13); er kann sogar als „Gott“ bzw. „Göttlicher“ tituliert werden (Ps 45,7). Die Nathanverheißung schließlich fügt der Gott/König-Beziehung die Zusage des „ewigen“ Bestandes der Daviddynastie hinzu (2 Sam 7,13.16; Ps 89,4 f.20 ff, vgl. Ps 132,11 ff).
Der Einschnitt, den die judäische Königsideologie für den JHWH‑Glauben bedeutete, ist kaum zu überschätzen. Nach ihrem Verständnis „vermittelte der König Israel nicht nur Jahwes geschichtlich-politisches Handeln in der Völkerwelt, sondern auch Jahwes gottesdienstliche Nähe, d. h. alle wesentlichen Aspekte der Gottesbeziehung der Großgruppe, der kreatürliche, der politische und der kultische, sollten nach dieser Anschauung über den König laufen und in seiner Person ihre Einheit finden“14.
Diese Bündelung zentraler religiöser Aspekte in der Person des Königs hatte auch problematische Züge, wie etwa Ps 2 verdeutlichen kann.15 Denn nach diesem Königspsalm, der das Gott/König-Verhältnis mit Hilfe der Gottessohnvorstellung expliziert (V. 7), ist die politische Rolle des Königs kriegerisch ausgestaltet. Dem Kontext zufolge geht es um den Kampf gegen den Aufruhr in der Völkerwelt, der den Anbruch der Königsherrschaft JHWHs gefährdet und nur durch die chaosabwehrende Königsmacht niederzuhalten ist. In V. 7–9 spricht der König als legitimierter Sohn JHWHs: 7 8 9
„Ich will erzählen von der Setzung JHWHs: Er sagte zu mir: ‚Mein Sohn bist du, ich habe dich heute geboren! Erbitte von mir, dann will ich (dir) Völker als dein Erbland geben und als deinen Grundbesitz die Enden der Erde. Du kannst sie zerschmettern mit eisernem Stab, wie Töpferware kannst du sie zerschlagen!‘“16
Angestoßen durch die Königstheologie der Grundschicht von Ps 72 und durch andere, vor allem prophetische Überlieferungen wurde Juda nach der Katastrophe von 587 v. Chr. dann bewusst, dass gewalttätige Ausübung von Macht kein
S. dazu Levin, Königsritual, 231 ff. S. dazu oben 423 ff. Umgekehrt trägt der Mensch nach Gen 1,26 ff und Ps 8,6 ff die Züge eines „königlichen Menschen“, s. dazu unten 476 ff. 14 Albertz, Religionsgeschichte, 184. 15 Zu Ps 2 s. Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 55 ff (Hartenstein). 16 Zu diesem Text s. dies., aaO 98 ff (Hartenstein). 12
13
466 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Mittel zur Durchsetzung der Königsherrschaft JHWHs ist. Daraus wuchs in hellenistischer Zeit die Hoffnung auf ein Königtum ohne äußere Machtmittel (vgl. Sach 9,9 f u. a.).17 β) Der König als soziale Instanz Nur wenige Texte umgeben das judäische Königtum mit einer solchen Aura des Heils wie Ps 72.18 Der König, der hier auftritt, gleicht dem strahlenden, alles belebenden Licht und dem Regen, der das Land benetzt und erblühen lässt. Das Motiv der Frucht der Gerechtigkeit ist der Leitgedanke, der die spätvorexilische Grundschicht von Ps 72 (V.*1aβ–17)19 bestimmt und der auch die spätnachexilischen Fortschreibungen (V. 8–11.15.17aγ.b, kursiv) sowie die Schlussdoxologie (V. 18 f) und den Kolophon (V. 20, beide kursiv) motiviert hat: 1 Für Salomo.
Bitte um Übergabe des Gottesrechts an den König Gott, deine Rechtsentscheide gib dem König und deine Gerechtigkeit dem Königssohn!
König als soziale Instanz 2 3 4
Er richte dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht. Es sollen die Berge Heil tragen für das Volk und die Hügel durch Gerechtigkeit. Er richte die Elenden des Volkes, er rette die Söhne des Armen und zerschlage den Unterdrücker.
König als Mittler des Heils 5 6 7
〈Er möge lange leben〉 mit / vor der Sonne20 und vor dem Mond von Geschlecht zu Geschlecht. Er komme herab wie der Regen auf die Mahd, wie Regenschauer, 〈die〉 das Land 〈benetzen〉. Es sprosse in seinen Tagen der Gerechte und Fülle des Heils sei, bis kein Mond mehr ist.
S. dazu Gese, Messias, 135 f; Jeremias, Theologie, 424 ff u. a. Zu Ps 72 s. außer den Kommentaren noch Arneth, „Sonne“; Janowski, Frucht, 164 ff; Loretz, Götter, 395 ff; Becker, Psalm 72, 123 ff und Salo, Königsideologie, 205 ff. 19 Anders Becker, aaO 126 ff.134 ff, der die „armentheologischen“ Verse V. 2.4.12–14 für späte Zusätze hält. Seine Argumente überzeugen allerdings nicht, weil sie mit Vorannahmen begründet werden („ähnlich formulierte Passagen etwa im Amos-Buch“ [135]), die der kritischen Nachfrage nicht standhalten. Ähnlich wie Becker argumentiert auch Salo, aaO 223 ff (die allerdings V. 4aα.b zur Grundschicht zählt!). Zum Thema „Armentheologie“ in Ps 72 s. demgegenüber die abwägenden Überlegungen von Bremer, Gott, 373 ff.429 ff. 20 Zur Übersetzung s. Janowski, aaO 166 mit Anm. 50–51, anders Salo, aaO 208 f. 17 18
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 467
Universale Königsherrschaft 8 Und er herrsche von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden der Erde. 9 Vor ihm sollen sich beugen 〈die Steppenbewohner〉, und seine Feinde sollen Staub lecken. 10 Die Könige von Tarschisch und die Küstenregionen sollen Gaben bringen, die Könige von Scheba und Seba sollen Tribut entrichten. 11 Und es sollen ihm huldigen alle Könige, alle Nationen sollen ihm dienen.
König als soziale Instanz 12 Ja, er rette den Armen, der (um Hilfe) schreit, und den Elenden und den, der keinen Helfer hat. 13 Er erbarme sich des Geringen und Armen und rette das Leben der Armen. 14 Aus Bedrängnis und Gewalt erlöse er ihr Leben, und kostbar sei ihr Blut in seinen Augen.
König als Mittler des Heils 15 Und er lebe, und man gebe ihm Gold aus Scheba. Und man bete ständig für ihn, jeden Tag segne man ihn.21 16 Es sei Fülle an Korn im Land, auf dem Gipfel der Berge woge es. Wie der Libanon blühe seine Frucht und seine Halme wie das Kraut des Landes. 17 Es bleibe sein Name alle Zeit, vor der Sonne sprosse sein Name. Und es sollen sich in ihm segnen, alle Nationen ihn glücklich preisen.
Schlussdoxologie 18 Gesegnet sei JHWH, Gott, der Gott Israels, der allein Wunder tut! 19 Gesegnet sei der Name seiner Herrlichkeit in Ewigkeit, mit seiner Herrlichkeit fülle sich die ganze Erde, Amen, Amen.
Kolophon 20 Zu Ende sind die Gebete Davids, des Sohnes Isais. Ps 72,1aβ–17 ist ein an JHWH gerichtetes Bittgebet für den König / Königssohn, das sich in die Abschnitte V. 2–4.5–7(.8–11).12–14(.15).16–17aαβ(.αγ.b) gliedert und eine planvolle Komposition darstellt. Seine Programmatik ergibt sich daraus, dass sich die Abschnitte V. 2–4 + V. 5–7 auf der einen und V. 12–14 + V. 16–17aαβ auf der anderen Seite in ihrer Motivik entsprechen und die Herrschaft des Königs, dem die göttliche Gerechtigkeit 21
Zur Frage nach dem Subjekt der Verformen s. Janowski, aaO 167 Anm. 57.
468 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament übergeben wird (V. 1aβ.b), nach zwei Seiten hin entfalten: Der König ist soziale Instanz, indem er die Elenden und Armen, d. h. die personae miserae „richtet“ // „rettet“ (V. 2–4 // V. 12–14), und er ist Mittler des Heils, dessen Herrschaft sich segensreich in der Natur auswirkt (V. 5–7 // V. 16–17aαβ). Wie die Textanlage zeigt, sind das „Richten“ des Königs und die Segenswirkungen seines Amts in der Natur komplementäre Aspekte oder anders ausgedrückt: Das Gedeihen in der Natur (kosmische Dimension) ist eine Folgewirkung des königlichen Rechtshandelns an den Armen (soziale Dimension). Dieser Zusammenhang von königlicher Gerechtigkeit und Fruchtbarkeit des Landes ist außer in Mesopotamien auch im westsemitischen Raum (Ugarit und Emar) belegt (s. Q 133). Entgegen der Ansicht, der Gedankengang in V. 1aβ–17 sei nicht leicht zu erfassen, weil „Wiederholungen … den Fortschritt der Wünsche und Bitten (hemmen)“22, sind diese Wiederholungen ein Indiz für die Programmatik des Textes. Zu beachten ist nämlich, dass V. 2–7 und V.*12–17 und ihre jeweiligen Unterabschnitte durch das emphatische kî („ja, fürwahr“) zu Beginn des zweiten Hauptteils (V. 12) miteinander verbunden sind. Damit wird eine Steigerung der Aussage erreicht, insofern das Thema „Gerechtigkeit“ (V. 2–4) durch das Thema „Barmherzigkeit“ (V. 12–14) weitergeführt wird, was bereits die thematische Antithese Retten des Armen (V. 4aβ) vs. Zerschlagen des Unterdrückers (V. 4b) am Endes des ersten Abschnitts vorbereitet hatte. Ebenso wird das Thema „Fruchtbarkeit“ (V. 5–7) durch das Thema „Fülle und Dauer“ (V. 16–17aαβ) im Sinne einer Steigerung weitergeführt.23
Das Motiv der sozialen Verantwortung für die personae miserae, wie es in Ps 72,2– 4.12–14 und anderen Texten (Ps 82; Jes 11,1–5 u. a.) tradiert wird, dürfte ein Erbe des Alten Orients sein. Auf den Rahmen des Kodex Hammurapi (Prolog und Epilog) wurde bereits hingewiesen (s. Q 105).24 Ähnliche Zusammenhänge gibt es in der ägyptischen Königsideologie, wie ein Kulttheologischer Traktat aus der Zeit Hatschepsuts (1490–1468 v. Chr.) verdeutlicht, in dem der König als Sonnenpriester erscheint (s. Q 60). Dennoch ist die interpretatio israelitica des besagten Motivs nicht zu übersehen. Denn auch wenn in Mesopotamien und Ägypten, so J. Assmann, „der Sonnengott als Herr der Gerechtigkeit, d. h. als Richter und Retter aufritt, überläßt er doch die Stiftung positiver Gesetze dem König und seinen Beamten. Der alles entscheidende Schritt Israels bestand darin, die Gerechtigkeit aus der sozialen und politischen in die theologische Sphäre zu transportieren und dem unmittelbaren Willen Gottes zu unterstellen. Dieser Schritt wurde in einer Form vollzogen und kodifiziert, die ihrerseits rechtlichen Charakter hat: in der Form eines Rechtsvertrages“25.
Kraus, Psalmen II (BK), 656. Otto, Krieg, 117 ff und Arneth, „Sonne“, 18 ff haben die These vertreten, dass in Ps 72 eine explizite Auseinandersetzung mit der neuassyrischen Königsideologie geführt werde, wobei „in der Grundschicht des Psalms in Ps 72,1*–7.12–14.15*16.17aαβ subversiv der Thronbesteigungshymnus Assurbanipals VAT 13831 (SAA III/11)“ rezipiert worden sei (Otto, aaO 117), s. dazu aber Janowski, aaO 172 ff und Becker, aaO 133 f. 24 S. dazu auch Salo, aaO 229 ff. 25 Assmann, Herrschaft, 69, vgl. zur Sache auch Janowski, Richter, 79 ff. 22 23
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 469
Dieser Schritt von der soziopolitischen in die theologische Handlungssphäre lässt sich in Ps 72 anhand des Übergangs von V. 1* zu V. 2 nachvollziehen und als „Übergabe“ der Gerechtigkeit Gottes an dessen irdischen Stellvertreter, den König bzw. Königssohn, präzisieren. Der eigentliche König Israels ist demnach der „gesetzgebende Gott“26, während der davidische König sein irdischer Repräsentant ist. In Ps 72 überlagern sich somit zwei Aussageebenen: Im Vordergrund steht das Bild des irdischen Herrschers und seines Amtes (V.*2–17) und im Hintergrund dasjenige des göttlichen Königs (V. 1aβ.b), der die Quelle von Gerechtigkeit und Segen ist. Das aus dieser Quelle sprudelnde und vom irdischen König in Handlungseinheit mit dem göttlichen König ‚weitergeleitete‘ Leben erfüllt Natur und Gesellschaft mit einer paradiesischen Fülle des Heils. Dieses Heil ist die Frucht der Gerechtigkeit, die von Gott kommt bzw. vom Himmel // aus den Wolken herabrieselt (Jer 45,8, vgl. Hos 10,12; Ps 85,12 f u. a.)27 und alles durchdringt und belebt (vgl. Jes 32,2). Die in Ps 72 entfaltete Sicht des Königtums hat, wie unsere Beobachtungen zeigen, zwei Aspekte: einen auf die Gesellschaft bezogenen Aspekt, der sich als Durchsetzung von Gerechtigkeit // Recht gegenüber den Elenden und Armen (V. 2–4) bzw. als Errettung // Erlösung des Armen, Elenden und Geringen (V. 12– 14) äußert (König als soziale Instanz), und einen auf die Natur bezogenen Aspekt, der sich als Sprossen des Gerechten // des Heils (V. 5–7) äußert bzw. der mit dem lebensspendenden Regen (V. 6) und dem Wachsen des Korns (V. 16) verglichen wird (König als Mittler des Heils). Beide Aspekte sind Handlungskorrelate: 2 Er richte (dîn) dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden mit Recht. 3 Es sollen Heil tragen die Berge für das Volk und die Hügel durch Gerechtigkeit. 4 Er richte (šāpat) die Elenden des Volkes, er rette (jš῾ hif.)˙ die Söhne des Armen und zerschlage den Unterdrücker. 12 Ja, er rette (nsl hif.) den Armen, der (um Hilfe) schreit, ˙ und den Elenden und den, der keinen Helfer hat. 13 Er erbarme (hûs) sich des Geringen und Armen ˙ und rette (jš῾ hif.) das Leben der Armen. 14 Aus Bedrängnis und Gewalt erlöse (gā᾽al) er ihr Leben, und kostbar sei ihr Blut in seinen Augen. Die Intention des königlichen Rechtshandelns, wie es in den korrespondierenden Abschnitten V. 2–4 und V. 12–14 formuliert wird, lässt sich nicht nur dem Bedeutungsgehalt der Verben dîn „richten“ (V. 2a) und šāpat „richten, Recht verschaffen“ (V. 4aα), sondern ˙ 26
27
Assmann, aaO 68. Zum Motivzusammenhang Fruchtbarkeit / Gerechtigkeit, der besonders in der prophetischen Literatur begegnet (Jes 5,1 ff; Hos 10,12; Am 5,7.24; 6,12 u. ö.), s. Koch, Sædæq, 58 ff ˙ u. a.
470 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament auch den kontextuellen Bezügen (šāpat V. 4aα // jš῾ hif. „helfen, retten“ V. 4aβ, dk᾽ pi. „zer˙ sowie den soteriologischen Termini in V. 12–14 schlagen“ [+ Obj. „Unterdrücker“] V. 4b) entnehmen (nsl hif. „herausreißen, retten“ V. 12a // hûs „erbarmen“ V. 13a // jš῾ hif. „helfen, ˙ ˙ retten“ V. 13b // gā᾽al „[er]lösen, befreien“ V. 14a). Das aber heißt: Der König „richtet“ die Elenden und Armen (personae miserae), indem er ihnen „zum Recht verhilft“ (šāpat), d. h. indem er sie „rettet“, sich ihrer „erbarmt“ und sie „auslöst / erlöst“. Vor wem er sie˙ rettet, präzisiert V. 4b: vor dem „Unterdrücker“, den er „zerschlägt“ (dk᾽ pi.). Als soziale Instanz ist der König demnach der Rechtshelfer und Retter der Armen, deren „Blut“ (V. 14b, // „Leben“ V. 13b. 14a) in seinen Augen kostbar ist.28
In Ps 72 folgt das „Richten“ des Königs also demselben Konzept der rettenden Gerechtigkeit wie das „Richten“ JHWHs in Ps 8229 oder das „Richten“ des messianischen Herrschers in Jes 11,1–5.30 Man kann dieses Herrschaftskonzept als ‚Doppelgesicht der Gerechtigkeit‘ bezeichnen, weil – so erklärt I. L. Seeligmann diesen Sachverhalt – „in der Rechtshilfe für die Bedrückten … die Vernichtung des Bedrückers impliziert (ist)“31. Worauf es hier aber vor allem ankommt, ist die enge Verknüpfung von göttlicher Gerechtigkeit und königlichem Rechtshandeln, wie es sich aus der thematischen Korrelation von Themaangabe (V. 1*: Gott → König) und Durchführung (V. 2 ff: König → Volk Gottes // Elende Gottes) sowie aus der poetischen Gestalt (Chiasmus) von V. 1*–2 ergibt: 1* Gott, deine Rechtsentscheide (mišpāt) gib dem König ˙ Königssohn. und deine Gerechtigkeit (sædæq) dem ˙ 2 Er richte dein (!) Volk in Gerechtigkeit (sædæq) und deine (!) Elenden mit Recht (mišpāt˙) ˙
Gott → König König → Volk
Das Rechtshandeln des Mittlers ist danach die Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes auf Erden: Gott ist die Quelle des Rechts (vgl. Zeph 3,5!), das durch Vermittlung des Königs „seinem (sc. Gottes!) Volk“ Rettung und Hilfe bringen soll. Man kann diese Herrschaftsform als vertikale Solidarität bezeichnen. Damit ist ein Ordnungsgefüge gemeint, das politisch organisiert ist („Staatsordnung“) und das sich zugleich auf den größeren Horizont einer Schöpfungsordnung („Weltordnung“) bezieht. J. Assmann hat dafür den Ausdruck „Schöpfungsherrschaft“ vorgeschlagen und diese im Blick auf die ägyptischen Gegebenheiten wie folgt beschrieben: „Schöpfungsherrschaft ist diejenige Herrschaft, die die Herrschaft des Schöpfers über seine Schöpfung auf Erden abbildet und sich dadurch legitimiert. Daher versteht sie sich erstens als Statthalterschaft und zweitens als Nachfolge des Schöpfergottes, d. h. als Fortsetzung einer Herrschaft, die dieser zu Anbeginn selber über seine Schöpfung ausgeübt hat und die dann über verschiedene Göttergenerationen und mythische Heroen Zum Motiv der „Kostbarkeit des Lebens“ s. Janowski, Kostbarkeit, 249 ff. Zu Ps 82 s. oben 266 f. 30 Zu Jes 11,1–5 s. unten 474 ff. 31 Seeligmann, Terminologie, 313. 28 29
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 471
durch die Kette historischer Dynastien bis zum gegenwärtigen Herrscher gekommen ist. Im Zeichen der Schöpfungsherrschaft sind Staatsordnung und Weltordnung identisch und damit auch zivile und religiöse Tugend. Dabei kommt es im übrigen gar nicht darauf an, ob sich diese Herrschaft de facto auf die ganze Ökumene erstreckt, sondern vielmehr darauf, was unter ‚Schöpfungswelt‘ im Sinne monokratischer Zentrierung verstanden wird. Das ist ein umgrenzter geordneter Bereich, in dem die ‚Menschen‘ wohnen und dafür sorgen, daß durch die Befolgung der Riten und der Axiome der Ma᾽at Götterwelt und Menschenwelt in abbildhafter Beziehung verbleiben.“32
In diesem Sinn einer ‚vertikalen Solidarität‘, aber unter Berücksichtigung der oben beschriebenen Verschiebung von der soziopolitischen in die theologische Handlungssphäre ist auch der König von Ps 72 der Mittler des göttlichen Segens (vgl. Ps 21,7), der wie der lebenspendende Regen auf die frischgemähte Flur // das Land (V. 6, vgl. V. 16) „von oben“ herabkommt (V. 6a) und der mit / vor der Sonne // dem Mond lebt (V. 5) bzw. dessen „Name“ ewig bestehen bleibt // vor der Sonne sprosst (V. 17aαβ, s. Abb. 105). Wie nach V. 2–4 das „Heil“ (šālôm V. 3) die Frucht der von JHWH kommenden und durch den König verwirklichten Gerechtigkeit ist, so ist nach V. 5–7 der „Gerechte“ (saddîq) // die „Fülle des ˙ Heils“ (rob šālôm V. 7) die Frucht des segensreichen Wirkens des Königs auf Er33 den. Gott als Quelle der Gerechtigkeit Gott, deine Rechtsentscheide gib dem König und deine Gerechtigkeit dem Königssohn! (1*) König als Soziale Instanz 2–4//12–14
Mittler des Heils 5–7//*15–17
8–11 universale Herrschaft alle Nationen
Und es sollen sich in ihm segnen, ihn glücklich preisen alle Nationen. (17*)
Abb. 105: Das Königskonzept von Ps 72
Assmann, Ma᾽at, 243 (H. i. O.). Was diesen Zusammenhang von Richten und Retten allerdings zu trüben scheint, ist das Motiv vom „Zerschlagen des Unterdrückers“ (Ps 72,4b), das einen unbestreitbar aggressiven Ton trägt., s. dazu aber Janowski, Fruchtbarkeit, 185 Anm. 147. Zu dem ähnlich gelagerten Problem in Jes 11,4 s. unten 475 f. 33 Zur Erfahrung eines Natur und Gesellschaft umgreifenden Heils, wie es in Ps 72,7 und – mit anthropologischer Zuspitzung – in Ps 1,3; 52,10; 92,13–16; Jer 17,7 f u. a. zum Ausdruck kommt, s. Janowski, aaO 188 ff. 32
472 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Seinen Ursprung hat dieser Zusammenhang von Gerechtigkeit und Segen / Fruchtbarkeit in der Präsenz des Leben gewährenden und erhaltenden Schöpfergottes, wie es etwa Ps 6534 oder Ps 85 zeichnen. Sowohl der Hymnus Ps 65 mit seinen beiden Strophen V. 6–9 (Chaoskampf → Bewässerung) und V. 10–14 (Bewässerung → Fruchtbarkeit) als auch Ps 85 mit seinen vier Heilsgrößen „Güte“, „Treue / Wahrheit“, „Gerechtigkeit“ und „Heil“ macht die Verschränkung von Gerechtigkeit und Segen deutlich: 11 Güte (hæsæd) und Treue / Wahrheit (᾽æmæt) sind sich begegnet, ˙ Gerechtigkeit (sædæq) und Heil (šālôm) haben sich geküsst. ˙ 12 Treue / Wahrheit (᾽æmæt) sprosst aus der Erde hervor, und Gerechtigkeit (sædæq) blickt vom Himmel herab. ˙ 13 Auch wird JHWH das Gute geben, und unser Land gibt seinen Ertrag. 14 Gerechtigkeit (sædæq) geht vor ihm her, ˙ und bestimmt den Weg seiner Schritte. (Ps 85,11–14) Das Thema dieses Textes ist – ganz im Sinn des die dritte Strophe V. 9 f beschließenden V. 10 („Fürwahr, nahe ist denen, die ihn fürchten, sein Heil [šālôm], dass die Herrlichkeit [kābôd] wohne in unserem Land“) – das „geradezu gestalthafte Kommen der Gaben und Wirkweisen Gottes“35. Es wird in das Bild eines ‚Treffpunkts‘ von vier personifizierten Heilsgrößen (Güte, Treue / Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden / Heil) gefasst, für das die Verschränkung einer vertikalen und einer horizontalen Dimension kennzeichnend ist: Nach der horizontalen Bewegung in V. 11 („sich begegnen // „[sich] küssen“) folgt in V. 12 eine vertikale Bewegung, wobei menschliche Treue / Wahrheit wie eine Pflanze aus der Erde emporsprosst und göttliche Gerechtigkeit wie die Sonne vom Himmel herabblickt. Beide, Treue / Wahrheit und Gerechtigkeit, bewegen sich aufeinander zu und werden sich begegnen, genauer: sie sind sich bereits begegnet (V. 11a)! V. 13 legt demgegenüber die Metaphorik des Heils auf den Ernteertrag aus (V. 13b), den JHWH als „das Gute“ gibt (V. 13a). Mit V. 14 kehrt der Text zu der horizontalen, alle Bereiche der Wirklichkeit durchwaltenden Präsenz der Gerechtigkeit Gottes zurück, die vor ihm hergeht und den Weg seiner Schritte bestimmt. Das Ziel der Aussage ist also „der doppelte Treffpunkt in der Präsenz Gottes“36. Doppelt ist dieser Treffpunkt deswegen, weil es um die Präsenz Gottes im Himmel wie auf Erden geht und weil seine Gerechtigkeit die Natur und Gesellschaft durchwaltende und belebende Gestalt dieser Präsenz ist.
Was Ps 85 vom Kommen Gottes sagt, das sagt Ps 72 vom Wirken seines irdischen Repräsentanten: als „König der Gerechtigkeit“ lebt er im Geist der Gerechtigkeit Gottes, die er in seinem Rechtshandeln verwirklicht und damit in abbildhafte Beziehung zu dem bringt, der über ihre Geltung wacht. Die Frage, wie gerechte Herrschaft Wirklichkeit wird, beantwortet Ps 72 mit der Vision eines Natur und
Zu Ps 65 s. Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 212 ff (Hossfeld). Hossfeld / Zenger, aaO 533 (Zenger). 36 Seybold, Psalmen (HAT), 336. 34 35
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Gesellschaft umgreifenden Heils, die einem Text wie Jes 11,1–537 in nichts nachsteht. b) Herrscher der Zukunft und königlicher Mensch Altes Testament: Barthel, Prophetenwort, 118 ff ◆ Blum, Testament I, 566 ff ◆ Gese, Messias,
128 ff ◆ Görg, Art. Immanuel, 227 f ◆ Hartenstein / Krispenz, Art. König, 277 f ◆ Irsigler, Immanuel, 101 ff ◆ Janowski, Wolf, 61 ff ◆ Jeremias, Theologie, 417 ff ◆ Kaiser, Gott Israels, 181 ff ◆ Kessler, Ethik, 331 ff ◆ Liess, Herrschererwartungen ◆ Schmid, Herrschererwartungen, 37 ff ◆ Seebass, Herrscherverheißungen ◆ Waschke, Art. Messias / Messianismus, 1144 ff.38
Die frühesten alttestamentlichen Texte zur Rolle des Königs spiegeln, wie wir sahen, die aus dem Alten Orient und Ägypten bekannten Herrschaftsvorstellungen wider.39 Das gilt auch für die spätere Entwicklung, wenn mit dem Exil eine theologische Neuorientierung einsetzt und nicht nur der Perserkönig Kyros als „Gesalbter“ (māšîah) JHWHs bezeichnet (Jes 45,1), sondern in Jes *7–11 auch die ˙ Erwartung eines zukünftigen Herrschers (ohne Messiastitel) artikuliert wird (α). Eine besondere Form der Herrschererwartung ist die Übertragung der ursprünglich auf den König bezogenen Aussagen auf den Menschen (β). Diese Figur des ,Königlichen Menschen‘ (Gen 1,26 ff; Ps 8,6 ff) ist ein Proprium des Alten Testaments. α) „Ein Reis aus dem Baumstumpf Isais“ Die prophetischen Weissagungen, die einen Herrscher der Zukunft verheißen, „kommen alle her von großen Enttäuschungen über das vorfindliche bzw. das gewesene Königtum“40. Eine ihrer Grundstellen ist das Immanuelwort Jes 7,14, das vielfach kontextualisiert wird: zunächst in der primären Textsituation von Jes 7,*10–17, sodann im weiteren Kontext von Jes 7,1–17 und schließlich auf der Ebene des Makrotextes von Jes *1–11.41 Die ,messianische Trias‘ in Jes 7 – 9 – 11 lebt von dem multiperspektivischen Charakter der Immanuel-Verheißung, die sich in einer dramatischen Konfliktsituation an den judäischen König Ahas richtet (Jes 7,*10–17) und folgendermaßen lautet: 37
S. dazu unten 474 ff. Zum Thema „Königlicher Mensch“ s. die Lit. oben 13 (bei Exkurs 1). 39 Vgl. Hartenstein / Krispenz, Art. König, 277. 40 Jeremias, Theologie, 419. 41 Ungeachtet der redaktionsgeschichtlichen Problematik sind Jes 9,1 ff und 11,1 ff von dem Immanuelwort Jes 7,14 her motiviert. Obwohl dessen Wortlaut für eine Auffassung des Immanuel als messianische Gestalt keinen sicheren Anhalt gibt, lässt sich doch „die verhüllende Konnotation bei Namengebung und Zeitcharakteristik als vorausweisendes Signal im Sinne einer typologischen Öffnung“ (Görg, Art. Immanuel, 227) verstehen. Dieses königliche Kind ist der Inbegriff des Mitseins Gottes, dessen Auftreten im Kontext von Jes 1–11 immer deutlicher messianische Züge annimmt, s. dazu Irsigler, Immanuel, 121 ff.131 ff; Schmid, Herrschererwartungen, 55 ff.63 ff und Liess, Herrschererwartungen, 367 ff. 38
474 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Darum wird der Herr selbst euch ein Zeichen geben: Siehe, die junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, und du sollst seinen Namen nennen: „Immanuel“. (Jes 7,14)
Das Immanuelzeichen hat im Kontext von V.*10–17 eine ambivalente Funktion: es kündet dem im Glauben zweifelnden König Ahas (vgl. 7,9!)42 das Ende an und verheißt zugleich das Kommen eines neuen Herrschers. Konstitutiv ist dabei der Sachverhalt, dass Immanuel („Gott [ist] mit uns“) als Gestalt der prophetischen Ankündigung vom irdischen Repräsentanten der Dynastie – etwa dem Ahassohn Hiskia – unterschieden bleibt. Diese „Überschreitung des Faktischen“43 ist die Bedingung für die relecture des Immanuelorakels in Jes 7,15 (vgl. 7,22) und vor allem in Jes 9,1–6. Hier wird der verheißene Herrscher zu einer messianischen Figur, in deren Erscheinung „das ,Gott mit uns‘ durch das Gericht hindurch eine neue Gestalt gewinnt“44 und eine umfassende Veränderung der bisherigen Lebensverhältnisse einleitet. Von dem gewichtigen Text sei der Bericht über die Geburt und Namengebung des verheißenen Herrschers zitiert: 5 6
Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft kam auf seine Schulter, und man nannte seinen Namen: „Wunderbares Planender, Gott-Held, Vater der Ewigkeit, Fürst des Friedens.“ Der Mehrung der Herrschaft und des Friedens ist kein Ende über dem Thron Davids und über seinem Königtum, indem er sie festigte und sie stützte durch Recht (mišpāt) und Gerechtigkeit (sedāqāh) ˙ ˙ von jetzt an bis in Ewigkeit. Der Eifer JHWH Zebaoths wird dies tun. (Jes 9,5 f)45
Die Geburt und Namengebung des verheißenen Herrschers sind, wie die Passivformulierungen in V. 5a zeigen,46 Teil eines von JHWH bestimmten Weges. Die letzte Station auf diesem Weg bildet im Kontext des sog. Testaments Jesajas Jes *1–1147 der dritte Text Jes 11,1–5, der die Geburtsthematik von Jes 7,14 und 9,5 in die Metapher vom „Reis aus dem Baumstumpf Isais“ (V. 1) kleidet und diesen „Spross“ zu einem Träger des Gottesgeistes macht: Zu Jes 7,9b („Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“) s. Barthel, Prophetenwort, 169 f; Beuken, Jesaja I (HThK.AT), 203 ff; Williamson, Isaiah II (ICC), 150 ff u. a. 43 Barthel, aaO 176. 44 Ders., aaO 180, s. dazu auch Irsigler, Immanuel, 131 ff, bes. 138 ff. 45 Zum Text und seiner Interpretation s. außer den Kommentaren noch Liess, aaO 12 ff.22 ff.32 ff.50 ff. In V. 6 sind Begriffe und Motive der alttestamentlichen Königstradition in besonderer Dichte konzentriert, s. dazu dies., aaO 170 ff. 46 S. dazu dies., aaO 131 ff. 47 S. dazu Blum, Testament I, 547 ff und ders., Testament II, 12 ff. 42
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 475
Auftreten des künftigen Herrschers 1 Es wird hervorgehen ein Reis aus dem Baumstumpf Isais, und ein Spross aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen.
Ausrüstung zu seiner Amtsführung 2
Es wird ruhen auf ihm der Geist JHWHs, ein Geist der Weisheit und der Einsicht, ein Geist des Rates und der Stärke, ein Geist der Erkenntnis und der Furcht JHWHs.
Amtsausübung bezüglich seines Handelns 3 4
Und er wird sein Wohlgefallen an der Furcht JHWHs haben. Und nicht nach dem, was seine Augen sehen, wird er richten, und nicht nach dem, was seine Ohren hören, wird er entscheiden, sondern er wird in Gerechtigkeit richten die Geringen und in Geradheit entscheiden für die Elenden des Landes. Schlagen wird er das Land mit dem Stab seines Mundes und mit dem Hauch seiner Lippen töten den Frevler.
Amtsausübung bezüglich seiner Person 5 Und Gerechtigkeit wird der Gürtel seiner Hüften sein und die Zuverlässigkeit der Gürtel seiner Lenden. (Jes 11,1–5)48
Die semantischen Bezüge in dieser kleinen Komposition lassen sich wie folgt darstellen: 1 Auftreten des Herrschers
a Reis aus dem Baumstumpf Isais b // Spross aus seinen Wurzeln
2 Geistbegabung des Herrschers
a bα bβ bγ
„Ruhen“ des Geistes (rûah) JHWHs auf dem künftigen Herrscher: ˙ Geist der Weisheit // der Einsicht Geist des Rates // der Stärke Geist der Erkenntnis // der Furcht JHWHs
3 f Handeln des Herrschers 3b šāpat // jkh hif. relational (Präp. Lamed): Augenschein // Hörensagen49 ˙ ˙ 4a šāpat // jkh hif. instrumental (Präp. Beth): Gerechtigkeit // Geradheit ˙ b nkh ˙hif. // mwt hif. instrumental (Präp. Beth): Stab des Mundes // Hauch der Lippen50
Zu diesem Text s. außer den Kommentaren noch Blum, Testament II, 566 ff; Janowski, Wolf, 61 ff; Liess, aaO 305 ff u. a. 49 Zum Lamed modi mit relationaler Aussageintention („gemäß“) s. Jenni, Lamed, 276 ff, bes. 279 f. 50 V. 3b–4 sind poetisch dicht formuliert: In V. 3b (negiert) und V. 4a findet sich, allerdings 48
476 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
5 Insignien des Herrschers
a Gerechtigkeit (sædæq) = Gürtel der Hüften ˙ b // Zuverlässigkeit (᾽æmûnāh) = Gürtel der Lenden
Gemäß der kompositorischen Anlage legt der zweifache Parallelismus in V. 3b.4a – šāpat „richten“ // jkh hif. – die Bedeutung von šāpat im Sinn von jkh hif. fest. ˙ ˙ ˙ ˙ Da dieses Verb mit den personae miserae51 als Objekt eine positiv-forensische Bedeutung hat („feststellen, was recht ist bzw. wer im Recht ist > entscheiden (zugunsten von)“52, meint auch šāpat in Jes 11,3 f „zum Recht verhelfen, Recht ˙ verschaffen“. Die Fortsetzung des Parallelismus V. 3b//4a durch V. 4b bringt demgegenüber eine Kontrastaussage ein: Der künftige Herrscher verhilft den Geringen und Elenden zum Recht, indem er die Erde „schlägt“ und den Frevler „tötet“53 – allerdings mit Waffen, die ungewöhnlich genug sind („Stab des Mundes“ = Befehls gewalt // „Hauch der Lippen“ = wirkmächtiges Wort / tötender Gluthauch)54 und die der Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit seines Auftretens Nachdruck verleihen (V. 5). Das Ziel der Herrscherverheißung Jes 11,1–5 ist nicht die Verherrlichung der Gewalt, sondern deren Brechung. Im Zeichen dieser messianischen Machtausübung – der künftige Herrscher tötet die Schuldigen mit dem „Hauch seiner Lippen“ und schützt so die Geringen und Elenden – ist das Königsbild von Ps 2,8 f und anderer Texte überwunden und transformiert. β) Der königliche Mensch Eine weitere, folgenreiche Transformation der traditionellen Königsvorstellung geschieht in der nachexilischen Anthropologie und Schöpfungstheologie. Während die priesterliche Urgeschichte den Menschen als „Bild Gottes“ bezeichnet und zur Näherbestimmung den Herrschaftsauftrag hinzufügt (Gen 1,26–28),55 spricht Ps 8 in Antwort auf die anthropologische Grundfrage „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst …?“ (V. 5) davon, dass Gott den Menschen zum Herrscher über die Tiere gemacht hat, die unter seine Füße gelegt sind: 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt.
mit entgegengesetzter Aussageintention, dieselbe Verbfolge. In V. 4a und V. 4b wird zweimal mit Beth instrumenti formuliert, und V. 3b und V. 4b verwenden jeweils Körperbegriffe: Augen // Ohren und Mund // Lippen. 51 Zu den personae miserae s. oben 262 ff. 52 S. dazu Boecker, Redeformen, 45 ff; Seeligmann, Terminologie, 306 ff u. a. 53 S. dazu Seebass, Herrscherverheißungen, 21 ff.24 ff. 54 Vgl. ders., aaO 28: „juristische Sprachkompetenz (des Messias); Urteilsrede im Prozeß“. Möglich wäre auch die Deutung auf den „tötenden Gluthauch“, der aus dem Mund des Herrschers hervorgeht, s. dazu Keel, Geschichte Jerusalems 1, 197 f. 55 S. dazu oben 423 ff.
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 477
7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße.56 Während in Gen 1,26.28 das dominium animalium mit dem Verb rādāh „herrschen“ ausgedrückt wird, steht in Ps 8,7 das allgemeinere Verb mšl hif. „zum Herrscher machen“57 sowie in Parallele dazu die Wendung „unter die Füße legen“. Diese Wendung ist gemeinorientalisch58 und bringt in Verbindung mit dem Objekt „alles“ (V. 7b) die universale Ordnungsfunktion des Königs bzw. des königlichen Menschen zum Ausdruck.59 Was damit konkret gemeint ist, sagt der Text leider nicht. Gemäß der funktionalen Bedeutung der Körperteile im Alten Testament kommt dem „Fuß“ (rægæl) aber die Bedeutung zu, Macht und Präsenz auszuüben.60 Wie diese ausgeübt wird, ist dem jeweiligen Kontext zu entnehmen. Und dieser ist – jenseits der konkreten Füllung von mšl hif. und der Wendung „unter seine Füße legen“61 – gemäß dem Gesamtduktus von Psalm 8 so geartet, dass die Herrschaft über die Tiere durch die göttliche Herrschaftsübertragung legitimiert und zugleich begrenzt ist (V. 7: „Du hast ihn zum Herrscher gemacht … // alles hast du gelegt …“). Ein schrankenloser Despotismus würde nicht nur diesen lebendigen Organismus zerstören, sondern auch das Lob des Schöpfers (V. 2a.10!) desavouieren.
Nach V. 6a ist der Mensch von Gott mit „Ehre“ (kābôd) und „Pracht“ (hādār) gekrönt worden.62 Der königsideologische Hintergrund dieser Termini geht aus dem (spätvorexilischen?) Königspsalm Ps 21,2–7 hervor, wonach der König als Paradigma des geretteten Gerechten erscheint: 2 3 4 5 6 7
56
JHWH, über deine Macht freut sich der König, und über deine Rettung – wie jubelt er sehr! Das Verlangen seines Herzens hast du ihm gewährt, und das Begehren seiner Lippen hast du nicht verweigert. – Sela Ja, du kommst ihm entgegen mit Segnungen an Gutem, du setzt seinem Haupt eine Krone (῾atæræt) aus Feingold auf. ˙ gegeben, Leben erbat er von dir, du hast es ihm Länge der Tage für immer und ewig. Groß ist seine Ehre (kābôd) durch deine Rettung, Hoheit (hôd) und Pracht (hādār) legst du ihm an. Denn du machst ihn zu Segnungen für immer, du beglückst ihn mit Freude bei deinem Angesicht.63
S. dazu auch oben 13 ff. S. dazu Neumann-Gorsolke, Herrschen, 90 ff und Kumpmann, Schöpfen, 323 f. 58 S. dazu Neumann-Gorsolke, aaO 99 ff. 59 Vgl. dies., aaO 120 f und Schellenberg, Mensch, 150 ff. 60 S. dazu oben 148 ff und zum Fußmotiv in Ps 8,7 Neumann-Gorsolke, aaO 94 ff. 61 Eine ikonographische Konkretisierung, wie sie von Keel, Bildsymbolik, 49 f mit Abb. 60 f vorgeschlagen und vielfach rezipiert wurde, führt nicht weiter, s. dazu die Kritik von Neumann-Gorsolke, aaO 112 ff. 62 Zu diesen beiden Termini s. Irsigler, Psalm 8, 22 f mit Anm. 50; Schnieringer, Psalm 8, 247 ff; Neumann-Gorsolke, „Ehre“, 57 ff u. a. 63 S. dazu außer Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 142 f (Zenger) noch Neumann-Gorsolke, 57
478 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Abb. 106: Neuassyrische Krönungszeremonie (8./7. Jh. v. Chr.)
Die Krone, die dem König von Gott aufs Haupt gesetzt wird (V. 4), ist ein materielles („Krone aus Feingold“) und zugleich symbolisches Kennzeichen seiner überragenden Machtposition.64 Den Charakter dieses Vorgangs kann man sich nach Analogie der singulären Darstellung einer neuassyrischen Krönungszeremonie verdeutlichen (s. Abb. 106). Wie in Ps 21,6, wo drei Wesensmerkmale – seine „große Ehre“, seine „Hoheit“ und seine „Pracht“ – die besondere Nähe des Königs zu Gott signalisieren,65 so kennzeichnen nach Ps 8,6 „Ehre“ (kābôd) und „Pracht“ (hādār) das Wesen des königlichen Menschen: er ist „wenig niedriger als Gott“ und wird von diesem mit kābôd und hādār „gekrönt“ (῾tr pi.).66 Die ˙ „Krone“ bezieht sich nicht auf etwas Materielles wie in Ps 21,4 („Krone aus Feingold“), sondern auf die Teilhabe am Lichtglanz, der dem himmlischen Schöpfer eignet („Hoheit“ Ps 8,2b) und der in Form von „Ehre und Pracht“ nunmehr allen Menschen zuteil wird – nicht zum Zweck der Vergöttlichung (vgl. V. 6a), sondern damit der königliche Mensch die „Herrschaft“ über die Tiere wahrnimmt.67 So wird das qualitative Verhältnis zwischen Gott und Mensch (Ausstattung mit „Ehre“ und „Pracht“) durch die funktionale Bestimmung dieses Verhältnisses (Einsetzung in die Königsherrschaft) fortgeführt und konkretisiert. „Durch diese Investitur wird dem Menschen / der Menschheit die Rolle des Königs, Mandatar JHWHs zu sein, übertragen.“68 aaO 56 f; Saur, Königspsalmen, 102 ff; Müller, Herrschaftslegitimation, 199 f und Salo, Königsideologie, 97 ff. 64 S. dazu Salo, aaO 117 ff und zur sakralen Bedeutung der Krone in Mesopotamien Sallaberger, Sakralität, 88 ff. 65 Vgl. Spieckermann, Heilsgegenwart, 219; Saur, aaO 103 u. a. Diese Nähe zu Gott wird nach Ps 21,7b durch die vom göttlichen „Angesicht“ (pānîm) ausgehenden Segenswirkungen herbeigeführt, s. dazu Hartenstein, Angesicht, 127 f. 66 Vgl. Ps 65,12 und 103,4 („mit Güte und Erbarmen“), s. dazu Neumann-Gorsolke, aaO 53 f. 67 S. dazu ausführlich Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 321 ff (Janowski). 68 Neumann-Gorsolke, aaO 59. Der Einwand von Schellenberg, Mensch, 168 Anm. 116 gegen diese Interpretation leuchtet nicht ein. Zur Rezeption von Ps 8,6 in Hi 19,8 ff s. unten 530 f.
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Für das universalistische Verständnis von V. 7 spricht nicht zuletzt die Taxonomie der Tierarten in V. 8 f,69 der zufolge die Aufzählung der Tiere von ,innen‘ nach ,außen‘, d. h. von den domestizierbaren Tieren („Kleinvieh und Rinder“) über die wilden Tiere („Tiere des Feldes“) bis hin zu den „Vögeln des Himmels“ und den „Fischen des Meeres“ voranschreitet: 8 9
Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere.
Das alles zeigt, dass in Ps 8,7–9 eine universale Herrschaft gemeint ist, mit der der königliche Mensch beauftragt wird. „Universal“ heißt nicht, dass die Erschaffung der Welt und alles, was sie erfüllt, in der Hand des Menschen liegt, sondern vielmehr, dass er in seiner Herrschaft auf „alles“ (V. 7b.8a), nämlich „die Werke deiner (sc. JHWHs) Hände“ (V. 7a) bezogen ist.70 Das ist seine Würde und zugleich die Grenze seiner Macht. Das Bewusstsein dieser Grenze, das durch den Blick zum gestirnten Himmel und durch das Innewerden der eigenen Situation coram Deo (V. 4 f) immer wieder stimuliert wird, führt den Psalmisten zum Lob des Schöpfers und seines Namens „auf der ganzen Erde“ (V. 10). Es geht in Ps 8 also um die Lebenswirklichkeit des Menschen, die als Wirklichkeit coram Deo und im Gegenüber zur nichtmenschlichen Kreaturwelt bestimmt wird. Die Wahrnehmung dieser Relationen entscheidet über das Menschsein des Menschen. Dieser Mensch ist kein Despot, sondern ein „Herrscher“, aber weder aus eigener Vollmacht noch über andere Menschen.71 Herrscher ist er allein im Auftrag des Schöpfergottes. 2. Stellvertretung und Neuschöpfung – Prophetische Anthropologie Und man gab (ihm) bei Frevlern sein Grab und bei 〈Übeltätern〉 seine 〈Grabstätte〉, obwohl er keine Gewalttat verübt hatte und in seinem Mund kein Trug war. Aber JHWH hatte es geplant, ihn zu schlagen, 〈heilte den, der〉 als Schuldtilgung sein Leben 〈einsetzte〉. Jesaja 53,9 f
Mit dem Verlust von Tempel, Land und Königtum vollzogen sich nach 587 v. Chr. gravierende Veränderungen, die nicht nur das Gottesbild, sondern auch das Menschenbild betrafen. Im Folgenden nehmen wir zwei anthropologische Themen in den Blick, von denen bisher noch keine Rede war: die stellvertretende Lebenshingabe des Gottesknechts (a) und die Neuschöpfung des Sünders (b). Beide Veränderungen vollzogen sich im Bereich der nachexilischen Prophetie S. dazu Hartenstein / Janowski, aaO 324 ff. Zu einer neuassyrischen Sachparallele s. Q 108. Neumann-Gorsolke, aaO 126.129. 71 Vgl. Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 80 (Zenger) und Irsigler, aaO 24. 69
70 Vgl.
480 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
(Deuterojesaja, Jeremia, Ezechiel) und – im Blick auf das Thema „Neuschöpfung“ – zusätzlich im Bereich der späten Psalmen (Ps 51). Die Vorstellung vom leidenden Gottesknecht, für die eine Mischung königlicher, prophetischer und mosaischer Traditionen kennzeichnend ist,72 gehört zu den Basisvorstellungen der Christentumsgeschichte. a) Der leidende Gottesknecht Altes Testament: Blum, Gottesknecht, 138 ff ◆ Feldmeier / Spieckermann, Menschwerdung, 146 ff ◆ Haag, Stellvertretung, 1 ff ◆ Hägglund, Isaiah 53 ◆ Hermisson, Lohn, 177 ff ◆ Ders., Israel, 197 ff ◆ Irsigler, Weg ◆ Janowski, Stellvertretung, 67 ff ◆ Ders., Ecce Homo, 53 ff ◆ Ders. / Stuhlmacher (Hg.), Gottesknecht ◆ Jeremias, Theologie, 274 ff ◆ Kaiser, Gott Israels, 234 ff ◆ Kutsch, Leiden, 169 ff ◆ van Oorschot, Aspekte, 40 ff ◆ Schenker, Knecht, 65 ff ◆ Spieckermann, Konzeption, 141 ff ◆ Steck, Aspekte, 22 ff ◆ Wagner, Individualität, 219 ff. – Antike Religionen: Assmann, Der „leidende Gerechte“, 203 ff ◆ Bendlin, Sterben, 9 ff ◆ Klimkeit, Der leidende Gerechte, 164 ff.
Trotz ihrer christlichen Rezeptionsgeschichte gibt es nur wenige religiöse Texte der Antike, die so rätselhaft geblieben sind wie die biblischen Überlieferungen vom „leidenden Gerechten“. Was sie mit den vergleichbaren Texten aus Mesopotamien, Ägypten, Griechenland und Rom73 verbindet, ist eine bestimmte, ausgesprochen befremdliche Sicht der Gerechtigkeit: Der Gerechte leidet, weil oder obwohl er gerecht ist. Das widerspricht einer Auffassung der Wirklichkeit, wonach sich alles Ergehen auf ein entsprechendes Tun bezieht und die Tat im Guten wie im Bösen zum Täter zurückkehrt.74 Diese reziproke Struktur des Handelns ist hier außer Kraft gesetzt. Denn wo – wie im Tun/Ergehen-Zusammenhang – Leiden als Folge von Schuld verstanden wird, kann der Leidende kein Gerechter sein. Wenn er aber leidet, kann er nicht „gerecht“ genannt werden. Plausibel ist die Korrelation von Gerechtigkeit und Leiden also nur in einem Kontext, in dem der traditionelle Zusammenhang von Tun und Ergehen zerbrochen ist. Das ist der sachliche Ansatzpunkt für das Thema „Stellvertretung“. α) Was heißt „Stellvertretung“? „Stellvertretung“ ist ein – im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert belegter – metasprachlicher Ausdruck, für den es im Alten Testament kein quellensprachliches Äquivalent gibt. Der mit Stellvertretung gemeinte Sachverhalt wird demgegenüber mit präpositional näher bestimmten Verben ausgedrückt, die den Ereignischarakter des Vorgangs unterstreichen:75 S. dazu Jeremias, Theologie, 275 f. S. dazu Assmann, Der „leidende Gerechte“, 203 ff; Bendlin, Sterben, 9 ff und für Mesopotamien die Textzusammenstellung in TUAT 3/1 (1990) 110–188 (W. von Soden). 74 Zum Konnex von Tun und Ergehen s. unten 523 ff. 75 Vgl. auch den Überblick bei Spieckermann, Art. Stellvertretung, 135 ff; Janowski, Stellvertre72
73
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Verben – „die Sünde(n)/Krankheiten tragen / schleppen“ (nāśā᾽/sābal): Lev 10,17; 16,22; Jes 53,4.11 f; Ez 4,4–8 u. ö. – „beten, bitten für“ (nāśā᾽ tepillāh be῾ad): 2 Kön 19,4; Jes 37,4; Jer 7,16; 11,14 – „Lösegeld geben“ (nātan kopær): Ex 21,30, vgl. Num 35,31 f u. ö. – „eintreten, in die Bresche / den Riss treten“ (῾āmad [bappæræs]): Ez 22,30; ˙ Ps 106,23.30; Sir 45,23, vgl. Ez 13,5 – „vor JHWH stehen“ (῾āmad lipnê JHWH): Jer 15,1.19; 18,20 – „Fürbitte leisten“ (῾ātar q./hif.): Ex 8,4.25; 9,28; 10,17 u. ö. – „eintreten bei / für, (bittend) dringen in“ (pg῾ q./hif.): q.: Jer 7,16; 27,18 u. ö.; hif.: Jer 15,11(?); 36,25; Jes 53,6.12, vgl. abs. Jes 59,16 – „Sachwalter sein, fürbittend eintreten“ (pll pi./hitp.): pi.: 1 Sam 2,25; Ez 16,52; Ps 106,30; hitp.: Gen 20,7; Num 21,7; Dtn 9,20; 1 Sam 7,5; 12,19.23; Jer 7,16; 11,14; 29,7 u. ö. – „eintreten für“ (qûm le): Ps 94,16 u. ö.
Präpositionen – „zugunsten von, für“ (ba῾ad) : Ex 8,24 (+ ῾ātar hif.); Hi 2,4 (+ pll hitp.) u. ö. – „anstelle von“ (tahat): 1 Kön 8,20 (+ qûm); Jes 43,4, vgl. Ex 21,23; Pred 4,15 (+ ῾āmad) ˙ u. ö.
Abb. 107: Alttestamentliche Semantik der Stellvertretung Ein wichtiges Stellvertretungsmodell ist das der priesterlichen und prophetischen Interzession.76 Der Interzessor ist ein Mittler, der – bis zur Gefährdung der eigenen Existenz – stellvertretend in den durch eine Verschuldung zwischen Gott und Mensch / Israel entstandenen „Riss“ tritt in der Absicht, durch sein „Dazwischentreten“ den Vernichtungswillen JHWHs abzuwenden und so ein heilvolles Gott/Mensch-Verhältnis zu inaugurieren. So trat Aaron „zwischen die Toten und die Lebenden“, um die „Plage“ zum Stillstand zu bringen (Num 17,13), und ebenso wandte Pinchas durch sein interzessorisches Handeln JHWHs Zorn von Israel ab (Num 25,6 ff, vgl. Ps 106,30).
Das Verstehensproblem der biblischen Stellvertretungsaussagen liegt allerdings darin, dass Schuld nach neuzeitlicher Auffassung nicht auf einen anderen übertragen werden kann, der sie stellvertretend trägt oder erleidet. Die klassische Form dieses Axioms der Unvertretbarkeit des Einzelnen stammt bekanntlich von I. Kant (1724–1804). Dieser geht davon aus, dass es ein „radikales“, d. h. angeborenes Böses gibt, das nichtsdestoweniger selbst verschuldet sein muss. Diese „ursprüngliche oder überhaupt vor jedem Guten, was er immer tun mag, vor hergehende Schuld“ trägt der Mensch so mit sich, dass kein anderer – „soviel wir tung, 24 ff und ders., Ecce homo, 11 ff. Zur antiken Begriffsgeschichte von „Stellvertretung“ (von Mesopotamien bis zum Koran) s. die Textsammlung bei Janowski, Ecce homo, 91 ff. Zum Begriff „Nachfolger, Stellvertreter“ (halīfa) im Koran s. Q 217. Demgegenüber ist nach ˙ Eberhart, Sühne, 54 f das Konzept der Stellvertretung „eine moderne Deutekategorie …; sie geht also nicht auf konkrete (hebräische und griechische) Terminologie biblischer Texte zurück. Deshalb erscheint ihre Verwendung stets etwas willkürlich“ (aaO 55) – die Willkür liegt allerdings ganz auf Seiten dieses Autors, s. dazu auch oben 456 Anm. 133. 76 S. dazu Janowski, Stellvertretung, 27 ff; Feldmeier / Spieckermann, Menschwerdung, 49 ff.61 ff und Leuenberger, Fürbitte, 51 ff.
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nach unserem Vernunftrecht einsehen“77 – ihn davon befreien kann. Das Wesen der Moral erlaubt es nicht, das eigene Unrecht auf einen anderen zu schieben und von ihm tilgen zu lassen, denn Schuld „ist keine transmissible Verbindlichkeit, die etwa wie eine Geldschuld (bei der es dem Gläubiger einerlei ist, ob der Schuldner selbst oder ein anderer für ihn bezahlt), auf einen anderen übertragen werden kann, sondern die allerpersönlichste, nämlich eine Sündenschuld, die nur der Strafbare, nicht der Unschuldige, er mag auch noch so großmütig sein, sie für jenen übernehmen zu wollen, tragen kann“78.
In Fragen der Moral, so Kant, gibt es keine Stellvertretung. Die Frage ist aber, ob Stellvertretung nicht ein Geschehen meint, das – nicht die Würde der Person zerstört, indem es den Einzelnen für ersetzbar hält,79 sondern – dem Menschen dort geschenkt wird, wo seine eigenen Möglichkeiten zu Ende sind. Wenn der schul dig gewordene Mensch „in seiner unvertretbaren Verantwortung von einem andern befreit wird, daß er nicht von seiner Verantwortung frei gesprochen wird – das hieße nämlich, daß er in seiner Würde zerstört würde –, dann wäre wirklich erwiesen und verwirklicht, daß das Fürsich-sein der geschaffenen Person nicht zugleich ihr unentrinnbares Gefängnis ist. Es ist getragen und umgriffen von einem Mitsein und Für-Sein eines Andern, der dort Wege ins Freie findet, wo sich der Mensch ‚für sich allein‘ in sich selbst vermauert findet“80.
Das gilt auch für die biblische Schulderfahrung. Denn Schuld ist nach biblischem Verständnis nicht ein Konflikt, der allein im Binnenraum des Subjekts ausgetragen wird – das auch! (vgl. Ps 51)81 –, sondern vielmehr die Not, Gottesbeziehung, Selbstbeziehung und Sozialbeziehung nicht mehr integrieren und aus eigener Kraft nicht mehr weiter zu können: „Die entscheidende Frage lautet gar nicht, ob Schuld übertragbar ist oder nicht, ob sie durch eine fremde Leistung kompensiert werden kann wie ,etwas‘, das mir wie eine unbezahlte Rechnung oder wie eine Krankheit anhängt. Sie lautet, ob einer da ist, der sich in dieser Situation mit uns identifiziert, der zwischen uns und unsere Vergangenheit tritt und uns für Gott und die Welt (und darum auch für uns selbst) wieder erträglich macht – ‚nicht (…) damit wir irgendwann später so weit kämen, selbst an diese Stelle zu treten, sondern damit wir nie mehr an diese Stelle geraten‘.“82
Wenn man Kants Ansatz darin folgt, dass man an der Unersetzlichkeit der Person festhält, aber darin kritisiert, dass man den Einzelnen mit seiner Schuld nicht 77 78
79 80 81 82
Kant, Religion, 77 (B 94/95). Ders., ebd. (H. i. O.). Zur Abgrenzung der Begriffe „Stellvertretung“ und „Ersatz“ s. die Hinweise bei Janowski, Ecce homo, 5 Anm. 15. Breuning, „Sühne“, 79 (H. i. O.). S. dazu unten 493 ff. Link, „Für uns gestorben“, 153.
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allein lassen darf, wäre für den Stellvertretungsgedanken Entscheidendes gewonnen: dass nämlich Stellvertretung heißt, den schuldig gewordenen Menschen „an der Stelle“ aufzusuchen, „wo es um ihn selbst geht, um dort für ihn zu sein, und ihm durch Mitleben zu helfen, wo er am Ende ist. (…) Stellvertretung nicht als Ersatz, sondern als An-die-Stelle-treten, wo der andere lebt, um ihn dort aus Einsamkeit, Verschlossenheit, Versagen herauszuziehen“83.
An die Stelle eines anderen zu treten hieße dann nicht, ihn als Person zu verdrängen oder zu ersetzen, sondern den Platz einzunehmen, den aus eigener Kraft einzunehmen er nicht in der Lage ist. Die theologisch anspruchsvollste Form dieser Stellvertretung findet sich in Jes 52,13–53,12, dem vierten EJL.84 β) „Er trug unsere Krankheiten“ Das vierte EJL (Jes 52,13–53,12)85 bildet mit den ersten drei EJL (Jes 42,1–4; 49,1– 6; 50,4–9) ein dichtes Argumentationsgewebe,86 das mit Jes 50,7–9 seine vorläufige Klimax erreicht: 7 8 9
Aber der Herr JHWH hilft mir, darum bin ich nicht in Schmach vergangen, darum habe ich mein Angesicht wie einen Kiesel gemacht und weiß, dass ich nicht zuschanden werde. Nahe ist der, der mir Recht schafft (sdq hif.), ˙ wer will mit mir streiten? Lass uns gemeinsam hintreten! Wer ist mein Rechtsgegner? Er nahe sich mir! Siehe, der Herr JHWH hilft mir, wer ist es, der mich schuldig spricht (rš῾ hif.)? Siehe, sie alle zerfallen wie ein Kleid, die Motte frisst sie.
Dieses Bekenntnis, mit dem der Ebed seine Zukunft ganz in die Hand JHWHs legt, enthält allerdings eine offene Frage: Ist der Gottesknecht mit seiner Aufgabe, Israel wieder aufzurichten und zum „Licht der Völker“ zu werden (Jes 49,5 f, vgl. 42,1–4), gescheitert oder ist er in seiner Existenz und Funktion bewahrheitet? Diese offene Frage ist einer der Impulse, aus denen das vierte EJL entstanden sein wird. Breuning, „Sühne“, 81 (H. v. m.), s. dazu auch die Hinweise bei Janowski, aaO 7 Anm. 22 und Fabry, „Sühne“, 250 f. 84 Für die vier Gottesknechtslieder wird im Folgenden die Abkürzung EJL = Ebed JHWH‑Lieder verwendet. Entsprechend wird statt vom Gottesknecht zuweilen vom Ebed gesprochen. 85 S. dazu außer Hermisson, Deuterojesaja III (BK), 309 ff und Berges, Deuterojesaja II (HThK. AT), 208 ff noch Kutsch, Leiden, 169 ff; Janowski, Stellvertretung, 67 ff; Hermisson, Lohn 179 ff; Schenker, Knecht, 65 ff; Hägglund, Isaiah 53, 35 ff; Blum, Gottesknecht, 145 ff; Jeremias, Theologie, 274 ff und Feldmeier / Spieckermann, Menschwerdung, 151 ff. 86 S. dazu Hermisson, Israel, 197 ff; Jeremias, ebd. und Feldmeier / Spieckermann, aaO 146 ff. 83
484 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Im Unterschied zum vierten EJL (Jes 52,13–53,12) besteht die Aufgabe des Ebed nach den ersten drei EJL (Jes 42,1–4; 49,1–6; 50,4–9) darin, Jakob / Israel zur Hinwendung zu JHWH zu veranlassen und es zu einem aktiven, JHWH und der Völkerwelt zugewandten Gottesknecht zu machen.87 Da sich Israel dieser Rolle aber verweigert, obwohl es von JHWH als „Knecht“ erwählt und berufen ist (Jes 41,8 ff; 44,1 ff.21 ff u. ö.), vertritt der prophetische Gottesknecht vom ersten Lied an nicht seine eigene, sondern die Sache JHWHs. Das vierte EJL nimmt demgegenüber eine Position post mortem servi Dei ein. Hier spricht wohl der Schülerkreis Deuterojesajas, der das Leiden des Ebed als stellvertretende Lebenshingabe (V. 10) zugunsten der „Wir“ (Jes 53,1–11aα) deutet.
Das vierte EJL, in dem „auf das Leiden des Knechts schon zurück- und auf seine Erhöhung durch Gott vorausgeblickt (wird)“88, besteht aus einem Rahmen, in dem der künftige Erfolg und die neue Sicht des Ebed angekündigt werden (A/A’), und dem Korpus (B), in dem die frühere und die jetzige Sicht der „Wir“-Gruppe gegeneinander gestellt (53,2–6) und die Lebenshingabe des Ebed aus der Perspektive seiner künftigen Erhöhung thematisiert werden (53,7–11aα). Beide Abschnitte des Mittelteils sind noch einmal zweigeteilt (V. 2 f.4–6 und V. 7–9.10–11aα): A Der künftige Erfolg des Ebed (JHWH‑Rede) 13 Siehe, mein Knecht wird Erfolg haben, er wird sich erheben und erhaben und sehr hoch sein. 14 Wie sich viele über 〈ihn〉 entsetzten – so unmenschlich entstellt war sein Aussehen und seine Gestalt menschenunähnlich –, 15 so werden viele Völker 〈sich erregen〉, seinetwegen werden Könige ihren Mund verschließen, denn was ihnen nie erzählt wurde, haben sie gesehen, und was sie nie gehört haben, haben sie vernommen.
B Leidensexistenz und Lebenshingabe des Ebed (Wir-Rede) Kenntnis des JHWH‑Orakels bei den Wir 1 Wer hätte der Kunde geglaubt, die uns (zuteil) wurde, und der Arm JHWHs – über wem hat er sich enthüllt?
87
In Jes 40–55 ist zu unterscheiden zwischen Aussagen, die mit „Gottesknecht“ eine Gruppe namens „Jakob / Israel“ bezeichnen (Jes 41,8 f; 44,1 f.21 f; 45,4; 48,20), und Texten (innerhalb und außerhalb der EJL), in denen eine anonyme Einzelperson „Gottesknecht“ genannt wird (außerhalb der EJL: Jes 42,19[?]; 43,10; 44,26). Dieser „Knecht“ soll den „Knecht“ Jakob / Israel zu JHWH „zurückbringen“ (šûb pol./hif. Jes 49,5 f), indem er ihn zur „Hinwendung“ (šûb q. Jes 44,22) zu JHWH aufruft. Man kann das die rückführende Tätigkeit des Gottesknechts nennen. Genau dies hat der anonyme Prophet Deuterojesaja in seiner Verkündigung getan. Daraus lässt sich der Schluß ziehen, dass der außerhalb der EJL auftretende, aber von Jakob / Israel unterschiedene Gottesknecht der Prophet selber ist, s. dazu Hermis son, Israel, 197 ff. 88 Jeremias, aaO 277.
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Leidensexistenz des Ebed Frühere Sicht: Abwendung der Wir vom Ebed (Isolierung) 2 3
Er wuchs auf wie ein Schössling vor 〈uns〉 und wie eine Wurzel aus dürrem Land. Keine (schöne) Gestalt hatte er und keinen Glanz, dass wir ihn angesehen, und keine Ansehnlichkeit, dass wir an ihm Gefallen gefunden hätten. Er war verachtet und verlassen von Menschen, ein Mann der Schmerzen und mit Krankheit vertraut, und wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt, war er verachtet und wir schätzten ihn nicht.
Jetzige Sicht: Leiden des Ebed für die Wir (Stellvertretung) 4 5 6
Fürwahr: unsere Krankheiten – er trug (nāśā᾽) sie, und unsere Schmerzen – 〈er〉 schleppte (sābal) sie.89 Wir aber hielten ihn für einen Getroffenen, für einen von Gott Geschlagenen und Gebeugten. Er aber war durchbohrt wegen unseres Frevels, zerschlagen wegen unserer Verkehrtheiten. Züchtigung zu unserem Heil lag auf ihm, und durch seine Strieme wurde uns Heilung zuteil. Wir alle irrten umher wie Schafe, ein jeder kümmerte sich um seinen Weg. Aber JHWH ließ ihn treffen (pg῾ hif.)90 die Verkehrtheit von uns allen.
Lebenshingabe des Ebed Leidensweg 7 8 9
Er wurde bedrängt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf, wie ein Schaf, das zur Schlachtung gebracht wird, und wie ein Mutterschaf, das vor seinen Scherern stumm ist, so tat er seinen Mund nicht auf. Aus Haft und Gericht wurde er weggerafft, und was seine Generation betrifft – wer bedenkt (es)? Denn er wurde abgeschnitten vom Land der Lebenden, wegen des Verbrechens 〈seines〉 Volks 〈wurde er zu Tode getroffen〉. Und man gab (ihm) bei Frevlern sein Grab und bei 〈Übeltätern〉 seine 〈Grabstätte〉, obwohl er keine Gewalttat verübt hatte und in seinem Mund kein Trug war.
89 Zum
„Tragen“ bzw. „Schleppen“ der Krankheiten / Schmerzen bzw. der Verschuldungen / Verfehlung (V. 11b.12b) s. Hägglund, Isaiah 53, 82 ff. 90 Zu den pg῾ hif.‑Aussagen in V. 6b (Subj. JHWH) und V. 12b (Subj. Ebed) s. Spieckermann, Konzeption, 145 und Janowski, aaO 83 Anm. 61.
486 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Leidensdeutung 10 Aber JHWH hatte es geplant (hāpes), ihn zu schlagen, ˙ ˙ 〈heilte den, der〉 als Schuldtilgung (᾽āšām)91 sein Leben (næpæš) 〈einsetzte〉.92 Er wird Nachkommenschaft sehen, lange leben, und JHWHs Plan (hepæs) – durch ihn wird er gelingen. ˙ ˙ 11 Wegen der Mühsal seines Lebens (næpæš)93 wird er 〈Licht〉 sehen, sich sättigen.
A’ Die neue Sicht des Ebed (JHWH‑Rede) 11 Durch seine Erkenntnis macht gerecht [ein Gerechter,] mein Knecht die Vielen, und ihre Verschuldungen – er schleppt (sābal) sie. 12 Darum gebe ich ihm Anteil unter den Vielen, und mit Zahlreichen wird er Beute teilen dafür, dass er sein Leben dem Tod preisgegeben hat und zu Verbrechern gerechnet wurde. Er aber trug (nāśā᾽) die Verfehlung der Vielen und für die Verbrecher trat er ein (pg῾ hif.).
Da es in Jes 40–55 und in den ersten drei EJL um die Rettung Israels geht (vgl. Jes 49,5 f mit Jes 44,21 f),94 kann nur das Leben, das der Gottesknecht in Handlungs- und Willenseinheit mit JHWH hingibt, Israel aus seiner Schuldverfallenheit lösen. Ohne diese Hingabe, die als Einsatz des Lebens zur „Schuldtilgung“ (᾽āšām Jes 53,10aβ)95 bezeichnet wird, bliebe Israel dem eigenen Tun/Ergehen-Zusammenhang verhaftet, müsste also die Folgen seines Tuns selber tragen. Es trägt diese Folgen aber nicht selbst, sondern es – bzw. die „Wir“-Gruppe – erkennt, dass dies ein anderer, der Gottesknecht, für es / sie getan hat. Der Umbruch zu dieser neuen Erkenntnis erfolgt in V. 2–6. Während V. 2 f die frühere Sicht der Wir und damit die Abwendung Israels vom Gottesknecht beschreiben, setzt V. 4 mit der jetzigen Sicht ein, mit der die Wir auf dieses frü here Stadium zurückblicken: „Fürwahr: unsere Krankheiten – er trug sie“ (V. 4a). Das Leiden des Gottesknechts – so erkennen sie jetzt – war nicht die Folge seines eigenen, sondern ihres, also eines fremden Tuns. Indem die Wir aufgrund des JHWH‑Orakels Jes 52,13–15 zu ihrer jetzigen Sicht gelangen, können sie sich den unheilvollen Konsequenzen ihres Tuns stellen. Jes 53 hat diesen Vorgang 91 92
93 94 95
Zur Bedeutung von ᾽āšām als „Schuldtilgung“ s. Knierim, Art. ᾽āšām, 251 ff; Janowski, aaO 87 ff und Schenker, Unreinheit, 8 ff. Oder: „Aber JHWHs Plan war es, ihn zu schlagen 〈 〉, er setzte sein Leben als Schuldtilgung ein“, s. dazu Hermisson, Deuterojesaja III (BK), 395 ff, anders Berges, Deuterojesaja (HThK. AT), 213.215 f und Feldmeier / Spieckermann, Menschwerdung, 156 mit Anm. 22. Möglich ist auch eine temporale Auffassung („nach“) der Präpostion min, s. dazu Hermis son, aaO 401. S. dazu ders., Israel, 197 ff. S. dazu im Folgenden.
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der Stellvertretung in seiner ganzen Dramatik entfaltet und seine beunruhigende wie befreiende Seite aufgedeckt. Er ist beunruhigend, weil ein Unschuldiger sich schlagen lässt, ohne zurückzuschlagen, und alle Gewalt auf sich zieht, um ihre Macht zu brechen. Und er ist befreiend, weil dieser Vorgang nicht einfach so hingenommen wird, sondern die Wir an ihm ihre eigene Schuld erkennen. Der Schuldige erkennt, dass er schuldig ist – das ist der Anfang der Veränderung. So einsichtig dieser Zusammenhang ist, so befremdlich wirkt der Gedanke, dass Gott selbst aktiv in das Geschehen involviert ist. „Musste“ also der Ebed aufgrund der Initiative Gottes leiden und sterben? Jes 53,4–6 fasst dieses Problem in die anstößige Aussage, dass JHWH den Knecht „die Verkehrtheit von uns allen treffen ließ“ (V. 6b), ja, dass er „es geplant hatte, ihn zu schlagen“ (V. 10aα). Beide Wendungen sind im Kontext von V. 2–10aβ aufeinander bezogen. Ebenso sind die Aussagen, die vom Ebed als handelndem Subjekt sprechen (V. 4a und V. 7aα) aufeinander bezogen. Neben der passiven, auf Leiden und Tod bezogenen Rolle, wird die aktive, auf die stellvertretende Lebenshingabe bezogene Rolle des Ebed betont. Bemerkenswert ist dabei, dass der Ebed in beiden Abschnitten als Leidender präsentiert und sein Leiden in der „Sprache des Passivs“96 dargestellt wird. Dazu zählen die Passivformulierungen in V. 4b.5.7.8 und in V. 3. Andererseits wird aber auch die aktive Rolle des Knechts betont, indem beide Abschnitte mit betontem „er“ einsetzen (V. 4aα und V. 7aα) und von einem stellvertretenden Schuldtragen auch in V. 11.12b die Rede ist. Überdies findet in den Eingangsversen/-zeilen beider Abschnitte ein Umschlag vom Aktiv zum Passiv (V. 4a / b) bzw. vom Passiv zum Aktiv (V. 7aα) statt, so dass von der „aktiv-passive(n) Gestalt des Ebedauftrags an Israel“97 zu sprechen ist. Dieses Ineinander beider Aspekte ist besonders in den Anfangsworten von V. 7 greifbar: Er wurde bedrängt, aber er beugte sich und tat seinen Mund nicht auf … Während das erste Verb (ngś nif.) passivisch zu verstehen ist, ist das zweite Verb (῾nh nif.) reflexiv gemeint. Diese Differenz „soll bei gleicher Nifal-Form durch das hervorhebende whw᾽ [,aber er‘] deutlich werden: Die Bedrängnis kommt von außen, das Sich-Beugen ist Reaktion des Knechts“98. Diese Reaktion wird durch die Wendung „und tat seinen Mund nicht auf “ (V. 7aβ // 7b), die das Bildwort von Schaf // Mutterschaf (V. 7aγδ) rahmt, noch gesteigert. Neben der aktiven Leidensübernahme durch den Ebed wird aber auch das Handeln JHWHs hervorgehoben. Sowohl in V. 6b als auch in V. 10aα wird JHWHs Mitwirkung am Geschick des Ebed durch betont gesetztes „aber JHWH“ eingeführt und seine Rolle im Gesamtgeschehen als planvolles Handeln gekennzeichnet („er ließ ihn treffen …“, „er plante, ihn zu schlagen“). Dieser Zusammenhang zwischen der Aktivität des Ebed und der Spieckermann, Konzeption, 144. Steck, Aspekte, 43, vgl. die Argumentation 41 ff, ferner Spieckermann, aaO 144 f; Janowski, Stellvertretung, 84 ff u. a. 98 Hermisson, Deuterojesaja III (BK), 324. 96 97
488 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Aktivität JHWHs lässt sich nur im Sinn einer Willensgemeinschaft zwischen Gott und seinem Knecht mit dem Ziel der „Schuldtilgung“ (᾽āšām) für die Vielen verstehen. Das bringt auch die Leidensdeutung V. 10aαβ mit ihren beiden Aspekten Plan JHWHs und Lebenshingabe des Ebed zum Ausdruck: Aber JHWH hatte es geplant, ihn zu schlagen, 〈heilte den, der〉 als Schuldtilgung sein Leben 〈einsetzte〉.
Plan JHWHs Lebenshingabe des Ebed
Was aber ist das für ein Gott, der seinen „Erwählten“ (Jes 42,1) preisgibt und der Gewalt seiner Feinde ausliefert? Der ihn möglicherweise ,opfert‘99, um Israel zu retten? Diese Frage berührt den empfindlichsten Punkt des vierten EJL. Man kann sie aber nicht beantworten, ohne die Fortsetzung von V. 7 ff in den Blick zu nehmen: 10aγ Er wird Nachkommen sehen, er wird lange leben, b und JHWHs Plan – durch ihn wird er gelingen.
Man muss diesen Satz vor dem Hintergrund der ersten drei EJL lesen: JHWH – und das ist sein „Plan“ – hat seinen Knecht nach Jes 42,1–4 zu einem Weg be auftragt, der ihn Zug um Zug an die Stelle anderer treten lässt. Damit übernimmt er handelnd und leidend ein fremdes Geschick, das an ihm zur vollen Auswirkung kommt. Aber warum dieser dramatische, Abweisung, Leiden und Tod des Unschuldigen mit sich bringende ,Rollentausch‘? Warum eine Rettung der Vielen auf Kosten des Einen? Um die Vielen von den bösen Folgen ihres bösen Tuns zu lösen, konkret: um Israel nach der Katastrophe von 587 v. Chr. zu JHWH „zurückzubringen“ (Jes 49,5 f, vgl. 44,21 f) und damit Zeugnis abzulegen für den Gott, der „seinen Plan nur durch Gottesknecht und Israel gemeinsam zum Ziel (bringt)“100. Im Leidens- und Todesgeschick des Gottesknechts vollzieht sich demnach eine Stellvertretung für die Sünder (die „Wir“ von Jes 53), die als der von JHWH bestimmte Weg zum Heil beschrieben wird. Ausschlaggebend dafür ist nach E. Haag das Mittlertum des Gottesknechts, durch dessen Einsatz JHWH seinen Heilsplan vollendet: „Das Mittlertum des Knechts und dessen Stellvertretung hängen … von dem Einsatz des Erwählten bei der Offenbarung Jahwes ab. Hierbei aber geht es darum, daß Gott die schon bei der Auserwählung Israels geoffenbarte Liebe (Dtn 7,6–8) auch bei dem Zusammenstoß mit dessen Sünde nicht vergißt und aufgibt (Hos 11,8 f), sondern sie trotz allem Widerstand von seiten Israels am Ende siegen läßt (Jer 31,3). Für den Mittler aber, der bei dieser Heilszuwendung Jahwes in der Nachfolge (Jer 2,2) seines Gottes steht, bedeutet dies, daß er den sich hierbei offenbarenden, auch zu letztem Opfer bereiten Erlöserwillen Jahwes sich ganz zu eigen macht und so das Leiden der
99
Zu der (m. E. zu verneindenden) Frage, ob Jes 52,13–53,12 opfertheologisch zu interpretie ren ist, s. Janowski, aaO 88 ff; ders., Ecce homo, 53 f Anm. 77 und Hermisson, aaO 397 ff. 100 Hermisson, Israel, 219, vgl. Steck, Aspekte, 42 f.
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Verkennung und Zurückstoßung, wie es Verstocktheit und abgründiger Haß verursachen können, willig erträgt und gerade so die durchgehaltene Liebe Jahwes bezeugt.“101
Es geht also um die Rettung Israels – deretwegen JHWH es aber zuließ, dass sein Knecht ins Leiden gerät.102 Israel, das zur Übernahme seiner Schuld nicht imstande war, musste – so der Duktus der vier EJL – aus ihr erlöst werden, um eine Zukunft zu haben. Eröffnet wird diese Zukunft durch die Stellvertretung, die der Gottesknecht in liebender Hingabe an Israel, den Gottesknecht (Jes 44,21 f), und in Bewahrheitung seiner Erwählung durch JHWH (Jes 42,1–4) ausübt. Ein anderer Weg, etwa der, den die vorexilische Gerichtsprophetie beschritten hatte, war gemäß der unbedingten Heilszusage von Jes 40–55 offenbar nicht gangbar. Es geht beim stellvertretenden Leiden des Gottesknechts also um die Rettung Israels und im Kontext der EJL um die Rettung der Völker. „Tiefer ist im Alten Testament weder früher noch später über das Leiden im Namen Gottes gesprochen worden.“103 b) Die Neuschöpfung des Sünders Altes Testament: Hartenstein, Gott, 491 ff ◆ Ders., „Spiritualisierung?“, 52 ff ◆ Hermisson,
Sprache ◆ Janowski, Buchreligion, 345 ff ◆ Ders., „Schlachtopfer“, 219 ff ◆ Markter, Transformationen ◆ Neuber, „Neues Herz“, 149 ff ◆ Radebach-Huonker, Opferterminologie ◆ Schmid, Kanon, 523 ff ◆ Sedlmeier, Transformationen, 203 ff ◆ Ders., „Im Geheimen“, 109 ff ◆ Wagner, Psalm 51, 33 ff. – Antike Religionen: Auffarth, Religion, 46 ff ◆ Rüpke, Religion, 15 ff ◆ Stroumsa, Ende, 21 ff.86 ff.
Die zweite gravierende Veränderung im Menschenbild der nachexilischen Zeit betrifft das Thema „Neuschöpfung“. Dieses Thema ist komplex und hat wie alle zentralen Themen eine längere Vor- und eine reiche Nachgeschichte.104 Seine Vorgeschichte hängt mit einer Transformation zusammen, die dann in späten Psalmen zum Ausdruck kommt und die als Akzentverschiebung vom Kult zur Anthropologie bezeichnet werden kann: Opfert Schlachtopfer der Gerechtigkeit und vertraut auf JHWH. (Ps 4,6) 〈Mein〉 Schlachtopfer, Gott, ist ein zerbrochener Geist, ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz verachtest du, Gott, nicht. 101 Haag,
Stellvertretung, 13. Die Frage, ob die EJL biographische oder individuelle Züge zu erkennen geben, wird von Blum, Gottesknecht, 145 ff verneint. Darauf kann hier nicht eingegangen werden, s. dazu aber Jeremias, Theologie, 279 f und Feldmeier / Spieckermann, Menschwerdung, 160 ff. 102 Von einer „Zulassung“ JHWHs ist auch in Hi 1,12 (erste Himmelsszene); 2,6 (zweite Himmelsszene) innerhalb der Rahmenerzählung des Hiobbuchs die Rede, s. dazu Janowski, Gott, 210 f. 103 Jeremias, aaO 281, vgl. Feldmeier / Spieckermann, aaO 159 ff. 104 Die Nachgeschichte hängt mit dem Phänomen zusammen, das von Stroumsa, Ende, 21 ff.86 ff als „Ende des Opfers“ bezeichnet wird, s. dazu auch Rüpke, Religion, 15 ff und Auffarth, Religion, 46 ff.
490 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Dann wirst du Gefallen haben an Schlachtopfern der Gerechtigkeit, an Brandopfern und Ganzopfern. Dann kann man Stiere auf deinem Altar darbringen. (Ps 51,19.21) Die Gaben meines Mundes nimm doch wohlgefällig an, JHWH, und lehre mich deine Rechtsentscheide! (Ps 119,108) Mein Gebet möge als Räucheropfer dastehen vor dir, das Erheben meiner Hände als Abendgabe! (Ps 141,2)
Während die Genitiverbindung „Schlachtopfer der Gerechtigkeit“ (Ps 4,6; 51,21) auf eine Wertung zielt (sog. gen. qualitatis), lässt sich in Ps 51,19; 119,108 und 141,2 eine deutliche Akzentverschiebung zur Anthropologie greifen. Das belegen die Körperbegriffe „Geist“, „Herz“, „Mund“ und „Hände“, die das Augenmerk auf den Beter und dessen Leiblichkeit lenken. Nicht blutige Schlacht- und Brandopfer, sondern, wie Ps 51,19 betont, „sich selbst als den an Herz und Geist erneuerten Menschen übergibt er seinem Gott“105. Diese Akzentverschiebung stellt aber, wie die Opfertermini „Schlachtopfer“, „Gaben“ und „Räucheropfer“ zeigen, keinen Auszug aus dem Kult und seinem Symbolsystem dar.106 Vielmehr ist sie eine tiefgreifende Transformation, die man als Metaphorisierung des Kults / der Kultbegriffe bezeichnen kann.107 α) Transformationen des Menschenbilds Die besagte Akzentverschiebung ist keine Besonderheit von Ps 51; 119 und 141. Sie lässt sich auch in anderen opferkritischen Psalmen wie in Ps 40 feststellen. Dieses individuelle Danklied besteht aus den Abschnitten Dank (V. 2–5), Bekenntnis (V. 6–11), Klage und Bitte (V. 12–18) und hat sein Herzstück in dem durch V. 6 und V. 10 f gerahmten Passus V. 7–9 mit seinem singulären Motiv der von JHWH gegrabenen Ohren. Denn dieses Motiv erklärt, wie es kommt, dass die Tora, von der bereits Ps 1,2 spricht,108 in das Innere des Beters gelangt und sich „inmitten seiner Eingeweide“ (V. 9) bzw. „inmitten seines Herzens“ (V. 11) befindet – nämlich über die Ohren, denen die Funktion des Hörens und Vernehmens / Gehorchens zukommt:
105 Hossfeld / Zenger,
Psalmen II (HThK.AT), 55 (Zenger [H. i. O.]). Hermisson, Sprache, 50.56 u. ö. 107 Entscheidend für die Metaphorisierung ist nach Hossfeld, Metaphorisierung, 22 f „die Offenheit für verschiedene Formen der Bedeutungserweiterung ohne Negation des Konkreten wie beim Begriff der ,Spiritualisierung‘“ (H. v. m.), s. dazu auch Janowski, Konfliktgespräche, 21 ff; Liess, Weg, 155 ff und Hartenstein, „Spiritualisierung?“, 52 ff. 108 Nach Ps 1,1 f wird der Mann glücklich gepriesen, „der nicht gegangen ist nach dem Rat von Frevlern …, sondern der an der Weisung (tôrāh) JHWHs sein Gefallen hat und seine Weisung rezitiert bei Tag und bei Nacht“. Zum Zusammenhang von Ps 40,7 und Ps 1,2 s. Janowski, „Schlachtopfer“, 217 ff. 106 Vgl.
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 491
6 Zahlreich gemacht hast du, du, JHWH, mein Gott, deine Wundertaten und deine Pläne für uns! Nichts ist dir gleichzustellen! Wollte ich (davon) erzählen und reden – (zu) viele sind es, um (sie) aufzuzählen. 7 An Schlachtopfer und Speisopfer hast du kein 7 Äußerer Kult Gefallen – Ohren hast du mir gegraben, Ohren Brandopfer und Sündopfer hast du nicht verlangt. 8 Einst sprach ich: „Siehe, ich komme, in der Buchrolle ist mir vorgeschrieben!“109 9 Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, habe ich 9 Innerer Gefallen, Mensch und deine Tora (ist) inmitten meiner Eingeweide (me῾îm). Eingeweide 10 Ich verkündigte Gerechtigkeit in großer Versammlung. Siehe, meine Lippen halte ich nicht zurück, Lippen JHWH, du, du weißt es! 11 Deine Gerechtigkeit verbarg ich nicht inmitten meines Herzens. Herz Von deiner Beständigkeit und Rettung sprach ich, nicht verhehlte ich deine Güte und Wahrheit der großen Versammlung. (Ps 40,6–11)
Charakteristisch für diesen Text ist zum einen die Semantik des „Grabens“ der Ohren (Subj. Gott), des „nicht Verschließens“ der Lippen (Subj. Mensch) bzw. des Erbarmens (Subj. Gott) und des „nicht Verbergens“ der Gerechtigkeit / Güte / Wahrheit (Subj. Mensch), durch die die Unmittelbarkeit der Gott/ Mensch-Beziehung zum Ausdruck gebracht wird. Zum anderen rahmen die in V. 7 aufgezählten Opfer, die den gesamten Opferkult repräsentieren sollen, die zentrale Wendung „graben“ (kārāh) + „Ohren“ (V. 7),110 die sich im Alten Testament nur hier findet und schöpfungstheologisch zu verstehen sein dürfte.111 Denn durch das „Graben“ der Ohren übereignet der Schöpfer dem Menschen die Fähigkeit, auf seine Tora zu hören und nach ihr zu handeln und damit seiner schöpfungsgemäßen Bestimmung zu entsprechen – oder sich zu verschließen und sie damit zu verfehlen. Das tut der Beter aber nicht (V. 10 f), im Gegenteil: die Tora befindet sich in seinen „Eingeweiden“ (me῾îm), also dort, wo nach 109 Damit
ist möglicherweise gemeint, dass der Beter in der Buchrolle (dem Dtn?) liest und in dem Geschriebenen den geoffenbarten Gotteswillen als die für sein Leben verbindliche Norm erkennt und anerkennt (V. 9a), s. dazu Janowski, aaO 214 Anm. 34. 110 Zum handwerklich konnotierten Verb kārāh „graben (Grube, Zisterne, Grab)“, s. Radebach-Huonker, aaO 101. 111 Vgl. Radebach-Huonker, ebd. und Kumpmann, Schöpfen, 83. Vom „Öffnen“ der Ohren ist auch in spätägyptischen Schöpfungshymnen die Rede, s. Q 24.
492 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Jer 4,19;112 Ps 22,15 und Klgl 1,20 (jeweils in Verbindung mit leb „Herz“) das Zentrum der menschlichen Person113 lokalisiert wird: Wie Wasser bin ich ausgegossen, und getrennt haben sich alle meine Gebeine. Geworden ist mein Herz wie Wachs, zerfließend in meinem Inneren (me῾îm). (Ps 22,15) Siehe, JHWH, wie bang mir ist, meine Eingeweide (me῾îm) glühen, umgestülpt ist mein Herz in meinem Inneren (qæræb), da ich widerspenstig trotze. Draußen hat das Schwert kinderlos gemacht, im Haus gleicht es dem Tod. (Klgl 1,20) Der locus classicus für die Vorstellung von der Tora im Herzen ist aber Jer 31,31–34 (dtr). Hier ist die Rede vom „neuen Bund“ (berît hadāšāh), der nicht wie der Bund sein wird, ˙ den JHWH mit den Vätern geschlossen hat, um sie aus Ägypten herauszuführen: … sondern folgender Art wird der Bund sein, den ich mit dem Haus Israel schneiden (schließen) werde nach jenen Tagen, Spruch JHWHs: Ich werde meine Weisung (tôrāh) in ihr Inneres (qæræb) geben, und auf ihr Herz werde ich sie schreiben, und ich werde ihnen Gott sein, und sie werden mir Volk sein. (Jer 31,33) Dieser Text ist im Alten Testament ohne Parallele, denn der einzige, der handelt, ist JHWH, während Israel ohne Initiative ist. Der neue Bund „wird / kann überhaupt nicht mehr gebrochen werden, weder vom Volk noch von einzelnen seiner Glieder, da die Tora zwar kollektive Verpflichtung bleibt (in die Mitte Israels geben), aber individuell verinnerlicht wird (auf das Herz jedes einzelnen Mitglieds Israels geschrieben). Die Berit ist so vollständig Gnaden-Berit, dass sie sich gegen alle denkbaren Widerstände durchsetzt“114. JHWH greift also in die schöpfungsmäßige Konstitution der Israeliten ein und „behebt den Konstruktionsfehler seiner Ägypten-Berit, indem er nicht die Bedingungen, sondern den Adressaten der Berit im Herzen verändert. Deswegen ist diese Berit tatsächlich etwas völlig Neues, eine neue Berit“115.
Ganz anders Ps 40,7–9, wonach der Beter tut, was JHWH wohlgefällt: nämlich nicht Opfer darzubringen (V. 7), sondern nach der Tora zu handeln, die in seinen
112 Zu
Jer 4,19 s. oben 166. me῾îm „Eingeweide, Inneres“ s. die Hinweise oben 145. 114 Groß, Zukunft, 151. 115 Ders., aaO 151 f. Im Blick auf diese Änderung des Herzens spricht Groß von einer „Implantations-Perspektive“ (aaO 151), vgl. Krüger, Herz, 128. 113 Zu
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 493
Eingeweiden ist. Es ist also nicht vordergründige Opferkritik, die sich in diesem Text niederschlägt, sondern – wie der einleitende Dank für Rettung aus Todesgefahr (V. 2–5) verdeutlicht – „die auf dem Boden der tiefgründigen Dankopferfrömmigkeit gewachsene volle Einbeziehung des Menschen in das Wesen des Opfers“116. Wenn das „Wesen des Opfers“ der Glaube Israels war, dass JHWH seinem Volk nahekommt und der Kult der Ort ist, wo dies sinnfällig wird (vgl. Ex 20,24–26),117 so wird dieser Sinn durch die kultkritischen Psalmen transformiert. Angewendet auf Ps 40: Die hörende und tätige Hinwendung des Menschen zu Gott (V. 7aα.9a), dessen Tora in seinen Eingeweiden ist (V. 9b), ist als solche „die ,Opfergabe‘, mit der der Beter für seine Rettung danken will“118. Es ist diese Form des unmittelbaren, bis in die Leiblichkeit (Ohren, Eingeweide, Lippen, Herz) reichenden Gottesbezugs, die die kultkritischen Psalmen von der prophetischen Kultkritik unterscheidet und sie zu besonderen Zeugnissen der persönlichen Frömmigkeit macht. Dieser Perspektive ist auch Ps 51 verpflichtet. β) Reines Herz und erneuerter Geist Ps 51, der zusammen mit Ps 6; 32; 37; 102; 130 und 143 zu den sieben kirchlichen Bußpsalmen gehört,119 stellt ein nachexilisches Bittgebet eines Einzelnen mit biographischer Überschrift (V. 1 f) und zionstheologischer Fortschreibung (V. 20 f) dar.120 Während das Sündenbekenntnis in den Individualpsalmen auffallend zurücktritt – dominant sind hier vielmehr die (An-)Klage und die Unschuldsbeteuerung121 –, tritt es in Ps 51,3–14 beherrschend in den Vordergrund: Thema: Invocatio und einleitende Bitte um Reinigung 3 4
Sei mir gnädig, Gott, nach deiner Güte, nach der Fülle deiner Barmherzigkeit wisch ab meine Verbrechen! Wasche mich ganz rein von meiner Verkehrtheit, und von meiner Verfehlung reinige mich!
Erkenntnis und Bekenntnis der Sünde 5 6
Denn meine Verbrechen – ich, ich erkenne (sie), und meine Verfehlung ist beständig vor mir. An dir allein habe ich gesündigt (hātā᾽), ˙ ˙ und das Böse in deinen Augen habe ich getan,
116 Gese,
Herkunft, 121. dazu oben 313 f. 118 Hossfeld / Zenger, Psalmen I (NEB), 256 (Zenger), vgl. Braulik, Psalm 40, 136 u. a. 119 Zu Ps 51 s. außer den Kommentaren noch Hartenstein, Gott, 503 ff; Wagner, Psalm 51, 33 ff; Sedlmeier, „Im Geheimen“, 109 ff; Markter, Psalm 51, 139 ff; Neuber, „Neues Herz“, 149 ff und Holt, „Purge me“, 105 ff. 120 In der Gliederung folge ich Irsigler, Mensch, 296 ff, vgl. Hartenstein, aaO 504 ff, anders Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 45 ff (Zenger) und Sedlmeier, aaO 116 ff. 121 S. dazu Janowski, Konfliktgespräche, 39 ff. 117 S.
494 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament so dass / damit122 du dich als gerecht erweist in deinem Reden, makellos in deinem Richten. 7 Siehe, in Schuld wurde ich in Wehen geboren, und in Verfehlung hat mich empfangen meine Mutter. 8 Siehe, an Wahrheit hast du Gefallen im Innersten (tuhôt), ˙ ˙ 123 und im Geheimen (sātum) lässt du mich Weisheit erkennen.
Bitten um Vergebung und Neuschöpfung 9 Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde, wasche mich, dass ich weißer werde als Schnee! 10 Lass mich hören Wonne und Freude, es sollen jauchzen die Gebeine, die du zerschlagen hast! 11 Verbirg dein Angesicht vor meinen Verfehlungen, und alle meine Verkehrtheiten wisch ab! 12 Ein reines Herz (leb tāhôr) erschaffe mir, Gott, ˙ Geist (rûa und einen beständigen h nākôn) erneuere in meinem ˙ Inneren (qæræb)! 13 Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und deinen heiligen Geist (rûah qådšekāh) nimm nicht von mir! ˙ 14 Bring mir zurück die Wonne deiner Rettung, und mit einem willigen Geist (rûah nedîbāh) sollst du mich stützen! ˙
Dieser erste Teil des Psalms wird in V. 3 f mit einem eindringlichen Appell an den Gott eröffnet, der sich nach der sog. Gnadenformel Ex 34,6 f als ein Gott vorgestellt hat, der Verkehrtheit, Verbrechen und Vergehen vergibt, aber den Sünder nicht aus der Haftung für sein Tun entlässt.124 Durch die drei Verben „ab-/ wegwischen“ (māhāh), „waschen“ (kbs pi.) und „reinigen“ (thr pi.), mit denen in ˙ ˙ Ps 51,3 f (vgl. V. 9–11) um die Reinigung von der Sünde gebeten wird, wird diese als ,Schmutz‘ qualifiziert, der den Menschen von innen her verunreinigt. Die Opposition Rein vs. Unrein ist Ausdruck eines komplexen, auf die symbolische Ordnung der Wirklichkeit ausgerichteten Systems, das eine eigene Logik besitzt125 und auch im Alten Testament eine zentrale Rolle spielt. In Ps 51,9 (Ysop // Waschung) ist allerdings nicht (mehr) von einem konkreten Reinigungsritus die Rede, vielmehr wird mit Hilfe kultischer Begrifflichkeit von einer Unreinheit und ihrer Beseitigung gesprochen, die in die Tiefen menschlicher Existenz hinabreicht.126 konsekutiven oder finalen Auffassung s. Sedlmeier, aaO 124 Anm. 68. rätselhaften V. 8 s. Sedlmeier, aaO 136: „Die Gott wohlgefällige ,Wahrheit … im Verborgenen‘ und die von ihm ,im Geheimen‘ kundgetane ,Weisheit‘ bestünden demnach darin, die vom Wesen her sündige Existenz des Menschen als solche wahrzunehmen. Die Wahrheit ist die des Sünderseins, die Weisheit besteht darin, diese Einsicht als Gegebenheit zu realisieren“ (135) – und damit den entscheidenden Schritt zu einer „lebensvolle(n) Perspektive für die Zukunft“ (ders., ebd.) zu tun. 124 Zu Ex 34,6 f s. Janowski, Gott, 156 ff mit der dortigen Lit. 125 S. dazu oben 445 ff. 126 S. dazu Irsigler, aaO 297 ff.310 f. Zur Reinigung mit Ysop s. Lev 14,1 ff; Num 19,14 ff u. ö. 122 Zur
123 Zum
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 495
Diese Tiefendimension ergibt sich vor allem aus V. 5–8. Denn hier hält sich der Beter – nicht aus eigener Einsicht, sondern angeleitet durch die Gabe der unverfügbaren Wahrheit und Weisheit Gottes (V. 8)! – seine Sünde(n) vor Augen und bekennt, dass er nicht gegen dies und das, sondern allein an Gott gesündigt hat (V. 6, vgl. 2 Sam 12,13). Was er dabei erkennt, nämlich seine eigene Fehlbarkeit, ist schwerwiegend. Sie kommt aus einer rätselhaften Tiefe seiner Existenz und bestimmt diese von Anfang an.127 Das zeigt die Rede von Geburt und Empfängnis (V. 7), die deutlich macht, dass er Teil einer sozialen Gemeinschaft ist, in die er hineingeboren wird, in der er lebt und von der er sich als handelnde Person nicht dispensieren kann. Die menschliche Schulderfahrung gründet in Unheilszusammenhängen, die täglich aufbrechen können und die eine überindividuelle Dimension haben. Das meint das Symbol der Geburt: „Wir haben kein Recht, über das bereits vorfindliche Böse außerhalb des Bösen, das wir setzen, zu spekulieren. Hier liegt zweifellos das letzte Geheimnis der Sünde: Wir beginnen das Böse, durch uns kommt es in die Welt, aber wir beginnen es von einem bereits vorhandenen Bösen aus, wofür unsere Geburt das undurchdringliche Symbol bildet.“128
Nur eine fundamentale Neubestimmung kann dem Sünder eine neue Sicht auf sein Leben eröffnen. Diese wird in V. 12–14 mit Hilfe der Verben „erschaffen“ (bārā᾽) und „neu machen“ (hdš pi.) als Neuschöpfung qualifiziert. Sie ist keine ˙ Wiedererlangung einer ehemals vorhandenen Reinheit, sondern eine „bleibende Verwandlung“129 des sündigen Menschen, die durch einen kreativen Akt Gottes in dessen Personzentrum, nämlich in seinem „Herzen“ (leb V. 12a. 19b) und in seinem „Geist“ (rûah V. 12b. 13b. 14b. 19a) geschieht. Dieser Sachverhalt lässt sich ˙ durch einen Vergleich mit Ez 36,24–28 noch vertiefen. Während das Herz als Sitz der Gefühle, des Verstandes und des Willens das Zentralorgan des Menschen ist,130 ist der Geist, wie vor allem Ez 11,19 f und 36,24–28 zeigen,131 die Quelle der von Gott geschenkten Lebenskraft: 24 Ich nehme euch heraus aus den Völkern, und ich sammle euch aus allen Ländern und bringe euch in euer Land.
127 Es
geht hier nicht um „Erbsünde“ im traditionellen Sinn, sondern um „eine von Anfang an gegebene Schuldverhaftung als allgemeine Sündhaftigkeit von den Anfängen menschlicher Existenz her“ (Irsigler, aaO 307), also um eine überindividuelle Schuldverstrickung vom Lebensbeginn an, s. dazu auch Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 51 f (Zenger) und Sedlmeier, aaO 126 Anm. 74. 128 Ricœur, Erbsünde, 161, vgl. Hartensein, Gott, 507. 129 Irsigler, aaO 310, vgl. Hossfeld / Zenger, aaO 50. 130 S. dazu oben 154 ff. 131 Zu diesen beiden Texten s. Hossfeld / Zenger, aaO 52 f; Krüger, Herz, 127 ff; Irsigler, aaO 312 f; Sedlmeier, Transformationen, 219 ff; ders., Ezechiel II (NSK.AT), 197 ff; Markter, Transformationen, 420 ff und ders., Psalm 51, 139 ff.
496 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament 25 Und ich sprenge über euch reines Wasser und ihr werdet rein sein. Von allen euren Unreinheiten und von allen euren Götzen werde ich euch rein machen. 26 Und ich gebe euch ein neues Herz (leb hādāš), und einen neuen Geist ˙ (rûah hadāšāh) gebe ich in euer Inneres (qæræb). ˙˙ Und ich entferne das Herz von Stein aus eurem Fleisch und gebe euch ein Herz von Fleisch. 27 Und meinen Geist gebe ich in euer Inneres (qæræb), und ich mache, dass ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Rechts entscheide bewahrt und sie tut. 28 Dann werdet ihr in dem Land wohnen, das ich euren Vätern gegeben habe, und ihr werdet mir zum Volk, ich werde euch zum Gott. (Ez 36,24–28) Es ist ein Grundzug ezechielischer Anthropologie, die Herzensverhärtung Israels mit Hilfe der Wendungen „verhärtetes Herz “ (Ez 3,7, vgl. Ez 2,4) und „Herz aus Stein“ (Ez 11,19; 36,26) zu beschreiben und darin die Abkehr von JHWH und die eigene Verlorenheit wahrzunehmen.132 Bei dieser Diagnose bleibt das Ezechielbuch aber nicht stehen. Vielmehr geht es ihm um die Überwindung dieser lebensfeindlichen Verhärtung, die „nur in der Konfrontation mit dem lebensgebenden und Leben einfordernden Gott im Gericht geschehen (kann)“133. Im göttlichen Gericht geschieht beides: die Konfrontation mit der bisherigen Existenz („Herz aus Stein“), die als „Zerbrechen“ qualifiziert wird (Ez 6,9), und zugleich die fundamentale Erneuerung des Menschen, wie sie in Ez 11,14–21; 16,59–63; 20,39–44; 36,16–28 und 37,1–14.15–28 thematisiert wird. Das neue Heilshandeln Gottes, das nach Ez 36,28 sachlich in einen neuen Bund mit Israel mündet (zweigliedrige Bundesformel),134 wird nach Ez 36,25–27 zum einen durch anthropologische Transformationen – „neues Herz“ und „neuer Geist“ vs. „Herz aus Stein“ (V. 25 f) – und zum anderen durch den Geist Gottes herbeigeführt, den dieser in das „Innere“ (qæræb) des JHWH‑Volkes gibt (V. 27).135
Ein ähnlicher Transformationsprozess geschieht in Ps 51,9–14. Gegenüber seiner Vorlage Ez 36,24–28 geht dieser Text allerdings einen Schritt weiter, indem er nicht vom göttlichen „Geben“ des neuen Herzens (// des neuen Geistes) in das Innere des Menschen (vgl. Ez 36,26), sondern vom „Erschaffen“ (bārā᾽) des reinen Herzens durch Gott spricht (V. 12) und damit den Übergang von einer Transformations- zu einer Neuschöpfungsaussage vollzieht.136 Beide, Herz und Geist, sollen „rein“ und „neu“ werden, damit der Beter das mit dem Herzen Erkannte zuverlässig („beständiger Geist“ V. 12b) und hingebungsvoll („williger Geist“ V. 14b) tun kann. Das ist aber nur möglich, weil und sofern Gott sein Angesicht dazu Sedlmeier, Transformationen, 205 ff.230 ff und Markter, Transformationen, 330 ff. aaO 231. 134 Begrifflich ist vom „neuen Bund“ nur in Jer 31,31 die Rede, s. dazu oben 492. 135 S. dazu ders., aaO 230, vgl. ders, Ezechiel II (NSK.AT), 204 f. Die Frage, ob in Ez 18,31 eine anthropologische Perspektive greifbar wird, die im Gegensatz zu Ez 11,19 f und 36,24 ff steht, wird kontrovers diskutiert, s. dazu einerseits Sedlmeier, Ezechiel I (NSK.AT), 254 und andererseits Saur, Verantwortung, 203 ff. 136 Vgl. Markter, aaO 142 ff.
132 S.
133 Sedlmeier,
§ 11 Menschenbilder im Zweiten und Dritten Kanonteil 497
nicht vom Beter abwendet (V. 13a) und seinen „heiligen Geist“ nicht von ihm wegnimmt (V. 13b), sondern die „Wonne“ seiner Rettung zu ihm „zurückbringt“ (V. 14a) – obwohl der Beter um seine Fehlbarkeit weiß. Das ist paradox! „Wir spüren“, kommentiert H. Irsigler treffend, „die Spannung zwischen der Vorstellung von Verlierbarkeit heilvoller Erfahrung und intentionaler Endgültigkeit der Neuschöpfung durch Gott“137. Die Dringlichkeit, mit der in V. 12 um die „Beständigkeit“ des Geistes gebeten wird, macht diese Spannung unübersehbar. Wenn man auf den Gebetsprozess des ersten Teils zurückblickt, wird deutlich, dass sich das, was Ps 51 unter Neuschöpfung versteht, nicht von selbst einstellt. Es bedarf der Erkenntnis und Anerkenntnis der eigenen Sünde. Das aber gehört zum Schwersten. Niemand ist aus sich allein zu solcher Erkenntnis fähig, sie bedarf des Anstoßes von außen, der – wie der Beter von Ps 51 weiß – von Gott kommt: „Siehe, an Wahrheit hast du Gefallen im Innersten, und im Geheimen lässt du mich Weisheit erkennen“ (V. 8). Und weil der Beter um diese Initiative Gottes weiß und sie zu erleben hofft, setzt er im zweiten Teil mit einem Gelübde (V. 15) und nochmaligen Bitten (V. 16 f) ein: 15 Ich will lehren Verbrecher deine Wege, dass Sünder zu dir zurückkehren. 16 Errette mich aus Blutschuld, Gott, Gott meiner Rettung, dass meine Zunge juble über deine Gerechtigkeit(stat)! 17 Herr, meine Lippen sollst du öffnen, so wird mein Mund verkünden dein Lob!
Hier geht es nicht um eine äußerliche Belehrung der Sünder, sondern um eine werbende Einsicht in die „Wege“ Gottes, wie sie der Beter selbst gewinnt und die auch die Sünder zu Gott „zurückkehren“ lassen kann (šûb q., vgl. V. 14a: šûb hif.). Solche Einsicht, die vor einer todbringenden Gefahr („Blutschuld“ V. 16a)138 warnt, macht frei und drängt zum jubelnden Gotteslob (V. 16b.17). Dieses wird in V. 18 f opfertheologisch begründet. Es ist aber, wie die auf die Metaphorik der „zerschlagenen Gebeine“ (V. 10)139 zurückgreifende Formulierung in V. 19 zeigt, ein Opfer sui generis: 18 Denn ein Schlachtopfer gefällt dir nicht, und gebe ich ein Brandopfer – du hast kein Wohlgefallen (daran), 19 〈Mein〉 Schlachtopfer, Gott, ist ein zerbrochener Geist (rûah nišbārāh) ˙ ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz (leb nišbār w enidkæh), Gott, verachtest du nicht.
137 Irsigler,
Mensch, 314. dieser „Blutschuld“ ist nach Irsigler, aaO 315 f die drohende Schuld am Tod des Sünders gemeint, den der Beter durch seine Lehre (lmd pi.) zu JHWH zurückführen will, s. zur Sache auch Hossfeld / Zenger, aaO 41. 139 Im Hintergrund dieser Metaphorik dürfte Ezechiels Vision von den Menschengebeinen stehen, die die Ebene füllen (Ez 37,1 ff), s. dazu Irsigler, aaO 307 u. a. 138 Mit
498 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Die vom Beter ersehnte und durch Reinigung von seiner Sünde geschenkte Neuschöpfung seiner Person – dafür stehen die anthropologischen Grundbegriffe „Herz“ und „Geist“ – kommt nur durch ein ,Zerbrechen‘ seiner bisherigen Existenz zustande. Dieses Motiv des zerbrochenen Herzens, das eine Metapher für die ,Gebrochenheit menschlicher Existenz‘ ist, gewinnt in nachexilischen Texten zunehmend an Bedeutung. Entscheidend ist dabei, dass Gott gegen oder für Israel handelt, dass er also zerbricht oder heilt bzw. sich zuwendet. Erhellend für das Verständnis dieses Motivs ist Ez 6,8–10,140 wonach das abtrünnige Israel im Gericht mit seinem eigenen Versagen konfrontiert und dadurch bis auf den Grund erschüttert wird: 8 Und ich lasse einen Rest übrig: Wenn von euch dann dem Schwert Entronnene unter den Völkern sind, wenn ihr in die Länder zerstreut seid, 9 dann werden eure Entronnenen meiner gedenken unter den Völkern, wohin sie weggeführt wurden; sie, denen ich ihr hurendes Herz (leb hazzônæh) zerbrach (šābar), das gewichen ist weg von mir, und ihre Augen, die hinter ihren Götzen her hurten, und sie werden sich ekeln vor sich selbst wegen all des Bösen, das sie getan haben. 10 Dann werden sie erkennen, dass ich, JHWH, nicht umsonst geredet habe, ihnen dieses Böse zu tun.
Das Ausmaß der Erschütterung über das eigene Tun kommt nach V. 9 in Israels Ekel vor sich selbst zum Ausdruck (qût nif. „sich ekeln“ + bipnêhæm „in / mit ˙ eurem Angesicht“, vgl. Ez 20,43; 36,31).141 Von einem solchen Selbstekel ist in Ps 51,19 nicht die Rede, sondern von der Wende zu einem neuen Heil, die ihre anthropologische Verankerung im „zerbrochenen und zerschlagenen Herzen“ (// „zerbrochener Geist“) hat, das JHWH nicht „verachtet“ und damit den Beter in seinem Personsein heilt.
dazu Sedlmeier, Transformationen, 211 f. Jenni, Beth, 255 ist das Kontaktobjekt pānîm „nicht der Körperteil ,Angesicht‘, sondern ein stark verallgemeinerter Begriff für ,Selbst‘“. Da der Körperbegriff pånîm aber immer das mimische Ausdrucks- und das soziale Kommunikationsvermögen bezeichnet (s. dazu oben 148 ff), dient er auch hier zum Ausdruck der (negativen) Selbstwahrnehmung, so dass zwischen Körperteil und funktionalem Bedeutungsaspekt ein enger Zusammenhang besteht. Ausgelöst wird dieser Selbstekel dadurch, dass die Davongekommenen an JHWH „denken“ (V. 9) und so die Schwere des Geschehenen „erkennen“ können (V. 10).
140 S.
141 Nach
Nachtrag zu § 11 (S. 462 ff ) 1. Herrschaft und Heil – Anthropologie des Königtums a) Judäische Königsideologie (462 ff ) Zur Geschichte und Bedeutung des Königtums in Israel und Juda s. Oswald, Königtum, 200 ff. α) Der König als soziale Instanz (466 ff ) Zur Rolle des Königs nach Ps 72 s. Riede, Mensch, 166 ff. b) Herrscher der Zukunft und königlicher Mensch β) Der königliche Mensch (476 ff ) Zum Konzept des königlichen Menschen in Ps 8 s. die Hinweise oben zu § 1b, Exkurs 1. 2. Stellvertretung und Neuschöpfung – Prophetische Anthropologie (479 ff ) Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei A. Grund-Wittenberg, Prophetische Anthropologie, in: Dietrich u. a., Handbuch (HAA) (im Druck). a) Der leidende Gottesknecht (480 ff ) Zu Jes 52,13–53,12 s. Liess, Gerechtigkeit, 218 ff und Janowski, Schuld, 368 ff und Riede, Mensch, 334 ff. b) Die Neuschöpfung des Sünders (489 ff ) α) Transformationen des Menschenbilds (490 ff ) Zu den Transformationen des Menschenbilds, die man als Metaphorisierung des Kults/der Kultbegriffe bezeichnen kann, s. Gies, Anthopologie, 81 ff.
500 Nachtrag zu § 11
β) Reines Herz und erneuerter Geist (493 ff ) Zu Ps 51 als locus classicus für das Motiv des „reinen Herzens“ und des „erneuerten Geistes“ s. Liess, Gerechtigkeit, 198 ff; Janowski, Schuld, 364 ff und Gies, Anthropologie, 81 ff.
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 1. Leben und Tod – Anthropologie der Psalmen Aus Tiefen habe ich dich gerufen, JHWH! Herr, höre auf meine Stimme! Mögen deine Ohren aufmerken auf die Stimme meines Gnadengesuchs! Psalm 130,1 f
De profundis clamavi ad te Domine (Ps 130,1) – es sind Sätze wie dieser, die die Psalmen zu Grundtexten der biblischen Anthropologie machen. Mit ihren Sprachbildern leuchten sie den dunklen Raum des Todes aus und entwerfen Gegenbilder der Hoffnung und des Lebens. Man muss sich dabei vor Augen halten, dass das Alte Testament eine große Scheu vor der Macht des Todes hatte, weil JHWH ein Gott des Lebens war1 und weil jede Erwähnung der Unterwelt die Gefahr in sich barg, „die unheimlich wirkende Macht ihres ausgesprochenen Namens“2 heraufzubeschwören. Wie der Macht des Todes zu begegnen und die Hoffnung auf den Gott des Lebens wach zu halten ist – davon legen die Individualpsalmen (KE und DE) auf unverwechselbare Weise Zeugnis ab. a) „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ Altes Testament: Albertz, Art. Gebet, 34 ff ◆ Barth, Errettung ◆ Baumgart, Tod, 98 ff ◆ Fuchs, Art. Klage, 489 ff ◆ Gerstenberger, Mensch I, 64 ff ◆ Ders., Mensch II ◆ Hardmeier, Elemente, 339 ff ◆ Hossfeld, Klage, 16 ff ◆ Janowski, Konfliktgespräche ◆ Ders., Dankbarkeit, 267 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 287 ff ◆ Miller, They Cried ◆ Tita, Gelübde, 105 ff.220 ff ◆ Tucker, Body, 109 ff ◆ de Vos, Klage ◆ Wagner, Strukturen, 197 ff ◆ Weber, Werkbuch 3, 55 ff ◆ Westermann, Klage, 250 ff ◆ Ders., Lob, 125 ff ◆ Wöhrle, Gott, 223 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 316 ff. – Antike Religionen: Burkert / Stolz (Hg.), Hymnen ◆ Gerstenberger, Theologie des Lobens ◆ Janowski, Hymnen, 210 ff ◆ Jaques (Hg.), Klagetraditionen ◆ Zernecke, Gott ◆ Zgoll, Kunst.
Kein anderes Buch der Bibel hat sich intensiver mit der Leben/Tod-Problematik auseinandergesetzt als der Psalter und diese Auseinandersetzung immer wieder mit Hilfe von Vergleichen und Metaphern geführt. Metaphern sind Sinnexperimente, die „mit den semantischen Möglichkeiten der Sprache (spielen), indem 1 2
S. dazu oben 90 ff. Gunkel / Begrich, Einleitung, 189. Zu den Unterwelts- bzw. Jenseitsvorstellungen s. unten 511 ff.
502 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
sie im Rückgriff auf sprachlich Vertrautes Unerwartetes zusammenstellen“3. Nehmen wir als Beispiel das De profundis aus Ps 130,1b, das in der vertrauten Nachdichtung M. Luthers als „tiefe Not“ erscheint: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott erhör mein Rufen“ (EG 299,1). Statt von „tiefer Not“ spricht der hebräische Text von „Tiefen“ (ma῾amaqqîm), aus denen der Beter zu Gott ruft. Der Zusammenhang von Ps 1304 macht dabei deutlich, dass das Wort „Tiefen“ die Situation existentieller Verlorenheit umschreibt, die in Ps 69,2 f.15 f als Versinken in Wasser- oder Meerestiefen dargestellt wird: 2 Rette mich, Gott, denn gekommen ist (mir) das Wasser bis an die Kehle (næpæš)!5 3 Ich bin versunken in tiefem Schlamm, und da ist kein Grund, ich bin geraten in Wassertiefen (ma῾amaqqê-majim), und die Flut hat mich fortgerissen. (…) 15 Reiß mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke, dass ich gerettet werde vor meinen Hassern und aus Wassertiefen (ma῾amaqqê-majim)! 16 Nicht überströme mich die Flut des Wassers, und nicht verschlinge mich die Tiefe, und nicht verschließe über mir der Brunnen seinen Schlund!
Für die Dimension der Verlorenheit sind diese Wasser- und Schlammbilder von besonderer Aussagekraft.6 So bezeichnet das in V. 16b begegnende Wort be᾽er den „Brunnen“. Dessen Ähnlichkeit mit der „Zisterne“ (bôr) und ihrer semantischen Nähe zum „Totenreich“ (še᾽ôl, vgl. Ps 30,4; 88,4) bzw. zum „Tod“ (môt, vgl. Jes 38,18) erklärt, warum das Sterben als Versinken in einer „Zisterne“ geschildert werden kann.7 Der Beter von Ps 130 weiß sich also buchstäblich an einen „abgründigen Ort“ versetzt, an dem – wie in der „Zisterne“ (bôr) oder im „Brunnen“ (be᾽er) – die Gegenwelt des Chaos aufbricht. Hinzukommt, dass sich in dem von dem Verb „tief sein“ (῾āmaq) abgeleiteten Substantiv „Tiefen“ (ma῾amaqqîm) zwei Bedeutungssphären überschneiden: eine konkrete Raumvorstellung (Ort unterhalb der Welt der Lebenden) und eine existentielle Situationsangabe (Situation bodenloser Verlorenheit). Aus dem gewöhnlichen plurale tantum „Tiefen“ wird im Kontext von Ps 130 somit ein Terminus der Chaostopik. Diese gehört, wie wir sehen werden, zum religiösen Symbolsystem der Individualpsalmen. Dalferth, Sprache, 166. Zur Metaphorik der Psalmen s. Janowski, Konfliktgespräche, 21 ff; ders., De profundis, 244 ff; Brown, Seeing; Seybold, Poetik 1, 193 ff und Grohmann, Metapherntheorien, 1153 ff. Zu Ps 130 s. Hossfeld / Zenger, Psalmen III (HThK.AT), 565 ff (Zenger). Wie in Jes 5,14 u. a. hat der Begriff næpæš hier eine körperliche Bedeutungsdimension („Kehle“ als organischer Fixpunkt), s. dazu oben 55. Zu weiteren Texten s. Ego, Wasser, 223 ff und Janowski, De profundis, 246 ff. Vgl. Ps 28,1; 30,4; 88,5 u. ö., s. dazu Keel, Bildsymbolik, 53 ff.60 ff; Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 269 ff (Zenger); Schorch, Euphemismen, 97 ff u. a.
