Anpassung, Vererbung und Evolution [Reprint 2021 ed.] 9783112498507, 9783112498491


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Anpassung, Vererbung und Evolution [Reprint 2021 ed.]
 9783112498507, 9783112498491

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BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Mathematisch-naturwissenschaftliche Band 103 • Heft 7

PAULA

Klasse

HERTWIG

ANPASSUNG, VERERBUNG U N D EVOLUTION

AKADEMIE-VERLAG 1959

• BERLIN

BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER SÄCHSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG MATHEMATISCH-NATURWISSENSCHAFTLICHE KLASSE Band 97 Heft 1 Prof. Dr. ERICH STRACK / Beobachtungen über den endogenen Anteil des KotStickstoffs 24 Seiten - 8° - 1949 — DM 2,50 (vergriffen) Heft 2

Prof. Dr. ERNST HÖLDER / Über die Vaxiationsprinzipe der Mechanik der Kontinua 13 Seiten - 8° - 1950 - DM 2,75 (vergriffen)

Heft 3

Dr. H. GERSTNER / Dr. H. BAARK / Dr. H. GRAUL / Der Wechselstrom-Widerstand der Froschhaut 25 Seiten — 8° — DM 2,75 (vergriffen)

Heft 4 Prof. Dr. HERBERT BECKERT / Existenz- und Eindeutigkeitsbeweise für das Differenzenverfahren zur Lösung des Anfangswertproblems, des gemischten Anfangs-Randwert- und des charakteristischen Problems einer hyperbolischen Differentialgleichung zweiter Ordnung mit zwei unabhängigen Variablen 42 Seiten — 8° — 1950 — DM 9,— (vergriffen) Heft 5

Prof. Dr. HERBERT BECKERT / Über quasilineaxe hyperbolische Systeme partieller Differentialgleichungen erster Ordnung mit zwei unabhängigen Variablen. Das Anfangswertproblem, die gemischte Anfangs-Randwertaufgabe, das charakteristische Problem 68 Seiten - 8° - 1950 - DM 14,50 (vergriffen)

Heft 6

Prof. Dr.-Ing. ENNO HEIDEBROEK / Das Verhalten von zähen Flüssigkeiten, insbesondere Schmierflüssigkeiten, in engen Spalten Nachdruck — 40 Seiten — 24 Abbildungen — 8° - 1952 — DM 6,80 (vergriffen)

Heft 7 Prof. Dr. HANS SCHUBERT / Uber eine lineare Integrodifferentialgleichung mit Zusatzkern 52 Seiten — 8° — 1950 — DM 9,25 (vergriffen) Heft 8

Dipl.-Phys. HELMAR K R U P P / Bestimmung der allgemeinen Lösung der Schrödinger Gleichung für Coulomb-Potential 28 Seiten — 8° — 1950 — DM 5,50 (vergriffen)

Band 98 Heft 1 Prof. Dr. WALTER SCHNEE / Über magische Quadrate und lineare Gitterpunktprobleme 48 Seiten - 8° — 1951 — DM 4,65 (vergnffen) Heft 2

Prof. Dr.-Ing. ENNO HEIDEBROEK / Über die Beziehungen zwischen Schmierung und Verschleiß bei geschmierter Gleitreibung Nachdruck - 36 Seiten - 5 Abbildungen - 8° - 1954 — DM 2,75

Heft 3

Prof. Dr.-Ing. e. h. KARL KEGEL / Der Salzstock Mirowo bei Provadia in Bulgarien 26 Seiten - 9 Abbildungen - 8° - 1951 — DM 3 , - (vergriffen)

Heft 4

Prof. Dr. H E R B E R T BECKERT / Prof. Dr. HANS SALIfi / Bemerkungen über die Verbiegung hyperbolisch gekrümmter Flächenstücke / Über Abels Verallgemeinerung der binomischen Formel 22 Seiten—2 Abbildungen—8° —1951 —DM 2,25 (vergriffen)

