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German Pages 660 Year 2013
Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung
Band 14
Herausgegeben vom Vorstand des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit mit der Redaktion des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit, Berlin
Andreas Bähr
Furcht und Furchtlosigkeit Göttliche Gewalt und Selbstkonstitution im 17. Jahrhundert
Mit einer Abbildung
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0086-7 ISBN 97-8-38470-0086-0 (E-Book) Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: Charles Le Brun (1619 – 1690): L’Effroi, Paris, Mus¦e du Louvre, D.A.G., INV28327-recto, Ó bpk j RMN – Grand Palais j G¦rard Blot. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Für Mauritz und ein neues Leben
Inhalt
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht . .
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2. Die Furcht der Frühen Neuzeit. Paradigmen und problemgeschichtliche Hintergründe einer Kontroverse . . . . . . 2.1. Die historische Forschung: Delumeau und die Folgen . . . . . 2.2. Die Geschichte eines Problems: Furcht und Religion zwischen Aufklärung und Psychoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Religion und Furcht in der Historiographie: Zwischen Furcht und Furchtbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Methodologische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . .
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21 23
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33
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3. Gottes Macht und Gottes Furcht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Ordnung der Affekte: Furcht und Hoffnung . . . . . . . . . . 3.2. Die Furcht der Theologen: Timor servilis und timor filialis . . . . 3.3. Politische Theorie: Die Furcht der Unteren vor den Oberen . . . . 3.4. Die Furcht des Söldners: Zwischen »geistlichem Ritter« und »Soldaten=Teuffel« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Feige Kommandanten und sorglose Landesherren: Die Kritik des Pfarrers Braun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6. Die »Angst« des Herrschers und der Märtyrerin: Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7. Die Macht der Furchtlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 56 79 95
4. Natur-Gewalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Die Gewalt der Furcht, die Macht der Imagination . . . . . . . . 4.2. Ungewitter, überirdisch und unterirdisch, und die Verfinsterung der Sonne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Pest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 141 148 171
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185 185
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192 228
8
Inhalt
4.4. Ungarische Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
260 295
5. Die Gewalt der anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Territio verbalis et realis: Die Furcht vor Folter und peinlicher Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. »Nicht gnugsam zu beschreiben«: Die Angst des Dreißigjährigen Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3. »Flucht und Zueflucht«: Die Furcht vor »Türken und Tataren« . . 5.4. Simpliciaden und Poesie: Literarische Kriegsbeschreibungen . . .
313 314 340 381 447
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485
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488 493 519
7. Schluss: Selbstkonstitution in furchtloser Furcht . . . . . . . . . . . .
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Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6. Schrecken der Nacht: Die Furcht und die Macht des Traums . . . 6.1. Die Furcht vor dem Traum: Theorien und Konzepte der Oneirokritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Geträumte Schrecken: Autobiographische Traumerzählungen 6.3. Eine Kultur des Traums im »martialischen Saeculum« . . . . .
Dank
Dieses Buch ist die leicht revidierte Fassung einer Arbeit, die im Wintersemester 2010/11 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen wurde. Mein besonderer Dank für jahrelange Begleitung und Unterstützung gilt Claudia Ulbrich und Hans Medick, und er gilt Peter Burschel und Martin Schaffner. Christophe Duhamelle, Kaspar von Greyerz und Wilhelm Schmidt-Biggemann bin ich dankbar für die Mühen des Habilitationsgutachtens und dem Vorstand und der Redaktion des Interdisziplinären Zentrums Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit für die Aufnahme des Manuskriptes in ihre Publikationsreihe. Ein herzlicher Dank für genaue Lektüren und hilfreiche Kommentare geht an Thomas Biskup, Petra Buchholz, Renate Dürr, Frank Fätkenheuer, Achim Landwehr, Hanns-Peter Neumann, Jan Plamper, Daniel Schönpflug und Silke Törpsch. Für vielfältig »fruchtbringende Gesellschaft« danke ich ferner Steffen Diefenbach, Claire Gantet, Michaela Hohkamp, Gabriele Jancke, Claudia Jarzebowski, Benigna von Krusenstjern, Reinhard Laube, David Lederer, Bettine Menke, Monika Mommertz, David Sabean, Thomas Safley, Christine Vogel und Klaus Weber. Ich danke der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft für die Finanzierung meiner Arbeit im Rahmen der DFG-Forschergruppe Selbstzeugnisse in transkultureller Perspektive. Ich danke allen Archivarinnen und Bibliothekaren, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen, und ich danke Ruth Vachek für ihre sorgfältige und freundliche verlegerische Betreuung. Silke Strauf verdanke ich mehr, als an dieser Stelle zu sagen ist, und ebenso Mauritz, unserem Sohn, der mich zuweilen das Fürchten lehrt und stets, wie es überwunden werden kann. Berlin, im Dezember 2012
Andreas Bähr
1. Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
»Wovor ich mich am meisten fürchte, ist die Furcht. Ihre Gewalt übersteigt in der Tat alle anderen Bedrängnisse.«1 So bekennt Michel de Montaigne in seinem Essai De la peur. Dies ist bemerkenswert, besagt es doch: Die Furcht vor Gewalt schien ihm gewaltsamer als die befürchtete Gewalt. Wie konnte das sein? Montaigne selbst hält Antworten bereit; er notiert die besondere »aigreur de la peur« und auch, wie er sie sich erklärte. Furcht barg das Potential herausragenden affektuellen Leidens, weil sie künftige Übel als bereits gegenwärtig imaginierte und sie zudem noch mit der Ungewissheit über ihr Eintreten verband.2 Doch damit nicht genug. Die Imaginationen der Furcht vermochten sich in vielerlei Hinsicht selbst zu bewahrheiten; durch sie selbst, mitunter, wurde Ungewisses schreckliche Gewissheit. Sie hatten die Macht, so schien es, auch ganz körperlich herbeizuführen, was sie imaginierten. Einen Edelmann, wusste Montaigne zu berichten, hatte die Furcht während einer Belagerung »derart gepackt und in den Würgegriff genommen«, »daß sein Herz zu Eis erstarrte und er in einer Bresche, ohne im geringsten verwundet zu sein, mausetot umfiel.«3 Eine derartige Macht der Furcht steigerte ihre Bedrohlichkeit noch über das, was drohte, hinaus. Zahlreiche Autoren und Autorinnen neben und nach Montaigne unterschrieben diese Auffassung. Im Dreißigjährigen Krieg hielt die Augustinernonne Clara Staiger fest: »ich bin so hart geengstiget worden/ das ich vermaint/ es wert mir leib und leben ja sogar die vernunfft kosten«.4 Staiger, dem 1 Michel de Montaigne, Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung v. Hans Stilett, 3 Bde., Frankfurt a.M. 2002, Buch I, Nr. 18, S. 120; frz.: Les Essais, hg. v. Jean Balsamo, Paris 2007 (BibliothÀque de la Pl¦iade 14), S. 78: »C’est ce dequoy j’ay le plus de peur que la peur. Aussi surmonte elle en aigreur tous autres accidents.« Falls nicht anders angegeben, wird im Folgenden nach der dt. Ausgabe zitiert. 2 Montaigne, Essais II, 17, S. 475 (mit Seneca, Agamemnon, 420: »dubia plus torquent mala«). 3 Montaigne, Essais I, 18, S. 119. 4 Clara Staiger, Verzaichnus, publiziert in: Klara Staigers Tagebuch. Aufzeichnungen während des Dreißigjährigen Krieges im Kloster Mariastein bei Eichstätt, hg. v. Ortrun Fina, Regensburg 1981, Bl. 80 f. Näheres zu Staiger in Kap. 4.3 und 5.2.
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Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
Vernehmen nach, fürchtete sich vor den Folgen ihrer Furcht, und diese Folgen waren eben das, was sie ursprünglich befürchtete: der Verlust von Leib und Leben und, schlimmer noch, die Zerstörung ihrer personalen Integrität. Diese Paradoxie bedarf der Erklärung. Sie erhellt den Gegenstand der vorliegenden Studie: die komplexe historisch-kulturelle Semantik von Furcht, Angst und Schrecken im 17. Jahrhundert, in einem Säkulum, das seine Grenzmarken durch die Kriege erhält, die es prägten, und das zugleich in seiner spezifischen Problematisierung der Furcht bereits in den beiden letzten Dezennien des 16. Jahrhunderts beginnt und vielfach bis weit in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts hineinreicht. Die Arbeit zeigt, dass die Furchtsemantik dieser Zeit sich von psychologischen und existentialphilosophischen Konzeptionalisierungen, wie sie seit der späten Aufklärung zu beobachten sind, signifikant unterscheidet. Dieser Wandel schlägt sich auch in der begrifflichen Ausdifferenzierung von »Furcht« und »Angst« nieder, die im 17. Jahrhundert noch nicht über die Frage des Gegenstandsbezugs erfolgte. Vor der Spätaufklärung, überspitzt gesagt, beschrieb »Angst« die Räumlichkeit und die Körperlichkeit des affektuellen Erlebens und »Furcht« dessen imaginative Komponente. Die beiden Begriffe stellten noch keine qualitativ unterschiedlichen Phänomene vor, sondern zwei Dimensionen ein und desselben Problems.5 Über den historischen Bruch kann nicht hinwegtäuschen, dass Montaignes Diktum von so manchen Aufgeklärten mit Zustimmung zitiert worden ist – etwa von Jean Paul (auch wenn der kaum ein »Aufklärer« war).6 In Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz (1809), einer satirischen Erzählung, in der Attila Schmelzle, um den Vorwurf der Feigheit vor dem Feind zu entkräften, von den überstandenen Gefahren auf seiner Bittfahrt um eine katechetische Professur berichtet, entspinnt sich zwischen dem fiktiv autobiographischen Ich und einem »Legationsmann« ein bemerkenswertes Gespräch. In ihm preist der Erzähler den Mut und gibt seinem Gegenüber (wie er vermeint) »Montaignes Rat: man trage nur Furcht vor der Furcht.« Dieser, »unnötig spitzfündig«, versetzt: »Ich würde […] wieder fürchten, daß ich mich nicht genug vor der Furcht fürchtete, sondern zu feig bliebe«. Doch auch dieser Furcht »steck[t]« Schmelzle, »kalt« erwidernd, die gebotenen »Grenzen«: »Ein Mann kann z. B. nicht im geringsten Gespenster 5 Angesichts dessen konnten die beiden Worte auch synonym verwendet werden. Wenn in der vorliegenden Arbeit von »Furcht« und/oder »Angst« die Rede ist, geschieht dies in Orientierung an der jeweiligen historischen Redeweise und/oder derjenigen der jeweils erörterten Forschungsliteratur (in der die beiden Begriffe ebenfalls vielfach synonym gebraucht werden). Wo keiner dieser beiden Bezüge unmittelbar gegeben ist, spreche ich von »Furcht«, insofern dieser Begriff, wie zu zeigen sein wird, für das 17. Jahrhundert als der umfassendere angesehen werden kann. 6 Oder auch, wie es scheint, von Franklin D. Roosevelt (1933): »Let me assert my firm belief that the only thing we have to fear is fear itself.« Zit. nach Zygmunt Bauman, Liquid Fear, Cambridge / Malden, MA 2006, S. 1.
Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
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glauben und fürchten; gleichwohl kann er nachts sich in Todesschweiß baden, und zwar bloß vor Angst, wie sehr er sich entsetzen würde (besonders mit welchen Nachwehen von Schlagflüssen, fallenden Suchten u.s.w.), falls nichts als bloß seine so lebhafte Phantasie irgendein Fieber- und Vexierbild vor ihn in die Lüfte hineinhinge.« Schmelzles ebenfalls anwesender Schwager, ein tollkühner Dragoner und »wider Gewohnheit moralisierend«, wirft ein, man solle daher »das so arme Schaf von Mann auch gar mit keinem Geister-Spuk foppen, der Hase kann ja auf der Stelle auf dem Platze bleiben«, und so findet der Disput sein Ende.7 In Jean Pauls Erzählung wird der wohlmeinende Rat – »man trage nur Furcht vor der Furcht« – in eine (keineswegs »spitzfindige«) Paradoxierung getrieben, in der sich nicht allein andeutet, dass der Ratgeber am Ende das, was er rät, selbst nicht befolgt, dass Schmelzle sich also zwar als heldenhaft sieht, aber eigentlich ein rechter Angsthase ist; sie umschreibt zudem die infinite Steigerungsmöglichkeit der Furcht unter den Bedingungen ihrer spätaufklärerischen Pädagogisierung, Psychologisierung und Pathologisierung. Die Auflösung des paradoxen Ratschlags ist einfach und lautet: Du sollst dich nicht fürchten. Die Forderung ist nicht zu verwechseln mit dem neutestamentlichen Trostversprechen des »Fürchte dich nicht«, sondern formuliert das Programm einer Aufklärung, die sich vorgenommen hat, die Furcht zur Gänze aus der Welt zu verbannen. Das Postulat bediente sich, zur Effektivierung seiner Durchsetzung, der Erziehung der moralischen Person (die ihrerseits widersprüchlich geriet, wo sie Furcht mit Furcht auszutreiben suchte),8 und es im7 Jean Paul, Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz mit fortgehenden Noten; nebst Der Beichte des Teufels bei einem Staatsmanne, in: Werke in 12 Bänden, hg. v. Norbert Müller, Abt. 1, Bd. 6, München / Wien 1963, S. 29. Vgl. außerdem Theodor Gottlieb von Hippel, e Lebenslaufe nach Aufsteigender Linie, nebst Beylagen A, B, C. Meines Lebenslaufs Zweiter Theil. Beylage A, und Beylage B, Berlin 1779, S. 208: »Entschließe dich, Bruder, meinem e Beyspiel zu folgen. Ich furchte mich nur vor der Furcht, das scheint ein Wortspiel; allein es ist ein richtiges wahres Wort.« Vgl. dazu Christian Begemann, Furcht und Angst im Prozeß der Aufklärung. Zu Literatur und Bewußtseinsgeschichte des 18. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1987, S. 255. Für eine historiographiegeschichtliche Einordnung von Begemanns Ansatz siehe Kap. 2.1. 8 In seiner Autobiographie berichtet Goethe von den pädagogischen Maßnahmen seines Vaters: »Die alte, winkelhafte, an vielen Stellen düstere Beschaffenheit des Hauses war übrigens geeignet, Schauer und Furcht in kindlichen Gemütern zu erwecken. Unglücklicherweise hatte man noch die Erziehungsmaxime, den Kindern frühzeitig alle Furcht vor dem Ahnungsvollen und Unsichtbaren zu benehmen, und sie an das Schauderhafte zu gewöhnen. Wir Kinder sollten daher allein schlafen, und wenn uns dieses unmöglich fiel, und wir uns sacht aus den Betten hervormachten und die Gesellschaft der Bedienten und Mägde suchten; so stellte sich, in umgewandtem Schlafrock und also für uns verkleidet genug, der Vater in den Weg und schreckte uns in unsere Ruhestätte zurück. Die daraus entspringende üble Wirkung denkt sich Jedermann. Wie soll derjenige die Furcht los werden, den man zwischen ein doppeltes Furchtbare einklemmt? Meine Mutter, stets heiter und froh, und andern das Gleiche gönnend,
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Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
pliziert eine Pathologisierung derjenigen Furcht vor der Furcht, die nicht Mut und Tapferkeit meint, sondern die empfundene Machtlosigkeit gegenüber einer Einbildungskraft, die, wie die Vernunft am Tag selbst erkannte, des Realitätsbezugs verlustig gegangen war : die sich fürchtete vor einer gar nicht existenten Gefahr. Man trage, so besagt des Feldpredigers Replik an den Legationsmann, auch (und vor allem) Furcht vor der Furcht vor der Furcht. Das psychologische Konzept von Furcht und Angst, wie es bei Jean Paul aufscheint, barg (und birgt) besondere Aporien. Die Mahnung, sich vor der Furcht, und das heißt: sich nicht zu fürchten, wirft die Frage auf, wie dies denn praktisch ins Werk zu setzen sei; sie produziert, so scheint es, am Ende die Furcht, vor der sie warnt. Der vorliegenden Studie nun ist es nicht um derartige Probleme selbst zu tun, sondern um die Unterschiede zu ihrer historischen Referenz: zum Gewährsmann des paradoxen Postulats und vor allem zu dem Denken, das er in vielerlei Hinsicht repräsentiert. Michel de Montaigne dient bei Jean Paul9 der Autorisierung eines Ratschlags, den er in seinen Essais so nicht formuliert. Die folgenden Kapitel suchen zu zeigen, dass Konzepte der Furcht, wie sie im »langen« Säkulum nach Montaigne zu finden sind, nicht nach den Gesetzen moderner Psychologie gefasst waren, zu deren Bestätigung und historischen Grundierung der »Essayist« seit dem späten 18. Jahrhundert gern und fälschlicherweise herangezogen wird. Die Studie versucht, die Gewalt der Furcht zu erklären, indem sie vorführt, wie diese Gewalt im 17. Jahrhundert erklärt worden ist; dabei konzentriert sie sich grundsätzlich auf die deutschsprachigen Territorien, bezieht darüber hinaus jedoch auch jene Texte englischer, französischer und niederländischer Gelehrter und Philosophen ein, die dort einflussreich gewesen sind. Warum zeigten sich so viele Verfasser und Verfasserinnen überzeugt, dass Furcht sich selbst zu bewahrheiten vermochte? Selbst im Schmelzle klingt der Gedanke noch nach, wenn Schlagfluss, Fallsucht und Tod als »Nachwehen« der Furcht vorgestellt werden. Dort allerdings verdankt sich dieser Wirkungszusammenhang einem Glauben an Gespenster, der bereits der Lächerlichkeit bloßer Einbildung preisgegeben ist. Im 17. Jahrhundert dagegen erklärte er sich aus einer Episte-
erfand eine bessere pädagogische Auskunft. Sie wusste ihren Zweck durch Belohungen zu erreichen. Es war die Zeit der Pfirschen, deren reichlichen Genuß sie uns jeden Morgen versprach, wenn wir Nachts die Furcht überwunden hätten. Es gelang, und beide Teile waren zufrieden.« Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, hg. v. Peter Sprengel, in: Sämtliche Werke. Münchner Ausgabe, hg. v. Karl Richter, Bd. 16, München 2006, S. 16 f. Anders als Begemann, Furcht und Angst, S. 254 f., suggeriert, wurde bei Johann Caspar Goethe zwar die »aufklärerische Bekämpfung der Furcht […] selbst zu einer Quelle der Furcht«, dabei entstand jedoch offensichtlich keine »Furcht vor der Furcht« (S. 255). 9 Und implizit auch bei Theodor Gottlieb von Hippel; siehe oben Anm. 7.
Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
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mologie, die mit einer umfassend beseelten Welt auch die Realexistenz von Totengeistern vorsah.10 Was Furcht bewirkte (und was sich dagegen unternehmen ließ), hing für die Zeitgenossen nicht allein davon ab, durch was sie generiert worden war, sondern auch und zunächst von ihrer Bewertung: Falscher Furcht stellten sie nicht lediglich deren Nichtexistenz, sondern vielmehr eine gute und richtige entgegen. Bevor aufklärerisches Denken die möglichen einschlägigen Affektlagen auf die An- und die Abwesenheit von Furcht zu reduzieren begann, interessierte primär das quale der Furcht und nicht allein ihr quantum. Dies gilt auch für Montaigne.11 Und so sollen hier nicht Ursachen und Folgen von Furcht untersucht werden, sondern ihre historischen Zuschreibungen. Daher werden Furcht und Angst nicht ausgezählt; sie werden nicht quantitativ vermessen, als psychischmentale Daten, sondern qualitativ : in ihren historisch-kulturellen Bedeutungsgehalten. Mit anderen Worten: Es wird nicht gefragt, ob sich die Menschen des 17. Jahrhunderts gefürchtet haben oder nicht, sondern welche Arten der Furcht sie konstatierten und welche sie sich zur Aufgabe machten. Was sagten, so fragt sich, und was taten Autoren und Autorinnen, wenn sie von Furcht sprachen, von der Furcht der anderen und, vor allem, von ihrer eigenen? Erklärungsbedürftig ist somit nicht allein, wie sich die Zeitgenossen die Entstehung und Wirkung von Furcht und Angst erklärten, sondern auch, welche Funktion ihre Beschreibung im jeweiligen Text erhielt. Die »Furcht« des Menschen wurde nicht ohne deren vielschichtige semantische Verkopplung mit 10 Den Begriff der Epistemologie und der episteme verwende ich im Sinne von Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M. 1974 [Paris 1966], jedoch ohne im Einzelnen dessen Periodisierung zu folgen. Der Term beschreibt nicht allein das geschichtliche Wissen um die Beziehungen zwischen den Dingen der Welt, sondern auch die historischen Kategorien ihrer Erkenntnis. Bereits 1935 sprach der polnische Mediziner Ludwik Fleck vom »epistemischen Ding«, historisierte damit jedoch weniger die Dispositive des Denkens selbst, als vielmehr die sozialen und institutionellen Formationen, die auch in Medizin und Naturwissenschaften die Möglichkeiten bestimmen, empirisch Fundiertes über eine Welt körperlich-materieller Dinge auszusagen: Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, hg. v. Lothar Schäfer / Thomas Schnelle, Frankfurt a.M. 1980. Zur »historischen Epistemologie« vgl. auch Lorraine Daston, Historical Epistemology, in: Questions of Evidence: Proof, Practice, and Persuasion across the Disciplines, hg. v. James Chandler / Arnold I. Davidson / Harry Harootunian, Chicago / London 1994, S. 282 – 289; dies., Einleitung: Die Biographie der Athene oder Eine Geschichte der Rationalität, in: dies., Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität, Frankfurt a.M. 2001, S. 7 – 27, hier 15 f.; Hans-Jörg Rheinberger, Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge, Marburg 1992; ders., Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007. 11 Wie auch Begemann, Furcht und Angst, S. 255, bemerkt. Dies zeigt sich schon darin, dass Montaigne nicht primär die Furchtlosigkeit der anderen fordert, sondern zunächst seine eigene Furcht beschreibt. Dies impliziert zwar einen einschlägigen Rat, aber dessen Anspruch ist nicht derselbe. Näheres zu Montaigne in Kap. 3.1 und 3.7.
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Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
der »Furcht des Herrn« verständlich; sie schien der heilsgeschichtlich brisanteste Affekt. Auch in nicht vornehmlich religiös geprägten Kontexten entfaltete sie ihre Gewalt über die Macht eines Gottes, der Ehrfurcht gebot und Furcht erregte, der Furcht sich bewahrheiten ließ bei denen, die ihn nicht liebten, und der denen, die es taten, ein »Fürchte dich nicht« zurief. Jene nun, die eigene Furcht beschrieben, stellten paradoxerweise eben damit die geforderte Gottesfurcht unter Beweis; denn sie beschrieben das, was ihre Furcht erregte, als gegenwärtig abwesend, sie erinnerten es als vergangen und überwunden mit Gottes gnädiger Hilfe. In der Furcht, das wusste, wer sie hatte erfahren müssen, geriet mit der Vernunft und der Seele auch die personale Integrität in Gefahr ; im Bericht von ihr dagegen (der von ihrer Überwindung kündete) vermochte die Person sich zu konstituieren. Auch hier sind Montaignes Selbstreflexionen ein erster eindrucksvoller Beleg. Was sie präsentieren, ist zum einen für jede der Konfessionen zu beobachten, ungeachtet gnaden- und rechtfertigungstheologischer Differenzen, und zum anderen für Personen »beiderlei Geschlechts« – ungeachtet dessen, dass Frauen in manchen Zusammenhängen zunächst eine größere Furchtsamkeit zugeschrieben wurde als Männern. Montaigne verfasste seine Essais zu Beginn eines langen 17. Jahrhunderts, das sich im Rückblick, an seinem Ende, selbst als ein »martialisches Saeculum« titulierte12 und das die Forschung bis dato ganz überwiegend als eine Zeit der »Krisen« charakterisiert, mentalitätsgeschichtlich als ein »Jahrhundert der Angst«.13 Insbesondere seit herausgearbeitet worden ist, dass religiös gedeutete Gewalt auch nach dem Westfälischen Frieden auf Dauer gestellt blieb, kreisen die einschlägigen historiographischen Debatten in erster Linie um die rechte Periodisierung: um die Frage, ob die Krisenhaftigkeit des Säkulums bereits Mitte des 12 Dies war der Beginn der Zenturienrechnung. Vgl. Markus Meumann, Von der Endzeit zum Säkulum. Zur Neuordnung von Zeithorizonten und Zukunftserwartungen ausgangs des 17. Jahrhunderts, in: Kulturelle Orientierungen um 1700, hg. v. Silvia Heudecker / Dirk Niefanger / Jörg Wesche, Tübingen 2003, S. 117 – 142; Manfred Jakubowski-Tiessen, Eine alte Welt und ein neuer Himmel. Zeitgenössische Reflexionen zur Jahrhundertwende 1700, in: Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, hg. v. dems. / Hartmut Lehmann / Johannes Schilling / Reinhart Staats, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 155), S. 165 – 186; Paul Münch, Das Jahrhundert des Zwiespalts. Deutsche Geschichte 1600 – 1700, Stuttgart / Berlin / Köln 1999, S. 22 – 25; Johannes Burkhardt, Die Zukunft kam durch den Rahmen. Wie man sich das Jahrhundert zusammenreimte und dabei doch weiße Flecken ließ, in: Das 17. Jahrhundert. Krieg und Frieden, hg. v. Michael Jeismann, München 2000, S. 9 – 15. – Für Belege für den Begriff des »martialischen« oder »eisernen Saeculums« siehe Henry Kamen, The Iron Century : Social Change in Europe 1550 – 1660, London 1971, S. XII. 13 Literaturhinweise zur Diskussion um die »Krisen des 17. Jahrhunderts« in Kap. 5.2. Vom »Jahrhundert der Angst« spricht Hartmut Lehmann, Das Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum und Kriegsnot, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1980 (Christentum und Gesellschaft 9), S. 161, siehe auch 111.
Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
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siebzehnten Jahrhunderts ihr Ende fand oder nicht erst in den ersten Dezennien des achtzehnten. Diese Diskussion wird empirisch geführt, sie zielt auf den praktischen Nachweis von Krisenhaftem und nicht auf dessen Begriff; der heuristische Wert der »Krise« wird auch dort nicht in Zweifel gezogen, wo diese nicht als materielle Gegebenheit, sondern als analytische Metapher gefasst wird. Die Debatte über jenen Zeitraum, den Heinz Kittsteiner als »Stabilisierungsmoderne« bezeichnet hat,14 perspektiviert ihn auf eine nachfolgende Aufklärung hin, die den tradierten medizinischen Begriff der jq¸sir für die Beschreibung von Gesellschaft zu adaptieren begann15 und die ihre Legitimation aus der proklamierten Überwindung einer gleichermaßen religiösen wie kriegerischen Zeit bezog: aus der Überführung von Furcht in Furchtlosigkeit. Für das Theorem der »Krisen des 17. Jahrhunderts« liefert die vorliegende Studie kein weiteres Belegmaterial. Sie fokussiert das »eiserne Saeculum«, nicht weil Furcht und Angst hier besonders verbreitet gewesen wären, sondern weil sie in spezifischer Weise problematisiert worden sind. Das lange siebzehnte war in der Tat ein »Jahrhundert der Angst«, und zwar deswegen, weil Furcht und Angst eine wesentliche Grundlage seiner historisch-kulturellen Selbstbeschreibungen darstellten. Furcht schien zentral in dieser Zeit, so die These, als Problem und nicht als Phänomen.16 Die Frage, auf welche mentalen Ereignisse ihre Problematisierung verweisen mag, verbietet sich dem, der darauf zu verzichten sucht, eigene Konzepte, Befindlichkeiten und Erfahrungen auf Kontexte zu übertragen, die sich unter anderen epistemologischen Voraussetzungen formierten, und der davon ausgeht, dass wir nicht hinter den Text und seine Strukturen sehen können. Gewalt und Furcht im 17. Jahrhundert sind jede für sich vielfältig untersucht, doch wurden sie bislang nicht systematisch miteinander in Verbindung gebracht. Es wurde nicht gefragt nach der Gewaltsamkeit der Furcht vor Gewalt, nach einer Gewalt, die noch nicht als eine »psychische« aufgefasst wurde, sondern ihre Macht und Wirksamkeit ganz körperlich entfaltete. Und in diesem Zusammenhang wurde auch nicht gefragt, zu welchem Zweck sie jeweils zur Darstellung kam. An diesem Punkt verspricht die Textform der personalen Selbstbeschreibung weiterführende Erkenntnisse. In den Kategorien des »Krisen«-Paradigmas manifestiert sich in den autobiographisch berichteten Leiden 14 Heinz Dieter Kittsteiner, Die Stabilisierungsmoderne. Deutschland und Europa 1618 – 1715, München 2010, zu Furcht und Angst S. 137 – 155. 15 Vgl. John Bennett Shank, Crisis: A Useful Category of Post-Social Scientific Historical Analysis?, in: The American Historical Review 113 (2008), S. 1090 – 1099, hier 1090 – 1093. 16 Zur Geschichte problemgeschichtlicher Ansätze vgl.: Das Problem der Problemgeschichte, 1880 – 1932. Mit Beiträgen von Michael Hänel, Johannes Heinßen, Reinhard Laube und Otto Gerhard Oexle, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Göttingen 2001 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 12).
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von eigener Furcht eine noch eingeschränkte vormoderne Subjektivität und die mangelnde Emanzipation eines furchterfüllten Ichs, das erst langfristig seiner historischen Rettung entgegen sah. Gegen die Aprioris einer derartigen Lesart soll hier gefragt werden: Welche Relevanz hatte das Schreiben über die Furcht und ihre Gewalt für Prozesse der Selbstkonstituierung? Die hier aufscheinenden Formen der Selbstreferenz stellten keine defizitäre Schwundstufe moderner Subjektivität dar, die sich von ihrer vermeintlichen späteren Vervollkommnung lediglich quantitativ unterschied; die Differenzen sind vielmehr qualitativer Natur. In der Autobiographik des »eisernen Saeculums« begegnet nicht weniger »Ich« als im SiÀcle des lumiÀres, sondern ein anderer Modus, von sich selbst zu sprechen. Um dies zu zeigen, ist auch der Begriff der Gewalt zu historisieren: ihre Legitimierung und Illegitimierung und was warum als gewaltsam erschien. In all dem kommt »Religion« und »Glauben« eine herausragende Bedeutung zu;17 das Problem der Gewaltsamkeit der Furcht war nicht zu verstehen ohne die Möglichkeit göttlichen Gewalthandelns im Zeichen der Apokalypse. Seit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts konnten Furcht und Religion in einem kausallogischen Sinne miteinander in Verbindung gebracht werden, insbesondere mit Blick auf die europäische Vormoderne und auf »fremde«, außereuropäische Kulturen. Die Geschichte dieses Unternehmens hat nicht nur in der Historiographie, sondern auch in Ethnologie und Anthropologie nachhaltigen Niederschlag gefunden. Ihr wird zunächst das Augenmerk gelten, verbunden mit einem Resümee der einschlägigen Forschung und methodologischen Vorüberlegungen für eine historisch-kulturelle Semantik der »Furcht« und der »Angst«. Der darauf folgende Abschnitt wendet sich dem Begriff der Gottesfurcht zu, wie er in der Theologie ausformuliert worden ist und seine Anwendung in unterschiedlichen Herrschaftsbeziehungen gefunden hat: im Verhältnis des Untertanen zur weltlichen Obrigkeit etwa oder des Soldaten zu seinen Befehlshabern, in der politischen und militärischen Theorie. Dieser Begriff impliziert die Norm der Furcht vor himmlischen und irdischen Herrschern ebenso wie die Forderung der Furchtlosigkeit gegenüber ihren Feinden. Er stellt dem unchristlichen Soldaten den christlichen entgegen, dem ungerechten Herrscher den gerechten, der Furcht der Ungerechten vor ihrem Gegner und dem eigenen Gewissen die Furcht der Gerechten vor Gott, und das heißt auch: der Gewalt der Furcht die Macht der Furchtlosigkeit. 17 Zu den Begriffen vgl. Jens Ivo Engels / Hillard von Thiessen, Glauben. Begriffliche Annäherungen anhand von Beispielen aus der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 28 (2001), S. 333 – 357; Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500 – 1800, Göttingen 2000, S. 9 – 41; aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive: Monika Mommertz / Claudia Opitz-Belakhal, »Religiöse Kulturen« und »Geschlecht«. Einige konzeptionelle Überlegungen, in: Das Geschlecht des Glaubens. Religiöse Kulturen zwischen Mittelalter und Moderne, hg. v. dens., Frankfurt a.M. / New York 2008, S. 7 – 46, hier 24 – 33.
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Kapitel 4 und 5 nehmen Gegenstände der Furcht in den Blick: die maßgeblichen Akte göttlicher Gewalt, die schmerzhaftesten »Geißeln Gottes«, wie sie vielen kündeten vom Ende der Zeit. Dies sind vor allem Blitz und Donner, die bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht allein ihre alltägliche Lebensbedrohlichkeit behielten, sondern auch noch immer auf die Furcht vor ihnen zurückgeführt werden konnten; und dies sind Seuchen und Epidemien wie die »Pest«. Unter diesen wiederum sticht die »Ungarische Krankheit« hervor (das heutige »Fleckfieber«), insofern sie sich nicht allein aus der Furcht vor der Krankheit selbst erklären ließ (wie die Pest auch), sondern zudem aus der Furcht vor soldatischer Gewalt. Nach Exkursen über Melancholie, unter deren Stichwort die Macht der Furcht bisher zumeist abgehandelt (und pathologisiert) worden ist, sowie über die zentrale Stellung der Furcht in Theorie und Praxis der Folter steht im Weiteren eben diese kriegerische Gewalt im Mittelpunkt des Interesses. Hier wird argumentiert, dass die Beschreibungen von Furcht und Angst im Dreißigjährigen Krieg nicht auf eine krisenhafte Erschütterung des tradierten Geschichtsbewusstseins schließen lassen, sondern ein fundiertes Vertrauen in eine gerechte göttliche Vorsehung präsentieren. Dieser Befund erhält Unterstützung durch die eschatologischen und heilsgeschichtlichen Deutungsmuster, wie sie noch die Furchtbeschreibungen aus den späten Kriegen des Jahrhunderts bestimmen, vornehmlich aus den militärischen Konflikten mit dem nicht-christlichen »Antichrist«, den »Türken«, deren Darstellungen im Kern denselben Perzeptionsmodi gehorchen wie die Schilderungen der interkonfessionellen, innerchristlichen Auseinandersetzung. Die »Türkenfurcht«, deren Traditionsbeginn in der Mitte des 15. Jahrhunderts datiert, fand ihren Niederschlag nicht zuletzt im Krankheitsbild eines »Ungarischen Fiebers«, das noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen besonderen Ursprung zu haben schien in der Furcht vor dem »Erbfeind christlichen Namens«. Die vorliegende Studie spürt die Wertaussagen und Ordnungskonzepte, wie die Rede über Furcht und Angst sie transportiert, in personalen Selbstbeschreibungen ebenso auf wie in den gelehrten Debatten. Sie begreift somit auch autobiographische Texte als Texte; sie zieht sie nicht heran, um »Diskurse« mit »Erfahrungen« zu konfrontieren oder Normen mit einer »Praxis«, sondern vielmehr, um Prozesse der Selbstkonstituierung herauszuarbeiten. Vor diesem Hintergrund werden auch literarische Manifestationen der Furchtsemantik zur gleichberechtigten historischen Quelle. Eingeschlossen sind dabei nicht allein Literarisierungen der Angst des Ungerechten vor seinem Gewissen und der Furcht der Gerechten vor kriegerischer Gewalt (bei Grimmelshausen, Moscherosch, Speer, Gryphius und Opitz: Kapitel 3.6 und 5.4), sondern auch die literarische Verarbeitung eines anderen Imaginationsmodus: der Schrecken der Träume. Ihnen ist das abschließende Kapitel gewidmet. Die Macht einer mit Furcht affizierten (und für die Furcht konstitutiven) Einbildungskraft erfuhr in
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Zur Einführung: Die Furcht vor Gewalt und die Gewalt der Furcht
den Bildern der Nacht noch ihre Steigerung: im divinatorischen, potentiell zukunftsweisenden Traum. Davon künden nicht nur literarische Träume und oneirokritische Traktate, sondern vornehmlich nicht zur Veröffentlichung bestimmte Erzählungen vom eigenen Leben. In der Erinnerung an die Schrecken, die vergangene Träume verhießen, und in der Beschreibung ihrer (Nicht-)Erfüllung erwies sich, wer »ich« sagte, als furchtlose Person. Wer sich mit der Rede von Furcht und Angst beschäftigt, muss feststellen: Sie war (und ist) überall und nirgends zugleich. Scheitern muss daher, wer ihre Geschichte erschöpfend zu schreiben unternimmt; ihm entgleitet sein Gegenstand im Bemühen, ihn zu fassen. Angesichts dessen wählt die vorliegende Studie einen anderen Weg. Sie präpariert einen signifikanten und grundlegenden Problemkomplex heraus: die Funktionen des Schreibens über die Gewalt einer furchterfüllten imaginatio, die kaum jemand für »bloße Einbildung« hielt. Die Arbeit analysiert Furcht dort – und nur dort –, wo sie thematisch und problematisch wurde. Dies bringt auch jenseits der gedruckten Debatten eine sozialgeschichtliche Fokussierung auf geistlich und weltlich gebildete Autoren und Autorinnen mit sich: auf den »Universalgelehrten« und den Arzt über den Pfarrer, die Nonne und den Mönch bis hin zum lesenden und schreibenden Handwerker. Insbesondere (aber bei weitem nicht allein) der jesuitische Polyhistor Athanasius Kircher, der calvinistische Kannengießer Augustin Güntzer, der lutherische Pfarrer Johannes Braun und der Heiligenkreuzer Sängerpräfekt Balthasar Kleinschroth werden dabei immer wieder zu Wort kommen, denn in ihren Viten und Tagebüchern fällt die Problematisierung von Furcht und Angst ausführlicher, facettenreicher und komplexer aus als in all den anderen einschlägigen autobiographischen Texten, die überliefert worden sind und im Folgenden analysiert werden.18 Ihr Schreiben ist in einem qualitativen Sinne repräsentativ, nicht in einem quantitativen: nicht für eine soziale Schicht, sondern für Logiken eines Denkens, wie es unter den Belesenen verbreitet war und das keineswegs nur unter Theologen und Frommen eine religiöse Grundierung aufwies. Es wirft Licht auf kulturelle Selbstbeschreibungsmuster und ihre normativen Implikationen in einer Zeit, die uns, wenn wir genauer hinsehen, in vielfältiger Hinsicht unbekannt geworden ist und die wir uns nicht dadurch vertrauter machen, dass wir sie als Ursprungskrise der Moderne entwerfen, um stets von Neuem ihre historische Überwindung feiern zu können. 18 Nur vereinzelt werden autobiographisch verfasste Personalteile von Leichenpredigten herangezogen. Eine systematische Auswertung dieser Textgattung kann im Rahmen der vorliegenden Studie nicht geleistet werden. Sie ließe zudem, wie exemplarische Analysen vermuten lassen, einen signifikanten Erkenntnisgewinn nicht erwarten. Zur Gattung vgl. Rudolf Lenz, Zur Funktion des Lebenslaufes in Leichenpredigten, in: Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie, Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge, hg. v. Walter Sparn, Gütersloh 1990, S. 93 – 104.
2. Die Furcht der Frühen Neuzeit. Paradigmen und problemgeschichtliche Hintergründe einer Kontroverse
Furcht und Angst haben wieder Konjunktur – die Furcht vor »fremden« Kulturen: vor Terror und Krieg, die Furcht vor Seuchen, Armut, Hunger und immer un-»natürlicheren« Katastrophen, die Furcht vor der Zukunft und dem Ende der Zeit. Diese Furcht ist in der Regel auch eine Furcht im Horizont von Religion: die Furcht vor neuen, radikalisierten Formen der Religiosität und eine Furcht, der sich diese, so scheint es, zu verdanken haben: die Furchtsamkeit einer verunsicherten (Post-)Moderne, die sich Religionen schafft, die ihre Furcht bewältigen sollen – und am Ende doch nur verstärken. Wie auch immer das Verhältnis von (christlicher) Religion und Furcht in der (westlichen) Moderne im Einzelnen zu bestimmen ist: Offenbar ist aus ihr weder die Religion noch die Furcht verschwunden. Die einschlägige Literatur zu jedem der beiden Aspekte entwickelt eine zunehmende Unübersichtlichkeit und ist in einer Studie zum 17. Jahrhundert nicht im Detail zu diskutieren. Unter dem Eindruck ihrer Lektüre ist jedoch eines zu konstatieren: Steht das Verhältnis von frühneuzeitlicher und moderner Furcht zur Debatte, so sind nicht lediglich Gewichtsanteile zu verhandeln. Es ist nicht nur zu fragen, ob der von der Aufklärung proklamierten Überwindung vormoderner Furcht kein Erfolg beschieden war oder aber die Moderne ein neues, ganz eigenes Furchtpotential entwickelt hat: ob sie als »age of anxiety« bezeichnet werden kann. Es fragt sich vor allem, ob es die Furcht der Frühen Neuzeit so, wie sie die Aufklärung des 18. Jahrhunderts zu vertreiben beanspruchte, überhaupt gegeben hat. Diese Frage quantifiziert nicht, sie qualifiziert. Sie weiß um die historische Diskussion über den Zusammenhang von Religion und Furcht (bzw. Angst), die als systematischkritische seit der Aufklärung geführt wird und bis heute auch für das historiographische Bild von der Frühen Neuzeit grundlegend geblieben ist. Zu schreiben ist eine Geschichte frühneuzeitlicher Furcht, die die historischen Spuren und Traditionen ihrer aufklärerischen Beobachtung mitreflektiert. Die Geschichtsschreibung zur Furcht hat eine Geschichte, die auch auf die Furcht derer verweist, die sie betreiben. In der Thematisierung vergangener Furcht wird immer wieder verhandelt, was wir wollen und sollen und was nicht.
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Die Furcht der Frühen Neuzeit
Das vorliegende Kapitel unternimmt den Versuch, die Forschungsdiskussion zur Geschichte der Furcht in der Frühen Neuzeit zu sichten und historisch zu verorten – im Blick auf die Selbst-, Fremd- und Geschichtsbilder, in denen sie sich konstituiert1. Dabei werden die Forschungsparadigmen herausgearbeitet, denen diese Diskussion explizit oder implizit folgt: die Paradigmen der Mentalitäts-, Emotions-, Psycho- und Diskurshistorie. Sämtliche in diesem Feld formulierten Positionen setzen sich, sei es affirmativ oder kritisch, mit den Studien Jean Delumeaus auseinander, der die Frühe Neuzeit als eine furchterfüllte Epoche charakterisiert hat (Abschnitt 1). Dabei stehen sie in der Tradition eines aufklärerischen Denkens, das – von den Religionsphilosophien David Humes und Ludwig Feuerbachs bis hin zur Psychoanalyse und Kulturtheorie Sigmund Freuds – Furcht und Religion in ein konstitutives Wechselverhältnis setzt (Abschnitt 2). Diese Positionen basieren auf einer spezifisch modernen, einer psychologischen episteme, die die Frage- und Erkenntnismöglichkeiten auf die Existenz und die Bewältigung von Furcht reduziert (Abschnitt 3). Aufzubrechen ist diese Beschränkung mit einer historisch-kulturellen Semantik, die frühneuzeitliche Furcht und Furchtlosigkeit nicht als Stationen in einem diachronen historischen Prozess begreift, sondern als synchrone sprachliche Einheit mit einer gesellschaftlichen Selbstbeschreibungsfunktion (Abschnitt 4). Vor diesem Hintergrund wird die begriffliche Unterscheidung von gegenstandsbezogener »Furcht« und existentieller »Angst«, wie sie seit dem 19. Jahrhundert die Debatten bestimmt, nicht übernommen, sondern ihrerseits historisiert. Es wird nicht in dieser Weise unterschieden, sondern gefragt, wie jeweils unterschieden worden ist. Bei aller Kontroverse konstituiert sich die Forschung zur Geschichte der Furcht in der Frühen Neuzeit bisher, in der einen oder anderen Form, in den Paradigmen jener Aufklärung, die diese Furcht bewältigt zu haben proklamierte – und dabei, in den Augen der Dialektiker, in Angst transformiert hat. Indem sie hinter historischen Formen und Repräsentationen von Furcht ein anthropologisches Substrat vermutet: indem sie nach Furchtgefühlen fragt und nicht danach, was als »Furcht« und »Angst« beschrieben wurde, verhindert sie eine weitergehende Historisierung nicht allein ihres Gegenstandes, sondern auch derjenigen kulturellen Kontexte, auf die er verweist. In einer Zeit, in der therapeutischem Bemühen um eine Reduzierung von Angst ein zunehmendes politisches Interesse an deren Steigerung an die Seite getreten ist, bedarf es, so scheint es, mehr denn je einer distanzierten
1 Für einen einschlägigen Forschungsüberblick aus emotionshistorischer Perspektive und mit Fokussierung auf die Moderne siehe Bettina Hitzer, Emotionsgeschichte – ein Anfang mit Folgen, in: H-Soz-u-Kult 23. 11. 2011, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/ 2011 – 11 – 001 [30. 11. 2012], S. 16 – 31.
Die historische Forschung: Delumeau und die Folgen
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Analyse der historisch-kulturellen Bedeutungen von Furcht und der Funktionen ihrer Beschreibung.
2.1. Die historische Forschung: Delumeau und die Folgen Vor über dreißig Jahren, angeregt durch Lucien Febvre,2 publizierte Jean Delumeau La peur en Occident3 – ein Klassiker der Erforschung frühneuzeitlicher Ängste und eines der Manifeste einer histoire des mentalit¦s, die sich für innere Zustände des Menschen in der Geschichte interessiert. Delumeau sucht das »Schweigen über die Angst«4 zu brechen, mit dem »eine allzu grob vereinfachende Tradition […] über lange Zeit hinweg nur die Erfolge der Renaissance im Gedächtnis behalten«5 hatte. Dabei zeichnet er ein Panorama »aufsteigende[r] Angst im Abendland an der Schwelle zur Neuzeit«.6 Da begegnen wir der Angst vor Dunkelheit und Gespenstern, der Angst vor Pest und Hunger, der Angst vor der Auflösung sozialer Ordnung und der eschatologischen Angst vor dem Untergang der Welt. Die endzeitliche Erwartung Gottes wird gekoppelt an die Angst vor dessen Gegenspielern: vor dem Teufel und seinen Agenten: dem »muselmanischen« Antichrist, den Juden, den die Christenheit spaltenden »Ketzern« und »der Frau«, die insbesondere als Hexe ihre Mitwelt in Schrecken versetzt habe. Der Mensch in der Frühen Neuzeit, so der Befund, bewohnte ein »Land der Angst«, »in dessen Innern eine Kultur sich ›unbehaglich‹ fühlte und das sie mit krankhaften Phantasiegebilden bevölkerte hatte«.7 Delumeaus Bruch des Schweigens nun, das zeigt sich nicht nur in seiner Referenz auf Freuds Unbehagen in der Kultur,8 ist kein Lob der Angst, sondern 2 Lucien Febvre, Sensibilität und Geschichte. Zugänge zum Gefühlsleben früherer Epochen [1941], in: Marc Bloch / Fernand Braudel / Lucien Febvre u. a., Schrift und Materie der Geschichte. Vorschläge zur systematischen Aneignung historischer Prozesse, hg. v. Claudia Honegger, Frankfurt a.M. 1977, S. 313 – 334. Siehe auch unten Anm. 12. 3 Jean Delumeau, La peur en Occident (XIVe – XVIIIe siÀcles). Une cit¦ assi¦g¦e, Paris 1978, im Folgenden zit. nach der dt. Ausgabe: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Reinbek b. Hamburg 1985. 4 Delumeau, Angst, S. 11; vgl. auch 15. 5 Ders., Angst, S. 37. 6 Ders., Angst, S. 18. 7 Ders., Angst, S. 39. In dieselbe Richtung, obgleich ohne Verweis auf Delumeau, zielt Franz Irsigler, Aspekte von Angst und Massenhysterie im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Angst – ein individuelles und soziales Phänomen, hg. v. Günther Birtsch / Meinhard Schröder, Trier 1991 (Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier 21), S. 37 – 45. Zur Furcht vor der Hölle vgl. auch Piero Camporesi, The Fear of Hell: Images of Damnation and Salvation in Early Modern Europe, Cambridge 1990 [Mailand 1987]. 8 Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur [1929/30], in: Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion (Studienausgabe 9), Frankfurt a.M. 71994, S. 191 – 270.
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therapeutisch motiviert. Und so lässt der Autor seine Rede aufklärerisch enden: mit einem Ausblick auf die historische Überwindung der Angst, auf die Gesundung der westlichen Kultur seit der Mitte des 17. Jahrhunderts.9 In der Kritik der Vorstellungskraft, wie sie insbesondere mit Montaigne und Malebranche eingeleitet worden sei, habe sich die herrschende Kultur »entspannt«. Das Licht der (französischen) Aufklärung degradierte das düster Befürchtete zu bloßer Einbildung; es habe die pathologischen Visionen vertrieben, und so scheint es Delumeau »nicht verwunderlich, daß die Furcht vor dem Jüngsten Gericht und den Türken, daß die Hexenprozesse, die Religionskriege und die Judenfeindlichkeit zur gleichen Zeit, nämlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, ihre Kraft einbüßten: Die Diagnose war zum Teil falsch und die Angst größer als die Bedrohung gewesen. Der Angriff des Feindes von allen Seiten, der das Ende der Welt ankündigen sollte, hatte gar nicht stattgefunden, und niemand konnte mehr sagen, wann es dazu kommen würde. Eine Christenheit, die sich belagert geglaubt hatte, legte die Waffen aus der Hand.«10
Delumeau muss feststellen, dass der Renaissance lange zu Unrecht ein Mut zuerkannt worden war, den sie nicht besaß; und er konstatiert, dass (erst) das cartesische Vertrauen auf die Macht der Vernunft die Fähigkeit besaß, diese Mutlosigkeit zu überwinden.11 Delumeau malt ein traditionsreiches, modernisierungstheoretisch grundiertes Bild von der Vormoderne als angstbesetzter und krisenhafter Zeit aus, das in der Kulturgeschichtsschreibung der Jahrhundertwende entworfen wurde12 und in der Mentalitätsgeschichte bis heute verbreitet ist.13 9 Delumeau, Angst, S. 28 f. 10 Ders., Angst, S. 606 f. 11 Demselben Zyklenmodell folgend, diagnostiziert William Bouwsma ein erhöhtes Angstpotential für das 14. Jahrhundert und führt es auf das Zerbrechen des mittelalterlichen Kosmos zurück. Gleichzeitig habe das dadurch entstandene aufklärerische Moment, ein weltanschaulicher Relativismus, eine eigene Möglichkeit der Bewältigung und Reduzierung von Angst geboten: William J. Bouwsma, Anxiety and the Formation of Early Modern Culture, in: After the Reformation. Essays in Honour of J.H. Hexter, hg. v. Barbara C. Malament, Manchester 1980, S. 215 – 246. Bouwsma vertritt ein Modell von historischem Fortschritt und implizierter Individualisierung, in dem das Neue, das Aufbrechen tradierter Ordnungen, alte Angst bewältigt und zugleich neue Angst schafft. Sowohl Ordnung als auch deren Verlust, so scheint es hier, befreien aus und versetzen in Angst. 12 V.a. von Lucien Febvre, Das Problem des Unglaubens im 16. Jahrhundert. Die Religion des Rabelais. Mit einem Nachwort v. Kurt Flasch, Stuttgart 2002 [Paris 1942], S. 356 ff., und Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, hg. v. Kurt Köster, Stuttgart 11 1975 [Leiden 1924/1941], insbes. S. 24, 29, 33 ff., 195 – 210, 233 f., 246. Zu Aby Warburg und Max Weber vgl. Jakob Tanner, Unfassbare Gefühle. Emotionen in der Geschichtswissenschaft vom Fin de SiÀcle bis in die Zwischenkriegszeit, in: Rationalisierungen des Gefühls. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Emotionen 1880 – 1930, hg. v. Uffa Jensen / Daniel Morat, München 2008, S. 35 – 59, hier 47 – 50.
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Doch der aufklärerische Impetus, die autotherapeutische Selbstbeobachtung zur Überwindung persönlicher, von der christlichen Religion geschürter Ängste, schärft Delumeau auch das Bewusstsein, dass es mit der Kritik der Einbildungskraft nicht getan ist. Zwar haben so manche Gegenstände in der modernen Welt ihren Schrecken verloren, doch bezahlen wir – laut Delumeau – die kulturelle Läuterung und Entwöhnung mit einer neuen Empfänglichkeit für die Angst.14 Ganz im Geist der Dialektik der Aufklärung ist es dann, wenn Delumeau einräumt, dass die Fortschritte in der Entwicklung der Kultur nur »um den Preis neuer Verbrechen« zu haben waren.15 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ließ Delumeau wenige Jahre später einen zweiten Teil seiner Studien zu Angst in der Frühen Neuzeit folgen: Le p¦ch¦ et la peur.16 Hier wird nicht die Schattenseite einer instrumentell-vernünftigen Kontrolle der Natur entlarvt, sondern die Entstehung einer modernen Schuldkultur skizziert, wie sie sich 13 Grundsätzlich in den Kategorien Delumeaus, ungeachtet von Differenzen im Detail: Karl Vocelka, Ängste und Hoffnungen. Neuzeit, in: Europäische Mentalitätsgeschichte. Hauptthemen in Einzeldarstellungen, hg. v. Peter Dinzelbacher, Stuttgart 1993, S. 295 – 301, hier 295 – 298; mit Betonung der religiösen Ängste: Peter Dinzelbacher, Ängste und Hoffnungen. Mittelalter, in: Europäische Mentalitätsgeschichte, hg. v. dems., S. 285 – 294; ders., Angst im Mittelalter. Teufels-, Todes- und Gotteserfahrung: Mentalitätsgeschichte und Ikonographie, Paderborn / München / Wien / Zürich 1996, für die Frühe Neuzeit Kap. II.3; ders., Art. »Angst/Schrecken«, in: Metzler Lexikon Religion, hg. v. Christoph Auffarth / Jutta Bernard / Hubert Mohr, Stuttgart 1999, S. 58 – 61. In diesem Rahmen sind Furcht und Angst dann vielfach zur Erklärung historischer Prozesse herangezogen worden. Sie erklären religiös-konfessionelle Gewalt bei Denis Crouzet, Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion, vers 1525 – vers 1610, 2 Bde., Paris 1990 (dt. Kurzfassung: Die Gewalt zur Zeit der Religionskriege im Frankreich des 16. Jahrhunderts, in: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit, hg. v. Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke, Frankfurt a.M. 1995, S. 78 – 105); vgl. auch ders., Circa 1533: Anxieties, Desires, and Dreams, in: Journal of Early Modern History 5 (2001), S. 24 – 61. Sie erklären die Hexenverfolgungen bei Wolfgang Behringer, Weather, Hunger and Fear: The Origins of the European Witch Persecution in Climate, Society and Mentality, in: German History 13 (1995), S. 1 – 27, und auch bei Hartmut Lehmann, ›Not, Angst und Pein‹: Zum Begriff der Angst in protestantischen Kirchenliedern des späten 16. und des frühen 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117 (2006), S. 297 – 310, hier 308 f., wiederabgedruckt in ders., Transformationen der Religion in der Neuzeit. Beispiele aus der Geschichte des Protestantismus, Göttingen 2007 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 230), S. 85 – 99. Und sie erklären revolutionäre Gewalt bei Georges Lefebvre, La Grande Peur de 1789, Paris 1932, bis heute unhinterfragt rezipiert in der Revolutionshistoriographie, und dies nicht allein für Frankreich: Michael Zeuske / Clarence J. Munford, Die »Große Furcht« in der Karibik. Saint-Domingue und Kuba 1789 – 1795, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 39 (1991), S. 41 – 60. 14 Delumeau, Angst, S. 19. 15 Ders., Angst, S. 42. Vgl. Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 152004 [1969, Amsterdam 1947], zu Furcht und Angst insbes. S. 9, 21 f., 35. 16 Jean Delumeau, Le p¦ch¦ et la peur. La culpabilisation en Occident. XIIIe – XVIIIe siÀcles, Paris 1983.
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analog zum Verlust äußerer Schreckensgegenstände in der Welt zu entwickeln schien. So entsteht am Ende nicht das Bild einer Überwindung, sondern einer Verinnerlichung des Furchterregenden: Die Angst des Menschen vor seiner Welt wird abgelöst durch seine Angst vor sich selbst: vor dem eigenen Gewissen. Der Prozess des kulturellen Fortschritts erhält somit das Gesicht des Januskopfes: Die Aufklärung (im weitesten Sinne) bringt die Furcht nicht zum Verschwinden, sondern verlagert sie von außen nach innen. Sie macht sie zur »Angst«. An dieser Stelle wird die begriffliche Trennung zwischen »Furcht« und »Angst« virulent, wie sie systematisch seit dem 19. Jahrhundert vorgenommen worden ist und immer wieder vorgenommen wird. Das entscheidende geistesgeschichtliche Datum ist Søren Kierkegaards Schrift Der Begriff der Angst, in der die gegenstandsbezogene Furcht von der objektlosen Angst abgespalten wird. Im Gegensatz zur Furcht entsteht Kierkegaards Angst im Bewusstsein von der eigenen Freiheit als Möglichkeit und Können. Insofern der Theologe sie damit als die Möglichkeitsbedingung von Sünde vorstellt, ist sie zugleich der Ort einer (aus Angst) befreienden Gotteserfahrung.17 Sigmund Freud hat diese Unterscheidung von Furcht und Angst psychoanalytisch aufgegriffen: Kierkegaards diffuse Angst angesichts der Möglichkeit der Gottesferne wird bei ihm zu einer psychologisch verstandenen Angst vor dem Über-Ich. Sie wird zum Schuldgefühl – und damit zur Grundlage von Kultur.18 Nicht nur Delumeaus Studien zur Frühen Neuzeit zeigen, dass die von der psychoanalytischen Kulturtheorie inspirierte Geschichtswissenschaft die Trennung von Furcht und Angst nicht allein als eine begriffliche, sondern auch als eine historische fasst: Mit dem anthropologisch gegebenen Unterschied zwischen Furcht und Angst konstatiert sie eine zivilisationsgeschichtliche Entwicklung von ersterer zu letzterer.19 Kommt dies bei Norbert Elias noch als 17 Søren Kierkegaard, Der Begriff der Angst [1844], in: ders., Die Krankheit zum Tode. Furcht und Zittern. Die Wiederholung. Der Begriff der Angst, unter Mitwirkung v. Niels Thulstrup und der Kopenhagener Kierkegaard-Gesellschaft hg. v. Hermann Diem / Walter Rest, München 2005 [1976], S. 441 – 640; auch ders., Furcht und Zittern [1843], in: ders., Die Krankheit zum Tode, S. 179 – 326, insbes. 264 f. Vgl. dazu Traugott Koch, Die Angst und das Gottesverhältnis, in: Angst, hg. v. Birtsch / Schröder, S. 11 – 16. 18 Freud, Unbehagen. 19 Die Begriffstrennung bei Delumeau, Angst, S. 29. Zum zivilisationsgeschichtlichen Paradigma: Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Frankfurt a.M. 181993, Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes, S. 181 f., 269, 277; Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, S. 317, 398 f., 406 ff., rezipiert von Dinzelbacher, Angst im Mittelalter, S. 94, der, in Anlehnung an Elias, die Anfänge dieser Entwicklung ins Hoch- und Spätmittelalter vordatiert, sowie von Angelika Lehmann, Angst, Gefahr und Angstbewältigung, in: An den Grenzen höfischer Kultur. Anfechtungen der Lebensordnung in der deutschen Erzähldichtung des hohen Mittelalters, hg. v. Gert Kaiser, München 1991 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 12),
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Ausweis erfolgreicher Selbst- und Affektkontrolle daher, so zeigen sich der Ideologiekritik an dieser Stelle die Grenzen des aufklärerischen Anspruchs, sich in der Überwindung der vermeintlich furchtsamen Tradition zu konstituieren. Im Anschluss an Horkheimer und Adorno haben insbesondere Christian Begemann20 sowie Hartmut und Gernot Böhme21 die Furcht der Aufklärer vor ihrem »Anderen« betont, in der sie nicht lediglich ein Relikt unvollkommen bewältigter vormoderner Furcht sehen, sondern ein Produkt der aufklärerischen Vernunft selbst. Was hier Furcht erregt, hat seinen Ort nicht mehr in Kosmos und Natur, sondern im Ich: in einem Gewissen, das sich nicht allein der Grenzen moralischer Selbstkontrolle bewusst wird, sondern auch zu ahnen beginnt, dass es das, was es zu kontrollieren sucht, in seinem Kontrollversuch erst schafft.22 Implizit folgen Delumeau und die Dialektiker der Aufklärung somit ein und demselben Paradigma, und das heißt: Die Kritik an der Aufklärung im Verweis auf die ihr innewohnende Angst und die Rückprojektion eines aus der modernen Opposition zur Angst geborenen Furchtbegriffs in die Zeit vor der Aufklärung gehen miteinander einher. Kierkegaards begriffliche Trennung von Furcht und Angst ist jedoch nicht allein von der Freud’schen Psychoanalyse aufgenommen worden, sondern etwa auch in der Existentialphilosophie Martin Heideggers, dort mit einer Akzentuierung der geschichtsphilosophischen Implikationen und einer damit verbundenen stärkeren Betonung der Angst gegenüber der Furcht.23 Ist Angst, in ihrer Verknüpfung mit Geschichte, bei Kierkegaard noch wesentlich religiös konnotiert, so fasst sie Heidegger als die existentielle Seinsbefindlichkeit des (modernen) Menschen in einer aus religiösen Bezügen gelösten Historizität: als eine »Angst in der Geschichte«, die »die Angst vor der nicht machbaren Ge-
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S. 211 – 236, hier 234. Kritisch zum Paradigma ist Barbara H. Rosenwein, Worrying about Emotions in History, in: American Historical Review 107 (2002), S. 821 – 845, hier 826 ff., insbes. 832 f. Begemann, Furcht und Angst, insbes. S. 3: »Die Aufklärung, die den Menschen von der Furcht befreien will, mündet in die Evokation neuer Angst.« Und S. 313: »Die Aufklärung, zu deren Absichten es gehörte, die Menschen von der Furcht zu befreien, hat die Angst geschaffen.« Hartmut Böhme / Gernot Böhme, Das Andere der Vernunft. Zur Entstehung von Rationalitätsstrukturen am Beispiel Kants, Frankfurt a.M. 21992. Für eine Geschichte des Gewissens in einer psychoanalytisch inspirierten Dialektik von Kritik der historischen Aufklärung und emphatischer Forderung einer neuen vgl. auch Heinz Dieter Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Frankfurt a.M. / Leipzig 1991; ders., Von der Gnade zur Tugend, in: ders., Gewissen und Geschichte. Studien zur Entstehung des moralischen Bewusstseins, Heidelberg 1990, S. 171 – 201, hier 197 f. – Elias und die Gebrüder Böhme werden zusammengebracht von Wolf Lepenies, Angst und Wissenschaft, in: ders., Gefährliche Wahlverwandtschaften. Essays zur Wissenschaftsgeschichte, Stuttgart 1989, S. 39 – 60. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 171993 [1927], § 40, S. 184 ff.
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schichte« meint,24 die Erfahrung ihrer Unverfügbarkeit und das Bewusstsein historischer Kontingenz, das nach dem Scheitern geschichtsphilosophischer Bewältigungsversuche am Ende des 19. Jahrhunderts einen transzendental obdachlosen Menschen zurückgelassen habe.25 Unausgesprochen hat dieses Paradigma, das von Jean-Paul Sartre weiter ausgeschrieben worden ist,26 auch in die Historiographie Eingang gefunden. Zu nennen sind etwa die alltagsgeschichtlichen Studien Arthur Imhofs, auch wenn dieser zunächst mentalitätsund psychohistorisch argumentiert: Die Furcht der Frühen Neuzeit, insbesondere die vor Schwarzem Tod und dreißig Jahre währendem Krieg, habe nicht nur in der longue dur¦e »Traumatisierungen« ausgelöst;27 vor allem, so Imhof, haben wir den Verlust einer »kohärenten«, »tragfähigen integrierenden Weltanschauung« mit »Weltangst« bezahlt.28 Für den Autor stellt sich die Frage, ob die Menschen der Moderne die konkrete Furcht vor Pest, Seuchen und Gewitter, vor Hunger und Krieg, vor Verhexungen und wiederkehrenden Seelen »nicht durch eine zunehmende vage Angst eingetauscht haben, mit der fertig zu werden nun noch wesentlich schwieriger ist.«29 Auch wenn Imhof eine Rückkehr in die Frühe Neuzeit weder empfiehlt noch für möglich hält: Die »konkrete Furcht« scheint ihm leichter handhabbar zu sein als die »Weltangst«, und so präsentiert der Verfasser nicht nur frühneuzeitliche Gegenstände der Furcht, sondern auch »Überlebensstrategien« und Möglichkeiten der Bewältigung des Alltags.30 An dieser Stelle setzen historisch-anthropologisch orientierte Forschungen an, wenn sie Kritik an Delumeaus These von der Angst des frühneuzeitlichen Abendlandes üben. Diese Studien überlassen 24 Heinz Dieter Kittsteiner, Die Angst in der Geschichte und die Re-Personalisierung des Feindes, in: Übersetzen, Übertragen, Überreden, hg. v. Sabine Eickenrodt / Stephan Porombka / Susanne Scharnowski, Würzburg 1999, S. 145 – 162, insbes. 147 und 152. 25 Vgl. Kittsteiner, Entstehung, insbes. S. 411 f.; ders., Die Listen der Vernunft. Über die Unhintergehbarkeit geschichtsphilosophischen Denkens, in: ders., Listen der Vernunft. Motive geschichtsphilosophischen Denkens, Frankfurt a.M. 1998, S. 7 – 42, hier insbes. 10 und 20. Kittsteiner führt Freud und Heidegger zusammen. Vgl. außerdem Paul Ricœur, Zeit und Erzählung, Bd. 3: Die erzählte Zeit, München 1991 [Paris 1985], S. 304 und S. 332 f.; Karl Heinz Bohrer, Der romantische Brief. Die Entstehung ästhetischer Subjektivität, Frankfurt a.M. 1989, S. 226 ff. 26 Zu Kierkegaard, Heidegger und Sartre vgl. Bernhard Görlich, Art. »Angst«, in: Vom Menschen. Handbuch Historische Anthropologie, hg. v. Christoph Wulff, Weinheim / Basel 1997, S. 874 – 884. 27 Arthur E. Imhof, Die verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren – und weshalb wir uns heute so schwer damit tun, München 1984, S. 19, 100, 107, 119, 124. 28 Ders., Die verlorenen Welten, S. 229. So ebenfalls Dinzelbacher, Angst im Mittelalter, S. 279, wenn auch mit anderer Periodisierung. Für den Begriff der »Weltangst« siehe auch Kittsteiner, Angst, S. 147. Die frühneuzeitliche Semantik der »Welt=Angst« (Andreas Gryphius) wird Kap. 3.6 behandeln. 29 Imhof, Die verlorenen Welten, S. 24; vgl. auch S. 95 f. 30 Ders., Die verlorenen Welten, S. 136 ff.
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die Überwindung von Angst nicht den Nachkommenden; sie geben den Gefangenen frühneuzeitlicher Angst die Schlüssel in die Hand. Hier sind es nicht die Gefängnisreformer der Aufklärung, sondern die Gefangenen selbst, die sich zum Handeln befreien. Zunächst war es Rebekka Habermas, die Delumeau vorgeworfen hat, in seiner Betonung der Ängste vor den Gewalten der Natur die magischen Abwehr- und Schutzmaßnahmen außer Acht gelassen zu haben, die den Menschen als Hilfen in der Gefahr zur Verfügung standen.31 In diesem Zusammenhang sei nicht allein nach dem Wandel der Objekte der Angst zu fragen, sondern auch nach der Veränderung des Phänomens hinter dem Begriff. Was dies im Einzelnen heißen kann, zeigt dann der von William Naphy und Penny Roberts herausgegebene Sammelband Fear in Early Modern Society.32 Nach der einleitenden Feststellung, nicht allein die Frühe Neuzeit, sondern jede Zeit habe ihre Ängste, vereinen Naphy und Roberts Aufsätze zur Furcht vor Natur und Krankheit: vor Feuer, Pest und Flut, vor sozialen Randgruppen: vor Ausländern, religiösen oder ethnischen Minderheiten und Soldaten, vor Hexerei, Hölle, Tod und Teufel und schließlich vor der Furcht selbst. Den Herausgebern geht es, wie von Habermas angemahnt, nicht mehr um die (bekannten) Gegenstände der Furcht, sondern um die Furcht selbst, und das heißt hier : um die Möglichkeiten, mit ihr umzugehen. Furcht erscheint Naphy und Roberts als »a sort of index of institutional health, reflecting the efficacy of local or central government in curbing the negative effects of fear«.33 Dieser Sammelband bedeutet eine wichtige Akzentverschiebung. Die Kategorie der Gesundheit und Krankheit jedoch, auch wenn sie jetzt, anders als bei Delumeau, nicht auf die Furcht des Individuums angewandt wird, sondern auf die zur Furchtkontrolle geschaffenen sozialen Institutionen, bemisst und bewertet, keineswegs anders als bei Delumeau, den historischen Heilsstatus von Kulturen und Gesellschaften nach dem Ausmaß der Furcht ihrer Angehörigen.34 31 Rebekka Habermas, Ängste und Rituale des Schutzes in der frühen Neuzeit, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 21/2 (1992), S. 77 – 81. Georges Duby fügt die Religion hinzu: Georges Duby, Unseren Ängsten auf der Spur. Vom Mittelalter bis zum Jahr 2000, Köln 1996, S. 122 ff. Dinzelbacher bemerkt zwar, dass die Religion des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Angst nicht allein auszulösen, sondern auch zu bewältigen vermochte, erachtet jedoch das ängstigende Moment als dominant: Dinzelbacher, Angst im Mittelalter, S. 239 ff., 261 ff.; vgl. ders., Ängste und Hoffnungen, insbes. S. 289 ff. 32 Fear in Early Modern Society, hg. v. William G. Naphy / Penny Roberts, Manchester / New York 1997. 33 Penny Roberts / William G. Naphy, Introduction, in: Fear, hg. v. dens., S. 1 – 8, hier 6. Siehe auch William G. Naphy, Art. »Angst«, in: Enzyklopädie der Neuzeit, im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachwissenschaftlern hg. v. Friedrich Jaeger, Bd. 1, Darmstadt 2005, Sp. 393 – 396. 34 Vgl. auch Lyndal Roper, Angst und Aggression. Hexenanklagen und Mutterschaft im frühneuzeitlichen Augsburg, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 21/2 (1992), S. 68 –
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Bevorzugter Gegenstand frühneuzeitlicher Furcht waren Seuchen und Epidemien, und dies nicht zuletzt deswegen, weil in den Augen zeitgenössischer Mediziner und Theologen für deren Entstehung die Furcht selbst eine besondere Rolle spielte.35 Vor diesem Hintergrund hat sich Otto Ulbricht der »Angst und Angstbewältigung in den Zeiten der Pest« gewidmet.36 Auch Ulbricht fügt sich in die skizzierte Linie der Kritik, wenn er betont: »Die Angst ist anders zu beschreiben und der Umgang mit ihr auch.«37 Anders als von Delumeau suggeriert, seien die »Menschen, die mit der Pest aufgewachsen waren, […] keineswegs in Panik [geraten], wenn sich die Seuche näherte.«38 Da gab es die Möglichkeit der Flucht, und denjenigen, die blieben, stand so viel tradiertes Wissen zur Verfügung, dass »das Bewußtsein der Möglichkeit von Gegenmaßnahmen die Angst reduzieren« konnte.39 Die Ärzte halfen denen, die ihnen vertrauten, nicht anders als Gott, der diejenigen schützte, die auf seinen Schutz hofften – der die Pest fürchten ließ, damit sie nicht kam: damit die Menschen ihr Leben in einer Weise änderten, die die Strafe abzuwenden vermochte. Und wem nicht mehr zu helfen war, den tröstete die Verheißung göttlicher Gnade in jenseitiger Leidensüberwindung. »Je größer die Furcht, […] desto stärker der Glaube« – und desto geringer die Angst.40 Zudem: Familiäre und eheliche Bande, so Ulbricht, Amtspflichten und berufliches Ethos sowie die traditionelle Solidarität handwerklicher Zünfte ließen Furcht und Angst keinen allzu großen Raum, und die Armen mussten sich ums Überleben kümmern. »Die Angst in Pestzeiten«, so das Resümee, war »ein weit komplexeres Phänomen, als sie in Delumeaus Darstellung erscheint.«41 Der von Anne Scott und Cynthia Kosso herausgegebene Band Fear and Its Representations in the Middle Ages and Renaissance sucht diese Komplexität in gewisser Weise noch zu steigern. In Mittelalter und Früher Neuzeit habe es nicht allein Möglichkeiten der Bewältigung von Furcht gegeben: Im Gegensatz zur
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76. Roper greift in ihrer (impliziten) Kritik an Delumeau selbst auf psychoanalytische Theoreme zurück (hier auf ein Wechselverhältnis von Angst und Aggression in Mutter-KindBeziehungen), um in einer »Geschichte der Emotionen« »psychische Interaktionen zwischen Menschen zu analysieren« – und dabei »psychotische« Ängste als Ursache der extremen Gewalttätigkeit der Hexenverfolgungen auszumachen (S. 69 und 75). So auch dies., Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung, München 2007, S. 170, 173, 238, 278. Dazu unten Kap. 4.3. Otto Ulbricht, Angst und Angstbewältigung in den Zeiten der Pest, 1500 – 1720, in: Gotts verhengnis und seine straffe. Zur Geschichte der Seuchen in der Frühen Neuzeit, hg. v. Petra Feuerstein-Herz, Wiesbaden 2005 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek 84), S. 101 – 112. Zur Hoffnung in der Angst auch Joachim Wollasch, Hoffnungen der Menschen in der Zeit der Pest, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), S. 23 – 51. Ulbricht, Angst, S. 101. Ders., Angst, S. 102. Ders., Angst, S. 103. Ders., Angst, S. 104. Ders., Angst, S. 112.
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Moderne, so die Herausgeberinnen, sollte Furcht gar nicht in jedem Fall »bewältigt« werden. Und so betonen Scott und Kosso die kreativen und konstruktiven Potentiale der Furcht, wie sie in der Literatur der Zeit herausgestellt werden, sowie die Heilsrelevanz von Furcht in religiösen (und politischen) Kontexten: die Notwendigkeit der Gottesfurcht.42 Auch diese Historisierung religiöser, sozialer und kultureller Artikulationen, Funktionen und Effekte von Furchterfahrungen bewegt sich jedoch in den psychologisierenden Kategorien Delumeaus.43 Die jüngste kulturhistorische Monographie, die sich nicht allein mit Angst (-Reaktionen), sondern auch mit Reaktionen auf Angst beschäftigt, ist Joanna Bourkes Fear : A Cultural History.44 Diese Studie, die sich auf Großbritannien und die Vereinigten Staaten seit dem Ende des 19. Jahrhunderts konzentriert, zeigt nicht nur, dass in der Moderne die Ängste nicht verschwunden, sondern lediglich neue entstanden sind;45 sie führt zudem die Forschungsparadigmen zusammen, auf denen die vorangehend vorgestellten Kritiken an Delumeau in der einen oder anderen Form basieren. Bourke analysiert Angst als kulturelle Konstruktion; vor dem Hintergrund dessen werden ihr auch die Reaktionen auf Angst nur im Rahmen des jeweiligen kulturellen Kontextes verständlich. In diesem Zugang vereint sie emotions- und psychohistorische sowie diskurs- und sprechakttheoretische Ansätze. Im Rückgriff auf die von Peter und Carol Stearns vor nunmehr fast dreißig Jahren eingeführte (modernistische) Unterscheidung zwischen emotion und emotionology : zwischen den Gefühlen selbst und der normativen Rede über sie,46 sieht Bourke Diskurse Gefühle konstituieren und 42 Fear and its Representations in the Middle Ages and Renaissance, hg. v. Anne Scott / Cynthia Kosso, Turnhout 2002 (Arizona Studies in the Middle Ages and the Renaissance 6), die Einleitung: S. XI – XXXVII, hier XXII ff. 43 Und so kann Delumeau, ohne kritische Auseinandersetzung, als Belegfundus herangezogen werden: Scott / Kosso, Introduction, S. XIX ff. In ihrem Hinweis auf die Ambivalenz mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bewertungen von Furcht hypostasieren Scott und Kosso die so bewertete Furcht als universales Erfahrungsereignis. 44 Joanna Bourke, Fear: A Cultural History, London 2005. 45 Andere Arbeiten haben gezeigt, dass einiges von dem, was in der Frühen Neuzeit Furcht erregte, in spezifisch moderner Form im 19. und frühen 20. Jahrhundert fortlebte: Diethard Sawicki, Leben mit den Toten. Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770 – 1900, Paderborn / München / Wien / Zürich 2002; Wunderwelten. Religiöse Extase und Magie in der Moderne, hg. v. dems. / Nils Freytag, München 2006; Duby, Unseren Ängsten auf der Spur, S. 122 ff., für den die Fortdauer religiöser Instrumente der Angstbewältigung auf Defizite der Moderne verweist. 46 Peter N. Stearns / Carol Z. Stearns, Emotionology : Clarifying the History of Emotions and Emotional Standards, in: American Historical Review 90 (1985), S. 813 – 836; Emotion and Social Change: Towards a New Psychohistory, hg. v. dens., New York 1988. Zur Furcht vgl. Peter N. Stearns, Fear and Contemporary History : A Review Essay, in: Journal of Social History 39/2 (2006), S. 477 – 484; ders. / Timothy Haggerty, The Role of Fear: Transitions in American Emotional Standards for Children, 1850 – 1950, in: American
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Gefühle umgekehrt zur Veränderung von Diskursen beitragen. Für das 20. Jahrhundert folgt daraus der paradoxe Befund, dass die Rede über die Existenz und die Überwindung von Furcht eben die Furcht erregen konnte, die sie zu überwinden suchte.47 Die bei Bourke verarbeiteten Ansätze wenden sich gegen eine Anthropologisierung der Angst, die dem Gefühl der Angst »an sich« eine historische und kulturelle Invarianz zuschreibt und die kulturelle Wandelbarkeit lediglich, wie bei Delumeau, denjenigen Gegenständen zuerkennt, die jeweils Furcht und Angst zu erregen vermochten. Demgegenüber bringen sie kulturelle Normierungen und Überformungen des Angstgefühls ins Spiel, die in der Lage seien, dieses selbst und damit auch die Möglichkeiten des Umgangs mit ihm zu verändern. Auch diese Einwände jedoch – so wichtig sie sind – setzen eine universale Gefühlssubstanz hinter Sprache, Diskurs und Kultur voraus. Und damit behaupten sie (explizit oder implizit) auch zu wissen, wie sie beschaffen ist.48 Wie ließen sich sonst Aussagen treffen über Veränderungen dieses Gefühls und derer, die es empfinden? Hier sind Rückübertragungen von Eigenem im Spiel (nicht anders als bei Delumeau, der dies, gut psychoanalytisch, gar nicht zu verheimlichen sucht),49 die nicht nur die Aussagen über Furcht und Angst in der Geschichte bestimmen, sondern auch das eigene Interesse und den zugeschriebenen heuristischen Wert der Beschäftigung mit dieser Vergangenheit. Brach Delumeau das Schweigen über die Angst (in) der Kultur, um die Kultur von der Angst befreien zu können, so ist ein Ansatz wie derjenige Bourkes nicht minder aufklärerisch motiviert, und dies in zweierlei Weise. Einerseits tritt ihre Diskurskritik, die auf die Widersprüche der Rede über Furcht verweist, gegen die unnötige Verstärkung und ideologisch-manipulative Instrumentalisierung von Furchtempfindungen an. Andererseits sieht Bourke in der Furcht eine zivilisierende, Handlungspotentiale eröffnende Kraft jenseits der Rationalität der Vernunft und spricht ihr so auch ein religionskonstituierendes Potential zu.50 Mit einer derartigen Zuschreibung knüpft sie unausgesprochen an die moderne Diskussion um die kausale (Wechsel-)Beziehung zwischen Furcht und Religion an, die die geistesgeschichtliche Forschung in aller Regel in der Auf-
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Historical Review 96 (1991), S. 63 – 94; kritisch zu Delumeau: ders., Rezension zu Jean Delumeau, Sin and Fear: The Emergence of a Western Guilt Culture, 13th – 18th Centuries, in: Journal of Interdisciplinary History 23 (1992), S. 156 – 158. Für eine Kritik an den modernistischen und zivilisationstheoretischen Implikationen des Stearns’schen Ansatzes vgl. Rosenwein, Worrying about Emotions, insbes. S. 823 ff.; auch Ute Frevert, Was haben Gefühle in der Geschichte zu suchen?, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 183 – 208, hier 206 f. Bourke, Fear, S. 385. Dies zeigt sich auch bei Peter Marshall, Fear, Purgatory and Polemic in Reformation England, in: Fear, hg. v. Naphy / Roberts, S. 150 – 166. Delumeau, Angst, S. 42 ff. Bourke, Fear, S. 388 ff. Zum Furcht erregenden Potential von Religion vgl. auch S. 5 f.
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klärung, mit David Humes Natural History of Religion, beginnen lässt.51 Eine der Spielarten dieser Auseinandersetzung, die auf eine antike Sentenz referiert (»Primus in orbe deos fecit timor«),52 ist die spätere Debatte um das Verhältnis von Furcht und Kultur, wie sie insbesondere seit dem Freud’schen Unbehagen geführt wird. Diese historische Theorieentwicklung seit dem 18. Jahrhundert ist im folgenden Abschnitt zunächst ausführlicher nachzuzeichnen. Im Horizont dieser Problemgeschichte dann zeigen sich die historisch-epistemologischen Voraussetzungen der kultur- und geschichtswissenschaftlichen Aussagen über frühneuzeitliche Zusammenhänge von Furcht, Religion und Kultur.
2.2. Die Geschichte eines Problems: Furcht und Religion zwischen Aufklärung und Psychoanalyse Die Götter der poly- und monotheistischen Religionen, so konstatierte David Hume 1757, verdanken ihre Entstehung einer Furcht, die ihnen die Macht zuspricht, das Gefürchtete zu bannen. Götter jedoch, die aus der Furcht des Menschen geboren sind, versetzen den Menschen selbst in Furcht. Angesichts dieses kausalen Wechselverhältnisses von Furcht und Religion stellte sich dem aufgeklärten Bewusstsein die Frage nach der psychisch-mentalen Ertragsbilanz, wird doch hier der furchterregende Gegenstand lediglich ausgewechselt und die Furcht, die überwunden werden soll, mit dem dazu eingesetzten Instrumentarium wieder hereingeholt. Die Lösung des Problems wird bei Hume jedoch nicht in der Überwindung des Religiösen an sich gesehen, sondern vielmehr in dessen vernünftiger Fundierung. Die Religion, die die Furcht schafft, der sie sich verdankt, erscheint hier als falsche Religion: als schwärmerischer Aberglaube.53 In ihrer Verbindung mit der Furcht erweist sie sich in ihrer ganzen Unvernünftigkeit. Eine richtig verstandene, eine vernünftige Religion dagegen, die und 51 David Hume, Die Naturgeschichte der Religion, in: ders., Die Naturgeschichte der Religion. Über Aberglaube und Schwärmerei. Über die Unsterblichkeit der Seele. Über Selbstmord, übers. und hg. v. Lothar Kreimendahl, Hamburg 22000, S. 1 – 72, insbes. 1 – 14, 25 – 29, 34 f., 58 – 72. Elemente dieser Diskussion finden sich bereits bei Thomas Hobbes. Dort ist die Erklärung von Religion aus Furcht Teil einer religiös fundierten Theorie der Staatlichkeit, die Polytheismus und »Aberglauben« kritisiert, um den Leviathan zu installieren: das monotheistisch begründete Monopol des Staates, seine Bürger in Furcht zu versetzen. Dazu unten Kap. 3.3. 52 »Es war die Furcht, die als erste in der Welt die Götter erschuf.« Meine Übersetzung. Der Vers findet sich bei Statius, Thebais III, 661, der ihn seinerseits von Petron bezog: Fragm. 27 Bücheler = Anthologia Latina 446. Auch die Epikureer kannten den Gedanken: Lukrez, De rerum natura V, 1161 – 1193. 53 Vgl. dazu auch Hume, Über Aberglaube und Schwärmerei [1741], in: ders., Naturgeschichte, S. 73 – 78.