3 Vgl.
4
5 6 7
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 503
α) Anthropologie der Klage Beginnen wir mit einem kurzen Überblick. Außer den Klageliedern des Einzelnen (KE), der zahlenmäßig umfangreichsten Psalmengattung,8 gibt es im Alten Testament noch weitere Klagegattungen:9 – Toten- und Leichenklagen (2 Sam 1,19 ff; 3,33 f u. ö.) – Stadt- und Untergangsklagen (Jer *4–10; Klgl 2 und 4, vgl. 4Q 179 u. ö.) – Klagelieder des Volkes (Ps 44; 60; 74; 79; 80; 83; 89; 137, ferner Jes 63,7 ff; Jer 14,1 ff; Mi 7,8 ff) – Konfessionen Jeremias (Jer 11,18 ff; 12,1 ff; 15,10 ff; 17,(12)14 ff; 18,18 ff; 20,7 ff; 20,14 ff)10 – Weisheitliche Klagen (Hi 7,11 ff; 10 u. ö., vgl. Ps 37; 49; 73) – Klagen Gottes (Jer 2,*10 ff; 3,20; 8,7; 12,7 ff; 15,5 ff; 18,13 ff)
Im Blick auf die Geschichte der Klage unterscheidet C. Westermann mehrere, idealtypisch zu verstehende Phasen: die ,Klagen der Frühzeit‘ (sog. Alltagsgebete),11 die Klagelieder des Einzelnen, die Klagen des Hiobbuchs und die Klagen in spätnachexilischen Prosagebeten (Esr 9; Neh 9; Dan 9 u. ö.). Im Unterschied zu den anderen Klagegattungen haben die individuellen Klagelieder des Psalters einen formalisierten Aufbau mit den Elementen Invocatio, Klage, Bitte, Vertrauensbekenntnis, Unschuldsbekenntnis und Lob-/Dankversprechen.12 Kennzeichnend für das Element Klage ist, wie das Musterbeispiel Ps 13 zeigt, ihre Dreigliedrigkeit, denn sie richtet sich an JHWH (Gott-Klage), auf den Beter (Ich-Klage) und auf dessen Feinde (Feind-Klage): 1 Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.
Überschrift
Klage 2 3 8
9 10
11
12 13
Wie lange, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? Wie lange verbirgst du dein Gesicht vor mir? Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš,13 Kummer in meinem Herzen (lebāb) Tag für Tag? Wie lange erhebt sich mein Feind über mich?
Gott + Invocatio Beter Feind
S. dazu Gunkel / Begrich, Einleitung, 172 ff. S. dazu Westermann, Lob, 125 ff; ders., Klage, 250 ff; Gerstenberger, Mensch I, 64 f und Albertz, Art. Gebet, 36.38 f.40 f. S. dazu Wilke, Gebete, 247 ff. S. dazu Westermann, Lob, 125 ff, vgl. Albertz, aaO 39 f. Beispiele für ,Klagen der Frühzeit‘ sind die Klage Rebekkas (Gen 25,22, vgl. 27,36 u. ö.), des Mittlers (Ex 5,22 f; 32,11 ff.31 f u. ö.) oder der kinderlosen Frau (Gen 15,2 f; 30,2; 1 Sam 1,10 u. ö.). S. dazu Westermann, ebd.; Gerstenberger, Mensch II, 118 ff; Zenger u. a., Einleitung, 445 (Zenger / Hossfeld) und Weber, Werkbuch 3, 58 ff. In V. 3 sind „Sorgen“ und „Kummer“ ebenso Korrelate wie næpæš und „Herz“. Das bedeutet, dass der Begriff næpæš ebenso wie der Begriff leb / lebāb eine somatische Bedeutungsdimension hat, s. dazu Müller, „Seele“, 263 und zu næpæš in der Bedeutung „Kehle, Atem“ s. oben 55. Man könnte V. 3aα deshalb folgendermaßen paraphrasieren: „Wie lange sollen Sor-
504 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Bitte 4 Blick doch her, erhöre mich, JHWH, mein Gott! Mach hell meine Augen, damit ich nicht zum Tod entschlafe, 5 damit mein Feind nicht behauptet: „Ich habe ihn überwältigt!“, meine Gegner nicht jubeln, dass ich wanke!
Gott + Invocatio Beter Feind/e
Vertrauensbekenntnis und Lobversprechen 6 Doch ich – auf deine Güte habe ich vertraut, mein Herz (leb) juble über deine Rettung: „Singen will ich JHWH, dass er an mir gehandelt hat!“14
Aufgrund der Dreierstruktur der Klage (V. 2 f), die sich in der Bitte (V. 4 f) fortsetzt,15 kann man von einer anthropologischen Tiefendimension sprechen, weil die Situation des Menschen umfassend thematisiert wird und die grundlegenden Bezüge, in denen der Beter steht, vom Leid betroffen sind: Gottesbezug („du“) Selbstbezug („ich“) Sozialbezug („er“/„sie“)
wie lange, JHWH, vergisst du mich … wie lange soll ich Sorgen tragen … wie lange erhebt sich mein Feind …
Gemäß der Gemeinschaftsbezogenheit des hebräischen Denkens, der zufolge der Mensch nicht als isoliertes Selbst existiert, sondern in grundlegende Konstellationen eingebunden ist (konstellativer Personbegriff ),16 bezieht sich das Klagelied – und rückblickend – auch das Danklied des Einzelnen (DE)17 auf die Erfahrung einer Notsituation, in der die verschiedenen Erfahrungsebenen – Gott, Selbst, Mitwelt – aufs engste miteinander verbunden sind. Das Menschenbild der Klage- und Danklieder ist deshalb ganzheitlich zu nennen und zwar im Sinn einer „strukturierten Ganzheit“18, bei der es auf die Bezüge (Relationen) ankommt, in denen der Einzelne steht. Mit ihrer kompositorischen Anlage machen die Klagelieder des Einzelnen darüber hinaus deutlich, dass die Klage auf das Gotteslob zuläuft und an den „appelliert …, der das Leid wenden kann“19. In der Klage geht es deshalb „nicht
14
15 16 17 18 19
gen mir die Kehle zuschnüren / den Atem rauben?“. In V. 6aβ wird dann die Gegenreaktion artikuliert: „mein Herz juble über deine Rettung“. Mit den Begriffen næpæš und leb / lebāb bringt Ps 13 somit den Kontrast von Verstummen (V. 3a) und Jubel (V. 6aβ) zum Ausdruck, der erst im Lobversprechen von V. 6b („Singen will ich …“) aufgelöst wird. Zu den Körperbildern der Individualpsalmen s. Gillmayr-Bucher, Images, 301 ff; Bester, Körperbilder und Tucker, Body, 109 ff. Zur Interpretation von Ps 13 s. Janowski, Konfliktgespräche, 53 ff.446 f und Weber, aaO 69 ff. Allerdings gibt es keine eigentliche Feindbitte, s. dazu Janowski, aaO 57 f.70. Zum konstellativen Personbegriff s. oben 31 f. S. dazu unten 506 ff. Jung, Ausdruck, 1, s. dazu auch Janowski, aaO 43 und unten 541. Westermann, Klage, 255. Man kann das Klagelied des Einzelnen deshalb mit Markschies,
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 505
um die Selbstdarstellung des Leids und die Selbstbemitleidung, sondern um die Wende des Leids“20. Diese Wende des Leids ist in Ps 13 als eine aufsteigende Linie des Vertrauens gestaltet, die im Aussprechen des JHWH‑Namens von V. 2 ansetzt, sich in der Invocatio „JHWH, mein (!) Gott“ von V. 4 verdichtet und schließlich in der Vertrauensäußerung „deine (!) Güte“ // „deine (!) Rettung“ von V. 6 zum Ziel kommt: 2 Bis wann, JHWH, vergisst du mich auf Dauer? Bis wann verbirgst du dein Gesicht vor mir? 4 Blick doch her, erhöre mich, JHWH, mein Gott! Lass meine Augen leuchten, damit ich nicht zum Tod entschlafe.21 6 Doch ich – auf deine Güte habe ich vertraut, mein Herz juble über deine Rettung: …
Der aufsteigenden Linie des Vertrauens entspricht gegenläufig eine abfallende Linie der Klage: Zunehmendes Vertrauen
Abnehmende Klage
JHWH 2 Klage 2 f JHWH, mein Gott 4 Bitte 4 f deine Güte // Rettung 6 Vertrauen / Lob 6 Beide Sinnlinien machen deutlich: „Ohne erinnertes Vertrauen und erwartete Erhörung ist Klagen und Bitten … unmöglich bzw. sinnlos“22. Dieser Sachverhalt ist auch für die theologische Architektur des Psalters von Bedeutung. Denn was Ps 13 und andere Klagelieder des Einzelnen gleichsam en miniature als Prozess von der Klage zum Lob (V. 2 f: „Wie lange?“ → V. 6aγ.b: „Ich will singen …“) entfalten, das bestimmt im Großen auch das Gesamtgefälle des Psalters: er beginnt mit Klagen über Verfolgung (Ps 3; 18; 35,1 ff u. ö.), Rechtsnot (Ps 5; 7 u. ö.), Feindschaft (Ps 55–59 u. ö.), Krankheit (Ps 6; 38; 41 u. ö.), Todesnot (Ps 22; 88 u. ö.), Schuld (Ps 32; 51 u. ö.), Vergänglichkeit (Ps 39; 90 u. ö.) und endet – beginnend mit der Zäsur Ps 89 / Ps 90 (Übergang vom 3. zum 4. Psalmenbuch) – mit dem Gotteslob, „sei es im Zusammenhang der Rede von der Schöpfung, sei es in Bezug auf die Königsherrschaft Gottes und die Geschichte Gottes mit Israel“23. Zwischen jenem Anfang und diesem Ende wird das gesamte Spektrum der conditio humana auf-
20
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22 23
Vertrauensäußerungen, 386 ff als ein „zielgerichtetes Vertrauensparadigma“ bezeichnen und in ihm eines der stärksten Zeugnisse vom Rettungshandeln Gottes im Alten Testament sehen, vgl. Janowski, aaO 446 f; Zenger u. a., Einleitung, 453 (Zenger / Hossfeld). Westermann, ebd. Jede Zeile von Ps 13 ist von anthropologischer Relevanz. Besonders bedeutsam ist dabei die Licht/Finsternis-Metaphorik, für die es zahlreiche Parallelen in Ägypten und Mesopotamien gibt, s. dazu Janowski, aaO 65 ff und für Ägypten etwa das Gebetsostrakon Kairo 12.202 (Q 54), das eine mit Ps 13,4b vergleichbare Wendung enthält. Weber, Werkbuch 3, 71. Hossfeld, Klage, 18.
506 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament gespannt und schließlich in das universale Gotteslob von Ps 150,6 („Aller Atem lobe JH!“)24 überführt.
So klingt am Ende des Psalters dessen von der Klage zum Lob reichende Gesamtbewegung mit einem universalen Gotteslob aus und bildet damit das klangvolle ,Echo‘ zu dem „bei Tag und bei Nacht“ – d. h. in der Zeit des Heils (Tag / Licht) wie in der Zeit des Unheils (Nacht / Finsternis) – die Tora JHWHs rezitierenden Gerechten von Ps 1,2 („der an der Weisung JHWHs sein Gefallen hat“).25 Der Psalter ist deshalb ein Buch des Lebens, denn hier „kommen all die Themen … ins Spiel, die nun – nach Ps 1 – Tora werden: daß es viele ungerechte Menschen gibt, die die Gerechten bedrängen, daß im Leben neben der Freude auch viel Klage herrscht, daß das Leben als bedrängtes erlebt wird, daß Strukturen des Bösen und der Sünde das eigene Leben prägen; aber auch, daß Gott verzeiht, daß er rettet, daß es eine Gemeinschaft der Gerechten gibt, daß Gott in der Geschichte schon gehandelt hat – und daß letztlich das Lob obsiegen wird (Ps 150)“26.
Aber wird das Gotteslob auch wirklich „obsiegen“ und vor allem: in welchem Sinn sind das Loben und das Danken anthropologische Grundkategorien? β) Loben und Danken Zur Beantwortung dieser Fragen ist von der elementaren Beobachtung auszugehen, dass mit dem Begriff „Dankbarkeit“ Voraussetzungen thematisiert werden, über die derjenige, der sich als dankbar erweist, nicht verfügt.27 Im Übrigen ist Dankbarkeit eine Grundform des sozialen Lebens, denn sie gehört, so der Soziologe G. Simmel (1858–1918), zu jenen „gleichsam mikroskopischen, aber unendlich zähen Fäden, die ein Element der Gesellschaft an das andere und dadurch schließlich alle zu einem formfesten Gesamtleben aneinanderhalten“28. Das gilt auch für die Danklieder des Einzelnen (DE). Als Musterbeispiel sei Ps 30 zitiert, der den Weg des Beters vom Unheil / Tod zum Heil / Leben anhand unterschiedlicher Raum- und Zeitebenen beschreibt und dabei auf die vielschichtigen Beziehungserfahrungen mit JHWH zurückblickt:29
24 25 26
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28 29
Zu Ps 150 s. oben 308 f. Zu Ps 1 s. Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 7 ff (Janowski). Ballhorn, „Glücklich“, 16. Einschlägig dafür ist die Reaktion Noahs auf das Ende der Flut in Gen 8,20, s. dazu Janowski, Dankbarkeit, 267 f und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 271 f. Zur langen Geschichte der Dankbarkeit gehören prominente Texte aus Ägypten (s. Q 33) und Griechenland (s. Q 171). Simmel, Soziologie, 670, s. dazu Janowski, Dankbarkeit, 270 f und Grund, Homo donans, 97 ff. Zu Ps 30 s. außer den Kommentaren noch Spieckermann, Heilsgegenwart, 253 ff; Hardmeier, Elemente, 339 ff; Janowski aaO 287 ff und Weber, aaO 72 ff. In der folgenden Übersetzung werden die Gegenwartsebene (G) und die Vergangenheitsebenen 1–3 (V1–3) durch unterschiedliche Schrifttypen markiert.
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 507
I. Danklied des Einzelnen Einleitende Aufforderung zum Gotteslob 2 Ich will dich erheben, JHWH, denn du hast mich emporgezogen und hast nicht jubeln lassen meine Feinde über mich.
Zeitebenen G V1
Rückblick auf die Not I (Rettungserzählung) 3 JHWH, mein Gott, ich flehte zu dir, und du hast mich geheilt. 4 JHWH, du hast heraufgeholt aus der Unterwelt meine næpæš,30 du hast mich zum Leben gebracht aus 〈denen, die〉 in die Zisterne 〈hinabsteigen〉.
V2 V1
Fremdaufforderung zum Gotteslob (Hymnus) 5 Musiziert für JHWH, ihr seine Frommen, und lobdankt zum Gedenken seiner Heiligkeit, 6 denn einen Augenblick – in seinem Zorn, ein Leben lang – in seinem Wohlgefallen, am Abend – Weinen, am Morgen – Jubel!
G
II. Rückblick auf die Not II (Rettungserzählung) Rückblick auf die frühere Sorglosigkeit 7 Ich aber, ich dachte in meiner Sorglosigkeit: „Nicht werde ich wanken, in Ewigkeit nicht!“ 8 JHWH, in deinem Wohlgefallen hast du (mich) ⟨auf feste Berge⟩ gestellt, da verbargst du dein Gesicht – ich war schreckerstarrt.
V3
Rückblick auf die Klage 9 Zu dir, JHWH, rief ich (immer wieder), und zu meinem Herrn flehte ich (unentwegt) um Gnade: 10 „Was für ein Gewinn ist an meinem Blut, wenn ich hinabsteige in die Grube? Lobdankt dir der Staub, tut er deine Treue kund? 11 Höre, JHWH, und sei mir gnädig! JHWH, sei mir ein Helfer!“
V2
Bericht über die erfahrene Rettung 12 Du hast meine Trauerklage gewendet zum Reigentanz für mich, du hast mein Trauergewand gelöst und mich mit (einem) Freude(ngewand) umgürtet, 13 damit 〈meine〉 Ehre für dich musiziert und nicht schweigt.
V1
Abschließendes Lobgelübde JHWH, mein Gott, in Ewigkeit will ich dir lobdanken!
30
Zur Bedeutung von næpæš s. oben 54 ff.
G
508 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Das System der Zeitebenen in Ps 30 lässt sich folgendermaßen skizieren: Gemeinde 5f
Beter G 2aα V1 V2 V3
2aβ.b
Beter 13b
3bβ.4
12.13a 9–11
3a.bα 7f
Abb. 107: Die Zeitebenen im individuellen Danklied Ps 30
Die beiden Rettungserzählungen V. 3 f und V. 7–13a haben ihr je eigenes Profil. Während V. 3 f den äußeren Vorgang der Rettung in den Blick nehmen, beschreiben V. 7–13a die innere Haltung des Beters („Selbstreflexion“), die das plötzliche Hereinbrechen der Not und die Erfahrung des neu geschenkten Lebens bei ihm hervorgerufen haben. Auffallend ist dabei eine gegenläufige Verschränkung der Zeitebenen (s. Abb. 107): In V. 2–6 geht der Beter von der Gegenwart aus (V. 2aα), blickt von dieser auf die erfahrene Rettung zurück (V. 2aβ–4) und ruft sein eindringliches Flehen in Erinnerung, um schließlich in die Gegenwart seines öffentlichen Bekenntnisses zurückzukehren (V. 5 f). An dieser Stelle sei auf die für die DE charakteristische Unterweltstopik hingewiesen, die in Ps 30,4 deutlich zum Ausdruck kommt. Während nämlich der Terminus „Unterwelt“ (še᾽ol) in den Dankliedern häufiger belegt ist (Ps 9,14; 18,5 f; 30,4; 86,13; 116,3, vgl. Jona 2,3; Jes 38,10; Sir 51,2.6.9 u. ö.), begegnet er in den Klageliedern relativ selten (Ps 6,6; 88,4 und 141,7). Das ist mit H. Gunkel31 möglicherweise so zu erklären, dass sich das Grauen vor der Unterwelt im Rückblick auf die Not offenbar unbefangener in Worte fassen lässt als in der Situation der Krise. Die Tatsache, dass der Beter im Danklied auf seine Not zurückblicken kann und ihr nicht mehr ins Angesicht schauen muss, schlägt sich sprachlich in den Metaphern der Lebenswende32 nieder. Diese Stilfigur ist auch ein Grundzug der ägyptischen Danklieder (s. Q 55).
Zurück zu Ps 30. In V. 7–12 setzt der Beter bei der am weitesten zurückliegenden Vergangenheitsebene 3 an (V. 7 f) und bewegt sich von dieser über die Vergangenheitsebene 2 (V. 9–11) gleichsam ,nach vorn‘ auf die Vergangenheitsebene 1 zu (V. 12–13a). Indem diese mehrstufige Retrospektive kontinuierlich in der Du-Anrede an JHWH33 gehalten ist, vergewissert sich der Beter e contrario der bleibenden Kontinuität seiner Gottesbeziehung. Für das Diskursgeschehen des individuellen Danklieds ist schließlich die Fremdaufforderung zum Gotteslob in V. 5 f von entscheidender Bedeutung. S. dazu Gunkel / Begrich, Einleitung, 189, vgl. Janowski, aaO 293. S. dazu unten 510. 33 Vgl. Hardmeier, aaO 343 f. 31 32
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 509
Denn hier wird mit den „Frommen JHWHs“ ein Forum angesprochen, das seinerseits zum Lobpreis Gottes aufgefordert wird („Musiziert für JHWH, ihr seine Frommen …“). Diesem Forum fällt die Aufgabe zu, im Lobpreis die individuell erfahrene Beziehungsstörung Beter / Gott mit dem allgemeinen Glaubenswissen zu vermitteln, d. h. mit dem Wissen darum, dass JHWHs „Wohlgefallen“ seinen „Zorn“ lebenslang überdauert. Darin kommt eine Weise des Redens von Gott zum Ausdruck, für die drei Aspekte konstitutiv sind: Die Öffentlichkeit des Danks Im Gotteslob des Geretteten vor versammelter Gemeinde (V. 2–6) geht es um eine öffentliche Kundgabe der mit diesem Gott gemachten Erfahrung. Damit erweist sich der Gerettete als wichtiger „Erfahrungszeuge“34, der das Traditionswissen vom Ungleichgewicht zwischen dem „kurzzeitigen“ Zorn JHWHs und seinem „lebenslangen“ Wohlgefallen (V. 6, vgl. Ex 34,6 f u. a.)35 authentisch, d. h. mit seiner Existenz bestätigen und damit im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde neu befestigen kann.36 Dieser Sachverhalt wird in V. 7–13a durch das Klagezitat von V. 10 f unterstrichen, wo nach dem „Gewinn“ (bæsa῾)37 ˙ gefragt wird, den JHWH vom Tod eines seiner Frommen haben würde. Die Antwort ist dieselbe wie in Ps 6,6; 88,11–13; 115,17 f; Jes 38,18 f und Sir 17,27 f: JHWH würde mit jedem Menschen, der dem vorzeitigen Tod anheimfällt, einen für ihn kostbaren Zeugen38 seiner Macht verlieren, so dass dessen Tod auch seine Niederläge wäre:
11 Für die Toten solltest du ein Wunder tun oder werden Totengeister sich erheben, dich zu preisen? – Sela 12 Wird im Grab erzählt deine Güte, deine Treue am Ort des Untergangs? 13 Wird kund in der Finsternis dein Wunder und deine Gerechtigkeit im Land des Vergessens? (Ps 88,11–13)
Wie ich an anderer Stelle39 dargelegt habe, gewinnt dieser Text aus der JHWH‑Ferne der Scheol ein argumentum ad deum: JHWH soll erkennen, dass sein Eigeninteresse es ihm verbieten müsste, den Beter vorzeitig der Scheol zu überlassen, da er sich dadurch eines kostbaren Zeugen und Verehrers seiner Güte und Treue berauben würde. JHWH soll also durch die rhetorischen Fragen von Ps 88,11–13, die einen appellatorischen Charakter haben, zum Einschreiten bewegt werden. Dasselbe gilt für Ps 30,10 und die mesopotamische Sachparallele in einem zweisprachigen Gebet an Marduk (Q 99).
ders., aaO 345. S. dazu die Hinweise bei Janowski, Dankbarkeit, 283 Anm. 70 und zur sog. Gnadenformel Ex 34,6 f ders., Gott, 156 ff. Vgl. auch das Danklied Ps 22,23 ff und zur Sache Tita, Gelübde, 139 ff. S. dazu Janowski, Die Toten, 222 Anm. 78. Zum Motiv der „Kostbarkeit des Lebens“ in Ps 30,10 s. ders., Kostbarkeit, 249 ff.257 ff. Ders., Die Toten, 218 ff.
34 Vgl. 35 36 37 38 39
510 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Die Wende des Lebens Durch den vom Beter nach V. 3 f und V. 7–13a öffentlich vorgetragenen Rückblick auf seine Not werden Grenzerfahrungen öffentlich gemacht, die mit polaren Metaphern – „auf feste Berge gestellt“ vs. „schreckensstarr“ (bhl nif. V. 8)40 – umschrieben werden. Solche Grenzerfahrungen sind in der Regel von einer Zone des Schweigens und der Sprachlosigkeit umgeben, was ihre Bedrohlichkeit ins Extreme steigert. Ihre öffentliche Bezeugung im Lobpreis holt sie aber in den „Raum des Lebensmöglichen“41 zurück und macht sie so auch für andere zugänglich. Der Gemeinde werden damit Artikulationsformen eröffnet, die ihr helfen, ihre eigenen Not- und Leiderfahrungen sprachlich und vorstellungsmäßig zu artikulieren: „… das Glaubenswissen von der … rettenden Zugewandtheit Gottes gewinnt … durch das Zeugnis des Geretteten eine neue, leibhaftige Gegenwartsrelevanz – trotz bitterster Gegenerfahrung in Todesnot“42. Die Dramatik dieses Rettungsgeschehens wird sprachlich durch polare Metaphern für die Lebenswende dargestellt. Dieses Stilmittel scheint ein Charakteristikum der Danklieder zu sein. Es begegnet nicht nur in negativer Form als Wende vom Leben zum Tod (Ps 30,8: „auf feste Berge gestellt“ vs. „schreckensstarr“), sondern vor allem in positiver Form als Wende vom Tod zum Leben: – – –
JHWH führt die næpæš des Beters aus der Unterwelt herauf // er bringt den Beter zum Leben aus denen, die in die Zisterne hinabsteigen (Ps 30,4) am Abend Weinen vs. am Morgen Jubel (Ps 30,6) Trauerklage vs. Reigentanz // Trauergewand vs. Freude(ngewand) (Ps 30,12)
Auch hier begegnet die für die Danklieder typische Verschränkung der Raum- und Zeitebenen. Denn die Lebenswende vollzieht sich als Übergang von der Scheol zum Tempel (Ps 116,3.8. 9. 19) bzw. als Umbruch vom Abend zum Morgen, vom Weinen zum Jubel (Ps 30,6b). Diese Verschränkung der Raum- und Zeitebenen zeigt, dass Beten ein transitorischer Akt ist, der dem Beter auch sprachlich den Weg ins neue Leben ermöglicht.43
Die Zukunft des Beters Aufgrund der öffentlichen Bezeugung der erfahrenen Rettung gewinnt das Glaubenswissen vom Wohlgefallen Gottes (V. 6a) schließlich eine erfahrungsgestützte Relevanz. In der Aufforderung zum (musikalischen) Gotteslob – „Musiziert für JHWH, ihr seine Frommen …“ (V. 5 f) – fällt der Gemeinde dabei die Rolle zu, die individuelle Rettungserfahrung des Beters mit dem allgemeinen Glaubenswissen zu verknüpfen, demzufolge JHWH nur einen Augenblick in seinem Zorn verharrt, lebenslang aber in seinem Wohlgefallen (V. 6a). Der Finalsatz V. 13a – „… damit 〈meine〉 Ehre für dich musiziert und nicht schweigt“ – nimmt diese Aufforderung mit Hilfe des Terminus zmr pi. „singen, musizieren“ auf und macht sie zusammen mit dem abschließenden Lobgelübde V. 13b zu einem Grundmotiv für das künftige Leben des Beters, das auf Dauer von Dankbarkeit geprägt sein wird: „JHWH, mein Gott, in Ewigkeit will ich dir lobdanken!“ Zum Motiv der „Schreckensstarre“ s. Janowski, Konfliktgespräche, 62 f. Hardmeier, Elemente, 346. 42 Ders., ebd. 43 Vgl. Ps 118,5 mit seinem Motiv von Enge vs. Weite: „Aus der Enge heraus rief ich Jah, es erhörte mich in die Weite hinein Jah“. 40 41
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 511
Bei der „Ehre“ (kābôd) des Beters, der für JHWH musiziert und nicht schweigt (V. 13aα), geht es offenbar um das wiederhergestellte Prestige des Geretteten, das durch das Auftreten seiner Feinde (vgl. V. 2b) in Frage stand.44 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Formulierung von Ps 30,13a so verstehen, dass der Beter aufgrund seiner Rettung durch JHWH seinen Feinden gegenüber wieder ,zu Ehren gebracht‘ wird. Auf diese Weise ,zu Ehren gekommen‘, kann und wird er seinem Gott in Ewigkeit lobdanken (V. 13b).
Nicht die Sprachlosigkeit des Leidens, so können wir festhalten, sondern das Loben des Gottes, der vom Leiden befreit und vom Tod errettet, ist nach alttestamentlichem Verständnis der Sinn des Daseins.45 Wenn schon für die Klage gilt, dass Schweigen gotteslästerlich wäre, weil Gott damit entehrt würde, so gilt dies nicht minder für das Gotteslob. Denn im Lobpreis Gottes relativiert sich, wie gerade Ps 30 lehrt, die Selbstverabsolutierung des Menschen (vgl. V. 7!) und gibt den Blick auf jene Voraussetzungen des Lebens frei, über die derjenige, der Gott lobt und dankt, nicht verfügt. Die Toda-Psalmen decken diese Dimension des Gotteslobs auf und machen sie zur Basis ihrer einzigartigen „Theologie und Anthropologie der Dankbarkeit“. b) Hoffnung über den Tod hinaus Altes Testament: Barth, Errettung, 59 ff ◆ Baumgart, Tod, 98 ff ◆ Berlejung, Tod, 465 ff ◆
Dies., Art. Unterwelt, 437 ff ◆ Dietrich / Vollenweider, Art. Tod, 585 ff ◆ Eberhardt, JHWH, 203 ff ◆ Fischer, Tod, 175 ff ◆ Irsigler, Psalm 73 ◆ Janowski, Art. Jenseitsvorstellungen, 406 f ◆ Ders., Konfliktgespräche, 256 ff.454 f ◆ Ders. / Liess, Unsterblichkeit, 385 ff ◆ Keel, Bildsymbolik, 53 ff ◆ Michel, Unsterblichkeit, 155 ff ◆ van Oorschot, Aspekte, 44 ff ◆ Podella, Grundzüge, 70 ff ◆ Ders., Totenrituale, 545 ff ◆ Schnocks, Rettung, 136 ff ◆ Witte, Weg, 95 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Diesseits / Jenseits, 1085 ff ◆ Ders., Tod, 11 ff.285 ff ◆ Burkert, Religion, 298 ff ◆ Fischer, Tod, 21 ff ◆ Groneberg, Unterweltsvorstellungen, 244 ff ◆ Hornung, Chaotische Bereiche, 28 ff ◆ Ders., Der Eine, 182 ff ◆ Janowski, Sehnsucht, 305 ff ◆ Loretz, „Gerechtigkeit“, 187 ff ◆ Zgoll, Unsterblichkeit, 1 ff.
α) Diesseits und Jenseits Wie die Danklieder des Einzelnen zeigen, errettet JHWH, der „Gott des Lebens“ (Dtn 5,26; 1 Sam 17,26.36 u. ö.) den bedrängten Beter vom Tod und holt ihn sogar aus der Unterwelt herauf (vgl. Ps 30,4 u. ö.). Was bedeutet dieser räumlich vorgestellte Übergang vom Jenseits zum Diesseits, und welcher Art ist die Hoffnung, die mit diesem Rettungsgeschehen verknüpft ist?
44
Dass die „Ehre“ des Beters durch die Aggression der Feinde gemindert oder gar vernichtet zu werden droht, kennen auch die Klagelieder des Einzelnen, s. Ps 3,4; 7,4–6 u. ö. und dazu Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 147 f.265 ff (Janowski). Zum relationalen Charakter der Ehre s. Dietrich, Ehrgefühl, 419 ff; ders., Ehre, 16 ff und oben 215 ff. 45 S. dazu Wolff, Anthropologie, 316 ff und Janowski, Dankbarkeit, 301 ff.
512 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Die vorderorientalischen Religionen haben den Übergang vom Jenseits zum Diesseits durch beeindruckende Texte und Bilder ausgestaltet. Eines der bekanntesten Beispiele ist der ägyptische Totenglaube.46 Dass der Tod der Übergang zu einer anderen, intensiveren Form des Lebens war, kommt besonders im retrospektiven Aspekt der ägyptischen Diesseits/Jenseits-Beziehungen zum Ausdruck. Danach knüpft der Tote an sein diesseitiges Leben an, indem er sich vor den Jenseits-Instanzen auf Verdienste im Diesseits oder auf den Vollzug bestimmter kultischer Handlungen beruft und den Wunsch nach einer ,Rückkehr ins Diesseits‘ äußert. Diese Rückkehr beinhaltet „das Wiedersehen mit der Familie, die segnende Fürsorge für Haus und Nachkommen, den Besuch des Tempels und die Teilnahme an den Festen des Stadtgottes und anderen Festen“47.
Die wiedergewonnene Gemeinschaft und Gottesnähe, wie sie in den Texten und Bildern der auf das Diesseits ausgerichteten ägyptischen Jenseitshoffnung ausgestaltet ist, erinnert an die Diesseits/Jenseits-Problematik der Klage- und Danklieder. Auch hier ist das Jenseits ein Bereich, der geradezu räumlich ins Diesseits hineinragt und dieses zu einem Todesraum, zu einem ,jenseitigen Bereich in der diesseitigen Welt‘48 umgestaltet. Der entscheidende Unterschied zu Ägypten besteht aber darin, dass in Israel nicht der Verstorbene (und dann der verklärte Totengeist) ins Diesseits zurückkehrt, sondern der von JHWH aus dem Tod errettete Beter. Dieser erfährt in seinem diesseitigen Leben das, was Chr. Barth mit dem Topos der ,Errettung vom Tod‘ umschrieben hat.49 Die Bereiche, die in diesem Zusammenhang Jenseitsfunktionen übernehmen, sind das Grab, der Staub, das Gefängnis, die Zisterne, die Fallgrube, die Wasserflut, das Meer, die Wüste, die Steppe, der Rand des Gebirges und – als zeitlicher Bereich – die finstere Nacht.50 Sie bilden die schmale und gefährliche Grenze zwischen Leben und Tod, auf der sich der bedrängte Beter befindet (s. Abb. 108). Diese Grenze wird so gezogen, dass der Tod ins Leben hineinragt, obwohl die Unterwelt nach den kosmologischen Vorstellungen Israels, wie etwa die Fragen JHWHs an Hiob in Hi 38,16 ff51 zeigen, in der äußersten, unerreichbaren Tiefe liegt: 16 Bist du gekommen zu den Quellen des Meeres, und bist du auf dem Grund der Urflut gewandelt? 17 Sind dir aufgedeckt worden die Tore des Todes, und hast du die Tore der Finsternis gesehen? 18 Hast du Aufmerksamkeit zugewendet den Breiten der Erde? Teile es mit, wenn du alles erkannt hast! 46 47 48 49
50 51
S. dazu Assmann, Art. Diesseits / Jenseits, 1085 ff. Ders., aaO 1087, s. zur Sache ders., Tod, 285 ff und Q 69. Zu dieser Formulierung s. Hornung, Chaotische Bereiche, 28 ff, vgl. ders., Der Eine, 182 ff. S. dazu Barth, Errettung, 98 ff. S. dazu Keel, Bildsymbolik, 53 ff; Janowski, Rettungsgewissheit, 23 ff; Podella, Grundzüge, 80 f; Berlejung, Tod, 485 ff und Liess, „Tore“, 397 ff. S. dazu mit altorientalischen Vergleichstexten Liess, aaO 400 ff, ferner Bunzel, Ijob, 40 ff und zum Eingang in die Unterwelt nach ugaritischen Texten Q 135.
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 513
In der Anthropologie verläuft die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits aber anders als in der Kosmologie oder mit den Worten Chr. Barths: „Wer auch nur in der geringsten Beziehung in die Gewalt der Scheol gerät, befindet sich faktisch ganz in ihrer Gewalt. Wessen Fuß einmal ins Gleiten gekommen ist, für den gibt es nach menschlichem Ermessen kein Aufhalten mehr. Blickt er auf das unvermeidliche Ende, so ist er schon am Anfang ein verlorener Mann. Die hier wirksame Denkweise des pars pro toto ist für die altorientalischen Völker ebenso bezeichnend, wie sie uns Heutigen fremd ist.“52
Diesseits
Diesseitsbereiche mit Jenseitsfunktion
Jenseits
Welt der Lebenden
‚Unterwelt der Lebenden‘ (Situation des Bedrängten)
Welt der Toten
Haus Stadt Tempel Kulturland Gemeinschaft Kommunikation Reinheit
Grab, Gefängnis, Grube, Zisterne, Wasserflut, Meer, Wüste/Steppe, Bergland, Finsternis, Nacht, ‚die Tiefen‘
Unterwelt Scheol Abaddon Land ohne Wiederkehr Einsamkeit Schweigen Unreinheit
Abb. 108: Die Grenze zwischen Leben und Tod nach den Psalmen
In diesem Sinn sind die Todesbilder der Psalmen, die einem besonderen Raumverständnis verpflichtet sind, „nicht bildlich übertreibend oder als theoretische Fiktion, sondern ganz realistisch“53 gemeint. Es geht bei ihnen zwar um einen Bedrängten, der JHWH bittet bzw. dankt, vom Tod / aus der Unterwelt errettet zu werden bzw. errettet worden zu sein, doch ist mit dem Tod der ,Tod im Leben‘ und mit der Unterwelt die ,Unterwelt der Lebenden‘ (im Unterschied zur ,Unterwelt der Toten‘) gemeint (s. Abb. 108).54 Nehmen wir als Beispiel Ps 88.55 In diesem Klagelied des Einzelnen wird das Geschick eines Menschen geschildert, der von JHWH in die „tiefsten Tiefen“ versetzt wurde (V. 7) und dessen Leben bereits die Unterwelt „berührt“ hat (V. 4b): 4
Denn gesättigt mit Übeln ist mein Leben, und mein Leben hat die Unterwelt berührt.
Barth, Errettung, 93. Von Rad, „Gerechtigkeit“, 237, vgl. ders., Theologie 1, 399 ff. 54 S. dazu Eberhardt, JHWH, 203 ff, die zwischen der „Unterwelt der Lebenden“ und der „Unterwelt der Toten“ unterscheidet und auf die Übergänge zwischen diesen beiden Lokalitäten hinweist, vgl. Janowski, Gott Israels, 280 Anm. 67. 55 S. dazu außer den Kommentaren noch Janowski, Die Toten, 201 ff; ders., Konfliktgespräche, 231 ff; Schnocks, Rettung, 56 ff und Baumgart, 100 ff. 52 53
514 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament 5 Gezählt worden bin ich zu denen, die in die Grube hinabsteigen, ich bin geworden wie ein Mann ohne Kraft. 6 Unter den Toten (bin ich) ein Freigelassener, wie Erschlagene, die im Grab liegen, an die du nicht mehr gedacht hast, sind sie doch von deiner Hand abgeschnitten. 7 Du hast mich versetzt in die tiefsten Tiefen, an finstere Orte, in (Meeres-)Tiefen. 8 Auf mir hat gelastet dein Grimm, und mit allen deinen Brechern hast du (mich) überwältigt. – Sela 9 Entfernt hast du meine Vertrauten von mir, zum Abscheu für sie hast du mich gemacht, zum Gefangenen – und ich kann nicht heraus! 10aα Mein Auge ist dahingeschwunden vor Elend. (Ps 88,4–*10)
Die Schrecken der Scheol werden in V. 4–7 in bedrückenden Bildern geschildert.56 So zeigen die Ortsangaben „Grube“ (V. 5), „Grab“ (V. 6, vgl. V. 12) „tiefste Tiefen“ (V. 7), „finstere Orte“ (V. 7, vgl. V. 13) und „(Meeres-)Tiefen“ (V. 7, vgl. V. 18), dass sich der Beter in räumlicher Nähe zur Unterwelt (vgl. V. 4b) und entsprechend in unüberwindbarer Distanz zu JHWH und der Welt der Lebenden befindet. Der infernale Aufenthaltsort wird vom Beter dabei durch eine immer weiter nach unten führende Bewegung erreicht: sein Leben „berührt die Unterwelt“ (ng῾ hif. V. 4b),57 und er ist zu denen gezählt, die „in die Grube hinabsteigen“ (V. 5a) // die wie Erschlagene „im Grab liegen“ (V. 6aα, vgl. Ludlul bēl nemeqi, s. Q 84). Indem er die imaginäre Grenze zwischen Leben und Tod überschreitet, betritt der Beter den „Untergangsort“ bzw. das „Land des Vergessens“ (Ps 88,12 f). Möglicherweise ist mit dem Topos ,Berührung der Unterwelt‘ (V. 4b) etwas Ähnliches gemeint wie mit dem Topos ,Berührung einer Leiche‘. So wie die Berührung einer Leiche unrein macht (Num 19,11. 13. 16.18, vgl. Lev 11,39),58 so wird auch der Beter von Ps 88, dessen „Leben“ (hajjim) die Todes- und Un˙ reinheitssphäre der Scheol berührt, für seine soziale Umgebung unrein, d. h. zum Inbegriff des „Gräuels“ (tô῾ebāh pl. V. 9aβ, vgl. Hi 19,19 u. ö.). Der Beitrag der Individualpsalmen (KE und DE) zum Diesseits/Jenseits-Thema, so können wir resümieren, ist anthropologisch wie theologisch gleichermaßen zentral und gehört in den Kontext des alttestamentlichen TodesverständS. dazu Janowski, Die Toten, 208 ff. Zu dem damit verbundenen Raumverständnis s. ders., aaO 210.214. Der Versuch von Schnocks, Rettung, 88 f, für ng῾ qal / hif. („berühren, nahe kommen, reichen an“) zwei Bedeutungsgruppen zu unterscheiden (qal: „berühren“, hif.: „reichen an“), überzeugt nicht, weil es sowohl qal-Belege für „reichen an“ als auch hif.‑Belege für „berühren“ gibt, s. dazu Ges18 s. v. ng῾, 780 f. 58 Vgl. Schwienhorst-Schönberger, Art. nāga῾, 222: „nāga῾ bezeichnet an diesen Stellen den unmittelbaren … Kontakt zweier sich ausschließender Bereiche: Bereich des Lebens und des Todes, Rein und Unrein, Heilig und Profan. Diese beiden Bereiche dürfen nicht miteinander in Berührung kommen“. 56
57
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 515
nisses. Dessen Geschichte reicht vom anfänglichen Toten-/Ahnenkult über die spätvorexilischen Spuren einer Kompetenzausweitung JHWHs bis hin zu den weisheitlich-apokalyptischen Texten der Spätzeit.59 Diese Texte haben dem JHWH‑Glauben neue Perspektiven eröffnet, indem sie die Hoffnung auf eine den Tod überdauernde Gemeinschaft mit Gott ausbuchstabiert haben. Die Frage ist allerdings, ob man dabei von „Unsterblichkeit“ sprechen kann. β) Unsterblichkeit? Die Frage, was „Unsterblichkeit“ bedeutet und wie sie sich von verwandten Phänomenen wie „Reinkarnation“ und „Seelenwanderung“ unterscheidet, ist in den letzten Jahrzehnten verstärkt zum Thema der Kulturtheorie geworden.60 Dabei wurde deutlich, dass die Sehnsucht nach Unsterblichkeit als einer Daseinsform, die das Schicksal der Toten negiert und Gegenbilder der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod („ewiges Leben“) entwirft, keine griechische Erfindung, sondern so alt ist wie die vorderorientalischen Hochkulturen. Klassisch ist die berühmte Stelle aus der altbabylonischen Version des Gilgamesch-Epos, wo die Göttin Ischtar-Siduri dem legendären Herrscher von Uruk einen bestimmten Rat erteilt, als dieser nach dem Tod seines Freundes Enkidu rastlos durch die Welt streift, um das ewige Leben zu suchen: Gilgamesch! Wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschen erschufen, wiesen sie der Menschheit den Tod zu, das Leben nahmen sie in ihre eigene Hand. (s. Q 1)
Der Tenor dieses Passus ist eindeutig: „Es lohnt nicht, nach Unsterblichkeit zu streben, denn diese ist allein den Göttern vorbehalten; für Menschen ist der Tod unausweichlich“61. Dennoch oder besser: gerade deswegen scheint die menschliche Sehnsucht nach Unsterblichkeit nicht nur in diesen Versen des GilgameschEpos auf. Ähnliche Beispiele gibt es im alten Ägypten, und zwar von den Anfängen bis in griechisch-römische Zeit.62 In Ägypten lassen sich alle wichtigen Themen des Lebens auf den Tod zurückführen, so dass man von einer „Zentriertheit der gesamten ägyptischen Kultur im Thema des Todes“63 sprechen kann. Das ist ein gravierender Unterschied zu Israel und seinem spezifischen Gottesglauben, denn hier werden über lange Zeiträume hin „das Göttliche und
59
S. dazu oben 85 ff. S. dazu die Hinweise bei Janowski / Liess, Unsterblichkeit, 385 ff. 61 Zgoll, Unsterblichkeit, 1. Dass der Tod für den Menschen eine unüberwindbare Grenze darstellt, begegnet auch in ugaritischen Texten, s. Q 121. 62 S. dazu Janowski, Sehnsucht, 305 ff. 63 Assmann, Tod, 18. 60
516 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
der Tod … in größtmögliche Distanz zueinander gerückt“64, bis – vermutlich mit dem Übergang von der spätvorexilischen zur exilisch-nachexilischen Zeit65 – die Distanz zwischen JHWH und dem Tod / dem Toten in ein Spannungsverhältnis transformiert wird, das dem JHWH‑Glauben neue Perspektiven eröffnet hat. Neben den spätweisheitlichen und apokalyptischen Texten66 ist es vor allem Ps 73 (5./4. Jh. v. Chr.),67 an dem diese Transformation erkennbar ist. Angesichts gravierender Leiderfahrungen stellt sich der Beter dieses Psalms die Frage, ob Gott dem Leidenden nah ist und ob er dies auch im Tod ist. Der Psalm gliedert sich in zwei Hauptteile (V. 2–17.18–26), in denen die Situation der Gottlosen und die Situation des Gerechten einander gegenübergestellt werden. Am Schluss nimmt das Resümee V. 27 f die antithetische Struktur des Psalms erneut auf und bildet zusammen mit V. 1 den Rahmen des Psalms (Stichwort tōb „gut“): ˙ 1 Ein Psalm Asafs
Bekenntnissatz
Ja, gut ist zum Rechtschaffenen Gott, Gott zu denen, die reinen Herzens sind.
I. Anfechtung Das Glück der Gottlosen 2 Ich aber – beinahe wäre ich ausgeglitten mit meinen Füßen, wie nichts wären weggeglitten meine Schritte. 3 Denn ich ereiferte mich über die Verblendeten, das Glück der Gottlosen sah ich. 4 Ja, keine Qualen gibt es für sie, gesund und fett ist ihr Leib. 5 In der Mühsal der Menschen sind sie nicht, und mit den Menschen werden sie nicht geplagt. 6 Darum umgibt sie Hochmut als Halsschmuck, als Kleidung umhüllt sie Gewalttat. 7 Es geht über vom Fett ihr Auge, es quellen über die Einbildungen des Herzens. 8 Sie höhnen und sprechen im Bösen, Bedrückung reden sie von oben herab. 9 Sie haben an den Himmel ihren Mund gesetzt, und ihre Zunge geht einher auf der Erde.
Ders., Kulturtheorie, 18, vgl. Leuenberger, Gott, 78, der von einer „Asymmetrie im Verhältnis von Leben und Tod“ spricht. 65 S. dazu oben 90 ff. 66 Ps 16,10 f; Hi 19,25 f; Ez 37,1 ff; Jes 25,8; 26,19; Ps 22,28 ff und Dan 12,2 f. 67 Zu Ps 73 s. die bei Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 330 ff (Zenger) genannte Literatur, ferner Irsigler, Psalm 73; Liess, Weg, 346 ff; Schnocks, Rettung, 143 ff; Witte, Weg, 95 ff; Baumgart, Tod, 114 ff und Janowski / Liess, aaO 387 ff. 64
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 517
10 Darum wendet sich das Volk ihnen zu, und die Wasser ihrer Worte schlürft man von ihnen. 11 Und sie sprechen: „Wie kann Gott wissen, und gibt es Wissen bei dem Höchsten?“ 12 Siehe, dies sind die Gottlosen, und als ewig Sorglose vergrößern sie ihren Reichtum.
Die Not des Gerechten 13 14 15 16 17
Ja, vergeblich habe ich mein Herz rein gehalten, und in Schuldlosigkeit meine Hände gewaschen, und (dennoch) war ich geplagt jeden Tag, und (meine) Züchtigung (war) jeden Morgen. Wenn ich gedacht hätte: „Ich will solches kundtun“, siehe, am Geschlecht deiner Söhne hätte ich treulos gehandelt. Ich dachte nach, dies zu erkennen, Mühsal war es in meinen Augen, bis ich eintrat in die Heiligtümer Gottes,68 Einsicht gewann über ihr Ende.
II. Neue Einsicht Das Ende der Gottlosen 18 Ja, auf schlüpfrigen Boden stellst du sie, du lässt sie Täuschungen anheimfallen. 19 Wie sind sie plötzlich zum Entsetzen geworden, sie verendeten, sie kamen um vor Schrecken. 20 Wie ein Traum beim Erwachen, Herr, beim Aufwachen verachtest du ihr (Traum-)Bild.
Rückblick 21 22
Als mein Herz sich verbittert zeigte und ich mich in meinen Nieren scharf gestochen fühlte, war ich (aber) dumm und erkannte (es) nicht, Vieh bin ich vor dir gewesen.
Das Glück des Gerechten 23 Ich aber bin ständig bei dir, du hast mich an meiner rechten Hand ergriffen, 24 nach deinem Rat leitest du mich, und auf Ehre / Herrlichkeit hin wirst du mich (zu dir) nehmen.69 25 Wen habe ich im Himmel (außer dir)? Und neben dir habe ich kein Gefallen auf der Erde. 68
Das Verständnis dieser Wendung ist umstritten. Sie wird auf den Besuch des Jerusalemer Tempels (s. Irsigler, Psalm 73, 35) oder – im übertragenen Sinne – auf das Eindringen in die „Geheimnisse, Ratschlüsse Gottes“ bezogen, s. dazu Michel, Unsterblichkeit, 165 ff und Janowski / Liess, aaO 390 ff. 69 Oder: „und danach wirst du mich in Ehre / Herrlichkeit aufnehmen“, s. dazu Irsigler, 42 ff; Witte, aaO 113 ff und Janowski / Liess, aaO 394 ff.
518 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament 26 Vergeht auch mein Fleisch und mein Herz [, der Fels meines Herzens], so ist (doch) mein Anteil Gott für immer.
III. Resümee 27 Ja, siehe, die sich fern halten von dir, gehen zugrunde, du vernichtest alle, die dir gegenüber treulos sind. 28 Ich aber, Gott zu nahen ist für mich gut, ich habe meine Zuflucht auf den Herrn [JHWH] gerichtet, zu verkünden alle deine Taten.70
„Ja, gut (tōb) ist zum Rechtschaffenen Gott, Gott zu denen, die reinen Herzens ˙ sind“ (V. 1) – mit diesem Glaubenssatz, dem das weisheitliche Konzept des Tun/ Ergehen-Zusammenhangs zugrunde liegt,71 beginnt der Text. Doch angesichts der Leiderfahrung des Gerechten gerät diese Grundüberzeugung weisheitlichen Denkens in eine tiefe Krise, denn die Gottlosen mit ihrem frevelhaften Verhal ten leben in Glück und Sorglosigkeit (V. 3–12), während die Situation des Gerechten trotz frommer Lebensführung (V. 13, vgl. V. 1) durch „Plage“, „Mühsal“ und „Züchtigung“ gekennzeichnet ist (V. 13–16, vgl. V. 21 f). Diese Erfahrung wird für den Beter zur Anfechtung. Angesichts des drohenden Zerbrechens des Tun/ Ergehen-Zusammenhangs ringt er um Verstehen, doch seine Bemühungen scheitern (V. 16). Erst mit dem „Eintreten in die Heiligtümer Gottes“ (V. 17a) kommt es zur biographischen Wende, denn jetzt gewinnt er Einsicht in das „Ende“ (᾽aharît) ˙ der Gottlosen (V. 17b–20, vgl. V. 27 und Sir 11,25 f).72 Diesem Geschick der Frev ler stellt der Beter das Glück seiner eigenen Gottesbeziehung gegenüber, das er in starken Vertrauensaussagen beschreibt: Gott ist sein „Lebensbegleiter“ (V. 23 f), sein „(Land-)Anteil für immer“ (V. 26) und seine „Zuflucht“ (V. 28). Damit kommen Motive zur Geltung, die der traditionellen Leben/Tod-Thematik neue Aspekte hinzufügen: Gott als Lebensbegleiter (V. 23 f) Mit dem Vertrauensbekenntnis „Ich aber bin ständig bei dir“ (V. 23a) greift Ps 73 in charakteristischer Umkehrung das Motiv des Mitseins Gottes auf, wie es besonders im Kontext der Erzelternerzählungen überliefert ist (vgl. Gen 28,15 u. ö.).73 Dieses Motiv wird mit der Vorstellung von Schutz und Beistand verbunden, wie die Kombination mit dem Motiv der Handergreifung (V. 23b, vgl. Jes 41,10.13) zeigt. Im Vordergrund steht dabei aber nicht die Errettung aus einer akuten Notsituation, sondern die dauerhafte Führung auf dem Lebensweg (Motiv der Wegbegleitung V. 24a).74 Die Vertrauensaussagen vom Mitsein Gottes, vom Ergreifen der Hand und der Wegbegleitung finden ihren Zielpunkt schließlich im Motiv der Aufnahme bei Gott (V. 24b). Zur Übersetzung vgl. Irsigler, aaO 10 ff.372 f; Hossfeld / Zenger, aaO 331 ff (Zenger); Weber, Werkbuch 2, 15 ff und Janowski / Liess, aaO 390 f. 71 Zum Tun/Ergehen-Zusammenhang s. unten 523 ff. 72 Vgl. Irsigler, aaO 246.260 f und Janowski, Die Toten, 238 Anm. 161. 73 Vgl. Witte, aaO 106. 74 Vgl. Ps 16,8, s. dazu Liess, aaO 194 ff. 70
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 519
Gott als „(Land-)Anteil“ (V. 26) In Anschluss an die rhetorische Frage in V. 25 „Wen habe ich im Himmel (außer dir)?“, mit der der Beter seine einzigartige Gottesbeziehung formuliert, richtet V. 26 erneut den Blick auf das Lebensende des Beters: Vergeht auch mein Fleisch und mein Herz [, der Fels meines Herzens], so ist (doch) mein Anteil Gott für immer. Das Lebensende wird hier als körperliche Auflösung beschrieben, da Fleisch und Herz „vergehen“ (kālāh). Anders als in der Motivparallele Hi 33,21, die mit dem Bild der körperlichen Auflösung den drohenden ,Tod mitten im Leben‘ umschreibt,75 deutet Ps 73,26 auf den endgültigen Tod des Beters hin. Dem steht in der zweiten Vershälfte die Aussage gegenüber, dass Gott für den Beter „auf Dauer, für immer“ der „(Land-)Anteil“ (helæq) ist. ˙ Wie der zugeteilte Landanteil als unveräußerlich gilt, so ist für den Beter seine Gemein76 schaft mit Gott von dauerhaftem Bestand.
Die Beständigkeit der Gottesgemeinschaft wird durch die beiden Nominalsätze „Ich aber bin ständig bei dir“ (V. 23a) und „Mein Anteil ist Gott für immer“ (V. 26b) unterstrichen, die V. 23–26 rahmen. So formuliert der Beter von Ps 73 mit dem Vertrauensbekenntnis „Mein Anteil ist Gott für immer“ die Hoffnung auf eine Gottesgemeinschaft, die das Vergehen von Fleisch und Herz überdauert.77 Ob auch dem geschundenen Hiob dieses Glück der Gottesnähe zuteil wird – das ist eine der Fragen, die das Hiobbuch umtreibt.78 2. Gerechtigkeit und Leiden – Anthropologie der Weisheit Bedenk doch: Wer ging je schuldlos zugrunde, und wo kamen Aufrechte je um? Nach allem, was ich gesehen habe: Die Unheil pflügen, die Mühsal säen, die ernten es auch. Vom Atem Gottes gehen sie zugrunde, und vom Schnauben seiner Nase verschwinden sie. Hiob 4,7–9
Mit diesen Worten wendet sich Eliphas an seinen leidenden Freund Hiob und versucht, ihm die Logik des Tun/Ergehen-Zusammenhangs79 vor Augen zu stellen – die dieser natürlich kennt. Obwohl er tröstende Worte findet (vgl. Hi 4,2– 4), redet Eliphas an der Situation Hiobs vorbei, weil er zwar das theologisch Richtige, d. h. das der Logik von Tun und Ergehen Entsprechende – „Die UnS. dazu Bunzel, Ijob, 220 f. Zur Vorstellung, dass Gott der „(Land-)Anteil“ des Beters ist, s. Liess, aaO 169 ff. 77 Vgl. Michel, Unsterblichkeit, 174 f und van Oorschot, Mensch, 53. 78 Es geht dabei allerdings nicht um das jenseitige, sondern um das diesseitige Leben Hiobs, s. dazu unten 528 ff. 79 Zum Tun/Ergehen-Zusammenhang s. unten 523 ff. 75 76
520 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
heil pflügen, die Mühsal säen, die ernten es auch“ (Hi 4,8) –, nicht aber das dem Leiden Hiobs Gemäße redet. Denn wo, so das Argument des Eliphas, Leiden als Folge von Schuld verstanden wird, kann der Leidende kein Gerechter sein. Akut wird die Korrelation von Gerechtigkeit und Leiden erst in einem Kontext, in dem der traditionelle Zusammenhang von Tun und Ergehen zerbrochen ist. Zum Verständnis dieser Problematik sind zunächst einige Vorfragen zum Thema „Weisheit“ zu klären. a) Die weisheitliche Sicht des Menschen Altes Testament: Albertz, Art. Mensch, 471 ff ◆ Freuling, „Grube“ ◆ Gese, Art. Weisheit, 1574 ff ◆ Grund, Art. Tun/Ergehens-Zusammenhang, 654 ff ◆ Hausmann, Menschenbild ◆ Janowski, Tat, 167 ff ◆ Ders., Gott, 60 ff ◆ Koch, Vergeltungsdogma, 65 ff ◆ Köhlmoos, Art. Weisheit, 486 ff ◆ Dies., Leben, 324 ff ◆ Marböck, Umgang, 135 ff ◆ Meinhold, Sicht, 177 ff ◆ Müllner, Herz ◆ Otto, Ethik, 152 ff ◆ von Rad, Weisheit ◆ Rösel, Art. Tun/Ergehen-Zusammenhang, 931 ff ◆ Saur, Einführung ◆ Schmid, Weisheit, 144 ff ◆ Wilke, Kronerben, 138 ff. – Antike Religionen: Assmann, Vergeltung, 687 ff ◆ Brunner, Zentralbegriffe, 402 ff ◆ Otto, Ethik, 117 ff.142 ff ◆ Römheld, Weisheitslehre ◆ Schmid, Weisheit, 8 ff ◆ Wilke, Kronerben, 41 ff. – Religions-, Kultur- und Literaturwissenschaft: Assmann (Hg.), Weisheit.
Was ist Weisheit? Unter Weisheit wird eine in Ägypten und im Alten Orient (einschließlich Israel) verbreitete Lebenshaltung verstanden, auf die die didaktische Literatur und ihre Gattungen (Einzelspruch, Sentenz, Vergleichsspruch, Zahlenspruch u. a.)80 zurückgeführt wird. Es handelt sich dabei um „die Bemühung des Menschen, das Leben, die menschliche und natürliche Welt, in die er sich gestellt sieht, als Ordnung auf empirischem Wege zu verstehen: durch Beobachtung der Lebensvorgänge, durch das Erfassen der phänomenalen Charakeristika in der treffenden Formulierung, dem erhellenden Vergleich, im sammelnden Streben zur kontrastreichen Totalität. Diese gnomisch-empirische Apperzeption kennt kein induktives Zurückführen der Phänomene auf ein Prinzip wie das (spätere) philosophisch-systematische Denken, so daß die Ordnung als ein den Menschen forderndes Gegenüber, auch und gerade insoweit sie uneinsichtig bleibt, als Unterordnung heischendes Göttliches erfahren wird“81.
Es gibt in Ägypten und im Alten Orient einschließlich Israel keinen einheitlichen Weisheitsbegriff. Dennoch sind die vorderorientalischen Weisheitstraditionen als „Lehren für das Leben“82 auf den Alltag und seine vielfältigen Anforderungen bezogen.
S. für das Alte Testament den Überblick bei Köhlmoos, Art. Weisheit, 487 ff und Gertz (Hg.), Grundinformation, 450 ff (M. Witte). 81 Gese, Art. Weisheit, 1574. 82 S. dazu Brunner, Weisheit, 11 ff und ders., Zentralbegriffe, 402 ff. 80
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 521
α) Lebenspraktisches Erfahrungswissen Weisheit ist lebenspraktisches Erfahrungswissen, nicht das Mehr- oder Besserwissen des Spezialisten, sondern ein Wissen, das auf – unter Umständen: lebenslanger – Erfahrung beruht und das dazu hilft, sich in der natürlichen und sozialen Welt zu orientieren und klug, eben „weise“ (hākām)83 zu handeln. In ihren Sen˙ tenzen und Maximen hat die ältere Spruchweisheit Israels (Spr 10,1–22,16)84 ein Orientierungswissen vermittelt, das für die Bewältigung des Alltags und seiner vielfältigen Probleme vonnöten ist. „Kein Mensch“, so beginnt G. von Rad sein grandioses Weisheitsbuch, „würde auch nur einen Tag leben können, ohne empfindlichen Schaden zu nehmen, wenn er sich nicht von einem ausgebreiteten Erfahrungswissen steuern lassen könnte. Dieses Erfahrungswissen lehrt ihn die Abläufe in seiner Umgebung verstehen, es lehrt ihn die Reaktionen seiner Mitmenschen vorauszusehen, seine eigenen Kräfte am rechten Punkt einzusetzen, das Regelmäßige vom Einmaligen zu unterscheiden und vieles andere mehr“85.
Der Begriff, der dabei im Zentrum steht, ist der Begriff der „Ordnung“. Die Dinge und Vorgänge in der natürlichen und in der sozialen Welt vollziehen sich in Zusammenhängen, die bei aufmerksamer und nachdenklicher, eben „weiser“ Betrachtung, erkannt werden können und die die Grundlage des menschlichen Verhaltens bilden (sollten). Diese Form der Wirklichkeitswahrnehmung gerät, wie wir sehen werden, bei Hiob und Kohelet in eine fundamentale Krise. Dass und inwiefern Weisheit etwas mit Lebenskunst, d. h. mit der Fähigkeit zu tun hat, das Leben und seine mannigfachen Anforderungen zu bewältigen, ist das Grundmotiv der ägyptischen Lebenslehren (von der Lehre des Prinzen Djedefhor bis zur Lehre des Papyrus Insinger).86 „Die ägyptischen Lebenslehren“, schreibt H. Brunner, „sind nicht ein Gesetz, weder im juristischen Sinne noch im Sinne der Gebote des Alten Testaments; sind keine Vorschriften, deren Übertretung durch Gerichte geahndet wird oder als Sünde dem einzelnen oder dem Volk das Heil kostet. Vielmehr erteilen die Lebenslehren dem jungen Mann Ratschläge, wie er sein Leben so einrichten kann, daß er es ohne unnötige Schwierigkeiten und Fehlschläge besteht“87. 83
84 85
86
87
Die hebräische Wurzel hkm, die dem späteren Terminus hākmāh „Weisheit“ zugrunde ˙ der Kunstfertigkeit des Handwerkers ˙ und Fachmanns ein (vgl. liegt, schließt den Begriff Jes 40,20; Jer 10,9; Ez 27,8 u. ö.), s. dazu und zum Wortfeld des Wissens Köhlmoos, aaO 486 f; Saur, Einführung, 10 f und Schipper, Sprüche (BK), 40 ff. S. dazu den Überblick bei Zenger u. a., Einleitung, 456 ff (L. Schwienhorst-Schönberger) und Gertz (Hg.), aaO 445 ff (M. Witte). Von Rad, aaO 3. S. dazu die umfassende Textsammlung bei Brunner, aaO 101 ff. Ausgewählte Texte bieten Römheld, Weisheitslehre, 17 ff; Schmid, Weisheit, 202 ff; Beyerlin (Hg.), RTAT2, 70 ff (H. Brunner); TUAT III/2 (1991) 191 ff (H. Sternberg-el Hotabi u. a.) und Wilke, Kronerben, 41 ff. Brunner, aaO 11.
522 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Die Lebenslehren propagieren aber nicht ein rein innerweltliches, utilitaristisches Handlungsmodell, sondern sie beruhen auf einem ausgesprochen religiösen Weltbild. Leitend ist dabei die Überzeugung, „daß Gott der Welt eine Ordnung gegeben hat – in Ägypten Ma῾at geheißen –, die sowohl das umfaßt, was wir Naturordnung nennen – wie den Lauf der Gestirne, den Wechsel der Jahreszeiten, Pflanzen- und Tierleben, Geburt und Tod –, wie auch die Sozialordnung der Menschen, so die Beziehung der Geschlechter, die vielfältige soziale Ordnung eines Volkes, die Scheidung der Völker nach Hautfarbe und Sprache, schließlich den Tempelkult und selbst die Beamtenhierarchie, die Steuerreglung und sogar Tischsitten“88.
Bei aller Eigenbegrifflichkeit ist das Menschenbild der ägyptischen Lebenslehren dem Menschenbild der älteren Weisheit (Spr 10,1–22,16) in vielem ähnlich. Hier wie dort ist es das Herz (äg. ib, hꜢjt, hebr. leb / lebāb), das den Menschen mit der Gottheit bzw. mit JHWH verbindet, das „zu Gott hin offen steht und durch das Gott zum Menschen spricht“89. Nach ägyptischer wie alttestamentlicher Auffassung ist es nicht nur der Sitz der Emotionen, sondern auch der kognitiven (Verstand) und voluntativen Fähigkeiten (Wollen).90 In besonderer Weise ist das Herz das Organ, das auf die Entsprechung zwischen Innen und Außen achtet und damit den Prinzipien der Aufrichtigkeit (vs. Lüge), der Wahrheit (vs. Trug) und der Gerechtigkeit (vs. Sünde) folgt.91 Diese Wirkung des „weisen Herzens“ kommt sowohl in der Lehre des Ptahotep (11./12. Dyn.) als auch in Spr 16,23 f paradigmatisch zum Ausdruck: Man erkennt einen Weisen an dem, was er weiß, und einen Adligen an seinem guten Benehmen. Sein Herz (jb) stimmt mit seiner Zunge überein, und seine Lippen sind aufrichtig, wenn er spricht. (Ptahhotep 526–528, s. Q 22) 23 Ein weises Herz (leb hākām) macht seinen Mund achtsam, ˙ und auf seinen Lippen fügt es Einsicht hinzu. 24 (Wie) Fließen von Honig sind liebliche Worte, süß für das Leben und Heilung für die Knochen. (Spr 16,23 f)
Die wahren Konturen des Menschseins, die in diesen beiden „Herz“-Texten hervortreten, sind nirgends so deutlich zu erkennen, wie in seinem Umgang mit dem Wort, das zum rechten Tun und in der Konsequenz zu einem diesem Tun entsprechenden Ergehen führt. Dieser Konnex von Tun und Ergehen gehört zu den Grundaxiomen weisheitlicher Anthropologie.
Ders., aaO 13. Zum Begriff ma᾽at „Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit“ s. oben 192 und Q 31. Ders., aaO 23, vgl. Müllner, Herz, 20 f. 90 S. dazu oben 154 ff. Die meisten Belege für leb / lebāb „Herz“ finden sich im Psalter und in der Weisheitsliteratur, s. dazu oben 154 Anm. 52. 91 S. dazu oben 156 ff. 88 89
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 523
β) Der Tun/Ergehen-Zusammenhang Das weisheitliche Denken ist von einer Ordnungsvorstellung geprägt, die mit dem Ausdruck Tun/Ergehen-Zusammenhang bezeichnet wird. Diese Konzeption, derzufolge alles Ergehen auf ein vorgängiges Tun zurückbezogen und der Wirkkraft einer alles verknüpfenden Gerechtigkeit zugeschrieben wird, bildet den konnektiven Aspekt der Gerechtigkeit.92 Danach ist alles Handeln so miteinander verbunden und in diesem Sinn „gerecht“, dass, wer unaufrichtig, trügerisch oder frevlerisch handelt, die Kontinuität der Wirklichkeit unterbricht, die – wie es in der ägyptischen Lehre für Merikare (s. Q 32) heißt – auf der „Verfugung“ aller Taten beruht. Das Axiom des Tun/Ergehen-Zusammenhangs wurde von K. Koch in die exegetische Diskussion eingeführt.93 Koch stellte dabei die These auf, dass sich der Mensch durch seine Guttat oder Übeltat Heil oder Unheil selbst erwirkt (Spr 12,14; 26,27 u. ö.) und JHWH dabei eine Art „Hebammendienst“ leistet, indem er den Tun/Ergehen-Zusammenhang in Kraft setzt und sich am Täter vollenden lässt. In Kritik an diesem Modell einer „schicksalwirkenden Tatsphäre“, die die soziale Dimension menschlichen Handelns zu wenig berücksichtigt, hat die neuere Forschung das mit Vergeltung bezeichnete Phänomen im Rahmen des Konzepts der „konnektiven Gerechtigkeit“ gedeutet und den Gedanken der Reziprozität betont. Danach ist Vergeltung eine Kategorie der sozialen Interaktion, wonach dem Handelnden durch andere widerfährt, was dieser an ihnen getan hat.94
Gehen wir zur Verdeutlichung dieses Handlungsprinzips von der bekannten Sentenz Spr 26,27 aus: Wer eine Grube gräbt – in sie fällt er hinein, und wer einen Stein wälzt – zu ihm kehrt er zurück (šûb qal).
Diese Sentenz, die sprichwörtlich geworden ist und die K. Koch in eine Reihe mit anderen Sprüchen wie Spr 25,19; 26,28; 28,1 u. a. stellt, besagt nicht, dass die Tatfolge sich von selbst, gleichsam „naturgesetzlich“95 einstellt, sondern nur, dass sie mit Sicherheit eintrifft. Worauf es ankommt und was die Erfahrung lehrt, ist die Regelhaftigkeit und Verlässlichkeit des beschriebenen Handlungsmusters. Hierher gehören auch die Naturvergleiche des Sprüchebuchs, wie etwa die Saat/ Ernte-Metapher von Spr 22,8:
92
Zum Begriff der Konnektivität s. oben 148. S. dazu Koch, Vergeltungsdogma, 65 ff und im (kritischen) Anschluss daran von Rad, Weisheit, 132 ff; Assmann, Vergeltung, 687 ff; ders., Ma᾽at, 60 ff; Janowski, Tat, 167 ff; Rösel, Art. Tun/Ergehen-Zusammenhang, 931 ff; Freuling, „Grube“; Grund, Art. Tun/Ergehens-Zusammenhang, 654 ff; Müllner, Herz, 47 ff; Köhlmoos, Leben, 324 ff und Schipper, Sprüche (BK), 52 ff. 94 S. dazu Janowski, aaO 175 ff. 95 Koch, aaO 67. Koch hat diese Qualifizierung später korrigiert, s. dazu die Nachweise bei Janowski, aaO 176 Anm. 48. 93
524 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Wer Unrecht sät, wird Unheil ernten, und der Stecken seines Zorns wird ein Ende haben.96
Das Ende des Unrechts / der Gewalt („Stecken des Zorns“), das der zweite Halbvers in Aussicht stellt, wird im ersten Halbvers mit Hilfe der Metaphorik von Säen und Ernten (vgl. Jer 12,13; Hos 8,7; Hi 4,8 f u. a.) veranschaulicht. Entscheidend ist dabei der Zeitfaktor, d. h. der zeitliche Abstand zwischen den beiden Tätigkeiten Säen und Ernten, der anzeigt, „daß sich die Wahrheit dieses Grundsatzes keineswegs sofort einstellen muß“97. Auf die Sachebene übertragen: Die Folge des Verhaltens tritt für den Handelnden zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit, aber erst nach einem längeren Zeitraum ein. Im Vordergrund steht in Spr 26,27 also die Erfahrungstatsache, dass den Täter das für andere bereitete Unheil unweigerlich selbst trifft (vgl. Spr 28,10). Der Spruch ist dabei so allgemein gehalten, dass er den unmittelbaren Bezug auf den anderen, dem die hinterhältigen Aktionen (Graben einer Grube // Wälzen eines Steins) gelten, nicht explizit macht, auch wenn sich dieser Bezug aus dem Kontext von V. 18–26 ergibt.98 Nun gibt es aber Sprüche, die diesen Bezug auf eine andere Person enthalten und damit so etwas wie die soziale Dimension, also die Außenseite des Handelns, reflektieren, z. B. Spr 28,18: Wer makellos wandelt (hôlek tāmîm), wird gerettet werden, wer aber die (beiden) Wege verkehrt, wird mit einem Mal (oder: in eine Grube) fallen.
Dieser Spruch fällt insofern aus dem Rahmen, als der erste Halbvers mit einer passivischen Formulierung („wird gerettet werden“) endet. Dass JHWH den Übeltäter rettet,99 steht zwar nicht da, wird aber oft und wohl zu Recht angenommen. Denn wie die Sachparallele Ps 18,21–25 (in Kombination mit Ps 15,2–5) zeigt, ist dabei eine Rettung durch JHWH gemeint, die der Gerechtigkeit des Beters entspricht und die in der „Reinheit seiner Hände“ (V. 21.25, expliziert durch die Binnenverse V. 22–24), d. h. in seinen sichtbaren Taten zu Tage tritt: 21 JHWH hat gut an mir gehandelt und mir vergolten (šûb hif.), weil ich gerecht bin und meine Hände rein sind. 22 Denn ich hielt mich an die Wege JHWHs und fiel nicht ruchlos ab von meinem Gott. 23 Ja, ich habe alle seine Gebote vor Augen, weise seine Gesetze niemals ab.
Vgl. Spr 22,8; 25,23 und 26,20 f, s. dazu Janowski, aaO 181 f. Meinhold, Sprüche II (ZBK.AT), 368. 98 S. dazu auch Köhlmoos, Leben, 334 ff. 99 Vgl. sachlich Spr 19,17; 24,12; 25,21 f und vielleicht auch Spr 16,7, wo JHWH jeweils als Subjekt genannt wird, s. dazu Hausmann, Menschenbild, 237 ff. 96 97
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 525
24 Ich war vor ihm ohne Makel, ich nahm mich in acht vor der Sünde. 25 Darum hat JHWH mir vergolten (šûb hif.), weil ich gerecht bin, und meine Hände rein sind vor seinen Augen. (Ps 18,21–25)
Es ist in Spr 28,18 also ein Mensch im Blick, der sich „makellos“ (tāmîm) gegenüber seinem Nächsten verhält (vgl. Ps 15,2; 18,24) und der deshalb von JHWH gerettet wird. Gewiss: Wer oder was das gute Ergehen des Gerechten hervorruft, wird in Spr 28,18 nur implizit gesagt, gleichwohl lässt sich aufgrund der genannten Parallelen der soziale und religiöse Hintergrund aufhellen. Von einer Selbstwirksamkeit der guten Tat, die – „der Notwendigkeit eines Naturgesetzes vergleichbar“100 – heilvolles Ergehen „zwangsläufig“ zur Folge hat, kann jedenfalls nicht die Rede sein. Es gibt drei weitere Sprüche, die ebenfalls eine passivische bzw. unpersönliche Formulierung enthalten und damit einen Hinweis auf eine ,zweite Instanz‘ geben. Das Problem ist wieder, dass sie nicht genauer benannt wird: Wenn dem Gerechten auf Erden vergolten wird (šlm pu.), wie viel mehr dem Frevler und Sünder. (Spr 11,31) Wer ein Wort verachtet, verpfändet sich ihm, aber wer das Gebot fürchtet, dem wird vergolten (šlm pu.). (Spr 13,13) Sündern jagt das Böse nach, aber Gutes vergilt man (šlm pi.) den Gerechten. (Spr 13,21)
Spr 13,13 beschreibt zwei unterschiedliche Verhaltensweisen gegenüber der Weisung („Wort“/„Gebot“) des Weisen: zum einen Verachtung und zum anderen Furcht. „Die Vorstellung des Sich-Verpfändens an ein verachtetes Wort des … Weisen schließt ein, dass das nicht erfüllte Wort wie ein selbständiges Wesen Rechenschaft fordern wird“101 – und zwar in der weiteren Biographie dieses Menschen, wenn er in eine entsprechende Situation kommen wird. Da eine von außen eingreifende Größe nicht genannt wird, könnte dieser Halbvers im Sinn einer „schicksalwirkenden Tatsphäre“ verstanden werden. Demgegenüber bringt der zweite Halbvers mit der Passivformulierung „dem wird vergolten (šlm pi.)“ eine zweite Instanz ins Spiel, wobei wiederum die Frage ist, wer diese sein soll: JHWH oder die Mitmenschen? Möglicherweise ist diese Alternative aber hinfällig, weil es dem Spruch – wie Spr 11,31 und 13,21 zeigen – sowohl auf die religiöse als auch auf die soziale Dimension des Geschehens ankommt. Wenn man nämlich den in Spr 11,31 formulierten Grundsatz der „Vergeltung auf Erden“ beachtet, dann geht es um das – offenbar von JHWH initiierte – Eintreffen der Entsprechung von Tun und Ergehen noch zu Lebzeiten („im Land“, vgl. Spr 2,21 f; 10,30). Und wenn man zusätzlich Spr 13,21 einbezieht, könnte theoretisch zwar 100 Koch,
Vergeltungsdogma, 67. Sprüche I (ZBK.AT), 223.
101 Meinhold,
526 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
JHWH grammatisches Subjekt sein, doch ist der direkte Gottesbezug unwahrscheinlich.102 Hinter dem unpersönlichen „man“ dürften eher diejenigen stehen, die das vom Gerechten empfangene „Gute“ im Sinn der Gegenseitigkeit durch ein entsprechendes Handeln zurückgeben.103 Dieser Aspekt der Reziprozität des Handelns kommt sehr deutlich auch in Spr 12,14 zum Ausdruck: Von der Frucht des Mundes eines Mannes sättigt man sich mit Gutem, und das von den Händen eines Menschen Gewirkte kehrt zu ihm zurück (šûb qal).
Während die erste Hälfte des Spruchs die Auswirkung bzw. den Ertrag (Gutes als „Frucht“) der Rede („Mund“) eines Menschen beschreibt, beschäftigt sich der zweite Halbvers mit der vollbrachten guten oder bösen Tat („Hände“) und deren „Rückkehr“ zum Täter (vgl. Ob 15b und Spr 19,17). In seinen beiden Hälften beschreibt die Sentenz demnach den Zusammenhang von Tun (A) und Ergehen (B) als reziprokes Verhältnis, schematisch dargestellt: A Reden („Mund“) → B vollbrachte Tat („Hände“) →
B bewirkter Ertrag (Gutes als „Frucht“) A Wirkung auf Täter („Rückkehr“)
Abb. 109: Zur Reziprozität des Handelns nach Spr 12,14
Das aber heißt: Die Tat kehrt zum Täter zurück – nicht von allein, sondern dadurch, dass dem Handelnden durch andere widerfährt, was dieser im Guten wie im Bösen an ihnen getan hat. Die ältere Spruchweisheit Israels kennt also die „Vergeltung“ als eine Kategorie der sozialen Interaktion. Sie gibt allem Handeln Sinn und Verlässlichkeit, weil sie dem Prinzip der Gegenseitigkeit verpflichtet ist. Bereits in Ägypten trifft man auf ein Handlungsprinzip, das sich als „Füreinander-Handeln“ bezeichnen lässt und das ein Grundbegriff der konnektiven Gerechtigkeit ist.104 „Konnektivität“ heißt, dass die Folge (Ergehen) an die Tat (Tun) gebunden und so der Gang der Dinge und damit die Welt insgesamt zu einem sinnhaften Ganzen verknüpft wird. Es ist kennzeichnend für diese Vorstellung, dass Störungen der gesellschaftlichen Ordnung mit kosmischen Störungen einherzugehen pflegen. Die Welt ist „aus den Fugen“, wenn die konnektive Gerechtigkeit nicht mehr funktioniert, d. h. wenn das Böse die Oberhand gewinnt und das Gute sich nicht mehr lohnt. Demgegenüber ist eine Gesellschaft dann „gerecht“, wenn ihre Mitglieder nicht „träge“, „taub“ oder „habgierig“ sind, also selbstbezüglich agieren, sondern wenn sie den Prinzipien der konnektiven Gerechtigkeit folgen, wenn sie also füreinander handeln (aktive Solidarität), aufeinander hören (kommunikative Solidarität) und aneinander denken (intentionale Solidarität). Diese drei Aspekte bilden
102 Vgl.
Meinhold, aaO 227.
103 Der interaktionelle, d. h. nicht selbstwirksame Zusammenhang von Tun und Ergehen findet
sich noch in anderen Sprüchen, s. dazu die Textzusammenstellung bei Janowski, Tat, 185. dazu Assmann, Vergeltung, 687 ff; ders., Ma᾽at, 58 ff.178 f.283 ff u. ö.; ders., Der Eine lebt, 147 ff und Janowski, aaO 167 ff.
104 S.
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 527
die Grundlage für das gelingende Miteinander-Leben.105 In der Lehre für Merikare (9./10. Dyn.) wird diese Handlungstheorie an einem Beispiel erläutert: Siehe, eine schändliche Tat geschah zu meiner Zeit, geplündert wurden die Friedhöfe im Gau von This. Es geschah jedenfalls als meine Tat, obwohl ich erst davon erfuhr, als es geschehen war. Sieh doch, mein Lohn erwuchs mir aus dem, was ich getan hatte: Es ist schändlich zu zerstören. Keinem nützt es, wieder aufzubauen, was er vernichtet hat, herzustellen, was er zerstört hat. Sei davor auf der Hut! Ein Schlag wird mit einem ebensolchen vergolten, das ist die Verschränkung (wörtlich: Verfugung) aller Taten!106 Solidarisches Handeln setzt aber nicht nur ein individuelles, sondern auch ein „soziales Gedächtnis“ voraus, das als ein die Zeiten übergreifender Horizont in die Vergangenheit zurückreicht und das Heute an das Gestern bindet. Diese Dimension der „dankbaren Erinnerung“ wird in den Klagen des Beredten Oasenmannes (9./10. Dyn.) leitmotivisch eingesetzt: Verhülle dein Angesicht nicht gegenüber dem, den du gekannt hast, sei nicht blind gegenüber dem, auf den du geblickt hast, stoße nicht zurück den, der sich bittend an dich wendet, sondern lass ab von diesem Zögern, deinen Ausspruch hören zu lassen. Handle für den, der für dich handelt! (s. Q 34) Und in der Fortsetzung heißt es gleichsam definitorisch: Ein guter Charakter kehrt zurück an seine Stelle von gestern, denn es ist befohlen: Handle für den, der handelt, um zu veranlassen, dass er tätig bleibt. Das heißt, ihm danken für das, was er getan hat. (s. Q 33) Die ägyptische Religion entwickelt den Begriff des verantwortlichen Handelns demnach aus dem „Begriff der Dankbarkeit (oder allgemeiner: der Beantwortung vorangegangenen Handelns, also mit Blick auf die Vergangenheit). Verantwortliches Handeln heißt ägyptisch ,Handeln für den, der handelt‘, also ,Füreinander-Handeln‘“107. Die Maxime dieses „Füreinander-Handelns“ lässt sich einer Sentenz der sog. Metternichstele entnehmen, die aus dem Mund der Göttin Isis kommend wie ein gängiges Sprichwort wirkt: Es ist gut zu hören, dass einer leben wird, wenn ein anderer ihn leitet.108
dazu Assmann, Ma᾽at, 60 ff. den Textnachweis s. Q 32. 107 Assmann, aaO 63. 108 Übersetzung TUAT II (1986–1991), 376 (H. Sternberg-el-Hotabi), s. dazu Assmann, Der Eine lebt, 147 ff und ders., Tod, 16.73 ff.78 ff u. ö. 105 S.
106 Für
528 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament Fasst man den Konnex von Tun und Ergehen in diesem Sinn als Füreinander-Handeln, dann ist Vergeltung eine Form der sozialen Interaktion: „Vergeltung ist nach ägyptischer Auffassung – zumindest im Mittleren Reich – demzufolge weder Sache eines bestrafenden und belohnenden Gottes noch einer Privatinitiative der jeweils Betroffenen. Vergeltung ist aber auch nicht einer unpersönlichen Weltordnung anheimgestellt, sondern einer eminent zivilisatorischen Sozialordnung, einer Ordnung des Aneinander-Denkens und Füreinander-Handelns. Dieser Ordnung hat sich der Einzelne einzufügen, im sozialen Raum und vor allem in der Zeit. Er darf sich nicht vom Gestern abkoppeln, sonst zerreißt in diesem Fall der Tun-Ergehen-Zusammenhang, der eben nicht kosmisch garantiert ist.“109
Auch nach dem für die ältere Spruchweisheit (Spr 10,1–22,16) charakteristischen Tun/Ergehen-Zusammenhang werden nicht Waren, sondern Handlungen und die damit verbundenen Wertmaßstäbe (Aufrichtigkeit, Wahrheit, Gerechtigkeit) ,getauscht‘. Sie befördern die Kohärenz der Wirklichkeit, indem sie die Handelnden aneinander binden und gegenseitig verpflichten. Alle Handlungen sind miteinander verzahnt, aber immer bedroht von Unrecht und Hartherzigkeit. Wo die Kraft des Füreinander-Handelns nachlässt oder gar versiegt, zerreißt auch das Band der Gerechtigkeit. Nur dieses Band verleiht einer Gemeinschaft Sinn und Zusammenhalt, weil es „Orientierung im Dickicht des Alltags“110 bietet und weil, wie Spr 10,2b pointiert formuliert, Gerechtigkeit vor dem Tod rettet: Nicht nützen Schätze des Frevels, aber Gerechtigkeit rettet vor dem Tod (Spr 10,2).111
b) Zur Anthropologie des Hiobbuchs Altes Testament: Bunzel, Ijob ◆ Frevel, „Menschenwürde“, 244 f ◆ Irsigler, Hoffnung, 105 ff ◆
Janowski, Gott, 205 ff ◆ Jeremias, Theologie, 460 ff.493 ff ◆ Jones, Discourse, 845 ff ◆ Köhlmoos, Auge Gottes ◆ Lux, Hiob ◆ Oeming / Schmid, Hiobs Weg ◆ van Oorschot, Sprachlosigkeit, 239 ff ◆ Ders., Aspekte, 33 ff ◆ Ders., (Selbst-)Begrenzungen, 233 ff ◆ Randriambola, „Mensch“ ◆ Schmid, Hiob ◆ Schmidt, „Augen“, 87 ff ◆ Schellenberg, „Fleisch“, 95 ff ◆ Dies., Krankheit, 48 ff ◆ Schwienhorst-Schönberger, Weg ◆ Sedlmeier, „Mutterschoß“, 300 ff ◆ Wil-
Ma᾽at, 66 (H. i. O.), s. dazu auch die Hinweise bei Janowski, aaO 180 Anm. 65. Der Tun/Ergehen-Zusammenhang ist zwar nicht kosmisch garantiert, er hat aber, wie Schipper, Sprüche (BK), 53 präzisiert, eine religiöse Dimension: „Diese gründet im kosmotheistischen Wissen, welches die Welt nicht als ,profanen‘ Lebensraum des Menschen versteht, sondern die Welt und ihre Phänomene auf das Handeln von Gottheiten (in Israel: des Gottes JHWH) zurückführt. Insofern wohnt dem mittels Erfahrung und Weltbeobachtung gewonnenen weisheitlichen Wissen eine Dimension inne, die in theologische Sätze einfließen kann“. Zu den theologischen Aspekten der älteren Weisheit s. auch Hausmann, Menschenbild, 237 ff; Janowski, aaO 186 ff; Köhlmoos, Leben, 334 ff u. a. 110 Von Rad, Weisheit, 27, vgl. Müllner, Herz, 33 f und zum Gemeinschaftsaspekt der älteren Weisheit Meinhold, Sicht, 177 ff. 111 S. dazu Meinhold, aaO 178 und Schipper, aaO 619 f. 109 Assmann,
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 529
li-Plein, Widerruf?, 130 ff ◆ Dies., Mensch, 553 ff ◆ Witte, Gesichter, 65 ff. – Antike Religionen: Müller, Hiobproblem, 49 ff.180 ff ◆ Uehlinger, Hiob-Buch, 97 ff.
Das Prinzip der sozialen Interaktion, wie es im Modell des Tun/Ergehen-Zusammenhangs zum Ausdruck kommt, besitzt eine große Plausibilität. Dennoch gerät es in nachexilischer Zeit in eine fundamentale Krise. Die Gründe dafür sind vielfältig.112 Sie bündeln sich in der Figur des „leidenden Gerechten“ und ihrer spezifischen Sicht der Gerechtigkeit: der Gerechte leidet, weil oder obwohl er gerecht ist. Das ist im eigentlichen Sinn paradox. Diese Paradoxie ist der Motor des Dialogteils des Hiobbuchs (Hi 3,1–42,6), bis sie am Ende der Gottesreden von einem Wissen abgelöst wird, das Hiobs geschundene Existenz noch einmal neu ausrichtet (Hi 42,1–6).113 Insofern ist Hiob der exemplarische Mensch, d. h. der Mensch, der zum Protagonisten der conditio humana wird, nicht trotz, sondern wegen seines Leidens. α) Leibsphäre und Sozialsphäre Nach alttestamentlichem Verständnis ist der Mensch kein Spielball Gottes,114 sondern er bewegt sich im Ordnungsrahmen der von Gott geschaffenen und erhaltenen Welt. Dennoch kann Gott – und das geschieht im Hiobbuch – „eine unmittelbare und vollständige Verfügungsgewalt über seine Geschöpfe ausüben (…), wenn er das will“115. Das Hiobbuch thematisiert das so, dass die göttliche Verfügungsgewalt an Hiobs Körper zu Tage tritt und zugleich dessen Sozialsphäre in Mitleidenschaft zieht. Dieser Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre steht im Folgenden im Vordergrund.116 Drei Textbeispiele aus dem Dialogteil sollen das veranschaulichen. Hi 7,17–21 (Kontext: Erster Redegang Hi 4–14) Gemäß der anthropologischen Grundfrage von Ps 8,5 ist der Mensch Mensch, weil Gott an ihn denkt (zākar) und wohlwollend nach ihm sieht (pāqad) oder weil er – wie Ps 144,3 f diesen Gedanken abwandelt – sich dem vergänglichen und schwachen Menschen zuwendet.117 Einen Schritt weiter geht Hi 7,17–21, denn dieser Text zielt „nicht darauf, die Gültigkeit der Theologie von Ps 8 zu leugnen, dazu Müllner, Herz, 52 f. Komposition und Entstehungsgeschichte des Hiobbuchs s. Gertz (Hg.), Grundinformation, 437 ff.439 ff (M. Witte) und die Hinweise bei van Oorschot, (Selbst-)Begrenzungen, 241 ff. 114 Im Blick auf Gen 22 ist dieser Vorwurf immer wieder erhoben worden, s. dazu aber Janowski, Gott, 117 ff. 115 Schmid, Hiob, 77. 116 S. dazu auch Sedlmeier, „Mutterschoß“, 301 ff; van Oorschot, Sprachlosigkeit, 246 ff; Jones, Discourse, 845 ff; Irsigler, Hoffnung, 105 ff; Schellenberg, „Fleisch“, 95 ff; dies., Krankheit, 48 ff; Schmidt, „Augen“, 87 ff und Bunzel, Ijob. 117 Zu Ps 8,5 s. oben 15, zu Ps 144,3 f s. Q 6. 112 S.
113 Zur
530 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
sondern – im Gegenteil! – Bezug nehmend auf sie, ein verändertes Verhalten von Seiten Gottes zu erwirken“118. Dabei nehmen die positiven Aussagen von V. 17 in V. 18 Zug um Zug eine negative Färbung an, bis in V. 19 die negative Aussageabsicht klar und deutlich hervortritt: 17 Was ist der Mensch, dass du ihn groß machst (gdl pi.), und dass du auf ihn dein Herz richtest (šît + leb), 18 ihn Morgen für Morgen musterst (pāqad), ihn immerfort auf die Probe stellst (bāhan)? ˙ 19 Wie lange noch wendest du dich nicht von mir ab, gibst mich nicht los, bis meinen Speichel ich geschluckt habe? 20 Habe ich gesündigt, was vermag ich dir zu tun, du Menschenwächter? Wozu hast du mich hingestellt, dir zur Zielscheibe,119 dass ich mir selbst zur Last geworden bin? 21 Weshalb hebst du meinen Frevel nicht weg, und lässt vorüberziehen meine Verfehlung? Fürwahr, jetzt lege ich mich nieder in den Staub, und du wirst mich suchen, doch ich bin nicht mehr. (Hi 7,17–21)
In diesem Text wird Ps 8,5 nicht einfach als Subtext rezipiert, sondern so rezipiert, dass eine neue Aussage entsteht. Ähnlich ist dabei die Eröffnungsfrage „Was ist der Mensch?“ (V. 17a) und das Verb pāqad („mustern“ V. 18a). Die Unterschiede sind aber ebenso deutlich: statt zākar („gedenken“) verwendet Hi 7,17a das Verb gdl pi. („groß machen“). Außerdem weiß der Hiobtext nichts von der Herrlichkeit und Würde des Menschen wie Ps 8,6,120 aber viel vom ständigen Geprüftwerden des Leidenden durch den Wächtergott (Hi 7,20). Ist das im Sinn einer ,negativen Anthropologie‘ oder gar als „Umkehrung psalmentheologischen Denkens“121 zu verstehen? Wohl kaum, vielmehr ist davon auszugehen, dass Ps 8,5 „als Subtext weiter (wirkt) und … als strategisches Mittel (dient), um die Diskrepanz zwischen der hoheitlichen Stellung des Menschen in Ps 8 und der tatsächlichen Lage Ijobs aufzuzeigen und mit ihr die notwendige Veränderung dringlich zu machen“122. Auch Ps 8,6 wird im Hiobbuch rezipiert, aber dabei in sein Gegenteil verkehrt. In Hi 19,8– 10 klagt Hiob Gott mit folgenden Worten an:
aaO 305, s. dazu auch Frevel, „Menschenwürde“, 244 ff und Schmid, Literaturgeschichte, 152 f. 119 Vgl. Hi 16,12 ff u. a. und dazu Jones, Discourse, 849 ff. 120 S. dazu Sedlmeier, aaO 303 ff. Zum Thema „Ehre und Würde“ s. oben 215 ff und speziell für das Hiobbuch Schellenberg, „Fleisch“, 104 ff und dies., Krankheit, 48 ff. 121 So Spieckermann, Heilsgegenwart, 237; Köhlmoss, Auge Gottes, 171 u. a., s. dazu die Kritik von Frevel, aaO 261 und Sedlmeier, aaO 303 mit Anm. 6 f. 122 Sedlmeier, aaO 304, vgl. Frevel, aaO 257 ff. 118 Sedlmeier,
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 531
8 Meinen Weg hat er vermauert, ich kann ihn nicht begehen, und auf meine Pfade legt er Finsternis. 9 Meiner Würde (kābôd) hat er mich entkleidet, und entfernt die Krone (῾atæræt) meines Hauptes. ˙ 10 Er hat mich ringsum eingerissen, so dass ich (ver-)gehe, und er hat ausgerissen wie einen Baum meine Hoffnung. Die Krone, die Hiob vom Haupt genommen wird, ist – da das „Haupt“ (ro᾽š) die individuelle und soziale Identität (Wertschätzung, Rang / Status) bezeichnet123 – die Insignie des sozialen Ansehens: „Vom Bekrönen ist nicht nur das Haupt, sondern die ganze Person betroffen. (…) Deshalb zieht er (sc. Hiob) gerade die Kernstelle des königlichen Menschen aus Ps 8 heran, um seine aussichtslose Lage zu charakterisieren.“124 Von der sozialen Identität Hiobs handelt dann auch Hi 29.125
Hi 19,25–27 (Kontext: Zweiter Redegang Hi 15–21) Wenn man den Dialogteil bis hierher überschaut, so wird der anfängliche Todeswunsch von Hi 3126 transformiert in den Gedanken, vor dem „frevelhaften“ Gott in der Scheol versteckt zu werden (Hi 14,13–17), um auf das Auftreten eines ,Zeugen im Himmel‘ zu warten (Hi 16,18–22), der Hiob von seinem Leiden „(er-)löst“ (Hi 19,25–27).127 Und nun geschieht etwas Eigenartiges: statt in den Atheismus abzugleiten, bekommt Hiobs Gottesfrage ein überraschendes Profil, das sich vor allem anhand von Hi 19,25–27 und seinem signifikanten Körperbild beschreiben lässt: 25 Ich aber weiß: mein Löser ist lebendig und als letzter erhebt er sich auf dem Staub. 26 Und nachdem man meine Haut so geschunden hat, ja, ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen 27 – den ich selber für mich schauen werde, und den (dann) meine Augen gesehen haben werden, und zwar nicht als einen Fremden, mögen auch meine Nieren in meinem Schoß verschmachtet sein!128
123 S.
dazu oben 148 ff. aaO 263 f. Zum Topos des „königlichen Menschen“ (Ps 8,6 f) s. oben 476 ff. 125 S. dazu im Folgenden. 126 S. dazu oben 66 ff. 127 Zum prozessrechtlichen Verständnis der „Löser“-Vorstellung s. Irsigler, aaO 128: „Der ‚Löser‘ tritt rechtsentscheidend ‚als Letzter‘ im Rechtsstreit Ijobs wie ein Entlastungszeuge und Helfer, aber auch Richter auf.“ Zu den weiteren Bedeutungsaspekten der „Löser“-Vorstellung im Kontext von Hi 19 und auf der Ebene des Buchs (Hi 9,33; 13,3 ff.18 ff; 16,18 ff) s. ders., aaO 132 ff. 128 Zu diesem Text s. Schnocks, Rettung, 50 ff; Irsigler, Hoffnung, 120 ff; Randriambola, „Mensch“, 227 ff und Müller, „Seele“, 258 f. Anders als oben angegeben wird V. 26b von Schellenberg, „Fleisch“, 112 f; dies., Krankheit, 54 f mit „aus meinem Fleisch“ übersetzt. Ihr Einwand, die Übersetzung „ohne mein Fleisch“ passe „so gar nicht zur hebräischen Anthropologie“ (aaO 124 Frevel,
532 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Was Hiob hier erhofft, zielt nicht auf ein Jenseits der Todesgrenze, sondern bleibt „Gewissheit am äußersten Rand des verfallenden irdischen Daseins …“129. Das ergibt sich aus der Elendsschilderung von V. 26 f und ihren anthropologischen Aussagen („ohne mein Fleisch“, Verschmachten der Nieren): „Kein leibloser bzw. bereits toter Ijob schaut Gott nach V. 26, vielmehr ein bis auf die Knochen abgemagerter Ijob, der ,ohne Fleisch‘ nur noch aus ,geschundener / zerfetzter‘ Haut und Knochen besteht.“130
Damit nimmt das Hiobbuch das Leiden seines Protagonisten ernst und lässt ihn dennoch an der Hoffnung auf die Gerechtigkeit Gottes festhalten – und zwar des Gottes, der kein „Fremder“ (Hi 19,27) mehr für ihn ist, sondern ein „Löser“ (go᾽el), der rechtsentscheidend auftritt, wenn Hiob „im Zustand äußerster Todverfallenheit“131 (das meint die „Staub“-Aussage von V. 25) angelangt ist. Wo aber ist dieser Gott, und was wird er tun? Die Antwort darauf geben die Gottesreden in Hi 38,1–42,6.132 Hi 29–30 (Herausforderungsreden Hiobs) In den Herausforderungsreden Hi 29–30, die in ein Unschuldsbekenntnis (Hi 31) münden, blickt Hiob zunächst auf seine gesegnete Vergangenheit zurück (Hi 29) und klagt anschließend über sein gegenwärtiges Schicksal (Hi 30). Beide Kapitel verhalten sich zueinander wie Einst und Jetzt und verschränken in einzigartiger Weise die Sozialsphäre (Hi 29) mit der Leibsphäre (Hi 30).133 Einst, so beginnt in Hi 29 die Beschreibung seines vergangenen guten Daseins, war Hiob von Gott behütet und von seinen Mitmenschen anerkannt. Ohne die Redeeinleitung V. 1 und die redaktionellen Zusätze in V. 17.18–20 lässt sich das Kapitel in vier Strophen gliedern:134 2–6 Gottes Segen für Hiob 7–11 Hiobs Ansehen in der Öffentlichkeit I 12–16 Hiobs Zuwendung zu den personae miserae 21–25* Hiobs Ansehen in der Öffentlichkeit II
54), ist angesichts des Interpretationsvorschlags von Irsigler (Hiob besteht „,ohne Fleisch‘ nur noch aus ,geschundener / zerfetzter‘ Haut und Knochen“) m. E. kaum nachzuvollziehen. 129 Irsigler, aaO 133. 130 Ders., 130, vgl. Schnocks, aaO 50; Lux, Hiob, 180 f und Hi 19,20: „An meiner Haut (῾ôr) 〈…〉 klebt mein Gebein (῾æsæm), und ich wurde an der Haut (῾ôr) meiner Zähne kahl“, s. dazu Fohrer, Hiob (KAT), ˙315 f. Zum Thema „Haut“ im Hiobbuch s. Schellenberg, „Fleisch“, 108.126. 131 Irsigler, aaO 128. 132 S. dazu unten 534 ff. 133 S. dazu außer den Kommentaren noch Opel, Anspruch, 21 ff.59 ff; Schmidt, „Augen“, 87 ff und Bunzel, Ijob, 258 ff. 134 S. dazu Opel, aaO 25 ff.
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 533
Bereits die erste Strophe führt mit dem Terminus „Kopf “ (V. 3) einen Begriff ein, der ganz am Ende (V. 25) noch einmal aufgenommen wird: 2 Wer gäbe es, dass ich wäre wie in früheren Monaten, wie in den Tagen, als Gott mich behütete! 3 Als er seine Leuchte über meinem Kopf (ro᾽š) strahlen ließ und ich in seinem Licht durch Finsternis ging! 4 Wie ich war in den Tagen meiner Jugend, in vertrautem Umgang mit Gott, der über meinem Zelt war, 5 solange Schaddaj bei mir war, um mich herum meine Knaben waren, 6 als sich meine Schritte (halîk pl.) in Milch badeten und der Fels bei mir Ströme von Öl ergoss. (Hi 29,2–6)
Kopf
Füße
25 Ich wählte ihren (sc. der Gemeinschaft) Weg und saß als (ihr) Kopf (ro᾽š), ich wohnte wie ein König (mælæk) inmitten des Kreises, wie einer, der Trauernde tröstet. (Hi 29,25)
Wenn man die Kopf/Füße-Relation sowie die mit diesen Körperteilen verbundenen funktionalen Bedeutungsaspekte beachtet,135 dann kommt in V. 2–6 Hiob in seiner leiblichen Ganzheit (,von Kopf bis Fuß‘) in den Blick.136 Und zwar einer Ganzheit, der die besonderen Segnungen Gottes zuteil werden: die göttliche Leuchte über seinem Kopf und die Milch, in der seine Füße badeten. Wie an Hiobs Kopf „Gottes wohlwollende Beziehung zu ihm sichtbar (wird)“, so „(geht) von ihm als Kopf seine führende, ja königliche Stellung in der Gemeinschaft aus“137. Diese segensreiche Gottesbeziehung ist nicht nur die Bedingung für Hiobs Ansehen in der Öffentlichkeit (V. 7 ff.21 ff), sondern auch die Voraussetzung für seine Zuwendung zu den personae miserae (V. 12 ff).138 Besonders eindrücklich ist dabei die herausragende Stellung von V. 14 und dessen Kleidermetaphorik: Gerechtigkeit (sædæq) zog ich an und sie kleidete mich, ˙ wie ein Obergewand und ein Turban war mein Recht (mišpāt). ˙ Kleider sind mehr als ein Stück Stoff (Obergewand) oder eine Kopfbedeckung (Turban). Es sind Persönlichkeitszeichen, d. h. Zeichen, die die soziale Identität, die Ehre und das Ansehen symbolisieren. Das gilt auch für „Gerechtigkeit“ und „Recht“ als die hoheitliche Kleidung Hiobs in Hi 29,14.139 funktionale Bedeutungsaspekt von ro᾽š ist die Wertschätzung bzw. der Rang oder Status, der einer Person entgegengebracht wird bzw. den sie besitzt. Mit dem Fuß ist die Bewegung(sfähigkeit), Macht oder Präsenz einer Person gemeint, s. dazu oben 148 ff. 136 Der Ganzheitsaspekt wird noch durch die Korrelation von „gehen“ (hālak V. 3b) und „Schritte“ (halîk pl. V. 6a) hervorgehoben. 137 Schmidt, aaO 93. 138 Zu den personae miserae s. oben 262 ff. Zum Vergleich dieser Verse mit Ps 72,2 ff.12 ff s. oben 469 ff, ferner Opel, aaO 52 ff. 139 S. dazu Janowski, Persönlichkeitszeichen, 315 ff und Schmidt, aaO 99. 135 Der
534 VI Bilder vom Menschen – Anthropologien im Alten Testament
Während mehrere Motive aus V. 2–6 in V. 21–25* wiederkehren und Hi 29 mit dem Bild des „königlichen Menschen“ abgeschlossen wird (V. 25*),140 verkehrt sich mit Hi 30 die Aussageintention ins Gegenteil. Wie die abschließende IchKlage in Hi 30,28–31 drastisch zeigt, ist die jetzige Lage Hiobs durch soziale Isolation, Krankheit und Trauer gekennzeichnet: 28 Schwarz gehe ich umher (qdr Ptz. q. + hlk pi.) bei fehlender Sonnenglut (hammāh), ˙ ich stehe in der Gemeinde auf, ich schreie um Hilfe. 29 Ein Bruder geworden bin ich den Schakalen und ein Gefährte den Straußenhennen. 30 Meine Haut ist schwarz geworden (šhr q.) an mir, ˙ und mein Gebein glüht (hrh q.) vor Hitze. ˙ 31 Es wurde zur Trauer meine Leier und meine Flöte zu einer Stimme von Weinenden. (Hi 30,28–31)
Für die Übersetzung von qādar mit „schwarz sein / werden, sich verfinstern“ (V. 28a) spricht, dass die „,Schwarzfärbung‘ des Klagenden … nicht von außen, etwa durch die Sonnenglut“141, sondern, wie V. 30 präzisiert, von innen, nämlich durch die Verfärbung der Haut aufgrund von (Fieber-)Hitze – sie ist „schwarz geworden“ (šāhar)142 – zustande gekommen ist. Welche medizinischen Symp˙ tome dabei konkret im Blick sind (Aussatz?), ist kaum zu entscheiden. V. 29 zeigt jedenfalls, dass sich Hiob den Wüstentieren Schakal und Straußenhenne als den Repräsentanten der gegenmenschlichen Welt143 verwandt fühlt – sie sind gleichsam seine neue ,Familie‘ („Bruder“, „Gefährte“) – und damit der Manifestation des Chaotischen in seiner Existenz Ausdruck verleiht. Der Reinigungseid von Hi 31 kann diese Erfahrung nicht ungeschehen machen, aber Gott dazu herausfordern, Hiob endlich zu antworten (V. 35–37).144 β) „Hiob starb alt und lebenssatt“ Es dauert lange, bis Gott „aus dem Wettersturm“ antwortet (Hi 38,1–42,6).145 Kann diese Antwort eine Lösung des Hiobproblems sein? Auffällig ist jedenfalls, Opel, aaO 48. Zum Motiv des „königlichen Menschen“ s. oben 476 ff. „Schakale“, 123 Anm. 22 (H. v. m.). Zur Bedeutung von qdr q. s. Janowski, Selbst, 82.90 f.98 f. 142 S. dazu die Hinweise bei Janowski, aaO 98 Anm. 106. Zur Schwärzung der Haut als Zeichen körperlicher Auszehrung s. auch Klgl 4,8: „Schwärzer als Ruß war ihr (sc. der Vornehmen Jerusalems) Aussehen, man erkannte sie nicht wieder in den Gassen. Geschrumpft war ihre Haut auf ihrem Leib, ausgetrocknet wie (dürres) Holz“, s. dazu Berges, Klagelieder (HThK. AT), 248. 143 Vgl. Riede, aaO 124. 144 S. dazu Opel, aaO 127 ff und Bunzel, Ijob, 269 ff. 145 Außer der klassischen Studie von Keel, Entgegnung s. dazu Jones, Discourse, 854 ff; Schellenberg, „Fleisch“, 114 ff; Bunzel, aaO 277 ff u. a. 140 Vgl.
141 Riede,
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 535
dass Hiob von Gott nicht auf sein Leiden angesprochen wird. Dieser fordert ihn, ohne in einen Dialog mit ihm einzutreten, vielmehr auf, seinen Blick von seinem eigenen Leiden abzuwenden und sich neu auszurichten. Und dann folgt in Hi 42,2–6 die Antwort Hiobs: Erkenntnis 2 3
„Ich weiß (jāda῾), dass du alles vermagst, und kein Vorhaben ist dir verwehrt. ,Wer ist es, der den Plan verdunkelt ohne Erkenntnis (belî da῾at)?‘ So habe ich erzählt und hatte doch keine Einsicht (lo᾽ bîn), was mir zu wunderbar war, erkannte ich nicht (lo᾽ jāda῾).
Erfahrung 4 5
Höre doch, und ich will reden, ,ich will dich fragen, du aber lass mich erkennen (jd῾ hif.)!‘ Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.
Conclusio 6 Darum liegt mir nichts (mehr) daran, und ich bin (tröstlich) umgestimmt – auf Staub und Asche.“146
Wenn man für jāda῾ „erkennen, wissen“ (V. 2) dessen resultativen Bedeutungskern147 ansetzt, dann drückt dieses Verb das Ergebnis eines Erfahrungsprozesses aus, der nach V. 5 die Folge einer Sinneswahrnehmung, nämlich der in den Gottesreden gesehenen Schöpfung und ihres Schöpfers ist. Diese „neue“ Erkenntnis führt Hiob nach V. 6 zu einer gravierenden Schlussfolgerung. Das aber heißt: Mit den Gottesreden wird die Aufmerksamkeit Hiobs von seinem Leiden ab- und zur Wahrnehmung der Schöpfungswelt hingelenkt. Was diese therapeutische „Ablenkung“148 bedeutet, beschreiben die Gottesreden mittels des Gedankens, dass der Weg zu Gott über das rechte Verständnis der Welt, ihrer unfasslichen Größe und ihrer unergründlichen Ambivalenzen führt. Für den Hiob der Dialoge war es so, dass er von sich auf den chaotischen Zustand der Welt und den dafür verantwortlichen Frevlergott geschlossen hatte (vgl. Hi 9,22–24).149 Für den Hiob
146 Dieser
Text gehört offenbar zu einer jüngeren Schicht des Hiobbuchs (nach M. Witte: „Niedrigkeitsredaktion“), s. dazu van Oorschot, (Selbst-)Begrenzungen, 244 f. Zu mā᾽as („nicht interessiert sein“) und nhm nif. („umgestimmt werden > Trost finden“) s. Willi˙ Mensch, 555 ff und Schellenberg, „Fleisch“, 113 f; dies., Plein, Widerruf?, 137 ff.143 ff; dies., Krankheit, 50 ff (für mā᾽as allerdings mit der Übersetzung „zergehen, zerfließen“), anders Oeming / Schmid, Hiobs Weg, 129 Anm. 24 (Oeming); Bunzel, aaO 288 f u. a. 147 S. dazu Seeligmann, Erkenntnis, 233 ff, ferner Willi-Plein, Mensch, 555 Anm. 16. 148 Zu diesem Ausdruck s. Schwienhorst-Schönberger, Weg, 231 f, vgl. Lux, Hiob, 46 und Keel / Schroer, Schöpfung, 211. 149 S. dazu Janowski, Gott, 217 f.
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der Gottesreden ist es dagegen so, dass er von Gott dazu aufgefordert wird, von der Welt und ihrer Ordnung auf sein individuelles Schicksal zu schließen: „Nicht der Mensch mit seiner begrenzten Einsicht in die Zusammenhänge der Schöpfung, seinen Nützlichkeitserwägungen und seiner Einteilung in wild / fremd = feindlich und kulturell / vertraut = lebensförderlich kann in seiner Selbstzentriertheit für die Schöpfung Gottes bestimmend und grundlegend sein. (…) Die Perspektive des Schöpfers hat die gesamte Schöpfung im Blick und geht außerdem über die menschliche Sicht Hiobs und seiner Freunde hinaus.“150
So nimmt Hiob mit Hi 42,1–6 Abschied von der Vorstellung, an seinem Schicksal bemesse sich der Lauf der Welt. In seiner Klage hatte er alles in der Welt im Licht seines Schicksals gesehen. Dass er das nun nicht mehr tut, ist nicht die Folge einer Änderung seiner äußeren Situation – er sitzt ja immer noch „auf Staub und Asche“ (Hi 42,6, vgl. 2,8; 30,19)! –, sondern deren Voraussetzung. So ändert Hiob nicht seine Haltung, weil er gesund geworden wäre, sondern weil er jetzt alles neu und anders sieht: die Welt und in ihr sich selbst. Am Ende stößt man schließlich auf einen Text (Hi 42,7b–10),151 der eine aufschlussreiche, an Eliphas gerichtete Bemerkung JHWHs enthält: 7b „Entbrannt ist mein Zorn über dich und deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht richtig zu mir geredet wie mein Knecht Hiob. 8 Und nun: Nehmt euch sieben Jungstiere und sieben Widder und geht zu meinem Knecht Hiob und bringt ein Brandopfer für euch dar, und Hiob, mein Knecht, soll Fürbitte für euch einlegen, denn ich will sein Angesicht erheben, um euch nichts Schlimmes anzutun, denn ihr habt nicht richtig zu mir geredet wie mein Knecht Hiob.“ 9 Da gingen Eliphas, der Temaniter, und Bildad, der Schuachiter, und Zofar, der Naamatiter, und taten, wie JHWH ihnen gesagt hatte, und JHWH erhob das Angesicht Hiobs. 10 Und JHWH wendete das Geschick Hiobs, als er Fürbitte einlegte für seinen Freund, und JHWH vermehrte alles, was Hiob besessen hatte, um das Doppelte.
„Ihr habt nicht richtig (nekônāh) zu mir geredet wie mein Knecht Hiob“ (V. 7b, vgl. V. 8)152 – die Freunde haben nicht zu Gott,153 sondern über Gott geredet. Sie haben theologische Vorträge gehalten und Hiob ihr Bild von Gottes großer Gerechtigkeit vor Augen gestellt (vgl. Hi 5,8 ff u. ö.). Und Hiob? Dessen Gottes150 Neumann-Gorsolke,
„Herr der Tiere“?, 147.
151 Hi 42,7–17 gehört zusammen mit Hi 1 f zur (späteren?) Rahmenerzählung des Hiobbuchs, s.
dazu van Oorschot, aaO 240 ff.
152 Zu nekônāh im Sinn von „Richtiges, Verlässliches, sachlich Zutreffendes“ s. Oeming / Schmid,
Hiobs Weg, 138 Anm. 45 (Oeming). Verständnis der Präposition ᾽æl im Sinn von „zu“ s. Oeming / Schmid, aaO 136 ff (Oeming), ferner Willi-Plein, aaO 558 Anm. 29; 561 Anm. 41; Lux, aaO 266 und Bunzel, Ijob 294 f.
153 Zum
§ 12 Menschenbilder im Dritten Kanonteil 537
bild ist mit seinem Leiden zwar zerbrochen, aber aus den Trümmern seiner Existenz – „auf Staub und Asche“ (Hi 42,6) – hat er die Kraft zur Anklage Gottes gefunden und ist dabei bis an die Grenze der Gotteslästerung gegangen (Hi 9,24). Das ist gemeint, wenn es in Hi 42,7 f aus dem Mund JHWHs heißt, dass Hiob zu ihm geredet hat. Zu der überraschenden „Wendung“ von Hi 42,10 kommt in Hi 42,11–17 noch die leibliche Wiederherstellung Hiobs hinzu. Sie ist nicht einfach ein äußeres Geschehen, denn sie sagt unmissverständlich, dass „all das Böse“ (V. 11), das Hiob widerfahren ist, von JHWH kam. Ebenso wenig reduziert sie das Handeln Gottes auf dieses – nicht klein zu redende! – Böse. Denn JHWH, so heißt es, „segnete“ (brk pi.) Hiobs Ende mehr als seinen Anfang: Und JHWH segnete Hiobs Ende mehr als seinen Anfang: Er bekam 14000 Schafe, 6000 Kamele, 1000 Joch Rinder und 1000 Eselinnen. (V. 12)
Dann bekam er sieben Söhne und drei Töchter und lebte noch 140 Jahre, bis er alt und lebenssatt starb (V. 17). Die Wendung „lebenssatt“ meint, dass Hiob „ohne Überdruß, aber auch weiteres Verlangen nach Leben“154 Abschied nimmt. Im Vordergrund steht nicht allein die lange Lebensdauer (140 Jahre), sondern – in Verbindung mit dieser – die Qualität des trotz Krankheit und Schwäche erfüllten Lebens.155
154 Neumann-Gorsolke,
„Alt“, 129. Die besagte Wendung ist im Alten Testament immer positiv konnotiert, s. dazu oben 82 ff. 155 Vgl. Schellenberg, Krankheit, 61 ff.67, die im Blick auf Hi 42,17 zu Recht von einem Würdeprädikat spricht.
Nachtrag zu § 12 (S. 501 ff ) 1. Leben und Tod – Anthropologie der Psalmen (501 ff ) Eine zusammenfassende Darstellung der Anthropologie der Psalmen findet sich bei B. Janowski, Anthropologie der Psalmen, in: Dietrich u.a, Handbuch (HAA) (im Druck). a) „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (501 ff ) Zur Anthropologie von Klage und Lob in den Klage- und Dankliedern des Einzelnen (KE/DE) s. Gärtner, Tod, 1211 ff (zu Ps 116); Steins, Knochen, 78 ff (zu Ps 22); Grund-Wittenberg, Lobdank, 33 ff; Schmid, Leben, 347 ff (zu Ps 42/43) und Janowski, Konfliktgespräche (6. Aufl. 2021). Speziell zur Feindproblematik in den Individualpsalmen s. die Beiträge in Liess / Schnocks (Hg.), Gegner. b) Hoffnung über den Tod hinaus α) Diesseits und Jenseits (S. 511 ff ) Zum Übergang vom Diesseits ins Jenseits und zu den alttestamentlichen Unterweltsvorstellungen s. Krüger, Leiden 386 ff und ausführlich Janowski, Unterwelt (im Druck). Zu unterscheiden sind dabei kosmologische (Unterwelt der Toten: Hi 38,16 ff; Jes 14,3 ff u. a.) und anthropologische Aspekte (Untewelt der lebenden: Ps 30,4; 88,4 u. a.). β) Unsterblichkeit? (515 ff ) Zu Ps 73 s. Neuber, Affirmation, 181 ff. 2. Gerechtigkeit und Leiden – Anthropologie der Weisheit a) Die weisheitliche Sicht des Menschen (520 ff ) Eine zusammenfassende Darstellung weisheitlicher Anthropologie findet sich bei J. Dietrich, Weisheitliche Anthropologie, in: Dietrich u.a, Handbuch (HAA) (im Druck), s. ferner die entsprechenden Beiträge in Kynes (ed.), Handbook.
Nachtrag zu § 12 539
α) Lebenspraktisches Erfahrungswissen (521 f ) Zum weisheitlichen Erfahrungswissen s. Janowski, Erfahrungswissen (im Druck). β) Der Tun/Ergehen-Zusammenhang (523 ff ) S. Grund-Wittenberg, Vergeltung, 174 ff und Köhlmoos, Leben, 331 ff. b) Zur Anthropologie des Hiobbuchs (528 ff ) Für alle mit dem Hiobbuch verbundenen Probleme s. den Kommentar von Witte, Hiob (ATD). Zu einzelnen Fragen s. Krüger, Leiden, 378 ff; Sitzler, Tod und Meyer zum Felde, Hiobs Weg und Gies, Anthropologie, 175 ff (zu Hi 14 u. a.). Speziell zur Frage einer Jenseitshoffnung im hebräischen Hiobbuch s. RandriambolaRatsimiahah, „Mensch“.