Heft 6 Prof. Dr. ERICH STRACK / Die Dauerinfusion als Verfahren zur Erforschung des Kohlenhydratstoffwechsels des Tierkörpers 20 Seiten - 8° — 1952 - DM 2,— (vergriffen)

BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER

SÄCHSISCHEN

A K A D E M I E D E R W I S S E N S C H A F T E N ZU L E I P Z I G Mathematisch-naturwissenschaftliche Band

PA

Klasse

103 • Heft

ULA

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HERTWIG

ANPASSUNG, V E R E R B U N G UND EVOLUTION Mit 14 Abbildungen

A K A D E M I E - V E R L A G 1959



B E R L I N

Vorgetragen in der öffentlichen Gesamtsitzung am 18. April 1959 Manuskript eingeliefert am 7. Juli 1959 Druckreif erklärt am 14. November 1959

E r s c h i e n e n i m A k a d e m i e - V e r l a g G m b H . B e r l i n W 1, L e i p z i g e r S t r . 3 C o p y r i g h t 1959 b y A k a d e m i e - V e r l a g G m b H ,

Berlin

Alle R e e h t e v o r b e h a l t e n L i z c n z - N r . 202 • 1 0 0 / 7 7 7 / 5 9 Satz und Druck: Druckhaus „Maxim Gorki", Bestellnummer:

2027/103/7

P r e i s : D M 3,20 P r i n t e d in G e r m a n y E S 18 G 1

Altenburg

-4

Herrn Professor Otto Koehler (Freiburg i. B.) in alter V e r b u n d e n h e i t zum 70. G e b u r t s t a g am 20. 12. 1959 gewidmet

VORBEMERKUNG Der Vortrag wurde im „Darwin-Jahr" 1959 in der öffentlichen Gesamtsitzung am 18. April 1959 gehalten. Das gewählte Thema wurde in Darwins Werk über „die Entstehung der Arten" erstmalig grundlegend erörtert. Die Auseinandersetzungen über die berührten Probleme sind auch heute noch nicht abgeschlossen. Es war meine Absicht, durch den Vortrag einen breiteren Zuhörerkreis mit der Arbeitsweise und den Gedankengängen der modernen Vererbungs- und Evolutionsforschung bekannt zu machen.

\ or 150 J a h r e n , am 16. Februar 1809, wurde ein Großer in der Geschichte der Biologie geboren, CHARLES DARWIN. I n demselben J a h r 1809 erschien das Lebenswerk eines anderen b e r ü h m t e n Biologen, die ,.Philosophie zoologique" von JEAX BAPTISTE DE LAMARCK. Und wieder 50 J a h r e später, im J a h r 1859 veröffentlichte DARWIN" sein weltbekanntes Buch ..Die E n t s t e h u n g der Arten'". — Das J a h r 1959 ist also ein J a h r , das vielfältige Erinnerungen an eine Zeit epochemachender Fortschritte in der biologischen E r k e n n t n i s wachruft. — Man kann wohl sagen, daß ,,Die E n t s t e h u n g der Arten'", ein Buch, das am Tage des Erscheinens bereits vergriffen war, in der wissenschaftlichen Welt und darüber hinaus bei allen an naturwissenschaftlichen und naturphilosophischen Fragen interessierten Menschen ein Aufsehen erregte, wie wohl vor oder nachher kein anderer Versuch, biologisches Geschehen historisch zu deuten und kausal zu begründen. Sowohl bei LAMARCK als auch bei DARWIN ist die Veränderlichkeit der Lebewelt, die Veränderlichkeit sowohl im individuellen Leben als auch im Ablauf der Erdgeschichte, der Ausgangspunkt der Betrachtungen. Oder, anders ausgedrückt, beide Forscher stellten die Ursachen der ontogenetischen und der phylogenetischen Variabilität zur Debatte, ein unerhört kühnes U n t e r f a n g e n f ü r die Zeit vor 150 resp. 100 J a h r e n , die noch in den Anschauungen der biblischen Schöpfungsgeschichte oder, von der Biologie aus gesehen, im Banne der LiNNEschen Ansichten von der Unveränderlichkcit der Arten stand. H e u t e ist die Tatsache des Evolutionsvorganges und der Veränderlichkeit der Arten eine unbestrittene E r k e n n t n i s . Die Diskussion über die Ursachen dieses Prozesses ergreift zwar heute nicht mehr so weite Kreise und wird auch nicht mehr so leidenschaftlich geführt wie in der Zeit, die unmittelbar auf das Erscheinen