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insofern sie aus keiner Furcht resultiert, fungiert als remedium timoris: Das einzige Heilmittel gegen die Furcht des Aberglaubens, so Hume, ist eine natürliche Religion, die aus der Zweckgerichtetheit alles Natürlichen auf die Einheit des Göttlichen schließt und in der die Gnade an tugendhaftes Handeln gebunden ist. Denn: Lasterhaftigkeit hat eine Störung des seelischen Gleichgewichts zur Folge: den Schrecken des melancholischen Gewissens, der die so Affizierten wiederum zu (furchterregenden) religiösen Riten Zuflucht nehmen lässt. Einer Vernunft, die lediglich die Existenz Gottes, nicht aber dessen Eigenschaften für erkennbar hält, sind es die unzulässigen Verbildlichungen des höchsten Wesens, die Furcht erregen. Die Furcht dagegen vermeidet allein ein gutes Gewissen, das in der eigenen Moralität den Schlüssel zum Heil der Gnade erkennt. Furcht, so Hume, begründet positive Religion, und so wird sie von dieser auch geschaffen. Bewältigt werden kann die Furcht dagegen allein von einer vernünftigen Religion, die nicht aus Furcht vor Göttern und Geistern erwachsen ist, vor Menschen und Dingen, sondern aus der Gottesfurcht des moralischen Bewusstseins. Diese Konzeption ist in die Deutungskategorien der Weltreisenden eingegangen: all jener Missionare, Religionswissenschaftler und Ethnologen des späten 18. und des 19. Jahrhunderts, die von der Religion und der Furcht »primitiver« und »roher« »Naturvölker« berichten.54 In Humes vernünftiger Religion wird Gott, anders als in der Kantischen Erkenntniskritik, noch nicht von der Vernunft geschaffen. Die religionsphilosophische Skepsis Humes richtet sich zunächst nicht auf die Erkennbarkeit von Gottes Existenz, sondern auf die seiner Qualitäten. Und dass sie am Ende Skepsis bleibt, setzt die Möglichkeit einer metaphysischen Transzendenz des Höchsten eher voraus, als dass es sie in Frage stellt. Mit Hume beginnen Aussagen über einen transzendenten Gott ihre philosophische Legitimität zu verlieren, ohne dass gleich eine grundsätzliche Religionskritik die Folge wäre.55 Dies gilt freilich ebenso für Kant, den »Alleszermalmer« (Moses Mendelssohn); es gilt aber auch für die desillusionierende Kritik positiver Religionen, wie sie, in Hegelianisch inspirierter Weiterführung der Kantischen Erkenntnistheorie, nicht nur von Arthur Schopenhauer,56 sondern auch von Ludwig 54 Exemplarisch: Gustav Roskoff, Das Religionswesen der rohesten Naturvölker, Leipzig 1880, S. 33 – 35; ders., Geschichte des Teufels. Eine kulturhistorische Satanologie von den Anfängen bis ins 18. Jahrhundert, Leipzig 1869, Bd. 1, S. 19 f. Zu den Missionaren und Reisenden des 19. Jahrhunderts vgl. Mary Douglas, Reinheit und Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung und Tabu, Berlin 1985 [London 1966], S. 11 f., mit Bezug auf Paul Ricœur, Phänomenologie der Schuld, Bd. 2: Symbolik des Bösen, Freiburg i.Br. / München 1971 [Paris 1960], S. 33. 55 Vgl. auch David Hume, Dialoge über natürliche Religion [1779], übers. und hg. v. Norbert Hoerster, Stuttgart 1981. 56 Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: Kleine philosophische Schriften, Bd. 1, Berlin 1851, S. 112 f.: »Der Theismus nämlich ist in der That kein Erzeugniß der
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Feuerbach formuliert worden ist. Auch die Feuerbach’sche Provokation ist am Ende keine atheistisch-materialistische Religionskritik, sondern eine Infragestellung tradierter poly- wie monotheistischer Gottesbilder, die darauf zielt, eine Religion der Tugend, Vernunft, Liebe und Humanität zu etablieren. Nach der Kantischen Vernunftkritik sticht sie nicht durch den Gedanken selbst hervor, sondern durch die Radikalität und Schärfe der aus ihm gezogenen Konsequenzen. Im Angesicht des Todes, so Feuerbach, in existentiellem »Angstgefühl« und beständiger »Unsicherheit«, in einer »den Menschen stets begleitende[n] Furcht vor Übeln«, führt die Einbildungskraft das Furchterregende auf böse Geister zurück; und so macht sie diese Geister selbst zur Ursache ihrer Furcht.57 Derart »fürchterliche« Geister erscheinen den Menschen am Ende nicht als Ursache und nicht als Folge von Furcht, sondern als deren Stellvertreter.58 Und wer böse Geister erfindet, als Personifikationen der Furcht, erfindet auch gute, die hoffen lassen: die das Furchterregende in die Schranken zu weisen vermögen. Diese Zusammenhänge findet Feuerbach nicht nur bei »ungebildeten Menschen«, sondern »auch bei den Christen«, bei denen die Wirkungen des Teufels »nur durch die Gegenwirkungen eines guten, dem Menschen wohlwolErkenntniß, sondern des Willens. Wenn er ursprünglich theoretisch wäre, wie könnten denn alle seine Beweise so unhaltbar seyn? Aus dem Willen aber entspringt er folgendermaaßen. Die beständige Noth, welche das Herz (Willen) des Menschen bald schwer beängstigt, bald heftig bewegt und ihn fortwährend im Zustande des Fürchtens und Hoffens erhält, während die Dinge, von denen er hofft und fürchtet, nicht in seiner Gewalt stehn, ja, der Zusammenhang der Kausalketten, an denen solche herbeigeführt werden, nur eine kurze Spanne weit von seiner Erkenntniß erreicht werden kann; – diese Noth, dies stete Fürchten und Hoffen bringt ihn dahin, daß er die Hypostase persönlicher Wesen macht, von denen Alles abhienge. […] Das Wesentliche jedoch ist der Drang des geängsteten Menschen, sich niederzuwerfen und Hülfe anzuflehen, in seiner häufigen, kläglichen und großen Noth. Damit also sein Herz (Wille) die Erleichterung des Betens und den Trost des Hoffens habe, muß sein Intellekt ihm einen Gott schaffen; nicht aber umgekehrt, weil sein Intellekt auf einen Gott logisch richtig geschlossen hat, betet er. Laßt ihn ohne Noth, Wünsche und Bedürfnisse seyn, etwa ein bloß intellektuelles, willenloses Wesen; so braucht er keinen Gott und macht auch keinen. Das Herz, d.i. der Wille, hat in seiner schweren Bedrängniß das Bedürfniß, allmächtigen, folglich übernatürlichen Beistand anzurufen: weil also gebetet werden soll, wird ein Gott hypostasirt; nicht umgekehrt.« 57 Ludwig Feuerbach, Vorlesungen über das Wesen der Religion [1848]. Nebst Zusätzen und Anmerkungen, bearb. v. Wolfgang Harich, in: Gesammelte Werke, hg. v. der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Berlin 1967 ff., Bd. 6, S. 220 – 232. 58 In diesem Zusammenhang notiert Feuerbach, dass in der Antike die Furcht selbst als Gott verehrt wurde, als Phobos oder Pavor: ders., Das Wesen des Christentums [1841], bearb. v. Werner Schuffenhauer / Wolfgang Harich, in: Gesammelte Werke 5, S. 60. Hintergrund der Praxis ist die der Furcht zugesprochene körperlich-affektuelle Wirkungsmacht, angesichts derer »Furcht« nicht allein das Fürchten meinen konnte, sondern auch das Furchterregende selbst. Vgl. Hartmut Böhme, Vom phobos zur Angst. Zur Transformations- und Kulturgeschichte der Angst, in: Pathos, Affekt, Emotion. Transformationen der Antike, hg. v. Martin Harbsmeier / Sebastian Möckel, Frankfurt a.M. 2009, S. 154 – 184, hier 158 f.
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lenden und allmächtigen Gottes aufgehoben werden«.59 Feuerbachs Hinweis auf die Entstehung positiver Religionen aus furchtsamer Einbildung fungiert als argumentative Unterstützung der These, Gott sei eine Projektion des menschlichen Selbst-Bewusstseins, gespeist aus Begehrungsvermögen und Selbstliebe zum Zweck der Selbsterhaltung. Auch diese Anthropologisierung des Göttlichen hat Gott noch nicht getötet; sie hat ihm vielmehr eine neue Existenzgrundlage verschafft: in der Vernunft seiner Geschöpfe. Erst Karl Marx ist es dann, der, in Weiterführung Feuerbachs, Gott und Religion gänzlich in den Giftschrank der Geschichte verweist. Mit Religion als Opiat, so Marx, wird Furcht nicht bewältigt, sondern betäubt: Die »Seufzer der bedrängten Kreatur« verlangen nach einem Sedativum, das die Produktionsverhältnisse verschleiert, die sie seufzen lässt.60 Religion wird zum »Priesterbetrug« (Goethe), weil sie die Herrschaft derer sichert, die in Furcht versetzen. Wirkmächtiger als Marx ist die Freud’sche Adaptation des Problems geworden. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Furcht und Angst61 erscheint die Errichtung eines furchterregenden monotheistischen Vatergottes zunächst als das Ergebnis einer Schuldangst: als Resultat des Wissens, den eigenen Vater ermordet zu haben. Geboren aus einem Schuldbewusstsein nun, evoziert dieser Gott ein Schuldgefühl, und das heißt: Geboren aus Furcht, versetzt er in Furcht – in eine Furcht, die sich am Ende als »Angst« artikuliert. Transformiert zum Über-Ich, erregt er eine Angst vor den triebhaften Bedürfnissen, die er versagt. Dies hat bei Freud nicht allein individualpsychologische, sondern auch kulturtheoretische Bedeutung. Die Verinnerlichung des furchterregenden Gottes in das Angst erzeugende Über-Ich scheint angesichts der Triebnatur des Menschen erforderlich, um kulturelles und gesellschaftliches Leben zu ermöglichen. Das »Unbehagen in der Kultur«, das Wissen um die Schattenseiten dieses Prozesses, kann über dessen zivilisationsgeschichtliche Notwendigkeit nicht hinwegtäuschen – und so bleibt dem psychoanalytischen Kulturtheoretiker die Grenze zwischen normalem und pathologischem Zustand unbestimmt. Was hier nach der Analyse gefordert wird, ist ein Schuldbewusstsein, das seine mythologischen und religiösen Wurzeln abgestreift hat, um die Gleichgewichtsbestimmung als eine individuelle Aufgabe zu formulieren. Die Etablierung eines moralischen Bewusstseins muss sich, ähnlich wie bei Hume und Feuerbach, nur darum sorgen, dass die von ihm erzeugte Angst zur Stabilisierung und nicht zur Destabilisierung individueller und gesellschaftlicher Ordnung beiträgt. Die Genesis ändert auch hier nichts an der Geltung. 59 Feuerbach, Vorlesungen, S. 221 und 223. 60 Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung (Werke 1), Berlin 1976, S. 378 f. 61 Sigmund Freud, Jenseits des Lustprinzips [1920], in: Psychologie des Unbewußten (Studienausgabe 3), Frankfurt a.M. 71989, S. 213 – 272, hier 222 f.
Religion und Furcht in der Historiographie: Zwischen Furcht und Furchtbewältigung
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Nachdem »Religion« in »Kultur« übersetzt worden ist, ergibt sich – anders als es im Werk Delumeaus erscheint – nicht allein ein historischer Verinnerlichungsprozess von der »Furcht« zur »Angst«, sondern darüber hinaus eine ähnliche Einheit wie bisher : Religion und Kultur sind aus Furcht geboren und erregen Furcht: Sie sollen die Furcht bewältigen, in die sie die Fürchtenden versetzen.62
2.3. Religion und Furcht in der Historiographie: Zwischen Furcht und Furchtbewältigung Die problemgeschichtliche Entwicklung von Hume zu Freud konturiert die Paradigmen jener kultur- und geschichtswissenschaftlichen Studien, in denen das mehrschichtige Spannungsverhältnis von Furcht und Religion Thema wird. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat zunächst eine psychoanalytisch inspirierte und dabei historisch orientierte Theologie und Religionswissenschaft das Problem ausformuliert. Sie ging damit über die Vorgaben einer Schultheologie hinaus, die die Spannung von Glaube und Furcht durch die augustinische und thomistische Unterscheidung zwischen einer »kindlichen« und einer »knechtischen« Furcht vor Gott zu lösen versucht hatte,63 durch eine Unterscheidung, vor deren Hintergrund der Religionsphänomenologe Rudolf Otto das Mysterium des Glaubens in der kontrastharmonischen Ambivalenz von Gnadenerlebnis und Zittern beschreiben konnte, als fascinans und tremendum zugleich (1917).64 Nachdem mit dem Einfluss der Psychoanalyse das Erklärungsprimat der rein theologischen Unterscheidungen ins Wanken geraten war, konnte der Theologe und Freudianer Oskar Pfister in einer 1944 publizierten Studie die religiöse Angsterzeugung im Christentum als Symptom der Erkrankung einer an sich für die Angstbewältigung geschaffenen christlichen Religion betrachten: 62 Zur Angst bei Freud vgl. auch Görlich, Art. »Angst«, S. 880 – 882. 63 Zu dieser Unterscheidung im Einzelnen unten Kap. 3.2. 64 Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 2004 [Breslau 1917]. Für die schultheologische Debatte im 20. Jahrhundert vgl. auch Hans Urs von Balthasar, Der Christ und die Angst, Trier 61989 [1953] (Christ heute: Zweite Reihe 3); das Buch wurde vorgestellt als nach »vielen philosophischen und psychologischen die erste rein theologische Studie über die Angst« (Vorwort zur Neuauflage). Ausgehend von der Heiligen Schrift setzt sich der katholische Theologe Balthasar nicht allein mit Luther und Kierkegaard auseinander, sondern auch mit Heidegger. Rudolf Otto wurde zudem rezipiert von Ernst Benz, Die Angst in der Religion, in: Die Angst, hg. v. Gaetano Benedetti, Zürich / Stuttgart 1959 (Studien aus dem C.G. JungInstitut Zürich 10), S. 189 – 221, hier 191 ff.
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»Denn daß das Christentum bei allen krankhaften Verzerrungen seiner ursprünglichen Absichten, bei allen bedauerlichen, sterilen Erzeugungen von Angst, die von einem gesunden religiösen, sittlichen, theologischen und anthropologischen Standpunkt aus abzulehnen sind, durch seine Liebeslehre und -forderung doch immer wieder ungemein viel für eine hygienisch einwandfreie und hohe Menschheitsgüter schaffende Angstbearbeitung getan hat, wird niemand leugnen.«65
Hier wird der theologischen Unterscheidung von Gott und Teufel eine psychologische Trennung von Gesundheit und Krankheit an die Seite gestellt. Konsequenz der damit verkoppelten Hygienik ist ein Geschichtsbild, das nach den Zyklen von Angsterzeugung und Angstbewältigung getaktet ist: danach, ob sich jeweils das wahre oder das falsche Religionsverständnis durchgesetzt hat.66 Dreieinhalb Jahrzehnte später, in den Augen des Religionswissenschaftlers Heinrich von Stietencron, ist das Gotteserlebnis an eine biologisch gegebene Angst geknüpft, die zugleich als seine Möglichkeitsbedingung und seine Folge ausgemacht wird. Dieses Erlebnis wiederum wird als Grundlage für die Entstehung einer Religion vorgestellt, die mit ihrem Sinn- und Deutungsangebot die Angst in der Gottesbegegnung zu reduzieren vermag. Von Stietencrons religionswissenschaftliche Überlegungen basieren auf einer Anthropologisierung und Biologisierung von Gotteserfahrung und Angst und damit auf einer Unterscheidung zwischen Biologie/Anthropologie auf der einen und Kultur auf der anderen Seite: auf der Trennung von (angstbesetztem) Gotteserlebnis und religiösem Deutungssystem. Die historische Dimension kommt dann in zweifacher Weise ins Spiel. Zum einen in der Trennung von Ideal und Missbrauch bzw. Wirklichkeit: Die in der Gotteserfahrung gegebene Angst, die im religiösen Heilsversprechen bewältigt werden soll, kann – in dieser Verheißung – instrumentalisiert werden, um Ziele zu erreichen, die nicht göttliche, sondern allzu menschliche sind: um historisch kontingente soziale Interessen zu verfolgen; eingesetzt als didaktisches Herrschaftsinstrument, kann eine zur Angstbewältigung geschaffene Religion selbst in Angst versetzen.67 Zum anderen – und das ist an dieser Stelle entscheidend – verortet von Stietencron das als anthropologisch ausgewiesene Bedingungsverhältnis von Gotteserfahrung, Religion und 65 Oskar Pfister, Das Christentum und die Angst. Mit einem Vorwort v. Thomas Bonhoeffer, Frankfurt a.M. / Berlin / Wien 1985, S. 440. Der Untertitel der Erstausgabe von 1944 lautet: »Eine religionspsychologische, historische und religionshygienische Untersuchung«. Vgl. auch Balthasar, Der Christ, S. 46 und 55 f. Zum historischen Entstehungskontext von Pfisters Werk vgl. Christian Henning, Phönix aus der Asche. Die Wiedergeburt des Christentums aus dem Geist der Psychoanalyse bei Oskar Pfister (1873 – 1956), in: Vom Weltbildwandel zur Weltanschauungsanalyse. Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung um 1900, hg. v. Volker Drehsen / Walther Sparn, Berlin 1996, S. 131 – 166. 66 Vgl. Pfister, Christentum, S. 8 f., zu kollektiven Angst- und Schreckneurosen der kriegsund pestgeplagten nachreformatorischen Zeit insbes. S. 406. 67 Eine vergleichbare Position vertritt auch Dinzelbacher, Angst im Mittelalter.
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Furcht in einem historischen Prozess der Verinnerlichung der Angstobjekte, der das Problem der Angst allmählich aus Religion und Theologie in die Psychoanalyse verlagert habe.68 Hier wird die über das Maß des Nützlichen und Notwendigen hinausgehende Angst nicht länger als Ausdruck von Gottesferne, sondern nunmehr als Zeichen individueller Pathologie kategorisiert. Auch die Trennung von Gotteserlebnis und religiösem Deutungssystem, wie sie von Stietencron gegen antike und aufklärerische Religionskritiker in Anschlag bringt, vermag die ihr zu Grunde liegende Einheit des aufklärerischen Paradigmas nicht zu verdecken: die Unterstellung eines wechselseitigen Bedingungsgefüges von Religion und Furcht. Dies bedeutet zum einen: Wer Religion auf Furcht zurückführt, kann Furcht aus Religion erklären. Und zum anderen: Wer Religion aus Furcht erklärt, beschreibt sie auch als ein Mittel, die Furcht zu bewältigen, aus der sie entstanden ist. Das Antidot der Furcht erscheint hier somit selbst geeignet, in Furcht zu versetzen. Mithin kann eine Furchtbewältigung durch Religion nur dort gedacht werden, wo sich Religion der Furcht verdankt und Furcht der Religion. (Eine aus Furcht geborene) Religion kann Furcht allein insofern überwinden, als sie selbst in der Lage ist, Furcht zu erregen – und sei es in »verinnerlichter« Form als »Angst«. Die aufklärerisch-kritischen Traditionslinien suchen, explizit oder implizit, die Paradoxien des Paradigmas durch eine doppelte Differenzierung zu lösen: durch die Unterscheidung verschiedener Formen der Religion sowie verschiedener Formen der Furcht. Danach lassen sich allein wahre Furcht und wahre Religion auseinander erklären sowie falsche Religion und falsche Furcht; und eine falsch verstandene Furcht wird bewältigt allein durch eine recht verstandene Religion. Die Unterscheidung fungiert als heuristisches Instrument einer Kritik an Kultur, Gesellschaft und individuellem Verhalten. Ungeachtet jeweils entgegengesetzter moralischer Vorzeichen jedoch und ungeachtet ihrer praktischen Konsequenzen basieren beide Kausalzuschreibungen auf ein und derselben epistemischen Grundlage. Ob affirmiert oder kritisiert und welche Kritik an wem geübt wird, ist eine Frage der Wertung; eine Frage der Epistemologie dagegen ist es, ob nach derartigen Kausalitäten überhaupt gefragt wird. Die Einheit des Paradigmas findet sich am Ende überall dort, wo ein »Primat der Angst in der Religion« konstatiert wird. Nach aufklärerischer Religionskritik und Psychoanalyse, nach Existenzialphilosophie und ethnologisch orientierter
68 Heinrich von Stietencron, Von der Heilsträchtigkeit der Angst. Religionsgeschichtliche Perspektiven, in: Angst und Religion, hg. v. dems., Düsseldorf 1991, S. 13 – 36, hier 16 ff. In Teilen identisch: ders., Angst und Gewalt: Ihre Funktionen und ihre Bewältigung in den Religionen, in: Angst und Gewalt. Ihre Präsenz und ihre Bewältigung in den Religionen, hg. v. dems., Düsseldorf 1979, S. 311 – 337.
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Religionswissenschaft hat es zuletzt eine neurobiologische Grundierung erhalten.69 In der Tradition dieser Begriffsbestimmungen stehen auch diejenigen historisch-anthropologischen Forschungen, die die Möglichkeiten einer »Bewältigung« der Furcht in der Frühen Neuzeit betonen, insbesondere dann, wenn sie diese in Religion oder Magie (als Ingrediens von Religion) ausmachen.70 Inso69 Neben den genannten Arbeiten von Stietencrons vgl. Axel Michaels, Religionen und der neurobiologische Primat der Angst, in: Homo naturaliter religiosus. Gehört Religion notwendig zum Mensch-Sein?, hg. v. Fritz Stolz, Bern u. a. 1997 (Studia religiosa Helvetica. Jahrbuch 3), S. 91 – 136. Michaels wird rezipiert von Hartmut Böhme, Himmel und Hölle als Gefühlsräume, in: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, hg. v. Claudia Benthien / Anne Fleig / Ingrid Kasten, Köln / Weimar / Wien 2000 (Literatur – Kultur – Geschlecht. Kleine Reihe 16), S. 60 – 81, insbes. 65 f.; ders., Vom phobos zur Angst, S. 175 – 177, 183. Dort bleiben die normativen Konsequenzen allerdings unbestimmt. Böhme betont (S. 175): »Es gäbe ohne Angst keine Religion – aber umgekehrt gilt nicht: Ohne Religion gäbe es keine Angst.« Religion produziere die Angst, aus der sie zu befreien verspricht (S. 176): »Angst kann nur von ebendem Gott vertrieben werden, der sie androht und erregt.« So sei in den Religionen »dasjenige, was Angst macht, und dasjenige, was von ihr befreit, auf paradoxe Weise dasselbe.« In den Augen des Dialektikers entlarvt die Paradoxie eine Herrschaftstechnik, die »die Angstentlastung, welche die Identifikation mit dem Aggressor bietet, zu normalisieren« sucht (S. 177). Daher habe es sich die historische Aufklärung zum Ziel gesetzt, der »Doppelfalle« dieser »selbstverschuldet[en]« »Unmündigkeit« zu entkommen. Aber : »Ein Blick auf die heutigen Gesellschaften zeigt, daß dies nicht gelungen ist, vielleicht nicht gelingen konnte« (S. 177). Warum genau, wird nicht gesagt; dass auch Kant, anders als Böhme suggeriert, die Religion keineswegs verbannte, dürfte der Grund nicht sein. Am Ende steht auch hier der Hinweis auf eine historisch-kulturelle »Emanzipation von überwältigenden Angstmächten« um den Preis, »daß gerade der kultivierte Mensch sich vom Existenzial der Angst her versteht (Kierkegaard, Heidegger)« (S. 183 f.). 70 Und damit auch im Hexenglauben: Hexenwahn. Ängste der Neuzeit. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, hg. v. Rosmarie Breierde Haan / Rita Voltmer / Franz Irsigler, Berlin 2002, insbes. S. 188; Wolfgang Behringer, Hexen. Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 32002, insbes. S. 17 – 19; Ernesto de Martino, Sud e Magia, Mailand 1959; Jeanne Favret-Saada, Die Wörter, der Zauber, der Tod. Der Hexenglauben im Hainland von Westfrankreich, Frankfurt a.M. 1981 [Paris 1977]; Inge Schöck, Hexenglaube in der Gegenwart. Empirische Untersuchungen in Südwestdeutschland, Tübingen 1978. Im Hintergrund dieser Untersuchungen steht Edward E. Evans-Pritchard, Witchcraft, Oracles and Magic among the Azande of the AngloEgyptian Sudan, Oxford 1937 (dt.: Hexerei, Orakel und Magie bei den Zande, von E. Gillies gekürzte und eingel. Ausg., Frankfurt a.M. 1978); auch ders., The Nuer, Oxford 1940, und: Nuer Religion, Oxford 1956. In der Ethnologie wird Evans-Pritchard rezipiert von Douglas, Reinheit, S. 11 f. Vgl. auch Keith Thomas, Religion and the Decline of Magic: Studies in Popular Beliefs in Sixteenth- and Seventeenth-Century England, London u. a. 1971, Kap. 14 – 18, der die Frage aufwirft, ob die reformatorische Kritik an den magischen Abwehrpraktiken der (katholischen) Kirche eine zunehmende Hexenfurcht gezeitigt habe. So auch Lawrence Stone, The Disenchantment of the World, in: New York Review of Books, 2. Dezember 1971, S. 17 – 25. Zur Furcht vor Hexerei siehe unten Kap. 4.1. – Zur Angst-»Bewältigung« im Mittelalter vgl. auch: Angst und Schrecken im Mittelalter. Ursachen, Funktionen, Bewältigungsstrategien, hg. v. Annette Gerok-Reiter / Sabine Obermaier, Berlin 2007 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 12/1), Teil II: »Strategien zur Bewälti-
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fern sie Religion nicht theologisch, sondern als kulturelles Sinnsystem verstehen, knüpfen sie unausgesprochen an ethnologische, kulturanthropologische und wissenssoziologische Positionen an, die nicht allein religiöse, sondern kulturelle Formationen im Allgemeinen aus der Aufgabe erklären, Todes- und andere »Urängste« zu lindern.71 Auf den ersten Blick kehren sie Delumeaus Befunde um. In ihnen bewältigen Religion und Magie, was sie bei Delumeau verursacht haben. Bei genauerem Hinsehen jedoch wird weniger ein Gegensatz formuliert als vielmehr die andere Seite derselben epistemologischen Medaille beschrieben.72 Der Widerspruch gegen das Bild von einer furchterfüllten Vormoderne im Hinweis auf kulturelle Möglichkeiten der Furchtbewältigung behauptet keine Furchtlosigkeit der Frühen Neuzeit. Vielmehr setzt er vor die Bewältigung die Furcht, die bewältigt worden ist. Dabei verleiht er dieser Furcht eine kulturelle Entstehungsgrundlage: Kulturelle Instrumentarien bewältigen eine Furcht, die sich ihrerseits erst in historisch-kulturellen Zusammenhängen formiert.73 Es ist zwar nicht dasselbe, ob diese Deutungs- und Normsysteme Ängste bewältigen, die die fragliche Kultur an anderen Orten hervorgebracht gung von Angst und Schrecken« und darin insbes. den kirchengeschichtlichen Aufsatz von Notger Slenczka, Der endgültige Schrecken. Das Jüngste Gericht und die Angst in der Religion des Mittelalters, S. 97 – 112, insbes. 112. 71 Vgl. v. a. Bronislaw Malinowski, Magie, Wissenschaft und Religion. Und andere Schriften, Frankfurt a.M. 1973 (New York 1948), insbes. S. 125 f.; vgl. auch 136 f., 234 f.; Alfred R. Radcliffe-Brown, Taboo, in: ders., Structure and Function in Primitive Society, London 1952, S. 133 – 152, hier 148 ff.; dazu: George C. Homans, Anxiety and Ritual: The Theories of Malinowski and Radcliffe-Brown, in: American Anthropologist 43 (1941), S. 164 – 172; des Weiteren: Clifford Geertz, The Interpretation of Culture. Selected Essays, New York 1973, S. 99 ff.; ders., Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a.M. 21991, S. 61 – 65; Peter L. Berger / Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M. 1980, S. 109; Peter L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie, Frankfurt a.M. 1988, S. 121; Bouwsma, Anxiety, Anm. 81. Aus der Philosophie vgl. Odo Marquard, Diskussionsbemerkung, in: Terror und Spiel. Probleme der Mytheninterpretation, hg. v. Manfred Fuhrmann, München 1971, S. 528. Aus der philosophischen Anthropologie ist Helmuth Plessner zu nennen; dazu Ernst Wolfgang Orth, Kultur der Angst, in: Angst, hg. v. Birtsch / Schröder, S. 3 – 10, hier 6; außerdem Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 173 f., 183 f. 72 Delumeau selbst betont, dass Kulturen, die Hexen und Hexer kennen, immer auch von Kräften wissen, die deren Zauber zu lösen vermögen: Delumeau, Angst, S. 550. Vgl. auch ders., Rassurer et prot¦ger. Le sentiment de s¦curit¦ dans l’Occident d’autrefois, Paris 1989. 73 Selbst wenn manche Gegenstände der Furcht, wie etwa die Pest, nicht als kulturelle »Konstruktionen« aufgefasst werden, hängt die Furcht vor diesen Gegenständen doch grundlegend von den ihnen zugeschriebenen Bedeutungen ab – die dann wiederum die Möglichkeiten bestimmen, diese Furcht zu bewältigen. – Eine derartige Historisierungsleistung unterscheidet historisch-anthropologische Studien von den in Anm. 71 genannten ethnologischen, kulturanthropologischen und wissenssoziologischen Arbeiten, in denen die zu bewältigende Angst aus einer kultur- und zeitunabhängigen Urangst vor dem Tod abgeleitet wird. Insofern eine derartige Urangst nicht begriffen, sondern lediglich postuliert werden kann, gerät sie dort zum unhinterfragbaren Universalexplanans.
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hat, oder ob sie – wie in psychoanalytischen Interpretationen – selbst die Furcht generieren, die sie zu lindern beanspruchen. Dessen ungeachtet jedoch suchen die Kontrahenten, auch wenn sie die Bewältigung in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten situieren, gemeinsam nach Ursachen von Furcht und nach Möglichkeiten, aus ihr zu befreien, und sie finden beide in historisch-kulturellen Prozessen auf. Eine Pathologisierung der Frühen Neuzeit, die die Heilung einer nachgeborenen Aufklärung gutschreibt, und das Vertrauen in eine Selbstheilungskompetenz der erkrankten Zeit folgen demselben aufklärerischen Paradigma. Ob die Mittel der Furchtlinderung in der fraglichen Kultur oder aber in deren historischer Überwindung zu suchen sind, erscheint vor diesem Hintergrund weniger als eine empirische denn als eine kulturkritische Frage. So entkommt auch der Hinweis auf frühneuzeitliche Furchtbewältigung nicht der aufklärerischen Diskussion um den Kausalkonnex zwischen Furcht und Religion, wird doch in ihm nicht die Diskussion als solche kritisiert, sondern lediglich deren Ergebnis. Unabhängig davon, wem die Kompetenz der Angstreduktion zugesprochen wird, und unabhängig davon, ob Religion Furcht verursacht oder eine Furcht lindert, für die anderes verantwortlich zeichnet: Jede dieser Aussagen basiert auf dem Furchtbegriff einer aufklärerischen Psychologie, die sich in die Angst »einfühlen« zu können meint, von der sie spricht. Unabhängig davon, ob Religion und Kultur als Ursache oder als Linderungsinstrument von Furcht angenommen werden: Wer nach derartigen Kausalbeziehungen fragt, muss Entstehung und Therapie an derselben Stelle suchen; wer das eine behauptet, räumt implizit auch das andere ein. Das Ergebnis ist ein Streit um Mengenanteile,74 der nicht nur am Ende, sondern von Anfang an nicht zu entscheiden ist. Denn er wird geführt vor dem Hintergrund einer psychologischen episteme, in der religiöse Furcht und Angst lediglich als »ambivalentes Gefühl«75 beschreibbar sind und im Hinblick auf das Kausalverhältnis von Religion und Angst bestenfalls ein funktionalistisches Sowohl-als-auch konstatiert werden kann.76 Diese Diskussion führt in eine Aporie, die zeigt, dass in der 74 Signifikant ist hier die mentalitätsgeschichtliche Argumentation Dinzelbachers, der Mittelalter und Frühe Neuzeit über die Verbreitung religiöser Ängste charakterisiert, zugleich jedoch auf das Potential von Religionen verweist, die von ihnen selbst erforderte Angst zu lindern: Dinzelbacher, Angst im Mittelalter, S. 261 ff.; Art. »Angst/Schrecken«; vgl. auch ders., Ängste und Hoffnungen. Vgl. oben Anm. 31. 75 Böhme, Himmel und Hölle, S. 66. 76 Die systemtheoretische Soziologie der Religion »stellt sich über die bekannte Kontroverse, ob Religion Angst und Unsicherheit behebe oder ob sie sie erst erzeuge. Beides trifft in gewisser Weise zu«: Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt a.M. 1982, S. 80; vgl. 96 und 117. Siehe auch Anthony Giddens, Konsequenzen der Moderne, Frankfurt a.M. 1996 [Cambridge 1990], S. 130 f., 135 f. Vgl. außerdem das Fazit von Melford E. Spiro, Ghosts, Ifaluk, and Teleological Functionalism, in: American Anthropologist 54 (1952), S. 497 – 503, hier 503: Auch wenn der Glaube der Ifaluk an böse Geister (alus) »resolves many anxieties, it creates a very serious one in its own right – the anxiety created by fear of the alus
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Frage, die sie hervorgebracht hat, aufklärerische Kategorien in frühneuzeitliche Verhältnisse zurückprojiziert werden. Die Diskussion führt in die Aporie, weil die Rede von Ambivalenzen die semantischen Zusammenhänge des Gegensätzlichen verschleiert. Ungeachtet aller Historisierungsbemühungen folgt sie einem anthropologischen Paradigma, das Furcht und Religion wechselseitig auseinander erklärt und damit Religion als Ursache und Bewältigungsmöglichkeit von Furcht zugleich vorstellt. Der psychologische Begriff der »Bewältigung« dann verortet die »emotionale Erfahrung« in Kultur und Geschichte. Die kontroversen Positionen unterscheiden sich am Ende lediglich danach, ob sie die Furchtüberwindung in der Nachzeitigkeit aufsuchen: in der historischen Befreiung aus der Religion (und damit in der Transformation von Gottes-»Furcht« in Schuld- und Daseins-»Angst«), oder aber in der Gleichzeitigkeit: in der Religion selbst bzw. in einer Kultur, die Religion als kulturelle Formation umfasst. Furcht und Angst begegnen in beiden Fällen als Explanans und Explanandum zugleich: Sie erklären Kultur und Geschichte und werden aus Kultur und Geschichte erklärt. Ergebnis, so oder so, ist eine Form therapeutischer Wissenschaft.77
2.4. Methodologische Konsequenzen Die skizzierten Probleme lassen sich umgehen, wenn nicht »emotionale« Phänomene untersucht werden: die Ursachen und Folgen von Furcht und die Möglichkeiten, sie zu heilen, sondern die Begriffe, die sie beschreiben sollten. Auch jene Forschungen zu Furcht und Angst, die deren »Bewältigung« betonen, verfangen sich am Ende in den normativ bedingten Aporien einer Semantik. So übersehen sie, dass es nicht die Phänomene, sondern die Konzepte sind, die das »ambivalente Gefühl« produzieren und die Religion und Kultur zugleich als causa und als remedium timoris erscheinen lassen. Was dabei unsichtbar bleibt, ist der historisch-kulturelle Ort der jeweiligen Begrifflichkeit. Furcht und Furchtlosigkeit haben in der Frühen Neuzeit spezifische Bedeutungen, die in der Frage nach dem kausalen Wechselverhältnis von Religion/Kultur und Furcht verdeckt wird. Eine semantische Analyse vermag demgegenüber nicht allein die historische Spezifizität frühneuzeitlicher Furcht aufzuzeigen, sondern auch die itself«. Berechtigte Kritik an Spiros psychoanalytisch grundiertem Ansatz übt Catherine A. Lutz, Unnatural Emotions: Everyday Sentiments on a Micronesian Atoll and Their Challenge to Western Theory, Chicago 1988, S. 191, 194 f., 207. Näheres zu Lutz’ ethnopsychologischem Ansatz am Ende dieses Kapitels. 77 Vgl. Reinhard Laube, Karl Mannheim und die Krise des Historismus. Historismus als wissenssoziologischer Perspektivismus, Göttingen 2004 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 196), der in Bezug auf Hans-Ulrich Wehlers »Kritische Wissenschaft« den Begriff des »therapeutischen Historismus« geprägt hat (Kap. II.2).
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der modernen Frage nach ihr. Gegen ein festes Vorverständnis davon, was Furcht »ist« (und wie sie sich anfühlt), ist »Furcht« aus ihrem komplexen begrifflichen Verhältnis zu »Furchtlosigkeit« zu verstehen. Hier ist nicht eine Differenz zu untersuchen, sondern eine Differenzierung, kein psychischer oder mentaler Gegensatz, sondern ein semantischer. Als Ergebnis einer Unterscheidung war der eine Zustand ohne den anderen nicht zu haben. Furchtlosigkeit wurde in der Frühen Neuzeit nicht lediglich als die emotionale Abwesenheit von Furcht gefasst. Hier stellt sich nicht die Frage, ob sich die Menschen fürchteten oder nicht, sondern was sie als »Furchtlosigkeit« begriffen und was als »Furcht«, und das heißt auch: was als rechte Furcht und was als falsche. Anders gesagt: »Furcht« im 17. Jahrhundert ist nicht zu verstehen ohne die jeweiligen textuellen Funktionen ihrer Beschreibung und nicht ohne die Paradoxien, die dabei entstanden. Diese nun lassen sich vor allem dort nachweisen, wo das je eigene Furchterleiden zur Sprache kam: in der Autobiographik. Ihr kommt daher für die vorliegende Untersuchung ein besonderer Erkenntniswert zu. In einer semantischen Analyse werden autobiographische Texte nicht nach Furcht-»Gefühlen« der schreibenden Person befragt, sondern danach, wie sich die »ich«-Instanz in der Beschreibung ihrer Furcht als »Person« konstituierte.78 Vorausgesetzt ist eine Kontextualisierung der einschlägigen Selbstaussagen in zeitgenössischen Wissensbeständen und deren epistemischen Grundlagen. Auf personale Selbstbeschreibungen greift auch die Mentalitäts- und Psychohistorie bevorzugt zurück; sie geht dabei jedoch vom Konzept eines in abgeschlossener Innerlichkeit angesiedelten »Gefühls« aus, wie es erst seit der späten Aufklärung entwickelt worden ist.79 Die historisch-kulturelle Kontingenz dieser unausgesprochenen Prämisse manifestiert sich in besonderer Weise in den räumlichen Implikationen der Begrifflichkeit, die auch in den fraglichen Erkenntnisverfahren ihren signifikanten Niederschlag finden. Eine Sensibilisierung für diese Räumlichkeit schärft den Blick für die historische Spezifik frühneuzeitlicher Konzepte von »Furcht« sowie für die besonderen Formen und Möglichkeiten, autobiographisch über sie zu schreiben. Dazu einige Details. Mentalitäts- und psychohistorisch orientierte Autoren sehen personale Selbstbeschreibungen in aller Regel als »Selbstzeugnisse« an: als »Wegweiser zum Innenleben«80 der Empfindungen und Befindlichkeiten. Die methodische 78 Vgl. dazu Stefan Elit, ›Ich‹ war einmal. Literaturwissenschaftliche Problemhorizonte bei Subjektivität in Texten, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2, URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/elit/index.html [30. 11. 2012]. 79 Einzelheiten zu diesem Konzept unten in Kap. 3.1 und 3.7. 80 Jan Peters, Wegweiser zum Innenleben? Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung popularer Selbstzeugnisse der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 1 (1993), S. 235 – 249. Explizit psychohistorisch argumentieren: Otto Ulbricht, Ich-Erfahrung. Individualität in Autobiographien, in: Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individua-
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Ent-Deckung des »Selbst«, wie sie von ihnen unternommen wird, tradiert eine Dilthey’sche Hermeneutik, die »Verstehen« als »einfühlendes« »Sichhineinversetzen«81 postuliert, und steht damit im Kontext jener Burckhardt’schen Historiographie, die die historische »Entdeckung des Ich« in Renaissance und Reformation an der Emergenz von Textgattungen festmacht, in denen das fragliche Ich sich selbst entdeckt habe: an Tagebuch und Autobiographie.82 Ihrem Anspruch nach erschließen diese Studien den Innenraum eines Individuums, das mit dem Beginn der Neuen Zeit den Raum der geschichtlichen Welt betreten zu haben scheint. Sie entbergen, was es in sich verbirgt, und folgen damit jener historischen Spur, auf der die Person ihre Befreiung aus historischer Verborgenheit betreibt, indem sie die eigenen Innen-Räume zu erkunden und auszumessen unternimmt. Die enthaltene Raummetaphorik83 entlarvt die Probleme einer historiographischen Methodologie, die den autobiographischen Text als Timanthischen Schleier entwirft, der, so dicht gewoben er auch sein mag, lisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Richard van Dülmen, Köln / Weimar / Wien 2001; ders., Angst; Stephan Pastenaci, Erzählform und Persönlichkeitsdarstellung in deutschsprachigen Autobiographien des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Historischen Psychologie, Trier 1993 (Literatur – Imagination – Realität 6). 81 Wilhelm Dilthey, Plan der Fortsetzung zum Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, in: Gesammelte Schriften 7, hg. v. Karlfried Gründer, Stuttgart / Göttingen 21958, S. 189 – 227, hier 214. Zur zentralen Rolle der »Selbstbiographie« für das »Verstehen des Lebens«: S. 191 – 204, insbes. 198 ff. Vgl. dazu Daniel Morat, Verstehen als Gefühlsmethode. Zu Wilhelm Diltheys hermeneutischer Grundlegung der Geschichtswissenschaft, in: Rationalisierungen, hg. v. Jensen / Morat, S. 101 – 117; Michael Jaeger, Autobiographie und Geschichte. Wilhelm Dilthey, Georg Misch, Karl Löwith, Gottfried Benn, Alfred Döblin, Stuttgart / Weimar 1995, S. 19 – 70. 82 Der Begriff der »Entdeckung« findet sich in: Richard van Dülmen, Die Entdeckung des Individuums 1500 – 1800, Frankfurt a.M. 1997; Entdeckung des Ich, hg. v. dems.; Karl S. Guthke, Die Entdeckung des Ich. Studien zur Literatur, Tübingen / Basel 1993 (Edition Orpheus 8); Theodor Kobusch, Die Entdeckung der Person – Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild, Darmstadt 21997; Die Renaissance als erste Aufklärung. Bd. 2: Die Renaissance und die Entdeckung des Individuums in der Kunst, hg. v. Enno Rudolph, Tübingen 1998 (Religion und Aufklärung 2); Autobiographie und ästhetische Erfahrung. Entdeckung und Wandel des Selbst in der Moderne, hg. v. Peter Alheit / Morten Brandt, Frankfurt a.M. 2006 (Biographie- und Lebensweltforschung 4). In eine ähnliche Richtung geht jetzt sogar noch, ungeachtet diskursanalytischer Theorieelemente, Karl A.E. Enenkel, Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius, Berlin 2008. – Vordatierungen sind keine Grenzen gesetzt: Colin Morris, The Discovery of the Individual, 1050 – 1200, London 1972 (Church History Outlines 5). 83 Dazu auch Alexander Mejstrik, Welchen Raum braucht Geschichte? Vorstellungen von Räumlichkeit in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 17/1 (2006), S. 9 – 64; eine Kurzfassung ist erschienen als: Raumvorstellungen in den Geschichts-, Sozial- und Kulturwissenschaften: Epistemologische Profile, in: Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Alexander C.T. Geppert / Uffa Jensen / Jörn Weinhold, Bielefeld 2005 (Zeit – Sinn – Kultur 3), S. 53 – 77.
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am Ende Einblicke verheißt in die »Erlebnisse« und »Erfahrungen«, die er bedeckt.84 Der Text des »Selbstzeugnisses« wird als ein Vorhang gefasst, der seinen Erkenntniswert zugleich steigert und mindert, der aufgezogen werden kann und aufgezogen werden muss: Er erscheint als eine »Quelle«,85 deren Subjektivität die Wirklichkeit in besonderer Weise erschließt und zugleich – mit ungewollten Irrtümern und strategischen Konstruktionen – verschleiert.86 Die Aporien dieses Verfahrens verhängt der Mantel des Annäherungsparadigmas.87 Selbstbescheidungstopoi und auch das Wissen um Darstellungsstrategien, literarische 84 Für eine hermeneutisch-kulturphilosophische Analyse der antiken Erzählung vgl. Ralf Konersmann, Der Schleier des Timanthes. Perspektiven der historischen Semantik. Frankfurt a.M. 1994, S. 9 – 21. In seinem Bild von der Opferung der Iphigenie verhüllte der griechische Maler Timanthes von Kythnos Agamemnons trauerndes Gesicht mit einem Schleier. Hier, so Konersmann, ist der Schleier nicht »Sichtblende[] und -grenze[], die den Raum des sinnlich Wahrnehmbaren, den kosmûs aisthetûs umschließ[t]«, sondern Mittel einer »uneigentliche[n] Darstellung des eigentlich Undarstellbaren« (S. 12 f.): Metapher für die notwendige Beschränkung »auf den Raum des Sichtbaren« (S. 15). Der Schleier des Timanthes umschließt nicht den Raum des Sichtbaren, sondern den des Unsichtbaren. Jedoch: Auch wenn Konersmann diesen Schleier als Zeichen für die Zeichenhaftigkeit des Wahrnehmbaren liest, wird die Zugänglichkeit des Bezeichneten, die Möglichkeit der Sichtbarmachung des Unsichtbaren, von ihm nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt – als Bedingung unausgesetzter hermeneutischer Interpretation. 85 Zu deren Metaphorik siehe Michael Zimmermann, Quelle als Metapher. Überlegungen zur Historisierung einer historiographischen Selbstverständlichkeit, in: Historische Anthropologie 5 (1997), S. 268 – 287. Vgl. außerdem: »Quelle«. Zwischen Ursprung und Konstrukt. Ein Leitbegriff in der Diskussion, hg. v. Thomas Rathmann / Nikolaus Wegmann, Berlin 2004 (Beihefte zur Zeitschrift für deutsche Philologie 12). 86 Siehe dazu die pointierte Analyse von Dagmar Günther, »And now for something completely different«. Prolegomena zur Autobiographie als Quelle der Geschichtswissenschaft, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 25 – 61, hier insbes. 47 und 61. 87 Als kanonische Referenztexte der »Selbstzeugnis«-Forschung wären somit zu überdenken: Benigna von Krusenstjern, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 3 (1994), S. 462 – 471; Winfried Schulze, Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung »Ego-Dokumente«, in: Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, hg. v. dems., Berlin 1996 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), S. 11 – 30. Zum Begriff des »Egodokuments« siehe auch: Egodocuments and History : Autobiographical Writing in Its Social Context since the Middle Ages, hg. v. Rudolf Dekker, Hilversum 2002 (Publicaties van de Faculteit der Historische en Kunstwetenschappen. Maatschappijgeschiedenis 38). Für empirische Arbeiten in den hier entwickelten Kategorien vgl. außerdem Harald Tersch, Österreichische Selbstzeugnisse des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (1450 – 1600). Eine Darstellung in Einzelbeiträgen, Wien / Köln / Weimar 1998; Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, hg. v. Thomas Winkelbauer, Horn / Waidhofen 2000; Das dargestellte Ich. Studien zu Selbstzeugnissen des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Arnold / Sabine Schmolinsky / Urs Martin Zahnd, Bochum 1999; Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hg. v. Heinz-Dieter Heimann / Pierre Monnet, Bochum 2004 (Europa in der Geschichte 7).
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Vorbilder und gattungsspezifische Formen88 führen in aller Regel nicht zu der Überlegung, ob es das, was hinter dem Vorhang aufgespürt werden soll, vielleicht gar nicht gibt; vielmehr steigern sie die Neugier der Zuschauer und den Eifer der Entdecker. Eine semantische Analyse dagegen dringt in keine Innerlichkeit vor; sie verzichtet auf die Rückübertragung moderner Vorstellungen von personaler Innenräumlichkeit, um stattdessen die historisch-kulturellen Grenzen der (furchterfüllten) Person nachzuzeichnen: um zu fragen, wo und wie die Trennlinie zwischen ihrem Innen und ihrem Außen gezogen (und überschritten) wurde. Das Paradigma der »Entdeckung des Ich« und seiner »Ursprünge« und »Quellen« basiert, histor(iograph)isch wie methodologisch: für den Text wie für die Geschichte, auf Voreinstellungen und Wertprämissen, die als Beschreibungsparameter für den historischen Sachverhalt lediglich zwei teleologische Alternativen zur Verfügung stellen: ein »Bereits« und ein »Noch-nicht«, die noch unvollkommene und die doch schon erkennbare Präsenz eines (modernen) »Selbst«.89 Eine derartige Lesart ist mit der Rückprojektion aufklärerischer In-
88 Vgl. etwa: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich. Europäische Selbstzeugnisse als historische Quellen (1500 – 1850), hg. v. Kaspar von Greyerz / Hans Medick / Patrice Veit, Köln / Weimar / Wien 2001 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 9); Meredith Anne Skura, Tudor Autobiography : Listening for Inwardness, Chicago / London 2008, Kap. 1; Adam Smyth, Autobiography in Early Modern England, Cambridge 2010, insbes. S. 10 – 13, 209. 89 Für den Begriff des »Ursprungs« siehe Michael Mascuch, The Origins of the Individual Self: Autobiography and Self-Identity in England 1591 – 1791, Cambridge 1997; vgl. auch ders., The ›Mirror‹ of the Other: Self-Reflexivity and Self-Identity in Early Modern Religious Biography, in: Von der dargestellten Person, hg. v. von Greyerz / Medick / Veit, S. 55 – 75. Die Metapher der »Quelle« (source) findet sich bei Charles Taylor, Quellen des Selbst. Die Entstehung der neuzeitlichen Identität, Frankfurt a.M. 1996 [Cambridge, MA 1989]. Hier meint sie die historische »Gesamtheit der (weitgehend unformulierten) Auffassungen dessen […], was es heißt, ein handelndes menschliches Wesen zu sein, also die im neuzeitlichen Abendland beheimateten Empfindungen der Innerlichkeit, der Freiheit, der Individualität und des Eingebettetseins in die Natur« (S. 7). Dror Wahrman, The Making of the Modern Self: Identity and Culture in Eighteenth-Century England, New Haven / London 2004, verzichtet dagegen, bei aller Ähnlichkeit des Titels, auf die Quellenmetaphorik; dies ist konsequent, da er nicht die (antiken) Ursprünge »unsere[r] Sprachen der Selbstverständigung« untersucht (Taylor, Quellen, S. 207), sondern die historisch-epistemologischen Bedingungen für die Veränderung von Selbstkonzeptionen (Wahrman, The Making, insbes. S. 274). Vgl. auch die kritischen Überlegungen von Eva Schlotheuber, Norm und Innerlichkeit. Zur problematischen Suche nach den Anfängen der Individualität, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31 (2004), S. 329 – 357. – Peter Burkes Kritik an Jacob Burckhardt geht über eine geographische, soziologische und chronologische Korrektur nicht hinaus: Peter Burke, Representations of the Self from Petrarch to Descartes, in: Rewriting the Self: Histories from the Renaissance to the Present, hg. v. Roy Porter, London / New York 1995, S. 17 – 28. Und Jonathan Sawday erweitert die »Geburt« der Selbstreflexion im 17. Jahrhundert lediglich um die einer modernen (komplementären) Körperlichkeit: Jonathan Sawday, Self and Selfhood in the Seventeenth Century, in: Rewriting the Self, hg. v. Porter,
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dividualitäts- und Autonomiebegriffe erkauft. Die Instanz, die »ich« schrieb im siebzehnten Jahrhundert, wartete nicht auf ihre Befreiung im achtzehnten; sie war nicht partiell emanzipiert, sondern einfach anders strukturiert als jene, die aufklärerisches Denken aus ihr gemacht hat, indem es sie zu befreien vorgab. Wer ihre »Grammatik« (Ludwig Wittgenstein) erfassen will, muss sich lösen von den historischen und historiographischen Selbstbeschreibungen eines mit sich selbst identischen »Ich«, das sich seit der Aufklärung angewöhnt hat, seinen Anfang mit einer Majuskel zu zieren.90 Das »ich«, das hier zur Entschlüsselung ansteht, schreibt sich, wie Ulrich Bräker schon 1789 bemerkte, »mit einem kleinen i«.91 Wer dies berücksichtigt, kann autobiographische Texte nicht nach vermeintlich realen Gefühlen und individuellen Handlungsspielräumen hinter dem Text befragen, sondern allein nach den je unterschiedlichen historischkulturellen Formen und Funktionen, sich selbst als eine empfindende und handelnde Person zu beschreiben. Dies hat Konsequenzen auch für die geschichtswissenschaftliche und literaturgeschichtliche Arbeit über Autobiographik, die diese nicht lediglich als »Quelle« benutzt, sondern selbst zum Gegenstand macht.92 HistoriographiegeS. 29 – 48, insbes. 48; vgl. dagegen im selben Band Roger Smith, Self-Reflection and the Self, S. 49 – 57. 90 Zu modernen philosophischen Konzepten des »Selbst« vgl. Jerrold E. Seigel, The Idea of the Self: Thought and Experience in Western Europe since the Seventeenth Century, Cambridge 2005. Udo Thiel betont, dass die meisten Philosophen vor John Locke die Frage nach der personalen Identität noch nicht erörtert haben: Udo Thiel, The Early Modern Subject: Self-Consciousness and Personal Identity from Descartes to Hume, Oxford 2011, S. 30 f. 91 Ulrich Bräker, Lebensgeschichte des Armen Mannes, herausgegeben von Johann Heinrich Füßli 1789, in: Sämtliche Schriften, hg. v. Andreas Bürgi / Christian Holliger / Claudia Holliger-Wiesmann / Heinz Graber / Alfred Messerli / Alois Stadler, München / Bern 1998 – 2010, Bd. 4, S. 355 – 557, hier 513: »Was anders, als ich, nicht Jch? Denn ich hab’ erst seit einiger Zeit wahrgenommen, daß man sich selbst – mit einem kleinen i schreibt.« 92 Das einschlägige Forschungsfeld wächst zusehends und vermag sich doch nach wie vor kaum vom Burckhardt’schen Paradigma zu lösen. Aus den klassischen Publikationen vgl. nur Georg Misch, Geschichte der Autobiographie, 4 Bde., Frankfurt a.M. 1949 – 1969; Günter Niggl, Geschichte der deutschen Autobiographie im 18. Jahrhundert. Theoretische Grundlegung und literarische Entfaltung, Stuttgart 1977; Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, hg. v. dems., Darmstadt 21998; Ralph-Rainer Wuthenow, Das erinnerte Ich. Europäische Autobiographie und Selbstdarstellung im 18. Jahrhundert, München 1974; Inge Bernheiden, Individualität im 17. Jahrhundert. Studien zum autobiographischen Schrifttum, Frankfurt a.M. u. a. 1988; aus der neueren Forschung vgl. v. a. van Dülmen, Entdeckung des Individuums, S. 85 – 109; Rudolf Velten, Das selbst geschriebene Leben. Eine Studie zur deutschen Autobiographie im 16. Jahrhundert, Heidelberg 1995 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 29); Michaela Holdenried, Autobiographie, Stuttgart 2000; Geschriebenes Leben. Autobiographik von Frauen, hg. v. ders., Berlin 1995. Vgl. ferner die in Anm. 80, 87 und 88 zit. Arbeiten. Hinsichtlich dieses Befundes sind nur wenige Ausnahmen festzuhalten: Für die Konstituierung moderner Subjektivität siehe Günther, Prolegomena, und für frühneuzeitliche Selbstentwürfe Claudia Ulbrich / Gabriele Jancke, Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte
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schichtlich ist die sukzessive historische »Emanzipation« des »Ich« im Schreiben über sich selbst an die vermeintliche Befreiung aus seiner Furcht gekoppelt. Wer es zu erkennen sucht in seinen Versuchen der Selbsterkenntnis, bleibt beschränkt auf die psychohistorische Alternative von Furcht und ihrer Bewältigung. Gegen diese Interpretation stehen die Funktionen der Furchtbeschreibung im autobiographischen Text: Furcht, so eine der zentralen Thesen der vorliegenden Studie, wurde beschrieben, um die Möglichkeiten ihrer Überwindung zu benennen.93 Die untersuchten Selbsterzählungen sind als Überlebens- und als im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, in: Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, hg. v. dens., Göttingen 2005 (Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung 10), S. 7 – 27, u. a. im Anschluss an Felicity A. Nussbaum, The Autobiographical Subject: Gender and Ideology in Eighteenth-Century England, Baltimore, MD / London 1989. Siehe auch Gabriele Jancke, Autobiographie als soziale Praxis. Beziehungskonzepte in Selbstzeugnissen des 15. und 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Köln / Weimar / Wien 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 10), insbes. S. 1 – 31; Claudia Ulbrich, Person and Gender : The Memoirs of the Countess of Schwerin, in: German History 28/3 (2010), S. 296 – 309. Jancke und Ulbrich formulieren eine sozialgeschichtliche Kritik der Autobiographik- und Selbstzeugnisforschung, in der sie, um Selbstkonzepte zu historisieren, nach den Handlungsspielräumen frühneuzeitlicher Personen in sozialen Beziehungsnetzen fragen. Eine historisch-kulturelle Semantik erweitert diese Kritik, indem sie autobiographische Schriften nicht nach Handlungsmöglichkeiten von Personen befragt, sondern danach, in welcher Weise sich ihre Verfasserinnen und Verfasser als eine handelnde Person beschreiben. Weit in der Historisierung von Konzepten von »Person« geht auch die Studie von Ronald Bedford / Lloyd Davis / Philippa Kelly, Early Modern English Lives: Autobiography and Self-Representation 1500 – 1660, Aldershot, Hampshire / Burlington, VT 2007, die jedoch in der Analyse von Kriegserinnerungen ihrerseits auf psychohistorische Interpretamente zurückgreift (S. 147 – 159). Siehe auch: Early Modern Autobiography : Theories, Genres, Practices, hg. v. dens., Ann Arbor, MI 2006. – Eva Kormann, Ich, Welt und Gott. Autobiographik im 17. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2004 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 13), sucht moderne Kategorisierungen frühneuzeitlichen autobiographischen Schreibens durch das Konzept der »heterologen Subjektivität« zu überwinden. Dazu unten Kap. 7. – Zu den historischen Funktionen von Autobiographik vgl. auch Renate Dürr, Funktionen des Schreibens: Autobiographien und Selbstzeugnisse als Zeugnisse der Kommunikation und Selbstvergewisserung, in: Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit, hg. v. Irene Dingel / WolfDietrich Schäufele, Mainz 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz. Abteilung Abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 74), S. 17 – 31. Für eine diskursanalytisch orientierte literaturwissenschaftliche Autobiographietheorie und -geschichte siehe Martina Wagner-Egelhaaf, Autobiographie, Stuttgart / Weimar 22005. 93 In eine ähnliche Richtung zielen die literaturwissenschaftlichen Überlegungen von Annette Gerok-Reiter, Die Rationalität der Angst. Neuansätze im ›Fortunatus‹, in: Reflexion und Inszenierung von Rationalität in der mittelalterlichen Literatur, in Verbindung mit Wolfgang Haubrichs / Eckart Conrad Lutz hg. v. Klaus Ridder, Berlin 2008 (Wolfram-Studien 20), S. 273 – 298; siehe auch dies., Die Angst des Helden und die Angst des Hörers. Stationen einer Umbewertung in mittelhochdeutscher Epik, in: Angst und Schrecken, hg. v. ders. / Obermaier, S. 127 – 143. Für geschlechtsspezifische Aspekte vgl. dies., Angst – Macht – Ohmacht. Emotionscrossing in Hartmanns Erec?, in: Machtvolle Gefühle, hg. v. Ingrid Kasten, Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 24), S. 218 – 245.
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Umkehrgeschichten zu lesen, mit wiederholt eingezeichnetem Bekenntnis und Geständnis eigener Schuld.94 Diese Kritik an einer erfahrungsgeschichtlichen Lektüre fragt nicht lediglich nach Einflussbereichen von Diskursen; und sie fragt damit auch nicht, wo Sprache an die ihr geziemende Grenze stößt: auf den Widerstand des Realen. Sie verlässt vielmehr diesen für die historischen Kulturwissenschaften grundlegenden Streit, der mittlerweile auch zu einem aussichtslosen geworden ist, weil seine Kontrahenten nicht recht postiert sind. In ihrer historiographischen Praxis erscheint die Frage nach der Reichweite von Diskursivität und nach deren materieller Grenze ganz überwiegend als die sozialgeschichtliche Frage nach Handlungsmöglichkeiten historischer Subjekte im Rahmen von (Macht-) Strukturen, auch wenn diese als sprachlich konstruiert aufgefasst werden. Dabei beschränken sich die Interpretationsmöglichkeiten darauf, die angenommenen Spielräume entweder als hoch oder als niedrig zu skalieren. Jede der denkbaren Antworten jedoch basiert auf einem modernen Konzept des Handelns – nicht obwohl, sondern indem sie Individuen in ihrem Handeln historisiert.95 Dies 94 Sie sind also »Selbst-Zeugnisse« allenfalls im Sinne von Selbstbezichtigungen; vgl. dazu: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis, hg. v. Alois Hahn / Volker Kapp, Frankfurt a.M. 1987. Weitere Literatur zur religiösen Autobiographik unten in Kap. 3.2. Der Begriff des »Überlebens« markiert hier eine Beobachtungsposition; er meint nicht jenen Selbstbeschreibungsmodus der Moderne, der seit Fin de siÀcle, Weltkriegen und Holocaust an die Stelle der (aufklärerischen) »Selbsterhaltung« getreten ist. Vgl. Falko Schmieder, Überleben – Geschichte und Aktualität eines neuen Grundbegriffs, in: Überleben. Historische und aktuelle Konstellationen, hg. v. dems., München 2011, S. 9 – 29. 95 Zu dieser Kontroverse vgl. hier nur Heiko Stoff, Diskurse und Erfahrungen: Ein Rückblick auf die Körpergeschichte der neunziger Jahre, in: 1999 – Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 14 (1999), S. 142 – 160 – mit dem Versuch, »Erfahrungsgeschichte und Diskursgeschichte zusammenzuführen« (S. 150), »die Materialität und die Diskurse, das Soziale und das handelnde Subjekt zu verbinden« (S. 160); Kaspar von Greyerz, Erfahrung und Konstruktion: Selbstrepräsentation in autobiographischen Texten des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Berichten, Erzählen, Beherrschen. Wahrnehmung und Repräsentation der frühen Kolonialgeschichte Europas, hg. v. Susanna Burghartz / Maike Christadler / Dorothea Nolde, Frankfurt a.M. 2003 (Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 7/ 2 – 3), S. 220 – 239; Fabian Brändle / Kaspar von Greyerz / Lorenz Heiligensetzer / Sebastian Leutert / Gudrun Piller, Texte zwischen Erfahrung und Diskurs. Probleme der Selbstzeugnisforschung, in: Von der dargestellten Person, hg. v. von Greyerz / Medick / Veit, S. 3 – 31; Andreas Rutz, Ego-Dokument oder Ich-Konstruktion? Selbstzeugnisse als Quellen zur Erforschung des frühneuzeitlichen Menschen, in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2, URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/rutz/index.html [30. 11. 2012]; Cathleen Canning, Problematische Dichotomien. Erfahrung zwischen Narrativität und Materialität, in: Erfahrung: Alles nur Diskurs? Zur Verwendung des Erfahrungsbegriffs in der Geschlechtergeschichte, hg. v. Marguérite Bos / Bettina Vincenz / Tanja Wirz, Zürich 2004, S. 37 – 58. Zum Begriff der »Erfahrung« in der Frühneuzeitforschung vgl. zudem: »Erfahrung« als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, hg. v. Paul Münch, München 2001 (Historische Zeitschrift, Beihefte, N.F. 31). Grundlegend für die diskurskritische Debatte über dieses Konzept sind Joan Wallach Scott, The Evidence of Experience, in: Critical
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zeigt sich besonders deutlich im Blick auf andere epistemai: auf andere Formen des Wissens, deren Wirkmächtigkeit in der Frage nach Handlungen und (Darstellungs-)Strategien zu unverständlich bleibt. Weder eine Diskurshistorie, die sich auf eine soziale »Mikrophysik der Macht« (Michel Foucault) beschränkt, noch eine Erfahrungsgeschichte, die in den Strukturen diskursiver Macht den Verlust des Individuums befürchtet, vermögen hinreichend die Spezifizität frühneuzeitlicher Wissensformen zu sehen. Diese Klage führt nicht in die Zirkel einer Verfremdungshermeneutik, sie sucht vielmehr Zusammenhänge historischer Wirklichkeiten aufzuzeigen, die unsichtbar bleiben, wenn Vergangenes in modernen epistemologischen Kategorien analysiert wird. Die Frage ist nicht, ob alle Wirklichkeit diskursiv ist; die Frage ist, inwiefern in anderen Gewissheiten andere Wirklichkeiten entstehen. Eine derartige Betrachtungsweise knüpft insofern an ein diskursanalytisches Paradigma an, als sie davon ausgeht, dass Sprache die Wirklichkeit konstituiert, von der sie spricht; sie spürt darin jedoch nicht ausschließlich Akte der Übermächtigung auf. Wird der Blick nicht auf das Außen, sondern – die Metapher sei gestattet – ins Innere der Semantik gerichtet, nicht auf das Ausgegrenzte, sondern auf das Ausgrenzende selbst, dorthin, wo sich die Argumentationen nicht mehr konsistent zu Ende führen ließen, dann manifestiert sich eine Historizität des Denkens, die die historisch-epistemologischen Voraussetzungen der wissenschaftlichen Beobachtung systematischer mitzureflektieren zwingt, als es eine Machtanalyse vermag. Dann können semantische Paradoxien zeigen, wie sich (historische) Kulturen konstituieren, indem sie sich »Aprioris zumuten, die ihre paradoxe Grundstruktur unsichtbar machen«.96 Diese Vorgehensweise erlaubt es, die Frage nach der sprachlichen Konstituierung von Wirklichkeit nicht lediglich vor dem Hintergrund einer Trennung von Diskurs und Subjekt und damit von (Macht ausübendem) Täter und (Macht erleidendem) Opfer, von Zwang und Freiheit zu führen; sie erlaubt es vielmehr, diese beobachtenden Unterscheidungen selbst zu beobachten. Die Kritik am Paradigma der Macht, wie sie hier formuliert wird, ist nicht der Hinweis auf individuelle Handlungsmöglichkeiten und subjektive Erfahrungen jenseits dominanter Diskurse, nicht auf deren eigensinnige Macht, sondern die Kritik an einem Apriori, das mit den durch diskursive Macht gesetzten Grenzen bereits selbst nach den Grenzen diskursiver Macht fragt. Auch wenn ein diskursanaInquiry 17 (1991), S. 773 – 797, und Philipp Sarasin, »Mapping the body«. Körpergeschichte zwischen Konstruktivismus, Politik und »Erfahrung«, in: ders., Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2003, S. 100 – 121. 96 Armin Nassehi, Die Paradoxie der Sichtbarkeit. Für eine epistemologische Verunsicherung der (Kultur-)Soziologie, in: Ortsbestimmungen der Soziologie: Wie die kommende Generation Gesellschaftswissenschaften betreiben will, hg. v. Ulrich Beck / André Kieserling, Baden-Baden 2000, S. 17 – 29, zit. 28. Zum Begriff des (historischen) Apriori vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M. 1974 [Paris 1969], S. 183 ff.
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lytischer Blick Spielräume und Grenzen anders verteilt, basiert er, mit der Frage nach ihnen, epistemologisch gesehen auf eben jenem Paradigma moderner Subjektivität, das er gegen einen erfahrungsgeschichtlichen Zugriff in Frage zu stellen sucht.97 Semantische Paradoxien, wie sie sich in personalen Selbstbeschreibungen zeigen, sind nicht als bloße Widersprüche zu lesen, nicht als der unaussprechliche Punkt, an dem Diskurse am »Realen scheitern«98 oder eine Kultur Momente »ihrer meist verborgenen Wildheit entdeckt«;99 vielmehr zeigen sich in ihnen die Grenzen nicht nur der Macht, sondern auch der Machtanalyse. Um diese Akzentverschiebung und Erweiterung einer diskursanalytischen Methodik zu indizieren, wird hier der Terminus der »historisch-kulturellen Semantik« gewählt. Diese unterscheidet sich nicht allein von der Historischen Semantik der Geschichtlichen Grundbegriffe,100 sondern ebenso von einer diskurs-, sprechakt- oder praxistheoretisch erweiterten Geschichte der Wort- und Sprachverwendung.101 Auch eine Geschichte des Sprachgebrauchs, die die Rede 97 Für die Krankheitsgeschichte vgl. dazu insbes. Martin Dinges, Männlichkeitskonstruktion im medizinischen Diskurs um 1830: Der Körper eines Patienten von Samuel Hahnemann, in: Geschichte schreiben mit Foucault, hg. v. Jürgen Martschukat, Frankfurt a.M. / New York 2002, S. 99 – 125; auch Michael Stolberg, Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2003. 98 Philipp Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, in: ders., Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10 – 60, zit. 60. 99 Ralph Kray / K. Ludwig Pfeiffer, Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche: Vom Ende und Fortgang der Provokationen, in: Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht / K. Ludwig Pfeiffer, Frankfurt a.M. 1991, S. 13 – 31, zit. 28. Vgl. auch Wolfgang Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 31991, S. 265. 100 Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck, Stuttgart 1972 – 1997. 101 Vgl. v. a. Karlheinz Stierle, Historische Semantik und die Geschichtlichkeit der Bedeutung, in: Historische Semantik und Begriffsgeschichte, hg. v. Reinhart Koselleck, Stuttgart 1978 (Sprache und Geschichte 1), S. 154 – 189; Dietrich Busse, Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart 1987; ders. / Wolfgang Teubert, Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik, in: Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik, hg. v. Dietrich Busse / Fritz Hermanns / Wolfgang Teubert, Opladen 1994, S. 10 – 28; Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, hg. v. Hans Erich Bödeker, Göttingen 2002 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 14); Michael Maset, Diskurs, Macht und Geschichte. Foucaults Analysetechniken und die historische Forschung, Frankfurt a.M. / New York 2002, Kap. IV; Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die Historische Diskursanalyse, Tübingen 2001 (Historische Einführungen 8), S. 28 – 45; ders., Historische Diskursanalyse, Frankfurt a.M. u. a. 2008 (Historische Einführungen 4), Kap. 2 – 4; für eine kulturelle Semantik als Praxis-Analyse vgl. Monika Mommertz, »Imaginative Gewalt« – praxe(m)ologische Überlegungen zu einer vernachlässigten Gewaltform, in: Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD, hg. v. Claudia Ulbrich / Claudia Jarzebowski / Michaela Hohkamp, Berlin
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von der Furcht in deren sozialem und institutionellem Kontext verortet, ermittelt ihren Gegenstand über die Identität und Kontinuität des Wortes (»Furcht«) in der Zeit. Ein derartiges Verfahren unterstellt am Ende eine anthropologisch konstante Gefühlssubstanz hinter ihrer sprachlichen Benennung, um deren diachronen Bedeutungswandel zu verzeichnen. Zentraler Gegenstand einer historisch-kulturellen Semantik dagegen ist weniger das Wort, als vielmehr der synchrone Problem- und Wissenskomplex, in dem es steht und der als besonderer Wirklichkeitszusammenhang erscheint: als diskontinuierliches Ereignis.102 Eine semantische Historisierung von Furcht und Angst bietet eine besondere Möglichkeit der Historisierung frühneuzeitlicher Kulturen (und damit auch einer Moderne, die vormoderne Furchtpotentiale überwunden zu haben behauptet). Eine entessentialisierende Analyse der Furchtsemantik lässt diese als eine Form der Selbstbeschreibung erkennbar werden. Sie schreibt keine Geschichte der Gefühle, auch keine konstruktivistische.103 Wird nicht die Furcht historisiert, sondern die Rede von ihr, nicht ihre »Logistik«104, sondern ihre Logik, dann stellt sich nicht die Frage, wer sich wie sehr, wovor, warum sowie mit welchen Folgen und Bewältigungsmöglichkeiten gefürchtet hat; und es stellt sich nicht die Frage, wie über die Furcht eine Gesellschaft bzw. Kultur erklärt werden kann, die zuvor zur Erklärung dieser Furcht herangezogen worden ist. Die folgenden Kapitel versuchen herauszuarbeiten, wie Kulturen sich selbst beschrieben, wenn gesagt wurde, dass Menschen sich fürchteten, wenn über die Be2005 (Historische Forschungen 81), S. 343 – 357. Für eine kulturphilosophische Begriffsbestimmung vgl. Ralf Konersmann, Komödien des Geistes. Historische Semantik als philosophische Bedeutungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1999, der von Olaf Briese, Die Macht der Metaphern. Blitz, Erdbeben und Kometen im Gefüge der Aufklärung, Weimar 1998, S. 13 f., mentalitätsgeschichtlich rezipiert wird. 102 Für eine ausführlichere Diskussion dieser methodisch-theoretischen Problematik und der einschlägigen Literatur siehe Andreas Bähr, Vom Nutzen der Paradoxie für die Kulturhistorie. Furchtlose Furcht in frühneuzeitlichen Selbstbeschreibungen, in: Historische Diskursanalysen. Genealogie, Theorie, Anwendungen, hg. v. Franz X. Eder, Wiesbaden 2006, S. 305 – 321. 103 Wie es Catherine Lutz tut, deren Studie Unnatural Emotions den Höhepunkt einer konstruktivistischen Ethnologie der Gefühle darstellt. Ungeachtet ihrer Dekonstruktion »westlicher« Begriffe von Gefühl und Emotion sowie von Selbst und Person ist Lutz’ Ansatz ausdrücklich ein psychologischer. Auch wenn sie Emotionen nicht bio-, sondern ethnopsychologisch fasst, erscheinen sie ihr am Ende als nachvollziehbare und erklärbare Ereignisse menschlichen Empfindens. Das zentrale Problem ist dann konsequenterweise auch für sie das Verhältnis von anthropologischer Universalität und kultureller Varianz. Vor diesem Hintergrund wird Gesellschaft zum materiellen Erklärungsgrund für die Sprache der Emotionen und deren soziokulturelle Funktion – mit Foucault – primär eine Frage der Macht (Lutz, Unnatural Emotions, S. 3 – 13, insbes. 7; zur Furcht Kap. 7). Instruktiv zu sozialkonstruktivistischen Ansätzen ist Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012, Kap. II. 104 Roberts / Naphy, Introduction, S. 2.
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wertung von Furcht gesprochen wurde, über ihre Ursachen, ihre Folgen, über die eigene Furcht, über die der anderen und über Furcht in der Geschichte. Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass das Schweigen über die Furcht zu brechen ist; es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass dies nicht lediglich für die Frühe Neuzeit gilt, sondern auch für eine Moderne, die sich in der Proklamation der Furchtüberwindung konstituiert. Es ist schließlich zu Recht darauf hingewiesen worden, dass auch die Frühe Neuzeit eigene Möglichkeiten besaß, mit ihrer Furcht umzugehen. Doch es bleibt zu betonen: Aussagen über »Furcht« geben uns nicht Auskunft über die Furcht von Menschen, sondern über die kulturellen Bedeutungen des Begriffs.105 Um es mit Ludwig Wittgenstein zu sagen: »Man fragt sich ›Was bedeutet ›ich fürchte mich‹ eigentlich, worauf ziele ich damit?‹ Und es kommt natürlich keine Antwort, oder eine, die nicht genügt. Die Frage ist: ›In welcher Art Zusammenhang steht es?‹«106
105 Für eine instruktive Historisierung von Emotionstheorien aus philosophischer Perspektive siehe Dominik Perler, Transformationen der Gefühle. Philosophische Emotionstheorien 1270 – 1650, Frankfurt a.M. 2011, insbes. S. 11 – 42. 106 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: Werkausgabe 1, Frankfurt a.M. 1984, S. 225 – 580, hier 511.
3. Gottes Macht und Gottes Furcht
»Ne timeas, modo timeas«: »Fürchte dich nicht, vorausgesetzt, daß du dich fürchtest; wenn du dich aber nicht fürchtest, so fürchte dich.« Dieser »Gedanke« Blaise Pascals, posthum publiziert 1670, ist paradox, und er soll es sein.1 Die Paradoxierung aus der Feder des Logikers von Port-Royal versprachlicht die Grenzen sprachlicher Repräsentation; sie spricht das Unaussprechliche aus: das Mysterium christlicher Heils- (und Unheils-) Verheißung.2 Sie lässt sich entparadoxieren, wenn in den Begriff der Furcht eine Unterscheidung eingezogen wird: Fürchte Gott, so heißt es dann, und du brauchst dich in dieser Welt nicht zu fürchten; doch fürchtest du ihn nicht, so fürchte dich in der Welt. Anders gewendet: Wer sich allzu sehr fürchtet vor der Welt, hat allen Grund, sich vor ihr zu fürchten. Wer nicht Gott fürchtet, sondern die Welt allein, der muss die Welt fürchten und mit ihr seinen Schöpfer im Himmel. Gefordert, mit nochmals anderen Worten, war eine »furchtlose Furcht«.3 Dieses Paradoxon ist grundlegend für die Furchtsemantik des 17. Jahrhunderts, die in all ihren Ausprägungen und Facetten christlich konnotiert ist und sich konfessionsübergreifend niederschlägt – wie sich bereits bei Pascal andeutet, der als augustinischer Jansenist gewissermaßen zu den Protestanten unter den Katholiken gehörte.4 Das Paradox 1 Blaise Pascal, Pens¦es, hg. v. Philippe Sellier, Paris 1991, Nr. 645, dt.: Gedanken über die Religion und einige andere Themen, hg. v. Jean-Robert Armogathe, übers. v. Ulrich Kunzmann, Stuttgart 2002, Nr. 785/776, S. 416 – mit Verweis auf Lk 12.32 und Phil 2.12. 2 Vgl. Alois Maria Haas, Das mystische Paradox, in: Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, hg. v. Roland Hagenbüchle / Paul Geyer, Würzburg 22002, S. 273 – 294; ders., Mystik als Aussage. Erfahrungs-, Denk- und Redeformen christlicher Mystik, Frankfurt a.M. 1996, S. 110 – 153. 3 Günther Schnurr, Art. »Furcht III. Theologiegeschichtlich und pastoralanthropologisch«, in: Theologische Realenzyklopädie, hg. v. Gerhard Krause / Gerhard Müller, Berlin / New York 1976 ff., Bd. 11, S. 759 – 767, hier 762, mit Bezug auf Phil (nicht Phlm!) 1.14. 4 Zu Pascal siehe Wilhelm Schmidt-Biggemann, Blaise Pascal, München 1999, zu den Pens¦es Kap. IV.2. Zum generellen Stellenwert mystisch und hermetisch grundierter Paradoxien für frühneuzeitliche Wissenskulturen und Sozialstrukturen vgl. Peter André Alt, Imaginäres Geheimwissen. Untersuchungen zum Hermetismus in literarischen Texten der Frühen Neuzeit, Göttingen 2012 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 12), Kap. 8,
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Gottes Macht und Gottes Furcht
erklärt sich aus dem normativen Verhältnis von Furcht und Gottesfurcht und damit aus der religiösen Unterscheidung zwischen einer »kindlichen« und einer »knechtischen« Furcht vor dem Herrn; und es lässt so verständlich werden, dass der Furcht das Potential der Selbstbewahrheitung zugesprochen werden konnte. Die folgenden Abschnitte beobachten die Konzeptualisierungen von Gottesfurcht in der zeitgenössischen Affektologie (1), in den theologischen Debatten (2) und in der politischen und militärischen Theorie (3 und 4). Der Begriff, so wird dort sichtbar, forderte von Gläubigen und Untertanen die richtige Furcht vor ihrem Schöpfer und seinen Stellvertretern auf Erden, und er verlangte Tapferkeit im Angesicht ihrer Feinde. Doch dies war nur die eine Seite. Nicht nur die Erörterung des Rechts auf politischen Widerstand, sondern vor allem auch einschlägige Klagen aus der Bevölkerung machten klar : Gefordert waren rechte Furcht und Furchtlosigkeit auch von den Oberen selbst (5). Das Konzept der Furcht vor dem Herrn mahnte eine Furcht vor dem eigenen Gewissen an, die die Ungerechten in Angst versetzte vor dem Jüngsten Gericht und die den Gerechten damit eine besondere Macht verlieh: eine gottesfürchtige Freiheit von Furcht, die jene, die sie nicht hatten, ganz körperlich in die Flucht zu schlagen vermochte. Dies zeigen bereits die Theorien der Gelehrten, doch noch deutlicher wird es in Dramenliteratur und Autobiographik (6 und 7).
3.1. Die Ordnung der Affekte: Furcht und Hoffnung Das Wesen der Dinge wurde im 17. Jahrhundert durch die Abgrenzung von ihrem Gegenteil bestimmt. Gegensätzlichkeit war ein grundlegender epistemologischer Modus; sie strukturierte die Wirklichkeit – sei es die religiöse, moralische oder natürliche – ebenso wie jene Zeichensysteme, die Wirklichkeit repräsentierten und erkennbar machten: wie Sprache, Logik und Rhetorik.5 Angesichts dessen verwundert es nicht, dass der religiösen Unterscheidung von kindlicher und knechtischer Furcht eine weitere Opposition zu Grunde lag, die mit dieser vielfältig korrespondierte: der Gegensatz von Furcht und Hoffnung. Auf sie ist zunächst das Augenmerk zu richten; denn vor der Ethik und der Theologie der Furcht stand ihre Affektologie: die Bestimmung ihrer (körperlichen wie nicht-körperlichen) Natur; anders gewendet: Vor der religiösen und moralischen Furcht war, um der Rubrizierung in Zedlers Universal Lexicon zu
insbes. S. 181 – 192, mit Bezug auf die Luhmann’sche Systemtheorie, v. a.: Niklas Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, hg. v. André Kieserling, Frankfurt a.M. 2002. 5 Grundlegend dazu Stuart Clark, Thinking with Demons: The Idea of Witchcraft in Early Modern Europe, Oxford / New York 1997, S. 43 – 68, 135 – 138.
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Die Ordnung der Affekte: Furcht und Hoffnung
folgen, die »natürliche« abzuhandeln;6 und so soll es auch im Folgenden geschehen. Im »martialischen Saeculum«, anders als in den existenzialphilosophisch und psychoanalytisch gefärbten Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts, war das maßgebliche Gegenstück der Furcht weder die Angst noch das Begehren (obwohl sie von beiden durchaus unterschieden wurde), sondern die Hoffnung. Dies hatte, wie so vieles in der Frühen Neuzeit, Tradition. Seit den Entwürfen von platonischer Akademie, Peripatos und Stoa, seit den patristischen und scholastischen Theologien eines Augustinus und Thomas von Aquin, wurde die Furcht in einer Ordnung der Affekte lokalisiert – unabhängig davon, welche affectus jeweils definiert, in welche hierarchischen Beziehungen sie zueinander gesetzt, wie sie erklärt und welche Arten des Umgangs mit ihnen angeraten wurden. Dies gilt auch noch für die »rationalistischen« Naturalisierungs- und Systematisierungsversuche der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die die Affekte more geometrico auszumessen unternahmen und sie in jener Landkarte des Wissens verzeichneten, die die Welt durch ihre sprachlichen Repräsentationen kartographierte.7 Derartige Verortungen fassten Furcht noch nicht als »Gefühl«, wie Aufklärer und Romantiker seit dem späten 18. Jahrhundert es tun sollten, sondern als »Affect« (oder – vielfach synonym – als »passio« und »Bewegung des Gemüts«).8 Dieses Konzept schrieb der Furcht eine spezifische e
e
6 Art. »Furcht«, in: Grosses vollstandiges Universal Lexicon Aller Wissenschafften und Kunste, hg. v. Johann Heinrich Zedler, Halle a. d. S. / Leipzig 1732 – 1754 (ND Graz 1993 – 1999), Bd. 9, Sp. 2324 – 2326, hier 2325; dazu auch unten Anm. 94. 7 Zur Zeichentheorie im Zeitalter der Repräsentation vgl. Foucault, Ordnung der Dinge, S. 78 – 113. 8 »Affectus« war allerdings »die rechte eigentliche Benennung«: Justus Georg Schottelius, Ethica. Die Sittenkunst oder Wollebenskunst, hg. v. Jörg Jochen Berns, Bern / München 1980 (ND der Ausg. Wolfenbüttel 1669), S. 109. Daher wird der Begriff in der vorliegenden e Studie bevorzugt. Für die »Bewegungen des Gemuths und der Sinnen« siehe etwa den Art. »Affectus«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 1, Sp. 718. In den seltenen Fällen, in denen im Französischen, Englischen und Deutschen von »¦motion/emotion« gesprochen wurde, war ganz buchstäblich eben jene körperliche »Bewegung« von Säften und Lebensgeistern, von Seele und Gemüt, gemeint, oder aber die Bewegung des Volkes, der Aufruhr : Montaigne, Essais, hg. v. Balsamo, II, 11, S. 445, 447; Jacques Chaillou, Trait¦ du mouvement des humeurs, dans les plus ordinaires ¦motions des hommes, Paris 1680; Art. »Passion«, in: Cyclopædia: or, An Universal Dictionary of Arts and Sciences; containing The Definitions of the Terms, And Accounts of the Things signify’d thereby, In the several Arts, Both Liberal and Mechanical, And the several Sciences, Human and Divine: The Figures, Kinds, Properties, Productions, Preparations, and Uses, of Things Natural and Artificial; The Rise, Progress, and State of Things, Ecclesiastical, Civil, Military, and Commercial: With the several Systems, Sects, Opinions, & c. among Philosophers, Divines, Mathematicians, Physicians, Antiquaries, Criticks, & c., hg. v. Ephraim Chambers, London 1728, Bd. 2, S. 759 – 762, hier 760 f.; »Emotion«, in: Jacob Grimm / Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Neubearbeitung, hg. v. der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Leipzig / Stuttgart 1983 ff., Bd. 7, Sp. 1253. Vgl.
