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German Pages [145] Year 2017
Peter Fischer / Heinz Walter Krohne
Angst und Furcht
V
Philosophie und Psychologie im Dialog
Herausgegeben von Christoph Hubig und Gerd Jüttemann Band 16: Peter Fischer / Heinz Walter Krohne Angst und Furcht
Peter Fischer / Heinz Walter Krohne
Angst und Furcht Mit einer Abbildung und 4 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-45247-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
Inhalt
Peter Fischer Furcht und Phobie, Angst und Depression. Zur begrifflichen Strukturierung eines Phänomenbereichs . . .7 Heinz Walter Krohne Angst, Furcht und Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
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Peter Fischer Furcht und Phobie, Angst und Depression
Zur begrifflichen Strukturierung eines Phänomenbereichs »Angst ist grundverschieden von Furcht.« Martin Heidegger
Paradigmatische Positionen zu Angst und Furcht aus der Geschichte der Philosophie Umgangssprachlich werden die Wörter »Angst« und »Furcht« oft synonym gebraucht. Wir bezeichnen mit ihnen ein unangenehmes Gefühl, das uns angesichts einer Gefahr überfällt oder in Erwartung einer bedrohlichen Situation in uns aufsteigt. Dieses Gefühl wird von Veränderungen körperlicher Zustände begleitet: So steigen zum Beispiel die Atmungs- und Herzschlagfrequenz, es kann zu Atemnot, Schweißausbrüchen und anderen physiologischen Reaktionen kommen. Wir können wie gelähmt sein, zittern oder in Panik geraten, also kopflos handeln. Das mit »Angst« oder »Furcht« bezeichnete Gefühl wird als Bedrückung und als Einengung erlebt und daher den erhebenden und befreienden Gefühlen oder Stimmungen, wie Freude und Hoffnung, gegenübergestellt. Andererseits stellen wir aber auch fest, dass die Furcht eine gesteigerte Aufmerksamkeit und motorische Anspannung mit sich bringt, also gerade das Gegenteil einer Lähmung oder Hemmung. Als flüchtige Erregung vergeht Angst oder Furcht mit der Situation, die sie hervorbringt. Aber das Gefühl kann sich auch zu einer Einstellung verfestigen, die das Verhalten von Menschen dauerhaft bestimmt. Dies geschieht, wenn es sich zu einer Charaktereigenschaft ausprägt, die dann als Laster gesehen wird und »Ängstlichkeit«, »Furchtsamkeit« oder »Feigheit« heißt. Die Psychoanalyse bzw. die Psychologie diagnostizieren bestimmte Ausprägungen des Gefühls als Angstneurose oder Angstpsychose bzw. Angststörung und unterscheiden dann zum Beispiel zwischen Phobie, Panik attacke und generalisierter Angststörung. 7
Bedrückende Affektionen, Laster, Neurosen, Phobien und dergleichen möchten wir lieber vermeiden.1 Und wenn sie denn doch auftreten, möchten wir ihnen so schnell wie möglich entfliehen. Diese Einstellung zu Angst oder Furcht bestimmt zunächst und zumeist auch deren philosophische Thematisierung. Ein kurzer philosophiegeschichtlicher Streifzug belegt dies hinsichtlich der antiken und der neuzeitlichen Philosophie. Die christlich-religiöse Philosophie dagegen bezeugt eine andere Einstellung zu Angst oder Furcht. Angst und Furcht als Störungen vernünftigen Denkens und Handelns Angst oder Furcht gelten seit der antiken Philosophie als Beeinträchtigungen vernünftigen Denkens und Handelns und damit als Behinderungen der Möglichkeit, glücklich bzw. moralisch zu leben. Epikureer und Stoiker stellen den Affekten die Ideale der Seelenruhe bzw. der Leidenschaftslosigkeit gegenüber. Insbesondere die Todesfurcht soll gebannt werden. Epikur gibt den Tenor dieser Bemühungen, der sich dann auch bei den Stoikern findet, vor, indem er schreibt: »Das schauererregendste aller Übel, der Tod, betrifft uns überhaupt nicht; wenn wir sind, ist der Tod nicht da; wenn der Tod da ist, sind wir nicht. Er betrifft also weder die Lebenden noch die Gestorbenen, da er ja für die einen nicht da ist, die anderen aber nicht mehr für ihn da sind« (Epikur, 2000, S. 45). Diese vernünftige Überlegung soll Angst oder Furcht niederhalten, sogar ausschalten. Das Wort für Vernunft beeinträchtigende Ergriffenheit durch Affekte, nämlich »Pathos«, wird in unserer Sprache zum Begriff des 1
Von Phänomenen wie dem schönen Grauen in der Romantik (M. Wollstone craft Shelley, E. T. A. Hoffmann, E. A. Poe, Villiers de L’Isle-Adam) oder dem Thrill bzw. Suspense in Literatur und Film wird hier abgesehen. Die Möglichkeit und das Verständnis dieser künstlerischen und künstlichen Ästhetisierungen von Angst oder Furcht – und damit ihre Verwandlung in eine Art Angst- bzw. Furchtlust (vgl. Caysa, 2016, S. 293 ff.) – setzen deren ursprüngliches Erleben und weitgehend auch deren Verstehen voraus. Die Möglichkeit der Ästhetisierung im Verhältnis zu Gefühlen ist etwas spezifisch Menschliches, sie steht den Tieren nicht offen.
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Krankhaften, des Pathologischen. In diesem Sinne schreibt bereits Seneca: »Es ist oft die Frage aufgeworfen worden, was besser sei, die Mäßigung der Leidenschaften oder ihre völlige Tilgung. Die Unsrigen (die Stoiker) fordern ihre Tilgung, die Peripatetiker ihre Mäßigung. Ich sehe nicht, wie irgendwelche Ermäßigung einer Krankheit heilsam oder nützlich sein könne. Wirf alle Furcht von dir: ich raube dir nichts von dem, was du dir nicht versagt wissen willst« (Seneca, 1993, S. 288 f.). Die Erfolgsaussichten des stoischen Konzepts der Tilgung der Leidenschaften stehen freilich nicht so gut, wie Seneca hofft, denn ein sinnliches Wesen wie der Mensch erleidet mit Notwendigkeit Affektionen. Daher scheint der aristotelische Vorschlag, durch tätige Gewöhnung an das Handeln in entsprechenden Situationen das rechte Maß an Affektivität auszubilden, also eine tugendhafte Charakterstärke – neudeutsch: Selbstkontrolle – zu erlangen, der menschlichen Natur angemessener zu sein. Wenn Aristoteles im Hinblick auf die Furcht die Tapferkeit als das rechte Maß zwischen Feigheit und Tollkühnheit empfiehlt, wird die Furcht nicht gänzlich getilgt (vgl. Aristoteles, 1995, S. 33–43; 1105b–1109b). Stattdessen wird einsehbar, dass die maßvolle Furcht sogar eine wichtige Bedingung erfolgreichen Handelns sein kann: Furcht im rechten Maß warnt ebenso vor Gefahr, wie sie vor Selbstüberschätzung schützt. Die Warn- und Schutzfunktion der Furcht findet anscheinend auch in den Fluchtoder Angriffsreaktionen der Tiere in Gefahrensituationen ihren Ausdruck. Neuzeitliche Philosophen, wie der Rationalist René Descartes, empfehlen, die Einbildungskraft zu nutzen, um der unliebsamen Wirkung bestimmter Affekte entgegenzuwirken. Nach dieser Psychomechanik soll der Betroffene seine Gedanken von der Gefahr abwenden und sich zum Beispiel Ruhm und Ehre vorstellen, die ihm für seine Tapferkeit zuteilwerden können. Die durch die Vernunft gelenkte Einbildungskraft soll also durch Vorstellungsbilder handlungsförderliche Affekte erzeugen, deren motivationale Kraft die der ursprünglichen situativen Affektion, welche handlungshemmend wirkt oder nicht erwünschte Handlungen initiiert, übertrifft (vgl. Descartes, 1649/1980, S. 335 f., § 211). Alle Nuancierungen zwischen der griechischen, der römischen und der neuzeitlichen Philosophie ändern letztlich doch nichts 9
an dem Befund, dass die Affekte bzw. Dispositionen Angst oder Furcht generell als Störfaktoren vernünftigen Denkens und Handelns gedacht werden. Daher wird empfohlen, sie zu tilgen oder zu beherrschen. Angst und Furcht als Weisen religiöser Wahrheit der Existenz Es bleibt der christlich-religiösen Philosophie vorbehalten, hinsichtlich Angst oder Furcht einen deutlich anderen Akzent zu setzen. Bei mittelalterlichen Denkern findet sich die Unterscheidung zwischen der knechtisch niederen Furcht, die sich auf Strafe und Übel in der Welt bezieht, und der reinen, gotteskindlichen Furcht, die als Ehrfurcht vor Gott zugleich die Liebe zu Gott ausdrückt. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Differenzierung nur als religiöse Analogie zur antiken Gegenüberstellung von lasterhafter Feigheit und tugendhaftem Mut, der das rechte Maß an Furcht einschließt. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Gottesfurcht eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber der Vernunft behaupten soll: Sie sei nicht wider die Vernunft, aber doch über diese hinausgehend als eine unersetzliche Weise religiöser Einsicht. Die Gottesfurcht wurzele damit in der Gotteskindlichkeit und in der Religiosität als den Wesensbestimmungen des Menschen und sei deren genuiner Ausdruck. Im gottesfürchtigen Sein zu Gott stelle sich die Sehnsucht nach Überwindung von Angst und Tod, das heißt die Sehnsucht nach Erlösung, dar. Der Görlitzer Schuhmachermeister und mystische Naturphilosoph Jakob Böhme nennt die Erlösung – also das Sein in Gott, das ewige Leben –, »Freiheit«. In seiner Schrift »De signatura rerum« schreibt Böhme: »Die Begierde der Freiheit ist sanft und licht, und wird Gott genannt, und die Begierde zur Natur macht in sich finster, dürre, hungerig und grimmig: die wird Gottes Zorn genannt; und die Finsterwelt, als das erste Prinzip, und die Lichtwelt das andre Prinzip, ist zwar kein abteilig Wesen, sondern eines hält das andere in sich verschlossen, und eines ist des andern Anfang und Ursache, auch Heilung und Arznei; welches erweckt wird, das bekömmt das Regiment, und offenbart sich im Äußern mit seinem Charakter, und macht eine Gestaltnis nach seinem Willen im Äußern nach sich, 10
wie man solches an einem erzürneten Menschen oder Tier sieht. Obgleich der äußere Mensch und Tier nicht die innere Welt sind, so hat doch die äußere Natur eben dieselben Gestaltnisse, denn sie urständet von der innern, und steht auf der innern Wurzel. Die dritte Gestalt ist die Ängstlichkeit, die urständet in der Natur von der ersten und andern, und ist der ersten und andern Behalter oder Erhalter […]. Diese drei Gestalten sind ineinander als eine, und sind auch nur eine, teilen sich aber durch den Urstand in viel Gestälte, und haben doch nur eine Mutter, als den begehrenden Willen zur Offenbarung, das heißt, der Vater der Natur und des Wesens aller Dinge« (Böhme, 1635/1974, S. 222 f.; 2. Kap., §§ 23, 24, 26). Nach Böhme ist das Leben der Geschöpfe durch die innere Lichtwelt der Freiheit und die äußere Finsterwelt der Verfallenheit an die Natur charakterisiert. In der Angst finde diese doppelte Bestimmtheit wie auch die Sehnsucht des »wiedergefaßten Willens« (Böhme, 1635/1974, S. 223; 2. Kap., § 27), der zurück zur Freiheit strebe, ihren kreatürlichen Ausdruck. In und mit der Angst sind also nach Böhme die ganze Bestimmung des Kreatürlichen und sein Sein in der Welt dem Menschen gegeben. In der Angst selbst »blitzt« (Böhme, 1635/1974, S. 223; 2. Kap., § 24 und öfter) damit die Wahrheit der kreatürlichen Existenz auf. Insofern wird die Angst als Zugang zur und Ausdruck der Wahrheit gedacht, anstatt in ihr eine Störung der Vernunft und daher ein notwendiges Verfehlen der Wahrheit zu sehen. Die Thematisierung der Angst in der christlich-religiösen Philosophie bleibt freilich immer auf das Jenseits und auf die Kreatürlichkeit des Menschen bezogen. Weltangst, Gottesfurcht und Liebe zu Gott sind hier aufs Engste ineinander verwoben. Diese Konzepte erscheinen daher stets als Interpretationen zu Johannes 16, 33, wo es heißt: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« Womit eben auch gesagt ist, dass Angst notwendigerweise zum Sein des Menschen in der Welt gehört. Die verdienstlichen Bemühungen der christlich-religiösen Philosophie, in Angst oder Furcht Weisen der Wahrheit anstatt Störungen der Vernunft zu sehen, erreichen ihren Höhepunkt in Sören Kierkegaards Werk »Der Begriff Angst« aus dem Jahre 1844. Dieses Werk darf, von Pascals »Gedanken« und den Schriften Böhmes einmal abgesehen, als die philosophische Geburtsurkunde des 11
Existenzialismus gelten. Martin Heidegger hebt diese Schrift aus allen theoretischen Schriften Kierkegaards heraus: In ihr habe sich Kierkegaard im Vergleich mit seinem sonstigen Schaffen am ehesten von Hegels Ontologie emanzipiert (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 235/Anm.) und sei am weitesten von allen Denkern in der Analyse des Angstphänomens vorgedrungen (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 190/Anm.). Allerdings bleibe Kierkegaards Ansatz in zweifacher Hinsicht beschränkt: Zum einen erfolgten seine Analysen im theologischen Zusammenhang, zum anderen gelange Kierkegaard über die existenzielle Thematisierung nicht hinaus zur existenzialen (Heidegger, 1927/1986, S. 235/Anm., S. 338/Anm.).2 Beide Beschränkungen möchte Heidegger mit seiner Analyse von Angst und Furcht im Rahmen der Daseinsanalyse überwinden. Weil Heideggers Ansatz noch immer der elaborierteste Versuch ist, Angst und Furcht als Weisen der Wahrheit der Existenz im Kontext einer weltlichen Philosophie zu denken und sie begrifflich konsequent voneinander zu unterscheiden, soll er im Folgenden ausführlicher betrachtet und schließlich mit empirischen Konzepten verglichen werden. Es soll aber zuvor nicht unerwähnt bleiben, dass bereits vor Kierkegaard und Heidegger im Rahmen einer nichtreligiösen Philosophie ein Phänomen der Furcht als symbolischer Hinweis auf die Freiheit und damit auf die Wahrheit der Existenz gedeutet wurde. Die furchtlose Betrachtung des Furchtbaren: Fühlbarkeit der Freiheit Diese Deutung gibt Immanuel Kant mit seiner Theorie des ästhetischen Urteils über das Dynamisch-Erhabene. Kant bemerkt, dass wir einen Gegenstand oder eine Begebenheit als furchtbar einschätzen können, ohne uns dabei zu fürchten. Dies ist dann der Fall, wenn wir – uns in Sicherheit wähnend – gewaltige Naturerscheinungen betrachten, denen wir nicht widerstehen könnten, wären wir 2 Das Verhältnis der Ansätze Kierkegaards und Heideggers werde ich im Folgenden in einigen Anmerkungen reflektieren: Ein separates Kapitel zu Kierkegaard würde den vorgegebenen Umfang dieser Studie sprengen.
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ihnen ausgesetzt. Kant schreibt: »Auf solche Weise wird die Natur in unserm ästhetischen Urteile nicht, sofern sie furchterregend ist, als erhaben beurteilt, sondern weil sie unsere Kraft (die nicht Natur ist) in uns aufruft, um das, wofür wir besorgt sind (Güter, Gesundheit und Leben), als klein, und daher ihre Macht (der wir in Ansehung dieser Stärke allerdings unterworfen sind) für uns und unsere Persönlichkeit demungeachtet doch für keine solche Gewalt anzusehen, unter die wir uns zu beugen hätten, wenn es auf unsre höchste Grundsätze und deren Behauptung oder Verlassung ankäme. Also heißt die Natur hier erhaben, bloß weil sie die Einbildungskraft zu Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in welchen das Gemüt die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung, selbst über die Natur, sich fühlbar machen kann« (Kant, 1790/1992, S. 186; B 105, § 28). Die furchtfreie Betrachtung von Naturgewalten, die in einer anderen Situation Furcht erregen würden, versetzt uns in eine Stimmung der Selbstschätzung, die zur Reflexion unserer Freiheit als Autonomie führt. Also nicht die reine praktische Vernunft allein, wie dies Kant in der »Kritik der praktischen Vernunft« erläutert, vermittelt uns durch die Achtung vor dem moralischen Gesetz unsere Selbstachtung als freie, das heißt autonome, Wesen. Auch die ästhetische Kontemplation des Furchtbaren, die zum Urteil über das DynamischErhabene führt, ermöglicht diese Selbstschätzung, indem sie das Selbstgesetzgebungsvermögen der Persönlichkeit dem Gemüt fühlbar macht. Das ästhetische Wohlgefallen am Dynamisch-Erhabenen »entdeckt«, wie Kant sagt, »die Bestimmung unseres Vermögens, so wie die Anlage zu demselben in unserer Natur ist« (Kant, 1790/1992, S. 186; B 106, § 28). Der furchtlosen Betrachtung des Furchtbaren erschließt sich also die Möglichkeit der moralischen Selbstbestimmung des Menschen (vgl. Fischer, 2003a, S. 289 ff.). Dieses Entdecken geschieht weder in der Weise des theoretischen noch des praktischen Vernunftgebrauchs, sondern durch ein Gefühl, welches Kant auf das Verhältnis von Einbildungskraft und Vernunft anlässlich der furchtlosen Betrachtung des Furchtbaren zurückführt. Ein solches Entdecken oder Fühlbarmachen müsste Heidegger als eine existenziale Erschließung anerkennen, aber die »Kritik der Urteilskraft« findet in »Sein und Zeit« keine Erwähnung, obwohl Kant dort der nach Aristoteles am häufigsten genannte Philosoph ist. Wie nun bestimmt Heidegger seinerseits Angst und Furcht? 13
Die existenzialphilosophische Analyse von Angst und Furcht Die existenzialphilosophische Analyse erfolgt im Prinzip in zwei Schritten. Zuerst wird phänomenologisch beschrieben, wie es ist, sich zu ängstigen oder zu fürchten. Damit wird die Befindlichkeit des Daseins in diesen Stimmungen existenziell, das heißt inhaltlich, charakterisiert, und zwar zunächst in ihrer durchschnittlichen Alltäglichkeit. Im zweiten Schritt werden diese Weisen des gestimmten In-der-Welt-seins zum Thema einer hermeneutischen Betrachtung. Diese möchte verstehen, welche Daseinsstrukturen diese Stimmungen ermöglichen und welche in der Stimmung noch nicht explizit verstandenen Daseinsmöglichkeiten sich damit bieten. Auf die existenzielle Charakterisierung folgt also die existenziale, das heißt strukturelle und modale, Interpretation.3 Die existenzielle Charakteristik der Furcht Heidegger beschreibt zunächst das Phänomen der Furcht. Dabei unterscheidet er zwischen dem Wovor der Furcht, dem Worum der Furcht und dem Fürchten selbst. Das Wovor der Furcht, also das Furchtbare, ist ein innerweltlich Begegnendes (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 140). Das Furchtbare hat den Charakter des Bedrohlichen. Die Phänomenologie des Bedrohlichen stellt Heidegger durch sechs Merkmale dar: 1) Das Bedrohliche hat die Bewandtnisart der Abträglichkeit. Die Bewandtnis des Bedrohlichen ist also in der Furcht thematisch. 2) Die Abträglichkeit ist eine bestimmte: Sie kommt aus einer bestimmten Gegend und betrifft bestimmte Aspekte des Daseins. 3) Das Bedrohliche ist dem Dasein nicht geheuer, das heißt das Dasein ist mit ihm nicht vertraut, während es mit dem im alltäglichen Umgang Zuhandenen vertraut ist. 4) Die Abträglichkeit naht drohend. Dieses Nahen muss immer als ein zeitliches verstanden werden, kann aber zusätzlich auch im räumlichen Sinne gemeint sein. 5) Das Bedrohliche ist 3
Die offensichtliche Ähnlichkeit der Daseinsanalytik mit der Psychoanalyse ist nicht unbemerkt geblieben: vgl. Boss (1980).
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in der Nähe, sodass es jederzeit treffen kann oder auch nicht. Aber diese Nähe ist wiederum nicht die vertraute Nähe des Zuhandenen. 6) Diese Spannung zwischen der Möglichkeit des Ausbleibens und Vorbeigehens einerseits und der Möglichkeit des Treffens andererseits steigert die Furcht und bildet sie aus. Durch diese Merkmale ist das Wovor der Furcht phänomenal charakterisiert.4 Über das Fürchten selbst schreibt Heidegger: »Das Fürchten selbst ist das sich-angehen-lassende Freigeben des so charakterisierten Bedrohlichen« (Heidegger, 1927/1986, S. 141; Hervorh. i. Original). Das Furchtbare setzt also eine Weise der Erschlossenheit voraus, die es als solches sein lässt, es freigibt. Die Furcht entdeckt, konstituiert sogar, das Furchtbare. Diese Befindlichkeit im Modus der Latenz ist Furchtsamkeit: »Das Fürchten als schlummernde Möglichkeit des befindlichen In-der-Welt-seins, die ›Furchtsamkeit‹, hat die Welt schon darauf hin erschlossen, daß aus ihr so etwas wie Furchtbares nahen kann« (Heidegger, 1927/1986, S. 141). Furchtsamkeit in diesem Sinne ist keine individuelle Veranlagung oder Charaktereigenschaft, also keine Neigung zu besonderer Furchtsamkeit oder Schreckhaftigkeit, sondern eine existenziale Möglichkeit der Befindlichkeit des Daseins überhaupt. Ethologische oder psychologische Theorien sprechen in diesem Zusammenhang von der Furcht als Disposition, die dann in der Furcht als Zustand aktualisiert wird. Das Worum der Furcht ist das Dasein selbst. Weil es mit dem Furchtbaren eine bestimmte Bewandtnis hat, weil es in bestimmter Weise abträglich ist, deshalb fürchtet das Dasein um sich in einer bestimmten Hinsicht. Wenn das Dasein um Hab und Gut, um »Haus und Hof« (Heidegger, 1927/1986, S. 141), fürchtet, dann fürchtet es um sich, weil es sich von dem her versteht und dessen bedarf, was es besorgt. Fürchtet das Dasein, dass anderen Bedrohliches widerfährt, dann fürchtet es doch um sich: um sein Mitsein mit den anderen, die ihm entrissen werden könnten. Fürchten kann es sich auch um seine körperliche Unversehrtheit, seine Gesundheit, sein Leben. Und schließlich kann es sich davor fürchten, in bestimmten Situationen in Furcht zu geraten, nicht mutig 4
Heideggers Phänomenologie der Furcht folgt in einigen wesentlichen Punkten der Beschreibung der Furcht, die Aristoteles in der Rhetorik gibt (vgl. Aristoteles, 2003, S. 89 ff./1382aff/2. Buch, 5. Kapitel).
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zu sein. Fürchten kann sich daher, wie Heidegger dies ausdrückt, nur ein Seiendes, dem es in seinem Sein um dieses Sein geht. Das Worum der Furcht in seinem vollen Umfang eignet daher nur dem Menschen. Befürchtet werden also ein bestimmter Verlust oder eine bestimmte Trennung von etwas, von dem her das Dasein sich definiert. Heidegger schreibt daher: »Die Furcht erschließt das Dasein vorwiegend in privativer Weise« (Heidegger, 1927/1986, S. 141). Weil die drohende Beraubung das bisherige Seins- und Selbstverständnis gefährdet, macht die Furcht verwirrt und kopflos, sie macht panisch. Deshalb muss sich das Dasein nach gewichener Furcht erst wieder zurechtfinden. Derivate der Furcht sind nach Heidegger das Erschrecken, wenn das Bedrohliche plötzlich naht, das Grauen, wenn das Bedrohliche etwas Unbekanntes ist, das Entsetzen, wenn Erschrecken und Grauen zugleich eintreten. Andere Abwandlungen sind Schüchternheit, Scheu, Bangigkeit, Stutzigwerden (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 142). Die existenzielle Charakteristik der Furcht erfasst jene Phänomene, auf welche sich der synonyme Gebrauch der Wörter »Angst« und »Furcht« im Alltag bezieht. Diese Phänomene sind auch grundlegend für den Gebrauch dieser Wörter als Begriffs namen in Ethologie und Psychologie. Die existenziale Interpretation der Furcht Hinsichtlich der Befindlichkeit des Daseins ist der alltägliche umsichtige Umgang durch Vertrautheit und Sicherheit geprägt. Dasein geht in seinem Besorgen und Fürsorgen auf und kann dabei der Auslegung seines In-der-Welt-seins durch das Man folgen, also das tun und sagen, was Man tut und sagt, ohne diese existenzielle Bestimmtheit eigens gewählt zu haben. Heidegger begreift diese durchschnittliche Alltäglichkeit der Existenz eines jeden, das Man-selbst, als Verfallenheit. Die Furcht bedeutet hinsichtlich der Befindlichkeit eine partielle und zumeist bloß kurzfristige Störung der Vertrautheit und Sicherheit. In der Furcht wird zwar etwas erschlossen, was in bestimmter Hinsicht abträglich, bedrohlich 16
und nicht geheuer ist, aber der Gesamtzusammenhang der alltäglichen Bedeutsamkeiten wird dadurch nicht infrage gestellt, das Dasein wird nicht gezwungen, sich auf sich selbst zu besinnen. Die Weisen des durch die Furcht motivierten Verhaltens sind darauf ausgerichtet, schnellstmöglich die Vertrautheit und Sicherheit zu erneuern bzw. auf Dauer zu stellen: Die kurzfristigen, unüberlegten Reaktionsweisen zielen darauf ab, dem Bedrohlichen zu entkommen bzw. dieses aus der Welt zu schaffen. Die Furcht vor der Furcht motiviert Überlegungen und Vorkehrungen, die die Daseinsrisiken in Zukunft minimieren sollen. Der existenziale Sinn der Furcht besteht also darin, dass sie die Flucht des Daseins in die Verfallenheit antreibt, deren Vertrautheit und Sicherheit erneuert und verfestigt, womit sich das Dasein zugleich von seiner möglichen Selbstbesinnung abkehrt. Es ist dies die Abkehr von der Last und Verantwortung der Selbstbestimmung. In der Furcht bleiben dem Dasein sowohl seine Hinwendung zur Verfallenheit als eine solche verborgen als auch seine Flucht vor sich selbst, vor seiner Selbstbestimmung zum eigentlichen Dasein. Heideggers existenziale Analyse der Furcht gipfelt in der These, dass die Abkehr im Verfallen von der existenzialen Möglichkeit eigentlichen Daseins, eine Abkehr, die sich in der Furcht vollzieht, letztlich in der Angst als einer Grundbefindlichkeit des Daseins gründet (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 186). Um dieses Verhältnis von Angst und Furcht weiter aufzuklären, sind also zunächst die Beschreibung und die Analyse der Angst notwendig. Die phänomenale Charakteristik der Angst und ihre existenziale Analyse Auch das Wovor der Angst hat den Charakter eines Bedrohlichen, ist aber kein bestimmtes innerweltlich Seiendes. Mit dem Bedrohlichen, das in der Angst gegeben ist, hat es daher keine Bewandtnis, es ist nicht in einer bestimmten Hinsicht abträglich. Diese privative Bestimmtheit des Bedrohlichen ist in der Angst gefühlsmäßig gegeben als Leere, Halt- und Sinnlosigkeit, als Belanglosigkeit, Irrelevanz, Unbedeutsamkeit alles Weltlichen, aber nicht als Abwesenheit der Welt. Unter dem Aspekt des Innerweltlichen wird das Wovor 17
der Angst als das »Nichts und Nirgends« (Heidegger, 1927/1986, S. 186) offenbar. Das Nichts steht dafür, dass alle Bewandtnis nichtig, belanglos ist. Das Nirgends steht dafür, dass wegen der Belanglosigkeit des Innerweltlichen die Bedrohung nicht aus einer bestimmten zeitlichen oder räumlichen Gegend kommt, sondern schon da ist, so nah, dass sie beengt und einem den Atem verschlägt. Das Nichts und Nirgends des Innerweltlichen führt dazu, dass sich die Welt einzig als Weltlichkeit schlechthin aufdrängt, denn die Unbedeutsamkeit des Innerweltlichen ist nur aufgrund von Weltlichkeit überhaupt möglich: Unbedeutsamkeit ist nicht schlechthin Negation der Bedeutsamkeit, sondern bedrohliche Privation der Bedeutsamkeit. In der Befindlichkeit der Angst erschließt sich also dem Dasein die Welt als solche, sein bloßes In-der-Welt-sein (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 187). Dieses nimmt in der Angst den Charakter des Bedrohlichen an, weil das Dasein in der Angst keinen Halt mehr findet an irgendeiner Bewandtnis irgendeines Innerweltlichen, auch nicht am bedrohlich Abträglichen der Furcht: »Die ›Welt‹ vermag nichts mehr zu bieten, ebensowenig das Mitdasein Anderer« (Heidegger, 1927/1986, S. 187). Das Dasein ist also in der Angst vor die Welt und vor die Nichtigkeit des Innerweltlichen gebracht. Das Wovor der Angst ist das In-der-Welt-sein selbst und als solches. Insofern könnten wir die Angst »Weltangst« nennen. Das In-der-Welt-sein ist aber ein Existenzial des Daseins: Es ist die Grundverfassung des Existierens. Insofern ängstigt sich das Dasein vor sich selbst. Daher könnten wir die Angst auch »Daseinsangst« nennen. Dasein und Welt sind korrelative Begriffe: Kein Dasein ohne Welt, keine Welt ohne Dasein. Das Worum der Angst ist gleichfalls das Dasein selbst, und zwar in derselben existenzialen Bestimmung. Das in der Angst erschlossene innerweltliche Nichts und Nirgends, die Nichtigkeit des Innerweltlichen, nimmt dem Dasein die Möglichkeit sich über die Verfallenheit an das Innerweltliche zu definieren: Ihm ist die Vertrautheit, Sicherheit und Bewandtnis, die das Mitsein im Man und die vom Man-selbst besorgte Welt des Zu- und Vorhandenen bieten, entzogen. Damit ist das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen. Zugleich ist das Dasein vereinzelt: Es kann nicht mehr als Man-selbst im Man aufgehen. Im Modus der Befindlichkeit, nicht des Begreifens, erschließt sich dem Dasein die Aufgabe, sein 18
eigenes In-der-Welt-sein-können zu entwerfen. Um dieses In-derWelt-sein-können ängstigt es sich, weil es im Innerweltlichen keinen Halt mehr findet. Heidegger schreibt: »Mit dem Worum des Sichängstigens erschließt daher die Angst das Dasein als Möglichsein und zwar als das, das es einzig von ihm selbst her als vereinzeltes in der Vereinzelung sein kann« (Heidegger, 1927/1986, S. 187 f.; Hervorh. i. Original). Das Dasein ist vor sein Möglichsein, also vor sein eigentliches Können gebracht, das darin besteht, frei zu sein, für sich selbst die Verantwortung zu übernehmen, also die Freiheit zum eigentlichen Seinkönnen zu haben5: »Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt das Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens. Die Angst bringt das Dasein vor sein Freisein für … (propensio in …) die Eigentlichkeit seines Seins als Möglichkeit, die es immer schon ist. Dieses Sein aber ist es zugleich, dem das Dasein als In-derWelt-sein überantwortet ist« (Heidegger, 1927/1986, S. 188; Hervorh. i. Original). In der Angst ist also sein In-der-Welt-Sein dem Dasein ursprünglich, das heißt unverstellt durch Verfallenheit, gegeben. Dem nichtdaseinsmäßig Seienden – Dinge, Pflanzen, Tiere – ist die Welt überhaupt nicht gegeben: Die jeweiligen Tierarten sind eins mit ihrer angepassten Lebensweise in einem bestimmten Biotop.6 Das Dasein ist aufgrund seines Seins immer schon sich selbst überantwortet. In der Verfallenheit, also auch in der Furcht, wird diese existenziale Bestimmung verdeckt und verdrängt. Die Angst offenbart die Selbstverantwortlichkeit im Modus der Befindlichkeit; die Analyse der Angst erfasst diese existenziale Bestimmung begrifflich. Die Freiheit der Selbstwahl ist also jene Seinsmöglich5
Kierkegaard bestimmt Freiheit als die Möglichkeit, zu können, die, insofern sie in der Angst ihren Ausdruck findet, »gefesselte Freiheit« ist, sich also noch nicht selbst bestimmt hat (vgl. Kierkegaard, 1844/1988, S. 47). Dass in der Angst der Halt am Innerweltlichen verloren ist, drückt Kierkegaard durch seine Rede vom »Schwindel der Freiheit« aus (S. 57). 6 Nach Heideggers Analyse von Angst und Furcht können sich Tiere also nicht in Angst und Furcht befinden. Wenn sie ein Benehmen zeigen, dass dem Verhalten sich fürchtender Menschen ähnlich ist, zum Beispiel eine Fluchtreaktion, dann muss dieses Benehmen anders erklärt werden als durch die Grundbefindlichkeit der Angst oder durch den uneigentlichen existenziellen Entwurf der Furcht (vgl. Heidegger, 1929/30/1983, S. 273 ff., S. 389 ff.).