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P a u l a Hertwig

von DARWINS Buch folgte, sie ist jedoch noch immer lebhaft im G a n g e . JULIAN HUXLEY, d e r E n k e l v o n THOMAS HUXLEY, d e s be-

r ü h m t e n Kampfgenossen von DARWIN, bezeichnete kürzlich die Evolutionslehre als die „synthetische Wissenschaft", denn viele Gebiete der Biologie wetteifern miteinander, um Material f ü r die weitere K l ä r u n g des Problems zu erarbeiten. — So bewegt sich die D e b a t t e unserer Tage auf einer anderen P l a t t f o r m als vor 50 bis 100 J a h r e n . Denn unsere Einstellung zu den vielseitigen Problemen der Evolutionslehre wird ja weitgehend bestimmt durch die fortschreitenden Erkenntnisse der V e r e r b u n g s l e h r e , die in dem vergangenen J a h r h u n d e r t durch zähe spezialisierte Kleinarbeit erworben wurden. — Der V e r s u c h löste die oft uferlosen S p e k u l a t i o n e n ab, u n d wenn je eine Mahnung befolgt wurde, so ist es diejenige von ERWIN BAUR, der bei der Gründung der Zeitschrift f ü r i n d u k t i v e Abstammungs- u n d Vererbungslehre seinen Zeitgenossen zurief: „Viel mehr Experimentieren u n d weniger Theoretisieren ist die Parole f ü r die nächste Zeit." Die Vermehrung unseres Wissens h a t aber auch Nachteile; denn unsere wissenschaftlichen Schlüsse verlieren an Anschaulichkeit u n d an allgemeiner Verständlichkeit. Die Folgerichtigkeit einer verallgemeinernden Konzeption, die sich auf viele Spezialergebnisse stützt, ist f ü r den N i c h t f a c h m a n n meist schwer zu verstehen. E s ist daher verständlich, d a ß das Wissen u m den heutigen Stand der Evolutionsforschung nicht mehr so weit verbreitet ist, wie dies am Anfang unseres J a h r h u n d e r t s der Fall war. D a r u m beinhaltet das gewählte Thema „Anpassung, Vererbung u n d E v o l u t i o n " auch nur einen kleinen Ausschnitt aus den gewaltigen, von LAMARCK u n d DARWIN in Angriff genommenen Fragekomplexen, freilich einen Ausschnitt von weitreichender Bedeutung, den ich versuchen will, verständlich zu machen. W a s versteht m a n unter Anpassung oder Adaptation? J e d e r Organismus steht in engster Beziehung zu seiner Umwelt, u n d es ist selbstverständlich, daß Leben nur möglich ist, wenn eine Anpassung an die Existenzmöglichkeiten, die ein gegebener Lebensr a u m m i t seinen anorganischen u n d organischen Gegebenheiten bietet, besteht, u n d wenn Änderungen dieser Umwelt a d a p t i v beantwortet werden können. „Leben birgt schon eine primäre Zweckmäßigkeit in sich" formulierte 1907 JENSEN. — Wir nehmen es