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Gottes Macht und Gottes Furcht
Körperlichkeit zu, die nicht erst in den pathologischen Dimensionen des Affekts virulent wurde (zu diesen unten Kapitel 4), sondern bereits in seinen religiösen. Diese Furcht wurde noch nicht als grundlegende Negation vernünftigen Denkens und Handelns vorgestellt, sondern als deren konstitutiver Bestandteil. Und so stieg, wer ihr Wesen zu bestimmen unternahm, nicht »tief« hinab ins Innere der Person, er fragte nicht nach einem verborgenen und ineffablen Fühlen,9 sondern nach dem sicht- und beschreibbaren Verhältnis zu anderen affectus animi: zur Hoffnung eben, und noch nicht zu »existentieller« Angst und verdrängtem Begehren.10 Es sind vor allem die cartesianisch beeinflussten Autoren, die sich, mit (zumeist unausgesprochenem) Bezug auf Aristoteles’ Rhetorik,11 um eine detailgenaue Analyse der »Natur« von Furcht und Hoffnung bemüht haben. Aus der Fülle dieser affektologischen Abhandlungen und Disputationen sticht wiederum Baruch de Spinozas Ethica ordine geometrico demonstrata aus dem Jahr 1678 hervor.12 Spinozas Überlegungen können für die hier interessierende Proble-
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Perler, Transformationen, S. 24; Catherine Newmark, Passion – Affekt – Gefühl. Philosophische Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant, Hamburg 2008 (Paradeigmata 29), S. 9 f.; Barbara H. Rosenwein, Emotion Words, in: Le sujet des ¦motions au Moyen ffge, hg. v. Piroska Nagy / Damien Boquet, Paris 2008, S. 93 – 106; Penelope Gouk / Helen Hills, Towards Histories of Emotions, in: Representing Emotions: New Connections in the History of Art, Music and Medicine, hg. v. dens., Aldershot / Burlington 2005, S. 15 – 34, hier 16 f., zur modernen Begrifflichkeit von »Gefühl« und »Emotion« außerdem Ute Frevert, Gefühle definieren: Begriffe und Debatten aus drei Jahrhunderten, in: dies. / Monique Scheer / Anne Schmidt / Pascal Eitler / Bettina Hitzer / Nina Verheyen / Benno Gammerl / Christian Bailey / Margrit Pernau, Gefühlswissen. Eine lexikalische Spurensuche in der Moderne, Frankfurt a.M. / New York 2011, S. 9 – 39, hier 24 – 31. Zu den räumlichen Dimensionen des »Gefühls« vgl. Monique Scheer, Topografien des Gefühls, in: Frevert u. a., Gefühlswissen, S. 41 – 64. Vgl. dazu Reinhart Meyer-Kalkus, Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von »Agrippina«, Göttingen 1986, S. 64; Claudia Benthien, Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert, München 2006, S. 282 f. – Hier sind vielfach noch die Einflüsse des antiken Viererschemas erkennbar. Zum Zusammenhang von Angst und Begehren in der Psychoanalyse Jacques Lacans vgl. Peter Widmer, Angst und Begehren, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 0 (2009), S. 87 – 101. Aristoteles, Rhetorik. Erster Halbband, übers. und erl. v. Christof Rapp, in: Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Grumach, hg. v. Hellmut Flashar, Berlin 1970 ff., Bd. 4, Buch 2, Kap. 5, S. 82 – 85. Baruch de Spinoza, Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt. Lateinisch-Deutsch. Neu übers., hg. und mit einer Einleitung versehen v. Wolfgang Bartuschat, in: Sämtliche Werke in sieben Bänden, hg. v. Carl Gebhardt, Hamburg 1991 – 1998, Bd. 2, Teil III bis V. Zu Spinozas Affektlehre vgl. Perler, Transformationen, Kap. V; Ursula Renz, Spinoza: Philosophische Therapeutik der Emotionen, in: Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, hg. v. Hilge Landweer / Ursula Renz, Berlin / New York 2008, S. 311 – 330; Newmark, Passion, S. 156 – 172; Barbara Handwerker Küchenhoff, Spinozas Theorie der Affekte. Kohärenz und Konflikt, Würzburg 2006. Für einen Überblick über die
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matik durchaus als repräsentativ gelten, ungeachtet ihrer besonderen Hintergründe und Implikationen und ungeachtet eines stehenden historischen Atheismus-Vorwurfs, der sein Ziel grundlegend verfehlte, in Anbetracht eines der jüdischen Scholastik und der christlichen Renaissancephilosophie vielfach verpflichteten pantheistischen Werkes. Am Ende des Untersuchungszeitraums finden sich einschlägige Spuren Spinozas etwa bei Christian Thomasius und darüber hinaus in den Enzyklopädien und Nachschlagewerken des frühen 18. Jahrhunderts: vor allem in Johann Georg Walchs Philosophischem Lexicon (1726) sowie in Zedlers Universal Lexicon (1735), dessen Autor wiederum passagenweise bei Walch abgeschrieben hat. Furcht, da herrschte Konsens, war ein trauriger Affekt, der aus der Abwesenheit eines Künftigen resultierte.13 Sie wurde erregt durch einen Akt der Einbildungskraft, die etwas imaginierte, was noch nicht vorhanden war. Furcht richtete den Blick in die Zukunft,14 sie suchte, so Zedlers Enzyklopädie, »ein e kunfftig anzusehendes Objectum« entweder zu erstreben oder zu vermeiden. Sie wurde evoziert, wie der Verfasser weiter ausführt, »durch die Vorstellung einer e guten aber dabey schwer zu erhaltenden, oder einer bosen, aber schwer abzuwenden[den] Sache«.15 (Fehlten Imagination und Erwartung, trat also ein Unglück plötzlich und unvermutet ein, sprachen die Systematiker gemeinhin vom »Schrecken«.16) Diese Doppelbestimmung band die Furcht an die Hoffnung:
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philosophische Affektologie des 17. Jahrhunderts vgl. Pierre François Moreau, Les passions: continuit¦s et tournants, in: Les passions antiques et m¦di¦vales, hg. v. Bernard Besnier / Pierre François Moreau / Laurence Renault, Paris 2003, S. 1 – 12. Z.B. Valentin Crüger / Johannes Possard, Disputatio Ethica De affectibus, Frankfurt a. d. O. 1655, o.P. (S. 10 f.; Crüger und Possard zitieren aus: In libros Ethicorum Aristotelis ad Nicomachum aliquot Conimbricensis cursus disputationes, In quibus praecipua quaedam Ethicae disciplinae capita continentur, Lugduni 1593, Buch 6, quaest. 5, art. 2). So auch Cornelis Bontekoe, Tractatus ethico-physicus De animi & corporis passionibus, Earundemque certissimis remediis, hg. v. Johannes Flenderus, Amsterdam 1709 [1696], S. 25: »metus est tristitia quædam propter malum futurum«. Art. »Furcht«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 2324; auch: Art. »Furcht«, in: Johann Georg Walch, Philosophisches Lexicon, Darinnen Die in allen Theilen der Philoe sophie, als Logic, Metaphysic, Physic, Pnevmatic, Ethic, naturlichen Theologie, und e e Rechts=Gelehrsamkeit, wie auch Politic furkommenden Materien und Kunst=Worter ere e e klaret und aus der Historie erlautert; die Streitigkeiten der altern und neuern Philosophen e e e erzehlet, die dahin gehorigen Bucher und Schrifften angefuhret, und alles nach Alphabetischer Ordnung vorgestellet werden, Leipzig 1726, S. 1076 – 1079. Ähnlich auch Johann Franz Budde, Institutiones theologiae moralis variis observationibus illustratae, Leipzig 1711, ND hg. v. Walter Sparn, mit einer Einleitung v. Friederike Nüssel (Gesammelte Schriften 6), Hildesheim / Zürich / New York 2007, Kap. 1, Abschn. 6, § 19, S. 207 f.; Friedrich Gentzken, Tractatus ethico-physicus de passionibus, ubi affectus omnes tum generatim tum speciatim considerantur, eorumque natura, proprietates, diversæ species, objecta peculiaria, physici-characteres, singularia phœnomena, naturalis & moralis usus, varii abusus, horumque moralia remedia justo ordine succincte sistuntur, Kiel, 2. Aufl. o. J. [ca. 1720] [1707], S. 63. Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, der Welt und der Seele der Menschen,
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Gottes Macht und Gottes Furcht
»Es stehet derselben die Hoffnung entgegen, welche zuweilen in den [sic] menschlichen e Gemuth mit der Furcht zu streiten scheinet, daß bald die Hoffnung bald die Furcht in e demselben die Ober=Hand behalt, bald beyde sich in [dem] gleichen Grade befinden. e Denn da die Hoffnung sich auf eine Wahrscheinlichkeit grundet, bey jeder Wahre scheinlichkeit aber eine entgegen gesetzte Moglichkeit zu vermuthen ist, so ist gee meiniglich die Furcht, als welche auf dieses letztere contraire Moglichkeit siehet, mit 17 der Hoffnung verbunden.«
Zwischen Furcht und Hoffnung – ihrer »stete[n] Gefertin«, wie Justus Georg Schottelius sie nennt18 – bestand eine inverse Beziehung. Einerseits schienen sie einander entgegengesetzt, andererseits implizierten sie sich wechselseitig. Die eine konstituierte sich in der Abwesenheit der anderen und damit war in jeder von beiden auch die andere präsent. Wer sich fürchtete, hoffte, dass das Befürchtete nicht eintreffen würde, und wer Hoffnung hegte, fürchtete zugleich, dass das Erhoffte nicht in Erfüllung gehen könnte.19 Analog zu Liebe und Hass: Hoffnung und Furcht konnte es ohne einander nicht geben. Wer sich fürchtete, auch allen Dingen überhaupt, in: Gesammelte Werke, hg. v. Jean École / J.E. Hofmann / M. Thomann / Hans Werner Arndt, Hildesheim / Zürich / New York 1965 ff., Bd. I.2, S. 291; ders., Vernünfftige Gedancken von der Menschen Thun und Lassen, zu Beförderung ihrer Glückseeligkeit, in: Gesammelte Werke, Bd. I.4, S. 286; Andreas Rüdiger, Anweisung Zu e der Zufriedenheit der Menschlichen Seele/ Als Dem Hochsten Gute dieses zeitlichen Lebens, Leipzig 21726 [1721], S. 248; Art. »Furcht«, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 1076; Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 35, Sp. 1111 – 1113, hier 1111; Gentzken, De passionibus, S. 62, § 3; Budde, Institutiones theologiae moralis, S. 207. Johann Heinrich Alsted betont dagegen primär die affektuelle Erschütterung: »Terror est metus concutiens, ob comminationem mali infligendi, aut gravitatem mali sustinendi.« Johann Heinrich Alsted, Encyclopædia Septem tomis distincta, Herborn 1630 (ND hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, 4 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1989 – 1990), S. 2369, im Anschluss an den spanischen Redner und Philosophen Laelius Peregrinus, De noscendis et emendandis animi affectionibvs, o. O. 1603, zit. nach der Ausgabe Leipzig 1714, S. 185. 17 Art. »Furcht«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 2324; vgl auch Gentzken, De passionibus, S. 62; Rüdiger, Zufriedenheit, S. 244 – 250. 18 Schottelius, Ethica, S. 208, § 6. 19 Vgl. auch Art. »Furcht«, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 1076; knapp einhundert Jahre zuvor: Alsted, Encyclopædia, S. 2369 (mit Augustinus; vgl. auch unten Anm. 38). Christian Thomasius sah die Hoffnung als die grundlegendere Affektation an, insofern sie auch ohne Furcht zu haben sei. Die Furcht dagegen entstand für Thomasius nur, weil wir etwas lieben – und damit hoffen: Christian Thomasius, Fundamenta iuris naturae et gentium ex sensu communi deducta, Halle / Leipzig 1705, Buch I, Kap. 2; vier Jahre später erschien eine deutsche Fassung: Grundlehren des Natur- und Völkerrechts, hg. und mit einem Vorwort versehen v. Frank Grunert. ND der Ausgabe Halle 1709 (Ausgewählte Werke 18), Hildesheim / New York 2003, hier S. 44 f. Bei Thomas Hobbes ist das Vermeiden, das keine Hoffnung hat, nicht Furcht, sondern Hass, und das Begehren, das keine Furcht kennt, nicht Hoffnung, sondern Begierde: Thomas Hobbes, Vom Menschen, in: ders., Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, eingel. und hg. v. Günter Gawlick, Hamburg 1977, S. 3 – 56, hier 30 f.; ders., Der Körper. Elemente der Philosophie I, übers., mit einer Einleitung und mit textkritischen Annotationen versehen und hg. v. Karl Schuhmann, Hamburg 1997, S. 267.
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fürchtete nicht nur das Eintreten des Verhassten, sondern auch das Nichteintreten des Geliebten. In den Worten Spinozas: »Ex his definitionibus sequitur, non dari Spem sine Metu, neque Metum sine Spe. Qui enim Spe pendet, & de rei eventu dubitat, is aliquid imaginari supponitur, quo rei futurae existentiam secludet; atque adeo eatenus contristari […], & consequenter, dum Spe pendet, metuere, ut res eveniat. Qui autem contra in Metu est, hoc est, de rei, quam odit, eventu dubitat, aliquid etiam imaginatur, quod ejusdem rei existentiam secludit; atque adeo […] laetatur, & consequenter eatenus Spem habet ne eveniat.«20
Dies ist die erste tragende Säule der Definition. Mit ihr kam ein weiterer Aspekt ins Spiel, der sich bereits in der zitierten Passage andeutet. Vor dem Hintergrund ihres imaginativen Zukunftsbezugs hatten Furcht und Hoffnung auch die Ungewissheit über die künftige Verwirklichung des Vorgestellten gemein. Schwand diese Unsicherheit, wandelte sich Hoffnung in Zuversicht (securitas) und Furcht versank in Verzweiflung (desperatio).21 Blieb der Zweifel jedoch bestehen, zeitigte er für viele ein ganz eigenes Leiden. Im Wissen um die Offenheit der Situation, im Bewusstsein, dass das Befürchtete nicht mit unausweichlicher Notwendigkeit eintreten würde, barg Furcht ein Moment der Hoffnung, das sie einerseits als weniger gravierend erscheinen ließ als hoffnungslose Desperation (die aus Furcht resultierte, aber selbst keine solche mehr war),22 das ihr jedoch andererseits eine größere Gewaltsamkeit verlieh als die unzweifelhafte Präsenz des Befürchteten. »In timore autem«, hielt Johann Heinrich Alsted 1630 in seiner Encyclopaedia fest, »illud observandum; ab eo per expectationem mali plus sæpe molestiæ inferri, qum ab ipso malo, ubi præsens fuerit, corripueritque 20 Spinoza, Ethik III, Definition 13, Erläuterung; auch III, 50, Anmerkung. Dazu Ortrun Schulz, Die Kritik der Hoffnung bei Spinoza und Schopenhauer, in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 80 (1999), S. 125 – 145, hier 133 – 135. Vgl. auch René Descartes, Die Leidenschaften der Seele, hg. und übers. v. Klaus Hammacher, Hamburg 21996, Art. 165: »Die Hoffnung ist eine Veranlassung der Seele, sich zu überreden, daß das, was sie begehrt, eintreffen wird, was durch eine eigentümliche Bewegung der Lebensgeister verursacht wird, in der sich die der Freude und des Verlangens vermischen. Die Furcht [crainte] aber ist eine solche Veranlagung der Seele, welche sie überredet, daß so etwas nicht eintrifft. Es muß aber bemerkt werden, daß man sie nichtsdestoweniger zugleich haben kann, obgleich diese beiden Leidenschaften [passions] entgegengesetzt sind. So wenn man sich zur gleichen Zeit verschiedene Gründe vorstellt, von denen die einen zu dem Urteil verleiten, die Erfüllung des Verlangens sei leicht, während die anderen dies schwer erscheinen lassen.« 21 Spinoza, Ethik III, 18, Anmerkung 2; auch III, Definition 13 und 15. So auch Arnold Wesenfeld, Introductio ad Georgica animi et vitæ seu pathologiam practicam, Frankfurt a. d. O. 1694, S. 603 – 605; Gentzken, De passionibus, S. 62 (beide bezeichnen den höchsten Grad der Hoffnung, die Zuversicht, nicht als securitas, sondern als fiducia); Wolff, Vernünfftige Gedancken von Gott, S. 290; Budde, Institutiones theologiae moralis, S. 207. In dieselbe Richtung, wenngleich ohne den Begriff der »Verzweiflung« zu verwenden, geht Peregrinus, De noscendis, S. 188. 22 Verzweiflung war in erster Linie ein Problem von Sünden- und Pastoraltheologie sowie von medizinischer Pathologie; dazu unten Kap. 4.5.
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hominem.«23 Und der lutherische Sprachphilosoph und Dichter Schottelius zitiert den locus communis: »Die Furcht thut also viel weher/ als die Gefahr selbst/ e und ist grosser als die Gefahr.«24 Der überraschende Befund, der die Zeitgenossen zu vielfältigen Paradoxierungen veranlasste, warf nicht allein die Frage auf, was Affekte sind, sondern auch, wie mit ihnen umzugehen sei: nicht allein die Frage nach ihrem Wesen, sondern auch die nach ihrer Therapie. Die Selbstbewahrheitung der Furcht war damit nicht nur ein Problem der Natur-, sondern auch der Moralphilosophie. Auch hier ist zunächst Spinoza zu zitieren, insofern er, im Gegensatz etwa zu Descartes oder Hobbes, sich nicht lediglich mit der naturalisierten Kausallogik der Affekte auseinandergesetzt hat, sondern auch ausführlicher mit ihren ethischen Konsequenzen.25 Daneben jedoch gewinnt ein Autor besondere Bedeutung, der dem Problem der Gewaltsamkeit der Furcht und ihrer imaginativen Selbstbewahrheitung einen breiten und facettenreichen Raum gibt26 – nicht zuletzt deswegen, weil er Überlegungen zur Moralphilosophie und zum phänomenalen Charakter von Affekten mit Reflexionen seiner selbst verknüpft: Michel de Montaigne. Seine Essais markieren den Beginn des Untersuchungs23 »Bei der Furcht ist zu beobachten, dass die Erwartung eines Übels oft mehr Leid mit sich bringt als das Übel selbst, wenn es gegenwärtig ist und den Menschen ergreift.« Alsted, Encyclopædia, S. 2369; meine Übersetzung. Alsted übernimmt die Aussage (neben anderen und ohne Nachweis) nahezu wörtlich von Peregrinus, De noscendis, S. 190 f. Peregrinus wiederum bezieht sich auf Xenophon, Curtius Rufus und Tacitus. 24 Schottelius, Ethica, S. 224. Die Sentenz findet sich bei Christoph Lehmann, Florilegium Politicum. Politischer Blumen Garten. Faksimiledruck der Auflage von 1639, hg. und eingel. v. Wolfgang Mieder, Bern / Frankfurt a.M. / New York 1986 (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 61), S. 227, vgl. auch 224. Zu den Florilegien der Zeit vgl. Gilbert Heß, Enzyklopädien und Florilegien im 16. und 17. Jahrhundert. Doctrina, Eruditio und Sapientia in verschiedenen Thesaurierungsformen, in: Wissenssicherung, Wissensordnung und Wissensverarbeitung. Das europäische Modell der Enzyklopädien, hg. v. Theo Stammen / Wolfgang E.J. Weber, Berlin 2004 (Colloquia Augustana 18), S. 39 – 57. Zu Schottelius vgl. Birgit Praxl, Die »Wollebenskunst« des Justus Georg Schottelius. Streben nach irdischem Wohlergehen als Ziel einer frühneuzeitlichen Sitten- und Affektenlehre, in: Passion, Affekt und Leidenschaft in der Frühen Neuzeit, hg. v. Johann Anselm Steiger, Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 43), Bd. 2, S. 1037 – 1049; Heinz Dieter Kittsteiner, Eine barocke Seele auf dem Weg in die ewige Seligkeit, in: ders., Gewissen und Geschichte, S. 67 – 117; ders., Entstehung, S. 125 ff. 25 Spinoza, Ethik , Teil V. 26 Den zentralen Stellenwert der Furcht für Montaignes Werk betont auch Bjørn Bredal Hansen, La peur, le rire et la sagesse. Essai sur Rabelais et Montaigne, Kopenhagen 1985 (Etudes Romanes de l’Universit¦ de Copenhague. Revue Romane num¦ro suppl¦mentaire 28), Kap. 1. Zur Macht der Imagination bei Montaigne vgl. Martina Meierhofer, Zur Genealogie des Imaginären. Montaigne, Pascal, Rousseau, Tübingen 2003, Kap. 2; Karin Westerwelle, Montaigne. Die Imagination und die Kunst des Essays, München 2002, insbes. S. 419 – 424. Zur Affektologie der französischen Moralisten vgl. Markus Wild, Montaigne und La Rochefoucauld: Emotionen in der Moralistik, in: Klassische Emotionstheorien, hg. v. Landweer / Renz, S. 249 – 268.
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zeitraums; und sie repräsentieren, zusammen mit Pascals eingangs zitierten Pens¦es, die französische Moralistik des späten 16. und 17. Jahrhunderts, die auch in den deutschen Territorien nicht ohne Einfluss geblieben ist.27 Die Essais tradieren und christianisieren ein ethisches Denken der Antike, ohne das auch die maßgeblichen Auseinandersetzungen im deutschsprachigen Raum nicht zu verstehen sind. Die Problematik der Furcht ist insbesondere in der Stoa paradoxiert worden, wie sie sich (neben anderem Gedankengut) bei Montaigne rezipiert und verarbeitet findet.28 Insofern der »Essayist«, mitnichten religiös unmusikalisch,29 die neostoischen Prinzipien der Lebensklugheit und der Selbstsorge in besonderer Weise pointiert, ist ihm an dieser Stelle ausführlicher das Wort zu erteilen.30 »Der allerschwerste Zustand«, bekannte Montaigne, »ist für mich aber, in dringenden Angelegenheiten unschlüssig zu sein und zum Spielball von Furcht und Hoffnung zu werden.«31 Dabei stellte das Hoffen das geringere Problem dar. Bei den Alten war Furcht in aller Regel übel gelitten; sie erschien als »aegri27 Die Essais wurden zwar erst Mitte des 18. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt, jedoch bereits 1689 in Auszügen im Reich verlegt: Abbrege Des Memoires Illustres Contenant Les Plus Remarqvables Affaires D’Estat Enrichi, D’un Sommaire Des Essais De Montaigne, hg. v. Christoph Kormart, Dresden 1689. Die erste (einflusslos gebliebene) Übertragung ins Deutsche stammt von Johann Daniel Tietz: Michaels Herrn von Montagne [sic] Versuche, nebst des Verfassers Leben, nach der neuesten Ausgabe des Herrn Peter Coste ins Deutsche übers. v. Johann Daniel Tietz, Leipzig 1753 – 1754. Die zweite deutschsprachige Ausgabe ließ weitere vier Jahrzehnte auf sich warten: Michael Montaigne’s Gedanken und Meinungen über allerley Gegenstände, ins Deutsche übers. v. Johann Joachim Christoph Bode, Berlin 1793 – 1799. Literarisch aufgenommen und weitergeführt wurden die Essais dann vor allem von Georg Christoph Lichtenberg, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Elias Canetti. Zur Montaigne-Rezeption in Deutschland siehe Ludwig Rohner, Der deutsche Essay. Materialien zur Geschichte einer literarischen Gattung, Neuwied 1966, S. 76 ff. 28 Zum Paradoxen bei Montaigne vgl. Paul Geyer, Zur Dialektik des Paradoxen in der französischen Moralistik: Montaignes Essais – La Rochefoucaulds Maximes – Diderots Neveu de Rameau, in: Das Paradox, hg. v. Hagenbüchle / Geyer, S. 385 – 407, insbes. 386 – 392. 29 Zu Montaignes Religiosität siehe Hans-Peter Bippus, In der Theologie nicht bewandert? Montaigne und die Theologie, Tübingen / Basel 2000; auch Martin Gessmann, Montaigne und die Moderne. Zu den philosophischen Grundlagen einer Epochenwende, Hamburg 1997. 30 Zur Selbstsorge bei Montaigne vgl. Dorothee Kimmich, Epikureische Aufklärungen. Philosophische und poetische Konzepte der Selbstsorge, Darmstadt 1993, S. 78 ff.; Reto Luzius Fetz, Das Tun des Eigenen. Lebenskunst und Selbstidentität bei Michel de Montaigne, in: Die Renaissance, hg. v. Rudolph, S. 167 – 212. 31 Montaigne, Essais II, 17, S. 475; zur Einheit von Furcht und Hoffnung vgl. auch I, 3, S. 24; III, 12, S. 431. Vgl. auch Christian Thomasius, Dissertatio de tortura ex foris Christianorum proscribenda, Halle a. d. S. 1705. Der lat. Text ist mit einer dt. Übersetzung abgedruckt in ders., Über die Folter. Untersuchungen zur Geschichte der Folter, übers. und hg. v. Rolf Lieberwirth, Weimar 1960 (Thomasiana 4), S. 115 – 191, hier 150/151: »[H]art und unmenschlich« ist es, »immer in Ungewissheit über seine Existenz [zu] leben und ängstlich zwischen Hoffnung und Furcht [zu] schweben«. Näheres zur Folter unten in Kap. 5.1.
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tudo«,32 als ein Leiden, das wie kein anderes den Weg zu einem glücklichen Leben versperrte. Gerade sie, wie auch Spinoza wusste, beraubte den Menschen seiner Freiheit und unterwarf ihn ihrer affektuellen Knechtschaft. In der Furcht litt Montaigne, seinem Vernehmen nach, nicht minder als im Erleiden des Befürchteten – ja sogar noch mehr.33 Und so war sie es, wovor der Autor sich am meisten fürchtete; sie schien ihm gewaltsamer als alle Gewalt: »C’est ce dequoy j’ay le plus de peur que la peur. Aussi surmonte elle en aigreur tous autres accidents.«34 Wie war dies zu erklären? Furcht realisierte und aktualisierte das Befürchtete, indem sie die Gegenwart durch die Zukunft ersetzte: indem sie das Künftige vor der Zeit imaginär präsent werden ließ.35 Die Gegenwart der Imagination schien leidvoller als die imaginierte, weil sie eine Gegenwart destruierte, in der das Befürchtete noch gar nicht eingetreten war, und das heißt, indem sie deren Zerstörung ebenso erfahrbar machte wie ihre Zerstörbarkeit. War das Schreckliche wirklich eingetreten, ließ es sich leichter ertragen als seine Möglichkeit: als das Bild, das es angekündigt hatte. So entstand das besondere Leiden der Furcht im Bewusstsein einer Differenz: eines (drohenden) Verlustes. Vorausgesetzt war die Zweifelhaftigkeit des Befürchteten, das Wissen, dass es möglicherweise nicht eintreten würde. Montaigne sagt es mit Seneca: »dubia plus torquent mala«. Ungewisse Übel quälen uns in besonderer Weise.36 (Und so musste Verborgenes und gänzlich Unbekanntes das Gemüt umso heftiger erschrecken.37) Die prima causa der Furcht lag, wie es schien, in der Liebe zum Leben. Der einen, am Ende, konnte sich nur entledigen, wer auch die andere zerstörte. Dies wusste schon Augustinus, und ihn zitiert Alsted in seiner Enzyklopädie.38 Die 32 Alsted, Encyclopædia, S. 2369. 33 Montaigne, Essais I, 14, S. 87, 90 f.; II, 3, S. 38; II, 6, S. 67; II, 17, S. 476; III, 12, S. 415. 34 Ders., Les Essais I, 18, S. 78; dt.: Essais I, 18, S. 120. Zur »Meta-Furcht« bei Montaigne vgl. Perler, Transformationen, S. 225 f. 35 Montaigne, Essais II, 12, S. 245; so auch Bontekoe, De animi & corporis passionibus, S. 26 f. 36 Seneca, Agamemnon, 420. Stilett wählt gar den Superlativ (Montaigne, Essais II, 17, S. 475): »Ungewisser Übel Pein/ wird uns stets die schlimmste sein.« 37 Montaigne, Essais I, 53, S. 466, mit Caesar, De bello civili II, 4: »communi fit vitio naturæ ut invisis, latitantibus atque incognitis rebus magis confidamus, vehementifflsque exterreamur«. So auch Peregrinus, De noscendis, S. 187. 38 Alsted, Encyclopædia, S. 2369: »Remedia nimii metus sunt, succidere amorem, qui est timoris radix: item assuetudo rerum terribilium, & quæcunque gignunt audaciam, vel firmant animum. PræclarÀ traditum ab August[ino] non aliam esse causam metuendi, nisi, ne id, quod amamus adeptum amittamus, aut non adipiscamur speratum. Timemus itaq[ue] quia diligimus. qui divitias non amat, fures vel peculatores non metuit. qui lucis hujus usuram non adeo charam habet, non pavet mortem. Amor itaq[ue], timoris radix, succidendus.« Alsted übernimmt auch dies (ebenfalls ohne Nachweis) aus Peregrinus, De noscendis, S. 192 f. Grundlegend zu Alsted: Howard Hotson, Johann Heinrich Alsted
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Furcht des Lebens war stets geboren aus der Furcht vor seinem Verlust. In ihr jedoch verlor der Mensch, was er zu verlieren fürchtete; er starb in der Furcht zu sterben.39 Montaigne folgt der pyrrhonisch-skeptischen Ansicht, »daß wir das Leben, solange wir es zu verlieren fürchten, nicht wahrhaft zu genießen verstehen.«40 Wer ein gutes Leben führen wollte, durfte sich nicht damit quälen, dass es ein Ende haben würde; in der Furcht vor dem Ende war das Ende immer schon da. Wer sich fürchtete, das Leben künftig zu verlieren, verlor es bereits hier und jetzt. Ein teuflischer Kreis: »Durch die Sorge um den Tod trüben wir das Leben und durch die Sorge um das Leben den Tod.«41 Wer sich vor dem Tod fürchtete, vermochte nicht zu leben, und wer nicht zu leben vermochte, fürchtete sich vor dem Tod. Abhilfe versprach da, nach Montaigne, nur die Philosophie. Philosophieren hieß sterben lernen; und wer gelernt hatte zu sterben, hatte gelernt zu leben. So schien verlieren zu können schlimmer als verloren zu haben. Verlorenes konnte niemand (mehr) verlieren. Die Aussage pointiert einen Prozess der Selbstfindung und Selbsterkenntnis. Montaigne bedient sich dazu einer räumlichen Metapher : »Die unterste Stufe ist die sicherste. Dort hat die Beständigkeit ihren Sitz, dort gründet und stützt sie sich völlig auf sich, dort brauchst du niemand anders als dich selbst.«42 Wer am tiefsten fiel, stieß – paradoxerweise – auf sich selbst. Hatte ein Mensch auch alles verloren, sich selbst verlor er nur, wenn er nicht bereit war, alles zu verlieren. Wer sich fürchtete, verlor mit seiner Gegenwart auch sich selbst,43 im Erleiden des Befürchteten jedoch erhielt er die Möglichkeit, sich zu finden.44 Hier wird, um im Bild zu bleiben, das soziale
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1588 – 1638: Between Renaissance, Reformation and Universal Reform, Oxford 2000; ders., Paradise Postponed: Johann Heinrich Alsted and the Birth of Calvinist Millenarianism, Dordrecht 2000 (Archives internationales d’histoire des id¦es 172). Unabhängig von der seit Epikur erörterten Frage, ob wir in der Furcht vor dem Tod tatsächlich den Tod fürchten oder nicht vielmehr das Sterben und seinen Schmerz (Montaigne, Essais I, 14, S. 87). Montaigne, Essais II, 15, S. 428. Doch nimmt Montaigne die Pyrrhonische Skepsis beim Wort, wenn er hinzufügt: »Es ließe sich jedoch auch umgekehrt sagen, daß wir dieses Gut um so fester und inniger in die Arme schließen und an uns drücken, je unsichrer uns sein Besitz scheint und je mehr wir uns ängstigen, es könne uns geraubt werden.« Hier erhält Furcht auch eine positive Funktion. Näheres dazu unten. Montaigne, Essais III, 12, S. 417. Ders., Essais II, 17, S. 476. Ders., Essais I, 3, S. 24 f.; III, 12, S. 416. Damit blieb die Selbstfindung freilich stets prekär : Ders., Essais III, 9, S. 289: »Ich versuche, keines Menschen dringend zu bedürfen. Alle Hoffnung setze ich auf mich selbst. Dies ist etwas, das jeder für sich zu tun vermag, aber leichter jene, denen Gott vor den dringenden natürlichen Bedürfnissen Schutz gewährt hat. Welch erbärmliches und bedrohliches Los, von jemand anderm abzuhängen! Nicht einmal unser Selbst, unser ureigenster und sicherster Zufluchtsort, gibt uns Sicherheit genug: Ich habe nichts Meiniges als mich, und doch ist sogar dieser Besitz unvollkommen und teilweise erborgt. So suche ich sowohl meinen Mut (worauf es am meisten ankommt) als auch meine Fähigkeiten zur Schicksals-
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Kellergeschoss zum tragenden Fundament. Ziel musste es sein, auf niemanden als sich selbst angewiesen zu sein. Wer sich fürchtete, verlor sich selbst, insofern er in der Furcht nicht sich selbst, sondern die Dinge dieser Welt zu verlieren fürchtete. Vor diesem Hintergrund war das Befürchtete leichter und standhafter zu ertragen als die Befürchtung; wer sich selbst verloren hatte, war der Möglichkeit der constantia beraubt. »Wenn das Ereignis eingetreten ist«, bekannte Montaigne, »verhalte ich mich mannhaft, bis dahin aber wie ein Kind.«45 Eine derartige »Kindlichkeit« konnte nicht ohne Folgen bleiben.46 Das besondere Leidenspotential des Furchtaffekts war dabei nur die eine. Darüber hinaus wurde ein weiteres Problem diskutiert: Furcht, so schien es vielen, vermochte das Befürchtete selbst herbeizuführen; und dies nicht allein imaginär : Sie konnte das Imaginierte ganz real in Erfüllung gehen lassen – in vielfältiger Weise. Manche Menschen etwa stürzten sich aus Furcht vor dem Abgrund in eben diesen hinein.47 Von einem »hervorragenden Bogenschützen, der zum Tode verurteilt war«, wusste Montaigne zu berichten: Als man ihm »anbot, ihm das Leben zu schenken, wenn er eine besondre Probe seines Könnens liefere, weigerte er sich, den Versuch zu machen, weil er fürchtete, die allzu große Anspannung des Willens würde seine Hand das Ziel verfehlen lassen, so daß er nicht nur sein Leben verlöre, sondern überdies den Ruhm, den er sich im Bogenschießen erworben hatte.«48 Der Schütze wusste um den fatalen Mechanismus; er fürchtete die Furcht, die alles noch schlimmer machen würde, als es ohnehin schon war. Sein Leben konnte er so nicht retten, wohl aber die Ehre, die ihm höher schien als alles leibliche Wohl. Einem anderen Krieger dagegen war eine derartige Vorsorge nicht mehr vergönnt. Bei einer Belagerung habe die Furcht »einen Edelmann derart gepackt und in den Würgegriff genommen«, »daß sein Herz zu Eis erstarrte und er in einer Bresche, ohne im geringsten verwundet zu sein, mausetot umfiel.«49 Auf die medizinischen Erklärungen eines derartigen Todes wird zurückzukommen sein.50 An dieser Stelle genügt Montaignes Resümee: »Im allgemeinen gilt: Je weniger Furcht man hat, desto weniger ist man gefährdet.«51 Nichts setzt uns stärker Gefahren aus als die hechelnde Begierde, ihnen zu entgehen.
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bewältigung weiterzuentwickeln, damit ich hierin meine Zufriedenheit finden kann, wenn mich sonst alles verlassen sollte.« Ders., Essais II, 17, S. 475 f. Zu jener »Kindlichkeit«, die nicht den Gegensatz zu »Mannhaftigkeit« meint, sondern zu »knechtischer Furcht«, siehe unten Abschnitt 2. Montaigne, Essais II, 3, S. 38. Ders., Essais II, 17, S 484. Ders., Essais I, 18, S. 119. Unten in Kap. 4.3 und 4.4. Montaigne, Essais III, 6, S. 183. In diesen Zusammenhang fügt sich auch das paradoxe Zitat aus Horaz, Ars poetica, 31, auch wenn hier nicht explizit von Furcht die Rede ist: »In vitium
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Dieser Hinweis implizierte die Kritik einer aus Furcht und Angst geborenen Divination: einer Zukunftsschau, die zu zeitigen vermochte, was sie zu verhindern suchte. Exemplarisch schien Montaigne die Geschichte des Marquis FranÅois de Saluces: »Er, Stellvertreter von König Franz bei dessen in Italien stehender Armee, genoß die grenzenlose Gunst unsres Hofs und war dem König schon wegen des Marquisats zu Dank verpflichtet, das seinem Bruder weggenommen worden war. Obwohl er also keinerlei Anlaß hatte, die Seite zu wechseln, und sogar seine eignen Gefühle dem entgegenstanden, ließ er sich, wie sich später bestätigen sollte, von den Voraussagen in Angst und Schrecken versetzen, die man damals zugunsten von Kaiser Karl V. und zu unseren Ungunsten überall, besonders aber in Italien, in Umlauf brachte (wo diese verrückten Prophezeiungen unsres bevorstehenden Untergangs einen solchen Glauben fanden, daß bei den römischen Banken große Geldsummen umgetauscht wurden); und nachdem er seinen Vertrauten gegenüber immer wieder über die schlimmen Dinge gejammert hatte, die er unvermeidlich auf die Krone Frankreichs und seine dortigen Freunde zukommen sah, machte er eine Kehrtwendung und wechselte die Partei – freilich, wie immer die Konstellation der Sterne gewesen sein mochte, zu seinem großen Schaden. Sein Verhalten zeigte nämlich, daß er von widersprüchlichen Gefühlen hin und her gerissen wurde. Da er Städte und Streitkräfte in der Hand hatte, die feindliche Armee unter Antoine de LÀve nur drei Schritte vor ihm stand und wir sein Vorhaben in keiner Weise beargwöhnten, wäre er jedenfalls in der Lage gewesen, uns Schlimmeres zuzufügen als das, was er tatsächlich tat. So aber verloren wir durch seinen Verrat keinen Mann und außer Fossano keine Stadt, und auch sie erst nach langer Verteidigung.«52
Ein derartiger Glaube an Weissagungen hatte mitunter negative Folgen, insofern er zwar das Handeln, jedoch nicht dessen Ergebnis in der gewünschten Weise zu beeinflussen vermochte. Der Versuch, dem Prophezeiten zu entkommen, hatte dem Marquis nichts genützt: Zwar kehrte sein Verhalten die vorausgesagte Lage um, dessen ungeachtet jedoch brachte es ihm den befürchteten Schaden. Der Marquis, so die Botschaft, konnte seinem Schicksal nicht entgehen – und nicht nur er. Besser lebte, wer bereit war, dies zu akzeptieren.53 Gegenüber dem praktischen Sinn von Zukunftsdeutungen gab es bereits in der Antike skeptische Stimmen, etwa aus Ciceros Feder, den auch Montaigne im einschlägigen Zusammenhang zitiert: »Ne utile quidem est scire quid futurum sit. Miserum est enim nihil proficientem angi.«54 Eine unausweichliche und ducit culpae fuga.« Stilett übersetzt (Montaigne, Essais II, 6, S. 76): »Wen die Furcht vorm Fehlen quält, jj dem geschieht es, daß er fehlt.« 52 Montaigne, Essais I, 11, S. 66 f. 53 Dies bedeutet nicht, dass sich diese Prophezeiung selbst erfüllte. Der Gedanke einer selffulfilling prophecy (Robert K. Merton) setzte voraus, dass das Prophezeite noch nicht festgelegt, dass es noch nicht geschehen war. Erst unter den Bedingungen moderner Zeitkonzepte konnte die Prophezeiung als ursächlicher Teil ihrer eigenen Erfüllung erscheinen. 54 Cicero, De natura deorum III, 6 (Montaigne, Essais I, 11, S. 66).
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vorherbestimmte Zukunft vorausgesetzt, so das zentrale Argument der Kritiker, war eine prophetische Aussage entweder wahr und damit nutzlos, oder sie nahm den intendierten Einfluss auf das Künftige und falsifizierte sich auf diese Weise selbst. So grundlegend jedoch kommt der Einwand bei Montaigne gar nicht daher. Ihm ist es in erster Linie um den Furchtaffekt zu tun. Entscheidend ist: Der Marquis de Saluces ließ sich von den Vorhersagen in Angst und Schrecken vesetzen und führte so ein elendes Leben. In diesen Rahmen fügen sich auch Montaignes kritische Einlassungen zur zeitgenössischen Medizin, die nicht primär religiös, sondern praktisch begründet sind: nicht aus einer Sündhaftigkeit ärztlicher Intervention, sondern aus ihrer Nutzlosigkeit. Wo medizinisches Erkenntnisvermögen begrenzt war und das, was es erkannte, ohnehin kaum zu ändern vermochte, schien es am klügsten, die Leiden des Körpers abzuwarten, um sie zu ertragen, wenn sie eingetreten waren. Unnötige Prognosen und therapeutische Verordnungen dagegen fügten bereits vor dem Schmerz einen Schmerz zu, der größer war als der erwartete.55 Furchterregend, am Ende, schien Montaigne nicht die Krankheit, sondern eine Medizin, die die Furcht vor der Krankheit instrumentalisierte (und falsche Hoffnungen erweckte): die Gesundheit lediglich als Vorbotin von Krankheit auffasste, um ihre eigene Herrschaft zu sichern.56 Die Forderung der Ärzte, auf ihre Kompetenz zu vertrauen, erklärte sich für Montaigne aus ihrer Inkompetenz: aus der Wirkungslosigkeit, wenn nicht gar aus der Schädlichkeit ärztlicher Maßnahmen und Prognosen.57 Auch Montaigne dürfte sich zuweilen medizinischer Behandlung unterzogen haben. Was er kritisiert, ist nicht die Konsultation von Ärzten an sich, sondern jene, die durch die Angst um das eigene Leben motiviert ist. Besser beraten war dagegen, wer nicht auf die Mediziner, sondern auf die Vorsehung vertraute. Die wusste das eine zu rächen und das andere zu lohnen. So erscheint das Befürchtete, wenn es eintrat, als Sanktion für die Furcht, die es gefürchtet hatte: für die mangelnde Bereitschaft, die kosmische Ordnung zu achten. »Unsere Furcht und unsre Verzweiflung erregen ihren Widerwillen, und statt sie damit zu unsrer Hilfe zu bewegen, verleiden wir sie ihr.« Daher ergeht der Aufruf: »Fügen wir uns also, in Gottes Namen, fügen wir uns! Die der Ordnung folgen, führt sie; die ihr aber nicht folgen, reißt sie mit sich fort, samt Aufbegehren und Arznei.«58 Die Geißel der Furcht traf vor allem jene, die sich befähigt wähnten, das Drohende zu verhindern. Wer dagegen um die Macht der Vorsehung wusste, der kannte auch ihre Güte – und hatte keinen Anlass zur Furcht. Wer das Leid, das er 55 Montaigne, Essais I, 14, S. 87 und 90 f. 56 Ders., Essais II, 37, S. 648 f. 57 Ders., Essais II, 37, S. 663. Zum Postulat des furchtlosen Vertrauens in die Kompetenz der Ärzte auch unten Kap. 4.4. 58 Montaigne, Essais II, 37, S. 661.
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nicht abzuwenden vermochte, gar nicht erst vermeiden wollte, erwartete und ertrug es in »Apathie« (!p²heia) – und nahm ihm damit den Charakter eines furchterregenden Leids. Furcht, um es zuzuspitzen, rebellierte gegen die Vorsehung, und die rächte dies mit der Verwirklichung des Befürchteten – mit einer imaginären und damit mit einer ganz realen zugleich. Nicht das Wissen um die Macht der Providenz wurde mit dem Leiden der Furcht bezahlt, sondern deren Verkennung. Wer dagegen auf Vorsehung und Schicksal vertraute, so Montaignes Überzeugung, verfiel nicht in verzweifelnde Furcht, sondern erhob sich zur Freiheit. Zu überwinden stand nicht die Vorsehung, sondern die Angst vor ihr ; letztere allein war eigentlich zu fürchten. Frei schien, wer freiwillig tat, was er gezwungen war zu tun. Freiheit oder Zwang, so zeigt das stoische Paradox, ist hier nicht die Alternative. Die Vorsehung erschien nicht als Übermächtigungsapparat, sondern als Leit- und Orientierungssystem. Die Möglichkeit des Handelns eröffnete sich nicht in der Bekämpfung der providentia, sondern in der Übereinstimmung mit ihr. Wer die Ordnung respektierte, aus freien Stücken, wer bekannte, gegen die Macht des Schicksals am Ende machtlos zu sein,59 der wurde befreit: von Furcht. In die Kritik gerät hier also nicht der Glaube an die Providenz, sondern eine curiosit¦, die sie zu ergründen sucht mit dem Ziel, sie zu hintergehen. Diese »Neugier«60 speiste sich aus Furcht, denn sie hatte die falschen Güter im Blick. Sie wurde von der Vorsehung sanktioniert, mit dem gefürchteten Übel, weil sie auf das Wohl des Körpers zielte und nicht auf das Heil der Seele. Damit ist, nach der Diagnose der Leiden der Furcht und ihrer Gefahren, noch einmal die Frage der Therapie gestellt; und für sie gab es keine Antwort ohne Modifikationen der Semantik der Furcht. Wo es wenig Erfolg versprach, sich vor dem Befürchteten zu schützen, dort musste gegen den Furchtaffekt selbst etwas unternommen werden: in der Erkenntnis, dass sein Anlass zu den !di²voqa zählte, zu den gleichgültigen Dingen. Montaigne wusste wohl, nicht zuletzt von sich selbst, dass dies im Ernstfall nur wenigen gelang; nicht umsonst hatten sich Furcht und Angst als eines der effizientesten Folterwerkzeuge herausgestellt (was auch für die Geschichte der Tortur zu notieren ist).61 Gleichwohl gab es ein Mittel: Gegen den Pendelschlag von Furcht und Hoffnung halfen Respekt und 59 Ders., Essais II, 17, S. 475: »Da ich die Ereignisse nicht zu steuern vermag, steure ich mich selbst, indem ich mich, wenn sie sich schon nicht nach mir richten, nach ihnen richte. Ich verfüge kaum über genügend Wendigkeit, dem Schicksal durch Wegducken auszuweichen oder es niederzuzwingen, und ebensowenig habe ich das Geschick, den Dingen den richtigen Dreh zu geben, damit sie mir zum Vorteil gereichen. Noch weniger bringe ich die Geduld auf, die hierfür erforderliche Beschwernis und Mühsal zu schultern.« 60 Ders., Essais I, 11, S. 65. 61 Ders., Essais II, 5, S. 59 – 62; II, 32, S. 593. Näheres zum Verhältnis von Furcht und Folter unten in Kap. 5.1.
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Achtung gegenüber der Vorsehung und mit ihnen Selbsterkenntnis und Tugend.62 Diese Tugend nun fasst Montaigne ihrerseits als eine Form der Furcht: als Ehrfurcht gegenüber den Grundsätzen der virtus. Wer sich selbst gehören wollte, der beherrschte sich selbst: »indem er seine Vernunft und sein Gewissen derart achtet und fürchtet, daß er unter ihren Augen keinen falschen Schritt zu tun wagt, ohne schamrot zu werden.«63 Mit dem Konzept einer vernünftigen, sich selbst bestimmenden Tugend grenzte sich Montaigne von einer als »scholastisch« verunglimpften Moralvorstellung ab, deren Vorschriften, wie er meinte, den Menschen »unter der Fuchtel von Furcht und Hoffnung« versklavten.64 Eine Tugend, die den Menschen sich selbst fürchten ließ, erfüllte die Herzen nicht mit Angst und Schrecken, sondern mit Achtung, ja mehr noch: mit Liebe.65 Auch im Bemühen um ein tugendhaftes Leben jedoch durfte der Mensch nicht allzu sehr auf sich selbst, sondern musste auf den »Himmel« und »Fortuna« vertrauen.66 So steht bei Montaigne auch die Furcht vor dem eigenen Gewissen im Zusammenhang mit dem Begriff einer christlich verstandenen Furcht vor Gott: »Gott sollte man […] mit einer von Achtung und Ehrfurcht erfüllten Andacht in unser Tun einbeziehn.«67 Vor diesem Hintergrund geriet auf der einen Seite ein »scholastisches« Strafsystem ins Visier, das in Montaignes Augen nicht zu Gottes-, sondern zu »knechtischer« Furcht führte.68 Auf der anderen Seite zieh Montaigne den stoischen Tugendbegriff der Hybris menschlicher Selbstüberhebung. Er hielt es für undenkbar, »daß der Mensch sich jemals über sich und das Menschliche erhebt: Nur mit seinen Augen kann er sehen, nur mit seinem Griff greifen. Erheben wird er sich, wenn Gott ihm 62 Montaigne, Essais I, 2, S. 21 f., 24 f.; II, 16, S. 445. 63 Ders., Essais I, 39, S. 371; auch III, 2, S. 39. Frz. S. 237: »Qu’il se flatte et caresse, et surtout se regente, respectant et craignant sa raison et sa conscience, si qu’il ne puisse sans honte broncher en leur presence. ›Rarum est enim ut satis se quisque vereatur.‹« Hier zitiert Montaigne Quintilian, Institutio oratoria X, 7, auf den ebenfalls Pascal, Pens¦es, hg. v. Sellier, Nr. 676, zurückgreift. 64 Montaigne, Essais III, 12, S. 431. 65 Ders., Essais I, 26, S. 252. 66 Vgl. ders., Essais III, 12, S. 434. 67 Ders., Essais I, 56, S. 479 – hier im Rahmen einer Kritik an einer gegen die Grundsätze des (katholischen) Gewissens verstoßenden Reformation. Vgl. auch II, 12, S. 400: »Kein Herz ist so weibisch, daß es durch das Dröhnen unserer Trommeln, das Geschmetter unsrer Trompeten nicht befeuert würde, noch so hart, daß die Süße der Musik es nicht anrührte und erweichte; keine Seele so verstockt, daß sie sich nicht von Ehrfurcht ergriffen fühlte, wenn sie die düstre Weite unserer Kirchen, die Vielfalt ihrer Ornamente, die feierliche Ordnung unsrer Gottesdienste betrachtet und dem erhebenden Schall und Hall unsrer Orgeln sowie dem getragnen und weihevollen Wohlklang der Choräle lauscht. Selbst jene, die mit Verachtung eintreten, fühln in ihrem Herzen einen gewissen Schauder und eine Art Erschrecken, die sie in ihrer Ablehnung wankend macht.« 68 Ders., Essais II, 15, S. 433. Auf die »knechtische Furcht« wird unten in Abschnitt 2 näher einzugehen sein.
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aus ganz besondrer Gnade die Hand dazu reicht; er wird sich erheben, wenn er den eignen Kräften völlig entsagt und sich allein durch die himmlischen Mächte aufrichten und emportragen läßt. Nur durch unseren christlichen Glauben, nicht die stoische Tugend Senecas, können wir uns das Wunder einer solch göttlichen Wandlung erhoffen.«69
Auch wenn Montaigne antiken Prinzipien viel verdankte, war es für ihn am Ende die Vorsehung eines christlichen Gottes, die den Menschen sich selbst erkennen, sich selbst bestimmen und sich selbst erhalten ließ. Daraus folgt für den Affekt der Furcht: Auch wenn ihn Montaigne aus genuin religiösen Kontexten löst (wie andere Affekte auch) und zu einem eigenständigen Objekt der Beobachtung macht,70 behält er auch hier eine grundlegend religiöse Konnotation – eine Konnotation, die der Furcht eine besondere Gewalt verlieh und die den, der auf ihre Macht reflektierte, nicht als modernen »Entdecker des Ich« und frühaufgeklärten »Psychologen« erscheinen lässt71 – ungeachtet all seiner »skeptischen Phantasie«.72 Montaignes Tugendbegriff verweist zum einen auf christliche, zum anderen auf neuzeitliche Transformationen antiken Denkens; und die zeitigten spezifische Ausdifferenzierungen des Furchtkonzepts. Im Gegensatz zur stoischen Affektenlehre (und im Anschluss an die aristotelische sowie deren scholastische Adaptation) suchte Montaigne Furcht nicht mehr vollständig und in jedem Fall 69 Montaigne, Essais II, 12, S. 416. Zur Gottesfurcht Montaignes vgl. auch II, 18, S. 508. 70 Wild, Montaigne, S. 265. 71 Zu diesem Paradigma vgl. aus der Fülle der hier nicht im Einzelnen zu diskutierenden Montaigne-Forschung nur Richard Friedenthal, Entdecker des Ich. Montaigne, Pascal, Diderot, München 1967; van Dülmen, Entdeckung des Individuums, S. 29 – 34, 64 – 70; Peter Burke, Montaigne zur Einführung, Hamburg 2004, Kap. 6; Peter Bürger, Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes, Frankfurt a.M. 2001, Kap. 2: »Die Entdeckung des modernen Subjekts: Augustinus, Montaigne, Descartes, Pascal, La Rochefoucauld«. Friedrich Wolfzettel sieht Montaignes vermeintliche Entwicklung eines individualistischen Lebensentwurfs an »Zeitangst« und krisenhafte Geschichtserfahrung gekoppelt: Friedrich Wolfzettel, Zeitangst, Geschichtskrise und Ich-Bewußtsein in der frühen Neuzeit: Petrarca – Charles d’Orleans – Montaigne, in: Zeitkonzeptionen – Zeiterfahrung – Zeitmessung. Stationen ihres Wandels vom Mittelalter bis zur Moderne, hg. v. Trude Ehlert, Paderborn / München / Wien / Zürich 1997, S. 309 – 324. Auch Helmut Pfeiffer sieht Montaigne auf dem Weg zu autonomer Subjektivität: Helmut Pfeiffer, Montaignes Enteignungen, in: Geschichte und Vorgeschichte der modernen Subjektivität, hg. v. Reto Luzius Fetz / Roland Hagenbüchle / Peter Schulz, Berlin / New York 1998 (European Cultures. Studies in Literature and the Arts 11), Bd. 1, S. 641 – 670. Einen kritischen Akzent gegen die These, Montaigne habe sich auf dem Weg zur modernen Vorstellung von Subjektivität und Autonomie befunden, setzt Geoff Baldwin, Individual and Self in the Late Renaissance, in: The Historical Journal 44/2 (2001), S. 341 – 364. 72 Verena Olejniczak Lobsien, Skeptische Phantasie. Eine andere Geschichte der frühneuzeitlichen Literatur, München 1999, zu Montaignes »Apologie der Phantasie« (Essais II, 12): Kap. III.1 (S. 87 – 102).
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zu bezwingen; sie basierte in seinen Augen nicht lediglich auf einem Fehlurteil der Vernunft, sondern gehörte unhintergehbar zur Natur des Menschen. Diese Verschiebungen, wie einschlägige Traktate beweisen, sind grundlegend bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein (ohne damit eine historische »Krise« zu indizieren).73 Glück und Heil verhieß nunmehr nicht die Absenz der Furcht, sondern der richtige Umgang mit ihr ; entscheidend wurden ihre Quantität und Qualität, ihr Maß und ihre Werthaltigkeit, die Ausbalancierung und vernünftige Formung der Affekte:74 das Gleichgewicht zwischen Hoffnung und Furcht. Jetzt war auch den Philosophen ein »timor cum ratione«75 bekannt, eine e »vernunfftige« Furcht, die, so Zedlers Definition, »den Menschen zu Mitteln e wieder das Ungluck antreibet«. Diese Furcht war als notwendiges Warnsignal und ihr Mangel »als ein grosser Fehler anzusehen«.76 Eine derartige Furcht stand nicht im Widerspruch zum Gedanken der Providenz, im Gegenteil. Mit ihr schützte Fortuna, indem sie, so Montaigne, »die umsichtige Sorge für unsre Selbsterhaltung und -bestimmung« wachrief.77 Sie ermöglichte es, jenen Gefahren aus dem Wege zu gehen, die sich nicht ertragen oder abwenden ließen. »Den Schlägen, die wir nicht zu parieren wissen«, riet Montaigne, »müssen wir ausweichen.«78 Stoizismus empfahl sich bei Unabänderlichkeit der Lage;79 in 73 Wie Kittsteiner, Entstehung, suggeriert. Kittsteiner vertritt letztlich eine einfache These: Zwischen dem strengen religiösen Gewissen im reformatorischen und konfessionellen Zeitalter auf der einen Seite und der moralischen conscientia der Aufklärer auf der anderen (zwischen der Furcht vor Gott und jener vor dem eigenen Ich) stehe eine krisenhafte Skepsis (bei Hobbes, Locke, Descartes und Spinoza), die auf weitergehende Ansprüche an das Gewissen verzichtete. 74 Siehe etwa Bontekoe, De animi & corporis passionibus, S. 37 ff.; Arnold Geulincs, Cm_hi seautºm, Sive Ethica, Amsterdam 1709, S. 280; Christian Gottl. Schwarz / August Gottlob Petermann, Exercitatio academica de affectvvm morali aestimatione, Altdorf 1713, S. 29 ff. Wenn Descartes in der Furcht einen Gegensatz zur Tugend erblickt (Descartes, Leidenschaften der Seele, Art. 156), ist daraus weder auf eine antik-stoische noch auf eine »rationalistisch«-frühaufklärerische Verbannung der Furcht zu schließen. Dass an der Furcht »absolut nichts Nützliches fest[zu]stellen« sei (so Lorraine Daston / Katharine Park, Wunder und die Ordnung der Natur 1150 – 1750, Berlin 2002 [Chicago 1998], S. 397), wird dort nicht gesagt. Eine conclusio ex silentio scheint an dieser Stelle unzulässig, insofern der einschlägige Artikel keine umfassende Abhandlung der Furcht vorstellt, sondern den Edelmut (g¦n¦rosit¦) thematisiert; und dort, wo sich Descartes dem phänomenalen Verhältnis zwischen Furcht und Hoffnung widmet (Art. 165, dazu auch oben Anm. 20), behandelt er keine ethisch-moralischen Implikationen. 75 Alsted, Encyclopædia, S. 1352. 76 Art. »Sicherheit«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 37, Sp. 909 – 910, hier 909. 77 Montaigne, Essais II, 12, S. 361. 78 Ders., Essais III, 10, S. 361. So auch Bontekoe, De animi & corporis passionibus, S. 38 f.; Gentzken, De passionibus, S. 67; Crüger / Possard, De affectibus, S. 8. – Das galt auch für die »turpia«, für Lasterhaftes (dies., De affectibus, S. 8). Bei Montaigne sind dies die Schläge der Wollust; und so bat dieser : »Und führe uns nicht in Versuchung« (Montaigne, Essais III, 10, S. 362). 79 Ders., Essais II, 17, S. 475: »In einer Gefahr erwäge ich weniger, wie ich ihr entkommen
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anderen Fällen dagegen brachte eine »fermet¦ aux dangiers« nicht Weisheit zum Ausdruck, sondern mangelnde Klugheit: »Standhaftigkeit in Gefahren (wenn es denn hier eine solche ist), Todesverachtung und geduldiges Ertragen von Schicksalsschlägen wiederum findet man oft bei Menschen, die dergleichen Widerfahrnisse nicht richtig einzuschätzen und als das zu erkennen wissen, was sie sind. Begriffsstutzigkeit und Dummheit erwecken daher zuweilen den Eindruck von Tugendhaftigkeit, wie ich auch immer wieder erlebt habe, daß Menschen für etwas gelobt wurden, wofür sie Tadel verdient hätten.«80
Auch für Montaigne also gab es nicht allein die mit Ungewissheit und Leid gepaarte Furcht, die auszutreiben hatte, wer affektfreie Ruhe finden wollte. Darüber hinaus sandte die Vorsehung eine Furcht, die bei hinreichender Kenntnis des Kommenden dazu befähigte, ihren Anlass zu bekämpfen. Lediglich dort, wo gänzliche Unkenntnis herrschte und die Unmöglichkeit der Prävention, wurde Furcht zu »einer nicht unbeträchtlichen Dummheit«, zum Ausdruck mangelnden Vertrauens in die Güte der Vorsehung. Nur dort galt: Weil das, was wir fürchten, eintreten wird oder nicht, ist unsere Furcht entweder gegenstandslos oder fügt kommendem Leid nur ein aktuelles hinzu.81 kann, als wie unwichtig es ist, daß ich ihr entkomme. Bliebe ich auf der Strecke – was wäre schon dabei? Da ich die Ereignisse nicht zu steuern vermag, steure ich mich selbst, indem ich mich, wenn sie sich schon nicht nach mir richten, nach ihnen richte.« 80 Ders., Essais II, 11, S. 150; frz.: Les Essais II, 11, S. 405. 81 So erklärt sich das Nebeneinander scheinbar widersprüchlicher Aussagen bei Bontekoe, De animi & corporis passionibus, S. 26 f. und 38 f. In der ersten Passage ist Furcht die zitierte »Dummheit«, in der zweiten dagegen eine anthropologische Notwendigkeit: »[Metus] revera non levis stultitia est, c¾m quæ metuimus, aut eventura sunt, aut non sunt; si non sunt eventura, vana est conjectura & stulta persuasio, etiam eú nixa errore, quýd putamus scientiam nobis datam esse eorum, quæ futura sunt: ubi hoc ridiculum est, quýd plerumque futura præsagiamus ex iis, quæ aliquando in simili casu præcesserunt, & contigerunt: Jam quia præteritorum sola memoria nobis relinquitur, eaque admodum labilis & imperfecta; atque sola præsentium perceptio nobis concessa est, futurorum autem præscientia & providentia prorsus denegata, non sine insigni stultiti, imý etiam impietate, quod solius Dei est, scil[icet] in futura prospicere, id nobis vanissimÀ arrogamus: 3. Sed ponamus, ea, quæ metuimus, certý certi¾s esse eventura, quid metuere juvat, quæ mutari non possunt? 4. Sin mutare & declinare ea licet, age, mutentur, neque jam amplius est quod metuas: 5. Imý, quia metus non oritur nisi ex amore & cupiditate, quia stultum est cupere ea, quæ fieri non possunt, aut velle ea fieri, quæ Deus non vult ut fiant, cujus voluntati nemo resistere potest; hinc non minus insanum est ea metuere, quæ incertum est, an eventura sint, ac quæ certum est eventura esse; proinde, c¾m non eveniunt, ante eventum ex futuris, aut forte ex non futuris, præsentia sibi facere, ac miserum se spontaneú velut cruciatu reddere, antequam miseria ipsa accidit.« Dagegen: »jam si mors subitý & gravis imminet, si sicarii aut latrones nos adoriuntur, si ab alto loco decidimus, aut alia quædam & ingentia pericula minantur, si hostis insidias struit, vix tam firmi constantesque sumus, ut nullo metu, nullo timore, nec ullo horrore, palloreque, & membrorum trepidatione (ad fugam, & mali impendentis amotionem sese & sponte su, nobis vix cogitantibus, accingentium) moveamur : sane dolor nobis injicitur, ut indicium sit laborantis partis corporis, & pudor, timor, metus, cum
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Vor diesem Hintergrund wird auch bei Montaigne der Versuch, das Künftige zu erschließen, keineswegs grundsätzlich diskreditiert – ungeachtet aller Kritik der Divination und einer epikureisch inspirierten Entbindung »von der Pflicht zur Vorausschau und zur Vorsorge für die Zukunft« (zum Zwecke der Selbstzufriedenheit).82 Im Rahmen ihrer positiven anthropologischen Bestimmung wurde Furcht, angesichts der mit ihr verbundenen Imagination, als ein Instrument der Erkenntnis gefasst – und nicht lediglich als deren Hindernis. Als solche diagnostizierte sie nicht allein Vergangenheit und Gegenwart, sondern prognostizierte immer auch die Zukunft; sie war im 16. und 17. Jahrhundert stets eine Form der divinatio.83 Sie las die Dinge der Welt als (furchterregende) Zeichen des Kommenden: als Vor-Zeichen, oder lateinisch, mit dem prophetischer Anwandlungen unverdächtigen Spinoza, als omina.84 Auch bei Montaigne führte Furcht nicht schon an sich in die Irre, sondern allein bei verderblicher Motivation. In der Mahnung, der Vorsehung zu vertrauen, lag nicht allein eine Kritik gefährlicher Prophetie, sondern implizit auch die Möglichkeit einer recht verstandenen Divination – besonders evident in Montaignes Haltung zur Traummantik.85 Prognostik wurde allein dann zum Problem, wenn sie sich speiste aus falscher Furcht.
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horrore, pallor¦que, tremor¦que utilissima supersunt, ut mala plurima evitemus, ac declinemus«. Montaigne, Essais I, 3, S. 24 f. Zur Erkenntnis als Divination vgl. Claire Gantet, Zwischen Wunder, Aberglaube und Fiktion. Der Traum als politisches Medium in Frankreich, 1560 – 1620, in: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten im Europa von Renaissance und Barock, hg. v. Peer Schmidt / Gregor Weber, Berlin 2008 (Colloquia Augustana 26), S. 307 – 326, hier 308. Spinoza, Ethik III, 50, Anmerkung: »Res, quae per accidens Spei, aut Metus sunt causae, bona, aut mala omina vocantur.« Zu Spinozas »Emotionen« als »Form des Erkennens« vgl. auch Renz, Spinoza, S. 312. In polemischem Kontext, gerichtet gegen all jene, die in ihrem »Aberglauben« »zwischen Furcht und Hoffnung schwanken«: Baruch de Spinoza, Theologisch-politischer Traktat. Auf der Grundlage der Übersetzung v. Carl Gebhardt neu bearb., eingel. und hg. v. Günter Gawlick, in: Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 3: »Wenn ihnen nämlich, solange sie in Furcht schweben, irgend etwas begegnet, das sie an ein vergangenes glückliches oder unglückliches Ereignis erinnert, so meinen sie, es kündige einen glücklichen oder unglücklichen Ausgang an, und deshalb nennen sie es, mag es sie auch schon hundertmal getäuscht haben, ein günstiges oder ungünstiges Omen.« Die Interpretation nächtlicher imagines, die die Zukunft aufzuschließen suchte, war in der Frühen Neuzeit Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Wenn der Autor mit den Prophezeiungen auch die Traumdeutungen ins Visier nimmt, so wendet er sich damit lediglich gegen jene, »durch die man in der Antike die meisten öffentlichen wie privaten Unternehmungen abzusichern wünschte« (Montaigne, Essais I, 11, S. 65). Mit anderen Worten: Er richtet die Spitze gegen die gesellschaftliche Institution der Oneirokritik, wie sie ein jeder rechter Christ verteufeln musste, stellt damit jedoch nicht ausdrücklich und grundsätzlich auch das epistemologische Potential des Traumes in Frage. Er kritisiert zwar die Deutungen der Menschen, doch er bestreitet nicht die Möglichkeit göttlicher Botschaften in der Nacht; sie vermochte das Christentum nicht zu beseitigen – und, anders als Montaigne
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Wo Furcht nicht mehr per se in Knechtschaft führte, sondern sich auch eine hilfreiche und nützliche denken ließ, dort mutierte die »natürliche« Furcht, wenn sie Unglück brachte, zur ›unnatürlichen‹, zum »timor sine ratione«:86 Wer Furcht nicht mehr tout court dem Verdikt der Irrationalität unterwarf, kannte neben einer vernünftigen Furcht auch eine »unvernünfftige«. Die fürchtete sich allzu sehr und sie fürchtete das Falsche. Wer ein Übel besorgt, das man selbst geringzuschätzen pflegt, lehrte Spinoza, der ist als »furchtsam« (timidus) zu bezeichnen; schränkt diese Furchtsamkeit zudem eine entgegenstehende Begierde ein, heißen wir ihn »ängstlich« (pusillanimis).87 Zaghaftigkeit, als ein dysfunktionales, gegenstandsloses Leiden, konnte, so meinten die Ärzte, am Ende gar pathologische Ausmaße annehmen. Wer den eigenen Schatten fürchtete, so eines der kuriosesten Exempel, erschrak vor einem Begleiter, den er selbst geschaffen hatte und der eben deswegen gar keine Gefahr darstellte. Hier konnte die Diagnose nur lauten: Melancholie.88 Vor diesem Hintergrund, so noch einmal Montaigne, ließ eine »unvernünftige« Furcht nicht nur auf fehlenden Mut schließen, sondern auch auf ein mangelndes Vermögen, Wertigkeiten und Sachlagen zu beurteilen.89 Noch Zedlers Universal Lexicon bemisst die Rationalität der Furcht nach der Fähigkeit, Wahrscheinliches und Unwahrscheinliches zu unterscheiden und die eigenen Kräfte richtig einzuschätzen: e
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»Eine unvernunfftige Furcht heegen z.E. die Geitzigen, die sich immer Moglichkeiten e vorstellen, die sie doch durch keine Mittel abwenden konnen: Denn wenn man dieses e thun wollte, so muste unser gantzes Leben in lauter Furcht zu gebracht werden, und wir e wurden keine ruhige Stunde auf der Welt haben. Hingegen ist die Furcht gar ver-
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zu unterstellen scheint, wollte dies auch gar nicht. Der Essai Des Prognostications schließt mit einem Hinweis auf das Daimonion des Sokrates. Wie dieser auch, meinte Montaigne zuweilen eine »göttliche Eingebung« zu verspüren, eine »inspiration divine«, die ihn drohende Gefahren erahnen ließ, wenn die eigene Klugheit versagte, und die sich bei Platon, ohne dass Montaigne dies vermerkt, bevorzugt des Traumes bedient: Montaigne, Essais I, 11, S. 69 f.; Platon, Kriton, 44a – b; Timaios, 71a – 72a; Apologie, 33c; Phaidon, 60c – 61b. Auch hier hinterfragt Montaigne nicht die Möglichkeit der Divination, sondern lediglich das exegetische Geschäft mit der Angst. Unabhängig davon, wie derartige Inspirationen zuverlässig ausgelegt werden sollten: Jenen, die sich nicht um ihr körperliches Leben besorgten, sondern um das Schicksal ihrer Seele, gab die Vorsehung gütigen Rat. – Näheres zum Traum unten in Kap. 6. Alsted, Encyclopædia, S. 1352. Gleiches gilt umgekehrt und analog für die Charakterisierung als »unerschrocken« (intrepidans) und »kühn« (audax): Spinoza, Ethik III, 51, Anmerkung. Vgl. Wolff, Thun und e Lassen, S. 448: »Wer bey instehender Gefahr seine Furcht maßigen kan, der ist beherzt: wer e e sie nicht maßigen kan, ist furchtsam: wer sich weniger furchtet als er solte und nach keiner e Gefahr etwas fraget, verwegen. Es ist demnach die Hertzhafftigkeit eine Maßigung der Furcht: die Furchtsamkeit eine Neigung zur Furcht und die Verwegenheit eine Freyheit von aller Furcht bey instehender Gefahr.« Alsted, Encyclopædia, S. 1352. Vgl. auch Gentzken, De passionibus, S. 69. Näheres zur melancholischen Furcht unten in Kap. 4.5. Montaigne, Essais III, 6, S. 182; III, 9, S. 286.
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nunfftig, die man sich uber eine Sache machet, die einen grossen Grad der Wahrscheinlichkeit hat, und die man durch erlaubte Mittel, die in unserer Gewalt sind, abwenden kann.« e
In Zedlers Exemplifizierung einer derart »unvernunfftigen Furcht« scheint dann bereits eine weitere grundlegende Dimension der Problematik auf. Es wäre, so der Verfasser, e
e
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»eine vergebliche Furcht, wenn einer z.E. sich furchten wollte, er wurde kunfftig mehr e Gaben dem Landes Herren geben mussen, ob diese Furcht gleich einen grossen Grad e der Wahrscheinlichkeit hatte, denn da er diese Furcht durch Mittel, die in seiner Gewalt e e e stehen, abzuwenden nicht vermogend ist, so thut er kluger, er schlaget sich diese e Gedancken aus den [sic] Sinn, und erwartet die Zeit, biß diese Moglichkeit in eine e gewisse Wahrheit ausschlaget.«90
»Klugheit« bewies, dies suggeriert das Beispiel, wer sich an der politischen Ordnung orientierte und sie respektierte. Eine derartige ratio unterstellte die Unhinterfragbarkeit des Status quo und implizierte damit eine weitere Form positiver Furcht. Anders gesagt: Bereits aus diesem Beispiel ist herauszuhören, dass der »unvernünftigen« Furcht neben der »vernünftigen« im zuvor erörterten Sinne noch eine zweite gegenüberstand: die Furcht vor den normgebenden Instanzen, vor Gott und seinen Stellvertretern auf Erden. Um die Freiheit des Sünders zu gewährleisten, hatte das Christentum den Götter- und Vorsehungsglauben der Alten mit dem Stigma des Dämonischen versehen und einen personalen Gott inthronisiert, der ein spezifisches Vertrauensverhältnis zum Menschen begründete und forderte. Hier wurde die antike moralphilosophisch-diätetische »Sorge um sich« zur Verpflichtung des Christen gegenüber sich selbst.91 Die christliche Kritik, wie sie insbesondere an stoischem Denken fomuliert worden ist, nahm eine spezifische Unterscheidung vor: zwischen einer »inneren« und einer »äußeren« Furcht, genauer gesagt: Die Furcht vor den Göttern konnte sie zu einer äußerlichen erklären, indem sie ihr eine genuin christliche gegenüberstellte: eine Furcht vor dem eigenen Gewissen, wie sie bereits für Montaigne herausgearbeitet worden ist.92 90 Art. »Furcht«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 2324 f. Das Beispiel findet sich bereits im Art. »Furcht«, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 1077, und Rüdiger, Zufriedenheit, S. 260. 91 Vgl. dazu Michel Foucault, Hermeneutik des Subjekts. Vorlesung am CollÀge de France (1981/82), Frankfurt a.M. 2004 [Paris 2001]. Zu Montaigne: Markus Rieger, Ästhetik der Existenz? Eine Interpretation von Michel Foucaults Konzept der »Technologien des Selbst« anhand der »Essais« von Michel de Montaigne, Münster u. a. 1997. 92 Dies gilt auch für ansonsten durchaus stoisch beeinflusste Moralphilosophen. Vgl. etwa Jean de l’Espine, De Tranqvillitate Animi …, Genf 1591, im Folgenden zit. nach der dt. Übere e setzung: Von einem Guten vnd ruhwigen Gewissen/ außerlesener/ Edler/ vnd Guldener Bücher Sieben, Frankfurt 1607, S. 287: »Sintemal dieselbigen [antiken Philosophen] in jren e e Schrifften nur von einer eusserlichen Forcht reden/ die da am gluck vnd vngluck gelegen/
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Diese Furcht war im 17. Jahrhundert, anders als im späten achtzehnten, stets und zuallererst die Furcht vor dem Herrscher des Himmels und denen der Erde. Johann Georg Walch definiert diese (als »moralisch« rubrizierte) Furcht als jene, »welche die Untern gegen die Obern, alle Menschen gegen GOtt, die Unterthanen gegen ihre Obrigkeit, die Kinder gegen ihre Eltern, das Gesinde gegen ihre Herren haben, und nichts anders, als der Respect ist, so ferner durch die Vorstellung des Rechts der Obern, die Fehler der Untern zu straffen, erregt wird, der e zuweilen mit der Liebe verknupfft, zuweilen aber von derselben abgesondert ist«.93 Wie der Verfasser am Ende andeutet, enthält die Dreiteilung der Bezugsinstanzen die Ausdifferenzierung dieser Furcht in eine mit Liebe verbundene und eine, die es nicht ist. Dieser Trennung wiederum korrespondiert eine weitere: Noch Zedlers Universal Lexicon kennt neben der besprochenen e »naturlichen« Furcht, »die bey allen Menschen ist, und die sie mit denen une e vernunfftigen [Tieren] gemein haben, 2) eine kindliche, da man sich fur GOtt e furchtet wie ein Kind vor seinem Vater«, und »3) eine knechtische Furcht, da e man sich vor der Straffe furchtet; diese ist eigentlich bey denen Gottlosen.«94 Diese Unterscheidung ist grundlegend für die Rede über Furcht im 17. Jahrhundert, zunächst in genuin religiösen Kontexten und Traditionszusammenhängen, wie sie im folgenden Abschnitt in den Blick genommen werden, darüber hinaus jedoch auch in den ethischen Debatten. Auch den Philosophen, für die es nicht mehr die Furcht an sich war, die den Menschen versklavte, von den grausamen Schrecken deß Gewissens aber/ welches den Zorn vnd straffe Gottes e e wegen der begangnen Sund vor Augen sihet/ haben sie nicht gewußt/ viel weniger darvon e e einige meldung gethan/ Da doch diese Forcht vns mehr als alle andere vnfall angstiget vnd plaget.« Außerdem Justus Lipsius, Von der Bestendigkeit [De constantia]. Faksimiledruck der deutschen Übersetzung des Andreas Viritius nach der zweiten Auflage von c. 1601 mit den wichtigsten Lesarten der ersten Auflage von 1599, hg. v. Leonard Forster, Stuttgart 1965, Buch 2, Kap. 14. 93 Art. »Furcht«, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 1078. Zedlers Universal Lexicon ist an dieser Stelle im Wortlaut knapper, in der Aussage jedoch identisch. Die »moralische Furcht« ist hier diejenige, »welche in allen Menschen gegen GOtt, und gegen ihre Vorgesetzten, durch die Vorstellung des Rechts, welches die Obern haben, die Untern zu straffen, erreget wird[,] e die bißweilen mit der Liebe verknupffet, bißweilen auch ohne dieselbe ist« (Art. »Furcht«, Sp. 2325). Sowohl Walch als auch Zedler beziehen sich auf Thomasius, Fundamenta, Buch I, Kap. 2; außerdem scheint Peregrinus, De noscendis, S. 188, durch, der von Walch als allgemeine Referenz angegeben wird: »si timor est de malo, cum Deus, & principes non sint mali, quo pacto illos metuimus? Respondeo, Deum & principes bonos timeri, qua possunt infligere malum. Quodsi ab eo cogitationem separemus, vel pœnam ab iis inflictam non apprehendamus, vti malam: loco timoris nascitur reuerentia. Est enim agnitio superioris cum amore reuerentia.« – Walchs und Zedlers Kategorisierung dieser Furcht als eine »moralische« (im Gegensatz zur »natürlichen«) verrät bereits erste Ansätze aufklärerischen Denkens: Sie beginnt das Ableitungsverhältnis zwischen Religion und Moral umzukehren, genauer: die beiden Deutungssysteme auszudifferenzieren und überhaupt erst ein Ableitungsverhältnis zwischen ihnen zu entwerfen. 94 Art. »Furcht«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 2325. Vgl. auch Zedlers Art. »Gehorsam«, Bd. 10, Sp. 631 – 633.
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sondern nur noch ihre unvernünftige Form, stand als begriffliches Gegenstück zu einer »knechtischen« Furcht neben der vernünftigen (implizit) eine »kindliche« zur Verfügung, die in Autoritäts- und Herrschaftsbeziehungen unterschiedlicher Art virulent wurde. Dies gilt auch für Spinoza, obwohl bei ihm die »Furcht Gottes« nicht zu finden ist und im Zuge der vernünftigen Überwindung des Furchtaffekts prima facie gleich mit ausgeräumt worden zu sein scheint.95 Es gilt also selbst für einen »rationalistischen« Philosophen, der die konfessionskirchlich gebundene Furcht des Gewissens aus dem Selbstverhältnis der Person verbannt hat (ohne, wie Hobbes und Descartes auch, die spezifisch moralische der Aufklärer schon zu kennen).96 Montaigne oder Spinoza (und Descartes), das ist hier nicht die Frage.97 Wer Spinoza liest, stößt zwar nicht auf die Furcht vor Gott, wohl aber auf die »Liebe« zu ihm (amor Dei) und seine »Verehrung« (reverentia), auf Affekte also, die in religiösen Semantiken der Zeit ohne kindliche Gottesfurcht nicht zu denken sind. Die deutliche Erkenntnis der eigenen Affekte ermöglichte es dem »Rationalisten«, seine Furcht vor dem Tod zu reduzieren und damit jenen zu lieben, der vom Tode befreite.98 Vernunft bewies und zur Freiheit gelangte, wer Gutes tat um des Guten willen, aus Liebe zu Gott, und nicht aus knechtischer Furcht vor dem Schlechten.99 Furcht kommt auch bei Spinoza nicht ohne einen konstitutiven Gegenpart aus. Der ist hier nicht die gänzliche Abwesenheit von Furcht, er ist, vielmehr, die Affizierung durch einen (pantheistischen) Schöpfer, den auch Spinoza nicht lieben konnte, ohne ihn zu fürchten wie ein Kind. Es ist das hoffnungsvolle Vertrauen auf einen liebenden Vater, der das Pendel von Furcht und Hoffnung, wie der Mensch es bewegt, einst zum Stillstand bringen würde. So ist zu resümieren: Die Affektologen und Moralphilosophen des 17. Jahr95 Spinoza, Ethik V, 10, Anmerkung; vgl. auch V, 7. 96 Vgl. Kittsteiner, Entstehung, Kap. B.II.1. 97 Vgl. dagegen Stephen Toulmin, Kosmopolis. Die unerkannten Aufgaben der Moderne, Frankfurt a.M. 1991 [New York 1990], S. 108 f. 98 Spinoza, Ethik V, 15; V, 38; V, 39, Anmerkung; ders., Theologisch-politischer Traktat, S. 68 f., 75; ders., Politischer Traktat. Tractatus politicus. Neu übers., hg., mit Einleitung und Anmerkungen versehen v. Wolfgang Bartuschat. Lateinisch-Deutsch, in: Sämtliche Werke, Bd. 5.2, Kap. 2, § 22. Zur »Verehrung« bzw. »Ehrfurcht« (reverentia) als Grundlage von Vernunft, Freiheit und Glück siehe auch: Ethik IV, 54, Anmerkung; IV, 54, Anmerkung; IV, 63, Anmerkung; IV, Anhang, Hauptsatz 16; V, 41, Anmerkung. 99 Ders., Ethik IV, 63, Beweis; Theologisch-politischer Traktat, S. 68 f., 75. Die affektuelle Konstitution des Menschen wird von Spinoza generell als »Knechtschaft« gefasst: Ethik IV, Titel und Vorwort: »De Servitute Humana, seu de Affectuum Viribus. Humanam impotentiam in moderandis & coercendis affectibus Servitutem voco; homo enim affectibus obnoxius sui juris non est, sed fortunae, in cujus potestate ita est, ut saepe coactus sit, quanquam meliora sibi videat, deteriora tamen sequi.« Zur Knechtschaft der Furcht siehe darüber hinaus: Ethik V, 41, Anmerkung; Politischer Traktat, Kap. 5, § 6. Bei Spinoza wird dies als Frage von Freiheit und Zwang diskutiert, nicht allein im moralischen, sondern auch im politischen Sinne. Dazu unten Abschnitt 3.3.
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hunderts, insbesondere in seiner zweiten Hälfte, verschoben die Akzente in der Rede über Furcht und Angst. Im Mittelpunkt ihres Interesses standen nicht die heilsgeschichtlichen Dimensionen der Furcht, sondern ihre »Natur« und ihr Ort in der Landkarte des Wissens, ihre Orientierungsfunktion ebenso wie die Gefahr ihrer Selbstbewahrheitung, die sie barg, hier und jetzt, und der kluge und vernünftige Umgang mit ihr. Diese Verlagerung ging durchaus mit einer Distanzierung von den kirchlichen Institutionen der Zeit einher, mit einer Kritik am Gewaltpotential einer konfessionell gebundenen Furcht vor Gott. Dessen ungeachtet jedoch verließen auch diese Entwürfe keineswegs den Horizont der Religion: den Raum einer göttlichen Providenz. Auch sie basierten auf jener »Komplementarität von Angst und Hoffnung«, die ein Signum des Christentums ist100 und die es verständlich werden lässt, dass Furcht nicht allein in der Theologie, sondern auch in Affektologie und Moralphilosophie über »Kindlichkeit« und »Knechtschaft« konzipiert wurde.