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keit des Daseins, entweder im Modus der Uneigentlichkeit, der Verfallenheit, oder im Modus der Eigentlichkeit zu existieren. Diese Kontravalenz bringt den Gehalt der Gestimmtheit in der Angst auf den Punkt. Das Verhältnis von Angst und Furcht Die Analyse der Angst gestattet es, das Verhältnis von Angst und Furcht zu klären. Weil das in der Angst vor sich und vor sein Inder-Welt-sein gebrachte Dasein auf die Vertrautheit, welche die Verfallenheit bietet, verzichten muss, ist es ihm unheimlich zumute. In dieser Unheimlichkeit kommen das innerweltliche Nichts und Nirgends und damit das Nicht-zuhause-Sein zum Ausdruck: In der Welt nicht zu Hause zu sein ist für das Dasein bedrohlich. Deshalb flieht es vor der Unheimlichkeit in die Verfallenheit. Die Furcht ist eine Weise dieser Flucht, der die (latente) Angst zugrunde liegt. Denn die Furcht vermeidet die Bedrohung durch das Unheimliche, indem sie etwas Innerweltliches von bestimmter Bewandtnis als das Bedrohliche identifiziert: Eine bestimmte Bewandtnis ist als das Furchtbare nicht geheuer. Aber gerade damit wird der Bewandtniszusammenhang insgesamt in seiner Bedeutsamkeit nicht infrage gestellt, wodurch das Unheimliche vermieden wird. Das Dasein bleibt bei der »Welt«, wenn unter »Welt« die Gesamtheit des Innerweltlichen und dessen Bewandtniszusammenhang verstanden werden. Das Dasein »klammert« (Heidegger, 1927/1986, S. 191) sich an Innerweltliches, um der Unheimlichkeit der Angst zu entgehen, und fürchtet sich davor, dass dieses Klammern durch dieses oder jenes Furchtbare gelöst wird. Heidegger schreibt: »Und nur weil die Angst latent das In-der-Welt-sein immer schon bestimmt, kann dieses als besorgend-befindliches Sein bei der ›Welt‹ sich fürchten. Furcht ist an die ›Welt‹ verfallene, uneigentliche und ihr selbst als solche verborgene Angst« (Heidegger, 1927/1986, S. 189). Die Furcht ist also (latente, mögliche) Angst im Modus der Uneigentlichkeit. Sie organisiert die Flucht vor der eigentlichen Angst, die das Dasein auf sich selbst zurückwirft, indem sie die Nichtigkeit des Innerweltlichen, also auch des Furchtbaren, offenbart und so die Unheimlichkeit entbirgt. Angst ist eine Weise des Entbergens, also der exis20
tenzialen, das heißt die Grundstrukturen des Daseins betreffenden, Wahrheit. Furcht ist dagegen eine Weise des Verbergens, also der existenzialen Unwahrheit, obwohl sie existenziell geeignet sein mag, im Moment der Gefahr, diesem oder jenem Abträglichen zu entgehen sowie als Furcht vor der Furcht die Daseinsvorsorge zu motivieren. Heideggers Analyse der Angst erschöpft sich jedoch nicht in den Aspekten der Daseins- bzw. Weltangst und des Verhältnisses zur Furcht. Hinzu kommen noch die Aspekte der Todesangst, der Angst im Kontext des Gewissens und der Zeitlichkeit des Daseins. Todesfurcht und Todesangst In der Alltäglichkeit des Daseins ist der Tod als Ereignis furchtbar. Dies gilt sowohl für den Tod der anderen, wie auch für das Wissen um den eigenen Tod. Im Modus der Uneigentlichkeit versucht das Dasein die Todesfurcht zu überwinden, versucht sich zu beruhigen. Der Tod wird als Ereignis in die Alltäglichkeit des Daseins integriert. Der Tod wird als dieser oder jener Todesfall gesehen. Die Integration der Todesfälle in den Alltag durch Rituale und Besorgungen ist die ständige Flucht vor dem Tod. Für die Todesfurcht ist der Tod eine empirische Gewissheit: Man stirbt; auch ich werde irgendwann sterben, nur noch nicht jetzt. Das Man regelt, wie man sich zum Tode zu verhalten hat. Heidegger schreibt: »Schon das ›Denken an den Tod‹ gilt öffentlich als feige Furcht, Unsicherheit des Daseins und finstere Weltflucht. Das Man läßt den Mut zur Angst vor dem Tode nicht aufkommen« (Heidegger, 1927/1986, S. 254; Hervorh. i. Original). Die Todesangst dagegen erschließt das eigentliche Sein zum Tode, das darin besteht, den Tod in seinem spezifischen Möglichkeitscharakter zu verstehen. Das eigentliche Sein zum Tode ist erstens durch Jemeinigkeit konstituiert: Wenn es zu den Seinsmöglichkeiten des Miteinanderseins gehört, dass ein Daseiender durch einen anderen in dieser oder jener Hinsicht, zum Beispiel beruflich oder in sozialen Rollen, vertreten werden kann, so entfällt die Vertretungsmöglichkeit im Hinblick auf den Tod. Zweitens ist das Sein zum Tode das Sein zu etwas, was existierend nie 21
erfahren werden kann: Der Tod ist das Ende des Daseins. Wenn das Dasein ans Ende kommt, sich in seiner Gänze vollendet hat, ist es nicht mehr da. Hierauf gründet Epikurs oben zitiertes Argument gegen die Todesfurcht, welches aber nur das Sein zum Tode verdrängen soll. Für Heidegger ist dagegen entscheidend, dass das Sein zum Tode das Sein zu einer Möglichkeit ist, die dem Dasein beständig bevorsteht: Der Tod ist gewiss, sein Eintreten aber unbestimmt, also jeden Augenblick möglich. Ein existenzieller Lebensentwurf im Modus der Eigentlichkeit muss dies berücksichtigen. Drittens ist das Sein zum Tode das Sein zu einer Möglichkeit, die sich das Dasein nicht verfügbar machen kann, indem es darauf aus ist, ihre Verwirklichung zu besorgen. Heidegger schreibt deshalb: »Sodann aber müßte das Besorgen der Verwirklichung dieses Möglichen eine Herbeiführung des Ablebens bedeuten. Damit entzöge sich aber das Dasein gerade den Boden für ein existierendes Sein zum Tode« (Heidegger, 1927/1986, S. 261). Die Selbsttötung kann den Tod nicht verfügbar machen, weil sie das Dasein beendet, dem etwas verfügbar sein könnte. Hierin liegt die Absurdität der Selbsttötung. Die Todesangst holt also das Dasein zurück aus jener Verfallenheit, die im verdrängenden Integrieren des Todes besteht. Im Vorlaufen in die Seinsmöglichkeit des Todes enthüllt die Angst den Tod als das, was er ist. Heidegger schreibt: »Der Tod als Möglichkeit gibt dem Dasein nichts zu ›Verwirklichendes‹ und nichts, was es als Wirkliches selbst sein könnte. Er ist die Möglichkeit der Unmöglichkeit jeglichen Verhaltens zu …, jedes Existierens. Im Vorlaufen in diese Möglichkeit wird sie ›immer größer‹, das heißt sie enthüllt sich als solche, die überhaupt kein Maß, kein mehr oder weniger kennt, sondern die Möglichkeit der maßlosen Unmöglichkeit der Existenz bedeutet. Ihrem Wesen nach bietet diese Möglichkeit keinen Anhalt, um auf etwas gespannt zu sein, das mögliche Wirkliche sich ›auszumalen‹ und darob die Möglichkeit zu vergessen. Das Sein zum Tode als Vorlaufen in die Möglichkeit ermöglicht allererst diese Möglichkeit und macht sie als solche frei« (Heidegger, 1927/1986, S. 262; Hervorh. i. Original). Zum Dasein im Modus der Eigentlichkeit gehören das Aushalten der Todesangst und dessen, was sie enthüllt. Dieses Sein zum Tode ermöglicht das Selbstsein in der »ihrer selbst gewissen und sich 22
ängstigenden Freiheit zum Tode« (Heidegger, 1927/1986, S. 266; Hervorh. i. Original): frei von den Illusionen des Man, ohne Stütze im verdrängenden und integrierenden Besorgen und Fürsorgen, die die Todesfurcht vertreiben sollen. Die Todesangst ist eine Steigerung und Vervollkommnung der Welt- bzw. Daseinsangst. Die Jemeinigkeit des Todes erzwingt die Vereinzelung des Daseins; die Erschließung des Todes als der Möglichkeit der schlechthinnigen Unmöglichkeit der Existenz gestattet ein Verhältnis zur – insbesondere zeitlichen – Gänze des Daseins zwischen Geburt und Tod. Das Dasein wird als Ganzes vor sich selbst gebracht, weshalb das in Welt- und Daseinsangst erschlossene Nichts und Nirgends nicht mehr als momentaner und vorübergehender Verlust der Bedeutsamkeit des Innerweltlichen verstanden werden kann, sondern sich als die das Dasein in seiner Gänze bedrohende Nichtigkeit offenbart: Ist nicht alles, das ganze Dasein, sinnlos, wenn dieses in schlechthinniger Unmöglichkeit der Existenz endet? Die Stimme des Gewissens: Von der Befindlichkeit zum Verstehen Die Angst erschließt die Unheimlichkeit des Daseins in der Welt und den Möglichkeitscharakter des Todes im Modus der Befindlichkeit. Damit ist das Dasein aus der Verfallenheit an die vom Man, von seinem Gerede und Getue, durchherrschte Welt zurückgeholt und auf sich selbst in seiner Jemeinigkeit zurückgeworfen. Dass darin die Möglichkeit zur Bestimmung des eigensten Seinkönnens liegt, die Möglichkeit der Freiheit, ist zunächst eine These, die sich als offensichtliche Schlussfolgerung aus der Analyse der Daseins- bzw. Weltangst und der Todesangst ergibt. Ist aber die Möglichkeit zum eigentlichen Existieren auch dem Dasein selbst phänomenal gegeben? Was bezeugt dem Dasein in seiner Angst diese Möglichkeit? Antwort auf diese Fragen gibt nach Heidegger die »Stimme des Gewissens« (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 268 ff.; Hervorh. i. Original). Die Stimme des Gewissens ruft das Dasein zum eigenen Seinkönnen auf: zur Modifikation des Man-selbst zum eigentlichen Selbstsein. Dies bedeutet, dass das Dasein zu einer Wahl aufgerufen 23
wird, deren Möglichkeit sich ihm zunächst nicht erschlossen hat, wenngleich sie immer schon eine Möglichkeit des Daseins gewesen ist. Der Ruf des Gewissens betrifft also das Nachholen einer Wahl, deren Möglichkeit durch das »wahllose Mitgenommenwerden von Niemand«, das heißt durch »die Aufgaben, Regeln, Maßstäbe, die Dringlichkeit und Reichweite« des nächsten faktischen Seinkönnens in der Verlorenheit in die Anonymität des Man, verdeckt war (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 268). Die Stimme des Gewissens bezeugt diese Möglichkeit der Wahl, gibt also »etwas« zu verstehen (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 269). Damit verändert sich der Modus der Erschlossenheit von der Befindlichkeit zum Verstehen. Wie die Angst ist also das Gewissen eine Weise der Erschlossenheit des Daseins. Die beiden Phänomene unterscheiden sich zunächst in ihrem Modus: Angst ist Erschlossenheit im Modus der Befindlichkeit; Gewissen ist Erschlossenheit im Modus des Verstehens. Diese Unterscheidung ist allerdings eine analytische, denn zur »Befindlichkeit (Stimmung) gehört gleichursprünglich das Verstehen« (Heidegger, 1927/1986, S. 270) und das Verstehen ist je ein gestimmtes. Das Gewissen als Verstehen ist daher zugleich durch eine Stimmung charakterisiert. Es bedarf keiner besonderen Kühnheit, um zu vermuten, dass es sich hierbei um die Angst handeln wird. Ebenso wenig kann überraschen, dass es sich beim Gewissen um einen ausgezeichneten Modus der Erschlossenheit handelt (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 297). Denn was das Gewissen zu verstehen gibt, ist die Möglichkeit der Wahl des selbstbestimmten Daseins. Heidegger begreift daher diesen ausgezeichneten Modus der Erschlossenheit als Entschlossenheit. Dieser Terminus ist insofern glücklich gewählt, als er zwei wesentliche Aspekte zusammenfasst. Der eine Aspekt betrifft eine Implikation der Wahl: Wer in der Situation der Entscheidung steht, wird sich am Ende zu etwas entschlossen haben, gleichgültig, wie sein Entschluss ausgefallen ist. Er zeigt also Entschlossenheit. Der andere Aspekt betrifft das Zurückrufen aus der Benommenheit »vom ›Lärm‹ der mannig faltigen Zweideutigkeit des alltäglich ›neuen‹ Geredes« (Heidegger, 1927/1986, S. 271), also das Ent-schließen existenzieller Möglichkeiten aus ihrer Ver-schlossenheit durch das Mitgenommensein vom Man, ein Aufschließen, das möglich wird, weil die existenzialen Strukturen verstanden werden. 24
Die existenziale Analyse des Gewissensrufes Vom Gewissensruf getroffen wird nach Heidegger, »wer zurückgeholt sein will« (Heidegger, 1927/1986, S. 271). Zurückgeholt werden kann nur das dem Man verfallene Dasein: »Der Ruf trifft das Dasein in diesem alltäglich-durchschnittlich besorgenden Sich-immer-schon-verstehen. Das Man-selbst des besorgenden Mitseins mit anderen wird vom Ruf getroffen« (Heidegger, 1927/1986, S. 271). Das Dasein wird also in seinem Selbstverständnis als Man-selbst getroffen. Der Ruf des Gewissens stellt dieses Selbstverständnis infrage. Dies geschieht, indem das Dasein auf sein eigenes Selbst hin gerufen wird. Das Gewissen, so könnten wir sagen, fragt den von ihm Getroffenen, ob sein existenzieller Entwurf ein selbst gewählter ist oder nur dem Mitgenommenwerden vom Man entspringt. Es fragt sozusagen nach der Eigenverantwortung für das Führen der jemeinigen Existenz. Das Dasein kann sich seiner Eigenverantwortung nicht mehr entziehen, indem es sein Selbst hinter Traditionen, Konventionen und Üblichkeiten versteckt: »Weil nur das Selbst des Manselbst angerufen und zum Hören gebracht wird, sinkt das Man in sich zusammen. Daß der Ruf das Man und die öffentliche Ausgelegtheit des Daseins übergeht, bedeutet keineswegs, daß er es nicht mittrifft. Gerade im Übergehen stößt er das auf öffentliches Ansehen erpichte Man in die Bedeutungslosigkeit. Das Selbst aber wird, dieser Unterkunft und dieses Verstecks im Anruf beraubt, durch den Ruf zu ihm selbst gebracht« (Heidegger, 1927/1986, S. 273; Hervorh. i. Original). Dadurch wird der Doppelsinn der Entlastung, welche das Man bietet, aufgedeckt. Diese ist zum einen als Entlastung im Sinne einer anthropologischen Institutionslehre zu verstehen. In diesem Sinne bleibt auch das Selbst bei der Bestimmung seines eigentlichen existenziellen Entwurfes auf die faktischen Möglichkeiten des Man angewiesen. Zum anderen verdeckt das Man durch die von ihm gewährte anthropologisch notwendige Entlastung im institutionellen Sinne die »von ihm vollzogene stillschweigende Entlastung von der ausdrücklichen Wahl dieser Möglichkeiten« (Heidegger, 1927/1986, S. 268; Hervorh. i. Original). Die institutionelle Entlastung verdeckt im Modus der Verfallenheit die existenzielle Entlastung. Das 25
Dasein aus der existenziellen Entlastung zurückzuholen, das ist das Ziel des Rufes. Eine kritische Reflexion von Institutionen wird damit erst ermöglicht. Wenn Heidegger sagt, dass vom Ruf getroffen wird, wer zurückgeholt sein will, dann muss gefragt werden, worauf sich dieses Wollen gründet, wodurch es motiviert wird. Außerdem stellt sich die Frage, was gerufen wird, wenn doch das im Übergehen mitgetroffene Man in sich zusammensinkt, wie Heidegger sagt. Was kann noch gerufen werden, wenn die Vorgaben des Man in die Bedeutungslosigkeit gestoßen werden? Konsequenterweise lautet Heideggers Antwort: »Streng genommen – nichts. Der Ruf sagt nichts aus, gibt keine Auskunft über Weltereignisse, hat nichts zu erzählen« (Heidegger, 1927/1986, S. 273). Dem Dasein wird nichts zugerufen; es wird aufgerufen, für sich selbst Verantwortung zu tragen. Der Ruf des Gewissens gibt also nicht zu verstehen, was getan oder gesagt werden soll, sondern wie das Dasein existieren kann, nämlich entweder im Modus der Eigentlichkeit, der Eigenverantwortung, oder im Modus der Verfallenheit als Verlorenheit in das Man. Die Entsprechung zwischen Angst und Gewissen ist deutlich: Sie wird durch die Nichtigkeit des Innerweltlichen gestiftet. Diese Nichtigkeit erschließt sich der Angst, also im Modus der Befindlichkeit, als Stimmung bedrohlicher Haltlosigkeit, als Unheimlichkeit. Dem Ruf des Gewissens, also im Modus des Verstehens, erschließt sich diese Nichtigkeit im Übergehen des zweideutig-neugierigen Geredes. Die bedrohliche Haltlosigkeit wird verstanden als Bedeutungslosigkeit der Maßgaben des Man – durch die das Dasein sich immer schon als Man-selbst verstanden hatte – für das eigentliche Seinkönnen: Die Maßgaben des Man sind nur Möglichkeiten der Selbstbestimmung, sie bedürfen für ein eigentliches Dasein der selbst gewählten Sinnzueignung. Dadurch wird das Dasein zunächst in die Verschwiegenheit seiner selbst gezwungen: Den Ruf des Gewissens vernehmend entbehrt es jeglicher Verlautbarung, jeglicher wörtlichen Formulierung dessen, was zu tun und zu sagen ist. »Denn in der Tat läßt sich im Rufgehalt nichts aufweisen, was die Stimme ›positiv‹ empfiehlt und gebietet« (Heidegger, 1927/1986, S. 294). Indem der Ruf des Gewissens alle konkreten Maximen versagt und zugleich alle bisherigen Maßgaben übergeht, suspendiert er auch die bisherige Auslegung, also das Selbstverständnis des Daseins 26
als Man-selbst: »Das angerufene Selbst bleibt in seinem Was unbestimmt und leer. Als was sich das Dasein zunächst und zumeist versteht in der Auslegung aus dem Besorgten her, wird vom Ruf übergangen« (Heidegger, 1927/1986, S. 274; Hervorh. i. Original). Wie die Weltangst durch den Ruf des Gewissens als Bedeutungslosigkeit der Maßgaben des Man verstanden wird, so die Daseinsangst als Bedeutungslosigkeit der Selbstauslegung des Manselbst. Wenn das aber so ist, wer ruft dann das Selbst des Daseins? Man und Man-selbst scheiden als mögliche Rufer aus. Heidegger schreibt: »Das Dasein ruft im Gewissen sich selbst« (Heidegger, 1927/1986, S. 275; Hervorh. i. Original). Dieses Verständnis des Rufers gehört nicht zwingend zur phänomenalen Gegebenheit des Rufes. In gewisser Weise scheint der phänomenale Befund diesem Verständnis sogar zu widersprechen: »Der Ruf wird ja gerade nicht und nie von uns selbst weder geplant, noch vorbereitet, noch willentlich vollzogen. ›Es‹ ruft, wider Erwarten und gar wider Willen. Andererseits kommt der Ruf zweifellos nicht von einem Anderen, der mit mir in der Welt ist. Der Ruf kommt aus mir und doch über mich« (Heidegger, 1927/1986, S. 275; Hervorh. i. Original). Insbesondere jener phänomenale Aspekt des Rufes, welcher besagt, dass der Ruf »aus mir« kommt, wird von herkömmlichen Gewissensdeutungen zugunsten der anderen Aspekte übergangen, indem der Gewissensruf als Äußerung einer fremden Macht interpretiert wird: theologisch als Stimme Gottes, soziologisch als Stimme der Gesellschaft oder biologisch als instinktive Hemmung. Das Phänomen, dass der Ruf aus mir kommt, wird dann als Ausdruck der Internalisierung bzw. Bewusstwerdung dieser Instanzen gedacht. H eidegger versucht dagegen, eine Deutung zu geben, die ausschließlich auf die phänomenalen Befunde und deren Analyse zurückgreift. Die Analyse gelangt zu der Schlussfolgerung, dass das Dasein sich selbst ruft. Der phänomenale Befund besagt, dass das Dasein in seinem Selbstverständnis als Man-selbst vom Ruf getroffen wird und zum eigenen Seinkönnen aufgerufen wird. Die Vermittlung zwischen diesen Modifikationen des Daseins, also zwischen seinem uneigentlichen und seinem eigentlichen Sein, leistet jene Befindlichkeit des Daseins, die auf beide Modifikationen bezogen ist: das »im Grunde seiner Unheimlichkeit sich befindende Dasein« (Heidegger, 1927/1986, S. 276; Hervorh. i. Original). Das Dasein in Angst ist 27
also der Rufer. Die Angst ist auf beide Modifikationen des Daseins bezogen, weil sie einerseits die Haltlosigkeit des Innerweltlichen und des ihm entsprechenden Selbstverständnisses und andererseits die Möglichkeit zum eigenen Seinkönnen erschließt. Dem Manselbst, welches vom Ruf getroffen wird, ist der Rufer, das Dasein in seiner Unheimlichkeit, zunächst fremd, weshalb der Rufer in den herkömmlichen Interpretationen als fremde Instanz aufgefasst wird: »Der Rufer ist in seinem Wer ›weltlich‹ durch nichts bestimmbar. Er ist das Dasein in seiner Unheimlichkeit, das ursprüngliche geworfene In-der-Welt-sein als Un-zuhause, das nackte ›Daß‹ im Nichts der Welt. Der Rufer ist dem alltäglichen Man-selbst unvertraut – so etwas wie eine fremde Stimme« (Heidegger, 1927/1986, S. 276 f.; Hervorh. i. Original). In der Unvertrautheit des Rufers für das vom Ruf getroffene Manselbst liegt aber offensichtlich auch die Möglichkeit, das Verständnis des Gewissens zu verfehlen. Denn wird die »fremde Stimme« als etwas Geistliches oder Weltliches identifiziert, das innerweltlich begegnen kann – Stimme Gottes, der Gesellschaft, der menschlichen Natur –, dann erschließt sich diese Fremdheit in der Stimmung der Furcht: Das Dasein erlebt Gewissensqualen und Schuldgefühle, weil es sich davor fürchtet, den Geboten Gottes oder den gesellschaftlichen Normen nicht zu entsprechen bzw. für deren Übertretung bestraft zu werden, oder weil es fürchtet, ein Monster zu sein, dem die natürlichen Hemmungen fehlen. Die Gewissensfurcht ist die Stimmung der herkömmlichen Gewissensauslegungen.7 7 Dies bleibt das Problem der Angstkonzeptionen innerhalb der religiösen Philosophie. So will Kierkegaard die Angst überwinden durch den Sprung in den Glauben. Er sucht damit die Erlösung im ewigen Leben. Sein Konzept schwankt daher zwischen dem Begriff der eigentlichen Angst, von ihm insbesondere als Angst vor der Möglichkeit der Freiheit erfasst, und dem Begriff einer im Sinne Heideggers uneigentlichen Angst, die sich letztlich als Furcht vor der Endlichkeit und als Flucht in die Unendlichkeit entpuppt (vgl. Kierkegaard, 1844/1988, S. 141 ff.). Die beiden Pole, zwischen denen Kierkegaards Begriff der Angst schwankt, treten aber nicht in der Gegenüberstellung verschiedener Bestimmungen auf, sondern charakterisieren alle Bestimmungen immanent: So ist die Freiheit für Kierkegaard letztlich die Freiheit zum Sprung in den Glauben. Der Mensch wird also seinem Begriff, seinem Wesen, nur gerecht, wenn er diesen Sprung vollzieht: Nur dann kann er gut sein und erlöst werden. Heidegger dagegen würde zwar zugeben, dass
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Dagegen gewinnt die Fremdheit der Stimme des Gewissens eine ganz andere Bedeutsamkeit, wenn Daseins-, Welt- und Todesangst ausgehalten werden: Sie fungiert dann eher als Verfremdung der vertrauten Entlastung, welche das Man bietet, indem sie diese Entlastung in einem neuen Licht erscheinen lässt, welches das Gewissensverständnis und damit die Möglichkeit der Selbstwahl erschließt. Daher kann nun auch die Frage nach der Motivation beantwortet werden: Das Dasein will aus Angst Gewissen haben. »Unheimlichkeit ist die obzwar alltäglich verdeckte Grundart des In-der-Weltseins. Das Dasein selbst ruft als Gewissen aus dem Grunde dieses Seins. Das ›es ruft mich‹ ist eine ausgezeichnete Rede des Daseins. Der durch die Angst gestimmte Ruf ermöglicht dem Dasein allererst den Entwurf seiner selbst auf sein eigenstes Seinkönnen. Der existenzial verstandene Gewissensruf bekundet erst, was früher lediglich behauptet wurde: die Unheimlichkeit setzt dem Dasein nach und bedroht seine selbstvergessene Verlorenheit« (Heidegger, 1927/1986, S. 277). Die Bedrohung durch die Unheimlichkeit motiviert das Dasein zum Gewissen-haben-wollen, zur selbst gewählten Sinnzueignung, und erschließt ihm diese Möglichkeit seines Existierens. »Die im Verstehen mitenthüllte Unheimlichkeit wird genuin erschlossen durch die ihm zugehörige Befindlichkeit der Angst. Das Faktum der Gewissensangst ist eine phänomenale Bewährung dafür, daß das Dasein im Rufverstehen vor die Unheimlichkeit seiner selbst gebracht ist« (Heidegger, 1927/1986, S. 296; Hervorh. i. Original). Die Angst ist also die Stimmung, die zum Tragen der Eigenverantwortung motiviert und die diese Selbstbestimmung ermöglicht, indem sie die Fremdbestimmung durch das Man als belanglos erleben lässt. Das Gewissen als Erschlossenheit im Modus des Verstehens ist damit zugleich eine Weise der Verarbeitung, des Verwindens, der Angst. Das Verwinden vollzieht sich im Entschluss. die Möglichkeit zum Sprung in den Glauben in der existenzialen Struktur des Daseins gründet und dass dieser Sprung eine existenzielle Möglichkeit des Entwurfs ist, aber er würde bestreiten, dass das Dasein nur dann seinem eigensten Seinkönnen gemäß existiert, wenn es diesen Sprung vollzieht. Konsequenterweise müsste Heidegger den Sprung in den Glauben sogar als uneigentliches Existieren verstehen, weil dieser die Nichtanerkennung der Endlichkeit des Daseins, insbesondere die Nichtanerkennung des Todes als der Möglichkeit der Unmöglichkeit des Existierens, impliziert.
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Der Entschluss: Von der Angst zur Freude Im Hören auf das Gewissen wird die in der Befindlichkeit der Angst erschlossene Unheimlichkeit als in der existenzialen Nichtigkeit gegründet verstanden. Nichtigkeit ist Heideggers Begriff für prinzipielle Seinsschranken des Daseins, das heißt für jene Momente, welche die Endlichkeit des Daseins, also sein Nichtkönnen oder Nicht-gleichzeitig-auch-können, wesenhaft und in verschiedenen Hinsichten ausmachen. Existenziale Nichtigkeit ist konstitutiv für das Sein des Daseins und kann daher durch keine »Entwicklung« des Daseins beseitigt oder »aufgehoben« werden (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 284 ff.). Das Dasein selbst ist der strukturelle Grund dieser Nichtigkeit, was Heidegger mit seinem ontologischen Begriff des Schuldigseins erfasst: »Grundsein für ein durch ein Nicht bestimmtes Sein – das heißt Grundsein einer Nichtigkeit« (Heidegger, 1927/1986, S. 283; Hervorh. i. Orginal). H eideggers Rede vom Schuldigsein des Daseins bringt also zum Ausdruck, dass dieses existierend schuldig ist, unabhängig von irgendeinem Verschulden, welches an irgendeinem sittlichen Maßstab gemessen wird. Es geht um das Schuldigsein aufgrund der Seinsstrukturen des Daseins. Die Nichtigkeit durchzieht die gesamte Struktur des Daseins und umfasst vier Hauptmomente: 1) Das Dasein in seiner Jemeinigkeit kann sich nicht selbst zur Welt bringen, kann nicht die vorgefundenen Bedingungen bestimmen, in die es hineingeboren wird, ist also seiner nicht von Grund auf mächtig und hat letztlich doch als Grund seiner selbst zu sein, das heißt sein Leben verantwortlich zu führen. 2) Das Sein zum Tode ist ein Sein zur schlechthinnigen Unmöglichkeit der Existenz, die jeden Augenblick möglich ist. 3) Das Dasein kann nicht alle faktisch sich bietenden Möglichkeiten ergreifen, sondern muss das Nicht-auch-gewählt-haben anderer Möglichkeiten tragen. 4) Das Dasein kann nicht ein für alle Mal seine Existenz als eigentliche sichern, sondern muss seine Selbstbestimmung angesichts der bleibenden Möglichkeit, immer wieder der Fremdbestimmung durch das Man zu verfallen, ständig wiederholen und revidieren. Zum Handeln im Modus der Eigentlichkeit gehört die Annehmung der radikalen, im Dasein selbst wurzelnden Endlichkeit und des Lastcharakters des Daseins. Die Einsicht in das ontologisch 30
verstandene Schuldigsein ist also das Erschließen der Handlungsrelevanz der Nichtigkeit des Daseins. Diese Entschlossenheit wird im Entschluss situiert. Entschlossenheit und Entschluss sind also nicht dasselbe: Die Entschlossenheit charakterisiert das Dasein, das sich in seinen existenzialen Strukturen durchsichtig geworden und so zum eigentlichen Selbstverständnis gelangt ist; der Entschluss ist die Situierung der Entschlossenheit, das heißt im Entschluss werden die faktischen Möglichkeiten im Lichte der Entschlossenheit gesichtet, bewertet und ausgewählt, womit die Situation des Daseins erschlossen und eine konkrete Sinnzueignung vollzogen wird, das Dasein also somit seinen eigentlichen Entwurf existenziell bestimmt. Das Dasein, das einen auf diese Weise bestimmten Entschluss fasst, wählt sich selbst, wählt sich als das, was es eigentlich ist und zu sein hat (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 287 f.). Das fortschreitende Verstehen der Existenziale Angst, Gewissensruf und Entschlossenheit führt also nicht zu einer Bestimmung des Besorgbaren (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 294), sondern zu einem Selbstverständnis des Daseins: »Nunmehr ist mit der Entschlossenheit die ursprünglichste, weil eigentliche Wahrheit des Daseins gewonnen« (Heidegger, 1927/1986, S. 297, Hervorh. i. Original). Erst wenn sich das Dasein in die »Wahrheit der Existenz« (Heidegger, 1927/1986, S. 297; Hervorh. i. Original) gebracht hat, kann es auf die ihm eigene, die seinem Seinkönnen entsprechende Weise entdecken, was zu tun ist: »In sein ›Da‹ geworfen, ist das Dasein faktisch je auf eine bestimmte – seine – ›Welt‹ angewiesen. In eins damit sind die nächsten faktischen Entwürfe von der besorgenden Verlorenheit in das Man geführt. Diese kann vom je eigenen Dasein angerufen, der Anruf kann verstanden werden in der Weise der Entschlossenheit. Diese eigentliche Erschlossenheit modifiziert aber dann gleichursprünglich die in ihr fundierte Entdecktheit der ›Welt‹ und die Erschlossenheit des Mitdaseins der Anderen. Die zuhandene ›Welt‹ wird nicht ›inhaltlich‹ eine andere, der Kreis der Anderen wird nicht ausgewechselt, und doch ist das verstehende besorgende Sein zum Zuhandenen und das fürsorgende Mitsein mit den Anderen jetzt aus deren eigenstem Selbstseinkönnen heraus bestimmt. […] Aus dem Worumwillen des selbstgewählten Seinkönnens gibt sich das entschlossene Dasein frei für seine Welt« (Heidegger, 1927/1986, 31
S. 297 f.; Hervorh. i. Original). In der Wahrheit der Existenz hat also das Dasein seinen Einstand zur Welt verändert. Diese Modifikation ist aber keine willkürliche Einstellungsänderung, wie sie etwa der Rat »Denke positiv« empfiehlt. In der Wahrheit seiner Existenz gibt sich das Dasein frei für das je eigene Seinkönnen des ihm Begegnenden: Es bemisst die anderen und das Besorgbare also nicht nach ihrem »Wert« im »regelbaren Geschäftsgang« des alltäglichen Lebens (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 294, S. 289, S. 286, S. 99). Daher entdeckt der Entschluss die eigentlichen faktischen Möglichkeiten als solche. Der Entschlossene fragt nicht, was man angesichts einer »allgemeinen Lage« tut, sondern erschließt die jeweilige Situation in ihrer Jemeinigkeit und Eigenheit (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 299 f.), was Offenheit für die Zurücknahme und für die modifizierte Wiederholung des Entschlusses impliziert (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 308). Die Entschlossenheit entspringt also dem »nüchternen Verstehen faktischer Grundmöglichkeiten des Daseins« (Heidegger, 1927/1986, S. 310). In dieser Nüchternheit ist das Bedrohliche des von der Angst erschlossenen Nichts und Nirgends verarbeitet: »Mit der nüchternen Angst, die vor das vereinzelte Seinkönnen bringt, geht die gerüstete Freude an dieser Möglichkeit zusammen« (Heidegger, 1927/1986, S. 310). Die Haltlosigkeit verliert ihr Bedrohliches, wenn sie als »die Möglichkeit zu handeln« (Heidegger, 1927/1986, S. 294; Hervorh. i. Original) verstanden ist. Indem das Dasein versteht, dass ihm aufgrund seines Seins kein absoluter Halt vorgegeben ist, dass die Maßgaben des Man als Möglichkeiten nicht absolut verbindlich sind, es also frei ist, kann es den Mut und die Zuversicht des Schaffens, immer eingedenk seiner wesenhaften Endlichkeit, fassen. Das Dasein, welches als Sein zum Tode existiert, ist gerüstet gegen das Bedrohliche dieses oder jenes Innerweltlichen, welches die Furcht erschließt. Insofern gilt: »Der Entschlossene kennt keine Furcht, versteht aber gerade die Möglichkeit der Angst als der Stimmung, die ihn nicht hemmt oder verwirrt. Sie befreit von ›nichtigen‹ Möglichkeiten und läßt freiwerden für eigentliche« (Heidegger, 1927/1986, S. 344; Hervorh. i. Original). Angst, die im Entschluss verstanden wird, hemmt und verwirrt also nicht, wie dies bei der panischen Furcht der Fall sein kann. Aufgrund seiner Furchtlosigkeit wird der Entschlossene von Heidegger sogar als der 32
»Verwegene« bezeichnet: »Die Angst des Verwegenen duldet keine Gegenstellung zur Freude oder gar zum behaglichen Vergnügen des beruhigten Dahintreibens. Sie steht – diesseits solcher Gegensätze – im geheimen Bunde mit der Heiterkeit und Milde der schaffenden Sehnsucht« (Heidegger, 1929/1996, S. 118). Der Entschlossene kennt keine Furcht, weil er seine Angst verstanden hat und in Freude über seine Freiheit die Möglichkeit zu handeln ergreift. Die Entschlossenheit und das Aushalten der Angst verwinden die Finsterwelt, von der Jakob Böhme sprach, in der Heiterkeit. Die Angst, soviel lässt sich bereits jetzt sagen, wird von Heideg ger als die Stimmung gedacht, in der sich das Dasein auf sich selbst besinnen kann: auf seine ihm eigene Endlichkeit hinsichtlich seiner zeitlichen Erstreckung und hinsichtlich seiner existenziellen Möglichkeiten; auf seine Eigenverantwortung und auf den daraus resultierenden Lastcharakter seines Existierens. Angst ist als die Stimmung beschrieben und analysiert, die das Dasein zur Besinnung bringen kann, also als die Stimmung, die es ermöglicht, entschlossen Selbstständigkeit zu gewinnen und diese durch die revidierbare Wiederholung des Entschlusses zu sichern, also seine Existenz selbstbestimmt zu führen. Die Zeitlichkeit von Angst und Furcht Heideggers zeitliche Deutung von Angst und Furcht kann hier aufgrund des für die Darstellung vorgegebenen Umfangs nicht ausführlich rekonstruiert werden. Zumindest sei erwähnt, dass Heidegger verdeutlicht, dass der zeitliche Horizont in der Furcht stark verengt ist. Heidegger charakterisiert diese Zeitlichkeit als »ein gewärtigend-gegenwärtigendes Vergessen« (Heidegger, 1927/1986, S. 342). Das Gewärtigen steht für die Verengung der Antizipation auf das unmittelbare Nahen des Bedrohlichen. Das Vergessen meint die Selbstvergessenheit, die dem panischen Handeln aus Furcht entspricht: Neuere empirische Theorien sprechen von einem in der Furcht gehemmten Zugriff auf das Gedächtnis (vgl. z. B. Tembrock, 2000, S. 82 ff.). Das Gegenwärtigen steht für ein unüberlegtes Ergreifen der nächstbesten Möglichkeit. So schreibt Heidegger: »Daß zum Beispiel die Bewohner eines bren33
nenden Hauses oft das Gleichgültigste, nächst Zuhandene ›retten‹, ist bekannt« (Heidegger, 1927/1986, S. 342). Die zeitliche Verengung in der Furcht entspricht deren Charakteristik als einer gedrückten Stimmung und ihrer Funktion, in gefährlicher Lage ohne Überlegung rasch eine Reaktion zu veranlassen. Die Zeitlichkeit der Furcht ist eine uneigentliche Weise des Zeitigens, die es dem Dasein nicht ermöglicht, zur Wahrheit seiner Existenz zu gelangen. Die Zeitlichkeit der Angst charakterisiert Heidegger weder als eigentliche noch als uneigentliche, wenngleich in ihrer Bestimmung die Möglichkeit des eigentlichen Zeitigens anklingt (vgl. Heidegger, 1927/1986, S. 342 ff.). Die Zeitlichkeit der Angst kann zusammengefasst charakterisiert werden als vorlaufend-an-sichgehaltenes Bringen vor die Wiederholbarkeit. Darin enthalten: das Sein zum Tode in der Todesangst als vorlaufendes Erschließen des spezifischen Möglichkeitscharakters des Todes; das an sich selbst Gehaltensein des Daseins im Gegenwärtigen seiner Jemeinigkeit sowie die Möglichkeit der Wiederholung – also die Wiederholbarkeit – der Zueignung seiner Geworfenheit in eigener Verantwortung. Dass Heidegger die Zeitlichkeit der Angst weder als eigentliche noch als uneigentliche bestimmt, entspricht der Angst als Stimmung zur Besinnung: Diese Besinnung ist als eine Krise des Daseins zu verstehen, deren Ausgang zunächst offen ist, die also nicht notwendigerweise im Entschluss und damit in der Wahrheit der Existenz enden muss. Auf die Angst als Krisenstimmung wird im folgenden Vergleich der Position Heideggers mit humanund naturwissenschaftlichen Konzepten zurückzukommen sein.
Die existenzialphilosophische Auffassung von Angst und Furcht im Vergleich mit empirischen Theorien Heideggers Philosophieren über Angst und Furcht steht in einer solchen Weise quer zu anderen Positionen, dass einige Philosophen sogar meinen, dass »Heidegger das wirkliche Bedingungsverhältnis zwischen Furcht und Angst auf den Kopf« gestellt habe (FinkEitel, 1993, S. 84). Eine solche Einschätzung setzt ein alternatives Konzept des Bedingungsverhältnisses voraus. 34
Empirische Theorien über Furcht und Angst Die Alternative beruft sich auf Ergebnisse empirischer Humanund Naturwissenschaften, wie zum Beispiel der Ethologie, Psychologie, Psychiatrie, Neurologie und auch der Psychoanalyse, die zumindest den Anspruch auf empirische Überprüfbarkeit erhebt. Alle diese Theorien gehen von der Furcht als einer Disposition aus, die der Mensch mit (vielen) Tierarten gemeinsam hat. Die Furcht ist für sie also die basale Disposition im Verhältnis von Furcht und Angst. Einige Autoren sind sogar der Auffassung, dass sich die Unterscheidung von Furcht und Angst nicht aufrechterhalten lässt, weshalb sie beide Worte auf Phänomene der Furcht beziehen und weitestgehend synonym verwenden (vgl. z. B. Krohne, 2010, S. 17, S. 27). Unter jenen, die eine Differenz von Furcht und Angst annehmen, bestimmen einige die Furcht als eine solche Disposition, welche speziell beim Menschen mit einer Angstdisposition verbunden sei, während andere auch bestimmten Tierarten eine von der Furcht unterscheidbare Angst zuschreiben. Es lassen sich philosophische Positionen finden, die der einen oder anderen Variante empirischer Theorien entsprechen. Die Furcht wird in empirischen Ansätzen als Funktion des Selbsterhaltungstriebes verstanden. Sie gestatte es, Anzeichen einer möglichen Gefahr zu gewärtigen, in Abhängigkeit von den kognitiven Fähigkeiten des jeweiligen Lebewesens die Gefahr zu antizipieren und eine motorische Anspannung und gesteigerte Aufmerksamkeit hervorzurufen. Damit erbringe die Furcht eine überlebensdienliche Leistung, weil sie eine der vermeinten Gefahr entsprechende Verhaltensweise ermögliche und initiiere, und zwar in kürzester Zeit, ohne dass es einer Überlegung bedürfe. Wenn solche Theorien zwischen Angst und Furcht unterscheiden, dann gilt ihnen die Angst zumeist als krankhaft übersteigerte Furcht. Das Pathologische zeige sich darin, dass an die Stelle der aktivierten Reaktionsbereitschaft und Fokussierung eher eine Hemmung und Desorientierung trete: Das im Hinblick auf das Überleben Zweckmäßige der Furcht werde so in der Angst ins Zweckwidrige verkehrt. Die Unterscheidung, dass das Wovor der Furcht ein bestimmtes ist, jenes der Angst aber ein unbestimmtes, wird dabei auf unterschiedliche Weise aufgegriffen. 35
In den Fällen der einfachen oder synonym spezifischen Phobien geben die Betroffenen zwar einen Gegenstand ihrer Angst, im Sinne der übersteigerten Furcht, an – große Höhe, enge Räume, große Menschenansammlungen, öffentliches Auftreten, Spinnen und vieles andere –, aber ihre Angst kann insofern als unbestimmt verstanden werden, wie von diesen Gegenständen keine reale Gefahr ausgeht bzw. die affektive Reaktion auf sie völlig überzogen ist. Die Unbestimmtheit der Angst (übersteigerte Furcht) bzw. die Unangemessenheit ihres Ausmaßes werden also als ihr Unbegründetsein verstanden. Insbesondere in der psychoanalytischen Tradition werden die Gegenstände der Phobien als Ersatzobjekte für verdrängte Gegenstände der Realangst – als einer begründeten, nicht krankhaften Furcht – interpretiert (vgl. Freud, 1926/1988, S. 214 ff.). Freuds Begriff Angsthysterie, dem der heutige Begriff Panikstörung entspricht, bedeutet eine Pathologie, die zwar traditionell nicht den Phobien zugerechnet wird, aber durchaus als eine solche verstanden werden kann: als übersteigerte Furcht vor bestimmten körperlichen Symptomen, wie zum Beispiel vermeintliches Herzrasen und Hyperventilieren, und in Verbindung mit einer Agoraphobie zugleich als übersteigerte Furcht davor, dass beim Auftreten dieser Symptome in großen Menschenansammlungen keine ausreichende Hilfe möglich sei (vgl. Bandelow, 2004, S. 50 ff., S. 212 ff.). Offensichtlich nicht so leicht unter Phobien zu subsumieren ist dagegen jene Störung, welche Freud als Angstneurose begriff und die heute als generalisierte Angststörung aufgefasst wird. Dabei handelt es sich um ein nahezu permanentes Angstgefühl, ohne dass der betroffenen Person das Wovor ihrer Angst bewusst sei (vgl. Bandelow, 2004, S. 69 ff.). Wäre es möglich, dass die generalisierte Angststörung jenes Phänomen ist, welches Heideggers Begriff der Angst erfasst? Auf diese Frage ist zurückzukommen. Im Rahmen der empirischen Theorien wird Angst also als krankhafte, übersteigerte, unbegründete Furcht verstanden. Philosophische Interpretationen, welche diese Befunde voraussetzen und daher die Möglichkeit dieser Krankheit auf der empirisch- anthropologischen Ebene deuten müssen, gelangen zu dem folgenden Resultat: »Angst ist ein Phänomen der Freiheit. Die Disposition zu ihr scheint sich der biologischen Hilflosigkeit des Menschen (insbesondere im frühesten Alter) zu verdanken, das heißt jener 36
negativen Freiheit, die Inbegriff der anthropologischen Negativ bestimmungen der Ungebundenheit und Unsicherheit menschlicher Instinkte und der Unspezialisiertheit menschlicher Organe ist« (Fink-Eitel, 1993, S. 85, Hervorheb. i. Original). Die Möglichkeit der Angst, als Möglichkeit krankhafter Furcht, »verdanke« der Mensch also seiner biologischen Mangelhaftigkeit.8 Krasser könnte der Gegensatz zum Resultat der Analyse Heideggers kaum sein: Für Heidegger erschließt sich dem Dasein in der Angst beginnend die Wahrheit seiner Existenz und damit die Möglichkeit der entschlossenen Übernahme der Verantwortung. Die Angst als Krankheit und die Angst als Zugang zur Eigentlichkeit stehen einander ebenso gegenüber wie die jeweilige Grundlegung des Verhältnisses von Angst und Furcht in der biologischen fundierten Disposition Furcht einerseits und im phänomenologisch fundierten Existenzial Angst andererseits. Ist also die eine Auffassung die Widerlegung der anderen?9 Ergibt sich die Differenz, wissenschaftstheoretisch gesprochen, aus den unterschiedlichen methodischen Zugängen zum gleichen Gegenstandsbereich? Oder handelt es sich etwa doch um verschiedene Gegenstandsbereiche? Bevor ein Vorschlag zur Beantwortung dieser Fragen unterbreitet wird, soll zunächst eine Position aus der Ethologie zur Sprache kommen. Auch die Verhaltensbiologie (vgl. Tembrock, 2000) hebt zu nächst Gemeinsamkeiten von Furcht und Angst hervor: den emotionalen Erregungszustand; die körperlichen, einschließlich der neuronalen, Reaktionen; die kognitive Bewertung (Gefahr) sowie die Auslöser der Gefühle (bestimmte Reize, Wahrnehmungen, Erwartungen). Die Furcht wird dabei als der Normalfall eines angepassten Verhaltens verstanden. Sie trete in bekannten Situationen auf, beziehe sich auf bestimmte Gegenstände und Gefahren und aktiviere bewährte Möglichkeiten der Bewältigung der Gefahr. Die Furcht werde also über ein angepasstes Meide- und Abwehrverhalten abgebaut, das zum genetisch fixierten Verhaltensprogramm einer Art gehöre. 8 Zum Problem der Deutung bzw. Fehldeutung des Begriffs vom Menschen als Mängelwesen vgl. Fischer (2004, S. 51 ff.). 9 Diese Frage bejaht zu Ungunsten Heideggers zum Beispiel Fink-Eitel (1993, S. 82 ff.).