Anpassung, Vererbung und Evolution

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daher meist als selbstverständlich hin, daß der Bau von Tieren und Pflanzen weitgehend ihren Lebensbedingungen entspricht. — DARWIN drückte diese Tatsachen wie folgt aus: „Die Struktur eines jeden organischen Gebildes steht auf die wesentlichste, aber oft verborgene Weise zu der aller anderen organischen Wesen in Beziehung, mit welchen es in Konkurrenz um Nahrung oder Wohnung kommt, oder vor welchen es zu fliehen hat, oder von welchen es lebt." — Oder, um noch einen anderen bedeutenden Selektionstheoretiker zu Worte kommen zu lassen, den 1914 verstorbenen Freiburger Zoologen A U G U S T W E I S M A N N : „Alles ist Anpassung, Anpassung von heute, von gestern oder von Urzeiten her; alle Teile des Organismus sind aufeinander abgestimmt und ebenso ist das Ganze des Organismus seinen Lebensbedingungen angepaßt, und zwar in allen seinen Entwicklungsstufen und in allen seinen Lebensäußerungen." 1 ) Ein so weit gefaßter Begriff der Anpassung ist aber wenig geeignet, um zu konkreten Vorstellungen über den Mechanismus zu kommen, der dieser Erscheinung zugrunde liegt. Wir wollen daher einige leicht zu beobachtende Anpassungserscheinungen in drei Gruppen einordnen, wobei ich mir bewußt bin, daß hierdurch der Vielfalt der Erscheinungen Zwang auferlegt wird als eine unausbleibliche Folge von Ordnungsversuchen bei komplexen Erscheinungen. In die erste Gruppe ordne ich die a k t i v e n r e g u l a t o r i s c h e n Erscheinungen ein, d. h. die Umformungen, die das Einzelindividuum befähigen, mit den jeweils gegebenen Bedingungen des Lebens besser fertig zu werden. Es handelt sich meist um Anpassungen an nicht sehr extreme Schwankungen der Temperatur, der Beleuchtung, des osmotischen Druckes und der Nahrung, aber auch um Änderungen der Situationen, die eine andere Verhaltensweise erfordern. — Die Beispiele hierfür sind schier unerschöpflich. Einige wenige Bilder sollen deutlicher machen, was gemeint ist. Es gibt Sumpfpflanzen, z. B. das Pfeilkraut (Abb. 1), deren Blätter z. T. unter Wasser bleiben, z. T. auf dem Wasser schwimmen oder über dem Wasser in die Luft ragen. Die Unterwasserblätter sind bei ihnen anders ausgebildet als die Luftblätter. Auch die innere Struktur der Blätter ist verschieden, ich weise auf die großen Luftkammern der Unterwasserteile hin. — Zit. nach 0 . H E R T W I G (1922). Das Werden der Organismen S. 374.

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PAULA

HERTWIG

Nicht minder instruktiv ist der berühmte Versuch des Pariser B o t a n i k e r s GASTOX BOXXIER. E r teilte eine einzige

Löwenzahn-

pflanze in zwei Teile und versetzte die eine H ä l f t e in das Hochgebirge, die andere in die Ebene (Abb. 2). Bereits nach einigen Monaten sahen ..die beiden H ä l f t e n sehr verschieden aus, so verschieden", wie BOXXIER (1895) sagt, „ d a ß m a n die beiden H ä l f t e n wohl k a u m für die gleiche Spezies halten würde, wenn nicht ihre Geschichte bek a n n t wäre. Die Alpenpflanze wird zunächst nur 1 / 1 0 so groß als die

Abb. 1. P f e i l k r a u t (Sagittaria). Neben L u f t b l ä t t e r n u n d S c h w i m m b l ä t t e r n , beide mit pfeilförmiger Blattspreite, sind lange bandförmige Wasserblätter ausgebildet. R e c h t s sind die zugehörigen B l a t t q u e r s c h n i t t e gezeichnet. Das Assimilationsgewebe ist am besten im L u f t b l a t t ausgebildet. Die U n t e r w a s s e r b l ä t t e r sind d u r c h L u f t k a m m o r n ausgezeichnet. Aus M Ä G D F . F R A U , Abb. 1 8 ( 1 9 5 1 )