3.2. Die Furcht der Theologen: Timor servilis und timor filialis Die Semantik der Furcht im 17. Jahrhundert ist zunächst das Ergebnis eines spezifisch christlichen Ausdifferenzierungsprozesses. Hatten platonisches und stoisches Denken, wie erwähnt, im Furchtaffekt in erster Linie ein Hindernis auf dem Weg zu Tugend, Gemütsruhe und gutem Leben gesehen, das von der Vernunft zu beseitigen war, so wandelte sich bereits im aristotelischen Prinzip des rechten Maßes (lesºtgr) das Ziel von der Furchtlosigkeit zur angemessenen Furcht.101 In ihrer christlichen Rezeption wurde die aristotelische Differenzierung soteriologisch-heilsgeschichtlich transformiert. Ihr trat die christliche Unterscheidung der Gottesfurcht in timor servilis und timor filialis an die Seite, die im Rückgriff auf die Paulinischen Briefe102 erstmals bei Augustinus zu finden 100 Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 176. 101 Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. und komm. v. Franz Dirlmeier, in: Werke, Bd. 6, Buch 2, Kap. 2, § 1104a, S. 30. Dazu Bernd Wannenwetsch, Affekt und Gebot. Zur ethischen Bedeutung der Leidenschaften im Licht der Theologie Luthers und Melanchthons, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 1, S. 203 – 215, hier Anm. 1. Vgl. auch Richard Strier, Against the Rule of Reason: Praise of Passion from Petrarch to Luther to Shakespeare to Herbert, in: Reading the Early Modern Passions: Essays in the Cultural History of Emotion, hg. v. Gail Kern Paster / Katherine Rowe / Mary Floyd-Wilson, Philadelphia, PA 2004, S. 23 – 42, hier 29 – 32. 102 Röm 8.15: »Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!«. Siehe auch Mt 10.28: »Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten; fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.« Lk 12.4 – 5: »Ich sage euch aber, meinen Freunden: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, und danach nichts mehr tun
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ist. Der Kirchenvater sah sich mit einem biblischen Paradox konfrontiert (in 1 Joh 4.18): »Denn wie ›treibt die vollkommene Liebe die Furcht aus‹, wenn ›die lautere Furcht des Herrn für und für bleibt‹?«103 Und er löst es mit dem Hinweis auf den Doppelcharakter der Furcht: »Was ist es mit der doppelten Furcht? Es gibt eine knechtische Furcht und eine keusche Furcht. Es gibt eine Furcht, damit man keine Strafe erleide, und es gibt eine andere Furcht, damit man die Gerechtigkeit nicht verliere. Die Furcht vor der Strafe ist knechtische Furcht. Was ist das Großes, Strafe zu fürchten? Das tut auch der nichtswürdigste Knecht, das tut auch der gefühlloseste Räuber. Es ist nichts Großes, die Strafe zu fürchten, aber es ist etwas Großes, die Gerechtigkeit zu lieben. Wer also die Gerechtigkeit liebt, fürchtet der nichts? Gewiß, er fürchtet, nicht, er möchte Strafe erleiden, sondern er möchte die Gerechtigkeit verlieren. […] Das ist die keusche Furcht, diese währt für und für ; diese hebt die Liebe nicht auf, noch treibt sie dieselbe aus, sondern schließt sie vielmehr in sich und wählt sie zur Begleiterin und hält sie fest. Wir kommen ja zum Herrn, um ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen; dort bewahrt uns die keusche Furcht; denn jene Furcht verwirrt nicht, sondern befestigt.«104
Augustinus’ Überlegungen wurden in der scholastischen Theologie bei Thomas von Aquin ausformuliert,105 der die kindliche Furcht ihrerseits noch einmal breiter auffächerte. Dort ist sie zunächst die »Ehrfurcht«, »aus der sich jemand können. Ich will euch aber zeigen, vor wem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat, zu werfen in die Hölle. Ja, ich sage euch, vor dem fürchtet euch.« 103 Aurelius Augustinus, Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes, übers. und mit einer Einleitung versehen v. Thomas Specht, Bd. 2 (Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften 5), München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter Reihe 1, Bd. 11), 43. Vortrag, S. 224 – 236, hier § 5, S. 226. 104 Ders., Evangelium des hl. Johannes, § 7, S. 227 f. Zur augustinischen Affektlehre vgl. Johannes Brachtendorf, Augustinus: Die Ambivalenz der Affekte zwischen Natürlichkeit und Tyrannei, in: Klassische Emotionstheorien, hg. v. Landweer / Renz, S. 143 – 162. 105 Thomas von Aquin, Summa Theologica. Die deutsche Thomas-Ausgabe, übers. v. Dominikanern und Benediktinern Deutschlands und Österreichs, hg. v. der Albertus-MagnusAkademie Walberberg bei Köln, Heidelberg / Graz / Wien / Köln 1933 – 1961, Bd. 10, I – II, qu. 42.1 und 3, Bd. 11, I – II, qu. 67.4, Bd. 13, I – II, qu. 92.2, Bd. 15, II – II, qu. 7.1. Zur thomistischen Konzeptualisierung von Furcht vgl. Stephen Loughlin, The Complexity and Importance of timor in Aquinas’s Summa Theologiae, in: Fear, hg. v. Scott / Kosso, S. 1 – 16, insbes. 11 ff.; Arno Anzenbacher, Die Phänomenologie der Angst bei Thomas von Aquin, in: Angst und Schrecken, hg. v. Gerok-Reiter / Obermaier, S. 85 – 96; zur Affektenlehre im Allgemeinen vgl. Perler, Transformationen, Kap. I; Martin Pickavé, Thomas von Aquin: Emotionen als Leidenschaften der Seele, in: Klassische Emotionstheorien, hg. v. Landweer / Renz, S. 187 – 204; Susan James, Passion and Action: The Emotions in Seventeenth-Century Philosophy, Oxford 1997, Kap. 3; Thomas Dixon, From Passions to Emotions: The Creation of a Secular Psychological Category, Cambridge 2003, Kap. 2 (zu Augustinus und Thomas, aus säkularisierungstheoretischer und psychologiehistorischer Perspektive).
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scheut, sich mit Gott zu vergleichen«.106 Die ehrfürchtige Anerkennung des Höchsten jedoch, im Wissen, ihm niemals zu gleichen, enthielt auch den Wunsch, ihm gleichwohl nahe zu sein: Sie hoffte, seine Gnade zu erhalten (durch dieses ehrfürchtige Verlangen). Diese Anerkennung implizierte eine zweite Art kindlicher Furcht: die Sorge, »von Gott getrennt zu werden«.107 Auch sie fürchtete eine Strafe, die gravierendste des göttlichen Repertoires. Im Gegensatz zur knechtischen Furcht jedoch befürchtete die kindliche, diese Strafe der Trennung selbst zu veranlassen – im Wissen, dass der Gerechte einen Gerechten niemals verstieß. Die kindliche Furcht fürchtete nicht das Übel der Strafe, sondern die Instanz, die es verhängte: Sie richtete sich »auf jenes Gut, das durch seine Macht Böses zufügen kann.«108 Die kindliche Furcht fürchtete die göttliche Strafe nicht als Böses, sondern als ein Gutes, das Böses bekämpft. Sie fürchtete nicht die Strafe selbst, sondern die Sünde, die der Strafe den Anlass gab.109 Knechtische Furcht suchte vor der Strafe zu fliehen, wenn sie verhängt war (und bestritt ihr damit die Legitimität), kindliche Furcht dagegen suchte zu verhindern, dass sie verhängt wurde (indem sie ihre Berechtigung anerkannte). Knechtische Furcht sah den Grund der Strafe in Gott, die kindliche in der Person des Sünders. Die Furcht vor der Trennung von Gott vermochte somit eben diese zu verhindern: Wer Gott liebte wie ein Kind, den liebte Gott (wie ein Vater). Die Furcht vor der Strafe hingegen zeitigte ewige Strafe: knechtische Furcht. Der timor servilis schien selbst die Strafe, die er zu umgehen suchte: »Die Furcht aber«, so der Aquinat, »bleibt nach diesem Leben, und zwar in den Seligen die kindliche Furcht, die in Ewigkeit bleibt, und in den Verworfenen die Furcht vor der Strafe.«110 Ungeachtet einiger Akzentverschiebungen blieb diese religiöse Semantik der Furcht grundlegend, bis die Aufklärung, mit einigen Rückschlüssen an stoisches Denken, jegliche Furcht zu vertreiben unternahm. Bevor es so weit kam, resümierte Zedlers Universal Lexicon noch einmal die Facetten der Debatte, wie sie sich in der christlichen Tradition entwickelt hatten, und erweist ihren gemeinsamen Kern.111 Mit Verweis auf August Friedrich Müller, einen akademischen Enkel von Christian Thomasius,112 definiert der Verfasser der einschlägigen, in
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Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 15, II – II, qu. 7.1. Ders., Summa Theologica, Bd. 15, II – II, qu. 7.1 und Bd. 11, I – II, qu. 67.4. Ders., Summa Theologica, Bd. 10, I – II, qu. 42.1. Genauer: Gefürchtet werden konnten nicht Sünde und Schuld, sondern lediglich die Verführungen zu ihr : ders., Summa Theologica, Bd. 10, I – II, qu. 42.3. 110 Ders., Summa Theologica, Bd. 11, I – II, qu. 67.4. 111 Art. »Gottes=Furcht«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 11, Sp. 392 – 394. 112 August Friedrich Müller, Einleitung in die philosophischen Wissenschaften. Anderer Theil, welcher die Metaphysic, Ethic, und Politic in sich enthält, Leipzig 21733, ND in: Thomasiani. Materialien und Dokumente zu Christian Thomasius, hg. v. Werner
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ihrer Ausführlichkeit bemerkenswerten Passage »Gottes=Furcht« als »diejenige e e Gemuths=Beschaffenheit, da man sich hutet, daß man GOtt nichts zu wieder e thue, weil derselbe uns deswegen bestraffen mogte.« Vorausgesetzt ist »die Vorstellung von GOttes Macht und Gerechtigkeit«: die Überzeugung von seiner Fähigkeit ebenso wie von seinem Willen zur Sanktion. Die Furcht vor dieser Strafgewalt nun ist »entweder kindlich oder knechtisch«, je nachdem, ob sie dem Schöpfer mit »Liebe« begegnet oder nicht. Wer von Gottes »Weisheit und Gee rechtigkeit« überzeugt ist »und derer wurcklichen Thorheiten alles dessen, was e ihm mißfallt, versichert«, der muss ihn »rechtschaffen lieben«, und zwar »mit e einer zartlichen Sorge, und einer behutsamen Vorsichtigkeit verbunden, daß wir e nicht etwa was thun mogen, das dem geliebten mißfallen, und uns seiner Liebe e e unwurdig machen moge.« Doch wem mochte das gelingen? Der Mensch ist allzumal Sünder, was er tut, muss dem, der alles zum Besten eingerichtet hat, e »ausserst mißfallen«; deswegen nennt »ihn die heilige Schrifft einen eifrigen GOtt«. Also ist, wer »GOTT zu lieben verbunden« ist, ihn »auch kindlich zu e furchten verpflichtet«. Den Ausschlag gibt dabei die Kindlichkeit; denn »die e e blosse Erwagung derer gottlichen Straffen« kann durchaus »eine Furcht vor GOTT ohne Liebe erwecken, welches man eine knechtische Furcht nennet.« Die rührt dann »aus einer gar unvollkommenen Erkenntnis GOTTES und seiner e naturlichen Gesetze«, die dieser »uns nicht etwa aus Haß, uns das Leben damit e sauer, sondern vielmehr aus Liebe, es uns vergnugt zu machen, vorgeschrieben«. e Diese servile Furcht kann »entweder vor gar keine rechte, oder doch aufs hochste vor eine nur gar unvollkommene Pflicht gegen GOTT, gelten.« An der religiösen Diskreditierung der knechtischen Furcht besteht hier kein Zweifel; dessen ungeachtet jedoch scheint sie durchaus eine mögliche Pflicht, gewissermaßen eine Pflicht zweiten Ranges. Praktisch ist die knechtische Furcht von der kindlichen nicht derart streng geschieden, wie es die Begrifflichkeit zunächst suggeriert. So ist auch »die kindliche Furcht GOTTES nicht ohne Furcht der Straffe«, indem auch sie »sich GOTT nicht anders als einen eifrigen GOTT vorstellen kann, als von dessen Straffen auch ein Mensch, der GOTT e e kindlich furchtet, wenn er boses thut, nicht befreyet ist.« Hier scheinen erste Abgrenzungsprobleme auf. Abhilfe versprach die theologische Rechtfertigung des Übels: Wer Gott kindlich fürchtet, findet »in dem von GOTT zugeschickten e bosen die deutlichen Merckmahle der Liebe GOTTES« – und liebt ihn gerade e deswegen: weil »alles bose, so GOTT denen Menschen zuschicket, nichts anders e als gottliche Mittel sind, die Menschen in Gehorsam seiner Gesetze zu erhalten, e oder sie auf denselben wieder zuruck zu bringen«. Knechtisch wird Gott nur fürchten, wer dies nicht erkennt. Doch wie sollen wir, wenn »alle Furcht ihrer Schneiders, unter Mitarbeit von Kay Zenker, Bd. 3.2.1, Hildesheim / Zürich / New York 2008, § 7 und 8, S. 433 – 438. Müller war Schüler des Thomasius-Schülers Andreas Rüdiger.
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Natur nach eine Aversation ist«, »unterscheiden konnen, ob unsere GOttes=Furcht knechtisch oder kindlich sey«? Kein Grund zur Beunruhigung: Das e »Kennzeichen« »aussert sich gar leichte. Beobachten wir GOTTES Befehle willig und gerne, so ist eine kindliche Furcht da; geschieht aber solches ungern und mit Wiederwillen, so ist [es] eine knechtische«. Wer Gott kindlich fürchtet und liebt, hegt keinen »furchtsame[n] Abscheu« gegen Gott und seine Gesetze, wie es die Knechte tun, sondern gegen das »Mißfallen[], so man [bei] GOtt durch die e e Laster erwecken, und sich dadurch der gottlichen Liebe unwurdig, seines eigee nen Wohlergehens aber verlustig machen wurde.« Eine derartige Furcht ist keine momentane affektuelle Erschütterung, sondern Synonym für Religiosität und Frömmigkeit: »Wird in der heiligen Schrifft von der GOttes=Furcht geredet, so muß man sie so verstehen, daß es nicht deute auf Furcht und Schrecken, so einen e Augenblick wahret, sondern, daß es sey das gantze Leben und Wesen, das da gehet in Ehren und Scheu vor GOTT, denn es wird niemand GOTT dienen, denn e wer sich vor ihm furchtet.« Das Ende des Zedler’schen Artikels liest sich dann bereits recht frühaufklärerisch. Im Nachsatz, so scheint es zunächst, beginnt sich die Furcht Gottes zum Signum eines genuin moralischen Bewusstseins zu wandeln. Sie, so der Autor, »ist die Wurtzel aller Tugenden, dahero stehet sie billig oben an, und wird von e allen Menschen uber alle Dinge erfordert«.113 Jedoch: Anders als später bei 113 Vgl. Müller, Einleitung, S. 433 – 435: »[§. 7.] da wir gott zu lieben verbunden sind: so e e mussen wir ihn nothwendig auch, und zwar kindlich, zu furchten verpflichtet seyn. Und da e wir ihn uber alle dinge zu lieben schuldig sind; er auch ein allweises und gerechtes wesen ist, dem nothwendig alle thorheiten, oder thaten wieder seine allweise und gerechteste, auf e e unser eigenes heil gerichtete ordnungen, auserst misfallen mussen, (in welchem absehen er e sich in der schrift einen eifrigen gott nennet:) so mussen wir uns nothwendig auch schuldig e e e erkennen, gott uber alle dinge kindlich zu furchten. §. 8. Zwar, da kein gottliches gesez ohne e e straffe sich ubertreten lasset; indem gott die ordnung der natur in ansehung der e menschlichen zwecke und mittel also eingerichtet, daß die laster durch naturliche folge das e elend der menschen als einen ordentlichen effect nach sich ziehen mussen, […] worzu noch e e die gottliche besondere fursehung, oder regirung der menschlichen begebenheiten kommt e e e […], durch welche ein lasterhafter auch durch andere hartere unglucksfalle, als die e naturlichen folgerungen seiner laster sind, von gott heimgesuchet werden kan; so kan auch e die blosse erwegung der gottlichen straffen eine furcht vor gott ohne liebe, die man eine knechtische furcht, und den dadurch erzwungenen gehorsam einen knechtischen gehorsam zu nennen pfleget, allerdings erwecken. Allein da diese art der furcht gottes nothe e wendig aus einer gar unvollkommenen erkentnus gottes, und seiner naturlichen geseze, e herruhren muß; da nemlich ein mensch dieser grossen grundregel des gehorsams gegen e gott, (daß die gottlichen geseze nichts anders als die wesentlichsten mittel des wahrhaften menschlichen wohlergehens sind, und gott sie uns nicht etwa aus haß, uns das leben damit e e sauer, sondern vielmehr aus liebe, es uns gluckselig und vergnugt zu machen, auferleget,) e entweder gar nicht, oder doch nicht lebendig genug uberzeuget ist: so kan diese art der e e furcht gottes entweder vor gar keine achte, oder doch aufs hochste vor eine nur gar unvollkommene pflicht gegen gott, paßiren, bey welcher wir es nicht bewenden zu lassen, e e sondern durch bestrebung nach einer grundlichern und lebendigern erkentus gottes, und
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Immanuel Kant, ist Gottesfurcht hier noch nicht das Ergebnis moralischer Vernunft, sondern ihr Anfang. Die paradoxe Struktur dieser Semantik findet sich am schärfsten bei Blaise Pascal pointiert, in seinem eingangs zitierten Diktum: »Fürchte dich nicht, vorausgesetzt, daß du dich fürchtest; wenn du dich aber nicht fürchtest, so fürchte dich.«114 Die Paradoxie löst sich über die Unterscheidung von timor servilis und timor filialis. Die Sentenz besagt: Wer Gott kindlich fürchtete, brauchte die Welt nicht zu fürchten und nicht die Hölle, nicht den Tod und nicht den Teufel, kurz: alles, was Gott sandte zur Strafe der Gottlosen und zur Prüfung der Frommen. Wer dies nicht tat, hatte dagegen allen Anlass zur Furcht. Wer den Herrn kindlich fürchtete, suchte die Nähe zu ihm; er fürchtete die Sünde, die ihn von seinem Schöpfer entfernte. Knechtisch hingegen fürchtete sich, wer die Strafe scheute, die Gott für die Sünde verhängte. Er weigerte sich, in den furchterregenden Leiden dieser Welt die gerechte Sanktion zu erkennen, die jene vom Leiden befreite, die sie ertrugen; stattdessen sah er in ihnen ein Leiden, das es zu vermeiden galt. Eine derartige Furcht strafte der gerechte Gott, weil sie ihm Ungerechtigkeit unterstellte. Wer Gottes Strafe fürchtete und nicht ihren Anlass, der musste in der Tat Gottes Strafe fürchten. Nach dem Prinzip der Talion: Knechtische Furcht sanktionierte Gott mit knechtischer Furcht. So wurde die Furcht vor Vergeltung zur Vergeltung für die Furcht vor Vergeltung: »Die Furcht e der zukunfftigen Straff/ ist ein Straff.«115 Und so konnte, wer knechtisch fürchtete, auch die Furcht fürchten. Vor diesem Hintergrund schien die wirksamste Strafe nicht sie selbst, sondern die Furcht vor ihr. Die Reformation hatte im theologischen Verhältnis von kindlicher und knechtischer Furcht einen ihrer zentralen Angriffspunkte gefunden – und doch hat sie an dessen praktischen Implikationen nichts Nennenswertes geändert. Die Konfessionen des 16. und 17. Jahrhunderts unterschieden sich hier nicht im Kern der Sache, sondern lediglich in deren Begründungen; ihr Streit betraf vornehmlich die Frage, ob der knechtischen Furcht – ungeachtet ihres negativen Kontraststatus – auch eine positive erzieherische Funktion zugesprochen werden konnte: ob man durch sie zur kindlichen gelangte (und wenn ja, auf welche Weise). Protestanten wie Katholiken operierten im Kern mit derselben Landkarte der Furcht. Sie wurde von den Theoretikern gezeichnet und fand – zumeist ohne eine Explikation der gelehrten Differenzierungen – in der Homiletik ihre seiner geseze […] den knechtischen geist derselben in einen kindlichen zu verwandeln verbunden sind.« Vgl. auch Thomasius, Grundlehren, S. 48, § 32 f. Selbst im späten 18. Jahrhundert konnte auf die augustinischen Kategorien noch zurückgegriffen werden: Eustachius Moriz Goldhagen, Ueber die knechtische Furcht vor Gott. 4 Predigten, Nordhausen 1774. 114 Pascal, Gedanken, S. 416, Nr. 785/776. 115 Lehmann, Florilegium Politicum, S. 226. Vgl. auch Lipsius, Von der Bestendigkeit, Buch 2, Kap. 14.
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pastorale Anwendung.116 In diese Karte war über die keusche und die servile Gottesfurcht hinaus eine Furcht vor den Dingen der Welt eingetragen, die ihrerseits in eine gute und eine schlechte Variante zerteilt wurde: Einem »natürlichen« menschlichen Schutzaffekt stand hier eine »mundane« Furcht gegenüber, die keine göttliche Strafe imaginierte, sondern Sanktionen irdischer Herren. Auch diese Furcht jedoch besaß durchaus eine heilsgeschichtliche Brisanz, da sie sich, so ihre Definition, in ihrem Streben nach Strafvermeidung nicht scheute, sich am Schöpfer zu versündigen; und so erscheint sie theoretisch wie praktisch rückgebunden an die knechtische Furcht vor Gott. Dieses Ordnungsmodell, wie gesagt, wurde grundsätzlich von Theologen beider Konfessionsparteien geteilt. Die Auseinandersetzung zwischen ihnen betraf nicht die einzelnen Unterscheidungen, sondern in erster Linie die Übergänge zwischen dem jeweils Unterschiedenen. Das reformatorische Gnadenverständnis zog zwischen timor servilis, timor mundanus und timor naturalis/humanus auf der einen Seite und timor castus bzw. filialis auf der anderen eine schärfere Grenze als die scholastische Lehre, wie sie im 17. Jahrhundert prominent vom Jesuiten und römischen Kardinal Roberto Bellarmino vertreten wurde – im Anschluss an Ignatius von Loyola.117 Der thomistische Aristotelismus sprach der menschlichen Vernunft ein größeres Vermögen zu, den Furchtaffekt zu kontrollieren: eine »ungeordnete« Furcht zu überwinden, die »bisweilen Todsünde« war.118 Eine reformatorische Theologie dagegen, die der Vernunft die Freiheit dazu bestritt, setzte auf einen affektiven Ausgleich im Jenseits, auf eine Wiederverkehrung der »verkehrten Welt der Gefühle« nach dem Tod des affizierten Körpers.119 Eine Furcht vor und in körperlichen Leiden, die als göttliche Prüfung erschien, brachte immer schon die Gewissheit ewiger Freude. Daher war für Luther nicht das (vermeintliche) Übel, sondern das (vermeintlich) Gute das eigentlich Furchterregende.120 Dabei vorausgesetzt jedoch war die Gerechtigkeit 116 Für Belege aus der Predigtliteratur siehe Susan C. Karant-Nunn, The Reformation of Feeling: Shaping the Religious Emotions in Early Modern Germany, Oxford 2010, passim (ohne systematische Analyse der Furchtsemantik). Siehe außerdem unten Anm. 391 (zur »Angst«). 117 Und in Kritik an Luther, der gesagt habe: »Contritionem ex timore servili ortam, facere hominem hypocritam, et magis peccatorem.« Roberto Bellarmino SJ, Controversiarum de poenitentia liber secundus. Qui est de contritione, in: Opera omnia, hg. v. Justin Fèvre, Paris 1870 – 1874, Bd. 4, S. 499 – 551, hier 544 – 551, zit. 544. Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, in: Deutsche Werkausgabe, hg. v. Peter Knauer, Bd. 2: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, Würzburg 1998, S. 85 – 269, hier Nr. 370. 118 Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 21, II – II, qu. 125.3. 119 Vgl. Johann Anselm Steiger, Zorn Gottes, Leiden Christi und die Affekte der Passionsbetrachtung bei Luther und im Luthertum des 17. Jahrhunderts, in: Passion, hg. v. dems., Bd. 1, S. 179 – 201, hier 191 – 197. 120 Martin Luther, Evangelium am 23. Sonntag nach Trinitatis, Matth. 22, 15 – 22. Aus Roths Sommerpostille 1526, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer
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derer, die sich fürchteten – das Vertrauen, dass die jenseitige Vergeltung in Aussicht stand: dass die Furcht der Sündhaftigkeit überwand, wer glaubte an ihre Überwindung (allein) im Glauben.121 Ewige Furchtlosigkeit gab es nicht ohne kindliche Furcht. Das scholastische und jesuitische Vernunftkonzept setzte die knechtische Furcht als Mittel zur Evozierung der kindlichen ein122 – eine Maßnahme, die unter den Prämissen des sola gratia et fide dem Verdikt der Werkgerechtigkeit erlag; hier folgten die Reformatoren dem Kirchenvater Augustinus: Gesetzeskonformität allein sicherte dem Werk die Güte nicht; gut war nur, was das Herz befahl: die Liebe zur Gerechtigkeit, nicht die knechtische Furcht vor Strafe.123 Lutheraner mussten die kindliche Furcht schon haben, um zu ihr gelangen zu können. Sie war nicht erst die Folge knechtischer Furcht, sondern bereits die Voraussetzung für deren Überwindung; und das heißt: Sie resultierte aus der Gnade (und war zugleich deren entscheidende Bedingung). Johann Gerhard, einer der maßgeblichen Theologen der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts, erörtert die Beziehung von Glaube und Furcht im Streit mit Bellarmin über das Verhältnis von Gnade und Willensfreiheit, wie es die Kontroverstheologie der Zeit in Atem hielt.124 In De iustificatione steht die
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Ausgabe, im Folgenden: WA), Weimar 1883 ff., Bd. 10.1.2, S. 417 – 428, hier 422. Für eine existenztheologisch und -philosophisch sowie psychologisch orientierte Interpretation von Luthers Auffassungen zur Furcht vgl. Thorsten Dietz, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009 (Beiträge zur historischen Theologie 147). Dies übergeht Steiger, Zorn Gottes, insofern er die herausgehobene heilsgeschichtliche Bedeutung des Furchtaffekts nicht thematisiert: Die Möglichkeit jenseitiger Furchtüberwindung implizierte stets auch deren Notwendigkeit. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 10, I – II, qu. 43.1, Bd. 13, I – II, qu. 92.2 und 95.1. Hilfsmittel zur Bewerkstelligung des Übergangs ist eine weitere Unterscheidung: zwischen zwei Arten serviler Furcht – zwischen jener, die ausschließlich die göttliche Strafe, und jener, die mehr noch als diese die Versündigung an Gott fürchtet (und so eigentlich schon halb als eine kindliche erscheint): Bellarmino, Controversiae de poenitentia, S. 544 f., 548 – 550. Aurelius Augustinus, Contra duas epistulas Pelagianorum libri quattuor (Opera 8.1), Wien / Leipzig 1913 (ND New York / London 1963) (Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum 60), Buch II, Kap. 9.21: »quando autem timore poenae, non amore iustitiae fit bonum, nondum bene fit bonum nec fit in corde, quod fieri uidetur in opere, quando mallet homo non facere, si posset inpune.« Johann Gerhard, Loci theologici cum pro adstruenda veritate tum pro destruenda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervose solide et copiose explicati, hg. v. Eduard Preuss, 9 Bde., Berlin 1863 – 1875 (Bibliothek classischer Theologie in wohlfeilen Ausgaben 9 – 17). Maßgeblich für die jesuitische Auffassung von Gnade und Freiheit war Luis de Molina SJ, De concordia liberi arbitrii cum gratiæ donis, divina præscientia, providentia, prædestinatione, et reprobatione ad nonnullos primæ partis divi Thomæ articulos, Lissabon 1588 – mit dem Versuch, das Problem über die Differenzierung von gratia efficax und gratia sufficiens zu lösen. Zu kindlicher und knechtischer Furcht S. 44b; siehe auch S. 64a und 76b. Vgl. ferner Jacques Salian SJ, De timore Dei, libri novem, Paris 1629. Salian unterscheidet die Furcht vor der Sünde (timor peccati), vor dem göttlichen Urteil (timor divini iudicii) und die Furcht vor der Hölle (timor inferorum) als die drei »Söhne« der Gottesfurcht (timor Dei).
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Frage im Raum, ob der Glaube (fides) Furcht hervorbringt oder sie vertreibt. Bellarmin, wie ihn Gerhard zitiert, vertritt die erste Position und spricht letztere Fähigkeit dem Vertrauen (fiducia) zu – mit Verweis auf Noah, den der Glaube die Sintflut fürchten und die Arche bauen lässt. Der Lutheraner antwortet mit der Ausdifferenzierung des Furchtbegriffs. Die Alternative scheint ihm falsch gesetzt: Der Glaube, so Gerhard, evoziert kindliche Furcht, mit einer knechtischen dagegen geht er nicht zusammen. Der Autor kann beim Beispiel bleiben: Noah sieht dem Gericht nicht nur mit Furcht entgegen, sondern auch mit kindlichem Vertrauen auf göttlichen Schutz.125 Damit ist jedoch auch hier der timor servilis nicht gänzlich aus der Rechtfertigung verbannt. Wenngleich nicht ihr »instrumentum«, geht er ihr doch vorbereitend voraus: »velut pqopaqasj´ug et antecedens«.126 Obgleich kein Mittel der Verhaltensänderung, stellt er das Wissen von deren Notwendigkeit bereit. In diesem Sinne schien die knechtische Furcht durchaus erforderlich zur Erlangung des Heils. (Gnade gab es schon für Luther nicht ohne die Furcht vor dem Gesetz und seinen Vollstreckern, weil ohne sie keine Sünde gedacht werden konnte.) Hinreichend freilich war sie damit nicht. Conditio qua der Gnade war allein das Wissen von der Unmöglichkeit der Verhaltensänderung: von der Unverzichtbarkeit der Gnade. Gnade, mithin, war garantiert allein bei kindlicher Furcht; und um die knechtische in kindliche zu überführen, die drohende Verzweiflung in Gottesliebe und Gnadengewissheit, bedurfte es wiederum der Gnade: der kindlichen Furcht als Frucht des Glaubens, zu dem der Mensch ohne Gott nicht fand.127 Theologisch ist dies das Mysterium der Prädestination; semantisch verweist es auf die Einheit der Gegensätze. Wo knechtische und kindliche Furcht den Anfang und das Ende der Umkehr markierten, dort war die erste das notwendige und komplementäre heilstheologische Gegenstück der zweiten: ihre Verneinung, ohne die es das Erstrebte nicht gab. Auch in diesem Sinne schien die knechtische Furcht erforderlich, um zur kindlichen überwunden werden zu können. Auch in der lutherischen Theologie Johann Gerhards stand die kindliche Furcht nicht erst am Ende des Umkehrprozesses und die knechtische nicht lediglich an seinem Anfang.128 Vor diesem Hintergrund erhielt die (kindliche) Furcht in der Heilsgeschichte der protestantischen Gläubigen einen erhöhten Stellenwert.129 Die Furcht, der 125 Gerhard, Loci theologici, Bd. 3, Nr. 16 (De iustificatione per fidem), S. 366. 126 Ders., Loci theologici, Bd. 3, Nr. 16, S. 453. 127 Ders., Loci theologici, Bd. 3, Nr. 15 (De poenitentia), S. 252, und Bd. 3, Nr. 16, S. 453. Gerhard konstruiert eine dreistufige Reihe von der knechtischen Furcht über den Glauben zur kindlichen Furcht, die für die Zeit jedoch unverständlich bleibt. 128 Zu timor servilis und timor filialis siehe auch ders., Loci theologici, Bd. 3, Nr. 12 (De lege Dei), S. 108; Bd. 3, Nr. 15, S. 222, 231 f., 245, 252; Bd. 3, Nr. 16, S. 454 f.; Bd. 4, Nr. 12 (De bonis operibus), S. 108. 129 Vgl. Martin Luther, Der 112. Psalm Davids gepredigt. 1526, in: WA 19, S. 294 – 336, hier 305: »so ist Gottes furcht nicht anders denn Gottes dienst.«
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Gnade Gottes nicht würdig zu sein, erschien als Bedingung für die Befreiung von ihr : Voraussetzung der Gnade war das Vertrauen darauf, dass sich der Gnade würdig erwies, wer befürchtete, ihrer unwürdig zu sein. Wer nicht auf göttliche Gnade vertraute, dagegen, konnte sie auch nicht erhalten – und verblieb, als ewiger Höllenpein, in einer verzweifelten und knechtischen Furcht des Gewissens, die – lutherisch gesprochen – diejenigen traf, die vom Gesetz wussten, aber die Gnade nicht hatten.130 In den Kategorien mittelalterlicher Bußlehren: Wer nur die attritio kannte, die »Reue aus Furcht vor Gott und seiner Strafe«, und nicht die contritio, die »Reue aus Liebe zu Gott und zu Gottes Gerechtigkeit«, der lief Gefahr, als »Melancholiker« ausgeschrieen zu werden.131 Wer nicht auf die Gnade vertraute, mit anderen Worten, verschlimmerte seine Furcht – als deren Bestrafung.132 Luther hatte »offt gesagt: wie sich das gewissen gegen Gott helt, also ist er, Helstu, das er gnedig sey, so ist er genedig, furchtestu dich fur yhm als fur einem schrecklichen richter, so ist ers auch, richtet dich ymerdar nach deinem gewissen.«133 So erschien die servile Furcht vor Strafe als Strafe und als deren Anlass zugleich. Damit wiederum erhielt die Heilsrelevanz der knechtischen Furcht in der reformatorischen Religiosität eine andere Begründung. Sie scheint hier nicht Erziehungsinstrument, sondern Bedingung dafür, sich selbst als sündhaft zu erkennen, als Bedingung des Heils. Diese Furcht, die selbst das ist, was sie fürchtet, war die Voraussetzung ihrer Überwindung. Der Gott Luthers agierte als »verborgener«, als deus absconditus; er stieß in die Sünde und die Hölle hinab, um aus ihr herausführen zu können, er bediente sich des Verneiners seiner Absichten, um seine Absichten zu verwirklichen.134 In den Worten Johann 130 Die Angst des bösen Gewissens kannten freilich auch die Jesuiten: Salian, De timore Dei, S. 624 – 636. 131 David Sabean, Das zweischneidige Schwert. Herrschaft und Widerspruch im Württemberg der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1990, S. 86, 95. Vgl. auch Karant-Nunn, Reformation of Feeling, S. 252. 132 Martin Luther, Epistel am 4. Adventssonntag, Phil. 4, 4 – 7. Aus der Adventspostille 1522, in: WA 10.1.2, S. 170 – 187, hier 170 f.; Evangelium am 2. Adventssonntag, Luk. 21, 25 – 36. Aus der Adventspostille 1522, in: WA 10.1.2, S. 93 – 120, hier 111; In Genesin Mosi librum sanctissimum Declamationes. Über das erste Buch Mose. Predigten samt einem Unterricht, wie Moses zu lehren ist. 1527, in: WA 24, S. 1 – 710, hier 231; Verantwortung der aufgelegten Aufruhr. 1533, in: WA 38, S. 96 – 127, hier 113. 133 Ders., Declamationes, S. 231. 134 Zugespitzt bei Sebastian Franck, Paradoxa, hg. v. Siegfried Wollgast, Berlin 21995, Nr. 32: »Gott befreit durch die Sünde von der Sünde«. Martin Luther, De servo arbitrio. 1525, in: WA 18, S. 551 – 787, hier 633: »Altera est, quod fides est rerum non apparentium. Ut ergo fidei locus sit, opus est, ut omnia quae creduntur, abscondatur. Non autem remotius absconduntur, quam sub contrario obiectu, sensu, experientia. Sic Deus dum vivificat, facit illud occidendo; dum iustificat, facit illud reos faciendo; dum in coelum vehit, facit id ad infernum ducendo, ut dicit scriptura: Dominus mortificat et vivificat, deducit ad inferos et reducit. […] Sic aeternam suam clementiam et misericordiam abs-
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Gerhards: »Deus prius mortificat, antequam vivificet; prius in infernum deducit, antequam reducat, nec infundit misericordiae oleum nisi in vas contritum; postea accedit fides, quae terrores illos superat et in Christo mediatore remissionem peccatorum quaerit«.135 Dieser Gott versetzte die Menschen in knechtische Furcht vor dem Teufel, dass sie nicht den Teufel fürchteten, sondern den Gott, der ihn gewähren ließ: die Sünde, mit der Satan sie verführte und mit der er sie schlug.136 Wenn in diesem Sinne auch hier die knechtische Furcht erforderlich schien, um zur kindlichen gelangen zu können, so verlor sich die Unterscheidung zwischen beiden; sie fielen ineinander – um es mit Cusanus zu sagen: eine coincidentia oppositorum eigener Art.137 Das Mysterium der Gnade condit sub aeterna ira, Iustitiam sub iniquitate. Hic est fidei summus gradus, credere illum esse clementem, qui tam paucos salvat, tam multos damnat, credere iustum, qui sua voluntate nos necessario damnabiles facit, ut videatur, referente Erasmo, delectari cruciatibus miserorum et odio potius quam amore dignus. Si igitur possem ulla ratione comprehendere, quomodo is Deus sit misericors et iustus, qui tantam iram et iniquitatem ostendit, non esset opus fide.« Auch ders., Epistola beati Pauli apostoli ad Romanos incipit, in: WA 56, S. 3 – 154, hier 118 (zu Röm 12.2): »… vt probetis vt experiamini in proprio experimento quae sit voluntas dei bona quia est abscondita sub malis et beneplacens quia latet sub nobis displicentibus et perfecta.« Zum verborgenen Gott siehe Bähr, Vom Nutzen der Paradoxie, S. 307 f.; Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004 (Ancien R¦gime, Aufklärung und Revolution 35), S. 67 f.; theologisch: Bernhard Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, S. 232 – 235; Martin Schmidt, Luthers Schau der Geschichte, in: Luther-Jahrbuch 30 (1963), S. 17 – 69; Reinhold Weier, Das Thema vom verborgenen Gott von Nikolaus von Kues zu Martin Luther, Münster 1967; Alfred Adam, Der Begriff »Deus absconditus« bei Luther nach Herkunft und Bedeutung, in: Luther-Jahrbuch 30 (1963), S. 97 – 106; Hellmut Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott. Eine Untersuchung zu dem offenbarungsgeschichtlichen Ansatz seiner Theologie, Berlin 1958; Fritz Blanke, Der verborgene Gott bei Luther, Berlin 1928. 135 Gerhard, Loci theologici, Bd. 3, Nr. 16, S. 453: »Gott tötet, bevor er zum Leben erweckt; er führt in die Hölle hinab, bevor er aus ihr heraus führt, und er gießt sein Öl der Gnade allein in ein zerknirschtes Gefäß; danach folgt der Glaube, der jene Schrecken überwindet und bei Christus, dem Mittler, um Vergebung der Sünden bittet.« Meine Übersetzung. 136 Zur Teufelsfigur in der Frühen Neuzeit vgl. Nathan Johnstone, The Devil and Demonism in Early Modern England, Cambridge 2006, mit berechtigter Kritik an Jeffrey Burton Russell, Biographie des Teufels. Das radikal Böse und die Macht des Guten in der Welt, Köln / Weimar / Wien 2000 [Ithaca, NY 1988]. Vgl. außerdem die einschlägigen Beiträge in: Das Böse. Eine historische Phänomenologie des Unerklärlichen, hg. v. Carsten Colpe / Wilhelm Schmidt-Biggemann, Frankfurt a.M. 1993. Für eine systemtheoretische Interpretation der Figur siehe Niklas Luhmann, Sthenographie und Euryalistik, in: Paradoxien, hg. v. Gumbrecht / Pfeiffer, S. 58 – 82; auch Johanne Villeneuve, Der Teufel ist ein Spieler oder: Wie kommt ein Eisbär an die Adria?, in: Paradoxien, hg. v. Gumbrecht / Pfeiffer, S. 83 – 95, hier 84 – 86. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Peter André Alt, Ästhetik des Bösen, München 2010, Kap. I. 137 Vgl. auch Martin Chemnitz, Examen Concilii Tridentini [21578], hg. v. Eduard Preuss, e Berlin 1861 (ND Darmstadt 1972), S. 436 f., dt.: Examen, das ist/ Erorterung Deß Trientie schen Concilij. Durch den Ehrwurdigen Herrn D. Martinum Chemnicium/ im Latein beschrieben/ vnd in vier Theil verfasst/ darinn eine starcke vollkommene Widerlegung der e e furnemmen Hauptpuncten der gantzen Papistischen Lehre/ beyde auß dem Grundt der H.
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brauchte die theologische Unterscheidung, ohne sie praktisch aufrechterhalten zu können. Es benötigte die Differenzierung, um die Gnade zur Vermittlung des Unvermittelbaren zu installieren. Und das heißt: Nicht allein in katholischen, sondern auch in protestantischen Kontexten bildeten timor servilis und timor filialis am Ende keinen Widerspruch, sondern bedingten sich wechselseitig.138 Dies gilt nicht allein für die Lutheraner, sondern auch für die Reformierten.139 Calvins Institutio Christianae Religionis hatte den Gegensatz nach den strukturellen Vorgaben einer Innen-Außen-Relation pointiert, wie sie mit der Reformation (der zweiten ebenso wie der ersten) in spezifischer Weise problematisiert wurde. Kindliche Furcht, so Calvin, sucht aus freien Stücken den göttlichen Vater, den sie liebt. Knechtische dagegen meidet den himmlischen Richter, den sie hasst; sie gehorcht seinen Gesetzen, nicht weil sie es will, sondern weil sie sich dazu gezwungen sieht, und das heißt: Servile Furcht und die Handlungen, die sie motiviert, entspringen keiner aufrichtigen Innerlichkeit des Herzens; in ihnen manifestiert sich äußerliche, heuchlerische und rituelle Verstellung. Sie kommen nicht aus den Weiten und der Höhe des Heils, sondern aus der Enge und den Tiefen der Sünde, und sie führen eben dorthin zurück.140 Die religiösen Reformbewegungen gegen Ende des »martialischen Saecue
Schrifft/ vnd dem Consens vnd Einhelligkeit der rechtlehrenden Vatter/ zusammen getragen/ vnd in ein Buch verfaßt ist, übers. v. Georg Nigrinus, Frankfurt a.M. 1576, S. 168 f. 138 Überbetont wird der konfessionelle Gegensatz (in Bezug auf das Verhältnis von Furcht und Liebe) von Lee Palmer Wandel, Love and Fear in Reformation Catechisms, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 61/1 (2011), S. 57 – 72. 139 Ungeachtet dessen, dass Calvin auf den ersten Blick durchaus positiven Bezug auf die scholastische Auffassung zu nehmen scheint: Jean Calvin, Institutio Christianae Religionis, hg. v. Wilhelm Baum / Eduard Cunitz / Eduard Reuss, in: Opera quae supersunt omnia, hg. v. dens., Braunschweig 1863 ff. (Corpus Reformatorum 29 ff.), Bd. 1 – 2, hier Bd. 2, III, 2, 27. Dt. Übersetzungen werden hier und im Folgenden zit. nach Jean Calvin, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis. Nach der letzten Ausgabe übers. und bearb. v. Otto Weber, Neukirchen 1955, hier S. 362: »Nun sagt freilich Johannes: ›Furcht ist nicht in der Liebe; denn die völlige Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht hat Pein‹ (1 Joh. 4, 18). Aber das steht zu dem eben Gesagten nicht in Widerspruch. Er redet nämlich von dem Schrecken des Unglaubens, der etwas ganz anderes ist als die Furcht der Gläubigen. Denn die Gottlosen fürchten Gott nicht in dem Sinne, daß sie sich auch dann scheuten, ihn zu beleidigen, wenn sie es ungestraft tun könnten; nein, sie erschrecken furchtbar, wenn sie von seinem Zorn hören, weil sie wissen, daß Gott mit der Macht gerüstet ist, Vergeltung zu üben. Und so fürchten sie sich vor seinem Zorn, weil sie meinen, daß er ihnen immer droht, weil sie in jedem Augenblick erwarten, er könnte ihnen aufs Haupt fallen. Die Gläubigen dagegen fürchten, wie gesagt, die Kränkung Gottes mehr als seine Strafe, sie lassen sich auch nicht von der Furcht vor der Strafe in Verwirrung bringen, als ob diese ihnen immerzu über dem Nacken schwebte, sondern sie lassen sich vorsichtiger machen, sich diese Strafe nicht zuzuziehen. […] Freilich kommt es selten vor, daß sich die Verworfenen schon allein durch einfache Drohungen aufwecken lassen; nein, sie sind in ihrer Verhärtung dermaßen träge und stumpfsinnig geworden, daß sie sich, wenn Gott mit seinen Worten vom Himmel her sein Unwetter ergehen läßt, jedesmal zur Halsstarrigkeit verstocken; aber wenn seine Hand sie niederschlägt, dann werden sie, mögen sie
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lums« schließlich akzentuieren noch einmal den mystischen Kern des Gedankens; sie konturieren verstärkt die Räumlichkeiten des (Un-)Heils, auf protestantischer wie auf katholischer Seite, Pietisten und Puritaner ebenso wie Jansenisten, Christian Scriver oder Johanna Eleonora Petersen ebenso wie der zitierte Blaise Pascal.141 Ihnen war es um die Erneuerung der praxis pietatis zu tun, nicht jedoch um eine Änderung ihrer theologischen Basis: der Semantik von kindlicher und knechtischer Furcht. Wenn Pietisten stärker als orthodoxe Lutheraner die Notwendigkeit und die Möglichkeit einer einmaligen lebensgeschichtlichen Umkehr betonten, so lieferten sie damit weniger neue Inhalte als neue Medien protestantischer Theologie: neben dem biographischen vor allem den autobiographischen Bericht, die geistliche Selbstreflexion.142 Die von Johann Henrich Reitz in sieben Teilen herausgegebene Historie der Wiedergebohrnen ist dafür beispielhaft. Sie präwollen oder nicht, gezwungen, ihn zu fürchten. Diese Furcht nennt man allgemein die sklavische Furcht, und man stellt sie der edelgebornen, freiwilligen Furcht gegenüber, wie sie die Kinder haben sollen. Einige fügen da scharfsinnig noch eine mittlere Art von Furcht ein [den timor initialis], weil jene sklavische, gezwungene Regung zuweilen auch einen Menschen dazu bringt, freiwillig zur Furcht Gottes zu gelangen.« Vornehmlich jedoch, so scheint es, spricht aus diesen Zeilen eine skeptische Distanz. 140 Calvin, Institutio, II, 11, 9; III, 2, 22 f.; III, 2, 26 f.; III, 3, 7. Vgl. auch de l’Espine, Gewissen, S. 304. e 141 Christian Scriver, Seelen=Schatz/ Darinn Von der menschlichen Seelen hohen Wurde/ e e e tieffen und klaglichen Sunden=Fall/ Busse und Erneuerung durch Christum/ Gottlichen e heiligen Leben/ vielfaltigen Creutz und Trost im Creutz/ seligen Abschied aus dem Leibe/ e Triumphirlichen und frolichen Einzug in den Himmel/ und ewiger Freude und Seligkeit/ e erbaulich und trostlich gehandelt wird …, Teile 1 – 3, Magdeburg / Helmstedt 1682, Teil 3, 2. e Predigt, S. 880 f.; M. Christian Scrivers […] Seelen=Schatzes Funffter und letzter Theil/ e Darinn Von der glaubigen Seelen Verlangen nach dem Ewigen/ Vorbereitung zum seligen e Tode/ frolichem Abschied aus der Welt/ seligen Einzug in den Himmel/ und Geniessung der e ewigen Seligkeit/ ausfuhrlich und erbaulich gehandelt wird …, Magdeburg / Helmstedt 1697, 4. Predigt, S. 302 f.; Johanna Eleonora Petersen, Das ewige Evangelium Der Allgemeinen Wiederbringung Aller Creaturen/ Wie solche unter andern In rechter Ere e e kantnuß Des Mittlern Zustandes der Seelen nach dem Tode tieff gegrundet ist/ Und nach e Außfuhrung der endlichen Gerichte GOttes/ auch zu Erweckung einer heiligen Gegen-Liebe e verkundiget …, o. O. 1698, insbes. S. 36, 48 f., zit. nach Stefan Luft, Leben und Schreiben für den Pietismus. Der Kampf des pietistischen Ehepaares Johann Eleonora und Johann Wilhelm Petersen gegen die lutherische Orthodoxie, Herzberg 1994, S. 248 – 250. 142 Grundlegend dazu, aus systemtheoretischer Perspektive, ist Markus Steinmayr, Menschenwissen. Zur Poetik des religiösen Menschen im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen 2006 (Communicatio 35), Kap. 6 und 7. Vgl. außerdem die sich als philosophisch ausweisende Arbeit von Markus Schlette, Die Selbst(er)findung des Neuen Menschen. Zur Entstehung narrativer Identitätsmuster im Pietismus, Göttingen 2005 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 106), sowie Ulrike Gleixner, Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Württemberg 17. – 19. Jahrhundert, Göttingen 2005 (Bürgertum, N.F. 2), Kap. C. Für die britischen Inseln vgl. D. Bruce Hindmarsh, The Evangelical Conversion Narrative: Spiritual Autobiography in Early Modern England, Oxford 2005, insbes. Kap. 1; David George Mullan, Narratives of the Religious Self in Early-Modern Scotland, Farnham, Surrey / Burlington 2010.
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sentiert die radikalprotestantische Furcht- und Angstsemantik in exemplarisch personalisierter Form, mit Texten nicht allein von Pietisten, sondern auch von Puritanern, Quietisten, Hugenotten und diversen Spiritualisten.143 Bei Reitz, wie schon das von ihm selbst erstellte Register ausweist, wird Furcht e primär als »grosse Angst der Seelen« und »Hollen=Angst« thematisch.144 Viele der in seiner Sammlung abgedruckten Lebensberichte exerzieren die pietistische Theologie der Angst in der Praxis von Zerknirschung des Herzens (contritio cordis), Bußkampf und Wiedergeburt im Glauben. Angst und Schrecken entstehen hier in der plötzlichen Erkenntnis der eigenen Sünden und fungieren so als Initialzündung einer conversio vom falschen Leben zum rechten. Anschließend führen sie, regelmäßig und vom Teufel gewirkt, zunächst an den Rand tödlicher Verzweiflung, dann aber mit derselben Regelmäßigkeit und durch göttliche Gnade aus ihr wieder heraus; der Selbstverdammung (in der Furcht vor gerechter Verdammnis) folgen Errettung und Trost auf dem Fuß: die göttliche Aufhebung des Urteils. Trotz aller zwischenzeitlichen Anfechtungen, diabolischen Versuchungen und Rückfälle: Wer hier schreibt, hat den status resurrectionis erreicht.145 Der Begriff »Angst«, anders als die »Furcht«, akzentuiert dabei die Räumlichkeit des Prozesses: die Bedrängnis von Herz und Gewissen, im ganz körperlichen Vorgriff auf die Enge der Hölle. »Angst« schien das Oppositum zur Weite des Heils – und zugleich deren notwendige Voraussetzung.146 Sie und ihre äußerste Steigerung, die drohende (!) Desperation, belegten die Aufrichtigkeit des Bekenntnisses; damit wurden sie beschreibbar aus der Perspektive ihrer trostreichen Überwindung zu neuem Leben. Sie wurden beschrieben, weil sie erforderlich schienen, um als solche überwunden werden zu können: damit Gott das Werk seiner Gnade verrichten konnte an denen, die ihre Gnadenbedürf143 Johann Henrich Reitz, Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698 – 1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auflagen, hg. v. Hans-Jürgen Schrader, 4 Bde., Tübingen 1982. 144 Im Register finden sich weder »Gottesfurcht« noch »Furcht«, weder die Begriffe »kindlich« noch »knechtisch«. 145 Reitz, Historie, Teil I, S. 112 – 114, 147 – 151, 162 f., 169 – 175; Teil II, S. 120 – 125, 181 – 183; Teil III, S. 219 – 221, 232; Teil IV, S. 58 – 66, 118; Teil V, S. 77, 254 – 257, 349. Nicht selten wird der Umkehrprozess durch einen angst- und schreckerfüllten Traum ausgelöst: Teil I, S. 169 – 171. Vgl. auch Teil II, S. 123, wo der Trost in der Angst durch eine Jenseitsvision vermittelt wird. Zum Traum in pietistischer Autobiographik unten Kap. 6.2. 146 Diese Räumlichkeit wird im 34. Exempel signifikant veranschaulicht und entfaltet (Reitz, Historie, Teil I, S. 161 – 165): Ein anonymer, mutmaßlich männlicher, »P. St.« erkennt seine Sündhaftigkeit, als er in einem Brunnen von Steinen und Sand verschüttet wird und fast e erstickt. Der eintretende Luftmangel wird mit dem der entstehenden »Hollen=Angst« analogisiert und das erbetene göttliche Gnadenwerk mit einem »sanffte[n] Wind«. Die Befreiung aus dem »tieffen Grab« des Brunnens geht mit der Rettung aus dem »Kercker« der Hölle einher ; seelisch wie körperlich beginnt mit dem Wiedererblicken des Tageslichts ein neues Leben. – Näheres zur Räumlichkeit der »Angst« unten in Abschnitt 6.
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tigkeit bekannten. In einem spezifisch theologischen Sinne: Ohne Angst konnte es keine Befreiung (aus ihr) geben. Auch hier wird die Unterscheidung zwischen rechter und falscher Furcht virulent. Wer bei Reitz von eigener Angst berichtet, sucht von ihr erlöst zu werden, weil er ihre diabolische Genese erkannt hat; und Voraussetzung dieser Erlösung ist eine göttlich gewirkte Angst. Eine anonym bleibende (vermutlich männliche) Person etwa (»M. D. B.«) lebte, wie sie ihrem Prediger bekannte, in steter Angst vor höllischer Verdammnis, weil sie Traurigkeit fühlte über diese Angst und nicht über ihre Sünden. Sie fand Trost, als sie sagen konnte, sie fürchte sich nicht vor göttlichem Zorn, sondern davor, Gott mit Worten, Werken und Gedanken zu erzürnen.147 Wer gar keine Angst hatte, mithin, hatte Anlass zur Furcht – in den Worten des Baptisten John Bunyan, wie Reitz ihn zitiert und e übersetzt: »dabey ich mich doch furchtete/ diese Angst zu verlieren/ versichert seyende/ daß wo das Gewissen nicht gereiniget und gestillet wird auff rechte Weise/ das ist/ durchs Blut Christi/ es nach Wegnehmung der Angst ehe schlimmer dann besser mit solchen Menschen werde«.148 Seiner (auto)biographischen Zuspitzung wird der Gedanke dann im Lebens=Lauff des Perückenmachers Johann Tennhardt zugeführt, den Reitz auch hätte zitieren können. Ihm habe Gott die Angst genommen, als er endlich aufhörte, Gott darum zu bitten: als er sich dankbar gewürdigt sah, Zeit seines Lebens »einige Angst und Bitterkeit zu empfinden«.149 All dies ist bereits in August Hermann Franckes modellbildendem Lebenslauff von 1690/91 angelegt, wird dort jedoch noch nicht im selben Maße entfaltet.150 Ausführlicher wurde Francke zehn Jahre später, als er den pietistischen Gedanken noch einmal theologisch präsentierte. In seinem Nicodemus stellt er die Sünde der »Menschenfurcht« an den Pranger : die Furcht – von Predigern und Lehrern insbesondere, aber auch von allen sich als Priester verstehenden Gläubigen –, sich offen zu den (pietistischen) Wahrheiten zu bekennen, die sie erkannten, gegenüber Obrigkeiten und Autoritäten und all denen, die das Ge147 Reitz, Historie, Teil I, S. 169 – 175. 148 Ders., Historie, Teil III, S. 180 (engl.: John Bunyan, Grace Abounding to the Chief of Sinners, hg. v. Roger Sharrock, Oxford 1962, S. 28); vgl. auch Teil V, S. 156 – 158. 149 Johann Tennhardt, GOTT allein: soll die Ehre seyn: Welcher mir befohlen fein: Zu e schreiben durch seinen Geist allein: Gantz wunderlich zwey Tractatelein: An alle Menschen e insgemein […]: Daß sie sollen Busse thun/ und vom Sunden=Schlaff aufwachen: Dieweil e GOTT mit grossem Donner/ Blitz/ Hagel und Krachen: Der bosen Welt bald/ bald/ ja bald ein End wird machen: Benebst meinem Johann Tennhardts Lebens=Lauff …, 2 Bde., o. O. [Idstein] 1710, Bd. 1, S. 56 – 60, zit. 60. Die von Gewissens- und Herzensangst sowie angstvollen Anfechtungen gezeichnete vorwiedergeburtliche Lebensphase endet dann im Wesentlichen S. 125. 150 August Hermann Francke, Lebenslauf [1690/91], in: ders., Werke in Auswahl, hg. v. Erhard Peschke, Berlin 1969, S. 4 – 29, hier 24, 26 – 28.
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wissen kontrollieren und beeinflussen wollten. Diese Furcht vor den Menschen (und mit ihr die Feinde des Glaubens), so Francke, überwand allein die liebende Furcht vor Gott: Erkenntnis und Verleugnung seiner selbst und der Welt, Buße und Umkehr. Wer die Menschen mehr fürchtete als ihren Schöpfer, hatte ihn am Ende mehr zu fürchten als sie: Er vernahm Gottes Urteil im bösen Gewissen151 oder wurde, wie Tennhardt, mit körperlicher Krankheit geschlagen: mit geschwollenem Hals.152 Die mystischen Implikationen der pietistischen Furcht- und Angstkonzepte haben auch jene Philosophen nicht beseitigt, die seit der Mitte des 17. Jahrhunderts den Gott der Offenbarung ins Licht vernünftiger Erkenntnis zu rücken suchten, in deren Augen Gott sich nicht mehr dort zeigte, wo er sich verbarg, im Schrecklichen, sondern in der sichtbaren Ordnung und der Herrlichkeit seiner Natur. Dies beweist bereits der zitierte Artikel aus Zedlers Enzyklopädie. Es liegt in der Konsequenz dieser erneuerten Orientierung an der Vernunft, dass der erzieherische Einsatz knechtischer Furcht (ohne den freilich, ungeachtet rechtfertigungstheologischer Vorbehalte, auch die reformatorischen Theologen praktisch nie ausgekommen waren)153 nun auch unter protestantischen Denkern rehabilitiert werden konnte. Eines der prägnantesten Beispiele ist Christian Wolff: e
»Weil die kindliche Furcht allein genung ist den Menschen von dem bosen abzuhalten und zum guten anzutreiben; so brauchet man keine knechtische Furcht, wo eine kindliche vorhanden. Unterdessen wo ein Mensch keine kindliche Furcht hat, so kan e e man bey ihm anfangs eine knechtische Furcht erwecken, damit er anfangt das bose zu e lassen und das gute zu thun und dadurch einen Geschmack von dem guten und bosen bekommet. Da man denn nach diesem zu der Liebe GOttes und folglich zu der kindlichen Furcht Anlaß nehmen kan, und eine Frucht der kindlichen Furcht wird was e vorher eine blosse Wurckung der knechtischen war.«154
Die Vernunft der »Rationalisten«, dies zeigt sich hier erneut, wusste weniger um ihre Macht als um deren Grenzen. Sie suchte die Affekte nicht zu beseitigen, sondern zu erkennen – um sie mit Klugheit zu lenken. Sie setzte Affekt gegen 151 Ders., Nicodemus. Ein Tractat über die Menschenfurcht, zur Pflanzung der wahren Furcht Gottes allen Christen besonders aber den Kirchen= und Schul=Lehrern gewidmet, Halle a. d. S. 61826 [1702], insbes. Kap. 1 – 4 und 6 – 7. Der Titel der Schrift verweist auf Joh 3.1 – 21: auf den Pharisäer Nikodemus, der zu Christus kam in der Nacht, um sich unterrichten zu lassen. Bei Francke, wie schon bei Calvin, ist die Nachtzeit mit furchtsamer Verstellung assoziiert. Viele andere frühneuzeitliche Christen dagegen zitierten die biblische Erzählung, um in Zeiten konfessioneller Verfolgung die »Vernächtlichung« des Gottesdienstes zu rechtfertigen: Craig Koslofsky, Evening’s Empire: A History of the Night in Early Modern Europe, Cambridge 2011, S. 48 – 52, 89 f. 152 Tennhardt, GOTT allein, Bd. 1, S. 77 – 79, die »Menschen=Furcht« S. 79. 153 Insbesondere in der Wetterpredigt; dazu unten Kap. 4.2. 154 Wolff, Thun und Lassen, S. 483; zur Gottesfurcht insgesamt vgl. S. 478 – 495.
Politische Theorie: Die Furcht der Unteren vor den Oberen
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Affekt: kindliche Furcht gegen knechtische, und sie setzte knechtische Furcht ein, um eine kindliche zu erwirken – die Schrecken der Strafgewalt gegen einen gänzlichen Mangel an Furcht.155 Und das heißt: Auch Philosophen wie Christian Wolff standen im Horizont eines religiösen Denkens, das der Furcht eine exponierte heilsgeschichtliche Bedeutung beimaß. Um diese zu begründen, sahen sich die Theologen gezwungen zu unterscheiden: zwischen timor filialis und timor servilis, und doch vermochten sie beide am Ende nicht wirklich zu trennen. Um die Spannung zu lösen, griffen sie auf den unergründlichen und gnädigen Willen ihres verborgenen Gottes zurück. Für den Historiker dagegen verweist der Lösungsversuch auf die kulturellen Grenzen ihrer Argumentation. Das Problem, wie gesehen, wurde zunächst in der religiös-moralischen Erziehung virulent, im Verhältnis zu den väterlichen Autoritäten im Himmel und in der Familie. Darüber hinaus jedoch, wie im Folgenden herauszuarbeiten sein wird, fand es auch in politischen Ordnungsentwürfen seinen Niederschlag.
3.3. Politische Theorie: Die Furcht der Unteren vor den Oberen Die Furcht vor Gott richtete sich stets auch auf die Gewalt seiner Stellvertreter auf Erden. Reformation und katholische Reform hatten ein zweites Reich geschaffen: ein Gewissen, das seine Vollzugsinstanz nicht nur in göttlicher, sondern 155 Auch der Moralphilosoph Arnold Wesenfeld stellte klar : Nur die Liebe zu Gott und die Hoffnung auf den, der die Zukunft kennt, nur seine Bewunderung und Verehrung, nur ein metus filialis also, der die ewigen Übel fürchtet und nicht die zeitlichen: die Unvollkommenheit und Gott als ihren gerechten Richter, nur sie überführen den affektuellen Pendelschlag von Furcht und Hoffnung in ewige Freude: Wesenfeld, Introductio, S. 611 und 615: »In Deum verý hæ passiones minimÀ omnium cadunt. C¾m enim Status Dei, Status perfectissimæ laetitiæ sit, quem Beatitudinis vocamus, nihilque ei tanquam Enti absolutÀ perfectissimo desit, neque eidem tanquam Summo & Omnipotenti nocere quidquam possit: nec Spes Metusv¦, nec ulla horum Species aut Gradus in eundem convenire possunt. Quomodo enim Futura Bona sperabit, qui Bona omnia sibi convenientia jam actu possidet? […] Hinc & Angeli boni & Beati in altera vita Deum non metuent, sed admirabuntur tant¾m ac venerabuntur, ut Ens Summum. Boni verý in hac vita metuunt Deum, quatenus illum ut Vindicem imperfectionis in se deprehensæ attendunt. Qui tamen ingratus sensus directÀ ex malis futuris peccato præstitutis dimanat; indirectÀ et per modum repercussionis demum ad ideam Dei transfertur, quia mala ista ab eo liberÀ tribuuntur. Hinc & Metus ille cum Amore Dei consistere omnino potest; quia mala hæc imperfectionis suis debita novit, Deumque etiam tum summÀ Bonum apprehendit, c¾m rationali creaturæ mala tribuit. Accedente præsertim intuitu ad temperamentum Gratiæ, quo Justitiam suam Deus in hac vita ceu statu Viæ moderatur, ut clari¾s nobis Revelatio indicat. Vel reflexione ad Mala Externa peccatum consequentia, ceu Modos retrahendi Nos peccatis, & præservandi Malis æternis. Atque hic ille Metus Dei est, quem Filiali Theologi dicunt, qui semper Amorem & Spem in Deo comites habet.«
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auch in weltlicher Herrschaft fand.156 Angezielt war auch hier die Furcht vor denen, die das Recht hatten, »die Fehler der Untern zu straffen«; und auch diese e Furcht konnte »zuweilen mit der Liebe verknupfft, zuweilen aber von derselben abgesondert« sein.157 Auch die politischen Theorien der Frühen Neuzeit, so wird schnell sichtbar, kreisten um das Problem der Furcht; von ihr nahmen sie ihren Ausgangspunkt und in ihr fanden sie ihr Ziel. Dies zeigt sich in der neostoischen Debatte um die praktische Klugheit des Fürsten, wie sie von Justus Lipsius geprägt worden ist, sowie in der staatstheoretischen Begründung absoluter Herrschaft, für die vornehmlich Thomas Hobbes Maßstäbe gesetzt hat. Die politische Klugheitslehre des späten 16. und 17. Jahrhunderts thematisierte Furcht im Zusammenhang mit den Tugenden des Fürsten und den Maßnahmen zur gesellschaftlichen Affektregulierung. Das Recht und die Notwendigkeit, die Unteren in Furcht vor Strafe zu versetzen, wurde dem Herrscher an keiner Stelle bestritten; denn im Volk, so Lipsius, herrschte aus Furcht geborener Hass, der anders nicht im Zaum zu halten war.158 Fraglich jedoch schien, wie ein Fürst von diesem Recht Gebrauch machen konnte, ohne selbst Gegenstand des Hasses zu werden.159 Ein auf Selbsterhaltung bedachter Herrscher musste danach streben, von seinen Untertanen nicht nur gefürchtet, sondern auch geliebt, geachtet und verehrt zu werden.160 Bereits der von Lipsius heimlich bewunderte Machiavelli hatte sich in dieser Richtung geäußert.161 Die »Oberkeit 156 Beziehungsweise finden sollte: Hier stehen der normative Anspruch zur Debatte und dessen praktische Implikationen, keine politisch-gesellschaftliche Praxis oder »Realität«. Ob »sozialdisziplinierende« Gesetze durchgesetzt wurden oder nicht, ist an dieser Stelle nicht von Relevanz. Zu dieser Forschungsdiskussion sei nur verwiesen auf die Überblicksstudie von Dagmar Freist, Absolutismus, Darmstadt 2008. 157 Art. »Furcht«, in: Walch, Philosophisches Lexicon, S. 1078. 158 Justus Lipsius, Politica. Six Books of Politics or Political Instruction [1589], hg. und übers. v. Jan Waszink, Assen 2004, 4.5.15 – 4.6.2; vgl. 2.8.1. Grundlegend zu Lipsius und seiner Rezeption: Gerhard Oestreich, Antiker Geist und moderner Staat bei Justus Lipsius (1547 – 1606). Der Neustoizismus als politische Bewegung, hg. und eingel. v. Nicolette Mout, Göttingen 1989 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 38); Wolfgang E.J. Weber, Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992 (Studia Augustana 4). 159 Johann Tobias Wagner, Entwurf einer Soldaten-Bibliothek, nebst der ganzen Alten, Römischen, Teutschen, wie auch Neuen Kriegs-Verfassung, Leipzig 1724, S. 151 (mit Bezug auf Hugo Grotius, Samuel Pufendorf und Christian Thomasius). 160 Lipsius, Politica, 4.9.7 (Aristoteles, Politeia, 1314b18). 161 Niccolò Machiavelli, Il Principe. Der Fürst [1532]. Italienisch/Deutsch, übers. und hg. v. Philipp Rippel, Stuttgart 1986, Kap. 17, insbes. S. 129 – 135: Machiavelli diskutiert hier »die Streitfrage, ob es besser ist, geliebt als gefürchtet zu werden oder umgekehrt. Die Antwort ist, daß man das eine wie das andere sein sollte; da es aber schwerfällt, beides zu vereinigen, ist es viel sicherer, gefürchtet als geliebt zu werden, wenn man schon den Mangel an einem von beiden in Kauf nehmen muß. Denn man kann von den Menschen im allgemeinen sagen, daß sie undankbar, wankelmütig, unaufrichtig, heuchlerisch, furchtsam und
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sol man forchten vnd ehren«, lehrte 1565 der Militärtheoretiker Leonhart Fronsperger (mit dem Apostel Paulus), »dann sie tregt das schwerdt zur forcht e e e dem bosen/ vnd zu gut dem frommen.«162 Furcht ohne Liebe und Verehrung schlug um in Hass; sie wurde dem Herrscher zur Gefahr, wo die Grenzen seiner Durchsetzungsmacht erreicht waren. Der kluge Fürst kannte das rechte Maß. Wollte er die Liebe seiner Untertanen gewinnen, so versetzte er sie in eine moderate Furcht. Die Tugend der Milde verzichtete auf die gerechte Strafe, wenn sie dafür Reue erwirken konnte. Ein Herrscher, der allzu sehr auf seine Sanktionsmacht vertraute, erregte eine knechtische Furcht,163 die auf ihn zurückfiel: Wer in servile Furcht versetzte, wurde von denen, die er in Furcht versetzt hatte, am Ende selbst in Furcht versetzt. Diese Strafgewalt, im Augenblick, da sie nachließ, zeitigte die Vergehen, die sie zu sanktionieren drohte. Vermittelt über die knechtische Furcht, so Lipsius, ermöglichte sie erst die Vergehen, die sie bestrafte.164 So entzog sich eine grausame Herrschaft selbst den Boden. Sie machte den Herrscher zwar zu einem gefürchteten Mann, jedoch nicht zu einem mächtigen;165 denn seine Grausamkeit wurde mit Grausamkeit beantwortet. Vor diesem Hintergrund war das Ziel nicht Unterwerfung auf Zeit, sondern Untergebenheit auf Dauer : nicht Furcht vor dem Herrscher, sondern für ihn.166 Man war schließlich nicht unter »Barbaren«: »Türken und Tataren«, so wussten Wolfgang Christoph Maemminger und Johann Ulrich Pregitzer, waren seit Jahrhunderten nichts anderes gewohnt; raue Sitten (»mores asperae«) hatten sie in die Knechtschaft der Furcht geführt und dazu erzogen, sich an Stelle der Vernunft von der sinnlichen Macht der Strafandrohung leiten zu lassen.167 Unter freien Menschen dagegen galt der locus communis: »Multis terribilis caveto multos« (Ausonius): »Wer zwingt zur Forcht sein Vnterthan/ der muß auch
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habgierig sind […]. Gleichwohl darf ein Fürst nur so viel Furcht verbreiten, daß er, wenn er dadurch schon keine Liebe gewinnt, doch keinen Haß auf sich zieht.« Daraus zieht der Verfasser »die Schlußfolgerung, daß, insofern die Liebe der Menschen ihrem eigenen Gutdünken entspringt und ihre Furcht von dem Willen des Fürsten abhängt, ein kluger Fürst sich nur auf das verlassen darf, worüber er selbst verfügt, und nicht auf das, worüber andere verfügen; er muß sich nur bemühen, dem Haß zu entgehen«. e Leonhart Fronsperger, Fünff Bucher. Von Kriegß Regiment vnd Ordnung/ wie sich ein o yeder kriegßman inn seinem Ampt vnd beuelch halten soll/ vnd was zu anfang eines Kriegs o o zuerwegen vnnd zubetrachten sey …, Frankfurt a.M. 1565, Vorrede zum 1. Buch. Wolfgang Christoph Maemminger / Johann Ulrich Pregitzer, Regnantium amor ac timor, Tübingen 1661, S. 40 f., 49. Lipsius, Politica, 2.13.2. Ders., Politica, 2.13.2 (Sallust, Iugurtha, 42). Lipsius, Politica, 2.12.1 (Stobaios, Anthologion IV, 7.47). Die vorangehenden Aspekte finden sich auch bei Justus Lipsius, Politicorvm sive Civilis Doctrinae Libri Sex [1704]. Mit einem Vorwort hg. v. Wolfgang E.J. Weber, Hildesheim / Zürich / New York 1998, 2.13.12 und 20 f., 4.9.20, 4.11.8 f. Maemminger / Pregitzer, Amor ac timor, S. 41. Maemminger war Jurist in Regensburg und Pregitzer Professor der Moralphilosophie in Tübingen.
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forchten jedermann.«168 Wer viele das Fürchten lehrte, hatte viele zu fürchten; das eigene Leben war so gefährdet, wie es andere gefährdete. So pointiert es Lipsius mit (Pseudo-)Sallust und Seneca. Das Leben des Tyrannen war Krieg und Unsicherheit, ein Leben in beständiger Furcht.169 Wer dagegen Liebe erregte, eine kindliche Liebe zum Vater, der fand politischen Frieden.170 Auch der gerechte Herrscher, da waren die Ratgeber sich einig, kam nicht umhin, die Ungerechten seine Strafe fürchten zu lassen, schlug doch, wie Furcht ohne Liebe in Hass, so umgekehrt Liebe ohne Furcht in Verachtung um;171 und die vermochte mitunter noch gefährlicher zu werden.172 Vor diesem Hintergrund erschienen Furcht und Liebe am Ende nicht als Alternativen, sondern waren in Gleichgewicht und kluge Mischung (prudentia mixta) zu bringen. Genauer gesagt: Der Kern des Problems war nicht das rechte Maß, sondern die Wesensbestimmung von Liebe und Furcht. Gefordert war eine Liebe, die sich mit Gottesund Ehrfurcht gleichsetzen ließ: keine Liebe an Stelle von Furcht, sondern eine Liebe in Furcht und eine Furcht in Liebe. Aus Liebe drohte keine Verachtung zu werden, wenn sie nicht die eigenen Bedürfnisse liebte, sondern die Tugend des Herrschers. So ging es nicht um Liebe oder Furcht, sondern um deren rechte, gottesfürchtige Form. Kindliche Furcht umfasste immer auch die Furcht vor Strafe, respektierte jedoch die Instanz, die mit Strafe drohte: Sie sprach ihr das Recht zu, dies zu tun. Das Postulat der kindlichen Furcht im politischen Raum begriff den Fürsten mit ein. Es richtete sich auch an den, dem diese Furcht entgegengebracht werden sollte; denn er konnte selbst in Furcht versetzt werden – im Gegensatz zum göttlichen Herrscher, den er vertrat.173 Wie Gott nur die Liebe einforderte, die er selbst immer schon gab, so hatte allein jener Herrscher die göttliche Gnade, der seinen Untergebenen zugetan war. Maemminger und Pregitzer sagen es mit 168 Lehmann, Florilegium Politicum, S. 226. 169 Lipsius, Politica, 2.13.3 ([Pseudo-]Sallust, Epistulae ad Caesarem senem de re publica, 1.3.2); 4.11.1 (Seneca, De clementia, 1.25.3); 6.5.2. Siehe auch Lehmann, Florilegium Politicum, S. 226. 170 Lipsius, Politica, 4.8.2 (Plinius d.J., Panegyricus, 21.4). Vgl. auch Thomasius, Grundlehren, S. 51. 171 Maemminger / Pregitzer, Amor ac timor, S. 39, 42; Lipsius, Politica, 4.9.2; zur Verachtung vgl. auch 4.12. 172 Maemminger und Pregitzer ziehen allerdings im Zweifelsfall die Liebe der Furcht vor: Maemminger / Pregitzer, Amor ac timor, S. 47 – 49 – gegen Machiavelli, Der Fürst, S. 129 – 131; vgl. ders., Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Deutsche Gesamtausgabe, übers., eingel. und erl. v. Rudolf Zorn, 3., verb. Aufl. mit einem Geleitwort v. Herfried Münkler, Stuttgart 2007, S. 46. 173 Gott kannte keine Furcht, wohl aber Christus, der Mittler zwischen ihm und dem Menschen; dies lehrte schon Thomas von Aquin. Diese Furcht jedoch war die kindliche (Gottes-)Furcht in ihrer vollkommensten Form: Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 25, III, qu. 15.7; dazu Loughlin, Complexity, S. 14 f.
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Seneca: Nur wer selbst liebte, konnte geliebt werden. »Si vis amari, ama.«174 Und nur wer geliebt wurde, herrschte dauerhaft, nur er konnte sich selbst erhalten, und das heißt: von Gott erhalten werden. Der Herrscher, der Gott nicht fürchtete, wurde von denen, die er in Furcht versetzte, in Furcht versetzt – als Strafe für seinen Mangel an kindlicher Gottesfurcht, für eigene knechtische Furcht im Streben nach weltlicher Macht. Gottlos tyrannische Herrschaft stieß sich selbst vom Thron. Hier wirkte Gott gegen den, den er gewohnt war zu stützen: den er eingesetzt hatte, dass er für ihn wirke. Die göttliche Mahnung zur Ehrfurcht richtete sich nicht nur an die Unteren, sondern auch an die Oberen selbst.175 Wenn Machiavelli in den Discorsi die römische Religion würdigt, ist dies auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. Dauerhafte Stabilität der res publica war selbst für ihn, wie es scheint, durch die Furcht vor irdischer Herrschaft allein noch nicht garantiert. Aus ihrem Vermögen, in die Furcht vor einer göttlichen Instanz zu versetzen, erhielt Religion ihre politische Funktion und Legitimität (wie schon Cicero wusste176): »Wo Gottesfurcht fehlt, muß ein Reich in Verfall geraten, es müßte denn sein, daß es durch die Furcht vor einem Machthaber zusammengehalten wird, die die fehlende Religion ersetzt. […] Die Häupter eines Freistaats oder eines Königreichs müssen daher die Grundlagen der Religion, zu der sich ihre Völker bekennen, bewahren; dann wird es ihnen leicht sein, ihren Staat in Gottesfurcht und damit gut und einträchtig zu erhalten.«177 In Il Principe sieht sich Machiavelli kaum in der Lage, zwischen untertäniger Liebe und Furcht eine Wahl zu treffen;178 in den Discorsi dagegen stellt sich die Frage so nicht. Der gottesfürchtige Herrscher war Anfang und Ende der Furcht: Er war von Gottes Gnaden, und er war menschlich und damit selber furchtsam zugleich. Vor diesem Hintergrund wurde das Mysterium des religiösen Furchtbegriffs zur Aporie der politischen Theorie: Wie konnte der Herrscher kindliche Furcht erregen, wenn ihm das Instrument der knechtischen unverzichtbar war? Und warum konnte er auf knechtische Furcht nicht verzichten, wenn er doch in der Lage war, kindliche zu evozieren? Mit der scholastischen Idee, die knechtische Furcht als Mittel zur kindlichen einzusetzen, ließ sich hier schwerlich argu174 Maemminger / Pregitzer, Amor ac timor, S. 36 (Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, 9.6). 175 Lipsius, Politica, 4.2.1, 4.14.9. 176 Cicero, De natura deorum. 177 Machiavelli, Discorsi, S. 46 – 48; siehe auch S. 44 f., 51 – 53, 57 f. und oben Anm. 161. 178 Ders., Der Fürst, S. 129 – 135. Zur Angst bei Machiavelli vgl. bereits August Nitschke, Wandlungen der Angst, in: Die politische und gesellschaftliche Rolle der Angst, hg. v. Heinz Wiesbrock, Frankfurt a.M. 1967 (Politische Psychologie 6), S. 22 – 35, hier 23 und 27 – 31. Vgl. außerdem Claudia Jarzebowski, Lieben und Herrschen. Fürstenerziehung im späten 15. und 16. Jahrhundert, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 61/1 (2011), S. 39 – 56, hier 49 – 51.
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mentieren; das Problem des Übergangs von der einen zur anderen war auf diese Weise nicht zu lösen. Denn wie konnte knechtische Furcht ein Mittel zur kindlichen sein, wenn die eine der anderen widersprach? Im Gegensatz zu dem, der Anfang und Ende war und blieb, konnte sein »Statthalter«179 die entscheidende Frage nicht klären: Entstand Furcht durch Liebe oder Liebe durch Furcht? Für Aporien, die die Theologie mit dem Verweis auf das Mysterium des einen Gottes zu entschärfen suchte, bot die politische Theorie allein keine Lösung; und vor diesem Hintergrund musste, dies wird sich im Folgenden zeigen, die Theorie weltlicher Herrschaft an deren religiöser Begründung arbeiten.180 Die Klugheitslehre erklärte, warum der Herrscher besser vermied, von seinen Untertanen allzu sehr gefürchtet zu werden. Die Theorie der Gesellschaft und des Gemeinwesens dagegen suchte zu zeigen, welches Interesse die Untertanen haben mussten, ihren Herrscher zu fürchten. Maßstäbe für das 17. Jahrhundert setzte die politische Philosophie des Thomas Hobbes, wie sie in De cive (1642) und im Leviathan (1651) entfaltet wird und im Reich insbesondere von Samuel Pufendorf rezipiert (und modifiziert) worden ist.181 Bevor der Fürst zum Grund der Furcht unter den Menschen werden konnte,182 war die Furcht der Menschen der Grund seiner Herrschaft. Die Untertanen des Leviathan, kurz gesagt, fürchteten ihren Herrscher, um sich nicht gegenseitig fürchten zu müssen. Um eine politische und gesellschaftliche Destabilisierung zu verhindern, durfte die Herrschaft des Fürsten nicht willkürlich und grausam sein, aber ihre Notwendigkeit stand nicht zur Diskussion. Dies unterscheidet Hobbes von John Locke: Auch Lockes Two Treatises of Government (1690) sehen in der Furcht des Naturzustandes die Grundlage des Gesellschaftsvertrags, leiten daraus jedoch 179 Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, hg. und eingel. v. Iring Fetscher, übers. v. Walter Euchner, Frankfurt a.M. 4 1991, S. 137. Das englische Original wird zitiert nach der Ausgabe: Thomas Hobbes, Leviathan, or The Matter, Forme, & Power of a Common-Wealth Ecclesiasticall and Civil, hg. v. Crawford Brough Macpherson, London u. a. 1985. 180 Vgl. auch die Reflexion auf die Aporien der Gerechtigkeit der Herrschaft in Andreas Gryphius’ Leo Armenius. Näheres zu Gryphius unten in Abschnitt 3.6. 181 Samuel Pufendorf, Einleitung Zur Sitten= und Stats=Lehre/ Oder kurtze Vorstellung e e der Schuldigen Gebuhr aller Menschen/ und insonderheit der Burgerlichen Stats=Vere wandten/ nach Anleitung Derer Naturlichen Rechte [1691], hg. v. Gerald Hartung, in: Gesammelte Werke, hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Berlin 1996 ff., Bd. 2, S. 93 – 230; ders., De jure naturae et gentium [1684], 2 Bde., hg. v. Frank Böhling, in: Gesammelte Werke, Bd. 4.1/2, dt.: Acht Bücher vom Natur- und Völkerrecht, ND der Ausg. Frankfurt a.M. 1711, Hildesheim 2001. Näheres zu Pufendorf im Anschluss an die Ausführungen zu Hobbes. Zur Hobbes-Rezeption in England: Jon Parkin, Taming the Leviathan: The Reception of the Political and Religious Ideas of Thomas Hobbes in England 1640 – 1700, Cambridge / New York 2007 (Ideas in Context 82). 182 Machiavelli, Der Fürst, S. 135.