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Angst dagegen stelle sich in unbekannten und undurchschaubaren Bedrohungslagen ein, für die kein arteigenes Verhaltensmuster zur Verfügung stehe (vgl. Tembrock, 2000, S. 22, S. 45, S. 168 ff.). Die Angstsituation sei also durch Ausweglosigkeit charakterisiert. Die physische Ausweglosigkeit resultiere aus den Grenzen des körperlich Möglichen, die operationale aus der Unfähigkeit, einen Ausweg wahrnehmen oder aus dem Gedächtnis abrufen zu können. Es komme daher zu einem Kontrollverlust, der sich in einer vollständigen Verhaltensblockade oder in Panikreaktionen äußern könne. Die Angst könne also nicht über ein angepasstes Verhalten abgebaut werden, sondern nur über physiologische und neuronale Vorgänge. Der biologische Sinn der Angst könnte aber darin gesehen werden, dass die mit ihr verbundene Destabilisierung des Organismus und seiner Umweltbeziehung und die Unanwendbarkeit bisheriger Verhaltensmuster ein Lernen durch Versuch und Irrtum ermögliche, das eine Chance auf den Erwerb neuer Verhaltensweisen biete. Vermittelt über die Stresstheorie, insbesondere durch das Konzept des Zentralen Adaptionssyndroms (vgl. Hüther, 2011, S. 22–45), soll diese allgemeine verhaltensbiologische Angsttheorie hinsichtlich ihrer Anwendung auf den Menschen spezifiziert werden. Danach könne die folgende Unterscheidung getroffen werden (vgl. Tembrock, 2000, S. 45 ff.). Angst bedeute einen Verhaltenszustand, der auftrete, wenn Gefahren nicht durch genetisch fixierte arteigene Verhaltensprogramme beendet oder beseitigt werden können. Kontrollierte Angstzustände lägen vor, wenn durch Lernen individuell erworbene Bewältigungsstrategien verfügbar seien. Unkontrollierte Angstzustände seien dadurch gekennzeichnet, dass weder angeborene noch erworbene Bewältigungsstrategien abgerufen werden könnten. Diese Theorie bietet also nicht nur eine Unterscheidung von Furcht und Angst, sondern darüber hinaus eine Differenzierung von Angstformen. Damit wird der Zugang zu einem weiteren für das Phänomenfeld relevanten Begriff eröffnet, nämlich zu dem Begriff Depression. Die Depression kann dann als länger anhaltender unkontrollierter Angstzustand verstanden werden, als eine Hilfund Hoffnungslosigkeit, die das »Leben leer und bedeutungslos« erscheinen lässt (Tembrock, 2000, S. 103 ff.). 38
Vorschlag zur Auflösung des Widerstreits zwischen der existenzialphilosophischen und den empirischen Positionen Bezüglich der Furcht im menschlichen Dasein kann ein Widerstreit zwischen der existenzialphilosophischen Position und den empirischen Untersuchungen leicht vermieden werden, obwohl Unterschiede zu konstatieren sind. Heidegger konzentriert sich auf die Beschreibung und Interpretation der normalen Furcht. Übersteigerte Furcht wird bei ihm bestenfalls in der Form akuter Panik erwähnt. Die empirischen Ansätze bieten dagegen eine elaborierte Differenzierung der pathologischen Formen der Furcht. Zugleich betonen sie hinsichtlich der Furcht die Kontinuität zwischen Tier und Mensch. Heidegger würde zwar die Ähnlichkeit der Furcht reaktionen bei Tier und Mensch – also Vermeiden, Abwehren, Fliehen – nicht bestreiten, aber darauf bestehen, dass sie im Kontext verschiedener Seinsweisen zu verstehen sind: Der Mensch ist durch sein In-der-Welt-sein und damit durch Weltoffenheit charakterisiert; das Tier ist angepasst an sein artspezifisches Biotop (vgl. Heidegger, 1929/30/1983, S. 251–532). Immerhin wird diese Differenz in empirischen Ansätzen zumindest im Sinne der kulturellen Mannigfaltigkeit und menschlichen Spezifik der Gegenstände der Furcht, einschließlich der Furcht vor der Furcht, reflektiert (vgl. z. B. Tembrock, 2000, S. 85 ff.; Krohne, 2010, S. 21 ff.). Mit Heideggers Bestimmung der Furcht als gegenwärtigendes Gewärtigen des Bedrohlichen und seiner Bewältigung ist eine funktionale Entsprechung zur verhaltensbiologischen These von der Überlebensdienlichkeit der Furcht gegeben. Indem Heidegger außerdem die Bestimmungen des Sichvergessens und der möglichen Panik hinzufügt, erfasst er konstitutive Momente des Übergangs der Furcht zum Pathologischen. Insofern also gewisse Spezifika von Mensch und Tier beachtet werden, sind der existenzialphilosophische und der empirische Begriff der Furcht miteinander verträglich, insofern könnte sogar cum grano salis vom selben Begriff gesprochen werden. Ganz anders verhält es sich hinsichtlich des Begriffs und des Begriffsnamens der Angst. Der existenzialphilosophische Begriff Angst bedeutet seiner negativ formulierten Kernbestimmung nach, dass das Wovor der Angst nichts Bestimmtes in der Welt ist, und 39
seiner positiv formulierten Kernbestimmung nach, dass das Wovor der Angst das In-der-Welt-sein als solches ist. Diesem Angstbegriff entspricht von allen Verwendungen des Begriffsnamens »Angst« in empirischen Theorien bestenfalls jene für die generalisierte Angststörung. Alle anderen Verwendungsweisen – etwa wenn Phobien als »Ängste« bezeichnet werden oder wenn von kontrollierten oder unkontrollierten Angstzuständen die Rede ist – beziehen sich auf Phänomene, die aus existenzialphilosophischer Sicht unter den Begriff Furcht fallen: Ihr Wovor ist etwas Bestimmtes in der Welt bzw. im Biotop der Tiere. Es stellt sich also die Frage, ob der existenzialphilosophische Begriff der Angst mit dem empirischen Begriff der generalisierten Angststörung gleichzusetzen ist. Dies würde aber bedeuten, dass bezüglich der Angst nicht zwischen einer normalen und einer übersteigerten unterschieden werden kann, denn die generalisierte Angststörung gilt als eine pathologische Form. Dann wäre die Angst doch nur übersteigerte Furcht und die Unbestimmtheit des Wovor der Angst wäre nur eine spezielle Form des Unbegründetseins, welches das Wovor der Phobien charakterisiert. In Heideggers Angstanalyse deutet aber nichts daraufhin, dass er eine übersteigerte, eine krankhafte Furcht beschreiben möchte. Es wäre auch eine sehr seltsame These, dass gerade ein krankhafter Zustand den Zugang zur Wahrheit der Existenz und damit zum eigentlichen Seinkönnen eröffnet. Auch über den Anlass der Angst schreibt Heidegger nichts, was als Anlass der Furcht vor innerweltlich Begegnenden oder dessen irrealer Ersetzung gelten könnte: »Die ursprüngliche Angst kann jeden Augenblick im Dasein erwachen. Sie bedarf dazu keiner Weckung durch ein ungewöhnliches Ereignis. Der Tiefe ihres Waltens entspricht das Geringfügige ihrer möglichen Veranlassung« (Heidegger, 1929/1996, S. 118). Indem Heidegger von der ursprünglichen Angst spricht, schließt er die Rückführung der Angst auf eine notwendigerweise in Furchterlebnissen ihren Anfang nehmende Ätiologie aus. Die Angst, von der Heidegger spricht, kann zu jeder Zeit und ohne besonderen Anlass in uns aufsteigen, was freilich ungewöhnliche Anlässe auch nicht ausschließt. Trotz phänomenaler und struktureller Ähnlichkeiten der Angst mit der Furcht ist das Phänomen, welches Heidegger meint, ein ursprüngliches, 40
von der Furcht inhaltlich unabhängiges. Heidegger verwendet also den Begriffsnamen »Angst« in einer Weise, die weder mit dessen Verwendungsweise in den empirischen Human- und Naturwissenschaften noch mit dem alltäglichen Sprachgebrauch übereinstimmt. Wenn es sich dennoch nicht um eine leere Konstruktion handeln soll, und Heidegger erhebt sogar den Anspruch, ein grundlegendes Phänomen unseres Daseins zu analysieren, dann muss uns dieses Phänomen unter einem anderen Namen oder einer anderen Umschreibung bekannt sein. Ansonsten wäre Heideggers Analyse für uns unverständlich. Die Auflösung ergibt sich, wenn wir uns noch einmal dem zuwenden, was sich nach Heidegger in der Angst erschließt, dem Nichts und Nirgends: Jede Bewandtnis des Innerweltlichen ist belanglos; das Bedrohliche kommt nicht von einem Innerweltlichen her; die Bedeutungen des Man sind suspendiert. Dennoch erfahren wir uns als in der Welt seiend. Der Todesangst erschließt sich die radikale Endlichkeit unseres Daseins: die Möglichkeit der Unmöglichkeit der Existenz. Dies bedeutet, dass wir in der Angst vor unser Dasein als Ganzes gebracht sind. Das Bedrohliche besteht eben darin, dass sich in dieser Stimmung kein Halt mehr bietet: Alles Seiende, das Dasein als Man-selbst eingeschlossen, ist in der Erschlossenheit der Angst belanglos: »Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz« (Heidegger, 1929/1996, S. 118). Die Angst, von der Heidegger spricht, ist also jene Stimmung, in der wir das Seiende im Ganzen transzendieren und deshalb nach dem Sinn des Ganzen fragen können. In der Angst begegnet die Bewandtnisganzheit des Zu- und Vorhandenen als belanglos; sie sinkt in sich zusammen. Ebenso wenig vermag das Mitdasein Anderer in der Angst etwas zu bieten. In dieser Stimmung, nicht in einer ihr vorausgegangenen begrifflichen Abstraktion, erschließt sich dem Dasein ursprünglich, dass es ihm selbst überantwortet in der Welt ist und bisher dem Innerweltlichen, vom Man immer schon Ausgelegten, verfallen war. Dass das Dasein auf sich selbst zurückkommt, vor sich selbst gebracht wird, ermöglicht diese Stimmung, indem sie die beruhigende Selbstsicherheit, Selbstverständlichkeit und alltägliche Vertrautheit zusammen41
brechen lässt, das Dasein also aus der Verfallenheit zurückholt. Das Dasein ist damit vor sich selbst gebracht, aber vollkommen verunsichert: Es findet in der Welt keinen Halt mehr und hat doch in der Welt zu sein; es fühlt sich bedroht, aber kann nichts Innerweltliches als das Bedrohliche identifizieren. Dem Dasein ist also unheimlich zumute: Es ist seiner Heimstatt in der Alltäglichkeit beraubt und einer innerweltlich-unbestimmbaren Bedrohung ausgesetzt. Worin genau besteht nun dieser Zusammenbruch, diese Privation der Vertrautheit? Das Dasein hat doch nicht vergessen, worauf es sich versteht –? Es kennt doch noch immer die Bedeutungen des Bewandtniszusammenhanges –? Es weiß doch noch immer um das Spiel von Abstand und Reserve, von Einspringen und Vorspringen im Mitsein mit anderen –? Welche Veränderung hat also in der Angst stattgefunden? In Angst sein, wie Heidegger es beschreibt, heißt offensichtlich, dass dem Dasein die Bedeutungen des Besorgens und der Fürsorge nicht mehr als Sinn zugeeignet sind. Das ist offensichtlich mit der Belanglosigkeit, der Irre levanz, dem Nichts-mehr-zu-bieten-haben gemeint. Das Dasein ist, nach der Terminologie Heideggers, nicht unsinnig geworden, denn es versteht noch das Sinnhafte des Innerweltlichen. Aber das Sinnhafte ist ihm nicht mehr als Sinn zugeeignet. Der existenzielle Entwurf des Man-selbst ist in der Angst suspendiert, er ist für das Dasein in seiner Jemeinigkeit sinnlos geworden. Insofern ist das Dasein in der Angst nicht mehr Man-selbst, aber es ist auch noch nicht eigentliches Selbst. Indem die Auslegung und Zueignung des Sinnhaften durch das Man ihre Vertrautheit und Selbstverständlichkeit in der Angst verliert, wird der Möglichkeitscharakter alles Sinnhaften offenbar: Das sinnhaft Mögliche ist eben nicht zwingend das in Jemeinigkeit Sinnvolle. Und dieser Zweifel, diese Unsicherheit, die in Bezug auf dieses und jenes immer mal auftreten können, erstrecken sich in der Angst auf alles sinnhaft Mögliche. Weil die Sinnzueignung durch das Man in der Angst suspendiert ist, wird dem Dasein offenbar, dass es ihm selbst überantwortet ist, dass es selbst vor der Aufgabe der Sinnzueignung steht. Sinnlosigkeit, Möglichkeitscharakter und Selbstverantwortung zusammen werden in der Angst zunächst noch nicht begriffen, wie dies in der Analyse der Angst geschieht, sondern zunächst als Bedrohung 42
des In-der-Welt-seins erfahren: Als Bedrohung, die sich aus dem In-der-Welt-sein ergibt und die das In-der-Welt-sein gefährdet. In der Angst steht das Dasein an dem von Heidegger erwähnten »Abgrund der Sinnlosigkeit« (Heidegger, 1927/1986, S. 152). Das Dasein als ein Seiendes, das sich Sinn zueignen kann, kann notwendigerweise auch Sinnlosigkeit erfahren. Die Möglichkeit der Angst, die latente Angst, gehört daher notwendigerweise zu den Daseinsmöglichkeiten.10 Wenn das Dasein in der Angst zu seinem Ende vorläuft, offenbart sich ihm dieses Ende, der Tod, als Möglichkeit der schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit, wie Heidegger sagt. Dies bedeutet insofern eine Steigerung der Angst, als das Dasein damit nicht nur von der Sinnlosigkeit des Innerweltlichen bedroht ist, sondern von der Unsinnigkeit: Denn mit dem Tod endet für das Dasein alles überhaupt Sinnhafte, jegliches Vermögen, Sinnhaftes zu verstehen und Sinn zueignen zu können. Die in der Daseins- bzw. Weltangst erfahrene Bedrohung durch die Sinnlosigkeit steigert sich also in der Todesangst zur Bedrohung durch die Unsinnigkeit, einer Unsinnigkeit, die jeden Augenblick bevorsteht, solange das Dasein existiert. In Angst sein heißt also in einer Sinnkrise sein. Die Angst ist daher die Stimmung der möglichen Sinnzueignung, der möglichen Besinnung.11 In einer Krise aber steht etwas auf der Kippe. Die Sache kann in verschiedene Richtungen ausschlagen. So ist es auch 10 Angst gehört dem Dasein wesenhaft an, weshalb die folgende These von Walter Schulz, die er sowohl individual- als auch weltgeschichtlich verstanden wissen möchte, in bestimmter Hinsicht problematisch ist: »Wenn und solange der Weltbezug im wesentlichen als intakt erfahren wird, das heißt, wenn die Welt als eine vertraute Stätte erscheint, bleibt das Phänomen der Weltangst hintergründig. Es gibt dann wesentlich nur den gegenständlichen Affekt der Furcht. Wenn dagegen dieses Weltvertrauen fraglich wird, dann tritt die Weltangst in den Vordergrund« (Schulz, 1981, S. 128). Dabei ist aber zu beachten: Wenn und solange die Weltangst latent bleibt, erscheint der Weltbezug nur deshalb als intakt, weil die Verfallenheit und damit die existenzialen Strukturen des Daseins nicht durchschaut sind. Der vermeintlich intakte Weltbezug ist dann aber der Weltbezug des uneigentlichen Daseins. Mit dieser Anmerkung wird nicht ausgeschlossen, dass die Aktualisierung der Angst und die Einsicht in ihren existenzialen Charakter von individual- und weltgeschichtlichen Bedingungen begünstigt werden können (vgl. Ehrenberg, 2003, S. 103 ff.; Ehrenberg, 2004). 11 Zur Frage nach dem Sinn des Lebens vgl. Fischer (2003b, S. 261 ff.).
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in der Angst: Um ihr zu entfliehen, kann das Dasein erstens in die Verfallenheit flüchten, sich vom Man Sinn zueignen lassen. In diesem Fall weicht das Dasein vor dem Abgrund der Sinnlosigkeit zurück. Es kann zweitens aber auch in der Angst gefangen bleiben, was wohl nichts anderes als den Anfang einer Depression markiert und schlimmstenfalls in der Selbsttötung endet. In diesem Fall stürzt das Dasein sozusagen in den Abgrund. Und schließlich kann das Dasein drittens zur Besinnung kommen in einem eigentlichen existenziellen Entwurf. Dann überspringt es sozusagen den Abgrund, ein Sprung, den sich Kierkegaard nur als Sprung in den religiösen Glauben vorstellen konnte.12 In »Sein und Zeit« beschäftigt Heidegger vor allem die dritte Variante, aber eben nicht als Sprung in den Glauben, sondern als Gewissensentschluss. Heideggers Analyse der Angst wird also durch die empirischen Ansätze nicht widerlegt: Sie hat ihren eigenen, von den Analysen der Furcht und ihren übersteigerten Formen unabhängigen Sinn. Und es rückt nun eine Entsprechung zu Heideggers Angstbegriff aus den empirischen Theorien besonders ins Blickfeld, nämlich die Depression. Depressionen, die in einigen ihrer Formen kaum von der generalisierten Angststörung zu unterscheiden sind (vgl. Bandelow, 2004, S. 68, S. 71) und denen statistisch häufig Angststörungen vorausgehen (vgl. Hell, 2014, S. 125), weisen in ihren Symptomen eine unübersehbare Ähnlichkeit zu den von Heidegger beschriebenen Charakteristika der Angst auf: Die Betroffenen fühlen sich grundlos von Grund auf verändert; werden sich selbst fremd (vgl. Hell, 2014, S. 37); klagen über Antriebs-, Gefühls- und Entscheidungshemmung; erleben ihr Dasein als sinnlos und leer; können ehemals Selbstverständliches nicht mehr nachvollziehen (vgl. Hell, 2014, S. 47 f., S. 66, S. 165, S. 187); kehren sich von anderen ab (vgl. Hell, 2014, S. 67, S. 228); glauben nicht an Hilfe durch andere (vgl. Hell, 2014, S. 186), fühlen sich also auf sich zurückgeworfen; und finden selbst in ihren tiefsten Grundüberzeugungen, wie zum Beispiel in ihrem reli12 Religiosität könnte daher als der Versuch verstanden werden, in Reaktion auf diesen Stimmungsgehalt im Glauben an ein Absolutes Trost und Halt zu finden (vgl. dazu Fischer, 2007, S. 202 ff.).
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giösen Glauben, keinen emotionalen Halt mehr (vgl. Hell, 2014, S. 229 ff.). Bei leichten Depressionen verbindet sich eine Gedankenleere mit gleichzeitigem Grübelzwang, während bei schweren Depressionen eine Resignation, eine völlige Denkhemmung, einsetzt (vgl. Hell, 2014, S. 47 f.). Alfred Kraus schreibt: »Alles wird dem Depressiven zur Last, die Dinge, die Mitmenschen, schließlich das eigene Dasein […]. Die depressive Hausfrau steht ratlos neben ihren Kochtöpfen und weiß damit auf einmal nichts mehr anzufangen. […] Aber auch das Mitsein mit anderen ist nur noch eine Last. […] Indem die Dinge wie auch die Menschen ihren gefühlten, sinnvollen Zusammenhang mit ihrem Dasein verlieren, erstarren sie für den endogen Depressiven gleichsam in ihrer Objekthaftigkeit. Trotzdem fühlt er sich an sie noch stärker als früher gebunden […]« (Kraus, 1977, zit. nach Hell, 2014, S. 52). Die von Heidegger beschriebene Belanglosigkeit alles Innerweltlichen, der Verlust von Vertrautheit und Sicherheit sowie das bedrohliche Sichaufdrängen des bloßen In-der-Welt-seins und des Lastcharakters des Daseins, einschließlich des Mitseins, sind hier unschwer wiederzuerkennen, aber eben mit eindeutig pathologischen Zügen. Jedoch auch in der Depressionsforschung wird darüber nachgedacht, welchen positiven Sinn eine Depression für den Organismus, also in biologischer Hinsicht, haben könnte und inwiefern eine überwundene Depression subjektiv von der betroffenen Person als wertvolle Lebenserfahrung eingeschätzt werden kann. Hell deutet insbesondere die depressive Entscheidungs- und Handlungsunfähigkeit als eine Schutzreaktion, welche »das Risiko eines aussichtslosen Kampfes, einer ziellosen Flucht oder von Desintegration herabsetzt« (Hell, 2014, S. 13, vgl. auch S. 143 ff., S. 175 f.). Außerdem berichtet er von Patienten, die ihre überwundene Depression als eine wichtige »Station auf ihrem Lebensweg« begriffen haben, die »zu einer anderen Lebenshaltung«, also zu einer neuen Sinnzueignung, führte, eine »Art ›Individuation‹« mit sich brachte und auch das Verhältnis zu anderen veränderte (Hell, 2014, S. 227 ff.). Auch hier sind leicht Heideggers Bestimmungen der Angst wiederzuerkennen: die Selbstbesinnung in Jemeinigkeit, der neue Einstand zur Welt und zu den anderen in der Entschlossenheit. 45
Dass der Depression ein positiver Sinn zugeschrieben werden kann, sie also nicht auf das rein Pathologische reduziert werden muss, hat in den empirischen Ansätzen solche Unterscheidungen veranlasst, wie die zwischen gesunder und ungesunder, produktiver und unproduktiver Depression (vgl. Hell, 2014, S. 228). Hell schreibt: »Wie Furcht zur Phobie werden oder sich zur Panik attacke steigern kann, so kann sich das depressive Reaktionsmuster zur krankhaften Depression entwickeln« (Hell, 2014, S. 176). Was Hell das »depressive Reaktionsmuster« nennt, im Unterschied zur krankhaften Depression, das kann beim Menschen cum grano salis als Angst im existenzialphilosophischen Sinne verstanden werden. Depression ist danach als übersteigerte, pathologisch werdende Angst zu verstehen. Die generalisierte Angststörung kann als eine Form dieses Übergangs ins Pathologische begriffen werden. Insofern das depressive Reaktionsmuster nur als natürliche Anlage aufgefasst wird, kann es als Bedingung sogenannter »unkontrollierter Angstzustände« wohl auch einigen Tierarten zugeschrieben werden, aber nur als Form übersteigerter Furcht. Als Angst im existenzialphilosophischen Sinne ist es aber spezifisch menschlich. Dies wird deutlich, wenn Hell schreibt: »Erst mit der Fähigkeit, sich selber zu erkennen und über sich selbst zu bestimmen […], ergibt sich auch die menschliche Möglichkeit, sich Selbstvorwürfe zu machen und sein Schicksal auf depressive Weise zu erleben«, also »sich bewusst mit Fragen der Identitätsund Gemeinschaftsbildung«, das heißt mit Sinnfragen, auseinanderzusetzen (Hell, 2014, S. 183). In diesem Sinne kann gesagt werden, dass das in der Angst aktivierte »Selbstbestimmungsvermögen des Menschen mit dem Schatten der Depression verbunden« ist (Hell, 2014, S. 184). Die Wörter »Angst« und »Furcht« wurden in der Geschichte der Philosophie lange Zeit als Synonyme verwendet, was heute noch im Alltag sowie in einigen philosophischen und empirischen Ansätzen der Fall ist. Die von existenzialphilosophischen Bestimmungen ausgehende Begriffsdiskussion unter Beachtung neuerer empirischer Arbeiten führt dagegen sogar zu einer vierfachen Unterscheidung: normale Furcht und übersteigerte Furcht (Phobien, Panikattacke, Panik), normale Angst und übersteigerte Angst (generalisierte Angststörung, Depression). 46
Das abschließende Schema soll dieses Ergebnis übersichtlich zusammenfassen und so die Vergleichbarkeit der verschiedenen Ansätze trotz ihrer unterschiedlichen Terminologien ermöglichen. Ausgehend von der existenzialphilosophischen Kernbestimmung der Begriffe Furcht und Angst wird der Phänomenbereich unter Beachtung der Tier-Mensch-Differenz begrifflich strukturiert. Wenn der Begriffsname »Angst« im Schema Begriffe der Furcht bezeichnet, dann erscheint er im Standarddruck; wenn er für die Angst im existenzialphilosophischen Sinne steht, dann im Kursivdruck. Aspekte, die zugunsten der Begriffsbestimmung vernachlässigt wurden – wie neuronale Grundlagen, Anlässe der Angst bzw. der Depression, spezifisches Zeiterleben in Furcht oder Angst sowie therapeutische Fragen –, könnten in der Diskussion zur Sprache kommen.
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Tabelle 1: Schema zur begrifflichen Strukturierung des Phänomenfeldes von Furcht und Angst aus existenzialphilosophischer Sicht
Tier
Furcht: Bedrohung durch etwas in der Welt (Mensch) bzw. im Biotop (Tier)
Angst: Bedrohung durch das In-derWelt-sein (Befindlichkeit der Sinnkrise)
normale Furcht
normale Angst
pathologische Angst
–
–
übersteigerte bzw. pathologische Furcht
Spezifika: natürliche Abträglichkeit des Bedrohlichen; Überlebensfunktion angepasstes unkontrollierte Meide- und Angstzustände; Abwehrverhal- Panik ten; zumeist angeboren, aber als kontrollierter Angstzustand auch individuell erworben
Mensch Spezifika: Stimmung zur soziokulturelle Bedeutsamkeit der Besinnung Abträglichkeit des Bedrohlichen; (Aushalten der Furcht vor der Furcht; Angst; mögliche Ästhetisierung der Motivation Furcht; und mögliAbkehr von der Angst, die immer cher Übergang möglich ist (latent); zum VersteLebensführungsfunktion hen und zum Entschluss) zumeist konunkontrollierte trollierter Angstzustände: Angstzustand (individuell anhaltend bzw. erworben), aber wiederkehauch angeborend: Phobien, rene Verhaleinschließlich tensmuster Panikattacken; möglich akut: Panik
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Depression: Misslingen der Sinnzueignung (sich in der Angst verfangen: apathisch, handlungs- unfähig); generalisierte Angststörung (als möglicher Übergang von der normalen Angst zur Depression)
Heinz Walter Krohne Angst, Furcht und Stress
Angst, Furcht und Stress gehören zu den fundamentalen Themen menschlicher Existenz. Insbesondere zur Angst haben sich Dichter und Philosophen über die Jahrhunderte geäußert. Hiernach wird das menschliche Leben in zahlreichen seiner Äußerungen als zumindest von Angst begleitet gesehen. Angst soll tief in das Leben eingreifen, den Einzelnen entweder aktivieren und zu besonderen Leistungen anspornen oder ihn hemmen, lähmen, ja zerstören. Nur wer sich ihr stellt und lernt, Angst zu meistern, entwickelt sich weiter; wer einer Auseinandersetzung mit ihr ausweicht, wird gehemmt und stagniert in seiner Entwicklung (u. a. Kierkegaard, 1844/1991; May, 1950). Angesichts der Allgemeinheit und offensichtlichen Bedeutsamkeit dieser Erfahrungen überrascht es umso mehr, dass sich die empirische psychologische Forschung erst in den letzten Jahrzehnten eingehender mit diesem Thema befasst hat. Trotz der Pionierleistungen, die Freud (1895/1971c, 1926/1971a) im Bereich der Psychopathologie, James (1890) in der Emotions- und Cannon (1915) in der Stressforschung erbracht hatten, wird Forschung in diesem Bereich systematisch und in größerem Umfang eigentlich erst, und das ist sicherlich kein Zufall, seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs betrieben (u. a. Grinker u. Spiegel, 1945; Hoch u. Zubin, 1950). Zu Recht kann man deshalb das bekannte Ebbinghaus-Zitat paraphrasieren: »Angstforschung hat eine lange Vergangenheit, aber nur eine kurze Geschichte« (Lazarus u. Averill, 1972, S. 245). Gewissermaßen wie zum Ausgleich kann man dafür in diesem Feld eine inzwischen fast unübersehbare Fülle empirischer Untersuchungen registrieren. Dabei findet sich auch hier das für viele Themen der Psychologie typische Auf und Ab hinsichtlich der Beachtung in wissenschaftlichen Veröffentlichungen (zur 49
Geschichte der entsprechenden Forschung vgl. u. a. Bourke, 2006). Nach dem Initialimpuls in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Neobehavioristen (u. a. Dollard u. Miller, 1950) und die frühen kognitionspsychologisch orientierten Forscher (Epstein, 1967), der in der folgenden Dekade ganz wesentlich von Richard Lazarus betriebenen Etablierung des Gebiets im Rahmen eines umfassenden psychologischen Stressmodells (u. a. Lazarus, 1966) und seiner anschließenden systematischen Ausweitung, Differenzierung und insbesondere psychometrischen Bearbeitung (u. a. Appley u. Trumbull, 1967; Spielberger, 1972) war in den 1990er Jahren ein gewisses Nachlassen der Forschungsbemühungen zu registrieren, wenn auch weniger in der Quantität, so doch in der Originalität der Ansätze. Das Interesse an der allgemeinen Emotionsforschung nahm zwar deutlich zu (Frijda, 1986), das am speziellen Thema Angst aber eher ab. Hier scheint sich in jüngster Zeit nun eine gewisse Wende anzubahnen. Mit dem raschen Fortschritt der biopsychologischen Forschung, dem Aufkommen der Gesundheitspsychologie sowie der Entwicklung neuerer Modelle zur Verarbeitung emotionsbezogener Information ist auch das Interesse an Fragen aus den Bereichen Angst, Furcht und Stress wiedererwacht (u. a. Öhman, 2008). Dem Thema Angst, Furcht und Stress kann man sich von mehreren Seiten nähern. In einer empirisch orientierten Wissenschaft versteht es sich dabei von selbst, dass man hier heutzutage keine langwierigen Erörterungen mehr zu deren »Wesen« oder »Sinn« lesen wird. Die Behandlung derartiger Fragen hat sich als wenig fruchtbar erwiesen. Mir geht es in dieser Arbeit nun aber auch nicht um eine Beschreibung der zahlreichen neueren Forschungsergebnisse zu den Bedingungen und Konsequenzen von Angst, Furcht und Stress sowie deren Relevanz für anwendungsbezogene Fragestellungen. Diese Zielsetzung muss einer umfassenderen Darstellung vorbehalten bleiben (u. a. Barlow, 2002; Davidson, Scherer u. Goldsmith, 2003; Krohne, 2010, 2017). Vielmehr will ich mich auf definitorische, klassifizierende und messmethodische Ansätze konzentrieren, diese nach einheitlichen Gesichtspunkten ordnen und dabei deren Verankerung in theoretische Ansätze aufzeigen. Dabei werde ich besonders auf die persönlichkeitspsychologische Perspektive eingehen, also auf die Bedeutung individueller Differenzen im Angst- und Stressgeschehen. Individuelle Unterschiede können 50
im Hinblick auf ihre Konsequenzen für das Erleben und Verhalten von Menschen jedoch nicht verstanden werden, ohne zugleich deren Wechselwirkung mit spezifischen Umweltgegebenheiten zu betrachten. Die auf individuelle Eigenschaften zentrierte Perspektive muss also um eine interaktionistische Analyse ergänzt werden. Die Gliederung des Artikels folgt diesen Zielsetzungen. Zu nächst werden Definitionen und Klassifikationen aus diesem Bereich behandelt. Im Anschluss daran gehe ich ausführlicher auf das Konzept der Stressbewältigung ein, das häufig in entsprechenden Darstellungen vernachlässigt wird, obwohl es für das Verständnis der Entstehung und Auswirkung von Angst, Furcht und Stress unverzichtbar ist. Abschließend ergänze ich diese eher begrifflichen Bestimmungen durch eine Übersicht über Methoden zur empirischen Erfassung (Messung) von Angst, Furcht und Stress. Als Basis für die Diskussion dieser Methoden gehe ich ausführlicher auf den Begriff des theoretischen Konstrukts ein.
Definitionen und zentrale Unterscheidungen Angst, Furcht und Stress haben einen unterschiedlichen begrifflichen Status. Während Angst und Furcht auf der Personenseite verankert sind, als Merkmale (Dispositionen oder Zustände), die einzelnen Individuen zugeschrieben werden, ist der Status von Stress weniger eindeutig. Je nach theoretischer Konzeption werden hierunter Merkmal der Umwelt, Zustände am Individuum oder das Resultat einer spezifischen Wechselwirkung (»Transaktion«) von Umwelt und Person verstanden. Deshalb erscheint es mir wichtig, zunächst mit der Behandlung des (eher unklaren) Konzepts Stress zu beginnen und mich erst danach dem (etwas präziser zu bestimmenden) Bereich von Angst und Furcht zuzuwenden. Der Begriff Stress Viele Belastungen des Alltags, etwa Prüfungen oder Operationen, und die emotionsbezogenen Reaktionen des Individuums hierauf 51
(u. a. Angst) werden in der Literatur unter dem Begriff »Stress« zusammengefasst. Dieser Begriff wird allerdings in einzelnen Veröffentlichungen in ausgesprochen vielfältiger, häufig auch unscharfer, Weise verwendet. So führen etwa Scheuch und Schröder (1990) allein 39 unterschiedliche Definitionen von Stress auf. An dieser Stelle soll nur auf die zentralen theoretischen Ansätze zum Stress eingegangen werden. (Für umfassendere Darstellungen siehe u. a. Appley u. Trumbull, 1986; Krohne, 2010, 2017; Laux, 1983; Scheuch u. Schröder, 1990; für eine Kritik des Stressbegriffs vgl. Engel, 1985.) Das Stresskonzept genießt in den Verhaltenswissenschaften wie auch in der allgemeinen öffentlichen Diskussion seit über einem Jahrhundert große Popularität. Es wurde ursprünglich innerhalb der Ingenieurwissenschaften formuliert und bezeichnet dort die Kraft (»stress«), die auf einen Körper einwirkt und bei diesem Beanspruchung (»strain«) und Deformation hervorruft. Der kanadische Internist William Osler (1910) führte das Konzept dann in die Medizin ein, indem er in »stress and strain« mögliche Ursachen von Angina pectoris vermutete. Damit formulierte er innerhalb der modernen Medizin eine der ersten Annahmen zu den Ursachen psychosomatischer Erkrankungen. Das Begriffspaar »stress and strain« offenbart bereits eine Unschärfe, welche die einzelnen Ansätze zum Stress über lange Zeit charakterisiert hat. Während in den Ingenieurwissenschaften der Begriff Stress noch eindeutig umwelt- bzw. reizbezogen verwendet wurde, scheint sich Stress bei Osler sowohl auf spezifische Situationsaspekte (die dann Reaktionen im Individuum auslösen) als auch auf Reaktionen des Organismus (die mit einer Krankheitsgenese verbunden sein können) zu beziehen. Diese Mehrdeutigkeit in der Definition von Stress hat zu zwei Gruppen theoretischer Ansätze in der Stressforschung geführt, umwelt- bzw. reizbezogene Ansätze und reaktionsbezogene Vorstellungen. Umwelt- versus reaktionsbezogene Auffassungen vom Stress Eindeutig umweltbezogen ist der Ansatz, mit dem der Begriff Stress ins Blickfeld der verhaltenswissenschaftlichen Forschung gelangte. Walter Cannon bestimmte in seiner Theorie Stress als eine Anforderung aus der Umwelt eines Organismus, die in diesem eine Notfallreaktion auslöst (Cannon, 1915, 1932). Diese Konzep52
tion entspricht nicht nur der erwähnten ingenieurwissenschaftlichen Bestimmung, nach der Stress ein Druck bzw. eine Belastung aus der Umwelt darstellt, auf die ein Objekt mit Beanspruchung (strain) reagiert, sondern auch der umgangssprachlichen Auffassung, die Stress mit Lärm, Hektik, Zeitdruck, Arbeitsbelastung und ähnlichen unangenehmen Umwelteinflüssen in Verbindung bringt. Zur besseren Unterscheidung von stressbezogenen Zuständen des Individuums werden diese Umweltreize in der neueren Forschung Stressoren genannt. Bereits 1915 hatte Cannon erkannt, dass eine verstärkte Belastung des Organismus mit einer erhöhten Aktivität des Nebennieren marks verbunden ist. Dieses schüttet die zur Gruppe der Katecholamine gehörenden Hormone Adrenalin und Noradrenalin aus, die auf Atmung, Herzleistung sowie Fett-und Kohlenhydratstoffwechsel einen aktivierenden Effekt ausüben (Notfallfunktion) und somit den Organismus zu verstärkten Kampf- oder Fluchtreaktionen (»fight-or-flight-reactions«) befähigen. Die große Popularität des Stresskonzepts in Wissenschaft und Medien gründet sich weitgehend auf das Werk des ungarischkanadischen Endokrinologen Hans Selye, des Hauptvertreters der reaktionsbezogenen Auffassung von Stress. Bei Tierversuchen hatte Selye entdeckt, dass die Einwirkung unterschiedlicher Reize auf den Organismus (Hitze, Kälte, toxische Substanzen), neben den jeweils spezifischen Effekten (z. B. Gefäßverengung bei Kälte und -erweiterung bei Hitze), eine allen Reizarten gemeinsame (also unspezifische) Veränderung hervorruft, vorausgesetzt die Einwirkung ist intensiv oder hält lange genug an. Diese unspezifisch hervorgerufene Veränderung konstituiert nach Selye das stereotyp ablaufende, also spezifische, Reaktionsmuster des systemischen Stress. Dieser lässt sich damit definieren als »… der Zustand, der sich als Syndrom manifestiert, das aus allen unspezifisch induzierten Veränderungen in einem biologischen System besteht« (Selye, 1976, S. 64).1 Dieses stereotype Muster körperlicher Veränderungen, das Selye Allgemeines Adaptations-Syndrom (AAS) nannte, soll in drei aufeinanderfolgenden Phasen ablaufen: In der Alarmphase kommt 1
vgl. auch Krohne (2017, S. 9 ff.).