VII Der ganze Mensch – Resümee
G
ibt es eine Sachmitte, auf die die alttestamentlichen Aussagen zum Menschen – sei es implizit oder explizit – bezogen sind? Angesichts der Vielfalt anthropologischer Texte des Alten Testaments ist diese Frage schwierig zu beantworten. Man könnte sie aber mit Hilfe der integrativen Formel vom „ganzen Menschen“ präzisieren, die sich gegen dualistische Menschenbilder mit ihren „Zwei-Schichten-Anthropologien“ (Fuchs, Verkörperung, 100) wendet. Die „Ganzheitlichkeit“ der Person ist kein vager Holismus, sondern eine „strukturierte Ganzheit“ (Jung, Ausdruck, 1), wonach die menschliche Lebensform als ein komplexes Beziehungsgefüge aus emotionalen, kognitiven und kommunikativen Funktionen und Fähigkeiten erscheint. Die Menschen des alten Israel sind keine fensterlosen Monaden, sondern Wesen, für die die Erfahrung der Leiblichkeit, das Ethos der Gerechtigkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit charakteristisch sind. Daran wird in den Texten immer wieder erinnert: „Da formte JHWH Gott den Menschen aus Staub vom Ackerboden und blies in seine Nase den Hauch des Lebens. Da wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen“ (Gen 2,7), oder: „Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist und was JHWH von dir fordert, nichts als Recht tun und Hingabe lieben und einsichtsvoll gehen mit deinem Gott“ (Mi 6,8). Die Bezüge des Einzelnen zu Gott, zu den Mitmenschen und zu den Tieren machen die alttestamentliche Anthropologie zu einer relationalen oder konstellativen Anthropologie.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie Du sollst JHWH, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deinem ganzen Verlangen und mit deiner ganzen Kraft. Deuteronomium 6,5
Kehren wir nach unserem Gang durch die Kontexte und Themenfelder alttestamentlicher Anthropologie(n) zu der Grundfrage „Was ist der Mensch?“ zurück, von der wir zu Beginn dieses Buchs ausgegangen sind. Diese Grundfrage wird nicht nur von der Theologischen Anthropologie, sondern auch von der Philosophischen und der Historischen Anthropologie gestellt und jeweils unterschiedlich beantwortet.1 Das Sein des Menschen ist dabei „nicht abzutrennen von dem Sinn, zu dem er sich versteht, oder auch: zu dem er sich objektiv zu verstehen hätte und den er subjektiv womöglich gar nicht trifft. Sprechen, Handeln, Gestalten heißt nicht nur, über bestimmte Organe verfügen, sondern über einen Sinn; so bestimmt Helmut Plessner diesen Sachverhalt; sie sind nicht starre Vermögen, die hinterrücks ihr Werk tun, sie sind Vermögen nur insoweit, als der Mensch sie vermag, als er sich auf sie versteht und zu ihnen versteht. Und dieser Sinn ist nicht ein für allemal der gleiche. Menschen verstehen sich je in ihrer Gesellschaft und in ihrer geschichtlichen Lage auf eine andere Weise …“2.
Für die Anthropologie des antiken Griechenland hat J.‑P. Vernant etwas Ähnliches im Blick, wenn er schreibt: „Ich habe zu verstehen versucht, wer der antike griechische Mensch war, wie er sich in seiner Art zu denken, zu fühlen und zu handeln durch die Veränderungen, die sich zwischen dem 8. und 4. Jahrhundert v. Chr. im gesellschaftlichen und politischen Leben ereigneten, verwandelt und konstituiert hat. (…) Ich denke in der Tat, daß man 1 2
S. dazu oben 1 ff. Habermas, Anthropologie, 32, vgl. Plessner, Conditio humana, 214 f: „Aus großem Abstand gesehen zeigen die Geschichtsverläufe der einzelnen Kulturen, wie man weiß, gewisse gemeinsame Verlaufsformen und Ähnlichkeiten, die dem alten Gedanken des Zyklus oder dem modernen der Gesetzmäßigkeit als Stütze dienen. (…) Die Landschaften der Geschichte werden aus großer Höhe den Charakter von Reliefkarten bekommen, und wenn wir sie durchwandern, sieht alles anders aus, wird die Wegbiegung entscheidend, die uns den plötzlichen Durchblick gewährt“.
544 VII Der ganze Mensch – Resümee von den Menschen nicht außerhalb der Gruppen sprechen kann, denen sie angehören, ihres besonderen sozialen Umfeldes; andererseits gibt es kein soziales Umfeld, das nicht eine ‚menschliche‘, sprich geistige Dimension hätte, keine Institution, die nicht, solange sie lebendig ist, Glaubensvorstellungen, Werte, Emotionen und Leidenschaften, ein Ganzes von Vorstellungen und Gefühlen beinhaltet. Es gibt nicht auf der einen Seite isolierte menschliche Individuen, die sich einer psychologischen Untersuchung anbieten, und auf der anderen Seite unveränderliche soziale Gegebenheiten, die in ihrer Entwicklung einem äußeren Determinismus unterworfen sind und die man wie Objekte studieren könnte. Eine Gesellschaft ist ein System menschlicher Beziehungen und praktischer Tätigkeiten, die sich auf der Ebene von Produktion, Tausch und Verbrauch, aber auch auf allen anderen Ebenen und in allen Bereichen des kollektiven Lebens abspielen. Und in ihrem konkreten Leben definieren sich auch die Menschen durch das Netz der Tätigkeiten, das sie miteinander verbindet und als deren Urheber und Produkt sie zu jedem Zeitpunkt der Geschichte gleichzeitig erscheinen.“3
Das gilt auch für das Alte Testament und seine unterschiedlichen Menschenbilder. Bevor ich darauf zurückkomme (2), soll danach gefragt werden, welches die Hauptstadien in der Entwicklung der alttestamentlichen Anthropologie(n) von den frühen Anstößen bis zu den späten Ausformungen sind (1b). Zur Orientierung stelle ich einen literaturgeschichtlichen Überblick voran (1a). 1. Geschichtliche Entwicklung a) Literaturgeschichtlicher Überblick Altes Testament: Carr, Bildung, 183 ff ◆ Ders., Schrift ◆ Janowski, Buchreligion, 345 ff ◆ Jere-
mias, Theologie, 23 ff ◆ Kratz, Israel, 79 ff ◆ van Oorschot, Aspekte, 17 ff ◆ Schmid, Literaturgeschichte ◆ Ders., Kanon, 523 ff ◆ van der Toorn, Scribal Culture. – Einleitungen AT, Geschichte Israels: Frevel, Geschichte Israels ◆ Gertz (Hg.), Grundinformation ◆ Zenger u. a., Einleitung.
Ab wann kann man von einer Anthropologie oder besser: von anthropologischen Vorstellungen des Alten Testaments bzw. im Alten Testament sprechen? Beginnt bzw. beginnen diese mit den Erzelternerzählungen in Gen 12–36, die allerdings um Jahrhunderte jünger sind (Zeit des Erzählers) als die in ihnen geschilderten Ereignisse (erzählte Zeit)? Oder setzt bzw. setzen sie mit der Entstehung des Königtums im 10./9. Jh. v. Chr. ein, das aber nur einen begrenzten Ausschnitt anthropologischer Themen bietet? Oder sollte man sie mit den sozialen und mentalen Umwälzungen in Verbindung bringen, die die Prophetie des 8. Jh.s v. Chr. mit sich brachte und die diese Umwälzungen erstmals ebenso grundsätzlich wie differenziert in Worte gefasst hat? Dass der Mensch ein Geschöpf „mit Leib und Seele“ ist, dass er sich in seinem Handeln vom Prinzip der Gerechtigkeit leiten lassen sollte und dass er sterblich ist – das war den Menschen im alten Israel wohl zu allen Zeiten bewusst. Die Fra3
Vernant, Politik, 42.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 545
ge aber ist, in welcher Explizitheit und ab wann genau: ab der vorstaatlichen, der vorexilischen, der exilischen oder erst der nachexilischen Zeit? Ebenso gilt, dass die Menschen auch in vorexilischer Zeit „Ich“ gesagt haben. Aber erst in spätvorexilischer und dann verstärkt in exilisch-nachexilischer Zeit (Individualpsalmen, Jeremia, Ezechiel, Hiob, Kohelet u. a.) haben sie es in einer Weise getan, die das, was bisher eher implizit vorausgesetzt wurde, auch explizit macht. Als Beispiel für den frühen Gebrauch der 1. Pers. Sg. lässt sich der Dialog zwischen JHWH und Mose in Ex 3 anführen, in dessen Verlauf Mose auf den Ruf Gottes mit dem Aufmerksamkeitssignal „Hier bin ich!“ (V. 4b) antwortet, woraus sich der folgende Dialog entwickelt.4 Ein besonders interessanter Fall ist die sog. Aufstiegsgeschichte Davids in 1 Sam 16 – 1 Kön 2. Denn obwohl diese David-Erzählungen (bis auf die Gebete, Selbstgespräche usw.) nicht in der 1. Pers. Sg. verfasst sind, gibt es zahlreiche Identitätsmerkmale, die David zugeschrieben werden.5 Weitere Beispiele sind der Konflikt zwischen Amos und Amazja in Am 7,10–17 (bes. V. 14 f) oder der Visionsbericht Jes 6,1–7 (bes. V. 1.5–7).6 Die in diesen und anderen prophetischen Texten zum Ausdruck kommende „Vereinzelung des Propheten“ hat G. von Rad folgendermaßen charakterisiert: „Darauf ruht also ihre Vereinzelung: im Hören und im Gehorsam eines nicht auswechselbaren, eines nur an sie gerichteten Wortes und Auftrags Jahwes sind diese Männer zu Einzelnen, zu Persönlichkeiten geworden. Sie konnten auf eine Weise, wie es in Israel bisher noch nicht erhört war, Ich sagen.“7 Das klingt pauschal, ist aber nicht einfach falsch. Immerhin betont von Rad, „dass sich dieses Ich, dessen sich diese Männer bewußt werden durften, weit von unserem modernen Persönlichkeitsbegriff unterscheidet“8. Die Gründe dafür bedürften weiterer Erörterung. Ein nicht unwesentlicher Grund wird damit zusammenhängen, dass die Schriftpropheten nach ihrem Selbstverständnis nicht eine Größe unter anderen innerhalb des JHWH‑Volkes sind, sondern dass sie auf die Seite JHWHs und gleichzeitig „als Boten YHWHs dem YHWH‑Volk als ganzem gegenüber (treten)“9.
Wo also ist im Blick auf die geschichtliche Entwicklung der alttestamentlichen Anthropologie(n) anzusetzen? Das von K. Jaspers (1883–1969) eingeführte Theorem der „Achsenzeit“ hat auf diese Fragen eine Antwort gegeben, die zunächst plausibel klingt, bei näherem Hinsehen aber wichtige Differenzierungen einebnet.
4 5 6 7 8 9
S. dazu Schaper, Exodus, 137 ff und zur literarkritischen Problematik Albertz, Exodus I (ZBK.AT), 72 ff. S. dazu Kipfer, David, 149 ff, zu den Selbstbeschreibungen Davids in seinen Gebeten, Selbstgesprächen u. a. s. dies., aaO 170 ff. Zu diesem Text s. oben 365 ff. Von Rad, Theologie 2, 183. Zum „prophetischen Ich“ s. noch ders., aaO 85 f. Ders., aaO 183. Groß, Prophet, 272, s. dazu auch Jeremias, Theologie, 127 ff.
546 VII Der ganze Mensch – Resümee
Exkurs 19: Das Theorem der Achsenzeit Altes Testament: Dietrich, Denken, 53 ff ◆ Hardmeier / Ott, Naturethik, 78 ff.85 ff ◆ Schmitt, Magie, 57 ff. – Philosophie, Kultur- und Geschichtswissenschaft: A. Assmann, Achsenzeit, 330 ff ◆ J. Assmann, Ambivalenzen, 246 ff ◆ Ders., Achsenzeit ◆ Eisenstadt (Hg.), Achsenzeit ◆ Habermas, Weltbilder, 217 ff ◆ Jaspers, Ursprung, 19 ff ◆ Joas, Macht, 279 ff ◆ Snell, Invention, 388 ff ◆ Ders., Religionen, 137 ff ◆ Woschitz, Art. Achsenzeit, 97.
Die Theorie einer gemeinsamen „Achsenzeit“ der Menschheitsgeschichte, die in der Zeit zwischen 800 und 200 v. Chr. in Indien, im Iran, in Palästina und in Griechenland zu einem kognitiven Schub mit erheblichen Folgewirkungen führte, hat K. Jaspers 1949 in seinem Buch Vom Ursprung und Ziel der Geschichte entwickelt. „Eine Achse der Weltgeschichte, falls es sie gibt“, so setzt Jaspers ein, „wäre empirisch als ein Tatbestand zu finden, der als solcher für alle Menschen, auch die Christen, gültig sein kann. (…) Diese Achse der Weltgeschichte scheint nun rund um 500 vor Christus zu liegen, in dem zwischen 800 und 200 stattfindenden geistigen Prozeß. Dort liegt der tiefste Einschnitt der Geschichte. Es entstand der Mensch, mit dem wir bis heute leben. Diese Zeit sei in Kürze die ,Achsenzeit‘ genannt“10. Und er fährt fort: „In dieser Zeit drängt sich Außerordentliches zusammen. In China lebten Konfuzius und Laotse, entstanden alle Richtungen der chinesischen Philosophie, dachten MoTi, Tschuang-Tese, Lie-Tese und ungezählte andere, – in Indien entstanden die Upanischaden, lebte Buddha, wurden alle philosophischen Möglichkeiten bis zur Skepsis und bis zum Materialismus, bis zur Sophistik und zum Nihilismus, wie in China, entwickelt, – in Iran lehrte Zarathustra das fordernde Weltbild des Kampfes zwischen Gut und Böse, – in Palästina traten die Propheten auf von Elias über Jesaias und Jeremias bis zu Deuterojesaias, – Griechenland sah Homer, die Philosophen – Parmenides, Heraklit, Plato – und die Tragiker, Thukydides und Archimedes.“11 Was ist das Neue der Achsenzeit? Das Neue, so Jaspers weiter, ist der Sachverhalt, „daß der Mensch sich des Seins im Ganzen, seiner selbst und seiner Grenzen bewußt wird. Er erfährt die Furchtbarkeit der Welt und die eigene Ohnmacht. Er stellt radikale Fragen. Er drängt vor dem Abgrund auf Befreiung und Erlösung. Indem er mit Bewußtsein seine Grenzen erfaßt, steckt er sich die höchsten Ziele. Er erfährt die Unbedingtheit in der Tiefe des Selbstseins und in der Klarheit der Transzendenz. (…). In diesem Zeitalter wurden die Grundkategorien hervorgebracht, in denen wir bis heute denken, und es wurden die Ansätze der Weltreligionen geschaffen, aus denen die Menschen bis heute leben. In jedem Sinne wurde der Schritt ins Universale getan“12. Die diesen „Schritt ins Universale“ taten, waren Einzelne, die es wagten, sich auf sich selbst zu stellen. Zu ihnen gehörten auch die Propheten Israels: Jaspers, Ursprung, 19 (H. i. O.). Zur umsichtigen Kontextualisierung des Jaspers’schen Achsenzeit-Theorems s. Assmann, Achsenzeit, 165 ff. 11 Jaspers, aaO 20, s. dazu auch die schematische Skizze 48. 12 Ders., aaO 20 f. 10
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 547
„Es sind wohl außerordentliche Sinnverschiedenheiten in der Gesinnung und in den Glaubensinhalten, aber gemeinsam ist, daß der Mensch über sich hinausgreift, indem er sich seiner im Ganzen des Seins bewusst wird, und daß er Wege beschreitet, die er als je Einzelner zu gehen hat. Er kann auf alle Güter der Welt verzichten, in die Wüste, in den Wald und ins Gebirge gehen, als Einsiedler die schaffende Kraft der Einsamkeit entdecken und zurückkehren in die Welt als Wissender, als Weiser, als Prophet. Es geschah in der Achsenzeit das Offenbarwerden dessen, was später Vernunft und Persönlichkeit hieß. (…) Das Menschsein im Ganzen tut einen Sprung.“13 Transzendenz, Kritik, Reflexivität, moralischer Universalismus und Einsicht in die Symbolhaftigkeit der Sprache – das sind nach Jaspers die Grundkennzeichen der Achsenzeit.14 Es sind weitreichende und in manchem auch faszinierende Perspektiven, die der Autor in seiner philosophischen Geschichtsschau entwirft. Dennoch vermag diese Geschichtsschau – abgesehen von dem Wert als „regulativer Idee“, den sie zweifellos besitzt – nicht zu überzeugen, weil sie für die Erfassung und Einordnung der Einzelphänomene untauglich ist. J. Assmann spricht denn auch zu Recht von einem der „großen Wissenschaftsmythen des 20. Jahrhunderts, vergleichbar mit Freuds Lehre vom Ödipus-Komplex, die vieles sichtbar machen und große Zusammenhänge aufdecken, aber andererseits in ihrer Tendenz der vereinerleienden Kategorisierung viel zu weit gehen und wichtige Differenzierungen einebnen“15. Anstatt mit einem vagen Epochenbegriff wie „Achsenzeit“ zu operieren, ist es deshalb angemessener, nach den literarischen Formen und institutionellen Bedingungen zu fragen, die die geistigen Durchbrüche herbeigeführt haben, von denen Jaspers nicht ohne Grund spricht. 𓇼
Der Begriff der „Achsenzeit“, für den K. Jaspers das Zeitfenster 500 v. Chr. ± 300 Jahre veranschlagt hat, ist als Epochenbegriff und historische Tatsachenbehauptung jedenfalls ungeeignet, um das Werden der alttestamentlichen Anthropologie(n) zu beschreiben. Erforderlich ist es dagegen, den von Jaspers für seine Theorie veranschlagten Zeitraum von 800 bis 200 v. Chr. historisch zu untergliedern und mit dem Prozess der Schriftwerdung der alttestamentlichen Literatur zu korrelieren.16 Entscheidend für diesen Prozess ist der Sachverhalt, dass das Alte Testament der Niederschlag vielfältiger Gotteserfahrungen ist, die zunächst in schwach ausgebildeter Form in das kommunikative Gedächtnis IsDers., aaO 22 f. Joas, Macht, 314. Zu den „Topoi des Axialen“ s. auch Assmann, aaO 189 ff. 15 Assmann, Ambivalenzen, 247 f, vgl. auch ders., Achsenzeit, 285: „Nun scheint es an der Zeit, den Begriff der Achsenzeit als einer historischen Epoche aufzugeben und den inzwischen verfeinerten Katalog von Kriterien als eine Art Filter zu verstehen, in dessen Licht sich alle, nicht nur die als ,achsenzeitlich‘ ausgewiesenen Kulturen, betrachten lassen. Dieser Filter würde in den analysierten Kulturen die Phänomene hervortreten lassen, die den Kriterien entsprechen.“ Mit den „Kriterien“ meint Assmann die von ihm zusammengestellten „Topoi des Axialen“, s. dazu die vorherige Anm. Leider werden solche Vorbehalte, wie sie Assmann m. E. zu Recht vertritt, bei Joas, aaO 279 ff allzu sehr heruntergespielt. 16 S. dazu Schmid, Literaturgeschichte, 216 ff; ders., Kanon, 523 ff u. a. 13
14 Vgl.
548 VII Der ganze Mensch – Resümee
raels und Judas eingingen (Mündlichkeit / Erstverschriftungen),17 ehe sie sich im Rahmen komplexer Entscheidungs- und Selektionsprozesse als institutionalisierte Formen der Mnemotechnik verfestigten (Schriftlichkeit / Fortschreibungen) und schließlich als fixierte Bestandteile die Identität des biblischen und nachbiblischen JHWH‑Glaubens konstituierten (Kanonisierung / Textfixierung). Dieser Prozess umfasst idealtypisch gesehen mehrere Phasen (Abb. 110). Wenn man vor diesem Hintergrund nach dem Einsatzpunkt bzw. nach der formativen Phase der alttestamentlichen Anthropologie(n) fragt, so drängt sich weniger die Epoche der Erstverschriftung von Texten ab dem 10. Jh. v. Chr. (Phase 2) als vielmehr die Phase des „Zusammen-Denkens“ von Überlieferungen durch Zusammenstellung und Fortschreibung einzelner Bücher bzw. Teilsammlungen ab dem 8./7. Jh. v. Chr. (Phase 3) auf. Wie gesagt: Vorstellungen vom Menschen im Sinn einer ,impliziten Anthropologie‘ hat es im alten Israel von Anfang an gegeben.18 Reflexionen über sein Wesen aber sind vergleichsweise spät aufgekommen und dürften auf die frühen Anstöße zurückgehen, die ab dem 9./8. Jh. v. Chr. von den frühen Erzählüberlieferungen, vom Bundesbuch, von der klassischen Prophetie und der älteren Weisheit ausgingen, im 8./7. Jh. v. Chr. zu entscheidenden Vertiefungen führten und in exilisch-nachexilischer Zeit ihre späten Ausformungen erfuhren. Darauf ist im Folgenden näher einzugehen. b) Theologiegeschichtliche Aspekte Altes Testament: Albertz, Religionsgeschichte ◆ Barton, Ethics ◆ Becker, Ethik, 227 ff ◆ Jere-
mias, Theologie ◆ Keel, Geschichte Jerusalems ◆ Kessler, Anthropologie, 69 ff ◆ Ders., Ethik ◆ van Oorschot, Individuum, 171 ff ◆ Ders., Aspekte, 23 ff ◆ Otto, Ethik ◆ Schmid, Literaturgeschichte ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder ◆ Wolff, Anthropologie.
Aufgrund der konkreten Lebensbedingungen, wie sie in den ökonomischen Grundlagen (Subsistenzwirtschaft), den spezifischen Risikofaktoren (Dürre-, Hungerperioden) und dem prägenden Gruppenbezug (Sozialsphäre) zu Tage treten, hatten die Menschen des alten Israel eine besondere Nähe zu den elementaren Aspekten des Lebens.19 Dementsprechend ist das, was ihr Wesen ausmacht – und was in einigen späten Texten auch auf den Begriff gebracht wird (Ps 8,5; Hi 7,17 f; Mi 6,8 u. a., s. Q 6 und Q 7)20 –, nicht monokausal zu erklären, sondern nur über ein Netz von Längs- und Querverstrebungen zu bestimmen,
17
Zum „Modell einer mündlich-schriftlichen Bildung“ der altisraelitischen Literatur, das die traditionelle Dichotomie „Mündlichkeit“ vs. „Schriftlichkeit“ überwinden will, s. Carr, Bildung, 183 ff und ders., Schrift. 18 Vgl. dazu mit dem Fokus auf der Ethik bzw. dem Ethos des Alten Testaments Becker, Ethik, 227 ff. 19 S. dazu Steck, Welt, 52 ff und oben 22 ff. 20 Es sei noch einmal betont, wie sehr die anthropologische Grundfrage in diesen Texten variiert wird.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 549
Phase 1: Frühe außerbiblische Schriftzeugnisse Hebräische und aramäische Inschriften in und außerhalb Palästinas / Israels:21 – Wirtschafts- und Verwaltungsurkunden (Abrechnungen, Listen, Briefe, Siegel u. a.) – Rechtsdokumente (Mesad Hašavyāhū, s. Q 146; Hirbet Qeiyafa, s. Q 145) ˙ ˙ (Kuntilet ῾Agˇrūd, s. Q 137 ˙ ; Hirbet el-Kōm, s. Q 139; Ketef Hinnom, s. Q 141) – Grab- und Segensinschriften ˘ – Segens- und Fluchformeln (Tell Dēr ῾Allā, s. Q 150 u. a.)
Phase 2: Erstverschriftung religiöser Texte (10.–8. Jh. v. Chr.) Entstehung der biblischen „Traditionsliteratur“ in unterschiedlichen sozialen und historischen Kontexten:22 – (Kultische und) weisheitliche Überlieferungen (Ps 24,7–10[?]; Spr 10–15 u. a.) – Annalistische und erzählende Überlieferungen (Gen *25–35; Ri 5,2–30[?]; Jos *18 f; 2 Sam 9–20; 1 Kön 1 f u. a.)
Phase 3: Entstehung normativer Texte (8./7. Jh. v. Chr.) Prozess des „Zusammen-Denkens“ der Überlieferungen durch Zusammenstellung und Fortschreibung einzelner Bücher bzw. Teilsammlungen:23 – Rechtsüberlieferungen I (ursprüngliches Bundesbuch: Ex *20,24–23,19) – Kultische und weisheitliche Überlieferungen (Ps 46,2–8; *48; 93,1–4; Spr *10,1–22,16; 22,17– 24,22; 25–29 u. a.) – Erzählüberlieferungen (Gen *13 + *18 f [+ *21]); Ex *1–15 u. a.) – Prophetische Überlieferungen (Anfänge der Hos- und Am-Überlieferung; Jes *1,21–11,5 u. a.) – Rechtsüberlieferungen II (Dtn 6,4 f; dtn Gesetz: *12,13–26,16 u. a.)
Phase 4: Prozess der Kanonisierung (587 v. Chr.–70 n. Chr.) Allmähliche Entstehung des Kanons als eines kohärenten Sinngefüges mittels diverser literarischer Techniken:24 – Kultische und weisheitliche Überlieferungen (Klgl; Entstehung des Psalters; PG/PS; Hi; Spr 1–9; Pred; Sir; SapSal u. a.) – Erzählüberlieferungen (Gen 37–50; *2,4b–8,22; Großgeschichtswerk Gen–2 Kön; Esr / Neh; 1/2 Chr; Esth; 1/2 Makk u. a.) – Rechtsüberlieferungen (Ex 20,2–17 par. Dtn 5,5–21; Lev 17–26 u. a.) – Prophetische Überlieferungen (Anfänge der Jer- und Ez-Überlieferung; DtJes; Hag / Sach u. a.; TritJes; Dt-/TritoSach; Dan u. a.)
Phase 5: Abschluss des Kanons (nach 70 n. Chr.) Abschluss des Kanons („Kanonschließung“) und Aneignung seiner Traditionsgehalte durch die jeweilige Glaubensgemeinschaft:25 – Nicht Fortschreibung, sondern Abschrift(en) – Rezeption in unterschiedlichen Kontexten
Abb. 110: Phasen der alttestamentlichen Literaturgeschichte
S. dazu den knappen Überblick bei Kratz, Israel, 87 ff. S. dazu Schmid, Literaturgeschichte, 59 ff. 23 S. dazu ders., aaO 73 ff. 24 Dazu zählen Techniken der Textfixierung wie die sog. Textsicherungsformel Dtn 4,2; 13,1 sowie Techniken innerbiblischer Markierung wie die Re-Artikulation u. a. Im Bereich der Psalmen sind die wichtigsten literarischen Techniken die Verkettung benachbarter Psalmen durch gemeinsame Stichwörter / Motive (concatenatio), die Nebeneinanderstellung von Psalmen nach thematischen Aspekten (iuxtapositio), die Schaffung von Teilsammlungen durch Überschriften und Doxologien und anderes mehr. 25 S. dazu Schmid, Literaturgeschichte, 212 ff. 21 22
550 VII Der ganze Mensch – Resümee
die von unterschiedlicher Konsistenz und Reichweite sind. Zu diesen Längs- und Querverstrebungen gehören u. a. folgende Konstanten und Varianten: Natürliche und soziale Konstanten – – – – – – – – – –
Zeugung und Geburt Mann und Frau Arbeit und Ruhe Essen und Trinken Freundschaft und Feindschaft Liebe und Erotik Freude und Schmerz Schlafen und Wachen Krankheit und Heilung Sterben und Tod
Kulturelle und religiöse Varianten – – – – – – – – – –
Beschneidung und Entwöhnung Erziehung und Bildung Leibsphäre und Sozialsphäre Emotionen und Gefühle Feste und Feiern Opfer- und Reinigungsriten Rechtsinstitutionen (Familien-, Todes-, Schadensrecht u. a.) Subsistenzwirtschaft und Geldwirtschaft Armut und Reichtum Altersversorgung und Begräbnis
Abb. 111: Anthropologische Konstanten und Varianten
Das sind nur ausgewählte Beispiele, die sich vermehren und ausdifferenzieren ließen. Sie stellen aber auf je ihre Weise die conditiones humanae dar, die das individuelle wie kollektive Leben bestimmen und formen.26 Eine Darstellung der Anthropologie(n) des Alten Testaments muss deshalb beide Ebenen: diejenige der natürlichen und sozialen Konstanten wie diejenige der kulturellen und religiösen Varianten in den Blick nehmen. Beide Ebenen greifen immer ineinander über. Ein Beispiel dafür ist die Gastfreundschaft, die den empathischen Umgang mit dem Fremden im Rahmen eines gemeinsamen Mahls (natürliche / soziale Konstante Essen und Trinken) pflegt. Das erfährt z. B. die Moabiterin Ruth von Seiten des Bethlehemiters Boas: Und Boas sprach zu ihr zur Essenszeit: „Komm hierher und iss von dem Brot und tauche deinen Bissen in die Tunke!“ Und sie setzte sich an die Seite der Schnitter. Und er reichte ihr Röstkorn, und sie aß und wurde satt und behielt noch etwas übrig. (Ruth 2,14)27 26 27
S. dazu auch Kessler, Anthropologie, 69 ff; Müller „Seele“, 206 ff u. a. S. dazu oben 204 f.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 551
Ein anderes, ebenso einschlägiges Beispiel ist das Begräbnis, das aus einem biologischen Ereignis (natürliche / soziale Konstante Sterben und Tod) einen kulturell und religiös geprägten Vorgang macht. So heißt es anlässlich des Todes Abrahams: 7 Und dies sind die Tage der Lebensjahre Abrahams, die er gelebt hat: 175 Jahre. 8 Und Abraham verschied und starb in gutem Alter, alt und satt (an Tagen), und er wurde versammelt zu seinen Vorfahren. 9 Und Isaak und Ismael, seine Söhne, begruben ihn in der Höhle von Machpela, auf dem Feld Ephrons, des Sohnes Zohars, des Hethiters, das Mamre gegenüber liegt. 10 Das Feld, das Abraham von den Söhnen des Het gekauft hatte, dort wurde Abraham begraben und Sara, seine Frau. 11 Und es geschah nach dem Tod Abrahams, da segnete Gott den Isaak, seinen Sohn, und Isaak wohnte bei Beer Lachaj-Roj. (Gen 25,7–11)28
Da Gen 25,7–11 ein später, priesterschriftlicher Text ist, wissen wir nicht, wie das Begräbnis Abrahams tatsächlich abgelaufen ist. Die Differenz zwischen einer (frühen) sozialen Praxis und ihrer (späten) literarischen Reflexion ruft deshalb die Frage danach wach, wie dieser Sachverhalt in die Literatur-, Sozial- und Religionsgeschichte Israels eingezeichnet werden kann. Idealtypisch kann man dabei drei Hauptphasen unterscheiden.29 α) Frühe Anstöße „Der Mensch, wie ihn die alttestamentliche Überlieferung spiegelt, zielt mit seinem Tun und seiner Arbeit auf den Erhalt der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen. Zugleich steht er in Verantwortungen.“30 Beides, die tägliche Arbeit und die soziale Verantwortung, hat ebenso wie das kultische Leben und die Rolle des Königs seinen Niederschlag in den Überlieferungen der älteren Psalmen, in den frühen Erzählüberlieferungen der Samuel- und Königsbücher, in den Rechtsüberlieferungen des ursprünglichen Bundesbuchs (Ex 20,*24–23,19), in den Sentenzen der älteren Spruchweisheit (Spr 10,1–22,16) und in der Prophetie der mittleren Königszeit (Grundschichten von Am, Hos, Jes 1–11, Mi) gefunden.31 Möglicherweise stellen die prophetischen Überlieferungen, wie sie in den Grundschichten der Bücher / Buchteile Am, Hos, Jes 1–11 und Mi in Erscheinung 28
S. dazu oben 83 ff. Es versteht sich von selbst, dass diese Hauptphasen, um ein vollständigeres Bild zu erhalten, in weitere Ebenen untergliedert werden müssten. Die im Folgenden genannten Beispieltexte lassen sich über das Stellenregister leicht auffinden. 30 Van Oorschot, Aspekte, 23. 31 S. dazu Schmid, Literaturgeschichte, 73 ff; Kratz, Israel, 99 ff; van Oorschot, aaO 23 ff und Wagner, Monotheisierung, 45 ff. Zum Alter und rechtsgeschichtlichen Profil des Bundesbuchs s. Otto, Ethik, 18 ff; Schmid, aaO 102 ff und Albertz, Exodus II (ZBK.AT), 129 f. 29
552 VII Der ganze Mensch – Resümee
treten, „eine Art Wasserscheide in der Ausformung ethischer Grundüberlegungen im Alten Israel“32 dar. Folgende Themen, die sich vielfach berühren bzw. überlappen, spielen dabei eine zentrale Rolle: – Jerusalemer Tempeltheologie (Ps 24,7–10; 46*; 48*; 93,1–4 u. ö.) – Sklavengesetze (Ex 21,1 ff ), soziale Schutzgebote (Ex 22,20 ff ), Schutzgebote für Fremdlinge (Ex 22,20; 23,9), Armenfürsorge (Ex 23,10 f ) u. a. – Ruhetagsgebote (Ex 23,12; 34,17) – Gerechtigkeit/Sünde-Relation (ältere Spruchweisheit: Spr 10,1 ff; prophetische Sozialkritik: Grundschichten in Am; Hos; Jes 1–39; Mi) – Schutz der personae miserae (Ex 22,25 f; Spr 22,16.22 f u. ö.) – Tun/Ergehen-Zusammenhang (ältere Spruchweisheit: Spr 10,1 ff u. ö.) – Judäische Königsideologie (Ps 2,7–9; 21,2–7; 72,2–7.*12–17, ferner *1 Sam 16–2 Sam 5; *2 Sam 9–1 Kön 2 u. ö.) – Volksgeschichte als Familiengeschichte (Abraham/Lot-Zyklus: Gen *13; *18 f [+ *21] u. ö.) – Geschichtsschreibung als „theologische Anthropologie“ (Thronfolgegeschichte: 2 Sam 9–20; 1 Kön 1 f )
Abb. 112: Anthropologische Themen in vorexilischen Texten
Für die im 8./7. Jh. v. Chr. einsetzende Ausdifferenzierung der anthropologischen Themen ist es charakteristisch, dass „sobald das Recht als eine eigene Größe schriftlich fixiert wird, … auch das Ethos zu einer schriftlichen Form findet, wie sie in den Anfängen der Weisheitsliteratur vorliegt“33. Auch im Blick auf die frühen Erzählüberlieferungen der Samuel- und Königsbücher ist eine bewusste Wahrnehmung der menschlichen Wirklichkeit festzustellen. Denn jetzt „stehen vor allem Einzelfiguren, nicht mehr das Volk insgesamt, im Fokus des Interesses. Gottes Eingreifen in die Geschichte geschieht in theologisch normierter Weise, es ist abhängig vom ,rechten Tun‘ der Könige, das sich allerdings auch auf das Volk auswirkt.“34 Das ist aber nicht alles. In der sog. Thronfolgegeschichte 2 Sam 9–20; 1 Kön 1 f (von ihm ins ausgehende 10. Jh. v. Chr. datiert) geht es nach E. Blum „näherhin um die Entdeckung der Gestaltungsmöglichkeit, ja ,Machbarkeit‘ von Wirklichkeit durch selbstbestimmtes menschliches Handeln – und zugleich um dessen Grenze“35. Es geht also um zweierlei: „auf der einen Seite um die Möglichkeiten und Notwendigkeiten menschlichen Handelns, auf der anderen Seite um dessen Bruchstellen, Ambivalenz und Grenzen – im Horizont der Wirklichkeit Gottes“36. Insofern stellt die sog. Thronfolgegeschichte die Frühform einer theologischen Anthropologie dar.37 32 33 34 35 36 37
Wagner, aaO 48. Schmid, aaO 80, vgl. Kessler, Ethik, 215. Schmid, ebd. Ein Beispiel dafür ist das Königsbild von Ps 72, s. dazu oben 466 ff. Blum, Geschichtsschreibung, 311 f. Ders., aaO 317.318. Am Beispiel der Geschichte von David und Batseba in 2 Sam 11 f erörtert Becker, Ethik, 231 ff nicht nur die Aspekte einer theologischen Anthropologie, sondern auch diejenigen einer „Ethik des Alltäglichen“.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 553
β) Entscheidende Vertiefungen Die frühen Anstöße, die sich ab dem 9./8. Jh. v. Chr. im alttestamentlichen Menschenbild bemerkbar machen, werden im 8./7. Jh. v. Chr. entscheidend vertieft. Die Rolle, die dabei die deuteronomische Reformbewegung des ausgehenden 7. Jh.s v. Chr. spielt, kann nicht hoch genug veranschlagt werden.38 Der Gedanke der Einheit Gottes (vgl. Dtn 6,4 f) und der spätere Ausschließlichkeitsanspruch (Dtn 4,35.39; 5,6 f) setzten sich in allen Bereichen der offiziellen JHWH‑Religion durch und erfassten auch die Ebene der familiären Frömmigkeit.39 Neben der Polemik gegen den Totenkult (Dtn 21,22–23a, vgl. 18,10 f; 26,14)40 und der Neubestimmung der Rolle des Königs (Dtn 17,14–20) betraf das vor allem die Verinnerlichung und ethische Durchdringung der Gottesbeziehung. Jetzt tritt auch der „innere Mensch“ in Erscheinung, von dem in Ansätzen schon die ältere Spruchweisheit in ihren Sentenzen zur Rolle des Herzens gesprochen hatte (Spr 14,33; 15,14.28; 16,23 f; 17,22; 22,17).41 Auch in dieser theologiegeschichtlichen Epoche berühren bzw. überlappen sich die anthropologischen Themen in vielfacher W eise. – Kompetenzausweitung JHWHs (Segensinschriften des 8./7. Jh.s v. Chr.,42 ältere KE und DE) – Polemik gegen den Totenkult (Dtn 21,22–23a, Fortschreibungen in 18,10 f; 26,14) – JHWH/Israel-Verhältnis (Dtn 6,4 f, Fortschreibung in Dtn 10,12 f u. ö.) und Dtn 4,44 ff; 5,1 [jeweils dtr]) – „Innerer Mensch“ (Dtn 6,4 f, vgl. Jer 31,33[dtr] u. ö.) – Ethische Durchdringung der Gottesbeziehung (soziale Bestimmungen: Dtn 15,1–11; 19,1–26,15) – Kultzentralisation und Festkalender (Dtn 12,1–16,17) – Motiv des göttlichen Segens (Dtn 12,7; 14,24.29; 15,4 ff; 23,21 u. ö.) – Geschwisterethik (Dtn 15; 22,1–4; 24,7 u. ö.) – Neubestimmung der Rolle des Königs (Dtn 17,14–20) – Herrschererwartungen (Jes 7,*10–17; 9,1–6; 11,1–5; spätnachexil.: Sach 9,9 f u. ö.) – Erschaffung des Menschen (Gen 2,4b–7) – Geschlechterverhältnis (Gen 2,18–25; 3,*16–19; Ruth u. a.) – Wissen von gut und böse / schlecht (Gen 2,17, vgl. Dtn 1,39 f; 2 Sam 19,36; 1 Kön 3,9; Jes 7,15 f ) 38 39
40
41 42
S. dazu Albertz, Religionsgeschichte, 304 ff; Otto, Ethik, 175 ff; Jeremias, Theologie, 195 ff; Kessler, Ethik, 243 ff; van Oorschot, Aspekte, 26 ff u. a. S. dazu Albertz, aaO 312 ff.327 ff. S. dazu Gertz, Zerschneiden, 547 ff und oben 88 ff. Die Gründe für die dtn-dtr Polemik gegen den Totenkult sieht Gertz in den Umbrüchen der familien- und erbrechtlichen Gegebenheiten („Bedeutungsverlust der gentilen Sozialbeziehungen und … Auflösung der traditionellen Bindung der Familien an ihr Erbland“ [aaO 557]), die sich im 8./7. Jh. v.Chr in Juda vollzogen haben. Vgl. Spr 26,23 ff („böses Herz“), s. dazu oben 158 ff und Janowski, Herz, 46.47 f.67 ff. In 1 Kön 3,9 ist vom „hörenden Herzen“ die Rede, vgl. 1 Kön 3,9.12 und oben 157. S. dazu oben 90 ff.
554 VII Der ganze Mensch – Resümee – Fehlbarkeit des Menschen (Gen *2,4b–3,24; *6,5–8,22) – Sterblichkeit des Menschen (Gen 3,19a) – Sabbatgebote (Ex 20,8–11, vgl. Dtn 5,12–15 [dtr]; Ex 31,12–17 [PS] u. ö.)
Abb. 113: Anthropologische Themen in spätvorexilischen Texten
γ) Späte Ausformungen Mit der Zerstörung des Ersten Tempels, dem Ende des davidischen Königtums und dem Verlust des Landes brach nach 587 v. Chr. auch die Frage nach dem Menschen neu und umfassend auf. Das exilisch-nachexilische Juda und die spätere Provinz Jehud mussten sich dieser neuen Situation anpassen, was sich nicht nur im religiösen Symbolsystem des Zweiten Temples, sondern auch in den Veränderungen des Gottes- und Menschenbilds niederschlug.43 Neu sind nicht nur die Reflexionen über die Leidensproblematik, sondern auch die Themen Geschöpflichkeit, Gottebenbildlichkeit, Neuschöpfung des Sünders, Theodizee, Vergänglichkeit, Tod und Hoffnung über den Tod hinaus.44 Auch die anthropologische Grundfrage „Was ist der Mensch?“ (Ps 8,5, vgl. Ps 144,3 f; Hi 7,17 ff; 15,14; Sir 18,8 ff (s. Q 6 und Q 9) wird bezeichnenderweise in dieser Literaturepoche gestellt (Abb. 114). – Klagelieder (Klgl 1,20; 2,11) und Volksklagen (Ps 44; 74; 79; 80; 83) – Leidensproblematik (Konfessionen Jeremias: Jer 11 f; 15, 17; 18; 20;45 Ebed JHWH: Jes 41,1–4; 49,1–6; 50,4–9; 52,13–53,12; Dialoge in Hi 3 ff ) – Geschöpflichkeit (Ps 22,10 f; 71,5 f; 139,13–18; Hi 1,21; 10,8–13; Pred 12,1 u. ö.) – Gottebenbildlichkeit (Gen 1,26–28; 5,1; 9,6; Sir 17,1–10; Gottähnlichkeit: Ps 8,6) – Herrschaft über die Tiere (Gen 1,26.28; Ps 8,6–9) – „Königlicher Mensch“ (Gen 1,26–28; Ps 8,6; Umkehrung: Hi 19,8–10) – Armenethos / Schutz der personae miserae (Ps 82; Hi 24,5–8 u. ö.)46 – Sühne / Versöhnung, Kulttheologie (P: Ex 24,15b–40,35; Lev 1–16; H: Lev 17–26; Ez 40–48 u. ö.) – Metaphorisierung des Opfers (Ps 4,6; 40,7–9; 51,19.21; 119,108; 141,2) – Neuschöpfung des Sünders (Jer 31,31–34[dtr]; Ez 11,19 f; 36,24–28; Ps 51,9–14 u. ö.) – Zerbrechen des Tun/Ergehen-Zusammenhangs/Theodizee-Frage (Hiobbuch) – Gottesfurcht/Weisheit-Relation (Spr 1,7.29; Pred 7,18; Sir 1,11 ff u. a., vgl. Ps 34,12; 111,10; Hi 28,28 u. ö.) – Frage nach dem Glück (Pred) – Schönheitsideal (Hhld 4,1–7; 5,10–16; 6,4–7; 7,2–7 u. ö.) – Geschlechtergrenzen (Überschreitung: Spr 31,10–31) – Eschatologischer Tierfrieden (Jes 11,6–9) S. dazu van Oorschot, aaO 32 ff und zu den historischen und religiösen Vorgängen Keel, Geschichte Jerusalems, 772 ff.950 ff und Frevel, Geschichte Israels, 278 ff.287 ff. 44 S. dazu Schmid, aaO 109 ff.140 ff.177 ff und van Oorschot, aaO 30 ff. 45 S. dazu Wilke, Gebete, 247 ff. 46 Dieses Thema beginnt bereits im ursprünglichen Bundesbuch (Ex 22,20 ff), s. dazu oben 193 ff. 43
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 555
– Vergänglichkeitsklagen (Ps 39,5–7; 90,12; 102,12; 103,14–16; Hi 7,7–10; 9,25–28; 10,20 f u. ö.) – Todesmetaphorik der Individualpsalmen (KE und DE) – Reflexionen über das Alter (Ps 71,9.17–21; Pred 11,9–12,8, vgl. bereits 2 Sam 19,35–38) – Reflexionen über Sterblichkeit / Tod (Gen 3,19b; Ps 90,3–6; 104,29; Pred 3,20 f; 9,4–6; 12,7 u. ö.) – Hoffnung über den Tod hinaus (Ez 37,1 ff; Jes 25,6–8; 26,19; Ps 22,28 ff u. ö.) – Unsterblichkeit der Gottesbeziehung (Ps 49,15 f; 73,21–26)
Abb. 114: Anthropologische Themen in exilisch-nachexilischen Texten
Diese späten Ausformungen bezeugen die große Intensität, mit der in exilischnachexilischer Zeit über den Menschen und seine Stellung coram Deo et in mundo nachgedacht wurde. Besonders aufschlussreich für die Anthropologie(n) dieser Epoche ist der Topos vom „inneren Menschen“, der nach Anfängen in der älteren Spruchweisheit47 mit Dtn 6,4 f einen markanten Höhepunkt und mit Jer 31,31 ff; Ez 11,19 f; 36,25 ff; Ps 51 und anderen Texten eine folgenreiche Nachgeschichte hat. Exkurs 20: Der „innere Mensch“ Altes Testament: Dietrich, Individualität, 77 ff ◆ Frevel, Person, 73 ff.79 ff ◆ Ders., Selbst-
beobachtung, 13 ff ◆ Ders., ,Quellen‘, 447 ff ◆ Grohmann, Diskontinuität, 34 ff ◆ Janowski, „Identität“, 31 ff ◆ Ders., Herz, 36 ff ◆ Niditch, Self, 134 ff ◆ Smith, Herz, 171 ff. – Antike Religionen: Assmann, Art. Persönlichkeitsbegriff, 963 ff ◆ Ders., Geschichte des Herzens, 81 ff ◆ Newsom, Self, 5 ff ◆ Dies., Genealogy, 63 ff ◆ Rüpke, Individualität, 199 ff ◆ Snell, Invention, 379 ff ◆ Veyne, Religion, 92 ff. – Neues Testament, Theologiegeschichte: Berger, Psychologie, 93 ff ◆ Heckel, Mensch ◆ Markschies, Art. Innerer Mensch, 266 ff ◆ Theißen, Erleben, 49 ff.539 ff ◆ Ders., Menschenbild, 269 ff ◆ Vollenweider, Ganzheitlich, 31 ff ◆ Weissenrieder, Verkörperung, 183 ff. Nach gängiger Auffassung beginnt die Geschichte des „inneren Menschen“ mit Platon und der nachplatonischen Philosophie und verläuft dann über das Neue Testament bis in die spätantike und frühchristliche Literatur.48 Das ist allerdings eine ideengeschichtliche Verkürzung. Denn wenn man – was erforderlich ist –, die vorhellenistische Antike in die Betrachtung einbezieht, gelangt man zum alten Ägypten, wo der Prozess der Verinnerlichung der Selbst- und Gottesbeziehung zuerst und in umfassender Weise in Erscheinung tritt.
Das Beispiel Ägypten Voraussetzung für die interpretatio aegyptiaca des Themas „Verinnerlichung“ ist die Definition des Personbegriffs. So hat J. Assmann in seiner diesbezüglichen Problemskizze zwischen Personalität und Persönlichkeit unterschieden und unter Personalität „die 47
48
S. dazu oben 553 mit Anm. 41. S. dazu Markschies, Art. Mensch, 266 ff, ferner Berger, Psychologie, 93 ff; Heckel, Mensch; Theißen, Erleben, 49 ff; ders., Menschenbild, 269 ff; Weissenrieder, Verkörperung, 183 ff und Vollenweider, Ganzheitlich, 31 ff.
556 VII Der ganze Mensch – Resümee grundlegende Daseinsform des Menschen verstanden, der sich zu sich selbst, d. h. seinen Empfindungen, Absichten, Eigenschaften, Haltungen und Handlungen verhalten kann“49. Die Personalität des Menschen liegt dabei im Schnittpunkt von Leiblichkeit, Sozialität und Selbstbewusstsein („geistig-seelisches Selbst“) und verfügt in allen drei Dimensionen über eine differenzierte Semantik.50 Das Zentrum ist das menschliche Herz als das Organ der emotionalen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten.51 Worauf es bei den Tätigkeiten des Herzens ankommt, ist „der Einklang von ,innen‘ und ,außen‘, ,Herz‘ und ,Zunge‘, und die Übereinstimmung der biographischen Realität mit den allgemeinen und als ,Gesinnung‘ internalisierten ,Normen des Herzens‘, sozusagen die ,Porträtähnlichkeit‘ der idealtypisch formulierten Biographie“52. Die Geschichte des „inneren Menschen“ beginnt mit dem ,Zeitalter der Persönlichen Frömmigkeit‘ (Vorläufer in der 18. Dyn., Durchbruch in der 19./20. Dyn.), das man als einen tiefen Einschnitt in der ägyptischen Religionsgeschichte zu verstehen hat.53 Persönliche Frömmigkeit bedeutet, das eigene Leben der Güte und Gnade Gottes anzuvertrauen, sich der Gottbezogenheit der eigenen Existenz inne zu werden (typisch ist die Wendung rdj m ib „sich [Gott] ins Herz geben“) und aufgrund dieser individuellen Gottesbeherzigung den göttlichen Weisungen entsprechend zu leben. So heißt es etwa in einer Eulogie an Amun-Re aus Theben: 5 Er (sc. Amun-Re) gibt Leben dem, den er liebt, 6 und ein Alter dem, der ihn in sein Herz gibt (ddw św m ib.f ), 7 den Hauch seines Mundes (dem, der) in seiner Gunst (steht).54 Veränderungen in der Auffassung des moralischen Selbst geschehen aber nie unmotiviert, sondern sind immer ein Ausdruck des historischen, kulturellen und religiösen Prozesses. Das gilt auch für das alte Israel.
Das „Höre, Israel!“ als locus classicus Im alten Israel umfasst der Prozess der Verinnerlichung mehrere, sich vielfach überlappende Phasen (Abb. 115). Ein Schlüsseltext für die Verinnerlichung der Gottesbeziehung ist das „Höre, Israel!“ von Dtn 6,4 f55 und seine Fortschreibung in Dtn 6,6–9. Dieser Text zeigt, dass es das ,gott49
50 51 52
53 54
55
Assmann, Art. Persönlichkeitsbegriff, 963. Unter Persönlichkeit wird von Assmann demgegenüber „das in starken Konturen ausgeprägter Eigen-Art gezeichnete Bild verstanden, das gewisse Einzelne von sich in ihren Biographien der Nachwelt überliefert haben“ (ders., aaO 964). S. dazu ders., aaO 964 ff. S. dazu ders., Geschichte des Herzens, 81 ff und oben 154 ff, ferner Q 22 und 23. Ders., Art. Persönlichkeitsbegriff, 967. S. dazu ders., aaO 970 f; Janowski, Rettungsgewissheit, 113 ff, ferner Dietrich, Individualität, 87 ff. Zitiert nach Assmann, ÄHG2, 181, s. dazu auch Janowski, aaO 117 f. Zu Dtn 6,4 f und zur „Verinnerlichung“ der Gottesbeziehung im Dtn s. außer den Kommentaren noch Albertz, Religionsgeschichte, 330 f; Sedlmeier, „Höre, Israel“, 21 ff und Müller, „Seele“, 287 f.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 557
– Phase 1 Einbindung des Ich in die Gemeinschaft (Ex *20,24–23,19; Spr 10,1 ff u. a.)56 – Phase 2 Verinnerlichung und ethische Durchdringung der Gottesbeziehung (Dtn 6,4 ff, vgl. den Fortschreibungstext Dtn 10,12 f ) – Phase 3 Herausbildung des Selbstbewusstseins in Gebet und Reflexion (KE und DE, Jer, Ez, Hi, Pred, Sir)57
Abb. 115: Zum Prozess der Verinnerlichung im Alten Testament geleitete Herz‘ Israels bzw. eines jeden Israeliten ist, das den Gotteswillen, wie er in den deuteronomischen Gesetzen niedergelegt ist, in sich aufnehmen und in die praxis pietatis umsetzen soll: 4 5
Höre, Israel! JHWH ist unser Gott, JHWH ist einzig! Du sollst JHWH, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen (lebāb), mit deinem ganzen Verlangen (næpæš) und mit deiner ganzen Kraft (me᾽od)
Während in V. 4 ein kollektives „Du“ angesprochen wird, das im pluralischen Suffix „unser“ in Erscheinung tritt, wird mit dem Liebesgebot von V. 5 jeder einzelne Israelit als Teil dieses kollektiven Du zur Liebe JHWHs angehalten und damit die persönliche Gottesbeziehung auf ganz Israel ausgeweitet. Dabei entspricht dem „einen / einzigen“ Gott58 die „ganze“, ungeteilte Liebe Israels, die emphatisch durch das dreimalige bekål – „mit deinem ganzen Herzen (leb), mit deinem ganzen Verlangen (næpæš) und mit deiner ganzen Kraft (me᾽od)“ – ausgedrückt wird.59 Gemeint ist mit dieser Liebe zu Gott ein ausschließliches
56
In Ansätzen hat schon die ältere Spruchweisheit vom „inneren Menschen“ gesprochen, s. dazu oben 553 mit Anm. 41. 57 Eine zentrale Rolle spielen dabei die Klage- und Danklieder des Einzelnen, s. dazu Wilke, Identität, 98 ff und oben 501 ff. Wie die weisheitliche Reflexion ist auch das Gebet ein primärer Ort für die Herausbildung des Ich- oder Selbstbewusstseins. Das Ichbewusstsein ist „nur möglich, wenn es sich durch einen Kontrast erfährt. Ich benutze ich nur dann, wenn ich mich an jemanden wende, der in meiner Anrede ein du sein wird. Diese Bedingung des Dialogs ist es, welche die Person konstituiert, denn sie impliziert umgekehrt, dass ich zu einem du werde in der Anrede desjenigen, der sich seinerseits als ich bezeichnet“ (Benveniste, Subjektivität, 289 [H. i. O.]), vgl. für Mesopotamien Streck, Art. Person, 430. 58 „Einzig“ (᾽æhād) ist ein Topos der Liebessprache (vgl. Hhld 6,8 f). So proklamiert Dtn 6,4 f ˙ den „Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes in einem Liebesbezug. Er allein ist aus allen Göttern der Gott für Israel, eben ,unser Gott‘“ (Braulik, Deuteronomium I [NEB], 56), vgl. Sedlmeier, aaO 35 f und Geiger, Gottesräume, 142 ff. 59 Vgl. Müller, Lieben, 228 ff, die zu Recht auf einer instrumentalen Übersetzung der Präposition be („mit“, nicht „von“) insistiert. Zum religions- und traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Dtn 6,5 s. Rüterswörden, Liebe, 229 ff, der außer auf die neuassyrischen Vertragstexte (s. Q 92; 96) auch auf die altaramäischen Sfire-Inschriften (s. Q 130) hinweist, vgl. Fabry, Art. leb / lebāb, 419.
558 VII Der ganze Mensch – Resümee Treue- oder Loyalitätsverhältnis, „eine Ganzhingabe im Gehorsam, die zugleich Dankbarkeit und Vertrauen umschließt und sich emotional in einer persönlichen, intimen Erfahrungssphäre verwirklicht“60. Ein anschaulicher Beleg dafür ist der nachexilische Fortschreibungstext Dtn 10,12 f, der diese „Gefolgschaftstreue“ durch fünf Verbalbestimmungen expliziert: 12 Und nun, Israel, was fordert JHWH, dein Gott, von dir anderes, als JHWH, deinen Gott, zu fürchten, auf allen seinen Wegen zu wandeln und ihn zu lieben, und JHWH, deinem Gott, zu dienen mit deinem ganzem Herzen (leb) und mit deiner ganzen Lebenskraft (næpæš), 13 indem du die Gebote JHWHs und seine Satzungen, auf die ich dich heute verpflichte, achtest, damit es dir gut geht. Sowohl in Dtn 6,5 als auch in Dtn 10,12 (vgl. Dtn 11,13; 13,4; 30,6) richtet sich der Blick auf die Innenseite des Menschen (leb und næpæš) und die hier verankerte „Gefolgschaftstreue“ (῾ābad „dienen“), die alles Handeln Israels bestimmen soll. So wird „der Kampf um die wahre Verehrung Jahwes … im Inneren des Menschen ausgetragen, es ist hier keine Frage äußerlichen Drucks, etwa mit angekündigten Strafen“61.
Exilisch-nachexilische Entwicklung Zu den inneren Organen gehören nach alttestamentlichem Verständnis das Herz, der Bauch / Unterleib, die Leber, die Nieren und die Eingeweide / das Innere62 die z. T. in Parallele zum Begriff næpæš „Leben(digkeit), vitales Selbst“ (Ps 13,3; 31,10; 103,1; 139,13 f u. ö., vgl. Dtn 6,5) stehen. Gemäß dem jeweiligen literarischen Kontext kommen diesen Organen auch unterschiedliche Funktionen zu: Wie lange soll ich Sorgen tragen in meiner næpæš, Kummer in meinem Herzen (leb) Tag für Tag? Wie lange erhebt sich mein Feind über mich? (Ps 13,3, vgl. V. 6) 7 8 9
Ich segne JHWH, der mich beraten hat, auch in Nächten unterweisen mich meine Nieren (kelājôt). Ich habe JHWH ständig vor mich hingestellt, ja, ist (er) zu meiner Rechten, werde ich nicht wanken. Darum freut sich mein Herz (leb) und jubelt meine Ehre, auch mein Fleisch (bāśār) wird in Sicherheit wohnen. (Ps 16,7–9)
Wie Wasser bin ich ausgeschüttet, und getrennt haben sich alle meine Gebeine, geworden ist mein Herz (leb) wie Wachs, zerfließend inmitten meines Inneren (qæræb). (Ps 22,15)
Braulik, Deuteronomium I (NEB), 56. Rüterswörden, aaO 235. Zur Weiterführung der Gebotsparänese von Dtn 6,5 durch die Fortschreibung Dtn 6,6 ff s. oben 131 ff. 62 S. dazu oben 154 ff. 60 61
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 559
10 Erbarme dich meiner, JHWH, denn Bedrängnis (ist) mir. Es verdunkelt sich vor Kummer mein Auge (῾ayin), meine Lebenskraft (næpæš) und mein Bauch (bætæn). ˙ Leben und meine Jahre im Seufzen. 11 Ja, geendet haben in Kummer mein Gefallen ist wegen meiner Sünde meine Kraft, und meine Gebeine haben sich verdunkelt. (Ps 31,10 f) Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, habe ich Gefallen, und deine Tora (ist) inmitten meiner Eingeweide (betôk me῾aj). (Ps 40,9) Ein reines Herz (leb tāhôr) erschaffe mir, Gott, ˙ Geist (rûa und einen beständigen h nākôn) erneuere in meinem ˙ Inneren (qæræb)! (Ps 51,12) 21 Als mein Herz (leb) sich verbitterte, und ich in meinen Nieren (kelājôt) ein scharfes Stechen fühlte, 22 da war ich ein Dummkopf und begriff nicht, (ganz und gar) Vieh war ich vor dir. (Ps 73,21 f)63 1b Segne, mein Leben (næpæš), JHWH und alles, was in mir ist (kål-qerābaj), seinen heiligen Namen! 2 Segne, mein Leben (næpæš), JHWH und vergiss nicht alle seine Wohltaten! (Ps 103,1b–2)64 13 Denn du, du hast meine Nieren (kelājôt) geschaffen, hast mich gewoben im Leib meiner Mutter. 14 Ich preise dich, dass ich erschreckend wunderbar bin, wunderbar sind deine Werke, und meine næpæš (= ich) weiß das wohl. (Ps 139,13 f)65 Es ist also ein einseitiges Urteil, wenn behauptet wird, dass es „Individualität durch Innerlichkeit auch im Alten Israel gegeben haben (mag), doch … in den literarischen Texten kaum reflektiert (wurde) – und wenn doch, dann unter negativen Vorzeichen“66. Negative
Zu Ps 22,15 s. Bester, Körperbilder, 165 ff; Gillmayr-Bucher, Images, 312, zu Ps 31,10 f s. Gillmayr-Bucher, aaO 311. 64 Dazu zwei Bemerkungen. Zum einen bezeichnet der Plural von qæræb („Mitte, Inneres“ V. 1b) in Verbindung mit dem Allquantor „alles“ die „Zusammenfassung der inneren Körperorgane“ (Hossfeld / Zenger, Psalmen III [HThK.AT], 58). Zum anderen ist die Parallelität mit dem Begriff næpæš (V. 2) zu beachten. Nach Müller, „Seele“, 233 ist næpæš „hier nicht ,Sitz der Freude‘, sondern næpæš steht metonymisch für den Lobenden selbst“. Das ist zwar zutreffend, aber doch ergänzungsbedürftig. Denn vom Segnenden ist hier explizit im Blick auf seine vitale Intentionalität „mein Leben“ (napšî) // auf „alles, was in mir ist“ (kål-qerābaj), d. h. auf seine inneren Körperorgane und deren psychosomatische Kräfte, die Rede, s. dazu auch Frevel, Selbstbeobachtung, 32. 65 S. dazu oben 64 f. 66 Dietrich, Individualität, 81. Wie seine Erläuterungen dazu zeigen (aaO 81 ff), scheint sich Dietrich seiner These allerdings nicht ganz sicher zu sein. 63
560 VII Der ganze Mensch – Resümee Zuspitzungen der Rede vom „inneren Menschen“ gibt es natürlich und zwar vor allem in den Feindschilderungen der Individualpsalmen, wo das Innere auch als Ort asozialer Handlungen qualifiziert werden kann: 9 JHWH, leite mich in deiner Gerechtigkeit um meiner Widersacher willen, mach eben vor mir deinen Weg! 10 Denn in seinem Mund ist nichts Rechtes, ihr Inneres (qæræb) ist Verderben. Ein offenes Grab ist ihre Kehle (gārôn), mit ihrer Zunge heucheln sie. (Ps 5,9 f) Jeder der vier Körperteile ist Agens eines Unrechtshandelns – „nichts Rechtes“ (Mund), „Verderben“ (Inneres), „offenes Grab“ (Kehle), „Heuchelei“ (Zunge) –, das im Inneren des Menschen beginnt und seinen Weg nach außen findet, wo es das Gegenteil von Gerechtigkeit bewirkt,67 vgl. auch Ps 62,5: Von nichts anderem als seiner Höhe planten sie, (ihn) fortzustoßen, an Lüge haben sie Wohlgefallen. Mit ihrem Mund segnen sie, aber in ihrem Inneren (qæræb) fluchen sie. Einen besonderen Einblick in das Innenleben des Frevlers gewähren schließlich Ps 36,2 (Motiv des homo incurvatus in seipsum) und Ps 64,7 (Motiv der Entzogenheit des Inneren): Raunen des Verbrechens zum Frevler inmitten meines Herzens (beqæræb libbî), kein Gottesschrecken (ist) vor seinen Augen. (Ps 36,2) Sie planen Freveltaten: „Wir sind fertig geworden!“ Ein (gut) geplanter Plan, und das Innere (qæræb) eines Mannes und das Herz (leb) ist tief. (Ps 64,7)68 Wir sehen: Es sind vor allem exilisch-nachexilische Psalmen,69 die den „inneren Menschen“ zum Thema machen und damit wichtige Wegmarken in der Geschichte des „Moral Self “ (C. Newsom) darstellen, für das die Innen/Außen-Relation, d. h. der Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre konstitutiv ist. Dieses Thema ist aber nicht auf die Psalmen beschränkt, sondern es begegnet außer in der älteren Spruchweisheit70 auch in den Klageliedern (Klgl 1,20 [Jerusalem]; 2,11),71 in den Konfessionen Jeremias (Jer 20,9 u. a.,
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S. dazu Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 213 f und zu den Körperbildern der Feindpsalmen Tucker, Body, 112 ff. Der umgekehrte Fall liegt in Spr 16,23 (mit der Variante 16,21) vor, s. dazu oben 158. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang noch der auf den Ort des moralischen Bewusstseins bezogene Topos „Kammern des Herzens“ in Spr 18,8; 20,27.30; 26,22, s. dazu Frevel, Selbstbeobachtung 39 ff. Zu Ps 36,2 s. oben 160 f, zu Ps 64,7 und seinen Textproblemen s. Frevel, aaO 37 f. S. dazu auch Bester, Körperbilder; Gillmayr-Bucher, Images, 302 ff (mit der Übersicht 325 f) und Tucker, Body, 110 ff. S. dazu oben 553 mit Anm. 41. S. dazu Berges, Klagelieder (HThK.AT), 121 f.149 f; Frevel, Klagelieder (NSKAT), 137.174 ff und Müller, „Seele“, 262.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 561
vgl. Jer 4,19),72 im Hiobbuch (Hi 19,25 ff; 32,18 f u. ö.),73 im Koheletbuch (2,20.22 f; 7,2 ff.7; 8,11 u. ö.)74 sowie im Sirachbuch (Sir 8,19; 13,25 f; 30,22 f u. ö.). Von besonderem Interesse ist darüber hinaus das perserzeitliche Ruthbuch, dessen Dialoge das Thema „Innerlichkeit“ narrativ entfalten.75 Damit ist die Geschichte des „inneren Menschen“ noch nicht abgeschlossen. Vielmehr findet sie in den Texten vom Toten Meer eine Weiterführung, die neue und radikal anmutende Perspektiven einbringt.76 𓇼
2. Thematische Schwerpunkte Altes Testament: Albertz, Art. Mensch, 464 ff ◆ Dietrich, Sozialanthropologie, 224 ff ◆ Frevel, Art. Anthropologie, 1 ff ◆ Grund-Wittenberg, Kulturanthropologie, 873 ff ◆ Janowski, Der ganze Mensch, 3 ff ◆ Kessler, Ethik ◆ Krieg, Leiblichkeit, 7 ff ◆ van Oorschot, Aspekte, 23 ff ◆ Schroer, Grundlinien, 299 ff ◆ Staubli / Schroer, Menschenbilder ◆ Wagner, Menschenkonzept, 45 ff ◆ Wolff, Anthropologie.
Unsere Skizze der geschichtlichen Entwicklung der alttestamentlichen Anthropologie(n) hat noch einmal deren Vielfalt vor Augen geführt. Darüber hinaus hat das Beispiel des „inneren Menschen“ gezeigt, welche Dynamik die menschliche Selbstwahrnehmung in exilisch-nachexilischer Zeit entfaltet hat. Welche thematischen Schwerpunkte lassen sich dabei erkennen?77 Ohne die besagte Vielfalt wieder einschränken zu wollen, ist davon auszugehen, dass das Ethos der Gerechtigkeit zu den primären Vollzugsbedingungen des Menschseins gehört. Dazu kommen die Erfahrung der Leiblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit als die beiden Konstitutionsbedingungen des Menschseins. Diese drei Aspekte bilden die Grundpfeiler der alttestamentlichen Anthropologie und Ethik, die nicht nur in vielfältiger Beziehung zueinander stehen, sondern auch zahlreiche Varianten hervorgebracht haben. a) Die Erfahrung der Leiblichkeit Die Leiblichkeit ist die grundlegende Bedingung des Menschseins (conditio humana), weil der Leib die Weise unseres In der Welt-Seins ist. Im Unterschied zum
Speziell zu Jer 20,7 ff s. Fischer, Jeremia I (HThK.AT), 616 f; Wilke, Gebete, 312 ff und zu Jer 4,19 oben 166. In Jer 4,14 ist von Jerusalems „Herz“ // „Innerem“ die Rede, s. dazu Müller, aaO 261 f. 73 S. dazu Jones, Discourse, 854 ff; Schellenberg, „Fleisch“, 95 ff (mit der Übersicht 122 ff) und Schmidt, „Augen“, 87 ff. Zu Hi 19,25 ff s. oben 531 f. 74 S. dazu Zimmer, Tod, 15 ff. 75 S. dazu oben 199 ff. 76 S. dazu Newsom, Self, 5 ff; dies., Genealogy, 63 ff und Lichtenberger, „Mensch“, 223 ff. 77 Nach Schroer, Grundlinien, 299 ff gehören der fehlende Seelen-Begriff, die Leiblichkeit des Menschen, das Vergänglichkeitsmotiv (bei Mensch und Tier), die Relationalität des Menschen als Sozialwesen, die Beziehung zu Gott, die Schulderfahrung/-verstrickung und die Selbst- und Herrschaftskritik zu den essentials der alttestamentlichen Anthropologie. 72
562 VII Der ganze Mensch – Resümee
Körper als der Natur, die wir haben, ist der Leib die Natur, die wir sind. Beide, den organischen Körper und den subjektiven Leib, erleben wir als „koextensiv“: „Der empfundene Schmerz sitzt dort, wo auch die Nadel den physischen Körper gestochen hat. Der Töpfer fühlt den Ton genau da, wo seine Hand ihn tatsächlich presst und formt. Und zeigt der Patient dem Arzt seinen schmerzenden Fuß, so wird dieser auch dort nach der Ursache suchen.“78
Als verkörpertes oder leibliches Selbst (embodied self ) steht der Mensch der Welt nicht einfach im Sinn des traditionellen Subjekt/Objekt-Gegensatzes gegenüber, sondern er findet sich immer in der Welt vor, mit der er leiblich, d. h. mit allen Sinnen – Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen79 – verbunden ist (Verkörperung / embodiment).80 Der Aspekt der Leiblichkeit bestimmt nicht nur den Anfang des Lebens (vgl. Ps 22,10 f; 71,5 f; 139,13–18 u. a.), sondern auch dessen Ende (vgl. 2 Sam 19,35–38; Ps 71,9.17 f; Pred 11,9–12,8 u. a.).81 Zwischen Geburt und Tod aber verläuft das menschliche Leben mit seinen Höhen und Tiefen, für das der Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre konstitutiv ist. Das lässt sich vor allem am Beispiel des Herzens (leb / lebāb) zeigen, das sowohl physiologischvegetative als auch emotionale, kognitive und voluntative Fähigkeiten und Funktionen besitzt.82 Das Herz ist das Beziehungs- und Resonanzorgan schlechthin, denn es verbindet die Innen- mit der Außenwelt und bringt beide Sphären in Entsprechung zueinander. Ein einschlägiges Beispiel dafür ist, wie wir sahen, die Sentenz Spr 16,23 f:83 23 Ein weises Herz (leb hākām) macht seinen Mund achtsam, ˙ und auf seinen Lippen fügt es Einsicht hinzu. 24 (Wie) Fließen von Honig sind liebliche Worte, süß für das Leben und Heilung für die Knochen. Außen
Außen Ohr
Mund/Lippen Herz (Innen)
Abb. 116: Das Herz als Beziehungsorgan zwischen Innen und Außen
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Fuchs, Gehirn , 33, vgl. ders., Leib, 137 ff und Böhme, Leib, 23 ff. Für das Alte Testament s. Avrahami, Senses und dies., Study, 3 ff. Zu den physischen Grundlagen der menschlichen Sensibilität s. grundsätzlich Leroi-Gourhan, Hand, 349 ff. S. dazu oben 143 ff. Zu den systematisch-theologischen Aspekten s. Moxter, Anthropologie, 176 ff. S. dazu oben 48 ff.77 ff. S. dazu oben 154 ff. S. dazu oben 158.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 563
Die wohltuende Wirkung des „weisen Herzens“, das den Mund des Weisen „achtsam macht“ und auf seinen Lippen „Einsicht hinzufügt“ (V. 23), wird V. 24 in einer Weise beschrieben, die den Menschen in seiner personalen Ganzheit (næpæš „Leben“ // ῾æsæm „Knochen“)84 in den Blick nimmt. In der alttestamentlichen ˙ Anthropologie kommt dem Herzen damit eine Schlüsselrolle zu, weil es der Ort und das Medium der emotionalen, kognitiven und voluntativen Fähigkeiten und Bestrebungen im Inneren des Menschen (Fühlen, Denken, Wollen) ist, das als Organ der Binnenmotivation und Außensteuerung fungiert. b) Das Ethos der Gerechtigkeit Der zweite Grundpfeiler der alttestamentlichen Anthropologie ist das Ethos der Gerechtigkeit. Als grundlegende Vollzugsbedingung des Menschseins ist die biblische Gerechtigkeitsidee seit der prophetischen Kult- und Sozialkritik des 8. Jh.s v. Chr. virulent und bestimmt trotz aller Widerstände die Suche nach einer solidarischen, den Anderen einbeziehenden Gesellschaft.85 Noch in spätnachexilischer Zeit geht es um ähnliche Fragen, wenn in Mal 2,3–5 eine drastische Gerichtsankündigung gegen die Priester und ihr Versagen formuliert wird:86 3 4 5
Und siehe: Ich bedrohe euch – die Nachkommenschaft, und ich werde Mageninhalt (von Opfertieren) über euer Gesicht streuen, (den) Mageninhalt (der Opfertiere) eurer Feste und man schafft euch zu ihm hinaus. Und ihr werdet erkennen, dass ich gesandt habe zu euch diese Anordnung, damit (bestehen) bleibe mein Bund mit Levi. Gesprochen hat JHWH Saba᾽ōt. Mein Bund bestand mit ihm. Leben und Frieden, beides habe ich ihm gegeben – (und die) Furcht, so dass er mich fürchtete und vor meinem Namen erschrak.
vgl. Lev 4,11; 8,17; 16,27 vgl. Am 5,21
Das Gegenbild zum Versagen der Priester zeichnen die anschließenden Verse, die bis zur Wurzel des Priestertums bei Levi zurückgehen:
næpæš s. oben 54 ff. S. dazu Klein, Inhumanität, 427, ferner Dietrich, Sozialanthropologie, 224 ff; Janowski, Gott, 33 ff und Schroer, Grundlinien, 303 f. 86 S. dazu Hieke, Kult, 29 ff und Meinhold, Maleachi (BK), 141 ff. 84 Zu 85
564 VII Der ganze Mensch – Resümee 6 7
Eine Weisung von Wahrheit war in seinem (sc. Levis) Mund, und kein Unrecht fand sich auf seinen Lippen, in Frieden und Geradheit ging er mit mir, vgl. Mi 6,8 und viele veranlasste er zur Umkehr von Schuld. Denn die Lippen eines Priesters bewahren Erkenntnis und Weisung sucht man von seinem Mund. Denn Bote von JHWH Zebaoth ist er. (Mal 2,6 f)
Beim wahren Priestertum geht es nicht nur um die Unterscheidung von rein und unrein,87 sondern auch um die Unterweisung von Wahrheit, um die Vermeidung von Unrecht, um das Mitgehen mit Gott (vgl. Mi 6,8!)88 und um die Umkehr von Schuld. Damit ist Mal 2,1 ff „von Fragen des Kultes, des rechten Gottesdienstes, zum ,Ethos‘ im Sinne eines gerechten Handelns“89 übergegangen. Beide Handlungsweisen entsprechen einander und qualifizieren den homo ritualis als den homo ethicus. Die in dieser Zuspitzung zum Ausdruck kommende Ethisierung des Menschenbilds hängt eng mit der Geschichte des alttestamentlichen Gottesbilds und speziell mit der sog. ,Theologisierung des Rechts‘ zusammen.90 Ein früher Beleg dafür sind die Schutzbestimmungen für soziale Randgruppen in Ex 22,20–26, die ihr Ziel in der Barmherzigkeit des Israelgottes haben: 25 Wenn du den Mantel deines Nächsten als Pfand nimmst, sollst du ihm diesen bis Sonnenuntergang zurückgeben. 26 Denn er ist seine einzige Decke, er ist sein Gewand für seine Haut. Womit soll er sich hinlegen? Wenn er zu mir schreit, werde ich (es) hören, denn ich bin gnädig (hannûn᾽anî).91 ˙
Der nachexilische Ps 8292 ist nicht nur diesem Ethos verpflichtet, sondern er macht mit seiner – gegen die Götter gerichteten – Antithese von V. 2 vs. V. 3 f auch deutlich, dass das Gott-Sein Gottes vom Begriff der Gerechtigkeit her definiert wird: 2 „Wie lange wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? – Sela
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91 92
S. dazu oben 445 ff. S. dazu Meinhold, aaO 153 f und oben 195 ff. Hieke, aaO 40. S. dazu oben 194 f, vgl. auch Wagner, Monotheisierung, 45 ff, der im Blick auf den Zusammenhang von Gottesbild und Menschenbild allerdings statt von der „Theologisierung des Rechts“ von der „Monotheisierung des Gottesbildes“ spricht. Das ist insofern nicht ganz unproblematisch, als der Begriff „Monotheisierung“ etwas vage bleibt und literatur- wie theologiegeschichtlich präzisiert werden müsste, s. dazu die Hinweise bei Janowski / Scholtissek, Art. Monotheismus, 340 ff (Janowski); Jeremias, Theologie, 367 ff u. a. S. dazu oben 193 f. S. dazu oben 266 f.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 565
3 4
Richtet den Geringen und die Waise, dem Elenden und Bedürftigen schafft Gerechtigkeit, befreit den Geringen und Armen, aus der Gewalt der Frevler rettet (ihn)!“
Diese Idee der rettenden Gerechtigkeit ist auch der Maßstab für das menschliche Gerechtigkeitshandeln, der durch Ungerechtigkeit und Sünde zwar immer wieder unterlaufen, aber nicht mehr preisgegeben wird. c) Das Bewusstsein der Endlichkeit Das Bewusstsein der Endlichkeit ist der dritte Grundpfeiler der alttestamentlichen Anthropologie. Der Topos der Sterblichkeit des Menschen begegnet nicht nur – und zwar zum ersten Mal im biblischen Kanon – in der nichtpriesterlichen Paradiesgeschichte (Gen 3,19a, vgl. Ps 104,29), sondern auch im Koheletbuch (Pred 3,20 f; 12,7)93 und in den Vergänglichkeitsaussagen des Psalters (Ps 39,5 ff; 102,12; 103,14 ff u. ö.). Unter ihnen sticht Ps 90 besonders hervor.94 Dieses Bittgebet besteht aus einem Rahmen (V. 1b–2.17) und zwei ,Flügeln‘ (V. 3–10.13–16), die durch V. 11 f miteinander verbunden sind. Das Thema des ersten Flügels ist die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens (V. 3–6) und die Anklage Gottes, der diese Vergänglichkeit in seinem „Zorn“ verfügt hat (V. 7–10): 3 Du hast (noch immer) den Menschen zum Staub zurückkehren lassen und du hast (noch immer dabei) gesagt: „Kehrt zurück, Menschenkinder!“ 4 Denn tausend Jahre in deinen Augen sind wie der Tag gestern, wenn er vorübergeht, und (wie) eine Wache in der Nacht. 5 Hast du sie übergossen mit Schlaf, werden sie am Morgen wie Gras, das emporwächst. 6 Am Morgen sprosst es und wächst empor, gegen Abend welkt es und verdorrt. 7 Denn wir vergingen durch deinen Zorn, und durch deine Zornesglut wurden wir erschreckt. 8 Du hast unsere Sünden vor dich hingestellt, unser Verborgenes ins Licht deines Angesichts. 9 Denn alle unsere Tage sind dahingegangen durch deinen Grimm, wir vollendeten unsere Jahre wie einen Seufzer. 10 Die Tage unserer Jahre darin sind 70 Jahre, und, wenn bei Kräften, 80 Jahre. Und ihr stolzes Treiben ist (nur) Mühsal und Beschwernis, denn eilends ging es vorbei, und wir flogen dahin. (Ps 90,3–10)
93 94
S. dazu oben 77 ff. Zu Ps 90 s. außer den Kommentaren noch Irsigler, Psalm 90, 49 ff; Forster, Leben, 137 ff und Schnocks, Vergänglichkeit. Zum Memento mori-Motiv im alten Ägypten s. Q 19.
566 VII Der ganze Mensch – Resümee
Welche Hoffnung bleibt dem Menschen angesichts dieser Lebens- und Todesfuge? Die Antwort besteht in der Bitte – nicht wie in den klassischen Klageliedern des Einzelnen um Rettung vom Tod(esgeschick),95 sondern – um die Fähigkeit, mit dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit „weise“ umzugehen: 11 Wer erkennt die Macht deines Zorns und gemäß der Furcht vor dir deinen Grimm? 12 Unsere Tage zu zählen, lass (uns) erkennen, dass wir einbringen ein Herz von Weisheit (lebab håkmāh)! (Ps 90,11 f) ˙
Mit einer Doppelfrage artikuliert der Beter zunächst die begrenzte Erkenntnisfähigkeit des Menschen bzw. die Verhältnismäßigkeit des Gotteszorns (V. 11) und bringt anschließend in prägnanter Weise den Sachverhalt des Tun/Ergehen-Zusammenhangs zum Ausdruck (V. 12).96 Diese Prägnanz liegt zum einen darin, dass mit dem „Zählen“ (mānāh) der Tage (V. 12a) ein qualifizierter Umgang mit der Zeit gemeint ist (vgl. Ps 39,5), der diese nicht einfach verstreichen lässt, sondern der Raum zur sinnvollen Lebensgestaltung schafft.97 Zum anderen ist mit dem „Einbringen“ (bô᾽ hif. V. 12b) eben dieser Summe der Ertrag des Lebens gemeint. Dieser Ertrag ist das „weise Herz“, dessen Weisheit darin besteht, mit dem Wissen um die Vergänglichkeit (vgl. V. 3 ff) so umzugehen – eben das bedeutet das „Zählen“ der Tage! –, dass jeder einzelne Tag als Gabe Gottes angenommen und als Herausforderung bestanden werden kann. Jeder Tag zählt, und nur, wer von Gott die Fähigkeit erbittet, die begrenzten Lebenstage aufmerksam abzuwägen, eben zu „zählen“, bringt ein weises Herz ein, das ihm die Augen für die Frage nach dem Sinn seines Lebens öffnet.98 3. Noch einmal: Was ist der Mensch? Altes Testament: Frevel, Art. Mensch, 1 ff ◆ Janowski, Der ganze Mensch, 3 ff ◆ van Oorschot,
Aspekte, 59 ff ◆ Schroer, Grundlinien, 299 ff ◆ Wolff, Anthropologie, 301 ff. – Systematische
Theologie: Moxter, Anthropologie, 141 ff ◆ Sauter, Leben, 38 ff.362 ff ◆ Schoberth, Einfüh-
rung, 27 ff.
Unsere Überlegungen zur Leiblichkeit, Gerechtigkeit und Endlichkeit sollten die Bedeutung dieser Aspekte für die Auffassung des Alten Testaments vom „ganzen Menschen“ noch einmal unterstreichen. Mit „Ganzheitlichkeit“ ist kein vager Holismus, sondern eine „strukturierte Ganzheit“99 gemeint, wonach die menschliche Lebensform als ein komplexes Beziehungsgefüge aus leiblichen, kognitiven und kommunikativen Funktionen und Fähigkeiten erscheint. Die Menschen des
95
S. dazu oben 501 ff. Tun/Ergehen-Zusammenhang s. oben 523 ff. 97 Vgl. Schnocks, Vergänglichkeit, 175. 98 Vgl. Hossfeld / Zenger, Psalmen II (HThK.AT), 611 f (Zenger) und Irsigler, aaO 65. 99 Jung, Ausdruck, 1. 96 Zum
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 567
alten Israel sind keine fensterlosen Monaden, sondern Wesen, die in ihren Haltungen und Handlungen dem Prinzip der Relationalität entsprechen – oder auch nicht entsprechen. Die Tatsache der Nicht-Entsprechung wird von den alttestamentlichen Texten aufmerksam markiert und kritisiert. Das gilt auch für das Gottesverhältnis. Die Gottbezogenheit des Menschen und damit der theologische Charakter alttestamentlicher Anthropologie wird in maßgeblicher Weise in Ps 8100 zum Thema gemacht und durch die Position, die der „königliche Mensch“ in der Welt einnimmt, als Zwischenstellung zwischen dem Schöpfergott und den Mitgeschöpfen beschrieben: 4 5 6 7 8 9
Wenn ich deinen Himmel sehe, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt hast – Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und das Menschenwesen, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrscher gemacht über die Werke deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere. (Ps 8,4–9)
In der philosophischen Tradition der Neuzeit ist dieser Doppelbezug zu Gott und zu den Mitgeschöpfen in der Regel übersehen und die Frage nach dem Wesen des Menschen vornehmlich subjekttheoretisch beantwortet worden. Der Kronzeuge dafür ist I. Kant (1724–1804), der die Frage nach dem Wesen des Menschen mit der These von der Bedeutung des Menschen als Vernunftwesen und als Naturwesen beantwortet hat. Das Vernunftwesen Mensch (animal rationale) ist nach Kant „als animal ein Teil der Natur, durch seine Vernunft aber zugleich dieser Natur enthoben“101. Deutlich wird dies an dem Schlussabschnitt der Kritik der praktischen Vernunft von 1788, in dem „die Nichtigkeit des Menschen in kosmologischer Hinsicht seiner unendlichen Würde in moralischer Hinsicht gegenübergestellt wird“102. Der berühmte Passus lautet folgendermaßen: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden (sic!) Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender das Nachdenken sich damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. (…) Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unsichtbaren 100 Zu
Ps 8 s. oben 13 ff. Einführung, 28. 102 Ders., ebd. 101 Schoberth,
568 VII Der ganze Mensch – Resümee Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht, wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Der zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt.“103 „Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir“ – der religiöse Klang dieses Dictums ist unüberhörbar. Ob Kant sich dabei auf Ps 8 bezogen hat, lässt sich, da ein expliziter Hinweis dafür fehlt, nicht mit Sicherheit feststellen, aber doch mit guten Gründen vermuten.104 Allerdings sind in seiner Bestimmung des Menschen folgenreiche Implikationen enthalten, die sie kategorial von Ps 8 unterscheiden. So wird die Würde des Menschen mit seinen geistigen Fähigkeiten gleichgesetzt und seine Leiblichkeit zur „Tierheit“ herabgestuft.105 Dieser ,Weg nach innen‘ – „das moralische Gesetz in mir“ – ist nicht deswegen problematisch, weil er das unsichtbare und nur dem Verstand zugängliche Selbst (Kant: „mein unsichtbares Selbst, meine Persönlichkeit“) betont, sondern weil er auf Kosten eines ,Bezugs nach außen‘ geht. Der grundlegende Unterschied zwischen Ps 8 und dem philosophischen Text ist die Adressierung der anthropologischen Grundfrage an Gott, der des Menschen gedenkt und sich seiner annimmt (Ps 8,5). Damit aber verändert sich diese Frage von Grund auf: „Für den Psalm ist die Frage nach dem Menschen keine, die Menschen von sich aus beantworten könnten; sie ist vielmehr nur als an Gott gerichtete sinnvoll.“106 Gott aber wendet sich – und das ist die Antwort auf diese Frage! – dem Menschen zu und „gedenkt“ (zākar) seiner, indem er „(sorgend) nach ihm sieht“ (pāqad). So hat Gott auf dem Höhepunkt der Flut an Noah und die Tiere in der Arche „gedacht“ (Gen 8,1) und sie errettet, indem er das Wasser durch einen Wind sinken ließ. Und ebenso hat er an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob „gedacht“, als die Israeliten über ihre Knechtschaft in Ägypten stöhnten und klagten (Ex 2,23 ff; 6,2 ff).107 Der zweite – und damit zusammenhängende – Unterschied besteht in der Stellung des Menschen zwischen Gott und den Tieren, über die er von ihm als „Herrscher“ eingesetzt ist (Ps 8,7 ff). Aufgrund dieser Position bleibt der Mensch an die Bedingungen seiner Lebenswelt und die Erfahrungen mit ihr gebunden, von denen er sich nicht einfach distanzieren 103 Kant,
Kritik, 300. dazu Schoberth, aaO 32 f. 105 Vgl. ders., aaO 28. Zu Kants Warnung vor den Gefahren der eigenen „Tierheit“, in die der Mensch immer wieder zurückfallen kann und die er darum beherrschen muss, s. Böhme, Anthropologie, 275 ff und Schoberth, aaO 33. 106 Schobert, aaO 32. 107 S. dazu Janowski, Erinnerung, 181 ff.183 ff. 104 S.
§ 13 Grundzüge alttestamentlicher Anthropologie 569
kann. Konstitutiv für das Wesen des Menschen ist demnach nicht der vernunftbestimmte Selbstbezug, sondern der Sachverhalt, dass menschliches Leben Leben in Beziehungen ist, und zwar in Beziehungen, die vom Schöpfergott gestiftet werden: „du denkst an ihn“, „du siehst sorgend nach ihm“, „du hast ihm nur wenig fehlen lassen“, „du hast ihn gekrönt“, „du hast ihn zum Herrscher gemacht“ und „du hast alles unter seine Füße gelegt“.
In der Betrachtung des gestirnten Himmels – „Wenn ich deinen Himmel sehe, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt hast“ (V. 4) – kommt der Mensch von Ps 8 also zu einer anderen ,Einsicht‘ als das Vernunftwesen Kants. Denn was er sieht, ist nicht der, sondern „dein“, nämlich Gottes Himmel. Und ebenso sind die Gestirne nicht „bloße Punkte im Weltall“ (Kant), sondern „das Werk deiner (scil. Gottes) Finger“. Auch richtet sich sein Blick nicht nach innen auf sein „unsichtbares Selbst“, sondern auf Gott, der seiner gedenkt und sorgend nach ihm sieht (V. 5). Das ist ein wesentlich anspruchsvolleres Konzept als die reduktionistische Selbstbezüglichkeit des vernunftbestimmten Menschen von Kant und seinen idealistischen Erben.108 Der Blick, den der alttestamentliche Beter zum Himmel richtet, leitet ihn nicht an, seine Nichtigkeit in kosmologischer Hinsicht seiner Hoheit in moralischer Hinsicht gegenüberzustellen, sondern angesichts der Größe und Herrlichkeit des Schöpfers seine Geschöpflichkeit und Hinfälligkeit zu bedenken und vertrauensvoll in die Geschichte Gottes mit dem Menschen einzutreten, die „mit der Schöpfung beginnt und auf Gottes Zukunft hin unterwegs ist“109. So beantwortet Ps 8 die Frage nach dem Menschsein mit dem Hinweis darauf, dass Gott seines Geschöpfs gedenkt und sich seiner annimmt, wenn es dessen bedarf. Diese Empathie des Schöpfergottes ist der Ausgangspunkt und die Basis für alles andere. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht um ein naives Plädoyer für die Rückkehr zum Menschenbild des Alten Testaments. Denn eine Reise in die Vergangenheit ist immer „eine Reise in ein sehr fremdes Land“110, dessen Bewohner anders denken, fühlen und hoffen als wir. Und dennoch: „Soweit man auf der Suche nach Beispielen in Zeit und Raum auch zurückgeht, immer spielen sich das Leben und die Tätigkeit des Menschen innerhalb von Rahmen ab, die gemeinsame Merkmale aufweisen.“111 Um diese gemeinsamen Merkmale ist es in diesem Buch immer wieder gegangen. Und vergessen wir nicht: Die anthropologischen Einsichten des Alten Testaments, die in der zweigeteilten christlichen Bibel aufbewahrt sind, prägen uns mehr als uns zuweilen bewusst ist. Die in ihnen reflektierte conditio humana „unverkürzt in Erinnerung zu halten“112, ja vielerorts erst wieder bewusst zu machen, gehört zu den bleibenden Aufgaben von Theologie und Kirche. dazu auch die erhellenden Bemerkungen von Fuchs, Gehirn, 27 ff. aaO 34. 110 Knauf, Umwelt, 19. 111 Lévi-Strauss, Anthropologie, 15, vgl. Böhme, Anthropologie, 264. 112 Moxter, Anthropologie, 180. Zur Gegenwartsbedeutung des Alten Testaments s. auch Janowski, Gott, 3 ff. 108 S.
109 Schobert,
Nachtrag zu § 13 (S. 544 ff ) 1. Geschichtliche Entwicklung a) Literaturgeschichtlicher Überblick (544 ff ) Einen kompakten Überblick über die literatur- und theologiegeschichtliche Entwicklung geben Schmid / Schröter, Entstehung, 70 ff.143 ff.187 ff. Exkurs 19: Das Theorem der Achsenzeit (546 f ) Zu den Errungenschaften der „vorachsenzeitlichen“ Welt und zum Einschnitt durch die Achsenzeit s. Otto, Achsenzeit, 55 ff; Habermas, Geschichte, 1, 175 ff.307 ff.461 ff und Assmann, Religion, 49 ff. b) Theologiegeschichtliche Aspekte Exkurs 20: Der „innere Mensch“ (555 ff ) In den letzten Jahren ist der Beitrag des Alten Testaments zur Geschichte des „inneren Menschen“ – entgegen dem Monitum von Gies, Anthropologie, 30 – intensiver untersucht worden, s. dazu Grund-Wittenberg, „Mein Gott“, 105 ff; dies., Soliloquy, 481 ff; Albertz, Individualität, 133 ff; van der Toorn, Self, 153 ff; Janowski, „Tora“, 169 ff; Hartenstein, Musings, 299 ff und Newsom, Spirit. Im Blick auf die Aspekte, die für die alttestamentliche Geschichte des „inneren Menschen“ essentiell sind, lässt sich folgendes festhalten: – Konstitutiv ist zunächst die Innen/Außen-Relation. Im Unterschied zu den Belegen aus dem älteren Sprüchebuch (Spr 10,1–22,16; 25–29) wird dieses Handlungsprinzip in den Individualpsalmen existentiell zugespitzt, d. h. der Beter geht in Klage und Lob/Dank aus sich heraus, indem er Gott seine Notlage vor Augen führt und für seine Rettung dankt. – Für die Innen/Außen-Relation ist darüber hinaus der Zusammenhang von Leibsphäre und Sozialsphäre konstitutiv. Damit wird eine Selbstreflexivität sichtbar, die zwar an den Leib gebunden ist, die in dieser Bindung aber nicht aufgeht, sondern die immer wieder die Moralität des Menschen, d. h. sein ethisches Verhalten im Rahmen seiner Lebenswelt ins Spiel bringt. – Nach dem Zeugnis der Individualpsalmen vollzieht sich die Herausbildung des Ichbewusstseins nicht ausschließlich, aber auffällig oft im Rahmen der
Nachtrag zu § 13 571
späten Opfer- und Kultkritik (Ps 40,7–9 u. ö.). Diese Transformation des Kults durch die Anthropologie ist für die Geschichte des „inneren Menschen“ nicht zu überschätzen. – Weitere Kontexte neben der Opfer- und Kultkritik sind die Geburtsthematik (Ps 22,10 f.; 71,5 f.; 139,13–16), die Feindthematik (Ps 13,3 f. 6; 16,7–9; 22,13–19; 31,10 f.; 42,2–6 u. ö.), die Krise des Tun/Ergehen-Zusammenhangs (Ps 73,21– 26 u. ö.) und das Gotteslob (Ps 103,1 f. 22; 104,1. 35 u. ö.). Alle diese Texte gehören der exilisch-nachexilischen Zeit an. – Schließlich ist zwischen der Familienreligion und der Entdeckung des „inneren Menschen“ zu unterscheiden (zur Familienreligion s. die Hinweise bei § 3b, Exkurs 6). Und zwar so, dass die Familienreligion mit ihrer Herausbildung der Individualität (s. dazu Albertz, Individualität, 142 ff ) die Voraussetzung für die Entdeckung des „inneren Menschen“ ist. 2. Thematische Schwerpunkte c) Das Bewusstsein der Endlichkeit (565 f ) Zu den Vergänglichkeitsaussagen in Ps 90 (vgl. oben 565 f ) s. Seidl, Klage, 233 ff. Nach Seidl ist Ps 90 als Bittgebet einer Gemeinschaft mit den Elementen Vertrauen und Lob (V. 1–2), Klagende Situationsschilderung (V. 7–11) und Bitte (V. 12– 17) zu klassifizieren. Datierung vermutlich 3./2. Jh. v. Chr. 3. Noch einmal: Was ist der Mensch? (566 ff ) Die Bedeutung der alttestamentlichen Anthropologie für die christliche Theologie wird von Chr. Schwöbel, Impulse der alttestamentlichen Anthropologie für die christliche Theologie, in: Dietrich u. a. (Hg.), Handbuch (im Druck) ausführlich dargestellt.
Anhang
Quellen zur Anthropologie der Antike Der Anhang enthält ausgewählte Text- und Bildquellen zur Anthropologie der Antike aus Ägypten (II), Mesopotamien (III), Kleinasien (IV), Ugarit und Nordsyrien (V), Palästina / Israel (mit Elephantine VI), Griechenland (VII), Rom (VIII) sowie aus dem Antiken und Rabbinischen Judentum (IX) und dem Koran (X). Die Texte werden nach den im Literaturverzeichnis 3: Quellentexte genannten Ausgaben zitiert. Das Material, das jeweils kurz kommentiert wird, wird sieben Themenfeldern zugeordnet: Lebensphasen, Leibsphäre, Sozialsphäre, Rechts- und Wirtschaftsleben, Kult / Ritus und Gebet, Königsideologie und Weltbild. Vorangestellt ist der Textsammlung die Rubrik „Was ist der Mensch?“ (I), in der prägnante Stimmen dazu aus Mesopotamien, Ägypten, Griechenland und Israel versammelt sind (Q 1–11). Um den jeweiligen Argumentationskontext aufzufinden, wird mit dem Vermerk „vgl. oben“ auf die entsprechende(n) Seite(n) in diesem Buch verwiesen.
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I. Was ist der Mensch? 1. Mesopotamien Q 1: Gilgamesch-Fragment (vgl. oben 515) In altbabylonischer Zeit, genauer in den zwei Jahrhunderten zwischen 1950 und 1750 v. Chr., kommt es in der/n mesopotamischen Religion(en) zu einer Neubestimmung des Menschenbildes, die sich in der Weisheits- und Erzählliteratur in der Auseinandersetzung mit den Themen „Tod“ und „Vergeblichkeit des Lebens“ niederschlägt. Klassisch ist die berühmte Stelle aus der altbabylonischen Version des Gilgamesch-Epos, wo die Göttin Ischtar-Siduri dem legendären Herrscher von Uruk einen bestimmten Rat erteilt, als dieser nach dem Tod seines Freundes Enkidu rastlos durch die Welt streift, um das ewige Leben zu suchen. Der Tenor dieses Passus ist eindeutig: „Es lohnt nicht, nach Unsterblichkeit zu streben, denn diese ist allein den Göttern vorbehalten; für Menschen ist der Tod unausweichlich“ (Zgoll, Unsterblichkeit, 1): 1 5
Gilgamesch wohin läufst du? Das Leben, das du suchst, wirst du nicht finden! Als die Götter die Menschen erschufen, wiesen sie der Menschheit den Tod zu, das Leben nahmen sie in ihre eigene Hand. Du Gilgamesch, voll sei dein Bauch,
576 Quellen zur Anthropologie der Antike Tag und Nacht sei andauernd froh, du! Täglich mache ein Freudenfest, Tag und Nacht tanze und spiele! 10 Gereinigt seien deine Kleider, dein Haupt sei gewaschen (und) du mit Wasser gebadet! Sieh auf das Kind, das deine Hand gefasst hält, die Gattin freue sich auf [deinem] Schoß! So ist das Tun [der Menschen]. Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 646–744, hier: 665 f (K. Hecker), s. dazu Pettinato, Menschenbild, 45 f; Zgoll, Unsterblichkeit, 1 ff; Janowski, Gott Israels, 292 f; Sallaberger, Gilgamesch-Epos, 114 ff und ders., Tod, 123 f.
2. Ägypten Q 2: Lehre für Merikare (vgl. oben 324) Im Schlusshymnus der Lehre für Merikare (10. Dyn., Ende des 3. Jt.s v. Chr., s. auch Q 59) werden Gedanken und Maximen formuliert, wie sie im Alten Reich undenkbar gewesen wären. Dazu zählt die mit dem Motiv des „Guten Hirten“ verbundene Aufgabe Gottes, die Menschen (= Ägypter) vor Unheil zu bewahren und das Böse niederzuhalten: Wohl versorgt sind die Menschen, das Kleinvieh Gottes, ihretwegen erschuf er Himmel und Erde, er drängte die Gier des Wassers zurück 315 und schuf die Luft, damit ihre Nasen leben. Seine Ebenbilder sind sie, aus seinem Leib hervorgegangen. Übersetzung: Assmann, Re, 168 f, s. dazu auch Janowski, Hirte, 150 f.
3. Griechenland Q 3: Platon, Protagoras (vgl. oben 3) In seinem Dialog Protagoras 320c–323a überliefert Platon den berühmten Prometheusmythos, dessen Grundgedanke die physische Schwäche des Menschen im Vergleich zu den anderen Lebewesen (Mensch als ,Mängelwesen‘) und ihre Überwindung durch ein zweimaliges Eingreifen der Götter zum Zweck der Einführung der Handwerks- und der Staatskunst ist. Erst als politisch-moralisches Wesen wird der Mensch zum Menschen, das nicht nur überleben, sondern gut leben kann. Zitiert sei der Abschnitt 322a–d: Da nun aber der Mensch göttlicher Vorzüge teilhaftig geworden, hat er auch zuerst, wegen seiner Verwandtschaft mit Gott das einzige unter allen Tieren, Götter geglaubt, auch Altäre und Bildnisse der Götter aufzurichten versucht, dann bald darauf Töne und Worte mit Kunst zusammengeordnet, dann Wohnungen und Kleider und Beschuhungen und Lagerdecken und die Nahrungsmittel aus der Erde erfunden. So ausgerüstet wohnten die Menschen anfänglich zerstreut, Städte aber gab es nicht. Daher wurden sie von den wilden Tieren ausgerottet, weil sie in jeder Art schwächer waren als diese, und die verarbeitende Kunst war ihnen zwar zur Ernährung hinreichende Hülfe, aber
Q 4: Sophokles, Antigone 577
zum Kriege gegen die Tiere unwirksam; denn die bürgerliche Kunst hatten sie noch nicht, von welcher die kriegerische ein Teil ist. Sie versuchten also sich zu sammeln, und sich zu erretten durch Erbauung der Städte; wenn sie sich aber gesammelt hatten, so beleidigten sie einander, weil sie eben die bürgerliche Kunst nicht hatten, so dass sie wiederum sich zerstreuend auch bald wieder aufgerieben wurden. Zeus also für unser Geschlecht, dass es nicht etwa gar untergehen möchte, besorgt, schickt den Hermes ab, um den Menschen Scham und Recht zu bringen, damit diese der Städte Ordnungen und Bande würden der Zuneigung Vermittler. Hermes nun fragt den Zeus, auf welche Art er doch den Menschen das Recht und die Scham geben solle. Soll ich, so wie die Künste verteilt sind, auch diese verteilen? Jene nämlich sind so verteilt: Einer, welcher die Heilkunst inne hat, ist genug für viele Unkundige, und so auch die andern Künstler. Soll ich nun auch Recht und Scham eben so unter den Menschen aufstellen, oder soll ich sie unter Alle verteilen? Unter Alle, sagte Zeus, und Alle sollen Teil daran haben; denn es könnten keine Staaten bestehen, wenn auch hieran nur Wenige Anteil hätten, wie an anderen Künsten. Und gib auch ein Gesetz von meinetwegen, daß man den, der Scham und Recht sich anzueignen unfähig ist, töte wie einen bösen Schaden des Staates. Übersetzung: Platon, Werke 1, 97 ff, s. dazu Kytzler, Mythen, 13 ff und Hartung, Anthro-
pologie, 16 f.
Q 4: Sophokles, Antigone (vgl. oben 3 f ) Zwischen den beiden Wächterszenen der Antigone des Sophokles steht das berühmte Chorlied von der Größe und Gefährdung des Menschen, das zu den „Grundtexten europäischen Denkens und Dichtens“ (Flashar, Sophokles, 68) gehört. Der Anfang, schreibt Flashar, ist „nahezu unübersetzbar“: „Das gilt insbesondere für das Wort deiná. Es bedeutet in der frühen Zeit ,furchtbar‘, ,furchterregend‘, ,schlimm‘ und ist überwiegend negativ konnotiert. ,Gewaltig‘ heißt deinós vor Sophokles nur in dem Sinn, daß der Mensch gewaltigen Mächten ausgeliefert ist. Besonders deutlich ist dies an einem Chorlied aus den 458 aufgeführten Choephoren, dem Mittelstück der Orestie des Aischylos. Dort heißt es: ,Die Erde nährt viele schreckliche (deiná), schreckensvolle Betrübnisse‘ (585–586). Im Folgenden werden die ,Schrecknisse‘ (deiná) aufgezählt: das Meer mit seinen Gefahren; Gefahren durch Wetter und wilde Tiere. Doch nichts ist so schrecklich wie der Mensch in seiner alles Maß überschreitenden, verbrecherischen Leidenschaft. Das deinón ist hier etwas Schreckliches. Die Elemente der Natur bedrohen den Menschen, der seinerseits zu schrecklichen Taten fähig ist. Dieses Bild gestaltet Sophokles in evidenter Kenntnis der Tragödie des Aischylos um zu einem Dokument der Leistungen und Möglichkeiten des Menschen. Das Wort deinós bekommt jetzt erstmals einen positiven Klang. Jetzt kommt zu dem Unheimlichen, Schrecklichen die Nuance des Staunenerregenden, Wunderbaren, Fähigen hinzu. Entsprechend ist der Mensch jetzt nicht mehr den Elementen, den Tieren und der Witterung unterlegen, sondern überlegen. Es sind die gleichen Bereiche aus dem Chorlied des Aischylos, die Sophokles jetzt zum Thema macht: Die Überwindung des winterlichen Meeres, die Gewinnung von Nahrung aus der Erde, die Dienstbarmachung der Tiere, der Schutz vor den Unbilden der Witte-
578 Quellen zur Anthropologie der Antike rung, und es kommt hinzu: die Entwicklung von Sprache, gedanklicher Kommunikation und Gemeinschaftssinn. Der Mensch ist nicht mehr aporos, ,in der Aporie‘, ,mittellos‘, wie es frühgriechischem Denken entspricht, sondern pantoporos, ,allerfahren‘, ,mit allen Mitteln begabt‘. Aber der Mensch hat nicht nur Möglichkeiten, sondern auch Grenzen: den Tod kann er nicht überwinden. Der Gedanke von der Unüberwindbarkeit des Todes wird innerhalb der griechischen Literatur in dieser unwiderruflichen Strenge hier zum ersten Mal ausgesprochen, während das mythische Denken immer wieder Bilder von Versuchen entworfen hat, den Tod auch physisch zu überwinden (Orpheus, Asklepios, Bellerophontes). Der Mensch stößt an eine Grenze, und in seiner Sterblichkeit ist er der Natur doch nicht überlegen. Auch der von ihm geschaffene kulturelle Raum überdauert ihn. Aber er kann diese Grenze immer weiter hinausschieben; er hat sich Auswege aus scheinbar unbezwingbaren Krankheiten ersonnen. Zum ersten Mal überhaupt taucht hier das Motiv von der Lebensverlängerung durch medizinisches Können auf “ (ders., aaO 67 f). Der Mensch, so der Tenor der letzten Strophe des Chorlieds (Antigone I,332–375), „ist mit seinen herrlichen Möglichkeiten zum Guten, aber auch zum Bösen fähig“ (ders., aaO 68). Sie lautet folgendermaßen: Viel Ungeheures (δεινός) ist, doch nichts so Ungeheures wie der Mensch. Der fährt auch über das graue Meer Überwindung des winter335 im Sturm des winterlichen Süd lichen Meeres und dringt unter stürzenden Wogen durch. Und der Götter Heiligste, die Erde, Gewinnung von Nahrung die unerschöpfliche, unermüdliche, aus der Erde plagt er ab, 340 mit wendenden Pflügen Jahr um Jahr sie umbrechend mit dem Rossegeschlecht. Und der leichtsinnigen Vögel Schar Jagd und Fischfang holt er mit seinem Garn herein und der wilden Tiere Völker und 345 die Brut des Meeres in der See mit netzgesponnenen Schlingen: Der alles bedenkende Mann. Er bezwingt Domestizierung der Tiere mit Künsten das draußen hausende Wild, 350 das auf Bergen schweift, und schirrt das raunackige Pferd an der Kruppe ins Joch und den unermüdlichen Bergstier. Auch die Sprache und den windschnellen Entwicklung von Sprache, 355 Gedanken und städteordnenden Sinn Kommunikation, Gemein bracht‘ er sich bei, und unwirtlicher Fröste schaftssinn Himmelsklarheit zu meiden und bösen Regens Geschosse, allerfahren. Unerfahren geht er in nichts dem Kommenden entgegen.
Q 6: Psalm 8,4–9; 144,3 f; Hiob 7,17–21 und 15,14 579
360 Vor dem Tod allein Tod als Grenze wird er sich keine Ausflucht schaffen. Aus Seuchen aber, unbewältigbaren, Heilkunst als Ausweg hat er sich Auswege ausgesonnen. 365 In dem Erfinderischen der Kunst Ambivalenz von Gut und eine nie erhoffte Gewalt besitzend, Böse schreitet er bald zum Bösen, bald zum Guten. Achtet er die Gesetze des Lands Normen menschlichen und das bei den Göttern beschworene Verhaltens: Recht und Recht: Gesetz 370 hoch in der Stadt! Verlustig der Stadt, wem das Ungute sich gesellt wegen seines Wagemuts! – Sitze mir nicht am Herd noch habe Teil mit mir am Rat, 375 wer so tut! Übersetzung: Schadewaldt, Theater, 102 ff, s. dazu Schobert, Einführung, 29 ff und Flashar,
Sophokles, 66 ff.
4. Altes Testament, antikes und rabbinisches Judentum Q 5: Deuteronomium 8,3 Der Mensch lebt, wie Dtn 8,3 ausführt, nicht allein von selbst gemachtem Brot, sondern „er ist vor allem auf das angewiesen, was – wie das Manna – ,der Mund des Herrn‘, nämlich sein befehlendes Wort (so z. B. 9,3), ,spricht‘, das heißt zu seinem Heil (er)schafft (vgl. z. B. Jes 55,10 f)“ (Braulik, Deuteronomium I [NEB], 69): Er (sc. JHWH) hat dich gehorsam gemacht, indem er dich hungern ließ, und dann gab er dir Manna zu essen, das du noch nicht kanntest, und das auch deine Väter nicht kannten, um dich zu der Erkenntnis zu führen, dass der Mensch nicht vom Brot allein lebt, vielmehr der Mensch von allem lebt, was aus dem Mund JHWHs kommt.
Q 6: Psalm 8,4–9; 144,3 f; Hiob 7,17–21 und 15,14 (vgl. oben 15.529.548.554) Diese vier Reflexionstexte enthalten jeweils eine bestimmte Nuance der anthropologischen Grundfrage, die zwischen den Aspekten Menschenwürde (Ps 8), Vergänglichkeit (Ps 144), Anthropodizee (Hi 7) und Reinheit / Gerechtigkeit (Hi 15,14) variiert: 4 Wenn ich sehe deinen Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt hast – 5 Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und das Menschenwesen, dass du dich seiner annimmst? 6 Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, und mit Ehre und Pracht hast du ihn gekrönt.
580 Quellen zur Anthropologie der Antike 7 Du hast ihn zum Herrscher gemacht über das Werk deiner Hände, alles hast du gelegt unter seine Füße: 8 Kleinvieh und Rinder, sie alle, und auch die Tiere des Feldes, 9 die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres, was immer dahinzieht auf den Pfaden der Meere. (Ps 8,4–9)
3 JHWH, was ist der Mensch, dass du ihn erkennst,
des Menschen Kind, dass du es beachtest? 4 Der Mensch gleicht einem Hauch, seine Tage sind wie ein flüchtiger Schatten. (Ps 144,3 f) 17 Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest, und dass du auf ihn dein Herz richtest, 18 ihn Morgen für Morgen musterst, ihn immerfort auf die Probe stellst? 19 Wie lange noch wendest du dich nicht von mir ab, gibst mich nicht los, bis meinen Speichel ich geschluckt habe? 20 Habe ich gesündigt, was vermag ich dir zu tun, du Menschenwächter? Wozu hast du mich hingestellt, dir zur Zielscheibe, dass ich mir selbst zur Last geworden bin? 21 Weshalb hebst du meinen Frevel nicht weg, und lässt vorüberziehen meine Verfehlung? Fürwahr, jetzt lege ich mich nieder in den Staub, und du wirst mich suchen, doch ich bin nicht mehr. (Hi 7,17–21) Was ist der Mensch, dass er rein ist, der von der Frau Geborene, dass er im Recht ist? (Hi 15,14)
Q 7: Micha 6,8 (vgl. oben 38 f.548) Mi 6,8 enthält drei, für die alttestamentliche Anthropologie bedeutsame Infinitive. Während der dritte Infinitiv „einsichtsvoll / besonnen gehen mit deinem Gott“ das menschliche Leben als „Weg mit Gott“ beschreibt, bei dem es auf die praktische „Einsicht“ in die „Gerechtigkeitstaten JHWHs“ (V. 5b) ankommt, rekurrieren die beiden ersten Infinitive „Recht tun“ und „Hingabe lieben“ auf das Tun des „Rechts“ und das Lieben der „Hingabe“ gegenüber dem Nächsten. Dadurch erhält das Zusammenleben seinen Maßstab („Recht“) und seine Ausrichtung („Hingabe“): Man hat dir gesagt, Mensch, was gut ist und was JHWH von dir fordert: nichts als Recht tun und Hingabe lieben und einsichtsvoll gehen mit deinem Gott.
Q 9: Sirach 17,1–10 und 18,1–14 581
Q 8: Pred 6,10–12 (vgl. oben 199) Von den Grenzen des Menschen bzw. des Menschseins ist im Alten Testament öfter die Rede. Eine besondere Variante ist in Pred 6,12 zu lesen, wo es, gleichsam in Form eines skeptischen Echos auf Mi 6,8, heißt: 10 Was jemand auch ist, schon längst ist er bei seinem Namen genannt, und es ist bekannt, dass er ein Mensch ist. Nicht kann er streiten mit dem, der stärker ist als er. 11 Ja, es gibt viele Worte, die den Windhauch vermehren. Welchen Vorteil hat der Mensch? 12 Wer weiß denn, was im Leben gut ist für den Menschen während der (wenigen) Tage seines Lebens voll Windhauch, die er wie ein Schatten verbringt? Wer kann dem Menschen kundtun, was nach ihm sein wird unter der Sonne? Übersetzung: Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 361 f (mit dem Kommentar 362 ff), s. dazu auch Krüger, Kohelet (BK), 245 ff; Köhlmoos, Kohelet (ATD), 164 ff und Kessler, Ethik, 555.
Q 9: Sirach 17,1–10 und 18,1–14 (vgl. oben 424.554) In seiner großen Lehre über Gottes Weisheit und Erbarmen in Sir 16,24–18,14 gibt der Sirazide Auskunft über sein Verständnis des Menschen. Während der Mensch nach Sir 17,1–10 ein sterbliches Ebenbild Gottes und ein zum Gotteslob bestimmtes Wesen ist, betont Sir 18,1–14, dass Gott den Menschen gegenüber langmütig ist und er sie wie ein guter Hirte leitet: 17,1–10 1 2 3 4 [5 6 7 8
Der Herr erschuf den Menschen aus Erde und ließ ihn wieder zu ihr zurückkehren. Gezählte Tage und eine bestimmte Zeit gab er ihnen und er gab ihnen Vollmacht über das, was auf ihr ist. Ihnen entsprechend umkleidete er sie mit Stärke und nach seinem Bild machte er sie. Er legte die Furcht vor ihm auf alles Fleisch, und dass er über wilde Tiere und Vögel herrsche. Sie erhielten den Gebrauch der fünf Wirkkräfte des Herrn, als sechste Gabe teilte er ihnen Verstand zu und als siebte das Wort (Logos) als Deuter seiner Wirkkräfte.] Entscheidungsfähigkeit und Zunge und Augen, Ohren und Herz gab er ihnen zum Überlegen. Mit verständiger Einsicht erfüllte er sie und Gut und Böse zeigte er ihnen. Und er richtete sein Auge auf ihre Herzen, um ihnen die Größe seiner Werke zu zeigen, [und er trug ihnen auf, stets seine Wundertaten zu rühmen]
582 Quellen zur Anthropologie der Antike 9 damit sie die Großtaten seiner Werke preisen 10 und den Namen der Heiligung sollen sie loben. 18,8–14 8 Was ist der Mensch und was ist sein Nutzen? Was ist sein Gutes und was ist sein Schlechtes? 9 Die Zahl der Tage eines Menschen – bei vielen Jahren hundert, [und unberechenbar für alle der Todesschlaf eines jeden]. 10 Wie ein Wassertropfen vom Meer und ein Sandkorn, so wenige Jahre vor einem Tag der Ewigkeit. 11 Darum erwies sich der Herr langmütig gegen sie und goss über sie sein Erbarmen aus. 12 Er sah und erkannte ihr Ende, dass es schlimm ist; darum ließ er seine Versöhnungsbereitschaft reichlich sein. 13 Das Erbarmen des Menschen geht auf seinen Nächsten, das Erbarmen des Herrn auf alles Fleisch: er weist zurecht und erzieht und belehrt und führt wie ein Hirt seine Herde zurück. 14 Er erbarmt sich derer, die Zucht annehmen und die sich eifrig mühen um seine Entscheidungen. Übersetzung: Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 208.219 (mit dem Kommentar
213 ff.223 ff), s. dazu auch Trimpe, Schöpfung, 123 (zu Sir 17,1 ff) und Kaiser, Gott Israels, 337 ff.
Q 10: 1 QHodayot 11,19–28 Die anthropologische Grundfrage begegnet auch in den Texten vom Toten Meer und zwar in der Niedrigkeitsdoxologie 1 QH 11,19–28 (bisher: 1 QH 3,19–28), in der „die Armseligkeit des menschlichen Seins eben aufgrund von Tatsache, Art und materieller Beschaffenheit des Geschöpfs herausgestellt und damit der Gegensatz zwischen dem niedrigen, vergänglichen, sündigen Menschen und dem alles vermögenden gerechten Gott herausgestellt (wird)“ (Lichtenberger, Menschenbild, 79 f): (19) [(leer)] Ich danke Dir, Herr! Denn Du hast meine Seele aus Verderben erlöst und aus Höllenabgrund (20) mich erhoben zu ewiger Höhe, dass ich wandle auf ebenem Plan ohne Grenze. Ich weiß, dass es Hoffnung gibt für einen, den (21) Du gebildet aus Staub für einen ewigen Rat, einen verkehrten Geist hast Du gereinigt von viel Vergehen, um sich hinzustellen am Posten mit (22) einem Heer von Heiligen und um in eine Einigung zu treten mit einer Gemeinschaft von Himmelssöhnen. Du warfst dem Mann ein ewiges Los mit Geistern der (23) Erkenntnis,
Q 10: 1 QHodayot 11,19–28 583
Deinen Namen zu loben in gemeinschaftlichem Jubel und Deine Wunder zu erzählen vor all Deinen Werken. Aber ich, das Gebilde (24) von Lehm, was bin ich? Ein Gemenge mit Wasser! Und wofür werde ich gehalten und welche Kraft habe ich? Denn ich stellte mich in einem Frevelbereich (25) und mit Bösewichten in ein Los! Da weilt(/graut) eine(r) Armen-Seele mit großer Verwirrung und stürmende Schrecken sind mit meinem Schritt, (26) wenn alle Verderbens-Fallen sich öffnen, sich ausspannen alle die Frevel-Jagdgarne und ein Fangnetz Böser auf Wasserfläche(n), (27) alle Verderbenspfeile unabwendbar daherfliegen, und einschlagen, ohne Hoffnung (zu lassen), wenn eine Meßschnur fällt auf „Gericht“, ein Zorn-Los (28) auf Verlassene, und ein Wut-Guss auf (Rechts-)Vergessene, eine Zorn-Zeit (beginnt) für alles, was „Belial“ heißt, und Todes-Bande unentrinnbar umzingeln. Übersetzung: Maier, Qumran-Essener 1, 70 f, s. dazu auch Lohse, Texte, 121 ff und Lichten-
berger, Menschenbild, 77 ff.224 ff.
Q 11: Mischnatraktat Avot Im Mischnatraktat Avot, 3,1 wird die anthropologische Grundfrage in drei Einzelfragen aufgegliedert:
῾Aqafja ben Mahalalel sagt: Betrachte drei Dinge, und du kommst nicht in die Hände der Übertretung. Wisse, woher du kommst, wohin du gehst und vor wem du zukünftig Recht und Rechenschaft abgeben musst. Wisse: Woher du kommst – aus stinkender Feuchtigkeit; wohin du gehst – zu Gewürm und Wurm; und vor wem du zukünftig Recht und Rechenschaft abgeben musst – vor dem König der Könige, dem Heiligen, gelobt sei Er. Übersetzung: Krupp, Schädigungen, 253 (mit dem Kommentar 610), s. dazu auch Schröter /
Zangenberg (Hg.), TUNT, 673.