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keine absolut-monarchische Ordnung mehr ab.183 Hobbes trifft da eine andere Entscheidung. Entgegen dem ersten Anschein jedoch gilt auch für ihn: Furcht oder Liebe, das ist nicht die Frage. Im Einzelnen. Obwohl der Autor des Leviathan sein eigenes Leben im Zeichen der Furcht gesehen hat, geboren aus der Furcht der Mutter vor der Invasion der spanischen Armada,184 hat die politikwissenschaftliche und ideengeschichtliche Exegese noch bis vor kurzem weitgehend unberücksichtigt gelassen, dass die Hobbes’sche Philosophie des Politischen und der Gesellschaft von der Furchtproblematik her zu verstehen ist. Und dort, wo es bemerkt worden ist, ist nahezu unbeachtet geblieben, dass diese Theorie im Horizont der religiös-theologischen Furchtsemantik gesehen werden muss.185 Furcht (fear) – verstanden als »jedes 183 John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, hg. und eingel. v. Walter Euchner, Frankfurt a.M. 41989, § 123 (S. 278): »Wenn der Mensch im Naturzustand so frei ist, wie gesagt worden ist, wenn er der absolute Herr seiner eigenen Person und seiner Besitztümer ist, dem Größten gleich und niemandem untertan, warum soll er auf seine Freiheit verzichten? Warum soll er seine Selbständigkeit aufgeben und sich der Herrschaft und dem Zwang einer anderen Gewalt unterwerfen? Die Antwort darauf liegt auf der Hand: obwohl er nämlich im Naturzustand ein solches Recht hat, so ist doch die Freude an diesem Recht sehr ungewiß, da er fortwährend den Übergriffen anderer ausgesetzt ist. Denn da jeder im gleichen Maße König ist wie er, da alle Menschen gleich sind und der größere Teil von ihnen nicht genau die Billigkeit und Gerechtigkeit beachtet, so ist die Freude an seinem Eigentum, das er in diesem Zustand besitzt, sehr ungewiß und sehr unsicher. Das läßt ihn bereitwillig einen Zustand aufgeben, der abei aller Freiheit voll von Furcht und ständiger Gefahr ist. Und nicht grundlos trachtet er danach und ist dazu bereit, sich mit anderen zu einer Gesellschaft zu verbinden, die bereits vereinigt sind oder doch die Absicht hegen, sich zu vereinigen, zum gegenseitigen Schutz ihres Lebens, ihrer Freiheiten und ihres Vermögens, was ich unter der allgemeinen Bezeichnung Eigentum zusammenfasse.« 184 Thomas Hobbes, Vita, carmine expressa, authore seipso [1672], hg. v. Richard Blackbourne, in: Opera philosophica quæ latine scripsit omnia, hg. v. William Molesworth, Bd. 1, London 1839, S. LXXXIII – XCIX, hier LXXXV: »Atque metum tantum concepit tunc mea mater, jj Ut pareret geminos, meque metumque simul.« »Und meine Mutter war von Furcht erfüllt zu dieser Zeit, so sehr, dass sie Zwillinge gebar : mich und die Furcht zugleich.« Meine Übersetzung. Engl.: The Life of Mr. Thomas Hobbes of Malmesbury. Written by Himself in a Latine Poem, London 1680, S. 2: »Th’ill Times, and Ills born with Me, I bemoan: jj For Fame had rumour’d, that a Fleet at Sea, jj Wou’d cause our Nations Catastrophe; jj And hereupon it was my mother Dear jj Did bring forth Twins at once, both Me and Fear.« Vgl. dazu Aloysius P. Martinich, Hobbes: A Biography, New York / Cambridge 1999, S. 1 f. Näheres zu den Auswirkungen mütterlicher Imaginationen auf das ungeborene Leben unten in Kap. 4. 185 So bei Herfried Münkler, Thomas Hobbes, Frankfurt a.M. 22001, S. 27 f., 110 – 112, Corey Robin, Fear: The History of a Political Idea, Oxford 2004, insbes. Kap. 1 (S. 27 – 47), und Michael Hampe, Hobbes: Furcht und Bewegung, in: Klassische Emotionstheorien, hg. v. Landweer / Renz, S. 295 – 308, hier 296 f. Vgl. auch Tobias Nikolaus Klass, Schreckensgespenster. Überlegungen zur politischen Theologie der Angst nach Kierkegaard, Heidegger und Hobbes, in: Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung 0 (2009), S. 103 – 118, hier 115, Peter Cornelius Mayer-Tasch, Hobbes und Rousseau (durchges. ND von: Autonomie und Autorität. Rousseau in den Spuren von Hobbes?, Neuwied 1968), Aalen 31991, S. 66 f., und Rudolf Walther, Art. »Terror, Terrorismus«, in: Geschichtliche
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Grundbegriffe, hg. v. Brunner / Conze / Koselleck, Bd. 6, S. 323 – 443, hier 330 f. Als einziger hat bisher Carlo Ginzburg die religiösen Implikationen der herrschaftsbegründenden Furcht betont: Carlo Ginzburg, Peur, r¦v¦rence, terreur. Lire Hobbes aujourd’hui, in: M¦thodes et Interdisciplinarit¦ en Sciences humaines 2 (2009), S. 23 – 47. Kritische Einwände gegen seine Position am Ende dieses Abschnitts. Julien Freund, Le thÀme de la peur chez Hobbes, in: Revue Europ¦enne des Sciences Sociales 18 (1980), Nr. 49, S. 15 – 32, sieht bei Hobbes eine Trennung zwischen einer politisch und einer religiös relevanten Furcht. – Die religiösen Dimensionen der Hobbes’schen Philosophie (und damit auch die Teile 3 und 4 des Leviathan) sind überhaupt erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten systematisch analysiert worden – jenseits säkularisierungstheoretischer Vorgaben und ohne den Verdacht, sie seien bloß strategische Rhetorik: Eric Brandon, The Coherence of Hobbes’s Leviathan: Civil and Religious Authority Combined, London / New York 2007; Aloysius P. Martinich, The Two Gods of Leviathan: Thomas Hobbes on Religion and Politics, Cambridge / New York 1992; Sharon A. Lloyd, Ideals as Interests in Hobbes’s Leviathan: The Power of Mind over Matter, Cambridge 1992; aus der älteren Literatur : Klaus-Michael Kodalle, Thomas Hobbes – Logik der Herrschaft und Vernunft des Friedens, München 1972 (Münchener Studien zur Politik 20); F.C. Hood, The Divine Politics of Thomas Hobbes: An Interpretation of Leviathan, Oxford 1964; Dietrich Braun, Der sterbliche Gott oder Leviathan gegen Behemoth, Teil 1: Erwägungen zu Ort, Bedeutung und Funktion der Lehre von der Königsherrschaft Christi in Thomas Hobbes’ »Leviathan«, Zürich 1963 (Basler Studien zur historischen und systematischen Theologie 2); Howard Warrender, The Political Philosophy of Hobbes: His Theory of Obligation, Oxford 1957 (ND 2000); A.E. Taylor, The Ethical Doctrine of Hobbes, in: Philosophy 13 (1938), S. 406 – 424. Auch diese Arbeiten schenken der Furcht im besten Fall die Aufmerksamkeit knapper Exkurse. Dies gilt ebenfalls für Johann P. Sommerville, Thomas Hobbes: Political Ideas in Historical Context, Basingstoke, Hampshire 1992, insbes. Kap. 6, der wie wenige vor ihm die Notwendigkeit betont hat, die Hobbes’sche Theorie ideengeschichtlich zu kontextualisieren. Zur Religion bei Hobbes vgl. außerdem Henrik Syse, Natural Law, Religion, and Rights: An Exploration of the Relationship between Natural Law and Natural Rights, with Special Emphasis on the Teachings of Thomas Hobbes and John Locke, Southbend, IN 2007; George Wright, Religion, Politics and Thomas Hobbes, Dordrecht 2006 (Archives internationales d’histoire des id¦es 195); Francesca Izzo, Forme della modernit: Antropologia politica e teologia in Thomas Hobbes, Rom 2005 (Percorsi 88); Helen Thornton, State of Nature or Eden? Thomas Hobbes and His Contemporaries on the Natural Condition of Human Beings, Rochester, NY 2005; Luc Foisneau, Hobbes et la toute-puissance de Dieu, Paris 2000; Paul D. Cooke, Hobbes and Christianity : Reassessing the Bible in Leviathan, Lanham, MD / Boulder / New York / London 1996; Joshua Mitchell, Not by Reason Alone: Religion, History, and Identity in Early Modern Political Thought, Chicago / London 1993, Kap. 2; Thomas Hobbes: Critical Assessments, Bd. 4: Religion, hg. v. Preston King, London / New York 1993; Liberal Democracy and the Bible, hg. v. Kim Ian Parker, Lewiston u. a. 1992; Wolfgang Palaver, Politik und Religion bei Thomas Hobbes. Eine Kritik aus Sicht der Theorie Ren¦ Girards, Innsbruck / Wien 1991 (Innsbrucker theologische Studien 33); S.A. State, Thomas Hobbes and the Debate over Natural Law and Religion, New York / London 1991; Stéphane Gillioz, Dieu et Leviathan: M¦chanique du vivant et strat¦gies survivalistes dans la th¦orie de Thomas Hobbes, Bern u. a. 1990 (Publications universitaires europ¦ennes Ser. 20: Philosophie 324); Pierre-François Moreau, Hobbes. Philosophie, science, religion, Paris 1989 (Philosophies 23); Eldon J. Eisenach, Two Worlds of Liberalism: Religion and Politics in Hobbes, Locke and Mill, Chicago / London 1981, Teil 1; Raymond Polin, Hobbes, Dieu et les hommes, Paris 1981; Ulrich Weiß, Das philosophische System von Thomas Hobbes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980, S. 235 – 256; die einschlägigen Beiträge in: Thomas Hobbes
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Voraussehen von kommendem Unheil«186 – wird im Leviathan auf zwei Ebenen thematisiert. Zentral ist zum einen die Furcht der Menschen untereinander, als Entstehungsgrundlage des Gesellschaftsvertrags, und zum anderen ihre Furcht vor den Göttern, als Grundlage von Religion: jene Furcht, die den Leviathan ins Leben ruft, und jene, der die himmlischen Wesen ihre Existenz verdanken. Beide, so ist zu zeigen, stehen in unmittelbarer Beziehung zueinander. Erstens: die Furcht vor den Menschen. In den gewaltsamen religiös-konfessionellen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts, so schien es Hobbes, offenbarte sich die Anatomie menschlicher Natur. Die europäischen Gesellschaften befanden sich in einem permanenten, ihre Selbsterhaltung gefährdenden Kriegszustand, der nicht nur allseitig Furcht und Schrecken verbreitete, sondern seinerseits aus Furcht geboren war.187 Im vorbürgerlichen Zustand, so ließe sich der Hobbes’sche Gedanke pointieren, verharrten die Menschen voreinander in beständiger Furcht, weil sie ihre Furcht vor den anderen nur zu überwinden vermochten, indem sie sie ihrerseits in Furcht versetzten.188 Diese Furcht bewirkte, was ihr den Anlass gab; sie erschien als ihre eigene Ursache und Wirkung zugleich.189 Vermittelt über die Furcht, ernährte der Krieg sich gleichsam selbst. Der Mensch hatte sich als ein Wolf erwiesen, den seine Natur nicht dazu befähigt hatte, den bellum omnium contra omnes selbst zu beenden; denn er hatte zwar das natürliche Recht, jedoch nicht die Kraft, die je eigenen Bedürfnisse dauerhaft durchzusetzen.190 »Der Grund der gegenseitigen Furcht liegt teils in der natürlichen Gleichheit der Menschen, teils in ihrem Willen, sich gegenseitig Schaden zuzufügen; deshalb kann man weder von andern Sicherheit erwarten, noch vermag man sie sich selbst zu verschaffen.«191 Wollte der Mensch sich selbst erhalten, bedurfte es einer allmächtigen Instanz, die die Furcht der Menschen auf sich vereinte. Der Leviathan verrechtlichte die Furcht: Als Souverän erhielt er die (alleinige) Befugnis, andere in Furcht zu versetzen, um zu verhindern, dass seine Untertanen dies taten.192 Die Bürger fürchteten den Le-
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in His Time, hg. v. Ralph Ross / Herbert W. Schneider, Minneapolis 1974; Bernard Willms, Die Antwort des Leviathan. Thomas Hobbes’ politische Theorie, Neuwied / Berlin 1970 (Politica 28), Kap. B.III. Hobbes, Vom Bürger, S. 79. Vgl. auch Thomasius, Grundlehren, S. 51, § 49: »Die Vereinigung der Willen/ so die Hoffnung vermehret und die Liebe zu wege bringet/ wird Friede genennet; Die Uneinigkeit der Willen/ so die Furcht vermehret und Haß zu wege bringet/ wird Krieg genennet.« Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 77. Vgl. auch Robin, Fear, S. 44. Hobbes, Leviathan, S. 95 f., 99. Ders., Vom Bürger, in: ders., Vom Menschen. Vom Bürger, hg. v. Gawlick, S. 57 – 327, hier 79. Vgl. ders., Vom Bürger, S. 83: Die »Wirkung eines solchen [natürlichen] Rechts [auf alles] ist so ziemlich dieselbe, als wenn überhaupt kein Recht bestände.« Indem er die Furcht verrechtlichte, handelte der Souverän nach dem »Gebot der rechten Vernunft in betreff dessen, was zu einer möglichst langen Erhaltung des Lebens und der Glieder zu tun und zu
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viathan, um einander nicht allzeit fürchten zu müssen.193 Vorausgesetzt ist dessen eigene Furchtlosigkeit; sie gab ihm den Namen. Der »Leviathan«, nach Hiob 41 »gemacht ohne Furcht«, suchte deren zerstörerische Janusköpfigkeit zu überwinden, indem er die Menschen das Fürchten lehrte, ohne selbst von ihnen in Furcht versetzt werden zu können.194 Der historische Weg dahin führte für Hobbes über die Entwertung und politische Neutralisierung des konfessionellen Gewissens: seines religiösen Wahrheitsanspruchs und der daraus abgeleiteten Legitimation von kriegerischer Gewalt.195 Bei ihm erscheint das Gewaltmonopol des absoluten Herrschers als Voraussetzung einer individuellen und gesellschaftlichen Selbsterhaltung, in der die Furcht nicht beseitigt, sondern umgelenkt wird. Sie wird transformiert: aus einer zerstörerischen in eine fruchtbare Furcht, aus der Furcht vor den Menschen im Allgemeinen in die Furcht vor dem, den die Bürger eingesetzt hatten, um sich voreinander zu schützen. Furcht, insbesondere jene vor dem Tod, wurde zur Grundlage des Friedens, so wie sie der Grund des Krieges gewesen war.196 Aus der Ursache des Gesetzesbruchs wurde – argumentativ unverdaulich für so viele – der Grund der Gesetzesbewahrung.197 Vor diesem Hintergrund, so hält Hobbes gegen Aristoteles fest, »muß man anerkennen, daß der Ursprung der großen und dauernden Verbindungen der
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lassen ist« (S. 87): nach dem »natürliche[n] Gesetz[, das] dasselbe ist wie das Moralgesetz« (S. 112) – und das nur insofern »Gesetz« genannt werden kann, als es »von Gott in der Heiligen Schrift gegeben worden« ist (S. 114; dazu im Folgenden). Vgl. auch S. 237: »Denn da nach der Natur jeder das Recht auf alles hat, so war für jeden das Recht, über alle zu herrschen, so alt wie die Natur selbst. Unter den Menschen ist dieses Recht nur aus gegenseitiger Furcht beseitigt worden.« Zu »den Ursachen, der Erzeugung und der Definition eines Staates«: ders., Leviathan, Kap. 17; auch S. 76; ferner ders., Vom Bürger, S. 68; S. 124 – 130: »Von den Ursachen und der Entstehung des Staates«. Ders., Leviathan, S. 244, mit Verweis auf Hiob 41.25 – 26: »Auf Erden […] ist seinesgleichen niemand; er [der Leviathan] ist gemacht, ohne Furcht zu sein. Er verachtet alles, was hoch ist; er ist ein König über alle Kinder des Stolzes.« Allein Gott vermag den Leviathan zu schrecken; in diesem Vermögen erweist er (vor Hiob) seine Allmacht. Die alttestamentarische Referenz findet sich bereits auf dem Frontispiz: »Non est potestas super terram quae comparetur ei.« Näheres dazu im Folgenden. Vgl. dazu Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Frankfurt a.M. 1973, S. 18 – 32; Kittsteiner, Entstehung, S. 235 – 240. Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 98: »Die Leidenschaften [passions], die die Menschen friedfertig machen, sind Todesfurcht, das Verlangen nach Dingen, die zu einem angenehmen Leben notwendig sind[,] und die Hoffnung, sie durch Fleiß erlangen zu können.« Vgl. dazu Robin, Fear, S. 31 – 43. Vgl. Hampe, Hobbes, S. 296 f.; dazu auch Wolfgang Kersting, Vertrag, Souveränität, Repräsentation. Zu den Kapiteln 17 bis 22 des Leviathan, in: Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, hg. v. dems., Berlin 2 2008 (Klassiker auslegen 5), S. 211 – 233, hier 225 f.; Crawford B. MacPherson, Naturzustand und Marktgesellschaft, in: Thomas Hobbes, Leviathan, hg. v. Kersting, S. 131 – 154, hier 137 – 140.
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Menschen nicht von gegenseitigem Wohlwollen, sondern von gegenseitiger Furcht ausgegangen ist.«198 Zweitens: die Furcht vor den Göttern. Nach Hobbes fand dieser Komplex von Furcht und Gewalt eine spezifische Grundlage in der Neigung des Menschen zur Religion.199 Hier kommt eine philosophische Tradition zum Tragen, die Religiosität aus Furcht erklärt und bis in die Antike zurückreicht. Der Mensch, so Hobbes, ist das Wesen, das sich um die Zukunft sorgt. Um befürchtetes Unheil abzuwenden, sucht er nach den Ursachen der Dinge. Da deren Klärung am Ende nicht gelingen mag, wird eine prima causa gesetzt: eine göttliche Erstursache, ermächtigt, die Dinge zum Guten zu wenden. Angesichts ihrer konstitutiven Unerkennbarkeit und Unbegreiflichkeit jedoch kann auch diese Gottheit die Furcht vor dem Künftigen nicht nehmen. Und mehr noch: Als »eingebildete Gewalt« und »unsichtbare Macht« versetzt sie den Menschen selbst in beständige Furcht und Angst (fear, anxiety) – nicht obwohl, sondern indem sie ihm die Hoffnung erhält.200 Derartige Gottheiten, so Hobbes, sind der Grund menschlicher Furcht, da sie ihre Inthronisation dem Umstand verdanken, dass der Mensch die verborgenen Ursachen der Dinge, vor denen er sich fürchtet, nicht einsehen kann. So schafft sich die Furcht die Gottheiten, vor denen sie sich fürchtet, oder, in unausgesprochener Anlehnung an Tacitus: Sie fürchtet, was sie selbst erfunden hat.201 Diese Furcht ist die »Verehrung« (devotion) und »Bewunderung« jenes Gottes, dem allein sie das Vermögen zuspricht, das Be198 Hobbes, Vom Bürger, S. 79. Bernard Willms interpretiert die Angst bei Hobbes als notwendige Folge einer formal als Selbstbezug bestimmten menschlichen Freiheit: Bernard Willms, Die Angst, die Freiheit und der Leviathan. Staatsmechanismus oder politische Dialektik?, in: Furcht und Freiheit. Leviathan – Diskussion 300 Jahre nach Thomas Hobbes, hg. v. Udo Bermbach / Klaus-Michael Kodalle, Opladen 1982, S. 79 – 90, hier 86: »Die Angst ist der individuell-praktische Ausdruck der unausweichlichen formalen Widersprüchlichkeit der ›conditio humana‹ als Freiheit.« »In diesem Sinne wird der Leviathan zur Ermöglichung der in sich absurden Freiheit, indem er die Angst beseitigt« (S. 87). Willms liest Hobbes durch die Brille eines modernen Angst-Konzepts. Wenn er »Angst« als quasi anthropologische Begleiterscheinung einer radikal offenen Existenz in individueller Freiheit fasst, um dem Staat des Leviathan Aufgabe und Kompetenz der Freiheitssicherung in der Angstbewältigung zuzusprechen, so ist das nicht Hobbes, sondern Heidegger. 199 Zum folgenden Absatz: Hobbes, Leviathan, S. 80 – 87; engl.: Leviathan, hg. v. Macpherson, S. 167 – 175. 200 Ders., Leviathan, S. 44, 81, 83 (die Zitate); außerdem: Vom Menschen, S. 32. 201 Ders., Leviathan, S. 81. Bei Tacitus lautet die Pointe: »fingebant simul credebantque«; sie glaubten, was sie erfanden: Tacitus, Annales V, 10.2; vgl. auch Historiae I, 51.5 und II, 8.1. Vgl. dazu Ginzburg, Peur, S. 34. – Dazu fügt sich, dass der Glaube an Gespenster als Projektion eines furchterfüllten Gewissens aufgefasst wird: »Denn bei einigen, vor allem bei solchen, die sich einer Untat bewußt waren, löste die schiere Furcht nachts und an geweihten Stätten, ein wenig auch unterstützt durch Geschichten von solchen Erscheinungen, nicht nur, wenn sie schlafen, sondern auch im Wachzustand in ihrem Geist schreckliche Erscheinungsbilder aus, welche sich unter den Titeln ›Gespenst‹ und ›unkörperliche Substanzen‹ für wirkliche Dinge ausgaben und ausgeben« (Hobbes, Der Körper, S. 261).
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Gottes Macht und Gottes Furcht
fürchtete abzuwenden; als solche ist sie nicht mehr die Ursache von Religion, sie ist Religion.202 Als solche bleibt sie jedoch auch stets die Furcht vor einem Gott, der in seiner Macht zu schützen auch schutzlos zu machen vermag: von dessen Zorn »alles Übel zu befürchten ist.«203 Bereits von Petron, Statius und Lukrez, auf die sich Hobbes neben Tacitus implizit beruft, wird die These von der Geburt der Religion aus der Furcht des Menschen als eine Kritik der Religion formuliert. Nicht zuletzt angesichts seines expliziten Rekurses auf diese antike Diskussion ließe sich auch Hobbes zunächst in dieser Weise verstehen.204 Jedoch: Auch wenn Hobbes die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Furcht dem tradierten Zugriffsmonopol der Theologie entzieht und im Rahmen einer politischen Theorie erörtert, kommt dies keineswegs als grundsätzliche Religionskritik daher. Mit dem Hinweis auf die Wechselbeziehung zwischen Religion und Furcht ist, wie etwa schon bei Calvin,205 lediglich die Kritik eines falschen Glaubens formuliert, der nicht an Vernunft und Moral gebunden war und daher in Furcht vor Geistern und Dämonen versetzte;206 eines Glaubens, der, da er aus knechtischer Furcht entstand, 202 Vgl. ders., Leviathan, S. 44, 85; engl.: Leviathan, hg. v. Macpherson, S. 124, 172. 203 Ders., Vom Menschen, S. 32: »Alle Menschen werden von der Meinung beherrscht, daß es ein unsichtbares Wesen oder mehrere unsichtbare Wesen gibt, von dem oder von denen, je nachdem sie gnädig oder feindlich sind, alles Gute zu erhoffen oder alles Übel zu befürchten ist. Die Macht der Menschen ist gering; betrachteten sie nun die gewaltigen Schöpfungen des Himmels und der Erde, die sichtbare Natur, die aufs feinste erdachte Bewegung und Vernunft bei den Lebewesen und den höchst erfindungsreich gestalteten Bau ihrer Organe, so mussten sie ihren eigenen Geist, der ohnmächtig auch nur zur Nachbildung all dieser Werke ist, äußerst gering einschätzen und jenes unbegreifliche Wesen, von dem die gewaltigsten Werke vollbracht sind, bewundern; von seiner Gnade erwarteten sie daher alles Gute, von seinem Zorn alles Übel. Und das ist der Affekt, den man natürliche Frömmigkeit nennt; er bildet Ausgang und Grundlage aller Religionen.« 204 Siehe etwa ders., Leviathan, S. 83. Für Hobbes’ Bezugnahme auf Thukydides (den er übersetzt hat, um das politische System der Demokratie zu diskreditieren) vgl. Ginzburg, Peur, S. 28 – 30, 37 f. Zu dieser Diskussion siehe oben Kap. 2.1 und 2.2. 205 Calvin, Institutio, I, 4, 4, dt.: Unterricht, S. 8 f.: »Man macht sich nur noch unter Zwang Gedanken über Gott, sucht seine Nähe nur widerstrebend, genötigt. Und auch dann kommt es nicht zu freiwilliger Gottesfurcht, wie sie die Achtung vor Gottes Majestät mit sich bringt, sondern bloß zu knechtischer, erzwungener Angst vor Gottes Gericht: dem kann man nicht entgehen, erschrickt aber vor ihm und will nichts mit ihm zu tun haben. So paßt auf die Gottlosigkeit, und auf diese allein, der Ausspruch des Statius, die Furcht habe zuerst in der Welt Götter gemacht. Wer sein Herz von der Gerechtigkeit Gottes abwendet, der weiß zwar, daß ein Gericht besteht, die Gesetzesübertretung zu ahnden, aber er wünscht um so mehr, dies Gericht möchte zunichte werden.« In knechtischer Furcht, so Calvin, glauben die Menschen an einen furchterregenden strafenden Rächer ; wer Angst hat, hat immer auch Angst vor einem zornigen Gott. Mit anderen Worten: Falsche Furcht schafft falsche Götter. Vorausgesetzt ist die Existenz eines Gottes, der seinen menschlichen Geschöpfen den Glauben an seine Existenz in Herz gelegt hat: Institutio, I, 3, 1 – 2. 206 War dieser Glaube »auf Grund öffentlich zugelassener Erzählungen eingebildet«, war er »Religion«, andernfalls »Aberglaube« (Hobbes, Leviathan, S. 44). Vor diesem Hintergrund
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(knechtische) Furcht (re)produzierte – und so mündete in Krieg und Gewalt: Da »die Furcht vor Finsternis und Geistern größer ist als jede andere Furcht«, musste »in einem politischen Körper das Volk notwendig in Raserei geraten und der Staat [Common-wealth] entweder von Krisen überschwemmt oder ins Feuer eines Bürgerkriegs geworfen werden, wenn die geistliche Gewalt die Glieder eines Staates durch Angst vor Strafen oder Hoffnung auf Belohnung (seine Nerven) anders bewegt, als sie von der bürgerlichen Gewalt (die Seele des Staates) bewegt werden sollten«.207 Hobbes kritisiert eine falsche Religion, die sich für politische Interessen instrumentalisieren ließ: die »das einfache Volk« in eine »abergläubische Furcht« versetzte, die es ungeeignet machte »zum bürgerlichen Gehorsam«.208 Zwar gab es, wie Hobbes einräumt, »in der Zeit vor der bürgerlichen Gesellschaft oder in ihrer Unterbrechung durch Krieg nichts, was einem Friedensvertag Kraft verleihen könnte […] außer der Furcht vor der unsichtbaren Macht, die jedermann als Gott verehrt und als Rächer seiner unrechten Handlungen fürchtet.« Diese Gottesfurcht jedoch wird eben im »reinen Naturzustand« verortet.209 Als solche war sie nicht hinreichend, um die Erfüllung von Pflichten und die Verbindlichkeit von Verträgen zu garantieren; und als solche, Hobbes braucht es nicht ausdrücklich zu sagen, erschien sie ihm als eine knechtische.210 Wer Gott in dieser Weise fürchtete, begab sich in unehrenhafte Sklaverei.211 Zeitdiagnostisch zielte dies, wenn auch nicht ausschließlich, so doch ganz besonders auf den Katholizismus – auf einen irdischen Herrschaftsanspruch der Papstkirche, die sich nicht auf bürgerliches Recht berief, sondern auf göttliches, die ihr Fundament zu legen suchte in der Furcht der Gläubigen vor »Gespenstern« und Wundern und die, indem sie mit etwas zu drohen vermochte, das schlimmer war als der leibliche Tod, eine maßgebliche politische Mitverantwortung zu tragen schien für den Krieg unter den Menschen.212
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erscheint »Religion« als Selbst- und »Aberglaube« als (kritische) Fremdbeschreibung: »Und diese Furcht vor unsichtbaren Dingen ist der natürliche Keim dessen, was jedermann bei sich selbst Religion nennt, bei den anderen aber, die diese Macht auf andere Art verehren oder fürchten, Aberglauben« (S. 81). Vgl. dazu auch Michael Großheim, Religion und Politik. Die Teile III und IV des Leviathan, in: Thomas Hobbes, Leviathan, hg. v. Kersting, S. 283 – 316, hier 291. Hobbes, Leviathan, S. 251; vgl. auch S. 228: Auch wenn die Furcht die einzige Leidenschaft ist, die den Menschen von Verbrechen zurückzuhalten vermag, kann sie, so Hobbes, auch selbst zu Verbrechen führen. Vgl. außerdem: Vom Bürger, S. 80. Ders., Leviathan, S. 17, vgl. 81; so auch: Vom Bürger, S. 73. Ders., Leviathan, S. 108. Gegen Martinich, Two Gods, S. 159 f., der aus dieser Passage die entscheidende Begründung für die Möglichkeit der Einhaltung von Abkommen herausliest und damit die semantische Ausdifferenzierung der Gottesfurcht übersieht. Vgl. Hobbes, Leviathan, S. 70: »Herrschaft und Sieg sind ehrenhaft, da durch Macht erworben, und Knechtschaft aus Not oder Furcht ist unehrenhaft.« Ders., Leviathan, S. 341, 533. Vgl. dazu Peter Marshall, Protestants and Fairies in Early-
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Diese Religion war die falsche, ein Erbe, wie Hobbes suggeriert, heidnischer Griechen.213 Wo es eine falsche Religion gab, gab es jedoch auch eine »wahre«214 : eine Religion, die in rechter Furcht entstand und die rechte Furcht mit sich brachte. Anders als so manche Zeitgenossen polemisierten, ist hier von Atheismus keine Spur.215 In De cive bringt Hobbes den Gesamtzusammenhang noch einmal auf den Punkt: »Das Bewußtsein der eigenen Schwäche und die Bewunderung der Naturereignisse bringt die Menschheit dahin, daß die meisten Gott für den unsichtbaren Schöpfer aller sichtbaren Dinge halten und ihn fürchten, da sie wissen, daß sie selbst sich nicht hinreichend beschützen können. Der unvollkommene Gebrauch ihrer Vernunft und die Heftigkeit ihrer Leidenschaften hindern sie aber an der rechten Gottesverehrung. Die Furcht vor dem Unsichtbaren wird jedoch zum Aberglauben, wenn sie sich von der rechten Vernunft trennt. Deshalb war es den Menschen beinahe unmöglich, ohne die besondere Hilfe Gottes die doppelte Klippe des Atheismus und des Aberglaubens zu vermeiden, denn dieser kommt von der Furcht, die von der rechten Vernunft sich getrennt hat, jener von einer Meinung der Vernunft, welcher die Furcht abgeht. Deshalb fand der Götzendienst leicht bei dem größten Teile des Menschengeschlechts Eingang; beinahe alle Völker verehrten Gott in Bildern und in der Gestalt endlicher Dinge, und sie beteten Geister oder eingebildete Wesen an, die sie wohl aus Furcht Dämonen nannten. Indes gefiel es der göttlichen Majestät, wie in der Heiligen Schrift zu lesen ist, aus dem menschlichen Geschlecht den Abraham auszuerwählen, um durch ihn die Menschen zu dem wahren Gottesdienst anzuleiten.«216
Die Religion der Unvernunft nährte die Furcht, der sie sich verdankte. Der »wahre« Gott dagegen, der nicht nach, sondern vor der Furcht kam, war nicht causa, sondern remedium timoris, keine Bestätigung, sondern eine Überwindung der Furcht vor dem, was kommen mochte. Die wahre Religion proklamierte, den tödlichen Zirkel von Religion, Furcht und Gewalt zu durchbrechen. Dies war nicht die Religion der Konfessionen und Denominationen, sondern die Religion des geoffenbarten Gottes und seines politischen Stellvertreters auf Erden, eines Souveräns, der die geistliche Gewalt im Commonwealth seiner Strafgewalt unterwarf – einer Strafgewalt, die er selbst von dem Gott erhalten hatte, den die Gerechten nicht fürchten müssen.217 So wird auch bei Hobbes die theologische Differenzierung des Furchtbegriffs wirksam, und mit ihr kommt die Liebe ins Spiel. Die Menschen sollten Gott
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Modern England, in: Living with Religious Diversity in Early-Modern Europe, hg. v. C. Scott Dixon / Dagmar Freist / Mark Greengrass, Farnham, Surrey / Burlington 2009, S. 139 – 159, hier 143 f. Hobbes, Leviathan, S. 464, 487 f. Ders., Leviathan, S. 44. Für die Einordnung Hobbes’ in die Geschichte des Atheismus siehe etwa David Berman, A History of Atheism in Britain: From Hobbes to Russell, London u. a. 1988. Hobbes, Vom Bürger, S. 254; vgl. auch ders., Vom Menschen, S. 32 und 43 f. Vgl. ders., Leviathan, S. 44, 136 f., 228 f.
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fürchten, jedoch nicht als strafenden Rächer, sondern als liebenden Vater : Sie sollten nicht die Übel dieser Welt fürchten, sondern die Sünde, die Gott mit dem Bösen sanktionierte, und das heißt: Sie sollten »Gott lieben« und seine »Gebote freudig erfüllen«.218 Da sie dies in der Regel nicht taten, fürchteten sie einander, und so brauchte es den Leviathan, mit anderen Worten: Die Furcht vor dem Leviathan schien erforderlich, weil die Menschen keine rechte Furcht kannten vor Gott. Erfolgreich konnte der Leviathan dann nur sein, wenn er selbst diese kindliche Furcht evozierte. Das heißt: Mit dem Leviathan wird eine zerstörerische Furcht, die Hobbes als anthropologisch unhintergehbar vorstellt, monopolisiert, um ihren Anlass und damit ihr destruktives Potential zu beseitigen; dies konnte am Ende jedoch nicht lediglich durch eine Umleitung dieser Furcht gelingen, sondern allein durch deren qualitative Transformation: Die falsche Furcht war mit der rechten auszutreiben: mit gottesfürchtiger Liebe. Hier wurde die politische Theorie zur Theologie, um ein fundamentales Problem zu lösen. Nur im Rückgriff auf sie ließ sich die Frage beantworten, wie der Leviathan seinem Namen gerecht werden konnte: wie er selbst frei sein sollte von Furcht. Im Gegensatz etwa zur Klugheitslehre eines Justus Lipsius schien sich für die Vertragstheorie der absoluten Herrschaft das Problem der Furcht des Souveräns nicht zu stellen. Dies ist bemerkenswert; denn nach den von Hobbes gesetzten Prämissen wäre es zunächst zu erwarten. Nicht allein für die Menschen des Naturzustandes, sondern auch für den Leviathan musste gelten: Jene, die Furcht erregten, gerieten, auf kurz oder lang, in Furcht vor denen, deren Furcht sie erregt hatten. Die Grundlage der absoluten Herrschaft zeitigte zugleich deren Gefährdung; ein Leviathan, der die Furcht des »natürlichen« Krieges zu überwinden suchte, indem er selbst in diese Furcht versetzte, war selbst in Gefahr, Opfer dieses Krieges zu werden. Als der Stärkste sollte er das destruktive Potential eines natürlichen Rechts des Stärkeren beseitigen, das er auf diese Weise doch nur bestätigen konnte; auch er war gefangen im Raum dieses Gesetzes. Wer, so fragt sich dann, war der »tüchtige Architekt«, der die Gefährdung des Herrschers dauerhaft zu bannen vermochte?219 Wie ließ sich verhindern, dass auch der Souverän nur ein Kämpfer war im omnilateralen Krieg? Ein Leviathan, der die natürliche Furcht überwand, weil allein er gefürchtet wurde, durfte selbst keine Furcht haben; andernfalls war er nicht das Ende der Gefahr, sondern selbst ihr ausgesetzt. Diese Furchtlosigkeit wird bei Hobbes nicht ausdrücklich be218 Ders., Vom Menschen, S. 43 f. »Gott fürchten heißt sich hüten, in Sünde zu verfallen, so wie wir die Gesetze zu fürchten pflegen.« Die rechte Furcht vor den göttlichen Geboten ist die Sorge, das Böse zu tun, und nicht die Furcht vor seiner Bestrafung. Vor diesem Hintergrund werden die Liebe zu Gott und die Furcht vor ihm nur unterschieden, um ihre Einheit zu erweisen. Siehe dazu: Leviathan, S. 275, und unten Anm. 220. 219 Hobbes, Leviathan, S. 245. Vgl. auch ders., Behemoth, or the Long Parliament, hg. v. Ferdinand Tönnies, Chicago 1990, S. 59.
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gründet. Sie lässt sich nur erklären aus der göttlichen Stellvertreterschaft des Souveräns, aus seiner Bindung an jenen Gott, von dessen Gnaden er regierte – und der selbst keine Furcht kannte. Das wiederum heißt, dass die dem Leviathan entgegengebrachte Furcht anders konzipiert war als die Furcht der Menschen vor ihren Nachbarn. Sie hatte nicht lediglich ein anderes »Objekt«, sondern damit auch eine andere Qualität. Vor Furchterregendem schützte den Souverän am Ende nicht die Furcht vor seiner Strafgewalt; dauerhaften Gehorsam sicherte ihm allein eine ehrfürchtige Furcht, mehr noch: die religiöse, mit Liebe verbundene Verehrung dessen, der eine Macht hatte, die kein Mensch haben konnte.220 Diese Verehrung durch die Untertanen, so der Gedanke, entging der gefürchteten Strafe des Herrschers, weil sie ihr, im Bewusstsein der Gerechtigkeit der Sanktion, gar nicht mehr zu entgehen suchte; und damit schien auch der Souverän aus der Gefahr. Allein vor diesem Hintergrund wird auch der Gedanke des Gesellschaftsvertrags verständlich. Er basiert auf einem Kosten-Nutzen-Kalkül. Die Untertanen fürchteten den Leviathan nicht allein deswegen, weil er Gewalt über sie hatte, sondern auch und vor allem, weil er Gewalt über jene hatte, die ihnen Gewalt antun konnten: weil sie ihm diese Gewalt selbst verliehen hatten. Sie gaben ihm die Macht über sich selbst, weil die Kosten der Bedrohung durch die anderen höher schienen als die der Möglichkeit, die eigenen Interessen im Einzelfall zurückstellen zu müssen. Mit anderen Worten: Der auf Selbsterhaltung bedachte Mensch konnte der Einsetzung einer ihn selbst in Furcht versetzenden Instanz nur zustimmen, weil diese Furcht durch jene Furcht aufgewogen wurde, in die der Leviathan die anderen versetzte; andernfalls hätte er sich selbst widersprochen (und dazu konnte auch der Leviathan ihn nicht verpflichten).221 Unter dieser Voraussetzung jedoch war die Furcht vor der durch 220 Im Englischen unterscheidet Hobbes zwischen »internall Honour«: der auf Zuneigung basierenden, »inneren« Verehrung, und »awe« und »terror«: einer Ehrfurcht vor dem Schreckenerregenden, die mit jenen »externall signes« verbunden ist, die »Worship« genannt werden: Leviathan, hg. v. Macpherson, S. 227, 399 f., 666 – 671; dt.: Leviathan, S. 134, 274 f., 494 – 497, zit. 275: »Der inneren Verehrung, die aus Glauben an Gewalt und Güte besteht, entspringen drei Leidenschaften: Liebe, die sich auf die Güte bezieht, und Hoffnung und Furcht, die sich auf die Gewalt beziehen.« Vgl. S. 66: Es »ist jede Eigenschaft Macht, die einem Menschen die Liebe oder die Furcht vieler einbringt«. Und S. 68: »Einem anderen Beweise von Liebe oder Furcht geben heißt ehren, denn lieben wie fürchten bedeutet einen Wert beimessen.« Außerdem: Vom Bürger, S. 169: Die »Ehrfurcht besteht nur in der Achtung der Macht eines andern«; und S. 240 f.: »Verehrung im eigentlichen Sinne ist die Achtung vor der mit Güte gepaarten Macht eines andern, und man ehrt jemand, wenn man ihn hochschätzt. […] Diese auf Achtung beruhende Verehrung führt notwendigerweise zu drei Gemütszuständen: zu Liebe, die sich auf die Güte, und zu Hoffnung und Furcht, die sich auf die Macht beziehen.« 221 Vgl. ders., Vom Bürger, S. 140. So hat der Bürger dem Leviathan nicht das Recht übertragen, ihn zu verpflichten, sich selbst zu töten: Leviathan, S. 168 f., auch 231.
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den eigenen Willensakt inthronisierten Instanz mehr als die Furcht vor obrigkeitlicher Sanktion. In der Transformation der Furcht vor Strafe in Achtung und »innere« Verehrung konstituierte sich Moral; hier fand mehr statt als die Wahl eines Stärksten, es wurde das Recht des Stärkeren an sich überwunden. Die »allgemeine Gewalt« sollte die Menschen nicht allein Ehrfurcht lehren (awe), sondern »ihre Handlungen auf das Gemeinwohl hinlenken«.222 Als Bürger erhielt der Mensch gewissermaßen eine zweite, eine moralische Natur. Angesichts der faktisch begrenzten Durchsetzungsmacht des Leviathan vermochte nur sie den Gehorsam gegenüber den Gesetzen wirklich zu sichern: »For if men know not their duty, what is there that can force them to obey the laws? An army, you will say. But what shall force the army?«223 Die Frage jedoch, wie der Mensch zur »Kenntnis« seiner Pflichten gelangen, wie das Recht der ersten Natur aus sich selbst heraus überwunden werden konnte, verweist auf eine übernatürliche Instanz: auf die Gottähnlichkeit und mit ihr auf die Unbedingtheit dieser Souveränität.224 Das Problem wird bereits im Frontispiz des Leviathan emblematisch visualisiert (Abb. 1). Der Körper des Herrschers konstituiert sich aus den unterworfenen Subjekten225 und mit ihnen aus der Furcht, in die er sie versetzt. Paradoxerweise jedoch ist der Monarch, dessen Oberkörper aus Personen besteht, selbst eine Person. Er hat jene furchterfüllten Menschen nicht zu fürchten, weil er sie nicht lediglich überragt und als Gegenüber beherrscht, sondern weil 222 Ders., Leviathan, S. 134, engl.: »it is no wonder if there be somewhat else required (besides Covenant) to make their Agreement constant and lasting; which is a Common Power, to keep them in awe, and to direct their actions to the Common Benefit.« Leviathan, hg. v. Macpherson, S. 226 f. 223 Ders., Behemoth, S. 59. 224 Diese Frage wird von Corey Robin nicht gestellt, insofern in seiner Interpretation die semantischen Differenzen der »Furcht« und mit ihnen deren religiöse Dimension unbeachtet bleiben. Robin sieht in der Hobbes’schen Theorie den Versuch einer Modellierung der Furcht zum Zwecke der Konstituierung von Moral – im Gegensatz zu Aristoteles und Augustinus, bei denen Furcht nicht als Grundlage, sondern als Reflex von Moral erscheine (Robin, Fear, insbes. S. 34). Hier fragt sich jedoch, wie über eine derartige Modellierung von Furcht Moral geschaffen werden kann, ohne sie bereits vorauszusetzen. – Für Warrender, Political Philosophy, S. 211 – 213, sind bei Hobbes Gott und seine Befehle die Möglichkeitsbedingung aller moralischen und politischen Verpflichtung – und damit nicht die Furcht. Unterstellt ist dabei, dass fear bei Hobbes lediglich entweder eine rationale Furcht vor dem Tod meint oder aber eine kopflose Panikreaktion angesichts eines unbestimmten Übels. – Die von mir vorgeschlagene Interpretation findet Unterstützung in der Funktion des Eides: »Der Eid ist nämlich deshalb eingeführt worden, damit durch die Rücksicht auf die göttliche Macht und durch die religiöse Scheu eine größere Furcht, das Versprechen zu verletzen, eingeimpft werde, als man vor den Menschen hat, denen unsere Werke verborgen bleiben« (Hobbes, Vom Bürger, S. 96). Vgl. auch: Leviathan, S. 108, auch wenn Hobbes dort vom vorbürgerlichen Zustand spricht sowie von sämtlichen Religionen. 225 Vgl. Sheldon S. Wolin, Politics and Vision: Continuity and Innovation in Western Political Thought, erw. Ausg., Princeton, NJ 2006 [Boston 1960], S. 238.
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Abb. 1: Abraham Bosse, Leviathan, Frontispiz von Thomas Hobbes, Leviathan, London 1651 (Ausschnitt).
sie in ihm aufgehoben sind, als wesentliche Teile seiner selbst; und so ist er nicht nur frei von ihrer Furcht, sondern besitzt auch die Furcht, die er unter den Bürgern der civitas erregt, eine andere Qualität. Sie wird ohne die christusgleiche Mittlerstellung des Leviathan nicht verständlich, der selbst Mensch ist und doch mehr als Mensch.226 Ohne diesen qualitativen Unterschied bliebe nur eine Selbstwidersprüchlichkeit zu konstatieren; dann reproduzierten die Subjekte des Leviathan ihre Furcht bei dem Versuch, sie zu bewältigen. Diese Subjekte jedoch, anders als Corey Robin meint, sind keine »authors of their own fear«,227 sondern suchen die eine Furcht mit einer anderen zu überwinden: die Ordnung gefährdende Furcht mit jener liebenden Furcht, die Ordnung schafft. Die Blicke der Bürger im Bild sind nicht gegeneinander gerichtet, sondern, »in andächtiger Verehrung«, gemeinsam auf den Souverän.228 Das virulente Problem 226 Vgl. dazu Braun, Der sterbliche Gott. 227 Robin, Fear, S. 40. 228 Münkler, Thomas Hobbes, S. 41, auch 45, mit Bezug auf die grundlegende bildhistorische Analyse des Frontispiz von Horst Bredekamp, Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder, 1651 – 2001, Berlin 32006, Kap. 1: »Die Philosophie der Angst und die Bilder«.
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an dieser Stelle ist der Ursprung ihrer Verehrung, nicht deren Notwendigkeit. Und so präsentiert sich der Leviathan, aller »säkularen« Vertrags- und Naturrechtstheorie zum Trotz, am Ende nicht als menschliche, sondern als göttliche Schöpfung. Er ist, dies ist ebenso »mechanisch« wie prädestinationslogisch gedacht, geboren aus einer freien Entscheidung der Menschen, die als Teil der göttlichen gefasst ist und nicht als ihr Gegenteil: als Glied einer »fortgesetzten Kette« von Ursachen, als deren Anfang die Allmacht Gottes erscheint; er ist geboren aus einer Freiheit des Willens, die stets »von der Notwendigkeit begleitet ist, das Gottgewollte zu tun«.229 Angesichts dessen hieß die »Verachtung des Gesetzgebers« eine »Sünde«.230 Der Leviathan des Thomas Hobbes wird nicht eingesetzt; er ist immer schon da, und die politische Theorie liefert seine religiöse Erklärung und Legitimation. Für überzeugend konnte das nur halten, wer jenen christlichen Glauben besaß, den Hobbes in den Augen so mancher mit Füßen trat.231 Diese Begründung nahm auch den Souverän in die Pflicht. Der Leviathan musste zwar die Menschen nicht fürchten, aber doch den Allmächtigen, der ihn legitimierte und vor dem er sich zu rechtfertigen hatte; auch dies steht bereits im Alten Testament.232 Nur wer Gott verehrte, konnte seinerseits (wie Gott) verehrt werden; allein ein gottesfürchtiger Souverän versetzte in eine Furcht, die nicht auf ihn zurückfiel: in der er sich nicht selbst widersprach und am Ende zerstörte.233 Doch wenn der Souverän seine Pflicht nicht erfüllte? Bei aller Gott229 Hobbes, Leviathan, S. 164. Zur Prädestination auch im Folgenden. 230 Diese Sünde der Verachtung bestand nicht lediglich in einer »Gesetzesübertretung«, sondern bereits und vor allem in der Absicht dazu: Hobbes, Leviathan, S. 223. 231 »Das logisch Paradoxe« dieser Staatskonstituierung betont auch Koselleck, Kritik und Krise, S. 24, allerdings ohne es über seine religiöse Grundierung aufzulösen. 232 Hobbes, Leviathan, S. 244. Vgl.: Vom Bürger, S. 70: Hobbes sucht zu zeigen, dass die Rechte, die die Inhaber der Staatsgewalt gegen die Bürger haben müssen, »demjenigen göttlichen Rechte nicht widerstreiten, wonach Gott über die Herrscher durch die Natur, d. h. durch die Gebote der natürlichen Vernunft, herrscht.« So auch S. 205: Es ist »ihre [der Inhaber der höchsten Gewalt] Pflicht, der rechten Vernunft, welche das natürliche, moralische und göttliche Gesetz ist, nach Möglichkeit in allem zu gehorchen.« Zum natürlichen Gesetz auch S. 220. 233 Praktisch hieß das etwa: Zu einer für das Commonwealth unschädlichen bürgerlichen Freiheit gehörte, »daß man keine andern Strafen zu fürchten habe als solche, die man voraussehen und erwarten kann.« Es sündigte der Souverän, der Strafen nicht nach dem Allgemeinwohl bemaß. Gefragt war das rechte Maß der Furcht: Der Herrscher hatte nicht nur zu verhindern, dass die Begierde die Furcht überwog; »umgekehrt straft er, wenn er jemand mit einer härtern als der von ihm gesetzlich festgelegten Strafe belegt, an einem andern das, was er selbst versehen hat« (Vom Bürger, S. 215 f.). Zu weiteren »Aufgaben und Pflichten des Oberherrn«: Leviathan, Kap. 30. – Dem Souverän kam allerdings ein sehr diesseitiger Rückkopplungseffekt zugute: Macht hatte nicht allein, wer Furcht zu erregen vermochte, sondern bereits derjenige, dem der bloße Ruf einer furchterregenden Eigenschaft vorauseilte (Leviathan, S. 66); und verehrt wurde nicht allein, wer Macht hatte, sondern auch und vor allem, wer für mächtig gehalten wurde. Vor diesem Hintergrund
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ähnlichkeit: Der Leviathan war auch nur aus Menschen gemacht. Seine mediative Funktion war »anthropologisch« noch um einiges prekärer als die Mittlerschaft Christi. Die Realität brachte die Theorie an einem gewichtigen Punkt in Bedrängnis. Was, wenn der Souverän selbst den Boden des göttlichen Gesetzes verließ – wenn er doch nur einer war von denen, die das Frontispiz als Bestandteile seines Körpers vorstellt? Die Untertanen mochten ihn bekämpfen, nach natürlichem Recht, doch ein politisches hatten sie nicht. Ein Recht zur Absetzung des Souveräns hätte, paradoxerweise, dem Gedanken seiner Einsetzung widersprochen.234 Der Souverän war den göttlichen Gesetzen unterworfen, jedoch nicht denen, die er sich selbst gegeben hatte. Selbstverpflichtung erschien hier noch als Widerspruch in sich – anders als am Ende des darauffolgenden Jahrhunderts für das unbedingte, sich selbst spaltende Subjekt.235 So half nur die Furcht des Herrschers vor ewiger Strafe. Nicht anders als bei den Untertanen mochte sich Hobbes auch bei ihm auf die Rationalität des politisch-affektuellen Kalküls nicht verlassen. Ging Hobbes auch zunächst davon aus, dass ein Landesherr, der die eigenen Interessen verfolgt, seine Gott (und damit ihm selbst) ergebenen Untertanen weder vernichtet noch schwächt, so schien ihm diese ratio am Ende auch hier kein hinreichend sicheres Bollwerk. So wie die Bürger den Leviathan brauchten, zum Schutz voreinander, brauchten sie einen strafenden Gott, zum Schutz vor dem Leviathan.236 Ließ der Souverän sich jedoch selbst von seinem Schöpfer nicht schrecken, stand den wahrhaft Gottesfürchtigen nur das Martyrium offen. Wo die Durchsetzung des natürlichen Rechts auf gewaltsame Gegenwehr mit der Destruktion des Commonwealth erkauft war, mit einer Regression in die Gewalt und die Furcht des Naturzustandes, dort blieb als legitime Möglichkeit des Widerstands gegen illegitime herrscherliche Gewalt und gottlose Anordnungen nur die Bereitschaft, das eigene Leben zu opfern.237 In ihr, dies liegt in der unausgespro-
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vergrößerte die Verehrung die Ehre und mit ihr die Macht: »indem der Geehrte für mächtig gehalten wird, erlangt er eine wirkliche Macht« (Vom Bürger, S. 243). Die »Inhaber souveräner Gewalt« – auch wenn nicht zu leugnen war, dass sie »unbillige Handlungen begehen können« – konnten den Bürgern gegenüber nicht im Unrecht sein; denn es »beklagt sich, wer sich über ein Unrecht seines Souveräns beklagt, über etwas, wovon er selbst Autor ist[,] und darf deshalb niemanden anklagen als sich selbst. Und sich selbst kann er nicht wegen eines Unrechts anklagen, da es unmöglich ist, sich selbst Unrecht zu tun.« Hobbes, Leviathan, S. 139; vgl. auch: Vom Bürger, S. 148. Vgl. dazu Koselleck, Kritik und Krise, S. 28. Hobbes, Leviathan, S. 248; Vom Bürger, S. 140 f., 195, 205; vgl. auch 234. Dies galt auch für Gott selbst: Gott bezog das Recht zu strafen und zu töten nicht aus der Bindung an das (eigene) Recht, sondern aus seiner uneingeschränkten Macht (S. 238 f.). Thomas Hobbes, Dialog zwischen einem Philosophen und einem Juristen über das englische Recht [1681], hg. und komm. v. Bernard Willms, Weinheim 1992, S. 75 f.; ders., Leviathan, S. 458. Vgl. dazu Münkler, Thomas Hobbes, S. 130 f. Hobbes, Vom Bürger, S. 311: »Befehlen dagegen die Inhaber der Staatsgewalt etwas, worauf die Strafe des ewigen Todes steht, so wäre es wahnsinnig, nicht lieber des natürlichen Todes
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chenen Konsequenz auch des Hobbes’schen Entwurfs, rettete der Märtyrer nicht allein seine Seele: In ihr vermochte er das Fundament gottloser Herrschaft auf seine Weise zu erschüttern. In der Todesbereitschaft ihrer Bürger war Souveränität (zumindest punktuell) ausgesetzt; das Martyrium überwand die knechtische Furcht, auf der der Leviathan basierte.238 Wo der Tyrann die Furcht des Märtyrers nicht mehr erregen konnte, wurde er selbst ihr Opfer. Wo sich der gottesfürchtige Mensch dem Gottlosen nicht beugte, band die göttliche Hand dem Herrscher die Hände; sie versetzte ihn in eine Furcht, in die ihn jene, die in seinen Kerkern seufzten, nicht zu versetzen vermochten.239 So lässt sich resümieren: Gottes politischer Stellvertreter auf Erden verdankte sich der rechten Furcht der Bürger und hatte sie, so die Norm, christusgleich selbst;240 wie Gott auch bekämpfte er, indem er in die richtige Furcht versetzte, eine Furcht, für die falscher Glaube und falsche Wertsetzungen verantwortlich zeichneten – der Glaube an Götter, die, anders als der eine Gott, aus einer servilen Furcht geboren waren. Und das heißt: Die angestrebte Furcht vor dem Herrscher wird bei Hobbes nur verständlich aus der christlich-neutestamentarischen Begriffsdifferenzierung in eine kindliche und eine knechtische Furcht. Anders als Carlo Ginzburg meint, wird der Wandel von der zersetzenden Furcht zur gesellschaftserhaltenden Furchtlosigkeit bei Hobbes nicht durch den ehrfurchtsvollen »Schrecken« (awe und terror) garantiert. Ginzburg argumentiert zu sterben, als durch Gehorsam sich in den ewigen Tod zu stürzen. Hier gilt, was Christus Matth. 10,28 sagt: ›Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.‹« (So auch S. 299 sowie: Leviathan, S. 446.) Und S. 324: »Hier entsteht nun die Frage, ob man diesen Fürsten sich da widersetzen darf, wo man ihnen nicht gehorchen kann. Sicherlich nicht, denn das würde gegen den Staatsvertrag gehen. Was hat man also zu tun? Man soll durch den Märtyrertod zu Christus gehen. Wem dies zu hart erscheint, der glaubt gewiß nicht aus ganzem Herzen, daß Jesus der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes sei (denn er würde sonst hinweggenommen und auch bei Christus sein wollen), sondern er will unter dem Vorwand des christlichen Glaubens dem Gehorsam sich entziehen, den er dem Staat versprochen hat«. Das heißt: Wenn der Herrscher nur dann gefürchtet werden sollte, wenn er gerecht war, und wenn die Furchtlosigkeit gegenüber dem Ungerechten (nur) ins Martyrium führen konnte, dann entsprach die Furcht vor dem gerechten Herrscher der kindlichen Furcht vor Gott. Vgl. auch S. 136 und 140. – An anderen Stellen zeigt sich Hobbes weniger konsequent. Zwar wird auch dort im Falle eines sündhaften Befehls das Martyrium als die eigentlich heilsverheißende Lösung vorgestellt, ein Akt der simulatio wird gleichwohl nicht verurteilt – denn der Glaube ist im »Herzen«, »innerlich und unsichtbar«: Leviathan, S. 381, 458; außerdem S. 271 f., 500; Vom Bürger, S. 194). Zur protestantischen Einstellung zu simulatio und dissimulatio siehe unten Kap. 4.4. 238 Vgl. Roland Borgards, Märtyrertum/Herrschaft. Hobbes’ Leviathan und Gryphius’ Catharina von Georgien, in: Folter. Politik und Technik des Schmerzes, hg. v. Karin Harrasser / Thomas Macho / Burkhardt Wolf, Paderborn 2007, S. 73 – 86, hier 76 – 78, 85 f. 239 Näheres dazu unten in Abschnitt 3.6, zu Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien. 240 Zur (vollkommenen, kindlichen) Furcht Christi siehe Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 25, III, qu. 15.7.
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in religionspsychologischen Kategorien. Er fasst die Furcht vor dem Souverän als ein »ambivalentes Gefühl«, übersieht so ihre semantische Binnendifferenzierung und assoziiert sie damit unausgesprochen mit der sklavischen Furcht vor dem Herrn.241 Maßgeblich jedoch ist die liebende Furcht derer, die sich als Kinder Gottes verstanden. In Hobbes’ Leviathan steckt somit nicht allein viel Altes Testament, sondern vor allem auch viel aus dem Neuen. Dies wiederum erklärt sich nicht aus einem historischen Wandel des Gottesbildes, wie er vielfach konstatiert worden ist:242 nicht aus einem Übergang von einem furchterregenden Rächer hin zu einem liebenden Vater. Es erklärt sich vielmehr aus der Komplementarität des begrifflich Unterschiedenen. Rettung, so Hobbes, versprach nicht der Gehorsam gegenüber den Gesetzen (den weltlichen als göttlichen), sondern der Wille dazu: das Wissen, das Gesetz des »mortall God« aus eigener Kraft nicht befolgen zu können.243 Dieser genuin protestantische Gedanke unterstrich nicht allein die Heilsrelevanz der kindlich liebenden Gottesfurcht, sondern erklärte auch, wie man zu ihr gelangte. Der Zustand eines timor filialis, der den Ausschlag gab für die Gnade des Herrn, war seinerseits ohne sie nicht erreichbar ; er war, am Ende, nicht die Bedingung der Gnade, sondern ihr Zeichen. Die Gnade Gottes erwirkte, wer um die eigene Sündhaftigkeit wusste: wer den Glauben hatte, dass allein der Glaube zu rechtfertigen vermochte; und dazu kam, wer in der Gnade schon war. Gnade erwirkte allein, wer wusste, dass er sie selbst nicht zu erwirken vermochte: nicht »ohne die besondere Hilfe Gottes«, die »Aberglauben« wie »Atheismus« bezwang.244 Auch für Hobbes bedurfte es für die Gnade der Gnade, oder : für die 241 Ginzburg, Peur, S. 36 – 39, mit Bezug auf Hobbes, Leviathan, hg. v. Macpherson, S. 227; dt.: Leviathan, S. 134. Zum Begriff des »ambivalenten Gefühls« siehe oben Kap. 2.3. Anders als Ginzburg suggeriert, entspringt die religiöse Begründung der Furcht vor dem Leviathan nicht lediglich einer säkularisierten politischen Theologie, die religiöse Furcht als strategisches Instrument der Herrschaftssicherung einzusetzen gelernt hat. 242 V.a. von Kittsteiner, Entstehung; ders., Stabilisierungsmoderne, S. 221 ff. 243 Hobbes, Leviathan, S. 447, 456 f. – gegen die Interpretation von Sommerville, Thomas Hobbes, S. 148 f. 244 Hobbes, Vom Bürger, S. 254. Außerdem: Leviathan, S. 449 f. Vor diesem Hintergrund war, wer aus Furcht vor Strafe kein Verbrechen beging, deswegen noch nicht gerecht; und es wurde, umgekehrt, nicht ungerecht, wer gegen den eigenen Willen zu einem Verbrechen gezwungen wurde. Vgl. S. 114: Ein »nicht rechtschaffener Mensch [verliert] dieses Wesensmerkmal [nicht] wegen solcher Handlungen, die er aus Furcht tut oder unterlässt, denn sein Wille richtet sich nicht nach der Gerechtigkeit, sondern nach dem anscheinenden Vorteil seines augenblicklichen Tuns.« Und S. 121: »[J]edes Gesetz, das in foro interno verpflichtet, kann nicht nur durch eine gegen das Gesetz verstoßende, sondern auch durch eine dem Gesetz entsprechende Handlung gebrochen werden, dann nämlich, wenn jemand glaubt, das Gegenteil zu tun. Denn obwohl seine Handlung in diesem Falle dem Gesetz entpricht, so war doch seine Absicht gegen das Gesetz gerichtet, was bei einer Verpflichtung in foro interno ein Gesetzesbruch ist.« Vgl. S. 120 und 260. Ferner: Vom Bürger, S. 111: »Die das Gewissen verpflichtenden Gesetze können nicht bloß durch eine ihnen widerspre-
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kindliche Furcht der kindlichen Furcht. Und das heißt: Die knechtische Furcht konnte diese Aufgabe nicht erfüllen. Mit dieser Auffassung stand Hobbes im Widerspruch zu Roberto Bellarmino, in dem er die papstkirchliche Auffassung bekämpfte, Gott habe sein Reich bereits in dieser Welt errichtet und nicht erst nach ihrem Ende. Bellarmin, wie oben gesehen, betonte die Willensfreiheit des Menschen gegenüber der Vorsehung Gottes, und dies erlaubte es ihm, in thomistischer Tradition, in der Furcht des Knechtes ein herrschaftliches und erzieherisches Instrument zu sehen, um die Furcht des Kindes zu erwirken. Dem hätte Hobbes, der sich schon am gemäßigten Calvinismus der Arminianer störte, nie zustimmen können. Sein Reich des Politischen, als Garant der Selbsterhaltung des Menschen, ruhte auf göttlichen Gesetzen, doch es führte selbst nicht zum Heil; und so erlangte es seine Stabilität nicht ohne das, was für das Heil unerlässlich zu sein schien: Die Gnade Gottes war nicht seine Folge, sondern seine Voraussetzung. (Vor diesem Hintergrund schlägt sich der Gedanke der Prädestination in der politischen Theorie, anders als suggeriert worden ist, nicht in Form eines »materialistischen« »Determinismus« nieder.245 Der Leviathan versetzte in Furcht, weil der Mensch die Freiheit zum Guten nicht hatte: weil er anthropologisch gefangen war in seiner Furcht. Der hinter diesem Regulativ stehende Kausalmechanismus jedoch folgte dem Gesetz der Natur nur insofern, als dieses als ein göttliches erschien, und das heißt: nicht über die Umleitung des Furchtaffekts, sondern über dessen religiössemantische Ausdifferenzierung: über die Gnade zur kindlichen Furcht. Furcht mochte für Hobbes aus dem Gesetz der Natur erklärt werden können, überwunden wurde sie allein durch den, der es gegeben hatte.246) chende Handlung, sondern auch durch eine damit äußerlich übereinstimmende verletzt werden: wenn nämlich der Handelnde das Entgegengesetzte beabsichtigt; denn dann stimmt zwar die äußere Handlung mit dem Gesetze überein, aber nicht das Gewissen.« »In diesem Sinne ist das Wort Gehorsam gleichbedeutend mit Reue; denn die Tugend der Reue besteht nicht in dem Schmerze, der die Erinnerung an die Sünde begleitet, sondern in der Umkehr auf dem Wege und in dem Vorsatz, nicht mehr zu sündigen; sonst würde jener Schmerz keine Reue, sondern die Verzweiflung sein« (S. 312 f.). Und: »Denn Christus vergibt nicht allen die Sünden, sondern nur den Reuigen oder Gehorsamen, d. h. den Gerechten (ich sage nicht: den Unschuldigen, sondern den Gerechten; denn die Gerechtigkeit besteht in dem Willen, den Gesetzen zu gehorchen, und kann auch bei einem Sünder bestehen; der Wille zu gehorchen gilt aber bei Christus für den Gehorsam selbst). […] In diesem Sinne des Wortes Rechtfertigung (das zweideutig ist) rechtfertigt allein der Glaube; in jenem Sinne allein der Gehorsam; aber weder der Glaube noch der Gehorsam allein erwirken das Heil, sondern nur beide zusammen« (S. 323). 245 Gegen Brandon, Coherence, S. 3 – 6, 11, 13, und Sommerville, Thomas Hobbes, S. 137, vgl. auch S. 8 und 148. 246 Hobbes, Leviathan, S. 164. Auch wenn Hobbes nicht primär als calvinistischer Theologe zu betrachten ist, wie Martinich, Two Gods, meint, sind reformierte Glaubensinhalte für seine Philosophie des Politischen und der Natur konstitutiv. Zu Hobbes’ vielschichtigem Verhältnis zu den Denominationen seines Landes vgl. Jeffrey R. Collins, The Allegiance of Thomas Hobbes, Oxford 2005.
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Dessen ungeachtet freilich setzt auch die Hobbes’sche Gesellschaftstheorie zunächst auf die servile Furcht vor der Strafe des Herrschers. Auch wenn Hobbes diese Furcht nicht als hinreichend erschien, weder zur Erlangung der Gnade des Herrn noch für politische Stabilität, hielt er sie doch für notwendig – um jene zum Gesetzesgehorsam zu zwingen, die die Gnade Gottes nicht hatten. Insofern kommt auch diese Theorie ohne eine implizite Freiheit zur Sünde nicht aus; und insofern ging sie konform mit einer protestantischen Theologie, die eine heilsgeschichtlich-bußparänetische Funktionalisierung des timor servilis nicht mehr ausschließen konnte.247 Wie bei den gescholtenen Jesuiten auch: In der Gesellschaftsphilosophie des Thomas Hobbes war es notwendig, göttliche Allmacht und menschliche Freiheit zu vereinbaren, und es war unmöglich zugleich. Wie andere christliche politische Theorien des 17. Jahrhunderts basierte sie auf dem Konzept einer Vorsehung und Vorherbestimmung, die die Willensentscheidung für oder gegen die Sünde ebenso umschloss wie die Unfähigkeit, dem Bösen wirklich zu entgehen. Protestantische wie katholische Autoren bedienten sich einer schlechten Furcht vor Gott, um eine gute zu erwirken. Dabei handelte der Mensch, und in ihm, so oder so, handelte Gott. Neu bei Hobbes ist (unter manch anderem) die paradoxe Struktur des königlichen Körpers: eines Leviathan, der sich aus den Untertanen konstituiert, die er beherrscht. Frühneuzeitlich dagegen ist die religiöse Entparadoxierung des damit verbundenen Problems.248 Ein Vertrags-Mechanismus, der eingesetzt ist gegen die Natur des Menschen, kann aus dieser selbst keine Stabilität gewinnen; er bedarf einer Herrscherinstanz mit übernatürlichen Qualitäten, die ihn nicht nur initiiert, sondern auch perpetuiert. Dies unterscheidet Hobbes nicht allein von antiken Theoretikern des Gemeinwesens, sondern auch von den aufklärerischen. Seine Theorie konnte die Furcht nicht beseitigen, und sie wollte es auch gar nicht. Die ratio, wie sie hier zum Einsatz kam, schloss die Affekte nicht aus, sondern ein; sie zielte nicht auf die Freiheit von ihnen, sondern auf deren Transformation, auf ihre qualitative, nicht auf ihre quantitative Regulierung. Und das heißt auch: Sicherheit bot sie am Ende nicht über das Kalkül der Interessen, sondern über ihre religiöse Grundierung. Der politiktheoretische Entwurf beschwört die Furcht (anthropologisch wie historisch), um das Instrument ihrer Überwindung zu präsentieren. Der Prozess dieser Befreiung ist jedoch kein zeitlich-linearer. Die destruktive Furcht ist zu keinem Zeitpunkt verschwunden: Sie ist aufgehoben, vielmehr, in der Furcht vor dem Herrn – in 247 Für Nachweise siehe oben Abschnitt 2. 248 Dass Hobbes »tief der Vergangenheit an[gehört]«, betont auch Bredekamp, Thomas Hobbes, S. 17. Für das Verhältnis von »Tradition und Traditionsbruch« in der Hobbes’schen Körpermetaphorik vgl. auch Barbara Stollberg-Rilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, Berlin 1986 (Historische Forschungen 30), S. 48 – 61, zit. 49.
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einer Gottesfurcht, in der Liebe und Furcht nicht allein als komplementäres e affektuelles Paar erscheinen, als »Bewegungen des Gemuths und der Sinnen, e dem eingebildeten Guten nachzustreben, und das Bose zu meiden«,249 sondern in der sie in vielschichtiger Weise zur Deckung kommen. Spätaufklärerische Theorien verhießen die Freiheit von Furcht (ohne ihr Versprechen einlösen zu können), die frühneuzeitlichen dagegen überwanden die eine Furcht mit einer anderen. So auch noch der Leviathan. Vielleicht ist dies ein Schlüssel zum historischen (!) Verständnis dieser Herrschaftslehre, dessen Fehlen bis in die neuesten Auflagen der philosophiegeschichtlichen Einführungsliteratur hinein beklagt wird. »Warum der Philosoph des friedensstiftenden absoluten Staates«, so Wolfgang Kersting noch 2009, »für seinen politischen Gegenentwurf zu Bürgerkrieg und Unordnung den Namen eines nicht minder schrecklichen Untiers gewählt hat, warum der Verfechter methodischen Denkens und klarer Begrifflichkeit überhaupt auf ein semantisch immer undurchsichtiges mythisches Titelsymbol zurückgegriffen hat, ist bis heute noch nicht beantwortet.« »[H]inter der szientistischen Mentalität eines typisch methodenbesessenen Vertreters der wissenschaftlichen Philosophie des 17. Jahrhunderts eine mythische Abgründigkeit aufzudecken und aus ihr den Stoff für eine schwarze politische Theologie zu fördern«, ist in der Tat keine Lösung.250 Es ist indes auch nicht die einzig mögliche Antwort. Vielleicht ist der »Schlüssel« noch nicht gefunden, weil das »Interpretationsschloß«251 falsch gesetzt ist. Die Figur des Leviathan ist nicht »mythisch«, sondern religiös, und sie ist auch nicht lediglich ein dräuendes »Untier«; dies veranschaulicht bereits das Frontispiz.252 Sie ist einem Buch Hiob entnommen, das wie wenige andere biblische Texte grundlegend geworden war für protestantische Selbstbeschreibungen im 17. Jahrhundert und das verdeutlicht, dass die Spannungen, die Hobbes’ alt- wie neutestamentarisch konnotierte Theorie enthält, nicht über die Alternative von (rückwärtsgewandter) Religion und (vorwärtsgewandter) »säkularer« Wissenschaft zu erfassen sind.253 Das Ver249 250 251 252
Art. »Affectus«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 718. Wolfgang Kersting, Thomas Hobbes zur Einführung, Hamburg 42009, S. 41 f. Ders., Thomas Hobbes, S. 42. Die Alternative von »mythisch« und »vernünftig«, in Bezug auf die Gehorsamsbereitschaft der Untertanen, findet sich auch bei Münkler, Thomas Hobbes, S. 45. 253 Implizit ist diese Alternativsetzung auch den historisierenden Überlegungen von Kodalle, Thomas Hobbes, unterlegt, wenn er die Wahl des Leviathan-Symbols als ein dem Werk »äußerliches« (und zudem fehlgegangenes) Kalkül ansieht (S. 192). Kodalles Versuch, die religiösen Dimensionen der Hobbes’schen Politiktheorie in deren Logik zu integrieren, mündet in eine Würdigung der Verbindung von Religion und Vernunft im Leviathan. Dieses zugleich wissenschaftlich zukunftsfähige und prinzipiell historisch anschlussfähige Konzept sei im 17. Jahrhundert in erster Linie an seiner mangelnden religionsphilosophischen Ausarbeitung gescheitert (S. 193 f.). Insofern Kodalle auf die Hobbes’sche Un-
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ständnis des Leviathan erschwert, wer hier, zum Zweck der Aktualitätsprüfung, Relikte und Innovationen verrechnet. Ob diese Figur in Furcht versetzt oder nicht, kann also die Frage nicht sein. Entscheidend ist die semantische Ausdifferenzierung des Affekts – und mit ihr die Einheit der Gegensätze: Kindliche und knechtische Furcht, oder : Furcht und Liebe, sind auch bei Hobbes ohne einander nicht zu denken. Das wahrhaft religiöse Gewissen, so schien es Hobbes, vermochte eine Furcht zu überwinden, die einer konfessionell gebundenen conscientia entsprang. Furcht vor Gewalt, am Ende, war nicht mit ihr selbst zu besiegen, sondern mit Gerechtigkeit. Diese kindlich liebende Furcht vor Gott war Postulat und Verheißung; und als solche setzte sie die Furcht ein, die sie zu besiegen verlangte: die sie brauchte, um aus ihr befreien zu können. Dies gilt nicht nur für die Furcht der anderen, sondern auch für die Furcht des Autors: nicht nur in der politischen Theorie, sondern auch in der Autobiographie des Thomas Hobbes.254 Zu den wichtigsten zeitgenössischen Adaptationen des Leviathan gehört die politische Theorie Baruch de Spinozas. Spinoza liefert eine ähnliche Beschreibung und eine vergleichbare Lösung des Problems; lediglich in der konkreten politischen Ausgestaltung wählt er eigene Wege. Die einschlägigen Zusammenhänge werden von Spinoza nicht durchgängig expliziert, sie sind dessen ungeachtet jedoch im Kern unschwer zu erschließen. Gegen Affekte, die vom Oppositum zum Bestandteil menschlicher Natur geworden waren, half in den Augen auch dieses »Rationalisten« nicht die Unterdrückung ihrer Wirkungsmacht, sondern allein die deutliche Erkenntnis terscheidung zwischen der natürlichen religiösen Furcht und der Furcht vor dem geoffenbarten Gott nicht nur hinweist, sondern sie auch unterschreibt (S. 127 – 131), lässt es seine fortschrittsgeschichtliche Lesart an einer weitergehenden Historisierung der Furchtsemantik vermissen. 254 Hobbes, Vita, S. XCIX: »Nam mea vita meis non est incongrua scriptis: jj Justitiam doceo, justitiamque colo.« »Mein Leben entspricht meinem Werk: Ich lehre Gerechtigkeit und ich verehre sie mit meinen Taten.« Am Ende, sagt die Vita, floh Hobbes das Furchterregende nicht, sei es Krankheit, Krieg oder Missgunst, sondern es ergriff die Flucht vor ihm. Und so schließt die englische Fassung (Hobbes, Life, S. 18): »I’ve now Completed my Eighty fourth year, jj And Death approaching, prompts me not to fear.« Vor diesem Hintergrund hat Richard Blackbourne seiner Edition der lateinischen Versvita von 1681 nicht ohne Grund ein Zitat aus Vergils Georgica vorangestellt (II, 489 – 491): »Felix qui potuit rerum cognoscere causas jj Atque metus omnes et inexorabile Fatum jj Subjecit pedibus, strepitumque Acherontis avari.« »Glücklich ist, wer die Ursachen der Dinge zu erkennen vermochte und jegliche Furcht mit den Füßen bezwang und das unerbittliche Schicksal und des Acherons gieriges Toben.« Meine Übersetzungen. Siehe dazu auch oben Anm. 184 und für weitere Einzelheiten Andreas Bähr, Die Furcht vor dem Leviathan. Furcht und Liebe in der politischen Theorie des Thomas Hobbes, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 61/1 (2011), S. 73 – 97, Abschnitte 1 und 3. Zu Hobbes’ Vita vgl. ferner Conal Condren, Specifying the Subject in Early Modern Autobiography, in: Early Modern Autobiography, hg. v. Bedford / Davis / Kelly, S. 35 – 48, hier 38 – 40.
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ihrer Ordnung: ihrer Eigenschaften, Ursachen und Folgen.255 Dies gilt nicht allein in der ethischen, sondern auch in der politischen Analyse. Die Menschen, so der Befund, leben unter der Knute von Furcht und Angst, weil Zorn, Hass und Neid sie in immerwährende Feindschaft führt. Ihr natürliches Recht auf Selbsterhaltung, das sie gegeneinander treibt, ist »so gut wie nichts; es besteht eher in der Einbildung als in Wirklichkeit, fehlt doch jegliche Sicherheit, seiner inne zu sein.« Es schwindet mit dem beständigen Anlass zur Furcht.256 Im Zustand der Natur führt es den Menschen am Ende nicht in die Bewahrung, sondern in die Zerstörung seiner selbst. Den einzigen Ausweg verspricht auch hier die vertragliche Installation einer obersten Gewalt, die das Monopol, in Furcht zu versetzen, erhält. Sie erreicht, so scheint es, was jeder einzelne im Naturzustand vergeblich erstrebt: die Befreiung aus der Furcht im Schutz vor dem Nächsten.257 Doch wie kann das gelingen? Sollen die Untertanen nicht lediglich von einer Furcht in die andere geraten, von der Knechtschaft in die Sklaverei, und soll die Obrigkeit nicht auf diese Weise ihrerseits beständigen Anlass haben zur Furcht, soll sie nicht nur eine Partei unter mehreren sein in stetem Kampf, so muss sie »etwas vor der gewöhnlichen Menschennatur voraus haben«.258 Sie muss, heißt das, vernünftiger sein. Soll die neue Ordnung nicht langfristig in destabilisierende »Empörung« münden, müssen die Untertanen Anlass haben, der obersten Macht nicht allein mit der Furcht der Unterworfenen zu begegnen, sondern auch mit »Achtung«: mit »Ehrfurcht« und »Verehrung« (reverentia).259 Diese Affekte, so Spinoza, ebnen den Weg zur ratio und mit ihr zu Freiheit und Glück.260 Nun ist der Mensch freilich selten zur Vernunft zu bringen und das moralische Ideal zumeist in weiter Ferne; daher ist, zur Gewährleistung von Gesetzesgehorsam und gesellschaftlicher Ordnung, auch für Spinoza die Furcht vor Strafe praktisch-politisch unverzichtbar.261 Hinreichend jedoch ist sie nicht; durch sie allein wird der tödliche Kreislauf von Furcht und Gewalt nicht auf Dauer durchbrochen. Eine gute Obrigkeit, so lassen sich Spinozas Überlegungen weiterführen, hebt die Verehrung Gottes nicht nur nicht auf:262 Sie selbst muss Gott erkennen 255 Spinoza, Politischer Traktat, Kap. 1, § 4. 256 Ders., Politischer Traktat, Kap. 2, § 14 f., zit. 15. 257 Ders., Theologisch-politischer Traktat, S. 234 f., 301; Politischer Traktat, Kap. 2, § 14 f., Kap. 3, § 6, Kap. 6, § 1. 258 Ders., Theologisch-politischer Traktat, S. 85. 259 Ders., Politischer Traktat, Kap. 4, § 4 – 6; vgl. auch: Theologisch-politischer Traktat, S. 249. 260 Ders., Ethik IV, 54, Anmerkung. 261 Der Mensch ist furchtbar und der res publica ein Feind, wenn er nichts fürchtet (oder hofft): Spinoza, Ethik IV, 54, Anmerkung; Politischer Traktat, Kap. 3, § 8, Kap. 7, § 27. Im Politischen Traktat wird der zwangsrechtliche Charakter der Gesetze noch stärker betont als im Theologisch-politischen Traktat. 262 Spinoza, Politischer Traktat, Kap. 3, § 10.
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und lieben, sie selbst muss sein Gesetz befolgen, wie jeder Vernünftige es tut: damit die Untertanen sie nicht nur fürchten, sondern auch achten und lieben können.263 Und wie kann sie dies praktisch erreichen? Im Kurzschluss von amor und spes: Sie muss ihre Gesetze so einrichten, »daß die Menschen nicht so sehr durch die Furcht als durch die Hoffnung auf ein Gut, das ihnen höchst begehrenswert ist, in Schranken gehalten werden; denn auf diese Weise erfüllt jeder eifrig seine Pflicht.«264 Und warum das? Furcht, so Spinoza, ist Sache von Sklaven, Hoffnung dagegen leitet die Freien.265 Gesetzeskonformität erwirkt jede von beiden, doch letztere mit größerer Effizienz. Wie ist das zu verstehen? In Spinozas Affektologie und Ethik erscheint die Hoffnung, als inverses Gegenstück der Furcht, lediglich als ein alternativer Modus affektueller Knechtschaft; sie ist die andere Seite der Medaille: nicht Garant, sondern Gegenteil der Freiheit, nicht anders als die Furcht.266 In der politischen Theorie dagegen wird sie vom Teil des Leidens zum Akt seiner Überwindung; sie bringt, so scheint es, den gewaltsamen Pendelschlag zwischen Furcht und Hoffnung zum Stillstand. Diese Spannung erklärt sich weniger aus einem gedanklichen Fehler als aus dem zu Grunde liegenden Freiheitskonzept. Die aus Hoffnung auf die Güte des Gesetzgebers handeln, so scheint Spinoza zu sagen, handeln ebenso aus Notwendigkeit wie jene, die sich von der Furcht vor seiner Strafe leiten lassen; im Gegensatz zu letzteren jedoch wählen sie die Notwendigkeit ihres Handelns selbst.267 Hoffnung (ebenso wie die Liebe) wird auch im Politischen vorgestellt als eine von zwei komplementären Möglichkeiten affektueller Unterwerfung zur Sicherung politischer Eintracht;268 dabei scheint 263 Vgl. ders., Politischer Traktat, Kap. 2, § 22; Theologisch-politischer Traktat, S. 68; vgl. auch Ethik IV, Anhang, Hauptsatz 15 und 16. 264 Ders., Theologisch-politischer Traktat, S. 85; vgl. auch S. 75 und Ethik IV, 63, Anmerkung. 265 Ders., Politischer Traktat, Kap. 5, § 6: »Eine freie Menge wird nämlich mehr von Hoffnung als von Furcht, eine unterworfene hingegen mehr von Furcht als von Hoffnung geleitet; jene ist darauf aus, das Leben zu gestalten, diese nur, dem Tod zu entrinnen; jene, sage ich, ist darauf aus, eigenständig zu leben, diese wird gezwungen, dem Sieger untertan zu sein; diese heißt deshalb versklavt, jene frei.« 266 Ders., Ethik IV, 47, Anmerkung: »Je mehr wir also streben, nach der Leitung der Vernunft zu leben, umso mehr streben wir, auf Hoffnung uns weniger zu stützen, von Furcht uns zu befreien, das Schicksal, so viel wir können, zu beherrschen und unsere Handlungen nach der sicheren Weisung der Vernunft zu gestalten.« 267 Vgl. ders., Politischer Traktat, Kap. 2, § 11: »Daher nenne ich einen Menschen nur so weit gänzlich frei, wie er sich von der Vernunft leiten läßt, weil er nur dann aus Ursachen, die sich durch seine Natur allein adäquat begreifen lassen, zum Handeln bestimmt wird, wenn er durch sie auch mit Notwendigkeit dazu bestimmt wird. Denn Freiheit […] schließt nicht die Notwendigkeit des Handelns aus, sondern stützt sich auf sie.« 268 Ders., Ethik V, 41, Anmerkung; Theologisch-politischer Traktat, S. 242, 249; Politischer Traktat, Kap. 2, § 10, Kap. 3, § 3 – 8; vgl. Kap. 6, § 1. Vgl. auch Ethik IV, 47, Beweis: »[D]iese Affekte [Furcht und Hoffnung] [können] nicht an sich gut sein, sondern nur, insofern sie ein Übermaß an Freude hemmen können«. Hoffnung, an sich ein negativer Affekt, wird
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sie jedoch zuverlässiger als die Furcht, weil sie nicht in Unfreiheit führt, sondern Freiheit verbürgt, über die willentliche Abtretung des natürlichen Rechts.269 Insofern eine derart moralisch qualifizierte Hoffnung an die Liebe zu einem Ehrfurcht und Achtung gebietenden Souverän gebunden ist, korrespondiert ihr die »kindliche« Furcht der religiösen Tradition. Obwohl der Begriff hier nicht zu finden ist, steht dem timor servilis mit spes und amor implizit auch ein timor filialis gegenüber, der Spinozas Theorie des Politischen an die religiöse Semantik zurückbindet. Wenn Spinoza, mit Hobbes und antiken Kritikern, die These vertritt, Religion suche die Furcht zu evozieren, aus der sie geboren ist, so nimmt auch er damit nicht die Religion an sich ins Visier, sondern eine vermeintlich knechtische und unvernünftige Superstition, die den wahren Gott nicht liebt und erkennt.270 Spinoza beschließt das Vorwort zum Tractatus theologico-politicus mit der pessimistischen Diagnose, »daß es ebenso unmöglich ist, dem Volk den Aberglauben zu nehmen wie die Furcht.«271 Wer so dachte, drohte den Bürgern mit Strafe, wo nötig,272 um ihre Liebe zu gewinnen, wo möglich – zu Gott und seinem weltlichen Arm; er unterwarf die Unvernünftigen ihrer knechtischen Furcht, um das Gegenteil zu erreichen: um sie zur Vernunft zu bringen, und das hieß: zu kindlicher Furcht.273 Auch in der politischen Theorie Spinozas kommt die eine Furcht nicht ohne die andere aus. Bei Spinoza wird, im Gegensatz zu Hobbes, die Liebe zur höchsten Gewalt zunächst stärker betont als die Furcht, die der Leviathan erregt. Dem korrespondiert zum einen, dass die Monarchie hier nicht als die beste der drei klassischen Formen der res publica erscheint.274 Zum anderen verliert die politische Spitze ihre sacrosanctitas; politischer Widerstand wird hier potentiell legitim. Ein Souverän, der eingesetzt ist, das natürliche Recht der Untertanen zu
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positiv, sobald sie, wie die knechtische Furcht auch, den Menschen zur Vernunft zu bringen vermag. Vgl. ders., Ethik IV, Anhang, Hauptsatz 15 und 16. Ders., Theologisch-politischer Traktat, S. 3 – 6; Ethik IV, 63, Anmerkung. Zur Tradition der kritischen These von der Geburt der Religion aus der Furcht auch oben Kap. 2.2. Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 12. Mit Diesseitsstrafen zunächst, wo es um weltliche Gesetze ging; aber es liegt durchaus in der Konsequenz des Gedankens, auch die »schrecklichen Martern« des Jenseits zur Anwendung kommen zu lassen, um die Schwachen und Unvernünftigen zur Befolgung des göttlichen Gesetzes zu bewegen. Vgl. Spinoza, Ethik V, 41, Anmerkung. Ders., Ethik IV, 54, Anmerkung. Ein einzelner Herrscher, so Spinoza, wird die res publica eher hintergehen als versorgen, weil er »sich jeden Tag vor einem Anschlag fürchten muß«: Politischer Traktat, Kap. 5, § 7. Da Spinoza zudem, auch wenn er insgesamt auf eine wertende Entscheidung verzichtet, daran festhält, dass allein eine vom Volk gewählte Regierung Legitimität beanspruchen kann, gibt er somit der Aristokratie, wenn nicht gar der Demokratie, den unausgesprochenen Vorzug (vgl. Kap. 11, § 2). Dessen ungeachtet jedoch wird die Monarchie nicht ausgeschlossen; vorausgesetzt ist nur, dass die königliche Macht von der Macht der Menge abhängig bleibt: Kap. 7, § 31.