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es zu intensiven hormonellen Reaktionen, insbesondere zur Ausschüttung von Corticosteroiden aus der Nebennierenrinde. Zentrale Funktion dieser hormonellen Reaktionen ist die Mobilisierung von Kräften zur Beseitigung von Stressoren im Sinne des von Cannon formulierten Notfallsyndroms. Wenn die schädigende Einwirkung anhält, bilden sich in der anschließenden Widerstandsphase die körperlichen Veränderungen aus der Alarmphase weitgehend zurück. Der Organismus scheint sich an die Stressoren adaptiert zu haben. Grund für den Übergang in diese Phase soll nach Selye die Tatsache sein, dass sich kein Organismus über längere Zeit in Alarmbereitschaft halten kann. Während der Widerstandsphase werden die hormonellen Ressourcen zur Auseinandersetzung mit den Stressoren wieder erneuert. Charakteristisch für diese Phase ist die Zunahme der Widerstandsfähigkeit gegenüber den auslösenden Reizen bei gleichzeitiger Abnahme der Resistenz gegenüber anderen Stressoren. Bei weiterhin anhaltender Einwirkung der stressauslösenden Reize tritt der Organismus in die Erschöpfungsphase ein. Seine Fähigkeiten zur Anpassung sind erschöpft, Erholung und Widerstand sind nicht länger möglich. Es treten irreversible körperliche Erkrankungen ein und, bei Fortdauern der schädigenden Einwirkung, schließlich der Tod. Obwohl die Arbeit Selyes als Pionierleistung durchaus anzuerkennen ist, sind deutliche Schwächen seiner Theorie nicht zu übersehen. Zunächst einmal hatte seine Auffassung von Stress als Reaktionsform auf eine Vielzahl unterschiedlichster Anforderungen die fatale Konsequenz, dass das Stresskonzept zu einem Sammelbecken für eine Vielzahl von Ansätzen wurde, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie auf die eine oder andere Art die Auseinandersetzung des Einzelnen mit von ihm als unangenehm eingeschätzten Erfahrungen thematisierten. Damit lief das Stresskonzept Gefahr, seinen wissenschaftlichen Wert weitgehend einzubüßen. Daneben wurden auch speziellere Vorbehalte formuliert. Diese richteten sich zum einen gegen die Kernannahme der Theorie, nämlich die unspezifische Auslösung des AAS (Übersicht in Laux, 1983), zum anderen gegen die Vernachlässigung psychologischer Faktoren (Erwartungen, Bewertungen, Bewältigungs maßnahmen) bei der Vermittlung der Stressreaktion (Lazarus u. Launier, 1978). Wenn man derartige psychologische Vermittlungen 54
bei der Analyse des Stressgeschehens berücksichtigt, dann lässt sich das Postulat eines einzigen (stereotypen) Musters im Stressverlauf nicht länger aufrechterhalten. Die Diskussion der bisher vorgestellten Ansätze zum Stress hat gezeigt, dass sowohl dessen Verankerung in umwelt- oder reizbezogenen Auslösern als auch eine Bestimmung über ein stereotyp ablaufendes Reaktionsmuster der Komplexität der mit diesem Begriff belegten Prozesse nicht gerecht werden. Zu berücksichtigen sind auch die kognitiven Prozesse, die in einer Person ablaufen, die sich mit einer Belastung auseinandersetzt. Deshalb müssen bei der Bestimmung von Stress situative und reaktionsbezogene Aspekte sowie deren Wechselwirkungen zusammen mit Dispositionen, welche das Individuum in die Situation einbringt, einbezogen werden. Dies geschieht in transaktionalen Ansätzen, deren Hauptvertreter der amerikanische Stressforscher Richard Lazarus ist. Die transaktionale Stresskonzeption Im Ansatz von Lazarus (u. a. Lazarus, 1991; Lazarus u. Launier, 1978) wird Stress als ein relationales Konzept aufgefasst. Relational bedeutet, das Stress nicht nur eine spezifische äußere Reizgegebenheit (situationsbezogene Definition) oder ein typisches Muster von Reaktionen (reaktionsbezogene Definition) darstellt, sondern als eine bestimmte Beziehung (Transaktion) zwischen Umwelt und Person aufzufassen ist. Entsprechend definiert Lazarus Stress als »… eine Beziehung mit der Umwelt, die vom Individuum im Hinblick auf sein Wohlergehen als bedeutsam bewertet wird, aber zugleich Anforderungen an das Individuum stellt, die dessen Bewältigungsmöglichkeiten beanspruchen oder überfordern« (Lazarus u. Folkman, 1986, S. 63). Wie diese Definition deutlich macht, sollen zwei zentrale Prozesse als Vermittler innerhalb der stressbezogenen Person-Umweltbeziehung sowie im Hinblick auf daraus resultierende unmittelbare und längerfristige Konsequenzen fungieren: kognitive Bewertung und Stressbewältigung. Das Konzept der kognitiven Bewertung basiert auf der Überzeugung, dass stressbezogene Prozesse von den Erwartungen abhängen, die jemand im Hinblick auf den Ausgang einer spezifischen Konfrontation mit seiner Umwelt manifestiert. Dieses Konzept ist notwendig, um individuelle Unterschiede in der Art, Intensität und 55
Dauer ausgelöster stressrelevanter Prozesse (z. B. emotionale Reaktionen wie Angst oder Ärger) unter ansonsten für verschiedene Personen objektiv gleichartigen Umweltbedingungen zu erklären. Der individuelle Stressprozess wird mithin durch ein spezifisches Muster kognitiver Bewertungsvorgänge erzeugt und gesteuert. Kognitive Bewertungen können nach Lazarus drei Formen annehmen, die jeweils unterschiedliche Funktionen haben und auf verschiedenartigen Informationsquellen basieren. Als Primärbewertung bezieht sie sich auf jede Auseinandersetzung mit der Umwelt in Hinblick auf das Wohlergehen der betreffenden Person. Hierbei sind drei fundamentale Bewertungen möglich: Eine Auseinandersetzung kann irrelevant, günstig oder stressbezogen sein. Die letztgenannte Bewertung wird dabei nochmals nach den drei Beziehungen Schaden-Verlust (eine bereits eingetretene Beeinträchtigung), Bedrohung (eine antizipierte Beeinträchtigung) und Herausforderung (eine stressbezogene Auseinandersetzung mit der Möglichkeit eines Gewinns für die betreffende Person) differenziert. In der Sekundärbewertung vollzieht das Individuum eine Abschätzung seiner Ressourcen und Möglichkeiten im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss der stressbezogenen Auseinandersetzung. Dementsprechend hängt es wesentlich von der Art der Einschätzung der persönlichen Ressourcen ab, ob sich jemand in einer Stresssituation etwa als bedroht oder herausgefordert fühlt. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Umwelt und der dadurch eventuell modifizierten situativen Bedingungen kann es zu einer Neubewertung der Person-Umwelt-Beziehung kommen. Eine Neubewertung kann allerdings auch aus einer rein »innerpsychischen« Auseinandersetzung mit der Situation resultieren, also ohne vorausgegangenes aktives Eingreifen, etwa indem bedrohliche Aspekte einer Situation umgedeutet werden. Diese »defensive« Neubewertung hat insbesondere im Hinblick auf die Bewältigung von Emotionen wie Angst oder Ärger Bedeutung. Stressbewältigung wird definiert als »… der Prozess der Handhabung jener externen oder internen Anforderungen, die vom Individuum als die eigenen Ressourcen beanspruchend oder übersteigend bewertet werden« (Lazarus u. Folkman, 1984, S. 283). Bewältigung bezieht sich auf jene Handlungen, die sich unter problematischen und insbesondere neuartigen Bedingungen voll56
ziehen. Bewältigungshandlungen tragen dazu bei, den Einfluss schädigender Umweltbedingungen zu reduzieren oder negative Ereignisse und Umstände zu tolerieren, also den Organismus an sie anzupassen. Die zur Erfüllung dieser Aufgaben eingesetzten Bewältigungsstrategien (u. a. aggressive Konfrontation, Problemlösen, Vermeidung oder Uminterpretation) lassen sich zwei Funktionen zuordnen: problem- und emotionszentrierte Bewältigung. Problemzentriert (»instrumentell«) soll Bewältigung dann sein, wenn die Person sich direkt mit den Bedingungen befasst, von denen eine Schädigung, Bedrohung oder Herausforderung ausgeht. Als emotionszentrierte (»palliative«) Stressbewältigung bezeichnet Lazarus jene Anstrengungen, die zunächst auf die Emotionsregulierung gerichtet sind. Innerhalb jeder Funktion werden vier Bewältigungsarten unterschieden: Informationssuche, direktes Handeln, Unterlassen von Handlungen sowie innerpsychisches Bewältigen. Dieselbe Bewältigungsstrategie zum Beispiel eine Strategie wie »Umdeuten einer Situation«, kann dabei (zu verschiedenen Gelegenheiten, hin und wieder auch gleichzeitig) sowohl eine instrumentelle (etwa bei der Beilegung eines sozialen Konflikts) als auch eine palliative (emotionsreduzierende) Funktion haben. Der Vorgang der kognitiven Bewertung wie auch das aktuelle Bewältigungsverhalten werden durch bestimmte Person- und Situationsfaktoren determiniert (Lazarus, 1991). Die folgenden relativ stabilen Personenmerkmale spielen beim Umgang mit Belastungen eine zentrale Rolle: Angst- oder Ärgerneigung, individuelle Stile der Stressbewältigung (z. B. Verleugnen oder aufmerksames Überwachen), Depressivität, Motivationsdispositionen (etwa das Ausmaß des persönlichen Engagements), Werthaltungen sowie Ziele und generalisierte Überzeugungen, insbesondere im Hinblick auf die eigene Person (z. B. Kontrollüberzeugungen oder Kompetenzerwartungen). Situative Merkmale, die den Ablauf des Stressprozesses beeinflussen, lassen sich nach verschiedenen formalen Parametern beschreiben. Die wichtigsten dieser Parameter sind die Kontrollierbarkeit (Steuerbarkeit) und die Vorhersagbarkeit eines Stressors. Besonders belastend sind Situationen, die vom Individuum negativ bewertet und gleichzeitig als nicht (oder zu wenig) kontrollierbar erlebt werden. Hierzu gehören beispielsweise bestimmte 57
Bedingungen am Arbeitsplatz (z. B. Lärm), das Erleben eines nicht beeinflussbaren Krankheitsverlaufs bei einem nahen Angehörigen oder etwa die Situation des Patienten vor einer Operation. Ein weiteres Merkmal vieler belastender Situationen ist deren Mangel an Vorhersagbarkeit (Mehrdeutigkeit bzw. Unsicherheit). An dieser Kategorie lassen sich verschiedene Dimensionen unterscheiden: Die generelle Vorhersagbarkeit bezieht sich auf die Kenntnis darüber, ob das belastende Ereignis überhaupt eintritt (ob beispielsweise ein Patient, der sich in eine Klinik begibt, operiert werden muss). Die zeitliche Vorhersagbarkeit basiert auf Informationen über den Zeitpunkt des Eintretens des Ereignisses (z. B. des genauen Termins einer notwendigen Operation). Inhaltliche Vorhersagbarkeit umfasst zum einen Informationen über die Art der aversiven Konfrontation (z. B. die konkreten Umstände des Operiertwerdens, der Anästhesie u. Ä.), zum anderen über mögliche Konsequenzen dieses Ereignisses (etwa Information über den Zustand nach der Operation, Schmerzen, den Heilungserfolg, mögliche Folgebehandlungen). Weitere formale Parameter sind die zeitliche Nähe und die Dauer der Konfrontation. Ereignisse lösen unterschiedliche Stressreaktionen und Bewältigungsmaßnahmen aus, je nachdem, ob sie unmittelbar bevorstehen oder erst in der ferneren Zukunft liegen. Was die Dauer betrifft, so wird unterschieden zwischen akuten, zeitlich begrenzten Stressoren (z. B. das Warten auf eine bevorstehende Operation), Stressorsequenzen (wie sie etwa infolge des Verlustes des Arbeitsplatzes oder des Todes eines nahen Angehörigen auftreten), chronischen, intermittierend auftretenden Stressoren (z. B. Konflikte mit Arbeitskollegen oder Verwandten) und chronischen Stressoren (etwa als Folge einer Behinderung oder chronischen Erkrankung). Angst und Furcht Die Begriffe Angst und Furcht werden in der Alltagssprache wie auch in vielen populären Darstellungen häufig synonym verwendet. Da finden sich dann etwa in einem Satz Ausführungen wie »jeder hat sich schon einmal vor etwas gefürchtet, … er weiß auch, 58
welche Anlässe bei ihm Angst auslösen oder wie sich ein Mensch verhält, wenn er sich fürchtet«. Ob und wie Angst und Furcht unterschieden werden, hängt von theoretischen Vorannahmen ab. So analysierte etwa der frühe Behaviorismus (Mowrer, 1939; Watson, 1919) in diesem Zusammenhang eine über einen unkonditionalen aversiven Reiz (»SchmerzFurcht-Stimulus«) klassisch konditionierte emotionale Reaktion, die unterschiedslos entweder Angst oder Furcht genannt wird (für Theorien zu Angst und Furcht vgl. Krohne, 2010). Neuere kognitiv orientierte Ansätze unterscheiden jedoch in der Regel zwischen Angst und Furcht. So bezeichnet Angst für Izard (1991) ein Muster aus verschiedenen Emotionen, das heißt aus Gefühlszuständen, mit denen bestimmte Kognitionen und Handlungstendenzen assoziiert sind. Furcht ist die zentrale, am intensivsten erlebte Emotion in diesem Muster. Affekte wie Schmerz und affektiv-kognitive Strukturen wie Schuld-Aggression, Schüchternheit oder Scham bilden weitere Komponenten, die jeweils mit Furcht zusammen auftreten können. Für Izard besteht der Unterschied zwischen Angst und Furcht in bestimmten strukturellen Merkmalen. Die Mehrzahl der Forscher unterscheidet Angst und Furcht jedoch nicht nach strukturellen, sondern nach funktionalen Gesichtspunkten. So hängt für viele Autoren (u. a. Epstein, 1967; Lazarus, 1966, 1991) die Auslösung von Angst oder Furcht von spezifischen Hinweisreizen bzw. der Interpretation der vorliegenden situativen Bedingungen durch den Organismus ab. Nach Epstein etwa soll Angst dann entstehen, wenn eine Person eine Situation als bedrohlich erlebt, aber nicht zugleich angemessen, zum Beispiel durch Flucht, reagieren kann. Die Hemmung einer adäquaten Reaktion kann mehrere Ursachen haben. So kann einmal Stimulusunsicherheit herrschen, das heißt für eine Gefahr kann keine klare Zuordnung im Hinblick auf Ort, Art, Intensität, Auftretenszeitpunkt und Ähnliches getroffen werden. Es kann aber auch eine Reaktionsblockierung vorliegen, das heißt trotz klarer Information über die Gefahr ist eine angemessene Reaktion momentan nicht möglich. Daneben können Unsicherheit und Blockierung aber auch gleichzeitig auftreten, etwa wenn ein Mensch nachts auf der Straße auf eine Gruppe »dubios aussehender« Personen trifft, aber keine Möglichkeit zum Rückzug hat. 59
Furcht soll dagegen nach Auffassung vieler Autoren dann vorliegen, wenn die Gefahr eindeutig zu bestimmen ist und die Reaktionen der Flucht oder Vermeidung möglich sind. Bei motivationaler Betrachtung ist Furcht also ein Flucht- bzw. Vermeidensmotiv, Angst dagegen eher das Motiv, weitere Informationen über bedrohungsrelevante Situations- und Verhaltensaspekte zu suchen. E pstein spricht deshalb auch von Angst als »unentschiedener Furcht« und illustriert den Unterschied zwischen Furcht und Angst mit folgendem Beispiel (vgl. Epstein, 1967, S. 38): Ein Auto fährt durch die Savanne, als der Fahrer plötzlich vor sich auf dem Weg eine Herde Elefanten sieht, die auf ihn zukommt. Er wendet das Auto, gibt Gas und entfernt sich so schnell wie möglich von dieser Stelle. Furcht entspricht hier der Wahrnehmung der Gefahr und der hierbei erlebten körperlichen Erregung; diese Wahrnehmung wird in die Entscheidung, so schnell wie möglich zu fliehen, umgesetzt sowie in die Motivation, diese Flucht so lange wie nötig aufrechtzuerhalten. Eine andere Situation würde vorliegen, wenn der Fahrer (etwa in der Dunkelheit) nur die Geräusche von Elefanten hört, ohne aber genauer die Richtung bestimmen zu können, aus der diese kommen. Auch hier fühlt er sich bedroht und erlebt eine entsprechende Erregung. Er wird sich zwar zur Flucht bereit machen, kann aber noch nicht die Richtung festlegen, in die er fliehen will. Die Wahrnehmung einer nicht genau bestimmbaren Bedrohung (Stimulusunsicherheit) und damit die Unfähigkeit, sofort eine angemessene Reaktion ausführen zu können (Reaktionsblockierung), verbunden mit dem Bedürfnis, mehr Information über die Gefahr zu erhalten, konstituieren die Emotion Angst. Die dargestellte Unterscheidung von Furcht und Angst folgt im Wesentlichen Freud (1926/1971a), der Angst als unbestimmt und »objektlos« charakterisiert und von Furcht dann spricht, wenn Angst »ein Objekt gefunden« hat. Freud und Epstein differenzieren zwischen Angst und Furcht also in erster Linie nach den auslösenden Situationsaspekten. Die Psychophysiologen Kimmel und Burns (1977) verbinden den Aspekt des Objektbezugs mit dem der zeitlichen Erstreckung der emotionalen Reaktion. Sie verstehen unter Furcht die kurze phasische emotionale Reaktion auf zeitlich kurz erstreckte, sporadisch auftretende Stimuli, während sie als Angst die länger erstreckte tonische Reaktion bezeichnen, die in die 60
Zukunft gerichtet ist und entweder durch länger anhaltende Bedingungen ausgelöst wird oder überhaupt nicht auf externe Ereignisse bezogen werden kann. Dass Furcht und Angst unterschiedliche zeitliche Erstreckungen haben, ist naheliegend, wenn man bedenkt, dass Furcht mit der unmittelbar ausführbaren Reaktion der Flucht, Angst dagegen mit dem langwierigeren Prozess der Informationssuche verbunden ist. Stärker als diese Autoren setzt Lazarus (1991) in seinem bereits erwähnten Stressmodell auf subjektive Verarbeitungsprozesse und bestimmt so als Basis für die Differenzierung von Emotionen spezifische Muster aus Situations- und Ressourceneinschätzungen. In ähnlicher Weise geht Scherer (1988) von einer Vielzahl von Dimensionen der Situationsbewertung (»Stimulus Evaluation Checks«) aus, deren jeweilige Ausprägungsmuster zwischen den Hauptemotionen, und damit auch zwischen Angst und Furcht, differenzieren sollen. So soll Angst dann entstehen, wenn die Neuigkeit entsprechender situativer Merkmale als gering und deren Relevanz im Hinblick auf wichtige Ziele und Bedürfnisse der Person als mittelhoch eingeschätzt wird. Bei der Furcht sollen dagegen beide Werte hoch sein. Kognitionspsychologisch orientierte Forscher wie Epstein, Lazarus oder Scherer betonen also die Rolle des situativen Kontexts (genauer: seiner Einschätzung durch das betroffene Individuum) bei der Auslösung bestimmter Emotionen (und damit auch Angst oder Furcht). Der situative Kontext spielt auch bei Autoren eine Rolle, die evolutionsbiologische Überlegungen in die Analyse des Angst-Furchtgeschehens einbringen (Öhman, 2008). Aus dieser Perspektive ist Furcht ein zentraler Mechanismus innerhalb der Evolution von Säugetieren und damit auch des Menschen. Unsere evolutionäre Geschichte wird deutlich, wenn man die spezifischen Furchtarten und, als deren pathologische Steigerung, Phobien betrachtet, die Menschen zeigen bzw. besonders schnell erlernen können. Gefürchtet werden speziell diejenigen Situationen und Ereignisse, die in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit eine Bedrohung für das Überleben der Art darstellten, also etwa gefährliche Tiere, Höhen, weite, offene Plätze oder enge Räume ohne Fluchtmöglichkeit. Als weit weniger bedrohlich schätzen Menschen dagegen, wie etwa Experimente zur Furchtkonditionierung 61
gezeigt haben (Öhman, 2008), gefährliche Objekte in unserer heutigen Umwelt ein (etwa Schusswaffen oder Kraftfahrzeuge), die stammesgeschichtlich keine Rolle gespielt haben. Die bisherige Darstellung hat deutlich gemacht, dass sich bestimmte emotionale Zustände wie etwa Angst oder Furcht durch jeweils spezifische Erlebnis- und Reaktionsmuster voneinander unterscheiden lassen. Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit bietet die Ebene biologischer (speziell physiologischer) Prozesse. Es galt lange Zeit als umstritten, ob sich derartige Unterschiede, insbesondere eines jeweils für Angst bzw. Furcht charakteristischen Musters physiologischer Reaktionen, zuverlässig nachweisen lassen. So vertrat etwa Fahrenberg (1979) die Auffassung, dass es nicht gelungen ist, für verschiedene Emotionen jeweils spezifische autonome Aktivierungsmuster reliabel zu reproduzieren. Die Identifizierung stabiler emotionsspezifischer Reaktionen wird für ihn durch die Existenz individualspezifischer Reaktionsmuster (ISR; Fahrenberg, 1986) erschwert. Unter ISR wird die Disposition eines Individuums verstanden, in einer bestimmten Situation mit einem spezifischen psychobiologischen Subsystem zu reagieren. So neigt etwa die eine Person unter Belastung eher zu einer Erhöhung der Herzrate, während eine andere stattdessen verstärkte Schweiß reaktionen zeigt. Andere Autoren kamen nach Analyse einschlägiger Untersuchungen jedoch zu dem Schluss, dass einzelne Emotionen auf der Ebene biologischer Parameter unterscheidbar sind (Levenson, 2003). Insgesamt scheint sich die Auffassung durchzusetzen, dass dem subjektiven Erleben von Angst ein spezifisches Muster physiologischer Vorgänge zugrunde liegt, wobei die Reaktionen des Zentralnervensystems (ZNS) am ehesten der Ort zu sein scheinen, an dem nach emotionsspezifischen Mustern zu suchen ist (LeDoux, 1996). Fortschritte bei der Identifizierung emotionsspezifischer Reaktionsmuster sind in dem Maße zu erwarten, in dem die zentralnervösen Korrelate von Emotionen detaillierter analysiert werden (siehe u. a. LeDoux, 1996; Öhman, 2008). Eine besondere Rolle spielt dabei die Hirnstruktur Amygdala (deutsch Mandelkern), die ein Teil des limbischen Systems ist und verschiedene physiologische (vegetative und endokrine) Reaktionen bei emotionalen Zustän62
den (insbesondere Angst und Furcht) koordiniert. Es handelt sich hier um ein paarig angelegtes Kerngebiet des Gehirns, das sich auf der Innenseite der rechten und linken Hirnhemisphäre befindet. Die Amygdala ist ein komplex gegliederter Bereich. Einer dieser Bereiche identifiziert blitzschnell Bedrohungsreize, noch vor Einleitung von Bewertungsprozessen in Regionen des Großhirns, schlägt »Alarm« und leitet unmittelbar, sozusagen kurzschlüssig unter Umgehung von Verbindungen zur Hirnrinde, Furcht- und Abwehrreaktionen ein. Der Preis für dieses blitzschnelle (kurzschlüssige) Reagieren sind vergleichsweise viele »falsche Alarme«, das heißt die fälschliche Identifizierung eines eigentlich harmlosen Reizes als gefährlich. Unter evolutionärer Perspektive ist dieser Preis tolerierbar, denn es kostet weniger, eine fälschlich eingeleitete Abwehrreaktion abzubrechen als eine derartige Reaktion bei tatsächlicher Gefahr nicht auszuführen. Für den modernen Menschen kann dieses Reaktionsmuster allerdings mit psychischen Problemen, insbesondere Panikstörungen, verbunden sein. Was nun die Unterscheidung von Furcht und Angst betrifft, so haben neuere Forschungen gezeigt (Übersicht u. a. Öhman, 2008), dass ein bestimmter Bereich der Amygdala (der Nucleus centralis) auf spezifische Reize hin kurze phasische Reaktionen vermittelt (Furcht), während ein anderer Bereich (die basolaterale Kerngruppe) an länger erstreckten tonischen Reaktionen auf eine allgemeinere aversive Situation beteiligt ist, in der nicht notwendigerweise einzelne Reize identifiziert werden können (Angst). Psychopathologisch ist der erste Bereich eher an dem Auftreten spezifischer Phobien, der zweite an allgemeinen Angststörungen beteiligt. Persönlichkeitsmerkmal und emotionaler Zustand Der Beginn der systematischen, wenn auch nicht im strengen Sinne empirischen, Erforschung von Angst und Furcht kann in den ersten Arbeiten Sigmund Freuds (1893/1971b, 1895/1971c) gesehen werden. Bereits hier wurde eine für die spätere Forschung in diesem Bereich zentrale Differenzierung eingeführt, die zwischen dem aktuellen emotionalen Zustand und dem als zugrunde liegend gedachten 63
habituellen Persönlichkeitsmerkmal. So unterschied Freud in seinem Vortrag »Über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene« (1893/1971b) zwischen dem zeitlich kurz erstreckten Angstaffekt und den habitualisierten Persönlichkeitsmerkmalen Hysterie und Neurasthenie. »Hysteriker« sollen danach durch die Unfähigkeit gekennzeichnet sein, ein erlebtes »psychisches Trauma« (z. B. eine soziale Abwertung) angemessen zu verarbeiten. Angemessene (d. h. psychisch entlastende) Verarbeitungen derartiger aversiver Erfahrungen könnten etwa über motorische Reaktionen (z. B. sich kräftig »abreagieren«) oder bestimmte »innerpsychische« Prozesse (z. B. die Angelegenheit in einem anderen Licht sehen) verlaufen. Als Konsequenz einer inadäquaten Verarbeitung soll der mit dem Trauma verbundene Affekt bei Vorliegen entsprechender Auslöser (z. B. Erinnerungen) wieder auftauchen. Aktueller Zustand In neueren Ansätzen wird eine aktuelle Emotion wie etwa Angst als ein mit bestimmten Situationsveränderungen intraindividuell (innerhalb eines Individuums) variierender Zustand (state) des Organismus verstanden. Dieser ist durch spezifische Ausprägungen auf subjektiven, verhaltensmäßig-expressiven und biologisch-physiologischen Parametern gekennzeichnet (vgl. u. a. Krohne, 2010). So bestimmt Spielberger (1972) Angst als einen Zustand, der durch erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems sowie durch die Selbstwahrnehmung von Erregung, das Gefühl des Angespanntseins, ein Erlebnis des Bedrohtwerdens und verstärkte Besorgnis gekennzeichnet ist. Die Vielzahl sehr verschiedenartiger Möglichkeiten, einen aktuellen Zustand wie etwa Angst empirisch zu erfassen, könnte den Gedanken nahelegen, nach der »besten Methode« zur Messung zu fragen bzw., falls diese Frage ohne befriedigende Antwort bleibt, die einzelnen Parameter im Hinblick auf die Zielsetzung der Angstmessung als beliebig austauschbar anzusehen. Hierzu muss jedoch betont werden, dass es weder »die beste Methode« zur Erfassung der Angst gibt, noch dass ein bestimmtes Verfahren, zum Beispiel die Erhebung über den Selbstbericht (subjektiver Parameter), stell64
vertretend für ein anderes, etwa die Registrierung der Herzrate (physiologischer Parameter), eingesetzt werden kann. Der Grund für diese Einschränkung liegt darin, dass jedes der am emotionalen Geschehen beteiligten Systeme (vereinfacht gesprochen: kognitive, verhaltensmäßige und biologische Systeme) spezifischen Erregungs- und Regulationsprozessen unterliegt. Diese Systeme werden im Verlauf einer emotionsinduzierenden Episode (beispielsweise wenn jemand nachts in einem Parkhaus »verdächtige« Gestalten sieht) unterschiedlich schnell aktiviert, zeigen eine unterschiedliche zeitliche Erstreckung und scheinen auch auf verschiedenartige Aspekte der Gefahrensituation anzusprechen (Larsen, Berntson, Poehlmann, Ito u. Cacioppo, 2008; Öhman, 2008). So wird etwa in einer plötzlich entstandenen Gefahrensituation die Verhaltensreaktion (Flucht) schneller ausgelöst als die physiologische Reaktion (etwa die Erhöhung der Herzrate). Ferner sprechen bestimmte physiologische Parameter (z. B. die Herzrate und die Atemfrequenz) auf unterschiedliche Aspekte von Bedrohungen sehr spezifisch an (Levenson, 2003). So erhöht sich etwa die Herzrate, wenn die Aufmerksamkeit vom Gefahrenstimulus abgewendet oder auf interne Prozesse gerichtet wird. Sie sinkt dagegen, wenn eine externe Gefahrenquelle im Fokus der Aufmerksamkeit steht (Hamm, Schupp u. Weike, 2003). Die Atemfrequenz zeigt dagegen kein derart differenzielles Muster (Craig, 1968), was vermutlich mit der, verglichen mit der Herzrate, langsameren Aktivierung der Atemreaktion zusammenhängt. Darüber hinaus bestehen zwischen einzelnen Prozessen, insbesondere den physiologischen, komplexe Auslösungs- und Rückmeldungsbeziehungen (für derartige »Trigger- und Feedbackprozesse« vgl. u. a. Jänig, 2003). So kann etwa die Selbstwahrnehmung einer autonomen Reaktion (z. B. eines beschleunigten Herzschlags) die kognitive Angstreaktion verstärken. Umgekehrt reduziert die vermehrte Konzentration auf externe Gefahrenhinweise die Wahrnehmung interner Zustände (Pennebaker, 1982). Alle diese Auslösungs- und Regulationsprozesse werden zudem durch den situativen Kontext sowie individuell unterschiedliche Erfahrungen und Strategien beim Umgang mit Gefahrensituationen moderiert. So mag etwa der Selbstbericht eines Prüfungs kandidaten, in einer Prüfung sehr aufgeregt zu sein, tatsächlich 65
das wahrgenommene Erregungsniveau widerspiegeln. Er könnte aber auch strategisch eingesetzt werden, um sich gewissermaßen antizipatorisch für ein mögliches schlechtes Leistungsergebnis zu rechtfertigen. In diesem Fall will die betreffende Person verhindern, dass ein eventuelles Versagen auf das für die Aufrechterhaltung ihres Selbstwertgefühls zentrale Merkmal der Kompetenz bezogen wird (vgl. Laux, 2008). Verhaltensmäßig-motorische Reaktionen (z. B. Merkmale des Gesichtsausdrucks, des Sprechverhaltens oder der Handbewegung) werden sich dagegen in unterschiedlichem Maße und insgesamt schwieriger und physiologische Prozesse (zumindest für ungeübte Personen) kaum willentlich steuern lassen. Das bedeutet, dass die Parameter aus den einzelnen Ebenen der Emotionsbeschreibung über eine bestimmte Episode hinweg keineswegs synchrone Verläufe zeigen müssen. Aber selbst wenn sich bei den in einer Stichprobe aggregierten Daten parallele Veränderungen verschiedener Emotionsindikatoren registrieren lassen, dann besagt dies noch nichts über die Höhe der (interindividuellen) Korrelationen zwischen diesen Maßen. Persönlichkeitsmerkmal Für das Persönlichkeitsmerkmal wird meist der Begriff Ängstlichkeit (für die Furcht entsprechend Furchtsamkeit) verwendet. Er bezeichnet die intraindividuell relativ stabile, aber interindividuell variierende Tendenz (»trait«), Situationen als bedrohlich wahrzunehmen und hierauf mit einem erhöhten Zustand der Angst bzw. Furcht zu reagieren (vgl. Spielberger, 1972). So erleben einzelne (entsprechend disponierte) Personen bestimmte Situationen (z. B. die Ankündigung einer Prüfung) generell als bedrohlicher und reagieren darauf mit einem stärkeren Angstanstieg (erfasst etwa über subjektive Daten wie z. B. Fragebogen) als anders disponierte Personen. Neben dieser rein deskriptiven Konstellation bezieht sich das Konzept Ängstlichkeit auch auf Bedingungen, über die interindividuelle Unterschiede auf Parametern des Angstzustands bei objektiv gleichen situativen Bedingungen (z. B. der Ankündigung einer Prüfung) erklärt werden sollen. Eine derartige Bedingung 66
könnte beispielsweise in der Einschätzung liegen, die weitere Entwicklung einer als gefährlich bewerteten Situation nicht vorhersagen und steuern zu können. Wie einzelne Bedingungen inhaltlich genauer zu bestimmen sind und bei der Auslösung des Angstzustands zusammenwirken, lässt sich jedoch nur auf dem Hintergrund einer jeweiligen Angsttheorie festlegen (für Theorien zur Angst vgl. Krohne, 2010). Menschen, die man (z. B. über ihren Wert in einem Angsttest) als ängstlich beschreiben kann, reagieren in unterschiedlichen potenziell bedrohlichen Situationen nicht notwendigerweise gleichermaßen mit einer verstärkten emotionalen Reaktion. Im Sinne interaktionistischer Angstmodelle (u. a. Endler, 1983) sollen sich Personen danach unterscheiden lassen, welche speziellen Situationen bzw. Umweltbereiche (z. B. Prüfungssituationen, Zahnarztbesuche, soziale Konflikte, Sportwettkämpfe) sie als stärker bedrohlich erleben und mit einer emotionalen Reaktion beantworten. Ausgangspunkt für die Einteilung nach Bereichen, in denen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägte Neigungen zu Furchtbzw. Angstreaktionen zeigen können, waren in der Regel Faktorenanalysen von Fragebogen zur selbstberichteten Angst bzw. Furcht. So reanalysierten etwa Arrindell, Pickersgill, Merckelbach, Ardon und Cornet (1991) die entsprechenden Ergebnisse von rund 200 Studien und sicherten dabei vier deutlich distinkte Faktoren. Die erste Komponente bezog sich auf interpersonale Ereignisse oder Situationen und umfasste soziale Interaktionen, Konflikte, Bewertungen, Kritik und Zurückweisung. Der zweite Faktor bezog sich auf Tod, Verletzung, ärztliche Eingriffe und Krankheit. Der dritte Faktor thematisierte Furcht vor Tieren, während sich die letzte Komponente als Agoraphobie beschreiben ließ und aus Furcht vor öffentlichen Plätzen, Menschenmengen, geschlossenen Räumen (z. B. Fahrstühlen) und Gegebenheiten ohne Fluchtmöglichkeit (Tunnel, Flugzeuge) bestand. Dass alle diese Faktoren Situationen repräsentieren, die in der menschlichen Evolution von besonderer Bedeutung waren, ist offensichtlich. So besteht für viele soziale Interaktionen etwa die Gefahr, dass sich hieraus ein Konflikt entwickelt, der dann im weiteren Verlauf außer Kontrolle gerät und damit eine, unter Umständen tödliche, Bedrohung für die Individuen einer Gruppe darstellt. 67
Während Einteilungen wie die von Arrindell et al. insbesondere für die klinisch-psychologische Arbeit relevant sind, etwa für die Diagnose und Behandlung von Phobien, hat sich in der persönlichkeitspsychologisch orientierten Forschung die eher einfache Unterscheidung nach selbstwert- bzw. ichbedrohenden (z. B. Prüfungen) und physisch bedrohlichen Situationen (z. B. Operationen) und entsprechenden Dispositionen durchgesetzt. In jüngster Zeit werden Situationen der sozialen Interaktion als ein weiterer wichtiger angstauslösender Bereich intensiver untersucht (Übersicht u. a. in Krohne, 2010; Schwarzer, 2000). Die Tendenz, in Situationen, in denen die Möglichkeit des Versagens und des Selbstwertverlustes besteht, mit Angst zu reagieren, wird als Bewertungsängstlichkeit (Wine, 1982; Zeidner, 1998) bezeichnet. Im Zentrum bedrohlicher Situationen steht hier die Prüfung, deren Erforschung eine breite, in den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreichende, Tradition besitzt. Für diesen speziellen Aspekt werden deshalb häufig auch die Begriffe Testangst, Prüfungsangst oder Leistungsangst verwendet. Die in sozialen Situationen ausgelöste Angst wird häufig als ein Spezialfall der Bewertungsangst angesehen. So definiert Schwarzer (2000, S. 118) soziale Angst als »die Besorgnis und Aufgeregtheit angesichts von sozialen Situationen, die als selbstwertbedrohlich erlebt werden«. Tatsächlich finden in vielen Situationen der sozialen Interaktion Bewertungen (mit der Möglichkeit des Versagens) statt. Ganz besonders ausgeprägt ist dies etwa beim Halten einer Rede vor einer größeren Gruppe. Daneben darf aber nicht übersehen werden, dass schon sehr früh im Leben des Individuums eine spezielle soziale Angst, die Fremdenangst, beobachtet werden kann, bei der der Bewertungsaspekt nicht im Vordergrund steht (vgl. Izard, 1991). Diese zuerst im Alter von etwa acht bis neun Monaten als »Fremdeln« auftretende Angst wird bei Abwesenheit der Mutter, in fremden Umgebungen und angesichts fremder (insbesondere männlicher) Personen ausgelöst (Sroufe, 1977). Dass für diese Tendenz eine evolutionäre Grundlage besteht, ist nach oben dargestellten Befunden von Arrindell et al. wahrscheinlich. Soziale Ängstlichkeit ist also kein einheitliches Phänomen. Vielmehr lassen sich mindestens vier Formen unterscheiden: Publikums- bzw. Sprechangst, Verlegenheit, Scham und Schüchternheit 68
(Buss, 1980; Izard, 1991; Schwarzer, 2000). Publikums- bzw. Sprechangst stellt eine Sonderform der Bewertungsängstlichkeit dar. Sie wird insbesondere beim Sprechen vor einer größeren Gruppe wenig vertrauter Personen (z. B. in einem Seminar) erlebt. Verlegenheit ist eine Reaktion auf ein eingetretenes Ereignis, in der die betreffende Person gewahr wird, dass sie in einer sozialen Situation einen Fehler begangen hat (z. B. zu einem bestimmten Anlass falsch gekleidet ist) und dieser von der Öffentlichkeit (zumindest nach Einschätzung der Person) auch bemerkt wird. Scham ist eng mit Verlegenheit verbunden und wird vielfach als deren gesteigerte, insbesondere mit der Verletzung moralischer Normen verbundene, Form verstanden (u. a. Izard, 1991; Schwarzer, 2000). Wer etwa von anderen der Lüge überführt wird, schämt sich. Viele Autoren trennen zwischen Scham und Schuld. Schamgefühle entstehen nach Lazarus (1991), wenn wir bemerken, dass wir einem Ideal nicht entsprechen können und eine andere Person, an deren Meinung uns viel liegt, diesen Fehler wahrnimmt und uns eventuell dafür kritisiert. Scham hat also immer etwas mit der Enttäuschung anderer Personen (wenn auch eventuell nur in der verinnerlichten Form des Ichideals) zu tun. Schuldgefühle erleben wir dagegen, wenn wir (und wenn auch nur in der Fantasie) moralische Normen verletzen. Bei Handlungen, die Schuldgefühle auslösen, muss weder ein Bezug zu den Standards anderer Personen bestehen noch müssen andere anwesend sein. Scham soll zu einem Rückzug von bewertenden anderen Personen, Schuld dagegen zu Versuchen des Eingestehens und der Wiedergutmachung führen. Waren Verlegenheit und Scham emotionale Reaktionen auf eingetretene Umstände, so tritt Schüchternheit angesichts erwarteter Ereignisse auf (vgl. Zimbardo, 1977). Sie entsteht, wenn eine Person in einer ihr wenig vertrauten sozialen Situation unsicher ist, ob es ihr gelingt, einen bestimmten von ihr gewünschten Eindruck auf andere Menschen zu machen. Schüchternheit ist immer mit Hemmung und sozialem Rückzug verbunden, weshalb Asendorpf (1989) sie auch in den größeren Kontext der sozialen Gehemmtheit einordnet. Schüchternheit bzw. soziale Gehemmtheit ist zeitlich relativ stabil, hat also Dispositionscharakter. Kagan (2003) sieht in dieser Disposition ein Temperamentsmerkmal, das seine Grundlage in individuellen Unterschieden in der biologischen Ausstat69
tung von Individuen hat. Asendorpf (1989) schlägt demgegenüber eine Zweifaktorentheorie vor, nach der Schüchternheit sowohl auf einem Temperamentsmerkmal als auch auf häufig erlebter sozialer Ablehnung beruhen kann. Angst vor physischer Verletzung bezeichnet die interindividuell unterschiedlich ausgeprägte Tendenz, in Situationen, in denen eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit durch andere Personen, Tiere, Naturereignisse oder materielle Gegebenheiten besteht, mit Angst zu reagieren. Auch die Angst vor Schmerzen lässt sich dieser Klasse zuordnen. Diese häufig sehr spezifischen Ängste (im Sinne der weiter vorn gegebenen Differenzierung müsste man hier eher von Furcht sprechen) sind auch die Grundlage vieler Angststörungen (insbesondere der Phobien). Unter der Vielzahl der in diesem Bereich unterscheidbaren Auslöser ist besonders die Angst bei medizinischen Eingriffen (Operation, invasive Diagnose, zahnärztliche Behandlung) intensiv untersucht worden (u. a. Janis, 1958; Krohne, 2017; Tolksdorf, 1985; Vögele, 1988). Insbesondere die Untersuchungen zur Angst bei Operationen haben dabei gezeigt, dass es sich hier nicht um eine einheitliche Klasse auslösender Bedingungen handelt. So lassen sich etwa die Ängste vor der Anästhesie, vor Schmerzen, vor möglichen negativen Folgen der Operation, vor Krankheiten allgemein sowie vor bedrohlichen Diagnosen unterscheiden (vgl. Krohne, 2017). Komponenten der Angst Die Differenzierung nach Komponenten bezieht sich nicht auf die bereits erwähnten Beschreibungsebenen der Angstemotion (die subjektive, verhaltensmäßig-expressive und biologische), sondern auf Einteilungsgesichtspunkte innerhalb einer (meist der subjektiven, seltener auch der verhaltensmäßig-expressiven) Ebene. Die Einteilungen basieren in der Regel auf den Ergebnissen von Faktorenanalysen subjektiver und fremdbeobachteter verhaltensmäßigexpressiver Variablen. Aus der Vielzahl der dabei gesicherten Komponenten haben sich zwei als durchgängig stark bei der Aufklärung der interindividuellen Variabilität in diesen Indikatoren erwiesen: Selbstzweifel und Sorgen im Hinblick auf den Ausgang einer bedrohlichen Episode zum Beispiel das Abschneiden bei einer Prü70
fung, sowie die Wahrnehmung autonomer Erregung. Die erste Komponente wird als Besorgnis und die zweite als Emotionalität oder Aufgeregtheit bezeichnet (u. a. Morris, Davis u. Hutchings, 1981). Diese zunächst für den emotionalen Zustand konzipierte Einteilung lässt sich auch auf die Ebene der Persönlichkeitsdispositionen übertragen. Besorgnis wäre dann die interindividuell variable Tendenz, in belastenden Situationen in erster Linie mit Besorgnisgedanken zu reagieren, während Emotionalität die Neigung bezeichnet, sich in derartigen Situationen als körperlich aufgeregt wahrzunehmen. Die beiden dispositionellen Dimensionen variieren, ebenso wie die Komponenten des aktuellen Zustands, nicht unabhängig voneinander, sondern sind positiv assoziiert, haben aber unterschiedliche Einflüsse auf das nachfolgende Verhalten. So wird etwa das Leistungsniveau in einer Prüfung durch hohe Besorgnis, nicht aber durch Emotionalität negativ beeinflusst. In Besorgnisgedanken manifestieren sich insbesondere die zeitlich länger erstreckten Erwartungen an den Ausgang einer belastenden Konfrontation, während das Auftreten von Emotionalität die unmittelbare Belastung einer Person in einer aversiven Situation widerspiegelt. Dementsprechend lässt sich Besorgnis durch positive Rückmeldung relativ leicht reduzieren, während die Emotionalitätskomponente hierauf kaum anspricht. Die Unterscheidung von Besorgnis und Aufgeregtheit ist nicht, wie insbesondere die Bestimmung von Besorgnis nahelegen könnte, auf selbstwertbedrohliche Situationen beschränkt, sondern lässt sich auch auf andere Stressoren anwenden, zum Beispiel soziale Interaktionen, Sportwettkämpfe, medizinische Eingriffe oder die verhaltensmodifikatorische Behandlung der Angst (Übersicht in Krohne, 2010). Stressbewältigung Der Begriff Stressbewältigung (Coping) war bereits in Zusammenhang mit der Theorie von Lazarus definiert worden. Je nachdem, ob man den Schwerpunkt auf die Analyse der aktuellen Bewältigungsreaktionen oder auf Dispositionen legt, die zur Beschreibung und Erklärung individueller Unterschiede der Stressbewältigung eingeführt wurden, lassen sich in der Forschung zu 71
diesem Bereich eine dispositionelle und eine aktuelle Perspektive unterscheiden. Beim dispositionsorientierten Ansatz geht es primär um eine möglichst frühzeitige Identifizierung von Personen, deren Bewältigungsressourcen oder -präferenzen im Hinblick auf die Anforderungen einer spezifischen Situation inadäquat sind. Eine frühzeitige Identifizierung von Personen mit Bewältigungsdefiziten würde Möglichkeiten der Etablierung von Selektions- bzw. Platzierungsstrategien oder Modifikationsprogrammen eröffnen. Ansätze, bei denen aktuelle Bewältigungsreaktionen im Mittelpunkt stehen, verfolgen demgegenüber eher eine allgemeinpsychologisch ausgerichtete Zielsetzung. Sie analysieren die Beziehungen eingesetzter Bewältigungsmaßnahmen zur tatsächlichen bzw. von der betreffenden Person berichteten Effizienz, zu ihren emotionalen Reaktionen sowie zum allgemeinen psychischen und körperlichen Befinden. Hierdurch sollen unter anderem die Grundlagen für die Erarbeitung eines allgemeinen Interventionsprogramms zur Verbesserung der persönlichen Bewältigungsfähigkeit gelegt werden. Aktuelle Bewältigung Zur Beschreibung aktueller Bewältigung wurde eine Vielzahl von Strategien vorgeschlagen, die im Wesentlichen in Form von Fragebogen operationalisiert werden. Ein Eindruck von der inhalt lichen Bestimmung dieser Strategien lässt sich am besten vermitteln anhand des am häufigsten verwendeten Instruments zur Erfassung von Bewältigung, des »Ways of Coping Questionnaire« (WOCQ; Folkman u. Lazarus, 1988). Das WOCQ besteht aus acht Unterskalen, deren Items im Hinblick auf eine konkrete vorgegebene Situation (z. B. »Wenn ich an die mir bevorstehende Operation denke«) beantwortet werden sollen (Tabelle 2).