𓇼
584 Quellen zur Anthropologie der Antike
II. Ägypten 1. Lebensphasen Lebensalterstufen Q 12: Papyrus Insinger (vgl. oben 48.49.83) Im Papyrus Insinger, einer um 300 v. Chr. entstandenen Lebenslehre, begegnet die einzige Auflistung von Lebensaltern im Zehnerschema in Ägypten. „Der Höhepunkt des Lebens ist danach mit dem 60. Lebensjahr erreicht. Dann geht es sturzartig abwärts“ (Meinhold, Bewertung, 111). Unmittelbar vor dem Lebensalterpassus heißt es: 376 377 378 379
Der, für den 60 Jahre vorbei sind, für den ist alles vorbei, Wenn sein Herz den Wein liebt – er kann nicht mehr bis zur Trunkenheit trinken. Wenn er das Essen liebt – er kann nicht mehr so essen wie gewohnt. Wenn sein Herz eine Frau wünscht – der Augenblick für sie kommt nicht (mehr).
Dann folgt die Aufzählung der Lebensabschnitte: Wenn die Lebenszeit sich ihrem Höhepunkt nähert, sind zwei Drittel davon verloren. Zehn (Jahre) verbringt man als Kind, indem man Leben und Tod nicht kennt. Weitere zehn (Jahre) müht man sich ab, die Lehre zu erhalten, durch die man dann das Leben meistern kann. Weitere zehn Jahre verbringt man, indem man Besitz verdient und erwirbt, durch den man leben kann. 390 Weitere zehn Jahre verbringt man bis zu dem Alter, in dem man Ratschläge annimmt. Dann bleiben noch sechzig Jahre übrig von dem gesamten Leben, das Thot einem Gottesfürchtigen zugeteilt hat. Aber nur einer unter einer Million mag sie, wenn Gott seinen Segen dazu gibt, bei Zustimmung des Schicksals, verbringen. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 324 f (mit dem Kommentar 498 f), vgl. TUAT 3/2 (1991) 300 (H. J. Thissen), s. dazu auch Assmann, Tod, 378 und Meinhold, Bewertung, 111 f.
Geburt und Namengebung Q 13: Die Erschaffung des Menschen (vgl. oben 52) Die in Gen 2,7 beschriebene Erschaffung des Menschen durch einen Akt der Formung und der Belebung hat eine Entsprechung in der ägyptischen Königsideologie. Die seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. bekannte Vorstellung von der Gottessohnschaft Pharaos (s. Q 57, unter dem Begriff hntj „Statue“) hat dabei zu festen Riten geführt und ihren Niederschlag im ˉ Neuen Reich in vier Textvarianten und fünfzehn Bildfolgen gefunden, die als Mythos von der Geburt des Gottkönigs bekannt sind. Danach wird die Doppelnatur Pharaos mythisch durch eine Geburtsgeschichte umschrieben, wonach dieser der Sohn einer irdischen Mutter und eines himmlischen Vaters ist. In der Textvariante aus der Zeit Hatschepsuts in Deir el-Bahari (1490–1470 v. Chr.) ist der himmlische Vater der Gott Amun, der die Gestalt
Q 13: Die Erschaffung des Menschen 585
des Königs Thutmosis’ I angenommen hat, und die irdische Mutter die Königin Ahmes, die Gemahlin Thutmosis’ I. Nachdem Amun durch Berührung mit dem Zeichen „Leben“ (῾nh) in der Königin die Keime des göttlichen Kindes erzeugt, dessen Namen offenbart und ˘ ihm die Königsherrschaft verheißen hat, erteilt er dem Schöpfergott Chnum den Auftrag, das der Königin verheißene Kind zu bilden.
Abb. 117: Chnum als Schöpfergott (Luxor, 18. Dyn.) Diesen Vorgang zeigt die sechste Szene, für die auf die Darstellung im Luxortempel Amenophis’ III. zurückgegriffen wird (Abb. 117). Zu sehen ist auf ihr der widderköpfige Schöpfergott Chnum (rechts), wie er auf der Töpferscheibe den Leib des Kronprinzen Amenophis III. formt, der nach Kinderart den Finger in den Mund steckt. Zugleich mit dem Leib des Embryos bildet Chnum den Ka, d. h. das lebenspendende Prinzip, das den Menschen wie ein ‚Doppelgänger‘ durchs Leben begleitet und dessen Tod überdauert (s. dazu Assmann, Tod, 131 ff u. ö.). Links von der Töpferscheibe thront die Muttergöttin Hathor (mit der Sonnenscheibe zwischen den Kuhhörnern), die dem Embryo das Anch-Zeichen (auch Hieroglyphe für „Leben“) an die Nase hält. Die in der Beischrift enthaltene Rede des Chnum beginnt nach dem Text im Totentempel der Hatschepsut in Deir el-Bahari mit einer gewichtigen Deklaration: (1) Rezitation des Chnum, des Schöpfers, des Herrn von Herwer: „Ich [forme] (2) dich hiermit aus diesem Leib Gottes (sc. Amuns), des Ersten von Karnak [///].“ (s. Q 56) Nachdem der Schreibergott Thot der Königin die Titel und Würden verkündet hat, die sie mit der Geburt des Königskindes erwirbt, wird sie von den göttlichen Geburtshelfern in den Geburtsraum geführt, wo sie niederkommt. Der Unterschied dieser Konzeption zu Gen 2,7 besteht darin, dass hier nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern der Gottkönig erschaffen wird, für den die göttliche Herkunft das Proprium und zugleich die Legitimation für sein politisches Handeln ist. Literatur: Zum Mythos von der Geburt des Gottkönigs s. Assmann, Zeugung, 13 ff; ders.,
Ägypten, 141 ff; Kügler, Pharao, 21 ff; Kunz, Kind, 51 ff; Schroer, IPIAO 3, 40 ff; Zivie-Coche / Dunand, Religionen, 74 ff; Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK), 103 ff (Hartenstein) und zum Text des Mythos TUAT 3/5 (1995) 991–1005 (H. Sternberg el-Hotabi).
586 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 14: Großer Amarnahymnus (vgl. oben 65) Im Großen Amarnahymnus des Echnaton / Amenophis IV., der um 1345 v. Chr. entstanden ist (s. Q 64), wird die Beteiligung des Sonnengottes Re bei der Entstehung des Menschen und nach der Geburt eindrücklich gepriesen: Der (sc. Re) den Samen sich entwickeln lässt in den Frauen, 60 der Wasser zu Menschen macht; der den Sohn am Leben erhält im Leib seiner Mutter und ihn beruhigt, indem er seine Tränen stillt; Amme im Mutterleib, der Luft gibt, um alles zu beleben, was er geschaffen hat. 65 Wenn (das Kind) herabkommt aus dem Leib, um zu atmen (?) am Tag seiner Geburt, dann öffnest du seinen Mund zum Sprechen (?) und sorgst für seinen Bedarf. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 219, s. dazu auch Keel / Schroer, Schöpfung, 111.252; Bayer,
Echnaton, 15.53 f und Feucht, Weg, 42 f (mit weiteren Texten zum Thema). Zum Verständnis von Z. 60 s. Bayer, aaO 53 f, demzufolge „Wasser“ hier „sicher Samenflüssigkeit“ meint. Anders Keel / Schroer, Schöpfung, 111, die an das „Element Wasser“ denken.
Q 15: Lehre des Ani (vgl. oben 137) In der Weisheitslehre des Ani aus der Voramarnazeit (18. Dyn.) ist in einem Kontext, der ausführlich die Dankbarkeit des Kindes gegenüber der Mutter preist, auch von einer dreijährigen Stillzeit die Rede: Gib deiner Mutter doppelt so viel Nahrung, wie sie dir gegeben hat, trage sie, wie sie dich getragen hat. Sie hatte eine schwere Last an dir, 245 aber sie sagte nicht: „Fort mit dir!“ Als du nach deinen Monaten geboren wurdest, da warst du immer noch an sie gebunden. Drei Jahre lang war ihre Brust in deinem Munde. Als du dann größer wurdest und deine Exkremente ekelhaft, 250 da ekelte sie sich nicht und sagte: „Was soll ich bloß machen?“ Als sie dich dann in die Schule gab, damit du schreiben lerntest, da war sie täglich da und passte auf dich auf, mit Brot und Bier aus ihrem Hause. 255 Heirate, solange du jung bist, und wenn du dein Haus gegründet hast, so halte dein Auge auf deinen Nachwuchs, zieh ihn groß, wie (dich) deine Mutter großgezogen hat. Gib ihr keinen Anlass, dich zu tadeln, 260 dass sie etwa ihre Arme (anklagend) zu dem Gott erhebt und er ihr Rufen hört.
Q 17: Theben, Grab 194 und 256 587
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 208, s. dazu auch Quack, Ani, 176 f; Meinhold, Verständnis, 68 und Pola, Lebensalter, 393 (mit Hinweis auf entsprechende mesopotamische Texte).
Alter und Tod Q 16: Lehre des Ptahhotep (vgl. oben 77) Die Lehre des Ptahhotep aus dem Alten Reich (5. Dyn., 2456–2297 v. Chr.) gibt in ihrem Prolog ein Bild der Altersschwäche, das die klassischen Topoi enthält: Gebrechlichkeit ist über mich gekommen, das Greisenalter ist eingetreten, der Körper ist kraftlos, Hilflosigkeit ist erneut da. Die Kraft ist geschwunden, da das Herz matt ist. 10 Der Mund schweigt, er kann nicht mehr reden, die Augen sind schwach, die Ohren taub. Das Herz schläft und tränt den ganzen Tag. Das Herz ist auch vergesslich und kann sich nicht mehr an gestern erinnern. Die Knochen schmerzen vor Alter. 15 Die Nase ist verstopft und kann nicht mehr atmen, Aufstehen und Hinsetzen sind gleichermaßen beschwerlich. Gutes ist zu Schlechtem geworden, und jeder Geschmack ist geschwunden. Was das Alter den Menschen antut – 20 Übel ist es in jeder Hinsicht. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 110, vgl. TUAT 3/2 (1991) 197 (G. Burkard), s. dazu auch Liess, „Glanz“, 454 und Junge, Lehre Ptahhoteps, 172.188 f.206 ff. Zum Vergleich mit der Barsillai-Episode 2 Sam 19,*32–41 s. Neumann-Gorsolke, Barsillai, 386 f.
Q 17: Theben, Grab 194 und 256 (vgl. oben 84) In einer Inschrift aus dem thebanischen Grab 194 aus der Nachamarnazeit findet sich in einer Traumoffenbarung der Göttin Hathor der Topos der Lebenssättigung, wie er auch in Mesopotamien (s. Q 76; 77) und im Alten Testament belegt ist: 25
Du (sc. Hathor) wirst mir ein Alter gewähren, und dass ich wohlbewahrt ruhe, indem ich satt bin von Leben, meine Augen sehen und all meine Glieder vollzählig sind.
Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 400, s. dazu auch Neumann-Gorsolke, „Alt“, 129.
Von einem „schönen Alter“ ist in der Inschrift aus Grab 256 die Rede: Er (sc. Amun) möge ein schönes Alter im westlichen Theben anbefehlen 5 dem Ka des Königsschreibers und Schatzhausvorstehers in der Nekropolis, Amenemope, gerechtfertigt. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 394, s. dazu auch Neumann-Gorsolke, aaO 117.
588 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 18: Sitzfigur Kairo (vgl. oben 83) Die Inschrift der Sitzfigur Kairo JE 37881 aus der Cachette von Karnak (wohl 4./3. Jh. v. Chr.) enthält eine Bitte um langes Leben: O Propheten und Gottesväter des Hauses des Amun: Wünscht ihr ein langes und gesundes (??) Leben, ohne dass es (vorzeitig) beseitigt wird? (Dann) sollt ihr meines Kas gedenken neben dem Herrn der [Gött]er als ihr [der Götter] wirklicher Begünstigter. Wünscht ihr ein dauerndes Alter und ein [ ]Ehrwürdigkeit? (Dann) [sollt ihr] Gott [preisen] für diesen Ehrwürdigen, und der Herr der Götter wird euch belohnen. Übersetzung: K. Jansen-Winkeln, Inschriften, 71 f (zitiert nach Neumann-Gorsolke, „Alt“,
118).
Q 19: Lehre des Ani (vgl. oben 565) Das Bild vom Tod als Räuber, der kommt, um sowohl das Kind aus den Armen seiner Mutter zu holen als auch den, der ein hohes Alter erreicht hat, ist in der Lehre des Ani aus der Voramarnazeit belegt (vgl. Q 15). Der Text ist ein locus classicus des Memento moriMotivs: Geh nicht aus deinem Hause, 90 ohne den Platz zu kennen, an dem du ruhen wirst. Gib den Ort bekannt, den du dir erwählt hast zu deinem Gedenken und dass man dich dort kennenlerne. Halte ihn dir vor Augen als den Weg, den du gehen musst, als den Hügel, den du finden wirst. 95 Statte deinen Platz im Friedhof wohl aus, und die Sargkammer, die deinen Leichnam bergen wird. Stell dir das vor Augen als eine Pflicht, die zählt. Wer es so macht wie die großen Alten, die jetzt in der Unterwelt ruhen: 100 kein Tadel kann den treffen, der so handelt. Es ist gut, dich zu rüsten; wenn dann ein Bote kommt, dich zu holen, so soll er dich bereit finden, an deinen Ruheplatz zu gehen; dann sage: „Ja, hier kommt einer mit, der sich auf dich vorbereitet hat.“ 105 Sage aber nicht: „Ich bin zu jung, als dass du mich holst.“ Du kennst deinen Tod ja nicht! Wenn der Tod kommt, raubt er das Kind aus den Armen seiner Mutter ebenso wie den, der ein hohes Alter erreicht hat. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 202, s. dazu auch Quack, Ani, 160 ff und Schroer, Toten-
weltmythologie, 301.
Q 22: Das Herz in der ägyptischen Anthropologie 589
Q 20: Lied des Antef (vgl. oben 384) Im Lied des Antef (Amarnazeit, um 1330 Jh. v. Chr.) gibt es einen berühmten Passus, der über das Fortleben der Toten im Gedächtnis ihrer Nachfahren ebenso skeptisch urteilt wie Pred 1,11: (3) Eine Generation vergeht, eine andere (4) bleibt seit der Zeit der Vorfahren. Die Götter, die vordem entstanden, ruhen in ihren Pyramiden; die Edlen (5) und Verklärten gleicherweise liegen begraben in ihren Pyramiden. Die da Bauten aufführten – ihre Stätte ist nicht mehr: Was (6) ist mit ihnen geschehen? Ich habe die Worte des Imhotep und des Hordedef gehört, deren Sprüche (7) in aller Munde sind: Wo sind ihre Stätten? Ihre Mauern sind zerfallen, ihre Stätte gibt es nicht, als wären sie nie (8) gewesen. Keiner kommt von dort, dass er erzähle, wie es um sie steht, dass er sage, was sie brauchen, dass er unser Herz beruhige, bis auch wir (9) dahin kommen, wohin sie gegangen sind. Du aber erfreue dein Herz und denke nicht daran! Gut ist es für dich, deinem Herzen zu folgen, solange du bist. Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 905 f (J. Assmann), s. dazu auch Assmann, Tag, 215 ff;
Uehlinger, Qohelet, 210 ff; Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 177 f und Köhlmoos, Kohelet (ATD), 78.86.
2. Leibsphäre Übergreifendes Q 21: Körperteilbezeichnungen (vgl. oben 385) Im Hieroglyphisch-Ägyptischen gibt es zahlreiche Belege für die gestisch-funktionale Bedeutung von ca. 70 Körperteilen und Organen (s. die Liste bei Werning, Kopf, 142 ff). Mit 1.743 Belegen steht das Herz (äg. ib, hꜢtj) dabei an der Spitze (vgl. Q 22 und 23), s. dazu ders., aaO 107 ff.
Einzelaspekte Q 22: Das Herz in der ägyptischen Anthropologie (vgl. oben 159.522.556) Wie für das Alte Testament ist auch für Ägypten die Vorstellung charakteristisch, dass das Herz (äg. ib, hꜢtj) die ‚Schnittstelle‘ von Leibsphäre und Sozialsphäre ist. Es ist die
590 Quellen zur Anthropologie der Antike zentrale Stelle im Menschen, „der alle Sinne ihre Eindrücke ,melden‘ und das dann die Lage erkennt und Entschlüsse fasst. Es hat also auf das, was von außen zum Menschen kommt – sei es durch die Sinne, sei es durch Gott – zu hören“ (Brunner, Herz, 5). Diese Fühlen, Denken und Wollen umfassende Funktion des Herzens kommt in grundsätzlicher Weise im Denkmal Memphitischer Theologie (25. Dyn.) zum Ausdruck, wo es in Z. 54 von der Schöpfung und Einrichtung der Welt durch Ptah heißt: Durch es (sc. das Herz) ist Horus, und durch sie (sc. die Zunge) ist Thot aus Ptah hervorgegangen. So entstand die Vorherrschaft von Herz und Zunge über [alle anderen] Glieder, und sie zeigt, dass er (Ptah) an der Spitze jedes Leibes und jedes Mundes aller Götter, aller Menschen, [aller] Tiere und aller Würmer steht, die leben, wobei er alles denkt und befiehlt, was er will. (Übersetzung: TUAT.Erg [2001] 173 [C. Peust / H. Sternberg el-Hotabi]) Nach Z. 56 werden die Lebensfunktionen dabei so verteilt, dass das Herz der Sitz des Verstandes und die Zunge das Medium der sprachlichen Mitteilung ist: Die Götterneunheit erschuf das Sehen der Augen, das Hören der Ohren und das Riechen der Nase, und sie (sc. die Sinnesorgane) leiten es zum Herzen weiter. Dieses ist es, das alle Erkenntnis hervorbringt, und die Zunge ist es, die verkündet, was das Herz erdenkt. (Übersetzung: TUAT.Erg [2001], ebd.) Wenn die Tat von innen kommt, wenn also „das ,Herz‘ meint, was der Mund sagt und die Hände tun“ (Assmann, Geschichte des Herzens, 81), dann entsprechen sich Innen und Außen und fügen sich zu einem stimmigen Ganzen zusammen, das man als „Aufrichtigkeit“ bezeichnen kann. Dieses Handlungsprinzip lässt sich bis zur Lehre des Ptahhotep (wohl aus dem Mittleren Reich, 11./12. Dyn., 2020–1793 v. Chr.) zurück verfolgen, die als locus classicus der ägyptischen Vorstellung vom Herzen und ihrer Grundunterscheidung von Innen und Außen gelten kann: Man erkennt einen Weisen an dem, was er weiß, und einen Adligen an seinem guten Benehmen. Sein Herz (jb) stimmt mit seiner Zunge überein, und seine Lippen sind aufrichtig, wenn er spricht. (Ptahhotep 526–528) (Assmann, Geschichte des Herzens, 104) Literatur: Assmann, Geschichte des Herzens, 100 ff; Janowski, Herz, 48 f u. a. Zum Herzen als Triebfeder des menschlichen Handelns s. Q 23.
Q 23: Das Herz als Triebfeder menschlichen Handelns (vgl. oben 556) Wie der folgende ägyptische Text aus der 18. Dyn. (Urk IV 94) besonders klar zeigt, war das Herz nach ägyptischer Auffassung die Triebfeder des menschlichen Handelns: Mein Herz war es, das mich dazu antrieb, (meine Pflicht) zu tun entsprechend seiner Anleitung. Es ist für mich ein ausgezeichnetes Zeugnis, seine Anweisungen habe ich nicht verletzt, denn ich fürchtete, seine Anleitung zu übertreten
Q 25: Körperbehinderung 591
und gedieh deswegen sehr. Trefflich erging es mir wegen seiner Eingebungen für mein Handeln, tadelsfrei war ich durch seine Führung. […] sagen die Menschen, ein Gottesspruch ist es (= das Herz) in jedem Körper. Selig der, den es auf den richtigen Weg des Handelns geführt hat! Übersetzung: Assmann, Ma᾽at, 120.
Q 24: Chnum-Hymnus aus Esna (vgl. oben 318.491) Vom „Öffnen“ (wbꜢ) der Ohren ist wie in Ps 40,7 („Ohren hast du mir gegraben“) auch in spätägyptischen Schöpfungshymnen die Rede, so etwa in dem Großen Chnum-Hymnus aus Esna (2. Jh. n. Chr.), wo es vom Schöpfergott Chnum heißt: Er hat die Augen (sc. des erschaffenen Menschen) geweitet und die Ohren geöffnet, hat den Körper Luft atmen lassen und den Mund zum Essen geschaffen. (Kol. 9–10), Übersetzung: Knigge, Lob, 299, s. zu diesem Hymnus (ohne die zitierten Zeilen) auch Ass-
mann, ÄHG2, 362 ff, ferner Janowski, „Schlachtopfer“, 215 Anm. 39.
Q 25: Körperbehinderung (vgl. oben 151) Die in der Glyptothek Ny Carlsberg, Kopenhagen, befindliche Kalksteinstele aus der 18./19. Dyn. zeigt den körperbehinderten Türhüter Ramu bei der Darbringung eines Opfers an die Göttin „Ischtar von Syrien“, die in Ägypten als Heilgöttin galt.
Abb. 118: Darstellung eines Behinderten (18./19. Dyn.) Literatur: Berlejung, Krankheit, 28 (mit farbiger Abb.), zu den Beinkrankheiten s. West-
endorf, Heilkunst, 119 ff.
592 Quellen zur Anthropologie der Antike
3. Sozialsphäre Generationenbeziehungen Q 26: Lehre des Ptahhotep (vgl. oben 129) Im langen Epilog der Lehre des Ptahhotep aus der 5. Dyn. (2456–2297 v. Chr.) finden sich Ausführungen über den Wert des Hörens und Gehorchens, die zu den Grundpfeilern des ägyptischen Menschenbilds gehören: Vorteilhaft ist das Hören für einen Sohn, der hört, denn das Hören dringt ein in den Hörer, und so wird aus dem Hörer ein Gehorsamer. Gutes Zuhören bedeutet auch gutes Sprechen, 455 und so verfügt der Hörende über einen (weiteren) Vorteil, und Hören bringt Vorteil für den Hörer. Hören ist besser als alles andere, es führt zu schöner Beliebtheit. Wie gut ist es doch, wenn ein Sohn annimmt, was sein Vater sagt. Es begleitet ihn bis ins hohe Alter. 460 Wen Gott liebt, der kann hören, aber nicht kann hören, wen Gott verwirft. Es ist das Herz, das seinen Besitzer werden lässt zu einem Hörenden oder zu einem, der nicht hört. Leben, Heil und Gesundheit eines Menschen bestimmt also sein Herz. 465 Ein (jeder) Hörer hört wohl, was gesagt wird, aber nur wer bereitwillig hört, handelt auch nach dem Gesagten. Wie gut ist es doch, wenn ein Sohn auf seinen Vater hört, wie froh ist der, zu dem gesagt wird: „Der Sohn gefällt, denn er versteht zu hören.“ 470 Ein Hörer, von dem dies gesagt werden kann, der ist bis innen hinein wohlgeraten und von seinem Vater wohlausgestattet. Die Erinnerung an ihn lebt fort im Munde der Lebenden, derer, die jetzt auf Erden sind, und derer, die sein werden. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 129 f, s. dazu auch Junge, Lehre Ptahhoteps, 202 (mit dem
Kommentar 259 f).
Q 27: Lehre des Ptahhotep (vgl. oben 129) In Abschnitt V des Epilogs der Lehre des Ptahhotep (s. Q 26) findet sich auch eine berühmte Passage über den „gehorsamen Sohn“: Ein gehorsamer Sohn ist ein Horusdiener, es geht ihm gut, nachdem er gehört hat. Ist er alt geworden, so kommt er zu hohen Ehren, 500 und dann spricht er ebenso zu seinen „Kindern“, indem er die Lehre seines „Vaters“ erneuert; ein jeder lehrt entsprechend seinen Erfahrungen,
Q 29: Papyrus Chester Beatty 593
und so spricht er zu seinen „Kindern“, damit diese wieder zu ihren „Kindern“ sprechen werden. 505 Setze ein Vorbild, gib einen Anstoß. Festige die Ma’at, dann werden deine Kinder leben. (…) Wer mit Unordnung daherkommt, von dem sollen die Menschen sagen, wenn sie es sehen: 510 „Das sieht dem ähnlich!“ Alle Leute werden erkennen, daß es diese (Gehorsamen) sind, die in der Menge Frieden stiften, und ohne sie fruchten Schätze nichts. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 131, s. dazu auch Junge, Lehre Ptahhoteps, 204 (mit dem
Kommentar 262).
Q 28: Lehre des Ani (vgl. oben 137) In diesem Abschnitt der Lehre des Ani (18. Dyn., vgl. Q 15) wird die Dankbarkeit des Sohns gegenüber seiner Mutter mit ebenso eindringlichen wie lebenspraktischen Maximen eingeschärft: Gib deiner Mutter doppelt so viel Nahrung, wie sie dir gegeben hat, trage sie, wie sie dich getragen hat. Sie hatte eine schwere Last an dir, 245 aber sie sagte nicht: „Fort mit dir!“ Als du nach deinen Monaten geboren wurdest, da warst du immer noch an sie gebunden. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 208 (mit dem Kommentar 466).
Geschlechterverhältnis Q 29: Papyrus Chester Beatty (vgl. oben 116) Aus dem alten Ägypten sind ca. 35 Liebeslieder überliefert, die alle aus der 19. Dyn. (1292– 1186 v. Chr.) bzw. dem Anfang der 20. Dyn. (1186–1070 v. Chr.) stammen. Das folgende Beispiel ist ein beredtes Zeugnis über die Natur des erotischen Verlangens: Die Eine, Geliebte, ohne ihres Gleichen, schöner als alle Welt. Schau, sie ist wie der glänzende Neujahrsstern vor einem schönen Jahr. Die tugendleuchtende, strahlenhäutige mit Augen, die klar blicken, mit Lippen, die süß sprechen. Sie hat kein Wort zu viel. Mit hohem Hals und strahlender Brust hat sie echtes Lapislazuli zum Haar. Ihre Arme übertreffen das Gold, ihre Finger sind wie Lotuskelche.
594 Quellen zur Anthropologie der Antike Mit schweren Lenden und schmalen Hüften, sie, deren Schenkel um ihre Schönheit streiten, edlen Ganges, wenn sie auf die Erde tritt, raubt sie mein Herz mit ihrem Gruß. Sie macht die Nacken aller Männer sich wenden, sie anzusehen. Es freut sich jeder, den sie grüßt. Er fühlt sich als erster der Jünglinge. Wenn sie aus dem Hause tritt, ist es, als erblicke man jene, die Eine. Übersetzung: Schott, Liebeslieder, 39 (mit dem Kommentar 222 f), s. dazu auch die Text-
zusammenstellung bei Fox, Liebeslyrik, 21 ff.
Q 30: Lehre des Anchscheschonqi (vgl. oben 114) Die spätägyptische Lehre des Anchscheschonqi ist ein demotischer Weisheitstext, der im 1. Jh. v. Chr. niedergeschrieben wurde, möglicherweise aber älter ist. In Z. 68 ist vom „Gewinn“ die Rede, die sich dem wirtschaftlichen Handeln der klugen Hausfrau verdankt: Der Gewinn einer Stadt ist ein Herr, der Recht spricht. Der Gewinn eines Tempels ist (kultische) Reinheit. 65 Der Gewinn eines Grundstücks liegt darin, dass man es zur rechten Zeit bearbeitet. Der Gewinn eines Lagerhauses ist seine Belieferung. Der Gewinn eines Schatzhauses ist, (wenn es) in einer einzigen Hand (ist). Der Gewinn eines Vermögens ist eine kluge (Haus-)Frau. Der Gewinn eines Weisen ist seine Rede. 70 Der Gewinn eines Heeres ist [sein General]. Der Gewinn einer Stadt ist es, nicht Partei zu ergreifen. Der Gewinn eines Handwerkers ist sein Werkzeug. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 270 f (mit dem Kommentar 485 zum Terminus „Ge-
winn“), vgl. TUAT 3/2 (1991) 258 f (H. J. Thissen).
Aspekte der Ethik Q 31: Die Göttin Ma᾽at (vgl. oben 192.522) Ma᾽at ist die Göttin der „Ordnung, Wahrheit, Gerechtigkeit“, deren Kennzeichen die Straußenfeder auf dem Kopf ist (Hieroglyphe für äg. mꜢ῾t, s. Abb. 119). Das Determinativ für Ma᾽at erscheint auf dem Relieffragment links über ihrem Kopf). Literatur: Zum Begriff und zur Göttin Ma᾽at s. Brunner, Weisheit, 13 ff und Assmann, Ma᾽at,
58 f.178 f.283 ff.
Q 32: Lehre für Merikare 595
Abb. 119: Die Göttin Ma᾽at (Ägypten, NR)
Q 32: Lehre für Merikare (vgl. oben 523.527) Wie J. Assmann anhand der interpretatio aegyptiaca der konnektiven Gerechtigkeit gezeigt hat, ist alles Handeln so miteinander verbunden – und in diesem Sinn „gerecht“ –, dass, wer untätig („träge“) bleibt, die Kontinuität der Wirklichkeit unterbricht, die auf der „Verfugung“ allen Handelns beruht. Der Autor der Lehre für Merikare (9./10. Dyn.), der „bedeutendste ägyptische Theoretiker des Vergeltungsprinzips“ (Assmann, Vergeltung, 689), hat die Handlungstheorie der konnektiven Gerechtigkeit an einem Beispiel erläutert: Sieh, eine schändliche Tat geschah zu meiner Zeit, 280 geplündert wurden die Friedhöfe im Gau von This. Es geschah jedenfalls als meine Tat, obwohl ich erst davon erfuhr, als es geschehen war. Sieh doch, mein Lohn erwuchs mir aus dem, was ich getan hatte: Es ist schändlich zu zerstören. 285 Keinem nützt es, wieder aufzubauen, was er vernichtet hat, herzustellen, was er zerstört hat. Sei davor auf der Hut! Ein Schlag wird mit einem ebensolchen vergolten, das ist die Verschränkung (mdd „Verfugung“) aller Taten! ˉ Übersetzung: Brunner, Weisheit, 152, s. dazu auch Assmann, Vergeltung, 701 Anm. 75 und Janowski, Tat, 179. Der Topos der „Verschränkung des Handelns“ ist schon im Alten Reich belegt (s. dazu Assmann, aaO 689) und bleibt bis in die Spätzeit lebendig (s. dazu ders., aaO 690 ff und ders., Ma᾽at, 65 f.67).
596 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 33: Der beredte Oasenmann B1 (vgl. oben 527) Am Ende der ersten von neun Klagen des beredten Oasenmanns gegen den Oberdomänenvorsteher Rensi aus dem Mittleren Reich (11.–13. Dyn.) appelliert der Oasenmann an diesen als „den Vater der Waise, den Gatten der Witwe“ (B1,93–95). Darauf folgt der gleichsam definitorische Passus über das verantwortliche Handeln, der den Sinn der Dankbarkeit sehr klar ausdrückt (B1,109 f): Vielmehr kommen zu dir die scheuen Fische, und du fängst dir fette Vögel, weil du der Vater der Waise bist, der Gatte der Witwe, der Bruder der Geschiedenen und der Schürzenzipfel des Mutterlosen. (B1,93–95) Ein guter Charakter kehrt zurück an seine Stelle von gestern, denn es ist befohlen: Handle für den, der handelt, um zu veranlassen, dass er tätig bleibt. Das heißt, ihm danken für das, was er getan hat. (B1,109 f) Übersetzung: Kurth, Oasenmann, 72 (für B1,93–95) und Assmann, Ma᾽at, 62 (für B1, 109 f),
s. dazu auch Janowski, Tat, 180 und Schellenberg, Witwen, 185.
Q 34: Der beredte Oasenmann B2 (vgl. oben 527) Die Klagen des beredten Oasenmanns gegen den Oberdomänenvorsteher Rensi gipfeln in dem orakelhaften Ausspruch über die drei Gegenkräfte der Ma᾽at (B2,109–111). Davor steht der vielzitierte Passus über das „Füreinander-Handeln“ (B2,105–108): 105 Verhülle dein Angesicht nicht gegenüber dem, den du gekannt hast, sei nicht blind gegenüber dem, auf den du geblickt hast, stoße nicht zurück den, der sich bittend an dich wendet, sondern laß ab von diesem Zögern, deinen Ausspruch hören zu lassen. Handle für den, der für dich handelt! Es gibt kein Gestern für den Trägen, 110 es gibt keinen Freund für den, der für die Ma᾽at taub ist, es gibt kein Fest für den Habgierigen. (B2,109–111) Übersetzung: Assmann, Ma᾽at, 60.63 f mit dem folgenden Kommentar: Das „Nichteinschreiten des Oberdomänenvorstehers Rensi erklärt sich entweder als Trägheit oder als ,Ma᾽at-Taubheit‘ (Verstocktheit) oder schließlich als Eigennutz (denn weil der Räuber ein Untergebener des Rensi ist, wird ihm ein Interesse an dessen Vermögenszuwachs unterstellt). Der Träge, der für die Ma᾽at Taube und der Habgierige: das sind aber zugleich auch die drei Gegenbilder der Ma᾽at, aus denen sich ihr Wesen e contrario am klarsten erschließen läßt“ (60 [H. i. O.]), s. dazu auch Janowski, Tat, 180 und Kurth, Oasenmann, 95.
Q 35: Kairener Amunshymnus (vgl. oben 265) Die Persönliche Frömmigkeit des ägyptischen Neuen Reichs (18.–21. Dyn.) hat im Kairener Amunshymnus (Ende der 2. Zwischenzeit) wohl ihr ältestes Zeugnis. Hier wird das auf den Armen bezogene göttliche Wirken als „Erhören / Zuwenden“ (Z. 69 f) und „Retten / Richten“ (Z. 71 f) des Armen qualifiziert:
Q 37: Lehre des Ani 597
Der das Flehen erhört dessen, der in Bedrängnis ist, 70 wohlgeneigten Herzens gegenüber dem, der zu ihm ruft; der den Furchtsamen errettet aus der Hand des Gewalttätigen und der richtet zwischen dem Armen und dem Reichen; Herr der Erkenntnis, auf dessen Lippen das Schöpferwort ist. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 198, s. dazu Janowski, Rettungsgewissheit, 113 ff und Zivie-
Coche / Dunand, Religionen, 369 ff.
Q 36: Verleihung von „Ehrengold“ (vgl. oben 216) Ab der 18. Dyn. (1540–1292 v. Chr.) häufen sich die Darstellungen der Verleihung von „Ehrengold“ an verdiente Beamte, Priester oder Heerführer durch den Pharao. Die Malerei aus dem Grab des Neferhotep in Theben West (Abb. 120) zeigt, wie der Priester Neferhotep durch Pharao Haremhab (1345–1318 v. Chr.) öffentlich geehrt wurde: Der Schatzmeister Maya erhält vom Pharao den Auftrag, Neferhotep mit Gold zu ehren, das ihm, der in Jubelpose dargestellt wird, zwei Diener um den Hals hängen.
Abb. 120: Neferhotep empfängt das „Ehrengold“ (Grabmalerei, NR) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 265 f; Feucht, Art. Gold, 731 ff und Staubli / Schroer, Men-
schenbilder, 396.398 Abb. 62b
Q 37: Lehre des Ani (vgl. oben 156) In der Lehre des Ani aus dem Neuen Reich (18. Dyn., vgl. Q 15) wird die „Wahrhaftigkeit“ des Charakters und seiner Handlungen nachdrücklich betont: Hüte dich vor der Sünde des Betruges, 115 vor Worten, die nicht (wahr) sind: Bekämpfe das Falsche in dir. Ein Ellbogen-Mensch wird nicht im Grabe ruhen. Weiche deshalb einem aufsässigen Manne aus, mache ihn dir nicht zum Gefährten. 120 Verbinde dich vielmehr mit einem aufrichtigen und gerechten Mann, einem Mann, dessen Handlungen du beobachtet hast.
598 Quellen zur Anthropologie der Antike
Wenn dann deine Aufrichtigkeit der seinen gleichkommt, dann wird die Freundschaft Bestand haben.
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 203, s. dazu auch Quack, Ani, 99 (mit dem Kommentar
163 f).
Q 38: Lehre des Ani (vgl. oben 229.230) In der Lehre des Ani aus dem Neuen Reich (18. Dyn., vgl. Q 15) begegnet die Forderung, dem persönlichen Feind wohl gesonnen zu sein und ihm Brot zu geben: Man gibt auch Brot dem, den man nicht mag, und Speise dem, der ungerufen kommt. Beeile dich nicht, den anzugreifen, der dich angegriffen hat. 290 Überlasse ihn der Gottheit, melde ihn täglich (im Gebet) dem Gott, morgen ebenso wie heute: dann wirst du sehen, was der Gott tut: Er lässt den fallen, der sich vergangen hat. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 209 f.
Q 39: Lehre des Amenemope (vgl. oben 229.230) Bereits in der ägyptischen und der altorientalischen Weisheitsliteratur begegnen ethische Maximen, die zur Vorgeschichte von Spr 25,21 f zu zählen sind. So heißt es im Zweiten Kapitel der Lehre des Amenemope (20. Dyn., um 1100 v. Chr.): 60 Zweites Kapitel Hüte dich, einen Elenden zu berauben oder einem Schwachen Gewalt anzutun. Strecke nicht deine Hand aus, einem Alten zu nahe zu treten, und fahre nicht einem Älteren über den Mund. 65 Lass dich nicht mit einer rauhen Botschaft ausschicken und schätze nicht den, der sie aufgetragen hat. Erhebe kein Geschrei gegen den, der sich gegen dich vergeht, und tritt ihm gegenüber nicht für dich selbst ein. Wer Böses tut, den stößt der Uferdamm ab, 70 und seine (des Dammes) Flutwelle holt ihn ein. Der Nordwind kommt herab und beendet seine (des Bösen) Stunde, er vereinigt sich mit dem Unwetter; die Gewitterwolken sind laut, die Krokodile böse: Du Heißer, was ist jetzt mit dir? 75 Er schreit, und seine Stimme dringt bis zum Himmel, und der Mond ist es, der seine Verbrechen feststellt. Steure, dass wir den Bösen übersetzen, wir wollen nicht handeln wie seinesgleichen. Richte ihn auf, reiche ihm deine Hand,
Q 41: Lehre des Amenemope 599
80 setze ihn in die Arme des Gottes, fülle seinen Leib mit Brot von dir, dass er satt werde und sich schäme. Gut ist es auch im Herzen des Gottes, vor dem Reden zu zögern.
vgl. Spr 25,21 f
Übersetzung: Brunner, Weisheit, 239 f, vgl. TUAT 3/2 (1991) 228 f (I. Shirun-Grumach),
wo auf Spr 25,21 f als Sachparallele hingewiesen wird, sowie Fox, Proverbs (AB), 787 f (mit weiteren Beispielen aus der ägyptischen und altorientalischen Weisheitsliteratur) und Dietrich, Schadenfreude, 82 f. Zu Z. 61 f und der Entsprechung in Spr 22,22 f s. Schipper, Amenemope, 61 f.
Q 40: Lehre des Amenemope (vgl. oben 212.262) Zu Beginn des 13. Kapitels der Lehre des Amenemope (s. Q 39) wird der ethische Grundsatz formuliert, eine hohe Stellung nicht durch krumme Touren auszunutzen, sondern aufrichtig zu handeln: Schädige nicht einen Menschen durch die Schreibbinse auf dem Papyrus: das ist für den Gott ein Abscheu. Lege auch mit Worten kein falsches Zeugnis ab 295 und schiebe nicht einen anderen mit deinem Munde beiseite. Stelle keine (Steuer-)Berechnung auf für den, der nichts hat, fälsche also nicht mit deiner Schreibbinse. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 247, vgl. TUAT 3/2 (1991) 238 f (I. Shirun-Grumach).
Zu Z. 292 ist die ältere Lehre des Ptahhotep Z. 129–132 zu vergleichen, die wohl eine Art Vorlage darstellt: Hüte dich, Worte zu verschärfen, 130 so dass du etwa einen Großen gegen einen anderen aufbringst. Rede überhaupt nicht über jemanden, weder über hoch noch niedrig – das ist dem Ka ein Gräuel! Übersetzung: Brunner, Weisheit, 115.
Q 41: Lehre des Amenemope (vgl. oben 271) Das 20. Kapitel der Lehre des Amenemope beginnt mit einer eindringlichen Mahnung gegen das Ansehen der Person: Mindere nicht einen Menschen vor Gericht 405 und dränge nicht den, der im Recht ist, beiseite. Begünstige nicht einen Gutgekleideten, bevorzuge aber auch nicht den, der in Lumpen geht. Nimm keine Bestechung von einem Mächtigen an und bedränge seinetwegen nicht einen Schwachen. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 251, vgl. TUAT 3/2 (1991) 243 (I. Shirun-Grumach).
600 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 42: Totenbuch Spruch 125 (vgl. oben 239) Wie im alten Israel war man sich im Alten Orient und in Ägypten der Verantwortung gegenüber dem Haustier bewusst. So heißt es im ägyptischen Totenbuch zu Beginn des sog. Negativen Sündenbekenntnisses: 15
Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe kein Tier misshandelt. Ich habe nichts „Krummes“ an Stelle von Recht getan. Ich kenne nicht, was es nicht gibt, und ich habe nichts Böses erblickt.
Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 234, vgl. Keel, Böcklein, 51.
Q 43: Lehre des Anchscheschonqi (vgl. oben 205) Die spätägyptische Lehre des Anchscheschonqi (vgl. Q 30) spricht von der Einsamkeit des Menschen in einer fremden Stadt, in der er keinen Verwandten hat: 358 Halte dich nicht in einer Stadt auf, in der du niemanden hast. 359 Wenn du dich in einer Stadt aufhältst, in der du niemanden hast, dann ist deine Familie dein Charakter. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 286 (mit dem Kommentar 489), vgl. TUAT 3/2 (1991) 271
(H. J. Thissen), s. dazu auch Felber, Art. Gastfreundschaft, 793.
Q 44: Die Erzählung von Seton Chaemwese (vgl. oben 231) Nach der demotischen Erzählung von Seton Chaemwese (mittelptolemäische Zeit, um 230 v. Chr.) brachte der Dieb Chaemwese ein aus einem Grab entwendetes Zauberbuch zurück und trug dabei einen gegabelten Stock in seiner Hand und ein Kohlebecken mit Feuer auf dem Kopf. Das Feuer befand sich vermutlich auf einer Ascheschicht, so dass es keine Brandverletzungen verursachte. Es symbolisiert die Haltung der Reue und Buße und letzten Endes der Umkehr. Möglicherweise liegt damit eine Sachparallele zu Spr 25,22 vor: Als Seton aus dem Grabe herauskam, ging das Licht vor ihm her, und die Finsternis ging hinter ihm. Ahwere weinte ihm nach und sagte: „Sei gegrüßt, du König Finsternis, leb wohl, du König Licht. Alle Kraft, die in dem Grabe weilte, ist ganz dahingegangen.“ Ni-noferka-Ptah sagte zu Ahwere: „Sei nicht traurig im Herzen! Ich will ihn zwingen, dass er dieses Buch hierher zurückbringt, (als Büßer) mit einem gegabelten Stock in der Hand und mit einem Feuerbecken auf dem Kopfe (῾h n śd.t).“ ˘ ˉ Übersetzung: Brunner-Traut, Märchen 235 (mit dem Kommentar 340 ff), s. dazu auch Morenz, Kohlen, 433 ff und Lichtheim, Literature 3, 127 ff.
Q 45: Antipathie der Ägypter gegen griechische Tischsitten Zur Antipathie der Ägypter gegen griechische Tischsitten s. Q 179.
Q 47: Die sog. „Israel-Stele“ des Merenptah 601
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Q 46: Bilder von Hunger und Durst (vgl. oben 25) Bilder von Hunger und Durst sind in der ägyptischen Ikonographie vom Alten Reich bis in die Spätzeit sehr verbreitet. Die beiden folgenden Abbildungen stammen aus der 5. und der 12. Dyn.
Abb. 121: Hungernde Nomaden (5. Dyn.)
Abb. 122: Abgemagerter Hirte (12. Dyn.) Literatur: Keel, Bildsymbolik, 66 f; Staubli, Image, 23 ff.26 ff; ders. / Schroer, Menschenbilder,
274 ff und Morenz, Hungersnöte, 383 ff.
Q 47: Die sog. „Israel-Stele“ des Merenptah (vgl. oben 23 ff ) Der Pharaoh Merenptah (1213–1204/3 v. Chr.) wird in dieser Stele, die in Z. 27 den frühesten ägyptischen Beleg für das Ethnikon „Israel“ enthält, „von den Göttern damit beauf-
602 Quellen zur Anthropologie der Antike tragt, die in das Land eingedrungenen Feinde zu besiegen und Ägypten zu retten. Das aktuelle Ereignis wird dabei zugleich in eine Notsituation eingeordnet, in der das Land sich befunden habe und die durch das Handeln des Königs beendet worden sei, so dass die Ägypter wieder in Sicherheit wohnen, sich außerhalb der Städte bewegen und ihren Geschäften nachgehen konnten“ (Weippert, Textbuch, 169): (26) Die Fürsten sind niedergeworfen, wobei sie šlm sagen, keiner erhebt mehr sein Haupt unter den Neun Bogen. Nun Tahnu zugrundegegangen ist, ist Hatti friedlich, ˙ ˘ ward Kanaan geplündert mit allem Schlechten, (27) ward Askalon weggebracht, Geser gepackt, ward Jenoam zunichte gemacht, liegt Israel brach ohne Samen, ist Hurru zur Witwe geworden für Ägypten, ˘ sind alle Länder insgesamt in Frieden, wird ein jeder, der umherschweift, bezwungen durch den König von Ober- und Unterägypten, BꜢ-n-R῾-geliebt-von Amūn, den Sohn des Rē῾, Merenptah-sich-freuend-über-Maat, der mit Leben begabt ˙ ist wie Rē῾ alle Tage. Übersetzung: Weippert, Textbuch, 170 f, s. dazu auch Donner, Geschichte Israels, 105 f; Fre-
vel, Geschichte Israels, 56 ff und Zwickel, Hungersnöte, 456 f.
Q 48: Papyrus Lansing (vgl. oben 262) Im Papyrus Lansing aus dem Neuen Reich wird das harte Leben eines Landpächters detailliert und anschaulich beschrieben: Es mangelt ihm an Werkzeug, so dass er den Tag damit verbringt, Geräte zum Getreideanbau zu zimmern und er des Nachts Seile dreht. Und seine Mittagszeit opfert er für die Abgaben des Landpächters. (…) Er geht – sein letztes Hemd in den Händen – um sich ein Gespann zu erbetteln. Er kehrt zurück zu seinem Acker, sobald er ihn für kultivierbar hält, und verbringt die Zeit mit fortgesetzter Getreideaussaat, denn das Gewürm hinter ihm macht dem Saatkorn den Garaus, sowie es zu Boden fällt. Da er sprießende Halme gar nicht erst zu Gesicht bekommt, muss er es in drei Aussaaten von geliehenem Getreide tun. Seine [Frau] geht bei den Kaufleuten hausieren, kann aber nichts zum Ausgleich bekommen. Wenn der Schreiber am Ufer festmacht und die Ernte registriert, sind Aufseher mit Stöcken hinter ihm (dem Bauern) her und Nubier mit Keulen. „Getreide her“, wird gefordert, aber es gibt keines. Wutentbrannt schlägt man auf ihn ein und man fesselt ihn und wirft ihn ins Wasserloch. Man taucht ihn kopfüber unter, und seine Frau wird vor seinen Augen gebunden. Seine Kinder gehen in Fesseln, und seine Nachbarn wenden sich ab und fliehen. Vorbei. Es gibt kein Korn! Übersetzung: TUAT.E (2001) 131 f (G. Moers), s. dazu auch Krüger, Mensch, 619.
Q 50: Totenbuch Spruch 30A und Spruch 125 603
Q 49: Das Motiv „Das Muttertier und sein Junges“ (vgl. oben 239) In den Kulturen des Alten Orients und Ägyptens war der Sinn für das besondere Verhältnis zwischen dem Muttertier und seinem Jungen weit verbreitet. Zu der folgenden Abbildung, einem Relief auf dem Sarg der Kauit aus Dēr el-Bahrî (11. Dyn., 2020–1976 v. Chr.) ˙ bemerkt Keel, Böcklein, 48: „Das Relief vom Sarg der Kauit und die Bruchstücke von dem der Kemsit [bei Keel, aaO 50 Abb. 7] zeigen eine ruhig dastehende, nicht gefesselte Kuh, die gemolken wird. Ihr Kälbchen ist an einem ihrer Vorderbeine angebunden und hält den Kopf traurig gesenkt, während die Kuh über die Zweckentfremdung ihrer Milch eine Träne vergiesst.“
Abb. 123: Melkszene auf dem Sarg der Kauit (11. Dyn.) Literatur: Keel, Böcklein, 46 ff, ferner Janowski / Neumann-Gorsolke, Manifestation, 15 ff.
5. Kult, Ritus und Gebet Q 50: Totenbuch Spruch 30A und Spruch 125 (vgl. oben 156)
Abb. 124: Herzwägung im Totengericht (Ägypten, Neues Reich) In der „Herzwägung“ im ägyptischen Totengericht beteuert der Verstorbene seine Unschuld, um den Nachweis der „Ma᾽at-Konformität des Herzens“ (Assmann, Ägypten, 155) zu erbringen. Der Text von Spruch 30A des Totenbuchs beschwört das Herz des Toten, sich diesem „nicht zu widersetzen im Totenreich“, sondern im Einklang mit ihm zu bleiben, wie es das Bild der Waage eindrücklich zeigt (s. Abb. 124):
604 Quellen zur Anthropologie der Antike 5
Mein Herz meiner Mutter, mein Herz meiner Mutter, mein Herz meiner irdischen Existenz – Stehe nicht auf gegen mich als Zeuge vor den (Var.: zur Seite der) „Herren des Bedarfs“! Sprich nicht gegen mich: „Er hat es tatsächlich getan“ – dem entsprechend, was ich getan habe–, lass keine Anklage gegen mich entstehen vor dem (Var.: zur Seite des) Größten Gott, dem Herrn des Westens!“
Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 95.
Die Wägeszene gehört zur Standardillustration der Totenbücher. Danach wird der Verstorbene in die Gerichtshalle des Osiris und seiner 42 Beisitzer geführt und dort vernommen. Während auf einer von dem schwarzköpfigen Totengott Anubis (links, den Verstorbenen geleitend) beobachteten Waage sein Herz (als Organ der bewussten Lebensführung) gegen die Ma᾽at bzw. deren Symbol (eine Feder) aufgewogen wird, spricht der Tote das negative Sündenbekenntnis. Ein Fehlverhalten auf Erden bringt die Waage zum Ausschlag, und der Gott der Rechenkunst, Thot (rechts), verzeichnet unbestechlich die Sünden. Der schließlich als „Feind“ oder „Verdammter“ überführte Mensch wird dem Höllenrachen übergeben, der die schuldigen Toten verschlingt bzw. der „Fresserin“, einem Mischwesen aus Krokodilskopf, Löwenleib und Nilpferdhinterteil (links von der die Ma᾽at-Feder tragenden Waagschale). Die postmortale Existenz des Menschen hing demnach entscheidend von seinem ethischen Verhalten auf Erden ab, das in diesem Vorgang der Herzwägung geprüft wird. Spruch 125 des Totenbuchs versprachlicht diesen Vorgang in Form des sog. „Negativen Sündenbekenntnisses“: Ich (sc. der Verstorbene) habe kein Unrecht gegen Menschen begangen, und ich habe keine Tiere misshandelt. 15 Ich habe nichts „Krummes“ an Stelle von Recht getan. Ich kenne nicht, was es nicht gibt, und ich habe nicht Böses erblickt (Var.: getan). Ich habe nicht am Beginn jeden Tages die vorgeschriebene Arbeitsleistung erhöht, mein Name gelangte nicht vor den „Leiter der Barke“ (Sonnengott?). 20 Ich habe keinen Gott beleidigt. Ich habe kein Waisenkind an seinem Eigentum geschädigt. Ich habe nicht getan, was die Götter verabscheuen. Ich habe keinen Diener bei seinem Vorgesetzten verleumdet. Ich habe nicht Schmerz zugefügt und (niemand) hungern lassen, 25 ich habe keine Tränen verursacht. Ich habe nie getötet, und ich habe (auch) nicht zu töten befohlen; niemandem habe ich ein Leid angetan. Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 234, s. dazu Assmann, Ma᾽at, 122 ff und zu Spruch 125 ders., aaO 136 ff.
Q 52: Unterwerfungs- und Jubelszene 605
Q 51: Zum Topos „Der schöne Tag“ (vgl. oben 398) In ägyptischen Beamtengräbern der 18. Dyn. treten im Zusammenhang bildlicher Darstellungen von Gastmählern kommentierende Beischriften auf, die den dargestellten Szenen eine zusammenfassende, auf die „Festlichkeit“ des Geschehens bezogene Überschrift geben, z. B.: Das Herz erfreuen, etwas Schönes sehen, Gaben empfangen im Hause. In der Halle genießen, von Dingen genießen, Speisen empfangen … In der Halle sitzen, sich zu vergnügen in der Weise des Auf-Erden-Seins. Sein Herz erfreuen, Schönes sehen, Tänze und Gesänge, Myrrhen auflegen, sich mit Öl salben, eine Lotusblüte an der Nase, Brot, Bier, Wein, Süßigkeiten und alles andere vor sich. O schöner Tag, da man der Schönheit Amuns gedenkt – wie freut sich das Herz – und bis zur Höhe des Himmels dir lobpreist. ‚Herrlich!‘ sagen unsere Herzen zu dem, was sie sehen. Übersetzung: Assmann, Tag, 209 ff, s. dazu auch ders., Glück, 17 ff und Janowski, Konfliktgespräche, 292.
Q 52: Unterwerfungs- und Jubelszene (vgl. oben 292) Das „Erheben“ des Hauptes ist ein Gestus der Anerkennung, der bei dem Betroffenen Zuversicht und Freude auslöst. Man kann sich das anhand von Jubelszenen in der ägyptischen Bildkunst verdeutlichen, wie sie etwa auf dem Relief aus dem Grab Haremhabs in Saqqara (s. Abb. 125) zu sehen sind. Bei den neun Gestalten auf der rechten Seite – dem links stehenden Dolmetscher gegenüber, der ihnen die durch Haremhab übermittelten Worte des Pharao übersetzt – handelt es sich um ranghohe, kriegsgefangene Ausländer, von denen einer auf dem Bauch und einer auf dem Rücken liegt, während vier von ihnen kniend um Hilfe flehen. Demgegenüber bekunden die drei dahinter stehenden Gestalten aufgrund des gerade ergehenden positiven Bescheids des Pharao ihre Freude mit dem erhobenen Kopf und „mit den seitlich über dem Kopf erhobenen Armen, der typischen Jubelgebärde“ (Weippert / Weippert, Mensch, 455). Literatur: Weippert / Weippert, Mensch, 455 f, ferner Hartenstein / Janowski, Psalmen (BK),
148 f (Janowski).
606 Quellen zur Anthropologie der Antike
Abb. 125: Unterwerfungs- und Jubelszene (Saqqara, um 1300 v. Chr.)
Q 53: Gebetshaltungen (vgl. oben 303) In Ägypten kommt die Gebetsgestik sowohl in der Rundplastik als auch im Flachbild vor. Besonders typisch dafür sind die ramessidischen Stelen aus dem Bereich der sog. Persönlichen Frömmigkeit. Auf ihnen wird die Anbetung einer Gottheit „typologisch durch die kanonisierte Körperhaltung der knienden oder der stehenden Person mit erhobenen Händen dargestellt“ (Luiselli, Bild, 88). Die beiden Hieroglyphen (s. Abb. 126), die jeweils als Determinativ der Gebetstermini dwꜢ „preisen“, jꜢw „Lobpreis, Anbetung“, rdj.t jꜢw „Lob spenden, preisen“, swꜢš „ehren“ und trj „ehrenvoll behandeln, respektieren“ fungieren, geben diese Positionen genau wieder.
𓀢 𓀃 Abb. 126: Determinative der ägyptischen Gebetstermini Literatur: Luiselli, Bild, 87 ff, s. dazu auch Keel, Bildsymbolik, 290 ff und Weippert / Weip-
pert, Mensch, 435 ff.
Q 54: Gebetsostrakon Kairo (vgl. oben 505) Viele Gebete der Persönlichen Frömmigkeit der Ramessidenzeit sind – wie vergleichbare Individualpsalmen des Alten Testaments (z. B. Ps 13,4 u. ö.) – von der Licht/Finsternis-Metaphorik geprägt. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel ist das aus der Voramarnazeit (Mitte 18. Dyn.) stammende Gebetsostrakon Kairo 12.202, das an Amun gerichtet ist und sowohl die Vorder- als auch die Rückseite einnimmt:
Q 55: Rettung aus der Unterwelt 607
Recto 5
O Amun-Re, groß an Machterweisen, Herr der Gnade! Du hast geschehen lassen, dass ich den Tag wie die Nacht sehe, du hast mein Auge wieder hell werden lassen und bist (in Gnade) zurückgekehrt. Amun-Re, du bist der von mir geliebte. Du bist der Eine, der mit seinen Machterweisen wiederkehrt (?). […] entferne […] […] die Göttin.
Verso Amun komme … in Gnade! Möge ich die Güte deines Antlitzes sehen, 10 das gütige Gesicht des Amun, das das ganze Land sieht. Mögen ihn die Menschen sehen, bis sie trunken und in jeder guten Verfassung sind. Übersetzung: Altenmüller, Blindheit, 544, s. dazu ders., aaO 548 ff (mit weiteren Textbei-
spielen aus der 19. Dyn.), ferner Janowski, Konfliktgespräche, 65 ff.
Q 55: Rettung aus der Unterwelt (vgl. oben 508) Wie in den alttestamentlichen Dankliedern des Einzelnen (DE) begegnet auch in ägyptischen Dankliedern der Topos der ,Errettung aus der Unterwelt‘. Als repräsentatives Beispiel sei die Votivstele des Malers Neb-Re aus Der el-Medine (19. Dyn.) angeführt. Neb-Re, dessen Sohn Nacht-Amun „krank darniederlag am Rand des Todes“ (B, Z. 37), wandte sich an den Gott Amun, „der die Bitten erhört, der kommt auf die Stimme des Armen, wenn er traurig ist, der Luft gibt dem, der in Bedrängnis ist“ (A, Z. 3–5). Sein Gebet wurde erhört, und sein Sohn wurde ins Leben zurückgerufen (vgl. B, Z. 41). Für diese „Errettung vom Tode(sgeschick)“ dankt der glückliche Vater mit der Errichtung der Kalksteinstele, die somit das gegebene Gelübde (B, Z. 55–66) einlöst. Die Mitte des Gebetstextes bildet die Aretalogie des Rettergottes B, Z. 15–24: 15 Du bist Amun, der Herr des Schweigenden, der kommt auf die Stimme des Armen! Ich rief zu dir, als ich traurig war, und du bist gekommen, daß du mich rettetest. Du gabst Luft dem, der in Bedrängnis war, 20 du rettetest mich, da ich in Banden lag. Du bist Amun-Re, der Herr von Theben, du rettest den, der in der Unterwelt ist; denn du bist es ja, [der gnädig ist,] wenn man zu ihm ruft, du bist es ja, der aus der Ferne kommt! Die Vorstellung, dass Gott aus der „Unterwelt“ rettet (B, Z. 22), findet sich besonders in Texten der Persönlichen Frömmigkeit, wie z. B. im 70. Kapitel des Leidener Amunshymnus (19. Dyn.):
608 Quellen zur Anthropologie der Antike 5 Der (sc. Amun) errettet, wen er will, auch wenn er in der Unterwelt (dꜢt) ist, 6 der vor dem Schicksal bewahrt, wie das Herz es ihm eingibt. Wie Z. 6 auf den noch nicht eingetretenen Tod bezogen zu sein scheint, so dürfte auch der Ausdruck „Unterwelt“ (dꜢt) in Z. 5 metaphorisch für Not und Krankheit stehen. Diese metaphorische Bedeutung von „Unterwelt“ wird durch die Votivstele des Malers Neb-Re bestätigt, die in ihrer Notschilderung auf das Todesgeschick des Nacht-Amun (Sohn des Neb-Re) Bezug nimmt: Es waren ihm Hymnen verfaßt worden auf seinen Namen, weil seine Kraft so groß war; es waren ihm Gebete gemacht worden vor seinem Angesicht, 35 in Gegenwart des ganzen Landes, zugunsten des Vorzeichners Nachtamun, gerechtfertigt, als er krank darniederlag am Rande des Todes, als er in der Gewalt Amuns war wegen jener seiner Kuh. Auf diese Notsituation (Todeskrankheit) antwortet die (oben zitierte) Aretalogie auf den Rettergott (B, Z. 15–24). Interessanterweise enthält die abschließende Deutung der Gott/ Mensch-Beziehung durch Nachtamun (B, Z. 46–54) einen Passus, der dem Motiv der Asymmetrie von Zorn und Erbarmen von Ps 30,6 entspricht: „(48) Der Herr von Theben zürnt (49) nicht einen ganzen Tag lang – (50) wenn er zürnt, ist es einen Augenblick, und nichts bleibt zurück“. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 372 f.427, s. dazu auch Janowski, Rettungsgewissheit,
121 f.131 f. Für eine Abbildung der Stele des Neb-Re s. Keel, Bildsymbolik, Taf.XXV.
6. Königsideologie Q 56: Der Mythos von der Geburt des Gottkönigs (vgl. oben 464) Die Rede des Schöpfergottes Chnum in der Beischrift zu Szene 6 des Mythos von der Geburt des Gottkönigs, Textvariante aus dem Totentempel der Königin Hatschepsut in Deir el-Bahari (1490–1470 v. Chr.), lautet folgendermaßen: Rezitation des Chnum, des Schöpfers, des Herrn von Herwera: „Ich [forme] (2) dich hiermit aus diesem Leib Gottes (sc. Amuns), des Ersten von Karnak [///]. Ich bin zu dir gekommen, um dich (vollendeter) als alle Götter zu erschaffen. Ich garantiere dir hiermit alles Leben, alles Wohlergehen, alle Dauer und alle Freude von mir. 5 Ich präsentiere dir hiermit alle Gesundheit und alle Länder. Ich überantworte dir hiermit alle Bergländer und alle Untertanen. Ich gewähre dir hiermit alle Speisung und jegliche Nahrung. Ich lasse dich hiermit auf dem Thron des Horus erscheinen so wie Re. [///] 10 [///] [///] Ich lasse dich an der Spitze der Kas aller Lebenden sein, indem du erscheinst als König von Ober- und Unterägypten, genau so, wie es dein Vater Amun, der dich liebt, befohlen hat. Übersetzung: TUAT 3/5 (1995) 998 (H. Sternberg el-Hotabi).
Q 57: Der König als „Bild Gottes“ 609
Q 57: Der König als „Bild Gottes“ (vgl. oben 425.464) Seit der Zweiten Zwischenzeit (um 1785–1551 v. Chr.) haben sich in Ägypten im Rahmen der Königsideologie zwei Gruppen von Bildbegriffen herausgebildet, die man als Gottebenbildlichkeitstermini (twtw, hntj u. a.) und als Gottähnlichkeitstermini (mjtj, tjt u. a.) ˉ bezeichnen kann: twtw hntj ˉ Bedeutung Abbildung (Prozessions-) Nachbildung Statue (sichtbar) Relation König / Gott König / Gott Datierung 2. ZwZt 2. ZwZt Funktion Repräsentanz Repräsentanz (Königtum) (Königtum)
mjtj / mjtt / mjtw
Bedeutung Gleicher Relation a) Mensch-Mensch b) Mensch-Gott c) König-Gott Datierung a) 18. Dyn. b) 1. ZwZt c) MR Funktion Gottähnlichkeit b) Eigenschaften, Handeln c) Eigenschaften
šzp sšmw (Empfänger-) ProzessionsStatue bild (unsichtbar) König / Gott König / Gott NR NR Repräsentanz Repräsentanz (Königtum) (Königtum)
tjt Zeichen, Hieroglyphe, Bild a) Mensch-Gott b) König-Gott a) 18. Dyn. b) 18. Dyn. Gottähnlichkeit a) Handeln b) Handeln, Wesen
Während die erste Gruppe den König als konkretes Bild des (Sonnen-)Gottes bezeichnet, charakterisiert ihn die zweite Gruppe als dem (Sonnen-)Gott im Wesen oder im Handeln ähnlich. Die vor allem auf die Ausübung des Amtes bezogene Ähnlichkeitsbestimmung kommt auch Privatleuten (Beamte, Priester) bzw. den Menschen insgesamt zu. Die verschiedenen Bezeichnungen für „Bild“ (Gruppe 1) differenzieren dieses nicht nach dem Aussehen, sondern nach der Funktion (twtw „Abbildung, Nachbildung“, hntj „[Prozesˉ sions-]Statue“, šzp „[Empfänger-]Statue“ u. a.). Entsprechend wird auch die Funktion des Königs gesehen und die so legitimierte Herrschaft als positiv gewertet. Hier eine kleine Auswahl:
twtw „Abbildung, Nachbildung“ In der Königsideologie (seit der 2. ZwZt): Wenn vom König als „Abbild Gottes“ (twtw oder hntj) die Rede ist, sind twtw und hntj austauschbar und bezeichnen in diesem Konˉ ˉ text dasselbe Objekt. Der König wird in diesem Zusammenhang bevorzugt als „Bild“ solarer Gottheiten (Re, Atum, Amun-Re, Schesepu) bezeichnet, z. B.: (Die Höflinge sagen zum König:) Als sein Abbild (hntj) hat Re dich eingesetzt, zur Rettung des ˉ Schiffbrüchigen (d. h. des Schwachen, im Leben Gescheiterten).
610 Quellen zur Anthropologie der Antike
hntj „(in Festprozession getragene) Statue“ ˉ
In der Königsideologie: Als „Statue“ Gottes übt der König die Herrschaft Gottes auf Erden aus, er repräsentiert ihn, z. B.: (Der Gott spricht zum König:) Dieses Land habe ich in seiner Länge und Breite geschaffen, um auszuführen, was mein Ka wünscht; dir habe ich gegeben //// meine //// insgesamt; du beherrschst es (sc. das Land) so wie (zu der Zeit), als ich König von Ober- und Unterägypten war; du bewirtschaftest es für mich aus liebendem Herzen, denn du bist mein geliebter Sohn, der aus meinem Leib hervorgegangen ist, mein Abbild (hntj), das ich auf Erden gestellt habe. ˉ In Frieden lasse ich dich das Land regieren, indem du die Häupter aller Fremdländer tilgst.
šzp „(Empfänger-)Statue“ In der Königsideologie (seit 18. Dyn.): Die Bezeichnung „šzp Gottes“ für den König ist wie „hntj Gottes“ als eine spezifische Form von „twtw Gottes“ zu verstehen: sie bezieht sich auf ˉ die seit dem NR belegte besondere Erscheinungsform des Sonnengottes als Sphinx, z. B.: (Titel des Pharao Merenptah:) Herr der beiden Länder NN, Herr der Kronen NN, lebendes Abbild (twtw ῾nh), šzp-Bild Atums. ˘
sšmw „Prozessionsbild“ In der Königsideologie: Wie das sšmw-Bild stets in seinem Schrein verborgen gehalten wird, so vollzieht der König als „sšmw Gottes“ seine Regierungsgeschäfte in der Abgeschiedenheit des Palastes. Typisch ist die Verbindung dieser Königsbezeichnung mit dem Orakelwesen, z. B.: (Gebet für Ramses IX.:) Du (sc. Amun-Re) hast ihn eingesetzt, mit deinem Amt versehen, dein lebendes sšmw-Bild, das wie Re erscheint.
mjtj / mjtt / mjtw „Gleicher“ Der Mensch als mjtj Gottes (seit der 1. ZwZt): Wenn einer (Beamter / Gaufürst) als mjtj Gottes bezeichnet wird, soll dadurch ausgedrückt werden, dass er bestimmte Eigenschaften besitzt, die zum Ressort dieses Gottes gehören bzw. die als allgemein göttlich angesehen werden, oder dass er wie ein bestimmter Gott bzw. auf göttliche Weise handelt, z. B.: … der veranlaßt, daß die beiden Genossen zufrieden mit seinem Urteil hinausgehen, auf dessen Zunge die Buchrolle Thots ist, einer, der exakter ist als das Lot, ein der Waage Gleicher, ein Zweiter des Königs beim Anrufen mit Namen,
Q 58: Lehre für Merikare 611
geduldig, Bitten zu hören, ein Gott-Gleicher (mjtj ntr) bei seinen Amtshandlungen. ˙ Der König als mjtj / mjtt / mjtw Gottes (seit NR): Der König ist mjtj eines Gottes (bes. Res), weil er Eigenschaften besitzt, die für den Gott charakteristisch sind, z. B.: (Inschrift Amenophis III.:) Der vollkommene Gott, der Gleiche (mjtj) Res, der die beiden Länder erhellt wie der Horizontische, Herr der Strahlen im Gesicht wie die Sonnenscheibe, über den alles sich freut.
tjt „Zeichen, Hieroglyphe, Bild“ Der Mensch als tjt Gottes: Die Bedeutung von tjt stimmt mit der von jrw „Rolle“ und znn „Nachahmer“ überein, da diese Begriffe einander im gleichen Kontext ersetzen können. Im folgenden Beispiel ist der tjt-Priester die irdische Entsprechung des Gottes: (Autobiographische Inschrift des Hohenpriesters Ptahmesu:) Der vollkommene Gott (= König) befahl, daß man mich treffliche Ämter ausüben ließ. Als Großer der Leiter der Handwerker, als tjt jenes Iunmutef, setzte er mich ein, nachdem er (meinen) Rat erkannt hatte, die Vorzüglichkeit (meiner) Worte. Der König als tjt Gottes (seit früher 18. Dyn.): tjt ist der häufigste königliche Bildbegriff. Der König ist tjt Gottes (Amuns, Res, Atums, u. a.) im Hinblick auf seine Handlungen, z. B.: Der König als „Bild Amuns“ (19./20. Dyn.): Der Sohn (z3) Amuns, der Sprößling des Gottes, der seinen Namen verbirgt; Zögling des Stieres der Götterneunheit, das herrliche tjt des Gottesleibes; der das, was die Seelen von Heliopolis loben, tut, den die Herren des Großen Hauses geschaffen haben. Der König als „Bild Res“ (18.–20. Dyn.): tjt Res, das Amun eingesetzt hat zum einzigen Herrn selbst, um die Königsherrschaft auszuüben [an der Spitze] der beiden Länder. Übersetzung: Ockinga, Gottebenbildlichkeit, 21 f.38.46.84 f.95.102.106 f.113, s. dazu auch
Assmann, Ägypten, 50 ff; Groß, Statue, 13 f; Hornung, Der Eine, 125 ff; Janowski, Statue Gottes, 147 ff; Neumann-Gorsolke, Herrschen, 177 ff und Gertz, Genesis 1–11 (ATD), 65 ff.
Q 58: Lehre für Merikare (vgl. oben 263.265) Obwohl Witwen und Waisen sozial und rechtlich benachteiligt waren, galten sie zusammen mit anderen personae miserae als besondere Schützlinge der Götter. So heißt es in einem Graffito im Grab Theben Nr. 139 aus der Nachamarnazeit (Ende 18. Dyn.):
612 Quellen zur Anthropologie der Antike Mein Herz wünscht dich zu sehen, Freude meines Herzens, Amun, du Kämpfer des Armen! Du bist der Vater des Mutterlosen, der Gatte der Witwe. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 369, s. dazu auch Schellenberg, Witwen, 183.
Auch der König ist für die Witwen und Waisen bzw. für die Armen und Geringen verantwortlich, wie es z. B. in der Lehre für Merikare (vgl. Q 32) heißt: 82 Tue die Ma᾽at, damit du auf Erden dauerst. 83 Beruhige den Weinenden, benachteilige nicht die Witwe, 84 bringen niemanden um die Habe seines Vaters. Übersetzung: Brunner, Weisheit, 144, s. dazu auch Schellenberg, Witwen, 185.
Q 59: Lehre für Merikare (vgl. oben 324.464) Für die ägyptische Königsideologie ist die Hirtenmetaphorik besonders aufschlussreich, weil sie den Übergang von der politischen zur religiösen Sphäre, d. h. vom König zu Gott, deutlich macht. Während die ältesten Belege aus dem Alten Reich (3.–6. Dyn.) stammen, kommt es am Ende der 1. Zwischenzeit (7.–11. Dyn.) zum „Bild des ,Guten Hirten‘, der seine Herde schützt, allerdings weniger vor Hungersnot und Elend, als vor Unterdrückung und Ausbeutung durch die ,Mächtigen‘“ (Assmann, Herrschaft, 216). Der Grundtext dafür ist der Schlusshymnus der Lehre für Merikare (10. Dyn., nach 2120 v. Chr., s. auch Q 2), in dem Gedanken und Maximen formuliert werden, wie sie im Alten Reich undenkbar gewesen wären. Dazu zählt die mit dem Motiv des „Guten Hirten“ verbundene Aufgabe Gottes, die Menschen (= Ägypter) vor Unheil zu bewahren und das Böse niederzuhalten. In diesem Lobpreis des göttlichen Hirten drückt sich ein Weltbild aus, das sowohl „die Schöpfung als auch den Sonnenlauf um der Menschen willen geschehen lässt“ (ders., Re, 279). Es ist, wie an der dreimal wiederkehrenden Wendung „um ihretwillen“ deutlich wird, ein anthropozentrisches Weltbild, d. h. der göttliche Hirte sorgt für das Wohl der Menschen, seiner „Ebenbilder“, und erhält sie am Leben, indem er die Schöpfung „um ihretwillen“ in Gang hält. Selbst der König ist dazu erschaffen, diese Aufgabe wahrzunehmen und „den Rücken des Schwachen zu stärken“: 315
Wohl versorgt sind die Menschen, das Kleinvieh Gottes, ihretwegen (n jb.sn) erschuf er Himmel und Erde, er drängte die Gier des Wassers zurück und schuf die Luft, damit ihre Nasen leben. Seine Ebenbilder sind sie, aus seinem Leib hervorgegangen.
Ihnen zuliebe (n jb.sn) geht er am Himmel auf, für sie schuf er Pflanzen und Tiere, Vögel und Fische, damit sie zu essen haben. 320 Er tötete seine Feinde und ging vor gegen seine Kinder, weil sie auf Rebellion sannen.
Q 60: Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs 613
Ihnen zuliebe (n jb.sn) lässt er es Licht werden, um sie zu sehen, fährt er (am Himmel) dahin. 325 Er errichtete sich einen Schrein hinter ihnen, wenn sie weinen, dann hört er. Er schuf ihnen Herrscher im Ei und Befehlshaber, um den Rücken des Schwachen zu stärken. Übersetzung: Assmann, Re, 168 f, s. dazu auch Brunner, Weisheit, 153 f; Ockinga, Gotteben-
bildlichkeit, 72 f; Janowski, Rettungsgewissheit, 115 f und ders., Hirte, 150 f.
Q 60: Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs (vgl. oben 452.468) Solidarität gegenüber den Schwachen zu üben, ist auch in Ägypten vornehmlich eine Aufgabe des Staats, die der König als ‚Sonnengott auf Erden‘ wahrnimmt. Es ist deshalb zutreffend, von der „Staatsangewiesenheit“ sowohl des Menschen als auch des Kosmos zu sprechen. Der Text, der dies am klarsten zum Ausdruck bringt, ist ein Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs (Zeit Hatschepsuts 1490–1468 v. Chr.), in dem der König in der Rolle des Sonnenpriesters erscheint. Dieser Text entwirft so etwas wie eine „allgemeine Theorie des ägyptischen Königtums und das heißt: des Staates“ (Assmann, Ma᾽at, 206). Orientiert man sich an der vertikalen Gliederung (Himmel – Erde, Erde – Himmel), so ergibt sich eine deutliche Zweiteilung: während der erste Teil die Einsetzung des Königs von oben nach unten darstellt (der Himmelsgott Re hat den König auf der Erde eingesetzt), thematisiert der zweite Teil die Sonnenhaftigkeit des Königs, der die Erde in abbildhafte Beziehung zum Himmel bringt und dem die Menschen (am Morgen) zujubeln. Die Mittlerrolle des Königs wird dabei durch die Begriffspaare Menschen / Götter und Ma᾽at / Isfet entfaltet, die sich mit ihren konkreten (1. Begriffspaar) und abstrakten Einzelgrößen (2. Begriffspaar) gegenseitig erklären. Die letzte Strophe dieses Traktats lautet: Einsetzung des Königs Re hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig beim Rechtsprechen der Menschen, beim Befriedigen der Götter, beim Entstehenlassen der Ma᾽at, beim Vernichten der Isfet. Er (sc. der König) gibt Gottesopfer den Göttern und Totenopfer den Verklärten. Sonnenhaftigkeit des Königs Der Name des Königs ist im Himmel wie (der des) Re. Er lebt in Herzensweite wie Re-Harachte. Die p῾t-Menschen jubeln, wenn sie ihn sehen. Die rhjjt-Menschen machen ihm Ovationen ˘ in seiner Rolle des Kindes. Übersetzung: Assmann, Ma᾽at, 206, s. dazu ders., aaO 205 ff (mit einer Strukturskizze); ders., Herrschaft, 37 ff und Janowski, Frucht, 181 f.
614 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 61: Amun-Re-Hymnen der Nachamarnazeit (vgl. oben 324) In der Ramessidenzeit (19./20. Dyn., 1292–1070 v. Chr.) gelangt die Gottesauffassung, die für die Lehre für Merikare (s. Q 32) charakteristisch ist, endgültig zum Durchbruch. Denn jetzt wird die Reziprozität von Gott und Mensch zum Sinnbild einer ganzen Epoche, die man das „Zeitalter des guten Hirten“ genannt hat (s. die Nachweise bei Janowski, Hirte, 151 f). Der göttliche Hirte, so heißt es in einem Amun-Re-Hymnus der Nachamarnazeit, sorgt schon frühmorgens für seine Herde und treibt die Hungrigen zur Speise: 15
Amun, du Hirte (mnjw), der die Herde früh ausführt, der die Leidenden zum Kraute treibt! Der Hirte treibt die Rinder zum Kraut – Amun, du treibst den Leidenden zum Brot. Denn Amun ist ein Hirte, der nicht ermattet. (ÄHG2, 420)
Erstaunlicherweise steht dieser Text nicht allein, sondern er findet in dem großen AmunRe-Hymnus des Pap. Chester-Beatty IV aus dem späten Neuen Reich einen bedeutenden Nachfolger. Hier ist Amun-Re der Hirte schlechthin – „der Hirte, der zu leiten versteht“ (ÄHG2 195,248.268) – und der Gott, der den Menschen gegenüber in der „Erscheinungsform“ (hprw)“, d. h. in der „Wirkungsweise“ des „Guten Hirten“ auftritt. Das umfassende, ˘ „jedem Gesicht (= allen Menschen)“ geltende Hirtentum Amun-Res wird ausführlich in Z. 132–154 gepriesen und in Z. 297–303 als umfassende Fürsorge des Hirten für seine Herde konkretisiert: Wie schön bist du, wenn du aufgehst, Re, du großer Hirte! Kommt alle, ihr Herden alle! 300 Seht, ihr habt den Tag verbracht, bei ihm zu weiden. Er hat alles Böse vertrieben, wenn er im Frieden in seinem Lichtland ist; eure Länder (…). (ÄHG2, 437 f) Literatur: Janowski, Hirte, 151 f.
7. Weltbild Übergreifendes Q 62: Die Himmelsrichtungen in Ägypten (vgl. oben 334) Im alten Ägypten richtete sich die Orientierung gemäß der natürlichen Süd/Nord-Achse des Nils nach Süden aus (s. Abb. 127). Der Süden ist das Vordere (hntj), der Anfang, der ˘ Norden, das ägyptische Delta, ist das Hintere (pht), das Ende. Dementsprechend nahm ˙ der Westen die rechte, d. h. die richtige, nützliche Seite und der Osten die linke, d. h. die verkehrte, feindselige Seite ein. Quer dazu verlief die solare Ost/West-Achse mit ihren Eckpunkten Osten (Sonnenaufgang) und Westen (Sonnenuntergang) (s. Q 63). Literatur: Kurth, Art. Himmelsrichtungen, 213 ff und Wyatt, Space, 49 f.
Q 63: Der traditionelle Sonnenlauf 615
Knossos
Eu ph Kadesch rat
Ugarit Byblos
Mittelmeer
Babylon Gaza
Jerusalem
Memphis Ägypten um 1350 v. Chr. Verlust des ägyptischen Einflussgebietes unter Echnaton
Tell el-Amarna Ro
l Ni
te sM
Theben
ee r
Abb. 127: Ägypten und seine Umwelt
Q 63: Der traditionelle Sonnenlauf (vgl. oben 391) Anders als in der Amarnareligion mit ihrem Lichtgott ist der Sonnengott nach der traditionellen ägyptischen Sonnentheologie auch nachts aktiv. Im Mittelpunkt der Sonnenhymnen des Neuen Reichs (18.–21 Dyn., 1540–945 v. Chr.) steht der Vorgang des Sonnenlaufs mit den Phasen Aufgang (Morgen) – Himmelsüberfahrt (Mittag) – Untergang / Landung (Abend) – Unterweltsfahrt (Nacht), die auf den Sonnengott und dessen tiergestaltige Manifestationen als Chepre (Skarabäus), Re (falkenköpfiger Gott in Menschengestalt), und Atum (menschengestaltiger Gott mit Doppelkrone / Widderkopf) bezogen sind (s. Abb. 128). Die „Phasen des Sonnenlaufes, die in den Gestalten Res personal chiffriert sind“ (Junge, „Land“, 26), lassen sich wie folgt wiedergeben: Zeit
Morgen Mittag Abend
Ort Osten Zenith Westen Bewegungsphasen Aufgang Überfahrt Untergang Gestalten Chepri Re Atum Lebensalter Kind Mann Greis Phasenmetaphern Geburt-Aufzucht Sieg-Herrschaft Alter-Sterben Literatur: Junge, „Land“, 25 ff, ferner Janowski, Rettungsgewissheit, 136 ff.
616 Quellen zur Anthropologie der Antike
𓆣
𓇳 Re 𓁚
Chepri Sonnenaufgang
Tag
𓊨 𓁹
Nacht Osiris
𓀭
Atum Sonnenuntergang
𓊨 𓁹
Duat = Gegenwelt
Abb. 128: Traditionelles Schema des Sonnenlaufs
Q 64: Großer Amarnahymnus (vgl. oben 278.391) Der um 1345 v. Chr. entstandene Große Amarnahymnus des Pharaos Amenophis IV./Echnaton (1351–1335 v. Chr.), der den Monotheismus einführte und eine neue Residenz in Achetaton („Horizont des Aton“) gründete, preist den Lichtgott Aton, den eine frühe Darstellung (s. Abb. 129) zusammen mit Echnaton (rechts) zeigt. In der folgenden Übersetzung ahmt die Schreibung (NN)| in Z. 1.2.8.12 u. ö. eine Königskartusche nach.
Abb. 129: Frühe Darstellung Atons (links) und Echnatons (rechts) Der herrliche Text, von den im Folgenden Z. 1–52 zitiert werden, lautet folgendermaßen: Anbetung des (ES LEBT RE‑HARACHTE, DER IM LICHTLAND JUBELT)| (IN SEINEM NAMEN ALS LICHT, DAS IN DER SONNE IST)|, der Leben gibt immer in unendliche Zeit; der große Lebendige JATI, der im Jubiläumsfest ist, 5 Herr von allem, was die Sonne umkreist, Herr des Himmels, Herr der Erde, Herr des JAT‑Tempels in Amarna. Der König von Ober- und Unterägypten, der von der Wahrheit lebt, der Herr der beiden Länder (vollkommen an Gestalt ist RE, der einzige des RE)|, der Sohn des RE, der von der Wahrheit lebt, 10 der Herr der Erscheinung (Achanjati) mit langer Lebenszeit; die große Gemahlin des Königs, die er liebt,
Q 64: Großer Amarnahymnus 617
die Herrin der beiden Länder (vollkommen ist die Vollkommenheit des JATI, Nafteta)|, die lebt und gesund ist immer und ewig. 15 Er sagt: du erscheinst schön im Lichtland des Himmels, du lebende Sonne, die das Leben bestimmt! Du bist aufgegangen im östlichen Lichtland, du hast jedes Land erfüllt mit deiner Schönheit. 20 Du bist schön, gewaltig und funkelnd, du bist hoch über jedem Land. Deine Strahlen, sie umfassen die Länder bis ans Ende deiner ganzen Schöpfung, als RE dringst du an ihre Grenzen und unterwirfst sie deinem geliebten Sohn. 25 Du bist fern, aber deine Strahlen sind auf Erden, du bist in ihrem Angesicht, aber man kann deinen Gang nicht erkennen. Abb. 130: Sonnenauf Gehst du unter im westlichen Lichtland, gangsszene aus Tell ist die Erde in Finsternis el-Amarna in der Verfassung des Todes. 30 Die Schläfer (oder: sie schlafen) in der Kammer, verhüllt sind ihre Köpfe, kein Auge sieht das andere. Ihre Habe wird ihnen unter den Köpfen weg gestohlen, und sie merken es nicht. Jedes Raubtier ist aus seiner Höhle herausgekommen, alle Schlangen beißen. 35 Dunkel ist das Herdfeuer (oder: die Finsternis ist ein Grab), die Erde liegt in Schweigen: ihr Schöpfer ist untergegangen in seinem Lichtland. Am Morgen bist du aufgegangen im Lichtland und bist strahlend als Sonne des Tages. 40 Du verreibst die Finsternis, du gibst deine Strahlen, die beiden Länder sind im Fest. Die Menschheit erwacht und steht auf den Beinen: du hast sie aufgerichtet, sie reinigen ihre Körper und ziehen Leinengewänder an; ihre Arme sind in Lobgebärden bei deinem Erscheinen, 45 das ganze Land tut seine Arbeit. Alles Vieh befriedigt sich an seinen Kräutern, Bäume und Pflanzen wachsen. Die Vögel fliegen auf aus ihren Nestern, ihre Flügel in Lobgebärden für deinen Ka. 50 Alles Wild tanzt auf seinen Füßen, alles, was auffliegt und niederschwebt, sie leben, wenn du für sie aufgehst. Übersetzung: Assmann, ÄHG2, 217–222 (mit dem Kommentar 41 ff.222 f), s. dazu auch
Bayer, Echnaton, 7 ff (mit dem Kommentar aaO 38 ff) und Krüger, Lob, 403 ff. Zu der anrührenden Sonnenaufgangsszene aus dem Königsgrab von Tell el-Amarna (Abb. 130) s. Kampp-Seyfried, Re-Harachte, 122 ff.
618 Quellen zur Anthropologie der Antike
Einzelaspekte Q 65: Buch von der Himmelskuh (vgl. oben 439) Eine ägyptische Parallele, die Differenzen zum Gottesbild der nichtpriesterlichen Fluterzählung (Gen *6,5–8,22) aufweist, liegt – neben mesopotamischen Texten (s. Q 110 und 112) – im Buch von der Himmelskuh V. 1–103 vor. Dieser Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts handelt davon, wie das Böse in die Welt kam, die nach ägyptischer Auffassung als „widerstandslose Selbstentfaltung des Guten“ konzipiert ist. Der Umschwung von der guten Schöpfung des Anfangs zum gegenwärtigen Zustand der ,gespaltenen Welt‘ geschieht durch eine Empörung der Menschen gegen den altgewordenen Sonnengott Re. Dieser sendet als Antwort auf die Rebellion keine Sintflut, sondern eine verheerende Feuersglut, die von seinem „Auge“ ausgeht, das als Erscheinungsform der Göttin Hathor agiert. Es wird allerdings nur ein Teil der Menschheit ausgetilgt; ein Rest überlebt aufgrund einer List des Re, der die Göttin durch blutrot gefärbtes Bier berauscht (Entschluß: V. 77–86) und so davon abhält, ihre Vernichtung zu vollenden (Ausführung: V. 87–91). Re verzichtet danach auf die irdische Herrschaft und zieht sich auf dem Rücken der Himmelskuh an den Himmel zurück, wo er die Erde im Zyklus von Tag und Nacht umkreist. Die Folgen der Rebellion sind für den Rest der Menschheit schmerzlich genug: „Vertreibung aus dem Paradies des Anfangs, wenn auch in ganz anderer Form als im Alten Testament, denn hier zieht sich Gott ins ,Exil‘ zurück, überläßt die Menschen ihrem gegenseitigen Streit und schaut nun aus der Höhe des Himmels auf sie herab. Den Menschen bleibt die Erde, aber sie gehen der anfänglichen Gemeinschaft mit Götterwesen verlustig, und nur der Tod … gibt ihnen die Möglichkeit, den in das Jenseits entrückten Göttern zu begegnen“ (Hornung, Himmelskuh, 76). Literatur: Hornung, Himmelskuh, ferner Janowski, Erinnerung, 193 f mit der dort genann-
ten Lit.
Q 66: Ägyptische Chaosbeschreibungen (vgl. oben 392) Auch in Ägypten begegnet der Licht/Finsternis-Gegensatz im Kontext von Weltuntergangsszenarien. Aus der Fülle des Materials seien nur einige relevante Textbeispiele angeführt.
Die Prophezeiung des Neferti In der Prophezeiung des Neferti (12. Dyn., 1976–1793 v. Chr.) wird von einem Priester namens Neferti eine Zeit des Unheils und eine Zeit des Heils geweissagt. Die Unheilszeit ist bestimmt durch chaotische Zustände in der Naturwelt (Ausbleiben der Sonne und des Wassers) und der Menschenwelt (Mord und Totschlag). Diese kosmische und soziale Katastrophe wird ausführlich geschildert und mit starken Bildern ausgestaltet, z. B.: (24) Dies Land wird zugrunde gerichtet, und niemand kümmert sich darum oder spricht (darüber) oder vergießt (deswegen) Tränen. (Denn) wie ist dieses Land? Die Sonne ist verhüllt
Q 66: Ägyptische Chaosbeschreibungen 619
(25) und leuchtet nicht, dass die Menschen sehen können; (aber) man kann nicht leben, wenn Wolken (sie) verhüllen, und jeder ist taub, (26) wenn sie nicht da ist. Ich will von dem sprechen, was mir vor Augen ist, ich sage nicht voraus, was nicht eintrifft. Ausgetrocknet ist der Strom Ägyptens, und man (27) geht zu Fuß hinüber. Man wird (vergeblich) Wasser suchen für das Schiff, damit es fährt, denn sein Weg ist zum Ufer geworden, und das Ufer (28) zur Flut; wo Wasser war, ist festes Land. Der Südwind wird mit dem Nordwind streiten, und der Himmel wird ein (29) einziger Sturm sein. (Neferti 24–29) Übersetzung: Hornung, Gesänge, 107 f, s. dazu auch TUAT 2 (1986–1991) 105 f (F. Kammerzell) und Janowski, Welt ohne Licht, 44 f.
Der Grund für diese Störung der natürlichen Ordnung liegt im Rückzug des Sonnengottes von der Welt der Menschen, womit die kosmische Katastrophe theologisch gedeutet wird: (51) … Die Sonne hat sich von den Menschen getrennt – Sie geht (zwar) noch auf zur richtigen Zeit, aber niemand weiß, (52) wann es Mittag ist, denn man nimmt seinen Schatten nicht mehr wahr. Kein Gesicht wird geblendet, das sie sieht, und kein Auge füllt sich mit Wasser, (53) denn sie steht am Himmel wie der Mond, auch wenn sie ihrem vorgeschriebenen Laufe folgt und ihre (54) Strahlen (uns) vor Augen sind, wie es immer war. (Neferti 51–54) Übersetzung: Hornung, Gesänge, 110, s. dazu auch TUAT 2 (1986–1991) 108 f (F. Kammer-
zell) und Janowski, Welt ohne Licht, 45 f.
Der Monolog des Allherrn Die 1. Zwischenzeit (7.–11. Dyn., 2166–2020 v. Chr.) war eine Epoche des wirtschaftlichen und politisch-sozialen Niedergangs. Dessen Ausmaß wird in den Mahnworten des Ipuwer in starken Bildern geschildert, in deren Mittelpunkt der Vorwurf an den Schöpfergott steht, die Welt und die Menschen unvollkommen und schlecht geschaffen zu haben. Eine Antwort darauf gibt der Schöpfergott Atum im Monolog des Allherrn (Sargtexte Spruch 1130), wobei er zu Beginn auf seine vier Schöpfungs-Wohltaten – Lebensatem, Nahrungsfülle, Chancengleichheit, Bezug zum Totenreich – hinweist und am Ende, den raumzeitlichen Horizont des Seins überschreitend (nach „Millionen Jahren“), von dem allgemeinen Durcheinander spricht, das die Schöpfungswelt befallen wird. Dann werden der Sonnenbereich des Schöpfers und der dunkle Jenseitsbereich des Osiris wieder zusammenfallen, wie vor der Schöpfung: Danach werde ich mit ihm (sc. Osiris) zusammen wohnen an einer einzigen Stelle. Die Hügel werden zu Städten,
620 Quellen zur Anthropologie der Antike die Städte werden zu Hügeln werden, ein Haus wird das andere zerstören. Übersetzung: Hornung, Gesänge, 126, s. dazu auch Janowski, Welt ohne Licht, 46.
Das Töpferorakel Auch in der Spätzeit (22.–31. Dyn., 945–322 v. Chr.) begegnet man ähnlichen Bildern. Dazu zählen die Weissagungen des Lammes (in demotischer Sprache) und das Töpferorakel (griechische Übersetzung aus dem Demotischen), wonach ein prophetischer Töpfer ein von einbrechenden Fremden verursachtes Chaos und dessen Überwindung durch einen Retterkönig ankündigt. Aus der Chaosbeschreibung sei ein charakteristischer Passus zitiert: (13) Weil der Nil Mangel leiden wird, wird die unfruchtbare Erde verdorben sein, wenn sie (die Saaten) aus ihrem Schoß entlässt. (14) Man wird über das Schick[sal] (?) trauern und sagen: „… unseliges (?) Ägypten, zu den Zeiten der Typhonier das Opfer fürchterlicher Übeltaten, die Jahr für Jahr gegen dich ersonnen sein werden. (17) Die Sonne wird blass werden, weil sie die Übel in Ägypten nicht sehen will. (18) Die Erde wird auf die Samenkörner nicht ansprechen. Ihre meisten werden vom Sturm zerstört sein. (20) [Dem Bauern werden für] alles, was er nicht besät hat, Abgaben abgefordert. (21) Man kämpft in Ägypten gegeneinander, weil man keine Nahrung hat. (22) Denn das, was man anbaut, wird [ein anderer ernten und sich davonmachen]. Übersetzung: TUAT.NF 4 (2008) 422 (L. Koenen / A. Jördens), s. dazu auch Janowski, Welt
ohne Licht, 46 f.
Q 67: Die Gotterfülltheit der Welt (vgl. oben 347.373) In der Sonnentheologie des Neuen Reichs (18.–21. Dyn., 1540–945 v. Chr.) begegnet sehr häufig der Topos von der ,Gotterfülltheit der Welt‘, der „nichts anderes (ist) als die theologische Ausdeutung des kosmischen Phänomens der Allgegenwart des Lichts. (…) Das Licht erschafft die begehbare Welt, die distinkten Konturen der Dinge, die geordnete Wirklichkeit, in der der Mensch sich orientieren kann“ (Assmann, Re, 110 f). Hier eine kleine Textauswahl: Jeder Weg ist voll deines Lichts. (Assmann, Re, 108) 10 15
Du bist das Licht, das für die Menschen aufgeht, die Sonne, die die Helligkeit gibt, um erkennen und unterscheiden zu lassen Götter und Menschen, wenn du dich zeigst. Jedes Gesicht lebt vom Anblick deiner Schönheit, aller Same entsteht, wenn du sie bestrahlst. Keiner ist, der ohne dich leben kann! Du leitest jedermann, indem sie zu ihrer Arbeit verpflichtet sind, du hast die Form ihres Lebens gebildet, nachdem du sichtbar wurdest. (Assmann, ÄHG2, 448)
Die Morgensonne, durch die man alle Dinge erkennen kann. (Assmann, Re, 111)
Q 69: Totenbuch Spruch 132 621
Du hast den Himmel in Besitz genommen mit seinen beiden Horizonten indem du erglänzt über dem Luftraum. Die Erde ist unter dir bis an ihr Ende, du hast sie ergriffen. (Assmann, Re, 111) Literatur: Assmann, Re, 108 ff, s. dazu auch ders., Ägypten, 68 ff; Janowski, Rettungsgewiss-
heit, 28.173 f und ders., „Himmel“.
Q 68: Das Harfnerlied Neferhotep I (vgl. oben 384) Der Topos von der Vergänglichkeit der Generationen und der Unvergänglichkeit des Kosmos (vgl. Pred 1,4) begegnet vor allem in den sog. Harfnerliedern des Neuen Reichs. Zitiert sei das Harfnerlied aus dem Grab Neferhoteps in Theben (Zeit Haremhabs, Ende 14. Jh. v. Chr.): Generationen vergehen seit der Zeit (3) des Gottes, Junge kommen an ihre Stelle. Re, er zeigt (4) sich am Morgen, Atum geht unter im Westberg. Männer zeugen, Frauen (5) empfangen, jede Nase atmet Luft. Der Morgen kommt, und alle ihre Kinder (6) treten an ihre Stelle. Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 907 (J. Assmann), s. dazu auch Assmann, Tag, 215 ff und
Uehlinger, Qohelet, 214 ff.
Q 69: Totenbuch Spruch 132 (vgl. oben 512) Die Frage nach einer Überschreitung der Todesgrenze hat die ägyptische Religion durch beeindruckende Diesseits/Jenseits-Bilder beantwortet. Dazu zählt vor allem der Topos von der ,Rückkehr ins Diesseits‘ (s. die Vignette zu Spruch 132 des Totenbuchs Abb. 131). J. Assmann hat diesen Topos anhand des Motivs vom „Herausgehen am Tag“ (pr.t m hrw) verdeutlicht, das das Dasein des Verstorbenen in Bildern vom Jenseitsleben des Grabherrn ausgestaltet (s. dazu Assmann, Tod, 285 ff). Es geht dabei nicht um die freie Beweglichkeit des Verstorbenen im Jenseits, sondern um die besondere Form eines Lebens nach dem Tod, die als ,Rückkehr ins Diesseits‘ konzipiert ist. Der in diesem Zusammenhang viel zitierte Spruch 132 des Totenbuchs lautet folgendermaßen: Spruch, einen Mann sich umwenden zu lassen, um sein Haus (wieder)zusehen. Ich bin der Löwe, der mit dem Bogen auszog, ich habe geschossen und habe gefesselt. Ich bin das Horusauge und habe das Horusauge ausgebreitet in dieser Zeit. Ich habe das Ufer in Frieden erreicht und ich bin dahingegangen, kein Tadel ist an mir gefunden, die Waage ist frei von meiner Verfehlung.
622 Quellen zur Anthropologie der Antike
Abb. 131: Besuch des Toten im Diesseits (Ägypten, 18. Dyn.) Übersetzung: Hornung, Totenbuch, 256 f, s. dazu Janowski, Konfliktgespäche, 258 ff und Assmann, Tod, 285 ff.299 ff.
𓇼
III. Mesopotamien 1. Lebensphasen Lebensalterstufen Q 70: Sultantepe-Tafel 400 (vgl. oben 48.49.83) In der neuassyrischen Sultantepe-Tafel 400 aus dem 7. Jh. v. Chr. werden die Alterszäsuren nach dem Zehnerschema angegeben: 40 (Jahre) sind das Beste des Lebens 50 Jahre sind ein kurzes Leben 60 sind ein reifes Alter 70 sind ein langes Leben 80 sind ein hohes Alter 90 Jahre sind ein extrem hohes Alter Übersetzung: Meinhold, Bewertung, 112. Zum Vergleich mit Mischna Avot 5,21 (s. Q 191) s. ders., aaO 112 f und Liess, „Jung“, 134.
Geburt und Namengebung Q 71: Atram-hasīs (vgl. oben 54.65.70.100)
˘
Nach der altbabylonischen Fassung des Atram-hasīs-Epos I 189–248 wird der erste Mensch ˘ aus der Substanz Lehm und dem Fleisch und Blut eines geschlachteten Gottes geschaffen (I 198 ff). Da dieser Mensch offenbar ein Einzelwesen war, ab Z. 272 aber von einem Paar (Gattin und Gatte) die Rede ist, muss es geteilt worden sein. Der Text lautet folgendermaßen: Es sitzt da [Belet-ili, der Mutter]leib. 190 „Der Mutterleib lasse fallen und erschaffe, dann soll der Mensch den Tragkorb des Gottes tragen!“
Q 71: Atram-hasīs 623 ˘
Sie (sc. die großen Götter) riefen die Göttin, fragten die Hebamme der Götter, die weise Mami: „Du bist der Mutterleib, der die Menschheit erschafft; 195 erschaffe den Urmenschen, dass er das Joch auf sich nehme! Er nehme das Joch auf sich, das Werk des Enlil; den Tragkorb des Gottes trage der Mensch!“ Nintu tat ihren Mund auf und sprach zu den großen Göttern: 200 „Mit mir (allein) ist es nicht zweckvoll, (etwas) zu tun; nur mit Enki zusammen gibt es ein Werk! Er nur reinigt Jegliches; er gebe mir den Lehm, dann will ich es tun!“ Enki tat seinen Mund auf 205 und sprach zu den großen Göttern: „Am Monatsersten, am siebenten und dem fünfzehnten Tage will ich die Reinigung veranstalten, ein Baden. Einen Gott soll man schlachten, dann mögen sich die Götter durch Eintauchen reinigen! 210 Mit seinem Fleisch und seinem Blut möge Nintu den Lehm überschütten; der Gott und der Mensch mögen beschmiert werden gemeinsam mit Lehm! Für alle zukünftigen Tage wollen wir die Pauke hören; 215 aus dem Fleisch des Gottes werde Edimmu! Den Lebenden lasse er kennen sein Zeichen, dann werde, um nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, Edimmu! In der Versammlung antworteten ein Ja die großen Anunna, 220 die die Schicksale betreuen. Am Monatsersten, am siebenten und dem fünfzehnten Tage veranstaltete er die Reinigung, das Baden. Geschtu᾽e, den Gott, dem Planungsfähigkeit eignet, schlachteten sie in ihrer Versammlung. 225 Mit seinem Fleisch und seinem Blut überschüttete Nintu den Lehm. Für all die zukünf[tigen Tage ………] [wurde nun] aus dem Fleisch der Götter Edi[mmu]. Den Lebenden mit seinem Zeichen machte er [bekannt]; 230 um nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, [trat ins Dasein] Edimmu. Als beide diesen Lehm überschüttet hatten, rief er die Anunna, die großen Götter. Die Igigu, die großen Götter, spieen Speichel auf den Lehm. 235 Mami tat ihren Mund auf und sprach zu den großen Göttern: „[Das] Werk hattet ihr mir befohlen, daher vollendete ich (es),
624 Quellen zur Anthropologie der Antike den Gott habt ihr geschlachtet mit seiner Planungsfähigkeit. 240 Eure schwere Mühsal schaffte ich damit ab; euren Tragkorb legte ich den Menschen auf! Ihr habt darauf der Menschheit Geschrei beschert; ich habe den Halsring gelöst, Lastenbefrei[ung bewirkt].“ Sie hörten diese [ihre (der Mami)] Rede, 245 liefen allenthalben hinzu, küss[ten ihre Füße]: „Früher pflegten wir dich Mami zu nennen, nun aber sei ,Herrin aller Götter‘ dein Name!“ Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 623 f (W. von Soden). Die Zeilen 246–248 sind nach Can-
cik-Kirschbaum, Reinigung, 146 ergänzt. Zur Interpretation s. noch Pettinato, Menschenbild, 42 f.45 f.102 f; Dietrich, „Seele“, 52 ff; ders., Dichotomie, 22 ff; ders., Geburtsritual, 28 ff.38 ff; Wilcke, Weltuntergang, 71 f und Zgoll, Welt, 42 ff.
In der spätbabylonischen Fassung des Epos (Atram-hasīs II 68 ff) werden die magischen ˘ Handlungen bei der Geburt des ersten Menschen viel ausführlicher dargestellt, s. dazu TUAT.NF 8 (2015) 138 f (K. Hecker): [……………] ihrer Brust. […………] …… der Bart; [……………] Wange des Mannes. 275 [In den Gär]ten und (auf) den Straßen [frei]ten einander die Gattin und ihr Gatte. [Die Mutter]leiber sind versammelt, [es sit]zt da Nintu, [zäh]lt die Monate. 280 [Im Haus] der Schicksale riefen sie aus den zehnten Monat. Der zehnte Monat kam, da schälte sie die Stangen ab, öffnete den Mutterleib. Hell strahlend und freudig war ihr Gesicht; 284 sie bedeckte ihren Kopf, tat den Hebammendienst. Ihre Hüften gürtete sie dann, segnet; sie zeichnete (einen) Mehl(kreis) und legte einen Ziegel hin. „Ich, ich habe geschaffen, meine Hände taten es; 290 die Hebamme möge sich im Hause der ‚Geweihten‘ freuen! Wo immer eine Gebärende gebiert, eine Mutter von Kindern selbst entbindet, möge neun Tage der Ziegel hingelegt werden; 295 geehrt werde (dadurch) Nintu, der Mutterleib!“ Mami, ihre [Schwe]ster, möge (be)nennen, sie … [……] den Mutterleib, lege hin die Matte! Bei [……] …, dem Aufstellen des Bettes, 300 mögen einander frei[en die Gat]tin und ihr Gatte! Zur Zeit der Gattin[schaft] und der Gattenschaft möge im Hause [………] … sich Ischtar freuen! Neun Tage lang [möge] ein Freudenfest gefeiert werden; die Ischtar [soll man dann anru]fen als Ischchara!
Q 72: Enūma eliš 625
305 In [……] …… , zum Zeitpunkt des Schicksals, […………] habt ihr für [mich] benannt. Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 625 f (W. von Soden, mit dem Kommentar 614 f), s. dazu
auch Dietrich, Geburtsritual, 36 f.
Q 72: Enūma eliš (vgl. oben 54) Während der Mensch nach Atram-hasīs I 198 ff aus dem Lehm und dem Fleisch und Blut ˘ eines geschlachteten Gottes geschaffen wird (s. Q 71), wird der lullû-Mensch in Enūma eliš VI 1–40 aus göttlichem Blut erschaffen: 1 Als Marduk die Rede der Götter hörte, trieb ihn sein Herz, kunstvolle Dinge zu schaffen. Er tat seinen Mund auf und sprach zu Ea, was er im Herzen erwogen hatte, gibt er zur Beratung: 5 „Ich will Blut sammeln und Knochen entstehen lassen, Lullû will ich erstehen lassen, sein Name soll ,Mensch‘ sein! Erschaffen will ich den Lullû, den Menschen, auferlegt sei ihm die Mühsal der Götter, auf dass sie Ruhe haben! Verändern und kunstvoll gestalten will ich die Wege der Götter: 10 Wie einer verehrt, sollen sie zweifach geteilt sein!“ Es antwortete ihm Ea und sprach ein Wort zu ihm, einen Plan, den Göttern Ruhe zu schaffen, trug er ihm vor: „Gegeben werde mir ein bestimmter Bruder von ihnen, dieser werde zerstört, auf dass Menschen geformt werden können! 15 Die großen Götter mögen sich mir versammeln, der Schuldige werde gegeben, sie, sie mögen weiterbestehen!“ Marduk versammelte die großen Götter, gütig befahl er und gab Anweisung. Auf das Auftun seines Mundes achteten die Götter. 20 Der König sprach ein Wort zu den Anunnaki: „Verlässlich war mir fürwahr eure frühere Zusage, sprecht (auch jetzt) verlässliche Worte mit mir! Wer war‘s, der den Streit erzeugte, Ti’āmat zur Aufruhr brachte und den Kampf begann? 25 Gegeben werde mir, der den Streit erzeugte, den will ich seine Strafe tragen lassen, ihr aber sitzet in Ruhe!“ Ihm antworteten die Igigi, die großen Götter, dem Lugaldimmerankia, dem König der Götter, ihrem Herrn: „Qingu war‘s, der den Streit erzeugte, 30 Ti’āmat zum Aufruhr brachte und den Kampf begann!“ Sie banden ihn und hielten ihn vor Ea fest. Sie legten ihm die Strafe auf und schnitten sein Blut durch. Aus seinem Blut erschuf er die Menschheit, legte (ihr) die Mühsal der Götter auf, die Götter stellte er frei. 35 Nachdem der weise Ea die Menschheit geschaffen,
626 Quellen zur Anthropologie der Antike (und) ihr die Mühsal der Götter auferlegt hatte, – dieses Werk ist zum Verstehen ungeeignet, (denn) mit den Künsten des Marduk schuf Nudimmud – teilte Marduk, der König der Götter, 40 die Anunnaki alle oben und unten. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 118 f (K. Hecker), s. dazu auch Pettinato, Menschenbild, 43 f.44 f.106 ff; Dietrich, „Seele“, 56 ff; Wilcke, Weltuntergang, 72; Frevel, Entstehung, 51; Zgoll, Welt, 46; Lambert, Creation Myths, 111 ff (mit dem Kommentar 478 f) und Gabriel, enūma eliš, 206 ff.
Q 73: Enūma eliš (vgl. oben 51) Nach Enūma eliš VI 129 f werden die Menschen als „beatmete Gestalt“ – oder besser: „lebende Gestalt“ – bezeichnet: 129 Der (sc. Marduk) den Menschen, die er geschaffen hat (banû), der beatmeten Gestalt (šikittu napšu), 130 die Mühsale der Götter auferlegt hat, die zur Ruhe gekommen sind. Übersetzung: Kämmerer / Metzler (Hg.), Enūma eliš, 272, vgl. TUAT.NF 8 (2015) 122 (K. Hecker, s. Q 72), s. dazu auch Bührer, Anfang, 210 Anm. 202 und TUAT.NF 8 (2015) 122
(K. Hecker, mit der Übersetzung „beseeltes Wesen“). Zur mesopotamischen Auffassung des Menschen als „Lebewesen“ s. Steinert, Aspekte, 22 ff.
Q 74: KAR 4-Mythos (vgl. oben 54) Nach dem in sumerischer und akkadischer Sprache überlieferten KAR 4-Mythos wird der Mensch durch die Vermischung des Fleisches und Blutes zweier Alla-Götter mit Lehm erschaffen. Der Sinn seiner Erschaffung besteht darin, den Göttern die Arbeit abzunehmen (vgl. auch Q 94): Als Himmel und Erde, die beiden fest gegründeten, getrennt worden (und), die Muttergöttinnen ins Dasein getreten waren, als die Erde errichtet, die Erde erschaffen worden war, setzten sich Anu, Enlil, Schamasch und Ea, die großen Götter, (und) die großen Anunnaki-Götter im erhabenen Hochsitz und unterhielten sich unter s[ich] „Was wollen wir machen, was wollen wir erschaffen?“ (…) Die großen Götter, die anwesend waren, die Anunnaki, die das Schicksal bestimmen, sie alle antworteten Enlil: „Im Uzumua, dem Band von Himmel und Erde, wollen wir die Alla-Gottheiten schlachten (und) aus ihrem Blut die Menschheit erschaffen. Das Arbeitspensum der Götter sei ihr Arbeitspensum! Auf ewige Tage den Grenzgraben festzusetzen, Hacke und Tragkorb in ihre Hand zu legen, die große Wohnung der Götter für einen erhabenen Hochsitz geeignet zu machen, Flur an Flur (zu planen), auf ewige Tage den Grenzgraben festzusetzen, den Deich herzurichten, den Grenzgraben festzusetzen, das Grundstück zu bewässern, Pflanzen gedeihen zu lassen, (…) das Feld der Anunnaki wachsen zu lassen, Überfluss im Land zu vermehren, die Feste der Götter vollkommen zu machen, kühles Wasser zu opfern …“ Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 606 f (K. Hecker), s. dazu auch Pettinato, Menschenbild,
74 ff; Wilcke, Weltuntergang, 72.79 f; Krüger, Mensch, 614 und dies., Lob, 292 f.
Q 76: Assyrisch-babylonische Königsinschriften 627
Q 75: Geburtsbeschwörung (vgl. oben 70) Die akkadische Geburtsbeschwörung YBL 4603,1–27 fand Verwendung in der Geburtshilfe. Asalluhi, ein männlicher Gott, der später mit Marduk gleichgesetzt wurde, sieht und ˘ begleitet den Geburtsvorgang. Ab Z. 18 tritt möglicherweise die göttliche Hebamme Mami auf, die dem Fötus den Weg aus dem Mutterleib weist: Aus dem Wasser des Kopulierens entstand der Knochen, aus dem Fleisch der Sehnen entstand das Kind. Aus dem Wasser der wütenden See, der furchtbaren, aus dem Wasser des weiten Meeres, wo das Kind an seine beiden Händen gebunden ist, in dessen Tiefe das Auge der Sonne nicht hinleuchtet, da sah es Asalluhi, der Sohn des Ea. ˘ Seine verknoteten Fesseln löste er; bereitete ihm den Weg, öffnete ihm den Pfad. „[Ge]öffnet ist dir der Weg, zug[ewiesen] der Pfad! Dir zur Hilfe ist anwesend die …, die das [B]lut erschafft, uns alle erschafft. Dem Türschloss befahl sie, es ist (jetzt) gelöst, [bes]eitigt sind [deine] Riegel, aufgestoßen deine Türen. [Nicht] soll dich treffen [ein Übel]! Wie einen Liebling bring dich heraus! Übersetzung: TUAT.NF 4 (2008) 72 f (K. Hecker), s. dazu auch Keel / Schroer, Schöpfung, 111; Volk, Dunkel, 81 f; Grohmann, Fruchtbarkeit, 63 f und Kunz-Lübcke, Leben, 257 f.
Alter und Tod Q 76: Assyrisch-babylonische Königsinschriften (vgl. oben 84) Das Motiv der Sättigung des Lebens mit reicher Nachkommenschaft und einem langen Leben ist nicht nur in ägyptischen Texten (s. Q 17), sondern auch in vielen neuassyrischen und neubabylonischen Texten belegt, z. B.:
Asarhaddon (681–669 v. Chr.) (17) Das Greisenalter (šibutu) möge ich erreichen, (18) Nachkommenschaft erlangen (19) und mich an einem wonnereichen Leben (20) sättigen … (21) Ich möchte (königlicher?) Ausstatter sein. (22) Möge ich meine Familie erweitern, (23) meine Hausgemeinschaft fest zusammenhalten (24) und zahlreiche Nachkommenschaft bekommen; (25) mögen sie (oder: ich möge?) grünen und blühen.
Assurbanipal (669–627? v. Chr.) Durch die Kraft (?) deines treuen Schreibgriffels (?) möge ein Leben langer Tage von deiner Lippe herausgehen. Das Wandeln in Ê-zida möge vor deiner Gottheit meine Füße altern lassen.
628 Quellen zur Anthropologie der Antike Mir, Assurbanipal, der deine (Var.: ihre) große Gottheit fürchtet, schenke ein Leben langer Tage (und) Wohlbefinden des Herzens und das Wandeln im Ê-mašmaš möge meine Füße altern lassen.
Adad-guppi (Mutter Nabonids) (33) Meine Urgroßenkel – gesund bis in die 4. Generation – (34) erlebte ich, während ich (mein) Lebensalter genoss. O Sin, du König der Götter, zum Guten (35) sahst du mich an und machtest meine Tage lang: Nabonid, den König von Babylon, (36) meinen Sohn, vertraue ich dem Sin, meinem Herrn, an. Solange er lebt, (37) soll er sich nicht gegen dich versündigen! Den guten Schedu- und den guten Lamassu-Dämon, die du mit meinem (Schutz) (38) betrautest und die mich zu hohem Alter gelangen ließen, (39) betraue (auch) (38) mit seinem (Schutz)!
Nabonid (556–539 v. Chr.) Bewahre mich, Nabonid, König von Babel, vor Sünde gegen deine große Gottheit, verleihe mir Leben für ferne Tage! Schenke auch Belsazar, meinem erstgeborenen leiblichen Sohne, Furcht vor deiner großen Gottheit in sein Herz! Er möge keine Sünde auf sich laden. Er möge sich sättigen an Lebensglück. Übersetzungen: Asarhaddon: R. Borger, Die Inschriften Asarhaddons, Königs von Assyrien (AfO.B 9), Graz 1956, 26. – Assurbanipal: Streck, Assurbanipal, 274 f, Nr. 11, 15–18 und 276 f, Nr. 11, 16–18, zitiert nach Neumann-Gorsolke, „Alt“, 117.128. – Adad-guppi: TUAT 2 (1986–1991) 483 (K. Hecker). – Nabonid: TUAT I (1982–85) 406 (R. Borger). Zu den zitierten Texten s. auch Liess, Sättigung, 334 f mit Anm. 26 (dort weitere Texte).
Q 77: Gebet an den Mondgott Sîn (vgl. oben 84) In dem babylonischen Ritual mit Gebeten an den Mondgott Sîn K. 6018+ Rs. Z. 3 findet sich die folgende Bitte um Lebenssättigung: [An der Füll]e des Lebens möge ich satt werden! Übersetzung: Mayer, Gebetsbeschwörungen, 531, vgl. Liess, Sättigung, 335 Anm. 26.
2. Leibsphäre Übergreifendes Q 78: Körperteilbezeichnungen (vgl. oben 148) Auch in akkadischen Keilschrifttexten gibt es zahlreiche Belege für die gestisch-funktionale Bedeutung von Körperteilen und Organen, s. dazu die Beispiele für Gesicht, Auge, Ohr, Mund, Zunge, Lippe, Hand, Arm, Fuß, Bein, Knie, Schoß u. a. bei Steinert, Körperauffassungen, 73 ff (mit der Liste 76 f).
Q 80: Physiognomische Omina 629
Q 79: Zu akk. napištu „Leben“ (vgl. oben 55) Hat akk. napištu die Bedeutung „Seele“? Ausgehend von dem Ištar/Baghdad-Hymnus Groneberg, Lob der Ištar, 112 (s. den Nachweis bei Janowski, næpæš, 81 Anm. 29) wird von Dietrich, Dichotomie, 19 ff u. a. für akk. napištu „Kehle, Leben“ (vgl. hebr. næpæš) die Bedeutung „Seele“ angenommen und damit eine Dichotomie von „Leib“ und „Seele“ behauptet. Hier klagt der leidgeprüfte Beter folgendermaßen: Warum, Ištar, soll nicht länger währen das (: mein) Leben? Ich bin total erschöpft: Bis wann, Ištar, dauert noch die Vorenthaltung der Erlösung? Ausgestreckt sind meine Arme in Klagen, 80 im Wind fliegt meine Seele (napištu) davon wie ein Vogel! (Dietrich, aaO 31 f) An diese Übersetzung knüpft Dietrich eine weitreichende These: „Der Beter spürt, dass sein Kräfte, das Leid zu ertragen, schwinden. Er fürchtet, dass sein napištum ,Lebensodem‘, hier im Sinne von ,Seele‘ (sic!), seinen Leib verläßt und wie ein Vogel davonfliegt. Das Bild des Vogels für seine Seele verbindet die in Mesopotamien verbreitete Vorstellung, dass eine Gottheit die Möglichkeit hat, sich wie ein Vogel in der Vertikalen fortzubewegen. Das Bild des Vogels für die ,Seele‘ erinnert an die landläufige Vorstellung, dass der etemmu ,Totengeist‘ vogelgestaltig durch die ˙ Totenwelt schwebt …“ (ders., aaO 32) Eine alternative Übersetzung von napištu hat demgegenüber Streck, Klage, 308 vorgeschlagen: 77 Zu wenig ist mir, Ištar, nicht lang genug das Leben. 78 Ich bin müde geworden, Ištar. Bis wann noch? Löse mir mein Dahinschwinden. 79 Ausgestreckt sind meine Hände, zitternd meine Arme. 80 Im Wind ist mein Leben (napištu) wie ein Vogel aufgestiegen. In dem Vogelbild von Z. 80 ist deshalb eine Metapher für Vergänglichkeit, d. h. für das – im buchstäblichen Sinn – entschwindende Leben zu sehen. Davon, dass napištu zeige, dass „die Dichotomie zwei Elemente miteinander verbindet, von denen der ,Leib‘ dem Verfall preisgegeben, todgebunden war, die ,Seele‘ dagegen unsterblich“ (Dietrich, aaO 33), kann jedenfalls keine Rede sein, s. dazu ausführlicher Steinert, Aspekte, 271 ff; dies., Menschenbild, 59 ff; Janowski, næpæš, 81 f und Müller, „Seele“,138 ff.