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schützen durch Beseitigung ihrer Furcht voreinander, muss ihnen, so das Argument, das Recht belassen, sie zu entmachten, sollte er selbst eine Furcht erregen, die Freiheit nicht sichert, sondern zerstört. Tut er dasjenige, zu dessen Bekämpfung er installiert worden ist, das heißt: gibt er Anlass nicht zu Achtung, sondern zu Empörung, kann er deinstalliert und durch einen neuen ersetzt werden.275 Eine Obrigkeit, die dieses Recht verweigert, hat allen Grund, ihre Untertanen zu fürchten.276 Das Widerstandsrecht trägt der Tatsache Rechnung, dass das moralische und politische Ideal einer vernünftigen, Ehrfurcht gebietenden Regierung in der Praxis kaum realisierbar scheint. Dies ist der (einzige) Punkt, an dem Spinoza einen anderen Weg geht als Hobbes. An der religiösen Bindung von Unteren und Oberen freilich ändert dies nichts, und damit ebenso wenig am zentralen Stellenwert des vielschichtigen Affektes der Furcht. Auch wenn der Souverän hier nicht in derselben Weise überhöht und verabsolutiert wird wie im Leviathan, ist die politische Furcht und ihre Überwindung auch bei Spinoza ohne ihre religiösen Implikationen nicht zu verstehen. Gleichwohl: Sein vergleichweise liberaler Grundton bindet diese HobbesRezeption an die politischen Verhältnisse der Niederlande und sicherte dem Entwurf vor allem dort sein Publikum. Dies hätte sich wohl auch nicht nennenswert geändert, wäre Spinoza seinerzeit dem Ruf der Universität Heidelberg gefolgt. Maßgeblicher für das Reich, wo der Hobbes’sche »Naturalismus« an sich auf weitreichende Ablehnung stieß,277 wurde so das Werk Samuel Pufendorfs, 275 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 11. Wie und von wem die Entscheidung über den Sturz praktisch gefällt werden sollte, kann hier nicht diskutiert werden. Der Vorbehalt nimmt den Vertragsgedanken ernst und ist somit konsequenter als der Hobbes’sche Entwurf; andererseits wirft er verschärft die Frage nach der Möglichkeit dieses Vertrages auf: Wie kann er geschlossen werden, wenn sein Ziel bereits seine Bedingung und damit die conditio sine qua non nicht erfüllt ist? Wie kann ein unvernünftiges Volk sich selbst auf die Grundsätze der Vernunft verpflichten? Wo kommt die Vernunft her, die es braucht für einen Kontrakt, der darauf zielt, eine omnipräsente Unvernunft zu beseitigen? 276 Spinoza, Theologisch-politischer Traktat, S. 248. 277 In Bezug auf die Bedeutung der Furcht siehe etwa Hermann Conring, De civili prvdentia liber vnvs. Quo Prudentiæ Politicæ, cum Universalis Philosophicæ, tum Singularis pragmaticæ, omnis Propædia acroamatice traditur, Helmstedt 1672, S. 369 (hier wird das Hobbes’sche Prinzip der Gesellschaftsbildung aus Furcht – »natur inter homines non societatem sed discordiam institutam esse« – zum furchterregenden Prinzip: zum »horribilium principium«); Johann Georg Neumann, Dispvtatio Philosophica de Jure Naturæ Hobbesiano, Wittenberg 1683, insbes. Bl. B 4 r/v ; Adam Rechenberg, Thomæ Hobbesii Evqgla Compendiarium in Religione Christian novum, de Unú tant¾m Fidei Articulú cum obedienti, ad salutem necessariú, Discussum, Leipzig 1674, S. 6 (gegen Hobbes’ Auffassung: »Religionis semen naturale consistit in metu spirituum, ignorantia caussarum secundarum, cultu eorum, qvæ timemus, & sumtione futurorum ex prognosticis«); Samuel Andreä, Disputatio politica discutiens fundamenta politicae Hobbesianae, Herborn 1672. Zu deutschen Rezeptionen der Hobbes’schen politischen Theorie vgl. Horst Dreitzel, Hobbes-Rezeptionen. Zur politischen Philosophie der frühen Aufklärung in Deutschland, in: Strukturen der deutschen Frühaufklärung 1680 – 1720, hg. v. Hans Erich
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der, zusätzlich beeinflusst von Hugo Grotius, die Staats- und Gesellschaftsphilosophie des englischen Theoretikers gewissermaßen ins Deutsche übersetzt hat. Zwar vertraute auch Pufendorf stärker auf die Liebe – anders etwa als Johann Christoph Becmann, einflussarmer Historiker, Philosoph und Theologe an der Viadrina, der am entschiedensten in den deutschen Landen die Hobbes’sche Ableitung der Gesellschaftsverbände aus einem mutuus metus unterstrich;278 doch obwohl Pufendorf den Naturzustand des Menschen nicht als einen bellum omnium contra omnes entwerfen mochte und der Zuneigung unter den Menschen und ihrer Befähigung zu normativer Vernunft eine größere soziabilitätsstiftende Bedeutung beimaß, obwohl er sich also durchaus einreihen konnte in den Chor all jener, die die Hobbes’sche Selbst- und Statuserhaltungskonzeption als »Machiavellismus« und »Epikureismus« verunglimpften (und missverstanden), begründete auch er die Notwendigkeit des Gesellschaftsvertrags aus der Furcht des Menschen vor seinem Nächsten. Wer sich nützen kann, so sein Gedanke, kann sich auch schaden, und wo Liebe ist, herrscht Ungewissheit, wie lange sie Bestand haben wird.279 Vor dieser Unsicherheit schützte auch in Pufendorfs Augen am Ende allein die Furcht vor dem souveränen Arm des Gesetzes – wenngleich sie bei ihm nicht in die absolute Einherrschaft führt, sondern in eine monarchia limitata.280 Die Furcht vor Sanktion jedoch konnte auch hier ihren Zweck nicht erreichen, wenn sie nicht gekoppelt war an die Ehrfurcht gegenüber dem gottbegnadeten Herrscher und die Verehrung göttlicher Gesetze281 – und damit an die Furcht vor dem eigenen Gewissen: »Es sollen aber Unterthanen denen buergerlichen Gesetzen/ alsfern sie denen Goettlichen offenbaerlich nicht zuwider sind/ gehorchen/ nicht aus blosser Furcht der aeusserlichen Straffe/ sondern von wegen der innerlichen Verbindligkeit/ als welche das Natur=Recht selbst bestaetigt und
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Bödeker, Göttingen 2008 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 168), S. 263 – 307, hier 268, 271 f. Vgl. auch ders., Monarchiebegriffe in der Fürstengesellschaft. Semantik und Theorie der Einherrschaft in Deutschland von der Reformation bis zum Vormärz, Köln / Weimar / Wien 1991. Johann Christoph Becmann, Politica parallela continuandis & illustrandis meditationibus politicis addita, Frankfurt a. d. O. 1676, S. 5 f. Dazu Dreitzel, Hobbes-Rezeptionen, S. 277 f. Pufendorf, De jure naturae, Bd. 1, S. 121 f., § 6; Bd. 2, Kap. 1, S. 634 f., § 7 (»Nam uti post Deum O. M. homo homini plurimum prodesse; ita & non minus obesse potest«, S. 634); Kap. 2, S. 639, § 1; ders., Einleitung, S. 187 f. Für die negative Konnotation des Furchtaffekts siehe ders., De jure naturae, Bd. 1, Kap. 4, S. 174, § 12: »Metus humanae menti inimicus, planeque inutilis. Nam cautelam, quae ex illo provenire putatur, etiam citra eum prudentia & circumspectio nequidquam trepida, aut anxia producere potest.« Ders., Einleitung, S. 197 – 199, 203. Ders., Einleitung, S. 207: »Endlich so befindet sich die hohe Staats=Gewalt noch mit dem Character einer sonderbahren Hochachtung versehen … .« Ders., De jure naturae, Bd. 2, Kap. 3, S. 661, § 2: »Inde & Deus in sacris literis expresse id imperium probat, & pro suo agnoscit, ejusque sanctimoniam & venerationem severissimis legibus sancit.«
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besiegelt … .«282 Praktisch gewährleistet wurde dies durch eine obrigkeitlich gelenkte Erziehung. Die Träger der Staatsgewalt, so Pufendorf, haben »nicht allein zulaengliche Gesetze vorzuschreiben/ sondern auch allenthalben ueber gute Zucht und Sitten zu halten/ damit sich die Unterthanen nicht so wohl aus Furcht vor der Straffe/ als aus einer loeblichen Gewonheit denen Gesetzen gemaeß bezeugen lernen. Und wird dieser Zweck hiedurch nicht wenig befoerdert/ wenn sich die hohen Regenten ernstlich angelegen seyn lassen/ daß die Christliche Religion in ihren Landen rein und lauter gelehret/ und darnebenst in denen oeffentlichen Schulen solche Lehr=Saetze getrieben werden/ welche mit dem Haupt=Absehen der Republique uebereinstimmen/ und demselben nicht zum Nachtheil gereichen.«283
All das bedeutet: Mit der Aufwertung der Liebe gegenüber der Furcht geht Pufendorf zu Hobbes nicht lediglich auf Distanz; vielmehr betont er eine Dimension, die, wie oben gezeigt worden ist, auch der rezipierten Theorie konstitutiv immanent ist.284 Dies gilt auch für Johann Becmanns Frankfurter Kollegen, den Moralphilosophen Arnold Wesenfeld, der mit seiner Erörterung des Verhältnisses von politischer Furcht und Liebe noch offensichtlicher als Pufendorf den Bogen zurückschlägt zu den Klugheitslehren Machiavellis und Lipsius’. Gegen Hobbes sieht auch er die consociatio der Menschen aus Liebe geboren und nicht aus Furcht. Unter dieser Voraussetzung muss Wesenfelds Fürst seine Herrschaft auf Liebe gründen; er muss gut sein wie Gott und darf Furcht erregen nur bei denen, die das nicht sind: die andere in Furcht zu versetzen und das Band der Liebe zu lösen trachten. Zwar machte Wesenfelds politisch-moralische Gegenwartsdiagnose, die vermeintliche Dominanz der Selbstliebe, eine Fesselung »äußerlicher« Art (externÀ) zum unverzichtbaren »Werkzeug göttlicher Vorsehung« (instrumentum Providentiae Divinae): Wer politische Stabilität zu erreichen suchte, habe der Liebe die Furcht beizumischen. Da letztere jedoch lediglich per accidens zusammenhielt, »gelegentlich« nur und nicht per se und notwendigerweise, hatte das vinculum interior, das »innere Band«, Ziel allen politischen
282 Ders., Einleitung, S. 215. Zwar wird S. 199 die Notwendigkeit der Furcht vor Strafe damit begründet, dass »weder die Scheu vor GOttes Gerichte/ noch das beissende Gewissen bey boesen Leuten so vermoegend/ daß es sie von ihrer Leichtfertigkeit zurueckhalten koente.« Dies stellt Gottesfurcht und Gewissensangst jedoch keineswegs als verzichtbar vor. 283 Ders., Einleitung, S. 211. 284 Und in der Forschung, wie gesagt, in aller Regel übersehen wird – so auch von Dreitzel, der die religiöse Grundierung der Hobbes’schen Theorie verkennt. Die Unterschiede zwischen Hobbes und Pufendorf sind wesentlich geringer, als er unterstellt, wenn er ausführt (Dreitzel, Hobbes-Rezeptionen, S. 288): »Die Pufendorf ’sche Naturrechtskonzeption hatte eine natürliche Theologie theistischer Struktur zur Voraussetzung – hier blieb der Stachel einer ausschließlich immanenten, auch von Atheisten nachvollziehbaren Naturrechts- bzw. Staatsbegründung, wie sie von Hobbes zweifellos vorgetragen wurde.«
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Strebens zu sein.285 Auch wenn bei Wesenfeld, im Gegensatz zu Hobbes, Furcht nicht als gesellschaftlicher Naturzustand vorgestellt wird, sondern als praktisches Erfordernis angesichts seines Verlustes, sind bei beiden, in Theorie und Praxis, Furcht und Liebe gegenüber dem Fürsten nicht voneinander zu trennen. (Da lag Wesenfeld auf einer Linie nicht nur mit Pufendorf, sondern auch mit Leibniz.286) Der Souverän der Pufendorf ’schen civitas forderte eine Gottesfurcht ein, die auch ihn selbst in die Pflicht nahm. Nicht anders als bei Hobbes, begründete dies einen politischen Gewaltanspruch, in dem, sollte der Herrscher seine Pflicht einmal verletzen, die Legitimität von Gegenwehr nicht vorgesehen war. Als einzige in Pufendorfs »Staate« war die Instanz, die ihn konstituierte, geschützt vor dem natürlichen Recht der Bürger, das, was ihre Furcht erregte, zu bekämpfen.287 Und damit zurück zu Hobbes: Der Autor des Leviathan mag außerhalb Englands von französischen Vertretern absoluter Macht (wie etwa von JacquesBenigne Bossuet, dem Hofprediger Ludwigs XIV.) wohlwollender aufgenommen worden sein als von deutschen Theoretikern und Regenten. Anders jedoch, als Paul Münch meint, hat die relative Marginalität seiner Konzeption im Reich mit religiösen Unterschieden wenig zu tun. Hobbes war sicher weniger fromm als mancher gottesfürchtige Landesvater, weniger religiös, am Ende, war er nicht.288
285 Wesenfeld, Introductio, S. 635 f. Signifikant ist, dass Wesenfeld die Bedeutung der Furcht bei Hobbes nicht nur in einer politiktheoretischen Schrift herausstreichen wollte (im S. 636 angekündigten, jedoch nie erschienenen Theatrum universalis motuum vitae civilis et militaris), sondern zunächst in seiner Affektologie. 286 Gottfried Wilhelm Leibniz, Specimen demonstrationum politicarum pro eligendo Rege Polonorum novo scribendi genere ad claram certitudinem exactum, auctore Georgio Vlicovio Lithvano. Vilnae M D LXIX, in: Sämtliche Schriften und Briefe, hg. v. der Akademie der Wissenschaften der DDR. Vierte Reihe: Politische Schriften, Berlin 1983 ff., Bd. 1, S. 1 – 98, hier 49. Mit dieser unter dem Decknamen Georgius Ulicovius Lithuanus publizierten Flugschrift griff Leibniz in die seit 1668 ausgetragenen Auseinandersetzungen um die polnische Krone ein. 287 Pufendorf, Einleitung, S. 207 f. Anders dagegen, bemerkenswerter Weise und im Anschluss an Grotius, Johann Christoph Becmann, Dissertatio de divino vicariatu principum, Frankfurt / Leipzig 1699 [Frankfurt a. d. O. 1688], S. 39 – 41; dazu Dreitzel, Hobbes-Rezeptionen, S. 278. 288 Vgl. Münch, Jahrhundert des Zwiespalts, S. 103, und exemplarisch die politischen Testamente des Landgrafen Georg II. von Hessen-Darmstadt (1660) und des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1667), in: Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Heinz Duchhardt, Darmstadt 1987, S. 43 – 76, und: Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearb. v. Richard Dietrich, Köln / Wien 1986, S. 179 – 204.
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3.4. Die Furcht des Söldners: Zwischen »geistlichem Ritter« und »Soldaten=Teuffel« Die Problematik der Furcht der Obrigkeiten und ihrer Untertanen wurde in den kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts besonders virulent. Noch zusätzliche Brisanz gewann sie daher im Hinblick auf die in den Kampf ziehenden Handwerker des Tötens: auf Söldner und Soldaten. Sie waren nicht allein politisch-militärisches Instrument gegen die Furcht vor Gefahren von ›außen‹, sondern vielfach auch – im ›Innern‹ – selbst deren Ursache und Gegenstand. Gerade ihnen, so schien es, mangelte es oft an Ehrfurcht vor ihrem Herrn. Bevor die Furcht vor Söldnern und Soldaten Thema werden wird (Kapitel 5.2), folgen hier zunächst zeitgenössische Überlegungen zur Furcht der Soldaten selbst. Dazu werden exemplarische Schriften von Predigern und Theologen sowie politiktheoretische und militärkundliche Traktate analysiert, nicht nur weil einschlägige Selbstaussagen von Soldaten in dieser Zeit ausgesprochen rar sind,289 sondern weil hier weiterhin das konzeptuelle und normative Verhältnis von »kindlicher« und »knechtischer« Furcht zur Debatte steht. Im Folgenden wird nicht gefragt, ob sich Soldaten fürchteten im Krieg, sondern welche Furcht sie haben sollten und welche nicht. Bereits seit der Ausbildung des Söldnerwesens häuften sich die Beschwerden über eine zunehmende, ja grundlegende Disziplinlosigkeit und Lasterhaftigkeit 289 Dort, wo soldatische Tagebücher die Angst der Verfasser thematisieren, richtet sie sich zudem in der Regel nicht auf militärische Gewalt. Der Gefreite, Korporal und Fahnenjunker Peter Hagendorf berichtet durchaus von Verwundungen und Gefahren im Gefecht, aber in Furcht, wie er suggeriert, versetzten sie ihn nicht; »angst vndt bange« wurde ihm nur im Angesicht einer Herde von 2000 Schafen, und »schreglich« war nur das »feuwer«, das er selbst mit seinen Kameraden in die Stadt Einbeck »eingeworffen« hatte: Jan Peters, Ein Söldnerleben im Dreißigjährigen Krieg. Eine Quelle zur Sozialgeschichte, Berlin 1993 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 1), Bl. 69 und 126. Vgl. dazu Peter Burschel, Himmelreich und Hölle. Ein Söldner, sein Tagebuch und die Ordnungen des Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, hg. v. Benigna von Krusenstjern / Hans Medick, Göttingen 22001 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 148), S. 181 – 194. Der Fähnrich Joachim Zehe beschreibt lediglich eine Furcht vor Unwetter und Schiffbruch: Joachim Dietrich Zehe, Hannoversche Rotröcke in Griechenland (Das Tagebuch des Fähnrichs Zehe in den Türkenkriegen 1685 – 1688), hg. v. Herbert Röhrig, Hildesheim 1975 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 84), S. 175, 196 f.; vgl. auch ders., Ein hannoversches Soldatenleben um 1700. Die Selbstbiographie des Oberstleutnants Joachim Dietrich Zehe, hg. v. Herbert Röhrig, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 50 (1978), S. 193 – 211. Das »Schweigen« der soldatischen Quellen in Bezug auf Furcht und Angst betont auch Martin Dinges, Soldatenkörper in der frühen Neuzeit. Erfahrungen mit einem unzureichend geschützten, formierten und verletzten Körper in Selbstzeugnissen, in: Körper-Geschichten. Studien zur historischen Kulturforschung 5, hg. v. Richard van Dülmen, Frankfurt a.M. 1996, S. 71 – 98. Dazu auch unten Anm. 302.
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des kämpfenden Standes,290 über den Niedergang des guten Soldaten: des miles christianus.291 Im Dreißigjährigen Krieg dann spitzte sich die Lage zu. Die Furcht, die Angst und der Schrecken dieser Zeit, so sagen es zahllose Berichte, verdankten sich dem Umstand, dass die umherziehenden Soldaten aufgehört hatten, für das Gute zu kämpfen, um sich stattdessen dem Teufel zu verschreiben. Plünderung, Raub und Vergewaltigung standen stets zu befürchten, weil diese Soldaten alle Gottesfurcht verloren zu haben schienen und nur noch ihre eigene Habgier zu befriedigen suchten. Der Hallenser Superintendent Arnold Mengering brachte die Klage 1633 auf über siebenhundert Seiten Oktav, in seinen Perversa ultimi seculi militia, auch genannt: Kriegs=Belial, der Soldaten=Teuffel.292 Die »Perversion« der Ordnung, in die dieser Krieg für viele Zeitgenossen führte, wurde pointiert im Topos vom Soldaten der eigenen Partei, der schlimmer wütete, als der Feind es jemals vermochte. Nicht allein der konfessionelle Gegner, sogar der »türkische Antichrist« diente hier als negative Kontrast- und rhetorische Steigerungsfigur.293 Vor diesem Hintergrund wurden Disziplin und Obrigkeitsfurcht der Soldaten zum zentralen Bestandteil politiktheoretischer Entwürfe und kriegskundlicher Empfehlungen. Der Dreißigjährige Krieg zeitigte ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer kriegsrechtlichen 290 Peter Burschel, Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen 1994 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 113), insbes. S. 27 ff., 45 – 53; Michael Kaiser, Zwischen »ars moriendi« und »ars mortem evitandi«. Der Soldat und der Tod in der Frühen Neuzeit, in: Militär und Religiosität in der Frühen Neuzeit, hg. v. dems. / Stefan Kroll, Hamburg 2004 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit 4), S. 323 – 343, hier 331. 291 Zum Begriff des »geistlichen Ritters« vgl. Andreas Wang, Der »Miles Christianus« im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition. Ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit, Bern / Frankfurt a.M. 1975 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 1). Zu Typisierungen des christlichen und unchristlichen Soldaten vgl. auch Jan Willem Huntebrinker, »Fromme Knechte« und »Garteteufel«. Söldner als soziale Gruppe im 16. und 17. Jahrhundert, Konstanz 2010 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 22), Kap. II.2. 292 Arnold Mengering, Perversa ultimi seculi militia, Oder Kriegs=Belial, Der Soldaten=Teuffel/ Nach GOttes Wort vnd gemeinem Lauff der letzten Zeit beschrieben, Leipzig 4 1687 [Dresden 1633]. Zu Mengering vgl. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998 (Beiträge zur historischen Theologie 104), S. 107 (mit weiteren Literaturhinweisen). 293 Auch hier sei nur erwähnt Mengering, Kriegs=Belial, S. 173 f., der dies, zur Glaubwürdigkeitssteigerung, als Selbstaussage eines »vornehmen Officirs« präsentiert: »Wir haben e bey unsern Glaubens=Genossen in der Marck und andern Orthen arger gehauset als e Turcken und Tartarn«. Näheres dazu sowie weitere Belege unten in Kap. 5.2. Zum Topos vgl. Michael Kaiser, »Ärger als der Türck«. Kriegsgreuel und ihre Funktionalisierung in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Kriegsgreuel. Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, hg. v. Sönke Neitzel / Daniel Hohrath, Paderborn / München / Wien / Zürich 2008 (Krieg in der Geschichte 40), S. 155 – 184.
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Einhegung illegitimer soldatischer Gewalt;294 und so führte er in den darauffolgenden Jahrzehnten nicht allein zu Klagen über die Sünden des Soldaten (wie etwa bei Ahasver Fritsch 1682),295 sondern auch zu Überlegungen, wie soldatische Gottesfurcht im Rahmen der entstehenden politischen und militärischen Strukturen des frühmodernen »Staates« praktisch zu gewährleisten sei. Der Soldat hatte furchtlos zu sein vor dem Feind. Dies galt nicht erst an der Wende zum 18. Jahrhundert, wurde nunmehr jedoch durch weitreichende e e Sanktionsdrohungen abgesichert. Wies der Soldat das »hochstnothige Requisitum« der Tapferkeit nicht auf, blieb er besser »zu Hause, hinter dem Ofen«; als e »Unmann« schien er »unwurdig« des Lebens. So sagt es Hans Friedrich von Flemings Vollkommener Teutscher Soldat im Jahre 1726. Wer um sein Leben fürchtete, hatte es bereits verwirkt: »Ein verzagter und furchtsamer Soldat«, fährt dieses Handbuch der »Kriegs-Wissenschafft« fort, »ist die verachteste und elendeste Creatur unter der Sonnen, auch nicht werth, daß ihm [sic] dieselbe e bescheine.« Die »Zaghafftigen und Widerwartigen« sollten der »Gewalt des Todes« erliegen, entweder augenblicklich durch die eigenen Offiziere oder aber, falls sie von diesen verschont worden waren, durch die gerichtlich verhängte »Todesstrafe mit Schimpff und Unehren«.296 Mehr noch als den Feind, mithin, hatte der Soldat seine Befehlshaber zu fürchten, die ihn für seine Furcht vor dem Feind mit der Strafe des Lebens bedrohten: für die Furcht vor dem Tod mit dem Tod.297 Die Furcht vor der Exekution, so der Gedanke, sollte den Soldaten 294 Ronald G. Asch, Kriegsrecht und Kriegswirklichkeit im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, in: Osnabrücker Jahrbuch für Frieden und Wissenschaft 5 (1998), S. 107 – 122. Näheres zu Legitimität und Illegitimität von Gewalt unten in Kap. 4.4. 295 Ahasver Fritsch, Miles peccans, sive tractatus de peccatis militum, Rudolstadt 1682, zu den Verhältnissen im Dreißigjährigen Krieg: S. 112; vgl. auch S. 210. 296 Hannss Friedrich von Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, welcher die gantze Kriegs-Wissenschafft, insonderheit was bey der Jnfanterie vorkommt, ordentlich und e e deutlich vortragt, und In Sechs besondern Theilen Die einem Soldaten nothige Vorbereie tungs-Wissenschafften, Kunste und Exercitia, die Chargen und Verrichtungen aller KriegsBedienten, von dem Mousquetier an bis auf den General; Alle in dem Kriege vorfallende e Actionen und Expeditionen, Feldzuge, Mærche und Schlachten; die Besorgung und Festung e einer Guarnison bei Friedens-Zeiten, und die Beschutzung wider feindliche Gewalt in Kriegs-Zeiten, auch deren Attaque und Eroberung, sowohl defensive als offensive lehret; Nebst einem Anhange von gelehrten Soldaten, Adel und Ritter-Stande, von Duellen, Turnier- und Ritter-Spielen, auch Ritter-Orden & c., Leipzig 1726, ND hg. v. W. Hummelberger, Osnabrück 1967 (Bibliotheca Rerum Militarium. Quellen und Darstellungen zur Militärwissenschaft und Militärgeschichte 1), S. 98 f.; übernommen in: Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 38, Sp. 415 – 447, hier 422 f. Johann Tobias Wagner macht jedoch darauf aufmerksam, dass derartige Verordnungen »in den Unruhen in Teutschland« »wenig in acht genommen worden« seien: Wagner, Soldaten-Bibliothek, S. 332. 297 Lipsius, Politica, 5.13.6 (mit Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, II, 7, ext. 2). So auch Montaigne, Essais III, 12, S. 402. Noch Friedrich II. forderte 1763: »Überhaupt muß der gemeine Soldat vor dem Officiere mehr Furcht als vor dem Feinde haben.« Zit.
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furchtlos machen vor dem Feind298 (und ihn zur rechten Furcht zurückführen, wenn er sich als feige erwiesen hatte).299 Der »terror praesens«, gab sich Leibniz 1683 überzeugt, würde den »terrorem futuri, die sichtbare wahrhaffte gefahr, das eingebildete entfernte schrecken überwinden« – und vor verwirrtem »terror panicus« der Soldaten bewahren. (Und fehlte den »subalternen« das »herz«, um »dieses eußerste mittel« zu ergreifen, dann sollten auch sie selbst, forderte der Philosoph, »ehr und leben verwürcket haben, so wohl als ob sie selbst den anfang zur flucht gemacht hätten.«)300 Dieser Mechanismus der Furchtregulierung wird über seine religiösen Hintergründe verständlich. Die Strafe, die hier in Aussicht stand, erschien am Ende als göttliche Vergeltung; und so war die Furchtlosigkeit, die sie zu erreichen suchte, die kindliche Furcht vor dem, der sie verhängte. Der gottesfürchtige Soldat fürchtete die Rute Gottes als gerechte Strafe für den eigenen Mangel an Gottesfurcht: für die Furcht vor dem Feind. Tat er dies, brauchte er den Feind nicht zu fürchten.301 Die soldatische Furchtlosigkeit, wie sie hier entworfen wird, war eine Norm, und als solche implizierte sie den Befund einer divergierenden Wirklichkeit. Wer Soldaten aufforderte, sich nicht zu fürchten, behauptete damit ihre Furcht; das Postulat setzte die Abwesenheit dessen voraus, was es postulierte. Dies manifestiert sich auch in den Einlassungen der Gelehrten zu den rechten Mitteln wider die Angst. Kritiker verunglimpften vor allem die verbreiteten »magi-
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nach Joachim Dyck, Minna von Barnhelm oder: Die Kosten des Glücks. Komödie von Gotthold Ephraim Lessing. Über Wirte als Spitzel, preußische Disziplin, Lessing im Kriege, frisches Geld und das begeisterte Publikum, Berlin 1981, S. 51. Vgl. dazu Sascha Möbius, Mehr Angst vor dem Offizier als vor dem Feind? Eine mentalitätsgeschichtliche Studie zur preußischen Taktik im Siebenjährigen Krieg, Saarbrücken 2007. Möbius’ psychohistorische Arbeit untersucht soldatische Mechanismen religiöser Angstbewältigung (S. 63 ff.). Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 99; übernommen im Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 423. Insbesondere im Falle von Desertion konnte die Todesfurcht selbst als Strafe verhängt werden: der metus mortis durch eine vorgetäuschte Vorbereitung zur Hinrichtung. Der Geistliche im Feld durfte diese Praxis unterstützen, jedoch nur unter »Vermeidung derer e Reden/ die auf certitudinem mortis hinaus lauffen«, und um den »Missethater« zu wahrer Reue zu bewegen: um ihm einzuschärfen, »daß/ wo er nur aus Furcht der ohnfehlbaren e Todes=Straff wolle Buß thun/ seine Andacht GOtt wenig gefallen wurde«: Johann Ludwig e Hocker, Pastorale castrense Oder Nutzlich und treuer Unterricht Vor neu=angehende Feld=Prediger/ Dessen Sie sich bei ihrem schweren Amt und Stand/ auf Marchen und in Quartieren/ bey Treffen und Belagerungen/ bey Krancken und Sterbenden/ wie auch bey e e condemnirt= und zur Execution ausgefuhrten Personen bedienen konnen: Nebst denen e e e vornehmsten hierzu gehorigen Amts=Gebetern/ Dann auch Schrifftmaßiger Erorterung e einer Anzahl Militarischer Gewissens=Falle, Onolzbach ca. 1710, S. 458 – 463, zit. 462. Gottfried Wilhelm Leibniz, Bedencken wegen der unglücklichen Retirade aus Ungarn, in: Sämtliche Schriften und Briefe 4.2, S. 605 – 609, hier 608 f. Vgl. dazu Walther, Art. »Terror, Terrorismus«, S. 329; Kittsteiner, Stabilisierungsmoderne, S. 316 f. Dies galt nicht allein für den gemeinen Soldaten, sondern auch für seine militärischen Führer : Johann Samuel Stryk, Dissertatio ivris pvblici de militia lecta provinciali, Von der Land=Milice, Halle a. d. S. / Magdeburg 1705, S. 25.
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schen« Schutzmaßnahmen, die in ihren Augen versagten, weil sie eine »knechtische« und »abergläubische« Furcht zum Ausdruck brachten: weil sie die Angst nicht vertrieben, sondern verstärkten. Der »geistliche Ritter« dagegen, so Fleming, vertraute nicht auf eigene oder dämonische Kräfte, sondern auf Gott. Schutz in der »Passauer Kunst« zu suchen, »sich durch allerhand Gauckel=Possen wieder Schießen, Stechen und Hauen feste machen [zu] wollen«, e »mit mancherley Krautern und Wurtzeln, auch Pergament=Zeddulgen, darauf e allerhand Spruche der heiligen Schrifft gemißbraucht, und manche fremde e Worter und Characteres, Triangul und Quadrate verzeichnet werden«, sich gar e dem »bosen Geist« zu verschreiben, schien nicht allein eine »grosse Schande vor einen Soldaten, daß er nicht mehr Hertz im Leibe hat«, sondern auch Rebellion gegen eine göttliche Vorsehung, die den Zeitpunkt des Todes immer schon kannte. Die Entscheidung über Leben und Tod traf nicht der Mensch. Der gottesfürchtige Soldat erstrebte die Kunst zu sterben und nicht die Fähigkeit, den Tod zu vermeiden: die ars moriendi, keine ars mortis evitandae. Was ihm allein half, war das »Vertrauen zu unsern HErrn GOtt«.302 Nur der gottesfürchtige 302 Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 101; übernommen im Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 426. Dessen ungeachtet präsentiert Fleming eine nicht unbeträchtliche Zahl an »magischen, sympathetischen und andern dergleichen Kunste e stucken, die den Soldaten angenehm und nutzlich sind«: S. 355 – 368. Vgl. auch Johann e Ludwig Hartmann, Neue Teuffels=Stucklein: Passauer=Kunst/ Vest=machen/ Schieß= e e e und Buchsen=Kunst/ Feuer=loschung/ Granaten= und Kugel=dampffen/ Unsichtbar machen/ Noth=Hembd/ Waffen=Salb/ Auß=Seegnen etc. Nach Ihrer Mannigfaltigkeit/ Abscheulichkeit/ und Abstellungs=Nothwendigkeit betrachtet Und zu praeservirung der e Tugend bey jetzigen Krieges=Laufften herauß gegeben, Frankfurt 1678. Hier wird besonders deutlich, dass die religiös-moralische Kritik an magischen Praktiken deren Wirksamkeit nicht bestritt, sondern – im Gegenteil – unterstellte (um nicht zu sagen: befürchtete). Vgl. dazu auch Nikolas Funke, ›Naturali legitimque Magica‹ oder ›Teufflische Zauberey‹? Das ›Festmachen‹ im Militär des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13/1 (2009), S. 16 – 32, insbes. 19 – 21, 23; zu Fleming: Ulrike Ludwig, Der Zauber des Tötens. Waffenmagie im frühneuzeitlichen Militär, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13/1 (2009), S. 33 – 49. Ludwig jedoch psychologisiert den Sachverhalt, wenn sie davon ausgeht, dass die Waffenmagie der soldatischen Angstbewältigung diente (S. 36 f.). Dies tut auch Michael Kaiser, wenn er aus der »Kunst der Todesvermeidung« auf die »tatsächlich[e]« Furcht der Soldaten schließt: Kaiser, Zwischen »ars moriendi«, S. 333 – 336; den Begriff »ars mortis evitandae« hat Kaiser gebildet (in der grammatikalisch weniger gebräuchlichen Form, S. 336). Dieser Schluss setzt die Furcht voraus, die er zu erweisen vermeint. Verantwortlich ist ein psychologischer Furchtbegriff, der ungewollt jenem theologischen Diskurs aufsitzt, der magische Applikationen beschreibt, um sie als furchterfüllt und wirkungslos zu diskreditieren, und der pathologische Konsequenzen einer derart »knechtischen« Furcht ausmachen zu können meint (insbesondere in der »Ungarischen Krankheit«, dazu unten Kap. 4.4). Die Argumentation ist der Tatsache geschuldet, dass Soldaten in ihren Tagebüchern kaum eigene Furcht beschreiben; aus diesem Umstand ist jedoch weder auf deren Furchtlosigkeit zu schließen noch auf eine autobiographische Unsagbarkeit einer immer schon unterstellten soldatischen Angst. Auch im 18. Jahrhundert wurde Furcht von Soldaten nicht wesentlich
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Soldat hatte keinen Anlass zur Furcht; sein Vertrauen in den himmlischen Vater begründete sich selbst: Wer vertraute, konnte vertrauen. Zedlers Univeral Lee xicon sagt es mit Deuteronomium 20: »Israel, hore zu«, rief der Priester dem Volk zu, wenn es auszog, »Ihr gehet heute in den Streit wieder eure Feinde, euer e Hertz verzage nicht, furchtet euch nicht, und erschrecket nicht, und lasset euch nicht grauen vor ihnen; Denn der Herr euer GOtt gehet mit euch, daß er für euch streite mit euren Feinden, euch zu helffen.«303 Diese Hilfe war immer eine doppelte: Sie nahm den Gottesfürchtigen die Furcht, um sie ihren Feinden zu schicken, dass sie flohen, voller Schrecken und »feigen Herzens«, von Seinem Angesicht.304 In den Augen der Theologen reproduzierten magische Mittel die Furcht, die sie zu beseitigen versprachen; Gottesfurcht dagegen nahm den Kämpfern die Furcht und senkte sie ihren Gegnern ins Herz. Das »Hertz und Vertrauen« zu Gott, so Mengering in seinem Kriegs=Belial, konnte »auch einem kleinen e hauffen wider eine grosse Menge Gluck und Sieg geben«.305 Denn »warlich fromme Christen« hatten gelernt, »fleissig« zu beten, dass »GOtt den Widersae e chern ein verzagt/ blodes/ feiges Hertz gebe/ und ihr Gewissen ruhre/ dadurch e sie ihre eigene bose Sache treffen/ und zerstieben und fliehen/ wie Spreu vorm Winde/ wie der HERR auch sagt: Ich wil dir ein verzagt Hertz geben/ daß wenn e du wider deine Feinde eines Weges außziehest/ soltu durch sieben Wege zuruck 306 fliehen/ und ein rauschend Blat sol dich schrecken.«
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häufiger thematisiert: Stefan Kroll, Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728 – 1796, Paderborn / München / Wien / Zürich 2006 (Krieg in der Geschichte 26), S. 418 – 423, 541 – 548. Erst in der Moderne beginnen Soldaten verstärkt, Furcht zu artikulieren, insbesondere im Rahmen der entstehenden Militärpsychologie; für Russland siehe dazu Jan Plamper, Fear: Soldiers and Emotion in Early Twentieth-Century Russian Military Psychology, in: Slavic Review 68/2 (2009), S. 259 – 283. Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 446 (5 Mose 20.3 – 4). Das hieß auch: Der gottesfürchtige Soldat und Offizier wusste, dass am Ende nicht seine eigene Kraft, sondern die göttliche den Sieg errang: Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 296; Mengering, Kriegs=Belial, S. 119 f. Vgl. auch Flemings Gebetsammlung auf S. 293 – 302. Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 295 – 299. Mengering, Kriegs=Belial, S. 119. Ders., Kriegs=Belial, S. 594; vgl. auch S. 26, 37, 556 und 616. Die Furcht des schlechten Gewissens vor dem rauschenden Blatt auch bei Luther, Der Prophet Jona ausgelegt. 1526, e in: WA 19, S. 185 – 251, hier 211: Ein »bose gewissen thut, das sich auch fur eym rauschenden blat furcht.« Sich nicht ein Leben lang vor einem »rauschenden Blatt« zu fürchten, war für Luther dementsprechend auch eine Frage der rechten Erziehung des Kindes »zu einer guten Furcht, damit es die Dinge fürchtet, die man fürchten soll, und nicht um es an sich furchtsam zu machen, […] was für sein künftiges Leben ausgesprochen schädlich ist«: »Factus enim pusillo animo ad omnia inutilis et desperatus efficitur, timidus omnia agere et aggredi, Et quod peius, quod talis timiditas teneris annis imbibita vix unquam postea eradicabitur: quia enim ad omne verbum parentum didicerunt terreri, Ideo postea etiam ad folium arboris timent sonantis. Sed et illae nutriculae, quae pueris illudunt terribilibus formis et gestibus, praecipue e nocte, sunt compescendae. Omni studio puer est formandus
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Um diesen Zusammenhang von reinem Gewissen, Mut und Erfolgsaussicht im Kampf wusste bereits Martin Luther, als er die Frage der Gerechtigkeit des Krieges erörterte: »[W]o gut gewissen ist, da ist auch grosser mut und kecks hertz. Wo aber das hertz keck und der mut getrost ist, da ist die faust auch deste mechtiger und beide ros und man frisscher und gelingen alle ding besser und schicken sich auch alle felle und sachen deste feiner zum siege, wilchen denn auch Gott gibt. Widderumb wo das gewissen blöde und sicher ist, da kan auch das hertz nicht recht keck sein. Denn es ist unmüglich, das böse gewissen nicht solten feyg und zag machen.«307
Es schien paradox: »Darümb ists ein wunderlich ding: ein kriegs man, der rechte ursach [zum Krieg] hat, der sol zu gleich mütig und verzagt sein. Wie wil er streiten, wenn er verzagt ist? Streit er aber unverzagt, so ists aber grosse fahr. So sol er aber thun: für Gott sol er verzagt, furchtsam und demütig sein und dem selbigen die sache befelhen, das er’s nicht nach unserm recht sondern nach seiner güete und gnaden schicke, auff das man Gott zuvor gewinne mit eym demütigen, fürchtsamen hertzen. Widder die menschen sol man kecke, frey und trotzig sein, als die doch unrecht haben, und also mit trotzigem, getrostem gemut sie schlahen.«308
Der gottesfürchtige Soldat konnte den Tod »verachten«, weil Gott ihm half gegen den Feind. Doch dies war nur die eine Seite der Medaille. Der christliche Soldat, seinerseits, hatte sein Leben zu geben, um Gott zum Sieg zu verhelfen. Am dienlichsten war er, so der Historiker Johann Christoph Rüdiger, wenn er sein Leben nicht allzu sehr liebte, im Wissen um die Nichtigkeit und »Eytelkeit des Menschlichen Lebens«.309 Diese Forderung nach der Furchtlosigkeit des miles christianus hatte ein Janusgesicht. Wer sein Leben für Gott einsetzte, setzte es nicht leichtfertig aufs Spiel. Die Furchtlosigkeit des guten Soldaten resultierte ad timorem bonum, ut timeat quae timenda sunt, Non autem ad esse timidum, sicut parentibus quibusdam satis est, Si timidos tantummodo habeant, quod est nocentissimum futurae aetati.« Ders., Decem praecepta Wittenbergensi praedicata populo, in: WA 1, S. 398 – 521, hier 449. Siehe auch Calvin, Institutio, I, 3, 2; Johann Valentin Andreae, e e Fragment aus dem dreißigjahrigen Krieg, betreffend das Schicksal und die Einascherung e der Stadt Calw, geschehen den 10. Sept. 1634. Oder Joh. Valentin Andrea Threni Calvenses, e aus dem Lateinischen ubersezt von [Justus Andreas] L[eppichler], Tübingen 1793, S. 62 (lat.: Threni Calvenses, quibus urbis Calvæ Wirtembergicæ bustum, sors præsens lamentabilis et innocentia expressa. Accessit amicorvm condolentia, Argentinae 1635). Als biblische Referenz vgl. 3 Mose 26.36. 307 Martin Luther, Ob kriegsleutte auch ynn seligem stande seyn künden, in: WA 19, S. 616 – 662, hier 623 f. 308 Ders., Ob kriegsleutte, S. 651. Vgl. auch S. 659. 309 Johann Christoph Rüdiger, Klugheit zu Leben, und zu Herrschen/ nach dem Sinn und Lehr=Art Eines wahrhafftig Hochgelahrten Mannes, und mit eigenen Gedancken des Verfassers untermischet, Leipzig 1722, S. 435. Vgl. auch Lipsius, Politica, 5.12.2 (mit Vegetius, Epitoma rei militaris I, 3.5).
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aus der Überwindung der Furcht, nicht aus Unkenntnis oder Missachtung der Gefahr. Zur Warnung und zum Schutz war Furcht durchaus am Platze.310 Tapferkeit, dies galt nicht nur in rebus militaribus, war mit »rasender Verwegenheit« e nicht zu verwechseln;311 Mut war gefragt, nicht »Tollkuhnheit«.312 Furchtlosigkeit befreite den Soldaten aus der Bindung an die Dinge und sie band ihn an Gott. Der tapfere Soldat gab sein Leben nicht auf, sondern übergab es seinem Herrn; er liebte es nicht als sein eigenes, sondern als Gottes Schöpfung und Besitz. Die Aufopferung des eigenen Lebens bedeutete weder »Selbstmord« noch tödlichen Leichtsinn, sondern deren Gegenteil.313 Der »vollkommene« Soldat fürchtete nicht den Tod, aber er würde ihn auch nicht suchen; mutig gab er sein Leben, ohne es mutwillig zu riskieren: »Er muß weder Lust zu leben, noch zu sterben haben; sondern allezeit in dem festen Vorsatze stehen, seine Schuldigkeit zu e beobachten, und seinem Gott Leben und Sterben zu befehlen. Ein naturlicher Mensch kan dieses vor sich nicht thun; Ein Christ, der zu Gott bekehret, vermag e e dieses, daß wir billig sagen mussen, die frommsten Leute geben die besten 314 Soldaten ab.« Vor diesem Hintergrund verzichtete der miles christianus nicht allein auf e »Bravoure«,315 sondern auch auf »Vollerey«, Trunckenheit«, »Hurerey und Unkeuschheit«, auf sämtliche Ausschweifungen also, mit denen er sich »gar offters e e denjenigen Corper [ruinierte], der zur Beforderung der Ehre GOttes, und zur e Beschutzung des Vaterlandes aufgeopfert werden solte.«316 Der betrunkene, gottlose Soldat verletzte die Gebote der Vorsicht, er vernachlässigte seine Dienstpflichten und brachte nicht nur sich selbst in Gefahr, sondern auch jene, deren Schutz ihm anbefohlen war.317 Unachtsame Furchtlosigkeit und »Courage ohne Klugheit«318 gaben Anlass zur Furcht.319 Und mehr noch: Ein tollkühner
310 311 312 313 314 315 316 317 318 319
Vgl. auch Lipsius, Politica, 5.13.3. Schottelius, Ethica, S. 421 – 447, zit. 427. Art. »Tapferkeit«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 41, Sp. 1774 – 1777, hier 1774. In der Konsequenz dessen war es dem Soldaten untersagt, sich das Leben zu nehmen, um nicht in feindliche Hände zu fallen: Fritsch, Miles peccans, S. 133 – 135. Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 446; auch 447. So auch Rüdiger, Klugheit zu Leben, S. 435 ff. Vgl. ferner Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 99. Ders., Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 99, übernommen im Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 424. Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 97 f., übernommen im Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 421 f. Vor diesem Hintergrund gibt Fleming zahlreiche Hinweise zur Körper- und Gesundheitspflege: Teil 3, Kap. 40 – 43. Vgl. Hans Wilhelm Kirchhof, Militaris Disciplina [1602]. Kritische Ausgabe, hg. v. Bodo Gotzkowsky, Stuttgart 1976 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 298), Kap. 28. Art. »Tapferkeit«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1774. Vgl. auch Luther, Ob kriegsleutte, S. 624, 651, 659.
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Soldat versäumte es nicht allein, seine Mitmenschen zu schützen, sondern versetzte sie selbst in Angst und Schrecken. Insbesondere der Dreißigjährige Krieg, so klagten die Zeitgenossen, hatte den Typus eines Söldners hervorgebracht, den nichts mehr schreckte: der nicht allein keine Furcht vor Gott kannte und vor seinem Gewissen, sondern nicht einmal die Furcht vor dem Teufel.320 In derartiger Furchtlosigkeit verspielte er gänzlich sein Heil: »Es giebet«, so Fleming, »einige so Leichtsinnige, Gottese vergessene und ruchlose Gemuther, die sich weder vor GOtt, noch vor den e e Teufel, furchten, weder den Himmel hoffen, noch über der Holle erschrecken, sondern in ihrer Unbußfertigkeit, Verstockung und Sicherheit dahin gehen, biß e e sie die Ewigkeit uberfallt.«321 Als Fleming schrieb, im Jahre 1726, meinte er bereits davon ausgehen zu können, dass am Ende »die wenigsten eine so grosse Leichtsinnigkeit besitzen werden, daß sie nicht zu der Zeit, da sie den Pforten der Ewigkeit so gar nahe kommen, ihr Hertz zu demjenigen wenden solten, der vor seinen Richterstuhl von allen dem, was sie in ihren Leben begangen, Rechenschafft fordern wird«.322 Für die Zeit des »Teutschen Krieges« dagegen zeichneten Autoren wie er noch ein anderes Bild. Die Söldner des Dreißigjährigen Krieges, so schien es ihnen, fürchteten keinen Teufel, denn sie waren sein Werkzeug;323 in den Augen Mengerings und so vieler anderer mordeten sie schlimmer als der Feind, schlimmer gar als »Türcken und Tartarn«, schlimmer am Ende als Satan selbst.324 Um sie das Fürchten zu lehren, so empfahl daher bereits Machiavelli, hatten Fürsten und Feldherrn keine Grausamkeit zu scheuen.325 Es lag in der Konsequenz des theologischen Gedankens, dass Kriegsknechte, die nicht einmal Satan zu schrecken vermochte, nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch sich selbst untereinander in Furcht versetzten. In diesem Sinne, so schien es, wurden sie Opfer ihres eigenen gewaltsamen Tuns. Auch diese Aussage verdankt sich den Paradoxien protestantischer Straftheologie. Für den Dreißigjährigen Krieg ist auch hier die Predigt des Kriegs=Belial repräsentativ. Die gottlosen Handwerker des Tötens, so ließ sich Mengering vernehmen, fürchteten sich nicht nur, weil sie verwerfliche magische Heilmittel anwandten gegen ihre Furcht (wie Fleming sie beschreibt), sondern weil Gott sie mit ihrer eigenen 320 Mengering, Kriegs=Belial, S. 223; vgl. auch S. 76, 115. 321 Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 293 f. Dieser »Überfall« kam gerade bei Soldaten oft sehr plötzlich und verhinderte Buße und Absolution vor dem Tod: Fritsch, Miles peccans, S. 213. Näheres zur heilsgeschichtlichen Brisanz des »plötzlichen Todes« unten in Kap. 4. 322 Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 294. 323 Fritsch, Miles peccans, S. 112. 324 Mengering, Kriegs=Belial, insbes. S. 15, 172 – 174, 188 – 190, 204, 237 f., 468 -_ 472, 488, 596, 613 – 615. Weitere Quellennachweise unten in Kap. 5.2. 325 Vgl. Machiavelli, Der Fürst, S. 131 – 133.
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Angst strafte für die Angst, in die sie andere versetzten. Sie exekutierten gewissermaßen des Herrn Urteil an sich selbst.326 Im Hintergrund des Gedankens steht eine Theologie, die derart unchristliche Soldaten nicht allein als Sünden-, sondern zugleich als Strafübel fasste.327 Diese Soldaten verbreiteten ihren Schrecken als eine gottgesandte Geißel, die die Schreckerfüllten schlug für ihre Sünden. Als zu Bestrafendes waren sie immer auch Instrument der Strafe, so wie sie umgekehrt als ein solches selbst strafwürdig schienen. Und so wurden die Soldaten sich selbst zur Geißel: So hatte unter ihren Waffen, gerade unter technischen Neuerungen wie dem Geschütz, auch der kriegerische Stand selbst zu leiden, der die Grundsätze christlicher Ritterschaft mit Füßen trat.328 Der Söldner des Dreißigjährigen Krieges, mit anderen Worten, erlitt die himmlische Sanktion und war zugleich ihr ausführendes Organ: Er vollstreckte die göttliche Strafe, die an ihm vollstreckt wurde, und er empfing die Strafe, die er vollzog (eben weil er dies tat). Theologische Deckung bot auch in diesem Fall die Lehre von einem verborgenen Gott, der Sünde strafte mit Sünde. Und dies tat er, um aus Sünde zu befreien.329 Buß- und straftheologisch fungierten diese Knechte des Krieges als notwendige Bedingung für die Überwindung der Angst, die sie verbreiteten: Sie mahnten zu religiös-moralischer Umkehr, so wie sie selbst dazu ermahnt wurden. Das Böse hatte sein Gutes: Es ermöglichte das Gute als dessen Gegenteil. Wo die Angehörigen der eigenen Partei schlimmer wüteten als die Feinde, dort hatte die verhängte Strafe ihr höchstes Maß erreicht; gegen sie halfen am Ende allein Reue und Buße, nicht militärischer Kampf. Vor diesem Hintergrund ist Mengerings Kriegs=Belial keine Politik- und Militärtheorie, sondern Moraltheologie. Der Text mahnt die 326 Dies galt auch noch in einem anderen Sinne. Trieb ein Soldat Geistliche in die Flucht oder tötete er sie, so beraubte er sich selbst, wenn es ans Sterben ging, der Möglichkeit von Seelsorge und Absolution (Mengering, Kriegs=Belial, S. 556): »Summa, es spiegele sich nur ein jeder Soldat in dem Buch der Weißheit/ und bedencke sonderlich die Beschreibung e e des bosen Gewissen und zaghafften Hertzens/ Sap. 7. v. 11/12. und hute sich umb seiner e armen Seelen willen fur eigner Erfahrung. Dahin rechnen wir auch nicht unbillich die scheinbare Straff und Rache GOttes/ daß diejenigen Obersten und Officirer/ welche in e feindlichen Einfallen und Durchstreiffen der Länder die Priester haben verjagen und plagen lassen/ hernach an ihrem Ende/ wenn sie eines Evangelischen Predigers begehret/ nicht e haben so viel Zeit und Raum finden konnen/ daß ihnen ein Prediger mit dem Wort und e Sacrament auffwarten mogen/ wie ein solch Exempel Anno 1633. im Vogtlande erfahren worden/ da einer vor seinem Ende einen Evangelischen Priester begehret/ auch auff etliche Meilen nach einem geschicket/ demselben auch pro recompens ein 500. Thaler bieten lassen/ Weil aber aus den Städten und umbliegenden Orten alle Priester wegen der graue e samen Feindthatigkeiten entlauffen mussen/ hat er keinen erlangen/ noch das heilige e Abendmahl des HErrn geniessen konnen.« 327 Ders., Kriegs=Belial, S. 2 und 4 (mit Verweis auf Luthers Tischreden). 328 Ders., Kriegs=Belial, S. 672 – 674: In der Erfindung des Geschützes wurden »Fortschritt« und Neuerung zum Zeichen des nahenden Endes der Welt. 329 Zum Vorangehenden vgl. ders., Kriegs=Belial, S. 584 ff., 639.
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»Soldaten=Teuffel«, »geistliche Ritter« zu werden, ebenso wie all jene, die von ihnen gequält wurden. Er mahnt zur Furchtlosigkeit in Gottesfurcht, und er bittet den Allmächtigen, die Strafwürdigen dabei gnädig zu unterstützen.330 Die Notwendigkeit der Furchtlosigkeit begründete sich nicht allein religiöstheologisch, sondern – vor diesem Hintergrund – auch ganz praktisch. Furcht und Furchtlosigkeit im Krieg hatten Konsequenzen, so meinte man, in denen beide ihre Berechtigung unter Beweis stellten. Diese Folgen betrafen den Soldaten, sie betrafen seine Kameraden, und sie betrafen den gemeinsamen Feind. Paracelsus, in einem Exkurs in militärtheoretische Gefilde, hielt fest: »Wie viel sind in Stürmen, Schlachten und Scharmützeln erschossen worden, da allein ihre Imagination daran schuld gewesen ist! Das ist, wenn einer furchtsam, scheu und zaghaft ist, sich ob jedem Schuß entsetzt, und nicht anders vermeint, denn er sei oder werde gewiß getroffen, so oft ein Schuß gegen ihn geschieht. Ein solcher, sage ich, kommt viel eher ums Leben, wird auch viel eher erschossen, als einer, der keck, fröhlich, unverzagt angeht, sich nicht entsetzt, keinen Schuß fürchtet, hat einen starken Glauben und gute Hoffnung, er werde vor allen andern Kriegsleuten davon kommen. Solches sind rechte Kriegsleut, mit denen Schlösser, Städt, Land und Leut, wie man sagt, zu gewinnen sind. Aber die andern alle, sie seien groß oder kleine Hansen, edel oder unedel, Ritter oder Grafen, sind vor dem Feind nicht eines Pfennigs wert, ich geschweige eines Solds.«331
So konnte es nur zum Nutzen der res publica sein, wenn der »Unmann« nicht das Schlachtfeld betrat, sondern seinen Acker bestellte, zumal noch eines hinzukam: Mit seiner Verzagtheit drohte er die anderen Soldaten anzustecken und ins sichere Verderben zu schicken. Vor diesem Hintergrund verzichtete ein kluger Herrscher darauf, seine Soldaten gegen ihren Willen zu rekrutieren.332 Diese Zurückhaltung begründete sich nicht aus einem frühen Recht auf Kriegsdienstverweigerung oder aus Exekutionsschwierigkeiten des frühmodernen »Staates«, sondern aus der Überzeugung, dass ein furchtsamer Soldat nicht allein persönlich gefährdet war vor dem Feind, sondern, mehr noch, zur Gefahr wurde für die gesamte eigene Mannschaft.333 Ein Soldat in Furcht drohte das 330 Vgl. auch ders., Kriegs=Belial, S. 742 – 744. 331 Theophrastus Paracelsus, De occulta philosophia, in: Werke, hg. v. Will-Erich Peuckert, Basel / Stuttgart 21982, Bd. 5, S. 133 – 176, hier 155 f. 332 Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 447; Rüdiger, Klugheit zu Leben, S. 433 f.; vgl. Montaigne, Essais I, 47, S. 432. Vgl. auch Hermann Conring, De militia lecta, mercenaria et socia, Helmstedt 1663, § 20, 25; Stryk, De militia lecta, S. 18. Mengering, Kriegs=Belial, S. 603 ff., kritisiert Zwangsrekrutierung als »Menschenraub« sowie mit dem Hinweis, die so Gezwungenen würden ohnehin eine Gelegenheit zur Flucht suchen. 333 Dies galt freilich auch für Offiziere und Hauptleute: S. 618 f. lässt Mengering den römischen Kaiser Aurelius von einem Hauptmann berichten, der nicht begehrte »geliebt/ sondern nur e gefurcht[et] zu werden«: »Es begab sich aber/ daß ich über eine Zeitlang hernach eine blutige Schlacht hielt mit den Arabiern/ und die Schlacht war noch nicht recht angangen/ e siehe/ der vorbemeldte Hauptmann war der erste/ der davon flohe/ und sein Fahnlein
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Gegenteil dessen zu bewirken, wozu er eingesetzt war ; er öffnete der Gefahr Tür und Tor. Furchtlosigkeit dagegen lehrte den Gegner das Fürchten. Die Zaghaftigkeit der Soldaten ermutigte den Feind, ihre Tapferkeit dagegen nahm ihm den Mut und schlug ihn in die Flucht. Angesichts dessen ließ sich, was den eigenen Soldaten drohte, als Waffe gegen die gegnerischen einsetzen. Justus Lipsius etwa empfahl plötzlichen Lärm oder das unerwartete Bild (imago) eines Angriffs; denn »Einbildungen« vermöchten den Gegner mehr zu schrecken als das Schwert.334 Diese Beobachtung erklärte sich aus der maßgeblich von Paracelsus ausbuchstabierten Macht der Imagination (deren medizinische Hintergründe in Kapitel 4 ausgeleuchtet werden). Es siegte im Kampf, wer die Macht über die inneren Bilder errang. Der Soldat hatte (nur) die Wahl, in welche Richtung er das Pendel ausschlagen und den Kreisel sich drehen ließ. Die Imagination war eine Waffe, die er, sollte sie ihn nicht selbst verletzen, gegen den Gegner richten musste. Auch der Soldat hatte die Wahl, sich zu fürchten oder gefürchtet zu werden. Auch für ihn galt, was Montaigne den Mächtigen zurief: »Furcht und Misstrauen ziehn den Angriff auf sich, ja laden dazu ein«;335 und »Vertrauen schafft zumeist Vertrauen.«336 Allgemein stellten Militär- und Kriegskundige fest: Der Tod ereilte jene, die ihn fürchteten; je weniger Furcht, desto weniger Gefahr.337 Doch war ein Sieg dann mutig errungen, vermied es der kluge Feldherr, alle Vorsicht fahren zu e
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verließ/ welches denn schier eine Ursach gewest ware/ daß die Schlacht ware verlohren e worden/ aber nach erhaltener Schlacht ließ ich ihm den Kopff legen für seine Fusse. Denn zu e anfangs der Schlacht ist ein einiger fliehender Kriegsmann dem Heer viel schadlicher/ als e nutzlich da sind tausent/ die den Feind angreiffen.« Und S. 714: »Citius venit periculum e e cum spernitur, haben die Alten gesprochen/ wenn man das Ungluck verachtet/ so kompts am ersten/ und sind viel Exempel und Historien/ welche anzeigen/ daß offt ein grosses Heer e ist geschlagen worden/ von wegen der Hauptleute Schwelgen und Unvorsichtigkeit. Da e e e hergegen die Romer bey ihren Kriegen und Feldzugen sehr sorgfaltig und vorsichtig gewesen seyn/ daß auch Cicero lib. 3. de Oratore, die Verse von ihnen anzeucht: At Romanus homo tamen etsi res bene gesta est corde suo trepidat – – –.« So auch Rüdiger, Klugheit zu Leben, S. 440. Lipsius, Politica, 5.16.10. Montaigne, Essais I, 24, S. 203. Ders., Essais I, 24, S. 202 (mit Livius, Ab urbe condita XXII, 22). »Vertrauen« konnte für Montaigne auch bedeuten, den Soldaten die Aussicht auf ruhmreiche Bewährung im Risiko zu nehmen: »Ich nehme möglichen Anschlägen von vornherein den Wind aus den Segeln, indem ich sie für die Soldaten risikolos mache und diese so jeder Möglichkeit zu militärischen Ruhmestaten beraube, die ihnen gewöhnlich als Vorwand und Rechtfertigung dienen. Draufgängerische Taten gelten in einer Zeit, da Recht und Gerechtigkeit tot sind, ja stets als ehrenhaft. Ich aber mache dem Kriegsvolk die Erobrung meines Hauses zu einem Akt der Feigheit und Heimtücke. Es ist für keinen verschlossen, der anklopft.« Kein Feind, kein Ehr’. Montaigne nahm der Ungerechtigkeit den Reiz und schlug sie mit ihren eigenen Waffen: II, 15, S. 434. Lipsius, Politica, 5.16.11 (mit Curtius Rufus, Historiae Alexandri Magni IV, 14.25, und Sallust, Catilina, 58.17); so auch Montaigne, Essais III, 6, S. 183.
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lassen, wollte er nicht unversehens neuen Anlass haben, sich zu fürchten.338 Er hielt seine Soldaten in der strategisch maßvollen Furcht, in die er sie bereits versetzt hatte, um den Sieg überhaupt erringen zu können: Besser, der Feind erwies sich als unerwartet schwach denn als unerwartet stark.339 Hier konnte selbst Luther die »Heiden« zitieren: »Hie höre doch, was ynn diesem fal die heyden als Kriechen und Römer sagen, wilche von Gott und Gotts furcht nichts gewust haben. Denn sie hielten dafür, sie werens, die da kriegten und siegten. Aber durch manchfeltige erfarunge, da offt gros, gerust volck von wenigen und ungerustem geschlagen ward, müsten sie lernen und bekennen auch frey, das nichts ferlichers sey ynn kriegen, denn sicher und trotzig sein, und schliessen also, Man solle nymmer mehr den feind verachten, er sey wie klein er ymer sey.«340
Einem Aristoteliker errang den Sieg das richtige Maß. Für einen Christen hieß das, am Ende des sechzehnten Jahrhunderts ebenso wie zu Beginn des achtzehnten, für einen Theologen ebenso wie für einen Militärexperten: Allein die recht verstandene Furchtlosigkeit, allein die Mitte zwischen Feigheit und Leichtsinn, versetzte den Gegner in eine Furcht, die dem Sieger Sicherheit gab und seinen Erfolg auf Dauer stellte: allein die gottesfürchtige Gewissheit, dass Gott den Sieg errang und nicht der Mensch.341
338 Nicht anders als der Herrscher : Lipsius, Politica, 3.7.1; 5.18.3 (mit Seneca, Agamemnon, 799). Dies war auch eine Frage der Achtung gegenüber der Vorsehung: Wer dem Glück viel verdankte, hatte viel zu verlieren; wer gewonnen hatte, musste fürchten, dass ihm Fortuna das Gewährte auch wieder entzog: 5.20.3. Rüdiger unterschied nach Führung und Fußvolk: Der General hatte die Soldaten dazu zu bringen, die Gefahr zu verachten, durfte es selbst aber nicht tun: Rüdiger, Klugheit zu Leben, S. 455 f. (mit Velleius Paterculus, Historia Romana II, 118). 339 Montaigne, Essais II, 34, S. 611 f.: »Als sich wegen des Gerüchts, König Juba führe große Streitkräfte gegen ihn [Caesar] heran, seines Heeres eine gewisse Furcht bemächtigt hatte, ließ er die Soldaten zusammentreten, um sie zu beruhigen und ihnen Mut zuzusprechen; dies aber nicht etwa so, daß er durch eine Bagatellisierung der feindlichen Stärke sie von ihrer vorgefaßten Meinung hätte abbringen wollen, sondern auf eine Weise, die der bei uns üblichen völlig entgegengesetzt war. Er sagte ihnen nämlich, sie könnten sich fortan die Mühe ersparen, Erkundigungen über die Streitkräfte des Gegners einzuziehn, da ihm hierüber sichre Informationen zugegangen seien; darauf nannte er ihnen eine Zahl, die sowohl die Wirklichkeit als auch das in seinem Heer umlaufende Gerücht bei weitem übertraf. Auf diese Weise beherzigte er einen laut Xenophon von Kyros gegebnen Ratschlag; tatsächlich richtet ja eine Täuschung weniger Schaden an, wenn man den Feind in der Schlacht schwächer denn erwartet antrifft, als wenn man ihn aufgrund von Gerüchten schwach eingeschätzt hat und dann beim Treffen wesentlich stärker findet.« Vor diesem Hintergrund war es mitunter geschickt, Furcht zu simulieren, um den Gegner mit falscher Siegesgewissheit zu schlagen: Lipsius, Politica, 5.16.8. 340 Luther, Ob kriegsleutte, S. 650. 341 Letzteres betont auch Fritsch, Miles peccans, S. 103 f.
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3.5. Feige Kommandanten und sorglose Landesherren: Die Kritik des Pfarrers Braun Die Autoritäten formulierten die Norm der Gottesfurcht, indem sie bei ihren Untergebenen eine normverletzende Wirklichkeit konstatierten. Deren Gottlosigkeit, so schien es, erhielt im Dreißigjährigen Krieg eine besondere Brisanz. Gerade in dieser Zeit jedoch bestand das Problem für viele Autoren auch in umgekehrter Richtung. Die Furcht Gottes erwarteten auch die Untertanen von ihren Oberen, und dies wird dort ersichtlich, wo sie nicht umhin konnten, eine Abweichung von der Norm zu bemerken. Die Jahrzehnte zwischen 1618 und 1648 konnten auch deswegen zu Schreckensjahren werden, weil jene, die Gottesfurcht forderten, sie offensichtlich selbst nicht hatten. Was Mengerings Kriegs=Belial bereits in gedruckter Form andeutete,342 wurde noch ausdrücklicher formuliert in autobiographischen Texten, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, dabei aber gleichwohl eine normsetzende Funktion erfüllten. Besonders unverhohlen sind die Ephemerides des lutherischen Pfarrers, Gräzisten und späteren Superintendenten Johannes Braun (1589 – 1651), in denen vom Kriegsgeschehen im Kulmbacher Land zwischen 1629 und 1634 berichtet wird und die im Folgenden exemplarisch analysiert werden sollen.343 Wie so viele seiner Zeitgenossen beklagte auch Braun die Gottlosigkeit der Soldaten, nicht nur der feindlichen, sondern vor allem auch derer, die der eigenen konfessionellen Partei angehörten.344 Ohne nach Bekenntnis, Stand, Alter oder Geschlecht zu unterscheiden, so die Beobachtung des Pfarrers, versetzten sie die Menschen in Furcht, Angst und Schrecken und zwangen sie zu wiederholter Flucht. Wo es nicht der feindliche, sondern der »befreundete Soldat« war, der Gewalt ausübte, und wo Ungewissheit darüber herrschte, ob und wo diese 342 Mengerings Haltung zur obrigkeitlichen Verantwortung für die Schrecken des Krieges ist ambivalent. Die maßgebliche Schuld sah er freilich zunächst bei den Soldaten, dann jedoch auch bei denen, die ihnen nicht zu wehren wussten: Mengering, Kriegs=Belial, S. 568 und 608. 343 Johannes Braun, Ephemerides, KBSR Nr. 2113. Überliefert sind nur die Bücher II – IV, die ersten zehn Seiten von Buch II zudem lediglich in der Transkription Friedrich Zindels aus dem Jahr 1930 (nachfolgend zit. als »Transkr. Zindel«). Übersetzung aus dem Lateinischen hier und im Folgenden von mir. Teilweise fehlerhaft, ungenau oder lückenhaft ist die Übertragung Zindels: Johannes Braun, Tagebuchblätter aus dem 30jährigen Krieg (1626 – 1634). Aus dem Lateinischen übers. v. Friedrich Zindel, in: Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken 32/2 (1934), S. 1 – 82, und 32/3 (1935), S. 3 – 53. – Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten=Lexicon, Leipzig 1751, erwähnt drei ungedruckte Schriften Brauns: neben dem Chronicon Nordgaviense und den Res gestae Gustavi Adolphi et Suecorum in Germania die Ephemerides, sive Historia Exulum, von denen Zindel jedoch vermutet (in der Einleitung zur Übersetzung, S. 5), dass sie mit dem vorliegenden Manuskript nicht identisch sind. Zu Braun siehe auch unten Kap. 5.2. 344 Braun, Ephemerides, S. 34, 110.
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Gewalt eigentlich drohte, dort sah auch Braun verstärkten Anlass zur Furcht. Zudem schienen »Einbildungen« und »leere Gerüchte« (vani rumores)345 auf der einen Seite und die mit Furcht verbundenen Hoffnungen auf der anderen die Furcht über ihre vernünftige Warnfunktion hinaus zu steigern; sie drohte nunmehr das Leben nicht zu erhalten, sondern zu zerstören.346 Auf die Furchtberichte der Betroffenen wird in Kapitel 5.2 ausführlicher zurückzukommen sein und in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die Ephemerides Johannes Brauns. An dieser Stelle dagegen interessiert die Verantwortung, die der Verfasser den Obrigkeiten an der Verbreitung von Furcht und Angst zuschrieb. Das entscheidende Problem schien ihm am Ende nicht eine aus dem Ruder gelaufene Soldateska, sondern das Fehlen eines rechten Ruders. Die Kritik am Versagen der Oberen ist bei Braun ungewöhnlich unverhohlen und findet sich in dieser Ausführlichkeit und Schärfe des Tons nur in wenigen anderen Texten (etwa in Johann Valentin Andreaes Klage über die Zerstörung der württembergischen Stadt Calw).347 Als einige »Räuber« (praedones) im Februar 1634 das Kulmbacher Land durchzogen (ob sie zur feindlichen oder zur eigenen Seite gehörten, vermochte Braun nicht zu sagen), bemerkte der Autor : »Und was soll ich viel sagen? Ungestraft haben sie das ganze Umland bis nach Kulmbach durch ihre zahlreichen Raubüberfälle in Unruhe versetzt und verwüstet. Muffel, der Präfekt der Feste Plassenburg, schlief unterdessen zusammen mit seiner Besatzung auf beiden Ohren und wähnte sich in Sicherheit. Seine gottlose Trägheit gab den Feinden neuen Mut und hemmte [auf unserer Seite] in starkem Maße die Bereitschaft, mehr zu unternehmen. Den Verlust eines einzigen Soldaten stellte er über das Wohl der gesamten Gegend. So groß ist die Macht des Schicksals, das unsere vielfältigen Sünden durch die Sorglosigkeit eines feigen Anführers schwer bestraft.«348
345 Ders., Ephemerides, S. 77 und 120 f.: »Auxit timorem fugientium noctis crepusculum, ut se innumeras hostium copias insequi falsa sibi opinione persuaderent. Ob repentinum hanc imperitæ plebis fugam non minus intra muros tam milite præsidiano, quam cive fuit trepidatum, cum præsertim fama increbuisset, hostes infestis armis ad oppidum oppugnandum advenire«. Auch S. 117: »… fam metum augente …«. Näheres zum Problem des Gerüchts unten in Kap. 5.3. 346 Braun, Ephemerides, S. 66 – 68, 77, 97, 105 f., 120 f. 347 Andreae, Fragment, S. 65, 70 f., 82; ders., Autobiographie, bearb. v. Frank Böhling, übers. v. Beate Hintzen, in: Gesammelte Schriften, in Zusammenarbeit mit Fachgelehrten hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Bd. 1.1 – 1.2, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012, hier Buch 4, S. 280/281 – 284/285, Buch 5, S. 394/395 – 396/397. 348 Braun, Ephemerides, S. 88 f.: »Et quid multis? omnem circum circa regionem Culmbachum usque impunÀ latrociniis suis crebris infestantes, populati sunt. Muflio propugnaculi Blassenburgici præfecto interim domi cum præsidiariis suis in utramvis aurem dormiente securÀ, cujus nefanda torpedo hostibus animum addidit, et ad majora tentanda plurimum sufflaminavit. Vnius videlicet militis jacturam totius regionis saluti præponens. Tanta est vis fati, multiplicia nostra peccata per Ducis ignavi socordiam gravissime punientis.«
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Auf die Feigheit des Obristen kommt Braun wiederholt zu sprechen. So schien ihm das »größte Unglück für die ganze Gegend« »die verhängnisvolle Schläfrigkeit unseres Präfekten Muffel« zu sein, »der bloß darauf aus war, Reichtümer anzuhäufen und Gold zusammenzuraffen, ein geiziger Alter, der sich aller Sorge, wie die Gegend gegen feindliche Angriffe zu verteidigen sei, entledigt hatte.«349 Dieser Kommandant »scheute sich nicht, in träger Erstarrung zu erschlaffen, die Gefahren und Nöte der flüchtenden Untertanen von sicherem Standpunkt aus zu beobachten, ihr Wohlergehen zu vernachlässigen und sie den Feinden als Beute vorzuwerfen.«350 Der sorglose »Erzfeigling« ließ »lieber die ganze Gegend von den Feinden aussaugen […], als dass er sich auch nur der geringsten Gefahr ausgesetzt hätte.« Und diese »Furchtsamkeit und Feigheit« hatte praktische Konsequenzen: Ohne sie hätten die »schon in Angst versetzten und an Zahl weit unterlegenen Feinde« »leicht von den Unsrigen umzingelt und vollständig vernichtet werden können«. So aber schlug das Pendel in die andere Richtung aus: »Die Kronacher dagegen, nachdem sie die Feigheit der Kulmbacher Soldaten erkannt hatten, verfolgten sie mit neuem Mut und kampfbereiten Waffen; um Niederlage mit Niederlage und Schaden mit Schaden zu vergelten, griffen sie das Dorf (Unter-)Steinach an, warfen Feuer hinein, setzten es in Flammen und versuchten es niederzubrennen.« Und damit nicht genug: »Auf diese Weise hat Muffels falsche Furcht den Feinden umso größeren Mut gemacht und ihnen Gelegenheit gegeben, die Unsrigen mit Spötteleien verschiedener Art zu verfolgen.«351 Hier lag »unzweifelhaft vor Augen, mit welcher sorglosen Sicherheit von den Unsrigen dieser für ganz Deutschland verhängnisvolle Krieg geführt wird, und mit welcher Geschicklichkeit, Wachsamkeit und unermüdlichem Eifer die Feinde dagegen ihre Sache betreiben.« Diese Offiziere waren tapfer nur 349 Ders., Ephemerides, S. 107: »Calamitatem totius regionis plurimum adaugebat præfecti nostri Muflii perniciosa oscitantia, qui colligendis opibus et auro corradendo occupatus, avarissimus senex omnem defendendæ regionis contra hostiles incursiones curam abjecerat.« 350 Ders., Ephemerides, S. 124: »Muflius contr præsidiariorum Præfectus segni torpedine languescere, pericula subditorum fugientium securus intueri, negligere eorum salutem, inque prædam hostibus objicere nihil quicquam pensi habuit.« 351 Ders., Ephemerides, S. 126: »… præfecti hominis ignavissimi socordi, qui totam regionem potius malebat ab hostibus exbisam, quam se minimo periculo objicere. […] Potuissent hostes facile nostris circumveniri, et ad internecionem omnes deleri, ni Ducis Muflii timiditas et ignavia obstitisset, cui uni ejus ipsius milites culpam assignant. Cum enim animare militem suum in hostes jam pavidos ac numero longe pauciores debuisset, ac strenui ducis obire munia, in hostem ruentes minis etiam adhibitis detinuit, quo minus fugientem hostem insequerentur, noctis caliginem et periculum prætendens, in quod forsan miles posset incidere. […] Cronachenses contr Culmbachensium militum ignaviam ut cognoverunt, animis resumptis eos sunt infestis armis insecuti, et ut cladem clade rependerent, ac damnum damno, pagum Steinachensem adorti injecta flamma succendunt et excindere tentant. […] Hoc modo Muflii præposterus timor hostibus animum addidit, nostris vero variis scommatibus insectandam ansam præbuit.«
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gegenüber dem Feind, der sich in sicherer Entfernung befand; wer Unerschrockenheit offen zur Schau trug, hatte wohl keine: »Unseren Soldaten genügt es, wenn sie im Schutz der Mauern den Städtern ihre Tapferkeit und ihren kühnen Mut dadurch beweisen, dass sie ihre Pferde im Kreise herumführen und sich mit ihnen brüsten auf den Straßen, wie in erhabenem Triumph über besiegte Feinde, vor denen sie schon zu erschrecken scheinen, wenn von ihrem Nahen nur das Gerücht geht. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Feinde vom Gebirge ihren Angriff auf das Quartier begonnen haben, weil sie die vollkommene Sorglosigkeit unserer Reiter bemerkt hatten. […] Durch diese Niederlage sank den Unsrigen sehr der Mut, größer dagegen wurde die Kühnheit der Feinde.«352
Missachtete der Kommandant seine Pflicht durch Feigheit vor dem Feind, so nahm der Markgraf, Christian von Brandenburg-Bayreuth, die Gefahr gar nicht wahr oder interessierte sich nicht für sie.353 An Gewissenlosigkeit, so schien es Braun, stand er seinem Feldherrn in nichts nach. Diesen Landesherrn, der sich um Religion und Gottesdienst zu sorgen hatte, reizte nicht der Glaube, sondern die Lust am Jagen und Zechen.354 Nicht allein Obrist Muffel, wie der Verfasser bemerkt, sondern auch dessen oberster Herr »schnarcht und schläft auf beiden Ohren« und sorgt sich nicht um seine Untertanen, sondern nur »um seine eigene Haut.«355 »In dieser allgemeinen Kriegs- und Gefahrenlage hält sich die höchste Obrigkeit, in deren Händen das Wohl des ganzen Volkes liegt und von der Hilfe und Trost in verzweifelter Lage zu erwarten ist, innerhalb der Festungsmauern auf, wie einst die verkommenen Könige des Frankenreichs, gefangen im Netz der Verlockungen und Lüste; sie opfert ihrem Bacchus und genießt das Leben; sie hat sich aller Sorge um die Untertanen und das vor ihren Augen liegende verwüstete Land entledigt und kümmert sich, als sei bisher nichts geschehen, lediglich um die große Zahl derer, die ihm beipflichten und den blinden Fürsten in seinem Irrtum bestärken. Diese sind giftige und verderbliche Blutsauger, die aus dem Untergang der gesamten res publica ihren Vorteil
352 Ders., Ephemerides, S. 116: »Inde liquidý patet, quanta socordi et securitate nostris bellum hoc toti Germaniæ fatale geratur, et quant contra solertia, vigilanti et studio indefesso res suas agant hostes […]. Satis est nostris militibus, si suam virtutem animique ferociam intra muros oppidanis equos gyrando, in plateis superbiendo, sublimes ostendant veluti triumphantes de hostibus devictis, ad quorum famam contremiscere videntur. Constat, À montanis hostes, cognit nostrorum equitum securitate extrem, in stationes impetum fecisse […] multum hac clade fracta nostratium ferocia, aucta contra hostium audacia«. 353 Das Problem der Missachtung der Gefahr und des entsprechenden Mangels an Furcht wurde später auch in den Türkenkriegen diskutiert. Dazu unten Kap. 5.3. 354 Braun, Ephemerides, S. 98 f.: »Magistratum cujus maxima religionis et sacrorum cura esset debet, plus venandi potandique libido, quam religionis ardor stimulabat.« 355 Ders., Ephemerides, S. 103; siehe auch S. 107.
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zu ziehen suchten, sie sind Krebsgeschwüre, zum Untergang des Vaterlandes geboren.«356
Vor diesem Hintergrund gab es wenig Anlass zur Hoffnung: »Ein Entsetzen befällt mich«, so Braun resümierend, »so oft ich an den völlig zerrütteten Zustand unserer res publica denke, an die unheilvolle Sorglosigkeit des Fürsten und an die Feigheit und Verzagtheit des Präfekten, wenn es erforderlich war, Gefahren entgegenzutreten; durch sie wurde er allen zum Spott und Ekel, denen das Wohl des Vaterlandes am Herzen lag.«357 Die entscheidende Gefahr und Veranlassung zur Furcht, so zeigt sich hier, entstand für Braun am Ende nicht durch eine gottvergessene, für sich selbst kämpfende Soldateska, sondern durch eine Obrigkeit, die ihr keinen Einhalt bot: die entweder die Gefahr furchtsam mied oder aber gar kein Bewusstsein der Gefahr besaß, durch eine Kommandantur, die in ihrer leichtsinnigen Furchtlosigkeit dem Gegner nicht allein die Furcht nahm, sondern ihn gar in seiner Angriffslust ermutigte.358 Diese Obrigkeit war nicht die gerecht strafende Instanz, die die Vergehen ihrer Soldaten zu ahnden suchte; sie hatte kein Frevler zu fürchten.359 Eine derartige Obrigkeit gehörte selbst gestraft. Und damit wiederum schien sie ihrerseits (göttliche) Strafe an denen, die Gott vergessen hatten.360 Rächte schon eine plündernde Soldateska »die Verbrechen der Menschen«, so wurde ihr Gericht durch die »äußerste Verblendung ihres Fürsten« noch verschärft; denn den in Furcht und Angst Versetzten nahm »eine sorglose Obrigkeit« (socors magistratus) die letzte Hoffnung auf Hilfe und Zuflucht.361 Diese Obrigkeit war nicht das Gute, das das Böse strafte, im Namen und in Stellvertretung Gottes; sie schien vielmehr selbst das Böse, mit dem Gott heimsuchte, was ihn verneinte. Damit fand politisch und moralisch Verhee356 Ders., Ephemerides, S. 110: »In his communis belli motibus periculisque summus magistratus, quo salus totius populi petenda, unde auxilium et solatium rebus desperatis sperandum, intra arcis septa detineri, veluti quondam Franciæ reges degeneres, voluptatum illecebris irretiri, suoque littare Bacho, et genio, abjecta omni subditorum ac depopulatæ ante conspectum terræ cura, indulgere, quasi re adhuc integra, assentantibus plerisque, et coecum principem in errore confirmantibus, qui ex totius Reipublicæ interitu suum quærebant commodum sanguisugæ pestilentissimi, et carcinomata ad perdendam patriam nata.« So auch S. 113 und 118. 357 Ders., Ephemerides, S. 117: »Horror animum subit, quoties recordor, perturbatissimum Reipublicæ nostræ statum, securitatem principis exitiosam, nec non præfecti ignaviam et mollem in adeundis periculis animum, ob quem omnibus erat irrisui et fastidio, quibus patriæ salus curæ.« 358 Auch ders., Ephemerides, S. 120. 359 Vgl. auch Mengering, Kriegs=Belial, S. 696. 360 Braun, Ephemerides, S. 46: »Nec dubium, quin justus scelerum vindex Deus fatali quadam poena subditorum enormia peccata excæcatis magistratibus hoc modo punire voluerit.« 361 Ders., Ephemerides, S. 115 f., insbes. 116: »fatali quadam Numinis ir mortalium scelera hac extrema principis excoecatione ulciscentis«.