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Tabelle 2: Die Dimensionen des Ways of Coping Questionnaire Dimensionen (Skalen)
Item
Konfrontative Bewältigung
Ich versuchte, die verantwortliche Person dazu zu bringen, sich anders zu besinnen.
Distanzierung
Ich machte weiter, als ob nichts passiert wäre.
Selbstkontrolle
Ich versuchte, meine Gefühle für mich zu behalten.
Suche nach sozialer Unterstützung
Ich sprach mit jemandem, um mehr über die Situation herauszufinden.
Anerkennen der Verantwortlichkeit
Ich erkannte, dass ich selbst das Problem verursacht hatte.
Flucht-Vermeidung
Ich hoffte auf ein Wunder.
Planvolles Problemlösen
Ich entwarf einen Handlungsplan und zog ihn durch.
Positive Neueinschätzung
Ich stand nach dieser Erfahrung besser da als zuvor.
Neben dem WOCQ wurde eine Reihe weiterer Testverfahren mit sehr unterschiedlicher Strukturierung entwickelt (Übersichten u. a. in Krohne, 2010; Schwarzer u. Schwarzer, 1996). Im deutschen Sprachraum verbreitet ist der »Aktuelle Stressverarbeitungsfragebogen« (SVF-ak) von Janke, Erdmann und Kallus (2002), in dem 20 Strategien (u. a. Bagatellisierung, Ablenkung von der Situation, positive Selbstinstruktion, Fluchttendenzen, Entspannung, Selbstbeschuldigung) unterschieden werden. Das Problem fast aller dieser Ansätze ist, dass ihnen keine ausformulierte Theorie vorangestellt wurde, aus der sich Aussagen zu Inhalt und Struktur des 73
Bewältigungsgeschehens ableiten lassen. Stattdessen verlassen sich die Autoren entsprechender Testverfahren auf statistische Klassifikationsverfahren, die, je nach Auswahl der zugrunde gelegten Items und der angewandten statistischen Technik, zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen können. Dispositionelle Bewältigung Erste Ansätze zur Erhebung von Bewältigungsdispositionen waren stark an psychoanalytischen Vorstellungen zur Angstabwehr (z. B. Anna Freud, 1936/1964) orientiert. Typisch hierfür sind etwa der von Levine und Spivack (1964) entwickelte »Rorschach Index of Repressive Style«, das »Defense Mechanism Inventory« (DMI) von Gleser und Ihilevich (1969) oder der »Life Style Index« von Plutchik, Kellerman und Conte (1979), mit deren Hilfe die individuelle Präferenz für bestimmte »klassische« Angstabwehrmechanismen wie Projektion, Verleugnung, Intellektualisierung oder Verdrängung erfasst werden sollte. Psychoanalytisch orientierte Ansätze spielen aus mehreren Gründen in der heutigen Bewältigungsforschung kaum noch eine Rolle. Zum einen lassen sich viele zentrale Bewältigungsstrategien (vgl. Tabelle 2) überhaupt nicht in den Bereich der klassischen Angstabwehrmechanismen einordnen. Dies gilt insbesondere für so wesentliche Bewältigungsformen wie Suche nach sozialer Unterstützung oder Problemlösen. Darüber hinaus wurden in entsprechenden Ansätzen kaum Vorstellungen darüber entwickelt, wie das Feld der Abwehrmechanismen in sich noch einmal strukturiert werden kann. Wo Strukturierungen vorgelegt wurden (z. B. bei Haan, 1977), da orientieren sich diese an einer wenig durchdachten Einteilung nach »unreifer« (und damit vermeintlich ineffizienter) »Abwehr« (defense) und »reifer« (angemessener) »Bewältigung« (coping). Bei einer derartigen Klassifizierung wird nicht berücksichtigt, dass ein einzelner Mechanismus nicht per se, sondern immer nur im Hinblick auf bestimmte Aspekte der vorliegenden Situation als angemessen bezeichnet werden kann. So kann der in derartigen Ansätzen im Allgemeinen als unreif bezeichnete Mechanismus der Verleugnung (bedrohliche Aspekte eines bestimmten Sachverhalts werden nicht zur Kenntnis genommen) in bestimmten momentan absolut nicht beeinflussbaren Problem74
situationen zumindest kurzfristig, etwa im Hinblick auf die Bewahrung des emotionalen Gleichgewichts oder eines positiven Selbstbildes, durchaus effektiv sein. Unangemessen wäre Verleugnung dagegen in einer Situation, die sich dynamisch fortentwickelt und in ihrem weiteren Verlauf durch die betroffene Person im Prinzip beeinflussbar ist (etwa bei der Entdeckung einer auffälligen Hautveränderung). Die Bewältigungsforschung orientiert sich heute an neueren Stresstheorien, etwa der bereits beschriebenen transaktionalen Konzeption von Lazarus (1991), und stützt sich dabei auf Versuchsanordnungen aus der kognitiv-experimentellen Psychologie, in der die bei der Verarbeitung bedrohlicher Information beteiligten Strukturen und Prozesse analysiert werden. Bewältigungsbezogene Persönlichkeitsmerkmale beziehen sich hier sowohl auf Prozesse der Bewertung (appraisal) als auch auf die sich anschließende Bewältigung (coping). Bei diesen Merkmalen stehen Dispositionen im Zentrum, die zwei zentrale Formen der Bewältigung repräsentieren: Bedrohungsüberwachung (Vigilanz) und Bedrohungsvermeidung (kognitive Vermeidung). Persönlichkeitskonstrukte, die sich auf diese beiden Formen beziehen, sind Repression-Sensitization (Byrne, 1964), Monitoring und Blunting (Miller, 1987) oder Vigilanz und kognitive Vermeidung (Krohne, 1993). Repression, Blunting oder kognitive Vermeidung thematisieren Tendenzen zu einer verminderten Bedrohungsbewertung in der Primärbewertung sowie zur Abwendung der Aufmerksamkeit von der Bedrohung bzw. zur Bagatellisierung bis hin zur Verleugnung in den Phasen der Sekundärbewertung und Stressbewältigung. Demgegenüber bezeichnen Sensitization, Monitoring oder Vigilanz die Tendenzen zu einer verstärkten Bedrohungsbewertung in der Primärbewertung und zur intensivierten Bedrohungsüberwachung in den Phasen der Sekundärbewertung und Stressbewältigung. Für die neuere Bewältigungsforschung steht also die Frage im Mittelpunkt, wie sich Dispositionskonstrukte (wie z. B. Vigilanz und kognitive Vermeidung) mithilfe von Konzepten, die sich auf informationsverarbeitende Strukturen und Prozesse beziehen, präziser beschreiben und damit auch strikter empirisch überprüfen lassen. Auf diese Weise soll das Zustandekommen aktueller PersonSituations-Interaktionen erklärt und vorhergesagt werden können. 75
Ein derartiger, an Konzepten der Informationsverarbeitung orientierter, Ansatz ist das Modell der Bewältigungsmodi (MBM; Krohne, 1993). Im Zentrum des MBM steht die Analyse individueller Unterschiede bei der Aufmerksamkeitsorientierung und Informationsverarbeitung in stressinduzierenden, insbesondere bedrohlichen, Situationen. Zur Beschreibung derartiger Unterschiede wird das bereits angesprochene Konstruktpaar Vigilanz und kognitive Vermeidung herangezogen. Diese beiden Persönlichkeitsdimensionen sollen unabhängig voneinander variieren. Bei simultaner Betrachtung von hohen und niedrigen Werten auf beiden Dimensionen lassen sich deshalb vier spezifische Konfigurationen identifizieren, die als Bewältigungsmodi bezeichnet werden (Abbildung 1). Das MBM bleibt jedoch nicht auf dieser deskriptiven Ebene der Bestimmung von Konstrukten stehen, sondern führt eine Erklärung des Zustandekommens individueller Unterschiede in den Merkmalen Vigilanz und kognitive Vermeidung ein. Ausgangspunkt ist dabei eine detaillierte Analyse der im Hinblick auf die Angstbewältigung relevanten Elemente einer bedrohlichen Situation.
Abbildung 1: Die Dimensionen des Modells der Bewältigungsmodi Abbildung 1: Die2010, Dimensionen (aus Krohne, S. 146)des Modells der Bewältigungsmodi (aus Krohne, 2010, S. 146)
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Wie bereits dargestellt, lassen sich derartige Situationen durch drei allgemeine Aspekte kennzeichnen: die Anwesenheit bedrohlicher Stimuli (Gefahr), einen hohen Grad an Mehrdeutigkeit (Unsicherheit) und das Fehlen unmittelbarer Reaktionen auf die Bedrohung (Reaktionsblockierung). Die subjektiv-erlebnismäßige Repräsentanz dieser Situationsmerkmale, die als Grundlage eines in einer derartigen Situation entstehenden Angstzustands betrachtet werden kann, sind steigende emotionale Erregung und ein erhöhter Zustand der Unsicherheit. Im MBM wird nun angenommen, dass steigende emotionale Erregung die Tendenz zur kognitiven Vermeidung bedrohungsbezogener Hinweisreize auslöst, während Unsicherheit vigilante Verhaltenstendenzen aktivieren soll. Kognitiv vermeidendes Verhalten ist also erregungsmotiviert und wird eingesetzt, wenn Personen sich besonders durch den Zustand der Erregung belastet fühlen. Vigilantes Verhalten ist demgegenüber unsicherheitsmotiviert und wird ausgelöst, wenn Personen besonders die in Bedrohungssituationen herrschende Unsicherheit schlecht ertragen können. Emotionale Erregung und Unsicherheit werden im MBM dadurch mit der Persönlichkeit verbunden, dass angenommen wird, der interindividuell variable Einsatz kognitiv vermeidender oder vigilanter Strategien reflektiere eine personspezifisch unterschiedliche Empfänglichkeit für die Zustände der emotionalen Erregung bzw. Unsicherheit. Unterschiede in dispositioneller Vermeidung und Vigilanz sollen also mit dem variablen Ausmaß verbunden sein, in dem Individuen die in Bedrohungssituationen ausgelöste emotionale Erregung oder Unsicherheit tolerieren können (Intoleranz gegenüber emotionaler Erregung bzw. Unsicherheit; vgl. Abbildung 1). Personen mit hoher Ausprägung in kognitiver Vermeidung können ihre durch bedrohliche Hinweisreize ausgelöste emotionale Erregung nur schlecht tolerieren. Ihre Bewältigungsstrategien sind deshalb primär darauf ausgerichtet, die emotionale Wirkung von Gefahrenreizen zu minimieren. Durch Abzug der Aufmerksamkeit und Hemmung des Prozesses der Verarbeitung bedrohlicher Informationen versuchen sie, den von ihnen als besonders unangenehm erlebten Anstieg emotionaler Erregung zu begrenzen. Personen mit hohen Werten in Vigilanz können demgegenüber die in 77
vielen Bedrohungssituationen vorhandene Unsicherheit nicht tolerieren. Diese Unsicherheit ist bei ihnen mit einer Angst vor »negativer Überraschung« bzw. unkontrolierbaren Gefahren verbunden. Diese Angst fördert ein ausgedehntes und kontinuierliches Überwachen der Umwelt hinsichtlich des Auftauchens oder der Gegenwart von Gefahrensignalen, verstärkte Aktivitäten der Informationssuche nach Entdeckung derartiger Signale sowie ein gründliches Analysieren der Bedeutung und Implikationen von Situationselementen, die möglicherweise auf eine Bedrohung verweisen. Das MBM unterscheidet vier spezifische Bewältigungsmodi (vgl. Abbildung 1). Personen mit hoher Vigilanz und niedriger Vermeidung sind intolerant gegenüber Unsicherheit, können gleichzeitig aber emotionale Erregung relativ gut ertragen. Dieser Sensitizer genannte Modus ist deshalb durch konsistent vigilantes Verhalten charakterisiert. Demgegenüber sind Individuen mit niedriger Vigilanz und hoher Vermeidung durch eine geringe Toleranz gegenüber emotionaler Erregung und höherer Toleranz gegenüber Unsicherheit gekennzeichnet. Dieser Modus (Represser) ist mit konsistent kognitiv vermeidendem Verhalten verbunden. Personen mit niedrigen Werten in Vigilanz und Vermeidung haben eine höhere Toleranz für Unsicherheit und emotionale Erregung und sind damit insgesamt in Bedrohungssituationen weniger belastet. Sie werden als Niedrigängstliche (bzw. Nichtdefensive) bezeichnet. Personen mit hohen Werten in Vigilanz und Vermeidung zeigen demgegenüber eine geringere Toleranz sowohl gegenüber Unsicherheit als auch aversiver emotionaler Erregung. Sie befinden sich deshalb in Bedrohungssituationen in dem Konflikt, ob sie sich verstärkt mit der Situation befassen sollen, um auf diese Weise Unsicherheit zu reduzieren, oder ob sie sich hiervon abwenden sollen, um damit ihre ausgelöste emotionale Erregung zu begrenzen. Dieser Konflikt soll zu einem instabil-fluktuierenden, häufig wenig wirksamen, Bewältigungsverhalten führen und mit intensiverer Angst verbunden sein. Entsprechend werden derartige Personen als Hochängstliche bezeichnet.
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Tabelle 3: Ausgewählte Situationen und Reaktionen des AngstbewältigungsInventars Selbstwertbedrohliche Situation »Stellen Sie sich vor, dass Sie am nächsten Morgen eine wichtige Prüfung haben.« Vigilante Bewältigungsreaktion »… gehe ich den Fragenkatalog, den ich mir besorgt habe, noch einmal durch.« Kognitiv vermeidende Reaktion »… beschäftige ich mich nicht mehr mit der Prüfung, sondern mache etwas anderes (gehe z. B. ins Kino).« Physisch bedrohliche Situation »Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Flugzeug. Seit einiger Zeit ist der Flug sehr unruhig, die Lampe ›Bitte Anschnallen‹ ist an.« Vigilante Bewältigungsreaktion »… achte ich darauf, wie die anderen Passagiere sich verhalten.« Kognitive vermeidende Reaktion »… setze ich den Kopfhörer auf und höre Musik.«
Zur empirischen Erfassung der zentralen MBM-Dimensionen Vigilanz und kognitiver Vermeidung wurde das AngstbewältigungsInventar (ABI; Krohne u. Egloff, 1999) konstruiert. Das ABI ist nach dem Prinzip der Stimulus-Response-Inventare aufgebaut (vgl. Tabelle 3). Es werden acht fiktive Bedrohungsszenarien vorgegeben, in die sich der Proband hineinversetzen soll (»Stellen Sie sich vor, …«). Diese Szenarien teilen sich gleichmäßig auf die beiden bereits erwähnten großen Gruppen von Bedrohung auf: Selbstwertbzw. Ego-Bedrohung und physische Bedrohung. Jedem Szenario sind je fünf vigilante und kognitiv vermeidende Bewältigungsstrategien zugeordnet, die in ihrer konkreten Formulierung an die jeweilige Situation angepasst sind. Beispiele vigilanter Strategien sind Informationssuche oder Antizipation negativer Ereignisse, für vermeidende Strategien stehen Reaktionen wie Ablenkung oder Betonung der positiven Aspekte der Situation. Der Proband gibt für jede Strategie an, ob er diese in der konkreten Situation generell nie bzw. selten (»trifft nicht zu«) oder häufig (»trifft zu«) einsetzt. Empirische Untersuchungen zur Überprüfung der Validität des ABI werden unter anderem in Krohne (2010), Krohne und Egloff (2005) sowie Krohne und Hock (2008, 2011) dargestellt. 79
Die Messung angst- und furchtbezogener Merkmale In den vorangegangenen Abschnitten wurde ein Überblick über begriffliche Bestimmungen in den Bereichen Angst, Furcht, Stress und Stressbewältigung gegeben. Jetzt werden Ansätze zur empirischen Erfassung (Messung) dieser Merkmale vorgestellt. Dabei geht es allerdings weder um die Darstellung einzelner Erhebungsverfahren noch um die Beschreibung ihrer theoretischen Grundlagen. Beides wäre für die Zielsetzung dieser Arbeit zu umfangreich und komplex und bleibt deshalb der spezifischen Fachliteratur vorbehalten (u. a. Krohne u. Hock, 2015; Schandry, 2003; Scherer u. Wallbott, 1990). Vielmehr sollen im Folgenden nur die einzelnen Zugangsweisen zu den genannten Bereichen skizziert werden. Emotionen und Persönlichkeitsmerkmale als hypothetische Konstrukte Weder ein aktueller emotionaler Zustand als solcher (z. B. Angst) noch das entsprechende Persönlichkeitsmerkmal (Ängstlichkeit) können unmittelbar beobachtet werden. Registrieren kann man nur bestimmte Phänomene, beispielsweise, dass jemand in einer Prüfung schwitzt, stottert, errötet oder sagt, er »habe Angst«. Objektiv feststellen kann man auch, dass eine Person in einem bestimmten Fragebogen einzelne Feststellungen bejaht und andere verneint. Alle diese Phänomene sind im Prinzip von jedem Beobachter in gleicher Weise registrierbar. Das heißt nun aber nicht, dass damit auch schon die Bedeutung dieser Phänomene festliegt. Die Feststellung der Bedeutung der in einem bestimmten Erhebungsverfahren (etwa einem Fragebogen oder einer standardisierten Beobachtung) gezeigten Verhaltensweisen heißt Validierung dieses Verfahrens. Erst der Nachweis der Validität eines Verfahrens ermöglicht den diagnostischen Schluss, das heißt den Schluss von einem vorliegenden und begrenzten Index, etwa Antworten in einem Fragebogen, auf etwas Umfassenderes und nicht unmittelbar Gegebenes, das Indizierte, zum Beispiel Angst (Krohne u. Hock, 2015, S. 4). 80
Um dem Beobachtbaren seine theoretische Bedeutung zu verleihen, führt die Psychologie gedankliche Konstruktionen ein, die sogenannten theoretischen bzw. hypothetischen Konstrukte. Wichtige Konstrukte der Psychologie sind Intelligenz, kognitive Stile und eben auch Angst und Ängstlichkeit. Konstrukte sind Theorien über einen bestimmten Sachverhalt, zum Beispiel Ängstlichkeit, der in verschiedenen Beobachtungssituationen (und damit auch in unterschiedlichen Erhebungsverfahren) relevant wird. Aus der Perspektive des Konstrukts fungieren diese Situationen bzw. Verfahren als dessen empirische Indikatoren, das heißt sie operationalisieren die Konstruktaussagen. Ein theoretisches Konstrukt ist dabei niemals mit nur einem »Strang« in der Welt beobachtbarer Phänomene verankert. Das Konstrukt Ängstlichkeit ist also nicht identisch etwa mit Reaktionen in einem bestimmten Angstfragebogen (genauso wenig wie »Intelligenz, das ist, was ein Intelligenztest misst«, um eine häufig zitierte Aussage heranzuziehen, vgl. Boring, 1923). Vielmehr ist ein Konstrukt auf eine mehr oder weniger große Zahl unterschiedlicher Phänomene bezogen. Diese empirischen Indikatoren könnten etwa ein »Ängstlichkeits«-Fragebogen sein, die Diagnose eines Psychiaters hinsichtlich »neurotischer Tendenz«, die Schnelligkeit des Erlernens eines Vermeidensverhaltens in einem Konditionierungsexperiment oder das Leistungsniveau unter Stress (vgl. auch Hörmann, 1964; Krohne, 2010). Konstrukte sind allerdings niemals vollständig durch empirische Indikatoren bestimmbar. Sie weisen gegenüber empirischen Aussagen (z. B. »der Schüler A hat im Angsttest X einen Wert von 15«) einen Bedeutungsüberschuss auf, da sie auch Hypothesen über bis dahin nicht registrierte Beobachtungsdaten enthalten, zum Beispiel über Daten, die zu anderen Zeitpunkten bzw. Situationen, mit anderen Indikatoren oder an anderen Personen erhoben werden. Konstruktaussagen enthalten also immer eine gewisse Abstraktion, etwa von der konkreten Situation der Datenerhebung, dem dabei verwendeten Material oder der spezifischen Stichprobe (zum Bedeutungsüberschuss bei theoretischen Aussagen siehe u. a. Herrmann, 1973.) Wie kommt die Psychologie nun überhaupt zu einem Konstrukt und seinen empirischen Indikatoren? Im Anfangsstadium 81
der Theoriebildung werden Konstrukte nur durch eine sehr begrenzte Anzahl empirischer Indikatoren repräsentiert. In den frühen Arbeiten Freuds wurde Ängstlichkeit etwa im Wesentlichen mit bestimmten »hysterischen« und »neurasthenischen« (also psychopathologischen) Merkmalen identifiziert. Das Ziel wissenschaftlicher Forschung, immer genauere und tragfähigere Vorhersagen über das Eintreffen bestimmter empirischer Sachverhalte zu machen, fordert jedoch die Herstellung von immer zahlreicheren Verbindungssträngen, das heißt das Auffinden neuer Zusammenhänge in einem konstruktspezifischen Bereich. In welcher Richtung der Forscher diese Zusammenhänge zu suchen hat, das sagt ihm am Anfang der Konstruktentwicklung das Vorverständnis des betreffenden Sachverhalts. So würde ihm sein Vor- bzw. Alltagsverständnis von »ängstlichen Personen« etwa sagen, dass diese in belastenden Situationen wie Prüfungen weniger leisten als Nichtängstliche, dass sie unter Stress leicht »aufgeregt« werden (also etwa schwitzen, mit den Händen zittern und unkonzentriert sind), sich häufig Sorgen über mögliche Misserfolge machen und außerdem zu psychosomatischen Symptomen (z. B. Schlaflosigkeit) neigen. Nach diesem Initialimpuls ist im weiteren Verlauf der Konstruktentwicklung jedoch nicht mehr dieses Verständnis die Richtschnur des Vorgehens, sondern »der Kanon einer auf verbindliche Aussagen gerichteten Wissenschaft« (Hörmann, 1964, S. 9). Die Bedeutung eines theoretischen Begriffs wie etwa Angst oder Ängstlichkeit ergibt sich dann aus dem Ort, den dieser in einem sich herausbildenden Netzwerk von Beziehungen, dem sogenannten nomologischen Netz (Feigl, 1958), einnimmt. Der Prozess der Entwicklung dieses Netzwerks ist niemals abgeschlossen. Ein Konstrukt bezieht sich also nur auf die augenblicklich bekannte Konstellation in diesem Bereich. Die Beurteilung von Konstrukten orientiert sich an den üblichen Kriterien zur Bewertung der Güte von Theorien. Das Kriterium der Explizitheit fordert, dass Konstrukte nach expliziten Regeln eingeführt sein müssen, so wie ich das anhand des Begriffs »nomologisches Netz« dargestellt hatte. Ferner müssen die Beziehungen zwischen verschiedenen Konstrukten, zum Beispiel Angst und Schulleistung, in Form erklärender Aussagen geregelt sein. Widerspruchslosigkeit meint, dass im Aussagesys82
tem eines Konstrukts keine Widersprüchlichkeiten enthalten sein dürfen. Das Kriterium der Überprüfbarkeit setzt eine entsprechende Operationalisierung eines Konstrukts voraus. Gültigkeit folgt dem der Überprüfbarkeit. Sie ist gegeben, wenn Versuche einer empirischen Bestätigung entsprechender Hypothesen gelungen sind. Sparsamkeit meint, dass ein Konstrukt mit möglichst wenig erklärenden Aussagen auskommt. Aus der Formulierung eines Konstrukts sollte ferner eindeutig hervorgehen, für welchen Geltungsbereich es aufgestellt wurde. Brauchbarkeit schließlich fordert, dass ein Konstrukt zur Anwendung in der Praxis tauglich sein sollte. Auf einen Punkt muss in diesem Zusammenhang gesondert hingewiesen werden. Begriffe wie Ängstlichkeit beziehen sich auf theoretische Konstruktionen. Es handelt sich hier also nicht um »wirkliche Eigenschaften des Menschen«, die es schlicht zu entdecken gilt. Man darf also über Ängstlichkeit, Intelligenz usw. nicht so reden, als gäbe es »hinter« dem Beobachtbaren gewissermaßen noch eine zweite Realität, die nur unglücklicherweise (zumindest mit unseren bisher eingesetzten Methoden) der Beobachtung nicht zugänglich ist. Weil theoretische Konstruktionen in diesem Sinne nicht real (dinghaft und wirksam) sind, können sie auch nicht Ursachen beobachteten Verhaltens sein. Jemand zeigt also zum Beispiel nicht deshalb eine erhöhte autonome Erregung, weil er die Eigenschaft Ängstlichkeit »besitzt« (in einer derartigen Aussage würde der theoretischen Konstruktion nämlich Wirksamkeit zugeschrieben), sondern etwa, weil ihm eine Strafe angedroht wurde oder er in einer Prüfung einen Misserfolg erwartet. Das Auffinden derartiger Auslöser (z. B. Misserfolgserwartung) wird dabei durch den spezifischen Inhalt des Konstrukts gesteuert, das heißt durch die zugrunde liegende Theorie (in diesem Fall etwa der Bewertungsängstlichkeit). Dass auch Wissenschaftler hin und wieder der Tendenz unterliegen, Denkkonstruktionen für Realität zu halten, sei abschließend an einem Beispiel illustriert. Freud verwendet in seiner Theorie vielfältige Denkkonstruktionen. Dazu gehören auch die Begriffe »Ich«, »Es« und »Über-Ich«. Wenn er über die Beziehungen dieser drei sogenannten »psychischen Instanzen« zueinander schreibt, dann hört sich das so an: 83
»Das Es ist ganz amoralisch, dass Ich ist bemüht, moralisch zu sein, das Über-Ich kann hypermoralisch sein und dann so grausam werden wie nur das Es« (Freud, 1923/1975, S. 320). Wenige Zeile früher hatte er dabei den »Kampf« des Ichs gegen die beiden anderen Instanzen wie folgt beschrieben: »Nach beiden Seiten hilflos, wehrt sich das Ich vergeblich gegen die Zumutungen des mörderischen Es wie gegen die Vorwürfe des strafenden Gewissens« (S. 320). Hier werden aus theoretischen Denkkonstruktionen quasi lebendige Wesen, die Eigenschaften besitzen, selbst wiederum handeln und in offensichtlich recht unerfreulichen sozialen Beziehungen zueinander stehen. Indikatoren aktueller Zustände Konstrukte wie aktuelle Angst oder Ängstlichkeit sind also durch Bestimmungslinien mit der Welt der beobachtbaren Phänomene verbunden. Anhand dieser Linien wird festgelegt, welche Elemente zur Klasse konstruktspezifischer Merkmale gehören. Nach den im vorangegangenen Abschnitt gegebenen Beschreibungen für die Merkmale Angst, Furcht und Stress lassen sich die empirischen Indikatoren für diese Konstrukte den »Ebenen« der Selbstbeschreibungen, verhaltensmäßig-expressiven Reaktionen und biologischen Parameter (insbesondere der physiologischen Prozesse) zuordnen. Persönlichkeitsmerkmale wurden dabei bislang allerdings vorzugsweise über subjektiv erhobene (selbstbeschreibende) Daten operationalisiert. Da die empirische Erfassung dieser Merkmale im Prinzip denselben Überlegungen folgt wie die Messung aktueller Zustände, beschränke ich mich hier auf die Zustandsmessung. In Tabelle 4 sind die wichtigsten empirischen Indikatoren aufgelistet, die zur Messung von Angst, Furcht und Stress herangezogen werden.