Einzelaspekte Q 80: Physiognomische Omina (vgl. oben 152) In den physiognomischen Omina der Serie šumma alamdimmû „Wenn die ausgeprägte Gestalt“ (Mitte 2. Jt. v. Chr., Redaktion im 11. Jh. v. Chr.) werden in den Vordersätzen (Protasis) Aussagen über den männlichen / weiblichen Körper gemacht, die in den Nachsätzen (Apodosis) zu bestimmten Urteilen über den Charakter oder das Verhalten des Betreffenden führen, z. B.:
630 Quellen zur Anthropologie der Antike 1 2
Wenn die Haarwirbel auf dem Kopf eines Mannes nach rechts gedreht sind, dann sind seine Tage kurz (d. h. er wird 50 Jahre alt). Wenn die Haarwirbel auf dem Kopf eines Mannes nach links gedreht sind, dann sind seine Tage lang (d. h. er wird 70 Jahre alt).
Wenn (auf der Stirn) das IGI‑Zeichen gezeichnet ist: Zufriedenheit. Wenn es (sc. das Gesicht) rot ist, ist er ein Gottesmann, wird er reich werden, wird er den Reichtum anwachsen lassen. [Wenn] sein rechtes Auge zusammengekniffen ist, ist er ein Lügner […]. Wenn seine Ober- und Unterlippe zusammengekniffen ist, wird er reich werden, redet und spricht immer wieder Gemeinheiten aus. Zitiert nach Berlejung, Körperkonzepte, 302.310.324.325.
Q 81: Handerhebungsgebet Ištar 2 (vgl. oben 175.180) Die mesopotamische Gebetsliteratur ist voll von Aussagen über die Ängste und Depressionen der Beter und Beterinnen. Einschlägig ist etwa das jungbabylonische Handerhebungsgebet (šu-ila) Ištar 2 aus der 1. Hälfte des 1. Jt.s v. Chr., das sich in eine Invokation (Z. 1–41), ein dreiteiliges Bittgebet (Z. 42–55.56–92.93–100) und eine Benediktion (Z. 101–105) gliedert. Für unsere Fragestellung ist vor allem die Selbstvorstellung des Beters relevant, die in Z. 42 mit betontem „ich“ einsetzt und in Z. 42–44 (vgl. Z. 53–55) an die Invokation (Z. 40 f) anknüpft: 42 Ich rufe dich an, dein ermüdeter (anhu), völlig ermatteter ˘ (šūnuhu), schwerkranker (šumrusu) Knecht! ˘ ˙ 43 Sieh mich an, meine Herrin, und nimm an mein Flehen! 44 Fest schaue auf mich und höre mein Gebet! Dieses Flehen des Kranken („dein Knecht“) nach Zuwendung der Göttin („meine Herrin“), die ihn ansehen und erhören möge, umrahmt die Bitten um das Erlösungswort „Genug!“ in Z. 45–50 und die Bitte um die Beruhigung von Ištars Zorn (Z. 51 f). Hier finden sich mit den körperbezogenen Wendungen „mein kläglicher Leib, der voll ist von Verwirrungen und Trübungen“ (Z. 46), „mein schwerkrankes Herz, das voll ist von Tränen und Seufzen“ (Z. 47), „mein Gemüt, das ausharrt unter Tränen und Seufzen“ (Z. 50) explizite Hinweise auf das physische und psychische Leiden des Beters, die im zweiten Teil des Bittgebets (mit den beiden Hälften Z. 56–80 und 81–92) durch die sozialen Aspekte seiner Not (Z. 77 f) noch gesteigert werden. So heißt es in der ersten Hälfte (Z. 56–80): 65
Ich schwanke wie eine Woge, die ein böser Wind aufpeitscht. Es flattert mein Herz, fliegt hin und her wie ein Vogel des Himmels. Klagelaute stoße ich aus wie eine Taube nachts und am Tage. ,Glühend‘ bin ich und weine laut. Unter Weh und Ach ist schwerkrank mein Gemüt.
Q 81: Handerhebungsgebet Ištar 2 631
Ich habe gesehen, meine Herrin, verfinsterte Tage, verdunkelte Monate, Jahre des Kummers. Ich habe gesehen, meine Herrin, (Straf-)Gericht, Verwirrung und Aufruhr. Es hält mich fest Tod (mūtu) und äußerste Pein (šapšāqu). 75 Totenstarr (šuharruru) ist mein Schrein, totenstarr (šuharruru) ist ˘ ˘ mein Heiligtum. Über (meinem) Haus, Tor und Flur lastet Totenstille (šaqummatu). Mein Gott – zu einem anderen Ort ist gewandt sein Gesicht. Zerstreut ist meine Sippe, mein Obdach aufgelöst. Die Abwendung des göttlichen Angesichts, beschwört die ,unheile Welt‘ der Finsternis und des Todes herauf. Typisch für depressives Verhalten sind dabei Wendungen und Bilder von Ruhelosigkeit und Jammer (62 f.64–66), von Dunkelheit und Kummer (Z. 72), von Verwirrung und Aufruhr (Z. 73), von Bewegungsunfreiheit (Z. 74) und Totenstille (Z. 75 f). Besonders plastisch bringen die drei Vergleiche in Z. 62–64 die Notlage des Beters zum Ausdruck: – er schwankt wie eine Woge, die ein böser Wind aufpeitscht – sein Herz flattert und fliegt hin und her wie ein Vogel des Himmels – er klagt wie eine Taube nachts und am Tage Dann heißt es, dass er (vor Fieber) glüht, laut weint und unter Weh und Ach klagt (Z. 65 f). Zu Beginn der zweiten Hälfte des mittleren Bittgebets (Z. 81–92) kommt es schließlich zum Doppelwunsch nach einer „Lösung“ der Sünde und der Annahme des Flehens (Z. 81 f) sowie zu drei Bitten um die Rückkehr ins Leben (Z. 83 f): 81 Löse meine Schuld, meine Untat, meine Sünde, mein Vergehen! 82 Achte für nichts meine Sünden, nimm an mein Flehen! 83 Lockere mir meine Fesseln, meine Lastenbefreiung setze fest! 84 Leite gerade (ešēru Št) meinen Schritt, strahlend (namriš), fürstlich (etelliš) mit den Lebenden will ich gehen die Straße! Lockerung der Fesseln, Entlastung von Sünde, gerade Leitung des Schritts – mit diesen drei Bestimmungen wird die erhoffte Rückkehr in die Gemeinschaft der „Lebenden“ (Z. 84) eindrücklich ins Bild gesetzt und gleichzeitig den Todesbildern von Z. 74–76 gegenübergestellt. Dabei konkretisieren die beiden Adverbien „strahlend“ (namriš) und „fürstlich“ (etelliš) diese Rückkehr im Blick auf die psychosomatische und die soziale Situation des Beters und bilden somit eine Brücke zu den Aussagen von Ps 38,7 ff.10 ff. Während mit dem Adverb etelliš „fürstlich“ das soziale Ansehen gemeint ist, das dem Beter durch die Zuwendung des göttlichen Angesichts zuteil werden möge, wird mit dem Adverb namriš „strahlend“ auf das Wortfeld zurückgegriffen, das für das Wirken Ištars charakteristisch ist und mit dem das wiedererlangte Leben des Beters qualifiziert wird (vgl. Z. 35.54 f). Beide Qualifikationen – das „strahlende“ und „fürstliche“ Gehen des Beters „mit den Lebenden“ – sind nach Z. 84 die Folge eines Handelns der Göttin, nämlich ihrer geraden Leitung (ešēru Št „in Ordnung bringen / halten, gerade leiten“), das bereits in der Invokation gepriesen wird:
632 Quellen zur Anthropologie der Antike 25 Den Rechtsspruch über die Beherrschten in Recht und Gerechtigkeit (kittu u mīšaru) fällst du, (ja) du, 26 du blickst auf den Leidenden und Misshandelten, du leitest ihn gerade (ešēru Št) Tag für Tag (vgl. Z. 2) Entsprechend der mit ešēru(m) „gerade sein, geradeaus gehen“ zum Ausdruck gebrachten Bewegung, wonach „man nicht vom Weg abweicht, keine Umwege macht und auf dem richtigen Weg zum Ziel ist“ (Lämmerhirt, Wahrheit, 337), wird die Göttin dem Beter, wie er hofft, Recht schaffen und sein Leiden beenden oder, wie Z. 41 gleichsam definitorisch formuliert: „Es wird gerade der Ungerade (iššir lā išaru), wenn er dein Antlitz sieht“. Wenn das geschieht, ist das Leben, das in totaler Unordnung war (vgl. Z. 62–78), wieder „normal“ oder „in Ordnung“. Übersetzung: Zgoll, Kunst des Betens, 50.51.52.92 f, s. zur Interpretation dies., aaO 69 ff;
Zernecke, Klage, 169 ff, ferner Janowski, Konfliktgespräche, 63 ff und ders., Selbst, 92 ff. Speziell zur Bedeutung von mīšaru „Gerechtigkeit“ und von ešēru „gerade sein, geradeaus gehen“/ešēru Št „veranlassen, dass sich etwas in rechter Bahn / in rechter Weise bewegt, in Ordnung bringen“ s. Janowski, Richter, 90 f.92.93 f und umfassend Lämmerhirt, aaO 337 ff.397 f.725 ff.
Q 82: Das „Bann-Lösungs“-Ritual BAM 234 (vgl. oben 180.188) In der Gebets- und Ritualliteratur Mesopotamiens gibt es anschauliche Schilderungen depressiver Personen, die an Schlaf- und Essstörungen leiden. Zu ihnen gehört das namérim-búr-ru-da-Ritual BAM 234, das von einem Mann handelt, der seinen ganzen Besitz verloren hat, und das das Verfahren beschreibt, wie der Betroffene von seinem „Bann“ (māmītu) gelöst werden konnte: (1)Wenn einem Mann ein mihru entgegengestellt ist, er aber nicht [weiß], dass er es ˘ entgegennahm, (2) (wenn dieser Mann) beständig und immer wieder Schaden und Verlust erleidet; (wenn er) einen Verlust an (den Zahlungsmitteln) Gerste und Silber [erleidet]; (3–4) (wenn er) einen Verlust an (den Arbeitskräften) Knecht und Magd (erfährt); (wenn) Rinder, Pferde und Kleinvieh, Hunde, Schweine und Menschen gleichermaßen immer wieder zu Tode kommen (und) er immer wieder das Selbstvertrauen verliert (nämlich): (5) Anweisung geben, ohne dass dem willfahren wird; Rufen, ohne dass geantwortet wird; sich dem Begehren, das die Leute (formulieren), bereit[stellen]; (6) (wenn) er in seinem Bett immer wieder in Schrecken gerät (und) Lähmungszustände bekommt; (wenn) sein Wandel ihn nicht nahe bringt dem Gott und dem Kö[nig]; (7) (wenn) während er unter Völlegefühl leidet, seine Gliedmaßen immer wieder „hingeschüttet“ sind, (und) er das ein und das andere Mal aufschreckt; (8) (wenn) er bei Tag und bei Nacht nicht schlafen kann; (wenn) er immer wieder schreckliche Träume sieht (und) Lähmungszustände bekommt; (9) (wenn) er, während er kaum zu essen und zu trinken vermag, das, was er sagt, (gleich) wieder vergisst. Was diesen Mann anbetrifft: Der Zorn von Gott und Göttin ist ihm immer wieder auferlegt. (10–12) Sein (persönlicher) Gott (und) seine (persönliche) Göttin sind zornig mit ihm. Für diesen Mann (gilt): an der „Hand des Bannes“, an der „Hand des Gottes“, an der „Hand der Menschheit“, an der „Krankheit des Zusammengekehrten“ ist er erkrankt.
Q 84: Ludlul bēl nēmeqi 633
Die Schuldenlasten des Vaters und der Mutter, des Bruders und der Schwester, der Familie, des Geschlechtes (und) der Sippe packten ihn. Um davon zu entbinden, so dass die ihm (anhaftenden) Verfinsterungen nicht [an ihn] Hand anlegen können. (in Z. 13–77 folgen die Ritualanweisungen) Übersetzung: TUAT.NF 5 (2010) 137 (St.M. Maul), s. dazu auch Ritter / Wilson, Prescrip-
tion, 23 ff; Stol, Suffering, 65 f; Maul, Lösung, 79 ff; ders., Wissenskultur, 8 ff, ferner Kruger, Gefühle, 245 f und Janowski, Selbst, 111 ff. – Worterklärungen: Ein mihru (Z. 1) ist „ein mit ˘ magisch kontaminierten Stoffen versehenes Objekt …, das auf denjenigen, der mit ihm in Kontakt kommt, ,Unheil‘ überträgt, welches dann in Unglück, Krankheit und Tod Gestalt annimmt“ (TUAT.NF 5 [2010] 137 Anm. 314 [St.M. Maul]). – Das Wesen der als „Bann“ (māmītu) bezeichneten Krankheit bestand in einer „massiven Störung zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern“ (TUAT.NF 5 [2010], 135 [St.M. Maul]). Sie war im vorliegenden Fall so massiv, dass sie zu „Verfinsterungen“ (adiratu Z. 12) führte, die dem Kranken anhafteten, und die sich in Symptomen wie fehlendes Selbstwertgefühl, Erfolglosigkeit, Schreckerlebnisse, Lähmungserscheinungen, Schlaf- und Eßstörungen, Vergesslichkeit u. a. äußerten, vgl. Z. 5–9.
Q 83: Enūma eliš (vgl. oben 166) In Enūma eliš IV 87–90 wird die wütende Reaktion Ti᾽āmats auf die gegen sie gerichtete und von Marduk rhetorisch eingeführte (Z. 77–86) Sintflut mit drastischen Körperbildern geschildert: 87 Als Ti᾽āmat dies höret, 88 geriet sie in Raserei, ihren Verstand verlor sie. 89 Ti᾽āmat schrie wütend, laut, 90 bis untenhin zitterten in gleicher Weise ihre Glieder. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 109 (K. Hecker).
Q 84: Ludlul bēl nēmeqi (vgl. oben 514) Wie in allen vorderorientalischen Kulturen kommen auch in Mesopotamien individuelle und soziale Aspekte der Person „durch Termini zum Ausdruck, die sich auf die individuelle physische Erscheinung beziehen. Insbesondere fällt das Wort simtu ,(eigene) Wesensart‘ ins Auge, das neben Ausdrücken für Gestalt, Gesichtszüge (bunnanû, zūmu) gebraucht wird, aber auch in einem weiteren Wortfeld erscheint, das positive Kräfte und Charakteristika wie ,Würde, Ausstrahlung‘, ,Lebenskraft‘, ,Attraktivität‘ (bāštu, dūtu) und die persönlichen Schutzgottheiten des Einzelnen (šēdu und lamassu) umfaßt“ (Steinert, Person, 72 f). Ein besonders markantes Beispiel ist das Weisheitsgedicht Ludlul bēl nēmeqi („Ich will preisen den Herrn der Weisheit“) aus dem 1. Jt. v. Chr., in dem es in Taf.I 41–48 folgendermaßen heißt:
Seit dem Tag, an dem der Herr mich strafte, der Held Marduk sich über mich erzürnte, hat mein Gott mich verlassen und ist verschwunden, hat meine Göttin (mich) vernachlässigt und sich entfernt,
634 Quellen zur Anthropologie der Antike 45 hat sich der Schutzgeist (šēdu) des Guten von meiner Seite verflüchtigt, hat sich meine Schutzgöttin (lamassu) erschreckt und einen anderen (ausgesucht). Weggenommen ist meine attraktive Erscheinung (bāštu), mein männliches Aussehen (dūtu) verfinstert, meine Wesensart (simtu) wurde abgetrennt und sprang fort wie ein Schutzschirm. Übersetzung: Steinert, Person, 73.
Die folgenden Zeilen (I 49 ff) beschreiben dann den sozialen Abstieg des Protagonisten, der wegen einer Intrige seine Stellung am Hof verliert, besitzlos und von seiner Umgebung (Stadt, Freunde, Familie) verachtet wird. In Taf. I 105–120 schildert der leidende Gerechte seine Angstreaktion mit starken Körperbildern: 105 Der Tag war nur ein Sichabquälen, die Nacht Wehklage, der Monat ein bekümmertes Schweigen, Trübsal das Jahr. Wie eine Taube klage ich alle meine Tage; [statt] eines Liedes lasse ich meine Klage laut werden. Durch ständiges Weinen sind … meine Augen; 110 durch das Waschen mit Tränen sind meine Wangen brandrot geworden. Immer wieder geschwärzt hat mein Gesicht die Verfinsterung meines Herzens; meine Haut machten immer wieder gelb Erschrecken und Schrecken. [Mein ganzes In]neres erbebte immer wieder durch ständiges Erschrecktwerden; [……] …… wie durch eine Fieberrötung. 115 [Wie ein] brandwirkender Feuerpfeil ist geworden die Lügenrede gegen mich; [……] (und) wilder Streit waren meine Gebete. [Die Worte] meiner Lippen waren wie eine Lanze schroff, [was immer] ich sagte: ein Riegel waren meine Gegenreden. Aufmerken möchte ich am Morgen, dass mir dann Gutes zum Heil werde, 120 ein Monat könnte mir Änderung bringen, dass die Sonne mir leuchtete! Übersetzung: TUAT 3/1 (1989) 120 f (W. von Soden), s. dazu auch Mayer, Tätigkeiten, 327.
Am Ende der Passage Taf.II 60–83, die von Krankheiten berichten, die seinen ganzen Körper befallen, sagt der Ich-Erzähler: 83 Ich hatte mein Selbst (ramanu) nicht mehr. Übersetzung: Steinert, Person, 75 Anm. 80. Anders TUAT 3/1 (1989) 126: „ich habe mich
selbst nicht (in der Hand)“ (W. von Soden). Und später, in Taf.II 114, heißt es:
114 Geöffnet ist das Grab, bereit liegen die Grabbeigaben für mich. Übersetzung: TUAT 3/1 (1989) 126 (W. von Soden). – Zum Gesamttext und seinen anthro-
pologischen Aspekten s. Cassin, splendeur divine, 128 ff; Steinert, Aspekte, 420 ff und dies., Person, 73 ff. Zum Begriff ramanu „Selbst“ s. Steinert, aaO 257 ff u.ö und Kipfer, David, 155 Anm. 28.
Q 85: Assyrisches Lamaštu-Amulett 635
Q 85: Assyrisches Lamaštu-Amulett (vgl. oben 188) Einen authentischen Einblick in die mesopotamische Welt der Krankheit bietet das berühmte Lamaštu-Amulett aus Assyrien (8./7. Jh. v. Chr., Abb. 132), wonach sich der Kranke dem Wirken dämonischer Kräfte ausgesetzt sah und auf die kämpferische Überwindung der bösen durch die guten Mächte hoffte. Im Hintergrund dieser und ähnlicher Darstellungen steht ein spezifisches Konzept von Krankheit und Heilung, das auf der engen Korrelation von magisch-religiösen und medizinisch-therapeutischen Aspekten basiert und das sich besonders durch seine weltbildhafte, auf das Verhältnis zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern ausgerichtete Dimensionierung auszeichnet.
Beschreibung des Amuletts Im mittleren Register (III) sieht man, wie der Kranke – ein erwachsener Mann – auf seinem Lager liegt und seine Hände zu den großen Göttern erhoben hat, die im oberen Register (I) mit ihren Symbolen dargestellt sind: Anu (Hörnermütze), Ea (Widderkopf),
Abb. 132: Assyrisches Lamaštu-Amulett (8./7. Jh. v. Chr.)
636 Quellen zur Anthropologie der Antike Adad (Blitzbündel), Marduk (Grabstock), Nabu (Schreibzeug), Ištar (Venusstern), Šamaš (Flügelsonne), Sîn (Mondsichel) und Sebettu (Siebengestirn). Am Kopf- und Fußende seines Bettes agieren zwei in Fischmasken gekleidete Beschwörungspriester (āšipu) mit Reinigungsgefäßen, in die sie offenbar Pflanzenbüschel eintunken, um den Kranken damit zu besprengen. Das Ganze spielt sich – wie die brennende Öllampe links zeigt – wohl nachts ab. Was die Szenerie bedeutet, ergibt sich aus dem unteren Register (IV): Die Fieberdämonin Lamaštu mit Löwenkopf, doppelköpfigen Schlangen in jeder Hand und den unreinen Tieren Schwein und Hund an ihren Brüsten wird vom Dämon Pazuzu bedroht und aus der Umgebung des Kranken auf einem Boot auf die Reise über den Ulaja-Fluß und das Meer geschickt (V). Sie kniet auf einem Onager (eine Art Wildesel), der in einem Schilfboot mit hochgezogenen Tierprotomen steht. Der Gestus der Vertreibung (erhobene Rechte) wird im zweiten und im dritten Register (II und III) von Tiermasken tragenden Kultaktanten mitvollzogen und so verstärkt. Über den oberen Rand des Amuletts schaut der Kopf des apotropäischen Dämons Pazuzu („Packer“), der noch einmal auf dem unteren Register erscheint, wie er die Fieberdämonin vertreibt. Wichtig ist der kosmische Aspekt der Darstellung. Denn der Fall des Kranken zieht „weite Kreise auf Erden, in zwei unteren und einem oberen Weltbereich (früher wurde vom ‚Hadesrelief ‘ gesprochen), setzt Bewegungen in Gang, die im Sozialen, im Kultisch-Rituellen beginnen und die ganze belebte Welt berühren, Götter, Dämonen, löst Kämpfe im Zwischenbereich aus, wo die Geister um den Kranken streiten, und erst der Einsatz der oberen Weltkräfte durch die Ea-Priester vermag ihn zu retten“ (Seybold / Müller, Krankheit, 24 [Seybold]). Literatur: Seybold / Müller, Krankheit, 23 f (Seybold); Keel, Bildsymbolik, 68 ff; Keel / Staubli, „Flügel“, 52; Pezzoli-Olgiati, Gegenwelt, 387 ff und Schroer, IPIAO 4, 826 f. Ausgewählte Lamaštu-Beschwörungen: TUAT 2 (1991) 257–260 (W. Farber).
3. Sozialsphäre Generationenbeziehungen Q 86: Sumerische Königsliste (vgl. oben 134.464) Die Sumerische Königsliste aus dem Anfang des 2. Jahrtausends v. Chr. (?) enthält die Namen von 140 Herrschern, die über das ganze Land der zwei Ströme geherrscht hätten und einander chronologisch gefolgt seien. Diese Liste ist in mehreren Redaktionen überliefert und hat unter Sinmagir von Isin (um 1760 v. Chr.) ihre abschließende Form erhalten. In der Herrscherfolge erscheint die Sintflut als markante Trennungslinie. Zwar haben auch die ersten Fürsten nach ihr noch übermenschliche Regierungszeiten, diese werden aber von den Jahreszahlen der vorsintflutlichen Könige bei weitem übertroffen. Acht Herrscher aus fünf Städten regierten insgesamt 241.200 Jahre. Der Anfang der Liste (Z. 1–41) nennt acht Herrscher, die bis zur Flut regierten: Als das König[tum] vom Himmel heruntergekommen war, war das Königtum 〈in〉 [Eri]du. 〈In〉 Eridu (wurde) Alulim König; er regierte 28.800 Jahre. Alalgar regierte 36.000 Jahre. Zwei Könige regierten 〈dort〉 64.800 Jahre. Eridu (ver)fiel, sein Königtum wurde nach Badtibira gebracht. In Badtibira regierte Enmenluanna 43.200 Jahre. Enmengalanna regierte 28.800 Jahre. Dumuzi, der Hirte, regierte 36.000 Jahre. Drei Könige regierten dort 108.000 Jahre. Badtibira (ver)fiel, sein Königtum wurde 〈nach〉
Q 88: Vergleichstexte zum Elterngebot 637
Larak gebracht. In Larak regierte Ensipazianna 28.800 Jahre. Ein König regierte dort 28.800 Jahre. Larak (ver)fiel, sein Königtum wurde nach Zimbir gebracht. 〈In〉 Zimbir wurde Enmenduranna König; er regierte 21.000 Jahre. Ein König regierte dort 21.000 Jahre. Zimbir (ver)fiel, sein Königtum wurde 〈nach〉 Schuruppag gebracht. 〈In〉 Schuruppag wurde Ubartutu König; er regierte 18.600 Jahre. Ein König regierte dort 18.600 Jahre. Fünf Städte sind es. Acht Könige regierten dort 241.200 Jahre. Die Sturmflut fuhr darüber hinweg (!). Nachdem die Sturmflut darüber hinweggefahren war, (war) das Königtum, als das Königtum vom Himmel heruntergekommen war, 〈in〉 Kisch … Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 330 (W. H.Ph. Römer).
Q 87: Dialog zwischen Schulaufseher und Absolvent (vgl. oben 129) Das mesopotamische Bildungsziel lässt sich mit dem Begriff des „Menschseins“ im Sinn von lat. humanitas zusammenfassen. Bezeichnend dafür das in sumerischer Sprache gehaltene Streitgespräch zwischen einem jungen Schreiber und seinem Aufseher. Erziehung wird hier ausdrücklich als „ein Prozeß fortschreitender Wandlung und Vervollkommnung begriffen“ (Volk, Edubba᾽a, 27): 50 Seit ich klein war, hast du mich geprüft, meinen (Lebens-)Wandel genau beobachtet, 51 hast ihn wie schönes Silber geläutert. Dabei gab es keine Grenzen. Übersetzung: Volk (Hg.), Erzählungen, 114 (mit dem Kommentar 420 [Volk]), s. dazu auch
ders., Edubba᾽a, 1 ff und Wilcke, Konflikte, 10 ff.
Q 88: Vergleichstexte zum Elterngebot (vgl. oben 137) Nach altorientalischen Vergleichstexten aus dem 2. und 1. Jt. v. Chr. bedeutet die angemessene „Ehrung“ der Eltern deren Versorgung mit Nahrung und Kleidung bis zum Tod. „Eingeschlossen ist darin ein respektvoller Umgang, Verzicht auf Prozesse gegen die E.(ltern), Verteidigung gegen Fremde und Hilfeleistungen … Im E.(ltern)gebot geht es also um die Sicherung einer umfassenden Altersversorgung“ (Albertz, Art. Eltern / Elterngebot, 533 f): CT 2,35 (Erbschaftsvertrag) 1–2 3–8 9–14 15–18
Erbvertrag der Tabni-Ištar, Tochter des Nabi-Sin. Belessunu, Tochter des Nur-ilišu, ihres Bruders – Solange Tabni-Ištar lebt, wird Belessunu Tabni-Ištar respektvoll behandeln (kubuttu) und sie in Ehren halten (palāhu). ˘ Wenn sie ihr Respekt erweist, (gehört) das Haus im Gagûm und all ihr Besitz, soweit er im Gagûm ist, der Belessunu. Bei Šamaš, Marduk und Sumu-la-el (schworen sie), dass sie den Inhalt dieser Urkunde nicht ändern wollen.
JEN 59 (Adoptionsvertrag) 1–4
Adoptionsvertrag des Hanadu, Sohn des Kuššija. ˘ Hutija, seinen Kompanion / Bruder hat er adoptiert. ˘
638 Quellen zur Anthropologie der Antike 5–11 Folgendermaßen (hat) Hanadu (erklärt): ˘ „Alle Felder, alle Häuser, alle Güter, mein Erbteil, das Kuššija, mein Vater, mir gegeben hatte, gebe ich jetzt hiermit – (indem) ich meinen Anspruch aufhebe – an Hutija (meinen Bruder).“ ˘ 12–13 Solange Hanadu lebt, wird Hutija ihn respektvoll behandeln (palāhu). ˘ ˘ ˘ 14–18 Hutija wird Jahr für Jahr ein Gewand zu seiner Bekleidung, 5 imēru Gerste ˘ (und) 2 imēru Weizen zu seiner Ernährung an Hanadu geben. ˘ 19–23 Wenn Hanadu stirbt, wird Hutija ihn beweinen und begraben. ˘ ˘ 24–25 Folgendermaßen (hat) Hanadu (erklärt): ˘ „Meine Erbschaftsurkunde habe ich an Hutija ausgehändigt.“ ˘ HSS 19,1 (Testament) 1–3 4–6 7–9a 9b–14a 14b–15
Testament des Zige, Sohn des Tamarta᾽e. Letztwillige Verfügungen hat er für seine Frau Tataja getroffen. Über seine Kinder Alla᾽idurahe, Tallili und Teššuperwe hat Zige ihr die ˘ Vaterstellung übertragen. Solange Tataja lebt, werden Kibta᾽e und Puhišenni (sie) respektvoll ˘ behandeln (palāhu). ˘ Wenn Tataja stirbt, werden Alla᾽idurahe, Tallili und Teššuperwe, Kibta᾽e ˘ und Puhišenni, alle fünf, das Erbe (unter sich) aufteilen. ˘ Wenn Tataja, die Frau des Zige, ausziehen sollte, werden sie ihr die Kleider abreißen und sie fortjagen.
RS 8.145 (Schenkungsurkunde) 1–3 4–11 14–23 24–26
Einleitung der Erklärung des Jarimanu Aufzählung der Güter, die er seiner Frau Bidawa schenkt. Nun meine beiden Söhne Jatlinu, der erstgeborene, (und) Janhamu, der ˘ zweitgeborene, – derjenige von beiden, der in einem Prozeß gegen Bidawa auftritt und der Bidawa, ihre Mutter, verächtlich behandelt (qullulu [vgl. Ex 21,17!]), muss 500 Šeqel Silber an den König zahlen und muss sein Gewand an den Türriegel hängen und sich auf die Straße begeben. Aber dem von beiden, der seine Mutter Bidawa in Ehren hält (kubuttu), dem wird sie (die geschenkten Güter) vererben.
KAR 300 Rs 7 (Sprichwort) Wenn ein Mann seinen Vater nicht ehrt (palāhu), geht er schnell zugrunde. ˘ BWL 102 (Mahnung)
Gib Brot zu essen und Bier zu trinken, erfülle jeden Wunsch, versorge und halte in Ehren (kubuttu)! Darüber freut sich eines jeden Gott …
Übersetzung: Albertz, Hintergrund, 169 ff, s. dazu auch Otto, Altersversorgung, 83 ff und
Maul, Alter, 27 ff.
Q 90: Kodex Hammurapi 639
Geschlechterverhältnis Q 89: Kodex Hammurapi (vgl. oben 168) Der in der Regierungszeit König Hammurapis von Babylon (1792–1750 v. Chr.) entstandene Kodex Hammurapi kennt offenbar das Recht der freien Partnerwahl für die Frau (§§ 137.156.172). Die Bestimmungen sprechen dabei von einem „Ehemann nach ihrem Herzen“. Zitiert sei § 137: Wenn ein Bürger beabsichtigt, eine šugītu-Priesterin, die ihm Kinder geboren hat, oder eine nadītu-Priesterin, die ihn Kinder hat bekommen lassen, zu verstoßen, so soll man dieser Frau ihre Mitgift zurückgeben und ihr die Hälfte des Feldes, des Baumgartens und der Habe geben, und sie wird ihre Kinder großziehen; nachdem sie ihre Kinder großgezogen hat, soll man ihr von allem, was ihren Kindern gegeben worden ist, einen Anteil wie dem einzelnen Erbsohn geben, und ein Ehemann nach ihrem Herzen mag sie heiraten. Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 59 (R. Borger), vgl. 61.64.
Q 90: Kodex Hammurapi (vgl. oben 122) Im Kodex Hammurapi gibt es bemerkenswerte Sachparallelen zu den Inzestverboten von Lev 18,6–18 und Lev 20,10–21. Ebenso wie bei den Hethitischen Gesetzen §§ 189 ff (s. Q 116) handelt es sich nicht um literarische Abhängigkeit der alttestamentlichen von den altbabylonischen Bestimmungen, sondern um Sachanalogien: § 154 Wenn ein Bürger seine Tochter (geschlechtlich) erkennt, soll man diesen Bürger aus der Stadt verjagen. § 155 Wenn ein Bürger für seinen Sohn eine Schwiegertochter auswählt und sein Sohn sie erkennt, er selbst aber nachher in ihrem Schoß liegt und man ihn dabei ertappt, so soll man diesen Bürger fesseln und ins Wasser werfen. § 156 Wenn ein Bürger für seinen Sohn eine Schwiegertochter auswählt und sein Sohn sie noch nicht erkannt hat, er selbst aber in ihrem Schoß liegt, so soll er ihr eine halbe Mine Silber zahlen, und alles, was sie aus dem Hause ihres Vaters mitgebracht hat, soll er ihr voll erstatten, und ein Ehemann nach ihrem Herzen mag sie heiraten. § 157 Wenn ein Bürger nach dem Tode seines Vaters im Schoße seiner Mutter liegt, so soll man sie beide verbrennen. § 158 Wenn ein Bürger nach dem Tode seines Vaters im Schoße seiner „Großen“, die Kinder geboren hat, ertappt wird, so soll dieser Bürger aus dem Vaterhause verstoßen werden. Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 61 f (R. Borger), s. dazu auch Hieke, Levitikus (HThK.
AT), 658 f. Zum altbabylonischen Eherecht s. Manthe (Hg.), Rechtskulturen, 92 f (H. Neumann).
640 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 91: Akkadisches Gilgamesch-Epos (vgl. oben 106) In Tafel IV des akkadischen Gilgamesch-Epos aus nachaltbabylonischer Zeit, in der der Weg von Gilgamesch und Enkidu zum Zedernwald geschildert wird, findet sich in Kol.VI ein Passus, der öfter als Sachparallele zu Pred 4,10 und 12 herangezogen wird. Dabei dürfte es sich kaum um literarische Abhängigkeit des alttestamentlichen vom mesopotamischen Text, sondern eher um „eine gebrochene Vermittlung“ (Uehlinger, Qohelet, 183) handeln. Der Passus kann so verstanden werden, dass Gilgamesch dem Enkidu vor dem Angriff auf Humbaba Mut zuspricht: 3//23 4//24 5//25 6//26
„Eine rutschige Stelle [……………] Zwei Drillinge […………]. Ein dreifaches Seil [kann nicht zerrissen werden], ein starker Löwe (und) seine zwei Jungen [sind unbesiegbar].“
Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 693 (K. Hecker), s. dazu auch Uehlinger, Qohelet, 181 ff und
Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 301 f.
Aspekte der Ethik Q 92: Neuassyrische Vasallenverträge (vgl. oben 169.557) In den Vasallenverträgen Asarhaddons mit medischen Fürsten (681–669 v. Chr.) verpflichtet der Großkönig seine Vasallen dazu, den Kronprinz und seinen Nachfolger Assurbanipal (669– ca. 630 v. Chr.) zu „lieben“, d. h. ihm gegenüber loyal zu sein: (266) Wenn ihr Assurbanipal, den Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“, (267) den Sohn Asarhaddons, Königs von Assyrien, Eures Herrn, (268) nicht wie eure Seelen liebt, (269) wenn ihr gegenüber Assurbanipal, dem Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“, (270) seine Brüder, die Söhne seiner Mutter, verleumdet, (271) Ungutes über sie redet (usw.) … (414) So möge Assur, der König der Götter, der die Geschicke bestimmt, ein böses, ungutes Geschick (415) euch bestimmen, das Erreichen eines hohen Alters, (416) das Erlangen eines sehr hohen Alters möge er euch nicht bescheren. Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 166.169 (R. Borger), vgl. auch den Vertrag Assurniraris
V. (755–745 v. Chr.) mit Mati᾽ilu von Arpad TUAT 1 (1982–1985) 156 f (R. Borger), s. dazu Hieke, Levitikus (HThK.AT), 732.
Q 93: Counsels of Wisdom 41–45(vgl. oben 169.229) In den Counsels of Wisdom, einem aus mehreren Fragmenten bestehenden Weisheitstext in akkadischer Sprache (1. Jt. v. Chr.), begegnet die Mahnung, dem persönlichen Feind wohlgesonnen zu sein und nicht Böses mit Bösem zu vergelten: 41 Mit dem, der Streit mit dir sucht, verfeinde dich nicht (noch mehr), 42 dem, der dir Böses antut, vergilt mit Gutem! 43 Dem, der dir übel will, halte die Gerechtigkeit entgegen! 44 Deinem Feind begegne dein Sinn strahlend (freundlich), 45 ist er aber ein Neider, dann gib ihm überreichlich […]! Übersetzung: TUAT 3/1 (1990) 165 (W. von Soden).
Q 94: Atram-hasīs und Enūma eliš 641 ˘
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Arbeit Q 94: Atram-hasīs und Enūma eliš (vgl. oben 242) ˘
Im Unterschied zur biblischen Urgeschichte hat die Kulturarbeit des Menschen in den mesopotamischen Schöpfungsepen eine andere Bedeutung, insofern die Menschen dazu geschaffen sind, den Göttern die Arbeit (dullum) abzunehmen und „sie durch Kultivierung des Landes und den darauf beruhenden Opferkult am Leben zu erhalten. Götter und Menschen bilden also einen einzigen, kosmischen Haushalt“ (Krebernik, Schöpfungsmythen, 157). Der „Tragkorb“ (šupšikum), von dem in den Texten die Rede ist, ist der auf dem Kopf getragene Tragkorb für Ziegel, Erde, Arbeitsgeräte und gleichzeitig ein bildlicher Ausdruck für schwere Fronarbeit (s. Abb. 133). So heißt es in Atram-hasīs I: ˘ Als die Götter (auch noch) Menschen waren, trugen sie die Mühsal, schleppten den Tragkorb. Der Götter Tragkorb war groß, die Mühsal schwer, viel Beschwerden gab es. 5 Die großen Anunnaku wollten die nur sieben Igigu (allein) die Mühsal tragen lassen. 21 [Die Götter begannen Flüsse zu] graben, [Kanäle öffneten sie, das] Leben für das Land. 37 [Die Igigu, 25]00 Jahre lang die übergroße [schwere Ar]beit trugen sie Nächte und Tage. [Sie füh]ren Klage und äußern Beschimpfungen. 65 An ihre Spaten legten sie Feuer, den Brand an ihre Tragkörbe. Es sitzt da [Belet-ili, der Mutter]leib. 190 „Der Mutterleib lasse fallen und erschaffe, dann soll der Mensch den Tragkorb des Gottes tragen!“ Sie (sc. die großen Götter) riefen die Göttin, fragten die Hebamme der Götter, die weise Mami: „Du bist der Mutterleib, der die Menschheit erschafft; 195 erschaffe den Urmenschen, dass er das Joch auf sich nehme! Er nehme das Joch auf sich, das Werk des Enlil; den Tragkorb des Gottes trage der Mensch!“ Und im jungbabylonischen Weltschöpfungsepos Enūma eliš VI 129 f (vgl. Q 72): 129 Der (sc. Marduk) den Menschen, die er erschuf, dem beseelten Wesen, 130 die Mühsal der Götter auflegte, damit diese Ruhe erhielten. Übersetzung: TUAT 3/4 (1994) 618 ff.623 (W. von Soden) und TUAT.NF 8 (2015) 122
(K. Hecker), s. dazu Albertz, Kulturarbeit, 1 ff; Krüger, Mensch, 614 ff; dies., Lob, 293 f und Zgoll, Welt, 42 ff.51 ff.
642 Quellen zur Anthropologie der Antike Noch Assurbanipal (669–um 630 v. Chr.) lässt sich in der Rolle eines königlichen Korbträgers für seinen Herrn, den Gott Marduk, darstellen (s. Abb. 133), s. dazu Keel / Schroer, Schöpfung, 139 mit Abb. 125; Krüger, Mensch, 616 ff und Schroer, IPIAO 4, 864 f.
Abb. 133: Assurbanipal als Korbträger (7. Jh. v. Chr.)
Rechts- und Vertragswesen Q 95: Kodex Hammurapi (vgl. oben 262) Ebenso wie Am 8,5 kennt der aus den späteren Regierungsjahren des Königs Hammurapi (1793–1750 v. Chr.) stammende Kodex Hammurapi Manipulationen an Getreidemaßen und Gewichtsstein. In § 73 wird dieses Vergehen wie folgt geregelt: (1) Wenn ein Kaufmann Getreide oder Geld (2) auf Zinsen gibt (3) und, wenn er es auf Zinsen gibt, (4) das Geld mit zu kleinem Gewichtsstein (5) bzw. das Getreide mit zu kleinem Messgefäß (6) hingibt, (7) bei der Rücknahme (8) das Geld mit [zu großem] Gewichtsstein (9) bzw. das Getreide [mit zu großem Messgefäß] (10) zurücknimmt, so geht [der Kaufmann] (11) all dessen, [was er gegeben hat] (12) verlustig. Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 54 (R. Borger), s. dazu auch Kessler, Kornhändler, 271.
Q 97: Gebetshaltungen 643
Q 96: Vasallenverträge Asarhaddons (vgl. oben 557) Die Liebe im Sinn von „Gefolgschaftstreue“ ist ein Topos des altorientalischen Vertragswesens. Neben den altaramäischen Verträgen aus Sfire (s. Q 131) ist dafür auf neuassyrische Vertragstexte hinzuweisen, von denen als Beispiel aus dem Vertrag Asarahaddons (681–669 v. Chr.) mit medischen Fürsten VTE § 24,266–282 zitiert sei: Wenn ihr Assurbanipal, den Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“, den Sohn Asarhaddons, Königs von Assyrien, eures Herrn, nicht wie eure Seelen liebt, wenn ihr gegenüber Assurbanipal, dem Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“, seine Brüder, die Söhne seiner Mutter, verleumdet, Ungutes über sie redet, eure Hände gegen ihre Haushalte erhebt, euch an ihnen versündigt, von der Gabe, die Asarhaddon, König von Assyrien, ihr Vater, ihnen gegeben hat, und vom Erwerb, den sie selbst erworben haben, (etwas) wegnehmt, wenn die Gabe an Feldern, Häusern, Baumgärten, Leuten, Gerät, Pferden, Mauleseln, Eseln, Rindern oder Schafen, die Asarhaddon, König von Assyrien, seinen Söhnen gegeben hat, ihnen nicht zur Verfügung steht, nicht ihr Eigentum bleibt, wenn ihr nicht zu ihren Gunsten vor Assurbanipal, dem Kronprinzen vom „Nachfolgehaus“ sprecht, wenn sie nicht vor ihm stehen und sich mit euch zusammentun können … Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 166 f (R. Borger), s. dazu auch Rüterswörden, Liebe, 235, der Texte wie diesen zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von Dtn 6,5 zählt.
5. Kult, Ritus und Gebet Q 97: Gebetshaltungen (vgl. oben 303)
Abb. 134: Beterfigur aus Tell Asmar (3. Jt. v.Chr) Seit der Frühdynastischen Zeit II (ca. 2700–2600 v. Chr.) haben die Sumerer ihre Gottheiten bzw. deren Kultbilder mit überdimensionierten und weit geöffneten Augen angeschaut und angebetet. Sehr eindrücklich ist die Beterfigur aus Tell Asmar / Iraq (Abb. 134), die den Beter vor der Gottheit vertreten soll. Literatur: Janowski, Gott, 93, s. zur Sache auch Keel, Bildsymbolik, 287.
644 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 98: Lied zum monatlichen Neujahrsfest (vgl. oben 309) Die Funktion von Musikinstrumenten als Medien des Gotteskontakts erhellt z. B. aus einem Kultlied zum Ritus der Heiligen Hochzeit der Göttin Inanna / Ištar mit dem König Iddindagān von Isin (ca. 1974–1954 v. Chr.). Dort heißt es in dem Passus zum monatlichen Neumondfest: Dass monatlich am Neulichttag die ‚göttlichen Kräfte‘ vollkommen gemacht werden, versammelten sich zu ihr die Götter des Landes Sumer, (und dann) werden sich davor die großen Anunna verbeugen, 30 sie stehen dabei mit Gebeten (und) Flehen, sprechen gleichzeitig zu ihr die (Für)bitte für alle Fremdländer. Meine Herrin fällt gehörig den Rechtsspruch für das Land Sumer, [Inanna] triff[t mit] Enlil die Entscheidung [für] das Land Sumer, ihre ‚Schwarzköpfigen‘ treten vor sie hin. Das 2. ki-ru-gú ist es. 35 Die al-gar-Trommel aus Edelmetall schlagen sie ihr, treten vor die reine Inanna hin, zur großen Herrin des Himmels, Inanna, will ich: ‚Sei gegrüßt!‘ sprechen! Die reine ùb-Trommel, die reine li-li-ìs-Trommel schlagen sie ihr, treten vor die reine Inanna hin, 40 zur großen Herrin des Himmels, Inanna, will ich: ‚Sei gegrüßt!‘ sprechen! Die reine Harfe, die reine li-li-ìs-Trommel spielen sie ihr, treten vor die reine Inanna hin, zur großen Tochter Suens, Inanna, will ich: ‚Sei gegrüßt!‘ sprechen! Das 3. ki-ru-gú ist es. Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 661 f (W. Ph. Römer), s. dazu Hartenstein, „Wach auf “,
113 f. Zum mesopotamischen Musiksystem und zu den mesopotamischen Musikinstrumenten s. Staubli, Musik, 40 ff (D. Shehata); Hickmann u. a., Art. Musik, 516 f (K. Volk) und dies. u. a., Musikinstrumente, 536 ff (K. Volk).
Q 99: Zweisprachiges Gebet an Marduk (vgl. oben 509) Das aus Ps 6,6; 88,11–13; 115,17 f; Jes 38,18 f und Sir 17,28 f bekannte Argument, dass die Toten Gott nicht loben bzw. toter Staub kein Gewinn für die Gottheit ist, findet sich auch in der mesopotamischen Gebetsliteratur, und zwar in dem zweisprachigen (altbab./jungbab.) Gebet an Marduk AfO 19,57,67–69: 67 Wer zu Staub wurde – was ist sein Gewinn? 68 Nur ein lebendiger Diener kann seinen Herrn verehren. 69 Was kann toter Staub / ein toter Gefährte für den Gott vermehren? Übersetzung: W. Sommerfeld, Der Aufstieg Marduks (AOAT 213), Neukirchen-Vluyn 1982,
133, s. dazu auch Seux, Hymnes, 172 f, der bereits auf Ps 30,10 als Parallele hingewiesen hat (175 Anm. 28) und Janowski, Dankbarkeit, 297 Anm. 124.
Q 101: Der König als Tempelerbauer 645
Q 100: Spätbabylonischer Hymnus auf Ninurta (vgl. oben 373) Zum Rettungshandeln Gottes in Ps 36,7 („Mensch und Tier rettest du, JHWH!“) gibt es eine interessante Sachparallele in einem spätbabylonischen Hymnus auf den Gott Ninurta, der nicht nur den Schwachen und Demütigen, sondern auch den (Wild-)Tieren in der Not hilft: 21 Der …‑Vogel, den der Fänger gefesselt (und) dem er die Flügel gebunden hat: 22 o Herr, der den Göttern hilft, ihn setzt du noch aus dem Käfig in Freiheit. 23 Die Gazelle, die das Fangnetz bedeckt hat und die in der Falle niedergeschlagen ist: 24 o allerhöchster Vater, der die Anrufungen hört, auf deinen Befehl schlüpft sie aus dem engen Maschenwerk heraus (und) läuft davon. 25 Der an der Peripetie (lebende) Wildesel, den man eingekreist hat und dem der Fluchtweg versperrt ist: 26 o Herrscher seiner Erzeuger, ihm schaffst du weiten Raum, so dass er davonlaufen und (einen) Weg einschlagen kann. Übersetzung: Mayer, Hymnus, 30 (mit dem Kommentar 36 f), s. dazu auch Janowski, Tiere,
25 Anm. 85. Mayer, aaO 18, der zum Vergleich auf Hi 39,5 hinweist (aaO 18 Anm. 3), kommentiert den Passus Z. 21–26 folgendermaßen: „Es findet sich hier nicht einfach der – im Alten Orient verbreitete – Gedanke, dass die Gottheit auch die wild, d. h. ohne Beziehung zum Menschen lebenden Tiere beherrscht und versorgt, sondern es geht um Wildtiere, die der Mensch gefangen hat und nun für seine Zwecke verwenden will: selbst in diesem Fall, so der Dichter, steht dem Tier ein – modern gesprochen – Recht auf Leben in Freiheit zu, zu dem ihm der Gott, auch auf Kosten des Menschen, verhilft. Wenn ich recht sehe, ist dieser Gedanke im Alten Orient einmalig.“
6. Königsideologie Übergreifendes Q 101: Der König als Tempelerbauer (vgl. oben 453) Im Unterschied zu Ex *25–40, wonach die Israeliten die Erbauer des Heiligtums sind, ist nach den mesopotamischen Tempelbauberichten der König der Tempelerbauer. Als Beispiel sei die Sitzfigur des Stadtfürsten Gudea von Lagasch (ca. 2144–2124 v. Chr.) mit einem von ihm erstellten Bauplan auf den Knien (s. Abb. 135) sowie seine große Tempelbauhymne angeführt. Danach hatte der Hauptgott Ningirsu von Girsu (Tello) Gudea im Traum den Gott Ninduba (den Herrn der Tafel) sehen lassen, der eine Tafel aus Lapislazuli in der Hand hielt und auf diese den Grundriss des Tempelhauses eingravierte. Der Gott Ningirsu ist der Bauherr, der Gott Ninduba der Architekt und der Fürst Gudea von Lagasch ausführendes Organ. Er hat, wie die Sitzfigur zeigt, den Bauplan gezeichnet, aber im Auftrag der Gottheit:
646 Quellen zur Anthropologie der Antike
Abb. 135: Sitzfigur des Gudea von Lagasch (Ur III‑Zeit) 2 Desweiteren war dort ein Held. 3 Er beugte den Arm (und) hielt eine Lapislazulitafel in der Hand. 4 Darauf legte er den Plan des Hauses. (Zylinder A V 2–4) Übersetzung: TUAT.NF 7 (2013) 14 (S. Paulus), vgl. Falkenstein / von Soden, SAHG, 142;
Keel, Bildsymbolik, 13; Volk (Hg.), Erzählungen, 123 f (W. Heimpel) und Janowski, „Sinai“, 26.
Q 102: Der König als „Bild Gottes“ (vgl. oben 425) Während die sumerische Religion die Vorstellung von der Gottebenbildlichkeit noch nicht kennt, ist sie in babylonisch-assyrischen Texten mehrfach belegt. Zwar bieten auch diese Texte keinen Beleg für die Vorstellung, der Mensch / die Menschen sei(en) als / zum Bild eines Gottes erschaffen worden, dafür aber die Auffassung, dass der König – z. T. auch der Beschwörungspriester – das „Ebenbild, Abbild“ (muššulu), die „Statue, Figur“ (salmu, vgl. ˙ hebr. sælæm) oder der „Schatten“ (sillu) des Gottes sei. Der älteste salmu-Beleg findet sich ˙ ˙ ˙ in einer Siegeshymne auf Tukulti-Ninurta I. (1244–1208 v. Chr.), die den König als „bleibendes Bild (salmu) des Enlil“ bezeichnet. Die Hauptbelege stammen aus neuassyrischer ˙ Zeit, und zwar aus Briefen von Hofastrologen und Beschwörungspriestern an Asarhaddon (681–669 v. Chr.) und Assurbanipal (669–629 v. Chr.), z. B.:
Brief des Beschwörungspriesters Adad-šumu-u᾽ur an Asarhaddon Der König, der Herr der Länder (= der Welt), das Bild / die Statue (salmu) ˙ des Šamaš (ist) er!
Q 103: Die universale Herrschaft des neuassyrischen Königs 647
Brief des Beschwörungspriesters Adad-šumu-u᾽ur an Assurbanipal Was (das betrifft, dass) der König, mein Herr (= Assurbanipal) mir schrieb: ‚Ich habe gehört aus dem Mund meines Vaters (= Assarhaddon), dass ihr eine loyale Familie seid – doch jetzt weiß ich es aus meiner (eigenen) Erfahrung!‘ – – der Vater des Königs, meines Herrn (= Assarhaddon), das Bild (salmu) des (Gottes) Bēl (war) er ˙ und der König, mein Herr (= Assurbanipal) (ist) das Bild (salmu) des (Gottes) Bēl. ˙
Omen aus der Bibliothek Assurbanipals Wenn der Mond im Monat Šabāt (am) 14. Tag oder (am) 15. Tag vor der Sonne nicht erscheint – Hochwasser, ein gewaltiges, wird kommen, die Ernteerträge werden gering. Der Apkallu der Weisheit Bēl, der Barmherzige, der Held des Marduk, (ist) in der Nacht erzürnt, am Morgen hat er sich (wieder) geklärt. König der (gesamten) Welt, das Bild (salmu) des Marduk (bist) du! ˙ Zu Herzen werden wir, deine Knechte, wenn du zornig bist, den Zorn des Königs, unseres Herrn, uns nehmen, und das Wohlwollen des Königs werden wir (wieder) schauen. Für was (sind wir denn) Diener (des Königs)? Literatur: Podella, Lichtkleid JHWHs, 254 ff; Angerstorfer, Ebenbild, 47 ff; Groß, Statue, 15 ff;
Janowski, Statue Gottes, 149 ff und Neumann-Gorsolke, Herrschen, 181 ff.
Q 103: Die universale Herrschaft des neuassyrischen Königs (vgl. oben 427) Zu den Herrschaftsaussagen von Gen 1,26.28 gibt es eine Analogie in der neuassyrischen Königsideologie. Denn der universale Aspekt von Herrschaft kommt in vergleichbarer Weise auch in der neuassyrischen Königsideologie zum Ausdruck, wenn der König dort nicht nur als „König der Gesamtheit“ oder als „König der vier (Welt-)Gegenden“, sondern – mit dem dem hebräischen Verb rādāh „herrschen“ verwandten akkadischen Verb redû „dirigieren, leiten; regieren“ konstruiert – auch als „Der die Länder überall lenkt“ (murteddû kalîš matāte) bezeichnet wird. So heißt es in einer Selbstprädikation Salmanassars III. (858–824 v. Chr.): Salmanassar, der König der Gesamtheit der Menschen, der Fürst, der Stadtfürst Assurs, der mächtige König, der König der vier Weltteile allzumal, der Sonnengott der Gesamtheit der Menschen, der die Länder überall lenkt (murteddû kalîš matāte). Wie dieser Text zeigt, ist eine Kompetenz des Sonnengottes auf den König übergegangen, der diese als sein lebendes „Bild“ (salmu) in seinem politischen und sozialen Handeln ver˙ wirklicht. Wenn man nach der Bedeutung dieses Materials für das Verständnis von rādāh in Gen 1,26.28 fragt, so dürfte der entscheidende Vergleichspunkt darin bestehen, dass
648 Quellen zur Anthropologie der Antike akk. redû(m) + Subj. Gott / König mit einem Objekt verbunden wird, das eine räumliche Gesamtheit („alle Länder“) oder – wie in Gen 1,26b („… damit sie herrschen über die Fische des Meeres usw.“) und in 1,28b („… und herrscht über die Fische des Meeres usw.“) – eine Totalität von Lebewesen („Menschheit“, „Lebewesen [Menschen / Tiere]“) bezeichnet. Über ihnen steht der König, der seine Herrschaftskompetenz über die Gesamtheit der Welt / Lebewesen ausübt. Schematisch lässt sich das folgendermaßen darstellen:
Israel
Mesopotamien
Gen 1,26.28: rādāh „herrschen“ + Subj. Mensch + Obj. Tiere
redû G/Gtn „leiten regieren“ + Subj. Gott / König + Obj. Menschen / Länder
Taxonomie der Tierwelt
Totalitätsaussagen
3 Fische des Meeres 1 Vögel des Himmels 2 Vieh etc. der Erde
Gesamtheit der Menschen „alle Länder“ 1 Himmel 2 Erde 3 Meer
Abb. 136: Zum Verständnis von hebr. rādāh und akk. redû Literatur: Janowski, Statue Gottes, 158 ff. Zu der mit Gen 1,26.28 vergleichbaren Taxonomie der Weltbereiche in neuassyrischen Texten s. Q 108.
Einzelaspekte Q 104: Bestimmungen für Witwen und Waisen (vgl. oben 263) Wie in Ägypten (s. Q 58) wird die Fürsorge für Witwen und Waisen auch in mesopotamischen Texten als Aufgabe des Königs deklariert. Am häufigsten begegnet dieser Topos in Rechtstexten (Urukagina, Kodex Urnammu, Kodex Hammurapi), z. B.: Die Kinder (= Bürger) von Lagaš, die in Zins lebten, von …, von … der Gerste, von Diebstahl (und) von Mord reinigte er. Ihre Freiheit setzte er. Dass er die Witwe und die Waise dem Mächtigen nicht ausliefern werde, darüber ging mit Ningirsu Uru-KA-gina eine Verpflichtung ein. (Urukagina) Die Waise wird dem Reichen nicht preisgegeben. Die Witwe wird dem Mächtigen nicht preisgegeben. Der 1-Scheqel-Mann wird dem 1-Pfund-Mann nicht preisgegeben. Der 1-Schaf-Mann wird dem 1-Rind-Mann nicht preisgegeben. (Kodex Urnammu A 162–170) Übersetzung: zitiert nach Schellenberg, Witwen, 185 f. Zum Epilog des Kodex Hammurapi s. Q 105.
Q 105: Epilog des Kodex Hammurapi 649
Q 105: Epilog des Kodex Hammurapi (vgl. oben 265.278.324.464.468) In Mesopotamien ist die vornehmste Aufgabe des Königs die Verwirklichung von Gerechtigkeit. Einschlägig dafür ist die Rahmung des Kodex Hammurapi, der nach dem Eröffnungssatz des Prologs (KH I 1–49) mit den Urgöttern Anu und Enlil einsetzt und über Marduk, den Stadtgott von Babylon, bis zur Königsherrschaft Hammurapis in Babylon führt. Wenn sich Hammurapi als Schützling des Sonnengottes präsentiert (s. Abb. 137), so hat dies in dessen Funktion als Garant der Rechtsordnung seinen Grund: Šamaš ist „der große Richter des Himmels und der Erde, der die Lebewesen recht leitet“ (KH L 14–18, vgl. XLVII 84–86) und der Hammurapi, dem „König der Gerechtigkeit“, „Beständigkeit“ geschenkt hat (KH LVIII 95–98). In seiner Herrschaft repräsentiert dieser somit den Sonnengott. Im Epilog (KH XLVII 2–LI 91) heißt es: Ich, der heilbringende Hirte, dessen Stab gerecht ist – mein guter Schatten ist über meine Stadt gebreitet, auf meinem Schoß hielt ich die Einwohner von Sumer und Akkad, von meiner Schutzgöttin geleitet gediehen sie, in Frieden lenkte ich sie, in meiner Weisheit barg ich sie. Damit der Starke den Schwachen nicht schädigt, um der Waise und der Witwe zu ihrem Recht zu verhelfen (ešēru Št), habe ich in Babel, der Stadt, deren Haupt Anu und Enlil erhoben haben, in Esagil, dem Tempel, dessen Grundfesten wie Himmel und Erde fest sind, um dem Lande Recht zu schaffen, um die Ent scheidungen des Landes zu fällen, um dem Geschädigten Recht zu verschaffen (ešēru Št), meine überaus wertvollen Worte auf (m)eine Stele geschrieben und vor meiner Statue (namens) ,König der Gerechtigkeit‘ aufgestellt (KH XLVII 42–78).
Abb. 137: Oberer Teil der Hammurapi-Stele (18. Jh. v. Chr.) Übersetzung: TUAT 1 (1982–1985) 76 (R. Borger), s. dazu Janowski, Frucht der Gerechtig-
keit, 177 ff und Lang, Begriff, 55 f.
650 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 106: Der Tribut Jehus auf dem Schwarzen Obelisken (vgl. oben 292) In der politischen Ikonographie Mesopotamiens begegnet öfter der Gestus der Unterwerfung einer untergegebenen (Feind) unter die höhergestellte Person (König). Berühmt ist die Szene auf dem Schwarzen Obelisken aus Nimrud, die den israelitischen König Jehu (845–818 v. Chr.) in der Haltung der loyalen Unterwerfung vor Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) zeigt. Die assyrische Beischrift kommentiert diesen Vorgang mit der folgenden Bemerkung: Den Tribut des Jehu von Bet Omri – Silber, Gold, eine Schale aus Gold, eine Schüssel aus Gold, Kelche aus Gold, Eimer aus Gold, Zinn, ein Szepter für die Hand des Königs (und) Spieße – empfing ich von ihm.
Abb. 138: Jehu vor Salmanassar III. (Schwarzer Obelisk) Übersetzung: Weippert, Textbuch, 264, s. dazu auch Frevel, Geschichte Israels, 179.184; Bo-
natz u. a., Art. Gebärden, 818 und Schroer, IPIAO 4, 658 f.
7. Weltbild Übergreifendes Q 107: Das mesopotamische Weltbild (vgl. oben 353) In einem aufschlussreichen Aufsatz hat F. A. M. Wiggermann das Themeninventar der mesopotamischen Ikonographie untersucht und sich dabei auf die Darstellung des mythischen Raums und der Stellung des Menschen in ihm konzentriert (s. dazu Wiggermann, Mythologie, 113 ff). Eine dieser Darstellungen – eine moderne Rekonstruktion (s. Abb. 139) – vermittelt einen Eindruck vom mesopotamischen Weltbild und seinen sechs vertikalen Achsen, den drei Himmels- und den drei Erdhorizonten: – Himmelshorizonte: – Erdhorizonte: oberer Himmel: Anu irdischer Bereich (erster Erdhorizont) mittlerer Himmel: Enlil apsû = „Süßwasserozean“ als Sitz von Enki / Ea unterer Himmel: Gestirne (mittlerer Erdhorizont) Bereich der Unterweltsgötter (unterer Erdhorizont)
Q 107: Das mesopotamische Weltbild 651
oberer Himmel (Anu) mittlerer Himmel (Enlil) unterer Himmel (Sterne) lil Winde
Winde
Leerer Raum
Sonne Mond Venus
Enlil/Marduk Regen
DU6.KÙ
Quellen šadû
Fluß
s.ēru
ālu
„Heiliger Hügel“ s.ēru
„Stadt“
Regen Quellen Fluß šadû
„Steppe“
„Bergland“
Welt der Toten, Große Stadt apsû „mittlere Erde“ Wasser Quellen ?
Sonne Mond Venus
?
untere Erde
Abb. 139: Rekonstruktion des mesopotamischen Weltbilds Der erste Erdhorizont ist als Bereich der Ordnung wie der Antiordnung die Lebenswelt des Menschen. In ihrem Zentrum steht der „Heilige Hügel“ (duku), der „sich auf den apsû gründet und Bestandteil eines jeden Tempels ist, um den sich die Stadt (ālu) gruppiert“ (Pongratz-Leisten, Ina šulmi īrub, 35). Jenseits der Stadt erstreckt sich als Aufenthaltsort der Dämonen der chaotische Bereich der Steppe (sēru) und die Regionen des entfernt ˙ gelegenen Berglandes (šadû). Das menschliche Leben spielt sich innerhalb des Ordnungsgefüges der Stadt ab, wird aber immer wieder von Kräften bedroht, die sich melden, wenn die ordnende Herrschaft des Königs versagt oder wenn dämonische Gefahren in Form von Krankheit (Lamaštu-Amulette, s. Q 85), Feindbedrängnis oder Rechtsnot auf den Plan treten. Wie ein Mesopotamier der altbabylonischen Zeit (ca. 1894–1598 v. Chr.) diese seine Welt gesehen und erlebt hat, hat C. Wilcke auf höchst eindrückliche Weise beschrieben. Literatur: Pongratz-Leisten, Ina šulmi īrub, 35 f; Wiggermann, Foundations, 279 ff; ders.,
Mythologie, 109 ff, ferner Wilcke, Weltbilder, 1 ff.
652 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 108: Taxonomie der Weltbereiche in neuassyrischen Texten (vgl. oben 427.479) Über die neuassyrischen Vergleichstexte zu Gen 1,26.28 hinaus (s. Q 103) ist noch auf eine bemerkenswerte Analogie zu Gen 1,26–28 hinzuweisen. In der politischen Rhetorik Assyriens ist nämlich eine ähnliche Taxonomie der Weltbereiche belegt wie im GenesisText. So vergegenwärtigt Assurnasirpal (883–859 v. Chr.) in seinem, im Nordwestpalast in Kalach angebrachten Eroberungsbericht seine eigene Herrlichkeit in Form einer rhetorischen Selbstdarstellung: In 〈grünlicher Glasur〉 stellte ich an den Wänden meinen heroischen Ruhm dar, wie ich geradewegs Bergländer, (Tief-)Länder und Meere durchquerte, die Eroberung aller Länder. Auch die kultische Sprache ist offenbar dem taxonomischen Denken verpflichtet, wie das Beispiel einer Inschrift Asarhaddons (681–669 v. Chr.) zeigt, wonach der assyrische König die Feierlichkeiten anläßlich des Richtfestes für den von ihm renovierten Tempel des Reichsgottes Assur schildert. Im Blick auf die Bewirtung der geladenen Gäste und der Götter mit Opferfleisch heißt es: (VI 37) Ich schlachtete (38) Masttiere, (39) schächtete Edelschafe (40) und köpfte Vögel des Himmels und Fische der Wassertiefe (VII 1) ohne Zahl. Diese Aufzählung huldigt nicht nur der Reichhaltigkeit des königlichen Speiseplans, sondern ist Ausdruck desselben Ordnungsdenkens, das auch die politische Rhetorik prägt: „Die Tiere liefern nicht nur die eiweißreiche Nahrung für den Gott, sondern sie verkörpern auch die drei kosmischen Bereiche des altorientalischen Weltbildes, denen sie jeweils entstammen: Schafe und Stiere stehen für die Erde; die Vögel für den Himmel und die Fische für den Ozean, der die Erde umgibt und auf dem die Erde schwimmt. Mit der Darbringung dieser Tiere wird der höchste Gott ernährt und ‚besänftigt‘, indem er getragen wird von der Lebenskraft des gesamten Kosmos in seiner vertikalen Ordnung: Himmel, Erde, Ozean.“ (Maul, Wiedererstehende Welten, 571) St.M. Maul weist in diesem Zusammenhang noch auf die Gründungsurkunden in den Fundamenten mesopotamischer Tempel hin, die „aus Materialien gefertigt (waren), die wiederum die kosmischen Bereiche versinnbildlichen – oder eher gesagt in sich tragen“ (ebd.). Literatur: Janowski, Statue Gottes, 160 Anm. 78 (dort auch alle Textnachweise).
Q 109: Babylonische Weltkarte (mappa mundi) (vgl. oben 359) Die wahrscheinlich aus Borsippa stammende Babylonische Weltkarte des 7./6. Jh.s v. Chr. (s. Abb. 140), die auf der Vorderseite einer Tontafel eingeritzt ist und (auch auf der Rückseite) erklärende Beischriften trägt (s. dazu Horowitz, Geography, 22 ff; Hartenstein, Weltkarte, 16 f), enthält mehrere Elemente, die aufgrund ihrer Anlage einer Symbolik des Zentrums verpflichtet sind. Dazu gehört zunächst eine Rahmung durch konzentrische Kreise (14–17), die den die Erde umgebenden „Ozean“ darstellen. Die Regionen jenseits dieses Ringozeans sind als nach außen gestülpte Dreiecke gestaltet (18–22) und durch Beischriften als weit entfernte Gebiete am Rand der bewohnten Welt charakterisiert.
Q 109: Babylonische Weltkarte (mappa mundi) 653
18
19 1 12
13
20 14
21
11 10
2
9
15
7 6 8
17 3 4
22
5
16
Abb. 140: Babylonische Weltkarte (7./6. Jh. v. Chr.) 1 Berg(land) ◆ 2 Stadt ◆ 3 Urartu ◆ 4 Assyrien ◆ 5 Dēr ◆ 6 ? ◆ 7 Sumpfland ◆ 8 Susa ◆ 9 Kanal ◆ 10 Bit Jakin ◆ 11 Stadt ◆ 12 Habban ◆ 13 Babylon ◆ 14–17 Ozean ◆ 18 „Große Mauer“ ◆ 19–22 Weit entfernte Regionen ◆ 23–25 Ohne Beischrift Nr. 18 zum Beispiel ist als „große Mauer, 6 Doppelstunden dazwischen, wo die Sonne nicht gesehen wird“ gekennzeichnet. Auf der kreisförmigen Erdoberfläche im Zentrum der Darstellung sind Städte und Gebiete eingezeichnet und z. T. durch Linien oder Streifen miteinander verbunden. Der von Norden (oben) nach Süden (unten) verlaufende Streifen dürfte der Euphrat sein. Während er an seinem unteren Ende vom Sumpfland (7) und von dem Kanal (9) begrenzt wird, der ihn mit dem Persischen Golf verbindet, wird er an seinem oberen Ende von einem Kreissegment (1) geschnitten, das die Beischrift „Berg(land)“ trägt. Der quer zum Euphrat verlaufende Streifen (13) trägt den sumerischen Kultnamen Babylons und markiert diese Stadt als Zentrum der Welt. Umgeben wird sie von kleineren und größeren Städten sowie am rechten Rand von „Assyrien“ (4). Nördlich davon liegen das Land Urartu (3, heute Armenien) und südöstlich die Stadt Dēr (5). Alles in allem ermöglicht „die Bildlichkeit der Karte … eine Zusammenschau der politischen und kosmischen Ordnung des Raumes mit mythischen Ereignissen aus ferner Vorzeit. Die Vogelperspektive lässt die Welt überschaubar werden“ (Hartenstein, aaO 20 [H. i. O.]) Literatur: Horowitz, Geography, 20 ff; Pongratz-Leisten, Mental Map, 274 ff; Hartenstein,
Weltkarte, 12 ff und de Hulster, Exegesis, 48 (jeweils mit der älteren Lit.).
654 Quellen zur Anthropologie der Antike
Einzelaspekte Q 110: Atramhasīs III (vgl. oben 439) ˘
Nicht nur im ägyptischen Mythos von der Vernichtung des Menschengschlechts (sog. ,Buch von der Himmelskuh‘, s. Q 65), sondern auch in den mesopotamischen Schöpfungstexten gibt es zwei wichtige Kontrastparallelen zur nichtpriesterlichen Fluterzählung Gen *6,5– 8,22. Neben Gilgamesch XI 114 ff (s. Q 113) ist dies der Konflikt zwischen dem Götterkönig Enlil von Nippur und dem Gott des Süßwasserozeans Enki / Ea von Eridu im altbabylonischen Atramhasīs-Epos (19.–17. Jh. v. Chr.). Es war Enlil, der die Götter zu dem Beschluss ˘ veranlasste, wegen der übermäßigen Vermehrung der Menschen und ihres „Lärms“ (I 353 f) drei schwere Plagen und die Sintflut kommen zu lassen. Und es war Enki / Ea, der durch sein Eingreifen die Menschen vor dem Schlimmsten, nämlich der völligen Vernichtung, bewahrte und der in dem ihm treu ergebenen weisen Atramhasīs den Übermittler ˘ seiner Ratschläge fand. Enki / Ea kann als Schöpfer der Menschen an deren Vernichtung ebenso wenig mitwirken (II vii 42 ff, vgl. den Befehl Enkis / Eas an Atramhasīs, sein Leben ˘ zu erhalten [III i 24]), wie Enlil sich mit der Vermehrung und dem Lärm abfinden kann. Beachtenswert ist dabei die Rolle der Muttergöttin Nintu, die die Menschen zusammen mit Enki / Ea erschaffen hatte (I 200 ff) und die über ihre im Fluss „wie Libellen“ treibenden Kreaturen klagt: (Hier) klagt Ni[ntu, der Mutterleib!] Hat mir etwa ein Vater [meine] M[enschheit] geboren? Das Meer haben sie gefüllt wie Libellen den Fluß, wie ein Floß strandeten sie auf den Auen, wie ein Floß strandeten sie in der Steppe, am Ufer, ich sah (es) und habe über sie geweint (bakûm)! Ich höre nun auf, ihretwegen zu jammern! (III iv 4 ff) Der Unterschied zu den biblischen Fluterzählungen ist deutlich: Wenn der biblische Gott als Reaktion auf die Bosheit des Menschen die Flut kommen lässt, dann entspricht er dem Gott Enlil; wenn er sich aber Noah und den Seinen zuwendet und in ihnen die Menschheit vor der Katastrophe rettet, dann handelt er wie der menschenfreundliche Gott Enki / Ea. Im Unterschied zu den mesopotamischen Göttern trägt der biblische Gott Gericht und Erbarmen in sich selbst, d. h. in seinem „Herzen“ (Gen 6,6b; 8,21) aus und ist in beiden Verhaltens- und Wirkweisen an die Menschen als seine Geschöpfe gebunden. Übersetzung: Wilcke, Weltuntergang, 92 f, s. dazu Baumgart, Umkehr, 469 ff und Janowski,
Empathie, 193 f.
Q 111: Enūma eliš (vgl. oben 73.241) In Enūma eliš I 1–12 (Ende des 2. Jt.s v. Chr.) wird zunächst (Z. 1–8) die Zeit / Welt vor der Schöpfung geschildert, als es nur Apsû und Ti᾽āmt gibt. Ab Z. 9 werden dann die beiden Götterpaare Lahmu / Lahāmu und Anšar / Kišar sowie die beiden Götter Anu und Ea ge˘ ˘ schaffen:
Q 112: Gilgamesch 655
1 Als oben die Himmel nicht benannt waren, unten die Erde mit Namen nicht ausgesprochen war, (da) war Apsû, der Erste, ihr Erzeuger, (und) Mummu Ti᾽āmt, die sie alle gebar; 5 sie mischten ihre Wasser zu einem, aber Weide war nicht gebildet, Röhricht nicht sichtbar. Als von den Göttern
noch kein einziger entstanden war, mit Namen nicht ausgesprochen, Schicksal ihnen nicht zubestimmt war, (da) wurden die Götter in ihnen erschaffen, 10 entstanden Lahmu und Lahāmu, wurden mit Namen ausgesprochen. ˘ ˘ Bis sie groß wurden und alt, wurden Anšar und Kišar erschaffen, (die) sie übertrafen. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 89 f (K. Hecker), s. dazu auch Foster, Muses, 439; Kämmerer / Metzler, Weltschöpfungsepos, 315 und Lambert, Creation Myths, 51. Zur Gesamtinterpretation s. den Überblick bei Kämmerer / Metzler, aaO 1 ff und Gabriel, enūma eliš, 116 ff (mit anderer Abgrenzung).
Q 112: Gilgamesch (vgl. oben 439) Die zweite Kontrastparallele zur nichtpriesterlichen Fluterzählung Gen 6,*5–8,22 (zur ersten Parallele s. Q 110) bezieht sich auf den göttlichen Schmerz, der sowohl in der biblischen als auch in der mesopotamischen Überlieferung eine Rolle spielt. Dabei ist der Schmerz JHWHs über die Bosheit des Menschen vor seinem Vernichtungsbeschluss das Proprium des nichtpriesterlichen Flutprologs. Anders in Taf. XI des Gilgamesch-Epos (ninivitische Version), wonach die Götter nach der Flut die Angst packte und die Muttergöttin Belet-ili („Herrin der Götter“) in Klagegeschrei ausbrach: Selbst die Götter packte da vor der Sintflut die Angst! 115 Sie wichen zurück, sie hoben sich fort in den Himmel des Anum. Da kauern die Götter im Freien, eingerollt in sich selbst so wie Hunde. Laut schreit die Göttin auf, einer Kreißenden gleich, in Klagegeschrei verfiel Belet-ili, die (sonst doch so) schön an Stimme: „Wahrlich, jener (uranfängliche) Tag ist deshalb wieder zu Lehm geworden, 120 weil ich in der Götterversammlung Böses sprach! Wie konnte ich nur in der Götterversammlung Böses sprechen und, um meine Menschen auszurotten, Krieg erklären? Denn ich bin es doch, die (sie) gebar! Meine eigenen Menschen sind’s doch! Wie Fische im Schwarm füllen sie (jetzt) das Meer!“ 125 Die Götter, die aus der Unterwelt, verweilen mit ihr in Weinen, in Klage aufgelöst, verweilen sie mir ihr in Weinen, verdorrt ihre Lippen, beraubt der gekochten Opferspeisen. Übersetzung: Maul, Gilgamesch-Epos, 144, vgl. TUAT 3 (1989–1997) 732 f (K. Hecker, mit
abweichender Zeilenzählung: 113–126); zur Interpretation s. Baumgart, Umkehr, 438 ff; Keel / Schroer, Schöpfung, 192 f und Janowski, Empathie, 194 f.
656 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 113: Der morgendliche Sonnenaufgang (vgl. oben X.268.345)
Abb. 141: Morgendämmerung am Euphrat und akkadzeitliches Rollsiegel (Ende 3. Jt. v. Chr.)
Abb. 142: Šamaš verurteilt einen Dämon (Rollsiegel, Ende 3. Jt. v. Chr.) Der Zusammenhang von göttlichem Rechtshandeln (Überwindung des Unrechts) und kosmischer Bedeutung des Lichts (Überwindung der chaotischen Finsternis) ist in der altorientalischen und ägyptischen Gebetsliteratur und Ikonographie sehr verbreitet. Ein berühmtes Beispiel aus Mesopotamien ist das Rollsiegel aus der Akkadzeit (2370–2190 v. Chr., Abb. 141), das zeigt, wie der Sonnengott Utu / Šamaš (kenntlich an den Strahlen auf seiner Schulter und seinem Attribut, der „Säge“) zwischen den östlichen Horizontbergen aus der Tiefe emporsteigt und die von zwei untergeordneten Göttern geöffneten Tore durchschreitet, um seinen Weg zum himmlischen Gericht anzutreten. Dieses Gericht voll-
Q 114: Marduk-Prophetie 657
zieht sich, wie das ebenfalls akkadzeitliche Rollsiegel Abb. 142 zeigt, als prozessuale Vorführung eines gefangenen löwenköpfigen Dämons vor Utu / Šamaš, der als himmlischer Richter auf seinem Bergthron sitzt und das Urteil fällt. Literarisch ist dieses Morgenmotiv vor allem in akkadischen Gebetsbeschwörungen des 2./1. Jt.s v. Chr. und in ägyptischen Sonnenhymnen der Ramessidenzeit (20./19. Dyn.) belegt. Aufgrund ihrer funktionalen Einbindung in ein Ritualgeschehen sind die akkadischen Gebetsbeschwörungen als rituelle Bittgebete des einzelnen zu verstehen, der unter Krankheit, dämonischer Gewalt oder Rechtsnot leidet und für dessen physische Restitution / soziale Reintegration ein Beschwörungsritual durchgeführt wird. Als Beispiel kann die zweisprachige Gebetsbeschwörung an Utu / Šamaš JCS 21,2 f,1–9 dienen, die ihren rituellen Ort im königlichen bīt rimki („Haus der Waschung“)-Ritual hatte: 1 Beschwörung: Šamaš, wenn du aus dem großen Berg heraustrittst, 2 wenn du aus dem großen Berg, dem Berg der Quelltiefe heraustrittst, 3 wenn du aus dem Duku (sc. heiliger Hügel), wo die Geschicke bestimmt werden, heraustrittst, 4 wenn du zu der Stelle, wo Himmel und Erde zusammentreffen, aus des Himmels Grund heraustrittst, 5 dann treten die großen Götter zum Gericht zu dir hin, 6 treten die Anunnaki zum Fällen der Entscheidung zu dir hin. 7 Die Menschen, die Leute insgesamt harren auf dich, 8 das Getier, das sich regt, das vierfüßige, 9 hält auf dein großes Licht seine Augen gerichtet. Literatur: Zu diesem Text s. Janowski, Rettungsgewissheit, 41 f.83 f (mit weiterer Lit.), ferner
ders., „Übernachtung“, 172 f.
Q 114: Marduk-Prophetie (vgl. oben 392) Die Marduk-Prophetie geht offenbar auf die Zeit Nebukadnezars I. von Babylon (ca. 1124–1103 v. Chr.) zurück. „Dieser hatte die Marduk-Statue aus ihrem Exil in Elam zurückführen können, worauf der Text in Kol. II Z. 13–14 anspielt, und dadurch den endgültigen Aufstieg Marduks zum höchsten Gott des babylonischen Pantheons eingeleitet“ (TUAT 2 [1986–1991], 65 [K. Hecker]). Das Exil der Statue in Elam beschwörte eine dramatische Katastrophe herauf, die die Chaosbeschreibung in Kol. II 1–18 wie folgt schildert: (1) Siris machte das Herz des Landes krank. (2) Die Leichen der Menschen verstopften die Tore. (3) Einer aß den andern, (4) Freunde erschlugen einander mit der Waffe. (5) Die Freigeborenen (6) legten Hand (5) an die Abhängigen. (7) Das Szepter wurde kurz, das Land war in großen Schwierigkeiten. (8) Rebellenkönige verkleinerten das Land. (9) Löwen versperrten den Weg, (10) Hunde [wurden toll] und bissen die Menschen, (11) wen sie bissen, der gesundete nicht, sondern starb. (12) Ich erfüllte meine Tage, ich erfüllte meine Jahre. (14) Dann sehnte ich mich (13) nach meiner Stadt Babylon (14) und zum Tempel Sagil. (15) Ich rief die Göttinnen alle [und] (16) befahl: ‚Bringt eure Abgaben, (17) ihr Länder, nach Babylon, (18) …!‘ Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 66 f (K. Hecker), s. dazu auch Kruger, World, 69 ff.
𓇼
658 Quellen zur Anthropologie der Antike
IV. Kleinasien 1. Leibsphäre Q 115: Körperteilbezeichnungen (vgl. oben 148) Auch in hethitischen Texten aus Hattuša (16.–12. Jh. v. Chr.) gibt es Belege für die gestisch˘ funktionale Bedeutung von Körperteilen wie der Hand, dem Fuß und den Augen. Besonders zahlreich sind die Belege für die funktionale Bedeutung der „Hand“ im Sinn von „Regierung, Macht, Gewalt“, s. dazu Görke, Konzept, 41 ff.
2. Sozialsphäre Geschlechterverhältnis Q 116: Hethitische Gesetze (vgl. oben 122) In den um 1600 v. Chr. entstandenen Hethitischen Gesetzen §§ 189 ff gibt es bemerkenswerte Sachparallelen zu den Inzestverboten von Lev 18,6–18 und Lev 20,10–21. Dabei handelt es sich nicht um literarische Abhängigkeit der alttestamentlichen von den hethitischen Bestimmungen, sondern um Sachanalogien: § 189 Wenn ein Mann mit seiner eigenen Mutter sündigt, (ist es) eine Missetat. Wenn ein Mann mit (s)einer Tochter sündigt, (ist es) eine Missetat. Wenn ein Mann mit (s)einem Sohn sündigt, (ist es) eine Missetat. § 190 Wenn sie als Totengeist hintreten – Mann (oder) Frau, (so ist das) kein Ärgernis. Wenn ein Mann mit (s)einer Stiefmutter sündigt, (ist es) kein Ärgernis. Doch wenn sein Vater (noch) lebt, (ist es) eine Missetat. § 191 Wenn ein freier Mann freie Schwestern und ihre Mutter beschläft, die eine aber in einem Land und die andere in einem anderen Land (ist), (ist es) kein Ärgernis. Wenn Beide am (selben) Ort (sind), und er weiß (davon), (ist es) eine Missetat. (Es ist doch) kein Ärgernis. § 195 A–C Wenn ein Mann bei der Ehefrau seines Bruders schläft, sein Bruder aber (noch) lebt, (ist es) eine Missetat. Wenn ein Mann eine Freie (als Ehefrau) besitzt und auch an ihre Tochter rührt, (ist es) eine Missetat. Wenn er ihre Tochter (als Ehefrau) besitzt und auch an ihre Mutter oder ihre Schwester rührt, (ist es) eine Missetat. Übersetzung: TUAT I (1982–1985) 121 f (E. von Schuler), s. dazu auch Hieke, Levitikus
(HThK.AT), 658 f. Zum hethitischen Eherecht s. Manthe (Hg.), Rechtskulturen, 139 ff (R. Haase).
Q 118: Sündenbock-Ritual des Ashella 659 ˘
3. Kult, Ritus und Gebet Ritualtexte Q 117: Beschwörung der Unterirdischen (vgl. oben 89) Im hethitischen Kulturraum sind Beschwörungsgruben (api) aus dem Ritual zur Evokation der unterirdischen Götter anlässlich der Reinigung eines Hauses belegt. In der Beschwörung der Unterirdischen ZA 20, 131 Rs. III, 14–18 heißt es: (22) Dann hackt er vor den uralten Göttern ein Tor zur Unterwelt mit einem Messer auf; (23) und er libiert Öl, Honig, Wein, walhi-Trank (und) marnuwan-Trank in das Tor zur Unterwelt hinein. (24) Auch einen Schekel Silber wirft er hinein. Dann nimmt er ein Handtuch und deckt das Tor zur Unterwelt oben zu und er spricht folgendermaßen: „Tor zur Unterwelt! Nimm dir den Stuhl der Reinigung (27) und überprüfe selbst die Ritualausrüstung des Reinigung(srituals)!“ Übersetzung: H. Otten, Eine Beschwörung der Unterirdischen aus Bogˇazköy, ZA 20 (1961)
114–157, hier: 131, s. dazu auch Steiner, Unterweltsbeschwörung, 270 ff und Schmitt, Mantik, 92. Zum Terminus ap in Ugarit s. Q 123.
Q 118: Sündenbock-Ritual des Ashella (vgl. oben 417) ˘
Unter dem „Sündenbockritus“, der seit J. G. Frazers (1854–1941) klassischem Werk The Golden Bough / Der Goldene Zweig Eingang in die religionswissenschaftliche Diskussion gefunden hat, ist ein Ritualtyp zu verstehen, dessen Heimat Südostanatolien-Nordsyrien war und der vor allem in Syrien-Palästina (Ebla, Ugarit, s. Q 132) und im antiken Mittelmeerraum (Griechenland, Rom, Etrurien, s. Q 176) verbreitet war. Sein Zweck war die räumliche Entfernung der stofflich verstandenen Unreinheit durch einen „rituellen Unheilsträger“ (Tier oder Mensch), der das ihm durch kontagiöse Magie übertragene miasma aus dem Bereich der menschlichen Lebenswelt in den gegenmenschlichen Bereich der (sterilen) Wüste / des (feindlichen) Auslands transportierte. Religionswissenschaftlich geurteilt gehört der Sündenbockritus zum Typ der Eliminationsriten. Ein Beispiel ist das hethitische Sündenbock-Ritual des Ashella CT 394,1–32 aus dem 13. Jh. v. Chr: ˘ (1) So (spricht) Ashella, der Mann aus Hapalla: (2) Wenn das Jahr schlimm (ist) und im ˘ Heerlager eine tödliche Seuche auftritt, (3) dann führe ich das folgende Ritual durch: Und zwar führe ich (es) folgendermaßen durch: Sowie der Tag zur Nacht wird, (5) welche Herren des Heerlagers alle (da sind), jeder (von ihnen) (6) stellt einen Widder bereit. Ob die Widder aber hell (7) oder ob sie dunkel (sind), spielt keine Rolle. Einen Faden (8) weiße Wolle, rote Wolle, gelbgrüne Wolle überlasse ich (jedem), und er vereinigt sie zu einem (Faden). (9) Eine Perle (und) einen Ring aus Eisen und Blei führe ich ein (10) und binde es den Widdern um Nacken und Hörner. (11) Sie binden sie nachts vor ihren Zelten an (12) und sprechen dabei folgendermaßen: „Welche Gottheit sich (erzürnt) abwendet, (13) welche Gottheit diese tödliche Seuche bewirkt hat, siehe, dir (14) habe ich (13) diese Widder (14) daneben angebunden. Lass dich dadurch besänftigen!“ (15) Bei Tagesanbruch aber treibe ich sie ins freie Feld. Zu jedem Widder (16) hin schaffen sie einen Krug, ein Brot (und ) einen Becher. (17) Vor (16) das Zelt des Königs
660 Quellen zur Anthropologie der Antike aber (17) setzt er eine geschmückte Frau. Neben die Frau stellt er eine Schale Bier (und) drei Brote. (18) Daraufhin legen die Herren des Heerlagers ihre Hände auf die Widder (19) und sprechen folgendermaßen dabei: „Welche Gottheit diese tödliche Seuche bewirkt hat, (20) siehe, jetzt stehen Widder (bereit), die sind an Eingeweiden, (21) Herzen und am Glied gewaltig fett. (22) So sei ihr nun das Fleisch der Menschen fortan zuwider, und künftig (23) sei (du) besänftigt durch diese Widder!“ Die Herren des Heerlagers (24) verneigen sich hinter (23) den Widdern her, (24) und der König verneigt sich hinter der Frau her. (25) Daraufhin schaffen sie die Widder und die Frau, Brote und Bier mitten durch das Heerlager hindurch (26) und treiben sie aufs freie Feld. Sie gehen, ins Gebiet des Feindes hinein (27) lassen sie sie weglaufen, (so dass) sie nicht an einen Ort von uns gelangen. (28) Dabei sprechen sie jeweils ebenso: „Siehe, was für ein (29) Übel (28) dieses Heerlagers (29) für Menschen, Rinder, Schafe, Pferde, Maultiere (30) und für Esel, was für eines darin war, jetzt siehe, (31) aus dem Heerlager haben es diese Widder und diese Frau weggebracht. (32) Wer sie antrifft, jenes Land soll diese böse, tödliche Seuche an sich nehmen!“ Übersetzung: TUAT 2 (1986–1991) 286 f (H. M. Kümmel), s. auch ders., Ersatzkönig, 310 f,
ferner zur Sache Janowski, Sühne, 211 ff.431 ff; ders., Sündenbock, 1902; Janowski / Wilhelm, Bock, 109 ff; Pfeiffer, Bemerkungen, 313 ff; Douglas, Goat, 121 ff; Haas, Betrachtungen, 131 ff; Rudman, Azazel-goat, 396 ff; Frey-Anthes, Unheilsmächte, 218 ff; Christiansen, Reinheitsvorstellungen, 131 ff u. a. – Die Ähnlichkeit dieses hethitischen Sündenbock-Rituals mit dem Sündenbockritus Lev 16,20–22 liegt auf der Hand. Sie besteht hinsichtlich der Ritualelemente Handauflegung (Z. 18), Bitte um Besänftigung der Gottheit (durch die „Herren des Heerlagers“: Z. 19–23) und Austreibung des rituellen Unheilsträgers (Z. 25–27).
Q 119: Sündenbockpraxis (vgl. oben 417) Auf die Sündenbockpraxis bezieht sich wohl auch die folgende Warnung an Palastangestellte in KUB 13, 3 ii 11: Falls sie Unreinheiten verursachen, dann „wird man euch zu einer Ziege machen und auf den Berg verjagen.“ Übersetzung: van den Hout, Art. Ziege, 271.
4. Weltbild Einzelaspekte Q 120: Chaosbeschreibung im Telipinus-Mythos (vgl. oben 392) Der hethitische Telipinu-Mythos darf als „das Beispiel par exellence für einen anatolischen Mythos eines verschwundenen Gottes“ gelten. Seine Erste Version beginnt in CTH 324.1 mit einer dramatischen Chaosbeschreibung:
Q 121: Ablehnung der Unsterblichkeit durch Aqhatu 661
§ 1’ […] ging. […]. Telipinu aber […]. […] was […]. [T]elipinu aber […]. § 2’ […] seine Stadt? befestigte? er. […] warf [den Pfos]ten?. […]te. Auch auf dieser Seite ging […] wieder […]. § 3’ […] nichts […] der mächtige Telipinu [begann zu spreche]n: „Vertreibt […]! Fürcht[et] euch nicht!“ [Und er] wurde [zo]rnig. Das Rechte ließ er links laufen, das Link[e aber] ließ er [rechts] laufen. Aus dem Haus g[in]g er. § 4’ Dunst ergriff die Fenster. Rauch [erst]ickte das Haus. Im Herd aber erstickte[n] die Holzscheite. [Auf dem Altarpostament] erstickten die Götter. Im Viehhof die Schafe ebenso. Im Rinderstall erstickten die Rinder. Das Schaf stieß sein Lamm von sich. Die Kuh aber stieß ihr Kalb von sich. § 5’ Telipinu aber ging fort. Er schaffte Getreide, Fruchtbarkeit, Wachstum?, Gedeihen? und Sättigung fort, (nämlich) auf das Feld, auf die Wiese, in die Moore. Telipinu aber ging (und) versteckte sich im Moor. Oben aber, (über) ihm wuchs die halenzu-Pflanze. Nun gedeihen Getreide (und) Emmer nicht mehr. Rinder, Schafe (und) Menschen werden nicht mehr trächtig und schwanger. Die aber, die schwanger (sind), auch die gebären nicht. § 6’ Die [Be]rge vertrockneten, das Gehölz vertrocknete, und kein Sprößling kommt mehr hervor. Die Weiden vertrockneten, die Quellen vertrocknete(n), und im Land entstand eine [H]ungersnot. Menschen und Götter sterben an Hunger. Der große Sonnengott bereitete ein Fest für sich und rief eintausend Götter (herbei). Sie aßen, und sie stillten ihren Hunger nicht. Sie tranken aber, und sie stil[l]ten ihren Durst nicht. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 156 (A. Bauer u. a.), s. dazu auch Kruger, World, 62 ff.
𓇼 V. Ugarit und Nordsyrien 1. Lebensphasen Alter und Tod Q 121: Ablehnung der Unsterblichkeit durch Aqhatu (vgl. oben 515) Die Auffassung, dass der Tod für den Menschen eine unüberwindbare Grenze darstellt, begegnet auch in ugaritischen Texten. So lehnt Aqhatu im Aqhatu-Epos KTU 1.17 VI 33–39 das Versprechen der Unsterblichkeit ab, das ihm die Göttin Anat gibt: Und es antwortete Aqhatu, der Held: (34) „Betrüge mich nicht, oh Jungfrau, denn für einen Helden ist (35) dein Betrug ein Auswurf. Ein Mann, als Zukunft, was wird er erhalten? (36) Was kann ein Mann als sein Ende nehmen? Eine spsg-Schale wird ausgegossen (37) [auf] dem Haupt, eine verzierte Schale über meinem Schädel. (38) [Wie] jedermann [st]irbt, so werde ich sterben, auch ich (39) werde sicherlich sterben. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 281 (H. Niehr), s. dazu auch Loretz, „Gerechtigkeit“, 193. Für den ugaritischen König gilt aber zugleich, dass er nicht stirbt, weil er „als Sohn des
662 Quellen zur Anthropologie der Antike obersten Gottes El göttlich und folglich als König unsterblich (ist) (KTU 1.16 I 2–23)“ (Loretz, aaO 193 f).
Q 122: Els Trauer um Ba῾al (vgl. oben 87) Trauerriten sind auch aus Ugarit bekannt. In der 5. Tafel des Ba῾al-Epos KTU 1.5 VI 11–25 wird berichtet, wie El um den toten Ba῾al trauert: (11) Sodann der scharfsinnige El [ ], (12) der Kluge, stieg von seinem Thron, setzte sich (13) auf den Schemel und vom Schemel setzte er sich (14) auf die Erde. Er schüttete Asche (15) der Trauer auf sein Haupt, Staub der Erniedrigung (16) auf seinen Schädel. Als Kleid bedeckte er sich (17) mit einem Schurz. Die Haut mit einem Stein (18) kratzte er auf, die beiden Locken mit einem Schermesser. (19) Er verletzte Wangen und Kinn. (20) Er zerfurchte das Rohr seines Armes, er zerfurchte (21) wie einen Garten die Brust, wie ein Tal zerfurchte er (22) den Rücken. Er erhob seine Stimme und rief: (23) „Ba῾al ist tot! Was wird aus der Sippe des Sohnes (24) des Dagan, was wird aus der Menge der Anhänger (25) des Ba῾al. Ich will hinabsteigen in die Unterwelt!“ Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 229 (H. Niehr), s. dazu auch Loretz, Ugarit, 112 f.
Q 123: Klage über König Kirta (vgl. oben 89) Im Kirta-Epos KTU 1.16 I 2–11 klagen die Klagefrauen und Klagepriester über den König Kirta, der bereits als tot angesehen wird: (1) Zu Kirta. (2) „Wie ein Hund in deinem Hause jaulen wir, wie ein Welpe (3) (an der) Opfergrube (ap) deines Totenheiligtums. Aber, Vater, wirst du wie die Menschen (4) sterben? Wehe, dein Totenheiligtum wird zur (5) Klage, (zum) Klagelied einer Frau, oh Vater, die Höhe! (6) Es wird dich beweinen, Vater, der Berg des Ba῾al, (7) der Saphon, die heilige Festung, ˙ (8) Nanay, die mächtige Festung, (9) die weitgespannte Festung. (10) Doch ist Kirta ein Sohn des El, ein Nachkomme (11) des Scharfsinnigen und Heiligen.“ Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 257 f (H. Niehr), s. dazu auch Loretz, Ugarit, 109 f. Zur
„Opfergrube“ (ap) s. die Lit. bei Niehr, aaO 257 Anm. 320 und oben 89. Zur Archäologie
Q 124: Totenkultstele aus Zincirli 663
des Todes (Gräber und Bestattungen) in Ugarit s. Cornelius / Niehr, Götter, 79 ff (mit Farbfotos).
Q 124: Totenkultstele aus Zincirli (vgl. oben 55) Die Totenkultstele aus Zincirli BASOR 356 (2009) 53 f (8. Jh. v. Chr.) enthält einen wichtigen Beleg des sam᾽alischen Begriffs nbš „Person“. Die Stele (Abb. 143) zeigt neben bzw. unterhalb der Inschrift eine Speisetischszene, die ein bekanntes Motiv des Totenkults aufnimmt: Kuttamuwa, der verstorbene Diener Panamuwas II. (ca. 740–733 v. Chr.), sitzt vor einem mit Speisen und Gefäßen gedeckten Tisch und hält in seiner Rechten eine Trinkschale und in seiner Linken (wohl) einen Pinienzapfen. Der erste nbš-Beleg findet sich in Z. 5: (1–2) Ich bin KTMW, der Diener des PNMW, der ich mir (schon) zu meinen Lebzeiten eine Stele (nsb) erworben hatte. Und ich habe sie im Bezirk meiner Fortdauer auf˙ gestellt. (2–3) Und das Festopfer dieses Bezirkes beträgt: ein Stier für den Hadad (von?) QRPDL (3–4) und ein Widder für den Vorsteher des Mahles (4) und ein Widder für Schamasch (5) und ein Widder für den Hadad des Weinberges und ein Widder für Kubaba und ein Widder für meine Person (nbš), die in der Stele (nsb) (präsent) ist. ˙ (TUAT.NF 6 [2011] 322 f [I. Kottsieper])
Abb. 143: Totenkultstele aus Zincirli (8. Jh. v. Chr.)
664 Quellen zur Anthropologie der Antike Der zweite nbš-Beleg (+ Suff. 1. c.sg.: nbšy Z. 11) bedeutet möglicherweise „(Toten-)Stele“: (6–8) Und jetzt: Wer auch immer von meinen Söhnen oder von den Söhnen eines (anderen) Mannes diesen Bezirk besitzen wird, (8–10) der muss fürwahr jährlich das Beste dieses Weinberges als Darbringung nehmen (10–11) und (hier) bei / an meiner Totenstele (nbš) schlachten. (12–13) Und er soll für mich eine Keule bestimmen. Der doppelte Sprachgebrauch von nbš lässt sich folgendermaßen verstehen: „Die Stele hat … seine (sc. des Verstorbenen) Person (nbš) an Stelle des verendeten Körpers aufgenommen (Z. 5) und kann dann selbst als seine nbš bezeichnet werden (Z. 11)“ (TUAT. NF 6 [2011] 322). Konstitutiv dafür dürfte der enge Zusammenhang zwischen der Person (nbš) des Verstorbenen und der ihn repräsentierenden Stele sein. Literatur: Janowski, næpæš, 95 f und Müller, „Seele“, 187 ff.
Q 125: Inschrift der Hadad-Statue (vgl. oben 55) Dieselbe Bedeutung von aram. nbš / npš dürfte in der älteren Inschrift der Hadad-Statue KAI 214,17.21 f (frühes 8. Jh. v. Chr.) vorliegen, wo der Nachkomme und Thronfolger Panamuwas I. aufgefordert wird, den königlichen Totenkult zu vollziehen: (15) Und wer auch immer von meinen Söhnen das Szepter ergreift und sich auf meinen Thron setzt und (seine) Macht festigt (16) und opfert dem Hadad und wenn er den Namen des Hadad anruft und (17) … dann soll er sprechen: „Die Person (nbš) des Panamuwa soll mit dir essen und die Person (nbš) des Panamuwa soll mit dir trinken.“ Immerzu soll er die Person (nbš) des Panamuwa zusammen mit (18) Hadad anrufen. Auch hier handelt es sich bei nbš wohl um die „Lebenskraft, Person“ eines Verstorbenen – und zwar eines Verstorbenen, der durch eine ihn darstellende Statue repräsentiert wird. Literatur: Janowski, næpæš, 96 f und Müller, „Seele“, 191 ff.
2. Leibsphäre Übergreifendes Q 126: Körperteilbezeichnungen im Ugaritischen (vgl. oben 148) Auch in der ugaritischen Literatur gibt es zahlreiche Belege für die gestisch-funktionale Bedeutung von (menschlichen / göttlichen) Körperteilen wie der Hand und dem Fuß / den Füßen, s. dazu Martin, Hand, 55 ff. Ein Beispiel ist die Reaktion des Dan᾽ilu, der von Boten über den Tod seines Sohns Aqhatu unterrichtet wird. Der Text KTU 1.19 II 44b–47a beschreibt diese Reaktion folgendermaßen: An ihm die Füße zitterten, oben sein Gesicht brach in Schweiß aus, hinten sein Rücken beugte sich, die Sehnen seines Rückens zogen sich zusammen, die Muskeln der Rückseite. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 290 (H. Niehr), s. dazu auch Martin, Hand, 67, vgl. auch die beiden folgenden Texte KTU 1.3 III 32–35a und KTU 1.4 II 16–20 (Q 128).
Q 127: npš im Ugaritischen 665
Einzelaspekte Q 127: npš im Ugaritischen (vgl. oben 55) Im Ugaritischen hat das Lexem npš fünf bzw. sechs Bedeutungen. Im Folgenden seien nur einige Hauptbelege zitiert:
Kehle Wie hebr. næpæš bedeutet auch ug. npš ursprünglich „Kehle, Schlund“, z. B.:
Du (sc. Ba῾al) wirst hinabsteigen (7) in den Rachen (npš) des göttlichen Mot, in den (8) Schlund (mhmrt) des Geliebten Els, des Helden. (KTU 1.5 I 6–8)
Appetit, Verlangen, Begehren Mit dem organischen Fixpunkt „Kehle, Schlund“ hängt der Bedeutungsaspekt „Appetit, Verlangen, Begehren“ zusammen, z. B.:
Mein Appetit (npš) ist der Appetit (npš) des Löwen (15) in der Wüste, ja, der Appetit (brlt) des Delphins (16) im Meer. (KTU 1.5 I 14–16)
In seiner Rede an seine Frau sagt Aqaht:
(16) „Höre, o Dame Danatiya! Richte her (17) ein Böckchen von der Herde für den Appetit (npš) des Koschar- (18) und-Chasis, für das Verlangen (brlt) des Gewandten (19) mit Künstlerhänden.“ (KTU 1.17 V 16–19)
Lebenskraft Die in DULAT 637 s. v. npš 3 („breath, force, soul“) und s. v. npš 4 („soul, spirit, life“) aufgeführten Belege lassen sich mit „Lebenskraft“ wiedergeben, z. B.:
(Mit) Lebenskraft (npš) möge Danil leben, (37) [der Held des Rāp]iu, (mit) Verlangen (brlt) der Mann, der Held des Harnamiten! (KTU 1.17 I 36–37)
(Mit) Lebenskraft (npš) möge Puch[at] leben, (37) die Wasserträgerin, die Schöpferin vom Vlies (38) den Tau, die Kennerin des Gangs der Sterne!
Lebewesen, Person(en) In einem Brief des Königs von Ugarit an den Pharao schreibt er diesem, dass er für das Wohlergehen seines Oberherrn betet: … Und für das Leben der Person (hy. npš) bete ich ˙ vor Ba῾[al] Sapon, meinem Herrn, ˙ 20 und (für) die Länge der Tage meines Herrn vor Amun und vor den Göttern Ägyptens, die beschützen mögen die Person (npš) der Sonne, des Großkönigs, meines Herrn. (KTU 2,23,17–24) Literatur: Janowski, næpæš, 90 ff.
666 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 128: ῾Anats Reaktion auf die Botschaft von Ba῾als Tod (vgl. oben 175) Im Ba῾al-Epos wird eindrücklich geschildert, wie die Göttin ῾Anat auf Ba῾als Boten reagiert, nämlich mit einem angstvollen Zittern ihres Körpers. Es „beginnt unten bei den Füßen und setzt sich in einem ersten Schub bis zu den Hüften nach oben fort und anschließend kehrt die anatomische Aufzählung vom Gesicht zu den Hüften und zum Becken, zur Hüftgegend und zum Gesäß mit dem nervus ischiaticus zurück“ (Dietrich / Loretz, Anatomie, 149). Der Text KTU 1.3 III 32–35a lautet folgendermaßen: Siehe – ῾Anat sah die beiden Götter: Da zitterten bei ihr die Füße, wurden die Lenden hinten kraftlos, ihr Gesicht oben schwitzte, es bebten ihre Lendenmuskeln, das Gesäß unten an ihrem Rücken. Übersetzung: Dietrich / Loretz, aaO 149, s. dazu und zu den einzelnen Körperteilen dies.,
aaO 149 f; TUAT.NF 8 (2015) 206 (H. Niehr) und Martin, Hand, 67. Zur Reaktion At irats ˉ auf das Kommen Ba῾als und῾Anats in KTU 1.4 II 16–20 s. TUAT.NF 8 (2015) 213 (H. Niehr). Zu beiden Texten kann man Ez 21,11 und Dan 5,6 vergleichen.
Q 129: Körperteilbezeichnungen im Reichsaramäischen (vgl. oben 148) Auch im Korpus der reichsaramäischen Inschriften aus dem 5.–2. Jh. v. Chr. gibt es einige Belege für die gestisch-funktionale Bedeutung von Körperteilen wie der Hand, dem Arm, dem Gesicht, dem Mund und der Kehle, s. dazu Schwiderski, Körperteile, 29 ff.
3. Rechts- und Wirtschaftsleben Rechts- und Vertragswesen Q 130: Sfire-Inschriften (vgl. oben 557) Außer in den neuassyrischen Vertragstexten (s. Q 92) begegnet der Topos „Liebe“ im Sinn von „Gefolgschaftstreue“ auch in den altaramäischen Sfire-Inschriften (um 750 v. Chr.). Zitiert sei zunächst KAI 224,14–17: (7) Und alle Könige meines Um(8)kreises oder jeder, der mir wohlgesonnen ist (rhm) ˙ und d[e]m ich meine Boten sende […] Offe(9)n sei der Weg für mich! Wie in Dtn 6,5 ist die Instanz, die über Abfall oder Vertragstreue entscheidet, das menschliche Herz, so z. B. in KAI 223 B,4–6 und KAI 224,14–17: (4) Und] (5) wenn du sprichst in deinem Sinn (nbš) und denkst in [deinem] Herzen (lbb): [,Ein Vertragsmann bin ich, und ich will dem Barga᾽jā gehorchen] (6) und seinen Söhnen und seiner Nachkommenschaft, dann werde ich die Ha[nd] nicht [gegen dich] erheben können … (KAI 223 B,4–6) (14) Und wenn es über dein Herz kommt und du den Plan äu(15)ßerst, mich umzubringen, 〈und (wenn) es über das Herz deines Sohnes kommt und er den Plan äu-
Q 132: Ugaritischer Sündenbock-Ritus 667
ßert, meinen Sohn umzubringen〉, und (wenn) es über das Herz deines Enkels kommt und er den Plan äußert, meinen Enkel umzubringen, oder wenn es über das Herz deiner Nachkommenschaft kommt (16) und sie den Plan äußert, meine Nachkommenschaft umzubringen, und wenn es über das [H]erz der Könige von Arpad kommt 〈und sie den Plan äußern, mich umzubringen〉 – in jedem Falle, in dem ein Mensch stirbt, bist du vertragsbrüchig geworden gegenüber al(17)len Vertragsgöttern, die in dieser Inschrift sind. (KAI 224,14–17) Übersetzung: Donner / Röllig, KAI 2, 264.265, s. dazu auch Rüterswörden, Liebe, 235 f, der
zu aram. nbš in KAI 223B,5 bemerkt: „… wir (haben) mit nbš, hier mit ,Sinn‘ übersetzt, den Blick nach innen. Dies wirkt so, als kündige sich hier der Übergang von einer Außenzu einer Innenperspektive an.“
4. Kult, Ritus und Gebet Gebet Q 131: El erscheint König Kirta im Traum (vgl. oben 345) Der Gott El erscheint dem König Kirta, dessen Sippe vernichtet und dessen Haus zugrunde gegangen war (vgl. KTU 1.14 I 6 ff), im Traum. Die Szene spielt sich nah KTU 1.14 I 26–43 im Schlafgemach ab: (26) Er trat in sein Gemach, er weinte (27) beim Wiederholen der [K]lagen, ja, er vergoss Tränen. (28) Es ergossen sich seine Tränen (29) wie Šeqel zur Erde, (30) wie Fünftelšeqel auf das Lager. (31) Bei seinem Weinen da schlief er ein, (32) bei seinem Tränenvergießen da (kam) Schlummer. (33) Schlaf überwältigte ihn (34) und er legte sich hin, Schlummer (35) und er sank nieder. Und in seinem Traum (36) stieg El herab, in seiner Vision (37) der Vater des Menschen. Und er näherte sich, (38) indem er Kirta fragte: „Wa[s] ist dir, (39) Kirta? Dass er weint, (40) Tränen vergießt, der liebliche Knabe des (41) El? (42) Wünscht er ein Königtum (wie das) seines Vaters, oder eine Herrscha[ft] (43) wie die des Vaters des Menschen [ ]?“ Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 242 f (H. Niehr).
Ritualtexte Q 132: Ugaritischer Sündenbock-Ritus (vgl. oben 417) Die Heimat des eliminatorischen Sündenbock-Ritus, der auch im alten Israel (Lev 16,20 ff) und im antiken Mittelmeerraum (Griechenland, Rom, Etrurien, s. Q 176) verbreitet war, war Südostanatolien-Nordsyrien (neben Ugarit noch Kizzuwatna, s. Q 118 und Q 119). Wie das ugaritische Lungenmodell KTU 1.127: 29–31 zeigt, soll anlässlich einer lebensbedrohlichen Not (Seuche, Pest?) eine Ziege zur Abwehr des Unheils „in die Ferne“ (mrhqm Z. 31) ˙ getrieben werden. Der singuläre Text lautet folgendermaßen: 1 2 4 7
Ein Schlachtopfer, wie man für Yerah ˘ gelobt hat; 3 ein Schlachtopfer für die Abwehr; 5 ferner ein Geschenk für TRMN und ˉ ein Schlachtopfer, 8 von dem alles aufgebraucht wird;
668 Quellen zur Anthropologie der Antike 9 ein Schlachtopfer entsprechend der Vorschrift 10 für die Abwehr; 11 und eine Darbringung 12 entsprechend einem Schlachtopfer, 13 ein Schlachtopfer, das gelobt haben im Tempel 14 die bnš-Leute, 15 ein Schaf als Br[and-] 16 und š[lmm-Opfer] der [Abwehr ]; … 21 ein Stier für Dagan … 22 im Tempel … 23 und für das Schlachtopfer … 25 eine Frau … er nimmt eine Ziege … 29 Wenn die Stadt gefasst / in Bedrängnis gebracht wird, wenn ein Mann / Krieger die Leute des Palastes verdirbt / unrecht behandelt, 30 dann soll ein Mann / Bürger eine Ziege nehmen und in die Ferne treiben! Übersetzung: Loretz, Ugarit, 118 f (mit dem Kommentar 118 ff, dort auch zu den Unterschie-
den zwischen dem ugaritischen Text und Lev 16,20 ff), s. dazu auch Janowski / Wilhelm, Bock, 131 f.
5. Königsideologie Q 133: Krönungshymnus aus Ugarit und Emar (vgl. oben 468) Der aus Ps 72,6 f.16 u. a. bekannte Zusammenhang von königlicher Gerechtigkeit und Fruchtbarkeit des Landes begegnet außer in mesopotamischen Teten auch im Krönungshymnus „Lebe, mein König!“ aus Ugarit (RS 1979–25) und Emar (Msk. 74243): 1 Lebe, mein König! … 8 Mit Üppigkeit des Lebens möge dich Annu sättigen! 9 Üppigkeit des Lebens schenke dir Sîn! … 15 Die Nacht möge dir ihre Schrecklichkeit verleihen, 16 die Steppe möge 〈dir〉 ihre Fruchtbarkeit geben! 17 Wie ein (Hochwasser-)Fluß sollst du Fruchtbarkeit haben, 18 wie (Fluß-)Wasser sei (du aber auch) das Leben des Landes! Wie Wasser der großen Flüsse [mögest du sein] gemäß der Ordnung des Annu! 19 Regen des Überflusses möge auf dich aus dem Himmel regnen, 20 Kraut der Herzensfreude möge für dich wachsen! 21 Das Gebirge möge dir seinen Ertrag bringen, 22 die Flüsse mögen dir ihre Frucht zutragen! Übersetzung: Loretz, Götter, 429.
Q 134: Der König verhilft Witwen und Waisen zum Recht (vgl. oben 265) Nach dem Aqhatu-Epos KTU 1.17 V 3–8 gilt es als Aufgabe des Königs, sich am frühen Morgen zum Stadttor zu begeben, um dort den Witwen und Waisen zum Recht zu verhelfen:
Q 136: Lehmfiguren aus ῾En Ghazal 669
Und siehe, am sieb[ten] der (4) Tage: Dann, Dan᾽ilu, der Mann (5) des Rapi᾽u, d[a]nn der Held, der Mann [aus] Harnamu, (6) erhob sich, setzte sich in den Eingang des Tores inmitten (7) der Noblen, die auf der Tenne waren. Er richtete (8) den Rechtsfall der Witwe, er verschaffte Recht der Waise. Übersetzung: TUAT.NF 8 (2015) 278 (H. Niehr). Im Kirta-Epos (KTU 1.16 III 44–54; 1.16
VI 30b–34.43–50a) erhält König Kirta von seinem Sohn Dan᾽ilu den Vorwurf, dieser Pflicht nicht nachgekommen zu sein, s. dazu TUAT.NF 8 (2015) 265 f (H. Niehr), ferner Loretz, Ugarit, 204 ff; ders., Götter, 337 ff und Schellenberg, Witwen, 187.189.
6. Weltbild Q 135: Der Eingang zur Unterwelt (vgl. oben 512) Im antiken Syrien / Palästina wird der Eingang zur Unterwelt und der Ausgang aus ihr im Baschan – dem Gebiet zwischen dem Hermon im Norden, dem Yarmuk im Süden, dem See Genezareth im Westen und dem Hauran im Osten – lokalisiert. Diese Baschan-Tradition wird in dem ugaritischen Ritualtext KTU 108 rezipiert, der die Übertragung göttlicher Kräfte auf den neu inthronisierten König von Ugarit zum Thema hat und der sich auf die in das Jahr 1215 v. Chr. zu datierenden Inthronisationsfeierlichkeiten für Ammurapi, den letzten König von Ugarit bezieht. Der Text beginnt mit der Aufstellung von Statuen und lautet folgendemaßen: 1 [Sieh]e, man stellt auf Rapi᾽u, den König der Unterwelt, und zwar stellt man auf 2 den Gott des Gatāru und des Yaqāru, den Gott, der thront in ῾Aštartu, ˉ 3 den Gott, der Orakel gibt in Edrei, vor dem man singt und spielt 4 auf der Zither und Flöte, mit Pauke und Zimbeln, mit Kas 5 tagnetten von Elfenbein inmitten der freundlichen Gesellen des Kotāru. ˉ Übersetzung: Niehr, Königsideologie, 150, s. dazu ders., aaO 144 ff; ders., Ahnen, 385 ff und del Olmo Lete, Bašan, 51 ff.
𓇼 VI. Palästina / Israel (mit Elephantine) 1. Lebensphasen Geburt und Namengebung Q 136: Lehmfiguren aus ’En Ghazal (vgl. oben 104) Der Vorstellung, dass Gott nach Gen 2,21 f die „Rippe“ (selā῾), die er vom Menschen ge˙ nommen hatte, zu einer Frau „(aus)baute“, liegen vielleicht Lehmfiguren aus ῾En Ghazal zugrunde, die – wie Abb. 144 zeigt – um einen Kern aus Holz oder Schilfrohr bzw. Binsen
670 Quellen zur Anthropologie der Antike gebildet wurden. Sie sind deswegen bedeutsam, weil sie „den Körperbau nach(bilden), indem sie ein Binnengerüst mit einer Haut umkleiden“ (Belting, Bild-Anthropologie, 152): „Im Neolithikum wird erstmals die Vorstellung greifbar, dass ein Mensch substantiell aus zweierlei, nämlich Knochen und Fleisch, besteht. Zur Imitation dieser Materialien wird bei der Herstellung menschlicher Figuren Schilfrohr und Kalkmörtel oder Ton verwendet. Auch in der Bibel gelten Bein und Fleisch als Gerüst und Materie eines menschlichen Wesen (vgl. Ijob 10,9; 33,6), die jedoch erst durch Gottes Beatmung oder Geist lebendig werden. Im zweiten Schöpfungsbericht (Gen 2,7) wird die Erschaffung des Erdlings Adam als Werk einer mit Lehm arbeitenden Schöpfergottheit beschrieben. Die Erschaffung der Frau aus einem Bauteil des Erdlings (Gen 2,21–23) dürfte noch stärker in Anlehnung an das aus dem Kunsthandwerk bekannte Skulptieren um ein Gerüst herum erzählt sein.“ (Schroer / Keel, IPIAO 1, 64, vgl. Keel / Schroer, Schöpfung, 149.150 und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 64.66)
Abb. 144: Lehmfigur aus ῾En Ghazal (Jordanien, um 6700 v. Chr.) Ein Problem dieser Deutung liegt allerdings im großen zeitlichen Abstand zu Gen 2,21–23, so dass – abgesehen von einer vorstellungsmäßigen Analogie – von einer direkten Referenz keine Rede sein kann, vgl. Uehlinger, Knochenfrau, 33.
Q 139: Hebräische Segensinschriften 671
Alter und Tod Q 137: Kürzere Wandinschrift aus Kuntilet ῾Agrūd (vgl. oben 549) Die Rekonstruktion dieser nur fragmentarisch erhaltenen, in phönizischer Schrift und hebräischer Sprache geschriebenen Wandinschrift aus Kuntilet ῾Agˇ rūd, die möglicherweise den Topos „alt und lebenssatt“ enthält, ist sehr unsicher. Wenn man das erste (unvollständig erhaltene) Zeichen als Aleph (und nicht als Beth) liest, ist mit „Länge der Tage (= langes Leben)“ zu übersetzen. Und statt „sie werden satt sein“ bleibt auch „sie sollen schwören“ möglich: (1) [… Ge]segnet/[ge]priesen sei ihr Tag und sie werden satt sein / werden [und] sie geben dem [J]HWH von Teman und der/[seiner] Aschera […] (2) […] gut machen wird JHWH von Tem[an …] Übersetzung: TUAT.NF 6 (2011) 318 (A. Berlejung), s. dazu auch Leuenberger, Segen, 115 f;
ders., Leben, 78; Renz, Jahwe, 327 und Mathys, Segenszeugnisse, 68 ff.