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rendes am Ende seine heilsgeschichtliche Begründung. Das Volk hatte, so schien es, die Obrigkeit, die es verdiente: die Gefahren nicht bannte, sondern allererst ermöglichte. Auch diese Obrigkeit fungierte als Instrument von göttlichen Gnaden, allein, nicht als das Gute im Kampf gegen den Teufel, sondern als das Teuflische selbst. Hinzugedacht ist auch hier die Theologie der permissio Dei. Gott ließ einen Landesfürsten gewähren, der seinerseits den »Kriegs=Belial« gewähren ließ, zur Erfüllung des göttlichen Plans. Und so konnte Braun das Verhältnis zu dieser Obrigkeit mit den Begriffen der »kindlichen« und »knechtischen« Furcht nicht beschreiben. Vor Oberen, die selbst keine Furcht hatten bzw. die falsche: die selbst feige waren oder leichtsinnig, brauchten sich nicht allein äußere Feinde, sondern auch die Untertanen gar nicht mehr zu fürchten, weder servil noch filial. Dies war es, was die Untertanen in eine Gefahr brachte, in der ihre Furcht als eine begründete und »natürliche« Reaktion erscheinen musste. »Knechtisch« (vor Gott), dies brauchte Braun gar nicht auszuführen, wurde diese Furcht dann erst dort, wo sie das Vertrauen auf göttlichen Beistand im Leiden vermissen ließ: das Wissen, dass die leidbringende Obrigkeit als Bußaufforderung an die Betroffenen fungierte. Vor diesem Hintergrund kritisierte der Pfarrer nicht deren politische Struktur, sondern ihre mangelnde Gottesfurcht, nicht die Institution, sondern deren personelle Besetzung; er zielte nicht auf eine Revolution der politischen, sondern auf die Restitution der religiös-moralischen Ordnung: auf die Erfüllung der Norm. Die hier skizzierte Sanktion schien selbst die Bedingung dafür, dass sie verhängt werden musste; sie bewirkte, was sie sanktionierte. Die Untertanen wurden für ihre Sünden gestraft, indem ihnen kein Einhalt geboten wurde: indem ungestraft gesündigt werden konnte; und das ließ sie so strafwürdig erscheinen. Die Sünde des Menschen hatte keinen Anfang und kein Ende. Für Braun brachte die Gottlosigkeit der Obrigkeiten gottlose Untertanen hervor und hatte in ihnen zugleich ihren Grund. Der Krieg ernährte den Krieg, auch im religiös-moralischen und im geschichtstheologischen Sinne: »Aus Furcht vor den Feinden, die alles mit Schrecken erfüllten, verbargen sich viele wohlhabende Leute aus dem Adelsstand und der Bürgerschaft in Kulmbach, fern von ihren Häusern und in Schrecken versetzt durch eine noch nicht dagewesene Grausamkeit der Feinde, die sie gegen Sterbliche beiderlei Geschlechts verübten. Niemand fand angesichts der zahlreichen Überfälle der Feinde außerhalb der Stadtmauern einen hinreichend sicheren Ort, am wenigsten die Diener der Kirche, denen sie vor allen anderen nachzustellen schienen wie die Spürhunde. Daher lösten sich sehr viele Kirchengemeinden in der Markgrafschaft auf, weil ihre Pfarrer sie verlassen hatten; da der Unterricht im Katechismus unterblieb, kam die Jugend vom Pfad der Frömmigkeit und der ehrbaren Sitten ab, wie verwilderte und ungezügelte Pferde; sie wälzte sich in allen Lastern, voller Undank gegen Gott und die Eltern, versunken in bisher unbekannten Freveln. Daher entbrannte der Zorn der göttlichen Macht täglich mehr über uns, und
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das Elend des Krieges schien zuzunehmen. Denn die ungeheuerlichen Frevel der Sterblichen pflegen den Zorn Gottes zu steigern und das Land zu verwüsten, was unser Deutschland schon lange durch sein Exempel beweist.«362
Die Furcht vor dem Feind schuf am Ende neue Furcht vor dem Feind. Das, was als göttliche Strafe erschien, (re)produzierte, was es zu strafen unternahm. Dieses Prinzip fand seine äußerste Zuspitzung bei jenen Instanzen, deren Aufgabe das Gute war und nicht das Böse: Strafe zu verhängen und nicht selbst Strafe zu sein. Dies waren zunächst die Autoritäten – doch nicht ausschließlich: Im Konzept des miles christianus verlor die Grenze zwischen Oben und Unten an einem entscheidenden Punkt ihre Kontur. Heilsgeschichtlich betrachtet, verlief sie nicht zwischen den Ständen, sondern innerhalb eines jeden einzelnen Christen. Im vorliegenden Zusammenhang heißt das: Zu den göttlichen Exekutionsorganen gehörte nicht allein eine gute Obrigkeit, sondern auch der gottesfürchtige Soldat, allgemeiner : der Christ in ihren Diensten. Und für alle galt: Christen konnten sie nur sein als »Sünder«. Gott allein war gut, ohne selbst auch böse zu sein, er konstituierte sich, indem er das Böse trennte vom Guten, um es überwinden zu können. Dieser Gott bediente sich der Sünde, um ihr Gegenteil zu verwirklichen. In seinem Angesicht waren Autoritäten und (christliche) Soldaten stets Bestrafte und Strafende zugleich; sie vollstreckten die göttliche Sanktion, gerade auch indem sie selbst sie verdienten. Dass eine von Gott legitimierte Obrigkeit das Übel brachte, zu dessen Bekämpfung sie eingesetzt war, stellte weder ihre politische Legitimität noch die Gerechtigkeit Gottes in Frage;363 denn der Schöpfer stand nicht am Ende der Begründungen, sondern an ihrem Anfang. Die scheinbare Verkehrung von Gut und Böse in dieser Welt verdankte sich einem Fehler der Menschen und nicht dem ihres himmlischen Herrn: der Unfähigkeit, Gott zu erkennen als den, der den Gegensatz überwand und nicht schuf. Dieser Befund stellte Gott nicht in Frage, sondern verkündete seine Herrlichkeit; er hinterfragte den Menschen, wie Gott ihn geschaffen hatte, um seine Göttlichkeit zu erweisen. Der Befund formuliert das Apriori der Sünde; die Kritik, die er übte, rief nach Buße und Umkehr und nicht nach politischer 362 Ders., Ephemerides, S. 119: »Opulentiores ex equestri ordine et civibus metu hostium cuncta sui terrore complentium Culmbachi latitare procul penatibus territi hostium inaudita crudelitate, quam in utriusque sexus mortales exercebant. Nulli extra muros fida satis statio ob crebras hostium irruptiones, Ecclesiæ ministris inprimis, quibus ante omnes insidiari videbantur, veluti prædæ canes. Hinc plurimæ marchionatus Ecclesiæ pastoribus suis destitutæ dissipabantur, juventus catechetica institutione intermissa pietatis morumque honestorum tramite devia degeneris equi et effrenis instar omnibus se vitiis involutabat, in Deum et genitores ingrata, inauditis sceleribus cooperta. Hinc magis quotidie Numinis ira in nos exardescere, et belli calamitates augeri videbantur. Solent enim enormia mortalium scelera plerumque Dei justi judicis accelerare iram et regioni vestitatem inducere, quod nostra Germania jam diu suo testatum facit exemplo.« 363 Näheres zur Problematik der Theodizee unten in Kap. 5.2.
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Neugestaltung. Bei aller Hierarchisierung: Untere und Obere trafen sich dort, wo eine sträfliche Gottlosigkeit der Obrigkeit die Gottlosigkeit der Untertanen strafte, dort, wo Gott sich der Furcht der Oberen bediente, um die Unteren in Furcht zu versetzen – und damit zur Gottesfurcht zu rufen. Sie trafen sich im Guten wie im Schlechten, in ihrer Nähe und Ferne zu Gott, in ihrer Furchtlosigkeit und in ihrer Furcht.
3.6. Die »Angst« des Herrschers und der Märtyrerin: Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien Im Vorangehenden manifestierte sich die Kritikwürdigkeit der Oberen in einer Furchtlosigkeit, die nicht als Tapferkeit erschien, sondern als eigennütziger und indolenter Leichtsinn, und in einer Furcht, die nicht Gott fürchtete, sondern feige den Feind. In beiden Fällen geriet eine Gewissenlosigkeit des Herrschers ins Visier der Kritik, die über die Spannung von Furcht und Furchtlosigkeit beschreibbar wurde. Bei Johannes Braun wurde sie von Gott sanktioniert und nicht von den Untertanen. Die Gottlosigkeit des Markgrafen, wie der Verfasser sie beklagt, empörte zwar manche Kulmbacher, ließ sie jedoch nicht zu den Waffen greifen; denn Christian von Brandenburg-Bayreuth mochte zwar seine Schutzpflicht vernachlässigt haben, doch versetzte er seine Landeskinder nicht unmittelbar in Angst und Schrecken. Einem Fürsten, der dies tat, dagegen, so gaben die politischen Theoretiker zu Bedenken, vergalten es die Betroffenen mitunter selbst; sie hatte er dann seinerseits zu fürchten. Ein Recht dazu konnte, wer dachte wie Hobbes, den Untertanen zwar nicht einräumen; doch gänzlich immun war auch ein Leviathan deswegen nicht. Wer sich illegitimer Machtausübung entgegenstellen oder entziehen wollte, dem blieb, wie oben erwähnt, noch immer das Martyrium. Auch dieser Schritt vermochte den Herrscher in Furcht vor den Beherrschten zu versetzen: vor denen, die er zu Märtyrern gemacht hatte und die ihm die Augen öffneten für die Verwerflichkeit seiner Herrschaft: die ihn affizierten mit der Angst seines Gewissens, mit der Furcht vor der göttlichen Gewalt, die seine Vergehen sanktioniert. Diese Möglichkeit wird in besonderer Weise in literarischen Texten thematisiert, vor allem in den Dramen des Andreas Gryphius. Sie präsentieren eine herrscherliche Selbstbeschreibung, in der die von den Kritikern zugeschriebene Gewissenlosigkeit zur selbst eingestandenen wird: zur Gewissensfurcht – zu einer Furcht, die bevorzugt als »Angst« gefasst wurde. Diese Dramen zeigen die praktische Funktionsweise und die Vielschichtigkeit einer Furcht- und Angstsemantik, die in Theologie und Philosophie komplexitätsreduziert vorgestellt wurde. Wenn also im Folgenden der Ausgriff auf die »Literatur« unternommen
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wird, soll damit keine Motivgeschichte geschrieben werden; es ist nicht zu untersuchen, wie Furcht und Angst in der Literatur des 17. Jahrhunderts thematisiert werden – um diese dann womöglich mit anderen Diskursen zu vergleichen oder auch eine »literarische Angst« mit einer »im Leben erfahrenen« zu konfrontieren.364 Literarische Texte werden einbezogen, weil die inhärenten Paradoxien und Aporien der Semantik dort, wo sie in die dramatische Handlung überführt sind, vielfach anschaulicher werden als in der theologischen und philosophischen Reflexion. Dass dabei vornehmlich der Dichter »herber Angst« in den Blick gerät, bedarf keiner umständlichen Rechtfertigung;365 und wer aus seinem Werk die Catharina von Georgien herausgreift, kann darauf verweisen, dass dieser Text grundlegend durch die komplexen Relationen von Furcht und Furchtlosigkeit strukturiert ist. Das Drama ist mehrfach exemplarisch, weil es die Semantik der Furcht im 17. Jahrhundert anhand eines Problems erschließt, für das Angst und deren Überwindung konstitutiv waren: anhand des Martyriums, das die Standhaften auf dem Scheiterhaufen ebenso erlitten wie im Alltag »geistlicher Ritterschaft«.366
364 Wie bei Richard Alewyn, Die Literarische Angst, in: Aspekte der Angst. Starnberger Gespräch, hg. v. Hoimar von Ditfurth, Stuttgart 1964, S. 24 – 43, zit. 25. Für Alewyn ist das »Aufkommen der Literarischen Angst […] ein Indiz dafür, daß sich die Angst aus dem Leben zu verflüchtigen beginnt.« Sie erscheint damit als ein spezifisch modernes »Surrogat« (S. 36) und wird denn von Alewyn auch ausschließlich in der Literatur seit dem späten 18. Jahrhundert nachgewiesen. 365 Die besondere Bedeutung der Angst nicht allein für Gryphius’ Werk, sondern auch für sein Leben, war bereits den Zeitgenossen nicht entgangen, wie etwa Gryphius’ Leichenprediger e vermerkt: Sigmund Pirscher, Epigramma beati Gryphii i. e. Letztes Ehren=Gedachtniß e aus dem Spruch Ps. 71. v. 20.21. Du lassest mich erfahren viel und grosse Angst etc. Auff e dem ansehnlichen und volckreichen Leichbegangniß des weiland Edlen/ Groß=Achtbahe ren und Hoch=Gelahrten Hn. Andreæ Gryphii, Des Furstenthums Groß=Glogau wolmee ritirten Syndici & c. Welcher Abends umb 5. Uhr/ den 16. Jul. in Confessa der loblichen e Herren Lands=Standen/ gantz unverhofft und geschwinde durch einen Schlag=Fluß/ mit dem Namen JEsu/ sein Leben selig beschlossen/ ætatis 48. Jahr/ weniger 11. Wochen. In einer Leich=Predigt gezeiget …, o. O. 1665 (angehängt an Andreas Gryphius, Dissertationes Funebres, Oder Leich=Abdanckungen/ Bey unterschiedlichen hoch= und ansehne e lichen Leich=Begangnussen gehalten, Leipzig 1667). Vgl. dazu nur Hans-Jürgen Schings, Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funebres und Trauerspielen, Köln / Graz 1966 (Kölner Germanistische Studien 2), S. 254. 366 Grundlegend zu Martyrium und Leidensbereitschaft in der Frühen Neuzeit: Burschel, Sterben und Unsterblichkeit; ders., »Schöne Passionen«. Zur Konfessionalisierung des Leidens in der Frühen Neuzeit, in: Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500 – 1800), hg. v. Kaspar von Greyerz / Kim Siebenhüner, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 215), S. 249 – 264; ders., Männliche Tode – weibliche Tode. Zur Anthropologie des Martyriums in der frühen Neuzeit, in: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte 50 (1999), S. 75 – 97; Brad Stephan Gregory, Salvation at Stake: Christian Martyrdom in Early Modern Europe, London u. a. 1999; Ann
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Catharina von Georgien ist ein Drama der Angst. Furcht und Angst bestimmen die Entwicklung der beiden Protagonisten des Stücks: der Märtyrerin Catharina, Königin von Georgien, und die ihres Gegenspielers, Chach Abas’ von Persien, des Tyrannen, der sie zur Märtyrerin macht. Und sie bestimmen diese beiden Entwicklungen nicht nur jeweils für sich, sondern zudem in deren komplementärer Wechselbezüglichkeit. Angesichts dessen beschreiben die »Furcht« und die »Angst« des Dramas nicht allein Handlungsverläufe in diesseitiger Zeit, sondern auch die komplexe Struktur ihrer Konzepte, die nicht zu verstehen sind ohne eine göttliche Providenz, in der Anfang und Ende stets aufeinander verweisen. Dort, wo die literaturwissenschaftliche und kulturhistorische Forschung der Angst in der Catharina von Georgien nähere Aufmerksamkeit geschenkt hat, hat sie in erster Linie deren theologische Hintergründe und Bedeutungsgehalte aufgespürt,367 ihren Platz in der Geschichte der politischen Theorie diskutiert368 und nach der historisch-anthropologischen Funktion ihrer Dramatisierung für eine kollektive Angstbewältigung gefragt.369 Die folgenden Überlegungen knüpfen an diese Diskussionen an, gehen dabei jedoch einen anderen Weg. Sie historisieren die Angst des Dramas, indem sie sie zwar ebenfalls in der theologischen und politiktheoretischen Auseinandersetzung über Angst verorten, diese Rede jedoch nicht als Reflex einer Angsterfahrung jenseits des Textes verstehen. Die Angst im Drama erklärt keine »reale« Angst und sie erklärt sich ihrerseits nicht aus einer derartigen »Realität«. Vielmehr ist zu fragen, was »Angst« im Drama und für das Drama bedeutet. Dies erfordert eine Kontextualisierung des literarischen Textes, die nicht auf vergangene ErfahrungserThompson, The Art of Suffering and the Impact of Seventeenth-Century Anti-Providential Thought, Aldershot / Burlington 2003. 367 Schings, Tradition, S. 254 – 264; Hans Feger, Zeit und Angst. Gryphius’ Catharina von Georgien und die Weltbejahung bei Luther, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Gedenkschrift für Gerhard Spellerberg (1937 – 1996), hg. v. dems., Amsterdam / Atlanta 1997 (Chloe. Beihefte zum Daphnis 27), S. 71 – 100; Thomas Borgstedt, Angst, Irrtum und Reue in der Märtyrertragödie. Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien vor dem Hintergrund von Vondels Maeghden und Corneilles Polyeucte Martyr, in: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 28/4 (1999), S. 563 – 594. 368 Borgards, Märtyrertum/Herrschaft. 369 Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, Kap. 3, insbes. S. 91 ff., 113 f.; ders., Gryphius’ ›Catharina von Georgien‹ historisch-anthropologisch, in: Wahrnehmen und Handeln. Perspektiven einer Literaturanthropologie, hg. v. Wolfgang Braungart / Klaus Ridder / Friedmar Apel, Bielefeld 2004 (Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaft 20), S. 131 – 154, insbes. 132 – 134, 151 f. Katja Malsch interpretiert Catharinas Angstüberwindung in der Todesbereitschaft aus moderner subjektivitätstheoretischer Perspektive: als Selbstopfer zur »Subjektkonstitution, Selbstbehauptung und Selbstbewahrung«, und so schreibt sie deren Darstellung eine erbauliche und identitätsstiftende Funktion zu: Katja Malsch, Literatur und Selbstopfer. Historisch-systematische Studien zu Gryphius, Lessing, Gotthelf, Storm, Kaiser und Schnitzler, Würzburg 2007 (Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft 607), S. 61 – 74, zit. 72.
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eignisse rekurriert, sondern auf die kulturellen Definitionen von Furcht und Angst, und das heißt: auf das historische Wissen von ihren Ursachen und Wirkungsweisen sowie auf die implizierten Bewertungen. Auch dafür ist es unerlässlich, kurz den Handlungsverlauf vor Augen zu führen. Nachdem sich die christliche Königin Catharina von Georgien der militärischen Überlegenheit des benachbarten Herrschers hat ergeben müssen, wird sie von Chach Abas mehrere Jahre lang in den Kerkern des persischen Hofes gefangen gesetzt; denn der Sieger ist seinem Opfer in Liebe zugetan, ohne dass Catharina die Zuneigung erwidert. Nachdem eine zunächst erfolgversprechende Intervention des russischen Zaren gescheitert ist, lässt Abas seiner Gefangenen e zwei Möglichkeiten: ihren Peiniger zu heiraten oder zu sterben: »Wol Furstin du bist frey. Nu wehle: Lust vnd Noth. jj Diß schlegt dir Abas vor: sein Ehbett oder Tod.«370 Catharina entzieht sich der speziellen »Freyheit«, sich zwischen körperlicher und seelischer Unfreiheit zu entscheiden; um ihren christlichen Glauben nicht zu verraten, wählt sie nicht, was der Tyrann, sondern was das Drama will.371 Catharina endet, wie es der Anfang in emblematischem Traumbild verkündet: Sie wird gefoltert und stirbt den Tod durch Verbrennen.372 So erreicht die Todesdrohung des Chach das Gegenteil dessen, was sie zu erreichen sucht. Als Abas dies erkennt und das Urteil widerruft, ist es zu spät, Fürst Imanculi hat den Hinrichtungsbefehl bereits ausgeführt. Doch die Verstorbene kehrt noch einmal zurück. Als Schreckensvision des Tyrannen vollstreckt sie an ihm, was er an ihr vollstreckt hat. Ihr Bild wird zur Verheißung göttlicher Strafe: des Verlustes der irdischen Herrschaft und eines Todes nach »grauser Seuchen Angst«.373 Den Vollzug dieser Strafe führt die Erzählung nicht mehr vor. Ihr »ENDE« entlässt den reuigen Tyrannen in die eigentlich schlimme Zukunft, die er sich selbst bereitet und in der sich der Grundwiderspruch der ganzen Person kristallisiert – ein Widerspruch, der sich, entgegen dem ersten Anschein und anders als Thomas Borgstedt meint, keinesfalls aus dem paradoxen Gebot christlicher Feindesliebe erklärt:374 370 Andreas Gryphius, Catharina von Georgien. Trauerspiel, hg. v. Alois Maria Haas. Bibliographisch ergänzte Ausg., Stuttgart 1995 [1975], III, 407 f. Abas selbst sieht sich durch e e das »Verhangnuß« gezwungen, Catharina vor diese »freye« Wahl zu stellen (410); vgl. auch III, 460: »es muß doch endlich seyn«. 371 So bringt sie Abas dazu, sich selbst zu widersprechen: II, 269 – 272: »Schaw an die Seelen Angst! wo sind wir hin verdrungen? jj Wir sind durch eignen Mund zu diser That gezwungen jj Die vnser Geist verflucht! er macht vnd bricht den Schluß. jj Er thut nicht was er wil; vnd wil nicht was er muß.« 372 Näheres zur Bedeutung des divinatorischen Traums unten in Kap. 6.3. 373 Gryphius, Catharina von Georgien, V, 440. 374 Borgstedt, Angst, S. 592. Borgstedt ist allerdings zuzustimmen im Hinblick auf die besondere Bedeutung der beiden Schlussverse, denen die ursprüngliche Druckfassung – anders als die meisten Gryphius-Ausgaben – durch größere Lettern zusätzlichen Nachdruck verliehen hatte (S. 591).
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»Laß auff dem Brand Altar/ dem Schauplatz deiner Pein Zu lindern deinen Grimm vns selbst ein Opffer seyn/ e Doch ist wol herber Rach’ vnd die mehr kann betruben e Als dass Wir/ Feindin/ dich auch Tod stets mussen liben.«375
Es ist die »grausige« Angst des Tyrannen, die zunächst das Augenmerk der Forschung auf sich gezogen hat. Erika Geisenhof hat sie als »Gewissensangst« und »Höllenangst« identifiziert und aus ihren zeitgenössischen theologischen und affektologischen Voraussetzungen erklärt.376 In der Folge, beginnend mit den einflussreichen Studien von Hans-Jürgen Schings, war es dann vornehmlich die Angst der Märtyrerin, die die wissenschaftliche Neugier erregte und jene ihres reuigen Peinigers in den Hintergrund treten ließ.377 Im Gegensatz zu derartigen Alternativsetzungen soll im Folgenden gezeigt werden, dass sich die Angst der einen Figur aus der der anderen erklärt; beide bedingen sich wechselseitig, und dies in vielschichtiger Weise. Dabei wird jene begriffliche Differenzierung virulent, die einschlägigen Untersuchungen vielfach als eine definitorische vorangestellt wird, hier jedoch selbst historisiert werden soll. Bei der Lektüre des Gryph’schen Dramas springt die Omnipräsenz des Begriffs der »Angst« ins Auge und ihre Dominanz über die »Furcht«. Dies ist nicht einer zufälligen synonymen Verwendungsweise geschuldet. Wer die übrigen Werke des Dichters hinzuzieht, erkennt semantische Unterschiede zwischen Furcht und Angst, und er sieht, dass diese nicht den modernen entsprechen. Seit Kierkegaard, Heidegger und Sartre lässt sich eine objektbezogene Furcht von einer »existentiellen« Angst trennen. Im 17. Jahrhundert dagegen wurden »Furcht« und »Angst« nicht danach unterschieden, ob sie sich auf einen Gegenstand richteten oder nicht. »Angst«, vielmehr, beschrieb die spezifische Räumlichkeit des affektuellen Erlebens und »Furcht« dessen imaginative Komponente. »Die Furcht«, definierte Schottelius, »ist eine Angst e oder angstliche Bewegung des Hertzen[s]/ wegen eines [zu] erwartenden Unheils oder Widerwertigkeit.«378 Beide Begriffe bezeichneten verschiedene Dimensionen ein und desselben Zustandes, und das heißt: Sie wurden einerseits unterschieden, schlossen sich jedoch andererseits nicht aus (und konnten daher durchaus synonym gebraucht werden). Bei Gryphius wird diese Räumlichkeit besonders ersichtlich, insofern er sie selbst thematisch werden lässt. Von »Angst« ist die Rede, wo ihre Affektivität zum Raumproblem wird. Über ihre 375 Gryphius, Catharina von Georgien, V, 445 – 449. 376 Erika Geisenhof, Die Darstellung der Leidenschaften in den Trauerspielen des Andreas Gryphius, Diss. Heidelberg 1957, S. 221 – 266. 377 Schings, Tradition, S. 254 f. 378 Schottelius, Ethica, S. 218. Der Verfasser ergänzt selbst seine lateinische Version: »Timor est appetits perturbatio seu affectus, quo cor constringitur, tanquam fugiens futurum malum. Timor est animi demissio anxia propter exspectationem futuri mali.«
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vielschichtige Räumlichkeit wird sowohl ihre Semantik als auch die Struktur des Dramas genauer beschreibbar. Die buchstäbliche »Enge« der »Angst« erklärte sich noch im 17. Jahrhundert zunächst aus der mit ihrem Affekt verbundenen Bedrängnis und »Bangigkeit« des Herzens (und so sprechen die lateinischen Texte hier von »angustiae«).379 Die furchtsame Imagination, wie Ärzte und Naturkundige wussten, zog Säfte und Lebensgeister aus Gliedern und Extremitäten hin zum Herzen und vermochte damit nicht allein symptomatisches Zittern und Erblassen zu bewirken, sondern auch ein mitunter pathogenes und oder gar tödliches Druckempfinden an dem Ort, an dem sie zusammenkamen.380 Die Etymologie verweist auf einen Zusammenhang, der nicht als metaphorischer, sondern als ein ganz körperlicher aufgefasst wurde. Das Wissen der zeitgenössischen Affektologie findet auch in Catharina von Georgien, wie im Gryph’schen Werk insgesamt, seinen Niederschlag.381 379 Art. »Angst«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 2, Sp. 301 – 304, hier 301 (allgemein) und 304 (medizinisch); Günther Christoph Schelhammer / Johann Jacob Wuttich, Dissertatio medica inavgvralis De Anxietate Præcordiali, Jena 1694, S. 4, 13. Bei Pirscher, Epigramma, S. 30, entsteht die angstvolle Enge des Herzens zudem nicht allein durch Bedrängnis von außen, sondern auch von innen. Er beschreibt das Herz als ein Gefäß, das gefüllt sein konnte mit (den Tränen der) Angst. Vgl. auch S. 5 und 64, für den Begriff »angustiæ« S. 29 f.; ferner Reitz, Historie, Teil IV, S. 118. – Zur Etymologie siehe auch das Lemma »Angst«, in: Jacob Grimm / Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854 ff., Bd. 1, Sp. 358 – 361, hier 358, mit Verweis auf Luthers Satz: »Angst im ebraischen lautet als das enge ist, wie ich achte, das im deudschen auch angst daher komme, das enge sei, darin einem bange und wehe wird und gleich beklemmet, gedruckt und gepresset wird, wie denn die anfechtungen und unglück thun, nach dem sprichwort, es war mir die weite welt zu enge.« Siehe außerdem Lepenies, Angst, S. 50; Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 168 f. 380 Dazu Michael Stolberg, »Zorn, Wein und Weiber verderben unsere Leiber«. Affekt und Krankheit in der Frühen Neuzeit, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2, S. 1051 – 1077, hier 1060 – 1076, insbes. 1060 f. und 1072. Zur Kulturgeschichte des körperlichen Zentrums der »Angst«, des Herzens, vgl. Barbara Duden, Anmerkungen zur Kulturgeschichte des Herzens, in: Von der Auffälligkeit des Leibes, hg. v. Farideh Akashe-Böhme, Frankfurt a.M. 1995, S. 130 – 145; kritisch dazu Stolberg, Affekt und Krankheit, S. 1065. Außerdem: Fay Bound Alberti, Matters of the Heart: History, Medicine, and Emotion, Oxford 2010; dies., The Emotional Heart: Mind, Body and Soul, in: The Heart, hg. v. James Peto, London 2007, S. 125 – 142; Ole Martin Høystad, Kulturgeschichte des Herzens. Von der Antike bis zur Gegenwart, Köln / Weimar / Wien 2006; Das Herz im Kulturvergleich, hg. v. Georg Berkemer / Guido Rappe, Berlin 1996 (Lynkeus 3); Heinrich Schipperges, Die Welt des Herzens – Sinnbild, Organ, Mitte des Menschen, Frankfurt a.M. 1989; Wolfgang U. Eckart, »Mitten ins Herz getroffen« – Herz und Gewalt, in: Herz – Das menschliche Herz – Der herzliche Mensch. Begleitbuch zur Ausstellung »Herz«, hg. v. Susanne Hahn, Dresden 1995, S. 49 – 68; auch Ulinka Rublack, Erzählungen vom Geblüt und Herzen. Zu einer Historischen Anthropologie des frühneuzeitlichen Körpers, in: Historische Anthropologie 9/2 (2001), S. 214 – 232. Näheres zur pathogenen Wirkung furchtbesetzter Imagination unten in Kap. 4. e 381 Vgl. Gryphius, Catharina von Georgien, II, 258: »die raue Qual durch Angst besturmter
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Der Raum der »Angst« erhielt zusätzliche Dimensionen, wo ihre Gegenstände religiöse Relevanz besaßen. Wer nicht »physische«, sondern »moralische« Gefahren fürchtete, nicht »eusserliche«, sondern »jnnerliche«: die Sünde und das eigene Vergehen, dessen »Angst« beschrieb neben der Bedrängnis des Herzens auch die Enge des Gewissens, das wusste um die drohende Enge der Hölle.382 So stellt noch Zedlers Universal Lexicon unter eigenem Lemma als Formen der »Angst« vornehmlich jene des Todes und der conscientia vor: die Angst vor Gottes Gericht, die ihre Stellvertretung in der Kreuzesangst Christi gefunden hatte.383 Insbesondere sie kommen im Gryph’schen Drama zur Darstellung. Sie sind nicht »objektlos«384 und sie verweisen nicht auf eine »existentielle Befindlichkeit«,385 weder bei Catharina noch bei Chach Abas; sie richten sich vielmehr auf spezifische Gegenstände. Sie fürchten, und das heißt: sie imaginieren, Hölle, Tod und Teufel. In »Angst«, so scheint es hier, setzte der Körper die Seele gefangen.386 Dies schlägt den Bogen zu einer weiteren Konnotation des Begriffs: So entstand »Angst« auch dann, wenn der Körper selbst im Kerker saß, wie es Catharina von Georgien widerfährt. Diese Angst der Gefangenschaft ist nicht allein die Furcht vor Folter und Tod, sondern auch die beklemmende Enge des Verlieses. In ihr wiederum ist es dann nur ein kleiner, wenn auch allein im Stande der Gnade zu bewerkstelligender Schritt, die Welt insgesamt als »Kerker« zu erkennen: als »Angsthaus«,387 als »Folter-Sal« und »Thränenthal«,388 als ein Gefängnis, dessen e
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Hertzen«; III, 34 f.: »in den rauen Schrancken jj Der vnerschopfften Angst«; III, 53 f.: e »Durch Abriß diser Angst/ die euren Geist beschweret jj Vnd euren Corper band«; IV, 152 f.: »als wir frey als die noch zarte Brust jj Nicht durch die Angst versehrt«; IV, 275 f.: »Der e frische Geist rufft nach dem Tod jj Beherzt der angsten Angst zu tragen!« De l’Espine, Gewissen, S. 287 f. Art. »Angst«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 301 – 304. Pirscher, Epigramma, S. 29 – 33, unterscheidet Gewissensangst, Todesangst, Höllenangst und Geburtsangst. Zu letzterer siehe unten Kap. 4.3. Alois Maria Haas, Kommentar zu: Gryphius, Catharina von Georgien, hg. v. dems., S. 25 (in Bezug auf Catharina). Oder gar – in Anlehnung an Heidegger – auf eine »Daseinsangst«, wie für Borgstedt, Angst, S. 576 und 588, auch 579; vgl. auch Hans-Jürgen Schings, Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit, in: Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen, hg. v. Gerhard Kaiser, Stuttgart 1968, S. 35 – 72, hier 61 f. Und nur in ihr : Der Protestantismus mochte den Körper nicht derart negativ bewerten wie die platonisch-stoische Tradition, die ihn generell als »Kerker« metaphorisierte. Zu letzterer vgl. Helmut Loos, Catharina von Georgien: unio mystica und virtus heroica – Leitbegriffe einer Interpretation, in: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur 28/ 4 (1999), S. 691 – 727, hier 719. Die protestantische Figur des Körpers als Kerker wurde nicht allein im Falle von Verzweiflung und Selbsttötung virulent, sondern auch bei einer christlichen Todessehnsucht, die den desperaten Akt der Selbstverfügung über das eigene Leben heilstheologisch verwarf. Gryphius, Catharina von Georgien, IV, 59; V, 180. Ders., Catharina von Georgien, IV, 501 und 499.
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besondere Räumlichkeit nicht allein durch die Mauern gegeben war, die es umschlossen, sondern auch durch deren Lage: durch die Tiefen des Verlieses, des Tales der Hölle und der Erden.389 So wurde die »jnner’ Hertzens Angst«390 zur conditio christiana erklärt: zur Grundbefindlichkeit des Christen in der Welt, sie beschrieb die Knechtschaft der Sünde, die Enge der Gefangenschaft im Fleisch – vor (und als Bedingung) der Befreiung in die Weite der Unendlichkeit, vor der Erhebung auf die Höhenzüge göttlicher Gerechtigkeit und Gnade. »In der Welt habt ihr Angst«, heißt es im Johannes-Evangelium (16.33); »aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« Die unterschiedlichen Facetten des Problems wurden von den Theologen ebenso zusammengeführt wie von Affektologen und Moralphilosophen, in Leichenpredigten391 ebenso wie in der Ethica des Justus Georg Schottelius.392 Sie alle wussten: Die Enge der Angst formierte sich in gradueller räumlicher Schachtelung, quasi in konzentrischen Kreisen. Die Wände, die ihr »Inneres« »beängstigten«, erscheinen vierfach gestaffelt. Die Seele saß gefangen zunächst in ihrer Behausung: im Herzen, dann im Körper, der das Herz in sich barg, des weiteren in den Gefängnismauern, die den menschlichen Körper ganz buchstäblich einsperren konnten, und schließlich im Kerker einer Welt, die selbst dort beengte, wo den Einzelnen kein Stein und kein Eisen umgab. Die Einheit der 389 Pirscher, Epigramma, S. 7, 12, 16, 37, 45, 59 f., 64, 67. 390 Gryphius, Catharina von Georgien, I, 537 f. 391 Nur drei Beispiele: Johann Caspar Zopff, Hertzens=Angst Die schwerste Kranckheit/ e e woher sie entspringe/ und wordurch sie zu uberwinden/ Nach den Worten Koniges Davids Psalm. 25. v. 16. seqq. Die Angst meines Hertzens ist groß etc. Bey Christlicher Sepultur/ Des Weiland/ Wohl Ehrenvesten/ Vorachtbarn und Wohlgelahrten/ Herrn M. Georgii Trinckusii …, Gera 1673, S. 9 – 12; Georg Hacke, Angst=Presse/ unter welcher/ Die Weyland= Edle/ Groß= Ehr= und/ Tugendreiche Frau/ Anna Maria Graven/ Herr Henrici e e Borries/ hiesiger Stadt Minden wolverdienten Regierenden Burgermeisters/ vormals e Hertzgelibte Hauß=Ehr/ Durch vorher=gehende hafftige Krankheit zwar schmerzlich e e e gedrukket/ doch aber nicht unterdrukket/ sondern durch eine sanft=selige Auflosung/ am e 18. Augusti dieses noch lauffenden 1661 Jahrs/ Abends zwischen 9 und 10 Uhr/ gnadig auß=genommen/ und in den Himmlischen Freuden=Keller/ der Seelen nach/ eingebracht wurd …, Rinteln 1661; Paul Röber, Dreyerlei gar vnterschiedliche Angstkelche/ Welcher e e einen Christus vnser Erloser/ den andern die Glaubigen/ den dritten die Gottlosen ause trincken mussen/ 1. Ein Opfer=Kelch/ 2. Artzney=Kelch/ 3. Hefen= vnd Straf=Kelch. Bey e Christlicher Leichen Solennitet Des Ehrwurdigen/ Vorachtbarn vnd Hochgelarten Herren M. Jeremiæ Spiegels/ Wolverdienten Probsten vnd Superintendenten zu Kemberg/ zuvor aber Professoris Eloquentiæ zu Wittenberg/ Welcher im Jahr Christi 1637. d. 15. Septemb. e selig in den Armen seines Erlosers eingeschlaffen …, Wittenberg 1639. Röber führt die Höllen-Ängste des Erlösers, der Erlösten und der Verdammten zusammen – als Opfer, als Strafe und als Bedingung der Rettung (Bl. C 3r – G 1r); und er fasst sie in eigener Weise in räumlichen Kategorien: in »Kelchen«. 392 Schottelius, Ethica, S. 108 f. und 218, mit Bezug auf 2 Kor 6.11 – 12: »O ihr Korinther, unser Mund hat sich zu euch aufgetan, unser Herz ist weit geworden. Ihr habt nicht engen Raum in uns; aber eng ist’s in euren Herzen.«
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Bedrängnisse konstituierte sich, ganz körperlich, im Heilsstand des Menschen. Die Räumlichkeit und die Körperlichkeit der »Angst der Welt«393 verweisen auf deren religiös-moralische »Objekte« ebenso wie auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Furcht vor körperlicher Gefahr. Ihre Gegenstände bedrohten am Ende nicht den Körper, sondern die Seele, die sich in seinem »Innen«-Raum befand und für die dieser aus einer schützenden Herberge zum Gefängnis geworden war. »Angst« empfand die Seele und nicht der Körper ; derart »beengt« sein konnte sie jedoch nur, weil sie selbst als körperlich und räumlich konzipiert wurde. Synonyme fand der Begriff der »Angst« daher nicht allein in der »Furcht«, sondern auch im semantischen Fundus von vanitas und contemptus mundi: in der »Folter Menschliches Lebens«,394 in Leid und »Thränen«,395 in Not, Pein und schweren Plagen.396 Wer sie litt, wusste um die Vergänglichkeit und Gebrechlichkeit einer eitlen und nichtigen Welt – und sehnte sich nach dem Tod, der allein die Tore öffnete und die bedrückte Seele aus ihren Verliesen befreite.397 All das heißt, um es anders zu wenden: Die Räumlichkeit der »Angst« erweist deren körperliche Dimension und ihre religiös-moralische zugleich. Diese »Angst«, als conditio christiana, hat mit der objektlos-existentiellen Angst, wie sie die Philosophen der Moderne konzipiert haben, am Ende lediglich den Namen gemein. Bei Kierkegaard entsteht Angst aus dem Wissen um die eigene Freiheit und Möglichkeit zur Sünde, bei Heidegger und Sartre aus dem Bewusstsein von der Möglichkeit des Scheiterns: von der Notwendigkeit des Handelns in einer an und für sich sinnlosen und kontingenten Welt. Angst wird dort zur existentiellen Seinsbefindlichkeit einer aus religiöser Providenz gelösten Historizität.398 Voraussetzung nicht erst der Existenzialphilosophie, sondern bereits der Kierkegaard’schen Religionsphilosophie und Theologie sind e
393 Andreas Gryphius, Grabschrifft Marianæ Gryphiæ seines Brudern Pauli Tochterlein, in: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, hg. v. Marian Szyrocki / Hugh Powell, Tübingen 1963 ff. (Neudrucke Deutscher Literaturwerke, N.F. 9 ff.), Bd. 2: Oden und Epigramme, hg. v. Marian Szyrocki, S. 209, Vers 6 – 9: »Ich habe dise Welt beschawt und bald gesegnet: jj Weil mir auff einen Tag all Angst der Welt begegnet. jj Wo ihr die Tage zehlt; so e bin ich jung verschwunden/ jj Sehr alt; wo fern ihr schatzt/ was ich für Angst empfunden.« Zu dieser Grabschrift auch unten Kap. 5.4. 394 Andreas Gryphius, Folter Menschliches Lebens, in: Gesamtausgabe, Bd. 9: Dissertationes funebres oder Leichabdankungen, hg. v. Johann Anselm Steiger, S. 163 – 174. 395 Ders., Catharina von Georgien, II, 360. 396 Lehmann, ›Not, Angst und Pein‹, hat die Formel in der protestantischen Lieddichtung nachgewiesen und kommt dabei zu abweichenden semantischen Zuordnungen: »Not« bezeichne äußerliche Leiden und Schmerzen (das »Kreuz«), »Angst« die Sorge um das Seelenheil und die Furcht vor einem schlechten Tod und »Pein« die Anfechtungen durch den Teufel und den Ausblick auf ewige Qualen der Hölle (S. 308). 397 Vgl. de l’Espine, Gewissen, S. 345, 359. Diesen Tod durfte er freilich nicht selbst herbeiführen. Dazu auch oben Anm. 386. 398 Zu Sartre vgl. Orth, Kultur der Angst, S. 4 f.
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spezifisch moderne Begriffe von Freiheit und Geschichte sowie von Raum und Zeit. Die Angst der philosophischen Moderne scheint temporalisiert, sie entsteht im Bewusstsein einer Offenheit der Geschichte, deren Räumlichkeit, nicht anders als die Enge der Angst, in eine Metapher transformiert ist. Die spezifisch räumlichen Dimensionen der »Angst« im 17. Jahrhundert dagegen entstanden vor dem Hintergrund einer raumzeitlichen, providentiellen Abgeschlossenheit des Kosmos, in dem Zeit selbst räumlich gedacht war : in der jedes künftige, befürchtete Ereignis immer schon seinen Ort hatte.399 Diese Abgeschlossenheit versetzte nicht selbst in Angst (natürlich nicht), aber sie war deren Bedingung. Gott schuf die Räumlichkeit der Welt und die Sünde des Menschen deren Enge; und so schien diese Bedrängnis überwindbar allein in Gott – und das heißt: im Übergang ins ewige Leben. Vor diesem Hintergrund entstand die »Welt=Angst«,400 wie sie vornehmlich von Gryphius literarisiert worden ist, nicht angesichts der Freiheit zur Sünde, sondern der Unfreiheit in ihr, nicht angesichts ihrer Möglichkeit, sondern ihrer anthropologischen Unausweichlichkeit. Aus der Unfreiheit der Sünde, protestantisch gesprochen, befreite allein das Wissen um die Unmöglichkeit der Freiheit. Was bedeutet all dies für die Angst der dramatis personae? Um es vorwegzunehmen: Das Stück entfaltet sich in komplementären Bewegungen der Einengung und Weitung. Die georgische Königin, gefangen zunächst im Kerker des Chach und der Welt, gelangt, schon vor dem Tod, der ihr droht, in die Weiten ewigen Heils. Ihre Befreiung aus der Angst lässt Abas erkennen, dass die Freiheit, 399 Unabhängig davon, ob der kosmische Raum als endlich oder aber, wie etwa bei Isaac Newton, als unendlich vorgestellt wurde. Im Einzelnen zum Aspekt der Räumlichkeit: Andreas Bähr, Träumen von sich. Imaginative Selbstverortung und der Raum der ›Person‹ in Traumerzählungen der europäischen Frühen Neuzeit, in: Räume des Selbst. Selbstzeugnisforschung transkulturell, hg. v. dems. / Peter Burschel / Gabriele Jancke, Köln / Weimar / Wien 2007 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 19), S. 273 – 287, mit weiterführender Literatur; in erweiterter englischsprachiger Fassung: Spaces of Dreaming: SelfConstitution in Early Modern Dream Narratives, in: Space and Self in Early Modern European Cultures, hg. v. David Sabean / Malina Stefanovska, Toronto 2012 (UCLA Clark Memorial Library Series 18), S. 219 – 238. Grundlegend zum Wandel der Raum-Zeit-Relationen: Alexandre Koyré, Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum, Frankfurt a.M. 22008 [New York 1958]; Max Jammer, Das Problem des Raumes. Die Entwicklung der Raumtheorien, Darmstadt 1960; Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, hg. v. Jörg Dünne / Stephan Günzel, Frankfurt a.M. 2006; zu Newton: Kaspar von Greyerz, Alchemie, Hermetismus und Magie. Zur Frage der Kontinuitäten in der wissenschaftlichen Revolution, in: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, hg. v. Hartmut Lehmann / Anne-Charlott Trepp, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), S. 415 – 432, hier 428; Margaret J. Osler, Reconfiguring the World: Nature, God, and Human Understanding from the Middle Ages to Early Modern Europe, Baltimore, MD 2010, S. 161 f. 400 Art. »Angst«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 301.
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die er hatte, hier und jetzt, in die Enge der Hölle führen muss. Sie versetzt ihn in die Angst seines Gewissens: vor dem Tod seiner Seele. Im Einzelnen. Abas beschwert Catharina mit der Angst des Gefängnisses, um sich gefügig zu machen, was er leidenschaftlich liebt. Diese Angst übernimmt im weiteren Verlauf eine doppelte Funktion. Sie entlarvt die tyrannische Ungerechtigkeit des Täters, und sie ist die notwendige Bedingung für den Aufstieg seines Opfers zur Gerechtigkeit. Unabhängig davon, wie schwankend und zu welchem Zeitpunkt genau sich dies im Drama vollzieht:401 Catharina wird zur Märtyrerin (erst) in dem Augenblick, da sie aus der Angst in die Angstfreiheit gelangt. Bedingung ihres Martyriums sind somit ihre Angst und deren Überwindung zugleich. Genauer : In der Beständigkeit (constantia) bilden Angst und die Freiheit von ihr eine spezifische Einheit. Die Angst ist nicht erst nach, sondern bereits mit und in ihr überwunden: Als Angst ist sie immer schon bezwungen. Umgekehrt bedarf die Überwindung damit der Angst, die sie überwinden soll; die Beständigkeit braucht die Angst der Welt, in der sie sich als solche bewähren und ausweisen kann. Dies ist nicht allein der christliche Sinn des Dramas, es ist nicht lediglich eine Infragestellung des stoischen ApathieIdeals, sondern der Verweis auf das spezifisch lutherische Theologem der Verborgenheit Gottes (das zu den neostoischen Einflüssen in keinem Widerspruch steht).402 401 Einen Überblick über die Kontroverse gibt Borgards, Märtyrertum/Herrschaft, S. 83, Anm. 26; vgl. auch Malsch, Literatur und Selbstopfer, S. 68. 402 Zu den Einflüssen der lutherischen theologia crucis vgl. Ferdinand van Ingen, Leiden, Folter, Marter und die literarische Passionsfrömmigkeit in der frühen Neuzeit, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 1, S. 301 – 313, hier 308 f.; ders., Andreas Gryphius’ Catharina von Georgien. Märtyrertheologie und Luthertum, in: Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts, hg. v. Feger, S. 45 – 70. Eine konfessionelle Einzeichnung bestreitet Schings, Catharina von Georgien, S. 61 – 70, insbes. 68 f. Schings betont zu Recht, die Gryph’sche Beständigkeit verweise »die Angst nicht als einen bloß törichten Affekt und Defekt der Vernunft aus ihrem Bannkreis, sondern setzt sie nachgerade voraus« (S. 62, ebenso ders., Tradition, S. 259) (und zwar, so ließe sich ergänzen, nicht lediglich faktisch, wie es natürlich auch in der Stoa der Fall ist, sondern normativ); denn die Angst der Welt resultiert, mit Augustinus, aus der »Gebrechlichkeit menschlichen Daseins« (Tradition, S. 259): aus dem »ersten Verbrechen« der Erbsünde (Catharina von Georgien, S. 62). Dies kann Schings jedoch lediglich damit erklären, dass die stoische constantia auf eine »Hohlform« reduziert und dazu verurteilt worden sei, mit christlichem »Gehalt« gefüllt zu werden (S. 70). Schings’ Interpretation ist noch einmal unterschrieben worden von Peter André Alt, Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, Berlin / New York 2004 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 30), S. 63; ders., Der Tod der Königin. Dekonstruktion weiblicher Herrschaft im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, in: ders., Von der Schönheit zerbrechender Ordnungen. Körper, Politik und Geschlecht in der Literatur des 17. Jahrhunderts, Göttingen 2007, S. 59 – 90, hier 68. – Gegen Schings sieht auch Borgstedt in der Angstsemantik einen Indikator der konfessionell-lutherischen Dimension des Dramas: Borgstedt, Angst, insbes. S. 579 und 588; auch Feger, Zeit und Angst, insbes. S. 73 f., 79, 88. Bei Borgstedt und Feger jedoch gerät
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Das heißt: Weder ist Catharina immer schon frei von Angst, noch verbleibt sie beständig in ihr.403 Entscheidend für das christliche Martyrium, sei es das tödliche des Scheiterhaufens oder die alltägliche Prüfung, sind nicht die Zustände der Angst und der Angstfreiheit, sondern zum einen die Art der Angst – die Angst vor »äußeren« Gefahren wird erträglich im Wissen um den Schutz vor den »inneren«, wie ihn Gott gewährt mit seinem Sohn –, zum anderen ihr Wechsel: das Moment der Umkehr. Aus Angst Befreite sind zuvor in Angst gewesen. Dies klingt tautologisch, ist es aber nicht. Die Befreiung konnte nur unter den Vorzeichen der Jenseitigkeit stattfinden. Dies hat gewissermaßen narratologische Gründe, es bringt jedoch zudem den christlichen Gedanken der conversio404 auf den Punkt: Das christliche Bekenntnis ist immer Um- und Abkehr. Erst das Neue schafft das Alte, das es überwunden zu haben beansprucht, es ist ohne dieses nicht zu haben. Das Bekenntnis ist die Rettung aus einem Zustand, der erst im Rückblick, im Status der Errettung, als solcher erkennbar wird. Catharina gelangt zur Angstfreiheit der christlichen Märtyrerin, als sie den Kerker als Metonymie der Welt erkennt: als sie versteht, dass ihr die Befreiung aus dem entscheidenden Kerker nicht hier und jetzt verheißen ist, sondern im Tod. lediglich Catharinas Angst in den Blick, die Angst des Abas, in die dieser durch Catharinas Angstüberwindung versetzt wird, bleibt unbeachtet; Erwähnung findet bei Borgstedt allein eine »naturgemäße« Angst, Catharina zu verlieren (S. 579), die jedoch von der Angst des reuevollen Gewissens zu unterscheiden ist (vgl. Gryphius, Catharina von Georgien, II, 269). Für Borgards, Märtyrertum/Herrschaft, S. 83 f., resultiert die Angst, die Abas am Ende befällt, allein aus dem Verlust seiner politischen Souveränität. Dazu unten Anm. 421. – Dass lutherische und neostoische Einflüsse keinen Widerspruch darstellen, betont zu Recht Malsch, Literatur und Selbstopfer, S. 68 f. 403 Eine durchgängige Angstfreiheit der Protagonistin sieht Clemens Heselhaus, Andreas Gryphius’ ›Catharina von Georgien‹, in: Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen, hg. v. Benno von Wiese, Bd. 1, Düsseldorf 21960, S. 35 – 60, hier 41. Vgl. dagegen Ludwig Stockinger, Leib, Sprache und Subjekt unter der Folter. Beispiele aus der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts, in: Körper/Sprache. Ausdrucksformen der Leiblichkeit in Kunst und Wissenschaft, hg. v. Angelika Corbineau-Hoffmann / Pascal Nicklas, Hildesheim / Zürich / New York 2002 (Echo. Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog 1), S. 115 – 137, hier 123 – 130, der das dramaturgische Nebeneinander von Catharinas Angst und ihrer Beständigkeit aus den christlichen Konzepten von Körper, Leib, Seele und Geist erklärt, und das heißt: aus deren enger Verbindung. 404 Vgl. dazu Peter von Moos, Einleitung: Persönliche Identität und Identifikation vor der Moderne. Zum Wechselspiel von sozialer Zuschreibung und Selbstbeschreibung, in: Unverwechselbarkeit. Persönliche Identität und Identifikation in der vormodernen Gesellschaft, hg. v. dems., Köln / Weimar / Wien 2004 (Norm und Struktur 23), S. 1 – 42, hier 6; auch Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 108 f.; ders., Gryphius’ ›Catharina von Georgien‹, S. 145 f.; Gerhard Spellerberg, Narratio im Drama oder : Der politische Gehalt eines ›Märtyrerstückes‹. Zur Catharina von Georgien des Andreas Gryphius, in: Wahrheit und Wort. Festschrift für Rolf Tarot zum 65. Geburtstag, hg. v. Gabriela Scherer / Beatrice Wehrli, Bern u. a. 1996, S. 437 – 461, hier 455. Vgl. Gryphius, Catharina von Georgien, I, 405: »Mir ist als wenn ich Neu gebohren«.
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Diese Angstfreiheit entwendet ihrem Peiniger die Mittel seiner Macht. Wo der Tod von der ultimativen Bedrohung zum Ort der Sehnsucht geworden ist, kann, wer mit ihm droht, das Ziel seiner Erpressung nicht mehr erreichen. Doch damit nicht genug: Er erreicht am Ende das Gegenteil. Schon früh kündigt ein Traum es an. In ihm ist die Koinzidenz unmittelbar, und gerade insofern sie, obgleich erläuterungsbedürftig, nicht erläutert wird, ist zwischen der Furchtlosigkeit der Catharina und der Furcht des Abas eine unmittelbare Wirkungsbeziehung zu unterstellen. Nach grausamster Folter und christusgleicher Qual405 erfolgt unversehens die Wende: »Ich fiel gantz von mir selbst. Doch als die Furcht vergangen: Fand ich mich Salome! O mit was Lust! vmbfangen. e e Weit schoner als wenn ich in hochster Zirat ging/ e Weit hoher als da ich Gurgistans Cron empfing. e Mein weisses Kleid schaut ich von Diamanten schuttern e Chach Abas voll von Furcht vor disen Fussen zittern e Ein jeder rieff: Gluck zu! der Die so groß gemacht Biß das Geschrey den Schlaff vns auß den Augen bracht.«406
Catharina überwindet ihre Furcht – ein Ereignis, das in der Tat nur als »Gnadenerfahrung«407 verständlich wird –, und an ihre Stelle tritt die ihres Peinigers. Ihre Furchtlosigkeit erhebt Catharina in einen Stand, der, noch höher als der verlorene, denjenigen in Furcht versetzt, der sie in Furcht versetzt hatte.408 Die bereits hier verheißene imitatio Christi (und unio mystica) deutet auf die besondere Art der Furcht der künftigen Märtyrerin, es ist die Kreuzesangst Jesu: e
e
»Vnd (wie mich dunckt.) ich fuhlt e Daß die besteinte Cron die mich vor disem schmuckte e e e Diß mein geangstet Haupt mehr als gewohnlich druckte/ e Biß mir das klare Blut von beyden Schlaffen lif/ 405 Zur literarischen Ästhetik der Gewaltdarstellung vgl. Jürgen Wertheimer, Ästhetik der Gewalt. Ihre Darstellung in Literatur und Kunst, Frankfurt a.M. 1986, S. 179 – 186. 406 Gryphius, Catharina von Georgien, I, 345 – 352. 407 Borgstedt, Angst, S. 577 – gegen Schings, Catharina von Georgien, S. 63, der Catharina die Angst »vermöge der [stoischen] Constantia« überwinden lässt. Borgards, Märtyrertum/Herrschaft, S. 82 – 84, spricht von einem »Wunder«. Nicht zuletzt insofern er dieses Wunder als »Gegen-Wunder« versteht »zu jenem Wunder, das – nach Carl Schmitt – der Ausnahmezustand für die Souveränität bedeutet« (S. 83), bleibt sein religiöser Status jedoch unbestimmt; vgl. dazu auch S. 82: »Ähnlich schwankt Catharina zwischen Angst und Mut. Dass sie sich letztlich für den Mut entscheidet, ist so kontingent und so wenig rational begründbar, wie die Entscheidung des Abas.« Näheres dazu unten in Anm. 421. Vergleichbar ist Burkhardt Wolf, Die Zeugen des Schmerzes. Folter und Martyrologie, in: Wahrheit und Gewalt. Der Diskurs der Folter in Europa und den USA, hg. v. Thomas Weitin, Bielefeld 2010, S. 67 – 86, hier 74. 408 Auch hier (wenn auch in anderem Sinne als im Vorangehenden) schreckt die Tapferkeit selbst schon den Gegner. Dazu auch unten Abschnitt 3.7.
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Vnd ich an statt der Cron nur Rosen-Aest ergriff/ Verdorrte Rosen-Aest/ die als ein Krantz gewunden Fest vmb die Stirn gedruckt auf meinen Haren stunden.«409
Die Lust der Braut Christi ist eine weit größere, als sie ihr die diamantene Krone zu bereiten vermochte, auch und gerade weil die dornige, die sie trägt, sie in der Erniedrigung erhöht, und so ist die Furcht, in der der Abgewiesene zu ihren Füßen erzittert, nicht die Furcht vor ihr, sondern vor jenem, dem sie an seiner Statt versprochen ist. Und so kann sich Catharinas Traum erst verwirklichen, als sie erkennt, dass es keine irdische Größe ist, zu der sie am Ende erhoben wird, und das, was sie erhebt, keine irdische Macht: dass ihre Furchtlosigkeit das Hier und Jetzt transzendieren muss. Sie erreicht ihre neue Herrschaft erst, als sie bereit ist, die alte preiszugeben: »[C a t h .] HErr wir gehn willig hin! welch Eyfer steckt vns an! e Wer ist der uber vns mit Vrsach weinen kan? e Mißgont man vns die Cron? wir fangen an zu leben Vnd trotzen Perß vnd Tod! wer wil den Mutt begeben? Schaut JEsus geht voran! ein Augenblick beschwert Die Ewigkeit erquickt. Creutz/ Messer/ Zang vnd Herd e Sind Staffeln zu der Ehr’. Itzt wird der Traum erfullet e Der/ als vergangne Nacht vns Sorg vnd Schlaff vmbhullet; Auff disen Außgang wiß. Gurgistans Reich ist hin! Wir haben von der Cron nur Dornen zu Gewin! Nur Dornen! die wir noch als alle Lust verschwunden e Den Rosenblattern gleich/ auff disem Har gefunden e Die Thranen filen vns als Perlen auff die Schoß/ e Als diser Augenbrun schir vnauffhorlich floß. e Der Purpur ist entzwey/ der Zepter gantz zustucket; e Als man vns von dem Thron in Staub vnd Stock gedrucket! e Vmbsonst sind Meurab/ Reuß vnd Tamaras bemuht e e Zu wenden vnser Leid das vnauffhorlich bluht/ e Vnd taglich fruchtbar wird. Der endlich an vns setzte Vnd auß den Dornen riß/ vnd (wie es schin) verletzte; Ist (Zweifels ohn) der Tod. Die Lust die vns empfing Als der geschwinde Sturm der Wetter vberging Zilt auff das seel’ge Reich des JEsus vns erworben. Auff! Gott schenckt vns die Cron wenn wir/ wie Er gestorben!«410
Die hier erreichte Furchtlosigkeit411 lehrt das Gegenüber selbst das Fürchten. Die Göttlichkeit der Träume und Visionen ist die Gewähr : Abas’ Angst ist als direkte 409 Gryphius, Catharina von Georgien, I, 332 – 338. 410 Ders., Catharina von Georgien, IV, 347 – 370. 411 Sie bezeugt auch der Priester nach Catharinas Tod (V, 233 – 236): »Zeugt liber ; mit was Mutt e die Konigin gesieget jj Die sterbend/ von Qual/ Angst vnd Lust vnd tod bekriget/ jj Doch
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Auswirkung von Catharinas Furchtlosigkeit und Angstüberwindung zu begreifen, nicht nur die Angst, von der Catharina anfangs träumt, sondern auch die, in die ihr Bild412 ihn am Ende versetzt: e
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»[C h a c h .] Wer zuckt die Sebel vns zu todten? e Der Erden Grund brullt vnd erzittert! e Was ist das hinter vns sich wuttert Wie? oder schreckt vns eitle Fantasy! Princessin! Ach wir sincken auff die Kny Wir vor dem sich gantz Osten niderbeuget! Vergib dem welcher seine Rew mit ewig-bitterm Kummer zeiget! C a t h . Tyrann! der Himmel ists! der dein Verterben sucht/ e Gott last vnschuldig Blut nicht ruffen sonder Frucht. Dein Lorberkrantz verwelckt! dein sigen hat ein Ende. e Dein hoher Ruhm verschwindt! der Tod streckt schon die Hande Nach dem verdamten Kopff. Doch eh’r du wirst vergehn; Must du dein Persen sehn in Kriges Flammen stehn/ Dein Hauß durch schwartze Gifft der Zweytracht angestecket/ e Biß du durch Kinder-Mord vnd Nachstes Blut beflecket e Feind/ Freunden vnd dir selbst vntraglich/ wirst das Leben Nach grauser Seuchen Angst dem Richter vbergeben. C h a c h . Recht so! Princessin! recht! greif vnsern Sigkrantz an. e Bekrige Persens Ruh! reiß was vns schutzen kann/ Mit starcker Faust hinweg. Laß nun du schon erblichen Den wackern Hohmut auß/ dem Abas offt gewichen. Laß auff dem Brand Altar/ dem Schauplatz deiner Pein Zu lindern deinen Grimm vns selbst ein Opffer seyn/ e Doch ist wol herber Rach’ vnd die mehr kann betruben e Als dass Wir/ Feindin/ dich auch Tod stets mussen liben.«413
Zwischen der Furchtlosigkeit der Catharina und der Furcht des Abas besteht ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang, weil dieser durch göttliche Sanktion herrlich vberwand. Zeugt dass sie alle Pracht jj Vnd die geheuffte Pein der Parthen hat verlacht.« 412 Dieses Bild ist eine Wachvision, die sich in ihrem divinatorischen Potential und ihrer Wirklichkeitsmächtigkeit nicht vom nächtlichen Traum unterscheidet. 413 Gryphius, Catharina von Georgien, V, 424 – 448. Die Erkenntnis der Hinfälligkeit ihrer eigenen irdischen Herrschaft ist Catharinas wirksamste Waffe gegen die Macht des Abas. Insofern versetzt sie ihn nicht allein in die Angst des Gewissens, sondern auch in eben die Angst, in die sie von ihm versetzt worden war : in einen Zustand der Beklemmung und Einengung, wie er im Kerker ebenso gegeben ist wie in tödlicher Krankheit. Die »grauser Seuchen Angst« meint nicht allein eine Angst in und vor der Seuche, sondern identifiziert die eine mit der anderen. Vgl. auch I, 314 f.: »Nichts bleibt vns in der Faust als die nichts werthen Aeste/ jj Der Stachel/ dises Creutz/ die Angst/ die Seelen Peste/ jj Die kummervolle e e e e Sorg’ vnd uberhaufftes Leid/ jj Vnd das Gedachtnuß nur verschwundner Libligkeit.« Näheres dazu unten in Kap. 4.3.
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und Strafe gestiftet ist: causa efficiens ist Gott.414 Was Abas schreckt, ist eben keine »eitle Fantasy«,415 sondern Ausblick auf künftige Wirklichkeit. Abas gerät in Furcht zur – spiegelnden – Strafe dafür, dass er Catharinas Furcht erregt hat; die Tyrannisierte wird dem Tyrannen zur »Tyrannin vnser Seel«.416 Die Angst, in die sie ihn versetzt, ist die Angst, in die er sie versetzt hat, nur ist ihr Anfangsgrund ein anderer. Es ist keine irdische Macht, vor der Abas erzittert, sondern die göttliche Strafgewalt, nicht die entmachtete Königin, sondern Gott, der ihr neue Macht verleiht und sich ihrer bedient. Die Überwindung ihrer Furcht ist Gottes Werk und sein Werkzeug, Abas zu strafen. Catharina bereitet Abas Angst vor dem Verlust seiner irdischen Güter und Angst vor dem Tod: vor Gericht und Strafgewalt Gottes; und sie verheißt ihm Angst: Sie versetzt ihn in Angst vor der Angst: vor der »Enge« im Verlust dieser Güter, vor der »Enge« in Hölle und Tod. Sie zeigt ihm, was ihm droht für das, was er getan hat, und dieses Wissen um das Drohende ist selbst schon die drohende Strafe.417 Abas fürchtet sich jetzt (vor Gott), weil er Gott bisher nicht gefürchtet hat, mit anderen Worten: Er verspürt jetzt die Furcht, die er immer schon hatte, eine »knechtische« Furcht vor dem Verlust jener irdischen Güter, die er lediglich seiner politisch-militärischen Stärke verdankte und die er jetzt verliert, weil er sie nicht verlieren wollte: weil er, um sie zu gewinnen, anderen die ihrigen nahm und zu nehmen drohte: weil er die anderen in Angst versetzte; diese Güter verliert er jetzt, weil Catharinas Angst überwunden ist in einer höheren Macht, als sie seine Widersacherin auf Erden hatte. Gott, so ließe sich pointieren, straft für die Furcht, in die Abas Catharina versetzt hat, mit der Furcht vor seiner Strafe, und zwar durch Catharinas Überwindung ihrer durch Abas erregten Furcht. Vor diesem Hintergrund sind auch die beiden Schlussverse zu verstehen, die zunächst nicht die Furcht vor göttlicher Strafe, sondern die Liebe zur Ermordeten als die eigentlich »betrübliche« und »herbe Rache« vorstellen und damit einen diesseitigen, eher psychologischen Vergeltungszusammenhang aufzubauen scheinen. Obwohl Abas Catharina auch um ihrer Tugend willen liebt,418 414 Vgl. Loos, unio mystica, S. 693. 415 So viel scheint gewiss – gegen die Ungewissheit bei Haas, Nachwort zu: Gryphius, Catharina von Georgien, S. 152. 416 Gryphius, Catharina von Georgien, II, 185. 417 Zur Qual des verletzten, furchterregenden Gewissens als Strafe für die Verletzung des Gewissens vgl. auch Geisenhof, Darstellung, S. 228 f. Pirscher, Epigramma, S. 30, spricht von der »Folter des Gewissens«. 418 Gryphius, Catharina von Georgien, II, 87 – 92: »[C h a c h .] Kom aber zeig vns an jj Ob du e ein Weib gesehn daß man jhr gleichen kan? jj S e i n . Mein Furst/ ich geb es nach daß keine e e sey zu finden jj An Schonheit/ an Verstand. C h a c h . an Kunst zu uberwinden. jj S e i n . An Tugend. C h a c h . Vnd an Zucht. S e i n . An Herrligkeit. C h a c h . An Ruhm jj S e i n . Die nicht/ weit vnter jhr. C h a c h . O aller Blumen Blum!« Vgl. Catharinas Selbstverständnis als Tugendreiche: I, 813 – 815.
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weist das Ende diese Liebe doch als einen primär schädlichen und verwerflichen Affekt aus, unter dem nicht nur die Geliebte zu leiden hat, sondern – zur Strafe dafür – auch der Liebende. Auch diese Liebe ist an Furcht gekoppelt.419 Sie ist aus falscher Furcht geboren und hat falsche Furcht zur Folge, eine Furcht, die ohne rechte Liebe ist, die, theologisch gesprochen, keine kindliche ist, sondern eine knechtische. Abas tötet die Geliebte, weil er meint, um seine Herrschaft fürchten zu müssen, wenn er jene, die ihn zurückweist, gehen ließe. Dass seine Liebe, auch wo sie die Tugend zu lieben vorgibt, so tugendhaft nicht ist, zeigt sich nicht allein darin, dass sie von Catharina verschmäht wird, sondern auch in dem Umstand, dass der Liebende im Ernstfall eher die Geliebte opfert als seine Liebe. So steht seine Liebe zu ihr moralisch prinzipiell auf derselben Stufe wie seine Liebe zur weltlichen Herrschaft. Er kann die Geliebte und seine Herrschaft nicht verloren geben, knechtisch fürchtet Abas um beide. Und eben deswegen muss er am Ende beide verlieren. Die Drohung gegenüber der Geliebten, die von der knechtischen zur kindlichen Furcht gefunden hat, erreicht letztlich das Gegenteil dessen, was sie erreichen soll. Auch hier, auch in der quälenden Liebe zur toten Feindin, bestätigt eine Furcht sich selbst. Es ist nicht nur die Geliebte verloren, darüber hinaus, was schlimmer ist, bleibt die Liebe. Weil Abas die Geliebte aus dem Kerker nicht entlassen wollte, wird ihm seine Liebe zu ihr ewiger Kerker sein; er wird »zum Gefangenen dieser Welt«.420 Widersprüchliches wird mit Widersprüchlichem vergolten: Die Liebe zur getöteten Feindin spiegelt, chiastisch gleichsam, den Mord an der Geliebten. Hier zeigt sich: Dieser Strafmechanismus ist nicht psychologisch, sondern heilstheologisch zu verstehen.421 Angesichts dessen straft sich Abas am Ende 419 Wie sich Furcht der Liebe verdankt, so verdankt sich diese Liebe der Furcht; dies entspricht den Auffassungen der Zeit. Für Montaigne etwa, aber auch bereits für Augustinus, dient die Überwindung der Liebe zum Leben der Überwindung von Furcht. Dazu oben Abschnitt 3.1. 420 Feger, Zeit und Angst, S. 93. Bereits vor dem Hinrichtungsbeschluss wusste Abas um die e Umkehrung der Verhältnisse: »Die Furstin ist gebunden; jj Vnd zwingt den/ der sie band« (Gryphius, Catharina von Georgien, II, 262 f.). Die Hingerichtete, nicht der, der sie hinrichten lässt, hat die eigentliche Macht (weil sie die Hinrichtung nicht schrecken kann): die Macht, den Henker zu zwingen, sich im Gewaltakt selbst zu widersprechen. 421 Und so folgt er auch keiner spezifisch politischen Logik. Hier zeigen sich die Grenzen einer politik- und staatstheoretischen Interpretation der Angst der Catharina von Georgien, wie sie Borgards, Märtyrertum/Herrschaft, vorschlägt. Borgards’ Lektüre, die im Gryph’schen Drama den Hobbes’schen Leviathan aufspürt, übersieht, dass sich hier die Beziehung zwischen Märtyrertum und Herrschaft über einen göttlichen Vergeltungszusammenhang konstituiert: Knechtische Furcht wird gespiegelt in knechtischer Furcht. Es gibt durchaus eine Verbindung zwischen Gryphius und Hobbes, nur besteht sie nicht in den politischen Implikationen, sondern in deren religiöser Grundierung. Im Martyrium, so Borgards, wird absolute Souveränität nicht unter Beweis gestellt, sondern, umgekehrt, punktuell ausgesetzt; sie werde sistiert zum einen in der Furchtlosigkeit der Märtyrerin, mit der sie den Tyrannen des entscheidenden Machtinstruments zur Durchsetzung seines Vorhabens be-
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raubt, zum anderen in der Furcht des Souveräns, in der Furcht des einzigen »Geschöpf[es] ohne Furcht« (Hobbes, Leviathan, S. 266). Letztere entsteht in dieser Lesart zum einen eben durch die Furchtlosigkeit der Märtyrerin, insofern diese den Tyrannen befürchten lässt, sein Ziel nicht zu erreichen (Gryphius, Catharina von Georgien, II, 269); zum anderen ist sie (bei Borgards allerdings nur implizit) die Furcht des Konvertierten: des Gewissens, das weiß, dass diese Zielvorgabe Unrecht ist. Das heißt hier : Sie entsteht, indem der Tyrann sein Opfer als Märtyrerin erkennt: indem er in »perspektivische[] [und das bedeutet: in religiös-moralische] Differenz zu seinen eigenen Handlungen« tritt. Wie »ein Souverän, der einen Märtyrer produziert, diesen nicht als einen solchen erkennen« kann, so »ist er umgekehrt dann, wenn er den Märtyrer erkennt, kein Souverän mehr« (Borgards, Märtyrertum/Herrschaft, S. 85). Nun scheint zwar die Beobachtung zutreffend, dass das Martyrium Souveränität nicht festigt, sondern erschüttert; unzutreffend jedoch ist die Begründung des Befundes. Denn die Furcht im Erkennen des Martyriums (mit ihren Folgen für die Souveränität) stellt, anders als die Furcht vor dem Verlust der Gefangenen, gerade kein spezifisch politisches Problem dar, sondern verweist auf eine Selbstunterwerfung des Souveräns unter diejenige Macht, die er als einzige zu fürchten hat; sie wird damit allein aus religiösen Zusammenhängen verständlich, die sich mit den spezifisch politischen Theorieelementen des Leviathan nicht beschreiben lassen. Die Angst des (erkennenden) Gewissens stellt keine genuin politische Gefahr für die souveräne Herrschaft dar : Der Verlust der politischen Herrschaft (bzw. die Furcht vor ihm) erscheint als die als gerecht erkannte göttliche Strafe. Vom Thron stürzt den Souverän am Ende nicht die Furcht vor seinen Untergebenen, sondern vor dem, der allein über ihm steht; denn: Es ist kein irdischer Mut, mit dem Catharina Abas erschreckt. Die Furchtlosigkeit, an der er sie als Märtyrerin erkennt, entspringt ihrer Einsicht in die Nichtigkeit irdischen Mutes, und so ist auch die Furcht, in die sie ihn versetzt, keine Furcht vor menschlicher Gewalt. Auch Borgards’ politiktheoretische Lesart essentialisiert »die« Angst. Sie differenziert nicht zwischen Abas’ Angst im und vor dem Erkennen eigener Schuld: zwischen den unterschiedlichen Ursachen des ihm jeweils drohenden Verlustes; und sie übersieht damit die komplementären Wirkzusammenhänge zwischen Catharinas und Abas’ Zuständen der Furcht(losigkeit) sowie deren religiöse Fundierung. So wird ein Rangstreit zwischen politischen und religiösen Lektüren der Catharina von Georgien fortgeführt (S. 78 f. und 82 f., mit instruktivem Literaturüberblick), der a priori nicht zu entscheiden ist, weil er eine falsche Alternative setzt. Zu fragen ist nicht, ob und wo das Gryph’sche Drama religiös oder politisch zu lesen ist, zu fragen ist vielmehr nach der religiösen Dimension des Politischen, das es enthält (und dies gilt, wie oben gezeigt, auch für Hobbes). In Borgards’ Interpretation wird Catharinas conversio von Furcht zu Furchtlosigkeit lediglich als eine »wenig rationale« und »kontingente« »Entscheidung« fassbar. Sie bleibt damit (als eine »Entscheidung«, die sie gar nicht ist) un-fassbar. So bedarf es hier – mit Carl Schmitt – eines (nunmehr nur noch metaphorischen) Rückgriffs auf ein »Wunder«, um einen unerklärlichen Vorgang zu erklären, der – anders als bei Borgards – nicht auf ein Aussetzen der (natürlich-politischen) Ordnung schließen lässt (die Zitate S. 82 – 84), sondern auf die Ordnung des Gnadenwunders. Dazu auch oben Anm. 407. In Catharina von Georgien wird die Furcht des Herrschers als ein Mangel an Gottesfurcht zum Problem. So lässt sich (obwohl dies auch bei Hobbes durchaus angelegt ist) die politische Dimension des Dramas besser etwa mit Justus Lipsius beschreiben. Lipsius’ »kluger« Herrscher muss, will er seine Herrschaft stabilisieren, die rechte Furcht haben und in die rechte Furcht versetzen. Der Souverän, der sich selbst knechtisch fürchtet, dagegen, versetzt seine Untergebenen in eine knechtische Furcht, die seiner eigenen knechtischen Furcht am Ende Recht gibt. Vor diesem Hintergrund büßt Chach Abas seine Herrschaft nicht deswegen ein, weil er Catharina von Georgien nicht länger in Furcht versetzen kann, sondern weil er es überhaupt versucht hat.
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nicht selbst. Anders als die Hinweise auf seine Todessehnsucht422 und die richtende Macht seines Schwertes423 zunächst vermuten lassen, bleibt die als Möglichkeit aufscheinende Verzweiflung am Ende aus.424 Zwar beraubt sich Abas selbst der Geliebten,425 aber er straft sich nicht dafür, dass er dies getan hat. Das Ergebnis der Handlung ist es, das die Handlung sanktioniert, und auch dies hat theologische Hintergründe. Der lutherische Gott strafte die Sünder, indem er sie in der Sünde beließ,426 das heißt: Er nahm ihnen die Gnade, die sie brauchten, um zur Gnade zu gelangen, und er strafte die Sünde mit ihren Folgen (aus denen am Ende neue Sünden entstanden). Vor diesem Hintergrund liegt Abas’ entscheidendes »Verterben« am Ende nicht in unerfüllbarer Liebe, sondern in der mit der Unüberwindbarkeit des leidenschaftlichen Liebesaffekts verbundenen unausgesetzten Reue: in der Angst seines Gewissens, und die schickt »der Himmel«,427 mit apokalyptischer Wucht. Was Abas am Ende schreckt, ist kein Über-Ich: kein ganz eigenes Gewissen. Sein Gewissen ist, ganz buchstäblich, eine con-scientia: Seine Furcht entsteht im Wissen um die göttliche Mitwisserschaft und deren Folgen in ewiger Folter und Pein. Der Ort dieses Wissens ist keine in die Innerlichkeit verlagerte Psyche, sondern göttlicher Schau-Platz, theatrum Dei.428 Das Bild Catharinas, das Abas hier am Ende schaut, spiegelt seine Tat, kein Inneres seiner Person; es ist keine Metapher seiner Subjektivität,429 sondern göttliche Verheißung (und somit auch nicht »bloße Einbildung«, »leere Phantasie« oder gar Ausdruck »hysterischen« »Wahnsinns«,430 nicht teuflisch gewirkte Täuschung; es zeigt den Frevel an und ist nicht sein Teil).431 Die Furcht vor dem Bild Catharinas, mit anderen Worten, ist nicht die Furcht vor dem Gewissen, vor steter Selbstanklage, sie ist die Furcht des Gewissens; dieses Gewissen ist Furcht und Angst. Die Identität bestätigt sich nicht zuletzt in der 422 423 424 425 426 427 428 429
Gryphius, Catharina von Georgien, V, 381 f. Ders., Catharina von Georgien, V, 421. Damit hätte sich Abas die Möglichkeit der Begnadigung vollständig verbaut. Gryphius, Catharina von Georgien, V, 349 f. Vgl. auch Geisenhof, Darstellung, S. 231 f. Gryphius, Catharina von Georgien, V, 431. Vgl. Loos, unio mystica, S. 709. Zum Spiegel als Metapher des modernen, selbstreflexiven Subjektes vgl. Ralf Konersmann, Lebendige Spiegel. Die Metapher des Subjekts, Frankfurt a.M. 1991. 430 Gegen Borgstedt, Angst, S. 590 f. – auch wenn für Borgstedt dieser »Wahnsinn« darauf schließen lässt, dass Abas’ verzweifelte Reue »heilsgeschichtlich ernst zu nehmen« ist (S. 590 f.). Bei Borgstedt bleibt jedoch unklar, worin die heilsgeschichtliche Bedeutung dieses (religiösen) Wahnsinns genau besteht: ob er Verdammnis oder Heil indiziert. Als pathologischer (»hysterischer«), als »verzweifelter« Wahn führte er qua Wahn in die Verdammnis, die er vorstellte, auch wenn er mit der Reue, die er implizierte, eigentlich die Möglichkeit der Errettung eröffnete. 431 Damit ist das Bild auch nicht lediglich dramaturgisches »Darstellungsmittel« (so Geisenhof, Darstellung, S. 260 f. und 265 f.).
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Umkehrprobe: Nicht allein die Furcht vor Strafe, sondern Furcht und Angst an und für sich ließen sich, lutherisch und biblisch, als Ausdruck eines verletzten Gewissens interpretieren. Wer guten Gewissens war, hatte in dieser Welt keinen Anlass zur Furcht, das erhitzte Gewissen dagegen schreckte selbst ein rauschendes Blatt.432 Dies hat zwei Konsequenzen. 1. Insofern Gott im Entscheidenden mit Gewissensfurcht strafte: mit der Furcht vor göttlicher Strafe, bestand diese nicht in der Verdammnis selbst, sondern im Ausblick auf sie; und als solche barg sie immer die Möglichkeit, der angedrohten Verdammnis noch zu entkommen. Dies gilt am Ende auch für Chach Abas. Auch wenn Abas sich nicht selbst straft, erkennt er doch die Berechtigung an, gestraft zu werden; er spricht sich das Urteil selbst und fordert sein Opfer und den göttlichen Richter auf, es an ihm zu vollstrecken. Auf diese Weise eröffnet er sich die Aussicht auf Begnadigung. Dies war freilich nicht von Anfang an der Fall. Nachdem Abas seinen Fehler und dessen Irreversibilität erkannt hat, sucht er seine Täterschaft zunächst zu verbergen; er lässt Fürst Imanculi hinrichten, denjenigen, dem er – bei Drohung der Todesstrafe – die Hinrichtung Catharinas befohlen hatte. Der Todgeweihte durchschaut Abas’ Motivation: »Er [Abas] reumet was er kan e Durch vnser Hande weg/ vnd greifft vns selber an So bald die That vollbracht/ wir freveln jhm zu gutte: e Er wascht von eigner Schuld sich rein mit vnserm Blutte!«433
Adressaten dieses Reinwaschungsversuchs sind die russischen Gesandten; durch die Opferung Imanculis vermeidet der persische König den politischen Konflikt mit dem Zaren, den die Hinrichtung Catharinas nach sich zu ziehen drohte. Das heißt: An dieser Stelle erscheint die Gewissensfurcht noch als Teil des Vergehenszusammenhangs. Die (knechtische) Furcht vor dem Wissen der anderen um die eigene Untat zeitigt neue Untat; das erhitzte Gewissen bewirkt, was es verklagt.434 Ungeachtet des Versuchs, Frevel durch Frevel zu verschleiern, kann die Tat jedoch vor Gott nicht verborgen bleiben; am Ende führt Abas’ Wissen um die Unrechtmäßigkeit des eigenen Tuns zu uneingeschränktem Schuldeingeständnis und Strafakzeptanz. Vor diesem Hintergrund scheint die Offenheit des Dramenendes signifikant. Was dort verheißen wird, ist kein Ereignis, sondern lediglich seine Möglichkeit, die drohende Verdammnis muss hier nicht mit 432 Siehe dazu oben Anm. 306; Vgl. auch Andreas Gryphius, Leo Armenius. Trauerspiel, hg. v. Peter Rusterholz, Stuttgart 1996 [1971], V, 51 f.: »Ein kummervol gewissen jj e e Entsetz’t sich auch ob dem das wir nicht furchten mussen.« 433 Gryphius, Catharina von Georgien, V, 163 – 166. 434 Vgl. dazu Geisenhof, Darstellung, S. 236 – 240.