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Tabelle 4: Indikatoren von Angst, Furcht und Stress Erhebungsebene ȤȤ Indikatorenklasse Selbstbeschreibungen ȤȤ Ein-Itemskalen
Beispiele/Bereiche
Furchtthermometer (Walk, 1956)
ȤȤ Eigenschaftslisten
Multiple Affect Adjective Checklist (MAACL; Lubin et al., 2001)
ȤȤ Fragebogen
State-Trait-Angst-Depressionsinventar (STADI; Laux et al. 2013)
Verhaltensmäßig-expressive Reaktionen ȤȤ Mimik
Facial Action Coding System (FACS; Ekman u. Friesen, 1978)
ȤȤ Vokalisation
Sprechstörungsquotient (Mahl, 1956)
ȤȤ Weitere motorische Reaktionen
Handbewegungen, visuelle Interaktion
ȤȤ Makroanalytische nonverbale Anzeichen
Unruhige Körper- und Sitzhaltung, leise Stimme, Schwitzen, gespannter Gesichtsausdruck
ȤȤ Verbale Indikatoren
Sprachinhaltsanalyse (Gottschalk u. Gleser, 1969)
Biologisch-physiologische Parameter ȤȤ Zentralnervös Gehirnelektrische Aktivität Bildgebende Verfahren ȤȤ Peripherphysiologisch
Kardiovaskuläre Reaktionen Elektrodermale Aktivität
ȤȤ Muskulär
Elektrische Muskelaktivität Atemfrequenz Okuläre Prozesse
ȤȤ Endokrin
ȤȤ Immunologisch
Hypothalamus-Hypophysen- Nebennierenrinden-(HPA-)Achse Hypothalamus-Nebennierenmark(SAM-)Achse u. a. Aktivität der natürlichen Killerzellen Anzahl der T-Lymphozyten
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Selbstbeschreibungen Über subjektive Verfahren werden die persönlichen Stellungnahmen von Probanden erhoben. Da es hier also um den Erlebnisaspekt angesichts bestimmter Situationen und Umstände und nicht um offenes Verhalten oder expressive Reaktionen geht, spricht man auch von erlebnisdeskriptiven Daten. In der Regel wird der vom Probanden erlebte Zustand über verbale Reaktionen operationalisiert. Allerdings ist die Verwendung verbal orientierter Verfahren nicht zwingend. Die Einschätzung eines Zustands kann auch über nonverbale (aber dennoch subjektive) Reaktionen erfolgen. Während die in Tabelle 4 aufgeführten Ein-Itemskalen und Eigenschaftslisten die emotionale Befindlichkeit einer Person ganz direkt erfragen, wird in Fragebogen eher eine indirekte und damit für den Probanden hinsichtlich der Messintention (jedenfalls nach Hoffnung der Testkonstrukteure) weniger durchschaubare Operationalisierung des interessierenden Merkmals angestrebt (beispielsweise in einem Item wie »Ich schwitze leicht, selbst an kühlen Tagen«, mit dem die Disposition Ängstlichkeit erfasst werden soll). Verhaltensmäßig-expressive Reaktionen Ein zentrales Problem aller Verfahren, in denen subjektive Stellungnahmen erhoben werden, besteht darin, dass ihre Messintention vom Probanden leicht durchschaut werden kann. Entsprechend kann dieser sein Antwortverhalten in subjektiven Erhebungs situationen planen und steuern. Schwerer bzw. überhaupt nicht in ihrer Messintention durchschaubar sind dagegen Anordnungen zur Verhaltensbeobachtung. Daten aus Beobachtungsverfahren versprechen dabei einen relativ direkten Zugang zu interessierenden Verhaltensmerkmalen und sollten deshalb zur Erhebung aktueller emotionaler Reaktionen besonders geeignet sein. Im Zentrum der Analyse dieser Klasse von Reaktionen stand lange Zeit die Mimik. Detaillierte Beschreibungen des mimischen Ausdrucks für spezifische Emotionen haben als erste Duchenne (1862/1990) und Darwin (1872/1965) vorgelegt. So sollen sich nach Darwin Furcht bzw. Angst in einem weit geöffneten Mund, aufgerissenen Augen, angespanntem Lachmuskel und verengten Pupillen manifestieren. Auf der Grundlage dieser Pionierarbeiten haben 86
Ekman und Friesen (1978) mit ihrem Facial Action Coding System (FACS) ein objektives Codiersystem mimischen Ausdrucksverhaltens entwickelt, das heute in der Forschung vielfach eingesetzt wird. Das FACS geht von den die Mimik fundierenden Muskelgruppen aus und kommt so zu Aktionseinheiten (»action units«, AUs) als den kleinsten Einheiten mimischen Ausdrucks. AUs sind definiert durch innervierte Muskeln und Muskelgruppen und müssen sich visuell im Gesichtsausdruck distinkt manifestieren. Sie können von trainierten Beobachtern zuverlässig unterschieden werden. Für die Emotion Furcht bzw. Angst sind die AUs »Heben der oberen Lider«, »Anspannung der Augenlider und Zusammenziehen der Augenbrauen« und »horizontales Dehnen der Lippen« charakteristisch. Ein weiteres bevorzugtes Gebiet der Forschung in diesem Bereich, gerade auch unter dem Aspekt der Erfassung emotionaler Zustände, ist die visuelle Interaktion (u. a. Buck, 1984). Für die Angstregistrierung interessieren dabei insbesondere Häufigkeit und Länge des Anblickens des Interaktionspartners durch die beobachtete Person, wobei Anblicken als ein Blicken in die Richtung der Augen des Interaktionspartners bestimmt wird. Hock und Krohne (1992) fanden für die Interaktion des Kindes mit seiner Mutter bei Kindern mit angstvermeidender Tendenz (Represser) ein auffälliges Muster. Während für diese Kinder die Gesamtzeit des Anblickens in einem definierten Beobachtungszeitraum sehr kurz war, war die Häufigkeit des Anblickens hoch. Angstvermeidung ist also offenbar mit einem vermehrten, aber zeitlich sehr kurz erstreckten Anblicken des Interaktionspartners verbunden. Für ängstliche Kinder war dagegen die Häufigkeit wie auch die Gesamtdauer des Blickens erniedrigt. Variablen des Blickverhaltens oder der Mimik, wie sie etwa über das FACS erfasst werden, sind Indikatoren auf Mikroebene, die einen erheblichen Aufwand zu ihrer Registrierung erfordern. Demgegenüber stellen fremdbeurteilte Merkmale wie mimische Auffälligkeiten, unruhige Körper- und Sitzhaltung, leise Stimme oder Lachen Makroindikatoren dar. Das Abstützen auf derartige Indikatoren erscheint besonders dann zweckmäßig, wenn sich, wie etwa bei Felduntersuchungen oder Interviews, die Beobachtungssituation wenig standardisieren lässt bzw. die Möglichkeiten einer 87
technischen Aufzeichnung des zu beobachtenden Verhaltens, die etwa bei visuellen Interaktionen unumgänglich ist, begrenzt sind. Biologisch-physiologische Prozesse Für subjektive und verhaltensmäßig-expressive Operationalisierungen von Angst liegt zwar eine große Zahl mehr oder weniger standardisierter (und damit etablierter) Verfahren vor, allerdings lässt sich deren Validität im Einzelfall oft nur schwer abschätzen. Demgegenüber besteht für den Bereich biologisch-physiologischer Parameter eine hohe Übereinstimmung darin, welche Variablen als Indikatoren von Angst (oder allgemeiner: Stressbelastung) herangezogen werden können. Entsprechend umfassend und vergleichsweise eindeutig ist hier die Literatur, sodass ich mich in dieser Arbeit auf die in Tabelle 4 gegebene Übersicht der relevanten Messgrößen beschränken kann. (Detaillierte Darstellungen physiologischer Indikatoren emotionaler Zustände finden sich u. a. in Hennig u. Netter, 2005; Larsen et al., 2008; Schandry, 2003; Vossel u. Zimmer, 1998. Für eine frühe umfassende Beschreibung siehe Cannon, 1914.) Von körperlichen Veränderungen im Zustand der Angst sind das Zentralnervensystem, das vegetative Nervensystem, das muskuläre und endokrine System sowie das Immunsystem betroffen. Es handelt sich hier um komplexe Systeme, die miteinander interagieren. Unterschiedliche Arten von Stressoren wirken auf ZNS und endokrines System ein und beeinflussen damit auch das Immunsystem. Psychoneuroimmunologie (PNI) bezeichnet das breite interdisziplinäre Forschungsfeld, das sich mit dem Zusammenspiel der drei genannten Systeme befasst (vgl. hierzu u. a. Hennig, 1998). Aus den in diesen Systemen ablaufenden Prozessen lassen sich verschiedene Parameter ableiten, die als Indikatoren von Angst dienen können. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die einzelnen dargestellten Variablen nicht als Indikatoren betrachtet werden dürfen, die stellvertretend füreinander zur Messung von Angst bzw. Furcht herangezogen werden können (etwa Herzrate oder Hautleitfähigkleit). Die Entscheidung darüber, welcher Parameter jeweils verwendet werden soll, hängt ab von den situativen Bedingungen (z. B. selbstwert- vs. physisch bedrohlich oder Art einer zu bewältigenden Aufgabe), dem Zeitpunkt der Messung innerhalb 88
einer belastenden Episode sowie den vom Probanden geforderten Reaktionen während der Untersuchung (Überwachen eines Gefahrensignals, aktives Eingreifen in die Situation oder kognitive Reaktionen wie etwa »Verleugnen«).
Diskussion Angst, Furcht und Stress sind keine beobachtbaren Merkmale, sondern theoretische Konstruktionen, also Theorien über einen Sachverhalt, der in verschiedenen Beobachtungssituationen relevant wird. Ausgangspunkt für die Entwicklung derartiger Konstrukte ist das Vorverständnis des betreffenden Sachverhalts, in diesem Fall das (alltägliche) Verständnis von Angst, Furcht und Stress. Dieser Phase schließt sich in der Entwicklung eines Konstrukts die wissenschaftliche Analyse eines Sachverhalts an, also das theoriegeleitete Bestimmen von empirischen Indikatoren des im Konstrukt (z. B. Ängstlichkeit) Gemeinten sowie das Auffinden von Beziehungen dieser Indikatoren zu weiteren Variablen, zum Beispiel zwischen einem Test der Schulängstlichkeit (empirischer Indikator) und der Leistung in einer Klassenarbeit (abhängige Variable). Aus einer sich verdichtenden Konstellation von Beziehungen ergibt sich dann der Ort, der das Konstrukt zunehmend genauer beschreibt. Man kann diese Konstellation, das »nomologische Netz«, mit Wittgenstein (1960) auch als »Sprachspiel« bezeichnen, aus dem sich eine sinnvolle Verwendung des Konstruktbegriffs (etwa Ängstlichkeit) ergibt (vgl. Hörmann, 1964). Ich habe diese Arbeit begonnen mit einer Darstellung von Differenzierungsmöglichkeiten innerhalb des Bereichs Angst, Furcht und Stress. Hier traf sich gewissermaßen die Phase des Vorverständnisses der betreffenden Sachverhalte, wenn etwa Freud Angst als unbestimmt und objektlos charakterisiert und von Furcht dann spricht, wenn Angst ein Objekt gefunden hat, mit den Ergebnissen empirischer wissenschaftlicher Analysen zu dem Ort, den die Konstrukte Angst, Furcht und Stress jeweils einnehmen. Auch wenn zwischen den Inhalten der drei Konstrukte und damit der Verwendung der entsprechenden Begriffe erhebliche Überlappun89
gen bestehen, so lassen sich doch charakteristische Bestimmungen unterscheiden. Diese wurden, zusammen mit Hinweisen auf deren theoretischen Grundlagen, im Eingangskapitel dieser Arbeit dargestellt. Dabei zeigte sich, dass oft weitere Differenzierungen des betreffenden Konstrukts sinnvoll sind, wenn man die, insbesondere an Forderungen aus der Praxis orientierte, Zielsetzung verfolgt, von empirischen Indikatoren eines Konstrukts aus (z. B. einem Ängstlichkeitstest) immer genauere Vorhersagen zu treffen im Hinblick auf Zusammenhänge mit weiteren interessierenden Merkmalen (z. B. Schulleistung). Das gilt insbesondere für die Ängstlichkeit, in der zunehmend bereichsspezifische Dispositionen unterschieden werden. Diese Differenzierungen sind Resultat einer verstärkten Beachtung der interaktionistischen Perspektive in der Persönlichkeitsforschung. Nach dieser Auffassung unterscheiden sich Personen nicht nur nach der Stärke ihrer Angstreaktionen in bedrohlichen Situationen, sondern auch danach, in welchen speziellen Umweltbereichen sie sich bedroht fühlen und entsprechend mit Angst reagieren. Von zentraler Bedeutung für die Analyse des Angst- und Stressgeschehens ist das Konzept der Bewältigung (Coping). Dieses Konzept repräsentiert die kognitive Perspektive, wie sie insbesondere von Lazarus in die entsprechende Forschung eingebracht wurde. Kognitiv meint dabei, dass die Auslösung emotionaler Reaktionen in belastenden (aversiven) Situationen nicht präzise vorhergesagt werden kann ohne die Kenntnis subjektiver Bewertungsprozesse. Diese Prozesse beziehen sich auf die Einschätzung verschiedener Aspekte der Situation und der hier vorhandenen eigenen Ressourcen. Die meisten Ansätze in diesem Forschungsbereich, besonders wenn in ihnen die Erhebung verschiedener Strategien der Bewältigung im Zentrum steht, beschränken sich auf die deskriptive Ebene der Analyse. Sie liefern Listen unterschiedlicher Strategien, ohne diese aber aus einer zugrunde gelegten Theorie abzuleiten. Das gilt auch für die bekannteste derartige Auflistung, das Ways of Coping Questionnaire (WOCQ) aus der Lazarus-Gruppe. Zwar versucht Lazarus mit seiner Unterscheidung von problem- und emotionszentrierter Bewältigung eine Differenzierung, die über eine reine Beschreibung hinausgeht, lässt dabei aber offen, wie die 90
Strategien des WOCQ auf diese Einteilung zu beziehen sind. Einen stärker explikativen Ansatz liefert, unter Einbeziehung persönlichkeitspsychologischer Konstrukte, das Modell der Bewältigungsmodi. Ein zentrales Ergebnis aus den Forschungen zur Bewältigung ist die Erkenntnis, dass für die Vorhersagen der Qualität und Intensität emotionaler Reaktionen in einer spezifischen Situation die Bestimmung individueller Bewertungen unverzichtbar ist. Der Vorgang der Bewertung steht im Zentrum der Analyse emotionaler Prozesse und verweist unmittelbar auf eine weitere zentrale Konzeption innerhalb dieses Forschungsbereichs, die interaktionistische Perspektive. Bewertungen hängen nicht nur von individuellen Dispositionen ab, etwa der habituellen Tendenz, eine Prüfungssituation als bedrohlich einzuschätzen, sondern auch von Inhalt und Eigenart der jeweils vorliegenden Situation. Dass ein bedrohlicher Inhalt (etwa die Ankündigung einer Prüfung) bei entsprechend disponierten Personen zu Angstreaktionen führt, ist vergleichsweise trivial. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber die Tatsache, dass neben diesem Inhalt auch eher formale Aspekte in der Interaktion von Person und Situation bei der Situationsbewertung eine wesentliche Rolle spielen. An erster Stelle zu nennen ist hier der situative Druck bzw. (umgekehrt) der Grad der Mehrdeutigkeit einer Situation. Je mehrdeutiger Situationen sind (etwa bei bestimmten sozialen Interaktionen), desto größer ist der Spielraum für unterschiedliche Bewertungen und damit die Bedeutung individueller Differenzen in diesem Prozess. Demgegenüber führen eindeutige und »starke« Situationen (z. B. die Ankündigung eines unmittelbar bevorstehenden medizinischen Eingriffs) zu einer gewissen Homogenisierung der Bewertungsprozesse. Individuelle Unterschiede in der Tendenz, Situationen zu bewerten, sowie Variationen im situativen Druck (bzw. in der Mehrdeutigkeit) sind also entscheidende Größen bei der genaueren Bestimmung des Interaktionsgeschehens im Hinblick auf Auslösung und Verlauf emotionaler Prozesse. Im abschließenden Kapitel wurde eine Übersicht über unterschiedliche Indikatoren von Angst, Furcht und Stress gegeben, die den einzelnen »Ebenen« der Emotionsbeschreibung zugeordnet wurden. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass diese einzelnen Variablen nicht stellvertretend für einander bei der Emotionsmes91
sung herangezogen werden dürfen, weder innerhalb einer Ebene noch zwischen diesen. Der Grund für diese Einschränkung ist, dass diese Indikatoren auf unterschiedliche situative Aspekte ansprechen und jeweils spezifischen Regulationen unterliegen. So orientieren sich Regulationen bei subjektiven Reaktionen (oft) an der kontinuierlichen Bewertung einer sozialen Interaktion, auf der physiologischen Ebene werden sie dagegen in erster Linie durch biologische Prozesse (etwa sympathische und parasympathische Aktivitäten) gesteuert.
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Briefwechsel
Lieber Herr Krohne, Ihre Ausführungen habe ich mit großem Interesse gelesen. Sie vermitteln einen instruktiven Überblick über jene beeindruckend vielfältigen Differenzierungen, welche die empirische Forschung anleiten bzw. welche durch diese erarbeitet worden sind. Nicht wenige dieser Unterscheidungen könnten offensichtlich auch in anderen Disziplinen hilfreich sein, etwa in der Soziologie oder in einer an Gesellschaftsanalyse und Kulturhermeneutik interessierten Philosophie. Im Folgenden möchte ich dennoch nicht auf diese Anknüpfungsmöglichkeiten eingehen, sondern die Gelegenheit nutzen, um zunächst ein Problem anzusprechen, dass mich bei der Lektüre von empirischen Untersuchungen zu unserem Thema regelmäßig ratlos und unzufrieden zurücklässt – eine Unzufriedenheit, die ein Antrieb zu meinen eigenen Überlegungen im Anschluss an Heidegger gewesen ist. Es geht um das Problem der Unterscheidung zwischen Angst und Furcht, mit dem für mich mindestens zwei Hauptfragen an die empirischen Forscher verbunden sind.
Fragen zur Relevanz der begrifflichen Angst-FurchtDifferenzierungen in der empirischen Forschung Allein in Ihrem Text lassen sich wenigstens sechs Unterscheidungen zwischen Angst und Furcht leicht ausmachen. Gemeint sind die Differenzierungen nach Izard (1991), nach Epstein (1967), nach Freud (1926/1971a), nach Kimmel/Burns (1977), nach Lazarus/ 93
Scherer sowie nach Davis/Öhman, alle im Abschnitt »Angst und Furcht«. Es könnte sein, dass in Ihrem Text noch weitere solche Unterscheidungen getroffen werden, aber da bin ich mir bereits nicht mehr sicher. Dazu zwei Beispiele. So erwähnen Sie das evolutionsbiologische Verständnis der Furcht als zentralen Evolutionsmechanismus, der insbesondere in jenen Situationen aktiv werde, welche in der urzeitlichen Umwelt das Überleben der Art bedrohen. Aber gibt es auch eine evolutionsbiologische Bestimmung der Angst? Soll der Hinweis auf die Phobien als pathologische Steigerungen der Furcht – in einer modernen Umwelt? – diese Bestimmung sein? Ein zweites Beispiel: Nachdem Sie die Unterscheidung zwischen aktuellem Zustand und Persönlichkeitsmerkmal eingeführt haben, referieren Sie Spielbergs Bestimmung des Angstzustandes. Aber gibt es auch eine hiervon differierende Bestimmung des Furcht zustandes? Oder spielt die Angst-Furcht-Differenz jetzt keine Rolle mehr? Geht es jetzt nur noch um die Differenz zwischen Aktualzustand und individueller Disposition? Und bezieht sich diese Unterscheidung dann entweder immer auf Angst oder immer auf Furcht? Oder doch auf beide? Aber das kann eigentlich nicht sein, wenn doch zwischen beiden begrifflich-definitorisch unterschieden wird? Eine solche Stelle, welche die für mich bestehende Unklarheit in besonderer Weise verdeutlicht, findet sich im Abschnitt »Persönlichkeitsmerkmale« Ihres Textes. Dort heißt es: »Diese häufig sehr spezifischen Ängste (im Sinne der weiter vorn gegebenen Differenzierung müsste man hier aber von Furcht sprechen) sind auch die Grundlage vieler Angststörungen (insbesondere der Phobien).« Es sind solche Passagen, die mich ratlos lassen: Spezifische Ängste, die – wie Sie einräumen – eigentlich unter den Begriff Furcht fallen, sollen doch die Grundlage von Angststörungen sein, zu denen insbesondere die Phobien zählen würden, die doch aber wegen ihres bestimmten Gegenstandes (z. B. enge Räume, große Höhen, öffentliche Plätze, Spinnen usw.) als Formen der Furcht zu klassifizieren wären. An solchen Stellen bleibt für mich immer unklar, ob einfach die Begriffsnamen »Angst« und »Furcht« im selben Text nicht einheitlich verwendet werden oder ob die eingeführte Unterscheidung zwischen den Begriffen Angst und Furcht aufgegeben wird. Damit komme ich zu meinen beiden Hauptfragen. 94
Die erste lautet: In welchem Verhältnis zueinander stehen die vielfältigen Unterscheidungen zwischen den Begriffen Angst und Furcht? Es sind verschiedene Varianten denkbar: Alle oder zumindest einige von ihnen könnten erstens einander ergänzen, weil sie unterschiedliche Aspekte derselben Sache thematisieren. Möglich wäre zweitens auch, dass einige Differenzierungen andere konkretisieren. Drittens wäre denkbar, dass eine Differenzierung eine bestimmte andere widerlegt, sie im Zuge der Theoriebildung ablöst, ersetzt. Schließlich könnte es sich viertens um konkurrierende Ansätze handeln. Jedenfalls müsste meines Erachtens das Verhältnis der begrifflichen Unterscheidungen zueinander geklärt werden, wenn überhaupt von einer psychologischen Theorie über Angst und Furcht die Rede sein soll. Die zweite Hauptfrage lautet, ob und inwiefern die Begriffsdifferenz zwischen Angst und Furcht dann Berücksichtigung findet, wenn weitere Unterscheidungen getroffen werden. Also müsste sich zum Beispiel aus der Angst-Furcht-Differenz sowie aus der Unterscheidung zwischen Aktualzustand und individueller Disposition nicht eine Kreuzklassifikation ergeben? Müsste nicht alles, was hinsichtlich der Messung gesagt oder in der Abbildung und den Tabellen genannt wird, hinsichtlich Angst und Furcht differenziert werden? Mein Eindruck ist, dass dies nicht geschieht: Die sonstigen Unterscheidungen scheinen mir hauptsächlich oder sogar ausschließlich die Furcht zu betreffen, während die Angst dabei weitgehend oder völlig unbeachtet bleibt. Wenn aber zwischen Angst und Furcht unterschieden werden muss, und wenn diese Unterscheidung auch begrifflich getroffen wird, dann ist es für die empirische Forschung doch unerlässlich zu wissen, ob sie gerade entweder Angst oder Furcht untersucht. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass zwar eine Unmenge an Daten erhoben wird, die aber gar nicht zu- bzw. eingeordnet werden kann. Jedenfalls ist bei mir der Eindruck entstanden, dass die empirischen Forschungen zur Furcht bereits weit fortgeschritten sind, während eine spezifische Beschäftigung mit der Angst noch weitgehend aussteht. Mit diesen Überlegungen werden bereits methodologische Fragen berührt, eine Fragerichtung, die ich in einem zweiten Punkt noch etwas vertiefen möchte. 95
Theoretische Konstrukte und Vorverständnis Ihren methodologischen Ausführungen in den Kapiteln »Die Messung angst- und furchtbezogener Merkmale« und »Diskussion« stimme ich in vielen Punkten prinzipiell zu. Dies betrifft die wissenschaftstheoretischen Standards der Bewertung von Theorien, wie zum Beispiel Explizitheit, Widerspruchsfreiheit, Überprüfbarkeit usw.; ebenso den grundsätzlich hypothetischen Charakter empirischer Theorien, weil diese nicht nur der Verifikation bedürfen, sondern auch falsifizierbar sein müssen, eine Einsicht, um die sich der Kritische Rationalismus verdient gemacht hat. Unstrittig ist auch, dass empirische Theorien nur einen momentanen und begrenzten Stand der Erkenntnisse über bestimmte Zusammenhänge (»nomologisches Netz«) bieten können und daher grundsätzlich unabgeschlossen sind. Ebenso wenig kann bestritten werden, dass in die Begriffsbildung ein konstruktives – traditioneller gesagt: ein spontanes, also selbsttätiges –, Moment mit einfließt, denn ansonsten hätte die Rede von Hypothesen kaum einen Sinn. Trotz dieser prinzipiellen Zustimmung habe ich im Hinblick auf zwei Punkte Bedenken: Zum einen meine ich, dass Sie die Betonung des konstruktiven Moments in einigen Passagen überziehen, zum anderen dass Sie die Bedeutsamkeit des Vorverständnisses für die Begriffs- bzw. Theoriebildung letztlich unterschätzen. Wie mir scheint, sind dies zwei Seiten derselben Medaille. Um die Lesart Ihres Textes, die meinen Bedenken zugrunde liegt, kontrollierbar zu machen, möchte ich mit einem Zitat beginnen, wobei die Hervorhebungen von mir stammen: »Wichtige Konstrukte der Psychologie sind Intelligenz, kognitive Stile und eben auch Angst und Ängstlichkeit. Konstrukte sind Theorien über einen bestimmten Sachverhalt, z. B. Ängstlichkeit, der in verschiedenen Beobachtungssituationen (und damit auch in unterschiedlichen Erhebungsverfahren) relevant wird.« Nach meiner Lesart ist hier von Ängstlichkeit in einem zweifachen Sinne die Rede: zum einen vom Begriff Ängstlichkeit, der als ein Konstrukt zu einer Theorie entwickelt werden kann, und zum anderen vom Sachverhalt Ängstlichkeit auf den sich die Konstrukte (Begriff bzw. Theorie) beziehen. Dieser Bezug – also das Gewinnen möglicher Bestimmungen und ihre Überprüfung – wird in unterschiedlichen 96
Beobachtungssituationen und durch diverse Verfahren hergestellt. Dies entspricht der üblichen Vorstellung von empirischen Theorien und der üblichen Unterscheidung zwischen Begriff und Theorie einerseits und deren Gegenstand andererseits. Problematisch wird diese Passage für mich erst im Kontext anderer Aussagen. So sagen Sie, dass weder die Angst noch die Ängstlichkeit »unmittelbar beobachtet werden« können. Aus der Beobachterperspektive seien nur Indikatoren für Angst bzw. Ängstlichkeit zugänglich. Auch dies ist für sich genommen nichts Ungewöhnliches, denn zum Beispiel Gravitation bzw. Gravitationskraft können auch nicht »unmittelbar beobachtet«, sondern nur als notwendige Voraussetzungen für die Erklärung bestimmter Erscheinungen erschlossen und vermittelt über Wirkungen in der Erscheinung gemessen werden. Dennoch würde wohl niemand die Realität und Wirksamkeit von Gravitation bzw. Gravitationskraft bestreiten; niemand würde sagen, dass die Gravitation keine wirkliche Eigenschaft von Körpern wäre. Vielmehr gilt in der Physik: Gravitation ist die Eigenschaft aller Körper, einander anzuziehen; die dabei auftretende Kraft heißt »Gravitationskraft«. Eine analoge Aussage in der Psychologie, die Sie aber meines Erachtens bestreiten, könnte lauten: Ängstlichkeit ist eine Disposition aller oder – falls Sie tatsächlich der Auffassung sind, Ängstlichkeit sei lediglich eine individuelle Disposition (»Persönlichkeitsmerkmal«) – einiger Menschen; der dabei situationsabhängig auftretende Zustand heißt »Angst«. Stattdessen aber schreiben Sie: »Begriffe wie Ängstlichkeit beziehen sich auf theoretische Konstruktionen.« Nach der zuerst zitierten Passage dachte ich, Begriffe und Theorien seien theoretische Konstruktionen und würden sich auf Sachverhalte beziehen –? Und weiter: »Es handelt sich hier also nicht um ›wirkliche Eigenschaften des Menschen‹, die es schlicht zu entdecken gilt. […] Weil theoretische Konstruktionen in diesem Sinne nicht real (dinghaft und wirksam) sind, können sie auch nicht Ursachen beobachtbaren Verhaltens sein. Jemand zeigt also zum Beispiel nicht deshalb eine erhöhte autonome Erregung, weil er die Eigenschaft Ängstlichkeit ›besitzt‹ (in einer derartigen Aussage würde der theoretischen Konstruktion nämlich Wirksamkeit zugeschrieben), sondern etwa, weil ihm Strafe angedroht wurde oder er in einer Prüfung einen Misserfolg erwartet.« Sie betonen in diesem 97
Kontext, dass »es ›hinter‹ dem Beobachtbaren« keine »zweite Realität« gebe. Ihre Ausführungen verstehe ich so: Realität und Wirksamkeit besitzt ausschließlich das unmittelbar Beobachtbare, also nur das, was aus der Beobachterperspektive zugänglich ist. Daraus folgt, dass weder Angst noch Gravitationskraft real und wirksam sind. Die Sachverhalte, von denen Sie reden, sind dann nichts anderes als die beobachtbaren Beziehungen zwischen den Indikatoren. Das Konstrukt Ängstlichkeit besagt dann, dass bestimmte Sachverhalte in ihrem Ausmaß und ihrer Gesetzmäßigkeit (»nomologisches Netz«) fortschreitend erkannt und als eine Einheit, als zusammengehörig, konstruiert werden. Vorausgesetzt, dass ich Ihre Position richtig verstanden habe, so ergeben sich aus ihr meines Erachtens einige Probleme. Kann zum Beispiel eine Misserfolgserwartung tatsächlich unmittelbar beobachtet werden? Wenn nicht, dann könnte sie kein Indikator sein. Kann eine Strafandrohung unmittelbar beobachtet werden? Und ist eine Strafandrohung immer ein Grund oder eine Ursache, sich zu fürchten? Oder nur dann, wenn sie als solche verstanden und ernst genommen wird und wenn bei der so bedrohten Person das Persönlichkeitsmerkmal Furchtsamkeit, wozu es allerdings real sein müsste, hinreichend ausgeprägt ist? Vor allem aber muss gefragt werden, wie wir »unmittelbar beobachten können«, dass bestimmte Indikatoren zur Einheit des Konstrukts, zum Beispiel zur Furchtsamkeit, gehören. Physiologische Indikatoren zum Beispiel, wie etwa eine veränderte Herz- und Atemfrequenz, treten auch in Situationen auf, die mit Angst oder Furcht gar nichts zu tun haben. An dieser Stelle verweisen Sie zu Recht auf das »Vorbzw. Alltagsverständnis«. Und gewiss hat jede wissenschaftliche Thematisierung in letzter Instanz lebensweltliche Wurzeln. Allerdings zeigt sich das Problem nun erst in seiner ganzen Tragweite. Wenn nämlich die Beobachterperspektive der einzige Zugang zur Realität ist, und wenn nur das unmittelbar Beobachtete real ist, dann könnte auch das Vorverständnis, insofern es das Verständnis von etwas Realem sein soll, nur auf Beobachtung beruhen. Das Vorverständnis einerseits und das wissenschaftliche Verständnis andererseits wären dann von der gleichen Art. Ihr Unterschied könnte nur darin bestehen, dass das Vorverständnis vielleicht weni98
ger Indikatoren kennt, in der Explikation des nomologischen Netzes nicht so weit fortgeschritten ist und seine Hypothesen noch nicht im gleichen Ausmaß und nicht methodisch verifiziert hat. Aber auch das Vorverständnis wäre ein Konstrukt, nach dessen Herkunft gefragt werden könnte. Ebenso bliebe die Frage, wie durch Beobachtung etwas als Indikator für dieses Konstrukt identifiziert werden kann. Ihre Frage »Wie kommt die Psychologie nun überhaupt zu einem Konstrukt und seinen empirischen Indikatoren?« würde sich also bezüglich des Vorverständnisses genauso stellen. Diese bloße Verschiebung des Problems lässt sich nur dann vermeiden, wenn das Vorverständnis noch aus einer anderen Perspektive, außer der Beobachterperspektive, erreicht werden kann. Diese andere Perspektive ist eine Teilnehmerperspektive, aber nicht die eines Teilnehmenden, der beschreibt, wie es zum Beispiel ist, einem Furchtsamen beizustehen, sondern die Teilnehmerperspektive als Vollzugsperspektive: Ich fürchte mich vor X. In der Vollzugsperspektive wird die Furcht selbst und unmittelbar erlebt, sie widerfährt mir; sie zeigt sich sozusagen von ihr selbst her, das heißt als Phänomen im Sinne der Phänomenologie. Hier endet die Analogie zur Gravitationskraft: Um diese erschließen und Messgrößen zu ihrer Berechnung bestimmen zu können, reicht der Zugang über die Beobachterperspektive aus; eine phänomenale Erfahrung der Gravitation dürfte – zumindest unter Normalbedingen – auch gar nicht möglich sein. (Zur unterschiedlichen Relevanz der verschiedenen Perspektiven für verschiedene Wissenschaften vgl. Janich, 2009, S. 125 ff.; Janich, 2010, S. 148 ff.) Allerdings würde sich hier eine andere Analogie zur Physik anbieten: Der Physiker kann aus der Beobachterperspektive Messungen der Wellenlänge bzw. der Frequenz des sichtbaren Lichtes vornehmen. Aber er kann diesen Bereich der Wellenlängen und Frequenzen nicht nach Farben unterteilen, wenn ihm die Farben nicht als Phänomene in der Vollzugsperspektive des Farbsehens zugänglich sind. Das Wort »Phänomen« wird oft als Synonym für das Wort »Erscheinung« gebraucht. So benutzen auch Sie es, wenn Sie Phänomene als Indikatoren verstehen: Indikatoren verweisen auf etwas anderes, durch sie erscheint etwas anderes, eben das Indizierte. So kann zum Beispiel das Erscheinen einer veränderten Herzfrequenz, 99
sagen wir: Herzrasen, ganz Unterschiedliches indizieren: körperliche Anstrengung, eine Herz-Kreislauferkrankung oder auch Furcht. Der letzte Grund dafür, dass wir aus der Beobachterperspektive das Herzrasen in bestimmten Situationen als einen Indikator für Furcht verstehen, liegt darin, dass wir in Vollzugsperspektive das Herzrasen situationsabhängig als zum Phänomen Furcht gehörig erlebt und durchlebt haben. Die ersten Indikatoren werden also nicht aus der Beobachterperspektive gewonnen, sondern durch die Beschreibung und die Analyse dessen, was sich in der Vollzugsperspektive zeigt. Erst dann können Indikatoren hinzukommen, die in der Vollzugsperspektive nicht phänomenal gegeben sind, wie zum Beispiel Aktivitätszustände bestimmter Hirnregionen. Solche Erscheinungen kommen aber nur dann als Indikatoren infrage, wenn sie sicher mit dem korreliert werden können, was durch den phänomenalen Zugang erfahren wurde. Insofern bleibt die empirische Emotionsforschung (aus der Beobachterperspektive) immer auf die phänomenale Erfahrung (aus der Vollzugsperspektive) als ihrem Korrektiv angewiesen. Dass die Beschreibungen aus der Vollzugsperspektive dann auch sogenannte »Selbstbeschreibungen« von Probanden oder Patienten sein können, ändert daran nichts: Auch diese Beschreibungen finden bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit in den eigenen phänomenalen Erfahrungen ein Korrektiv. Die Vollzugsperspektive gibt uns auch die Gewissheit, dass es uns Menschen eigen ist, uns fürchten zu können und manchmal in Furcht zu sein. Furchtsamkeit wird so vor aller wissenschaftlichen Thematisierung als wirkliche Eigenschaft des Menschen erfahren, denn die situative Aktualisierung dieser Gefühlsdisposition – eben ihr Vollzug, ihr Erleben – zeitigt spürbare Auswirkungen auf unser Denken und Handeln, eröffnet und verschließt erfahrbar Möglichkeiten. Und ebenso ist es hinsichtlich Angst und Ängstlichkeit. So wie uns die Vollzugsperspektive davor bewahren kann, die psychische Realität und Wirksamkeit von Gefühlsdispositionen und Gefühlszuständen zu leugnen und ausschließlich das beobachtbare Verhalten für real zu halten, also in den Behaviorismus zu verfallen, so kann sie auch vor der Verdinglichung psychischer Funktionen schützen. Bezogen auf Ihr Freud-Zitat wird aus der Vollzugsperspektive deutlich, dass Ich, Es und Über-Ich keine Dinge oder gar eigenständige Wesen sind, sondern unterschied100
liche Anforderungen, die unterschiedliche Fähigkeiten voraussetzen und beanspruchen und im Vollzug unserer Lebensführung in Einklang gebracht werden müssen. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich noch zwei Punkte anfügen. Erstens garantiert die Vollzugsperspektive nicht die absolute Wahrheit des phänomenal Erfahrenen. Denn es könnte zum Beispiel sein, dass in einer Situation der Furcht etwas zufällig mit dieser konkreten Situation Verbundenes als zum Phänomen der Furcht gehörend erlebt wird. In diesem Fall können sowohl der Vergleich mehrerer phänomenaler Beschreibungen als auch empirische Untersuchungen ihrerseits als Korrektiv fungieren. Es bedarf also eines wiederholten Abgleichs der phänomenalen Erfahrungen untereinander und mit den empirischen Forschungen, was aber nichts an der grundlegenden Bedeutsamkeit des phänomenalen Vorverständnisses ändert. Zweitens ist mit der Betonung des phänomenalen Zugangs natürlich nicht gemeint, dass ein Depressionsforscher depressiv und ein Suchtforscher süchtig sein müssen oder es gewesen sein müssen. Solche überwundenen Erfahrungen wären ihnen sicher auch nicht hinderlich, aber sie sind nicht nötig. Erstens kann methodisch kontrolliert auf Erfahrungsberichte anderer zurückgegriffen werden, und zweitens könnten Erfahrungen genügen, die solchen Phänomenen nahekommen: im Falle der Depression die Angst in einer überstandenen Sinnkrise, im Falle der Sucht die Erfahrung, etwas einmal allen vernünftigen Argumenten zuwider begehrt zu haben. Nach der Diskussion begrifflicher und methodologischer Fragen möchte ich abschließend auf einige inhaltliche Aspekte unseres Themas eingehen.