Q 138: Bau- und Weihinschrift aus Ekron (vgl. oben 83) Die vom Ende des 7. Jh.s v. Chr. stammende philistäische Weihinschrift aus Tel Miqne / Ekron enthält einen wichtigen Beleg für „langes Leben“: (1) (Dies ist) das Haus, das Ikayuš, Sohn des Padiya, Sohnes (2) des Ysd, Sohnes des ᾽d᾽, Sohnes des Jaïr?, König von Ek(3)ron, seiner Herrin Pt?gyh baute, (3) damit sie ihn segne und be(4)hüte und seine Lebenszeit lang mache und (5) sein Land (4) segne. Übersetzung: Weippert, Textbuch, 346, s. dazu auch Leuenberger, Segen, 24; ders., Leben,
78 f; Renz, Jahwe, 327.330 f und Mathys, Segenszeugnisse, 65 f.
Q 139: Hebräische Segensinschriften (vgl. oben 92.411.549) Möglicherweise gewähren zwei außerbiblische Dokumente aus dem eisenzeitlichen Palästina / Israel Einblicke in den Prozess der Kompetenzausweitung JHWHs über den Tod hinaus:
Inschrift 3 von Hirbet el-Kōm (Ende 8. Jh. v. Chr.) ˘
Diese Inschrift zeigt, dass JHWH als ein den Toten schützender Gott von begüterten Familien im Juda der E IIC‑Zeit verehrt wurde. Das Handsymbol kann entweder die Gottheit repräsentieren oder eine apotropäische Funktion haben, die Böses vom Grab abwehren soll: 1 5
᾽Ūrīyāhū, der Reiche, hat es geschrieben: Gesegnet war ᾽Ūrīyāhū von / durch JHWH. Und von seinen Feinden hat er ihn durch seine Ašera gerettet (yš῾ hif.). Durch Onijahu und durch seine Ašera seine A[š]era
672 Quellen zur Anthropologie der Antike
Abb. 145: Inschrift und Handsymbol von Hirbet el-Kōm (8. Jh. v. Chr.) ˘ Übersetzung: Janowski, Gott Israels, 283 f, s. dazu auch Renz / Röllig, HAHE 1, 207 ff; Renz,
Jahwe, 322 f; Mathys, Segenszeugnisse, 79 ff; Weippert, Textbuch, 367 f; Jaroš, Zeugen, 125 ff, ferner Liess, Weg des Lebens, 302 ff; Eberhardt, JHWH, 339 ff; Leuenberger, Leben, 110 f u. a.
Silberamulette vom Ketef Hinnom (Ende 7./Anfang 6. Jh. v. Chr.) Die beiden Silberamulette vom Ketef Hinnom enthalten nicht nur eine Variante des sog. Priestersegens von Num 6,24–26 (Amulett I Z. 14–18, Amulett II Z. 5–12), sie scheinen auch mit der Wirkmächtigkeit JHWHs in der Finsternis des Grabes zu rechnen. Der uns interessierende Abschnitt findet sich in Amulett I Z. 11–18, wonach JHWH als ein Gott gepriesen wird, der „unser Wiederhersteller und Fels ist“ [?] bzw. der „uns Licht zurückbringt [?]“ (Z. 12–14) und der „sein Gesicht leuchten lässt“ (Z. 16–18, vgl. Num 6,24–26) über die / zu den Toten hin: 15
Denn bei ihm (sc. JHWH) ist Erlösung, denn JHWH (ist) unser [Wie]derhersteller [und] [Fe]ls. Es segne dich JHWH, [und] [er] bewahre dich, [es] [las]se leuchten JHWH [sein Ang]esicht …
Übersetzung: Janowski, Gott Israels, 284 f, s. dazu auch Renz / Röllig, HAHE 1, 447 ff; Berle-
jung, Mensch, 37 ff; Mathys, Segenszeugnisse, 82 ff; TUAT.NF 6 (2011) 311 ff (A. Berlejung); Jaroš, Zeugen, 151 ff, ferner Liess, Weg, 307 ff; Eberhardt, JHWH, 375 ff und Leuenberger, Leben, 111 ff.
Q 142: Arad-Ostrakon 673
2. Leibsphäre Übergreifendes Q 140: Körperteilbezeichnungen in der althebräischen Epigraphik (vgl. oben 148) In der althebräischen Epigraphik des 7./6. Jh.s v. Chr. gibt es ca. 10 Belege für die gestischfunktionale Bedeutung der Körperteile und Organe Kopf, Ohr, Herz, Hand und Arm, s. dazu Müller, Körperteilbezeichnungen, 13 ff. „Man kann zeigen“, fasst Müller zusammen, „dass auch in der althebräischen Epigraphik jād / Hand für Handlungsfähigkeit und Macht verwendet, dass Ohr/᾽ozæn mit Einsichtsfähigkeit oder Verständnis verbunden, Arm / zeroa῾ anstelle der gemeinten Funktion, Schlagkraft oder Macht und Stärke, gesetzt und das Herz / leb(āb) mit Denken und Wollen assoziiert wird“ (dies., aaO 27). Zu npš in der althebräischen Epigraphik s. Müller, „Seele“, 179 ff. In Q 141 und 142 werden zwei Beispiele für das Herz angeführt.
Einzelaspekte Q 141: Inschrift auf Pithos B aus Kuntilet ῾Agˇrūd (vgl. oben 154.549) Der älteste Beleg für lbb „Herz“ in der althebräischen Epigraphik findet sich auf Pithos B aus Kuntilet ῾Agˇrūd (Anfang 8. Jh. v. Chr.). Das Herz kommt hier wie z. B. auch in Ps 20,5 nicht in seiner körperlichen, sondern in seiner funktionalen Bedeutung, nämlich als Agens des Wollens und Wünschens zur Geltung: (1) [(gesegnet sei / ich segne o.ä.) …] durch / bei JHWH von Teman und bei / durch seine/r Aschera (2) […] Alles, was er erbittet von einem gnädigen Gott / El / Menschen, […] und es gibt ihm JHW (3) nach seinem Herzen … Übersetzung: TUAT.NF 6 (2011) 317 (A. Berlejung), s. dazu auch Renz / Röllig, HAHE 1, 63 f;
Jaroš, Zeugen, 107 ff und Müller, Körperteilbezeichnungen, 17 f .
Q 142: Arad-Ostrakon (vgl. oben 154) Ein zweiter früher lb „Herz“-Beleg findet sich auf dem Arad-Ostrakon Nr. 40 (Ende 8. Jh. v. Chr.). Auch hier steht, wie etwa in 1 Kön 8,58 (von JHWH gesagt: „Er neige unser Herz zu ihm, dass wir wandeln in allen seinen Wegen und halten seine Gebote …“), der funktionale Bedeutungsaspekt des Herzens (Sitz des Denkens und Wollens) im Vordergrund: Eure Söhne Gemar[yāhû] und Nehmeyāhû send[en hiermit Grüße] an Malkiyāhû: Ich ˙ segne [dich gegenüber Jah]we. Und nun: Geneigt hat dein [D]iener sein [H]erz (lb) zu dem, was du gesagt [hast; und ich habe geschrieben] an meinen Herrn [alles, was] der Mann wollte. [Und ᾽Ešyāhû ist gekom]men von dir, aber einen Mann [hat er] ihnen [nicht gegeben]. Übersetzung: Renz / Röllig, HAHE 1, 147 (mit dem Kommentar 145 ff), s. dazu auch Smelik,
Dokumente, 96 f; Jaroš, Zeugen, 129 ff und Müller, Körperteilbezeichnungen, 18 f.
674 Quellen zur Anthropologie der Antike
3. Sozialsphäre Aspekte der Ethik Q 143: Brief des ῾Abdi-Heba von Jerusalem (vgl. oben 294) ˘
In der sog. „Vasallenkorrespondenz“ innerhalb des Korpus der Amarna-Briefe aus Palästina (Mitte 14. Jh. v. Chr.) begegnet regelmäßig die Floskel vom siebenmaligen Niederwerfen, s. als Beispiel den Brief des ῾Abdi-Heba von Jerusalem an den Pharao EA 288, Vs.1–3: ˘ [Sprich zum K]önig, meinem Herrn; [folgendermaßen ῾Ab]di-Heba, dei[n] Diener: ˘ [Zu Füßen des Königs], meines [He]rrn, [bin ich] siebenmal und siebenm[al niedergefallen]. Übersetzung: TUAT.NF 3 (2006) 202 (A. F. Rainey), vgl. Weippert, Textbuch, 138.
Q 144: Elfenbeinplakette aus Megiddo (vgl. oben 220) Auf der berühmten Elfenbeinplakette aus Megiddo (14./13. Jh. v. Chr., s. Abb. 146) wird dargestellt, wie ein Fürst im Streitwagen vom siegreichen Kampf zurückkehrt (oben rechte Hälfte, unten linke Hälfte). Die Ritzzeichnung ist u. a. für das Thema „Ehre und Schande“ aufschlussreich: „Der einmal als Sieger auf dem Streitwagen heimkehrend und einmal auf dem Thron sitzend dargestellte Fürst und die vor ihm stehende Frau tragen die aufwendigste Kleidung mit Borten- und Bänderschmuck, die Frau zusätzlich eine Kopfbedeckung. Die hinter ihr stehende Frau ist dadurch, dass sie ohne Kopfbedeckung und mit einfacherem Gewand abgebildet ist, als rangniedriger eingestuft, ebenso die hinter dem Thron stehenden Diener. Die Soldaten sind mit dem einfachen Hüftschurz bekleidet. In der Nacktheit der gefesselt vorgeführten Feinde drückt sich schließlich ihre Schutz- und Rechtlosigkeit aus“ (Weippert, Art. Kleidung, 497).
Abb. 146: Elfenbeinplakette aus Megiddo (14./13. Jh. v. Chr.)
Q 146: Ostrakon 675
Literatur: Außer Weippert, Art. Kleidung, 496 f s. noch Keel / Uehlinger, Göttinnen, 70 ff; Dietrich, Ehrgefühl, 425 f; Staubli, Kleider, 51 (farbige Abb.); ders. / Schroer, Menschenbilder, 383 und Schroer, IPIAO 3, 374 f.
Q 145: Ostrakon von Hirbet Qeiyafa (vgl. oben 263.549)
˘
Ein frühes außerbiblisches Zeugnis für die hohe Sensibilität gegenüber sozialen Problemen ist das aus dem 10. Jh. v. Chr. stammende Ostrakon von Hirbet Qeiyafa (27 km süd˘ westlich von Jerusalem). Dabei tauchen bereits die Termini auf, die aus der prophetischen Sozialkritik vertraut sind: […] 1 nicht tue! Und diene JHWH! Sprich Recht einem Sklaven und einer Witwe, sprich Recht einer Waise und einem Fremden! Führe die Rechtssache für ein Kind, führe die Rechtssache für einen Geringen u nd für eine Witwe, ahnde durch (die) Hand (des) Königs! 5 Einen Armen und einen Sklaven beschütze, einen Fremden unterstütze! Übersetzung: Jaroš, Zeugen, 100 (mit dem Kommentar 98 ff), s. dazu auch Braulik, Gesell-
schaft, 563 f und Achenbach, Protection, 93 ff.
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Q 146: Ostrakon von Mesad Hašavyāhū (vgl. oben 221.549) ˙ ˙
Das Ostrakon von Mesad Hašavyāhū (7./6. Jh. v. Chr.) enthält die Petition eines Ernte˙ ˙ arbeiters, die „sich auf die Rücknahme der Aktion eines Ernteaufsehers o.ä. (bezieht), die in der Pfändung eines Kleidungsstücks als Sanktion für eine mangelhafte Arbeitsleistung bestand. Der Bittsteller wendet sich an einen ranghohen Beamten, vielleicht den Kommandanten der Festung, um entweder de jure oder wenigstens durch einen Gnadenakt wieder in den Besitz seines konfiszierten Gewandes zu gelangen“ (Weippert, Textbuch, 371): (1) Es höre mein Herr Beamter (2) das Wort seines Dieners! Dein Diener (3) ist ein Erntearbeiter. Als dein Diener in Ha(4)sar ᾽Āsām war, da ˙ gewöhnlich. ˙ erntete dein Diener. (5) Da maß er ab, während er aufhäufte wie Vor dem Sabb(6)at, als dein [Di]ener 〈seine〉 Ernte ab[maß], während (7) er aufhäufte wie gewöhnlich, da kam Hōša῾ăyāhū, Sohn des Šōb(8)ī. Da nahm er das Gewand (bgd) deines Dieners, als i〈ch〉 (9) meine Ernte (8) abmaß. (9) (Schon vor) einiger Zeit nahm er das Gewand deines Dieners. (10) Aber alle meine Genossen können für mich zeugen, die mit mir in (11) der Sonnen(10)hitze ernteten. Meine Genossen können für mich zeugen. Wenn ich von Sch(12)[uld] (11) frei bin, [gib mir doch] mein Gewand [zurück]! Wenn aber der Beamte (13) [das Gewand deines / seines] Dien[ers] (12) nicht zurückgeb(13)[en] (12) darf, [so mögest du] ihm Gna(14)[de (13) erweis]en (14) [und das Gewand] deines [Di]eners [zurückgeb]en. Und schweige? do(15)[ch] (14) nicht!
676 Quellen zur Anthropologie der Antike Übersetzung: Weippert, Textbuch, 371 f, s. dazu auch Renz / Röllig, HAHE 1, 315 ff; Smelik,
Dokumente, 87 ff; Jaroš, Zeugen, 162 f; Kratz, Israel, 88 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 387 f.
Q 147: Scheidungsurkunde aus Elephantine (vgl. oben 124) Aus der judäischen Garnison Elephantine stammt ein Ehevertrag, der belegt, dass Frauen das Recht zur Scheidung besaßen und damit als rechtsfähig galten. Die Akteure der folgenden Scheidungsurkunde aus dem Jahr 438 v. Chr. sind ᾽Eshōr, ein Architekt des Kö˙ nigs, sowie Mahsēyā, ein Aramäer von Syene / Assuan (gegenüber von Elephantine) und ˙ dessen Tochter Mibtahyā: ˙ ˙ (Wenn) morgen ode[r] später Mibtahyā in einer Versammlung aufsteht und spricht: ˙ ˙ „Ich lehne ᾽Eshōr, meinen Ehemann, ab“, ist Scheidungsgeld auf ihrem Haupt. Sie wird ˙ sich an die Waage setzen und ᾽Eshōr 7 2⁄4 Šeqel Silber abwiegen. Und alles, was sie in ˙ ihrer Hand hereingebracht hat, wird sie herausnehmen vom Strohhalm bis zum Faden und weggehen, wohin sie will und ohne Rechtsstreit noch Prozess. (Wenn) morgen oder später ᾽Eshōr in einer Versammlung aufsteht und spricht: ˙ „Ich lehne meine [F]rau Mibtahyā ab“, geh[t] ihr Brautpreis verloren, und alles was ˙ ˙ sie in ihrer Hand hereingebracht hat, wird sie herausnehmen vom Strohhalm bis zum Faden an einem Tag, auf einen Schlag, und wird gehen, wohin sie will, ohne Rechtsstreit noch Prozess. Und [w]er gegen Mibtahyā aufsteht, um sie aus Haus, Habe und Besitz ᾽Eshōrs zu ˙ ˙ ˙ jagen, wird ihr 20 Karša Silber geben und ihr gegenüber die Regelung dieses Dokuments ausführen. Und ich kann nicht sagen: „Ich habe eine andere Frau neben Mibtahyā und andere ˙ ˙ „Ich Kinder neben den Kindern, die Mibtahyā mir gebiert.“ Wenn ich sage: habe ande˙ ˙ re Kinder und Frau neben Mibtahyā und ihren Kindern“, werde ich Mibtahyā 20 Karša ˙ ˙ ˙ geben. Und ich kann meine Habe und˙meinen Silber nach königlichem Gewicht Besitz Mibtahyā nicht entziehen. Und wenn ich sie ihr wegnehme (gemäß dieses Dokuments, ˙ ˙werde ich Mibtahyā 20 Karša [Silbe]r nach königlichem Gewicht geben. aber), ˙ ˙ Übersetzung: Weippert, Textbuch, 492 f, s. dazu auch Meyers, Archäologie, 98.
5. Kult, Ritus und Gebet Hymnen und Gebete Q 148: Inschrift B aus Hirbet Bēt Layy (vgl. oben 194)
˘
Ein relativ früher außerbiblischer Beleg für die Wendung hnn („gnädig sein“) + Subj. Gott ˙ (vgl. Ex 34,6) findet sich in der Felsinschrift B aus Hirbet Bēt Layy (ca. 8 km östlich von ˘ Lachisch, ausgehendes 8. Jh. v. Chr.): (?) suche (fürsorglich) heim, Jah, gnädiger Gott (᾽l hnn)! ˙ Erkläre straffrei, Jah, Jahwe! Übersetzung: Renz, „Jahwe“, 349 f (mit dem Kommentar 349 ff), s. dazu auch Renz / Röllig,
HAHE 1, 247 f und Semlik, Dokumente, 149.
Q 150: Wandinschrift von Tell Dēr ῾Allā 677
6. Königsideologie Q 149: Brief des Tagi (vgl. oben 63) Im Tontafel-Archiv von Tell el-Amarna (Mittelägypten) aus der zweiten Hälfte des 14. Jh.s v. Chr. wurde auch ein Brief des Tagi (EA 264), des Königs von Ginti-Kirmil, an den Pharao Amenophis / Echnaton gefunden, in dem dieser mit einer – an die Allformeln von Jes 7,11; Am 9,2–4; Ps 139,8–10 u. a. erinnernden – universalen Herrschaftsaussage bedacht wird. Wie ehrlich diese Ergebenheitsaussage ist, lässt sich natürlich nicht mehr ermitteln. Sie ist aber aufschlussreich für die spätbronzezeitlich-kanaanäische Königsideologie: (13) Ferner: (14) Siehe, (was) uns (betrifft): Auf dich (15) sind meine Augen (gerichtet). Wenn wir (16) zum Himmel hinaufsteigen und wenn (17) wir in die Unterwelt hinabgehen, (18) ist unser Haupt (19) in deiner Hand. Übersetzung: Weippert, Textbuch 131, s. dazu und zum historischen Kontext Donner, Ge-
schichte Israels, 43 ff; Hartenstein, Horizont, 500 und Zwickel u. a., Bibelatlas, 46 f.
7. Weltbild Einzelaspekte Q 150: Wandinschrift von Tell Dēr ’Allā (vgl. oben 156.392.549) Auch in der Umwelt des Alten Testaments begegnen Chaosbeschreibungen, für die der Licht/Finsternis-Gegensatz charakteristisch ist. Geographisch am nächsten ist die „Bileam“-Inschrift aus dem ostjordanischen Tell Dēr ῾Allā, die wohl aus dem frühen 8. Jh. v. Chr. stammt. Dieser Text berichtet über die Vision des „Göttersehers Bileam bar Beor“, zu dem Götter(wesen) in der Nacht kamen, um ihm eine künftige Katastrophe mitzuteilen (Z. 1–2 = Sätze 1–7). Ein Grund für ihr Eintreten wie menschliche Schuld o.ä. wird nicht genannt. Tags darauf stand Bileam auf, fastete und weinte bitterlich, worauf seine Volksgenossen zu ihm kamen (Z. 3–*4 = Sätze 8–16), denen er auf deren Rückfrage nach dem Grund für die bevorstehende Katastrophe Folgendes antwortete: Er sagte zu ihnen: Setzt [euch] hin! Ich werde euch kundtun, 20 was die Sch[addajin tun woll]en. Auf! Schaut das Tun der Gö[tt]er: Die Gö[tt]er versammelten sich; Dabei standen die Schaddajin in der Versammlung 25 Und sprachen zur S[onnen]göttin: Du wirst die Schleusen(riegel) des Himmels mit deinem Gewölk verstopfen! Dort sei Finsternis, und nicht Glanz, Dunkelheit,
678 Quellen zur Anthropologie der Antike 30 und nic[ht] dein Strahlen! Du wirst Schrecken bewirken [durch …] Finsternis! Aber grolle nicht für immer! Fürwahr! Die Turmschwalbe verhöhnte den Geier, und das Geier[ne]st den Strauß, 35 den / die … Jungen des … und die Eule die Küken des Reihers. Die Schwalbe rupfte den [T]auber, und der Sperling … die … Übersetzung: Blum, Kombination I, 577 f, s. dazu auch Kruger, World, 65 ff und Kratz, Is-
rael, 92 f.
Q 151: Inschrift aus Hirbet Bēt Layy (vgl. oben 367)
˘
Ein relativ früher außerbiblischer Beleg für das horizontale Weltbild findet sich in der Inschrift A aus Hirbet Bēt Layy (ca. 8 km östlich von Lachisch, ausgehendes 8. Jh. v. Chr.). ˘ Religionsgeographisch wird hier „eine horizontale Kosmologie angedeutet, die aus drei Kreisen besteht und die in einer Konzentrationsbewegung von der ganzen Erde über das Bergland Judas auf die Stadt Jerusalem durchmessen wird …“ (Leuenberger, Jhwh, 254, vgl. 257): 1 JHWH (ist) der Gott der ganzen Erde, die Ber2 ge Judas (gehören) dem Gott Jerusalems. Übersetzung: Renz / Röllig, HAHE 1, 245 f, s. dazu auch Semlik, Dokumente, 149; Keel, Ge-
schichte Jerusalems, 392; Renz, „Jahwe“, 310 f; Hartenstein, Archiv, 127 ff und Leuenberger, Jhwh, 252 ff.
Q 152: Der Sonnengott in Jerusalem (vgl. oben X.278) Der Zusammenhang von göttlichem Rechtshandeln (Überwindung des Unrechts) und kosmischer Bedeutung des Lichts (Überwindung der chaotischen Finsternis) ist in der altorientalischen und ägyptischen Gebetsliteratur und Ikonographie weit verbreitet (s. Q 54; 64; 105; 113 u. a.). Dass diese Motivtradition auch in Jerusalem bekannt gewesen ist, belegt das akkadzeitliche Rollsiegel aus Jerusalem (Abb. 147), das in einem Grab des 7. Jh.s v. Chr. an der Mamillastraße gefunden wurde. Es zeigt den Sonnengott, der am Morgen auf seinem himmlischen Thron zu Gericht sitzt und dabei von zwei Dienern flankiert wird. Es ist das einzige akkadzeitliche Rollsiegel, das bisher in Palästina / Israel entdeckt wurde. Wie der Überlieferungsweg dieses Imports verlief, ist wohl nicht mehr aufzuklären. Deutlich aber ist, dass die Rezeption solarer, auf die Aspekte „Gerechtigkeit“ und „Leben“ bezogener Vorstellungselemente in den JHWH‑Glauben, älter ist als die mittlere und späte Königszeit. Der Boden dafür wurde durch mehrere Faktoren bereitet: zum einen (a) durch vorisraelitisch-kanaanäische Šæmæš-Traditionen, die an Ortsnamen wie Beth- šæmæš (Jos 15,10; 21,16; 1 Sam 6,9 ff u. ö.), ῾En-Šæmæš (Jos 15,7; 18,17), Timnat-Hæræs (Jos ˙ 24,30; Ri 2,9) und an Ortssagen wie Gen 19,*1 ff (Sodom), Gen 32,*23 ff (Jabboq) und Jos 10,12 f (Gibeon) erkennbar sind, und zum anderen (b) durch frühe (?) Theophanietraditionen, die das „Kommen“ JHWHs mit den Lichtverben zārah „aufstrahlen“ und jp῾ ˙
Q 153: Solons Alterselegie 679
Abb. 147: Der Sonnengott hält Gericht (Rollsiegel, um 2250 v. Chr.) hif. „aufstrahlen, glänzend erscheinen“ ausdrücken (Dtn 33,2; Jes 60,2 u. ö.). Hinzu kam in der mittleren und späten Königszeit (c) die Jerusalemer sædæq/sedāqāh-Tradition, ˙ ˙ die im Kontext prophetischer Gesellschafts- und Normenkritik JHWH als Spender von Recht und Gerechtigkeit proklamierte (vgl. Jes 1,21 ff) und dafür solare Sprachbilder schuf (Hos 6,3.5; Zeph 3,5). Literatur: Janowski, Sonnengott, 199 ff; ders., „Übernachtung“, 171 ff und Keel, Geschichte
Jerusalems, 273 ff.
𓇼 VII. Griechenland 1. Lebensphasen Lebensalterstufen Q 153: Solons Alterselegie (vgl. oben 48) In den griechischen Lebensaltermodellen wird jede Generation mit bestimmten Fähigkeiten (politische Tugenden) versehen, die das Zusammenleben in der Polis möglich machen. Ein berühmtes Beispiel ist Hesiods Modell der Weltalterstufen in seiner Schrift Erga 106–201 (s. dazu Wagner-Hasel, Alter, 16 ff). Aus den philosophischen Lebensaltermodellen (mit je drei oder vier Phasen) fällt Solons Alterselegie (frühes 6. Jh. v. Chr.) heraus, weil sie zehn Stufen umfasst, die jeweils einem Siebenjahresrhythmus folgen: Ist noch das Knäblein (paîs) unreif und unmündig, wechselt es seine Zähne zum ersten Mal bis zum siebenten Jahr. Ließ ein Gott die folgenden sieben Jahre verstreichen, treten die Anzeichen der kraftvollen Jugend (hêbê) hervor. In dem dritten Jahrsiebent entwickeln sich reifend die Glieder, Bartflaum umschattet das Kinn, kräftiger färbt sich die Haut. Während des vierten gewinnt ein jeder die mächtigste Stärke; diese gewährt dem Mann (anêr) Leistung und hohen Erfolg (aretê). Während des fünften sollte der Mann auf Vermählung (gámos) bedacht sein, fortpflanzen sein Geschlecht für die zukünftige Zeit. Während des sechsten festigen sich die Kräfte des Geistes (nóos), nicht
680 Quellen zur Anthropologie der Antike das Unmögliche mehr hat man als Ziel sich gesteckt. Während des siebten und achten, vierzehn Jahre, bewährt er im vortrefflichsten Grad Einsicht und Redegewalt (glôssa). Kräfte besitzt er noch während des neunten, doch taugen zu höchster Leistung die Gaben des Geistes (sopíê) wie auch der Rede nicht mehr. Wurde ihm die Vollendung des zehnten Jahrsiebents beschieden, hat er die Stunde erreicht, die ihm zum Sterben (moîra thanátou) bestimmt. Zitiert nach Wagner-Hasel, Alter, 69 f.
Q 154: Herodot, Historien (vgl. oben 386) Für den Begriff „Generation“ rechnet man auch nach Herodot, Historien 2,142,2 mit einem Zeitraum von 30–40 Jahren: Nun machen aber dreihundert Generationen einen Zeitraum von zehntausend Jahren aus; denn drei Menschenalter sind gleich hundert Jahren. Aus den noch übrigen einundvierzig Menschenaltern, die zu den dreihundert noch dazukommen, ergeben sich eintausenddreihundertvierzig Jahre. Übersetzung: Herodot, Historien, 186 (H. G. Nesselrath).
Geburt und Namengebung Q 155: Platon, Symposion (vgl. oben 100) Im Rahmen eines Gastmahls aus Anlass des Erfolgs, der der Tragödiendichter Agathon mit seinem ersten Stück hatte, tritt nach Platon, Symposion 189d–191d als vierter von sieben Rednern der Komödiendichter Aristophanes (der Autor von Lysistrata, Frösche, Wolken u. a.) auf und hält einen Vortrag über den kugelrunden Urmenschen. Er beginnt folgendermaßen: Zuerst aber müßt ihr die menschliche Natur und deren Begegnisse recht kennen lernen. Nämlich unsere ehemalige Natur war nicht dieselbige wie jetzt, sondern ganz eine andere. Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden, dessen Name auch noch übrig ist, es selbst aber ist verschwunden. Mannweiblich nämlich war damals das eine, Gestalt und Benennung zusammengesetzt aus jenen beiden, dem männlichen und weiblichen, jetzt aber ist es nur noch ein Name der zum Schimpf gebraucht wird. Ferner war die ganze Gestalt eines jeden Menschen rund, so daß Rücken und Brust im Kreise herumgingen. Und vier Hände hatte jeder und Schenkel ebenso viel als Hände, und zwei Angesichter auf einem kreisrunden Halse einander genau ähnlich, und einen gemeinschaftlichen Kopf für beide einander gegenüberstehende Angesichter, und vier Ohren, auch zweifache Schamteile, und alles übrige wie es sich hieraus ein Jeder weiter ausbilden kann. Er ging aber nicht nur aufrecht wie jetzt, nach welcher Seite er wollte, sondern auch wenn er schnell wohin strebte, so konnte er, wie die Radschlagenden jetzt noch indem sie die Beine gerade im Kreise herumdrehen das Rad schlagen, eben so auf seine acht Gliedmaßen gestützt sich sehr schnell im Kreise fortbewegen.
Q 155: Platon, Symposion 681
Da diese Geschöpfe aber übermütig zu werden drohten, musste Zeus, um die Menschheit vor dem Untergang zu bewahren, eingreifen und tat dies, indem er sie in zwei Teile zerschnitt: Mit Mühe endlich hatte sich Zeus etwas ersonnen und sagte, Ich glaube nun ein Mittel zu haben wie es noch weiter Menschen geben kann, und sie doch aufhören müssen mit ihrer Ausgelassenheit, wenn sie nämlich schwächer geworden sind. Denn jetzt, sprach er, will ich sie jeden in zwei Hälften zerschneiden, so werden sie schwächer sein, und doch zugleich uns nützlicher, weil ihrer mehr geworden sind, und aufrecht sollen sie gehn auf zwei Beinen. Sollte ich aber merken, daß sie noch weiter freveln und nicht Ruhe halten wollen, so will ich sie, sprach er, noch einmal zerschneiden, und sie mögen dann auf einem Beine fortkommen wie Kreisel. Dies gesagt zerschnitt er die Menschen in zwei Hälften, wie wenn man Früchte zerschneidet um sie einzumachen, oder wenn sie Eier mit Haaren zerschneiden. Sobald er aber einen zerschnitten hatte befahl er dem Apollon, ihm das Gesicht und den halben Hals herumzudrehen nach dem Schnitte hin, damit der Mensch seine Zerschnittenheit vor Augen habend sittsamer würde, und das übrige befahl er ihm auch zu heilen. Dieser also drehte ihm das Gesicht herum, zog ihm die Haut von allen Seiten über das was wir jetzt den Bauch nennen herüber, und wie wenn man einen Beutel zusammenzieht faßte er es in eine Mündung zusammen, und band sie mitten auf dem Bauche ab, was wir jetzt den Nabel nennen. Die übrigen Runzeln glättete er meistenteils aus und fügte die Brust einpassend zusammen, mit einem solchen Werkzeuge, als womit die Schuster über dem Leisten die Falten aus dem Leder ausglätten, und nur wenige ließ er stehen um den Bauch und Nabel zum Denkzeichen des alten Unfalls. Nachdem nun die Gestalt entzweigeschnitten war, sehnte sich jedes nach seiner andern Hälfte und so kamen sie zusammen, umfaßten sich mit den Armen und schlangen sich in einander, und über dem Begehren zusammen zu wachsen, starben sie aus Hunger und sonstiger Fahrlässigkeit, weil sie nichts getrennt von einander tun wollten. War nun die eine Hälfte tot und die andere blieb übrig, so suchte sich die übrig gebliebene eine andere und umschlang sie, mochte sie nun auf die Hälfte einer ehemaligen ganzen Frau treffen, was wir jetzt eine Frau nennen, oder auf die eines Mannes, und so kamen sie um. Da erbarmte sich Zeus, und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihnen die Schamteile nach vorne verlegte, denn vorher trugen sie auch diese nach außen, und erzeugten nicht eines in dem andern sondern in die Erde wie die Zikaden. Nun aber verlegte er sie ihnen nach vorne, und bewirkte vermittelst ihrer das Erzeugen in einander, in dem weiblichen durch das männliche, deshalb damit in der Umarmung, wenn der Mann eine Frau träfe, sie zugleich erzeugten und Nachkommenschaft entstände, wenn aber ein Mann den andern, sie doch eine Befriedigung hätten durch ihr Zusammensein und erquickt sich zu ihren Geschäften wenden und was sonst zum Leben gehört besorgen könnten. Von so langem her also ist die Liebe zu einander den Menschen angeboren, um die ursprüngliche Natur wiederherzustellen, und versucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen. Übersetzung: Platon, Werke 4, 99 ff, s. dazu auch Kytzler, Mythen, 101 ff.
682 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 156: Aristoteles, De generatione animalium (vgl. oben 66) In Aristoteles’ Schrift De generatione animalium („Über die Zeugung der Geschöpfe“) begegnet im Zusammenhang mit der Darstellung der Menschwerdung die sog. Käseallegorie. Sie findet sich, ohne von Aristoteles abhängig zu sein, auch in Hi 10,10 und in SapSal 7,1–6 (s. Q 194): Sobald die Absonderung in der weiblichen Gebärmutter von der männlichen Samenflüssigkeit zur Entfaltung gebracht ist, die dabei etwas ähnliches bewirkt, wie das Lab in der Milch – Lab ist ja auch Milch mit Lebenswärme, die das Gleichgeartete zusammenbringt und gerinnen lässt. Übersetzung: P. Gohlke bei Frevel, Entstehung, 298.
Q 157: Das Rätsel der Sphinx (vgl. oben 1.3.48)
Abb. 148: Ödipus und die Sphinx (rotfigurige Vase, 5. Jh. v. Chr.) Auf einer rotfigurigen Schale aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. ist eine Urszene der griechischen Mythologie zu sehen (s. Abb. 148). Dargestellt ist die Begegnung zwischen Ödipus, dem Sohn des Laios und der Iokaste, und der Sphinx, die die Stadt Theben heimsucht und alle Menschen tötet, die ein von ihr gestelltes Rätsel nicht lösen können. Zur Belohnung erhält Ödipus, der das Rätsel löst, den thebanischen Königsthron und die verwitwete Königin Iokaste, seine Mutter, zur Frau und zeugt mit ihr vier Kinder. Das auf die drei Lebensphasen Kindheit (Krabbeln auf allen Vieren), Erwachsenenalter (Aufrechtstehen auf beiden Füßen) und Greisenalter (als drittes „Bein“ ein Stock) bezogene Rätsel vermittelt auf anschauliche Weise eine Vorstellung von der „biographischen“ Ganzheit des menschlichen Lebens, s. dazu B. Bäbler, Art. Sphinx, DNP 11 (2001) 816–819; A. Henrichs, Art. Oidipus, DNP 8 (2000) 1129–1132 und zum antiken Denken in Lebensalterstufen WagnerHasel, Alter, 9 ff. Der Text des Rätsels lautet folgendermaßen:
Q 160: Ikonographie des Alters 683
Es gibt auf der Erde – mit nur einer Gestalt – etwas, das zweifüßig und vierfüßig und dreifüßig ist, als einziges verändert es sein Wesen von allem, was über die Erde kriecht und sich durch die Lüfte und im Meer bewegt. Aber sobald es auf drei Füße gestützt daher geht, da ist seinen Gliedern die Kraft am schwächsten. Übersetzung: Manuwald, Sophokles, 340, s. dazu auch Vernant, Mythen, 190 ff; Flaig, Ödi-
pus, 119 ff u. a.
Alter und Tod Q 158: Chrysippos-Fragment des Euripides (vgl. oben 80) In griechischen Grabinschriften und literarischen Texten ist die „in Koh 3,21 vorausgesetzte und dort im Hinblick auf einen Unterschied von Mensch und Tier bezweifelte Vorstellung vom Aufstieg in den Himmel / den Äther dessen, was von oben stammt und der Rückkehr dessen zur Erde, was aus ihr stammt (vgl. Sir 40,11!)“ (Irsigler, Kohelet 11,9–12,7, 322 Anm. 75) belegt. Als Beispiel sei das Chrysippos-Fragment 839 des Euripides zitiert: Was aber aus Erde entstanden ist, geht wieder in die Erde zurück, und was dem Äther entstammt, kehrt wieder zu den Höhen des Himmels zurück. Was entsteht, stirbt nicht, sondern löst sich in seine Bestandteile auf und zeigt sich in neuer Gestalt. Übersetzung: G. A. Seeck, zitiert nach Müller, Deutungen, 94 f. Eine lateinische Nachdich-
tung findet sich bei Lukrez, De rerum natura II 991–1009, s. dazu Lukrez, Natur der Dinge, 98 f und dazu den Kommentar von K. Binder in Lukrez, aaO 287. Zu Sir 40,11 s. Q 196.
Q 159: Epikur, Hauptlehren (vgl. oben 94.177) In seinen Hauptlehren § 2 hat Epikur (341–270 v. Chr.) jenes Dictum über den Tod geprägt, das eine außerordentliche Wirkungsgeschichte bis zu Lukrez, De rerum natura (Q 184) und darüber hinaus gezeitigt hat: Der Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Wahrnehmung. Was aber keine Wahrnehmung hat, geht uns nichts an. Übersetzung: Hossenfelder, Glückslehren, 224, s. dazu ders., aaO 172 f und Schröter / Zan-
genberg (Hg.), TUNT, 272.
Q 160: Ikonographie des Alters (vgl. oben 77) Die beiden Abbildungen (Abb. 149) zeigen hellenistische Statuetten zweier alter Menschen, einer Frau und eines Mannes.
684 Quellen zur Anthropologie der Antike
Abb. 149: Statuetten alter Menschen (hellenistisch) Aus: Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 4,30.
2. Leibsphäre Übergreifendes Q 161: Körperteilbezeichnungen bei Homer (vgl. oben 148) In der griechischen Literatur, besonders aber in Homers Ilias und Odyssee, gibt es ca. 20 Bezeichnungen für Körperteile und Organe, die außer ihrer somatischen eine gestischfunktionale Bedeutung haben, s. dazu Stenger, Körper, 163 ff (mit der Liste 168). Zu dem hinter der homerischen Körperauffassung stehenden Konzept s. Q 162.
Q 162: Zur homerischen Körperauffassung (vgl. oben 141.147) Nach der homerischen Körperauffassung ist der menschliche Körper keine geschlossene Einheit, sondern die Summe einzelner Organe und Glieder. Darüber hinaus ist zu beachten, dass in den homerischen Epen der Ausdruck ἄνθροποι „Menschen“ mehr als 360mal vorkommt, während der Singular ἄνθροπος „Mensch“ nur 8mal belegt ist. „Bevor der Mensch in den Blick kam, war von Menschen die Rede. Der Mensch als solcher war kein expliziter Gegenstand des Denkens“ (Meyer, Aristoteles, 29 f). G. Böhme hat diese Konstitution des homerischen Menschen folgendermaßen zusammengefasst: „Es gibt keine Erfahrung des Körpers als eines ganzen Dinges, vielmehr wird der Körper als eine Vielfalt von Gliedern erfahren. Das zeigt sich in der Sprechweise Homers, die keinen Ausdruck für den lebendigen Leib im ganzen, sondern stets nur für Glieder
Q 163: ψυχή bei Homer 685
hat. Es zeigt sich auch in der bildenden Kunst, in der der menschliche Körper in dieser Periode so dargestellt wird, daß unserm Empfinden nach der Rumpf quasi ganz in Glieder aufgelöst ist. – Die Selbsterfahrung des Menschen ist eine Erfahrung von affektiver Betroffenheit in Leibesinseln – in Schmitz´ Terminologie. Da gibt es vor allem die Phrene, die Gegend in der Leibesmitte, da gibt es die Brust, da gibt es das Herz. Angst, Wut, Liebe, Haß, Freude werden als leibliche Erfahrungen beschrieben. Es gibt keinen Ausdruck für Seele als eines nichtkörperlichen einheitlichen Gefühlsorgans. Statt dessen erscheint das, was wir Gefühle nennen, als von außen den Menschen ergreifende Mächte, häufig explizit als Götter. Diese Konstitution des Menschen bedingt eine äußerste Ausgesetztheit. Sie wird gegenüber der Darstellung in den Homerischen Epen in der Lyrik noch verstärkt. Es ist deshalb verständlich, daß der Mensch versucht, Herr seiner Lage zu werden. Das führt zur Entdeckung der Seele und der Introjektion der Gefühle.“ Aus: Böhme, Anthropologie, 256, vgl. 252 ff, ferner Snell, Entdeckung, 16 ff; Thommen, Kör-
pergeschichte, 17 ff; Meyer, Aristoteles, 29 ff und Stenger, Körper, 168 Anm. 18.
Einzelaspekte Q 163: ψυχή bei Homer (vgl. oben 59)
Abb. 150: Tod des Sarpedon (Vasenbild, 5. Jh. v. Chr.) In den homerischen Epen wird der Begriff ψυχή (eig. „Hauch“, abgeleitet von ψύχειν „hauchen, atmen“) nie für den lebenden Menschen und dessen Aktivitäten gebraucht, sondern er erscheint als εἴδωλον („kleines Abbild“) des gestorbenen Menschen immer im Zusam-
686 Quellen zur Anthropologie der Antike menhang mit dem Tod bzw. mit dem ,Tot-Sein‘ (Ilias 23,72.104–107; Odyssee 11,83; 213,602 u. ö.). Abb. 150 zeigt, wie die Leiche des Sarpedon, der im Kampf mit Patroklos fällt, von Hypnos (Schlaf) und Thanatos (Tod) weggetragen wird. Dabei verlässt die ψυχή seinen Leib und wird von diesem Augenblick an als εἴδωλον bezeichnet, vgl. Burkert, Religion, 299. Homer hat, wie bereits B. Snell gesehen hat, „für ,Seele‘ oder ,Geist‘ kein eigentliches Wort. ψυχή (Psyché), das Wort für Seele im späteren Griechisch, hat mit der denkenden, fühlenden Seele ursprünglich nichts zu tun. Bei Homer ist Psyche nur die Seele, insofern sie den Menschen ,beseelt‘, d. h. am Leben hält. Auch hier scheint zunächst eine Lücke in der homerischen Sprache zu sein, die aber, genau wie im Bereich des ,Körpers‘, andere Wörter ausfüllen, die zwar nicht denselben Mittelpunkt wie die modernen Ausdrücke haben, aber doch deren Gebiet bedecken. Für das Gebiet der Seele sind das hauptsächlich die Wörter ψυχή (Psyche), θυμός (Thymós) und νόος (Nóos). Homer schweigt darüber, wie er sich die Psyche im Lebenden wirken denkt. Die vielen Theorien, was die Psyche wäre, solange sie noch im Menschen ist, beruhen nur auf Schlüssen oder Analogien, können sich aber nicht auf Zeugnisse aus Homers Gedichten berufen. Er sagt nun 1. daß sie bei Tod oder Ohnmacht den Menschen verläßt; 2. daß man seine Psyche einsetzt im Kampf, daß es beim Kampf um die Psyche geht, daß man seine Psyche zu retten sucht und dgl. Wir brauchen hier keine zwei verschiedenen Bedeutungen von Psyche anzunehmen, etwa für den zweiten Fall die Bedeutung ,Leben‘, obwohl wir hier Psyche mit Leben übersetzen. Wenn jemand um seine Psyche kämpft, seine Psyche einsetzt oder sie zu retten sucht, so ist an die Seele gedacht, die beim Tod den Menschen verläßt. Dieses Fortgehen der Seele aus dem Menschen malt Homer durch einige Züge aus: sie geht durch den Mund und wird ausgehaucht – oder auch durch die Wunde – und fliegt zum Hades. Dort führt sie als Totengespenst ein Schattendasein, ein ,Abbild‘ (εἴδωλον) des Verstorbenen. Das Wort hängt mit ψύχειν, ,hauchen‘, zusammen und bedeutet den Lebensodem, und so geht die Psyche aus dem Munde fort (das Entweichen durch die Wunde ist offenbar etwas Sekundäres). Dieser Lebensodem ist gewissermaßen ein halb gegenständliches Organ, das, solange der Mensch lebt, in ihm ist. Aber wo diese Psyche sitzt und wie sie wirkt, darüber hören wir nichts, können also auch nichts darüber wissen. Bei dem Wort Psyche denkt Homer zunächst an die ,Totenseele‘, so daß er wohl einmal sagt: in ihm ist nur eine Psyche, er ist sterblich (Il. 21,569), aber das Wort vermeidet, wenn er sagen will, ,solange noch der Lebensodem im Menschen bleibt‘; da heißt es Il. 10,89: εἰς ὅ κ’ ἀυτμὴ ἐν στήθεσσι μένη καί μοι φίλα γούνατ’ ὀρώρη ,solange der Atem in der Brust bleibt und meine Knie sich regen‘. Da spricht er vom ,Atem‘, aber das Verbum ,bleibt‘ zeigt, daß die Vorstellung von der Psyche hineinspielt, und das ist eben die Vorstellung vom Lebensatem.“ Aus: Snell, Entdeckung, 18 f, s. dazu ders., aaO 18 ff.25 f, ferner Burkert, Religion, 299 ff; Gödde, Art. Seele, 1092; Meyer, Wandel, 9 ff; ders., Aristoteles, 63 ff; Bremmer, Seele, 174 ff; Matijevic, Jenseitsvorstellungen, 147 f.161 ff u. a.
Q 164: Homer, Ilias XXIII (vgl. oben 59) Der 23. Gesang der Ilias handelt von Achills Totenklage um Patroklos, seinen Freund und Waffengefährten. In der Nacht erscheint ihm der tote Patroklos und fordert in einer Klage seine Bestattung. Der Text ist charakteristisch für die homerische Anthropologie. In der
Q 165: Homer, Odyssee XIX 687
Vasenmalerei wird die postmortale Existenz des Patroklos als geflügeltes „kleines Abbild“ (εἴδωλον) mit der Beischrift ψυχή dargestellt (s. Abb. 150). Die ψυχή ist als „Abbild“ ein „Ersatz für den gestorbenen Menschen“ (Meyer, Wandel, 12, vgl. 14 f). Nach der Rede des unglücklichen Patroklos zu seinem Freund (Ilias 23, 69–92) antwortet ihm dieser folgendermaßen: Warum bis du mir, liebes Haupt, hierher gekommen 95 und trägst mir dies alles auf? Ich aber werde Dir alles gut erfüllen und gehorchen, wie du befiehlst. Aber tritt näher zu mir! und laß uns nur ein wenig Einander umfassen und uns ergötzen an der verderblichen Klage!“ Als er so gesprochen, griff er nach ihm mit seinen Händen, 100 Aber fasste ihn nicht, und die Seele (ψυχή) ging unter die Erde Wie ein Rauch schwirrend. Und staunend sprang auf Achilleus, Schlug die Hände zusammen und sprach das Wort mit Jammern: „Nein doch! so ist denn wirklich noch in des Hades Häusern Irgendwie Seele (ψυχή) und Bild (εἴδωλον), doch das Zwerchfell ist ganz und gar nicht darin! 105 Denn die ganze Nacht hat des unglücklichen Patroklos Seele (ψυχή) bei mir gestanden, klagend und jammernd, Und trug mir jegliches auf, und glich wunderbar ihm selber! Übersetzung: Schadewaldt, Ilias, 382, s. dazu auch Gehrke / Schneider (Hg.), Quellenband,
9 f; Fischer, Tod, 90 ff; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 126 Abb.18c und Matijevic, Jenseitsvorstellungen, 147 f.161 ff.
Q 165: Homer, Odyssee XIX (vgl. oben 173) Bei seiner Heimkehr nach Ithaka berichtet Odysseus, ohne sich zu erkennen zu geben, seiner Frau Penelope von den zurückliegenden Gefahren und von seiner Herkunft. Die Reaktion des Odysseus in Odyssee 19, 203–212, die man mit derjenigen Josephs in Gen 42,24 vergleichen kann (wo Joseph allerdings weint, während Odysseus seine Tränen zurückhält), lautet folgendermaßen: Ihr (sc. der Penelope) aber, als sie es hörte, flossen Tränen, und ihre Haut schmolz hin. Und wie der Schnee hinschmilzt auf hochstrebenden Bergen, den der Ostwind hinschmelzt, wenn der West ihn herabgeschüttet, und von dem schmelzenden füllen sich die Flüsse, die strömenden: so schmolzen ihr dahin die schönen Wangen, wie sie die Träne vergoss, wehklagend um den eigenen Mann, der bei ihr saß. Den Odysseus aber erbarmte es in dem Mute, wie sie jammerte, die eigene Frau, jedoch die Augen standen ihm wie Horn oder Eisen unbeweglich in den Lidern, und mit klugem Bedacht hielt er zurück die Tränen. Übersetzung: Schadewaldt, Odyssee, 338, s. dazu auch Ebach, Genesis III (HThK.AT), 297.
688 Quellen zur Anthropologie der Antike
Q 166: Platon, Phaidon (vgl. oben 60) Im Buch Phaidon 81c entwickelt Sokrates seine dichotomische Anthropologie im Dialog mit Kebes: … meinst du, daß eine so beschaffene Seele sich werde rein für sich absondern können? – Wohl nicht im mindesten, sprach er (sc. Kebes). – Sondern durchzogen von dem körperlichen, womit sie durch den Umgang und Verkehr mit dem Leibe, wegen des ununterbrochenen Zusammenseins und der vielen Sorge um ihn, gleichsam zusammengewachsen ist. – Freilich. – Und dies, o Freund, muß man doch glauben, sei unbeholfen und schwerfällig, irdisch und sichtbar, so dass auch die Seele, die es an sich hat, schwerfällig ist, und wieder zurückgezogen wird in die sichtbare Gegend aus Furcht vor dem unsichtbaren und der Geisterwelt … Übersetzung: Platon, Werke 4, 253. Zur Rezeption in SapSal 9,14 f s. Mazzinghi, Weisheit
(IEKAT), 273 f.
Q 167: Platon, Phaidros (vgl. oben 60) In Platons Phaidros 246a–b wird von Sokrates die bildliche Beschreibung der Seelenexistenz eingeführt: Von ihrer (sc. der Seele) Unsterblichkeit sei nun dieses genug; von ihrem Wesen aber müssen wir dieses sagen, daß wie es an sich beschaffen sei überall auf alle Weise eine göttliche und weitschichtige Untersuchung ist, womit es sich aber vergleichen läßt, dies eine menschliche und leichtere. Auf diese Art also müssen wir davon reden. Es gleiche daher der zusammengewachsenen Kraft eines befiederten Gespannes und seines Führers. Der Götter Rosse und Führer nun sind alle selbst gut und guter Abkunft, die andern aber vermischt. Zuerst nun zügelt bei uns der Führer das Gespann, demnächst ist von den Rossen das eine gut und edel und solchen Ursprungs, das andere aber entgegengesetzter Abstammung und Beschaffenheit. Schwierig und mühsam ist daher natürlich bei uns die Lenkung. Übersetzung: Platon, Werke 6, 61, s. dazu auch Kytzler, Mythen, 76 ff; Burkert, Religion, 481 f und Schröter / Zangenberg (Hg.), TUNT, 231 ff.
Q 168: Platon, Apologie des Sokrates (vgl. oben 60) In Platons Apologie des Sokrates 29d–30b ermahnt Sokrates seine Mitbürger, für ihre eigene Seele (ψυχή) zu sorgen. Dabei spricht er diejenigen an, die sich um Geld, Ruhm und Ehre, nicht aber um Einsicht, Wahrheit und die Seele sorgen (29d–e). Ein paar Zeilen weiter findet sich die berühmte Dichotomie von Sorge für den Leib und Sorge für die Seele (30a–b): Bester Mann, als ein Athener aus der größten und für Weisheit und Macht berühmtesten Stadt, schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangest, und für Ruhm und Ehre, für Einsicht aber und Wahrheit für deine Seele, dass sie sich aufs Beste befinde, sorgst du nicht, und hierauf willst du nicht denken? Und wenn jemand unter euch dies leugnet und behauptet, er denke wohl darauf, werde
Q 170: Hesiod, Erga 689
ich ihn nicht gleich loslassen und fortgehen, sondern ihn fragen und prüfen und ausforschen. Und wenn mich dünkt, er besitze keine Tugend, behaupte es aber: so werde ich es ihm verweisen, dass er das Wichtigste geringer achtet und das Schlechtere höher … Denn nichts anderes tue ich, als dass ich umhergehe, um jung und alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen noch überall so sehr zu sorgen als für die Seele, dass diese aufs beste gedeihe, zeigend, wie nicht aus dem Reichtum die Tugend entsteht, sondern aus der Tugend der Reichtum und alle anderen Güter insgesamt, eigentümliche und gemeinschaftliche. Übersetzung: Platon, Werke 1, 231.233, s. dazu auch Foucault, Hermeneutik, 25 ff u. a.
3. Sozialsphäre Generationenbeziehungen Q 169: Homer, Ilias X (vgl. oben 106) In Homer, Ilias 10, 220–226 werden Diomedes und Odysseus als Späher ins Lager der Troer geschickt. Vorher tut Diomedes den folgenden Ausspruch zu Nestor: Nestor! Mich treibt das Herz und der mannhafte Mut, in das Lager der feindlichen Männer zu tauchen, die nahe sind, der Troer. Doch wenn noch ein anderer Mann mir folgte, mehr Zuversicht würde das sein und ermutigender. Wo zwei zusammengehen, bemerkt auch der eine vor dem anderen, 225 wo ein Vorteil sich bietet. Einer allein, mag er es auch bemerken, so ist ihm doch langsamer der Sinn und schwach die Einsicht. Übersetzung: Schadewaldt, Ilias, 163, s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger, Kohelet
(HTHK.AT), 302, der auf einen möglichen Zusammenhang von Z. 224–226 mit Pred 4,9– 12 hinweist.
Q 170: Hesiod, Erga (vgl. oben 209) Chaosbeschreibungen gibt es auch im Blick auf das Zusammenleben der Menschen. Vom Chaos in familiären Strukturen heißt es in Hesiod, Erga, 182–188: 185
Dann wird fremd sein der Vater den Kindern, Kinder dem Vater, nicht wird lieb sein der Gast dem Wirt, der Freund seinem Freunde, nicht ist der eigene Bruder mehr lieb, wie es früher gewesen. Bald missachten sie dann ihre altersgebeugten Erzeuger, mäkeln an ihnen und fahren sie an mit hässlichen Worten rücksichtslos und scheun die Götter nicht; geben dann auch nicht ihren greisen Erzeugern zurück den Entgelt für die Aufzucht.
Übersetzung: Hesiod, Gedichte, 314 f (W. Marg), s. dazu auch Kruger, World, 58 f und Wagner-Hasel, Alter, 17 ff.
690 Quellen zur Anthropologie der Antike
Aspekte der Ethik Q 171: Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII (vgl. oben 506) Dankbarkeit ist in den einzelnen Kulturen und Religionen unterschiedlich ausgeprägt. Das klassische Griechenland, dem anfänglich ein zusammenfassender Begriff für Dankbarkeit fehlt, besaß aber im Wort χάρις einen Terminus, der sowohl „Dank“ als auch „(frei geschenkte) Freundlichkeit“ oder „Huld“ bedeutete (vgl. Pindars zweite Pythische Ode, Z. 21–24 und dazu Janowski, Dankbarkeit, 269). Von Sokrates zu den ungeschriebenen Gesetzen gerechnet (vgl. Xenophon, Memorabilia, IV, 4, 19–24), war Dankbarkeit nach Aristoteles eine Form der proportionalen Gleichwertigkeit, d. h. der Wiedervergeltung (τὸ ἀντιπεπονθός), dessen „gewünschtes Ergebnis, das Vergeltungserleidnis, nach verbreiteter Anschauung ein Grundprinzip der Gerechtigkeit ausmacht“ (Reiner, Dankbarkeit, 9). „Denn das“, so definiert Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII 1133a 4–9, „ist Dankbarkeit (χάρις): dem, der uns gefällig war, einen Gegendienst leisten (ἀνθυπηρετεῖν) und ihm das nächstemal mit einer Gefälligkeit zuvorkommen. A B C D Die Gegengabe (ἀντίδοσις) im Sinn der proportionalen Gleichwertigkeit wird durch die diagonale Verbindung bewirkt. Nehmen wir einen Baumeister A, einen Schuhmacher B, ein Haus C und Schuhzeug D: so muß der Baumeister vom Schuhmacher dessen Erzeugnis bekommen und er dem Schuhmacher zum Ausgleich das seinige geben (μεταδιδόναι).“ Übersetzung: Aristoteles, Nikomachische Ethik (1969) 132, s. dazu auch Janowski, Dankbar-
keit, 269 f mit weiterer Lit.
Q 172: Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII (vgl. oben 223) In Nikomachische Ethik VIII 1155a nennt Aristoteles drei Gründe für die Behandlung des Themas „Freundschaft“: 1. Warum die Freundschaft erörtert werden muss. – 2. Die Freundschaft ist nützlich. – 3. Sie ist werthaft. Aristoteles schreibt: 1. An diese Themen wird sich passend die Behandlung der Freundschaft (philia) anschließen. Denn sie ist eine bestimmte Tugend (aretē) der mit Tugend verbunden, zudem ist sie äußerst notwendig für das Leben. 2. Denn niemand würde wählen, ohne Freunde (philos) zu leben, auch wenn er alle übrigen Güter hätte. Auch die Reichen und diejenigen, die Macht und Einfluss besitzen, bedürfen, so die übliche Meinung, in besonderem Maß der Freunde. Denn welchen Nutzen hat ein solcher Wohlstand, wenn man die Wohltätigkeit wegnimmt, die man am meisten gegenüber Freunden ausübt und die dort am meisten gelobt wird? Und wie sollte der Wohlstand beschützt und bewahrt werden ohne Freunde? Denn je größer er ist, umso gefährdeter ist er. Weiter hält man in Armut und anderen Unglücksfällen die Freunde für die einzige Zuflucht. Außerdem hilft die Freundschaft jungen Menschen,
Q 173: Aristoteles, Nikomachische Ethik IX 691
Fehler zu vermeiden, alten, Pflege und Unterstützung bei Tätigkeiten zu bekommen, bei denen sie aus Schwäche nachlassen, und denen, die auf dem Höhepunkt des Lebens stehen, werthaft (kalon) zu handeln – „Wo zwei zusammengehen …“ –; denn zwei können besser denken und handeln als einer. Ferner: Beim Erzeuger scheint von Natur aus Freundschaft für das Erzeugte vorhanden zu sein, ebenso beim Erzeugten für den Erzeuger, und dies nicht nur beim Menschen, sondern auch bei den Vögeln und den meisten Tieren. Auch empfinden Wesen derselben Spezies Freundschaft füreinander, vor allem Menschen, weshalb wir diejenigen, die menschenfreundlich (philanthropos) sind, loben. Auch auf Reisen kann man sehen, wie dem Menschen jeder Mensch verwandt und ihm ein Freund ist. Außerdem scheint die Freundschaft die Staaten zusammenzuhalten, und die Gesetzgeber scheinen sich mehr um sie zu bemühen als um die Gerechtigkeit. Denn die Eintracht (homonoia) scheint etwas Ähnliches wie die Freundschaft zu sein, diese aber streben sie [die Gesetzgeber] am meisten an, und die Zwietracht, die eine Feindschaft ist, versuchen sie am meisten zu vertreiben. Und wenn Menschen Freunde sind, bedarf es nicht der Gerechtigkeit; hingegen bedarf es, wenn sie gerecht sind, zusätzlich der Freundschaft, und als das Gerechteste innerhalb des Gerechten gilt das Freundschaftliche. 3. Die Freundschaft ist aber nicht nur notwendig, sondern auch werthaft (kalon). Denn diejenigen, die Freunde lieben, loben wir, und es gilt als eines von den werthaften Dingen, viele Freunde zu haben. Ferner nimmt man an, dass dieselben Menschen, die gut sind, auch Freunde sind. Übersetzung: Aristoteles, Nikomachische Ethik, 251 f, s. dazu auch Gehrke / von Reibnitz,
Art. Freundschaft, 672 (von Reibnitz). Mit dem Satz „Wo zwei zusammengehen …“ zitiert Aristoteles den Anfang von Homer, Ilias X, 224–26 (Q 169), s. dazu dies., aaO 376. Das Motiv der Zweisamkeit spielt auch in Buch IX, 1170a eine Rolle.
Q 173: Aristoteles, Nikomachische Ethik IX (vgl. oben 106) Im neunten Buch seiner Nikomachischen Ethik setzt Aristoteles seine in Buch VIII (Q 172) begonnenen Ausführungen zum Thema „Freundschaft“ fort. In IX 1170a heißt es u. a.: Ferner besteht die Meinung, dass der Glückliche angenehm leben müsse. Für einen Einsamen aber ist das Leben beschwerlich. Denn es ist nicht leicht, für sich allein kontinuierlich tätig zu sein, mit anderen zusammen jedoch und in Beziehung auf andere ist es leichter. So wird die Tätigkeit kontinuierlicher und als solche angenehm sein, wie sie es für den Glückseligen sein muss. Denn der Gute freut sich, insofern er gut ist, an Handlungen der Gutheit und ist unwillig über Handlungen der Schlechtigkeit, wie der Musiker an schönen Melodien Lust und an schlechten Unlust empfindet. Übersetzung: Wolf, Nikomachische Ethik, 302 f, s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger,
Kohelet (HThK.AT), 302, der auf einen möglichen Zusammenhang mit Pred 4,9–12 hinweist.
692 Quellen zur Anthropologie der Antike
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Q 174: Hesiod, Erga (vgl. oben 243.247) Die erste Darstellung der bäuerlichen Lebenswelt im mediterranen Raum ist das epische Gedicht Erga / Werke und Tage von Hesiod (1. Hälfte 7. Jh. v. Chr.?), das einen regelrechten Bauernkalender (383–617) mit der Beschreibung von Saat und Ernte (383–404), des Pflügens und des Herbstes (405–492) sowie der Jahreszeiten und ihrer unterschiedlichen Arbeiten (493–617) enthält. Die Einleitung zum Bauernkalender lautet folgendermaßen: Wenn das Gestirn der Plejaden, der Atlastöchter, emporsteigt, Dann mit dem Ernten beginnen, mit Säen aber, wenn es hinabtaucht. 385 Vierzig Tage und Nächte hindurch war vorher dies Sternbild Unsichtbar; dann scheint es im Lauf des kreisenden Jahres Erstmals wiederum auf, zur Zeit, da die Sichel gewetzt wird. Das ist die Regel, die gilt für das Saatland, ob nun die einen Nahe dem Meere zuhaus, ob tief in den Schluchten der Berge 390 Weit von der wogenden See entfernt auf fruchtbarem Boden Andre zuhaus. Nackt säen die Saat, nackt lenken die Rinder, Nackt abschneiden das Korn, wenn du willst, daß zu ihren Zeiten Demeters Werke du alle besorgst, auf daß dir ein jedes Zu seiner Zeit aufwächst, daß du später nicht etwa im Mangel 395 Dich in den Höfen der andern herumdrückst, und du bekommst nichts. So wie du jüngst zu mir kamst. Doch ich werd dir gar nichts mehr schenken Und keinen Scheffel mehr leihn. An die Arbeit, törichter Perses, Arbeit, wie sie die Götter verteilt und den Menschen befohlen. Daß du nicht einst mit Weib und Kindern, Kummer im Herzen, 400 Bettelst um Brot ringsum bei den Nachbarn, die aber wegsehn. Zweimal, dreimal vielleicht gehts gut; fällst weiter du lästig, Wirst du zwar gar nichts erreichen, doch viel Vergebliches reden. Unnütz gibst du der Rede den Weg frei. Ich aber rat dir: Sieh du zu, daß die Schulden du zahlst und wehrest dem Hunger. Übersetzung: Hesiod, Gedichte, 324 f (mit dem Kommentar 356 ff), s. dazu West, East Face,
306 ff und Zimmermann, Literatur, 88 ff. Zur Notwendigkeit der Arbeit äußert sich Hesiod in Z. 298–319, s. etwa das Dictum „Arbeit, die ist nicht Schande, das Nichtstun jedoch, das ist Schande“ (Z. 311) und dazu Hesiod, aaO 320 f (mit dem Kommentar 325) und Austin / Vidal-Naquet, Gesellschaft,161.
5. Kult, Ritus und Gebet Ritualtexte Q 175: Homer, Odyssee XI (vgl. oben 89) Ebenso wie in Kleinasien (s. Q 118) kann man auch in Griechenland über eine Opfergrube (βόθρος) in Kontakt zu den Toten treten. Dies tut nach der berühmten Nekyia-Szene Odyssee 11,20–50 Odysseus, der auf diese Weise den verstorbenen Seher Teiresias (Odyssee 11,90 ff) befragt:
Q 176: Pharmakosriten 693
(20) Dort angekommen, ließen wir das Schiff auflaufen, schafften die Schafe heraus und gingen selbst hinwieder die Strömung des Okeanos entlang, bis wir zu dem Platze hingelangten, den Kirke gewiesen hatte. Da hielten Perimedes und Eurylochos die Opfertiere. Ich aber zog das scharfe Schwert von der Hüfte (25) und grub eine Grube, eine Elle lang hierhin und dorthin, und um sie goß ich den Weihguß für alle Toten: zuerst von Honiggemisch, hernach von süßem Weine, zum dritten hinwieder von Wasser, und streute darüber weiße Gerste. Und gelobte, vielfach zu den kraftlosen Häuptern der Toten flehend, (30) daß ich, nach Ithaka gekommen, ein unfruchtbares Rind, das nur immer das beste wäre, darbringen würde in den Hallen und den Scheiterhaufen anfüllen mit edlen Dingen, und daß ich dem Teiresias gesondert einen Schafbock opfern würde, ihm allein, einen ganz schwarzen, der hervorsticht unter unseren Schafen. Doch als ich die Völker der Toten mit Gelübden und Gebeten angefleht, (35) ergriff ich die Schafe und durchschnitt ihnen den Hals über der Grube, und es strömte das schwarzwolkige Blut. Da versammelten sich von unten aus dem Erebos die Seelen der dahingestorbenen Toten: junge Frauen und junge Männer, Greise, die viel erduldet hatten, und noch kindliche Mädchen mit jungem Gram im Herze, (40) und viele verwundet von erzbeschlagenen Lanzen: Männer, im Kriege gefallen, mit blutverkrusteten Rüstungen. Die kamen und gingen um die Grube, viele, der eine von hier-, der andere von dorther, mit unaussprechlichem Geschrei, und mich ergriff die blasse Furcht. Da trieb ich alsbald die Gefährten und hieß sie, daß sie die Schafe, (45) die schon geschlachtet mit dem erbarmungslosen Erz am Boden lagen, abhäuten und verbrennen und dabei zu den Göttern beten sollten: dem starken Hades und der schrecklichen Persephoneia. Doch selbst zog ich das scharfe Schwert von der Hüfte und saß hin und ließ die kraftlosen Häupter der Toten (50) nicht dem Blute näher kommen, bis ich den Teiresias befragt hätte. Übersetzung: Schadewaldt, Odyssee, 186 f, s. dazu auch Steiner, Unterweltsbeschwörung,
268 ff; West, East Face, 426 f; Fischer, Tod, 95 ff; Schröter / Zangenberg (Hg.), TUNT, 382 ff und Matijevic, Jenseitsvorstellungen, 101 ff. Zur Frage eines möglichen Überlieferungszusammenhangs zwischen diesem Text und den vorderorientalischen Traditionen s. die kritischen Bemerkungen von Röllig, Myths, 311 ff und Matijevic, aaO 118 ff.
Q 176: Pharmakosriten (vgl. oben 312.417) Die Vertreibung eines menschlichen „Sündenbocks“ zum Zweck der Reinigung (κάθαρσις) einer Gemeinschaft oder der Abwendung des göttlichen Zorns findet sich „in den periodischen oder in Krisenzeiten initiierten pharmakós-Ritualen Athens und mehrerer ionischer Städte; der altorientalische Ritualtypus wurde wohl in archaischer Zeit über Kleinasien nach Griechenland importiert“ (Bendlin, Sündenbockrituale, 1082). Zur Deutung dieser Riten s. Schlesier, Art. Pharmakos, 1265: „Beim Pharmakos-Ritus handelt es sich terminologisch und performativ nicht um einen Sühneritus, sondern um einen Reinigungsritus, der die Stadtgemeinschaften vor Seuchen und anderen lebensbedrohlichen Übeln (Dürre, Hungersnot) schützen oder heilen soll: Der Pharmakos ist ein ,Heilmittel‘ (phármakon) in Gestalt eines lebenden Menschen, der rituell von seinen Mitbürgern sowohl geehrt als auch beschimpft wird. Der Ritus hat weder etwas mit Sünden zu tun, noch mit einem Bock. Auch da, wo
694 Quellen zur Anthropologie der Antike der Pharmakos aus der Gemeinschaft weggetrieben wird, geschieht dies keineswegs in einer Pogromstimmung, ist von materiellem Nutzen für beide Seiten, und der Vertriebene hat weder einen Bestimmungsort noch soll er anderen Schaden bringen.“ Literatur: West, East Face, 53; Burkert, Kulte, 67 ff; ders., Religion, 131 ff; Bremmer, Pharmakos, 750; ders., Scapegoat, 169 ff und Schlesier, Pharmakos, 1264 ff.
Q 177: Sophokles, König Ödipus (vgl. oben 312) Der Dialog zwischen Ödipus und seinem Schwager Kreon in Sophokles, König Ödipus, 85– 131 dient „einerseits der Darlegung des in Delphi eingeholten Orakels, andererseits wird die Vorgeschichte, die die zu beseitigende ,Befleckung‘, die Ursache für die Seuche, erklärt, für Ödipus und die Zuschauer exponiert“ (Manuwald, Sophokles, 75). Die „Befleckung“ (miasma) des Landes, „die ,genährt‘ wird, wenn man sie nicht durch Vertreibung / Tötung der Täter beseitigt, besteht, wie nach und nach enthüllt wird, in der ungesühnten Blutschuld, die die Mörder des Laïos, des früheren Königs auf sich geladen haben, die noch im Land leben“ (ders., aaO 77). In Z. 95 ff wird die tragische Verkettung des Geschehens wie folgt entfaltet: Kreon Ödipus Kreon Ödipus Kreon Ödipus Kreon
So sag’ ich denn, was ich hörte von dem Gott (sc. Appollo): Es befahl uns Phoibos ganz klar, Herr, eine Befleckung des Landes, die auf diesem Boden genährt sei, aus ihm zu vertreiben und nicht weiter zu nähren, so dass sie unheilbar wird. Durch welche Reinigung? Welcher Art ist das Unheil? Durch Verbannen, oder Tod wieder mit Tod sühnend, da es diese Bluttat sei, die auf die Stadt einstürme. Und von welchem Mann verkündet er dieses Geschick? Es war bei uns, Herr, Laïos, einst Herrscher dieses Landes, bevor du diese Stadt lenktest. Ich weiß es wohl, vom Hörensagen; denn gesehen habe ich ihn nie. Der wurde umgebracht. Und so befiehlt der Gott eindeutig, die Täter, wer sie auch sind, zu strafen mit Gewalt.
Übersetzung: Manuwald, aaO 75 f. Zur miasma-Problematik s. Flaig, Ödipus, 57 ff.127 ff
(dort auch Auseinandersetzung mit der Position von J.‑P. Vernant).
Q 178: Opfer und Opferkritik (vgl. oben 314) Aussagen zur Funktion von Opfern machen schon die homerischen Epen (s. dazu BruitZaidman / Schmitt-Pantel, Religion, 31 ff). So erfreuen sich nach Homer, Ilias 1,315–317; 23,205–207; Odyssee 1,25 f; 7,201–203 die Götter am Fettdampf des Opferfleisches. Gleichzeitig findet sich der Gedanke, dass Athena „die heiligen Opfer in Empfang nimmt“ (Homer, Odyssee 3,435), um auszuschließen, dass die Göttin vom Opferfleisch esse. Eine regelrechte Opferkritik vertreten dann die Orphiker und die Pythagoräer (6./5. Jh. v. Chr.) sowie Empedokles (um 483–423 v. Chr.). Sie fordern die Schonung aller „beseelten Wesen“. Die Gründe dafür sind Gefühle des Unbehagens und des Ekels. Der römische Philosoph Seneca (ca. 55 v. Chr. bis 39/40 n. Chr.) ist überzeugt, dass die Götter keine blutigen
Q 180: Homer, Ilias 695
Opfer verlangen. Und Heraklit (geb. um 545 v. Chr.) erklärt in Fragment B5 Diels / Kranz über die blutigen Opfer: Aber vergeblich reinigen sie sich von Blutschuld, indem sie sich mit Blut besudeln, wie wenn einer, der in Dreck getreten ist, sich mit Dreck abwaschen würde. Für verrückt müsste ihn jeder halten, der ihn und sein Verhalten bemerkt. Auch beten sie zu diesen Götterbildern hier, so wie wenn einer eine Unterhaltung mit Häusern führen würde, ohne von Göttern und Heroen auch nur im mindesten zu wissen, wer sie sind. Übersetzung: zitiert nach Kirk u. a., Philosophen, 229, s. zur Sache Burkert, Religion, 440 ff;
Bendlin u. a., Art. Opfer, 1244 f (Bremmer) und zum Opfer im alten Griechenland BruitZaidman / Schmitt-Pantel, Religion, 29 ff; Bendlin u. a., aaO 1240 ff (Bremmer) und Burkert, aaO 93 ff.
Q 179: Herodot, Historien (vgl. oben 322) „Die Antipathie der Ägypter gegen alles Ausländische war im Altertum sprichwörtlich“ (Jacob, Genesis, 790). So erzählt Herodot seinem Buch Historien II, 41,1–3, dass kein Ägypter das Messer, den Bratspieß oder Kochtopf eines Griechen gebraucht oder vom Fleisch gegessen hätte, das mit dem Messer eines Griechen zerschnitten worden war: (1) Reine Stiere also und Kälber bringen alle Ägypter als Opfer dar; Kühe zu opfern ist ihnen dagegen nicht erlaubt, sondern sie sind der Isis heilig. (2) Das Kultbild der Isis, das eine Frau darstellt, trägt ja Kuhhörner, so wie die Griechen die Io malen, und alle Ägypter ehren in gleicher Weise die Kühe bei Weitem am meisten von allen Nutztieren. (3) Deswegen würde weder ein Ägypter noch eine Ägypterin einen Griechen auf den Mund küssen oder das Messer oder die Bratspieße oder das Kochgefäß eines Griechen benutzen; er wird nicht einmal von dem Fleisch eines reinen Stieres essen, der von einem griechischen Messer zerlegt worden ist. Übersetzung: Herodot, Historien, 135 (H.‑G. Nesselrath), s. dazu auch Schmitt-Pantel, Art.
Esskultur, 150 und Ebach, Genesis III (HThK.AT), 345.
6. Weltbild Q 180: Homer, Ilias (vgl. oben 384) In Ilias 18,239–242 ist – wie in Pred 1,5 – zweimal (Z. 239.485) von der „unermüdlichen Sonne“ die Rede: Helios aber, den unermüdlichen, schickte die Kuhäugige, die Herrin Here, 240 zu den Fluten des Okeanos zu gehen, gegen seinen Willen. Die Sonne ging unter, und es hörten auf die göttlichen Achaier mit der starken Schlacht und dem gemeinsamen Kampf. Übersetzung: Schadewaldt, Ilias, 313, s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 162 f.
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696 Quellen zur Anthropologie der Antike
VIII. Rom 1. Lebensphasen Lebensalterstufen Q 181: Cicero, Cato maior de senectute (vgl. oben 48) Auch in Rom waren die Lebensaltermodelle sehr verbreitet. Ein besonderes Zeugnis findet sich bei Cicero (106–43 v. Chr.), der in Cato maior de senectute 33 – anders als etwa Horaz, De arte poetica liber 156–178 – gegenüber der Jugend ausgesprochen nachsichtig argumentiert: Jedes Lebensalter (aetas) hat infolge der zeitlichen Entwicklung seinen eigenen Charakter; die Schwäche des Kindes (infirmitas puerorum), das Draufgängerische des jungen Mannes (ferocitas iuvenum), der Ernst in bereits gesetzterem Alter (gravitas iam constantis aetatis) und die Reife des hohen Alters (senectutis maturitas) haben etwas Naturgemäßes, das man zur rechten Zeit erkennen muss. Zitiert nach Wagner-Hasel, Alter, 73 f. Zum Altersdiskurs bei Cicero s. noch Reinmuth,
Alter, 101 ff und Schröter / Zangenberg (Hg.), TUNT, 191 ff, zum Horaztext s. Wagner-Hasel, Alter 75.
Q 182: Ovid, Metamorphosen (vgl. oben 48) In seiner einflussreichen Schrift Metamorphosen unterscheidet Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) vier Lebensalter entsprechend den vier Jahreszeiten. In Buch 15,199–213 heißt es: Ferner betrachte das Jahr, das in vier Perioden sich gliedert, 200 welche sich folgen und widerspiegeln die Stufen des Lebens. Denn es ist zart und milchig, dem Kinde vergleichbar, im jungen Lenz: da schwellen die schimmernden, schwankenden Gräser – die Kernkraft darf noch mangeln –: doch freut sich des Anblicks der hoffende Landmann. Nun steht alles in Blüte; es spielt und leuchtet in Blumen205 farben das üppige Feld; doch es fehlt noch die Stärke den Blättern. Rüstig geworden, gleitet das Jahr aus dem Lenz in den Sommer, jetzt ein kräftiger Jungmann: es gibt ja kein stärkeres Alter, keines, das heftiger glühte, das reichlicher Früchte erzeugte. Herbst folgt nach, der reife, der milde: die Gluten der Jugend 210 sind verglommen; er steht zwischen Jüngling und Greis in der Mitte, wohltemperiert, schon grau übersprenkelt das Haar an den Schläfen. Dann kommt zitternden Schrittes der Greis, der schaurige Winter, sei es der Haare beraubt, oder weiß, wenn ihm welche geblieben. Übersetzung: Ovid, Metamorphosen, 486 (H. v. m.).
Q 184: Lukrez, De rerum natura 697
Geburt und Namengebung Q 183: Ovid, Metamorphosen (vgl. oben 426) Der mit dem Begriff effigies „Bild“ ausgedrückte Gedanke der Sonderstellung des Menschen, wie er in Ovids Metamorphosen im Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschen durch Prometheus (1,83) erscheint, findet sich sowohl in der Philosophie als auch in der nichtphilosophischen Literatur (Aristoteles, Cicero, Cato u. a.). Ob zwischen Gen 1,26–28 und Ovid eine Verbindung besteht, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Nach Böhmer, Ovidius Naso, 45 ist die Wendung in effigiem … deorum (Z. 83) der früheste Beleg der klassischen Antike für die Auffassung vom „Ebenbild der Götter“. In Buch 1,76–88 schreibt Ovid: Aber ein reineres Wesen, Gefäß eines höheren Geistes, Über die andern zu herrschen befähigt, es fehlte noch immer. Und es entstand der Mensch, sei‘s, dass ihn aus göttlichem Samen Jener Meister erschuf, der Gestalter der besseren Weltform, 80 Sei‘s dass die Erde, die jugendfrische, erst kürzlich vom hohen Äther geschieden, die Samen, die himmelsverwandten, bewahrte. Denn sie mischte des Iapetus Sohn mit dem Wasser des Regens, Formte (finxit) sie dann nach dem Bild der alles regierenden Götter (in effigiem moderantum cuncta deorum). Während die anderen Wesen gebückt zur Erde sich neigen, 85 Ließ er den Menschen das Haupt hochtragen: er sollte den Himmel Sehen und aufgerichtet den Blick nach den Sternen erheben. Also war nun die Erde verwandelt: soeben noch formlos Roh, ward sie jetzo geschmückt mit den Menschengestalten, den neuen. Übersetzung: Ovid, Metamorphosen, 25 f, s. dazu Bömer, aaO 42 ff.
Alter und Tod Q 184: Lukrez, De rerum natura (vgl. oben 94.177) Der Tod, so urteilt Lukrez (ca. 98–55 v. Chr.) in seinem großen Lehrgedicht De rerum natura/„Über die Natur der Dinge“ III,3, ist das Ende des Fühlens, also derjenige Augenblick, wenn Körper und Seele auseinandergerissen werden. Deshalb geht er uns nichts an: Der Tod, darum, ist uns nichts, geht nicht das Geringste uns an, nun, da wir begriffen haben: Die Seele ist ihrer Natur nach sterblich. Und so wie wir von Vergangenem nicht erschüttert werden, nicht von jener Zeit, als der punische Feind von allen Seiten zum Kampf heranstürmte … – so wird es auch sein, wenn wir nicht mehr sind, wenn nämlich Körper und Seele auseinandergerissen werden, durch deren Einheit wir ein Ganzes sind. Übersetzung: Lukrez, Natur der Dinge, 127, s. dazu den Kommentar von K. Binder in Lukrez, aaO 298 f (mit Hinweis auf weitere Texte). Zur epikureischen Vorlage s. Q 159.
698 Quellen zur Anthropologie der Antike
2. Leibsphäre Q 185: Das eroberte Judäa als deprimierte Frau (vgl. oben 180) Aufschlussreich für die Ikonographie der Depression ist eine römische Münze, die unter Kaiser Titus (39–81 n. Chr.) geprägt wurde und die das eroberte Judäa (Iudaea capta) als am Boden kauernde Frau (rechts) neben einem römischen Legionär (links) zeigt. Die Szene erinnert an Texte wie Klgl 1,1; 2,10 und 3,28.
Abb. 151: Iudaea capta-Münze (71 n. Chr.) Literatur: Janowski, Selbst, 84.
Q 186: Cicero, De oratore II 239 (vgl. oben 151)
Abb. 152: Römische Bronzestatuette eines Behinderten (hellenist./röm.?) In seinem berühmten Traktat De oratore schreibt Cicero (106–43 v. Chr.) folgendes über den Umgang mit körperlicher Behinderung, von der man sich anhand einer römischen Bronzestatuette (Abb. 152) ein Bild machen kann:
Q 187: Livius, Ab urbe condita / Römische Geschichte 699
Auch Hässlichkeit und körperliche Anomalien sind ein ganz ordentlicher Stoff, um Witze zu machen. Aber wir stellen dabei dieselbe Frage, die bei allen Dingen vorrangig zu stellen ist: Wie weit darf man gehen? Dabei gilt nicht nur die Vorschrift, dass man nichts Geschmackloses sagen sollte, sondern auch, dass der Redner, wenn sich die Chance zu einer sehr komischen Äußerung bietet, zweierlei vermeiden muss: Es sollte kein Witz sein, wie Possenreißer ihn machen, und keiner, der eher zu derben Komödien passt. Übersetzung: Weeber, Rom, 230.
3. Sozialsphäre Aspekte der Ethik Q 187: Livius, Ab urbe condita / Römische Geschichte (vgl. oben 148) Die aus dem griechischen Bereich stammende (s. die Nachweise in Livius, Ab urbe condita Liber II [Ausgabe Giebel], 200) und bei Livius (59 v. Chr. bis 17 n. Chr.) überlieferte Fabel vom Bauch und den Gliedern (sog. Agrippalegende) ist eine Metapher für den funktionierenden Sozialkörper, wonach ein Staat oder eine Polis einen Organismus bilden und dabei herausgehobene Organe wie den Magen oder den Kopf als Führungsorgane akzeptieren sollen. Im Neuen Testament wird sie von Paulus in 1 Kor 12,12–31a rezipiert. In Buch 2,32 heißt es bei Livius: (8) Man beschloss also, Menenius Agrippa als Unterhändler zum Volk zu schicken. Er war ein redegewandter Mann und, weil er selbst aus dem Volk stammte, bei diesem beliebt. Er wurde ins Lager eingelassen und soll in der altertümlich-schlichten Art von damals einfach folgendes erzählt haben: (9) Einst, als im Menschen noch nicht wie heute alles einheitlich verbunden war, als jedes der einzelnen Glieder des Körpers seinen Willen, seine eigene Sprache hatte, empörten sich die übrigen Glieder, dass sie ihre Sorge und Mühe und ihre Dienste nur aufwendeten, um alles für den Magen herbeizuschaffen. Der Magen aber liege ruhig mittendrin und tue nichts anderes, als sich an den dargebotenen Genüssen zu sättigen. (10) Sie verabredeten sich also folgendermaßen: Die Hände sollten keine Speise mehr zum Munde führen, der Mund nichts Angebotenes mehr annehmen, die Zähne nichts mehr zerkleinern. Während sie nun in ihrer Erbitterung den Magen durch Aushungern bezwingen wollten, kamen die einzelnen Glieder alle zugleich mit dem ganzen Körper an den Rand völliger Entkräftung. (11) Da sahen sie ein, dass sich auch die Aufgabe des Magens durchaus nicht in faulem Nichtstun erschöpfte, dass er ebenso sehr andere ernähre, wie er selbst ernährt werde. Er bringe ja das Blut, das durch die Verarbeitung der Speisen gebildet wird und durch das wir leben und bei Kräften bleiben, gleichmäßig auf die Adern verteilt in alle Glieder des Körpers. (12) Indem er durch den Vergleich zeigte, wie dieser Aufruhr im Körper Ähnlichkeit hatte mit der Erbitterung des Volkes gegen die Väter, soll er die Gemüter umgestimmt haben. Übersetzung: Livius, Ab urbe condita Liber II (Ausgabe Giebel), 95.97 (mit dem Kommentar 200), zu 1 Kor 12,12 ff s. Theißen, Erleben, 350 ff. Der älteste literarische Beleg eines derartigen Rangstreits zwischen verschiedenen Körperteilen ist die äg. Fabel vom Streit
700 Quellen zur Anthropologie der Antike zwischen Kopf und Leib (22. Dyn., 945–722 v. Chr., mit noch älteren Vorläufern), s. dazu Brunner-Traut, Märchen 160 f (mit dem Kommentar 315 f); dies., Frühformen, 71 ff und TUAT 3/5 (1995) 951 ff (F. Kammerzell).
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Q 188: Cicero, Ad familiares (vgl. oben 319) Als gemeinsame verbrachte Lebenszeit gehört das Gastmahl nach Cicero (106–43 v. Chr.) „zur sozialen Dimension des Lebens, zum geselligen Miteinander und zur geistigen Entspannung“. In seiner Schrift Ad familiares IX 24,2 f heißt es: Dass du damit aufgehört hast, regelmäßig zu Gastmählern zu gehen, bedaure ich. Denn damit hast du auf angenehme Unterhaltung und Vergnügen verzichtet. Ich fürchte zudem – ich darf ja wohl offen sprechen –, dass du sozusagen deine alte Gewohnheit verlernst und vergisst: nämlich selbst kleine Gastmähler zu geben. (…) Aber wirklich, ohne Spaß, ermahne ich dich, mein lieber Paetus, mit anständigen, angenehmen und dir zugetanen Männern Umgang zu haben. Denn das, glaube ich, gehört zu einem glücklichen Leben. Nichts passt mehr zum Leben, nichts trägt mehr zu einem glücklichen Leben bei. Ich zähle das nicht zum hedonistischen Genuss, sondern zur sozialen Dimension des Lebens, zum geselligen Miteinander und zur geistigen Entspannung, wie sie ein vertrautes Gespräch mit sich bringt, das beim gemeinsamen Speisen besonders angenehm ist. Mit convivium benutzen wir einen klügeren Begriff als die Griechen. Sie sprechen von symposia oder syndeipna, d. h. „gemeinsamem Trinken“ oder „gemeinsamem Essen“, wir dagegen von convivia, weil man in dieser Situation besonders intensiv miteinander lebt. Du siehst, wie ich dich durch Sprachphilosophie zum gemeinsamen Tafeln zurückzurufen versuche. Das wirst du am leichtesten erreichen, wenn du häufig außer Haus speist. Übersetzung: Weeber, Rom, 141 f.
Q 189: Vergil, Vierte Ekloge (vgl. oben 247) Die berühmte 4. Ekloge Vergils (70–19 v. Chr.) enthält in Z. 18–25 einen Passus, der eine Sachparallele zum Eschatologischen Tierfrieden in Jes 11,6–8 darstellt: Dir aber, Knabe, wird die Erde ohne unser Zutun kleine Erstlingsgaben in Fülle spenden: rankenden Efeu mit Baldrian (20) sowie Wasserrosen, vermischt mit strahlendem Akanthus. Freiwillig werden die Ziegen ihre von Milch strotzenden Euter nach Hause tragen, und die Rinder werden mächtige Löwen nicht zu fürchten haben. Von selbst wird deine Wiege für dich einen lieblichen Blumenteppich ausbreiten. Untergehen wird die Schlange, untergehen auch das tückische Giftkraut; (25) assyrischer Balsam wird auf Schritt und Tritt erblühen. Übersetzung: Vergil, Leben auf dem Lande, 41 f (mit dem Kommentar 281 ff), s. dazu auch
Ebach, Ende des Feindes, 82 ff.
Q 191: Mischnatraktat Avot 701
Q 190: Ovid, Fasti (vgl. oben 321) In den Fasti, seinem Kommentar zum römischen Festkalender, hat der römische Dichter Ovid (43 v. Chr. bis 17 n. Chr.) die Einführung des Getreideanbaus mit der Entstehung der Kultur verbunden. Im 4. Buch der Fasti (zum Monat April) heisst es: Jetzt folgt Demeters Fest, und kein Grund zur Erklärung ist nötig: Klar ist der Göttin Verdienst, klar das Geschenk ihrer Hand! 395 Nahrung waren zuerst für die Menschen nur grünende Kräuter, Wie sie die Erde von selbst, ohne Bestellung uns gab. Grünendes Gras, wie es wuchs, entnahm man vom üppigen Rasen, Oder man wählte zum Mahl Spitzen vom zartesten Laub. Später die Eichel wuchs; und erst nach ihrer Entdeckung 400 Lebte man besser, ihr Baum bot einen kostbaren Schatz. Da rief Ceres zuerst die Menschen zu besserer Nahrung, Denn wertvollere Kost bot statt der Eichel sie dar. Sie erst zähmte den Stier, seinen Nacken dem Joche zu beugen; Jetzt sah, vom Pfluge zerfurcht, erstmals die Sonne den Grund. Übersetzung: Ovid, Fasti, 215 (Gerlach), s. dazu auch Rüpke, Zeit, 112 ff. Zum Getreidebe-
darf in der römischen Gesellschaft s. von Reden, Wirtschaft, 50 f.
𓇼 IX. Antikes und rabbinisches Judentum 1. Lebensphasen Lebensalterstufen Q 191: Mischnatraktat Avot (vgl. oben 49) Wie in der neuassyrischen Sultantepe-Tafel 400 aus dem 7. Jh. v. Chr. (s. Q 70) werden im Mischnatraktat Avot 5,21 die Alterszäsuren ab dem 20. Lebensjahr nach dem Zehnerschema angegeben. Vom 5. bis zum 20. Lebensjahr herrscht dagegen ein anderes Schema vor: Er (sc. Rabbi Jehuda ben Tema) pflegte zu sagen: mit fünf Jahren – an die Schrift; mit zehn Jahren – an die Mischna; mit dreizehn Jahren – an die Gebote; mit fünfzehn Jahren – an den Talmud; mit achtzehn Jahren – zum Traubaldachin; mit zwanzig Jahren – Nachkommen; mit dreißig Jahren – Kraft; mit vierzig Jahren – zum Verstehen; mit fünfzig Jahren – zum Rat; mit sechzig Jahren – Alter; mit siebzig Jahren – Greisenalter; mit achtzig Jahren – Greisenwürde;
702 Quellen zur Anthropologie der Antike mit neunzig Jahren – sich bücken; mit hundert Jahren – fast tot, hinübergegangen und nicht mehr auf der Welt. Übersetzung: Krupp, Schädigungen, 272, s. dazu auch Weinfeld, Phases, 186 ff; Erlemann
u. a. (Hg.), NTAK 2, 244 ff (F. Avemarie); 5, 112; Meinhold, Bewertung, 112 ff; Assmann, Tod, 378 mit Anm. 10; Pola, Lebensalter, 394 ff; ders., Kindheit, 132 ff und Schröter / Zangenberg (Hg.), TUNT, 636 f.
Geburt und Namengebung Q 192: 1QHodayot 20 (vgl. oben 53) In den Texten vom Toten Meer begegnet die aus Gen 2,7 bekannte Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus „Staub“ (῾pr) besonders in den Niedrigkeitsdoxologien der Hodayot. Als Beispiel sei der Anfang aus der Niedrigkeitsdoxologie 1 QH 20,24–36 (bisher: 12,24–36) zitiert: Und ich – vom Staub hast [Du mich genommen und aus Lehm] hast du mich [geformt] (25) zu einer Quelle von Unreinheit und schändlicher Schmach, ein Häufchen Staub und geknetet mit Wasser [….] und eine Wohnung (26) von Finsternis. Rückkehr zum Staub ist dem Lehmgebilde (verhängt), zur Zeit .[………] im Staub, (27) zu dem, von dem er genommen. Und was erwidert Staub, und […………] und [wie] kann er verstehen (28) Seine [Wer]ke? Wie soll er hintreten vor seinen Zurechtweiser und [………… der Hei]ligkeit? Übersetzung: Maier, Qumran-Essener 1, 104, s. dazu auch Lohse, Texte, 159 und Lichten-
berger, Menschenbild, 80 f.88 ff.
Q 193: Genesis Rabba 8,1 (vgl. oben 100) Die Auffassung, das der Schöpfer, um zur Zweiheit von Mann und Frau zu gelangen, eine Teilung des androgynen Urmenschen vornimmt, findet sich im Midrasch Rabba zu Genesis (GenR 8,1) als Auslegung von Gen 1,26. Im Hintergrund stehen wohl platonische (s. Q 155) und aristotelische Vorstellungen: Es sagte R. Jirmeja ben Leazar: Als der Heilige, gepriesen sei er, den ersten Menschen erschuf, erschuf er ihn androgyn; denn es heißt: „Als Mann und Frau erschuf er sie“ (Gen 5,2). Es sagte R. Samuel bar Nachman: Als der Heilige, gepriesen sei er, den ersten Menschen erschuf, erschuf er ihn zweigesichtig. Er erschuf und zersägte ihn und machte ihm einen Rücken hier und einen Rücken dort.
Q 195: Talmudtraktat Sanhedrin 91b 703
Man erhob gegen ihn den Einwand: aber es steht doch geschrieben: „Und er nahm eine seiner Rippen“ (tsal῾otaw Gen 2,21)! Er antwortete ihnen: (eine) seiner Seiten! So liest du ja auch: „Für die zweite Seite (tsela῾) der Wohnstätte“ (Ex 26,20). Übersetzung: Stemberger, Midrasch, 92 (mit dem Kommentar 97), s. dazu auch Kaiser,
Gott Israels, 288 mit Anm. 48; Morgenstern, Mensch, 252 ff und ders., Judentum, 20 ff.
Q 194: SapSal 7,1–6 (vgl. oben 66) Nach SapSal 7,1–6 liefert das Sperma die Grundlage für die Bildung des Blutes. Diese Vorstellung begegnet bereits bei Aristoteles (s. Q 156). „Der Eintritt ins Leben und das Sterbenmüssen“, sagt dieser Text, „sind für alle Menschen gleich“ (Engel, Weisheit [NSK.AT], 127): 1 Auch ich bin ein sterblicher Mensch, allen gleich, und ein Nachkomme des ersten, aus Erde gemachten Menschen. Und im Mutterleib wurde ich als fleischliches Wesen gebildet, 2 in zehn Monaten im Blut geronnen, aus dem Samen eines Mannes und der Lust, die zum Beischlaf hinzukam. 3 Und als ich geboren war, da atmete ich die (allen gemeinsame) Luft ein. Und ich fiel auf die Erde, die gleiches von allen erduldet (oder: auf der alle das gleiche erdulden), und wie alle weinte ich beim gleichen ersten Laut. 4 In Windeln und mit Sorgen wurde ich aufgezogen. 5 Kein König hatte nämlich einen anderen Anfang seiner Geburt. 6 Einen Eingang ins Leben haben alle, und der Ausgang ist (für alle) gleich. Übersetzung: Hübner, Weisheit (ATD.A), 92 (mit dem Kommentar 93 ff), s. dazu auch Kunz-Lübcke, Leben, 264 f; Engel, Weisheit (NSK.AT), 126 f; Blischke, Eschatologie, 180 ff; Frevel, Entstehung, 300 f und Mazzinghi, Weisheit (IEKAT), 199 ff.
Q 195: Talmudtraktat Sanhedrin 91b (vgl. oben 60 f ) Die Vorstellung von einer zwischen Empfängnis und Geburt erfolgenden Beseelung des Fötus, die im Alten Testament fehlt, ist im Traktat Sanhedrin des Babylonischen Talmud (bSan 91b) belegt: Antonius fragte Rabbi: Wann kommt die Seele (nešāmāh) in den Menschen (be᾽ādām), beim Bedenken (peqidāh) oder bei der Bildung (jesirāh)? Er erwiderte: bei der Bildung. ˙ Jener entgegnete: Ist es denn möglich, dass ein Stück Fleisch (bāśār) ohne Salz sich drei Tage hält, ohne übelriechend zu werden? (Die Seele kommt) vielmehr beim Bedenken (in den Menschen). Rabbi sagte: Dies lehrte mich Antonius, und ein Schriftvers unterstützt ihn. Denn es heißt: „Dein Bedenken bewahrte meinen Geist“ [Hi 10,12]. Übersetzung: Morgenstern, Mensch, 243 (mit dem Kommentar 241 ff), s. dazu auch Kunz-
Lübcke, Leben 250 ff und Staubli / Schroer, Menschenbilder, 49 f.
704 Quellen zur Anthropologie der Antike
Alter und Tod Q 196: Sir 40,11 (vgl. oben 80) Nach Sir 40,1–11 liegt der Schatten des Todes auf der gesamten Menschheit. Die zusammenfassende Sentenz V. 11, die die Unvergänglichkeit der göttlichen Gedanken und Pläne dem menschlichen Vergehen gegenüberstellt (vgl. Sauer, Jesus Sirach [ATD.A 1], 277), lautet folgendermaßen: Alles, was von der Erde kommt, wird auch wieder zur Erde zurückkehren, aber das, was von der Höhe kommt, wird zur Höhe zurückkehren. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 276 (mit dem Kommentar 277).
2. Leibsphäre Q 197: Sir 26,16–18 (vgl. oben 153) Die Schönheit der „guten“ Frau kommt von innen und erleuchtet wie die Sonne oder das Licht auf einem Leuchter ihre Umgebung. Zu beachten ist wieder, dass der Blick des Betrachters, wie in den Beschreibungsliedern des Hhld (s. dazu oben 115 ff), von oben (Angesicht) nach unten (Beine) schweift: 16 Eine Sonne, die aufstrahlt an den Höhen oben, so schön ist eine Frau in der erwählten Kammer. 17 Ein Licht, das auf heiligem Leuchter aufstrahlt, so ist die Pracht des Angesichts auf einer ansehnlichen Gestalt. 18 Goldenen Säulen auf silberner Basis, so sind liebliche Beine auf wohlgestalteten Fersen. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 193 (mit dem Kommentar 195 f).
Q 198: Sir 38,1–15 (vgl. oben 184) In der hellenistischen Umwelt Ben Siras war „der Beruf des Arztes, der mit medizinischer Kenntnis und dem Einsatz ihm bekannter Heilmittel gegen die Krankheit vorgehen konnte, längst vertraut … Eine bemerkenswert rationalistische Einstellung verrät Ben Sira dadurch“ (Sauer, Jesus Sirach, 262). Dennoch steht der Arzt unter der Leitung Gottes (vgl. Ex 15,26). Im Gegensatz zu 2 Chr 16,12 kommt Ben Sira zu der „Aussage, wonach der, der die Hilfe des Arztes leichtfertig ablehnt, sich vor seinem Schöpfer versündigt“ (ders., aaO 263): 1 Sei mit einem Arzt freundschaftlich verbunden, bevor du ihn brauchst, denn auch ihn hat Gott erschaffen! 2 Von Gott her empfängt der Arzt Weisheit, und so kann er vom König Geschenke annehmen. 3 Das Wissen des Arztes lässt ihn sein Haupt hoch tragen, und vor Fürsten tritt er hin.
Q 199: SapSal 17,12–15 705
4 Gott lässt aus der Erde Heilmittel hervorgehen, und ein kluger Mann soll sie nicht verachten. 5 Wurde nicht durch ein Stück Holz Wasser süß, um einem jeden Menschen seine Macht kundzutun? 6 Er gab dem Menschen Einsicht, um sich durch sein Vermögen zu verherrlichen. 7 Durch sie kann ein Arzt Schmerzen lindern. 8 Und so bereitet ein Apotheker Arznei, damit sein Werk nicht zur Ruhe komme noch Hilfe unter den Menschen. 9 Mein Kind, bei einer Krankheit zögere nicht, bete zu Gott, denn er ist es, der heilt. 10 Halte dich von Sünde fern und auch von Parteilichkeit und von allen Freveltaten reinige das Denken. 11 [Bringe dar den lieblichen Geruch] eines Gedächtnisopfers, lass deine Opfer reichlich sein entsprechend dem, was du vermagst. 12 Und auch dem Ar[zt g]ib Raum, er ist nicht fern, denn auch er ist nötig. 13 Denn es gibt einen Zeitpunkt, zu dem in seiner Hand der glückliche Ausgang liegt. 14 Denn auch er betet zu Gott, dass ihm die Untersuchung gelinge und die Heilung, damit er am Leben erhalte. 15 Der versündigt sich vor seinem Schöpfer, der sich vor einem Arzt groß tut. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 260 f (mit dem Kommentar 262), s. dazu auch Beyerle, „Medizin“, 55 ff und Kaiser, Krankheit, 243 ff.
Q 199: SapSal 17,12–15 (vgl. oben 177) Im Zusammenhang der midraschartigen Nacherzählung der fünften ägyptischen Plage (SapSal 17,1–18,4) fällt der Spitzensatz, dass die Furcht nichts anderes sei als eine Preisgabe der von der Vernunft (λογισμός) gebotenen Mittel: 12 Denn die Furcht ist nichts anderes als die Preisgabe der Hilfe, die die Vernunft bietet. 13 Je weniger aber jemand in seiner Einstellung (solche Hilfe) erwartet, um so mehr kann man damit rechnen, dass er vom eigentlichen Grund der Peinigung (des Sünders) nichts weiß. 14 Sie schliefen zwar denselben Schlaf (wie andere Menschen), jedoch in der in Wahrheit ohnmächtigen Nacht – sie kam aus der Tiefe der ohnmächtigen Unterwelt –, 15 als sie da teils durch bedrohliche Traumbilder verfolgt, teils durch Mutlosigkeit gelähmt wurden, da kam plötzlich ganz unerwartete Furcht über sie.
706 Quellen zur Anthropologie der Antike Übersetzung: Hübner, Weisheit (ATD.A), 200 (mit dem Kommentar 208), s. dazu auch
Engel, Weisheit (NSK.AT), 266 ff; Staubli / Schroer, Menschenbilder, 176 f und Mazzinghi, Weisheit (IEKAT), 442 ff. Zum Prinzip des λογισμός s. auch 4 Makk 1,15 f.
3. Sozialsphäre Generationenbeziehungen Q 200: Tobit 4,3 f (vgl. oben 137) In Tob 4,3 f gibt Tobit seinem Sohn Tobias letzte Anweisungen, die in sachlicher Nähe zu Sir 3,1–16 (Q 201), dem ausführlichsten Kommentar zum Elterngebot von Ex 20,12 par. Dtn 5,16 stehen: (3) Und er rief seinen Sohn Tobias, und dieser kam zu ihm. Er sprach zu ihm: „Begrabe mich gebührend und ehre deine Mutter und lass sie nicht im Stich alle Tage deines Lebens und tue das Beste für sie und betrübe nicht ihren Geist in allen deinen Handlungen. (4) Denk daran, Kind, dass sie viele Beschwerden auf sich genommen hat, als sie dich in ihrem Schoß getragen hat. Wenn sie gestorben ist, begrabe sie bei mir in dem gleichen Grab. Übersetzung: Schüngel-Straumann, Tobit (HThK.AT), 95, s. dazu dies., aaO 98 ff.
Q 201: Sirach 3,1–16 (vgl. oben 137) Der frühe Kommentar zum Elterngebot des Dekalogs in Sir 3,1–16 ist ein „Beispiel, wie Sirach in einer Stunde des Umbruches von Gesellschaft und Ethos die Traditionen Israels aktualisiert“ (Marböck, Jesus Sirach I [HThK.AT], 70). V. 1–7 (kursiv) liegt der Text der Septuaginta zugrunde: 1 Das Gebot des Vaters hört, ihr Kinder, und so handelt auch, damit ihr gerettet werdet. 2 Denn der Herr hat einem Vater durch seine Kinder Ehre zuteil werden lassen, und das Recht der Mutter hat er durch die Söhne gestärkt. 3 Der, der den Vater ehrt, wird Sünden sühnen, 4 und wie der, der sich Schätze sammelt, ist der, der die Mutter ehrt. 5 Der, der den Vater ehrt, wird sich an Kindern erfreuen, und an dem Tage, an dem er betet, wird er erhöht werden. 6 Der, der den Vater ehrt, wird viele Tage sehen, und der, der auf den Herrn hört, der ehrt seine Mutter. 7 Der, der den Herrn fürchtet, ehrt den Vater, Und wie Herren wird er dienen seinen Eltern. 8 Mein Kind, in Wort und in Tat ehre deinen Vater, damit auf dich alle Segnungen kommen. 9 Der Segen des Vaters gründet die Wurzel, und der Fluch der Mutter reißt die Pflanze aus. 10 Sehne dich nicht nach Ehre aufgrund der Schmach deines Vaters, denn er wird dir auf diesem Wege nicht zur Ehre gereichen.
Q 203: Sirach 25,17–24 707
11 Die Ehre eines Mannes erwächst aus der Ehre seines Vaters, und viel sündigt der, der seiner Mutter flucht. 12 Mein Kind, klammere dich fest an die Ehre deines Vaters und verlasse ihn nicht alle Tage deines Lebens. 13 Selbst wenn ihm Wissen mangeln sollte, erlass es ihm, lass ihn nicht in Schanden kommen alle Tages seines Lebens hindurch. 14 Wohlverhalten gegen den Vater wird nicht vergehen, wie ein Sündopfer wird es eingepflanzt bleiben. 15 Am Tage der Not wird zu deinen Gunsten daran gedacht werden, wie die Wärme das Eis, so lässt es deine Schuld dahinschwinden. 16 Gewiss, hochmütig ist der, der seinen Vater verachtet, und es lässt in Zorn entbrennen seinen Schöpfer, der seiner Mutter flucht. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 61 f (mit dem Kommentar 62 ff), s. dazu auch Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 70 ff und Tesch, Weisheitsunterricht, 79 ff.
Geschlechterverhältnis Q 202: Tobit 8,5b–9 (vgl. oben 101) Im Lobpreis des Tobias auf den Gott der Väter in Tob 8,5b–9, der fast wörtlich identisch ist mit demjenigen Saras in Tob 3,11 ff, wird in V. 6 – mit charakteristischen Verschiebungen gegenüber der Vorlage – auf die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau in Gen 2,18 ff Bezug genommen: Du hast Adam geschaffen und ihm als helfende Stütze Eva, seine Frau, geschaffen. Und aus beiden entstand der Same des Menschen. Und du sprachst, dass es nicht gut sei, dass der Mensch allein sein, sondern wir wollen ihm eine Hilfe machen, ihm gleich. Übersetzung: Schüngel-Straumann, Tobit (HThK.AT), 132 (mit dem Kommentar 134.135 ff).
Q 203: Sirach 25,17–24 (vgl. oben 100.115.153) Obwohl Jesus Sirach an anderer Stelle den guten Umgang der Ehepartner empfiehlt (Sir 25,1) und auch „gute Ehefrauen“ kennt (Sir 26,1–4.13–18; 36,21–27 u. ö.), kommt er in Sir 25,13–26 zu einem einseitigen Urteil, indem er die Störungen im Geschlechterverhältnis ausschließlich der Frau anlastet. Geradezu verheerend ist seine Auslegung von Gen 3,6 in V. 24, die in der Christentumsgeschichte (vgl. nur 2 Kor 11,3 und 1 Tim 2,14) wie ein Sprengsatz gewirkt hat: 17 Die Bosheit einer Frau lässt finster werden das Gesicht eines Mannes, und er entstellt sein Angesicht wie ein Bär. 18 Unter Freunden sitzt ihr Mann, und ohne dass er es wahrnimmt, seufzt er. 19 Gering ist eine Bosheit im Vergleich mit der Bosheit einer Frau, das Los eines Sünders möge auf sie fallen. 20 Wie ein sandiger Aufstieg unter den Füßen eines alten Mannes, so ist eine schwatzhafte Frau für einen ruhigen Mann.
708 Quellen zur Anthropologie der Antike 21 Durch die Schönheit einer Frau sollst du nicht zu Fall kommen, und ihr Wesen sollst du nicht begehren. 22 Zorn und Schmach und große Schande bringt eine Frau, die ihren Mann unterhält. 23 Ein erniedrigtes Herz und ein verfinstertes Angesicht und Herzeleid bringt eine schlechte Frau. Müdigkeit der Hände und wankende Knie bringt eine Frau, die ihren Mann nicht glücklich machen kann. 24 Von einer Frau kommt der Anfang der Sünde, und ihretwegen sterben wir alle. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 190 (mit dem Kommentar 192 mit Anm. 10),
s. dazu auch Schüngel-Straumann, Frau, 82 ff und Calduch-Benages, Ehefrauen, 109 ff (mit weiterer Lit.).
Aspekte der Ethik Q 204: Tobit 4,5–11.16 (vgl. oben 229) Auf Tob 4,3 f (s. Q 200) folgen in Tob 4,5–11.16 allgemeine Ermahnungen, denenzufolge die rechte Gottesverehrung die Hingabe und die Nächstenliebe, also die soziale Dimension der Gerechtigkeit einschließt. Im Zentrum steht dabei der Begriff ἐλεημοσύνη „Almosen“: (5) Alle Tage deines Lebens, Kind, gedenke JHWHs, und bewußt sollst du nicht sündigen oder seine Vorschriften übertreten. Übe Gerechtigkeit alle Tage deines Lebens und gehe nicht auf den Wegen des Unrechts. (6) Solange du die Wahrheit übst, wird allen deinen Werken Erfolg beschieden sein. (7) Und all denen, die Gerechtigkeit üben, gib Almosen aus deinem Besitz, und dein Auge soll nie mißgünstig sein, wenn du Almosen gibst. Wende dein Angesicht nicht ab von irgendeinem Armen, und vor dir wird sich auch das Angesicht Gottes nie abwenden. (8) Was dir zugeflossen ist, von dem gib Almosen; wenn dir wenig zugeflossen ist, gib gemäß dem Wenigen, und fürchte dich nicht, Almosen zu geben. (9) Einen guten Schatz sammelst du dir so an für den Tag der Not. (10) Denn das Almosen rettet dich über den Tod, und du wirst nicht in die Finsternis geraten. (11) Denn ein gutes Geschenk vor dem Höchsten ist das Almosen für alle, die es ausüben. (…) (16) Von deinem Brot gib den Armen, und von deinen Kleidern den Nackten. Alles, was du übrig hast, mach zu Almosen, und dein Auge soll nicht mißgünstig sein, wenn du Almosen gibst. Übersetzung: Schüngel-Straumann, Tobit (HThK.AT), 96 (mit dem Kommentar 100 ff).
Q 205: Sir 6,5–17; 12,8 f; 27,16–21 und 37,1–6 (vgl. oben 104.225.228) Das Sirachbuch enthält zahlreiche Texte zur Freundschaftsethik (Sir 6,5–17; 9,14; 12,7 f; 19,8–17; 22,23–32; 27,17–24; 37,1–6 u. ö.). Im Folgenden seien vier dieser Texte zitiert:
6,5–17 5 Eine sanfte Kehle macht ihre Freunde zahlreich und eine wohlredende Zunge macht Freundlichkeiten zahlreich.
Q 205: Sir 6,5–17; 12,8 f; 27,16–21 und 37,1–6 709
6 Die mit dir Frieden halten, seien viele, deine Ratgeber aber – nur einer aus tausend. 7 Willst du einen Freund gewinnen, gewinne ihn durch Erprobung und schenke ihm nicht zu rasch Vertrauen. 8 Es gibt nämlich einen Freund nur für seinen Zeitpunkt, doch er bleibt es nicht am Tag deiner Bedrängnis. 9 Und es gibt einen Freund, der sich zur Feindschaft kehrt und schmählichen Streit von dir enthüllen wird. 10 Und es gibt einen Freund als Tischgenossen doch er bleibt es keineswegs am Tag deiner Bedrängnis 11 und in deinem Glück wird er sein wie du und bei deinem Hausgesinde kühn das Wort führen, 12 wenn du erniedrigt bist, wird er gegen dich sein und sich vor deinem Angesicht verbergen. 13 Von deinen Feinden trenne dich und vor deinen Freunden nimm dich in Acht! 14 Ein treuer Freund – ein starker Schutz, wer ihn gefunden, hat einen Schatz gefunden. 15 Für einen treuen Freund gibt es keinen Gegenwert und nichts wiegt seine Vortrefflichkeit auf. 16 Ein treuer Freund – eine Arznei des Lebens und die den Herrn fürchten, werden ihn finden. 17 Wer den Herrn fürchtet, hält aufrichtige Freundschaft, denn wie er selbst, so auch sein Gefährte. Übersetzung: Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 108 (mit dem Kommentar 111 ff), s. dazu auch Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 79 f (mit dem Kommentar 80 ff) und Reiterer (Hg.), Freundschaft, 1 ff (P. C. Beentjes). Kurzkommentar: Zu V. 5 f vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik IX,10: „Keinen Freund hat,
wer viele Freunde hat.“ – Zu V. 7–13 vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik VIII,3: „Der Wunsch, Freunde zu werden, wächst schnell, aber die Freundschaft nicht“, vgl. VIII,9.11, ferner die Lehre des Papyrus Insinger (um 300 v. Chr.) 12,15: „Man entdeckt das Herz eines Weisen nicht, wenn man ihn nicht in irgendeiner Sache erprobt hat“ und die Lehre des Anchscheschonqi (1.Jh. v. Chr.) 187: „Wenn du dich zum Gefährten eines Weisen machst, dessen Gesinnung du nicht kennst, öffne dich ihm nicht.“ Zitat der ägyptischen Texte nach Brunner, Weisheit, 277.317.
12,8 f 8 9
Nicht wird erkannt der Freund im Glück, und nicht bleibt der Feind verborgen im Unglück. Im Glück eines Mannes sind seine Feinde in Trauer, und in seinem Unglück wird sich auch der Freund entfernen.
Übersetzung: Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 166 (mit dem Kommentar 170 f), s. dazu
auch Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 115 (mit dem Kommentar 230 f) und Reiterer (Hg.), Freundschaft, 19 ff (L. Schrader).
710 Quellen zur Anthropologie der Antike
27,16–21 16 Einen treuen Freund vertreibt Verhöhnung, wer aber ein Geheimnis bewahrt, ist ein rechter Freund. 17 Liebe den Freund und vertraue ihm ganz; wenn du aber seine Geheimnisse verrätst, wirst du nicht mehr mit ihm zusammen gehen können. 18 Denn so wie sonst ein Mensch seinen Feind vernichtet, so hast du die Freundschaft zu deinem Nächsten vernichtet. 19 So wie wenn du einen Vogel aus deiner Hand entkommen ließest, so hast du deinen Nächsten entlassen und wirst ihn nicht mehr erjagen. 20 Laufe ihm nicht nach, denn er hat sich weit entfernt, und er ist entflohen wie die Gazelle dem Netz. 21 Wahrlich, eine Wunde kann verbunden werden, und üble Nachrede kann versöhnt werden, wer aber Geheimnisse kundgetan hat, kann auf nichts hoffen.
37,1–6 1 Ein jeder Freund spricht: „Ich bin dein Freund“. Es gibt aber einen Freund, der nur dem Namen nach Freund ist. 2 Ist es nicht ein Kummer, der bis an den Tod heranreicht, wenn ein Freund, der dir ganz nahe steht, sich in einen Feind verwandelt? 3 Wehe dem Bösen, der da spricht: „Warum bin ich so erschaffen worden, um den Erdkreis mit Trug zu erfüllen?“ 4 Wie schlecht ist ein Freund, der zwar mit dir am Tische sitzt, in der Zeit der Not aber gegen dich aufsteht! 5 Ein guter Freund kämpft mit einem Freund, und gegen Widersacher ergreift er den Schild. 6 Du sollst den Gefährten im Kampf nicht vergessen, und du sollst ihn nicht verlassen, wenn du Beute teilst. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 115.201.230 (mit dem Kommentar 116.201.230 f),
s. dazu auch Reiterer (Hg.), Freundschaft, 107 ff (O. Kaiser).123 ff (G. Sauer) und zur Gesamtthematik Olyan, Friendship, 87 ff.
Q 206: Sir 11,27–32 (vgl. oben 206) Sir 11,27–32 warnt vor dem Missbrauch des Gastrechts, denn, so der Sirazide, einen Fremden in sein Haus aufzunehmen, bedeutet oft genug, Unruhe hereinzulassen. Es ist die Aufgabe des Weisen, die damit verbundenen Gefahren realistisch einzuschätzen und ihnen rechtzeitig zu begegnen: 27 Nicht jeden beliebigen Menschen lass in das Haus eintreten, wie zahlreich sind die Wunden, die ein Verleumder hinzufügt. Wie ein Korb, gefüllt mit Vögeln, so sind ihre Häuser gefüllt mit Trug,
Q 208: Test XII.Is 7,6 711
28 wie ein Vogel, der gefangen ist in einem Korb, ist das Herz des Stolzen, wie ein Wolf lauert er auf Raub, wie zahlreich sind die Sünden des Schädlings, wie ein Hund ist er, er kommt und alles im Hause ist Gewalttat, so ist auch der Gewalttäter, der da kommt, und er lässt Streit entstehen über all das Gute, es lauert der Verleumder wie ein Bär im Hause des Spötters, und wie ein Kundschafter blickt er auf ihre Blöße. 29 Gutes zum Bösen wendet ein Verleumder, und bei denen, die Gefallen an dir haben, lässt er Verschwörung entstehen. 30 Aus einem Funken wird eine große Glut, der nichtsnutzige Mensch lauert auf Blut. 31 Halte dich fern vom Bösen auf, denn Böses bringt es hervor, warum willst du einen Makel auf ständig davontragen? 32 Hange nicht einem Übeltäter an, dass er deinen Weg verkehre. Er wendet dich ab von denen, die mit dir im Bunde stehen. Lass einen Fremden bei dir wohnen, so wird er deine Wege dir entfremden, er wird bewirken, dass du fremd bist inmitten derer, die dir vertraut sind. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 112 f (mit dem Kommentar 113), s. dazu auch
Marböck, Jesus Sirach I (HThK.AT), 165 f (mit dem Kommentar 169 ff).
Q 207: CD VI,20–VII,1 (vgl. oben 169) In den Texten vom Toten Meer wird betont, dass sich die Liebe zum Nächsten / Bruder in konkreter Unterstützung zeigen muss. So wird nach CD VI,20–VII,1 für die, die im Bund im Land Damaskus sind, unter Anspielung auf Lev 19,18 vorgeschrieben darauf zu achten, (VI,20) die heiligen (Abgaben) zu erheben nach ihrer Darlegung, ein jeder seinen Bruder zu lieben (21) wie sich selber, und einen Elenden und Armen und Beisassen zu unterstützen. Und ein jeder zu erstreben das Wohlergehen (VII,1) seines Bruders, dass keiner seiner Verwandtschaft etwas veruntreue. Übersetzung: Maier, Qumran-Essener I, 17. Die Damaskusschrift nimmt dabei eine Ein-
schränkung des Begriffs „Nächster“ auf die Mitglieder der eigenen Gemeinde vor (CD IX,1–8). Und die Gemeinderegel gebietet in 1 QS 1,9–11 sogar, nur die „Söhne des Lichts“, also die Mitglieder der eigenen Gemeinde, zu lieben, die „Söhne der Finsterns“ aber zu hassen, s. dazu Lichtenberger, Menschenbild, 212 ff.217.
Q 208: Test XII.Is 7,6 (vgl. oben 170) Im Kontext von Lev 19,18 ist der Nächste der Mit-Israelit, im Kontext von Lev 19,34 aber der Fremde. Mit ihrer Ausweitung auf alle Menschen hat Test XII.Is 7,6 das Liebesgebot universalisiert: Den Herren liebte ich und ebenso jeden Menschen mit aller meiner Kraft. Übersetzung: JSHRZ 3 (1974–2001) 84 (J. Becker), s. dazu auch Erlemann u. a. (Hg.), NTAK
3 (2005) 173. Der dort ebenfalls genannte Beleg Sir 13,15 gehört m. E. nicht hierher.