A n p a s s u n g , V e r e r b u n g und E v o l u t i o n

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gebirge (rechts). Xac-h BOXXIER (1895)

aus der Tiefebene, aber auch die Form und der anatomische Bau der Blätter, die Art der Behaarung, die Blütenfarbe usw. werden ganz verschieden. W e n n wir nun eine solche im Gebirge völlig veränderte Pflanze wieder ausgraben und in die Ebene zurückbringen, so nehmen die hier zugewachsenen Teile ganz die alte uns v e r t r a u t e Form wieder an ". Der alpine Charakter prägt sich in allen Teilen der PHanze aus. sowohl in den tiefgehenden Wurzeln, dem niederen Stengel als auch in der xerophilen B l a t t s t r u k t u r und der leuchtenden Blütenfarbe. —

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HERTWIG

Ich lasse einige Beispiele aus dem Tierreich folgen. E s ist bekannt, daß die P u p p e n des Kohlweißlings verschieden gefärbt sein können in Anpassung an den U n t e r g r u n d , auf dem sie sich v e r p u p p t e n . Ausschlaggebend f ü r die F ä r b u n g ist die Menge des schwarzen, melanotischen Pigmentes, dessen Ausbildung von einem E n z y m , der Tyrosinase, u n d d e m p H d e r K ö r p e r s ä f t e a b h ä n g t ( L . B R E C H E R , D Ü R R E N

u. a. m.). Die größte Empfindlichkeit, bezogen auf die Pigmentier u n g der späteren Puppe, zeigen Raupen, die kurz vor der Verpuppung herumwandern, u m einen geeigneten Platz f ü r die P u p p e n r u h e zu finden. I h r e pigmentbildenden E n z y m e (Tyrosinase) werden von den u l t r a r o t e n Strahlen eines hellen Untergrundes gehemmt, ebenso durch gelbe u n d grüne Umgebung (sehr starke H e m m u n g ) u n d durch die ultravioletten Strahlen einer schwarzen Umgebung gefördert (optimale Wirkung). W e n n m a n nun noch berücksichtigt, daß im weißen Licht die P u p p e entgrünt, im gelben Licht hingegen das Grün a m meisten geschützt ist, so erkennt man, wie LEONORE BRECHER (1922) sagte, d a ß ,,die Vorgänge so ineinander abgestimmt sind, d a ß eine F a r b a n p a s s u n g an die U m g e b u n g s f a r b e n result i e r t " , u m so mehr „ d a es in der N a t u r weder organgefarbigc noch hochrote, noch himmelblaue oder andere Flächen gibt, die keine gleichgerichtete F a r b änderung den P u p p e n induzieren". (Ungeklärt ist trotz Abb. 3. Links: Kiemen einer bei 33° C mancher Vermutungen noch gezüchteten Froschlarve. — Rechts: Kiemen einer etwa gleich weit entwickeldie Rolle der Augen, die bei ten, bei 15° C gezüchteten Larve. Nach der F a r b a n p a s s u n g eine Rolle DOMS (1915) spielen.) Ein letztes Beispiel bei Wirbeltieren möge folgen (Abb. 3). Die Kiemen der Kaulquappen, die bei höherer W a s s e r t e m p e r a t u r gezogen werden, sind länger u n d reicher verästelt als diejenigen gleichalter, bei N o r m a l t e m p e r a t u r gehaltener Kontrolltiere. E s handelt sich hierbei u m eine f u n k t i o n e l l e A n p a s s u n g , denn das raschere W a c h s t u m in dem wärmeren, sauerstoffärmeren Wasser erfordert eine bessere A t m u n g (Abb. 4). „ W a s den histologischen Bau der Kiemenf ä d e n betrifft, so besteht das Epithel der im sauerstoffarmen Milieu

Anpassung, Vererbung u n d Evolution.