Zeitliche und neurologische Aspekte von Angst und Furcht Zeitliche Aspekte bringen Sie im Kapitel »Angst und Furcht« zur Sprache, wenn Sie auf Kimmel und Burns (1977) verweisen, welche die Dauer der emotionalen Reaktion mit der Frage des Objektbezugs verbinden: Die Furcht ist danach eine kurze phasische 101
Reaktion, die sich auf ein bestimmtes kurzzeitig und sporadisch auftretendes Objekt bezieht. Die Angst dagegen ist eine länger andauernde, eine tonische Reaktion, weil sie sich entweder auf eine länger andauernde allgemeinere aversive Situation bezieht, in der aber keine bestimmten Objekte als Stimuli identifiziert werden können, oder weil überhaupt kein externer Stimulus auszumachen ist. Diese Unterscheidung können Sie mit den neurologischen Befunden nach Davis und Öhman verbinden, die für die Furcht als phasische Reaktion eine Aktivierung des Nucleus centralis der Amygdala nachgewiesen haben, für die Angst als tonische Reaktion eine Aktivierung der basolateralen Kerngruppe der Amygdala, also beides Reaktionen im limbischen System, das mit den Emotionen korreliert wird. Psychopathologisch entsprechen der so charakterisierten Furcht die spezifischen Phobien, der so charakterisierten Angst allgemeine Angststörungen. Diese Befunde interpretierend schreiben Sie: »Dass Furcht und Angst unterschiedliche zeitliche Erstreckungen haben, ist naheliegend, wenn man bedenkt, dass Furcht mit der unmittelbar ausführbaren Reaktion der Flucht, Angst dagegen mit dem langwierigen Prozess der Informationssuche verbunden ist.« Bezüglich der Furcht stimme ich Ihrer Deutung zu. Hinsichtlich der Angst macht es meines Erachtens einen Unterschied, wie die Informationssuche verstanden wird. Sie gehen davon aus, dass die Angst dazu motiviert, Informationen über die ungenügend bestimmte Bedrohung und über angemessene Verhaltensweisen zu suchen. Im Prinzip folgen Sie damit Freud, der, wie Sie schreiben, »von Furcht dann spricht, wenn Angst ›ein Objekt gefunden‹ hat«. Damit wird die Angst von der Furcht her verstanden: Angst ist sozusagen Furcht vor einem ungenügend bestimmten, diffusen Objekt; die Informationssuche soll die Angst quasi in Furcht umwandeln, indem ein bestimmtes Objekt identifiziert und somit eine der bestimmten Bedrohung angemessene Reaktion ermöglicht wird, wie zum Beispiel bei Ihrem Autofahrer in der Savanne, der nach gewonnener Information die Richtung seiner Flucht festlegen kann. Wenn wir diese Überlegungen bezogen auf die Psychopathologie weiterdenken, müsste dies dann nicht bedeuten, dass eine generalisierte Angststörung geheilt wird, indem – etwas über102
spitzt gesagt – dem Patienten das Fürchten gelehrt wird, also seine Angst durch erfolgreiche Informationssuche in Furcht umgewandelt wird? Mit der unspezifischen Rede von einer »allgemeineren aversiven Situation« mag diese Deutung von Angst und Furcht vielleicht noch verträglich sein. Aber dass bei einer generalisierten Angststörung vielleicht gar kein externer Stimulus ausgemacht werden kann, sollte zu denken geben. Wenn wir nämlich einmal davon ausgehen, dass es hier vielleicht wirklich kein externes, erst noch zu identifizierendes Objekt gibt, dann müssten wir die Informationssuche anders verstehen. Es könnte dann nicht darum gehen, für die Angst ein Furchtobjekt zu finden, um sie in Furcht umzuwandeln. Das existenzialphilosophische Verständnis von Angst bietet hier, das heißt bezüglich der generalisierten Angststörung, an, die Informationssuche als (gestörten) Versuch oder Prozess der Sinnzueignung, des Fassens eines konkreten Daseinsentwurfes, zu verstehen. Für die Angst und ihre pathologischen Formen ist nach diesem Verständnis nichts Innerweltliches das Bedrohliche: weder die sicht- und hörbare Elefantenherde aus einer bestimmten Richtung, noch die bloß hörbare aus unbestimmter Richtung. Solche Unterschiede wären aus existenzialphilosophischer Sicht immer Unterschiede im Phänomenbereich der Furcht: diffuse oder konkrete Objekte der Furcht, denen unterschiedliche Formen der Furcht, sogenannte »kontrollierte oder unkontrollierte Angstzustände«, zugeordnet werden können, aber eben nicht die Angst. In Angst ist nichts Innerweltliches bedrohlich, sondern das In-der-Welt-sein als solches. Insofern die generalisierte Angststörung als zeitlich länger andauerndes Gefühl ohne extern stimulierendes Objekt sowie mit »Informationssuche« (Besinnung) und mit anderem neurologischen Korrelat als die Furcht durch empirische Befunde ausgewiesen wird, könnten diese Befunde also durchaus als Bestätigung des existenzialphilosophischen Angstbegriffs interpretiert werden, wären zumindest mit ihm verträglich. Angst im existenzialphilosophischen Sinne war wohl noch nie Gegenstand empirischer Forschung. Empirische Bestätigungen können sich daher wohl nur aus Untersuchungen jener psychopathologischen Störungen ergeben, die nach existenzialphilosophischem Verständnis der Angst zugeordnet werden, also 103
generalisierte Angststörung und Depression. Hinsichtlich der neurologischen Aspekte wäre es eine gewisse Bestätigung für diesen Angstbegriff (Stimmung der Besinnung), wenn sich herausstellen sollte, dass nicht nur Gehirnregionen aktiviert sind, die mit emotionalen Reaktionen korreliert werden, wie Teile des limbischen Systems, sondern auch solche, die mit bewusster und planender Überlegung in Zusammenhang gebracht werden. Hierzu finden sich einige Hinweise in der Depressionsforschung. Hell verweist auf ein neurobiologisches Depressionsmodell, nach dem die Aktivierung von Stirnhirnarealen, dem sogenannten »Planungszentrum«, als Versuch gedeutet wird, Aktivierungen im limbischen System unter Kontrolle zu bringen und möglicherweise zu kompensieren (vgl. Hell, 2014, S. 128 ff.). Wenn dieser Versuch scheitert, also die Depression sich verstärkt, treten das sogenannte »Gedankenkreisen« und psychomotorische Unruhe auf. Bei einer schweren Depression schließlich ist die Aktivität im Stirn- und Scheitelhirn stark herabgesetzt, was mit der Hemmung des Denkens und Handelns einhergeht. Statistisch belegt ist, dass bei einer Aufhellung der Depression die Unterfunktion der Stirnhirnaktivitäten sich wieder normalisiert. Wenn also das Anfangsstadium einer Depression bzw. eine schwache Depression als noch nahe an der Angst im existenzialphilosophischen Sinne verstanden werden, dann lassen sich die empirischen Befunde so deuten, dass in der Angst mit der Erregung des limbischen Systems die Sinnzueignung herausgefordert wird, der die Erregung der Stirnhirnareale entspricht, und dass das Scheitern der Sinnzueignung in der übersteigerten Angst, im Sinne einer schweren Depression, schließlich als Hemmung des Denkens und Handelns erfahren wird, der die Unterfunktion des Stirn- und Scheitelhirns zugeordnet werden kann. Das Problem dieser Befunde und ihrer Interpretation besteht aus philosophischer Sicht im Folgenden: Kann im hinreichenden Maße anhand von Aktivitätsbeobachtungen und -messungen in Hirnarealen zwischen Indikatoren der Furcht als einem »unkontrollierten Angstzustand« mit diffusem Furchtobjekt einerseits und Indikatoren für Angst (oder Angststörung bzw. Depression) im existenzialphilosophischen Sinne (Bedrohlichkeit des In-der-Weltseins) andererseits unterschieden werden? Trotz dieser meines 104
Erachtens noch völlig offenen Frage widersprechen die neurologischen Befunde aber offensichtlich nicht dem existenzialphilosophischen Angstbegriff und können sogar – bei aller methodologisch gebotenen Vorsicht – als Bestätigungen ausgelegt werden. In gespannter Erwartung Ihrer Ausführungen grüßt Sie herzlich, Ihr Peter Fischer
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Lieber Herr Fischer, Ihren Beitrag »Furcht und Phobie, Angst und Depression« habe ich mit Interesse gelesen, dabei aber zugleich festgestellt, wie schwierig es ist, zwischen einer Naturwissenschaft wie der Psychologie und bestimmten Ansätzen in der Philosophie einen fruchtbaren Dialog herzustellen, jedenfalls, wenn es um konkrete Einzelkonzepte wie etwa Angst oder Furcht geht. Bei »allgemeineren« Fragen zur Wissenschaft mag das vielleicht gelingen, aber darum soll es ja hier nicht gehen. Grundlage des Forschungsfortschritts in der Psychologie ist die Forderung, Aussagen zu wissenschaftlichen Sachverhalten so zu formulieren, dass sie, im Prinzip, mit denen etablierten Methoden empirischer Forschung überprüfbar sind. »Im Prinzip« heißt dabei nicht, dass alle derartigen Aussagen in einer operationalen Sprache formuliert sein müssen. Es sollte aber aus der Begrifflichkeit einer Aussage zumindest hervorgehen, dass sich von hier aus, wenn auch eventuell über Zwischenschritte vermittelt, eine Anordnung zur empirischen Überprüfung herstellen lässt. Ich hatte diesen Weg in meinem Beitrag anhand der Konzepte »hypothetisches Konstrukt« und »nomologisches Netz« skizziert. Viele der vorgestellten philosophischen Aussagen zu Angst und Furcht erfüllen meines Erachtens das Kriterium der prinzipiellen Überprüfbarkeit nicht. Das gilt insbesondere für die Annahmen Heideggers, in denen ich, mit Carnap, keinen Erkenntnisgehalt sehen kann. In diesem Rahmen kann ich leider auf Einzelheiten hierzu nicht näher eingehen. Immerhin finden sich in unseren beiden Darstellungen (bei viel gutem Willen) aber auch einige Entsprechungen, bei denen man prüfen könnte, ob sie zum Ausgangspunkt einer Diskussion, und damit zur Gewinnung gegenseitiger Anregungen, taugen. Im Folgenden konzentriere ich mich auf diese Themen. (1) Zuerst gehe ich auf die Auffassung von Angst und Furcht als Störungen des »vernünftigen« Denkens und Handelns ein, speziell auf die Sichtweise der Epikureer, und zeige auf, dass diese Perspektive für einige Vertreter der neueren klinischen Psychologie durchaus noch Bedeutung hat. In diesem Ansatz philosophischer Analyse wie auch in dem damit zusammenhängenden Feld psychologischer Praxis spielt, wie auch von Ihnen aufgezeigt, das Verhältnis von Emotionen und »Rationalität« eine zentrale Rolle. Auch im 106
Alltagsverständnis wird ja in der Regel ein Gegensatz von Emotionen und Rationalität unterstellt. Das mit Rationalität bzw. »vernünftigem Denken« Gemeinte wird in der Psychologie innerhalb der Kognitionsforschung im Zusammenhang mit den verschiedenen Komponenten und Phasen des Prozesses der Informationsverarbeitung (etwa Bewertungen oder schlussfolgerndes Denken) analysiert. In diesem Abschnitt will ich besonders den Charakter von Emotionen als einer spezifischen Form zu verarbeitender Information herausstellen. (2) Im Anschluss daran gehe ich auf die existenzphilosophische Sichtweise von Angst und Furcht ein und betrachte dabei zunächst deren Beziehung zur Psychoanalyse. Auch wenn Psychoanalyse kein Teilbereich der modernen Psychologie ist, so haben ihre Annahmen, etwa Freuds Konzept der »Verdrängung«, in modifizierter Form doch in vielfacher Weise Eingang in die Theoriebildung, empirische Forschung und therapeutische Praxis der Psychologie gefunden (Erdelyi, 1985; zum Einfluss auf die Angstforschung vgl. Krohne, 2010). Schwerpunkt dieses Abschnitts ist aber die existenzphilosophische Analyse von Emotionen in ihrer Beziehung zur Theoriebildung und empirischen Forschung in der Psychologie. Ein Verbindungsstück zwischen beiden Bereichen könnte der Begriff der Bewertung sein. Bewertungen spielen sowohl in der existenzphilosophischen Analyse von Emotionen als auch in der psychologischen Emotionsforschung eine zentrale Rolle. Ich versuche aufzeigen, wie sich über dieses Konzept Verbindungen zwischen philosophischen und psychologischen Analysen zum Emotionsgeschehen herstellen lassen. (3) In die philosophischen Analysen des emotionalen Geschehens gehen im Wesentlichen phänomenale Beschreibungen und Differenzierungen ein. Im dritten Abschnitt werde ich, basierend auf der in meinem Beitrag dargestellten Konzeption von Emotionen wie etwa Angst oder Furcht als hypothetische Konstrukte, kurz darauf eingehen, wie sich eine derartige Vorgehensweise mit dem Konstruktansatz in Verbindung bringen lässt. (4) In Ihrem Beitrag waren Sie auch auf psychische Störungen eingegangen. Deshalb befasse ich mich abschließend (wenn auch nur ganz kurz) mit der Beziehung von Merkmalen wie Angst oder Furcht im Normalbereich zu bestimmten psychischen Störungen. 107
Angst, Furcht und »vernünftiges« Denken Epikur und seine Schule sehen in sogenannten »Affekten« wie Angst oder Furcht eine Hemmung des »vernünftigen« Denkens und Handelns. Diese Hemmung soll dysfunktional, ihre Überwindung mithin eine Voraussetzung für ein »glückliches« Leben sein. Diese Auffassung hat die Ausarbeitung bestimmter kognitiv orientierter Therapien für psychische Störungen beeinflusst. Der amerikanische Psychotherapeut Albert Ellis (1962) bezieht sich in der von ihm entwickelten Rational-Emotiven Verhaltenstherapie (REVT) explizit auf die oben skizzierten Überlegungen Epikurs. Die REVT geht davon aus, dass dysfunktionale kognitive Prozesse, die sogenannten irrationalen Überzeugungen, eine Ursache von psychischen Störungen und Verhaltensproblemen sind. Die derartigen Überzeugungen zugrunde liegenden Prozesse sind durch Aspekte wie Überbewertung, verabsolutierende Auffassungen, grobe Vereinfachungen, unzulässige Verallgemeinerungen sowie unlogische Annahmen und fehlerhafte Schlussfolgerungen gekennzeichnet und lassen sich vier Kategorien zuordnen: Absolute Forderungen (z. B. die Meinung, dass es unbedingt notwendig sei, von wichtigen Bezugspersonen gemocht bzw. geliebt zu werden). Globale negative Selbst- und Fremdbewertungen (die Meinung, rundweg ein Versager zu sein, oder dass eine bestimmte andere Person ein schlechter Mensch ist). Katastrophisieren (Überbewertung negativer Ereignisse mit der Implikation, sich hinsichtlich ihres Eintretens große Sorgen machen zu müssen). Niedrige Frustrationstoleranz (die Tendenz, sich auch durch kleine Probleme aus der Fassung bringen zu lassen). Derartige dysfunktionale kognitive Prozesse determinieren für Ellis die emotionalen Reaktionen der betroffenen Person bis hin zur Habitualisierung bestimmter Reaktionstendenzen und damit zur Ausprägung von emotionsbedingten psychischen Störungen, insbesondere Depressionen (vgl. hierzu auch Beck, 1976). Therapeutische Veränderungen dieser Kognitionen, etwa über eine REVT, sollen damit zum Abbau dieser psychischen Störungen führen. Die Vorstellung eines antagonistischen Verhältnisses von Emotionen und »rationalem« Denken, also die Auffassung, dass emotionale Reaktionen einen nachteiligen Einfluss auf die Effizienz 108
kognitiver Prozesse haben, ist nicht nur im Alltag weit verbreitet, sondern steht auch, wie oben gezeigt, in einer langen Denktradition und bestimmt noch heute Konzeption und Praxis einzelner therapeutischer Ansätze. Die vermeintliche Evidenz für diesen unterstellten Zusammenhang stammt aus der Beobachtung bestimmter sehr starker affektiver Reaktionen (etwa Panik), insbesondere aber emotionaler Reaktionen im Zusammenhang mit psychischen Störungen (u. a. Depression). Hier mag man tatsächlich eine Beeinträchtigung kognitiver Prozesse durch derartige emotionale Reaktionen erkennen, das gilt aber nicht für »normale« alltägliche emotionale Prozesse. In diesem Zusammenhang muss auch zu den Ansätzen von Ellis und Beck darauf hingewiesen werden, dass es sich hier einerseits um sehr spezifische (nämlich habitualisierte) Überzeugungen und andererseits um (ebenfalls zeitlich länger erstreckte) psychische Störungen handelt, und dass damit wenig über das generelle Verhältnis von (aktuellen) emotionalen und kognitiven Prozessen ausgesagt wird. Rationalität ist per se keine Kategorie empirischer psychologischer Forschung. Man kann Rationalität aber auf unterschiedliche Weise in eine psychologische Begrifflichkeit »übersetzen«, je nachdem, um welchen Forschungskontext es sich handelt. Im Kontext der Emotionsforschung würde ich sie unter dem Aspekt betrachten, in wieweit eine ausgelöste Emotion beiträgt zur möglichst optimalen Anpassung des Individuums an seine jeweilige (soziale und materielle) Umwelt. »Irrational« wären emotionale Reaktionen nur dann, wenn sie diese Anpassung beeinträchtigen. Tatsächlich haben Emotionen aber im Sinne ihres Beitrags zur Anpassung des Individuums durchaus eine »rationale« (besser adaptive) Funktion. Emotionen sind, wie ich in meinem Beitrag anhand der Differenzierung von Angst und Furcht gezeigt hatte, sehr schnell arbeitende, durch biologische Prozesse gestützte, Informationssysteme. Ihre Funktion besteht darin, dass sie den Organismus, schneller als Denkprozesse, über eine problematische Situation informieren und, häufig unter Ausschaltung kognitiver Prozesse, zur unmittelbaren Einleitung von Gegenmaßnahmen veranlassen. Deshalb sind an ihnen auch häufig andere zentralnervöse Strukturen beteiligt als etwa am schlussfolgernden Denken. Ich hatte diesen Zusammenhang am Beispiel der Furcht, wo er besonders offensichtlich 109
ist, aufgezeigt. Aber auch die langsamer ablaufenden Prozesse bei der Emotion Angst haben ihre spezifische »Rationalität«. So wie Furcht den Organismus über eine konkret vorliegende Bedrohung informiert und ihn gleichzeitig auffordert, hierauf eine Gegenmaßnahme (in der Regel Flucht) zu ergreifen, informiert Angst über eine Bedrohung, die sich hinsichtlich wesentlicher Aspekte (Art, Zeitpunkt, Ort) noch nicht so genau bestimmen lässt, dass schon unmittelbar eine geeignete Gegenmaßnahme ergriffen werden könnte. Die Aufforderung der Angst an einen Organismus besteht darin, intensiv und zügig weitere Informationen über die Bedrohungsquelle einzuholen. Diese Sichtweise von Angst bedeutet nun aber nicht, dass von der Angst keine störenden Einflüsse auf gleichzeitig ablaufende kognitive und verhaltensmäßige Prozesse ausgehen. Tatsächlich ist die Erforschung derartiger Einflüsse (z. B. in den zahlreichen Untersuchungen zum Zusammenhang von Angst und Leistung, etwa in der Schule) ein zentrales Feld der psychologischen Emotionsforschung. Zu diesem Feld gehört auch die Analyse derjenigen Maßnahmen, die Menschen ergreifen, um derartige (in der Regel negative) Einflüsse zu kontrollieren (zu »bewältigen«). Gerade in diesem Zusammenhang zeigt sich die mögliche adaptive Funktion der Angst. Man kann die »Rationalität« von Emotionen auch unter evolutionärer Perspektive betrachten. Das emotionale Repertoire hat sich im Laufe der Phylogenese entwickelt, das gilt für Menschen und Tiere gleichermaßen. Aus individuellen Unterschieden innerhalb einer Art in Bezug auf das emotionale Reagieren angesichts bestimmter Umweltgegebenheiten setzten sich im Zuge der Selektion diejenigen Varianten durch, die sich als an diese Gegebenheiten besonders angepasst erwiesen hatten. Schließlich sind individuelle Unterschiede innerhalb einer Art das einzige Material, an dem die Selektion (und damit die Evolution) ansetzen kann. Bei der Behandlung des vermeintlichen Antagonismus von Emotion und Denken stellt sich allerdings die Frage, ob eine begriffliche Trennung von Emotion und Kognition überhaupt sinnvoll ist. Ich werde auf diesen Punkt im folgenden Abschnitt im Zusammenhang mit dem Konzept der Bewertung noch näher eingehen. An dieser Stelle will ich die Bedeutung von Bewertungs110
prozessen in der kognitiven Verhaltenstherapie, wie sie von Ellis und Beck entwickelt wurde, aufzeigen. Das in diesem Ansatz zentrale Konzept ist das der »irrationalen Überzeugungen«. Übertragen in die Begrifflichkeit der experimentellen Psychologie, stellen derartige Überzeugungen eine systematische Verzerrung (Bias) in der Interpretation und Bewertung von Ereignissen sowie im schlussfolgernden Denken dar. Diese Überlegung hat zur Entwicklung einer Reihe kognitiv-experimenteller diagnostischer Verfahren geführt, die außer in der Forschung speziell zur Indikation, Verlaufskontrolle und Evaluation von therapeutischen Maßnahmen bei psychischen Störungen wie Depressionen, Phobien oder Panikattacken eingesetzt werden. Diese Verfahren setzen an verschiedenen Abschnitten des Prozesses der Verarbeitung von Information an: bei der Aufmerksamkeitsorientierung auf eine Informationsquelle und der Informationsaufnahme (Reizregistrierung), bei der Weiterverarbeitung von Information (eventuell auch Hemmung) bzw. der Aktivierung von Informationsrepräsentationen (Encodierung) sowie bei der Elaborierung und dem Abruf verarbeiteter Informationen (Gedächtnisprozesse). Eine Darstellung dieser Ansätze als diagnostische Verfahren findet sich bei Krohne und Hock (2015), als experimentelle Designs bei Krohne und Hock (2008). Eine Prozessanalyse der Verarbeitung bedrohlicher Information trägt auch dazu bei, das bei Freud zentrale, von ihm aber ausgesprochen unscharf und widersprüchlich formulierte, Konzept der »Verdrängung« etwas genauer zu bestimmen. An Freuds Auffassung hierzu wurde unter anderem kritisiert, dass man einen unangenehmen Sachverhalt ja erst dann aus dem Bewusstsein ausschließen (»verdrängen«) kann, wenn man zuvor (wenigstens rudimentär) erkannt hat, dass dieser unangenehm (etwa bedrohlich) ist. Auf dieses Problem hatte auch bereits Sartre (1943/1991) hingewiesen. Eine Analyse im Sinne eines Prozesses der Informationsverarbeitung mit der Annahme einer sehr frühen Phase der – wie auch immer gearteten – Bewertung eines Reizes würde dieses Problem beheben. Tatsächlich konnten Krohne und Hock (2008) für Personen mit einer Tendenz zur kognitiven Vermeidung (Represser) in einer Serie experimenteller Untersuchungen nachweisen, dass diese bei unmittelbarer Präsentation bedrohlicher Information den 111
affektiven Gehalt dieser Reize durchaus erkennen, beim späteren Erinnern diese Reize dann aber als neutral bezeichnen. Krohne und Hock haben dieses Phänomen repressive Diskontinuität genannt.
Existenzphilosophie, Psychoanalyse und das Konzept der Bewertung Dass zwischen Existenzphilosophie und Psychoanalyse eine enge Beziehung besteht, lässt sich vielfach belegen. So findet sich etwa der für Freud zentrale Begriff des Sublimierens bereits bei Nietzsche (1889/1969), einem der Begründer der Existenzphilosophie. Dieser hat auch für ein Kernkonzept der psychoanalytischen Lehre, die Verdrängung, mit einem bekannten Aphorismus eine prägnante Formulierung gefunden: »›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹, sagt mein Stolz – und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach« (Nietzsche, 1886/1968). Ganz direkt hat sich Sartre mit der Psychoanalyse auseinandergesetzt (u. a. mit seiner »existenziellen Psychoanalyse« in seinem Werk »Das Sein und das Nichts« (Sartre, 1943/1991). Auch in der Existenzphilosophie finden sich Positionen, die für Emotionen einen Gegensatz zum »rationalen« Denken unterstellen, etwa bei Sartre (1936/1964), für den Emotionen »Glaubensphänomene« bzw. Ursachen des Unvernünftigen sind und eine »magische Welt« konstituieren. Während aber Forscher wie Ellis oder Beck Emotionen wie Angst oder Furcht als Bindeglied zwischen dysfunktionalem (»irrationalem«) Denken und psychischen Störungen auffassen, gehen die Vertreter der Existenzphilosophie, und hier besonders Nietzsche, weit über diesen eingeschränkten Begriff von Irrationalität hinaus, indem sie das »Hintergründige«, das heißt der rationalen Analyse nicht unmittelbar Zugängliche, der menschlichen Existenz herausstellen. Diese Sichtweise steht in enger Beziehung zur Entwicklung des Konzepts des Unbewussten in der Psychoanalyse Freuds. An dieser Stelle will ich allerdings nicht weiter auf die Psychoanalyse eingehen. Ihre zentralen Konzepte wie etwa das Unbewusste oder die in meinem Beitrag genannten »psychischen Instanzen« des 112
Es, Ich und Über-Ich sind in der von Freud dargestellten Form nicht in die moderne Psychologie eingegangen. Das ist, wie erwähnt, im Wesentlichen in den zahlreichen Unschärfen und Widersprüchen seiner Argumentation begründet. Der Wissenschaftstheoretiker Nagel (1959, S. 41–42) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die »Freudschen Formulierungen […] so viel offene Textur haben, so ungenau in ihrer Aussagekraft sind, dass es, obwohl vieles zweifellos einleuchtet, fast ganz und gar unmöglich ist zu entscheiden, ob das jeweils Angedeutete wirklich Bestandteil der Theorie ist, oder ob es nur deshalb mit ihr in Verbindung steht, weil es jemandem zufällig einfiel, das eine mit dem anderen zu assoziieren«. Die Bedeutung der Freud’schen Arbeit für die moderne Psychologie liegt nicht in der Bereitstellung einer Theorie menschlicher Emotionen, sondern in den Anregungen, die von hier aus für die wissenschaftliche Analyse vielfältiger kognitiver Prozesse ausgegangen sind. Es ist durchaus lohnend, in Freuds Ausführungen zu Begriffen wie Unbewusstes, Verdrängung oder Abwehrmechanismen, so ungenau und widersprüchlich diese auch häufig ausfallen, eine »kognitive Psychologie« (Erdelyi, 1985) herauszuarbeiten und diese auf die empirische Analyse emotional-kognitiver Prozesse zu beziehen. Ich konzentriere mich an dieser Stelle auf die Existenzphilosophie. Sie haben in Ihrem Beitrag ausführlich Heideggers Analyse von Angst und Furcht dargestellt. Ich sehe hier Anknüpfungsmöglichkeiten zur psychologischen Emotionsforschung, insbesondere zur Emotionstheorie von Lazarus (1991) mit ihrem zentralen Konzept der Bewertung. Auch Lazarus selbst geht bei der Darstellung der Grundlagen seines Ansatzes auf Heidegger, insbesondere aber auf Sartre ein. Sie stellen in Heideggers phänomenologischer Analyse sechs Merkmale heraus, die in einer Situation zur Bedrohungseinschätzung und damit Auslösung von Angst (bzw. Furcht) führen sollen. Diese Merkmale (u. a. Abträglichkeit, Unvertrautheit, zeitliche und räumliche Nähe) lassen sich gut in die zentralen Dimensionen der Emotionstheorie von Lazarus übertragen. Noch deutlicher wird dieser Bezug in Sartres Theorie der Emotionen, auf die ich kurz eingehen möchte. Die bei Sartre (1936/1964) in diesem Zusammenhang zentralen Begriffe sind »Intentionalität« und »Mensch-in-der-Situation«. 113
Das erstgenannte Konzept stammt von Husserl und das zweite von Heidegger. Intentionalität meint dabei, dass Bewusstsein (und damit auch emotionales Bewusstsein) immer auf etwas (z. B. ein erregendes Objekt) gerichtet ist. Menschen haben also Angst vor etwas oder freuen sich über etwas. Mensch-in-der-Situation (bei Heidegger »In-der-Welt-Sein«) bezeichnet den Umstand, dass Bewusstsein sich immer auf ein Existieren in einer Umgehung bezieht, die Anforderungen stellt, gelegentlich bedrohlich ist und auf die wir in jedem Fall reagieren müssen. Lazarus nennt diese Beziehung Transaktion. Ich habe die Theorie von Lazarus an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Krohne, 2010) und will deshalb hier nur einige für die aktuelle Diskussion zentrale Punkte herausgreifen. Lazarus unterscheidet zunächst zwischen Wissen und Emotionen. Wissen wird als »kalte« Kognition bezeichnet, weil dieses zwar die Grundlage für Bewerten und Handeln in speziellen Situationen bildet, aber allein noch nicht zur Auslösung von Emotionen führt. Emotionen sind dagegen »heiße« Kognitionen und werden erst ausgelöst, wenn anhand des Wissens über eine Situation eine Bewertung hinsichtlich der Bedeutung dieser Situation für das persönliche Wohlergehen getroffen wird. Sartre spricht hier entsprechend von reflektiertem und spontanem Bewusstsein. Lazarus unterscheidet, wie in meinem Beitrag dargestellt, zwischen Primär- und Sekundärbewertung (Bewertungen, die Situationen oder aber eigene Handlungsmöglichkeiten betreffen). Er nimmt jeweils drei Bewertungskomponenten an, aus deren spezifischen Ausprägungsmustern dann die resultierende individuelle Emotion vorhergesagt werden kann. Für die Primärbewertung sind dies Zielrelevanz (das Ausmaß, in dem ein Ereignis persönliche Ziele berührt), Zielkongruenz (der Grad, in dem die Auseinandersetzung mit einer Situation in Übereinstimmung mit den persönlichen Zielen verläuft) und Art der Ich-Involviertheit (Aspekte des persönlichen Beteiligtseins bei einer Auseinandersetzung, etwa moralische Werte, Ich-Ideale und Ich-Identität). Für die Sekundärbewertung sind dies die Komponenten Verantwortungszuschreibung (Einschätzung, welche Instanz für ein bestimmtes Ereignis verantwortlich ist), Bewältigungspotenzial (die variable Überzeugung einer Person, eine Anforderung mit bestimmten Mitteln 114
meistern zu können) und Zukunftserwartung (die Abschätzung des weiteren Verlaufs eines Ereignisses). Die Auslösung einer Emotion hängt auf einer molaren Ebene vom Vorhandensein eines zentralen Beziehungsthemas (core relational theme) und auf molekularer Ebene von einem spezifischen Muster aus Bewertungen ab. Das zentrale Beziehungsthema für Angst soll die Konfrontation mit Unsicherheit und existenzieller Bedrohung sein. Ihm liegt das folgende Bewertungsmuster zugrunde: Die eingeschätzte Zielrelevanz kann zu jeder Art von emotionaler Reaktion führen. Zielinkongruenz schränkt diesen Bereich auf negative Emotionen ein. Wenn beim Aspekt Ich-Involviertheit Themen wie Ich-Identität oder existenzielle Bedeutung im Vordergrund stehen, dann soll sich dieser Bereich nochmals auf Angst einengen. Von den Komponenten der Sekundärbewertung ist die Verantwortungszuschreibung für die Angstauslösung irrelevant. Hinsichtlich des Bewältigungspotenzials und der Zukunftserwartung herrscht dagegen in der betroffenen Person Unsicherheit. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass Lazarus keineswegs der erste ist, der den Begriff der Bewertung in der Emotionsforschung verwendet, oder der einzige, der eine Emotionstheorie auf der Basis von Bewertungen vorgelegt hat. Eingeführt wurde der Begriff von Magda Arnold (1960), um damit die direkten, unmittelbaren und intuitiven Bewertungen zu beschreiben, die für die qualitative Unterscheidung von Emotionen bestimmend sind. Weitere Ansätze, in denen Bewertungsprozesse bei Emotionen eine zentrale Rolle spielen, werden in Ellsworth und Scherer (2003) dargestellt.
Phänomenologische Beschreibungen, hypothetische Konstrukte und empirische Indikatoren Die Analyse von Emotionen ist, wie ja auch Ihr Beitrag gezeigt hat, ein wichtiges Feld der Philosophie, insbesondere der Existenzphilosophie (Heidegger, Sartre). Ausgangspunkt dieser philosophischen Analyse sind umfassende phänomenologische Beschreibungen, denen sich dann hermeneutische Überlegungen anschließen. 115
Auf die Beschreibung folgt also eine Art Kausalanalyse. Phänomenologie hat auch in der Psychologie einmal eine gewisse Rolle gespielt, speziell in Verbindung mit einer sogenannten »ganzheitspsychologischen« Betrachtung des Menschen. Als eigenständige Methode psychologischen Forschens sollte die Phänomenologie, ebenso wie die geisteswissenschaftliche Methode der Hermeneutik, also etwa das »Verstehen des menschlichen Charakters«, anderen Methoden, die von den Vertretern dieses Ansatzes meist »experimentell« oder »operational« genannt wurden, gleichgeordnet sein. Dieser Versuch ist so vollständig gescheitert, dass ihm in heutigen umfassenderen Darstellungen des Feldes der Psychologie nicht einmal mehr eine Fußnote gewidmet wird. Auf die Gründe für dieses Scheitern kann ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Ich verweise hier auf die ausgezeichnete Analyse von Holzkamp (1981), der dabei eine notwendige Unterscheidung betont: Die phänomenale Betrachtensweise ist nicht dasselbe wie die Berücksichtigung des Erlebnisaspekts in der Psychologie. Auf diese Differenzierung will ich im Folgenden eingehen und mich dabei auf den in meinem Beitrag zentralen Begriff des hypothetischen Konstrukts beziehen. Zustände wie Angst oder Dispositionen wie Ängstlichkeit sind keine unmittelbar beobachtbaren Phänomene, sondern theoretische Konstruktionen. Beobachtbar sind immer nur empirische Sachverhalte, also etwa Selbstaussagen, mimischer Ausdruck oder physiologische Reaktionen, um hier noch einmal die drei »Ebenen« der Erfassung empirischer Sachverhalte anzusprechen. Wie man dazu kommt, diese Sachverhalte als »empirische Indikatoren« einem theoretischen Konstrukt zuzuordnen, wie sich wiederum dieses Konstrukt im Zuge der immer genaueren Analyse der Zusammenhänge zwischen diesen Indikatoren in seiner inhaltlichen Bestimmung zunehmend verfeinert, habe ich anhand des Begriffs »nomologisches Netz« dargestellt. Einen bereits angesprochenen Punkt möchte ich an dieser Stelle nochmals hervorheben. Ein Konstrukt lässt sich niemals hinreichend durch Rekurs auf nur einen Bereich empirischer Indikatoren bestimmen. Das gilt sowohl für die subjektive Ebene (also den genannten Erlebnisaspekt) als auch für biologische Indikatoren, die auch nur einzelne von vielen Bestimmungslinien in dem 116
genannten Netz darstellen. In diesem Sinne sind Definitionen in der Psychologie auch keine, für den Beginn der Erforschung eines Sachverhalts unerlässliche, möglichst umfassende Festlegungen eines Forschungsgegenstands, sondern beschreiben die momentan bestehende Konstellation empirischer Indikatoren zu einem Konstrukt und bilden damit sozusagen einen »Arbeitsauftrag«, weitere Zusammenhänge aufzufinden. In diesem Prozess kann auch eine phänomenale Analyse eine Rolle spielen, und zwar auf zweifache Weise: Zum einen liefert sie den Initialimpuls (Hörmann, 1964) zur Entwicklung eines Konstrukts. Sie sagt dem Forscher also, wo und in welcher Form er nach empirischen Indikatoren zu suchen hat. Wenn beispielsweise eine phänomenale Analyse, wie von Ihnen beschrieben, feststellt, dass Angst mit dem Erlebnis des Bedrohlichen, Mehrdeutigen und dem Individuum Abträglichen verbunden ist, so ist damit eine Richtung vorgegeben, in der dieser Aspekt empirisch weiter untersucht werden kann. Und damit komme ich zu der zweiten Art, in der eine phänomenale Analyse Einfluss auf die empirische psychologische Forschung haben kann. Viele der unter dem Begriff qualitative Forschungsmethoden zusammengefassten Ansätze (Übersicht in Mey u. Mruck, 2010), etwa biografische Methoden oder Inhaltsanalysen, basieren auf den Ergebnissen phänomenaler Beschreibungen. Aber auch bestimmte quantitative Methoden profitieren von diesen Analysen. Die Formulierung der Aussagen (Items) beispielsweise in Fragebogen folgt, zumindest in einem ersten Schritt, oft den Anregungen aus derartigen Beschreibungen. In einem zweiten Schritt müssen diese Aussagen dann natürlich mithilfe etablierter psychometrischer Methoden auf ihre diagnostische Brauchbarkeit hin geprüft werden. Die hier skizzierten Überlegungen finden Parallelen in der Unterscheidung von idiografischer (auf die umfassende Beschreibung des Einzelfalls zielender) und nomothetischer (allgemeine Gesetze aufstellender) Methode (Windelband, 1894). Auch diese beiden Ansätze lassen sich für die Psychologie im Sinne eines zweistufigen Vorgehens kombinieren (Laux, 2008). Zunächst werden auf der Basis umfangreicher am Individuum gewonnener Informationen individuelle (nur für dieses Individuum erkenn117
bar) Zusammenhänge bestimmt (Idiografie). Danach wird versucht, anhand der über verschiedene Individuen registrierten Ähnlichkeiten in diesen Zusammenhängen allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu formulieren (Nomothetik). Diese müssen dann natürlich nach den Methoden einer empirischen Wissenschaft überprüft werden.