712 Quellen zur Anthropologie der Antike
4. Rechts- und Wirtschaftsleben Q 209: Sir 38,24–34 (vgl. oben 250) In Sir 38,24 ff gibt Ben Sira einen Einblick in die „Vielgestaltigkeit des städtischen Lebens der hellenistischen Zeit“ (Sauer, Jesus Sirach [ATD.A], 266). Ausgangs- und Zielpunkt ist dabei der Weise, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, die Weisheit zu pflegen und zu bilden. Dafür braucht er Muße, die aber die vier Berufe nicht haben, von denen ab V. 27 die Rede ist. Dennoch: Wenn der Arbeiter, der Künstler, der Schmied und der Töpfer ihre Arbeiter „in den Dienst der Gemeinschaft und damit Gottes stellen, haben sie ihre Aufgabe erfüllt, die ihnen zukommt“ (ders., aaO 267): 27 So auch ein jeder Arbeiter und Künstler, die in der Nacht wie am Tage arbeiten, und die, die die Gravuren der Siegelringe schneiden, und der, dessen Kunst es ist, bunt zu weben, und der, der seinen Sinn darauf richtet, ein Bild nach dem Leben zu malen, und der, der seine Mühe darauf verwendet, das Werk zu vollenden. 28 So auch der Schmied, der nahe am Amboß sitzt, und genau auf die Werke aus Eisen achten muß, die Glut des Feuers läßt sein Fleisch schmelzen, und in der Hitze des Ofens muß er tätig sein. Das Dröhnen des Hammers macht taub sein Ohr, und auf das Modell des Gerätes muß er sein Auge richten. Seinen Sinn richtet er auf die Vollendung seiner Werke, und es ist sein Bemühen, sie schön zu vollenden. 29 So auch der Töpfer, der bei seiner Arbeit sitzt, der mit seinen Füßen die Töpferscheibe dreht, der sich fortwährend Gedanken macht über sein Werk, und wohlgezählt ist seine gesamte Arbeit. 30 Mit seinen eigenen Armen formt er den Ton, und vor seinen Füßen beugt er seine Härte. Seinen Sinn richtet er darauf, die Glasur zu beenden, und seine Sorge ist es, den Ofen zu reinigen. 31 Diese alle vertrauen auf ihre Hände, und ein jeder ist weise in seinem Werk. 32 Ohne sie wird keine Stadt erbaut werden können, und sie müssen nicht Fremdlinge sein und nicht umherziehen. Aber im Rat des Volkes werden sie nicht befragt werden, 33 auch ragen sie nicht heraus aus der Gemeinde, auf dem Thron eines Richters sitzen sie nicht, und die festen Satzungen des Urteils kennen sie nicht. Auch offenbaren sie nicht Lehre und Urteil, und in Weisheitssprüchen kennen sie sich nicht aus. 34 Aber den Bestand dieser Welt stärken sie, und ihr Gebet besteht in der Ausübung ihrer handwerklichen Kunst. Anders der, der sich selbst dahingibt.
Q 210: Mischnatraktat Joma 4,1–2; 5,2 f und 6,2–6.8 713
Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A), 264 f (mit dem Kommentar 266 ff), s. dazu auch
Marböck, Hand, 39 ff und zum Thema „Arbeit“ im Sirachbuch Reiterer, „Arbeit“, 229 ff.
5. Kult, Ritus und Gebet Ritualtexte Q 210: Mischnatraktat Joma 4,1–2; 5,2 f und 6,2–6.8 (vgl. oben 412) Das im Mischnatraktat Joma („Der Tag“) geschilderte „Ritual des Jom Kippur, wie er gegen Ende der Zeit des zweiten Tempels begangen wurde, orientiert sich an den biblischen Bestimmungen“ (Krupp, Festzeiten, 371). Dabei schildert das 4. Kapitel die Auslosung der beiden Böcke – für JHWH und für Azazel –, die dann für ihre jeweilige Bestimmung vorbereitet werden (4,1–2). Um den Kopf des wegzuschickenden Bockes band der Hohepriester ein „Band von Kermeswolle … und stellte ihn an der Stelle auf, von wo er weggeschickt werden sollte, und den zu schlachtenden an der Schlachtstelle“ (4,2). Darauf werden die Maßnahmen des Hohenpriesters innerhalb und außerhalb des Allerheiligsten geschildert, wobei der Ritus am „Grundstein“ (᾽æbæn šetijjāh), der den Platz der ehemaligen Lade einnahm und auf den der Hohepriester die Schaufel mit dem Räucherwerk stellte (5,2), eine besondere Rolle spielte: „Nach der Entfernung der Lade war dort ein Stein aus der Zeit der frühen Propheten, der Shetija (Grundstein) genannt wurde. Er war drei fingerbreit höher als der Fußboden, und auf ihn stellte er sie (die Schaufel).“ (vgl. 5,3) Das 6. Kapitel des Traktats beginnt noch einmal mit einer Schilderung der Beschaffenheit der beiden Böcke und ihrer Ersetzung im Fall des Todes und der Untauglichkeit eines der beiden Tiere (6,1). Dann sprach der Hohepriester über dem wegzuschickenden Bock das Sündenbekenntnis für das Volk, das nach der Nennung des Namens Gottes wieder antwortete (6,2). Darauf folgte das Wegschicken des Bockes in die Wüste. Der Ritus, der in 6,3–6 detailliert dargestellt wird, endete mit dem Tod des Bockes, wobei sein Begleiter das besagte Kermesband teilte: „Was tat er (der Begleiter des Sündenbocks)? Er teilt das Kermesband. Die eine Hälfte bindet er am Felsen fest, die (andere) Hälfte zwischen seinen Hörnern und stößt ihn rückwärts hinunter, er überschlägt sich und fällt. Er war noch nicht bis zur Hälfte des Berges gekommen, als er zu lauter Stücken zerschellt war. Er kam und kehrte bis zur letzten Hütte zurück, bis es dunkel wurde. Wann verunreinigen sich seine Kleider? Wenn er aus den Mauern Jerusalems herausgegangen ist. Rabbi Shim῾on sagt: von der Stunde an, wenn er ihn zum Felsvorsprung stößt.“ (6,6) Damit der Hohepriester auf dem Tempelplatz wusste, wann der Bock in der Wüste angekommen war, hatte man „Posten eingerichtet, die Tücher schwenkten, so dass man wusste, wann der Bock in der Wüste angekommen war“ (6,8). Damit waren die Sünden Israels getilgt. Übersetzung: Krupp, Festzeiten, 150.157 f (mit dem Kommentar 372.373 f), s. dazu auch
Janowski, Versöhnung, 119 f. Zu den topographischen Aspekten s. Strobel, SündenbockRitual, 141 ff.
714 Quellen zur Anthropologie der Antike
6. Weltbild Q 211: Sir 42,15–25 (vgl. oben 384) In einem Preislied auf die Erschaffung des Kosmos, das in manchem an Pred 1,3–11 erinnert, teilt Ben Sira seine visionäre Schau der Schöpfungswerke Gottes mit. Gott, so kommentiert Sauer, aaO 293, „hat das All (V. 23) geschaffen, das nun in einer fortwährenden Dauer besteht und gleichzeitig in einem fortgesetzten Wechsel sich weiter in seiner Existenz unter Beweis stellt. So merkwürdig auch die verschiedenen Erscheinungen sein mögen, nichts ist ohne Sinn und Nutzen (V. 24)“: 15 Ich will gedenken der Werke Gottes, und das, was ich gesehen habe, will ich berichten: Durch das Wort Gottes entstanden seine Werke, und ein Werk seines Wohlgefallens ist seine Lehre. 16 Die aufstrahlende Sonne wird über alles geoffenbart, und die Herrlichkeit des Herrn über alle seine Werke. (…) 23 Er (sc. Gott) lebt und besteht auf ewig, und einer jeden Ordnung gehorcht das All. 24 Sie alle wiederholen sich, der eine wie der andere, und nichts von diesen hat er nutzlos erschaffen. 25 Das eine wechselt mit dem anderen in seinem Wert ab, und wer könnte sich sättigen beim Anblick ihrer Pracht. Übersetzung: Sauer, Jesus Sirach (ATD.A 1), 291 f (mit dem Kommentar 292 f), s. dazu auch Schwienhorst-Schönberger, Kohelet (HThK.AT), 167 f.
Q 212: Mosaikfußboden von Beth-Alfa (vgl. oben 384) Der aus dem 6. Jh. n. Chr. stammende Mosaikfußboden der Synagoge von Beth-Alfa in der Jesreel-Ebene (Abb. 153) vereinigt drei typische Bildelemente der jüdischen Mosaikkunst miteinander: den Toraschrein, das Tierkreiszeichen und die ῾Aqedat Jizchaq. Im oberen Register ist in Ausrichtung auf Jerusalem der Toraschrein mit einem Dreiecksgiebel dargestellt, in dem das ,ewige Licht‘ brennt, das sich in den Synagogen vor dem Schrein befindet. Links und rechts vom Toraschrein sind bekannte Motive der Synagogenkunst zu sehen wie Menora, Lulab mit Ertrog, Schofar und Räucherpfanne, dazu die zwei Wächterlöwen, die die grimmige, aber zugleich rettende Macht des Gottes der Tora symbolisieren. Im unteren Bildfeld ist in Anlehnung an Gen 22,9 das Motiv der῾Aqeda, der „Bindung“ Isaaks dargestellt. Von links nach rechts erscheinen zuerst die beiden Diener Abrahams mit dem Esel, die am Fuß des Berges Morija zurückbleiben (Gen 22,4 f). Es folgt, mit der Beischrift „und siehe da, ein Widder“, der Widder, der sich mit seinen Hörnern im Dickicht verfangen hat (Gen 22,13). Auf der rechten Bildhälfte sind, jeweils durch Namensbeischriften gekennzeichnet, die Hauptfiguren zu sehen: Abraham, der Isaak auf den Altar legt und sich anschickt, ihn mit dem Messer zu „schächten“ (šāhat Gen 22,9 f). Im Bild ˙ wird so – wie es die aus dem Himmel kommende Gotteshand mit ˙der Beischrift „Streck deine Hand nicht aus“ (Gen 22,12) verdeutlicht – das jüdische Grundthema der Rettung durch Gott veranschaulicht.
Q 212: Mosaikfußboden von Beth-Alfa 715
Abb. 153: Mosaikfußboden der Synagoge von Beth-Alfa (6. Jh. n. Chr.) In der Mitte zwischen Toraschrein und ῾Aqeda, also zwischen Offenbarung und Erlösung, befindet sich das Tierkreiszeichen (Zodiak). In seinen vier Ecken sind die Jahreszeiten durch Frauenköpfe dargestellt, von links oben beginnend: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Der äußere Kreis zeigt dann die zwölf Tierkreiszeichen, beginnend für den ersten Frühlingsmonat mit dem Widder (Mitte rechts) und – gegen den Uhrzeigersinn laufend – endend für den letzten Wintermonat mit den Fischen (Mitte rechts, unter dem Widder). Der innere Kreis stellt den Sonnenwagen mit den vier Rossen bei seinem „Auf-
716 Quellen zur Anthropologie der Antike gehen“ aus der Dunkelheit der Nacht dar. In der Sonne wird hier JHWH als derjenige Gott proklamiert, der die Gestirne geschaffen hat und der sich durch sie in der immerwährenden Ordnung der Tage, Wochen und Jahreszeiten, der Jahre, Feste und Festzeiten kundtut. Mosetora (Toraschrein) und Schöpfungsordnung (Tierkreis), das macht diese Bildfolge deutlich, sind eng aufeinander bezogen. Mit seinen drei Bildern bringt der Mosaikfußboden der Synagoge von Beth-Alfa damit zentrale Inhalte des jüdischen Glaubens zum Ausdruck: Offenbarung – Schöpfung – Erlösung. Literatur: Stähli, Synagogenkunst, 55 ff, s. dazu auch Janowski, Gott, 139 ff.
𓇼 X. Koran 1. Lebensphasen Geburt und Namengebung Q 213: Sure 23,12–16 und 32,7–9 (vgl. oben 51) Neben der Vorstellung der Erschaffung des Menschen aus Lehm wie in Gen 2,7 (s. dazu oben 50 ff) gibt es im Koran die Vorstellung von seiner Entstehung aus einem Samentropfen (Sure 23,12–16). „Aber die echte Relation zwischen Gott und Mensch ist erhalten in dem Bericht, dass Allah dem Menschen von seinem Geiste eingehaucht habe“ (Bouman, Gott, 12). Diese Vorstellung ist in Sure 15,26–43 und Sure 32,7–9 belegt:
Sure 23,12–16 12 Den Menschen schufen wir aus einem Extrakt aus Lehm 13 und machten ihn zu einem Samentropfen an einem sicheren Platz. 14 Dann formten wir den Samentropfen um zu einem Klumpen, dann formten wir den Klumpen um zu einem Fötus, dann formten wir den Fötus um zu Knochen, um dann die Knochen mit Fleisch zu umkleiden. Dann ließen wir ihn als andere Schöpfung erstehen. Voller Segen ist Gott, der beste Schöpfer! 15 Und siehe, danach müsst ihr dann sterben 16 und werdet dann, am Tag der Auferstehung, wieder auferweckt.
Sure 32,7–9 7 8 9
Er, der da alles, was er schuf, gut machte und der mit Lehm begann des Menschen Schöpfung, dann seine Nachkommenschaft machte aus einem Extrakt jämmerlichen Wassers, ihn dann ebenmäßig formte und von seinem Geist in ihn blies und euch Ohren, Augen, Herzen machte: Wie wenig seid ihr dankbar!
Q 215: Körperteilbezeichnungen 717
Übersetzung: Bobzin, Koran, 296 f.362, vgl. Paret, Koran, 279.342 (s. ders., Kommentar, 353.396), s. dazu auch Bouman, Gott, 11 f; Maier, Koran-Lexikon, 117; Nagel, Anthropologie, 212 ff und Bobzin, Texte, 102 f.
Alter und Tod Q 214: Sure 22,5–7 (vgl. oben 48) Der folgende Abschnitt, der aus medinischer Zeit stammt und einen Abriss der menschlichen Lebensalter von der Geburt über das „verächtliche“ Alter (vgl. Sure 95,4 f; 36,68) bis zum Tod gibt, zeigt die große Bedeutung des koranischen Auferstehungsglaubens: 5 Ihr Menschen! Wenn ihr im Zweifel über die Auferweckung seid: Wir schufen euch aus Erde, sodann aus einem Samentropfen, sodann aus einem Klumpen, sodann aus einer Körpermasse, geformt und ungeformt, um euch Klarheit zu verschaffen. Wir lassen im Mutterleibe ruhen, was wir wollen, bis zur benannten Frist. Dann holen wir euch hervor als Kinder, bis ihr eure Reife erreicht habt. Manch einer von euch wird abberufen, ein anderer kommt ins verächtliche Alter, damit er nichts mehr von dem weiß, was er zuvor gewusst. Du siehst die Erde in Erstarrung. Doch wenn wir Wasser auf sie niedergehen lassen, dann gerät sie in Bewegung, sie mehrt sich und lässt Pflanzen sprießen, von jeglicher prächtigen Art. 6 So ist es – weil Gott die Wahrheit ist, weil er die Toten wieder lebendig macht und weil er die Macht zu allem hat 7 und weil 〈die Stunde〉 kommen wird – an ihr besteht kein Zweifel – und Gott die auferstehen lässt, die in den Gräbern sind. Übersetzung: Bobzin, Koran, 287 f, vgl. Paret, Koran, 271 (s. ders., Kommentar, 347), s. dazu auch Bouman, aaO 15 f und Bobzin, Texte, 116.
2. Leibsphäre Q 215: Körperteilbezeichnungen (vgl. oben 148) Im Koran gibt es eine große Anzahl von Belegen für die gestisch-funktionale Bedeutung von Körperteilen und Organen, s. dazu Kropp, Körperauffassung, 185 ff (mit der Liste 193 ff.216 ff).
718 Quellen zur Anthropologie der Antike
3. Sozialsphäre Ethik Q 216: Sure 17,22–39 (vgl. oben 251) Der Koran enthält „keinen Text, der den ,Zehn Geboten‘ sowohl in formaler wie auch in inhaltlicher Hinsicht genau entspricht“ (Bobzin, Texte, 199). Der folgende Textausschnitt aus Sure 17 (s. noch Sure 6,151–153) lässt sich aber als Sachparallele zum biblischen Dekalog lesen (die Parallelen sind kursiv hervorgehoben), wobei „eine neue emotionale Prägung der Gebote“ wie auch der „Appell an die menschliche Introspektion“ (Neuwirth, Verzauberung, 142) auffällt. Ein Beispiel dafür ist die Neufassung des Elterngebots in V. 24: 22 Setze neben Gott nicht einen andern Gott! vgl. Ex 20,2 f par. Dtn 5,6 Du sitzt sonst da, getadelt und verlassen. 23 Beschlossen hat dein Herr, dass ihr ihm allein vgl. Ex 20,3 und par. Dtn 5,7 dienen sollt dass ihr eure Eltern gut behandelt. vgl. Ex 20,6 par. Dtn 5,16 Wenn sie alt geworden sind bei dir, gleichviel ob einer oder beide, so sag nicht „Pfui!“ zu ihnen, und fahre sie nicht an! Gebrauche ihnen gegenüber nur edle Worte. 24 Und senke über sie herab die Fittiche der Demut, aus Erbarmen, und sprich: „Mein Herr! Erbarm dich ihrer, so wie sie mich von klein an aufgezogen!“ 25 Was ihr in euren Seelen hegt, weiß euer Herr sehr wohl. Wenn ihr rechtschaffen seid, wird er bereit sein, denen, die sich zu ihm kehren, zu vergeben. 26 Gewähre dem Verwandten sein Recht, ebenso dem Armen und dem 〈Sohn des Weges〉! Und du sollst nicht verschwenden. 27 Denn die Verschwender sind die Brüder der Satane. Undankbar war Satan seinem Herrn gegenüber. 28 Wendest du dich von ihnen ab, im Streben nach Barmherzigkeit von deinem Herrn, die du erhoffst, gebrauche ihnen gegenüber nur verheißungsvolle Worte! 29 Sei nicht knauserig, doch öffne deine Hand auch nicht zu weit! Du sitzt sonst da, getadelt und verarmt. 30 Siehe, dein Herr teilt den Lebensunterhalt reichlich aus, an wen er will, und teilt ihn maßvoll aus. Siehe, er ist vertraut mit seinen Knechten und schaut auf sie.
Q 217: Sure 2,30–33 719
31 Tötet eure Kinder nicht aus Furcht vor Armut! Denn wir versorgen sie und euch. Sie zu töten ist wahrlich eine schwere Sünde. 32 Naht euch nicht der Unzucht! vgl. Ex 20,14 par. Dtn 5,18 Das ist etwas Schändliches – was für ein schlimmer Weg! 33 Und tötet keinen, den Gott zu töten verboten hat – vgl. Ex 20,13 par. Dtn 5,17 es sei denn, rechtens! Wenn jemand unrechtmäßig getötet ist, so geben wir die Vollmacht seinem Rechtsvertreter, doch überschreite er im Töten nicht das Maß! Ihm ist ja schon geholfen. 34 Vergreift euch nicht am Gut der Waise – es sei denn, dass es gutem Zwecke dient –, bis dass sie ihre Reife erreicht hat! Haltet ein, was ihr versprecht! Denn das Versprochene wird eingefordert. 35 Wenn ihr zumesst, haltet ein das Maß und wiegt mit rechter Waage! Denn das ist gut und führt zum besten Ziel. 36 Folge dem nicht nach, wovon du gar nichts weißt; denn Ohren, Augen, Herz, nach allem diesen wird dereinst gefragt. 37 Gehe nicht einher auf Erden voll Überschwang; du kannst die Erde nicht durchqueren und kannst, in ihrer Höhe, die Berge nicht erreichen. 38 All dieses Böse ist verhasst bei deinem Herrn. 39 Das ist von dem, was dir dein Herr an Weisheit eingegeben hat. Und setze neben Gott nicht einen anderen Gott! Denn dann wirst du in die Hölle geworfen, gescholten und verstoßen. Übersetzung: Bobzin, Koran, 244 f, vgl. Paret, Koran, 229 ff (s. ders., Kommentar 299 ff), s.
dazu auch Bobzin, Einführung, 86 f; ders., Texte, 199 ff; Köckert, Zehn Gebote, 108 ff und Neuwirth, Verzauberung, 142.153 ff (mit eigener Übersetzung 161 f). – Die Vorstellung, dass Gott am siebten Schöpfungstag geruht (besser: mit der Arbeit aufgehört) und diesen Tag geheiligt habe (Gen 2,2 f), hat im Koran keine Entsprechung. Auch ein Sabbatgebot fehlt im Koran, weil dieses „eigens für die Juden erlassen worden und darum weder ursprünglich noch von universaler Gültigkeit (sei) (vgl. 4:154 und 16:124)“ (Maier, Koran-Lexikon, 145). Allerdings wird der Tag nach dem Freitag in Anlehnung an das aram. Wort šabbetāh sabt genannt. Zum Fehlen des Sabbat im Koran s. Maier, aaO 144 f und Köckert, aaO 112.
Q 217: Sure 2,30–33 (vgl. oben 481) Der Begriff halīfa „Nachfolger, Stellvertreter“ wird im Koran vergleichsweise häufig ver˘ wendet (Sure 2,30; 38,26, vgl. 6,165; 7,69.74; 10,14.73; 27,62; 35,39 u. ö.). „Nach dem Tod Muhammads gebrauchte man das Wort als Bezeichnung seiner Nachfolger, wobei der Ti˙ tel zunächst als ‚Stellvertreter des Gesandten Gottes‘ (halīfat rasūl Allāh), später aber auch ˘
720 Quellen zur Anthropologie der Antike als ‚Stellvertreter Gottes‘ (halīfat Allāh) verstanden wurde“ (Maier, Koran-Lexikon, 160 f). ˘ In Sure 2,30–33 heißt es: (30) Und (damals) als dein Herr zu den Engeln sagte: „Ich werde auf der Erde einen Nachfolger (halīfa) einsetzen!“ Sie sagten: „Willst du auf ihr jemand (vom Geschlecht ˘ der Menschen) einsetzen, der auf ihr Unheil anrichtet und Blut vergießt, wo wir (Engel) dir lobsingen und deine Heiligkeit preisen?“ Er sagte: „Ich weiß (vieles), was ihr nicht wißt.“ (31) Und er lehrte Adam alle Namen. Hierauf legte er sie den Engeln vor und sagte: „Tut mir ihre Namen kund, wenn (anders) ihr die Wahrheit sagt!“ (32) Sie sagten: „Gepriesen seist du! Wir haben kein Wissen außer dem, was du uns (vorher) vermittelt hast. Du bist der, der Bescheid weiß und Weisheit besitzt.“ (33) Er sagte: „Adam! Nenne ihnen ihre Namen!“ Als er sie ihnen kundgetan hatte, sagte Gott: „Habe ich euch nicht gesagt, daß ich die Geheimnisse von Himmel und Erde kenne? Ich weiß (gleichermaßen), was ihr kundgebt, und was ihr (in euch) verborgen haltet.“ Übersetzung: Paret, Koran, 9 f (s. ders., Kommentar, 16 f), vgl. Bobzin, Koran, 12 f, s. dazu auch Bouman, Gott, 12 ff; Maier, Koran-Lexikon, 160 f; Schreiner, Kalif Gottes, 25 ff; Wielandt, Würde, 170 ff; Nagel, Anthropologie, 212 ff und Janowski, Ecce homo, 109.
4. Kult, Ritus und Gebet Q 218: Muslimische Gebetshaltungen (vgl. oben 291) Besonders strikt geregelt ist die Abfolge der muslimischen Gebetshaltungen. Mit Weippert / Weippert, Mensch, 437 kann man dabei sechs Grundstellungen unterscheiden, die für den muslimischen Gebetsablauf typisch sind: „Stehend, mit seitlich am Körper herabhängenden Armen (1); stehend, mit angewinkelten Armen und flach geöffneten und bis in die Höhe der Schultern oder Ohren angehobenen Händen (2); stehend, mit unterhalb der Taille übereinander gelegten Händen (3); stehend, sich aus der Taille heraus verbeugend mit den Händen auf den Knien (4); auf den Knien kauernd, mit beiden Handflächen auf dem Boden und dem Kopf so dazwischen, dass Stirn und Nase den Boden berühren (5); auf den umgeknickten Beinen sitzend, mit beiden Händen auf den Knien (6a.b).“
Abb. 154: Muslimische Gebetshaltungen
Q 220: Sure 5,3–5 und 5,96 721
Literatur: Weippert / Weippert, Mensch, 436 f. Zum Gebet im Islam s. noch die Hinweise bei
Maier, Koran-Lexikon, 56 f.
Q 219: Sure 4,43 und 5,6 (vgl. oben 447) In diesen beiden Texten werden die wichtigsten Regeln der rituellen Reinheit formuliert, die für das tägliche Gebet gelten: O ihr, die ihr glaubt! Naht euch nicht trunken dem Gebet, auf dass ihr wisst, was ihr zu sagen habt! Und auch nicht unrein, außer ihr seid unterwegs, bis ihr die Waschung vorgenommen habt. Doch wenn ihr krank seid oder auf der Reise, oder wenn einer von euch vom Abtritt kommt oder ihr Frauen berührt habt – wenn ihr dann kein Wasser findet, dann sucht guten Sand, und reibt euch damit Gesicht und Hände ab! Siehe, Gott ist verzeihend und vergebend. (4,43) O ihr, die ihr glaubt! Wenn ihr euch zum Gebet aufstellt, dann wascht eure Gesichter und eure Hände, bis zu den Ellenbogen, und streicht über eure Köpfe, und wascht eure Füße bis zu den Knöcheln. Und wenn ihr unrein seid, dann reinigt euch. Doch wenn ihr krank seid oder auf der Reise, oder wenn einer von euch vom Abtritt kommt, oder ihr Frauen berührt habt – wenn ihr dann kein Wasser findet, dann sucht guten Sand, und reibt euch damit Gesicht und Hände ab! Gott will nicht, dass er etwas Anstößiges für euch macht, sondern er will euch reinigen und seine Gnade an euch vollenden, vielleicht seid ihr ja dankbar! (5,6) Übersetzung: Bobzin, Koran, 75.93 f, vgl. Paret, Koran, 70.87 f (s. ders., Kommentar,
95.115 ff), s. dazu auch Bobzin, Texte, 172 ff.
Q 220: Sure 5,3–5 und 5,96 (vgl. oben 319) Wichtige Aussagen des Korans zum Fleischgenuss (mit Ausnahme von Schweinefleisch) und zur Tierschlachtung finden sich in Sure 5 („Der Tisch“) und 6 („Das Vieh“). In Sure 5,3–5 und 5,96 heißt es: 3
Verboten ist euch das Verendete, Blut, Schweinefleisch und das, worüber ein anderer als Gott gepriesen wurde; dann das Erwürgte, Erschlagene, Gestürzte und Gestoßene und was ein wildes Tier anfraß – außer ihr schlachtet es –
722 Quellen zur Anthropologie der Antike 4 5
und was geopfert wurde auf den Opfersteinen, und dass ihr mit Pfeilen nach dem Schicksal fragt. All das ist ein Gräuel. Heute verzagen diejenigen, die nicht glauben, an eurer Religion. Darum fürchtet nicht sie, sondern fürchtet mich! Heute habe ich euch eure Religion vollständig gemacht und meine Gnade an euch vollendet und habe daran Gefallen, dass der Islam eure Religion ist. Wer jedoch durch Hunger in einer Zwangslage ist, ohne dabei eine Sünde zu beabsichtigen – siehe, dann ist Gott verzeihend und erbarmend. Sie fragen dich danach, was ihnen erlaubt ist. Sprich: „Erlaubt sind euch die guten Dinge und die Raubtiere, die ihr abgerichtet habt, indem ihr sie – gleich Hunden – etwas davon lehrtet, was Gott euch lehrte. So esst das, was sie für euch erbeutet haben! Doch nennt dabei den Namen Gottes, und fürchtet Gott!“ Siehe, Gott ist bei der Abrechnung schnell. Heute sind euch erlaubt die guten Dinge, und die Speisen derer, denen das Buch gegeben ward, sind euch erlaubt. Und eure Speisen sind ihnen erlaubt.
96 Erlaubt ist euch, was ihr im Meer jagen könnt, und sein Verzehr, euch und den Reisenden zum Nutzen.
Euch verboten aber ist die Jagd zu Lande, solange ihr im Weihezustand seid. Fürchtet Gott, zu dem ihr einst versammelt werdet.
Übersetzung: Bobzin, Koran, 93.105, vgl. Paret, Koran, 87.99 (s. ders., Kommentar, 114 f.129),
s. dazu auch Maier, Koran-Lexikon, 158 f und Bobzin, Texte, 208 ff.
5. Weltbild Q 221: Sure 21,30–33 (vgl. oben 444) Die Erschaffung von Himmel und Erde wird im Koran an mehreren Stellen geschildert (s. noch Sure 41,9–12 u. ö.). Nach dem folgenden Text mussten Himmel und Erde, die ursprünglich eine Einheit bildeten, getrennt werden, damit der Kosmos in Erscheinung tritt: 30 Sahen denn nicht die, die ungläubig sind, dass die Himmel und die Erde einst eine Einheit waren? Wir rissen beide auseinander und machten aus dem Wasser alles, was lebendig ist. Wollt ihr denn da nicht glauben? 31 Wir machten auf der Erde Berge, fest gegründet, dass sie nicht mit ihnen schwanke. Und wir machten auf ihr Pfade zu Wegen. Vielleicht lassen sie sich leiten.
Q 221: Sure 21,30–33 723
32 33
Wir machten den Himmel zu einem wohl bewachten Dache. Sie aber wenden sich von ihren Zeichen ab. Er ist es, der die Nacht und den Tag erschuf, die Sonne und den Mond. Alle schweben auf einer Himmelsbahn.
Übersetzung: Bobzin, Koran, 281, vgl. Paret, Koran, 264 (s. ders., Kommentar, 341), s. dazu
auch Maier, Koran-Lexikon, 151 f und Bobzin, Texte, 103 f.
Abkürzungen und Hinweise zur Zitation 1. Allgemeine Abkürzungen Die Abkürzungen der Biblischen Bücher, der Außerkanonischen Schriften, der Texte aus Qumran, des Rabbinischen Schrifttums sowie der Antiken Literatur richten sich nach dem Verzeichnis der RGG4. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: AR Altes Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) DE Danklied(er) des Einzelnen (Psalmengattung) dtn/Dtn deuteronomisch/Deuteronomium dtr deuteronomistisch Dyn. Dynastie et al. und andere (Herausgeber) exil. exilisch H Heiligkeitsgesetz (für Lev 17–26) H. i. O. Hervorhebung im Original H. v. m. Hervorhebung von mir Inf. Infinitiv Inf. abs. Infinitivus absolutus Inf. cstr. Infinitvus constructus KE Klagelied(er) des Einzelnen (Psalmengattung) Lit. Literatur(angaben) LXX Septuaginta (Ausgabe: A. Rahlfs / R. Hanhart, Göttingen 2006) MR Mittleres Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) MT Masoretischer Text (Ausgabe: Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 1977) nP nichtpriesterliche Schicht der Urgeschichte Gen 1–11 NR Neues Reich (Epochenbezeichnung in Ägypten) p/PG priesterlich/Priestergrundschrift pl./Pl. pluralisch/Plural PN(N) Personenname(n) P S sekundäre Fortschreibung(en) von PG Red Redaktion sg./Sg. singularisch/Singular Suff. Suffix/e s. v. sub voce/unter dem Begriff … aufgeführt vs. versus/gegenüber, im Gegensatz zu … Vulg Vulgata (Ausgabe: R. Weber, Stuttgart 2007) ZwZt Zwischenzeit (Epochenbezeichnung in Ägypten)
726 Abkürzungen und Hinweise zur Zitation Die Stammesmodifikationen des hebräischen Verbs werden folgendermaßen abgekürzt: q. = Qal / nif. = Nif ῾al / pi. = Pi῾el / pu. = Pu῾al / po. = Po῾al / hif. = Hif῾il / hof. = Hof῾al / hitp. = Hitpa῾el / hitpol. = Hitpolel usw.
2. Bibliographische Abkürzungen Die bibliographischen Abkürzungen richten sich nach dem Verzeichnis von S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin / Boston 32014. Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: ALK Archäologie der literarischen Kommunikation, München ANEM Ancient Near East Monographs, Atlanta/GA Assmann, ÄHG2 → Literatur 3 (Ägypten) ATM Janowski, B. u. a. (Hg.), Altes Testament und die Kultur der Moderne, Münster BE Dietrich, W. / Stegemann, W. (Hg.), Biblische Enzyklopädie, Stuttgart Beyerlin (Hg.), RTAT2 → Literatur 3 (Übergreifendes) BG Böttrich, Chr. / Lux, R. (Hg.), Biblische Gestalten, Leipzig BibFr Fischer, I. u. a. (Hg.), Die Bibel und die Frauen. Eine exegetischkulturgeschichtliche Enzyklopädie, Stuttgart EBW Encyclopedia of Material Culture in the Biblical World. A New Biblisches Reallexikon, Tübingen 2022, ed. by A. Berlejung EG Evangelisches Gesangbuch Dalman, AuS → Literatur 4 Donner / Röllig, KAI2 → Literatur 3 (Syrien/Palästina) DULAT del Olmo Lete, G. / Sanmartín, J., Dictionary of the Ugaritc Language in the Alphabetic Tradition II (HdO 67), Leiden / Boston 2003 Erlemann u. a. (Hg.), → Literatur 3 (NT und Antikes Judentum) NTAK es edition suhrkamp, Frankfurt a. M. / Berlin FOSUB Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes, hg. von J. K. Aitken, D. S. du Toit, J. Joosten und L. Stuckenbruck, Berlin / Boston 2013 ff FT Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. Ges18 Gesenius, W., Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, hg. von (R. Meyer und) H. Donner, Berlin u. a. 1987–2010 HGANT5 Berlejung, A. / Frevel, Chr. (Hg.), Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 52016 HeBAI Hebrew Bible and Ancient Israel, Tübingen IEKAT Dietrich, W. u. a., Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament, Stuttgart IntAnthr Interdisziplinäre Anthropologie it insel taschenbuch, Frankfurt a. M. / Berlin
3. Hinweise zur Zitation 727
Keel u. a., OLB 1 → Literatur 4 KUSATU Kleine Untersuchungen zur Sprache des Alten Testaments und seiner Umwelt, Waltrop LWB Lebenswelten der Bibel, hg. von A. Grund-Wittenberg und M. Öhler, Gütersloh 2016 ff RBL7 K. Koch u. a. (Hg.), Reclams Bibellexikon, Stuttgart 72004 re rowohlts enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg Renz / Röllig, HAHE → Literatur 3 (Syrien/Palästina) RUB Reclams Universal-Bibliothek, Stuttgart Schroer (/ Keel), IPIAO → Literatur 4 Schröter / Zangen- → Literatur 3 (NT und Antikes Judentum) berg (Hg.), TUNT SJSt Scandinavian Jewish Studies stw suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Frankfurt a. M. / Berlin SWB Crüsemann, F. u. a. (Hg.), Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 ThInt Theologische Interventionen, hg. von D. Erbele-Küster, V. Küster und M. Roth, Stuttgart 2017 ff ThTh Themen der Theologie ThWQ Fabry, H.‑J. / Dahmen, U. (Hg.), Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Bd. 1–3, Stuttgart 2011–2016 TOBITH Feldmeier, R. / Spieckermann, H. (Hg.), Topoi Biblischer Theologie TUAT → Literatur 3 (Übergreifendes) TUAT.Erg → Literatur 3 (Übergreifendes) TUAT.NF → Literatur 3 (Übergreifendes) WAM Fieger, M. u. a. (Hg.), Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013
3. Hinweise zur Zitation a) Kommentare zu biblischen Büchern werden mit der Angabe der jeweiligen Reihenbezeichnung zitiert, z. B. Westermann, Genesis 1–11 (BK), 15. Teilbände eines Kommentars, die von einem einzigen Autor verfasst sind, werden abgekürzt zitiert, z. B. Braulik, Deuteronomium I (NEB) für Braulik, Deuteronomium 1,1–16,17 (NEB). b) Wenn es bei Sammelbänden mehr als zwei Herausgeber gibt, wird nur ein Herausgeber genannt. Dasselbe gilt für die Erscheinungsorte. c) Im Text findet sich immer wieder das Siglum Q mit einer anschließenden Nummernangabe. Beides bezieht sich auf den Anhang: Quellen zur Anthropologie der Antike (oben 549 ff). d) Die Transkription des Hebräischen richtet sich nach den Regeln der Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft (ZAW). e) Mit dem Sternchen-Symbol (𓇼) am Ende eines Exkurses wird das Ende des Exkurses markiert.
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3. Quellentexte Übergreifendes Beyerlin, W. (Hg.), Religionsgeschichtliches Textbuch zum Alten Testament (GAT 1), Göttingen 21985 (RTAT2) Janowski, B. / Wilhelm, G. (bis Bd. 4) / Schwemer, D. (ab Bd. 5) (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Neue Folge, Gütersloh 2004–2016 (TUAT.NF) Kaiser, O. (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments, Gütersloh 1982–1997 (TUAT) – (Hg.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments. Ergänzungslieferung, Gütersloh 2001 (TUAT.Erg) Weippert, M., Historisches Textbuch zum Alten Testament (GAT 10), Göttingen 2010
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Neues Testament und Antikes Christentum Augustinus, Confessiones / Bekenntnisse. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von J. Bernhart, München 1955 Erlemann K. u. a. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur Bd. 1–5, Neukirchen-Vluyn 2004–2008 (NTAK) Schröter, J. / Zangenberg, J. K. (Hg.), Texte zur Umwelt des Neuen Testaments (UTB 3663), Tübingen 32013 (TUNT)
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 739
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740 Literatur Altmann, P., Economics in Persian Period Biblical Texts. Their Interactions with Economic Developments in the Persian Period and Earlier Biblical Traditions (FAT 109), Tübingen 2016 Angerstorfer, A., Ebenbild eines Gottes in babylonischen und assyrischen Keilschrifttexten, BN 88 (1997) 47–58 Anthonioz, St., Le sang est la vie. Réflexion sur la création humaine (Gen 2,7), RB 116 (2009) 5–14 Arendt, H., Vita activa oder Vom tätigen Leben, München / Zürich 71992 Ariès, Ph., Geschichte der Kindheit, München / Wien 1975 Arneth, M., „Sonne der Gerechtigkeit“. Studien zur Solarisierung der Jahwe-Religion im Lichte von Psalm 72 (BZAR 1), Wiesbaden 2000 Assmann, A., Einheit und Vielfalt in der Geschichte. Jaspers Begriff der Achsenzeit neu betrachtet, in: Eisenstadt (Hg.), Achsenzeit 3 (→ 1: Sammelbände), 330–340 Assmann, J., Art. Diesseits-Jenseits-Beziehungen, LÄ 1 (1975) 1085–1093 –, Art. Furcht, LÄ 2 (1977) 359–368 –, Die Zeugung des Sohnes. Bild, Spiel, Erzählung und das Problem des ägyptischen Mythos, in: ders. u. a., Funktionen und Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele (OBO 48), Fribourg / Göttingen 1982, 13–61 –, Art. Persönlichkeitsbegriff und -bewußtsein, LÄ 4 (1982) 963–978 –, Re und Amun. Die Krise des polytheistischen Weltbilds im Ägypten der 18.–20. Dynastie (OBO 51), Fribourg / Göttingen 1983 –, Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur (UTB 366), Stuttgart 1984 –, Vergeltung und Erinnerung, in: Studien zu Sprache und Religion Ägyptens (FS W. Westendorf), Bd. 2, Göttingen 1984, 687–701 –, Ma᾽at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990 –, Der „leidende Gerechte“ im alten Ägypten. Zum Konfliktpotential der ägyptischen Religion, in: Ch. Elsas / H. G. Kippenberg (Hg.), Loyalitätskonflikte in der Religionsgeschichte (FS C. Colpe), Würzburg 1990, 203–224 –, Der zweidimensionale Mensch: das Fest als Medium des kollektiven Gedächtnisses, in: ders. (Hg.), Fest (→ 1: Sammelbände), 13–30 –, Der schöne Tag. Sinnlichkeit und Vergänglichkeit im altägyptischen Fest, in: ders., Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im alten Ägypten, München 1991, 200–237 –, Königsdogma und Heilserwartung. Politische und kultische Chaosbeschreibungen, in: ders., Stein, 259–287 –, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992 –, Zur Geschichte des Herzens im Alten Ägypten, in: ders. (Hg.), Erfindung (→ 1: Sammelbände), 81–113 –, Glück und Weisheit im Alten Ägypten, in: A. Bellebaum (Hg.), Vom guten Leben. Glücksvorstellungen in Hochkulturen, Berlin 1994, 17–57 –, Ägypten. Eine Sinngeschichte, München 1996 –, Der Eine lebt, wenn der andere ihn geleitet. Altägyptische Konzepte vom konnektiven Leben, in: H. R. Fischer / G. Weber (Hg.), Individuum und System (stw 1449), Frankfurt a. M. 1999, 147–161
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 741
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 743
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 747
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–, –, –, –, –, –, –,
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 753
Art. Alter / Jugend, HGANT5, 85–87 Art. Essen / Trinken, HGANT5, 176–178 Art. Frau / Mann, HGANT5, 197–199 Art. Herz, HGANT5, 266–268 Art. Körper, HGANT5, 297–301 Art. Krankheit / Heilung, HGANT5, 301–305 Menschenskinder!? Einige Anmerkungen zum Stand der Forschung zur alttestamentlichen Anthropologie, in: ders. (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 8–28 –, Die Frage nach dem Menschen. Biblische Anthropologie als wissenschaftliche Aufgabe – eine Standortbestimmung, in: ders. (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 29–63 –, Person – Identität – Selbst. Eine Problemanzeige aus alttestamentlicher Perspektive, in: van Oorschot / Wagner (Hg.), Anthropologie(n) (→ 1: Sammelbände), 65–89 –, Die Entstehung des Menschen. Anmerkungen zum Vergleich der Menschwerdung mit der Käseherstellung in Ijob 10,10, in: ders., Gottesbilder und Menschenbilder. Studien zu Anthropologie und Theologie im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 2016, 295– 307 –, „Du wirst jemanden haben, der dein Herz erfreut und dich im Alter versorgt“ (Rut 4,15). Alter und Altersversorgung im Alten / Ersten Testament, in: ders., Gottesbilder, 327–357 –, Geschichte Israels (KStTh 2), Stuttgart 2016 –, Von der Unvollkommenheit des Vollkommenen. Anmerkungen zur Anthropologie der Rituale im Buch Numeri, in: St. Beyerle (Hg.), Die Erfindung des Menschen. Person und Persönlichkeit in ihren lebensweltlichen Kontexten, Leipzig 2016, 215–244 –, Prekäre Arbeitsverhältnisse. Lohn und Lohnverzug im Alten Testament, in: Th. Söding / P. Wick (Hg.), Würde und Last der Arbeit (BWANT 209), Stuttgart 2017, 57–71 –, Von der Selbstbeobachtung zu inneren Tiefen. Überlegungen zur Konstitution von Individualität im Alten Testament, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 13–43 –, ,Quellen des Selbst‘? Charles Taylors Einfluss auf die alttestamentliche Anthropologie, in: R. Althaus u. a. (Hg.), Im Dienste der Gerechtigkeit und Einheit (FS J. F. Reinhardt), Essen 2017, 447–463 – / O. Wischmeyer, Menschsein. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.T 11), Würzburg 2003 Frevert, U., Vergängliche Gefühle, Göttingen 2013 Frey-Anthes, H., Unheilsmächte und Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger. Vorstellungen von „Dämonen“ im alten Israel (OBO 227), Fribourg / Göttingen 2007 Fritz, V., Die Stadt im alten Israel, München 1990 –, Die Entstehung Israels im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr. (BE 2), Stuttgart u. a. 1996 Fuchs, O., Art. Klage, NBL 2 (1995) 489–493 Fuchs, Th., Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie, Stuttgart 2000 – Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption, Stuttgart 52017 –, Verkörperung, Sozialität und Kultur, in: Hartung / Kirchhoff (Hg.), Natur (→ 1: Sammelbände), 99–121
754 Literatur –, Chronopathologie der Überforderung. Zeitstrukturen und psychische Krankheit, in: ders. u. a. (Hg.), Das überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten Gesellschaft (stw 2252), Berlin 2018, 52–79 Fuhs, H. F., Sehen und Schauen. Die Wurzel hzh im Alten Orient und im Alten Testament. ˙ Ein Beitrag zum prophetischen Offenbarungsempfang (fzb 32), Würzburg 1978 –, Art. rā᾽āh, ThWAT 7 (1993) 225–266 –, Vom Gemeinschaftsmahl zur Gottesschau. Zur theologischen Dimension altbundlicher Mahlgemeinschaften, ThGl 96 (2006) 233–249 Gadamer, H.‑G., Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Gesammelte Werke Bd. 1, Tübingen 1990 Gärtner, J., Die Geschichtspsalmen. Eine Studie zu den Psalmen 78, 105, 106, 135 und 136 als hermeneutische Schlüsseltexte im Psalter (FAT 84), Tübingen 2012 Galling, K., Art. Ackerwirtschaft, BRL², 1–4 –, Art. Viehwirtschaft, BRL², 351–355 Gaß, E., Menschliches Handeln im Horizont Gottes – Zur alttestamentlichen Ethik, in: ders., Menschliches Handeln und Sprechen im Horizont Gottes. Aufsätze zur biblischen Theologie (FAT 100), Tübingen 2015, 239–361 Geertz, C., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 1983 –, Kulturbegriff und Menschenbild, in: Winterling (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 7–66 Gehlen, R., Art. Raum, HrwG 4 (1998) 377–398 Gehring, P., Über die Körperkraft von Sprache, in: Herrmann u. a. (Hg.), Worte (→ 1: Sammelbände), 211–228 Gehrke, H.‑J., Die Raumwahrnehmung im archaischen Griechenland, in: Rathmann (Hg,), Wahrnehmung (→ 1: Sammelbände), 17–30 – / von Reibnitz, B., Art. Freundschaft, DNP 4 (1998) 669–674 Geiger, M., Erinnerungen an das Schlaraffenland. Dtn 8 als Theologie des Essens, in: dies. u. a. (Hg.), Essen (→ 1: Sammelbände), 15–32 –, Gottesräume. Die literarische und theologische Konzeption von Raum im Deuteronomium (BWANT 183), Stuttgart 2010 –, Der Befreiung Zeit einräumen. Die Zeitkonzeption des dtn Pessachgebots (Dtn 16,1– 8), in: Hedwig-Jahnow-Forschungsprojekt (Hg.), Zeit wahrnehmen (SBS 222), Stuttgart 2010, 40–65 –, Synergie zwischen priesterlichem und göttlichem Handeln im Aaronitischen Segen (Num 6,22–27), VT 68 (2018) 51–72 von Gemünden, P., Methodische Überlegungen zur Historischen Psychologie exemplifiziert am Themenkomplex der Trauer in der Bibel und ihrer Umwelt, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 41–68 Gerber, Chr. / Vieweger, D., Art. Alter, SWB, 8–10 – / –, Art. Gastfreundschaft, SWB, 181 f – / –, Art. Haus, SWB, 249–255 Gerhards, M., „Deine Augen sind Tauben“. Zu einem Bild der Beschreibungslieder des Hohenliedes und ihrer Auffassung von Schönheit, ThZ 64 (2008) 13–32 –, Das Hohelied. Studien zu seiner literarischen Gestalt und theologischen Bedeutung (AGB), Leipzig 2010
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 755
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756 Literatur –, Three Times a Year. Studies on Festival Legislation in the Pentateuch (FAT 82), Tübingen 2012 Gies, K., Geburt – ein Übergang. Rituelle Vollzüge, Rollenträger und Geschlechterverhältnisse. Eine alttestamentliche Textstudie (ATSAT 88), St. Ottilien 2009 Gillmayr-Bucher, S., Body Images in the Psalms, JSOT 28 (2004) 301–326 –, „Meine Zunge – ein Griffel eines geschickten Schreibers“. Der kommunikative Aspekt der Körpermetaphern in den Psalmen, in: van Hecke (ed.), Metaphor (→ 1: Sammelbände), 197–213 –, Emotion und Kommunikation, in: Frevel (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 279–290 –, Rauchende Nase, bebendes Herz. Gefühle zur Sprache bringen, BiKi 67 (2012) 21–25 –, „Ich wachte auf und war wie ein einsamer Vogel auf dem Dach“ (Ps 102,8). Ps 102 als exemplarischer Identitätsdiskurs, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 279–296 Gödde, S., Art. Seele I/3, RGG4 7 (2004) 1092 f Görg, M., Art. gzr usw., ThWAT 1 (1973) 1001–1004 –, Art. Immanuel, NBL 1 (1991) 227 f –, Art. Sühnestätte, NBL 3 (2001) 727 f Görke, S., Das Konzept der „synthetischen Körperauffassung“ bei den Hethitern, in: Müller / Wagner (Hg.), Körperauffassung (→ 1: Sammelbände), 41–53 Graupner, A., Vergeltung oder Schadensersatz?, EvTh 65 (2005) 459–477 Grethlein, J., Die Odyssee. Homer und die Kunst des Erzählens, München 2017 Grohmann, M., Fruchtbarkeit und Geburt in den Psalmen (FAT I/53), Tübingen 2007 –, Der Anfang des Lebens. Anthropologische Aspekte der Rede von Geburt im Alten Testament, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 365–399 –, Diskontinuität und Kontinuität in alttestamentlichen Identitätskonzepten, in: Öhler (Hg.), Religionsgemeinschaft (→ 1: Sammelbände), 17–42 –, Heiligkeit und Reinheit im Buch Leviticus, in: Chr. Schwöbel (Hg.), Gott – Götter – Götzen (VWGTh 38), Leipzig 2013, 266–281 –, Art. Geburt, WAM, 179–182 –, Metapherntheorien und Altes Testament, ThLZ 142 (2017) 1153–1166 Groneberg, B., Zu den mesopotamischen Unterweltsvorstellungen. Das Jenseits als Fortsetzung des Diesseits, AOF 17 (1990) 244–261 Gropp, D., Viele Formen der Liebe. Verwandte Begriffe zu Ahavah, in: Oeming (Hg.), Ahavah, 57–75 Groß, W., Art. Gottebenbildlichkeit, LThK3 4 (1995) 871–873 –, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgart 1998 –, Art. Creatio ex nihilo, RGG4 2 (1999) 485–487 –, Die Gottebenbildlichkeit des Menschen im Kontext der Priesterschrift, in: ders., Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern (SBAB 30), Stuttgart 1999, 11–36 –, Prophet gegen Institution im alten Israel? Warnung vor vermeintlichen Gegensätzen, in: ders., Studien, 255–273 –, Gen 1,26.27; 9,6: Statue oder Ebenbild Gottes? Aufgabe und Würde des Menschen nach dem hebräischen und griechischen Wortlaut, JBTh 15 (2000) 11–38
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 757
–, Bedrohliche Gottesnähe als Gebetsmotiv, in: Eberhardt / Liess (Hg.), Gottes Nähe (→ 1: Sammelbände), 65–83 Gruber, M. I., Aspects of Nonverbal Communication in the Ancient Near East (StP 12), Rome 1980 –, Fear, Anxiety and Reverence in Akkadian, Biblical Hebrew and Other North Westsemitic Languages, VT 40 (1990) 411–422 Gruber, M. / Michel, A., Art. Individualität, SWB, 270–274 –, Art. Schönheit, SWB, 503 f Grünwaldt, K., „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Ps 31,16). Über die Rhythmisierung der Zeit im Alten Testament, BiKi 54 (1999) 170–177 Grund(-Wittenberg), A., Art. Sünde / Schuld und Vergebung, RGG4 7 (2004) 1874–1876 –, Art. Tun-Ergehens-Zusammenhang, RGG4 8 (2005) 654–656 –, „Aus Gott geboren“. Zu Geburt und Identität in der Bildsprache der Psalmen, in: Dieckmann / Erbele-Küster (Hg.), Geburt (→ 1: Sammelbände), 99–120 –, „Und sie schämten sich nicht …“ (Genesis 2,25). Zur alttestamentlichen Anthropologie der Scham im Spiegel von Genesis 2–3, in: Bauks u. a. (Hg.), Was ist der Mensch (FS B. Janowski) (→ 1: Sammelbände), 115–122 –, Die Entstehung des Sabbats. Seine Bedeutung für Israels Zeitkonzept und Erinnerungskultur (FAT 75), Tübingen 2011 –, „Schmähungen der dich Schmähenden sind auf mich gefallen“. Kulturanthropologische und sozialpsychologische Aspekte von Ehre und Scham in Ps 69, EvTh 72 (2012) 174–193 –, Homo donans. Kulturanthropologische und exegetische Erkundungen zur Gabe im alten Israel, in: Berlejung u. a. (Hg.), Menschenbilder (→ 1: Sammelbände), 97–123 –, Art. Scham, WAM, 347–350 –, „Und das Volk ruhte am siebten Tag“ (Ex 16,30) – Sabbat, Gebot und Identität in der priesterlichen Komposition, in: E. Bons (Hg.), Identität und Gesetz. Prozesse jüdischer und christlicher Identitätsbildung im Rahmen der Antike (BThSt 151), NeukirchenVluyn 2014, 51–72 –, Kulturanthropologie und Altes Testament. Stand und Perspektiven der Forschung, ThLZ 141 (2016) 873–886 – / Janowski, B., „Solange die Erde steht …“. Zur Erfahrung von Raum und Zeit im alten Israel, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 487–535 Gundlach, R., Der Pharao und sein Staat. Die Grundlegung der ägyptischen Königsideologie im 4. und 3. Jahrtausend, Darmstadt 1998 Gunkel, H. / Begrich, J., Einleitung in die Psalmen. Die Gattungen der religiösen Lyrik Israels, Göttingen 1933/41985 Gzella, H., Lebenszeit und Ewigkeit. Studien zur Eschatologie und Anthropologie des Septuaginta-Psalter (BBB 134), Berlin / Wien 2002 Ha, K.‑T., Frage und Antwort. Studien zu Hiob 3 im Kontext des Hiobbuches (HBS 46), Freiburg u. a. 2005 Haag, E., Art. Gebeine, NBL 1 (1991) 738 –, Stellvertretung und Sühne nach Jesaja 53, TThZ 105 (1996) 1–20 Haas, V., Betrachtungen zur Traditionsgeschichte hethitischer Rituale am Beispiel des „Sündenbock“-Motivs, in: G. Beckman et al. (ed.), Hittite Studies in Honor of H. A. Hoffner Jr., Winona Lake / IN 2003, 131–141
758 Literatur Habermas, J., Philosophische Anthropologie (1958), in: Winterling (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 31–46 –, Die befreiende Kraft der symbolischen Formgebung. Ernst Cassirers humanistisches Erbe und die Bibliothek Warburg, in: ders., Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck. Philosophische Essays (BS 1233), Frankfurt a. M. 1997, 9–40 –, Ein Gespräch über Gott und die Welt, in: ders., Zeit der Übergänge (es 2262), Frankfurt a. M. 2001, 173–196 –, Von den Weltbildern zur Lebenswelt, in: ders., Kritik der Vernunft (Philosophische Texte 5), Frankfurt a. M. 2009, 203–270 Häfner, H., Art. Angst, Furcht, HWP 1 (1971) 310–314 Hägglund, F., Isaiah 53 in the Light of Homecoming after Exile (FAT II/31), Tübingen 2008 Härle, W., Dogmatik, Berlin / Boston 42012 Häusl, M., Geschlechterordnung, symbolische Ordnung, Götterordnung, in: Heininger (Hg.), Geschlechterdifferenz (→ 1: Sammelbände), 15–25 –, Zuraten, zurechtweisen und sich zurückhalten. Sprüche zur Sprache aus der älteren Weisheit, BZ 49 (2005) 26–45 –, Auf den Leib geschrieben. Körperbilder und -konzepte im Alten Testament, in: Frevel (Hg.), Anthropologie (→ 1: Sammelbände), 134–163 –, Art. Feind, WAM, 134–138 Hagedorn, A. C., Art. Corporate Personality, EBR 5 (2012) 798 f Hahn, H. P., Ethnologie. Eine Einführung (stw 2085), Frankfurt a. M. 2013 Hakizimana, G., Der Mensch als Gefährte Gottes. Untersuchungen zu Struktur und Theologie von Psalm 139 (fzb 132), Würzburg 2015 Happ, H., Ignace Meyerson – ein bedeutender Wegbereiter der Historischen Psychologie, Psychologie und Geschichte 5 (1993) 110–142 Hardmeier, Chr., Systematische Elemente der Theo-logie in der hebräischen Bibel. Das Loben Gottes – ein Kristallisationsmoment biblischer Theo-logie, JBTh 10 (1995) 111–127 –, Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel, Bd. 1–2, Gütersloh 2003 –, Die judäische Unheilsprophetie. Antwort auf einen Gesellschafts- und Normenwandel im Israel des 8. Jh.s v. Chr., in: ders., Erzähldiskurs und Redepragmatik im Alten Testament (FAT 46), Tübingen 2005, 243–271 –, Zeitverständnis und Geschichtssinn in der Hebräischen Bibel. Geschichtstheologie und Gegenwartserhellung bei Jeremia, in: ders., Realitätssinn und Gottesbezug. Geschichtstheologische und erkenntnisanthropologische Studien zu Genesis 22 und Jeremia 2–6 (BThSt 79), Neukirchen-Vluyn 2006, 89–124 –, Lesehermeneutische Sinnerschließung von Psalm 55, in: Ruwe (Hg.), Psalm 55 (→ 1: Sammelbände), 1–81 – / Ott, K., Naturethik und biblische Schöpfungserzählung. Ein diskurstheoretischer und narrativ-hermeneutischer Brückenschlag, Stuttgart 2015 Hartenstein, F., Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition (WMANT 75), Neukirchen-Vluyn 1997 –, Wolkendunkel und Himmelsfeste. Zur Genese und Kosmologie der Vorstellung des himmlischen Heiligtums JHWHs, in: Janowski / Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 125–179
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 759
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4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 761
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762 Literatur –, Keine Flucht vor Gott. Zur Verwendung mythischer Motive in der Rede vom richterlichen Gott in Amos 9,1–4 und Psalm 139, in: ders. (Hg.), Bildsprache (→ 1: Sammelbände), 184–233 –, Neuer Mensch – neues Jerusalem. Zur kultischen und eschatologischen Dimension in Psalm 51, in: St. Ernst / M. Häusl (Hg.), Kulte, Priester, Rituale (ATSAT 89), St. Ottilien 2010, 295–345 –, Gott als König in Berufung und Verkündigung Jesajas, in: ders., „Denk an deinen Schöpfer“. Studien zum Verständnis von Gott, Mensch und Volk im Alten Testament (SBAB 60), Stuttgart 2015, 31–57 –, Ijobs letzte Hoffnung. 16,18–22 und 19,23–27 im Kontext der Ijobdichtung, in: ders., „Schöpfer“, 105–141 –, Zur Interdependenz von Gottes- und Menschenbildern im Kontext alttestamentlicher Anthropologie, in: ders., „Schöpfer“, 195–230 –, „Und denk an deinen Schöpfer …“. Gott in Freude und Dunkel des Menschenlebens nach Kohelet 11,9–12,7, in: ders., „Schöpfer“, 297–337 Iser, M., Art. Anerkennung, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch (→ 1: Handbücher), 291– 295 Jacob, E., Art. Versöhnung, BHH 3 (1966) 2096 f Janowski, B., Rettungsgewissheit und Epiphanie des Heils. Das Motiv der Hilfe Gottes „am Morgen“ im Alten Orient und im Alten Testament, Bd. 1 (WMANT 59), NeukirchenVluyn 1989 –, Tempel und Schöpfung. Schöpfungstheologische Aspekte der priesterschriftlichen Heiligtumskonzeption, in: ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 1, Neukirchen-Vluyn 1993/22004, 214–246 –, Art. Sühne, EKL3 4 (1996) 552–555 –, Stellvertretung. Alttestamentliche Studien zu einem theologischen Grundbegriff (SBS 165), Stuttgart 21998 –, Auch die Tiere gehören zum Gottesbund. Gott, Mensch und Tier im alten Israel, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 2, Neukirchen-Vluyn 1999, 3–32 –, Herrschaft über die Tiere. Gen 1,26–28 und die Semantik von רדה, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, 33–48 –, Die Tat kehrt zum Täter zurück. Offene Fragen im Umkreis des Tun-Ergehen-Zusammenhangs (1994), in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, 167–191 –, JHWH und der Sonnengott. Aspekte der Solarisierung JHWHs in vorexilischer Zeit, in: ders., Die rettende Gerechtigkeit, 192–219 –, Sühne als Heilsgeschehen. Traditions- und religionsgeschichtliche Studien zur priesterschriftlichen Sühnetheologie (WMANT 55), Neukirchen-Vluyn, 22000 –, Art. Opfer, NBL 3 (2001) 36–40.43 –, Art. Opfermahl, NBL 3 (2001) 43–46 –, Art. Jenseitsvorstellungen, RGG4 4 (2001) 406 f –, Das biblische Weltbild, in: ders. / Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 3–26 –, Art. Mensch, RGG4 5 (2022) 1057 f –, Die heilige Wohnung des Höchsten. Kosmologische Implikationen der Jerusalemer Tempeltheologie, in: ders., Der Gott des Lebens. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 3, Neukirchen-Vluyn 2003, 27–71
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 763
–, Der barmherzige Richter. Zur Einheit von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im Gottesbild des Alten Orients und des Alten Testaments, in: ders., Der Gott des Lebens, 75–133 –, Jenseits von Eden. Gen 4,1–16 und die nichtpriesterliche Urgeschichte, in: ders., Der Gott des Lebens, 134–156 –, Die Frucht der Gerechtigkeit. Psalm 72 und die judäische Königsideologie, in: ders., Der Gott des Lebens, 157–197 –, Die Toten loben JHWH nicht. Psalm 88 und das alttestamentliche Todesverständnis, in: ders., Der Gott des Lebens, 201–243 –, De Profundis. Tod und Leben in der Bildsprache der Psalmen, in: ders., Der Gott des Lebens, 244–266 –, Dankbarkeit. Ein anthropologischer Grundbegriff im Spiegel der Toda-Psalmen, in: ders., Der Gott des Lebens, 267–312 –, Art. Sündenbock, RGG4 7 (2004) 1902 –, Art. Weltbild, RGG4 8 (2005) 1409–1414 –, Ecce homo. Stellvertretung und Lebenshingabe als Themen Biblischer Theologie (BThSt 84), Neukirchen-Vluyn 22009 –, „Du hast meine Füße auf weiten Raum gestellt“ (Ps 31,9). Gott, Mensch und Raum im Alten Testament, in: ders., Die Welt als Schöpfung. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 4, Neukirchen-Vluyn 2008, 3–38 –, Jenseits des Alltags. Fest und Opfer als religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt im alten Israel, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 39–78 (zus. mit E. Zenger) –, Das Doppelgesicht der Zeit. Alttestamentliche Variationen zum Thema „Mythos und Geschichte“, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 79–104 –, Die lebendige Statue Gottes. Zur Anthropologie der priesterlichen Urgeschichte, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 140–171 –, Schöpferische Erinnerung. Zum „Gedenken Gottes“ in der biblischen Fluterzählung, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 172–198 –, Das Licht des Lebens. Zur Lichtmetaphorik in den Psalmen, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 221–248 –, Die Kostbarkeit des Lebens. Zur Theologie und Semantik eines Psalmenmotivs, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 249–265 –, Der Gott Israels und die Toten. Eine religions- und theologiegeschichtliche Skizze, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 266–304 –, Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Zu J. Assmann, Tod und Jenseits im alten Ägypten, in: ders., Die Welt als Schöpfung, 305–319 –, Anerkennung und Gegenseitigkeit. Zum konstellativen Personbegriff des Alten Testaments, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 181–211 –, „Heile mich, denn ich habe an dir gesündigt!“ (Ps 41,5). Zum Konzept von Krankheit und Heilung im Alten Testament, in: Thomas / Karle (Hg.), Krankheitsdeutung (→ 1: Sammelbände), 47–66 –, Vergegenwärtigung und Wiederholung. Anmerkungen zu G. von Rads Konzept der „Heilsgeschichte“, in: J. Frey u. a. (Hg.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte in der biblischen Tradition und in der theologischen Deutung (WUNT 248), Tübingen 2009, 37–61
764 Literatur –, Unterscheiden – Überschreiten – Entgrenzen. Zum Umgang mit Grenzen im Alten Testament, in: F. Schweitzer (Hg.), Kommunikation über Grenzen (VWGTh 33), Gütersloh 2009, 32–54 –, Homo ritualis. Opfer und Kult im alten Israel, BiKi 64 (2009) 134–140 –, „Anthropologie des Alten Testaments“ vor und nach H. W. Wolff, in: H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments. Mit zwei Anhängen neu herausgegeben von B. Janowski, Gütersloh 82010, 373–403 –, Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Neukirchen-Vluyn 42013 –, Anthropologie des Alten Testaments. Grundfragen – Kontexte – Themenfelder, ThLZ 139 (2014) 535–554 –, Die Welt des Anfangs. Gen 1,1–2,4a als Magna Charta des biblischen Schöpfungsglaubens, in: ders., Der nahe und der ferne Gott. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 5, Neukirchen-Vluyn 2014, 3–29 –, Eine Welt ohne Licht. Zur Chaostopik von Jer 4,23–28 und verwandten Texten, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 31–53 –, Der Wolf und das Lamm. Zum eschatologischen Tierfrieden in Jes 11,6–9, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 55–70 –, Die lebendige næpæš. Das Alte Testament und die Frage nach der „Seele“, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 73–116 –, Das Geschenk der Versöhnung. Leviticus 16 als Schlussstein der priesterlichen Kulttheologie, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 117–145 –, Der Gute Hirte. Psalm 23 und das biblische Gottesbild, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 147–171 –, „Womit soll ich JHWH entgegentreten?“ (Mi 6,6). Gabentheologische Aspekte der alttestamentlichen Kultkritik, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 173–203 –, Der Ort des Lebens. Zur Kultsymbolik des Jerusalemer Tempels, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 207–243 –, Ein Tempel aus Worten. Zur theologischen Architektur des Psalters, in: ders., Der nahe und der ferne Gott, 287–314 –, Wie spricht das Alte Testament von „Personaler Identität“? Ein Antwortversuch, in: Bons / Finsterbusch (Hg.), Identität I (→ 1: Sammelbände), 31–61 –, „Wo du hinblickst, wird der Tote lebendig“. Hymnen und Gebete in der Umwelt Israels, WUB Nr. 82 (2016) 28–33 –, Persönlichkeitszeichen. Ein Beitrag zum Personverständnis des Alten Testaments, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 315–340 –, Der „Sinai auf der Wanderung“. Zur Symbolik des priesterlichen Heiligtums, in: B. Schmitz / M. Ederer (Hg.), Exodus. Interpretation durch Rezeption (SBB 74), Stuttgart 2017, 11–37 –, Schuld und Versöhnung, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 353–369 –, Der ganze Mensch. Zu den Koordinaten der alttestamentlichen Anthropologie, in: ders., Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 6, Göttingen 2018, 3–30 –, Das Herz – ein Beziehungsorgan. Zum Personverständnis des Alten Testaments, in: ders., Das hörende Herz, 31–75
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 765
–, Das erschöpfte Selbst. Zur Semantik der Depression in den Psalmen und im Ijobbuch, in: ders., Das hörende Herz, 77–123 –, Gottes Sturm und Gottes Atem. Zum Verständnis von rûah ᾽ælohîm in Gen 1,2 und ˙ Ps 104,29 f, in: ders., Das hörende Herz, 147–173 (zus. mit A. Krüger) –, Die Empathie des Schöpfergottes. Gen *6,5–8,22 und das Apathie-Axiom, in: ders., Das hörende Herz, 175–200 –, „Der thront auf dem Kreis der Erde“ (Jes 40,22). Zur Logik des biblischen Weltbilds, in: ders., Das hörende Herz, 203–235 –, Was sich wiederholt. Zu einem vernachlässigten Aspekt des alttestamentlichen Zeitverständnisses, in: ders. Das hörende Herz, 269–289 –, „Die Hindin der Morgenröte“ (Ps 22,1). Ein Beitrag zum Verständnis der Psalmenüberschriften, in: ders., Das hörende Herz, 293–344 –, Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter, in: ders., Das hörende Herz, 345–384 –, Ein Gott, der straft und tötet? Zwölf Fragen zum Gottesbild des Alten Testaments, Göttingen 32018 –, Hymnen und Gebete in Israel und in seiner Umwelt. Komparatistische Aspekte (Mit einem bibliographischen Anhang), BZ 62 (2018) 197–221 –, Die „Übernachtung“ der Gerechtigkeit. Zum Gottes- und Menschenbild in Jes 1,21–26, in: van Oorschot / Wagner (Hg.), Gott (→ 1: Sammelbände), 163–177 –, „Mein Schlachtopfer ist ein zerbrochener Geist“ (Ps 51,19). Zur Transformation des Opfers in den Psalmen, in: R. Ebach / M. Leuenberger (Hg.), Tradition(en) im alten Israel. Konstruktion, Transmission und Transformation (FAT), Tübingen 2019, 207–232 –, „Bis an den Himmel reicht deine Güte“ (Ps 36,6). Zum Thema „Gott und Raum“ in den Psalmen, in: U. Berges u. a. (Hg.), Theologie des Psalters (BBB), Göttingen 2019, 175–220 – / Bester, D., Anthropologie des Alten Testaments. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 3–40 – / Grund, A., „Solange die Erde steht …“. Zur Erfahrung von Raum und Zeit im alten Israel, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 487–535 – / Liess, K., Gerechtigkeit und Unsterblichkeit. Ps 73 und die Frage nach dem „ewigen Leben“, in: B. Janowski, Das hörende Herz. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 6, Göttingen 2018, 385–408 – / Neumann-Gorsolke, U., Das Tier als Manifestation des Segens, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 15–19 – / –, Haustiere und Arbeitstiere, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 62–66 – / –, Reine und unreine Tiere, in: Janowski u. a. (Hg.), Gefährten (→ 1: Sammelbände), 214–218 – / Scholtissek, K., Art. Monotheismus, HGANT5, 340–344 – / Stuhlmacher, P. (Hg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsge schichte (FAT 14), Tübingen 1996 – / Wilhelm, G., Der Bock, der die Sünden hinausträgt. Zur Religionsgeschichte von Lev 16,10.21 f, in: B. Janowski u. a. (Hg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament (OBO 129), Fribourg / Göttingen 1993, 109–169
766 Literatur Janssen, C. / Kessler, R., Art. Ehre / Schande, SWB, 97–100 – / –, Art. Emotionen, SWB, 107–112 – / –, Art. Liebe / Gemeinschaft, SWB, 356 f – / –, Art. Trauer, SWB, 597 f Jaroš, K., Art. Kalender, NBL 2 (1995) 429–432 –, Art. Maße und Gewichte, NBL 2 (1995) 731–735 Jaspers, K., Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München / Zürich 81983 Jenni, E., Das hebräische Pi῾el. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament, Zürich 1968 –, Art. ᾽hb, THAT 1 (51994) 60–73 –, Art. ῾ôlām, THAT 2 (51995) 228–243 –, Art. ῾et, THAT 2 (51995) 370–385 –, Art. qædæm, THAT 2 (51995) 587–589 –, Art. śn᾽, THAT 2 (51995) 835 f –, Die hebräischen Präpositionen, Bd. 1: Die Präposition Beth, Stuttgart u. a. 1992 –, Die hebräischen Präpositionen, Bd. 2: Die Präposition Kaph, Stuttgart u. a. 1994 –, Verba gesticulationis im Hebräischen, in: ders., Studien zur Sprachwelt des Alten Testaments 1, Stuttgart u. a. 1997, 150–161 –, Pleonastische Ausdrücke für Vergleichbarkeit (Ps 55,14; 58,5), in: ders., Studien 1, 206– 211 –, Die hebräischen Präpositionen, Bd. 3: Die Präposition Lamed, Stuttgart u. a. 2000 –, Adverbiale Zeitbestimmungen im klassischen Hebräisch, in: ders., Studien zur Sprachwelt des Alten Testaments 3, Stuttgart 2012, 11–32 Jeremias, J., Theophanie. Die Geschichte einer alttestamentlichen Gattung (WMANT 10), Neukirchen-Vluyn 21977 –, Der Zorn Gottes im Alten Testament. Das biblische Israel zwischen Verwerfung und Erwählung (BThSt 104), Neukirchen-Vluyn 2009 –, Theologie des Alten Testaments (GAT 6), Göttingen 2015 Joas, H., Die Macht des Heiligen. Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung, Berlin 2017 Jochum-Bortfeld, C. / Kessler, R., Art. Wirtschaftsrecht, SWB, 658–662 – / –, Art. Wirtschaftssystem, SWB, 662–667 Johnson, A. R., The Vitality of the Individual in the Thought of Ancient Israel, Cardiff 21964 Jones, E., Direct Reflexivity in Biblical Hebrew. A Note on npš, ZAW 129 (2017) 411–426 Jones, S. C., Corporeal Discourse in the Book of Job, JBL 132 (2013) 845–863 Jooß, E., Raum. Eine theologische Interpretation (BEvTh 122), Gütersloh 2005 Jüngel, E., Tod (ThTh 8), Stuttgart 31973 –, Was heißt beten?, in: ders., Wertlose Wahrheit. Theologische Erörterungen 3 (BEvTh 107), München 1990, 397–405 Jürgens, B., Heiligkeit und Versöhnung. Levitikus 16 in seinem literarischen Kontext (HBS 28), Freiburg u. a. 2001 Jung, M., Der bewusste Ausdruck. Anthropologie der Artikulation, Berlin / New York 2009 Jungbauer, H., „Ehre Vater und Mutter“. Der Weg des Elterngebots in der biblischen Tradition (WUNT II/146), Tübingen 2002 Junge, F., Die Lehre Ptahhoteps und die Tugenden der ägyptischen Welt (OBO 193), Fribourg / Göttingen 2003
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 767
–, „Unser Land ist der Tempel der ganzen Welt“. Über die Religion der Ägypter und ihre Struktur, in: Kratz / Spieckermann (Hg.), Götterbilder (→ 1: Sammelbände), 3–44 Kaiser, O., Die Erfahrung der Zeit im Alten Testament, in: M. Lepajoe / A. Gross (Hg.), Mille anni sicut dies hesterna (FS K. Kasemaa), Tartu 2003, 11–27 –, Krankheit und Heilung nach dem Alten Testament, in: ders., Vom offenbaren und verborgenen Gott. Studien zur spätbiblischen Weisheit und Hermeneutik (BZAW 392), Berlin / New York 2008, 218–245 –, Der eine Gott Israels und die Mächte der Welt. Der Weg Gottes im Alten Testament vom Herrn seines Volkes zum Herrn der ganzen Welt (FRLANT 249), Göttingen 2013 Kamlah, J., Grab und Begräbnis in Israel / Juda. Materielle Befunde, Jenseitsvorstellungen und die Frage des Totenkultes, in: Berlejung / Janowski (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 257–297 –, Der salomonische Tempel. Paradigma der Verknüpfung von biblischer Exegese und Archäologie für eine Rekonstruktion der Religionsgeschichte Israels, VF 53 (2008) 40–51 Kammenhuber, A., Die hethitischen Vorstellungen von Seele und Leib, Herz und Leibesinnerem, Kopf und Person, ZA 56 (1964) 150–212; 57 (1965) 177–222 Kampp-Seyfried, F., Es lebt Re-Harachte, der im Lichtland jubelt. Ein „Glaubensbekenntnis“ ohne Worte aus der Nachamarnazeit, in: H. Guksch u. a. (Hg.), Grab und Totenkult im alten Ägypten (FS J. Assmann), München 2003, 118–127 Kant, I., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, hg. von K. Vorländer, Hamburg 61956 –, Kritik der praktischen Vernunft, in: ders., Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Bd. 4, hg. von W. Weischedel, Darmstadt 1963 Kazen, Th., Emotional Ethics in Biblical Texts. Cultural Construction and Biological Bases of Morality, HeBAI 6 (2017) 431–456 Keel, O., Feinde und Gottesleugner. Studien zum Image der Widersacher in den Individualpsalmen (SBM 7), Stuttgart 1969 –, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart 1977 –, Jahwes Entgegnung an Ijob. Eine Deutung von Ijob 38–41 vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Bildkunst (FRLANT 121), Göttingen 1978 –, Wer zerstörte Sodom?, ThZ 35 (1979) 10–17 –, Das Böcklein in der Milch seiner Mutter und Verwandtes (OBO 33), Fribourg / Göttingen 1980 –, Zeichen der Verbundenheit, in: P. Casetti u. a. (éd.), Mélanges D. Barthélemy (OBO 38), Fribourg / Göttingen 1981, 159–240 –, Deine Blicke sind Tauben. Zur Metaphorik des Hohen Liedes (SBS 114/115), Stuttgart 1984 –, Das sogenannte altorientalische Weltbild, BiKi 40 (1985) 157–161 –, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, Göttingen 51996 –, Die Brusttasche des Hohenpriesters, in: F.‑L. Hossfeld / L. Schwienhorst-Schönberger (Hg.), Das Manna fällt auch heute noch. Beiträge zur Geschichte und Theologie des Alten, Ersten Testaments (FS E. Zenger) (HBS 44), Freiburg u. a. 2004, 379–391
768 Literatur –, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1–2, Göttingen 2007 –, Porträts altorientalischer Herrscher? Individualität oder Rolle, in: Kipfer (ed.), Emo tions (→ 1: Sammelbände), 27–54 – / Küchler, M. / Uehlinger, Chr., Orte und Landschaften der Bibel, Bd. 1, Zürich u. a. / Göttingen 1984 (OLB 1) – / Schroer, S., Schöpfung. Biblische Theologien im Kontext altorientalischer Religionen, Göttingen / Fribourg 22008 – / Uehlinger, Chr., Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen. Mit einem Nachwort von F. Lippke, Fribourg 62010 Kegler, J., Arbeitsorganisation und Arbeitskampfformen im Alten Tstament, in: Schottroff (Hg.), Mitarbeit (→ 1: Sammelbände), 51–71 –, Beobachtungen zur Körpererfahrung in der hebräischen Bibel, in: Crüsemann u. a. (Hg.), Was ist der Mensch? (FS Wolff) (→ 1: Sammelbände), 28–41 Kellermann, D., Art. kelājôt, ThWAT 4 (1984) 185–192 –, Art. rea῾, ThWAT 7 (1993) 545–555 Kepper, M., Wie sagt man, was man fühlt? Linguistische Bemerkungen zur Frage der Interrelation von Sprache und Gefühl am biblischen Wortfeld „Scham“, in: Grund-Wittenberg / Poser (Hg.), Scham (→ 1: Sammelbände), 36–57 Kessler, R., Staat und Gesellschaft im vorexilischen Juda. Vom 8. Jahrhundert bis zum Exil (VT.S 47), Leiden 1992 –, Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt 2006 –, David musicus. Zur Genealogie eines Bildes, in: Geiger / Kessler (Hg.), Musik (→ 1: Sammelbände), 77–99 –, Zinsverbot und Zinskritik. Geltungsbereich und Begründung, in: I. Kottsieper u. a. (Hg.), Berührungspunkte (FS R. Albertz) (AOAT 350), Münster 2008, 133–149 –, Identität und Fremdheit und das Rein-unrein-Paradigma, EvTh 68 (2008) 414–429 –, Anthropologie und Sozialgeschichte, in: Wagner (Hg.), Aufbrüche (→ 1: Sammelbände), 69–76 –, Das hebräische Schuldenwesen. Terminologie und Metaphorik, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart 2009, 31–45 –, Das Sabbatgebot, in: ders., Studien, 85–102 –, Benennung des Kindes durch die israelitische Mutter, in: ders., Studien, 113–123 –, Die angeblichen Kornhändler von Amos 8,4–7, in: ders., Studien, 267–275 –, „Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein“ (Dtn 15,4). Alttestamentliche Grundlagen zum Umgang mit Armut und Armen, in: J. Eurich u. a. (Hg.), Kirchen aktiv gegen Armut und Ausgrenzung, Stuttgart 2011, 18–35 –, Wirtschaft und Geld in der Lebenswelt der alttestamentlichen Texte, in: St. Alkier u. a. (Hg.), Wirtschaft und Geld, Gütersloh 2016, 12–60 –, Soziale Ungerechtigkeit und die Intervention Gottes. Armut und Reichtum als Thema des Buches der Sprichwörter, BiKi 71 (2016) 142–148 –, Familie, Sippe, Stamm, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 183–196 –, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh 2017
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 769
Kilwing, N., næpæsch und ψυχή: Gemeinsames und Unterscheidendes im hebräischen und griechischen Seelenverständnis, in: C. Diller u. a. (Hg.), Studien zu Psalmen und Propheten (FS H. Irsigler) (HBS 64), Freiburg u. a. 2010, 377–401 King, Ph.J. / Stager, L. E., Life in Biblical Israel, Louisville / KE 2001 Kipfer, S., Angst, Furcht und Schrecken. Eine kognitiv-linguistische Untersuchung einer Emotion im Biblischen Hebräisch, JNSL 42 (2016) 15–79 –, David – „Individualität“ einer literarischen Figur in 1 Sam 16 – 1 Kön 2, in: Wagner / van Ooorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände) 149–181 Kippenberg, H. G., Religion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher Entwicklung (StUNT 14), Göttingen 1978 Kleer, M., „Der liebliche Sänger der Psalmen Israels“. Untersuchungen zu David als Dichter und Beter (BBB 108), Bodenheim 1996 Klein, R. A., Die Inhumanität des Animal Sociale. Vier Thesen zum interdisziplinären Beitrag der theologischen Anthropologie, NZSTh 51 (2009) 427–444 Klimkeit, H.‑J., Der leidende Gerechte in der Religionsgeschichte. Ein Beitrag zur pro blemorientierten „Religionsphänomenologie“, in: H. Zinser (Hg.), Religionswissen schaft. Eine Einführung, Berlin 1988, 164–184 Klinghardt, M. / Staubli, Th., Art. Brot, SWB, 69–73 – / –, Art. Essen, gemeinsames, SWB, 116–123 – / –, Art. Essensgewohnheiten, SWB, 123–125 Klopfenstein, M., Scham und Schande nach dem Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zu den hebräischen Wurzel bôš, klm und hpr (AThANT 62), 1972 ˙ Knauf, E. A., Die Umwelt des Alten Testaments (NSK.AT 29), Stuttgart 1994 Knierim, R., Art. ᾽āšām, THAT 1 (51994) 251–257 Knigge, C., Das Lob der Schöpfung. Die Entwicklung ägyptischer Sonnen- und Schöpfungshymnen nach dem Neuen Reich, OBO 219, Fribourg / Göttingen 2006 Koch, Chr., Art. Welt / Weltbild (AT) (www.wibilex.de, Zugriff 30. 09. 2018) –, Gottes himmlische Wohnstatt. Transforamtionen im Verhältnis von Gott und Himmel in tempeltheologischen Entwürfen des Alten Testaments in der Exilszeit (FAT 119), Tübingen 2018 Koch, K, Gibt es ein Hebräisches Denken?, in: ders., Spuren des Hebräischen Denkens. Gesammelte Aufsätze, Bd. 1, hg. von B. Janowski und M. Krause, Neukirchen-Vluyn 1991, 3–24 –, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, in: ders., Spuren, 65–103 –, Die Entstehung der sozialen Kritik bei den Profeten, in: ders., Spuren, 146–166 –, Der Güter Gefährlichstes, die Sprache, dem Menschen gegeben … Überlegungen zu Gen 2,7, in: ders., Spuren, 238–247 –, Qädäm. Heilsgeschichte als mythische Urzeit im Alten (und Neuen) Testament, in: ders., Spuren, 248–280 –, Art. sdq, THAT 2 (51995) 507–530 ˙ –, Sædæq und Ma᾽at. Konnektive Gerechtigkeit in Israel und Ägypten?, in: Assmann u. a. ˙ (Hg.), Gerechtigkeit, 37–64 –, Imago Dei – Die Würde des Menschen im biblischen Text, Hamburg 2000 Köckert, M., Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen 1988
770 Literatur –, Ein Palast in der Zeit. Wandlungen im Verständnis des Sabbatgebotes, in: ders., Leben in Gottes Gegenwart. Studien zum Verständnis des Gesetzes im Alten Testament (FAT43), Tübingen 2004, 109–151 –, Die Zehn Gebote, München 2007 –, Ausgespäht und überwacht, erschreckend wunderbar geschaffen. Gott und Mensch in Psalm 139, ZThK 107 (2010) 415–447 –, Nächstenliebe – Fremdenliebe – Feindesliebe, in: Mazel tov. Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum, hg. von M. Witte und T. Pilger, Leipzig 2012, 31–53 –, „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ (Hi 38,4) Aspekte des Vehältnisses von Kosmologie und Anthropologie im Alten Testament, in: Janowski / Schwöbel (Hg.), Kosmos (→ 1: Sammelbände), 34–65 –, Abraham. Ahnvater – Vorbild – Kultstifter (BG 31), Leipzig 2017 Köhler, L., Der hebräische Mensch. Eine Skizze, Darmstadt 1976 Köhlmoos, M., Das Auge Gottes. Textstrategie im Hiobbuch (FAT 25), Tübingen 1999 –, Art. Weisheit / Weisheitsliteratur, TRE 35 (2003) 486–497 –, Audiatur et altera pars. Ps 55 und das Hiobbuch, in: Ruwe (Hg.), Psalm 55 (→ 1: Sammelbände), 83–105 –, Richtiges Leben, Tun und Ergehen, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 324– 338 König, E., Stilistik, Rhetorik, Poetik in Bezug auf die Biblische Litteratur, Leipzig 1900 Körting, C., Der Schall des Schofar. Israels Feste im Herbst (BZAW 285), Berlin / New York 1999 Kövecses, Z., Emotion concepts, New York 1990 Konersmann, R., Die Augen der Philosophen. Zur historischen Semantik und Kritik des Sehens, in: ders. (Hg.), Kritik des Sehens, Leipzig 1997, 9–47 Koselleck, R., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M. 2000 –, Was sich wiederholt, FAZ Nr. 167 vom 21. 07. 2005, 6 –, Wiederholungsstrukturen in Sprache und Geschichte, in: ders., Vom Sinn und Unsinn der Geschichte. Aufsätze und Vorträge aus vier Jahrzehnten, Berlin 2010, 96–114 Košenina, A., Literarische Anthropologie. Die Neuentdeckung des Menschen, Berlin 2008 Kowalski, B., Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, in: H. Baranzke u. a., Handeln verantworten. Grundlagen – Kriterien – Kompetenzen (TheoMod 11), Freiburg 2010, 95–143 Krämer, S., Sprache als Gewalt oder: Warum verletzen Worte?, in: Herrmann u. a. (Hg.), Worte (→ 1: Sammelbände), 31–48 Krafft, F., Art. Elementenlehre, DNP 3 (1997) 978–980 Kratz, R. G., Historisches und biblisches Israel. Drei Überblicke zum Alten Testament, Tübingen 2013 Kraus, F. R., Altmesopotamisches Lebensgefühl, JNES 19 (1960) 117–132 –, Vom mesopotamischen Menschen der altbabylonischen Zeit und seiner Welt, Amsterdam / London 1973 Kraus, H.‑J., Hören und Sehen in der althebräischen Tradition, in: ders., Biblisch- theologische Aufsätze, Neukirchen-Vluyn 1972, 84–101 Krebernik, M., Altoriental(ist)ische und biblische Schöpfungsmythen, in: K. Manger (Hg.), Jenaer Universitätsreden, Jena 2005, 143–169 Kreuzer, S., Art. Freundschaft, WAM, 166–170
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 771
–, Art. Wüste, WAM, 457–462 Krieg, M., Leiblichkeit im Alten Testament, in: ders. / Weder, H., Leiblichkeit (ThSt[.B] 128), Zürich 1983, 7–29 Krötke, W., Art. Sünde / Schuld und Vergebung, RGG4 7 (2004) 1867 f.1871–1873.1887–1893 Kronholm, T., Art. qædæm, ThWAT 6 (1989) 1163–1169 –, Art. ræhæm, ThWAT 7 (1993) 477–482 ˙ Kropp, M., Synthetische Körperauffassung im Koran?, in: Müller / Wagner (Hg.), Körperauffassung (→ 1: Sammelbände), 185–222 Krüger, A., Himmel – Erde – Unterwelt. Kosmologische Entwürfe in der poetischen Literatur Israels, in: Janowski / Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 65–83 –, Auf dem Weg „zu den Vätern“. Zur Tradition der alttestamentlichen Sterbenotizen, in: Berlejung / Janowski (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 137–150 –, Der Mensch und seine Arbeit. Bemerkungen zu einer anthropologischen Konstante, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 613–629 –, Das Lob des Schöpfers. Studien zu Sprache, Motivik und Theologie von Psalm 104 (WMANT 124), Neukirchen-Vluyn 2010 Krüger, H.‑P., Art. H. Plessner, in: Bohlken / Thies (Hg.), Handbuch (→ 1: Handbücher), 63–68 Krüger, Th., Erwägungen zur Bedeutung von tôb und tôbāh im Qoheletbuch, ThZ 53 ˙ ˙ (1997) 53–63 –, Erwägungen zur prophetischen Kultkritik, in: R. Lux / E.‑J. Waschke (Hg.), Die unwiderstehliche Wahrheit. Studien zur alttestamentlichen Prophetie (FS Meinhold) (ABG 23), Leipzig 2006, 37–55 –, ach ja die seele: Der Verlust der Seele – ein Gewinn für die theologische Anthropologie?, in: ders., Das menschliche Herz und die Weisung der Seele. Studien zur alttestamentlichen Anthropologie und Ethik (AThANT 96), Zürich 2009, 83–89 –, Das „Herz“ in der alttestamentlichen Anthropologie, in: ders., Herz, 91–106 –, Das menschliche Herz und die Weisung Gottes. Elemente einer Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Tora-Rezeption im Alten Testament, in: ders., Herz, 107– 136 –, Wahrnehmungen und Deutungen der Zeit im Buch Kohelet, JBTh 28 (2013) 21–45 –, Art. Zeit, WAM, 471–475 –, Art. Ohr / Hören, HGANT5, 351–353 Kruger, P., A Cognitve Interpretation of the Emotion of Fear in the Hebrew Bible, JNSL 27 (2001) 77–89 –, Mundus inversus in the Hebrew Bible. A kaleidoskopic ancient Near Eastern topos, in: M. Pietsch / F. Hartenstein (Hg.), Israel zwischen den Mächten (FS St. Timm) (AOAT 364), Münster 2009, 173–193 –, Gefühle und Gefühlsäußerungen im Alten Testament. Einige einführende Bemerkungen, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 243–262 –, A World Turned on its Head in ancient Near Eastern Prohetic Literature. A Powerful Strategy to Depict Chaotic Scenarios, VT 62 (2012) 58–76 –, Disaster and the topos of the World Upside Down. Selected Cases from the Ancient Near Eastern Worlds, in: Berlejung (Hg.), Katastrophen (→ 1: Sammelbände), 391–424 Kselman, J. S., „Wandering about“ and Depression: More Examples, JNES 61 (2002) 275– 277
772 Literatur – / Barré, M. L., Psalm 55: Problems and Proposals, CBQ 60 (1998) 440–462 Kuckhoff, A., Psalm 6 und die Bitten im Psalter. Ein paradigmatisches Bitt- und Klagegebet im Horizont des Gesamtpsalters (BBB 160), Göttingen 2011 Kügler, J., Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium (BBB 113), Bodenheim 1997 Kühn, D., Totengedenken im Alten Testament, in: Berlejung / Janowski (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 481–499 Kümmel, H. M., Ersatzkönig und Sündenbock, ZAW 80 (1968) 289–318 Kumpmann, Chr., Schöpfen, Schlagen, Schützen. Eine semantische, thematische und theologische Untersuchung des Handelns Gottes in den Psalmen (BBB 177), Göttingen 2016 Kunz-Lübcke, A., Das Kind in den antiken Kulturen des Mittelmeers. Israel – Ägypten – Griechenland, Neukirchen-Vluyn 2007 –, Erwachsenwerden – Entwicklung oder Vollendung? Perspektiven der Hebräischen Bibel, in: Fitzon u. a. (Hg.), Alterszäsuren (→ 1: Sammelbände), 103–130 –, Wann beginnt das Leben? Überlegungen zur pränatalen Anthropologie der hebräischen Bibel, in: Elm u. a. (Hg.), Alterstopoi (→ 1: Sammelbände), 249–276 –, Art. Liebe, WAM, 307–311 Kurth, D., Art. Himmelsrichtungen, LÄ 2 (1977) 1213–1215 Kutsch, E., „Trauerbräuche“ und „Selbstminderungsriten“ im Alten Testament, in: ders., Kleine Schriften zum Alten Testament (BZAW 168), hg. von L. Schmidt u. a., Berlin / New York 1986, 78–95 –, Sein Leiden und Tod – unser Heil. Eine Auslegung von Jesaja 52,13–53,12, in: ders., Kleine Schriften, 169–196 Lämmerhirt, K., Wahrheit und Trug. Untersuchungen zur altorientalischen Begriffsgeschichte (AOAT 348), Münster 2010 Lamp, E. / Tilly, M., Öffentlichkeit als Bedrohung. Ein Beitrag zur Deutung des „Feindes“ im Klagepsalm des Einzelnen, BN 50 (1989) 46–57 Lang, B., Altersversorgung in der biblischen Welt, in: ders., Wie wird man Prophet in Israel? Aufsätze zum Alten Testament, Düsseldorf 1980, 90–103 –, Art. Ritual / Ritus, HrwG 4 (1998) 442–458 –, Art. Sehen und Schauen, NBL 3 (2001) 555–561 –, Art. Zeichenhandlung, NBL 3 (2001) 1189 f Lang, M., Zum Begriff von menschlicher und göttlicher Gerechtigkeit in den Prologen der altorientalischen Codices, in: H. Barta u. a. (Hg.), Recht und Religion, Wiesbaden 2008, 49–71 Langer, S. K., Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst (FT 7344), Frankfurt a. M. 1984 Leach, E., Kultur und Kommunikation. Zur Logik symbolischer Zusammenhänge (stw 212), Frankfurt a. M. 1978 Lehmann, G. / Niemann, H. M., Klanstruktur und charismatische Herrschaft. Juda und Jerusalem 1200–900 v. Chr., ThQ 186 (2006) 134–159 Leibold, St., Raum für Konvivenz. Die Genesis als nachexilische Erinnerungsfigur (HBS 77), Freiburg u. a. 2014 Lemos, T. M., Physical Violence and the Boundaries of Personhood in the Hebrew Bible, HeBAI 2 (2013) 500–531
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 773
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774 Literatur –, „Der Glanz der Alten ist ihr graues Haar“ (Spr 20,29). Alter und Weisheit in der alttestamentlichen und apokryphen Literatur, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 453–484 –, „Jung bin ich gewesen und alt geworden“. Lebenszeit und Alter in den Psalmen, in: Fitzon u. a. (Hg.), Alterszäsuren (→ 1: Sammelbände), 131–170 –, Prophetische Herrschererwartungen. Studien zu Jes 8,23–9,6 und verwandten Texten, masch. Habil., München 2016 Link, Chr., Der Mensch als Geschöpf und als Schöpfer, in: J. Moltmann (Hg.), Versöhnung mit der Natur (KT 92), München 1986, 15–47 –, „Für uns gestorben nach der Schrift“, EvErz 43 (1991) 148–169 Linke, B., Antike Religion, München 2014 Lippke, F., Priester als Metzger? Orientalisch-theologische Aspekte der Tiertötung, in: Joachimides u. a. (Hg.), Opfer (→ 1: Sammelbände), 23–45 Loader, J., Angst und Furcht aus alttestamentlichem Blickwinkel, in: U. H. J. Körtner (Hg.), Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen-Vluyn 2001, 260–280 Löw, M., Art. Raum. Die topologischen Dimensionen der Kultur, in: Jaeger u. a. (Hg.), Handbuch 1 (→ 1: Handbücher), 46–59 Löwith, K., Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1953 / Nachdruck 2004 Lohfink, N., Das Jüdische am Christentum. Die verlorene Dimension, Freiburg u. a. 1987 –, „Ich bin Jahwe, dein Arzt“ (Ex 15,26). Gott, Gesellschaft und menschliche Gesundheit in einer nachexilischen Pentateuchbearbeitung (Ex 15,25b. 26), in: ders., Studien zum Pentateuch (SBAB 4), Stuttgart 1988, 91–155 –, Opferzentralisation, Säkularisierungsthese und mimetische Theorie, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur 3 (SBAB 20), Stuttgart 1995, 219–260 –, Die Wiederkehr des immer Gleichen. Eine frühe Synthese zwischen griechischem und jüdischem Weltgefühl in Koh 1,4–11, in: ders., Studien zu Kohelet (SBAB 26), Stuttgart 1998, 95–124 –, Innenschau und Kosmosmystik. Zu Psalm 36, in: ders., Im Schatten deiner Flügel. Große Bibeltexte neu erschlossen, Freiburg 1999, 172–187 Loretz, O., Ugarit und die Bibel. Kanaanäische Götter und Religion im Alten Testament, Darmstadt 21996 –, Götter – Ahnen – Könige als gerechte Richter. Der „Rechtsfall“ des Menschen vor Gott nach altorientalischen und biblischen Texten (AOAT 290), Münster 2003 –, „Gerechtigkeit“ und „Unsterblichkeit“ in ägyptischer und westsemitischer Sicht, in: A. I. Blöbaum u. a. (Hg.), Ägypten und Münster. Kulturwissenschaftliche Studien zu Ägypten, dem Vorderen Orient und verwandten Gebieten, Wiesbaden 2003, 187–193 –, Die postmortale (himmlische) Theoxenie der npš „Seele, Totenseele“ in ugaritisch-biblischer Sicht nach Psalm 16,10–11, UF 38 (2006) 445–497 Luchsinger, J., Poetik der alttestamentlichen Spruchweisheit, Stuttgart 2010 Luiselli, M. M., Das Bild des Betens. Versuch einer bildtheoretischen Analyse der altägyptischen Anbetungsgestik, Imago Aegypti 2 (2007) 87–96 –, Die Suche nach Gottesnähe. Untersuchungen zur Persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches (ÄAT 73), Wiesbaden 2011
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 775
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782 Literatur –, Vom Kleinkind bis zu den „Ältesten“. Zu den Lebensaltern im Alten Testament, ThBeitr 42 (2011) 127–142 Pongratz-Leisten, B., Ina šulmi īrub. Die kulttopographische und ideologische Programmatik der akītu-Prozession in Babylonien und Assyrien im 1. Jahrtausend v. Chr. (BagF 16), Mainz 199 –, Mental Map und Weltbild in Mesopotamien, in: Janowski / Ego (Hg.), Weltbild (→ 1: Sammelbände), 261–279 Popitz, H., Phänomene der Macht, Tübingen 21992 Poser, R., „Ja, auf die Armen hört ,die Lebendige‘, ihre Gefangenen verachtet sie nicht“ (Ps 69,34. Beschämung und Anerkennung in ausgewählten Psalmen, in: Grund-Wittenberg / Poser (Hg.), Scham (→ 1: Sammelbände), 112–138 Prudky, M., Art. Wetter, WAM, 451–457 Quack, J. F., Die Lehren des Ani. Ein neuägyptischer Weisheitstext in seinem kulturellen Umfeld (OBO 141), Fribourg / Göttingen 1994 –, Gliederpuppe oder komplexe Einheit? Zum Menschenbild ägyptischer Körperteillisten, in: Hilgert / Wink (Hg.), Menschen-Bilder (→ 1: Sammelbände), 13–26 von Rad, G., Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 8), München 31965, 136–147 –, „Gerechtigkeit“ und „Leben“ in der Kultsprache der Psalmen (1950), in: ders., Gesammelte Studien, 225–247 –, Aspekte alttestamentlichen Weltverständnisses, in: ders., Gesammelte Studien, 311–331 –, Theologie des Alten Testaments 1, München 61969; 2, München 51968 –, Weisheit in Israel. Mit einem Anhang neu herausgegeben von B. Janowski, Neukirchen-Vluyn 42013 Radebach-Huonker, Chr., Opferterminologie im Psalter (FAT II/44), Tübingen 2010 Radner, K., Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Wiesbaden 2005 Raible, W., Zur Begriffsgeschichte von „Mensch“. Skizze einer kognitiven Landkarte, in: Stagl / Reinhard (Hg.), Grenzen (→ 1: Sammelbände), 155–173 Randriambola, H., „Wenn ein Mensch stirbt, lebt er dann wieder auf?“ (Hi 14,14) Zur Frage einer Jenseitshoffnung im hebräischen und im griechischen Hiobbuch, Diss.masch. Tübingen 2016 Raphael, L., Fernand Braudel (1902–1985), in: ders. (Hg.), Klassiker der Geschichtswissenschaft 2, München 206, 45–62 Raphael, R., Disability, Identity, and Otherness in Persian-Period Israelite Thought, in: E. B. Zvi / D. V. Edelman (ed.), Imaging the Other and Constructing Israelite Identity in the Early Second Temple Period, London u. a. 2016, 277–296 Rechenmacher, H., Zur Theologie der bibelhebräischen Personennamen, MThZ 51 (2000) 151–160 –, Althebräische Personennamen, Münster 2012 von Reden, S., Art. Arbeit, DNP 1 (1996) 964–969 –, Antike Wirtschaft, Berlin / Boston 2015 Reiner, H., Art. Dankbarkeit, HWP 2 (1972) 9–11 Reinhard, W., Die anthropologische Wende der Geschichtswissenschaft, in: Wagner (Hg.), Aufbrüche (→ 1: Sammelbände), 77–99 Reiser, M., Love of Enemies in the Context of Antiquity, NTS 47 (2001) 411–427
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 783
Reiterer, F. V., Die Stellung Ben Siras zur „Arbeit“. Notizen zu einem kaum berücksichtigten Thema sirazidischer Lehre, in: ders., „Alle Weisheit stammt vom Herrn …“. Gesammelte Studien zu Ben Sira (BZAW 375), Berlin / New York 2007, 229–267 –, Gelungene Freundschaft als tragende Säule einer Gesellschaft. Exegetische Untersuchung von Sir 25,1–11, in: ders., „Weisheit“, 269–305 –, Die besondere Rede. Grundsätzliche Überlegungen zu den Metaphern und deren Bedeutung für die Bibel, in: M. Witte / S. Behnke (ed.), The Metaphorical Use of Language in Deuterocanonical and Cognate Literature (DCLY 2014/2015), Berlin 2015, 1–39 – / Fabry, H.‑J., Art. šem, ThWAT 8 (1995) 122–176 Rendu-Loisel, A.‑C., Les Chants du monde. Le paysage sonore de l’ancienne Mésopotamie, Toulouse 2016 Renger, J., Vorstellungen von Zeit und Zeitmessung und der Blick auf vergangenes Geschehen in der Überlieferung des alten Mesopotamien, in: H. Falk (Hg.), Vom Herrscher zur Dynastie. Zum Wesen kontinuierlicher Zeitrechnung in Antike und Gegenwart, Bremen 2002, 6–26 – u. a., Art. Gebet, DNP 4 (1998) 828–834 Renz, J., „Jahwe ist der Gott der ganzen Erde“. Der Beitrag der außerkanonischen althebräischen Texte zur Rekonstruktion der vorexilischen Religions- und Theologiegeschichte Palästinas, in: M. Pietsch / F. Hartenstein (Hg.), Israel zwischen den Mächten (FS St. Timm) (AOAT 364), Münster 2009, 289–377 Reuthner, R., Platons Schwestern. Lebenswelt antiker Griechinnen, Köln u. a. 2013 Richter, H.‑F., Geschlechtlichkeit, Ehe und Familie im Alten Testament und seiner Umwelt (BET 10), Frankfurt a. M. 1978 Ricken, N., Menschen – Zur Struktur anthropologischer Reflexionen als einer unverzichtbaren kulturwissenschaftlichen Dimension, in: Jaeger u. a. (Hg.), Handbuch 1 (→ 1: Handbücher), 152–172 Ricœur, P., Die Erbsünde – eine Bedeutungsstudie, in: ders., Hermeneutik und Psychoanalyse. Der Konflikt der Interpretationen 2, München 1974, 140–161 –, Poetik und Symbolik, in: H.‑P. Duerr (Hg.), Die Mitte der Welt. Aufsätze zu Mircea Eliade, Frankfurt a. M. 1984, 11–34 Riede, P., Im Netz des Jägers. Studien zur Feindmetaphorik der Individualpsalmen (WMANT 85), Neukirchen-Vluyn 2000 –, Im Spiegel der Tiere. Studien zum Verhältnis von Mensch und Tier im alten Israel (OBO 187), Fribourg / Göttingen 2002 –, „Ich bin ein Bruder der Schakale“ (Hi 30,29). Tiere als Exponenten der gegenmenschlichen Welt in der Bildsprache der Hiobdialoge, in: ders., Im Spiegel, 120–132 –, „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“. Schöpfung als „Rede der Kreatur an die Kreatur“ und an den Kreator in biblischer Sicht, in: ders., Schöpfung und Lebenswelt. Studien zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments (MThSt 106), Leipzig 2009, 119–130 –, „Du bereitest vor mir einen Tisch“ Zum Tischmotiv in den Psalmen 23 und 69, in: ders., Schöpfung, 151–165 –, Art. Tier, WAM, 391–397 –, Art. Vereinzelung, WAM, 415–418 Ritter, E. K. / Wilson, J. V. K., Prescription for an Anxiety State: A Study of BAM 234, AnSt 29 (1979) 23–30
784 Literatur Röllig, W., Myths about the Netherworld in the Ancient Near East and their Counterparts in the Greek Religion, in: S. Ribichini u. a. (ed.), La questione delle influenze vicinoorientali sulla religione greca, Roma 2001, 307–314 Römer, Th., Lot, l’hospitalité et l’inceste, in: Durand et al. (éd.), Tabou (→ 1: Sammelbände), 135–144 Römheld, K. F. D., Die Weisheitslehre im alten Orient. Elemente einer Formgeschichte (BN.B 4), München 1989 Rösel, Chr., „Ein Prüfer der Herzen ist JHWH“ (Spr 17,3b). Gott und das menschliche Herz im Alten Testament, BZ 56 (2012) 286–298 Rösel, M., Art. Tun-Ergehen-Zusammenhang, NBL 3 (2001) 931–934 –, Der hebräische Mensch im griechischen Gewand. Anthropologische Akzentsetzungen in der Septuaginta, in: Janowski / Liess (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 69–92 –, Die Geburt der Seele in der Übersetzung. Von der hebräischen näfäsch über die psyche der LXX zur deutschen Seele, in: Wagner (Hg.), Aufbrüche (→ 1: Sammelbände), 151– 170 –, Von der Kehle zur Seele. Neue Akzente im Menschenbild der Septuaginta, BiKi 67 (2012) 30–35 –, Art. Tag, WAM, 381–383 –, Wie Gott sich erkennen lässt. Gottessschau und Gotteserkenntnis in der Septuaginta, in: E. Dafni (Hg.), Gottesschau – Gotteserkenntnis. Studien zur Theologie der Septuaginta 1, Tübingen 2017, 163–176 Rogerson, J. W., Anthropology and the Old Testament, Sheffield 1984 –, The Hebrew Conception of Corporate Personality. A Re-examination, in: B. Lang (ed.), Anthropological Approaches to the Old Testament, Philadelphia / London 1985, 43–59 Rosa, H., Is there any body out there? Stumme und resonante Weltbeziehungen – Charles Taylors monomanischer Analysefokus, in: M. Kühnlein / M. Lutz-Bachmann (Hg.), Unerfüllte Moderne? Neue Perspektiven auf das Werk von Charles Taylor (stw 2018), Berlin 2011, 15–43 –, Die Natur als Resonanzraum und als Quelle starker Wertungen, in: Hartung / Kichhoff (Hg.), Natur (→ 1: Sammelbände), 123–141 –, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016 Rothschuh, K. E., Art. Krankheit, HWP 4 (1976) 1184–1190 Rudman, D., A Note on the Azazel-goat Ritual, ZAW 116 (2004) 396–401 Rüpke, J., Die Religion der Römer. Eine Einführung, München 2001 –, Zeit und Fest. Eine Kulturgeschichte des Kalenders, München 2006 –, Römische Religion und religiöser Wandel in der Spätantike, VF 52 (2007) 7–19 –, Religiöse Individualität in der Antike, in: Janowski (Hg.), Mensch (→ 1: Sammelbände), 199–219 –, Sakrale Mähler zwischen Euphrat und Tiber. Essen in religiösen Zusammenhängen im antiken Mittelmeerraum, WUB Nr. 83 (2917) 32–39 Rüsen, J., Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken, in: ders., Historische Orientierung, Köln u. a. 1994, 211–234 –, Typen des Zeitbewußtseins – Sinnkonzepte des geschichtlichen Wandels, in: Jaeger / Liebsch (Hg.), Handbuch 1 (→ 1: Handbücher), 365–384 Rüterswörden, U., Art. Beamte, NBL 1 (1993) 252–254
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 785
–, Dominium terrae. Studien zur Genese einer alttestamentlichen Vorstellung (BZAW 215), Berlin / New York 1993 –, Die Liebe zu Gott im Deuteronomium, in: M. Witte u. a. (Hg.), Die deuteronomistischen Geschichtswerke (BZAW 365), Berlin / New York 2012, 229–238 Ruppert, L., Dürsten nach Gott. Ein psalmistisches Motiv im religionsphänomenologischen Vergleich, in: J. Zmijewski (Hg.), Die alttestamentliche Botschaft als Wegweisung (FS H. Reinelt), Stuttgart 1990, 237–251 Rusch, G., Art. Kommunikationsmodell, in: Nünning (Hg.), Lexikon (→ 1: Handbücher), 367 f Ruwe, A., „Heiligkeitsgesetz“ und „Priesterschrift“. Literaturgeschichtliche und rechtssystematische Untersuchungen zu Lev 17,1–26,2 (FAT 26), Tübingen 1999 –, Aspekte von Beschneidung im Alten Orient und das Motiv der „Herzensbeschneidung“ im Alten Testament, in: M. Langanke u. a. (Hg.), Rituelle Beschneidung von Jungen. Interdisziplinäre Perspektiven, Leipzig 2014, 73–98 –, Vertrauenszuwachs in der Klage. Zu Gliederung und Aussagegefälle von Psalm 55, in: ders. (Hg.), Psalm 55 (→ 1: Sammelbände), 147–189 – / D. Starnitzke, Art. Krankheit / Heilung, SWB, 315–320 Sallaberger, W., Den Göttern nahe – und fern den Menschen? Formen der Sakralität des altmesopotamischen Herrschers, in: F.‑R. Erkens (Hg.), Die Sakralität von Herrschaft, Berlin 2002, 86–98 –, Das Gilgamesch-Epos. Mythos, Werk und Tradition, München 2008 –, Der Tod des göttlichen Königs. Die Krise des Menschenbilds in altbabylonischer Zeit, in: Lang / Marinkovic (Hg.), Bios (→ 1: Sammelbände), 123–134 Salo, R. S., Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen. Untersuchungen zu den Königspsalmen 2, 18, 20, 21, 45 und 72 (ORA 25), Tübingen 2017 Saur, M., Die Königspsalmen. Studien zur Entstehung und Theologie (BZAW 340), Berlin / New York 2004 –, Einführung in die alttestamentliche Weisheitsliteratur, Darmstadt 2012 –, Verantwortung. Zum Verhältnis von Individuum und Kollektiv im Ezechielbuch, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 199–209 Sauter, G., Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh 2011 Schaper, J., „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser“. Studien zu Ps 42/43 in Religionsgeschichte, Theologie und kirchlicher Praxis (BThSt 63), Neukirchen-Vluyn, 2004 –, Die Konstituierung des (göttlichen und menschlichen) Subjekts in Exodus 3, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 137–146 Scheid, J., Les dieux, l’ État et l’individu. Réflexions sur la religion civique à Rome, Paris 2013 Schellenberg, A., „Und ganz wie der Mensch es nennt …“ Beobachtungen zu Gen 2,19 f, in: J. Luchsinger u. a. (Hg.), „… der seine Lust hat am Wort des Herrn!“ (FS E. Jenni) (AOAT 336), Münster 2007, 291–308 –, Der Mensch, das Bild Gottes? Zum Gedanken einer Sonderstellung des Menschen im Alten Testament und in weiteren altorientalischen Quellen (AThANT 101), Zürich 2011 –, Hilfe für Witwen und Waisen. Ein gemein-altorientalisches Motiv in wechselnden alttestamentlichen Diskussionszusammenhängen, ZAW 124 (2012) 180–200 –, More than Spirit. On the Physical Dimension in the Priestly Understanding of Holiness, ZAW 126 (2014) 163–179
786 Literatur –, „Ein beschwichtigender Geruch für JHWH“. Zur Rolle der Sinne im Kult (nach den priesterlichen Texten), in: van Oorschot / Wagner (Hg.), Anthropologie(n) (→ 1: Sammelbände), 135–158 –, „Mein Fleisch ist gekleidet in Maden und Schorf “ (Hi 7,5). Zur Bedeutung des Körpers im Hiobbuch, in: Etzelmüller / Weissenrieder (Hg.), Verkörperung (→ 1: Sammelbände), 95–126 –, „And God Separated the Light from the Darkness“ (Gen 1:4). On the Role of Borders in the Priestly Texts of the Pentateuch, in: A. Weissenrieder (ed.), Borders. Terminologies, Ideologies, and Performances, Tübingen 2016, 23–41 –, Der Einzelne und die Gemeinschaft nach den Rechtstexten des Alten Testaments, in: Wagner / van Oorschot (Hg.), Individualität (→ 1: Sammelbände), 373–398 –, Warum Hiob trotz Krankeit getröstet sein kann. Beobachtungen zum Thema Ehre und Würde im Hiobbuch, ThZ 74 (2018) 48–68 Schenker, A., Die Tafel des Herzens, in: ders., Text und Sinn im Alten Testament. Textgeschichtliche und bibeltheologische Studien (OBO 103), Fribourg / Göttingen 1991, 68–81 –, Keine Versöhnung ohne Anerkennung der Haftung für verursachten Schaden, ZAR 3 (1997) 164–173 –, Art. Sühne, TRE 32 (2001) 335–338 –, Knecht und Lamm Gottes (Jesaja 53). Übernahme von Schuld im Horizont der Gottesknechtslieder (SBS 190), Stuttgart 2001 –, Unreinheit, Sünde und Sündopfer, BZ 59 (2015) 1–16 Schipper, J., Die Lehre des Amenemope und Prov 22,17–24,22, ZAW 117 (2005) 53–72 –, Endzeitszenarien im Alten Orient. Die Anfänge apokalyptischen Denkens, in: ders. / G. Plasger (Hg.), Apokalyptik und kein Ende?, Göttingen 2007, 11–30 Schivelbusch, W., Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983 Schlesier, R., Kulte, Mythen und Gelehrte. Anthropologie der Antike seit 1800 (FT 11924), Frankfurt a. M. 1994 –, Art. Pharmakos, RGG4 6 (2003) 1264–1266 Schmid, H. H., Wesen und Geschichte der Weisheit. Eine Untersuchung zur altorientalischen und israelitischen Weisheitsliteratur (BZAW 101), Berlin 1966 –, šalôm. „Frieden“ im Alten Orient und im Alten Testament (SBS 51), Stuttgart 1971 Schmid, K., Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2 f. und ihrer theologischen Tendenz, ZAW 114 (2005) 21–39 –, Herrschererwartungen und -aussagen im Jesajabuch. Überlegungen zu ihrer synchronen Logik und ihren diachronen Transformationen, in: ders. (Hg.), Prophetische Heils- und Herrschererwartungen (SBS 194), Stuttgart 2005, 37–74 –, Literaturgeschichte des Alten Testaments. Eine Einführung, Darmstadt 2008 –, Hiob als biblisches und antikes Buch. Historische und intellektuelle Kontexte seiner Theologie (SBS 219), Stuttgart 2010 –, Der Kanon und der Kult. Das Aufkommen der Schriftreligion im antiken Israel und die sukzessive Sublimierung des Tempelkultes, in: A. Berlejung / R. Heckl (Hg.), Ex oriente Lux. Studien zur Theologie des Alten Testaments (FS R. Lux) (ABG 39), Leipzig 2012, 523–546
4. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 787
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788 Literatur Schnieringer, H., Psalm 8. Text – Gestalt – Bedeutung (ÄAT 59), Wiesbaden 2004 Schnocks, J., Vergänglichkeit und Gottesherrschaft. Studien zu Psalm 90 und dem vierten Psalmenbuch (BBB 140), Berlin / Wien 2002 –, Rettung und Neuschöpfung. Studien zur alttestamentlichen Grundlegung einer gesamtbiblischen Theologie der Auferstehung (BBB 158), Göttingen 2009 –, Ehrenvolle Bestattung als soziale Auferstehung. Anthropologische und theologische Dimensionen der Rizpaerzählung (2 Sam 21), in: C. Garnier / J. Schnocks (Hg.), Sterben über den Tod hinaus. Politische, soziale und religiöse Ausgrenzung in vormodernen Gesellschaften, Würzburg 2012, 203–218 –, Psalmen (UTB 3473), Paderborn 2014 Schoberth, W., Wozu theologische Anthropologie?, VF 51 (2006) 38–55 –, Einführung in die theologische Anthropologie, Darmstadt 2006 Schockenhoff, E., Ethik des Lebens. Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg u. a. 2009 Schöpflin, K., Art. Seele, TRE 30 (1999) 737–740 Schöttler, P., Die „Annales“-Historiker und die deutsche Geschichtswissenschaft, Tübingen 2015 Schorch, St., Euphemismen in der Hebräischen Bibel (OBC 12), Wiesbaden 2000 –, „Du bist ein verschlossener Garten“. Theologie, Anthropologie und Geschlechterverhältnis im Alten Testament, WuD 28 (2005) 11–25 Schottroff, W., „Gedenken“ im Alten Orient und im Alten Testament. Die Wurzel zākar im semitischen Sprachkreis (WMANT 15), Neukirchen-Vluyn 1964 –, Art. pāqad, THAT 2 (51995) 466–486 – / Kleinknecht, K. Th., Art. Gedächtnis, NBL 1 (1991) 753–755 Schreiner, J., Gastfreundschaft im Zeugnis der Bibel, TThZ 89 (1980) 50–60 Schreiner, St., Kalif Gottes auf Erden. Zur koranischen Deutung der Gottebenbildlichkeit des Menschen, in: Mittmann-Richert u. a. (Hg.), Mensch (FS Lichtenberger) (→ 1: Sammelbände), 25–37 Schroer, S., In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testa ment (OBO 74), Fribourg / Göttingen 1987 –, Feministische Anthropologie des Ersten Testaments, lectio difficilior 1 (2003) (www. lectio.unibe.ch/03_1/schroer.htm) –, Beobachtungen zur Aktualisierung und Transformation von Totenweltmythologie im alten Israel, in: Irsigler (Hg.), Bildsprache (→ 1: Sammelbände), 290–317 –, Häusliche und außerhäusliche religiöse Kompetenzen israelitischer Frauen. Am Beispiel von Totenklage und Totenbefragung, in: Klinger u. a. (Hg.), Haushalt (→ 1: Sammelbände), 9–34 –, Trauerriten und Totenklage im Alten Israel. Frauenmacht und Machtkonflikte, in: Berlejung / Janowski (Hg.), Tod (→ 1: Sammelbände), 299–321 –, Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Texten, in: Fischer u. a. (Hg.), Bibel (→ 1: Sammelbände), 36–62 –, Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Metaphern, in: Maier / Calduch-Benages (Hg.), Bibel (→ 1: Sammelbände), 123–152 –, Grundlinien hebräischer Anthropologie, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 1: Sammelbände), 299–309
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Seit 2018/19 erschienene Literatur Mit dem Verweispfeil (→) + anschließender Nummer wird auf denjenigen Abschnitt der Bibliographie verwiesen, in dem der vollständige Titel zu finden ist.