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erzogenen Larven aus völlig abgeplatteten Zellen im ausgesprochenen Gegensatz zu dem rundzelligen Epithel der Sauerstofftiere" (DWASTICH 1 9 2 5 ) .

Ich beschließe die Erörterung der aktiv regulatorischen Anpassungen mit zwei theoretischen Fragen.

A b b . 4. Querschnitte durch K i e m e n f ä d e n einer S a l a m a n d e r l a r v e . L i n k s : in sauerstoffreichem, r e c h t s in s a u e r s t o f f a r m e m Wasser. N a c h DVASTICH (1925)

1. H a t die individuelle Umweltsvariabilität stets einen Anpassungswert? Die Antwort lautet nein, Zumindestens ist er uns in sehr vielen Fällen verborgen. So z. B. wenn eine Primel, Primula sinensis, bei Treibhaustemperatur weiß, bei niederer Temperatur rot blüht. 2. Wie steht es mit der Erblichkeit ? Die hier angeführten Beispiele werden von den Genetikern als Modifikationen bezeichnet. Vererbt wird, wie viele Versuche gezeigt haben, in allen Fällen nur die Fähigkeit, auf die Uniweltsreize in dieser oder jener Richtung anzusprechen, vererbt wird nicht dieses oder jenes extreme Merkmal, sondern eine breite R e a k t i o n s f ä h i g k e i t des Organismus auf Umweltseinflüsse. Diese Plastizität der R e a k t i o n s n o r m , ein Ausdruck, den der Leipziger Zoologe WOLTERECK prägte, ist wichtig für die individuelle und artliche Erhaltung, denn sie spricht meistens auf Faktoren an, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht beständig sind, sondern innerhalb bestimmter Grenzen schwanken, wie Temperatur, Belichtung, Sauerstoffgehalt usw. Wir finden daher diese regulative Anpassungsform bei denjenigen Organismen und denjenigen Funktionen am häufigsten, die solchen Umweltsschwankungen und einem Beanspruchungswechsel ausgesetzt sind.

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PAULA

HKRTWIG

E i n Diagramm (Abb. 5) möge die Beziehungen von Umwelt u n d Organismus veranschaulichen. Ein realer Organismus offenbart nie alle Erscheinungsformen u n d Funktionen, die er dank seines Erbgutes entwickeln könnte. N u r diejenigen seiner Anlagen können realisiert werden, die durch die Gegebenheiten der Umwelt möglich sind. Die Überschneidungszone, die je nach der Plastizität des Organismus bald zugunsten der Umwelt, bald zugunsten der Erblichkeit verschoben sein kann, bestimmt das jeweilige Erscheinungsbild und die Leistungsfähigkeit des Organismus. I m weiteren gehe ich auf Anpassungen ein, die nur noch teilweise, z. T. sogar nur scheinbar von äußeren Einwirkungen abhängig, in Abb. 5. S c h e m a zur V e r a n s c h a u l i c h u n g der E i n w i r k u n g von E r b e u n d U m w e l t Wirklichkeit aber ererbt auf die realisierten Formen und Funksind, und dadurch im indit i o n e n eines O r g a n i s m u s . — .Schraffierviduellen Leben zum großen tes Überschneidungsfeld: realisierter Teil oder ganz von UmweltsPhänotyp einflüssen unabhängig geworden sind. Wir wollen mit W A D D I X G T O N diese zweite Gruppe als pseudoexogene Anpassungen bezeichnen. — Einige Beispiele sollen das Gemeinte veranschaulichen. Seit G. H. M E Y E R (1867) u n d ,J. W O L F E (1870) ist bekannt, daß die Knochen überraschend gut mechanisch durchkonstruiert sind (Abb. 6). Das gilt sowohl für die Gelenkbildungen mit ihren Muskelansätzen als auch f ü r die Spongiosaanordnung innerhalb der Knochen. Dadurch, daß der Knochen nicht k o m p a k t , sondern spongiös gebaut ist, wird dem Prinzip der Materialersparnis Genüge getan u n d der Knochen gewinnt an Leichtigkeit. Die H a u p t s p a n n u n g s linien bei normaler Belastung sind in einem Modell eingetragen, sie entsprechen den statischen Anforderungen, die Ingenieure f ü r einen ähnlich geformten K r a n bei gleicher Beanspruchung angeben. E s ist auch bekannt, daß diese Feinheiten sich neuen Bedingungen anpassen können, so bei Deformation der Knochen, sei es nach Rachi-