Psychische Störungen im Emotionsbereich In Ihrem Beitrag gehen sie auch auf psychische Störungen (u. a. Phobien und Panikattacken) ein und sprechen in diesem Zusammenhang von einer »krankhaften Übersteigerung der Furcht«. Hiermit wird wenig ausgesagt, solange nicht genauer bestimmt wird, in welcher Weise hier eine »Übersteigerung« stattfindet und was daran das Krankhafte ist. Zur Füllung dieser Leerstelle greifen Sie auf existenzphilosophische und psychoanalytische Überlegungen zurück. In diesen Überlegungen sehe ich keinen großen Erkenntnisgewinn. Wer sich mit psychischen Störungen befasst, muss ja immer auch mögliche Wege zu deren Therapie im Auge haben. Wie das über Konzepte wie Weltangst, Daseinsangst oder Selbstvergessenheit möglich sein soll, erschließt sich mir nicht. Deshalb will ich an dieser Stelle (ganz kurz) auf einige wesentliche Zusammenhänge eingehen, die bislang bei psychischen Störungen empirisch gesichert werden konnten. Das Feld zeichnet sich derzeit durch eine starke Forschungsaktivität aus; weitere Erkenntnisse, insbesondere mithilfe psychobiologischer Untersuchungen, sind zu erwarten. Angst und Furcht sind, wie ich bereits in meinem Beitrag dargestellt hatte, Bestandteile eines Defensivsystems, das sich evolutionär entwickelt hat und bei allen Säugetieren zu finden ist. Diese Defensive besteht aus einem perzeptiven System, um bedrohliche Reize schnell zu erkennen, und einem mobilisierenden System, das heißt der Organisation einer schnellen Reaktion auf derartige Reize oder Situationen. Wesentliche Merkmale dieses Systems sind die Selektivität, das heißt eine bevorzugte Aktivierung durch Reize oder Situationen, die bereits für unsere Vorfahren gefährlich waren, eine 118
sehr starke, aber nicht vollständige Automatisiertheit, das heißt ein willentlich nur noch schwer beeinflussbarer Ablauf des Programms, sobald dieses einmal eingeleitet ist, und die Regulation durch spezialisierte neuronale Schaltkreise. Zentrum dieses Systems ist, wie in meinem Beitrag dargestellt, die Amygdala. Defensives Verhalten ist in mehreren Verhaltensstufen organisiert (Fanselow, 1994), wobei die räumliche und zeitliche Nähe des entdeckten bedrohlichen Objektes bestimmt, welches Verhalten konkret ausgelöst wird. Wenn dieser Abstand noch genügend groß ist, so herrscht in der ersten Stufe ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit, der mit einer Verlangsamung der Herzrate verbunden ist. Es kann auch sein, dass ein Organismus sich in einem Kontext befindet, der zwar nicht aktuell gefährlich, aber in früheren Situationen als Gefahrenquelle erkannt wurde (z. B. ein dunkler Tunnel). In diesem Fall lässt sich häufig eine Hypervigilanz beobachten. Obwohl objektiv keine Gefahrenreize vorliegen, wird die Umgebung (oder auch der eigene Körper) nach derartigen Reizen abgesucht. Verbunden ist dieses Verhalten mit erhöhter Angst. Wenn sich der Abstand zum bedrohlichen Objekt verringert, dann wird diese Stufe durch eine defensive Aktionsbereitschaft abgelöst. Wie in meinem Beitrag dargestellt, bereitet sich der Organismus durch eine gesteigerte Erregung des autonomen Nervensystems auf effektive Flucht- oder Kampfhandlungen vor. In unserer Gesellschaft sind derartige Handlungen häufig nicht möglich, beispielsweise bei Prüfungen oder vor invasiven medizinischen Untersuchungen und Behandlungen (z. B. beim Zahnarzt). In diesem Fall wird ein autonomes Muster aktiviert, das zur Immobilität bis hin zur Ohnmacht führen kann. An dieser Stelle befinden wir uns am Übergang zur Pathologie des menschlichen Defensivsystems. Mit dem Defensivsystem verbunden ist auch die Schreckreaktion, ein bei den meisten Tieren zu beobachtender Schutzreflex, der durch ein abrupt auftretendes sensorisches Ereignis ausgelöst wird. Eine beim Menschen häufig untersuchte Komponente der Schreckreaktion ist der Lidschlussreflex. Die Schreckreaktion ist leicht konditionierbar, das heißt sie kann auch durch einen vormals neutralen Reiz ausgelöst werden, wenn dieser mit einem Reiz gepaart wurde, der die Schreckreaktion natürlicherweise auslöst (z. B. ein lautes Geräusch oder ein Schmerzreiz). 119
Pathologische Formen von Angst und Furcht stellen übersteigerte normale emotionale Reaktionen dar (Hamm, Weike u. Melzig. 2006). Übersteigerung meint dabei eine Übererregbarkeit des Defensivsystems. Diese besteht zum einen darin, dass das mobilisierende System bereits bei geringerer Intensität oder noch vergleichsweise großer Distanz des bedrohlichen Reizes aktiviert wird, zum anderen in einer stärkeren Sensitivierung des perzeptuellen Systems. Die Umwelt wird vermehrt nach bedrohlichen Reizen abgesucht, was dazu führt, dass das Defensivsystem sozusagen ständig »auf dem Sprung« ist. Diese vermehrte Sensibilisierung des gesamten Defensivsystems verstärkt wiederum die Hypervigilanz und die defensive Aktionsbereitschaft. Man spricht hier von einem Kaskadenprozess. Das Defensivsystem kann nicht nur durch externale Hinweisreize, sondern auch durch kognitive Prozesse (etwa das Lesen eines »emotionalen« Textes) aktiviert werden. Phobiker sind nun offenbar dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen, bedingt durch die Übererregbarkeit ihres Defensivsystems, emotional relevante Reize in der Wahrnehmung bevorzugt werden, und zwar auch dann, wenn diese nur eine sehr geringe Intensität aufweisen und objektiv keine Bedrohung darstellen. Hierdurch kommt es zu einer vermehrten Auslösung der Schreckreaktion. Mit einem Voranschreiten dieser psychischen Störung kommt es allerdings meist gar nicht mehr zur Auslösung dieser Schreckreaktion, da der in dieser Situation vorherrschende aversive emotionale Zustand (Furcht) antizipatorisch wird. Es genügt die Erwartung, mit einem emotional relevanten Reiz bzw. einer entsprechenden Situation konfrontiert zu werden, um Furcht und daran anschließend ein Vermeidensverhalten auszulösen. Ein ausgeprägtes Vermeidensverhalten, sich zum Beispiel nicht an bestimmte Orte oder (im Extremfall) gar nicht mehr aus dem Haus zu trauen, ist also das Charakteristikum der Phobie. Die Löschung dieses Verhaltens ist mithin das Ziel einer Therapie. Mit der Phobie verwandt ist die Panikstörung. Ich hatte in meinem Beitrag als ein Charakteristikum des Defensivsystems herausgestellt, dass dieses öfter zu »falschem Alarm« führen kann, das heißt der Organismus macht die Erfahrung, dass sein mobilisierendes System ohne Anlass ausgelöst wurde. Normalerweise wird in diesem Fall das aktivierte Defensivsystem wieder herunterreguliert. 120
Personen mit Panikstörungen gelingt diese Regulation offenbar nicht. Stattdessen treten an die Stelle nicht wahrnehmbarer externer Bedrohungsreize interozeptive Reize, wie sie ja während einer Konfrontation mit Bedrohung ohnehin auftreten (etwa Herzklopfen, Schweißausbrüche). Das hat zur Folge, dass nun auch der aversive emotionale Zustand nicht reguliert werden kann. Auch dieser Zustand wird wiederum antizipatorisch, in diesem Fall gegenüber derartigen interozeptiven Reizen. Die Erwartung des Auftretens interozeptiver Reize und die damit verbundene Furcht ist das Charakteristikum der Panikstörung. Es ist also falsch, Panikattacken, wie man häufig liest, als eine Angst vor dem Unbegründeten zu bezeichnen. Es sind die genannten Erwartungen, auch wenn diese häufig hoch automatisiert und damit nicht mehr bewusst ablaufen, die derartige Attacken auslösen. Das ist wichtig für die Therapie von Panikstörungen. Anschließend will ich noch darauf hinweisen, dass Phobie und Panik nur Oberbegriffe sind, unter die sich unterschiedliche Störungsbilder einordnen lassen, die man auch (etwa durch pharmakologische Untersuchungen) trennen kann. Die Forschung zu beiden Störungen ist keineswegs abgeschlossen. Grundlegend scheint aber eine Störung in der Regulation des Defensivsystems zu sein, wobei neuere Forschungen immer stärker (neben den zweifellos vorhandenen Lernprozessen) eine genetische Grundlage für diese Fehlregulation und damit die verschiedenen Störungen herausarbeiten (Übersicht in Öhman, 2008). Mit besten Grüßen Ihr Heinz Walter Krohne
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Lieber Herr Krohne, Sie haben recht: Der Dialog zwischen Psychologie und Philosophie, oder genauer gesagt zwischen empirischer Psychologie mit positivistischen Grundüberzeugungen und Existenzialphilosophie, gestaltet sich schwierig, so schwierig, dass es sich vielleicht lohnt, einige Gründe dafür zu thematisieren. Ein erster Grund liegt zweifellos in der unterschiedlichen Verwendung von Begriffsnamen: Nahezu alle begrifflichen Bestimmungen, die Sie mit den Begriffsnamen »Furcht« oder »Angst« kennzeichnen, fallen bei mir, also aus existenzialphilosophischer Sicht, ausschließlich unter den Begriff Furcht, erfassen also Aspekte, Formen oder Varianten der Furcht. Für die begrifflichen Bestimmungen, welche ich mit dem Begriffsnamen »Angst« kennzeichne, gibt es bei Ihnen gar keine Entsprechung. Um einen Dialog zu ermöglichen, müsste also beiderseitig beachtet werden, ob gleiche Begriffsnamen entweder für gleiche oder für unterschiedliche Begriffe verwendet werden. Zweitens wird der Dialog durch die unterschiedlichen Methoden erschwert. Die Philosophie bedient sich der transzendentalen Methode, der logischen und der sprachpragmatischen Analyse, der phänomenologischen Methode und der Hermeneutik, um die heute vielleicht gebräuchlichsten zu nennen. Einige Philosophen versteifen sich auf ein oder zwei dieser Methoden, andere, wie ich, plädieren für die angemessene Anwendung des gesamten Methodenarsenals. Aber die empirische Methode bzw. konkrete empirische Verfahren gehören nicht zum philosophischen Methodenspektrum. Philosophen müssen daher ihre Thesen mit vorliegenden Ergebnissen der empirischen Wissenschaften kritisch abgleichen. Bei der Übersetzung philosophischer Thesen in eine operationale Sprache für die empirische Forschung ist die Philosophie auf die Hilfe von Empirikern angewiesen, die sich unvoreingenommen für philosophische Thesen interessieren und sich von deren Überprüfung einen Erkenntnisgewinn versprechen. Die fortschreitende Spezialisierung und Schulbildung im Wissenschafts betrieb lassen dies allerdings eher als utopisch erscheinen. Ein dritter Grund kann konstatiert werden, wenn sich die Psychologie, wie Sie schreiben, als Naturwissenschaft versteht. In 122
methodologischer Hinsicht ist die Nähe der empirischen Psychologie zur Naturwissenschaft freilich verständlich. Wenn aber der Forschungsgegenstand, der Mensch und seine Psyche, ausschließlich als Naturobjekt thematisiert wird, ohne den Aspektdualismus von Natur und Kultur bezüglich des Menschen zu beachten (vgl. Fischer, 2017; Janich, 2009; 2010), dann wird eine Verständigung zumindest mit Philosophen, die nicht einer Spielart des Naturalismus anhängen, sehr schwierig. Wenigstens diese drei grundsätzlichen Schwierigkeiten wollte ich angesprochen haben, weil es mir wichtig erscheint, den Dialog nicht nur zu führen, sondern auch zu reflektieren. Im Folgenden möchte ich nun zunächst zu einigen methodologischen Problemen Stellung nehmen, dann einige Missverständnisse kenntlich machen und möglichst ausräumen, anschließend auf Fragen der Rationalität, der Evolution sowie der Therapie eingehen und abschließend auf die von Ihnen erwähnten Anknüpfungspunkte zu sprechen kommen.
Sachhaltigkeit und phänomenale Analyse Dass es für den existenzialphilosophischen Begriff Angst in Ihrem Konzept gar keine Entsprechung gibt und auch nicht geben kann, bestätigen Sie, wenn Sie unter Berufung auf Carnap den Ausführungen Heideggers den Erkenntnisgehalt oder, wie Carnap auch sagt, die Sachhaltigkeit absprechen. Nach Carnap können Heideggers Sätze nicht sachhaltig sein, weil sie logisch sinnlos seien. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, wie konsequent Sie sich Carnaps Verdikt unterwerfen. Denn einige Seiten weiter vermuten Sie dann doch zwischen Heideggers Analysen und dem Bewertungskonzept von Lazarus Anknüpfungsmöglichen, die Sie allerdings eher im Hinblick auf Sartre als auf Heidegger explizieren. Wie auch immer, ein paar Worte zu Carnaps Kritik (vgl. Carnap, 1932/2004, S. 93 ff.) sind vielleicht angebracht. Carnap beginnt seine Analyse mit einer Zusammenstellung von aus ihrem Zusammenhang gerissenen Sätzen zu einem Zitat. Er zeigt dann, dass jeder einzelne dieser Sätze in einer logisch kor123
rekten Sprache gar nicht gebildet werden kann. Dies gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass das Wort »Nichts« von H eidegger im Sinne einer logischen Verneinung (negierter Existenzsatz) verwendet wird, was Heidegger in seinem Text explizit ausschließt. Carnap meint, dass seine Voraussetzung gerechtfertigt sei, weil Heidegger zu Beginn tatsächlich die Worte »nichts« und »Nicht« im üblichen logischen Sinne gebraucht. Was Carnap offensichtlich nicht bemerkt oder nicht versteht, ist Heideggers Übergang von den Worten »nichts« und »Nicht« zu dem Wort »Nichts«, dass er in einem ontologischen Sinne verwendet. Hieraus resultiert auch Heideggers Polemik gegen die Logik, in der Carnap eine Bestätigung seiner (falschen) Voraussetzung sieht, in der es aber Heidegger letztlich darum geht, dass über der Beschäftigung mit logischen Formen nicht die Beschäftigung mit ontologischen Formen und den möglichen Zugängen zu ihnen vergessen werden soll und welcher Zusammenhang zwischen Seins- und Denkformen besteht. Carnap sieht darin lediglich einen Angriff auf die formale Logik.2 Dabei ist er sich aber durchaus bewusst, dass die Rede von »Nichts« sinnvoll sein kann. So erwägt er, »daß in der zitierten Abhandlung vielleicht das Wort ›nichts‹ [gemeint sein müsste aber: ›Nichts‹; Anm. P. F.] eine völlig andere Bedeutung haben soll als sonst. […] Wäre das der Fall, so würden die genannten logischen Fehler in den Sätzen II B [Heideggers Sätze; Anm. P. F.] nicht vorliegen« (Carnap, 1932/2004, S. 95 f.). Tatsächlich ist das der Fall, wie aus Heideggers Text hervorgeht. Carnap sieht es nicht, weil er alle drei Termini Heideggers – »nichts«, »Nicht« und »Nichts« – für Synonyme einer logischen Verneinung hält, was aber nur auf die beiden zuerst genannten zutrifft. Niemand hat gesagt, dass es leicht ist, Heidegger zu verstehen. Durch diese Kritik an Carnap sollte deutlich werden, dass eine logische Analyse dann verfehlt ist, wenn sie einen isolierten Satz untersucht, ohne zu beachten, dass und wie dessen Begriffe in anderen Sätzen bestimmt werden. Oder mit anderen Worten: 2 Der Fairness halber sei gesagt, dass Heidegger daran wohl nicht ganz unschuldig ist. Er bedient sich in seiner Kritik an Logik und positiver Wissenschaft einer pathetischen Sprache, obwohl er doch nur bestimmte Vereinseitigungen und Reduktionismen zu kritisieren hat.
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Beim Verstehen eines Textes bedürfen analytische und hermeneutische Methode einander. Die methodologischen Überlegungen abschließend möchte ich noch einmal auf die phänomenalen Beschreibungen und Analysen zurückkommen. Hinsichtlich deren Funktion bei der empirischen Forschung und Theoriebildung weisen unsere Darstellungen in den jeweils ersten Repliken eine hohe Konvergenz auf. Ein Dissens bleibt aber wohl bezüglich der folgenden Punkte bestehen: Erstens würde ich nicht sagen, dass die phänomenale Analyse bei der Identifikation von Indikatoren für Gefühle »auch« eine Rolle spielen »kann«, sondern dass sie eine notwendige Bedingung dafür ist, freilich keine hinreichende. Zweitens ist ihre Rolle nicht auf den »Initialimpuls« beschränkt, sondern muss auch die Funktion eines bleibenden Korrektivs umfassen. Drittens würde ich mich dem Tabu des Positivismus nicht anschließen, dass Realität nur das besitzt, was unmittelbar beobachtet werden kann. Wörtlich genommen ist dies ohnehin falsch, denn Mikroorganismen, die doch wohl real sind, können auch nicht unmittelbar beobachtet werden, denn dazu wird das Mikroskop als Mittel benötigt. Aber auch im wohlverstandenen Sinne – dass nur das real sei, was aus Beobachterperspektive als es selbst zugänglich ist, – ist dieser Realitätsbegriff meines Erachtens zu eng. Realität muss auch dem zugeschrieben werden, was in Vollzugsperspektive gegeben ist oder was aufgrund seiner Wirkungen in der Erscheinung erschlossen und vielleicht sogar gemessen werden kann. In diesem Sinne sind meines Erachtens Gefühle als Zustände und als Dispositionen real. Viertens schließlich wäre ich vorsichtig mit der Parallelisierung von phänomenaler Beschreibung und Analyse mit der idiografischen Methode. Es könnte zwar um die vollständige Beschreibung eines Einzelfalles gehen, aber auch um das Entdecken von etwas Allgemeinen, das als solches dann freilich durch weitere, insbesondere empirische, Untersuchungen bestätigt werden muss (zum Problem der Konstitution des Allgemeinen auf rein empirischem Weg vgl. Husserl, 2009, S. 113–226).
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Missverständnisse Ein erstes Missverständnis ist gegeben, wenn Sie schreiben: »Sie stellen in Heideggers phänomenologischer Analyse sechs Merkmale heraus, die in einer Situation zur Bedrohungseinschätzung und damit Auslösung von Angst (bzw. Furcht) führen sollen.« Das ist dann falsch, wenn die von mir verwendete existenzialphilosophische Begrifflichkeit beachtet wird. Die sechs Merkmale beziehen sich ausschließlich auf die Charakterisierung des Bedrohlichen im Zustand der Furcht, nicht im Zustand der Angst. Die phänomenale Charakteristik des Bedrohlichen im Zustand der Angst habe ich im Haupttext ausführlich dargestellt, weshalb ich mir hier eine Wiederholung erspare. Außerdem ist es vom Ansatz her unwahrscheinlich, ja unmöglich, dass das Bedrohliche in beiden Zuständen genau dieselben Merkmale aufweist. Denn es ist doch offensichtlich ein gewaltiger Unterschied, ob ich mich vor irgendetwas in der Welt fürchte – vor einem Fremden in einer dunklen Gasse; vor einem Geräusch, das mich eine nahende Elefantenherde vermuten lässt, ohne zu wissen, aus welcher Richtung sie kommen könnte; vor dem Betreten öffentlicher Plätze; vor meinen eigenen physiologischen Erregungszuständen, wie zum Beispiel dem Herzrasen; vor Spinnen usw. – oder ob mich mein In-der-Welt-sein als solches ängstigt, weil ich alles, was bisher für mich sinnvoll war, plötzlich als sinnlos erlebe. Im Falle der Angst fürchte ich mich vor gar nichts in der Welt, weil ich alles in der Welt als belanglos empfinde; das Bedrohliche der Furcht ist aber gerade nicht belanglos, sondern etwas in der Welt, das im höchsten Maße bedeutsam für mich ist. »Angst ist grundverschieden von Furcht« (Heidegger, 1929/1996, S. 111). Dies gilt auch hinsichtlich empirischer Indikatoren: Während jemand im Zustand der Furcht zumeist ein hektisches, sogar kopfloses Verhalten, eben schnelle Reaktionen, an den Tag legt, zeigt jemand in dem Zustand, den Heidegger »Angst« nennt, eine »eigentümliche Ruhe« (Heidegger, 1929/1996, S. 111) oder eine »gebannte Ruhe« (Heidegger, 1929/1996, S. 114). Ein zweites Missverständnis liegt vor, wenn Sie schreiben: »In Ihrem Beitrag gehen Sie auch auf psychische Störungen (u. a. Phobien und Panikattacken) ein und sprechen in diesem Zusammenhang von einer ›krankhaften Übersteigerung der Furcht‹. Hier126
mit wird wenig ausgesagt, solange nicht genauer bestimmt wird, in welcher Weise hier eine ›Übersteigerung‹ stattfindet und was daran das Krankhafte ist.« Dass die hier relevanten psychischen Störungen krankhafte Übersteigerungen von Gefühlen sind, ist zwischen uns gewiss unstrittig, denn Sie selbst schreiben wenige Seiten später selbst: »Pathologischen Formen von Angst und Furcht stellen übersteigerte normale emotionale Reaktionen dar.« Der entscheidende Punkt aber war für mich zunächst nicht, das Krankhafte zu erläutern oder zu erklären, sondern bestimmte Störungen entweder der Furcht oder der Angst zuzuordnen. Die Fortsetzung des ersten Zitats lässt erkennen, dass Sie dies missverstanden haben: »Zur Füllung dieser Leerstelle greifen Sie auf existenzphilosophische und psychoanalytische Überlegungen zurück. In diesen Überlegungen sehe ich keinen großen Erkenntnisgewinn. Wer sich mit psychischen Störungen befasst, muss ja immer auch mögliche Wege zur Therapie im Auge haben. Wie das über Konzepte wie Weltangst, Daseinsangst oder Selbstvergessenheit möglich sein soll, erschließt sich mir nicht.« Mir auch nicht. Denn Welt- und Daseinsangst sind Aspekte der Angst, können also keine pathologischen Formen der Furcht erklären oder therapieren. Selbstvergessenheit ist ein Merkmal der Frucht, das weitgehend mit dem übereinstimmt, was Sie in operationaler Sprache als Funktion von Furcht bestimmen: nämlich den Organismus im Falle einer Gefahr, »häufig unter Ausschaltung kognitiver Prozesse, zur unmittelbaren Einleitung von Gegenmaßnahmen« zu veranlassen, das heißt dieses Ausschalten kognitiver Prozesse ist der Hauptaspekt der Selbstvergessenheit. Sie ist also bereits ein Merkmal der normalen Furcht, das sich aber besonders drastisch, übersteigert, zum Beispiel in akuter Panik zeigt.
Rationalität, Evolution, Therapie In Ihren Erläuterungen zu den »pathologischen Formen von Angst und Furcht«, nämlich zu Phobien und Panikattacken, die von mir ausschließlich als pathologische Formen der Furcht und nicht der Angst begriffen werden, wenden Sie sich gegen die These 127
des Unbegründetseins der Übererregungen, insbesondere bezüglich der Panikattacken. Stattdessen möchten Sie die Übererregung auf automatisierte und unbewusste Erwartungen zurückführen. Andererseits räumen Sie ein, dass die Überwachheit nach Gefahren sucht, »obwohl objektiv keine Gefahrenreize vorliegen«, dass Patienten auch dann emotionale Reize bevorzugen, »wenn diese nur eine sehr geringe Intensität aufweisen und objektiv keine Bedrohung darstellen«, und dass Panikstörungen mit »falschem Alarm« beginnen, der sich im pathologischen Fall der Regulation entzieht. All dies spricht doch eindeutig dafür, dass die pathologischen Formen der Furcht als unbegründete Furcht verstanden werden müssen, dass es also unter dem Gesichtspunkt einer objektiven Gefährdung auch keinen Grund für die Erwartungen, welche Panikattacken auslösen, gibt, es also objektiv unbegründete Erwartungen (Befürchtungen) sind. Was sonst sollte die Rede vom Unbegründetsein meinen? Das rechte Verständnis des Unbegründetseins verweist auf den Begriff Rationalität. Dieser kann in unterschiedlichen Kontexten Unterschiedliches bedeuten. Das Rationale kann erstens für die kognitiven Prozesse stehen. Diese werden im Zustand der Furcht ausgeschaltet. Insofern verhält sich das Subjekt in seiner Furcht irrational. Zweitens kann diese Verhaltensweise funktional auf den Zweck des Überlebens des Individuums und letztlich der Art bezogen werden. Insofern kann die schnelle Fluchtreaktion aus Furcht als (zweck-)rational eingeschätzt werden. Dieselbe Verhaltensweise ist also zugleich irrational (Ausschalten kognitiver Prozesse; unvernünftig; unüberlegt) und rational (überlebensdienlich; zweckrational; funktional rational; adaptiv), freilich nicht in derselben Hinsicht. Um Missverständnisse zu vermeiden, empfiehlt es sich, das Wort »rational« je nach Bezugsebene durch eines der jeweiligen Synonyme (bzw. deren entsprechende Verneinung) zu ersetzen. Dies ist auch bei der Diskussion von Anknüpfungsmöglichkeiten zwischen Psychologie und Philosophie zu beachten. Begriffe wie Überlebensdienlichkeit oder Angepasstheit bringen uns zum Thema Evolution. Sie verstehen »Angst und Furcht« als »Bestandteile eines Defensivsystems, dass sich evolutionär entwickelt hat und bei allen Säugetieren zu finden ist.« Dieses Defensivsystem bestehe aus einem perzeptiven System und einem mobili128
sierenden System. Diese Konstrukte finde ich deshalb besonders interessant, weil sich in ihnen eine systemische Betrachtungsweise des Menschen ausspricht, die ich nicht nur auf das Individuum beschränken möchte, aber Sie vielleicht auch nicht. Jedenfalls scheinen wir uns darin einig zu sein, dass die menschlichen Fähigkeiten und Leistungen systemisch zu betrachten sind. Ebenso unstrittig dürfte sein, dass der Mensch über Fähigkeiten verfügt, über die Tiere nicht verfügen, und dass Mensch und Tier gemeinsame Fähigkeiten in ihren Leistungen extrem unterschiedlich sein können. Wenn wir die Fähigkeiten in das systemische Verständnis einbeziehen, was wir konsequenterweise tun müssen, dann bedeuten neue Fähigkeiten oder extreme Leistungsunterschiede zugleich Veränderungen in den Subsystemen und damit schließlich im Gesamtsystem. Daher wäre es meines Erachtens unplausibel und höchst unwahrscheinlich, wenn zum Beispiel das menschliche Defensivsystem genauso funktionieren würde wie das irgendeines Säugetieres, Ähnlichkeiten selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Die Evolution der Arten ist kein bloß additiver Prozess, bei dem zu einer Art etwas hinzukommt und alles andere so bleibt, wie es war, sondern ein mit jeder Art das Gesamtsystem verändernder, wenn auch es nicht komplett austauschender, Prozess. Aufgrund dieser systemischen Betrachtungsweise sollten wir gegenüber allen Gleichsetzungen des Tierischen mit dem Menschlichen skeptisch bleiben, mögen die unmittelbar beobachtbaren Ähnlichkeiten auch noch so groß und verblüffend sein. Diese Überlegungen zur Rationalität und zur Evolution sind vorausgesetzt, wenn ich jetzt auf das Thema Therapie zu sprechen komme. Im Zentrum meiner Überlegungen steht der existenzialphilosophische Begriff Angst. Ein diesem Begriff entsprechendes Gefühl gibt es im Tierreich nicht, denn die Stimmung zur Besinnung setzt die Fähigkeit der Sinnzueignung voraus, über die nur ein Kulturwesen verfügen kann und verfügen können muss. Wenn diese Sinnzueignung aber scheitert,3 dann kommt es zu pathologischen Formen der Angst, also nach meiner Hypothese zur generalisier3
Die Möglichkeit von organismischen Ursachen für pathologische Angstformen soll damit aber nicht ausgeschlossen werden.
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ten Angststörung oder zur Depression. Weil Sinnzueignung primär in kognitiven Prozessen (Überlegung, bewusste Bewertung, Entscheidung usw.) vollzogen wird, sollte die Therapie helfen, diese Prozesse wieder zu ermöglichen und zu befördern. Hier bietet sich ein Vergleich mit den pathologischen Formen der Furcht, also mit Phobien und Panikattacken, an: Diese Patienten können nicht einfach durch Argumente davon überzeugt werden, dass ihre übersteigerte Furcht, zum Beispiel vor Spinnen bzw. vor dem Auftreten bestimmter körperlicher Symptome, unbegründet ist. Es bedarf zunächst Methoden der Desensibilisierung gegenüber solchen Reizen, also einer Rückführung der Übererregung. An diesen Prozess anschließend können dann auch Argumente für das Unbegründetsein der phobischen bzw. panischen Furcht eingesehen werden. Analog dazu muss auch im Falle der Depression zunächst die Übersteigerung, also die zur völligen Denk- und Handlungshemmung gewordene Ruhe, aufgehoben werden. Praktisch geschieht dies meistens durch Psychopharmaka, vielleicht wären auch andere Therapien denkbar (Bewegungs-, Spiel-, Beschäftigungstherapie), aber darüber müssen entsprechende Studien und Therapeuten entscheiden. Jedenfalls kann es hier nicht um eine Desensibilisierung gegenüber dem In-der-Welt-sein gehen, falls so etwas überhaupt möglich sein sollte. Ganz im Gegenteil: Die Einsicht in diese existenziale Verfasstheit des Daseins ist wesentlich für eine dauerhaft tragfähige bzw. eigenständig wiederholbare Sinnzueignung. Wenn die depressiven Hemmungen allmählich schwinden, kann eine Gesprächstherapie bei der Sinnzueignung helfen, aber diese dem Patienten freilich letztlich nicht abnehmen. Empirisch sind offensichtlich gute Heilungserfolge durch die Kombination von pharmakologischer und Gesprächstherapie bzw. kognitiver Therapie belegt (vgl. Hell, 2014, S. 205 ff.). Das von Hell zitierte Gesprächsbeispiel verdeutlicht den Aspekt der Hilfe zur Sinnzueignung (vgl. Hell, 2014, S. 211 ff.). Auch hierin könnte eine gewisse Bestätigung existenzialphilosophischer Überlegungen durch die empirische Forschung gesehen werden. Der Hinweis auf die Gesprächstherapie ist auch hinsichtlich der normalen, also der nicht pathologischen, Angst interessant: Wenn bei deren Aufkommen ein Gesprächspartner für Sinnfragen zur 130
Verfügung steht, dann könnte dies, von organismischen Ursachen abgesehen, der Ausbildung einer Depression vorbeugen. Dasselbe gilt vielleicht auch von der von Zeit zu Zeit wiederholten eigenen Reflexion solcher Fragen: Besinnung als Vorbeugung gegen psychische Erkrankungen.
Mögliche Anknüpfungspunkte Aus meinen Ausführungen insgesamt wird gewiss deutlich, dass es mir in erster Linie um Anknüpfungspunkte zwischen dem existenzialphilosophischen Begriff Angst und dem damit eröffneten, freilich noch nicht geleisteten, Verständnis der Depression einerseits und der empirischen Forschung andererseits geht. Über die diesbezüglichen Schwierigkeiten habe ich mich bereits im ersten Brief geäußert. Die von Ihnen vermuteten Anknüpfungspunkte betreffen andere Themen, weshalb ich nur kurz meine Sicht der Dinge mitteile. Freud habe ich nur am Rande erwähnt. Argumentativ spielte seine Theorie für meine bisherigen Überlegungen keine Rolle. Nicht immer, wenn von Verdrängung die Rede ist, muss damit der Begriff Freuds gemeint sein. Allerdings könnte Freud für meinen Ansatz interessant werden, wenn ich ihn hinsichtlich möglicher Anlässe und Gründe für Depressionen ausbauen würde. Denn die existenzialphilosophische Bestimmung der Depression als übersteigerte Angst bietet noch keine Definition der Depression, sondern gibt bestenfalls das Genus proximum an, vielleicht auch nur für eine Art der Depression. Überlegungen Freuds zur Kultur (Arbeit, Sexualität, Gemeinschaft usw.) sowie zur Trauer könnten vielleicht Anregungen zur Bestimmung der Differentia specifica der Depression bzw. ihrer Arten bieten. Die Existenzphilosophie ist bei mir ausschließlich durch Kierkegaard vertreten, weil er der Existenzialphilosophie Heideggers am nächsten steht. Mein kleiner philosophiehistorischer Streifzug beschränkte sich auf einige paradigmatische Positionen, denen durch Nietzsche und Sartre, trotz vieler interessanter Details, wohl nichts von paradigmatischer Bedeutung hinzugefügt wird. Auf kei131
nen Fall können diese Existenzphilosophien den existenzialphilosophischen Ansatz von Heidegger überbieten. Dass Sie eine Ähnlichkeit zwischen der paradigmatischen Position von Epikur und der Theorie von Ellis sehen, hat mich überrascht. Epikur geht von den Emotionen aus. Er versteht sie als dysfunktional hinsichtlich einer gelungenen Lebensführung und meint außerdem, dass im emotionalen Zustand auch kognitive Prozesse dysfunktional werden (können), um es einmal in operationaler Sprache zu sagen. Ellis (1962) geht nach Ihrer Darstellung von dysfunktionalen kognitiven Prozessen aus (Überbewertung, Verabsolutierung, Fehlschlüsse usw.) und behauptet, dass diese Dysfunktionalitäten emotionale Reaktionen determinieren bis hin zur Habitualisierung bestimmter Reaktionstendenzen und bis zur Ausbildung psychischer Störungen. Bei Epikur führt also die Emotion zur dysfunktionalen Kognition (oder ist bereits eine solche), bei Ellis ist es genau umgekehrt: Die dysfunktionale Kognition führt zur Emotion und schließlich zur psychischen Störung. Aber das ist gar nicht schlimm, weil sich gewiss für beide Varianten zuhauf Beispiele finden lassen. Die Bewertungstheorie von Lazarus bietet offensichtlich eine interessante Vergleichsmöglichkeit mit dem Ansatz von Heidegger. Allerdings geht Heidegger im Unterschied zu Lazarus nicht von einer »kalten« Kognition (Wissen) aus, welche dann die Grundlage für das Bewerten einer Situation hinsichtlich des eigenen Wohlergehens darstellt und erst damit »heiße« Kognitionen (Emotionen) auslöst. Bei Heidegger ist die Kognition sozusagen immer schon »heiß«, weil unser In-der-Welt-sein immer schon ein gestimmtes ist. Der Begriff In-der-Welt-sein entspricht von allen traditionellen philosophischen Begriffen wohl am ehesten dem Begriff Intentionalität in seiner weitesten Bedeutung als Bewusstsein von …, einschließlich des emotionalen Bewusstseins.4 Die Welt besteht daher für Heidegger aus Bedeutsamkeiten, was die Bedeutungen der Bewandtnisse von Gegebenheiten der Um- und Mitwelt sowie das Um-wil4 In-der-Welt-sein (ein Existenzial) darf daher nicht mit Sartres Mensch-inder-Situation (eine existenzielle Aufgabe) verwechselt oder gleichgesetzt werden. In der Welt sind wir nach Heidegger immer schon; in die Situation bringen wir uns erst durch den Entschluss.
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len des Daseins, also den wertenden Bezug auf diese Bedeutungen, ebenso umfasst wie die damit verbundenen Befindlichkeiten. Wissen (»kalte« Kognition) ist also für Heidegger kein ursprüngliches Phänomen, sondern müsste methodisch und asketisch ausgehend von der Bedeutsamkeit erst gewonnen werden. Aber letztlich gibt es Wissen als »kalte« Kognition nur in der Abstraktion, weil auch die methodischen und asketischen Einstellungen auf Wissen ihre Stimmung haben, wie zum Beispiel den sachlichen Gleichmut. Hierin liegt vielleicht ein Grund dafür, dass Heidegger das Wort »Stimmung« verwendet und nicht das Wort »Emotion«: Es ist sprachlich plausibler und angemessener zum Beispiel den Gleichmut oder auch die eigentümliche Ruhe der Angst als »Stimmung« zu bezeichnen und nicht als »Emotion«, das heißt nicht als »Erregung«. Trotz der Unterschiede zwischen Heidegger und Lazarus könnten die von Lazarus erarbeiteten Bewertungskomponenten möglicherweise als Operationalisierungen von Heideggers Begriff Bedeutsamkeit fungieren. Übergänge zwischen der Existenzialphilosophie und der empirischen Psychologie sind also denkbar. Ein ganz kurzes Resümee sei mir zum Schluss gestattet. Der Dialog hat wichtige Ergebnisse erbracht: Unterschiedliche Positionen wurden vorgestellt und erläutert, die Schwierigkeiten des Dialogs herausgestellt und einige Anknüpfungsmöglichkeiten aufgezeigt. Das aus meiner Sicht wichtigste Ergebnis ist der Nachweis, dass es zum existenzialphilosophischen Begriff der Angst offensichtlich keine Entsprechung in der empirischen Psychologie gibt: Was in der empirischen Psychologie mit dem Begriffsnamen »Angst« belegt wird, stellt sich aus existenzialphilosophischer Sicht als Form von Furcht dar. Zugleich konnten Anknüpfungsmöglichkeiten zwischen dem existenzialphilosophischen Begriff Angst und einigen Ergebnissen der empirischen Depressionsforschung aufgezeigt werden. Insofern könnten sich für beide Disziplinen, für die Psychologie und die Philosophie, neue und vielleicht sogar gemeinsame Forschungsperspektiven eröffnen. Mit herzlichem Dank für den Gedankenaustausch und mit den besten Wünschen, Ihr Peter Fischer 133
Lieber Herr Fischer, vielen Dank für Ihre Stellungnahme zu meinem Beitrag. Aus Platzgründen muss ich mich auf einige zentrale Punkte konzentrieren und kann das auch nur sehr kurz tun. Als erstes wende ich mich Ihren Fragen zu begrifflichen Differenzierungen von Angst und Furcht zu. Ich habe den Eindruck, dass der Unzufriedenheit mit den gegebenen begrifflichen Bestimmungen, die sich in Ihren Fragen spiegelt, unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Funktion von Definitionen innerhalb des Forschungsprozesses zugrunde liegen. Der Wunsch nach einer möglichst umfassenden Bestimmung, verbunden mit einer genauen Differenzierung im Hinblick auf benachbarte Konzepte, entspringt offenbar der Auffassung, dass am Beginn des Forschungsprozesses eine möglichst umfassende und differenzierte Definition des Forschungsgegenstands stehen soll, und dass man erst mit der Erforschung dieses Gegenstandes beginnen kann, wenn diese Arbeit geleistet ist. So funktioniert der Forschungsprozess in einer empirischen Wissenschaft nicht. Ich hatte diesen Prozess bereits anhand meiner Ausführungen zum hypothetischen Konstrukt beschrieben und will mich hier nicht wiederholen. Wichtig ist hier das Vorverständnis (oder meinetwegen Alltagswissen), das den Initialimpuls zur Entwicklung eines Konstrukts liefert. Die von mir dargestellte Definition von Freud und die sich hieran direkt anschließende Bestimmung Epsteins stehen für mich auf dieser Stufe des Vorverständnisses bzw. Alltagswissens. Inzwischen ist die Forschung zu Angst und Furcht (besser: zum Defensivsystem von Organismen) vorangeschritten. Weitergehende Definitionen reflektieren diesen Fortschritt. Wer also heute nach der Differenzierung von Angst und Furcht fragt, der muss sich den jeweiligen Forschungsstand anschauen. Er würde sich dann zwangsläufig mit dem limbischen System befassen müssen, der Struktur innerhalb des Zentralnervensystems, das Prozesse der Informationsaufnahme und -bewertung mit emotionalen, motivationalen und Gedächtnisprozessen verbindet und, bei Vorliegen aversiver Information, die Aktivität des genannten Defensivsystems anstößt und koordiniert. 134
Wenn man diesen Forschungsstand rezipiert, dann weiß man beispielsweise, dass eindeutige aversive Bedingungen mit einer Steigerung autonomer Reaktionen (etwa der Herzrate) verbunden sind und ganz unmittelbar, je nach Kontext, Flucht oder (seltener) Angriff auslösen. Das kann man dann Furcht nennen. Mehrdeutige aversive Situationen führen eher dazu, dass der Organismus seine motorische Aktivität deutlich reduziert und die Umwelt stattdessen verstärkt überwacht. Das kann man Angst nennen. Bei den hier beobachtbaren autonomen Reaktionen zeigt sich häufig ein Absinken der Herzrate (was eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Überwachung ist; ebenso wie die Steigerung der Herzrate Voraussetzung für gelingendes Flucht- oder Angriffsverhalten ist). Diese und weitere Forschungsergebnisse liefern die wesentlichen Gesichtspunkte für eine möglichst genaue Differenzierung von Angst und Furcht. In einer weiteren Anmerkung stellen Sie eine Analogie her zwischen dem psychologischen Dispositionsbegriff und dem Konzept der Gravitation. Hiermit wollen Sie offenbar ausdrücken, dass man entgegen meiner Darstellung auch theoretischen Konzepten wie etwa Ängstlichkeit eine Wirksamkeit zuschreiben müsse. Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens, die von Ihnen aufgezeigte Analogie kann ich nicht sehen. Gravitation ist, neben dem Elektromagnetismus sowie der starken und der schwachen Wechselwirkung, eine von vier bekannten Naturkräften. Die Gravitationskonstante G spiegelt dabei die Stärke der Gravitation im Vergleich zu den anderen Kräften wider. Gravitation kann man messen, so dass also die Auffassung irrig ist, es handle sich hier um ein hypothetisches Konstrukt, wie ich es anhand des Konzepts des nomologischen Netzes dargestellt hatte. Entscheidend für die Forschung zu einer Naturkonstanten wie G ist nicht die immer umfangreichere Bestimmung eines nomologischen Netzes zur Gravitation, sondern die Ausarbeitung einer theoretischen Erklärung der Gravitation, wie sie sich ja von Newton über die Feldtheorie bis zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie sehr verändert hat. Zum Zweiten stellen Sie in diesem Zusammenhang die Frage, ob man denn Sachverhalte wie (aktuelle) Misserfolgserwartung oder Strafandrohung, die ich beispielhaft als Auslöser einer aktu135
ellen Angstreaktion angeführt hatte, beobachten könne. Hierzu müsste man nun etwas ausführlicher in die Techniken psychologischen Messens und Experimentierens einführen, was an dieser Stelle nicht möglich ist. Deshalb nur so viel: Selbstverständlich kann man Strafandrohung registrieren, etwa indem man experimentell zwei Stufen dieser Androhung (stark vs. schwach) herstellt und deren Effekte auf das Verhalten prüft. Man kann auch deren (nach Stärke interindividuell variierende) subjektive Repräsentation erfassen, was allerdings erhebungstechnisch nicht ganz leicht ist. Ebenso kann man natürlich auch die Stärke einer aktuellen Misserfolgserwartung messen. Zusammenfassend: Für ein hypothetisches Konstrukt wie etwa Ängstlichkeit kann ich direkt keine Zusammenhänge mit empirischen Sachverhalten registrieren. Registriert werden immer nur Beziehungen innerhalb empirischer Sachverhalte, die allerdings, als Resultat hypothetischer Ableitungen, als Indikatoren dieses Konstrukts fungieren können. Mit besten Grüßen, Ihr Heinz Walter Krohne
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Literatur
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