1. Handbücher und Lexika Balentine, S. E. (ed.), The Oxford Handbook of Ritual and Worship in the Hebrew Bible, New York/NY 2020 Berner, C. / Schäfer, M. / Schott, M. / Schulz, S. / Weingärtner, M. (ed.), Clothing and Nudity in the Hebrew Bible. A Handbook, London / New York 2019 Betsworth, Sh. / Parker, J. F. (ed.), T&T Clark Handbook of Children in the Bible and the Biblical World, London 2019 Dietrich, J. / Grund, A. / Janowski, B. / Neumann-Gorsolke, U. (Hg.), Handbuch Altes Testament, Tübingen 2023 (HAA) Fuchs, M. (Hg.), Handbuch Alter und Altern. Anthropologie – Kultur – Ethik, Stuttgart 2021 Kynes, W. (ed.), The Oxford Handbook of Wisdom and the Bibel, New York/NY 2021 Pfoh, E. (ed.), T&T Clark Handbook of Anthropology and the Bible, London / New York / Oxford / New Delhi / Sydney 2023
2. Sammelbände und Festschriften Bachmann, V. / Schellenberg, A. / Ueberschaer, F. (Hg.), Menschsein in Weisheit und Freiheit (FS Th. Krüger) (OBO 296), Leuven / Paris / Bristol,CT 2022 Becker, P. / Jöris, St. / Meurath, A. (Hg.), Die Seele. Genese, Vielfalt und Aktualität eines vergessenen Konzepts (QD 318), Freiburg / Basel / Wien 2021 Berlis, A. / Frettlöh, M. L. / Noth, I. / Schroer, S. (Hg.), Die Geschlechter des Todes. Theologische Perspektiven auf Tod und Gender, Göttingen 2022 Bindrim, D. / Grunert, V. / Kloß, C. (Hg.), Erotik und Ethik in der Bibel (FS M. Oeming) (ABG 68), Leipzig 2021 Cook, J. / Rösel, M. (ed.), Toward a Theology of the Septuagint (SBLSCS 74), Atlanta/GA 2020 Dietrich, W. (Hg.), Die Welt der Hebräischen Bibel. Umfeld – Inhalte – Grundthemen, Stuttgart 22021 Funkt, B.-Chr. / Melzer-Azodanloo, N. (Hg.), Arbeit in Würde (FS G. Löschnigg), Wien 2019 Gärtner, J. / Schmitz, B. (Hg.), Resilienznarrative im Alten Testament (FAT 156), Tübingen 2022
802 Seit 2018/19 erschienene Literatur Gesche, B. / Lustig, Chr. / Rabo, G. (ed.), Theology and Anthropology in the Book of Sirach (SBLSCS 73), Atlanta/GA 2020 Grund-Wittenberg, A. (Hg.), Religionspraxis und Individualität. Die Bedeutung von persönlicher Frömmigkeit und Family Religion für das Personkonzept der Antike, Leiden 2021 Held, M. / Roth, M. (Hg.), Was ist Theologische Ethik?, Berlin 2018 Kipfer, S. / Hutton, J. M. (ed.), The Book of Samuel and Its Response to Monarchy (BWANT 228), Stuttgart 2021 Körting, C. / Kratz, R. G. (Hg.), Fromme und Frevler. Studien zu Psalmen und Weisheit (FS H. Spieckermann), Tübingen 2020 Liess, K. / Schnocks, J. (Hg.), Gegner im Gebet. Studien zu Feindschaft und Entfeindung im Buch der Psalmen (HBS 91), Freiburg / Basel / Wien 2018 Linter, M. M. (Hg.), Mensch – Tier – Gott. Interdisziplinäre Annäherungen an eine christliche Tierethik, Baden-Baden 2021 Michel, A. / Rüttgers, N. K. (Hg.), Jeremia, Deuteronomismus und Priesterschrift (FS H.‑J. Stipp) (ATSAT 105), St. Ottilien 2019 Müller, A. / Velten, H. R. / Weber, R. (Hg.), Zwischen Ehre und Schande. Praktiken und Narrative vormoderner Männlichkeiten, Heidelberg 2021 Neumann, Chr. (ed.), Old Age from Antiquity to Early Modernity. Case Studies and Methodological Perspectives (Online-Schriften des DHI Rom. Neue Reihe / Pubblicazioni online del DHI Roma. Nuova serie), Rom 2022 Oberdorfer, B. / Söding, Th. (Hg.), Wachsende Zustimmung und Offene Fragen. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre im Licht ihrer Wirkung (QD 302), Freiburg / Basel / Wien 2019 van Oorschot, J. / Wagner, A. (Hg.), Perfektion und Perfektibilität in den Literaturen des Alten Testaments. Ein Blick auf Konzepte und Gegenkonzepte in den alttestamentlichen Literaturen (VWGTh 63), Leipzig 2020 Pfleiderer, G. / Evers, D. (Hg.), Sünde, Schuld, Scham und Personale Identität (VWGTh), Leipzig 2020 Schellenberg, A. / Krüger, Th. (ed.), Sounding Sensory Profiles in the Ancient Near East (ANEM 25), Atlanta/GA 2019 Wick, P. / Cramer, O. (Hg.), Alter(n) in der Bibel. Exegetische Perspektiven auf Altersdiskurse im Alten und Neuen Testament, Stuttgart 2021
3. Kommentare Böhler, D., Psalmen 1–50 (HThK.AT), Freiburg / Basel / Wien 2021 Witte, M., Das Buch Hiob (ATD 13), Göttingen 2021
4. Antike Quellentexte Weissenrieder, A. / Dolle, K. (Hg.), Körper und Verkörperung. Biblische Anthropologie im Kontext antiker Medizin und Philosophie. Ein Quellenbuch für die Septuaginta und das Neue Testament (FOSUB 8), Berlin / Boston 2019
5. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 803
5. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel Albertz, R., Welche Art von Individualität förderte die altisraelitische Familienreligion?, in: Grund-Wittenberg (Hg.), Religionspraxis (→ 2), 133–151 Altmann, P. / Al-Souadi, S., Essen und Trinken (LWB), Gütersloh 2019 Assmann, J., Religion, Staat, Kultur. Altägypten und der Weg Europas, Freiburg 2021 Bauks, M., Gab es einen Seele-Begriff im Alten Orient und im Alten Ägypten?, in: Becker u. a. (Hg.), Seele (→ 2), 45–66 –, Man ist, was man isst. Ein kulturgeschichtlicher Blick auf Esskulturen rund um die Hebräische Bibel, BiKi 75 (2020) 12–20 Berlejung, A., Art. Clothes/Clothing and Nudity, EBW 164–182 Böhme, R., Resilienz. Die psychische Widerstandskraft, München 2019 Böhmisch, F., Anthropologie bei Ben Sira im Zusammenspiel von lb, npš und jṣr, in: Gesche et al. (ed.), Theology (→ 2), 37–55 Bojowald, St., Das Tor als Gerichtsstätte im alten Ägypten und in Israel, ZAR 27 (2021) 243–246 Bosworth, D. A., House of Weeping. The Motif of Tears in Akkadian and Hebrew Prayers, Atlanta/GA Burgh, Th.W., Art. Music, Musical Instruments, EBW 676–686 Dällenbach, U., Schlaf und Schlaflosigkeit im Alten Testament und seinen Nachbarkulturen (BWANT 216), Stuttgart 2029 Dietrich, J., Welterfahrung. Zum erfahrungsgesättigten und denkerischen Erfassen der Welt im Alten Testament, in: ders., Hebräisches Denken. Denkgeschichte und Denkweisen des Alten Testaments (BThSt 191), Göttingen 2022, 69–97 Domschke, K., Angst in der Kunst. Ikonografie einer Grundemotion, Stuttgart 2019 Eisele, W. / Gross, W., Vom Schlag getroffen. Krankheit in der Bibel, ZME 68 (2022) 237– 249 Erbele-Küster, D., Biblische Anthropologie und Ethik, in Held / Roth (Hg.), Theologische Ethik (→ 2), 339–351 Etzelmüller, G., Gottes verkörpertes Ebenbild. Eine theologische Anthropologie, Tübingen 2021 Faust, A., Art. House/s, EBW 395–408 Fischer, I., Ungestörte, egalitär gelebte Geschlechtlichkeit. Rekurs auf Konrad Schmids These „No sex in paradise“, JBTh 33 (2018) 13–22 –, Verhältnis der Geschlechter, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 315–331 –, Liebe, Laster, Lust und Leiden. Sexualität im Alten Testament (ThInt 5), Stuttgart 2021 –, Arbeit und arbeitsrechtliche Regelungen in alttestamentlichen Texten, in: Funk u. a. (Hg.), Arbeit (→ 2), 1152–1163 Frevel, Chr., „Du machtest mich stark wie einen Wildstier“ (Ps 92,11), in: Gärtner / Schmitz (Hg.), Resilienznarrative (→ 2), 203–235 Frevert, U., Mächtige Gefühle. Von A wie Angst bis Z wie Zuneigung. Deutsche Geschichte seit 1900, Frankfurt a. M. 2020 Gärtner, J., Vom Tod zum Leben. Das Danklied als Ort theologischer Reflexion, ThLZ 143 (2018) 1211–1226 Gebauer, G., Wie wird man ein Mensch? Anthropologie als Grundlage der Philosophie, Bielefeld 2021 Gies, K., Anthropologie des Alten Testaments (UTB 5997), Paderborn 2023
804 Seit 2018/19 erschienene Literatur Gräßler, N., „Verhülle nicht dein Gesicht vor mir – Konzepte von Gesicht und Wahrnehmung im alten Ägypten, ZÄS 148 (2021) 65–82 Grohmann, M., Metaphern für Fehlgeburt in den Psalmen, lectio difficilior 2019, Heft 2 Grund-Wittenberg, A., „Gut ist es, zu danken.“ (Ps 92,2). Lobdank als Grund und Ziel des Betens in den Psalmen, JBTh 32 (2019) 33–50 –, „… so sollst du geben Auge für Auge, Zahn für Zahn“. Vergeltung als Prinzip der Strafe im Alten Testament? in: dies., Lebenswelt und Gemeinschaft. Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments (BThSt 83), Göttingen 2019, 174–220 –, Is There Somebody In There? Soliloquy in the Psalms, Bib. 100 (2019) 481–505 –, „Ich rede vor Königen von deinen Bestimmungen und schäme mich nicht“ (Ps. 119,46). Zu Scham und Personkonzept im Alten Testament, in: Pfleiderer / Evers (Hg.), Sünde (→ 2), 143–162 –, „Mein Gott, niedergebeugt über mir ist meine næpæš.“ (Ps 42,7) Persönliche Frömmigkeit und die Artikulation des „Inneren“ im alten Israel, in: dies. (Hg.), Religionspraxis (→ 2), 105–131 Habermas, J., Auch eine Geschichte der Philosophie, Bd. 1, Berlin 2019 Hartenstein, F., Jenseits von Sünden und Schuld. Zur Bewältigung des unerklärlichen Leidens in den Psalmen 6, 13 und 22, in: Gärtner / Schmitz (Hg.), Resilienznarrative (→ 2), 167–201 –, „May My Musings Please Him“ (Psalm 104:34). On the Transformation of Inner SelfAwareness in Wisdom Psalms, DSD 28 (2021) 299–340 Hieke, Th., „Ihr sollt heilig sein“ (Lev 19,2). Konzepte von Heiligkeit im Alten Testament, ThPQ 167 (2019) 349–356 Huber, M., „Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger“. Biblische Schöpfungstexte als Modelle zur Verhältnisbestimmung zwischen Naturwissenschaften und Theologie, Freiburg 2021 Janowski, B., Konfliktgespräche mit Gott. Eine Anthropologie der Psalmen, Göttingen 62021 –, „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“. Psalm 8 und seine intertextuellen Bezüge, in: ders., Leben in Gottes Gegenwart. Beiträge zur Theologie und Anthropologie des Alten Testaments 7, Göttingen 2021, 3–35 –, „JHWH kennt den Weg von Gerechten“ (Ps 1,6). Der Psalter und das Ethos der Anerkennung, in: ders., Leben, 65–96 –, Der Angst widerstehen. Psalm 22 und der Resilienzbegriff, in: ders., Leben, 139–167 –, Schuld und Versöhnung, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 361–378 –, „Deine Tora ist in meinen Eingeweiden“ (Ps 40,9). Der Psalter und die Entdeckung des „inneren Menschen“, in: Grund-Wittenberg (Hg.), Religionspraxis (→ 2), 169–196 –, Das Alte Testament und die Unterwelt. Kosmologische und anthropologische Aspekte, JBTh 36 (2021) (im Druck) –, Von der „Kehle“ zur „Seele“. Zur Bedeutung und Rezeptionsgeschichte des Begriffs næpæš, EvTh 82 (2022) 176–188 –, Fühlen, Denken, Wollen. Zur Bedeutung des Herzens im Alten Testament und in seiner Umwelt, BN 194 (2022) 3–27 –, Erfahrungswissen und Weltverstehen. Zum „Ordnungsdenken“ in der alttestamentlichen Weisheit, in: N. Schmidt / M. Oeming (Hg.), Hermeneutiken der Weisheit. Interreligiöse Perspektiven auf eine vormoderne Episteme, Tübingen 2023 (im Druck)
5. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 805
–, Biblischer Schöpfungsglaube. Religionsgeschichtliche Kontexte – Theologische Bedeutung – Ethische Perspektiven, Tübingen 2023 Kamlah, J., Art. Tomb/s, EBW 983–1005 Kessler, R., Familie, Sippe, Stamm, in: Dietrich (Hg,), Welt (→ 2), 186–200 Köhlmoos, M., Richtiges Leben, Tun und Ergehen, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 331–346 Krause, J. J., Im Licht des Spatial Turn. Theologische Geographien der hebräischen Bibel, ThQ 201 (2021) 6–19 Krause-Vilmar, K., Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Die ambivalente Beschreibung der Nähe Gottes in Jer 20,7–18 und Ps 139 (WMAN 157), Göttingen 2019 Krüger, Th., Leiden und Tod, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 378–390 Krusche, M., Tempeltheologie, Weisheit und die Frevler in Ps 36, in: Körting / Kratz (Hg.), Fromme (→ 2), 55–75 Kumpmann, Chr., Die Seele in der antiken jüdischen Tradition, in: Becker u. a. (Hg.), Seele (→ 2), 107–133 Lasater, Ph.M., The Heart of Self Formation. The Overlap of Moral Selfhood and Legalities in Ancient Scripural Discourse, DSD 28 (2021) 396–422 Leuenberger, M., Geschlechterrollen und Homosexualität im Alten Testament, EvTh 80 (2020) 206–229 Liess, K., Gottes und der Menschen Gerechtigkeit. Alttestamentliche Perspektiven der Rechtfertigung, in: Oberdorfer / Söding (Hg.), Zustimmung (→ 2), 195–228 –, Kulturen des Alten Orients (Ägypten, Mesopotamien, Israel), in: Fuchs (Hg.), Handbuch (→ 2), 39–49 –, Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Lebensalter und Lebenserwartung im Alten Testament, in: Wick / Cramer (Hg.), Alter(n) (→ 2), 31–57 –, Perspectives on Ageing and Old Age in the Old Testament, in: Neumann (ed.), Old Age (→ 2), Rome 2022 (im Druck) Lilly, I. E., The Corporeality of the Self. The Example of Bitter Nefeš as an Ethnomedical Syndrome, DSD 28 (2021) 396–422 MacDonald, N., The Priestly Vestments, in: Berner et al. (ed.), Clothing (→ 1), 435–448 Marschall, A., A Doe’s Call Grows into Lament. The Comparison with the Doe in Ps 42:1 and its Mening for the Description of the Næpæš, VT 71 (2021) 1–11 Mathys, H., Gottesdienst, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 263–275 Meyer, M. F., Psyche im griechischen Denken, in: Becker u. a. (Hg.), Seele (→ 2), 67–106 Meyer zum Felde, N., Hiobs Weg zu seinem persönlichen Gott. Studien zur Interpretation von Psalmentheologie im Hiobbuch (WMANT 160), Göttingen 2020 Móricz, N., Wie die Verwundeten – derer du nicht mehr gedenkst. Zur Phänomenologie des Traumas in den Psalmen 22, 88, 107 und 137 (FRLANT 282), Göttingen 2021 Naumann, Th., Zwischen Ehre und Schande. Männliche Praktiken im Krieg – Beispiele aus den Königsüberlieferungen des Alten Testaments, in: Müller u. a. (Hg.), Ehre (→ 2), 35 –57 –, „Der König weint“. Das öffentliche Weinen des Königs als Mittel politischer Kommunikation in alttestamentlichen Texten, in: Kipfer / Hutton (ed.), Samuel (→ 2), 243– 280 Neuber, C., Affirmation und Anfechtung. Untersuchungen zu den Reden der Gegner in den Psalmen (HBS 93), Freiburg / Basel / Wien 2019
806 Seit 2018/19 erschienene Literatur Neumann-Gorsolke, U., „Der Gerechte kennt das Bedürfnis seines Viehs“ (Spr 12,10a). Ethische Aspekte des Mensch-Tier-Verhältnisses im Alten Testament, in: Linter (Hg.), Mensch (→ 2), 139–160 Newsom, C. A., In Search of Cultural Models for Divine Spirit and Human Bodies, VT 70 (2020) 104–123 –, The Spirit within Me. Self and Agency in Ancient Israel and Second Temple Judaism, New Haven,CT / London 2021 van Oorschot, J., Anthropologie(n) des Alten Testaments in den expliziten und impliziten Menschenbildern. Eine redaktionsgeschichtliche und interdisziplinäre Aufgabe, ThLZ 145 (2020) 3–16 –, Individuum und Gemeinschaft, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 174–186 Oswald, W., Königtum und Statt, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 200–214 Otto, E., Jenseits der Achsenzeit. Das Achsenzeit-Theorem im Ausgang und mit Blick auf Max Webers Wirtschaftsethik der Weltreligionen, ZAR 25 (2019) 55–92 Pyschny, K., Herausforderung und Potenzial der anthropologischen Wende, ThGl 113 (2023) 91–95 Randriambola-Ratsimihah, H., „Wenn ein Mensch stirbt, lebt er dann wieder auf?“ (Hi 14,14) Zur Frage einer Jenseitshoffnung im hebräischen und im griechischen Hiobbuch (WMANT 153), Göttingen 2019 Riede, P., Kostbarer Boden − liebliches Land. Beiträge zu einer Agrotheologie (fzb), Würzburg 2020 –, Zwischen Mensch und Gott. Psalm 45 und die Bedeutung von König und Königin im Rahmen der judäischen Herrschaftstheologie (WMANT 169), Göttingen 2022 Rosa, H., Unverfügbarkeit, Wien / Salzburg 22019 Sager, D., Die Leidtragenden. Schmerz im Alten Testament (SBS 250), Stuttgart 2022 Saur, M., Dynamische Ordnung. Natur und Schöpfung zwischen physis und ṣædæq, JBTh 34 (2019) 65–90 –, Vom Maß der Zeit. Erleben, Deuten und Gestalten der Zeit im Buch Kohelet, BThZ 37 (2020) 42–58 –, Ṣædæq oder von der Ordnung der Welt, in: Bachmann u. a. (Hg.), Menschsein (→ 2), 379–396 Sauter, G., Seele: geprägte Lebendigkeit, BThZ 34 (2017/18) 308–336 –, Beseeltes Alter. Über Hoffnung und Zuversicht im Spätherbst des Lebens, Gütersloh 2021 Schäfer-Lichtenberger, Chr., Wirtschaft, Stadt und Land, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 214–230 Schaper, J., Elements of a History of the Soul in North-West Semitic Texts. npš/nbš in the Hebrew Bible and the Katamuwa Inscription, VT 70 (2020) 156–176 Schellenberg, A., „Gott schuf den Menschen als sein Bild“ (Gen 1,26) – ist der Mensch damit perfekt(ibel)? Vier Fallstudien zum Zusammenhang von Gottebenbildlichkeit und Perfektibilität in der antiken Diskussion, in: van Oorschot / Wagner (Hg.), Perfektion (→ 2), 41–62 Schmid, K., Die menschliche Sexualität als nachparadiesische Errungenschaft. Gen 2 f als Adoleszenzmythos der Species Mensch, JBTh 33 (2018) 3–12 –, Theologie des Alten Testaments, Tübingen 2019
5. Monographien, Aufsätze, Lexikonartikel 807
–, Wie der Mensch zu Gottes Ebenbild wurde. Demokratisierungsprozesse im antiken Israel, EvTh 82 (2022) 5–18 – / Schröter, J., Die Entstehung der Bibel. Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften, München 2019 Schmid, S., Leben und Loben. Zum Gotteslob in den Korachpsalmen in gesamtbiblischem Horizont, ThBeitr 51 (2020) 347–359 Schmitt, R., Die Religionen Israels/Palästinas in der Eisenzeit, Münster 2020 Schnocks, J., Gewalt und Gewaltüberwindung, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 346–361 Schroer, S., Grundlinien hebräischer Anthropologie, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 305– 315 –, Nackt bin ich aus dem Leib meiner Mutter hervorgekommen, nackt kehre ich dorthin zurück (Hiob 1,21). Religionsgeschichtliche und biblische Blicke auf die Vorstellung von der Erde als Mutter der Toten, in: Berlis u. a. (Hg.), Geschlechter (→ 2), 175–184 Seidl, Th., Allgemeine Klage über Vergänglichkeit oder Bittgebet in individueller Not? Zur kontroversen Auslegung von Psalm 90, in: Michel / Rüttgers (Hg.), Jeremia (→ 2), 233–262 Seo, J., Gottesgegenwart im Tempel. Studien zur Spiritualisierung der Tempeltheologie in den Psalmen 29, 48, 68, 74, 84 und 114 (ABG 71), Leipzig 2021 Shectman, S., The priestly Language of Gender, HEBAI 8 (2019) 416–430 Sitzler, J.‑P., Der Tod in den Weisheitsschriften des Alten Testaments. Eine Untersuchung zu den Büchern Kohelet und Weisheit (ATSAT), St. Ottilien 2019 Smith, M. S., Some Biblical Soul Talk in the Psalms. The Reflexive Self (nepeš), in: Körting / Kratz (Hg.), Fromme (→ 2), 77–86 Spieckermann, H., Jugend – Alter – Tod. Kohelets abschließende Reflexion: Koh 11:7–12:8, VT 70 (2020) 193–208 Steins, G., „Trennen wollen sich all meine Knochen“. Klage und Lob als „eingefleischte“ Theologie, transformatio 2022, Heft 1, 78–96 Tödter, Chr., Hoffnung auf Vollendung. Das Verständnis der Seele in der religiösen Innerlichkeit der Psalmen (ABG 73), Leipzig 2023 van der Toorn, K., Public Self and Private Self in the World of the Hebrew Bible, in: GrundWittenberg (Hg.), Religionspraxis (→ 2), 153–167 Volp, U., „Binde die Gebote auf Deine Seele“. Zum Einfluss anthropologischer Begrifflichkeiten der Septuaginta auf die patristische Ethik, in: Cook / Rösel (ed.), Theology (→ 2), 397–420 Wagner, A., Psalmen als Einübungstext für Resilienz, in: Gärtner / Schmitz (Hg.), Resilienznarrative (→ 2), 291–303 –, Gebet und Gesang, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 289–304 Willi-Plein, I., Opfer und Sühne, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 276–289 Witte, M., Menschenbilder des Sirachbuches, in: Gesche et al. (ed.), Theology (→ 2), 1–36 Zwickel, W., Orte der Heiligkeit, in: Dietrich (Hg.), Welt (→ 2), 248–263
Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen Die bibliographischen Angaben der im Folgenden abgekürzt zitierten Literatur findet man im Literaturverzeichnis (701 ff). Darüber hinaus werden folgende Werke zitiert: Amiet, P. u. a., Handbuch der Formen- und Stilkunde, Stuttgart u. a. 1981 Borchart, I., 10.000 Meisterwerke der Malerei von der Antike bis zum Beginn der Moderne. The New Yorck Project, Berlin 2001 (DVD) Brunner-Traut, E., Gelebte Mythen. Beiträge zum ägyptischen Mythos, Darmstadt 31988 Burkhardt, H. u. a. (Hg.), Das Große Bibellexikon Bd. 2, Wuppertal / Gießen 1988 Koch, K., Die Profeten I. Assyrische Zeit, Stuttgart u. a. 31995 Maser, P. (Hg.), Jüdischer Alltag, Jüdische Feste, Dortmund 21985 Wright, G. E., Biblische Archäologie, Göttingen 1958 Trotz aller Bemühungen konnten die Abdruckrechte für eine Abbildung (Nr. 73) nicht geklärt werden. Ich bitte gegebenenfalls um Rückmeldung.
Umschlagabbildung der Broschurenausgabe / Frontispiz der Leinenausgabe B. Janowski (Entwurf) und F. Lippke (Fotomontage unter Verwendung des Abdrucks eines Rollsiegels). Rollsiegel (No. 89110) Ende des 3. Jahrtausends v. Chr.: © The Trustees of the British Museum. All rights reserved.
Abbildungen Haupttext 1 Wilson, Eroberung, 47 Abb. 4.1 (Abdruckgenehmigung durch Thames & Hudson, London) ◆ 2 B. Janowski ◆ 3 Keel u. a., OLB 1, 46 Abb. 5 ◆ 4 Keel u. a., OLB 1, 55 Abb. 6 ◆ 5 B. Janowski ◆ 6 B. Janowski. ◆ 7 B. Janowski ◆ 8 B. Janowski ◆ 9 B. Janowski ◆ 10 Schroer / Zimmermann, Art. Geburt, 187 Abb. 1 ◆ 11 Keel / Staubli, „Flügel“, 28 Abb. IIc ◆ 12 Keel, Bildsymbolik, 297 Abb. 428 ◆ 13 Schroer, Trauerriten, 309 Abb. 3 ◆ 14 B. Janowski ◆ 15 B. Janowski ◆ 16 B. Janowski ◆ 17 B. Janowski ◆ 18 Keel, Bildsymbolik, 313 Abb. 447 ◆ 19 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 52 Abb. 3c ◆ 20 Kunz-Lübcke, Kind, 188 Abb. 36 ◆ 21 Staubli, Amulette, 103 Abb. 12 (Zeichnung B. Connell) ◆ 22 Amiet u. a., Handbuch, 378 Abb. 171 und 379 Abb. 175 ◆ 23 Keel / Uehlinger, Göttinnen, 243 Abb. 221 ◆ 24 B. Janowski ◆ 25 B. Janowski ◆ 26 B. Janowski ◆ 27 B. Janowski ◆ 28 Privatbesitz E. Gräb-Schmidt, Tübingen (Foto Chr.P. Stritzelberger) ◆ 29 B. Janowski ◆ 30 B. Janowski ◆ 31 B. Janowski ◆ 32 Keel, Bildsymbolik, 88 Abb. 128 ◆ 33 B. Janowski ◆ 34 B. Janowski ◆ 35 Keel, Bildsymbolik, 80 Abb. 112 ◆ 36 Keel, Geschichte Jerusalems, 432 Abb. 308 ◆ 37 Weippert, Art. Kleidung, 187 Abb. 44 ◆ 38 B. Janowski ◆ 39 Smelik, Dokumente, 26 Abb. 3 ◆ 40 B. Janowski ◆ 41 Keel, Bildsymbolik, 87 Abb. 127 ◆ 42 Janowski u. a. (Hg.), Gefährten, 64 ◆ 43 B. Janowski ◆ 44 B. Janowski ◆
810 Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen 45 Schroer / Keel, IPIAO 1, 255 Abb. 151 ◆ 46 Deutsche Bibelgesellschaft (Zeichnung TBB 892) ◆ 47 B. Janowski ◆ 48 B. Janowski ◆ 49 B. Janowski ◆ 50 B. Janowski. ◆ 51 B. Janowski ◆ 52 Maser (Hg.), Alltag, 57 ◆ 53 B. Janowski ◆ 54 Weippert / Weippert, Mensch, 449 Abb. 22 ◆ 55 Keel / Uehlinger, Göttinnen, 209 Abb. 200b ◆ 56 B. Janowski ◆ 57 B. Janowski ◆ 58 B. Janowski ◆ 59 Keel, Bildsymbolik, 318 Abb. 456 ◆ 60 Keel, Bildsymbolik, 325 Abb. 470 ◆ 61 Keel, Bildsymbolik, 305 Abb. 438 und 307 Abb. 439a ◆ 62 Keel, Bildsymbolik, 128 Abb. 195 ◆ 63 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 262 Abb. 41c ◆ 64 B. Janowski ◆ 65 B. Janowski (Entwurf) und F. Lippke (Ausführung) ◆ 66 B. Janowski ◆ 67 B. Janowski ◆ 68 B. Janowski ◆ 69 Fritz, Stadt, 53 Abb. 24 (Zeichnung S. Hutzler) ◆ 70 Vieweger, Archäologie, 48 Abb. 34 ◆ 71 Weippert, Palästina, 394 Abb. 4.12 ◆ 72 Schmitt, Mantik, 100 Abb. 3.2 ◆ 73 Wright, Archäologie, 129 Abb. 8 ◆ 74 Dalman, AuS 5, Abb. 77 ◆ 75 Bernett / Keel, Mond, 96 Abb. 1d und 102 Abb. 10 ◆ 76 B. Janowski ◆ 77 Janowski, Logik, 209 Abb. 2 ◆ 78 Janowski, Rettungsgewissheit, 151 Abb. 25–26 ◆ 79 Keel, Bildsymbolik, 34 Abb. 36 ◆ 80 Keel, Bildsymbolik, 19 Abb. 10–13 ◆ 81 Janowski, Logik, 212 Abb. 7 (nach Keel, Welt, 161 Abb. 14) ◆ 82 B. Janowski ◆ 83 Keel, Geschichte Jerusalems, 330 Abb. 233 (Zeichnung L. Ritmeyer) ◆ 84 B. Janowski ◆ 85 B. Janowski ◆ 86 B. Janowski ◆ 87 B. Janowski ◆ 88 B. Janowski ◆ 89 B. Janowski ◆ B. Janowski ◆ 90 B. Janowski ◆ 91 B. Janowski ◆ 92 Burkhardt u. a. (Hg.), Bibellexikon, 749 ◆ 93 B. Janowski ◆ 94 Janowski, Gott, 304 Abb. 32 ◆ 95 B. Janowski ◆ 96 Van den Hout, Art. Ziege, 268 Abb. 1 ( Zeichnung C. Wolff) ◆ 97 B. Janowski ◆ 98 B. Janowski ◆ 99 RBL7, 218 (Zeichnung Th. Schwarz) ◆ 100 B. Janowski ◆ 101 B. Janowski ◆ 102 B. Janowski ◆ 103 Utzschneider, Raum, 29 Abb. 8 (mit freundlicher Genehmigung der W. Kohlhammer GmbH) ◆ 104 Keel / Uehlinger, Göttinnen, 299 Abb. 263 a–b ◆ 105 B. Janowski ◆ 106 Salo, Königsideologie, 115 Abb. 6 ◆ 107 B. Janowski ◆ 108 B. Janowski ◆ 109 B. Janowski ◆ 110 B. Janowski ◆ 111 B. Janowski ◆ 112 B. Janowski ◆ 113 B. Janowski ◆ 114 B. Janowski ◆ 115 B. Janowski ◆ 116 B. Janowski.
Abbildungen Quellenanhang 117 Keel, Bildsymbolik, 227 Abb. 334 ◆ 118 Keel, Bildsymbolik, 177 Abb. 270a ◆ 119 Schroer, IPIAO 3, 185 Abb. 703 ◆ 120 Keel, Bildsymbolik, 268 Abb. 391 ◆ 121 Keel, Bildsymbolik, 66 Abb. 88 ◆ 122 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 277 Abb. 44a ◆ 123 Keel, Böcklein, 49 Abb. 6 ◆ 124 Brunner-Traut, Mythen 73 ◆ 125 Keel, Bildsymbolik, 298 Abb. 429 ◆ 126 Zeichensatz GlyphBasicA ◆ 127 Bayer, Echnaton, 101 ◆ 128 Junge, „Land“, 29 Abb. 19 ◆ 129 Bayer, Echnaton, 106 Abb. 1 ◆ 130 Kampp-Seyfried, Re-Harachte, 124 Abb. 2 ◆ 131 Hornung, Totenbuch, 256 Abb. 66 ◆ 132 Pezzoli-Olgiati, Gegenwelt, 388 (Zeichnung U. Zurkinden-Kolberg) ◆ 133 Keel, Bildsymbolik, 249 Abb. 362 ◆ 134 Schroer / Keel, IPIAO 1, 297 Abb. 199 ◆ 135 Keel, Bildsymbolik, 14 Abb. 3 ◆ 136 B. Janowski ◆ 137 Keel, Bildsymbolik, 267 Abb. 390 ◆ 138 Staubli / Schroer, Menschenbilder, 234 Abb. 36c ◆ 139 Wiggermann, Mythologie, 122 Abb. 11c ◆ 140 Keel, Bildsymbolik, 17 Abb. 8 ◆ 141 B. Janowski (Entwurf) und F. Lippke (Fotomontage unter Verwendung von Keel, Geschichte Jerusalems, 280 Abb. 157) ◆ 142 Keel, Geschichte Jerusalems, 279 Abb. 156 ◆ 143 Janowski, næpæš, 95 Abb. 2 (Zeichnung K. Reczuch) ◆ 144 Schroer / Keel, IPIAO 1, 97 Abb. 45 ◆ 145 Smelik, Dokumente, 139 Abb. 19 ◆ 146 Keel / Uehlinger, Göttinnen, 71 Abb. 65 ◆ 147 Keel, Geschichte Jerusalems, 278 Abb. 154 ◆ 148 Janowski (Hg.), Der ganze Mensch, 17 ◆ 149 Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 4, 30 Abb. 31–32 ◆ 150 Kilwing, næpæš, 388 (nach E. Rohde) ◆ 151 Zwickel, Iconography, 110 Abb. 8 ◆ 152 Erlemann u. a. (Hg.), NTAK 4, 32 Abb. 3 ◆ 153 Stähli, Synagogenkunst, 56 ◆ 154 Weippert / Weippert, Mensch, 438 f Abb. 1–6.
Nachweis zu den Abbildungen und Skizzen 811
Abbildungen Zwischentitel Die im Folgenden genannten römischen Ziffern beziehen sich auf die Kapiteleinteilungen im Inhaltsverzeichnis. I Vgl. Abb. 148 ◆ II Schroer / Keel, IPIAO 1, 93 Abb. 39 ◆ III Vgl. Abb. 23 ◆ IV Deutsche Bibelgesellschaft (Zeichnung TBB 597) ◆ V Finkelstein / Silberman, Posaunen, 41 Abb. 2 ◆ VI Koch, Profeten I, Umschlagbild (mit freundlicher Genehmigung der W. Kohlhammer GmbH) ◆ VII Borchart, Meisterwerke, Nr. 6843.
Register 1. Stellen a) Altes Testament Genesis 1–11 1,1–2,3 1,1–31 1,1–5 1,1–3 1,3–5 1,5 1,14–19 1,14.17 f 1,20–31 1,26–28 1,26 f 1,27 1,29 f 2,2 f *2,4b–8,22 *2,4b–4,26 2,4b–3,24 2,4b–25 2,4b–7 2,5 f 2,7 2,16 f 2,18–25 2,18 2,19 f 2,20 2,21–23
36, 134, 441 72, 99, 134161, 247, 253, 298, 362, 388 ff, 424, 427 f, 442 f, 456, 459 393 ff 443 393 64, 72 386 389 f, 451 444 427 15, 52, 134161, 423 ff, 428, 431, 473, 476, 652, 697 99 f, 43036, 465 98 ff, 107 249, 428, 430 238, 252 ff, 451, 719 99 ff, 240 ff 432 ff, 439 f 100, 242, 432 ff 100 ff 240 ff 241 38, 49 ff, 60, 79 f, 91, 94, 100 f, 103, 241, 541, 584 f, 670, 702, 716 101, 241, 432 ff 101 ff, 107 104, 106, 705 73 101, 104 ff 103, 670
2,23 2,24 3,1 ff 3,16 3,17–19 3,19 3,22 ff 4,3–5 4,10–14 5,1–32 *6,5–9,29 *6,5–8,22 6,5–8 6,6b 6,9–22 6,11–13 8,20–22 8,21 f 8,22 9,1–7 9,5 f 9,8–17 9,8–11 9,8–10 12–36 12,1 12,7 12,13 13,8–11 16,15 f 17,17 18,1–8 18,1–3 18,11–15 19,*1–29
73, 100, 298, 432 103, 119, 167, 432 100 107, 115, 345, 435 115, 242, 345, 435 51 ff, 79, 235, 242, 320, 565 100 435 437 134 428 241, 423, 437, 618, 654 159, 437 ff 654 440 430 438 ff 241 f, 331 f 22, 379 f, 397 428 ff 423 430 f, 440 431 57 70, 286 f, 357, 544 103 354 57 335 f 73 f 171 f 205, 277, 314 292 171 f 277
814 Register 19,15 f 19,23–26 21,5 f 22,1 f 24,1–67 24,1–9 24,66 f 25,7–11 28,19 29,9 f 29,15–30 32,4–22 32,14–33,7 32,21 33,1–3 33,4 35,16–20 35,18 37–50 38,8 42,24 43,30 f 45,14 f 50,1 ff.15 ff.18 ff 50,22–26
277 f 277 172 287 168 121 122 83, 551 73 112 120, 168 150, 292 f 150 150, 456 f 293 294 75 53 f 441 220 f 172 f, 687 173 174 173 286
Exodus 1–15 1,15–22 2,16–19 3 3,6 12,1–14 12,3–13,22 f 15,26 *19,1–40,35 19,16–19 20,8–11 20,9 f 20,10 20,11 20,12 20,22–26 *20,24–23,19 20,24–26
355 ff 70, 165 112 545 299 408 124 184, 187, 704 447 300 247, 251 f 237 f 247, 253 ff 238, 253 f, 411 136 ff, 216, 706 314 194, 206, 263, 268 313, 316, 319, 493
21,15 21,17 21,22–25 22,15 f 22,20–26 22,25 f 23,1–9 23,9 23,12 24,9–11 *24,15b–40,35 25,17–22 31,17 33,20 34,6 f 34,21 40,34 f
135 ff, 169 136 f, 216, 638 58 122 193 f, 267, 564 222, 263 f 206 f 56, 206 f 246, 251 ff 300 448 ff, 645 415 f 55 299 494, 509 253 450, 455
Leviticus 1–15 1,1–9 2,1 4 f 4,13–21 4,20 9 12,13 16 16,2–28 16,20 ff 16,22 17–26 17 17,11 18,6–18 18,21–23 19,3 19,17 f 19,18 19,33 f 19,34 20,10–21 20,13 20,25 f 22,17–25
99 455 f 58 f 417, 430 f 457 ff 441, 457 417 69, 72 354, 357, 408, 412 ff, 459 412 ff 667 f 418 99, 268, 445 412 58, 416 f 122, 639, 658 119 f 136 ff, 216 169, 229 f, 232 192, 711 169, 207, 229 f 170, 711 122, 639, 658 119 447 312
1. Stellen 815
26,6 f 27,1–8 27,5
249 48 f, 108 108, 127
Numeri 6,22–27 6,24–26 17,13 23,10
184 f 337 354
Josua 411 92 f, 672 481 57
Deuteronomium 1,1–5 1,17 4,11 f.15 ff 5,12–15 5,13 f 5,15 5,16 6,4 f 6,5 6,6–9 6,20–25 8,3 8,7–18 10,12 f 10,17–19 12–26 15,4–6 15,11 16,1–17 16,1–8 16,16 f 16,18–20 21,18–21 22,28 f 24,12 f 24,17 25,4 25,5–10 26,1–11 26,5–9 27,16 28,3–6 29,3
32,49 33,*13–15 34,4
356 30, 270 f 299 251 f 238 253, 409 136 ff, 216, 706, 718 132, 553 ff, 133, 543, 558, 643, 666 124, 131 ff, 556 289 321, 579 319 f 558 207 132, 268 265, 410 264 f 408 408 ff, 419 406 f, 412 269 f 135 122 194, 222 194 239, 246 218, 221, 264 355, 401 ff 401 136, 216 411 f 157
1–24 7,16–18 10,28
353 121 58 f
Richter 4,17–24 9,8–15 19,22–25
206 462 206
Ruth 2,3–18a 2,11 2,14 4,1–5.6–8 4,9–12 4,13–17
257 103 204 f 349 349 f 69, 205
1 Samuel 1,1–8 1,10 f 15,27 f 16,7 16,14–23 18,1–4 20,1 24,5–7 28,3–25
322 f 164 218 f 153 f 178 f 119, 223 f 58 219 f 89 f
2 Samuel 1,26 7,3 9–20 10,3 f 13,1–22 19,*32–41 19,35–38
119 159 552 220 115, 169 81, 587 81
816 Register
1 Könige 1 f 3,9 3,11.14 3,16–28 3,26 5,9 6 f 8,58 19,13 21
552 82, 128, 157, 55341 82 128, 156 128, 165 157 364 f 673 299 240
345 348 150 350
2 Chronik 12,14
159 f
Nehemia 13,15–17
348 f
Hiob 1,13–19 1,21 3 3,3–16 4,7–9 7,17–21 7,17 f 9,22–24 9,24 10,8–13 10,10 15,14 16,12–14 18,4 19,8–10 19,25–27 23,8 f
264 362, 394 f 532 ff 533 534 247, 532, 534 ff 512 529, 535 f 299 536 f 84
Psalmen
2 Könige 4,8–10 7,1 9,30 23,8
24,5–8 26,7 29–30 29,2–6.14.25 30,28–31 38,1–42,6 38,16 ff 42,1–6 42,5 f 42,6.7b–10 42,16 f
47 47, 65, 90 66 ff, 531 67 f 519 529 ff, 580 1, 15, 218 535 537 66 682 579 f 162 57 530 f 531 f 335
1 1,2 1,4 f 2 2,7–9 2,8 f 4,2 4,6 4,7–9 5,9 f 6,2–4 6,6 6,7 f 8 8,4–9 8,5 8,6 f 8,7–9 8,8 f 9,2.14 f 13 13,2 f.6 16,7–9 16,7 18,20 18,21–25 21,2–7 22,10 f 22,15 22,23 f 23
506 490, 506 110 465 f 465 476 176 317, 489 f 14 560 187 508 f, 644 172 13 ff, 476 ff, 529 ff, 567 ff, 579 f 567, 579 f 1, 3, 38, 529 f, 553, 568 218, 426, 473, 476 ff, 530 476 ff 479 288 283, 303, 503 ff 155.558 12, 558 162 176 524 f 477 f 70 f, 110, 165 175, 492, 558 289 247, 323 ff
1. Stellen 817
23,1b–3 23,5 f 25,17 30 30,6 31 31,7–9 31,10 f 33,13–15 36 36,2–5 36,2 36,6 f 36,7 36,8–10 38 38,7–9 38,11 38,14 f 40 40,6–11 40,9 41 41,2–4 41,5–11 42,2–4 46,2–8 48,2–4 48,5–8 48,9 51 51,9–14 51,12 51,15–19 51,19 51,21 54,6 55 55,16 55,21 f 55,24 62,5 63,2–5 64,7 65 69
56 207 176 303, 506 ff 510, 608 177 177 559 163 370 ff 160 560 331, 373 645 373 f 180 ff 156 175 298 490 ff 318 f, 491 f 559 186 ff 56 72, 187 300 f 362 299 176 299 480, 482, 490, 493 ff 496 559 497 317, 490, 498 317, 490 18 226 ff 82 159 f 82 560 400 560 472 212 ff
69,2 f 69,11–13 69,15 f 70 71,5 f 71,17–21 72 72,1 f 72,6 f.16 73 73,21 f 73,23 ff 77,10 78,1–6 78,62–64 82 82,2–4 84 84,3 85 85,11–14 88 88,4–*10 88,4 88,11–13 90,3–10.11 f 90,12 91,5 f 95,1 f 96,11–13 102 102,24 f 103,1b–2 103,14 104,14 f 104,19–23 104,22 f 104,27–30 104,29 118,5 119,108 123,3 f 130,1 f 139 139,1b–6 139,13–16
502 348 502 304 f 164 f 80 f 265, 462, 465 ff 458, 470 668 516 ff 12, 161, 559 93 165 288 123 195, 266 f, 468, 564 f 564 f 398 ff 14928 472 472 513 ff 513 f 84, 92 509 565 f 157 177 19727 340 185 f 82 56, 559 53 244 347, 390 f 244 52 53, 79 176, 51043 317, 490 84 501 61 ff 335 164 f
818 Register 139,13 f 139,15 141,2 143,11 144,3 f 146,1 f 150
559 164 317, 490 57 529, 553, 580 309 308 f, 506
Sprüche 3,19a 4,25 6,12–15 6,16–19 6,20–24 6,23 7,1–4 8,22 f 8,35 f 10,1–22,16 10,2b 10,7 11,17–21 11,31 12,10–12 12,10 12,14 13,13.21 13,25 14,19–24 15,14 15,30 16,23 f 17,13 18,20 f 19,26 20,12 20,20 21,21 22,8 22,22 f 23,15 f 23,16 23,22 24,1 f 24,17
362 153 153, 211 212 129 ff 130 130 337 57 521 f, 528, 551 528 72 130 f 525 f 238 f 165, 246 526 525 f 56 224 f 157 153 143, 522, 562 f 230 281 136 301 f 136 131 523 f 262 161 12 136 159 f 232
24,23b–25 25,17–19 25,21 f 25,22 26,13–16 26,18 f 26,24 f 26,27 28,18 28,24 30,7–9 30,11.17 31,10–31
270 f 224 f 230 ff, 598 f 600 250 225 158 523 f 524 f 136 320 136 112 ff
Prediger 1–3 1,3–11 1,4 1,5 1,11 1,12–2,26 2,22 f 2,24 3,1–9 3,1 3,11 3,20 f 3,20 4,1–6,9 4,7–12 4,9–12 4,10.12 5,9–11 6,10–12 7,25–29 11,9–12,8 12,5.7
380 ff 382 ff, 714 621 695 589 105 ff 250 f 106 380 ff 377, 380 382 80, 565 53 105 ff 105 ff 106 f, 689, 691 640 264 f 581 11473 77 ff, 94 79 f
Hohelied 2,13b–14 2,16 4,1–7 4,3 f 5,10–16
117 119 115 ff 118 f 116, 118 f
1. Stellen 819
5,12 f 7,2–7
119 115 f
Jesaja 1,2–2,5 1,9 f 1,21–26 5,14 6,1–7 *7–11 7,14 9,1–6 11,1–5 11,3 f 11,6–8 11,6–9 38,10 40–55 40,21–24 42,1–4 42,10 44,23 45,1 45,18 f 50,7–9 51,9 f 52,7–10 52,7 f 52,13–53,12 53,4–6 53,9 f
278 f 278 275 ff 55 362 f, 365 ff, 545 473 ff 473 f 474 470, 474 ff 476 249, 700 247 ff 82 479 ff 368 ff 483 ff 488 340 473 394 f 483 337 401 150 f 483 ff 487 479
Jeremia 1,5 4,19 4,23–28 9,16–21 16,5–7 17,19 f 19,1 f.10 f 20,12 31,33 32,6–15
164 f 166, 492 392 ff 111 f 86 f 348 295 f 162 492 240
Klagelieder 1,4 1,20 3,13
400 f 318, 492, 560 162
Ezechiel 4,1–3 6,8–10 11,19 f 36,24–28
296 f 498 495 f 495 f
Hosea 2,4 12,7
124 198
Amos 1,3–2,16 2,6–8 5,1–17 5,7 5,*21–27 5,23 f 6,1–7 6,4 6,6 6,12 8,4–7 8,5 9,2–4
260 218, 221 f, 260 f 272 ff 274 f 195, 274 f, 315 f 274 f 258 f 239 258 f 274 f 261 f 642 677
Jona 2,6
55
Micha 1,8 2,1–3 6,1–8 6,8 7,1–7
87 259 f 195 ff 1, 38, 191, 195 ff, 203, 208 f, 541, 564, 580 f 208 ff
820 Register
Nahum 2,11
175 f
Habakuk 2,6b–9 3,16
259 176
563 f
b) Apokryphen und Pseudepigraphen Tobit 4,3 f 4,5–11.16 8,5b–9
706, 708 708 707
Sapientia Salomonis 7,1–6 8,19 f 9,14 f 17,12–15
682, 703 59 f 59 f 177, 705 f
708 ff 228 712 f 65 683, 704 385, 714
Testamente der zwölf Patriarchen Test XII.Is 7,6
Maleachi 2,3–7
37,1–6 37,2 38,24–34 40,1 40,11 42,15–25
711
c) Antikes und rabbinisches Judentum Qumran CD VI,20–VII,1 711 1QH 11,19–28 582 1QH 20,24–36 702
Mischna Avot 3,1 Avot 5,21 Joma 4,1–2 Joma 5,2 f Joma 6,2–6.8
583 49, 701 f 412, 713 412, 713 412, 713
Talmud Jesus Sirach 3,1–16 6,5–17 6,7–13 11,27–32 12,8 f 16,24–18,14 17,1–10 17,28 f 18,1–14 18,8 ff 19,29 f 25,17–24 25,17 25,24 26,16–18 27,16–21
bSan 91b 706 f 225, 708 f 226 206, 710 f 708 f 581 f 581 f 644 581 582 152 f 707 f 153 100 704 708 ff
703
Midrasch GenR 8,1
702 f
d) Neues Testament Matthäus 5,38–47 6,11
229 320
Lukas 6,27–35 10,25–37 11,3
229 229 320
1. Stellen 821
Römer 10,17 12,18–21
300 232
1 Korinther 12,12–31a
699
e) Frühes Christentum Augustin, Confessiones – XI,14,22–27 377
f ) Koran Sure 2,30–33 Sure 4,43 Sure 5,3–5.6 Sure 5,96 Sure 17,22–39 Sure 21,30–33 Sure 22,5–7 Sure 23,12–16 Sure 32,7–9
719 f 721 721 f 721 f 718 f 722 f 717 716 f 716 f
g) Altorientalische Texte Ägypten Amun-Re-Hymnus 614 Beredter Oasenmann 527, 596 Buch von der Himmelskuh 618 Denkmal Memphitischer 590 Erzählung von Seton Chaemwese 231, 600 Gebetsostrakon Kairo 606 f Großer Amarnahymnus 391, 586, 616 f Großer Chnum-Hymnus 591 Hafnerlied (Neferhotep) 621 „Israel-Stele“ 601 f Kairener Amunshymnus 596 f Kulttheologischer Traktat des Neuen Reichs 613 Lehre des Amenemope 230, 598 f Lehre des Anchscheschonqi 594, 600, 709
Lehre des Ani 230, 586, 588, 593, 597 f, Lehre des Ptahhotep 129, 522, 587, 590, 592 f, 599, Lehre für Merikare 527, 576, 595, 612, Leidener Amunshymnus 72,5 f 607 f Lied des Antef 589 Mythos von der Geburt des Gottkönigs 585, 608 Papyrus Chester Beatty 614, 620 f Papyrus Insinger 584 Papyrus Lansing 602 Prophezeiung des Neferti 618 f Sargtexte Spruch 1130 619 f Sitzfigur Kairo JE 37881 588 Theben Grab 145, 202, 266, 587, 611 f Töpferorakel 620 Totenbuch 600, 603 f, 621 f Urk IV 974 590 f Votivstele des Malers Neb-Re 607 f
Mesopotamien AfO 19,57 644 Atramhasīs-Epos 622 ff, 624 f, 641, 654 ˘ BAM 234 632 f BWL 102 638 Counsels of Wisdom 640 CT 2,35 637 Enūma eliš 625 f, 633, 641 f, 654 f Gebet an Sîn 628 Gilgamesch-Epos 223, 640, 655 Gilgamesch-Fragment 515, 575 Handerhebungsgebet Ištar 2 630 ff, HSS 19, 638 Ištar/Baghdad-Hymnus 629 JCS 21,2 f 657 JEN 59 637 f KAR 4-Mythos 626 KAR 300 638 Kodex Hammurapi 639, 642, 649 Kodex Urnammu 648 Lied zum Neujahrsfest 644 Ludlul bēl nēmeqi 633 f Marduk-Prophetie 657 RS 8.145 638 Selbstprädikation Salmanassars III. 647 Schwarzer Obelisk 650
822 Register Spätbab. Ninurtahymnus 645 Streitgespräch zwischen Schreiber und Aufseher 637 Sultantepe-Tafel 416, 622 Sumerische Königsliste 636 f šumma alamdimmû 152, 629 f Tempelbauhymne des Gudea von Lagasch Zyl. A 645 f Urukagina 648 VTE 640, 643 YBL 4603 627
Kleinasien CT 394 659 f CTH 324. 660 f Hethitische Gesetze 658 KUB 13,3 660 ZA 20, 131 659
Ugarit und Nordsyrien BASOR 356 (2009) 55 f, 663 f KAI 214 664 KAI 223 666 KAI 224 666 f KTU 1.3 III 666 KTU 1.5 I, VI 662, 665 KTU 1.14 I 667 KTU 1.16 I 662 KTU 1.17 I, V, VI 661, 665, 668 f KTU 1.19 II 664 KTU 1.127 667 f KTU 2.23 665 KTU 108 669 RS 1979–25 668
Palästina/Israel (mit Elephantine) Arad-Ostrakon Nr. 40 673 EA 264 677 EA 288 674 Elephantine (Scheidungsurk.) 676 Hirbet Bēt Layy 676, 678 ˘ Hirbet el–Kōm 3 671 f ˘ Hirbet Qeiyafa 675 ˘
Ketef Hinnom 672 Kuntilet ‘Agˇrūd 671, 673 Mesad Hašavyāhū 675 f ˙ Tell˙Dēr ‘Allā 677 Tel Miqne/Ekron 671
h) Klassische Antike Griechenland Aristoteles – De generatione animalium 682 – Nikomachische Ethik 690 f Epikur, Hauptlehren § 2 683 Euripides, Chrysippos-Fragment 683 Heraklit, Fragment B5 695 Herodot, Historien II 680, 695 Hesiod, Erga 689, 692 Homer, Ilias 686 f, 689, 695 Homer, Odyssee 687, 692 f Platon – Apologie 688 f – Phaidon 688 – Phaidros 688 – Protagoras 576 f – Symposion 680 f Rätsel der Sphinx 1, 682 Solon, Alterselegie 679 f Sophokles – Antigone 3 f, 577 ff – König Ödipus 694
Rom Cicero – Ad familiares 700 – Cato maior de senectute 696 – De oratore II 698 f Horaz, De arte poetica liber 696 Livius, Ab urbe condita 699 f Lukrez, De rerum natura 697 Ovid – Fasti 701 – Metamorphosen 696 f Vergil, 4. Ekloge 700
2. Sachen 823
2. Sachen Abend 72, 132, 206, 244 f, 277, 311, 317, 347, 377, 386 ff, 409, 443, 507, 510, 565, 615 Abschied 282 ff, 292 abstrakt/konkret 8, 34 f, 130, 360, 381, 386, 613 Achsenzeit 545 ff Ackerbau 25, 98, 235 ff, 337 ff Ackerboden 50 ff, 73, 79 f, 101, 110, 136, 235, 240 ff, 256, 331 f, 435 ff, 541 Älteste → Lebensalter Ahnen(kult) 45, 83 ff, 286, 345, 515 Alltag(swelt) 27 ff, 47, 107 ff, 283 f, 292, 303 f, 332 ff, 377, 387, 397 ff, 520 f, 528 Almosen 264, 708 „alt und lebenssatt“ 82 ff, 534 ff, 551, 587, 628, 671 Altar 58, 222, 260, 312 ff, 366, 399 ff, 413 ff, 448 ff Alter, Altersschwäche 48 ff, 77 ff, 172, 556, 584 ff, 615, 622 ff, 661 ff, 671 ff, 679 f, 682 ff, 696 ff, 701 f, 704, 717 Amulett 89, 92 f, 125123, 126, 184, 635 f, 651, 672 Anerkennung → Werte Angesicht → Körperorgane Angst → Emotionen Anthropologie (AT) 9 ff, 20 ff, 107, 141, 174, 232, 309 f, 421 ff, 541, s. auch Historische A.; Königtum; Philosophische A.; Priesterschrift; Prophetie; Psalmen; Theologische A.; Urgeschichte; Weisheit – Grundbegriffe 11 f, 17 ff, 41, 50 f, 199, 317 f, 498 – Grundfrage 3 ff, 476, 529, 543 ff, 553 f, 568, 582 f – Konstanten IX, 9, 20, 37 ff, 183, 218, 550 f Arbeit 7, 11, 31,47, 49, 101, 104 ff, 235, 238 ff, 320, 346 f, 388 ff, 396, 551, 604, 626, 641 f, 692, 712, s. auch Prekariat – Arbeit/Ruhe 237 ff, 249 ff, 252 ff, 409 – Arbeitsteilung 38, 98 f, 108 ff, 201, 235, 342 – Arbeitstiere → Tiere
arm, Armut 49, 113, 193 f, 203, 218, 222 ff, 250, 259 ff, 305, 312, 319 f, 387, 466 ff, 596 f, 607, 612, 675, 681, 690, 708, 711 f Artikulation → Sprache Arzt 184181, 562, 704 f Aspektive 14721, 148 Atem 11, 17, 51 f, 55 f, 60, 78 ff, 94, 174, 253, 308 f, 619, 686 Auferstehung 80, 91 ff, 716 f Aufmerksamkeit → Werte Aufrichtigkeit → Werte Auge → Körperorgane Ausland 200 ff, 418, 446, 605, 659, 695 Aussehen 41, 118, 152 ff, 168, 484, 609, 634 Außen(welt) → Innen(welt) Bann 632 f Barmherzigkeit, 87, 113 f, 128, 149, 165, 173, 186, 192 ff, 199, 239, 262, 268, 318 – Erbarmen 438, 468, 470, 491, 493, 564, 581 f, 608, 647, 654, 718, 722 Bauch → Körperorgane Begehren 55 f, 118, 124, 260, 477, 632, 665, 681, 708 Begräbnis, Bestattung 84 ff, 89, 173, 285, 551, 663, 686 Begrüßung 285, 292 ff, 337 Behinderung 127, 183, 591, 698 f Bein → Körperorgane Bekenntnis 289, 319, 401 ff Beleidigung, Beschimpfung → Verletzungsabsicht Beschneidung → Zeugung Beschwörung 184, 627, 636, 646 f, 659 Beter, Beterin 35, 61 ff, 72, 81, 85, 141, 159 f, 165, 176 ff, 207, 211 ff, 227 f, 283 ff, 301, 304 f, 317 ff, 323 f, 370 ff, 400, 490 ff, 566, 569, 629 ff Bett → Haus Bewegung, Beweglichkeit 55, 68, 116, 125, 143 f, 149, 151, 166, 176 f, 179 f, 197, 227, 308 f, 354, 363, 399, 421, 452, 472, 514, 533135, 621, 631 f, 683 – Flucht 62 ff, 81, 175, 226 f, 277, 645
824 Register – Gehen 41, 53 f, 61 ff, 118, 130, 132, 144, 177, 180, 191, 197, 219, 335, 348, 399, 547, 564, 588, 631 f, 676 – Stehen 61 ff, 110, 132, 144, 181, 205, 248, 259, 288, 303, 335, 371, 399, 481, 490, 587, 606, 643 f, 674, 720 Bitte 67, 81 f, 163 f, 172 f, 177, 180 ff, 213 f, 226 f, 266, 283 ff, 302 ff, 313 f, 320, 370 f, 441, 466 ff, 481, 493 ff, 536, 566, 588, 630 f, 644 – Fürbitte 441, 481, 536 Blut 54, 58, 6697, 119, 124, 148, 317, 408, 413, 416 ff, 423, 428 ff, 441, 455 ff, 469 f, 497, 622, 625 f, 693 ff, 703, 721 Böse → Gut Bosheit 129, 153, 159, 228, 241, 437 ff, 654 f, 707 Brot → Nahrung Bruder 75, 105, 112, 115, 121, 150, 168 f, 173 f, 208, 212 f, 221, 224, 229, 241, 265, 292 ff, 322, 349 f, 423, 435 ff, 534, 596, 633, 640, 643, 658, 711 Bund 57, 160, 194 ff, 223 f, 263, 268, 313, 423, 430 f, 440 f, 450, 492, 496, 548, 563, 568, 711 Chaos 25, 67, 329, 351, 355, 359, 362 f, 372, 392 ff, 443, 446, 465, 472, 502, 618 ff, 657, 660 f, 677 f, 689, s. auch Kosmos Charakter → Werte conditio humana 38 f, 45, 237, 241, 250, 423, 505 f, 529, 561 f, 569 Corporate Personality → Person damnatio memoriae → Gedächtnis Dank, Dankbarkeit → Werte Danklied des Einzelnen → Psalmen Demütigung → Verletzungsabsicht Demut → Werte Denken 3, 7 f, 31, 94, 134 f, 143, 149, 152, 154, 156 ff, 352, 378 ff, 388, 404 f, 441, 504, 518, 520, 523, 528, 530, 563, 577 f, 590, 652, 673, 682, 684, 705 Deportation 127 Depression 151, 167, 174, 178 ff, 630, 698 Desintegration 186, 200
Dichotomie 12, 59, 629, 688 Diesseits/Jenseits 91, 93, 329, 511 ff, 621 f Dorf, Dorfkultur VII, 22, 25, 121, 208, 235, 245 f, 341 ff Duft → Riechen Durst 230, 232, 300 f, 304, 373, 400, 601 f, 661 Ehe 7, 102 f, 108 ff, 120 ff, 167 f, 20044, 220 f, 639, 658, 676, 707 f – Schwagerehe → Levirat Ehre 12, 14 ff, 30, 84, 114, 131, 136 f, 211, 215 ff, 294 f, 476 ff, 510 f, 517, 533, 597, 606, 637 f, 674, 688, 706 f, – Ehrengold (Ägypten) 216112, 597 – Elternehrung → Elterngebot – Entehrung → Verletzungsabsicht – Leibesehre 215, 218 – Ruhmesehre 216, 218 – Statusehre 215 f, 218 – Totenehre 216 – weisheitliche Ehre → Weisheit Eifer, Eifersucht 160, 212 f, 474, 516 Eingeweide, Inneres → Körperorgane Einsamkeit/Zweisamkeit 104 ff, 185 f, 306, 363, 483, 513, 547, 600 Ekel 445, 498, 586, 694 Elend 104, 113, 177, 180 ff, 224, 260 ff, 305, 409, 462, 466 ff, 514, 532, 565, 598, 612, 711 Eltern 11, 29, 71, 74 f, 102, 108, 120, 125 f, 129, 133, 135 ff, 211, 216, 289, 410 f, 637 f, 706 f, 718 f – Erzeltern 36, 70, 286, 300, 354, 411, 441, 518, 544 Elterngebot 135 ff, 637 f, 706 f, 718 f – Mesopotamien 637 f Emotionen 144, 151 ff, 166 f, 294, 522, 544, 550, – Lachen/Weinen 167, 170 ff, 210, 381 – Lieben/Hassen 11, 167 ff, 274, 381 – Furcht/Angst 82 f, 151, 155, 166 f, 172 ff, 216, 227, 292, 299, 324, 429 f, 597, 630, 634, 655, 666, 685, 693, 719 Empathie → Werte Empfängnis → Zeugung
Endlichkeit 38 ff, 541, 561, 565 f Entblößung, Entehrung → Verletzungsabsicht Entfeindung → Feind(e) Erbarmen → Barmherzigkeit Erbe, Erbschaft 432, 637 f Erde → Weltbereiche Erdkrume → Staub Erfahrung(swissen) → Weisheit Erfüllung 11, 29, 355 Ergriffenheit → Fest(e) Erinnerung → Gedächtnis Erinnerungslandschaft 352 ff Erkenntnis 5 f, 49, 61 ff, 149, 157, 242, 247 ff, 266, 335, 363, 432 ff, 450, 475, 486, 493 ff, 535, 564 ff, 579, 590, 597 Ernte 22, 201 f, 208, 242 ff, 331 f, 339, 344, 380, 396, 401 ff, 407, 438, 472, 519 f, 523 f, 602, 620, 647, 675, 692 Erotik 115 ff, 167, 550, 593 f Errettung → Rettung Erschöpfung 132 ff, 250, 400, 629 Erwachsene/r → Lebensalter Erzählung 1, 36, 122, 172 f, 204 ff, 282 ff, 287 ff, 352 ff – Erzählgemeinschaft 287 ff – Erzählraum 354 ff Erzeltern → Eltern Erziehung 31, 36, 108, 110, 124 ff, 128 ff, 225, 283 f, 550, 637 – Lehrer 129 ff – Lernen 131 ff – Zucht 17, 130, 181, 485, 517 f, 582 Eschatologie 207, 247 ff, 322, 700 – Tierfrieden → Tiere Essen und Trinken 319 ff, 550 Ethik, Ethos 33 f, 39 ff, 130, 136173, 194 ff, 223, 232, 246, 265 f, 316, 371, 541, 552, 554, 561, 594 ff, 640 ff, 674 ff, 690 f, 699 f, 706, 708 ff, 718 ff Ewigkeit 337, 382 ff, 398, 474, 510 f Exil, Exilszeit 273, 356 f, 370, 457, 473, 545, 553 f, 558 ff, 618, 657 Familie 29, 36, 38, 49, 58, 71, 75 f, 87, 92, 98, 108, 120 ff, 126, 131, 187, 198 ff, 211,
2. Sachen 825
221, 235, 239 f, 245, 256, 259 ff, 286 ff, 322 f, 343, 350, 401 ff, 512, 534, 552 f, 600, 627, 633 f, 671 – Familienreligion 71, 75, 124 f – pater familias 87, 108, 121 f, 124, 269, 323 Fasten 86, 213, 348 Fehlbarkeit → Mensch Feige → Nahrung Feind(e), Feindschaft 11 f, 14, 29, 35, 56, 62 f, 68, 72, 92, 114 f, 130, 155, 162, 169 f, 177, 184 ff, 209 ff, 229 ff, 241, 248 f, 263, 276, 283 ff, 305 f, 324, 435, 464, 467, 488, 503 ff, 511, 536, 560, 598, 604, 640, 650 f, 660, 671, 674, 689, 691, 709 f – Entfeindung 248 f – Feindesliebe 170, 229 ff Fest(e) 22, 29, 289, 308, 314 ff, 378, 386, 390 ff, 397 ff, 512, 550, 554, 563, 576, 596, 605, 610, 616 f, 626, 644, 661, 701, 716 – Ergriffenheit 172, 398, 405 – Festfreude 397 ff – Frühjahrsfeste 34, 406 ff – Fülle 254, 310, 398 f, 405, – Herbstfeste 34, 406 ff Finsternis → Licht Fleisch → Körperorgane Fleiß 74, 113 f Fluch 67 f, 135 f, 331, 435 ff, 560, 706 ff Flucht → Bewegung Frau 11, 29, 38, 40, 61 ff, 86 ff, 98 ff, 153 f, 168 f, 171 f, 193 f, 199 ff, 220 f, 241 ff, 256 f, 291 ff, 309, 321, 346, 550, 594, 621, 658, 669 f, 676, 681, 698, 702 f, 707 f Freiheit 11, 29, 68, 176 f, 254, 432, 631, 645, 648 Fremder/s 20, 30, 55 f, 115, 122, 129, 169 f, 193, 202 ff, 206 f, 218, 229 ff, 237, 252 f, 259, 277, 286, 293, 323, 402, 531 f, 550, 610, 620, 644, 675, 710 ff – Fremdenliebe 169 f, 206 f, 230, 277 Freude 12, 30, 67, 75, 77, 150, 155, 161, 171 f, 207, 397 ff, 477, 494, 506 ff, 576, 605, 612 Freund(e), Freundschaft 159 f, 168, 181 f, 187, 204 ff, 209, 215, 222 ff, 277, 314, 324 f
826 Register Frevel 36, 161, 228, 261, 399, 446, 518, 531, 560 Frieden 187, 235, 247 ff, 348, 363, 381, 410, 472 ff, 563 f – Tierfrieden → Tiere Frucht, Fruchtbarkeit 25, 34 f, 196 f, 275, 319 ff, 329, 337, 362 f, 392 ff, 401 ff, 410 ff, 424, 429, 434 f, 466 ff, 526, 661, 668 Frühjahrsfeste → Fest(e) Fühlen 7 f, 144, 149, 154 f, 163, 166 f, 388, 562 f, 569, 590, 686, 697 Füreinander-Handeln 198 f, 208, 232, 526 ff, 596, s. auch konnektiv Fülle → Fest(e) Fürbitte → Bitte Fürsorge 67, 114, 128, 192, 512, 552, 614, 648 Furcht → Emotionen Fuß → Körperorgane Gabe 60, 89, 126, 138, 199, 254, 264, 298, 314 ff, 373, 398, 403, 407, 410, 435 f, 453, 467, 490, 493, 495, 566, 581, 605, 643, 680, 700 Gast 204 ff, 247 f, 277, 689 – Gastfreundschaft 204 ff, 277, 314, 324, 550 – Gastgeber 206, 277, 323 ff, 374 f – Gastrecht 277, 710 f Gebärden → Gesten Gebeine → Körperorgane Gebet 1, 36, 124, 155, 176, 180, 184, 226 ff, 278, 283 f, 291 f, 302 ff, 494, 497, 501 ff, 603 ff, 643 ff, 659 ff, 667, 676, 692 ff, 713, 720 ff – Gebetshaltung 301 ff, 606, 643, 720 f Geborgenheit 35, 68, 306 Geburt → Zeugung Gedächtnis, Erinnerung 13 ff, 16, 34, 66, 72, 76 f, 87, 158, 197, 207, 216, 252 ff, 287 f, 289 f, 352 ff, 380, 406, 408 ff, 419, 439 f, 454, 508, 509, 527, 530, 547, 569, 589, 705, 708, 714 – damnatio memoriae 72, 76, 216 Gefühle → Emotionen Gegenwart → Zeit
Gegenwelt → Welt Gehorchen → Hören Geist 11 f, 17, 78 ff, 94, 143, 167,178 f, 317, 472, 474 f, 489 f, 493 ff, 670, 679 f, 686, 716 Gelassenheit 385 f Geld 49, 193, 222, 255 ff, 457, 482, 550, 642, 676 Gelübde 48 f, 124, 164, 311, 497, 510, 607, 693 Gemeinschaft 6, 11, 29 ff, 49, 61, 65, 72, 76, 87, 93, 98 ff, 120, 124, 130, 148, 187, 192 ff, 208 ff, 287 ff, 504 ff, 512 ff, 519, 528, 533, 549, 557, 578, 582 f, 618, 627, 631, 693 f, s. auch Zusammenleben Gender, -forschung 19, 98 ff, 34858 Genealogie(n) 38, 68 f, 134 ff Generation(en) 49, 80, 98 ff, 111 f, 121 f, 125 ff, 288 ff, 355 f, 365, 383 ff, 587 f, 621, 636 ff, 679 f, 689, 706 f Genitalien → Körperorgane Geräusche, Lärm 78 f, 125, 166, 176, 274, 308, 315 f, 346, 387 f, 654 Gerechtigkeit 30, 34 ff, 98, 131, 148, 156, 192 f, 195 ff, 249, 255, 266 ff, 289, 315 ff, 331, 370 ff, 421, 462 ff, 519 ff, 541, 544, 560 f, 563 ff, 580, 594 f, 632, 649, 668, 678 f, 690 f, 708 Gericht 120 f, 128, 209 f, 214, 218, 221, 266 ff, 315 f, 349, 393, 430, 463, 474, 489, 496, 498, 521, 563, 603 f, 654 ff, 678 f Geschichte 3, 5, 7 ff, 20 f, 28, 37, 60, 90 f, 107, 133, 176, 193, 242, 256 f, 267, 286 f, 298, 308, 357, 378, 380, 386, 398, 403 ff, 439 f, 445, 505 f, 544, 546, 552, 555 ff, 564, 569 Geschlecht 9, 38, 48, 98 ff, 133 ff, 165, 256, 346, 432, 522, 593 f, 639 f, 658, 707 f Geschöpf, Geschöpflichkeit → Mensch Gestalt 11, 33, 36 f, 112, 116, 152 f, 191, 245, 293, 299, 309, 367, 453, 584 f, 605, 626, 633, 683 Gesten und Gebärden 290 ff – verletzende → Verletzungsabsicht Gesundheit 30, 127, 152, 186, 363 Getreide → Nahrung
Gewalt 82, 92, 115, 127, 141, 159 f, 168 f, 192, 208 f, 227 f, 249, 265 ff, 281, 312, 429 ff, 440, 465 ff, 479, 487 f, 524, 657 f – Vergewaltigung 115, 192 Gewissen 149, 156, 177, 219 Gewissheit 65, 80, 166, 207, 457, 532 Gier 56, 148, 186, 261, 576, 596 Glaube(nswissen) 9, 34, 45, 85, 93, 124, 133, 186, 262, 289, 299 f, 319, 339, 370, 404 f, 410, 431, 447, 465, 474, 493, 509 f, 515 ff, 544, 547 ff, 678, 716 f Glück 105 f, 117, 120, 172, 226, 309, 380, 516 ff, 628, 691, 709 Gnade, Gunst 15, 87, 103, 159, 199, 202 ff, 274, 399 f, 411, 437 ff, 492, 494, 501, 556, 675, 721 f Göttin 163, 359 f, 515, 527, 575, 585, 587, 591, 594 f, 618, 630, 644, 654 f, 666, 694 Gott – Gottesbegegnung 299, 301, 372, 416, 448 ff – Gotteserfahrung 65, 299 f, 547 – Gotteskontakt 300, 305 ff, 644 – Gottesnähe/-ferne 61, 67 f, 188, 324, 374, 391, 400, 410, 416, 512, 519 – Gottesschau 300 f, 321, 399 – Königsgott 34, 195, 299, 362 ff – Kompetenzausweitung 90 ff, 515, 554, 671 Gottebenbildlichkeit 36, 39, 52, 423 ff, 432, 553, – Ägypten 609 ff – Mesopotamien 646 – Rom 697 Gottesknecht 220, 479 ff Grab, Grabbeigaben 22, 78, 80 ff, 111, 201, 231, 245 f, 278, 292, 391, 398, 512 ff, 549 f, 560, 600, 605, 621, 634, 671 f, 678, 683 Greis → Lebensalter Grenze 22, 25, 32, 93, 112, 215, 230, 235, 329, 336 f, 351, 354 ff, 416, 435, 443 ff, 464, 479, 512 ff, 532, 537 Gunst → Gnade Gut und Böse 81, 101, 157, 432 ff, 546, 554, 581
2. Sachen 827
hæsæd → Hingabe ˙ Hässlichkeit 445, 689, 699 Hals → Körperorgane Hand → Körperorgane Handel 31, 113 f, 210, 235, 237, 239, 255 f, 342, 348, 381, 594 Handeln, Handlung 7 f, 16 f, 28 f, 41, 86 f, 110 f, 143 ff, 201 ff, 235 ff, 281 ff, 340, 354 ff, 381 ff, 428, 431, 442, 464 ff, 486 f, 521 ff, 552, 556, 564 f, 590, 595 ff Handwerk 235, 255, 258, 337, 342, 576, 594, 611, 670 Hassen → Emotionen Haus 22, 29, 49, 78 ff, 87, 98 f, 110 ff, 121 ff, 132, 159, 207, 245 ff, 291, 312, 321, 341 ff, 398 f, 594 – Bett 56, 124, 172, 186 f, 632 – Hausgemeinschaft 49, 98, 627 – Haustiere 245 ff, 600 – Vierraumhaus 11057, 245, 256, 341 ff Haut → Körperorgane Hebamme → Zeugung Heil 34, 150 f, 183 ff, 207, 252, 288 f, 380, 404 ff, 421, 439, 462 ff, 506, 523, 592 heilig, Heiligkeit 4, 252 ff, 302 ff, 364 ff, 397 ff, 442, 445 ff, 644 Heiligtum 48, 301 ff, 364 ff, 397 ff, 412 ff, 448 ff, 518, 645, s. auch Tempel Heilung → Krankheit Heimat 67 f Heirat 108 f, 112, 120 ff, 168, 221, 586, 676 Helfer, Hilfe 69, 73, 76, 101, 104 f, 183, 198, 214, 223, 230 f, 355, 470, 585, 637, 704 f Herbstfeste → Fest(e) Herrlichkeit 340, 362, 367, 400, 448 ff, 472, 530, 569, 652 Herrschaft 7, 14 ff, 73, 115, 343, 365, 390, 421, 423 ff, 462 ff, 473 ff, 609 ff, 647 f Herrschaftsauftrag 423 ff Herrschaftslegitimation → König Herz → Körperorgane – Ägypten 522, 587, 589 ff, 603 ff – Herz und Nieren 154 ff, 161 ff – Herzwägung → Totengericht – Mesopotamien 625, 628, 630 f, 666 f
828 Register Himmel → Weltbereiche Himmelsrichtungen 333 ff, 380 – Ägypten 614 f – Mesopotamien 650 ff Hingabe → Werte Hirte 56, 112, 207, 245, 323 f, 427, 576, 581, 601, 612 ff, 649 Historische Anthropologie 9 f, 39 f, 543 Historische Psychologie 8, 19 Hitze 22, 185, 534, 675 Hören und Sehen 11, 17, 297 ff – Auge → Körperorgane – Gehorchen 490, 592 – Gottesschau → Gott – Ohr → Körperorgane – Visionen → Prophet Hoffnung 11, 82, 98 f, 209, 249, 316, 336, 466, 501, 511 ff, 553, 566 Hohepriester → Priester Homosexualität → Sexualität Horizont → Weltbereiche Hunger, Hungersnot 23 ff, 56, 200, 230 ff, 263, 548, 601 ff, 612, 661, 681, 693 Hymnus, Hymnen → Lob Identität 6, 30 ff, 71, 120, 219, 287, 340 – kollektive 30 ff, 133, 370 – personale 30 ff, 148 ff imago Dei → Gottebenbildlichkeit Individualität, Individuum 6, 29 ff, 38, 57 f, 61, 71 f, 106, 148 f, 167, 419, 527, 550, 633, s. auch Person; Selbst Innen(welt)/Außen(welt) 32, 156 ff, 160, 183, 346 ff, 351, 562 – Verinnerlichung 133, 553, 555 ff Insignie(n) → König Inzest 122, 639, 658 Isolation 124, 148, 180 f, 302, 534 Jahr, Jahreszeit(en) 22 ff, 29, 48, 77 f, 81, 83, 242 ff, 329 ff, 377 ff, 397, 404 ff, 406 ff, 459, 578, 589, 634, 644, 679 f, 692, 696, 701 f, 715 f Jauchzen, Jubel 123, 150 f, 285, 292, 308, 340, 397 ff, 597, 605 f Jenseits → Diesseits
Jugendliche → Lebensalter Junge → Lebensalter Kälte 22, 106, 194, 264, 332, 380, 438 Kalender 242 ff, 378 f, 395 ff, 406 ff, 692, 701 Kanon, Kanonisierung 290, 548 f, 565, 606 kapporæt → Sühne Katastrophe(n) 23, 217, 393, 439 f, 457, 465, 488, 618 f, 654, 657, 677 Kehle → Körperorgane Kind(er), Kindheit → Lebensalter – Kindersterblichkeit 110, 126 – Säuglinge → Lebensalter Klage 36, 66 f, 92, 154 ff, 180 ff, 185, 208 ff, 226 ff, 283 ff, 302 ff, 400 f, 503 ff, 527, 655, 662 – Klagefrauen 86 ff, 111, 662 – Totenklage 86 ff, 111, 259 f, 272 f, 510 Klagelied des Einzelnen → Psalmen Kleid, Kleidung 86, 127, 152 f, 194, 207, 215, 218 ff, 239, 260, 263 f, 346, 413, 418, 435, 453, 533, 599, 637 f, 674 – Hohepriester 453 f – Mantel 194, 219, 223 f, 263, 421, 564 – Pfändung 215, 221 f, 675 – Sandalen 222, 260 f, 350 Klima(zonen) 21, 23 ff, 27 f, 397 Klugheit 74, 157, 225, 429 Knecht 30, 81, 89, 479 ff, 536, 568, Knochen → Körperorgane Kochen → Nahrung König, Königtum 13 ff, 33 ff, 75, 90 ff, 128, 194 ff, 219 f, 257 f, 265, 268 f, 350, 362, 365 ff, 425 f, 462 ff, 533 f, 544, 551 f, 613, 627 f, 636 ff, 645 ff, 668 f, 677 – Anthropologie 421, 462 ff – Insignien 464, 476 – königlicher → Mensch – Königsgott → Gott – Königsideologie 52, 468, 551 ff, 584 f, 608 ff, 645 ff, 668 f, 677 – soziale Instanz 266, 466 ff Königszeit 75, 131 f, 269, 364 ff, 551 f, 678 f Körper, -auffassung 9, 12, 17 ff, 30 ff, 59, 86, 116 f, 141, 143 ff, 166 ff, 207 ff, 291 ff, 329,
333 ff, 371, 424, 529, 531, 533, 561 f, 589 ff, 628 ff, 658, 664 ff, 673, 684 f, 699, 717, s. auch Leib – Synthetische Körperauffassung 148 ff Körperorgane, -teile 12, 18, 116 f, 141, 144 ff, 154 ff, 182, 291 f, 294, 468, 477, 533, 560, 589 ff, 628 ff, 658 ff, 664 ff, 684 f, 699 f, 717 ff – Angesicht 34 f, 52 f, 65, 79, 93, 141, 149 f, 151 f, 171, 176, 202, 215, 217, 220 f, 241 f, 270, 299 ff, 302, 338, 373, 410 f, 436 f, 494 ff, 631, 704 – Auge 13 ff, 17 f, 58, 77 ff, 115, 117 ff, 132, 141, 147, 149 ff, 160 f, 168, 172, 175, 181 ff, 202 ff, 210 ff, 283 ff, 291 ff, 297 ff, 338, 366, 438 f, 467 ff, 587, 590 f, 618 f, 628, 633, 643, 658 – Bauch 32, 71, 14614, 162, 291, 558 f, 699 – Bein 78, 141, 14512, 147, 628, 670, 682, 704, 720 – Eingeweide, Inneres 18, 32, 155, 166, 311, 318 f, 490 ff, 558 f, 55964, 660 – Fleisch 11 f, 54, 58, 66, 102 f, 181 f, 185, 206, 430 f, 440, 518 f, 531 f, 622 f, 625, 670, 716 – Fuß 1, 14 ff, 17 f, 58, 118, 141, 147, 150 ff, 175, 177, 205 f, 211 f, 221, 291 f, 294, 366, 476 f, 533, 567 ff, 628, 658, 664, 666, 682 f – Gebeine, Knochen 64, 66, 102 f, 158, 175, 181, 185 ff, 286, 497, 532, 562 f, 587, 627, 670 f, 716 – Genitalien 14512 – Hals 55, 116 f, 141, 147, 593 – Hand 17 f, 58, 78, 113 f, 132, 141, 147, 150, 156, 181 f, 184, 212, 219, 250, 265, 291 ff, 303, 317, 338, 413, 417, 455 ff, 479, 490, 518, 524 ff, 590, 598, 628 f, 658, 664, 666, 671 f, 673, 720 f – Haut 66, 77, 86 ff, 194, 215, 245, 531 ff, 670, 681, 687 – Herz 11 f, 32, 63 ff, 128 f, 131 ff, 147 f, 166 ff, 174 f, 182, 219, 283, 317 f, 400, 437 ff, 490 ff, 493 ff, 498, 522, 553, 556 ff, 673 – Kehle 55, 59 f, 502, 560, 629, 665
2. Sachen 829
– Kopf 17 f, 86, 118, 141, 147, 152, 180, 210 f, 217, 291 f, 318 ff, 455 f, 533, 630, 673, 720 f – Lippen 12, 116 ff, 153, 158, 210 f, 217, 292, 294, 318, 338, 475 ff, 491, 522, 562 ff, 634 – Mund 11, 52, 591, 116 ff, 151, 153, 156 ff, 183, 210 f, 217, 288 ff, 294, 297 f, 317, 338, 475 f, 490, 526 f, 560, 562 ff, 579, 585 f, 628, 666 – Mutterleib 18, 47, 49, 65 ff, 110, 163 ff, 586, 622 ff, 627, 641, 703, 717 – Nieren → Herz – Ohr 11, 18, 78, 130, 151, 157 f, 183, 297 ff, 318, 490 f, 493, 562, 587, 591, 628, 673 – Zunge 78 f, 212, 281, 292, 294, 522, 556, 560, 590, 628 Kognitionswissenschaft 19, 35 Kommunikation 30, 38, 149, 153, 156, 171, 174, 182 f, 211, 215, 281 ff, 363, 513, 578 – nonverbale 290 ff Kompetenzausweitung JHWHs → Gott konnektiv, Konnektivität 32, 148, 198, 406, 419, 523, 526, 595, s. auch FüreinanderHandeln Konflikt 12, 25, 107, 124, 173, 192, 213, 267 ff, 293, 354, 430, 432, 435 f, 473, 482, 654 konkret → abstrakt Konstanten, anthropologische → Anthropologie konstellativ, Konstellation 30 ff, 106, 285, 504, 541, s. auch Person Kopf → Körperorgane Kosmos 25, 64, 199, 333, 339 f, 351, 357, 363, 371 ff, 382 ff, 393 f, 398, 443, 446, 464, 613, 621, 652, 714, 722, s. auch Chaos – Kosmologie 64, 193, 333, 358, 362, 364 ff, 383, 442 ff, 513, 678, Krankheit und Heilung 11, 183 ff, 550, 635 Kreativität 72, 443, 495 Krieg 127, 160, 166, 216, 235, 258, 283, 348, 430, 465 Kult 36, 45, 87 ff, 99, 111 f, 184, 195 ff, 274 ff, 289, 299, 307, 312 ff, 345, 350 f, 355 f,
830 Register 367, 373, 403 ff, 412 ff, 431, 441 f, 445 ff, 463 ff, 489 ff, 563 f, 613, 643 f – Transformation 318 f Kultkritik 195 ff, 274 ff, 314 ff, 493, 563 f, s. auch Prophetie; Weisheit Lachen → Emotionen Lärm → Geräusche Landschaft(srelief) 8, 21 ff, 329, 351 ff, 448 Leben, Lebendigkeit 11 f, 17 f, 50 ff, 54 ff, 60 ff, 80, 158, 238 f, 309, 324, 398 ff, 416 f, 510, 557 ff – Lebensende 77 ff, 519 – Lebenshingabe 479, 484 ff – Lebensraum 22 ff, 73, 121, 247 f, 329, 388, 393 ff, 404, 427 ff, 444 – Lebensweg 67, 518 – Lebenszeit 81 f, 108, 114, 379, 584, 616, 671, 700 Lebensalter 48 ff, 108 ff, 584 ff, 615, 622 ff, 679 f, 696, 701 f, 717 – Älteste 109, 113, 194, 269, 295, 349 f, 458 – Erwachsene/r 48 f, 98, 108 f, 123, 135, 137, 682 – Greis 48, 81, 587, 615, 627, 682, 693, 696, 701 – Jugendliche 48, 109, 127 – Kinder 1, 11, 14, 29, 47 ff, 68 ff, 98 f, 104, 108 ff, 125 ff, 165, 288 f, 474, 584 f, 615, 627, 639, 676, 696, 706 f – Säuglinge 14, 48, 69, 109, 125, 247 ff Lebensbedingungen, natürliche 20 ff, 33, 256 Lebensformen, kulturelle 20 f, 28 ff, 33 Lebenswelt 21, 29, 40, 186, 331 f, 337 f, 352, 378 ff, 418, 443 ff, 568, 651, 692 Lehm 54, 66, 343, 583, 623, 625 f, 655, 669 f, 702, 716 Lehre, Lehrer → Erziehung Leib, Leiblichkeit 5 ff, 11 f, 21, 30 ff, 52 ff, 78 ff, 141 ff, 174 ff, 215, 302, 319, 325, 337, 360, 400, 490, 493, 529 ff, 541, 544, 556, 561 ff, 566 ff, 585 f, 629, 688, s. auch Körper – Leibesehre → Ehre
Leib/Seele-Dualismus 12, 52 ff, 143 ff Leibsphäre 7, 21, 30, 143 ff, 529 ff, 562, 589 ff, 628 ff, 658, 664 ff, 673, 684 ff, 698 f, 704 ff, 717 Leiden 37, 67 f, 92, 161 f, 172, 184 ff, 215, 227, 263, 439, 480 ff, 504 f, 510 f, 516, 518 ff, 554 f, 629 f, 632 Leidenschaft 56, 544, 577 Leistung 49, 157, 192, 242, 338 f, 482, 577, 604, 675, 679 f Lernen → Erziehung Levirat 220 f, 349 Licht 62 ff, 129 f, 153, 181 f, 347, 351, 362 f, 371 ff, 383 f, 387 ff, 442 ff, 466, 478, 506, 606 f, 615 ff, 618 ff, 677 ff, 704, 714 Lieben → Emotionen linear, Linearität 29, 34, 134 f, 377 ff, 403 ff Lippen → Körperorgane Literatur, -geschichte 38, 251 ff, 286, 380, 421, 544 ff Lob, Lobpreis 11, 16, 55, 112 ff, 164, 285, 302 ff, 307 ff, 363, 477 ff, 503 ff, 509 f, 581, 605 f, 612, 707 – Hymnus, Hymnen 13 f, 302 ff, 370, 391, 586, 591, 596 f, 612, 614 ff, 629, 645 f, 668, 676 longue durée 27 f Ma’at (Ägypten) 192, 593 f Mädchen 108 f, 122, 222, 260, 307, 693 Magd 164, 203, 293, 632 Magie 295, 418, 659 Mahl(gemeinschaft) → Nahrung Mann, männlich 11, 48 f, 58, 70, 77, 83, 87, 98 ff, 111 f, 118 ff, 163 ff, 218, 256 f, 312, 545, 615, 621, 689 – männlich/weiblich 17, 38, 98 ff, 242, 424 ff, 629, 680, 707 Mantel → Kleid mappa mundi → Welt Maße, Maßsystem 113, 230, 262103, 272, 320, 338 f, 528, 642, 675 f Markt 228, 239 Mazzot 98 ff
Medizin 5 f, 68, 144, 182 f, 188, 363, 534, 578, 635, 704 f Meer → Weltbereiche Mensch – Bild Gottes → Gottebenbildlichkeit – Fehlbarkeit 36, 495, 497, 554 – Geschöpf(lichkeit) 15 f, 38 f, 50, 63, 73, 239, 253 f, 309, 339, 372 f, 382, 391, 421, 423 ff, 529, 544, 553, 567 ff, 654, 681 – innerer M. 554 ff – königlicher M. 473 ff – Menschenbilder 12 ff, 36 ff, 41 f, 423 ff, 462 ff, 502 ff, 541, 544 ff – Menschenschöpfung 51 ff – Menschenwürde 218, 43026, 579 Messias 473 ff Metapher, Metaphorisierung 15, 23, 78, 84, 94, 130, 165, 214, 317, 324, 339 f, 371 ff, 400, 426, 444, 472, 490, 497, 501 f, 510, 523 f, 533, 555, 606, 608, 629, 699 Milch → Nahrung Missachtung → Verletzungsabsicht Missbrauch 277, 710 Mitleid 87, 165, 199, 278, 505 Mittler 441, 452, 464 ff, 481, 488, 604 Mnemotechnik 133, 357, 548 Monade 29, 141, 143, 285, 541, 567 Monojahwismus, Monotheismus 90, 94, 369, 56490, 616 Moral → Ethik Mord 241, 276, 423, 435 ff, 524, 648 Morgen 70 ff, 132, 277 f, 306 f, 311, 347 f, 359, 385 f, 387 ff, 443, 507, 510, 530, 580, 614 f, 621, 656 f, 668, 678 Mündlichkeit/Schriftlichkeit 548 Mund → Körperorgane Musik(instrumente) 178, 302 ff, 363, 510, 644, 691 Mut 203, 579, 640, 687, 689 Mutter 47, 61 ff, 99, 102 f, 108 ff, 125 ff, 163 ff, 199 ff, 435, 584 f, 593, 603, 643, 654 f, 658, 706 f – Mutterleib → Körperorgane Mythos 352, 378, 404 f, 584 f, 608, 618, 626, 641, 654, 660 f
2. Sachen 831
Nabelschnur → Zeugung Nacht 12, 15, 21 f, 64 f, 161 ff, 172, 177, 194, 203, 227, 251, 275 ff, 329, 331 ff, 347, 355, 363, 378 ff, 387 ff, 408 ff, 443 ff, 506, 512 f, 607 f, 615 f, 631, 659, 668, 716, 723 Nacktheit 47, 102, 264, 435, 674, 692, 708 Nächster 169 f, 194, 198 f, 224 f, 349, 525, 564, 580, 582, 710 f – Nächstenliebe 169 f, 198 f, 206, 229 ff, 277, 708 næpæš → Leben Nahrung(szubereitung) 22, 101, 113, 124, 128, 137, 185, 216, 239, 264, 310, 319 ff, 346, 391, 421, 428 f, 576 f, 593, 608, 637 f, 701 – Brot 53, 79, 89, 110, 166, 185, 204 ff, 230 ff, 238 ff, 256, 320 f, 406 ff, 579, 586, 598 f, 605, 614, 638, 660, 692 – Feige 25, 208, 244, 319, 321, 348, 407 – Getreide 110, 244 ff, 256, 261 f, 341, 602, 642, 661, 701 – Kochen 110, 256, 409 f – Mahl(gemeinschaft) 34, 204 ff, 277, 314 ff, 321 f, 374, 398, 408, 550, 605, 680, 700 f – Milch 66, 118, 205 f, 245, 319 ff, 402 f, 533, 682 – Oliven 25, 235, 242 ff, 319 ff, 341, 364, 396, 407 – Trauben 25, 208, 244, 321, 348 Name, Namengebung 53, 60 ff, 71 ff, 124, 135, 172, 218, 221, 301, 349 f, 463, 474, 581, 584 ff, 622 ff, 669 f, 680 ff, 697, 702 f, 714, 716 f, 720 Natur 5, 22 ff, 39 f, 78, 118 f, 143, 186, 237 ff, 249, 251, 256, 329, 332 ff, 337 ff, 357 ff, 368, 377, 404 f, 427, 463, 468 ff, 522 f, 525, 550 f, 562, 567, 577 f, 618 f, 680 f, 697, s. auch Lebensbedingungen; Raum; Zeit – Numinosität 339 f, 365 Nekromantie 88 ff Neugeborenes → Zeugung Neuschöpfung 421, 479 ff, 489 ff, 553 Niederschlag, Regen 23 ff, 78, 264, 342, 379, 397, 407, 466, 469, 471, 651, 668
832 Register Niedrigkeit 14 ff, 476 ff, 567, 582, 702 Nieren → Herz öffentlich, Öffentlichkeit 29, 87, 98, 111 ff, 123, 132, 203, 210 ff, 220 ff, 295 f, 341,346 ff, 509 f, 532 f, s. auch Raum Offenbarung 451, 488, 587, 715 f Ohr → Körperorgane Oliven → Nahrung Opfer, Opfergabe 34, 58 f, 88, 187, 196, 199, 212, 214, 247, 302 ff, 310 ff, 321 ff, 396 f, 408 ff, 441 f, 454 ff, 488 ff, 555, 591, 641, 662, 667 f, 722 – Opferkritik 310 ff, 314 ff, 490 ff, 694 f – Opfertiere 245 ff, 310 ff, 323, 408 ff, 454 ff, 563, 693 Orakel 124, 184, 454, 474, 484 f, 596, 610, 620, 669, 694 Orientierung 4, 35, 38, 120, 199, 287, 329, 334 ff, 353, 433, 442, 521, 528, 614 f Paradies 100 ff, 115, 242, 432, 469, 565, 618 Passa 124, 355, 408 ff pater familias → Familie Person(begriff) 6, 12, 17 f, 22, 30 ff, 48 f, 55, 58 f, 64, 72 ff, 106, 141 ff, 215 ff, 285, 301, 338, 482 f, 498, 504, 533, 545 ff, 556 ff, 568, 599, 663 ff, s. auch Individualität; Selbst – Corporate Personality 30 f – konstellativer Personbegriff 31, 106, 285, 504 – Personifikation 199 ff, 340, 472 Persönliche Frömmigkeit 75, 265, 556, 596 Persönlichkeitszeichen 72, 218, 533 personae miserae 235, 261 ff, 274, 468 ff, 532 f, 611 Pfändung → Kleid Pflanzen, Pflanzenwelt VII, 21, 34, 74, 157, 238, 244 f, 332, 339, 388, 442, 444, 522, 612, 617, 626, 717 Pharmakosriten 312, 693 f Philosophische Anthropologie 39 ff, 45, 543 Physiognomik 151 ff
Prekariat 235, 258 ff Priester, Priestertum 86, 112, 184, 194, 216, 269, 316 ff, 350, 402, 414 ff, 442, 468, 563 f, 597, 611, 646 f, 672 – Hohepriester 218, 269, 309, 416, 453 f, 611, 713 Priesterschrift 83, 85, 423 ff, 551 – Anthropologie 441 ff – Symbolsystem 441 ff privat 98, 112, 132, 220, 292, 345 profan, Profanität 359, 363, 442, 445 ff, 457 Prophet, Prophetie 36 f, 41, 89, 93, 161, 194 ff, 209, 218, 235, 240, 259 ff, 272 ff, 294 ff, 314 ff, 385, 392 ff, 473 ff, 479 ff, 493, 544 ff, 657 – Anthropologie 479 ff – Kultkritik 314 ff, 493, 563 ff – Sozialkritik 194 ff, 240, 259 ff, 272 ff, 563 ff, 675 – Visionen 392 ff – Zeichenhandlungen 294 ff Psalmen, Psalter 91, 92 ff, 176, 179 ff, 288, 305 ff, 316 ff, 605 f – Anthropologie 501 ff – Danklied 34, 92 ff, 288 f, 303, 506 ff – Klagelied 34, 92 ff, 288 f, 303, 503 ff ψυχή 54 ff, 59 f, 685 ff Raum, -auffassung 21 ff, 41, 64, 73, 98, 111, 132, 144, 176 f, 222, 247, 308, 311, 329 ff, 378 ff, 427 ff, 444 f, 450, 464, 502, 506, 510 ff, 569, 619, 650 – erzählter R. → Erzählung – heiliger R. 364 ff – natürlicher R. 332 ff – öffentlicher R. 346 ff – sozialer R. 332 ff – symbolischer R. 351 ff Recht 29 f, 49, 58, 76, 92, 121 ff, 128, 136 f, 191 ff, 207 ff, 240, 255 ff, 267 ff, 289, 292, 305, 315 ff, 349 f, 372 f, 395, 402, 441 ff, 462 ff, 482 f, 495 ff, 505, 533, 551 f, 563 ff, 576 f, 582 f, 601 ff, 641 ff, 666 f, 675 f, 692, 700 f, 712 f – Rechtsbruch 272 f
– Rechtsnot 30, 92, 263, 305, 505, 651, 657 – Rechtsprechung 206, 267 ff – Rechtswesen 255 ff – Theologisierung 193 ff, 564 Redeformen 270, 282 ff, 290 reich, Reichtum 82 152, 203, 218, 259 ff, 324, 689 Reinheit, Reinigung 99, 269, 276, 310, 413 f, 438, 441, 445 ff, 493 ff, 524 f, 534, 579 f, 594, 636, 659 f, 693 f – Rein/Unrein 25, 276, 363, 418, 445 ff, 513, 564, 721 f Religiöses Symbolsystem → Symbol relational, Relationalität 541, 567 Respekt → Werte Rettung 91 ff, 177, 183, 288 f, 319, 355, 364, 403, 469 f, 486 ff, 504 ff, 566, 607 f, 645, 714, Reziprozität 523, 526, 614 Richter 58, 194 f, 200, 204, 209, 266, 269 ff, 468, 649, 657 Riechen 144, 315 f, 398, 445, 562, 590 – Duft 331, 438, 455 Rippe 102 f, 669 f, 703 Ritual, Ritus 52, 86 ff, 124, 179, 205, 292, 295 f, 310 ff, 354, 379, 401 ff, 408 ff, 415 ff, 441 ff, 464 f, 494, 564, 603 ff, 632 f, 643 ff, 659 f, 667 f, 676, 692 ff, 713, 720 ff Rolle, soziale 11, 29 ff, 38, 41 Ruhe → Arbeit Ruhetag(sgebot) 244 ff, 252 ff, 388, 552 Ruhmesehre → Ehre Saat 243 ff, 331 f, 380, 407, 523, 602, 620, 692 Sabbat(gebot) 55, 238, 244 ff, 249 ff, 252 ff, 291, 348 f, 385, 396, 411, 719 Sandalen → Kleid Sanktion 120, 135, 221, 458, 675 Scham 210 ff, 215 ff, 435, 439, 577 Schande → Verletzungsabsicht Scheidung(srecht) 124 – Scheidungsurkunde 124, 676 Schicksal 75, 80, 135, 323, 435, 515, 523 ff, 532, 536, 626
2. Sachen 833
Schlachtung 239, 456, 485, 721 Schlaf 68, 102, 105 f, 122, 179 f, 250, 344 f, 632 f, 667, 686 Schmerz 107, 159, 172 f, 184, 433, 437 ff, 562, 655 Schönheit 41, 116 ff, 151, 298 f, 363, 385, 704 Schöpfer, Schöpfung 11, 13 ff, 50 ff, 61 ff, 77 ff, 99 ff, 134, 164, 241 f, 252 ff, 272, 298, 305, 308 f, 318, 339, 354 f, 363, 369, 372 f, 388 ff, 404 f, 423 ff, 442 ff, 535 f, 567 ff, 585, 590 f, 608, 612, 618 f, 641 f, 670, 702, 704, 714 ff, 719 – Menschenschöpfung → Mensch – Neuschöpfung 385, 479 ff, 489 ff, 553 – Weltschöpfung → Welt Schrecken 68, 83, 160, 177, 227, 371, 423 ff, 510, 514 Schriftlichkeit → Mündlichkeit Schuld 184, 267, 294, 310, 316, 392, 413 ff, 432, 438, 441 ff, 457 ff, 479 ff, 494 ff, 519 f, 603 f, 677 – Schuldaufweis 259, 273, 276 – Schuldbekenntnis 180, 493, 600, 604, 713 – Schulden 261, 633, 670 – Schuldknechtschaft 169, 222, 255, 260 ff – Unschuld 63, 270, 487 f, 493, 503, 532, 603 f Schutz 49, 76, 89, 91 ff, 126, 137, 193, 203, 206, 222, 225, 245, 255, 324, 342, 351, 373 f, 399 f, 411 f, 439, 518, 552, 555, 564, 577, 611 f, 628, 633 f, 674 f Schwäche 81, 194, 248, 259 f, 263, 537, 576, 587, 612 f, 645 Schwagerehe → Levirat Schwangerschaft → Zeugung Schwester 115, 121, 224, 633, 658 Schweigen 179, 284, 363, 381, 510 f, 513 Seele 5 f, 12, 52 ff, 79, 141 ff, 319, 515, 544, 56177, 629, 686 ff, 697, 703, s. auch Leib/ Seele-Dualismus Segen 85, 89, 91 ff, 134, 150, 254, 265, 270 f, 291, 319, 363, 401, 403, 407, 410 ff, 428 ff, 468 ff, 532 f, 554, 671 f Sehen → Hören
834 Register Sehnsucht 56, 117, 301, 310, 399 f, 515 Selbst 5, 13, 16, 21, 29 ff, 51, 56 f, 106, 141 ff, 161, 170, 178 ff, 419, 482 f, 504 ff, 555 ff, 561 ff, 634, s. auch Individualität; Person Selbstminderungsriten → Trauer Sexualität 17, 115 ff, 167 – Homosexualität 11995, 120 Sicherheit 164, 259, 523, 602 Sinne 143, 157, 218, 297 ff, 352, 398, 535, 562, 567 f, 590 Sippe 75, 121, 201, 287, 667 Sodomie 119 solidarisch, Solidarität 98, 122, 138, 194, 221, 235, 268, 470 f, 526 f, 563, 613 Sonne 194, 263, 333 f, 336, 359 ff, 372 f, 379, 383 ff, 387 ff, 463, 471 f, 534, 585, 609 ff, 620 ff, 695, 704 – Sonnenaufgang 35132, 244, 273, 329, 333 f, 347, 359 ff, 387 ff, 614 ff, 656 – Sonnengott X, 194, 278, 359 ff, 464, 468, 586, 609 f, 613, 618 f, 647 ff, 678 f – Sonnenlauf 391 f, 612 ff Sozialisation, Sozialität 29, 31 f, 191, 556 – sozialer → Raum Sozialkritik → Prophetie Sozialsphäre 7, 21, 30, 141, 148, 166, 185, 191 ff, 237, 529 ff, 548, 560, 562, 589, 592 ff, 636 ff, 658, 674 f, 689 ff, 699 f, 706 ff, 718 ff Spiel, Spielzeug 125 ff, 171, 249 Spott → Verletzungsabsicht Sprache, Sprechen 34, 149, 176, 184, 211, 281 ff, 341, 352, 410 f, 457, 487, 501, 522, 545, 547, 578, s. auch Redeformen – Artikulation 281, 294, 510 Staat 36, 198, 257, 264, 267, 269, 286, 341, 343, 470 f, 576 f, 613, 691, 699 Stabilität 34 f, 120, 393 ff Stadt, Stadtkultur 25, 111, 132, 198, 210, 217, 227, 235, 245, 268, 270, 276 ff, 296, 341 ff, 368, 393 f, 412, 503, 512, 576 f, 600, 602, 636 f, 645, 649, 651, 653, 678, 693, 712 Stamm 36, 121, 269, 454 Statusehre → Ehre
Staub, Erdkrume 50 ff, 79 f, 94, 363, 435, 512, 531 f, 535 ff, 541, 644, 702 Staunen 7, 322, 577, 687 Stellvertretung 421, 456133, 479 ff Sterben, Sterblichkeit 45, 53 f, 79 ff, 82 ff, 110,126, 134, 136 f, 242, 266, 283, 285 f, 487, 502, 544, 550 f, 554 f, 565, 578, 581, 615, 697, 703 – Sterbenotiz 83 ff, 88 Steppe → Wüste Stillen → Zeugung Strafe 82, 130, 184, 210, 241, 435, 528, 558 Streit 195 f, 211 f, 268 ff, 625, 637, 699 Subsistenzwirtschaft → Wirtschaft Sühne 34, 58, 413 ff, 453 ff, 693 f – Sühneort (kapporæt) 412 ff, 453 Sünde, Sünder 36, 38, 128, 160, 180 ff, 241, 311, 363, 371 f, 412 ff, 432 ff, 441, 457, 479 ff, 506, 521 ff, 565, 600, 604, 631 – Fehlbarkeit → Mensch Sündenbock, -riten 312, 413 ff, 659 f, 667 f, 693 f, 713 – Griechenland 693 f – Kleinasien 659 f – Ugarit/Nordsyrien 667 f Sündenfall 241, 423, 432, 434 f Symbol(system) 9, 19, 25, 64, 71, 73, 83, 86, 154, 217 ff, 253, 281 f, 292, 294 ff, 308, 317, 320 f, 324, 341, 351 ff, 416 ff, 494 f, 547, 553, 604, 635, 652, 671 f – priesterliches 441 ff – religiöses 20 f, 33 ff, 329, 457, 463, 478, 490, 502 – symbolischer → Raum – Symbolisierung 34 f, 352, 357 Sympathie 199, 202 Synthetische Körperauffassung → Körper Tag, Tageseinteilung 21, 64, 67, 82, 237, 244 ff, 277 ff, 320 f, 331 ff, 363, 377 ff, 403, 412 ff, 443 f, 566, 615 f, 716 Tat, Täter 120, 143, 161, 177, 196 ff, 230 ff, 235 ff, 237 ff, 288 f, 308, 374, 430, 440, 480, 523 ff, 590, 658, 694, Tanz 171, 308 f, 381, 510, 605 Taxonomie 14, 427, 479, 648
– Mesopotamien 652 Tempel 76, 111, 213, 258, 308, 329, 353, 364 ff, 416, 446 ff, 479, 510, 522, 553, 608, 645 f, 651 f, 713, s. auch Heiligtum – Jerusalem 33 f, 300, 362, 365 ff, 399 ff, 552 Theodizee 37, 553, 555 Theologische Anthropologie 10, 18, 39 f, 424, 543 Theologisierung des Rechts → Recht Therapie 178, 183 f, 188, 535, 635 Thron 34 ff, 266, 300, 303, 362 ff, 416, 552, 585, 657, 662, 664, 669, 674, 682 Tiere, Tierwelt 5, 15 f, 21, 25, 30, 33 f, 38, 51 f, 57, 73 f, 80, 101 f, 110, 185 f, 238 f, 281, 301, 310 ff, 332, 347, 372, 390 f, 393, 411, 417, 423 ff, 444 ff, 455 f, 476 ff, 567 f, 576 ff, 603, 645, 683, 715 f, 721 f – Arbeitstiere 245 ff – Haustiere 245 ff, 600 – Opfertiere → Opfer – Tierfrieden 247 ff, 700 Tisch, Tischsitte 187, 207, 213 f, 320 ff, 345, 415, 453, 522, 600, 663, 709 f, 721 Tod(esvorstellung) 11, 22, 35, 45, 47, 52 ff, 67 f, 72, 77 ff, 106, 111, 124, 127, 135 ff, 148, 152, 173, 176 f, 179, 184, 187 f, 216, 220, 227 f, 248 f, 266, 272 ff, 281, 285 f, 289, 304, 329, 351, 363, 385, 391, 418, 421, 434, 487 f, 493, 501 ff, 511 ff, 528, 531 f, 550 f, 553, 555, 562, 566, 575, 587 f, 607 f, 621 f, 627 f, 661 ff, 671 f, 683, 697, 704, 717 Töpfer 50, 99, 250, 562, 585, 620, 712 Tötung 58, 150, 310 f, 355, 429, 456, 694 Topographie 308, 333, 353, 356, 419 Tor, Tür 82, 114, 132, 206, 210 f, 213, 221, 246, 250, 269, 273 f, 277, 288, 343, 346 ff, 361, 512, 631, 657, 659, 668 f Tora 90, 124, 129, 318 f, 353, 355 f, 362, 490 ff, 506, 559, 714 ff Totenehre → Ehre Totengericht (Ägypten) 603 f Totengott 45, 85, 93, 604 Totenklage 86 ff, 111 f, 124, 686 Totenkult 88 ff, 345, 553 f, 663 f
2. Sachen 835
Totenreich → Jenseits Tränen 111, 172, 300, 603, 618, 630, 667, 687 Transformation des → Kults Trauben → Nahrung Trauer, Trauerriten 30, 86 ff, 111, 149, 152, 172, 179, 213, 218, 292, 337, 363, 433, 510, 533 f, 662 Traum 517, 587, 632, 645, 667, 705 Trauma 127, 401 Treue 199, 225, 267, 276, 340, 370 ff, 472, 509, 558, 643, 666, 709 f – Treulosigkeit, Untreue 222 ff, 517 f, 711 Tribut 258, 293, 467, 650 Trinken → Essen Tun/Ergehen-Zusammenhang 94, 232, 480, 486, 518 f, 523 ff, 566 Unfruchtbarkeit 126, 151, 394 f, 418 Unheil 34, 47, 160 f, 184, 187 f, 227, 296 f, 336, 370 f, 392, 417, 432, 437, 457 f, 486, 495, 506, 523 f, 576, 612, 618, 631, 633, 659 f, 667 Unreinheit → Reinheit Unschuld → Schuld Unsterblichkeit 60, 80, 91, 93 f, 515 ff, 555, 575 f, 661, 688 Unterwelt → Weltbereiche Untreue → Treue Urgeschichte 36, 41, 99 ff, 134, 240 ff, 441, 476, 641 – Anthropologie 423 ff Utopie 115, 430 f Vater → pater familias Verantwortung 87, 98, 108, 265, 281, 426, 436, 468, 482, 551, 600 Vergänglichkeit 77 f, 149, 185, 384, 505, 553, 555, 565 f, 579, 621, 629, 704 Vergangenheit → Zeit Vergegenwärtigung 254, 290, 379, 403 f, 406, 409 Vergeltung 173, 230 ff, 523, 525 f, 528, 595, 690 Vergewaltigung → Gewalt
836 Register Verheißung 79, 150, 247, 354 ff, 430, 465, 473, 476 Verinnerlichung → Innen(welt) Verlässlichkeit → Werte Verlangen 18, 55 f, 107, 286, 537, 557, 593, 665 Verletzungsabsicht, -macht 208 ff – Beleidigung, Beschimpfung 192, 210, 217, 641 – Demütigung 212 f, 222, 260 – Entblößung 215, 218 ff – Entehrung 192, 215 ff, 221 f – Gesten/Worte 210 ff – Missachtung 207 ff, 215 ff – Schande 30, 213, 215 ff, 218 ff, 674, 692 – Spott 84, 135 f, 171, 210 ff, 217, 250, 348, 711 – Verleumdung 210, 214, 224 Vernunft, Verstand 156 f, 177, 238, 250, 382, 482, 495, 522, 547, 567 ff, 590, 705 Versammlung 266, 285, 315 f, 318, 348, 407, 413, 458 f, 491, 676 f Versöhnung 150, 174, 292, 321, 421, 441 ff – Großer Versöhnungstag 354, 407 f, 412 ff, 459 Versorgung 89, 99, 125 f, 137, 245, 250, 256, 323 f, 550, 637 Vertrauen 71, 98, 124, 165, 177, 180 ff, 207, 222, 227, 250, 285, 301, 323 f, 503 ff, 518 f, 558, 569, 712 Verwaltung 283, 348, 463, 549 Vieh, Viehhaltung 25, 98, 112, 128, 235, 239 ff, 255 f, 316, 341, 379, 427, 435, 479, 576, 632, 721 Vierraumhaus → Haus Visionen → Prophet Volk 28, 33, 121, 133, 138, 196 f, 209, 217 f, 229, 260 f, 269 ff, 278, 286 ff, 303, 319, 349 f, 356, 400, 403, 406, 410 ff, 416, 446, 448 ff, 470, 493, 521 f, 545, 552, 677, 713 Wahrhaftigkeit → Werte Wahrheit 128, 156, 192, 199, 208, 267, 318, 446, 472, 491, 495, 522, 528, 564, 594, 688
Waise → Witwen Wasser 23, 25, 28, 172, 205, 230, 254, 256, 275, 301, 310, 321, 338, 362, 383 f, 394, 413, 418, 427 f, 441, 443 ff, 472, 502, 512 f, 552, 568, 586, 618 f, 627, 650 f weiblich 17, 45, 48, 98 ff, 165, 220, 424, 629, 680 f Weihe 457, 722 Wein → Nahrung Weinen → Emotionen Weisheit, weisheitlich 15, 36, 63, 91 ff, 128 ff, 157 f, 230, 262, 265, 316, 320, 362, 370, 381, 475, 495, 518, 548 ff, 575, 581, 586, 594, 598, 633, 640, 712 – Anthropologie 519 ff – Ehre 216 – Erfahrung(swissen) 5 ff, 39 ff, 63, 92, 104, 151, 188, 207, 305 f, 329 ff, 379 ff, 397 ff, 504, 509 f, 521 ff, 561 – Kultkritik 316, 320 Weisung 129 ff, 193, 289, 354, 506, 525, 556, 564 Welt – Gegenwelt 103, 418, 445, 502, 616 – Welterfahrung 29, 329 ff – Weltkarte (mappa mundi) 652 f – Weltschöpfung 73, 354, 359, 641 – Weltuntergang 618 Weltbereiche 652 – Erde 1, 15, 47, 50, 53, 64 f, 73, 80, 195, 237, 313, 320, 331 ff, 369, 395, 404, 428 ff, 577, 648, 713 f – Himmel 15, 21, 63 f, 101, 300, 303, 329 ff, 354, 358 ff, 369 ff, 380 f, 387 ff, 427, 443 f, 469, 472, 531, 567 ff, 576, 605, 612 ff, 648, 650 ff, 714, 713 f – Horizont 359 f, 367 ff, 387, 391, 611, 616, 621, 650 f – Meer 19 ff, 63 f, 87, 215, 329 ff, 338 ff, 364 f, 427, 502, 512 ff, 578, 648, 652 f – Unterwelt → Jenseits Weltbild, vertikales/horizontales 34, 63, 199, 358 ff, 365, 367 ff, 678 Werte 98, 131, 152, 215 f, 419, 544 – Anerkennung 114, 192 ff, 255, 271, 410, 605 – Aufmerksamkeit 1, 15, 149, 156, 436
– Charakter 151 f, 596 f, 600, 629 – Dank, Dankbarkeit 34 f, 64, 66, 75, 81, 92, 171, 288 f, 302 ff, 311, 317, 319 ff, 403, 490, 493, 503 f, 506 ff, 527, 558, 582, 586, 593, 596, 607, 690 – Demut 202, 212 f, 216, 645, 718 – Empathie 173, 207, 263, 569 – Hingabe 130 f, 195 ff, 207 ff, 267, 324, 340, 371, 373, 400, 472 – Respekt 192, 205, 214, 216, 239, 265, 339, 606, 637 f, – Verlässlichkeit 223, 392, 523, 526 – Wahrhaftigkeit 476, 597 Wiederherstellung 214, 217, 223, 379, 385, 456, 537 Wiederholung 377 ff, 386, 403, 406, 468 Wille, Wollen 7, 128 f, 149, 194, 232, 297, 388, 468, 481, 486, 488, 495, 522, 557, 563, 590, 673, 695, 699 Wirtschaft(ssystem) 1, 27, 36, 99, 113, 122, 127 f, 235 ff, 255 ff, 342 f, 379, 381, 463, 594, 601 ff, 641 ff, 666 f, 675 f, 692, 700 f, 712 f – Subsistenzwirtschaft 235 ff, 256 ff, 341 f, 548 Wissen 64, 68, 101, 111, 124, 128 ff, 158, 163, 343, 419, 432 ff, 509 f, 521 ff, 547, 566, 704, 707, 720 Witwen und Waisen 193 f, 207, 220 f, 259, 263 f, 611 f, 648, 668, Wort, Worte 18, 34, 131 f, 151, 210 ff, 282 ff, 421, 576, s. auch Kommunikation, Verletzungsabsicht Würde → Mensch Wüste, Steppe 24 ff, 185 f, 264, 346, 351, 354 ff, 363, 394, 417 ff, 448, 512 f, 534, 547, 651, 659 Wunder 45, 61 ff, 80, 288 ff, 355, 362, 402, 577 Zeichen, Zeichenhandlung → Prophet Zeit, -auffassung 11, 21 ff, 75, 132, 251, 290,
2. Sachen 837
329 ff, 377 ff, 428, 444, 506 ff, 524, 544, 546 ff, 569, 615 – Gegenwart 249, 288, 353, 377, 382, 386 ff, 508, 510 – natürliche Zeit 377 ff – soziale Zeit 243, 377 ff – Vergangenheit 20, 135, 231, 279,288, 336, 352 f, 357, 382, 403, 419, 482, 508, 527, 532, 569 – Zeitrechnung 395 ff – Zukunft(sgewißheit) 5, 52, 63, 113, 133, 135, 152, 231, 254, 279, 288, 296, 336, 352, 377, 382, 403, 473 ff, 510 f, 569, 583, 661 Zelt der Begegnung 449 ff Zeugung und Geburt 11, 29, 45 ff, 68, 98, 104, 108, 111, 124 ff, 133 f, 150, 163 ff, 171 f, 206, 281, 322, 355, 360, 385, 432, 474, 495, 522, 550, 562, 584 ff, 608, 615, 622 ff, 669 f, 680 ff, 697, 702 f, 716 f – Beschneidung 69, 72, 124, 251, 550 – Empfängnis 67 f, 495, 703 – Hebamme 69 ff, 110 f, 124, 165, 623 f, 627, 641 – Nabelschnur 69 – Neugeborenes 69 f, 73, 172 – Schwangerschaft 68, 107, 125 f, 435 – Stillen 110, 125, 586 Zorn 149, 172, 181 f, 184, 232, 392, 395, 436, 439, 481, 509 f, 524, 565 f, 608, 630, 632, 647, 693 Zucht → Erziehung Zukunft(sgewissheit) → Zeit Zunge → Körperorgane Zusammenleben 10, 21, 25, 29, 39, 98, 191 ff, 235, 248, 267, 346, 357, 428, 430, 580, 679, 689, s. auch Gemeinschaft – Gefährdungen 207 ff – Grundlagen 191 ff Zweisamkeit → Einsamkeit zyklisch, Zyklizität 29, 378 ff, 389, 404 ff