Anpassung, Vererbung und Evolution

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tis, sei es nach schlecht verheilten Knochenbrüchen. Ein b e k a n n t e s Beispiel (Abb. 7) f ü r eine solche Anpassung ist der von J . WOLFF (1 870) und später von W. R o u x (1885) beschriebene Fall einer Kniegelenksankylose. d. h. einer knöchernen Verbindung von F e m u r u n d

Abb. Ü. a Knoehensehliff d u r c h das obere E n d e des menschlichen Oberschenkel.-?. b Modell m i t d e n H a u p t s p a n n u n g s l i n i c n nach statistischen B e r e c h n u n g e n . Xach WOLFF (1870)

Tibia. Die Richtung der Spongiosabalken e n t s p r i c h t w i e d e r u m dem Modell der Spannungslinien. Dennoch wäre es verfehlt zu glauben, daß die Knochenform und im besonderen die Gelenkform nur durch die F u n k t i o n geformt wird. Die Embryologie lehrt uns eindeutig, daß die G r u n d f o r m des Knochens und der Gelenke vor der F u n k t i o n festgelegt, also erblich bedingt ist. Am eindrucksvollsten erkennen wir dies bei der Ausbildung funktionsloser E x t r e m i t ä t e n in Transplantationsversuchen ( H A M B U R G E R . 1 9 2 8 ) , o d e r a u c h in R e g e n e r a t e n , d i e s i c h , w i e B I E R

1917 hervorhob, n a c h d e m u r s p r ü n g l i c h v o r h a n d e n e n

Bau-

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Paula Hhrtwig

A b b . 7. KniegelenksankyIo.se im L ä n g s s c h n i t t . Vergleiche die R i c h t u n g der b o g e n f ö r m i g e n S p o n g i o s a b ä l k c h e n u n d die d a z u s e n k r e c h t s t e h e n d e n S t ü t z balken mit d e m d a r u n t e r gezeichneten Modell einer K n i e g e l e n k s a n k v l o s e . Die L a g e der K n o c h e n b ä l k c h e n e n t s p r i c h t der m e c h a n i s c h e n I n a n s p r u c h n a h m e des v e r s t e i f t e n , a b g e w i n k e l t e n Kniegelenkes. X a e h W o i . f f (1870) u n d R o u x (1880)

Anpassung, Vererbung und Kvolution

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p l a n a u s b i l d e n . X u r die feinere G e s t a l t u n g und die E r h a l t u n g ' von Form

und

Funktion

ist

von

der

späteren

Beanspruchung

ab-

h ä n g i g . — E s u n t e r l i e g t k e i n e m Zweifel, d a ß die e r h a l t e n g e b l i e b e n e P l a s t i z i t ä t der K n o c h e n v o n g r o ß e m W e r t f ü r d a s I n d i v i d u u m u n d die A r t e r h a l t u n g ist. — E i n a n d e r e s B e i s p i e l b i e t e t die V e r h o r n u n g d e r H a u t a n S t e l len. die e i n e m b e s o n d e r e n D r u c k ausgesetzt sind, wie z. B . a n den B a l l e n der m e n s c h l i c h e n F u ß s o h l e . S c h o n DARWIN" m a c h t e d a r a u f

Abb. 8. Bauchseite des Straußes mit den beiden Schwielen. Umzeichnung nach einer Photographie von DUERDKX (1885). Aus WADIIIN'GTOX (1953) '2 Ncrt\vi