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unausweichlicher Notwendigkeit eintreten. In der Drohung liegt auch die Mahnung, auf den Verlauf des Prozesses noch Einfluss zu nehmen. Im Horizont der lutherischen Buß- und Gnadentheologie hat Abas mit dem Eingeständnis seiner Schuld dafür einen wichtigen, wenn nicht gar den entscheidenden Schritt getan. Die Begnadigung zu garantieren, liegt dann nicht mehr in der Befugnis des Dichters; den Raum ihrer Potentialität jedoch muss er eröffnen. Anders als es Abas’ anfänglicher Vertuschungsversuch zunächst glauben lässt, verbleibt die Furcht seines Gewissens am Ende nicht in ewiger Knechtschaft; sie hat die Chance, sich von der falschen zur rechten zu wandeln. Chach Abas ist der Tyrann, den es braucht, um Catharina von Georgien zur Märtyrerin zu machen; auch und gerade als solcher jedoch steht er nicht außerhalb des Heils.435 2. Wie der Tyrann am Ende nicht ohne Aussicht auf Gnade ist, so war diese Gnade, umgekehrt, seinem Opfer nicht von Beginn an garantiert.436 Obwohl Abas’ Bestrafung seinem Vergehen ähnelt – er, der Catharina geängstigt hat, wird selbst geängstigt –, weisen die Leiden der georgischen Königin und ihres persischen Widersachers zunächst, wie es scheint, einen nicht unbeträchtlichen, ja fundamentalen Unterschied auf: Dort droht der Körper zu brennen, hier die Seele; Abas’ Seele wandert ins Feuer, weil er seinen Körper gerettet hat, und Catharinas Körper wird in Flammen aufgehen, damit ihre Seele vor den Flam-
435 Abas’ prinzipielle Aussicht auf eschatologische Errettung sieht auch Haas, Nachwort zu: Gryphius, Catharina von Georgien, S. 152 – 154, und begründet dies aus den lutherischen Paradoxa des deus absconditus und des sub contraria specie, deren Anwendbarkeit auf die Gryph’schen Dramen bereits Peter Rusterholz herausgearbeitet hat: Rusterholz, Nachwort zu: Gryphius, Leo Armenius, S. 127 – 146, hier 133 – 135 (dessen ungeachtet stellt Rusterholz Catharina und Abas recht manichäisch gegenüber : S. 133); auch ders., Theatrum vitae humanae. Funktion und Bedeutungswandel des poetischen Bildes, Berlin 1970, S. 61 ff. Borgstedt schließt in seiner Interpretation des Dramenschlusses an Haas und Rusterholz an: Borgstedt, Angst, S. 591 f. Jedoch versteht er die Offenheit des Endes lediglich als »Leerstelle«, als »theologische Negativität«: als das Fehlen der »letzte[n] Positivität göttlichen Handelns«. Vor diesem Hintergrund scheint ihm Abas »auf der Kippe von Gnade und Verdammung [zu] stehen«, von »Bekehrung und Höllenfahrt«. Den Beleg sieht Borgstedt in der eigentlichen Rache an Abas: in dessen fortdauernder Liebe zur Feindin, die er als Ausdruck einer »Ambivalenz« und eines unbestimmten Sinns des Dramas liest. Das offene Ende des Stücks verweist jedoch nicht auf eine Unentschiedenheit zwischen »jesuitisierende[r] Rhetorik« und lutherischer Leidenstheologie (vgl. S. 591 f.), mit anderen Worten: Entscheidend ist hier nicht die Frage, ob Gnade oder Verdammnis obsiegen wird, sondern dass das Heil »nur in seinem Gegenteil ansichtig werden kann« (Haas, Nachwort, S. 154). Der »Sinn« des Dramas ist nicht unbestimmt, sondern verborgen; und allein die Offenheit seines Endes kann, so scheint es, das Paradoxon zur Darstellung bringen: wenn auch nicht das Verborgene, so doch die Tatsache der Verborgenheit ent-decken. – Keine Buße und somit keine Aussicht auf Errettung des Abas konstatiert etwa Geisenhof, Darstellung, S. 251. 436 Dies betonen auch Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, S. 103 – 11, ders., Gryphius’ ›Catharina von Georgien‹, S. 143 – 147, und Spellerberg, Narratio im Drama, S. 449 ff.
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men bewahrt wird.437 Ungeachtet dieses Umkehrverhältnisses jedoch hat Catharinas Angst mit der Angst des Abas mehr gemein, als jene suggerieren, die Gut und Böse und Seele und Körper allzu manichäisch trennen.438 Insofern in den religiösen Kontexten, in denen das Gryph’sche Märtyrerdrama anzusiedeln ist, Furcht ganz allgemein auf eine Verletzung des Gewissens schließen ließ, erscheint auch die Angst der Catharina am Ende als eine Angst des Gewissens; dies bestätigt nicht zuletzt der Prozess ihrer Überwindung: Angstfreiheit erreicht Catharina erst, als sie die Sündhaftigkeit und Nichtigkeit nicht allein der Welt, sondern auch ihres eigenen bisherigen Tuns und Strebens erkennt. Um die »Reine« (jahaq²) sein und werden zu können, muss auch sie zuvor mit Sünde befleckt gewesen sein. Hier manifestiert sich nicht lediglich eine kontingente Ambivalenz und Mehrschichtigkeit ihres Charakters, sondern die konstitutive Bedeutung der conversio. Die Ängste, die sie in den Verliesen des persischen Königs bedrängen, resultieren nicht allein aus dem verbrecherischen Treiben dessen, der ihr, aus falscher Liebesleidenschaft, nach Herrschaft und Leben trachtet, sondern damit auch aus ihrer eigenen allzu großen Furcht um diese Güter, aus einer Furcht, die sie (zunächst) als verletzbar und durch Drohung erpressbar erscheinen lässt. Selbst wenn sie die Angst dann überwindet: Dies setzt die Angst voraus, die sie überwunden hat. Die Möglichkeit der Befreiung verweist auch auf die heilsgeschichtliche Notwendigkeit einer Angst, die nicht nur überwunden werden kann, sondern auch überwunden werden muss (bei all ihrer diesseitigen Unbesiegbarkeit). Vor diesem Hintergrund erscheint, umgekehrt, das Treiben des Chach nicht allein als verwerflich und strafwürdig; er, der sich letztlich nach denselben Gesetzen des politischen Lebens verhält wie sie,439 firmiert zudem als ein von Gott eingesetztes Sanktionsmittel, das die Schutzbefohlenen des Herrn zum Heil der Gnade befördert: das auf die Hinfälligkeit aller politischen Vernunft aufmerksam macht: aller prudentia oder ratio politica, einer jeden ratio status. Gott rettet den Menschen, indem er ihn in die Sünde stürzt, aus der er ihn dann befreit. Auch Catharina wird geprüft mit dem, was sie selbst praktiziert; sie kehrt um und bezwingt ihre Angst in der Einsicht, dass ihre Lebensweise ihr selbst Leid gebracht hat (indem sie sich mit ihr dem Treiben eines Abas aussetzt): Sie kehrt um, am Ende, in der Distanzierung nicht vom Tun 437 Vgl. Geisenhof, Darstellung, S. 254. 438 Dass die komplementäre Gegensätzlichkeit der Gryph’schen Dramenfiguren (neben Catharina und Abas sind dies Leo Armenius und Michael Balbus sowie Papinianus und Bassius) »als schlichte Gut-Böse-Dichotomie anthropologisch unterbestimmt bliebe«, betont auch Loos, unio mystica, S. 719 f., jedoch ohne die hier vorgestellten Konsequenzen. 439 Vgl. dazu, wenn auch mit anderer argumentativer Stoßrichtung, Peter J. Brenner, Der Tod des Märtyrers. »Macht« und »Moral« in den Trauerspielen des Andreas Gryphius, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), S. 245 – 265, insbes. 251.
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des Abas, sondern von ihrem eigenen. Um es noch einmal zu betonen: Es ist nicht die Angst, die Catharina als Märtyrerin auszeichnet, sondern deren Überwindung; und die Angst der Sündhaftigkeit überwindet sie allein, weil sie sie als solche erkennt und bereit ist zu sterben. Um zu resümieren: Catharinas Sieg über die Furcht setzt voraus, dass sie zuvor in ihr gefangen saß, und zwar weil sie – wie Abas auch – bis dahin keine rechte Furcht kannte. Auch wenn Catharinas Furcht und Angst nicht explizit in ihrem Gewissen lokalisiert sind, basiert deren Überwindung doch auf der Einsicht in eine bisher falsche Orientierung; sie hat die »Angst der Welt«. Dies wiederum erlaubt in Bezug auf Abas den Schluss: In Angst versetzt zu werden, ist nicht allein die Voraussetzung ihrer Überwindung, sondern impliziert auch deren Möglichkeit. Wie Catharinas Angstfreiheit auf ihre vorherige Angst schließen lässt, so Abas’ Angst auf eine künftige Befreiung von ihr. Wie der Chach in seiner Sündhaftigkeit eine positive heilsgeschichtliche Funktion erfüllt, indem er der georgischen Königin zur Gnade verhilft, so ist auch die Märtyrerin der Sünde nicht ledig; diese wiederum ebnet nicht nur ihr selbst den Weg zum Heil, sondern auf diesem Umweg dann auch ihrem Peiniger ; denn ihr erreichter Gnadenstand öffnet ihm die Augen. So ist bei beiden Protagonisten des Dramas eine Entwicklung zu beobachten, die von (falscher) Angstfreiheit über (falsche) Angst in (rechte) Angstfreiheit führt: in Gottesfurcht. Die beiden Entwicklungen unterscheiden sich in erster Linie darin, dass sie zeitlich versetzt verlaufen, und sie tun es, weil ihre einzelnen Stadien komplexen und wechselseitigen kausalen Einfluss aufeinander nehmen. Hier zeigt sich eine vielschichtige Komplementarität von Angst und Angstüberwindung, die in einer personalen Zuordnung von Gut und Böse nicht aufgeht – und damit auch nicht in einer dichotomischen Trennung von Körper und Seele: Das Brennen der Seele, das Abas am Ende droht, droht zu Anfang auch Catharina. Und so, wie sie es verhindert, indem sie ihren Körper auf dem Brandaltar opfert, kann es auch Abas vermeiden, indem er den Verlust von Herrschaft und Leben zu erleiden bereit ist. Die heilsgeschichtliche Dimension des Dramas schmilzt den Gegensatz zwischen Catharina und Abas, so konstitutiv er für die dramatische Entwicklung auch ist, am Ende weitgehend ein. Das Drama, so zeigt sich, bestimmen »Furcht« (bzw. »Angst«) und ihre Abwesenheit. Die Entwicklung, die es beschreibt, ist keine personale, sondern eine heilsgeschichtliche; aufgeführt wird das Theater von Sünde, Buße und Gnade, dessen stille Protagonisten, auch wenn sie die Bühne als Kontrahenten betreten, sich am Ende gegenseitig zum Heil verhelfen und, so oder so, doch nur auf den Einen verweisen. In dieser spezifischen Verbindung der dramatis personae ist am Ende unklar, wer die rechte Furcht hat und wer die falsche; mehr noch: Beide haben beide und mit der einen immer auch die andere. Kindliche und knechtische Furcht fallen hier praktisch ineinander, die theologische Unterscheidung bricht in sich zu-
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sammen. Diese Entdifferenzierung der Differenz führt nicht ins Mysterium göttlicher Gnade, auf das die Offenheit des Endes zunächst schließen lassen könnte; sie verweist vielmehr auf die kulturellen Grenzen des mystischen Gedankens: auf den historischen Ort eines Gottes, in dem die Differenz aufgehoben scheint und doch nicht aufgehoben werden kann, eines Gottes, der als Möglichkeitsbedingung der Unterscheidung fungiert: der selbst in einer Furchtlosigkeit gedacht werden muss, die er, im Gegensatz zu seinen Geschöpfen, immer schon hat, und der zugleich nicht furchtlos gedacht werden kann, ohne ihn zugleich als furchterfüllt zu begreifen. Gryphius’ Catharina von Georgien dramatisiert nicht allein die theologischen Paradoxa der lutherischen Gnadenlehre; in diesem Drama zeigen sich auch diejenigen Paradoxien, die sich theologisch nicht mehr entparadoxieren ließen. Diese Paradoxien markieren kulturelle Grenzen einer genuin religiösen episteme, doch nicht nur das: Mit der historischen Unterscheidung fällt auch die des psychologischen Blicks: die Unterscheidung zwischen Angst (wie Religion sie erfordert) und deren »Bewältigung« (durch Religion). Das (kultur)psychologische Paradigma folgt am Ende, in der Regel ohne sich dessen bewusst zu sein, einem religiösen Apriori, das die Befreiung aus der Furcht verspricht, dabei jedoch nur eine Angst überwinden kann, die es selbst erst ermöglicht hat. Gryphius’ Märtyrerdrama bezwang keine Angst, die es nicht selbst schürte, und es versetzte in keine Angst, gegen die es nicht zugleich ein Mittel gereicht hätte.
3.7. Die Macht der Furchtlosigkeit Die furchtlose Gottesfurcht der georgischen Königin versetzt den persischen Chach Abas in die Furcht des Gewissens. Wie Catharinas divinatorisch-emblematischer Traum verkündet, sind ihre Angstüberwindung und sein Sturz in die Angst kausal miteinander verknüpft. Ein derartiges Wirkungsverhältnis vorzustellen, war nicht allein der literarischen Imagination vorbehalten; es stellt also nicht etwa eine bloße Fiktion dar, im modernen Sinne des Begriffs, sondern wurde auch in nicht-literarischen Selbstbeschreibungen thematisch. Dort wird sichtbar : Nicht allein die Furcht entfaltete eine sich selbst bestätigende Macht und Gewalt, sondern auch ihre Abwesenheit in der Furcht vor dem Herrn; und diese Macht wirkte sich nicht nur religiös-moralisch aus, sondern damit auch ganz körperlich – innerhalb des menschlichen Organismus (dazu Kapitel 4) ebenso wie in Situationen zwischenmenschlichen Handelns. Besonders aufschlussreich dafür ist eine Schlüsselszene aus der Vita des jesuitischen Universalgelehrten und Polyhistors Athanasius Kircher (die nicht zur Publikation
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bestimmt war und von der Autobiographik-Forschung bisher nicht beachtet worden ist).440 1623, im Alter von einundzwanzig Jahren, erhielt Kircher den Auftrag, im Ordenskolleg des sächsischen Heiligenstadt griechische Grammatik zu lehren. Auf dem Weg dorthin stieß ihm ein bemerkenswerter »Unfall« (casus) zu. Obwohl Kircher eine von »Ketzern« bewohnte Gegend (loca hæretica) zu passieren hatte, schlug er die Aufforderung Wohlmeinender in den Wind, auf dieser Route seine Ordenszugehörigkeit zu verbergen; lieber wollte er »in geistlicher Kleidung sterben, als in weltlicher Kleidung sicher reisen.«441 Was Außenstehende befürchteten und was Kircher bereitwillig in Kauf nahm, ließ im »unsicheren und grausigen« »Höllental« (obscura ac horrida … vallis inferni)442 nicht lange auf sich warten. Kircher wurde von im Walde lagernden Reitern umzingelt, an seinem habitus als Jesuit erkannt, ausgeraubt, geschlagen und verletzt. Und in ihrem furor gingen die Peiniger noch weiter. Da diese »Häretiker«, wie es schien, nicht allein von bloßer Habgier, sondern auch »von unversöhnlichem Hass gegen die Jesuiten« erfüllt waren, schickten sie sich an, ihr Opfer zu erhängen, und führten Kircher schon zu dem für Hinrichtungen vorgesehenen Baum.443 Als der so Bedrohte die Aussichtslosigkeit der Lage erkannte, empfahl er sich 440 Athanasius Kircher SJ, Vita R.P. Athanasii Kircheri S.J. Romæ in Collegio Romano post obitum eius inventa, ibidemque, agente R.P. Conrado Holtgreve, cum facultate R.P. Provincialis Romani 7 Sept. anno 1682 prim¾m, deinde iterum anno 1683 descripta Neuhusij J.K. S.J., HLBF Hs. 88 B 103, o.P., im Folgenden zit. als Kircher, Vita, nach meiner Übersetzung und Paginierung. Vgl. die einzig verfügbare deutsche Übertragung: Athanasius Kircher SJ, Selbstbiographie, übers. v. Nikolaus Seng, Fulda 1901. Für eine englische Übersetzung siehe John Edward Fletcher, A Study of the Life and Works of Athanasius Kircher, »Germanus Incredibilis«. With a Selection of his Unpublished Correspondence and an Annotated Translation of his Autobiography, hg. v. Elizabeth Fletcher, Leiden / Boston 2011 (Aries Book Series. Texts and Studies in Western Esotericism 12). Giunia Totaro, L’autobiographie d’Athanasius Kircher. L’¦criture d’un j¦suite entre v¦rit¦ et invention au seuil de l’œuvre. Introduction et traduction franÅaise et italienne, Bern u. a. 2009 (Liminaires – Passages interculturels italo-ib¦riques 14), bietet eine französische und italienische Übertragung sowie eine Edition des 1684 von Hieronymus Ambrosius Langenmantel publizierten lateinischen Textes: Vita Admodum Reverendi P. Athanasii Kircheri …, angehängt an: Fasciculus epistolarum Adm. R.P. Athanasii Kircheri Soc. Jesu, Viri in Mathematicis et Variorum Idiomatum Scientiis Celebratissimi, Complectentium Materias Philosophico-Mathematico-Medicas …, hg. v. Hieronymus Ambrosius Langenmantel, Augsburg 1684. Die im Wortlaut vielfach abweichende Fuldaer Handschrift zieht Totaro nicht heran. Inhaltlich interessieren sie an Kirchers Vita nicht die Formen autobiographischen Schreibens (S. XIV), sondern Unstimmigkeiten gegenüber der Biographie des Verfassers: Diskrepanzen zwischen »Fiktion« und »Wahrheit«. 441 Kircher, Vita, Bl. 22v. 442 Laut Kircher gelegen zwischen Eisenach und Marksuhl. Fletcher, Study, folgt einerseits dieser Lagebestimmung (S. 18), andererseits geht er davon aus, dass das zwischen dem oberfränkischen Marxgrün und dem thüringischen Blankenstein gelegene Selbitztal gemeint ist (S. 513). 443 Kircher, Vita, Bl. 23r.
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»unter Tränen mit glühendem Herzen Gott und der Gottesmutter«.444 Kircher bereitete sich zum Martyrium: »Ich dankte der göttlichen Güte, dass sie mich würdig gemacht hatte, für die Ehre ihres heiligsten Namens zu sterben.«445 Die Tränen flossen »stromweise« (copiose). Und sie hatten eine bemerkenswerte Wirkung. Was an Tränen ausströmte, strömte an Tröstungen ein, in einem Maße, wie Kircher es in seinem Leben nicht gekannt hatte:446 »Keine Furcht besetzte mich länger, und ich verspürte die größte Bereitschaft, für Gott mein Leben und mein Blut verströmen zu lassen.«447 Diese tränenreiche Furchtlosigkeit nun, die Bereitschaft, sich composito animo448 in das Befürchtete zu finden, vermochte das Drohende abzuwenden: Durch die Tränen des Opfers wurde einer der umstehenden Soldaten derart von Mitleid »berührt« (commiseratione tactus), dass er an seine Begleiter appellierte, ihre Hände nicht mit dem Blut eines Unschuldigen zu beflecken. Hatten Jesuiten auch Böses getan, Kircher sollte dafür nicht büßen; das Kleid, an dem sie ihn zu erkennen glaubten, verschleierte bei genauem Hinsehen seine wahre »Person«.449 Wer diesen Unschuldigen ums Leben brachte, so der Redner, sah göttlicher Strafe entgegen. Die Worte verfehlten nicht ihre Wirkung. Die Reiter ließen von Kircher ab, wie er berichtet, und händigten die geraubten Sachen aus. Doch damit nicht genug: »Wie von panischem Schrecken befallen zogen sie sich in das Innere des Waldes zurück und ließen mich mit meinen Kleidern und den Schriften, die sie mir genommen hatten, allein.«450 Nur Kirchers Retter kehrte noch einmal zurück: um den Geretteten um Fürbitte anzusuchen, dass ihm die Schuld des Verbrechens nicht angerechnet werde, und um ihm dringlich zu raten, den Ort der Gefahr zu verlassen. Dieses Mal beherzigte der Reisende den Rat, Gott dem Allmächtigen dankbar für den Beweis seines Schutzes, wenn auch nicht ohne Bedauern, »der so ersehnten Gelegenheit, für Seine Ehre zu sterben, benommen worden zu sein.«451 In dieser Szene finden sich unterschiedliche Formen der Gewaltdrohung, die in je unterschiedlicher Weise Furcht erregen. Athanasius Kircher wird mit dem 444 Ders., Vita, Bl. 23r/v : »cum lacrymis Deo Matrique ardenter me commendabam«. 445 Ders., Vita, Bl. 23v : »gratias agens Divinæ Bonitati, quæ me pro sanctissimi nominis sui honore mortem subire dignum fecisset«. 446 Ders., Vita, Bl. 23v : »tanta consolationum abundantia me repleri sensi, quanta nunquam in vita me«. 447 Ders., Vita, Bl. 23v : »neque enim ullus amplius timor me occupabat, pro Deo vitam et sanguinem fundere paratissimum.« 448 Ders., Vita, Bl. 23r. 449 Zur Problematik der Verkleidung auch unten Kap. 5.3. 450 Kircher, Vita, Bl. 24r: »Itaque moti circumstantes […] sermonis huius efficacia, proposito desistentes, veluti panico quodam pavore invasi, in interiora silvæ, me solo un cum veste et scriptis, quæ abstulerant, relicto, sese receperunt.« 451 Ders., Vita, Bl. 24v – 25r : »at hoc unicum dolebam, tam optatam me pro ipsius Gloria moriendi occasionem perdidisse.«
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Tod bedroht; er überwindet die Furcht, in die er versetzt ist, und versetzt damit seinerseits die Angreifer in Furcht (und folgt damit ganz den Ignatianischen Exerzitien, der zwölften Regel zur Unterscheidung der Geister).452 Der pavor der Reiter erscheint zunächst als ein Erschrecken des Gewissens in der Erkenntnis der eigenen Taten und ihrer zu erwartenden Folgen. Wie jedoch erklärt es sich, dass diese Soldaten nicht lediglich zur Einsicht kamen und Kircher passieren ließen, sondern sich darüber hinaus in »panischer Angst« in die Wälder zurückzogen? Wie war es denkbar, fragt es sich, dass der Furchtlosigkeit Kirchers eine derartige Macht zukam? Für eine Antwort ist es hilfreich, sich die spezifische Sprachlichkeit der fraglichen Drohung vor Augen zu führen. Mit Sprache lässt sich Gewalt ausüben, das ist aus performanz- und sprechakttheoretischer Perspektive keine neue Erkenntnis,453 und eine mögliche Variante eines derartigen Sprechakts besteht in einer furchterregenden Drohung. In der Frühen Neuzeit jedoch, und dies stellt eine historische Besonderheit dar, konnte eine Drohung nicht allein verbal ausgesprochen werden: Auch ein befürchtetes Ereignis ließ sich als eine solche verstehen; denn was im 17. Jahrhundert als bedrohlich wahrgenommen wurde, konnte immer auch als göttliche Gewalt aufgefasst werden und als solche als göttliches Wort: als Mahnung zur Gottesfurcht und als Strafe an denen, die sie nicht hatten. Auch die Furchtlosigkeit Kirchers, die sich verbal nicht mehr artikuliert, stellt die Vita als ein derart bedrohliches Ereignis vor. Wird das komplexe Wechselspiel von Gewaltdrohung und Furcht nicht soziologisch,454 sondern kultursemantisch analysiert, so erweist es sich als Teil einer göttlichen Vorsehung, die mit der Gewaltsamkeit der Furcht auch der Furchtlosigkeit eine besondere körperliche Macht verlieh. Eine leidensbereite Furchtlosigkeit, so 452 Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, Nr. 325. 453 Vgl. dazu aus überwiegend performanz- und sprechakttheoretischer Perspektive: Blutige Worte. Internationales und interdisziplinäres Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Jutta Eming / Claudia Jarzebowski, Göttingen 2008 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 4); zur Blasphemie: Francisca Loetz, Mit Gott handeln. Von den Zürcher Gotteslästerern zu einer Kulturgeschichte des Religiösen, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 177); dies., Gotteslästerung und Gewalt: ein historisches Problem, in: Religion und Gewalt, hg. v. Greyerz / Siebenhüner, S. 305 – 319; Gerd Schwerhoff, Zungen wie Schwerter. Blasphemie in alteuropäischen Gesellschaften 1200 – 1650, Konstanz 2005; ders., Gott und die Welt herausfordern: Theologische Konstruktion, rechtliche Bekämpfung und soziale Praxis der Blasphemie vom 13. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts, Bielefeld 1996; ders., Blasphemare, Dehonestare et Maledicere Deum. Über die Verletzung der Göttlichen Ehre im Spätmittelalter, in: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Klaus Schreiner, Köln / Weimar / Wien 1995, S. 252 – 278. 454 Wie etwa bei Heinrich Popitz, Phänomene der Macht, 2., stark erw. Aufl., Tübingen 1992, S. 79 – 103.
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zeigt sich bei Kircher, vermochte nicht allein im Jenseits ewige Furchtlosigkeit zu sichern. Bereits hier und jetzt bestätigte sie sich selbst. Sie nahm die Furcht, indem sie ihr den Anlass nahm. Furchtlosigkeit wurde hier selbst zur Sprache, in Worten und Gesten, in körperlichen und affektuellen Manifestationen; und die Drohung, die sie barg, zeitigte gewaltsame Wirkungen. Sie vertrieb, was Furcht erregte, und das waren nicht nur Krankheiten, wie sie im folgenden Kapitel Thema werden, sondern auch Personen. Was im Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg von Athanasius Kircher ausbuchstabiert wurde, zeigt sich im späten 16. Jahrhundert bei Michel de Montaigne. Für Montaigne, wie eingangs gezeigt, war das Furchterregendste die Furcht.455 Sie war ihm die Vergegenwärtigung eines künftigen, aktuell noch nicht eingetretenen Übels, in der nicht allein die Gegenwart verloren ging, sondern dieser Verlust zudem als solcher spürbar wurde: als Differenz zum Guten. Das Übel, so schien es ihm, war leichter zu ertragen als das Wissen um seine Möglichkeit.456 Und auch für Montaigne vergegenwärtigte diese Furcht das Befürchtete nicht allein in der Vorstellung, sondern vermochte das Vorgestellte selbst herbeizuführen.457 Da empfahl sich Furchtlosigkeit. Montaignes Reflexionen auf das Wesen, die Entstehungsbedingungen und die Folgen der Furcht, wie sie die Essais durchziehen, erscheinen als Auftakt eines Programms ihrer Überwindung. Die Essais, so oft sie auch von Furcht sprechen, präsentieren sich nicht furchterfüllt, sondern als ein Akt der Selbstsorge: als ein Ausweg aus der Furcht. Wenn Montaigne von eigener Furcht schreibt, demonstriert er am Ende ihre Abwesenheit. Die dabei proklamierte Furchtlosigkeit vermochte das Furchterregende nicht allein zu ertragen, sondern aktiv zu vertreiben. Im Essai De la phisionomie etwa berichtet Montaigne von einer Reise »durch ein außerordentlich unsichres Gebiet«, bei der er »von fünfzehn, zwanzig maskierten und wohlbewaffneten Adligen angegriffen [wurde], denen eine Welle berittner Arkebusenschützen folgte.« Montaigne wurde gefangen genommen und ausgeplündert, und am Ende gerieten die Räuber »untereinander in einen großen Streit, ob sie mich leben lassen sollten, und in der Tat gab es viele bedrohliche Umstände, die mir vor Augen führten, in welcher Gefahr ich schwebte.«458 Bei aller Lebensgefahr jedoch wusste Montaigne sich Mut zuzusprechen – im Rückgriff auf einen auctor classicus, der Welthistorisches verhieß: »Jetzt, Aeneas, ist dein Mut gefragt, jj
455 Montaigne, Essais I, 18, S. 120. Vgl. auch I, 14, S. 87, 90 f.; II, 3, S. 38; II, 6, S. 67; II, 17, S. 475 f.; III, 12, S. 415. 456 Ders., Essais I, 3, S. 24 f.; II, 12, S. 245; II, 15, S. 428, II, 17, S. 475 f.; III, 12, S. 416. 457 Ders., Essais I, 11, S. 66; I, 14, S. 90 f.; I, 24, S. 203; II, 3, S. 38; II, 6, S. 76; II, 17, S. 484; II, 37, S. 661; III, 6, S. 183. 458 Ders., Essais III, 12, S. 435.
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jetzt sei stark dein Herz und unverzagt!«459 Der so Ermutigte verhandelte dann recht offensiv über die finanziellen Bedingungen seiner Freilassung. War ihm dabei zunächst auch kein Erfolg beschieden, so blieb die erlangte Kraft dennoch nicht ohne Wirkung. Eben sollte Montaigne als Gefangener davongeführt werden, »dabei schon, Castor anzuflehn, jj und Pollux, mir doch beizustehn«,460 da konnte er bei seinen Häschern einen »völlig unverhofften Meinungsumschwung« feststellen. Unversehens zeigten sich die Feinde versöhnlich und erstatteten Montaigne nicht allein die gestohlene Habe zurück, sondern auch und vor allem seine Freiheit. Für diesen Gesinnungswechsel erhielt der erstaunte Verfasser eine aufschlussreiche Erklärung: »Was die wahre Ursache dieser so überraschenden Sinnesänderung und Umkehr ohne ersichtlichen Beweggrund war, dieser wundersamen Reue nach einem wohlüberlegt geplanten Überfall, wie sie mittlerweile bei uns zum Gewohnheitsrecht geworden sind (denn ich hatte ihnen gleich zu Anfang offen bekannt, welcher Partei ich angehörte und wohin meine Reise ging) – das weiß ich wahrhaftig heute noch nicht. Der unter ihnen damals am meisten hervortrat, sich schließlich die Maske abnahm und mir seinen Namen nannte, betonte mir gegenüber immer wieder, daß ich die Befreiung meinem Gesicht sowie meinen offenherzigen und unerschrocknen Worten verdankte: Sie hätten gezeigt, daß ich ein solches Mißgeschick nicht verdiente. Dann bat er mich gegebnenfalls um die gleiche Behandlung. Es ist möglich, daß die göttliche Güte sich dieses banalen Mittels hat bedienen wollen, um mich am Leben zu erhalten: Sie schützte mich schon tags darauf gegen weitere, noch schlimmre Hinterhalte, vor denen mich ausgerechnet jene Leute gewarnt hatten!«461
Wahrhaftige Furchtlosigkeit bewies, wer die Furchterregenden dazu brachte, sich für ihre eigenen Opfer einzusetzen. Dies konnte später auch Athanasius Kircher feststellen – und nicht nur er : Als im Spätsommer 1634 die Schweden das Dominikanerinnenkloster Zum Heiligen Grab bedrängten, zeigten sich die Ordensschwestern eher bereit zu sterben, als es zu verlassen; damit, so die Klosterchronistin Maria Anna Junius, veranlassten sie den Obristen Lohausen zu der Feststellung, sie hätten recht daran getan, denn andernfalls »wert ihr in meiner gewalt gewessen«.462 Die Furchtlosigkeit des Gottvertrauens schien das 459 Ders., Essais III, 12, S. 435 (Vergil, Aeneis VI, 261: »Nunc animis opus, Ænea, nunc pectore firmo«). 460 Montaigne, Essais III, 12, S. 436 (Catull, Carmen 68b, 65: »Jam prece Pollucis, jam Castoris implorata«). 461 Montaigne, Essais III, 12, S. 436 f. Bereits bei einer vorangegangenen drohenden Ausplünderung durch einen benachbarten und entfernt verschwägerten Adligen sei es Montaignes »Gesicht und [s]ein offenherziges Auftreten gewesen, die den verräterischen Anschlag« vereitelt hatte (S. 432 – 435, zit. 434). 462 Maria Anna Junius, Verzeignuß, publiziert in: Bamberg im Schweden-Kriege, bearb. v. Friedrich Karl Hümmer, in: Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg 52 (1890), S. 1 – 168, und 53 (1891), S. 169 – 230, hier 118 f.; vgl. darüber hinaus S. 216 – 223 sowie 178 f. und 187. In Staunen und
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wirksamste Mittel, den Anlass einer Furcht zu beseitigen, die, nicht anders als dieser, auf mangelnde Gottesfurcht verwies. Die Furchtlosigkeit versetzte ihrerseits in Furcht: in Furcht vor der Furchtlosigkeit, und das heißt: in die Furcht vor Gott. Dies war bei den einen die Ehrfurcht vor jenen, denen Gott die Furcht genommen hatte: So fürchteten sich die Adligen, die Montaigne überfallen hatten, und so fürchtete sich der Reiter, dessen Ansprache Kircher das Leben rettete. Erscheint dessen Umkehr bei Kircher als Resultat und Ausdruck einer religiös-moralischen Reflexion, so ist dies jedoch offensichtlich bei denen, die der Redner angesprochen hatte, nicht der Fall. Die Furcht, die diese zum Rückzug bewog, war keine »kindliche«, sondern eine »panische«, eine Furcht also, die nach zeitgenössischen Begriffsbestimmungen gerade durch eine fehlende Kenntnis vom Wesen und Ursprung der drohenden Gefahr charakterisiert war. Mehr noch: Setzte die kindliche Furcht des Gewissens eine geistig-seelische Integrität voraus, so der pavor panicus, im Gegenteil, eine mentale Dislozierung,463 einen Verlust der »vernunfft«, der schon die Augustinernonne Clara Staiger in größere Furcht versetzte als der körperliche Tod.464 Ruhe und Gelassenheit Kirchers nahmen seinem Gegenüber die Ruhe. Dass er den Tod des Körpers nicht fürchtete, ließ jene, die ihn damit bedrohten, um ihre Seele besorgt sein. Vor diesem Hintergrund erscheint diese Furcht der Soldaten als eine Verwunderung, so Junius, versetzte die Schweden die Tatsache, »das wir alls weibs perschonen in solcher gefahr da hausen Blieben seint« (S. 187). Vgl. auch S. 221: »dan wan man gedenkt in was gefahr wir gestanden wie man dan solchiges in diesen Büchlein zu lessen finden wird/ alta wird man sehen wie riedterlich wir alls schwage weibsperschonen diese zeit gestridten haben welches sich mehr zu verwundtern ist dan darvon zu rethen/ wie sich dan die feind selbsten nicht wenig über uns verwundert haben das wir alls weibsperschonen welche allein so weit da haussen liegen diese gefehrliche zeit also geblieben seint«. – Eine weitere vergleichbare Situationsbeschreibung aus dem Dreißigjährigen Krieg findet sich in den Aufzeichnungen des Prämonstratensermönchs Georg Sautter : Erzellung, waß R.P. Georgius Sautter, Canonicus Marchtall., Pfarr=Vicarius zu Unter=Wachingen, den Schwedischen Krieg durch (während der Jahre 1632 und 1633) ausgestanden, in: Die Schweden in Schwaben, in: Historisch-politische Blätter 104 (1889), S. 688 – 707, hier 693 – 707, insbes. 704 f. Vgl. auch Conrad Burger, Itinerarium, publiziert als: P. Konrad Burgers Reisebüchlein, hg. v. P. Gregor Müller, in: Cistercienser-Chronik 43 – 45 (1931 – 1933), hier Bd. 43, S. 261. 463 Gentzken, De passionibus, S. 62, § 3: »Quando vero metus subito in nobis existit, dicitur Terror, qui si est citra cognitionem periculi unde & quale sit, cognominatur Panicus. Sed metus mentem loco movens vocatur Pavor, quando autem diu permanent appellatur Formido.« Zum pavor siehe ebenso Alsted, Encyclopædia, S. 2369; Peregrinus, De noscendis, S. 185 (der formido als Furcht vor Gespenstern bestimmt); Hobbes, Leviathan, S. 53; ders., Vom Menschen, S. 32. Die genannte Bestimmung des terror panicus findet sich auch bei Johann Christoph Becmann, Lineæ Doctrinæ Moralis de Natura Moralium Variisqve Eorum Casibus Ductæ, Berlin 1686, S. 159: »Metus sine conceptione periculi, unde & quale sit, est Terror Panicus.« 464 Staiger, Verzaichnus, Bl. 80 f. Näheres zu Staiger unten in Kap. 4.3 und 5.2. Vgl. auch Montaigne, Essais I, 18, S. 120: »So raubt mit eis’ger Hand/ die Furcht mir den Verstand.« Hier zitiert Montaigne den Ennius zitierenden Cicero, Tusculanae Disputationes IV, 19.
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»knechtische«. Sie flohen von Gottes Angesicht, anstatt zu religiös-moralischer Einsicht zu gelangen, ihr Rückzug trat an die Stelle geforderter Umkehr ; und so kehrten sie, anders als der, der zu ihnen gesprochen hatte, nicht noch einmal zurück. In dieser Furcht (des Gewissens) konnten sie der befürchteten Strafe, der sie zu entgehen suchten, nicht entgehen. Dieser pavor panicus war nicht allein Reaktion auf eine Warnung vor der Strafe, die sie ereilen würde, wenn sie nicht von ihrem verwerflichen Vorhaben abließen, sondern er war selbst schon die Strafe, die er fürchtete: »göttliches Verhängniß oder Gericht«.465 Diese Furcht spiegelte die Tat: Kirchers Furchtlosigkeit versetzte jene in Furcht, die ihn in Furcht versetzt hatten. Anders als im Falle des Redners war diese Furcht nicht die Überwindung, sondern das Zeichen von Schuld. Eine derartige Wirkung der Furchtlosigkeit setzte voraus, dass es weder die Furchtlosen noch die Furchtsamen waren, die hier handelten. Montaigne konnte bis zuletzt »die wahre Ursache dieser so überraschenden Sinnesänderung« seines feindlich gesonnenen Nachbarn nicht erkennen – und rekurrierte am Ende auf »die göttliche Güte«. Auch Kirchers Darstellung besagt: Was geschah, hatte er keineswegs intendiert. Eben deswegen wurden die Angreifer durch den Angegriffenen vertrieben: weil er sie gar nicht (mehr) vertreiben wollte, weil er es der Güte (und der Gewalt) Gottes überlassen hatte, dies zu tun.466 Gott konnte Leben schenken und nehmen: Er gab die Möglichkeit, für seine Ehre zu leben und für seine Ehre zu sterben. Wahrhaft Gottesfürchtige konnten nicht wissen, was sie lieber wollten, und überließen es ihrem Schöpfer. Der nun sah den Zeitpunkt zu sterben noch nicht gekommen: »Athanasius«, der Heilige von »unerschütterlicher Standhaftigkeit«, in dessen Zeichen die väterliche Namensgebung den Sohn erfolgreich gestellt hatte,467 heißt auch: »der Unsterbliche« (!h²mator). Athanasius Kircher war bereit zum Martyrium, ja, er provozierte es geradezu; und eben deswegen entging er ihm: weil er am Ende »selbst« keinen Einfluss auszuüben suchte. Derartige Wirk- und Sanktionszusammenhänge basierten auf einer spezifischen Körperlichkeit inner- und überweltlicher Beziehungen, auf einer episteme, die Dinge und Geister ebenso wie göttliches und menschliches Handeln semiotisch und kausal miteinander verband. Über das Gottvertrauen seines 465 Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1113. 466 Vor diesem Hintergrund erscheint die Wirkungsmacht der Furchtlosigkeit nicht als »imaginative Gegengewalt«. Zu diesem Begriff siehe Mommertz, »Imaginative Gewalt«, S. 357. Näheres zum Verhältnis von Gewalt und Imagination unten in Kap. 4. 467 Kircher war am Festtag des Hl. Athanasius, des Kirchenvaters aus Alexandria, geboren worden (2. Mai): »quoniam eodem tempore, quo parens hæreticorum persecutionibus summÀ agitaretur, nascebar ipso S. Athanasij sacro die, parens, qui dictum Sanctum summo semper cultu ob eximiam in Arianorum persecutione constantiam, ex imperturbabilem fortitudinem prosecutus fuerat, immo in suum patronum acciverat, veluti boni ominis Athanasij mihi nomen esse voluit.« Kircher, Vita, Bl. 2v – 3r.
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Schützlings versetzte Gott dessen Feinde in eine »Panik«, die aus dem Umstand, dass ihnen ins Gewissen geredet worden war, nicht verständlich wird. Nicht allein die Furchtlosen, sondern auch die in Furcht Versetzten handelten nicht »selbst«; jene, die sich voller Angst zurückzogen – von dem, den sie in Todesangst versetzt hatten und der diese Todesangst, christusgleich, überwand –, taten dies nicht lediglich aus religiös-moralischer Einsicht: Sie wurden – körperlich gewaltsam – »überfallen« (invasi), von Gott »geschlagen und hinweg getrieben«.468 Hier handelten nicht »Subjekte«, sondern Affekte. Auch dies ist ein Erbe antiker Konzeptionen in christlichem Gewand.469 Die Körperlichkeit – und die Räumlichkeit – des Aus- und Einströmens von Tränen und Tröstungen, von Blut und Leben zeigt: Die »Person«, die hier Furcht erregte und mit Furcht »erfüllt« wurde, war noch kein psychophysisch abgeschlossenes Individuum, das heißt: Der Innenraum ihrer Affekte unterschied sich qualitativ nicht vom Außenraum ihres Handelns. Diese »Person« war noch nicht getrennt von der Welt durch ihre Haut, sondern Medium und Austragungsort von Auseinandersetzungen um das osmotische Gleichgewicht eines göttlichen Kosmos.470 Kirchers Furchtlosigkeit – um kurz zusammenzufassen – artikulierte sich in Tränen, die sein Gegenüber »berührten«; sie veranlassten eine Ansprache, durch 468 Junius, Verzeignuß, S. 207 (in Bezug auf die feindlichen Schweden). Kircher selbst war (zunächst) von Furcht »besetzt« (Kircher, Vita, Bl. 23v). 469 Zu diesen antiken Auffassungen siehe Böhme, Vom phobos zur Angst, insbes. S. 162 – 165. Böhme jedoch verortet sie historisch im vorklassischen Hellas und sieht sie bei Aristoteles bereits durch die Konzeption eines »verseelten« und »verinnerlichten« Gefühls verdrängt (um sie dann vermittels der Leibphänomenologie von Hermann Schmitz philosophisch wiederzubeleben: Hermann Schmitz, System der Philosophie, Bd. 3.2: Der Gefühlsraum, Bonn 21982). Kirchers Vita zeigt dagegen, dass Böhmes Interpretation, die in der homerischen Affektivität eine »Übermacht der Gefühle« und »Schwäche des Ichs« ausmacht (Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 164), einen modernen Subjektbegriff in die Geschichte projiziert und damit auch die Traditionalität der voraufklärerischen europäischen Neuzeit verdeckt. Wenn Böhme Gefühlen eine Täterschaft und eine »agency« zuschreibt, ist dies in der Tat »modern gesprochen« (S. 163). Für den Begriff der »Verseelung« siehe S. 156. 470 Dazu Foucault, Ordnung der Dinge; Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a. M. 21991, S. 294; Ralf Konersmann, Kulturelle Tatsachen, Frankfurt a.M. 2006, S. 188; Claudia Benthien, Haut. Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse, Reinbek b. Hamburg 1999; Mike Crang / Nigel Thrift, Introduction, in: Thinking Space, hg. v. dens., London / New York 2000 (Critical Geographies 9), S. 1 – 30, hier 7; Ulinka Rublack, Fluxes: The Early Modern Body and the Emotions, in: History Workshop Journal 53 (2002), S. 1 – 16, insbes. 2. Vgl. auch Gernot Böhme, Der offene Leib. Interpretation der Mikrokosmos-Makrokosmos-Beziehung bei Paracelsus, in: Transfigurationen des Körpers. Spuren der Gewalt in der Geschichte, hg. v. Dietmar Kamper / Christoph Wulf, Berlin 1989 (Reihe Historische Anthropologie 6), S. 44 – 58. John Jeffries Martin, Myths of Renaissance Individualism, Basingstoke, Hampshire / New York 2004, beschränkt die spezifische »Porosität« der menschlichen Körpergrenze in modernistischer Perspektive auf »pathologische« Zustände der »Besessenheit« (vgl. insbes. die Einleitung und Kap. 5). Weiteres dazu in den folgenden Kapiteln.
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die die Umstehenden eine »panische« Angst »befiel«, die sie zum Rückzug trieb und Kircher den Anlass der Furcht nahm. Die Körperlichkeit dieser Ereigniskette erklärt sich aus ihrer sprachlichen Dimension (im historischen Sinne, nicht im analytischen). Diese Sprache zeitigte körperlich-affektuelle Wirkzusammenhänge, da Gott es war, der hier das Wort ergriff. Eine Drohung konnte eine größere Gewaltsamkeit als das Angedrohte entfalten (so wie die Furcht eine größere als das Befürchtete), wo sie als göttliche Äußerung erschien. Und wo Furcht als Strafe fungierte für die Furcht vor Strafe, dort ließ sich der Zusammenhang auch umkehren. Wo es möglich schien, in der (knechtischen) Furcht vor Gottes Wort die Gewalt zu erleiden, die befürchtet wurde, dort erhob sich in der eigenen Furchtlosigkeit die Stimme göttlicher Gewalt. Wer Sünde und Furcht überwand (und sei es im Wissen, sie nicht überwinden zu können), wurde zum Sprachrohr Gottes, das die Ungerechten in die Flucht schlug, indem es sie in die Furcht vor seiner Gerechtigkeit versetzte: in die Furcht vor der eigenen Ungerechtigkeit. Kirchers Tränen waren nicht Zeichen der Furcht, sondern eine Sprache der Furchtlosigkeit: wirksames Zeichen göttlicher Macht.471 Dieser Befund hat Konsequenzen für die Debatte über das Verhältnis von Sprache und Gewalt. Im 17. Jahrhundert wurde die Gewalt, die ein Mensch in der durch eine Drohung ausgelösten Furcht erlitt, nicht als eine »psychische« gefasst; diese Gewalt wurde nicht initiiert durch die sprachliche Repräsentation einer physischen, und ihr Erleiden konstituierte sich nicht als eine subjektive »Erfahrung«, nicht als ein Ereignis mentaler Innerlichkeit. Vielmehr wurde sie in dieser Form erlitten, weil sie selbst als Sprache erschien. Die von körperlicher Gewalt sprechende Sprache wiederum repräsentierte diese nicht allein, sondern entwickelte selbst eine körperliche Gewaltsamkeit. Und auch dies ist weiter zu präzisieren: Die Gewalt der Sprache erschien nicht als sprachliche Gewalt mit körperlichen Folgen, sondern selbst als die körperliche Gewalt, von der sie sprach. Diese Körperlichkeit der gewaltsamen Sprache unterscheidet sich von der eines Sprechaktes; sie erklärt sich nicht lediglich daraus, dass sprachliche 471 Sie waren affektueller Ausdruck erfahrener Gottesnähe (dazu Louise Gnädinger, Feuertränen. Caterina von Sienas Tränen-Lehre und Tränen-Erfahrung, in: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik 54 [1981], S. 85 – 98; Michael Plattig, Vom Trost der Tränen. Ignatius von Loyola und die Gabe der Tränen, in: Studies in Spirituality 2 [1992], S. 148 – 199), keine Sprache bittender Selbstbezichtigung (dazu Gerd Althoff, Empörung, Tränen, Zerknirschung. Emotionen in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters, in: ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 258 – 281, insbes. 258, 263, 268). Vgl. auch Rublack, Fluxes, S. 6 ff., und zur Sprachlichkeit von Tränen Justin Stagl, Nichtlachen und Nichtweinen als negative Gesten, in: Überraschendes Lachen, gefordertes Weinen. Gefühle und Prozesse, Kulturen und Epochen im Vergleich, hg. v. August Nitschke / Justin Stagl / Dieter R. Bauer, Wien / Köln / Weimar 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V. 11), S. 89 – 108, hier 89.
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Zeichen immer auch etwas tun.472 Und so ist die »metaphysische Dichotomie […] zwischen Materie und Sprache« hier in anderer Weise aufgelöst als in einer Theorie der Performativität, die sich, in Rezeption der speech act theory, mit dem Verhältnis von Gewalt und sprachlicher Identitätskonstitution auseinandersetzt.473 Die »Handlung der Drohung und die angedrohte Handlung« standen sich hier nicht chiastisch gegenüber,474 sondern fielen zusammen. Die erlittene und ausgeübte Gewalt ist als Teil eines körperlich wirksamen Komplexes von religiös-moralischen und natürlichen Zusammenhängen anzusehen, der auch ihre sprachlichen Repräsentationen umfasst. Konzepte des Sprechaktes und der Performativität basieren auf spezifisch modernen Begriffen des Körpers, der Sprache und der Gewalt, vor deren Hintergrund die paradoxe semantische Einheit von Furcht und Furchtlosigkeit in Selbstbeschreibungen des 17. Jahrhunderts unverständlich bleibt. Montaignes Gesicht veranlasste seinen Gegner, die Maske vom Gesicht zu nehmen. Die Tränen, die Kircher aus den Augen trieben, trieben seinen Peinigern den Schrecken in die Glieder. Gesicht wirkte auf Gesicht. Es repräsentierte die »Person« auf der einen Seite und bewirkte deren Wechsel auf der anderen. Dieses Gesicht war selbst eine »Maske« und nicht nur das, was die Maske verbarg: Es war (lat.) »persona«.475 Die vom Gesicht angesprochen waren, setzten ein anderes Gesicht auf oder wandten es ab. Sie wechselten die Maske: die »Person«. Die Angesprochenen vollzogen eine Umkehr, nicht allein in ihrem Bewusstsein, sondern auch und vor allem in ihrer körperlichen Bewegung. Die persona der Angegriffenen zeigte den Angreifern, dass sie einen anderen vor sich hatten, als sie zunächst dachten. Dies ließ die Angreifer umkehren: Sie wechselten ihr Gesicht (und nicht etwa eine »Identität«). Die Sprache der Angegriffenen verwies die Angreifer auf die Gottesfurcht, zu der sie fähig waren, und trieb ihnen ihr feindliches Ansinnen aus. Diese Umkehr der Angesprochenen zeichnete die conversio der Sprechenden nach, die sie beschrieben und die erstere erst ermöglichte. Durch die Furchtlosigkeit der Person tat Gott den anderen, was er an ihr selbst getan hatte, als sie noch furchtsam gewesen war : Er versetzte in Furcht, um in die Furchtlosigkeit der Gottesfurcht zu führen. Wo sich die »Maske« von der »Person« zum Signum ihrer Verstellung gewandelt hatte, nahm 472 Grundlegend zum Sprechakt, im Anschluss an Ludwig Wittgensteins Konzept des »Sprachspiels«: John L. Austin, How to Do Things with Words, Oxford 1962. 473 Wie insbes. Judith Butler, Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt a.M. 2006 [New York 1997], S. 13 f., 21 – 25, das Zitat S. 24. Auch wenn Butler Sprache als eine körperliche Handlung auffasst, geht es ihr dabei doch um sprachliche und nicht um körperliche Gewalt. 474 Anders als bei Butler, Haß spricht, S. 25. 475 Zur historischen Semantik der »persona« vgl. Konersmann, Kulturelle Tatsachen, S. 156 – 189.
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die Unverstelltheit der Bedrohten den Drohenden die Maske vom Gesicht und die Waffen aus der Hand. Es bleibt festzuhalten: Wer sich im 17. Jahrhundert mit Furcht und Angst auseinandersetzte, betrieb keine Individualpsychologie, sondern erörterte Kernprobleme der Theologie, der Moralphilosophie sowie der politischen und militärischen Theorie; er stand, mit anderen Worten, im Zentrum gesellschaftlichkultureller Selbstverständigungs- und Normierungsprozesse. Denn ungeachtet unterschiedlicher Akzentuierungen und Kontroversen in und zwischen den einzelnen Wissensfeldern kreisten die Debatten über diese Affekte immer auch um die Frage nach der Furcht vor Gott: nach dem Bemühen, ihm nahe, und der Angst, ihm ferne zu sein, sowie dem Schrecken, in den seine mächtige Hand zu versetzen vermochte. Wer das Wesen von Furcht und Angst zu klären suchte, fragte stets nach der richtigen Furcht – in Abgrenzung von der falschen. Dies gilt für die Theologen und Philosophen, die den rechten Glauben anmahnten und ein vernünftiges Gleichgewicht der Affekte, und es gilt für all jene Theoretiker, denen es um die Furcht vor irdischen Herrschern und militärischen Befehlshabern sowie um die Furchtlosigkeit gegenüber den Soldaten des Feindes zu tun war. Es ist jedoch gerade auch für die Autobiographik und die dramatische Literatur festzustellen, für Texte also, die kein primär normatives Ziel verfolgten. Pfarrer Johannes Braun etwa maß die Herrschenden an ihren eigenen Maßstäben; seine Ephemeriden kritisierten die Feigheit und die Sorglosigkeit der Oberen seines Landes. Andreas Gryphius setzte auf einer anderen Ebene an. Er stürzt den Tyrannen, der keine rechte Furcht kennt vor Gott, in die Angst des Gewissens und die Furcht vor der Hölle; und er bedient sich dazu der Gottesfurcht der Märtyrerin: der Furchtlosigkeit jener Catharina von Georgien, die Chach Abas in Angst und Schrecken versetzt hatte. Diese Spiegel-Konstellation entspringt nicht lediglich literarischer Imagination; sie findet sich auch in nichtliterarischen Beschreibungen des eigenen Lebens. Die Vita Athanasius Kirchers ist dafür ein aufschlussreiches Beispiel; und sie geht noch einen Schritt weiter. In ihr versetzt die Furchtlosigkeit des gottergebenen Erzählers den, der ihn angreift, nicht nur in eine knechtische Furcht, sondern schlägt ihn damit sogar in die Flucht und bannt die Gefahr. Wo falsche Furcht auf sich zog, was sie fürchtete, heißt das, dort vertrieb rechte Gottesfurcht den Anlass der Furcht. Die in diesem Kapitel zitierten Texte proklamieren furchtlose Furcht in je unterschiedlicher Form. Deren epistemischer Rahmen jedoch – auch dies zeigt Athanasius Kircher – überschritt nicht nur die Grenzen zwischen den einzelnen Wissensarsenalen, sondern auch die gnaden- und rechtfertigungstheologischen Differenzen zwischen den Konfessionen. In Erzählungen wie Kirchers Vita manifestieren sich Implikationen historischer Furchtkonzepte, wie sie die Theorien der Zeit kaum vorzuführen ver-
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mochten; und es wird ersichtlich, dass weder literarische noch autobiographische Texte zu verstehen sind ohne das zeitgenössische Wissen von Furcht und Angst und dessen normative Grundierung. Die Furcht vor Gott war im 17. Jahrhundert affectus und passio; und das heißt: Sie stellte keinen Gegensatz zur Vernunft dar, sondern deren konstitutiven Bestandteil – auch dort, wo zunächst andere Schlüsse nahezuliegen scheinen: in mystischen Traditionszusammenhängen einerseits und andererseits bei jenen Philosophen, die, wenn sie von »Passionen« sprachen, nicht primär daran interessiert waren, die hingebungsvolle Unterordnung unter den göttlichen Willen zu preisen, sondern eine kluge Affektregulierung zu sichern suchten.476 Gottesfurcht hatte ihren Ort noch nicht in den Tiefen eines personalen Innenraums, sondern auf der Leiter, die zum Göttlichen hinaufführt. Erst seit dem späten 18. Jahrhundert konnte sie als »Gefühl« gefasst werden, vornehmlich von den Kritikern »enthusiastischer Schwärmerei« – von Aufklärern ebenso wie von Vertretern orthodoxer Theologie.477 Diese Konzeptualisierung mündete in eine pathologisierende Perspektive, die die Furcht vor Gott grundsätzlich ins Visier nahm und nicht nur deren servile Form: weil sie ihren Ursprung nicht mehr in Seinem Handeln erkannte, sondern im psychophysischen Organismus des Menschen – und weil sie in der Macht des himmlischen Herrschers damit ausschließlich noch einen Furcht erregenden Gegenstand sah. Hier konnte Gottesfurcht auf eine Reaktion auf erfahrene und imaginierte Gewalt reduziert werden. Verstanden als »Affect« dagegen, gründete sie in einer Leitunterscheidung, die sie befähigte, ganz körperlich und gewaltsam zu wirken: Die rechte, kindliche Furcht, wie gesehen, schlug die, die (ungerechterweise) Furcht erregten, und die falsche, knechtische, dies wird auch das folgende Kapitel zeigen, traf jene, die von ihr erfüllt waren, selbst.
476 Newmark, Passion, S. 20, streicht lediglich die Unterschiede zwischen theologischen und philosophischen passio-Konzepten heraus und vernachlässigt damit die religiösen Einzeichnungen der letzteren. 477 Vgl. dazu Monique Scheer, Empfundener Glaube. Die kulturelle Praxis religiöser Emotionen im deutschen Methodismus des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Volkskunde 105 (2009), S. 185 – 213, hier 209 – 211; dies., Topografien, S. 55.
4. Natur-Gewalten
4.1. Die Gewalt der Furcht, die Macht der Imagination Die Macht gottesfürchtiger Furchtlosigkeit, wie sie Kirchers Häscher in die Flucht schlug, war ohne ihr komplementäres Gegenstück, ohne die der Furcht eigene Macht und Gewalt, nicht zu denken. Der Gedanke, in der Furcht vor Strafe liege bereits die gefürchtete Sanktion, wurde bisher nach seinen theologischen und ethischen Begründungen befragt. Doch auch Naturphilosophen und Mediziner meinten von dieser Form affektueller Selbstbewahrheitung zu wissen. Eine Furcht, die das Befürchtete allererst – und ganz körperlich – herbeiführte (und sich auf diese Weise selbst Anlass und Berechtigung gab), war in ihren Augen vor allem in der Genese vielfältiger Krankheiten am Werk. Darüber hinaus kam der Mechanismus bei der Entstehung von Blitz und Donner zum Tragen. Er verweist auf die frühneuzeitliche Überzeugung von der Macht der Einbildungskraft, die materialisierte, was sie vorstellte. Die Kraft dieser Imagination wiederum, zumal wenn Furcht sie affizierte, erklärte sich aus einem kosmologischen Vergeltungszusammenhang: als Verwirklichung eines göttlichen Wortes, aus der Drohung mit der Strafgewalt des Herrn.1 Nach der Aus1 Zur Beschreibung göttlicher Gewalt und Wirkungsmacht, wie sie sich in Pest und Gewitter sowie in der Furcht vor ihnen manifestierte, standen lateinisch in aller Regel die Begriffe vis, potestas und efficacia zur Verfügung. Der Begriff der violentia hatte demgegenüber primär die Funktion, illegitimes menschliches Gewalthandeln von legitimer Gewalt- und Machtausübung (potestas) zu unterscheiden. Siehe dazu v. a. Art. »Gewalt«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 10, Sp. 1377 – 1379. Zum Problem vgl. Ralf Pröve, Violentia und Potestas. Perzeptionsprobleme von Gewalt in Söldnertagebüchern des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, hg. v. Markus Meumann / Dirk Niefanger, Göttingen 1997, S. 24 – 42; Michaela Hohkamp, Grausamkeit blutet – Gerechtigkeit zwackt: Überlegungen zu Grenzziehungen legitimer und nicht-legitimer Gewalt, in: Streitkulturen. Studien zu Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16. – 19. Jahrhundert), hg. v. Magnus Eriksson / Barbara Krug-Richter, Köln / Weimar / Wien 2003 (Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft 2), S. 59 – 79; Claudia Ulbrich / Claudia Jarzebowski / Michaela Hohkamp, Einleitung, in: Gewalt, hg. v. dens., S. 9 – 14, hier 11 – 13; vgl. außerdem
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übung von Gewalt in ihrer furchterregenden Androhung gerät damit nun die andere Seite in den Blick: das Erleiden von Gewalt in der Furcht vor ihr. Beide Seiten, die zunächst voneinander zu trennen sind, fallen in eins im (gewaltsamen) Handeln Gottes und seiner imaginatio. Die Analyse dieses Vorstellungskomplexes ist nicht nur aufschlussreich für die Geschichte von Furcht und Angst, sondern auch für jene der Gewalt. Sie kann in eigener Weise belegen, dass und inwiefern für das Verständnis frühneuzeitlicher Verletzungsmacht die Imagination berücksichtigt werden muss: die Gewalt der Furcht vor Gewalt.2 Bevor in Kapitel 5 die Angst des Krieges und ihre Beschreibungsmöglichkeiten zur Sprache kommen werden, soll die Aufmerksamkeit zunächst der Furcht vor der Gewalt der Natur sowie ihren körperlichen und seelischen Auswirkungen gelten. Diese zeigen sich neben »Ungewitter«, Sonnenfinsternis und »Pest« besonders deutlich in der »Ungarischen Krankheit«, einem pestartigen Fieber, das so mancher auf die Furcht vor soldatischer Gewalt zurückzuführen wusste. Die febris Hungarica zeigt es wie keine andere: Die Furcht vor Gewalt bewahrheitete sich als Gewalt. Das Ungarische Fieber wird damit den Bogen schlagen zu den Kriegen der Zeit. Zuvor jedoch findet das Kapitel seinen Abschluss mit der Krankheit der Furcht: dort, wo pathogene Furcht selbst pathologisch wurde, als Ursache und Symptom von Melancholie. Im 17. Jahrhundert erschien die »Einbildung« noch nicht per se als eine Negation von Wirklichkeit, sondern zunächst als deren konstitutive Grundlage.3 Sie bildete Wirklichkeit ab, einerseits, und bildete sie, in der Abbildung, selbst; und dies nicht lediglich in künstlerischem oder erkenntnistheoretischem Sinne, sondern ganz körperlich. In ihrer frühneuzeitlichen Fassung war die imaginatio als jenes Seelenvermögen konzipiert, das anima rationalis und anima sensitiva miteinander verband, sie fungierte als Vermittlerin zwischen Körper und Geist. In ihren Zuständigkeitsbereich fiel die Aufnahme der Sinnesdaten und deren Eva Kormann, Violentia, Potestas und Potential – Gewalt in Selbstzeugnissen von Nonnen und Mönchen des Dreißigjährigen Krieges, in: Gewalt, hg. v. Ulbrich / Jarzebowski / Hohkamp, S. 145 – 154. Ungeachtet dieser spezifischen Differenzierung konnten auch die Affekte der Furcht und des Schreckens als »violent« bezeichnet werden, und zwar nicht nur die Furcht vor illegitimer menschlicher Gewalt, sondern auch jene vor der Pest: »[I]nsone derheit diese violente Gemuths=Bewegung [ist] jedermann zu mißrathen/ und vorzustellen/ e e als ein hochstschadliches Gifft.« Johann Jacob Scheuchzer, Koilocqav¸a Massiliensis. Die in Marseille und Provence eingerissene Pest=Seuche, Zürich 1720, S. 36. Der Affekt der Furcht erhielt seine Violenz als Strafinstrument eines Gottes, der zwar selbst nicht als ein grausamer gedacht werden konnte, sich jedoch grausamer Mittel bediente. 2 Auf die Relevanz der Imagination für die Debatte über frühneuzeitliche Gewalt hat – aus der Perspektive einer semantisch fundierten Praxisanalyse – Monika Mommertz hingewiesen: Monika Mommertz, Gewalt und Imagination, in: Gewalt, hg. v. Ulbrich / Jarzebowski / Hohkamp, S. 341 f.; dies., »Imaginative Gewalt«. Dazu unten Abschnitt 4. 3 In der Moderne haben von der imaginatio erkenntnistheoretisch die »Vorstellung« und literarisch-ästhetisch die »Imagination« und »Phantasie« überlebt. Der Begriff der »Einbildung« jedoch ist allmählich zum Signum pathologischen Realitätsverlustes geraten.
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Verknüpfung mit den Gedanken; und dazu bedurfte sie der Assistenz ihrer Schwester, der Erinnerung. Die Imagination vermochte nur dasjenige zu imaginieren (und das heißt: in innere Bilder – imagines – zu übersetzen), was sie zuvor in die memoria eingeschrieben hatte: was, aristotelisch gesprochen, in die Wachsplatte der Seele eingraviert worden war.4 Angesichts der Körperlichkeit dieser Ein-Drücke (und ihrer damit gegebenen räumlichen Bestimmbarkeit) schien es möglich, ein vorgestelltes Künftiges als ein bereits Vorhandenes zu verwirklichen. Die imaginatio zeitigte das Imaginierte, nicht obwohl, sondern weil sie nur sehen konnte, was sich bereits in der memoria befand. Dies wird aus einem providentiellen Zeitkonzept verständlich. Was unter modernem Vorzeichen temporaler Linearität unmöglich geworden ist – es lässt sich nicht mehr realisieren, was schon geschehen ist –, ist hier die Erklärung. In der Imagination ließ sich Künftiges allein deswegen herbeiführen, weil es bereits stattgefunden hatte: weil es einen Ort hatte in Gott, seinem Kosmos und seiner Vorsehung.5 Die kosmologische Fundierung imaginativer Selbstverwirklichungsprozesse zeigt sich besonders dort, wo Imagination zum Leiden wurde: wo sie mit den heilsgeschichtlich brisantesten Affekten besetzt war, mit Furcht und Angst. Da deren Selbstbewahrheitung wiederum vornehmlich in den drei »schrecklichsten« »Geißeln der Menschheit« virulent wurde, in Unwetter, Pest und Krieg, steht diese Trias in den Kapiteln 4 und 5 im Zentrum des Interesses.6 Weitere göttliche Vergeltungsmaßnahmen wie Hunger, Brand und Flut kamen entweder als deren Vorzeichen oder aber in ihrer Folge; und Naturereignisse wie Erdbeben und Vulkanausbrüche besaßen in den Regionen, die hier zur Untersuchung anstehen, zu wenig Alltagsrelevanz, um – über vereinzelte Hinweise hinaus – eingehender Thema werden zu können. Die Frage nach der Macht der Imagination in Krankheit und Gewitter berührt auch das Problem von Hexerei und Zauberei. Viele, die Angst hatten vor Wetterschaden und körperlichen Gebrechen, so ist zu lesen, fürchteten sich auch vor 4 Grundlegend zu frühneuzeitlichen Konzepten von Geist und Seele: Michaela Boenke, Körper, Spiritus, Geist. Psychologie vor Descartes, München 2005 (Humanistische Bibliothek: Texte und Abhandlungen, Reihe 1: Abhandlungen, Bd. 57); Die Seele. Ihre Geschichte im Abendland, hg. v. Gerd Jüttemann / Michael Sonntag / Christoph Wulf, Göttingen 2005, Teil 3; Katharine Park, The Organic Soul, in: The Cambridge History of Renaissance Philosophy, hg. v. Quentin Skinner / Eckhard Kessler / Jill Kraye, Cambridge 1988, S. 464 – 484. Zur philosophisch-theologischen Debatte über die Relation von Seele und Leib vgl. Markus Friedrich, Das Verhältnis von Leib und Seele als theologisch-philosophisches Grenzproblem vor Descartes. Lutherische Einwände gegen eine dualistische Anthropologie, in: Spätrenaissance-Philosophie in Deutschland 1570 – 1650. Entwürfe zwischen Humanismus und Konfessionalisierung, okkulten Traditionen und Schulmetaphysik, hg. v. Martin Mulsow, Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit 124), S. 211 – 249. 5 Im Einzelnen dazu Bähr, Träumen von sich, ders., Spaces of Dreaming, sowie unten Kap. 6. 6 Den zentralen Stellenwert dieser drei Geißeln betont etwa Augustus Quirinus Rivinus, De Lipsiensi peste Anni 1680, Leipzig 1681, S. 39.
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denen, deren magische Kraft und »imaginative Gewalt« solches auszurichten vermochte.7 Für die Frage nach der Selbstbewahrheitung der Furcht scheint dies jedoch von untergeordneter Relevanz. Wer von der Möglichkeit von Schadenszauberei überzeugt war, führte Verhexung nicht auf die Furcht vor ihr zurück, sondern allenfalls auf deren Mangel. Im Hexenhammer findet sich eine signifikante Erzählung, die im 17. Jahrhundert nicht an Bedeutung verloren hatte: »In der Stadt Speyer legte ein Kaufmann dar, daß ihm folgender Fall zugestoßen sei: ›Als ich mich‹, sagte er, ›im Schwabenland in einer Adelsburg aufhielt und eines Tages nach dem Frühstück in Begleitung zweier Bedienter, um mich zu entspannen, über eine Wiese schritt, kam [uns] eine Frau entgegen; und als sie noch weit entfernt ging und von den beiden Dienern erkannt wurde, sagte einer von ihnen: ›Schütze dich schnell mit dem Zeichen des Kreuzes!‹ und ähnlich wurde auch der andere auf der anderen Seite dazu ermahnt. Als ich aber nach dem Grund dieser Furcht fragte, antworteten sie: ›Siehe, die schlimmste Hexe der ganzen Provinz kommt uns jetzt entgegen. Sie kann die Menschen durch den bloßen Blick verhexen.‹ Da wurde ich ärgerlich und prahlte, daß ich solche niemals gefürchtet hätte. Doch kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, da fühlte ich, daß ich schwer am linken Fuße verletzt war, so daß ich den Fuß ohne heftigen Schmerz nicht vom Fleck bewegen und keinen Schritt mehr tun konnte […]. Als aber drei Tage hindurch die Schmerzen zunahmen, gingen die besagten Bewohner, welche begriffen, daß mir ein Schadenszauber angetan worden war, eine Wegstrecke von einer
7 Dazu Mommertz, »Imaginative Gewalt«. Für die historische Erwähnung von Hexenfurcht seien nur zwei Beispiele genannt. Die Jahresberichte des Jesuitenkollegs Aschaffenburg halten für das Jahr 1612 fest: »Die schrecklichen Scharen der Hexen erfüllen hier alles mit Furcht. Sie drohen nicht allein, sondern verursachen auch in der Tat meistens Unfruchtbarkeit für die Äcker.« Zit. nach Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, Freiburg i.Br. 1907 – 1928, Bd. II/2, S. 489 f. Und Martn Delro beklagte 1599: »Es haben zuerst e e e die Hussiten Bohmen, und hernach die Lutheraner Teutschland uberfallen, was fur eine grosse Menge Zauberer auf jene gefolget sey, haben uns Sprengerus und Niderius, die Inquisitores e der Ketzerey gewesen, gelehret, was aber diese vor eine Menge Hexen in die mitternachtige e e e Lander gebracht haben, wissen diejenige, welche von dieser mitternachtigen Kalte fast erfrohren, und vor Furcht erstarret sind. Denn es ist in diesen Orten fast nichts von diesen e wilden Thieren in menschlicher Gestalt, oder vielmehr leibhaftigen Teufeln, unbeschadiget geblieben.« Zit. nach: Bibliotheca sive acta et scripta magica, hg. v. Eberhard David Hauber, Lemgo 1738 – 1745, Bd. 2, St. 20 [1740], S. 532 – 539. Der lateinische Text findet sich bei Martín Antonio Delrío, Disquisitionvm magicarvm libri sex, qvibvs continetvr accvrata cvriosarvm artivm et vanarum superstitionum confutatio, vtilis Theologis, Jurisconsultis, Medicis, Philologis, Köln 1679 [Leiden 1599/1600], Proloquium: »Invaserunt prius Bohemiam Hussitæ, postea Germaniam Lutherani: illos quanta maleficorm vis fuerit subsecuta, Sprengerus & Niderius hæreticæ pravitatis quæsitores, docuerunt: hi verý, quos Sagarum torrentes in Aquilonarem tractum infuderint norunt; qui hoc frigore Arctoo quasi gelati, metu torpuerunt, vix enim illis in locis quidquam innocuum vel immune ab his sub humana specie feris, dicam nescio an dæmonibus.« – Der Aschaffenburger Bericht sowie die deutsche Fassung von Delros Text sind wiederabgedruckt in: Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, hg. v. Wolfgang Behringer, München 42000, S. 243 und 365.
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Meile zu einem bestimmten Bauern und erzählten ihm von dem Fall. Von diesem wußten sie, daß er durch eine Kunst Schadenszauber aufheben [konnte].«8
Die Furcht vor der Hexe wird hier nicht lediglich konstatiert: Sie wird sogar gefordert. Wer sich frei glaubte von ihr, so die Botschaft, der hatte mit Strafe zu rechnen. In dieser Erzählung des Hexenhammers führt nicht die Furcht das Befürchtete herbei, sondern dessen Missachtung; die Furcht hingegen ermöglicht erst die Abwehr der Gefahr. Theologisch-dämonologischer Hintergrund ist die heilsgeschichtliche Funktion von Hexen und Hexern. Sie schienen Bündner und Werkzeuge eines Teufels, dessen Gott sich bediente, um die Sünder zu strafen.9 Ihre Imagination befähigte sie zu Schadenszauber in der Ausübung diabolisch-göttlicher Macht.10 Die Theologie der permissio Dei besagt: Hexen und Schwarzkünstler waren zu fürchten als Instrumente der Einbildungskraft Gottes. Daneben wurde im 17. Jahrhundert von Erkrankungen durch die Furcht vor Behexung berichtet. Diese Fälle wurden im Rahmen einer Pathologie der Einbildungskraft diskutiert, als Folge natürlicher körperlicher Prozesse oder übernatürlich gewirkter Besessenheit.11 Hier schlägt sich die Perspektive derer nieder, die dem Hexenglauben kritisch gegenüberstanden. In ihren Augen wirkte nicht die Verhexung pathogen, sondern die Furcht vor ihr ; die Ursache des Leidens fanden sie in der Imagination der Kranken und nicht in jener der gefürchteten Person. Hier war furchtlose Gottesfurcht gefragt, nicht als »imaginative Gegengewalt« (weil der Begriff nur auf das Handeln derer Anwendung finden kann, die von der Möglichkeit hexerischer Gewalttaten überzeugt waren),12 sondern als Prävention und Therapie, wie sie noch öfter in diesem Kapitel Thema werden wird. Derartige Auseinandersetzungen sollen daher an dieser Stelle nicht vertieft werden und damit auch nicht das Problem der Hexenangst an und für sich. Die beschriebene Furcht vor Hexerei, dies zeigt auch der Fall des Kaufmanns aus 8 Heinrich Kramer (Institoris), Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum. Neu aus dem Lateinischen übertragen v. Wolfgang Behringer / Günter Jerouschek / Werner Tschacher, hg. und eingel. v. Günter Jerouschek / Wolfgang Behringer, München 4 2004, S. 522 f. 9 Siehe etwa Jean Bodin, De la d¦monomanie des sorciers, Paris 1580 (ND Hildesheim / Zürich / New York 1988), Bl. 121v – 122v. 10 Umfassend dazu: Clark, Thinking with Demons. 11 Für England vgl. Judith Bonzol, Afflicted Children: Supernatural Illness, Fear, and Anxiety in Early Modern England, in: Diseases of the Imagination and Imaginary Disease in the Early Modern Period, hg. v. Yasmin Haskell, Turnhout 2011 (Early European Research 2), S. 159 – 179. 12 Zum Begriff siehe Mommertz, »Imaginative Gewalt«, S. 357; zum Gegenzauber auch Eva Labouvie, Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991, S. 219 – 249.
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Speyer, richtete sich in erster Linie nicht auf die zaubernde Person, sondern auf das, was sie anzurichten schien. Und in pathologischen Debatten wurde der Glaube an ihre schadenstiftende Macht der Kritik unterzogen. Die Hexe wurde dort als ein Furchtgegenstand unter vielen vorgeführt, um die mitunter verheerende Macht der Einbildungskraft zu beweisen. Dort ging es also nicht primär um Hexerei. Zu all dem kommt hinzu, dass der Omnipräsenz der Hexenangst in der Forschungsliteratur ein auffälliges Stillschweigen in autobiographischen Texten gegenübersteht. Gleichwohl scheint hier Anlass für weiterführende Forschungen gegeben. Diese werden nicht dabei stehen bleiben können, die historischen Hinweise auf eine Angst vor Hexen und Hexern lediglich auszuzählen, um sie als Indizien einer Bewusstseinskrise zu verbuchen. Vielmehr wäre systematisch zu analysieren, wo, wie und warum von Hexenfurcht genau die Rede ist.13 Den vorliegenden Rahmen würde diese Aufgabe sprengen. Aus psycho- und mentalitätshistorischer Perspektive lässt die Furcht vor Hexerei, bösen Geistern und Gespenstern in der Regel auf eine pathologisch deformierte Einbildungskraft schließen. Diese Forschung steht in der Tradition eines aufklärerischen Denkens, in dem sich Hexen und Zauberer von einer Ursache der Furcht zu deren Ergebnis gewandelt haben. In dieser Sicht ist es nicht mehr die Existenz von Hexen, die Furcht erregt, sondern der Glaube an sie. Wer jetzt noch von der Wirklichkeitsmacht der Imagination überzeugt ist, hat den Bezug zur Wirklichkeit verloren; die Macht der Einbildungskraft ist zu einer eingebildeten Macht geworden. In diesem Paradigma ist der Glaube an Hexerei das Resultat von Furcht, ebenso wie er sie evoziert. Er versetzt in die Furcht, der er sich verdankt, und er folgt aus der Furcht, die er verursacht; er ist ihr Name und Abbild.14 Aufklärungskritische Stimmen führen den Hexenglauben zwar nicht auf pathologische Ängste zurück, sondern auf anthropologische und soziale (und begreifen ihn damit als Instrument zu deren Überwindung);15 dabei müssen sie 13 Dabei wäre nicht zuletzt der Stellenwert der Dämonologie zu diskutieren. Vgl. Gerhild Scholz Williams, Hexen und Herrschaft. Die Diskurse über Magie und Hexerei im frühneuzeitlichen Frankreich und Deutschland, überarb. Neuausg., München 1998 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 22), S. 13. 14 Vgl. Delumeau, Angst, insbes. Kap. 11 und 12; Hexenwahn, hg. v. Breier-de Haan / Voltmer / Irsigler; Bonzol, Afflicted Children. In diese Richtung zielt in gewisser Weise bereits die Argumentation des niederländischen Frühaufklärers Balthasar Bekker Ende des 17. Jahrhunderts. Bei Bekker erscheinen die Furcht vor dem Teufel und ihre Überwindung als Erkenntnisproblem. Hier schafft die Furcht nicht mehr das Befürchtete, sondern nunmehr sich selbst. Sie selbst ist es, die ihre Überwindung blockiert, weil sie zu erkennen verhindert, dass es die bösen Geister, die sie fürchtet, gar nicht gibt. Furcht ist für Bekker das Ergebnis einer mangelnden Erkenntnis, für die sie selbst verantwortlich zeichnet: Balthasar Bekker, Die bezauberte Welt (1693), mit einer Einleitung hg. v. Wiep van Bunge, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997 (Freidenker der europäischen Aufklärung, Abt. I: Texte 7/2), Buch 4, S. 1 – 8. 15 Behringer, Hexen, S. 17 – 19, mit weiterer Literatur.
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jedoch feststellen, dass eine Vorstellungswelt, die der Bewältigung von Ängsten dient, auch unter deren Ursachen zu zählen ist: dass sie selbst neue Ängste produziert.16 So unterscheidet sich ihre Auffassung in den epistemologischen Voraussetzungen nicht von jener, die sie kritisiert; sie beschreibt lediglich die andere Seite der Medaille. Auch sie fügt sich in das Krisen-Paradigma, das nicht nur Angst aus Gewalt erklärt (sei dies eine kriegerische oder eine hexerische), sondern auch Gewalt (gegen Hexen) aus Angst (vor ihnen). Diese Forschung, in der einen oder anderen Form, rekurriert auf »Urängste« des Menschen, die sie nicht erweist, sondern unterstellt, und die es ihr ermöglichen, die Anlässe der Furcht, jenseits der historischen Beschreibungen, nicht in den Handlungen der Hexe auszumachen, sondern in dieser selbst: in ihrer Person und dem, was sie vermeintlich repräsentierte, als soziale und emotionale Projektionsfläche, sei es als Hebamme oder Mutter, sei es als alte oder junge Frau.17 Vor diesem Hintergrund werden im Weiteren nicht Hexen und Hexer fokussiert, sondern die furchterregenden Schäden, die sie anzurichten schienen. »Zaubersche« und Zauberer waren zu fürchten, so wussten paracelsisch orientierte Mediziner, weil sie, in Satans Auftrag, giftige, furchterregende Bilder der Pest zu evozieren vermochten, aus denen die Pest sich erhob.18 Sie waren so schrecklich wie die Sünde und der Teufel, die sie verkörperten. Wer sich vor Hexen fürchtete, fürchtete den Teufel, der sie sich gefügig gemacht hatte durch Furcht (vor Armut, Verachtung, Hass und Neid),19 und er fürchtete das Teufli16 Spiro, Ghosts. Weiteres dazu oben in Kap. 2.1 bis 2.3. 17 Explizit findet sich diese Auffassung in den psychoanalytisch orientierten Arbeiten von Lyndal Roper, Angst und Aggression; dies., Hexenwahn, insbes. S. 170, 173, 238, 278. Das Problem bleibt auch dort bestehen, wo das Hexenbrennen als Reaktion auf sozial unerwünschte Verhaltensweisen interpretiert wird. Für einen Überblick über die Debatte zu den Ursachen der Hexenverfolgung vgl. Johannes Dillinger, Hexen und Magie. Eine historische Einführung, Frankfurt a.M. 2007 (Historische Einführungen 3), Kap. 6; von Greyerz, Religion und Kultur, Kap. II.2.2. e 18 Jan Baptistavan Helmont, Aufgang der Artzney-Kunst/ Das ist: Noch nie erhorte Grunde Lehren von der Natur/ zu einer neuen Beforderung der Artzney-Sachen/ so wol Die Kranckheiten zu vertreiben/ als Ein langes Leben zu erlangen, übers. v. Christian Knorr von Rosenroth, mit Beiträgen v. Walter Pagel / Friedhelm Kemp, 2 Bde., München 1971 [Sulzbach 1683], Bd. 2, S. 981 f.; dazu Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz. Zur Ätiologie der Pest im loimographischen Diskurs der frühen Neuzeit, Wien 21999 (Medizin, Kultur und Gesellschaft 2), S. 220. 19 Johann Weyer, De Praestigiis Dæmonvm. Von Teuffelsgespenst, Zauberern vnd Gifftbee reytern/ Schwartzkunstlern/ Hexen vnd Vnholden/ darzu jrer Straff/ auch von den Bezauberten/ vnd wie jhnen zubehelffen sey …, Frankfurt a.M. 1586, S. 473 f., zit. 474: »Denn welche der Teuffel vberwindet vnnd zu fall bringet/ die thut er allein durch forcht vnd trauwrigkeit vberwinden […]. Denn wo forcht ist/ da ist auch trauwrigkeit/ dieweil sich der e e e e Mensch gemeiniglich zukunfftigen Vnglucks halben forchtet vnnd bekummert/ vnd dieweil es/ wenn es zugegen ohne schaden nicht abgehet/ sintemal alles/ so einen beleidiget/ der Natur vnnd dem Willen/ zu wieder vnnd zugegen ist.« Zur Macht der furchterfüllten Imagination siehe S. 161 – 163.
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sche, das sie brachten. In dieser Furcht, so schien es, wurden Wetter und Pest von all denen gemacht, die sich vor ihnen fürchteten.
4.2. Ungewitter, überirdisch und unterirdisch, und die Verfinsterung der Sonne Im 17. Jahrhundert gehörte das »Ungewitter« noch zu den außergewöhnlich gewaltsamen Ereignissen der Natur. Deren Geschichte hat in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmende Aufmerksamkeit erhalten, zumeist als Geschichte der »Naturkatastrophen«. Dies mag der Ahnung geschuldet sein, dass das, womit die Natur den Menschen mehr und mehr heimzusuchen unternimmt, zunehmend von diesem selbst gemacht ist, nicht mehr von Gott und auch nicht mehr von der Natur allein, der Ahnung, dass Natur und Umwelt, in ihrer zunehmenden Beherrschung durch den Menschen, den Menschen immer mehr beherrschen. Die Natur, so scheint es, schlägt zurück, und es ist immer schwieriger zu erkennen, auf welche Weise dies jeweils geschehen wird. Dies muss vor allem die Furcht derer erregen, die glaubten (und glauben), ein Verständnis für natürliche Prozesse zu haben.20 Je dringlicher sich nun die Frage stellt, wie dieser Gefahr zu begegnen ist, desto interessanter wird auch der historische Umgang mit Bedrohungen durch die Natur. Hier sind zahlreiche mentalitäts- und umweltgeschichtliche Studien entstanden: zu Seuchen und Epidemien, zu Erdbeben und Vulkanausbrüchen, zu Sturmfluten und Überschwemmungen sowie zu Stadtbränden und Hungersnöten – zu Phänomenen, die sich in den Augen der Zeitgenossen vielfach wechselseitig bedingten: die kausal, semiotisch und metonymisch aufeinander verwiesen. Unter den Erdbeben wiederum hat – angesichts ihrer buchstäblich wie metaphorisch erschütternden Bedeutung – vor allem die Zerstörung Lissabons 1755 Aufmerksamkeit gefunden.21 20 Vgl. Dirk Baecker, Kulturen der Furcht, in: Angst. Dimensionen eines Gefühls, hg. v. Thomas Kisser / Daniela Rippl / Marion Tiedtke, München 2011, S. 47 – 58, hier 56. 21 Allgemein für die Frühe Neuzeit: Martina Lehner, »Und das Unglück ist von Gott gemacht.« Geschichte der Naturkatastrophen in Österreich, Wien 1995; Les catastrophes naturelles dans l’Europe m¦di¦vale et moderne, hg. v. Bartolomé Bennassar, Toulouse 1996 (Flaran 15); Andreas Schmidt, »Wolken krachen, Berge zittern, und die ganze Erde weint.« Zur kulturellen Vermittlung von Naturkatastrophen in Deutschland 1755 bis 1855, München 1999; Elementare Gewalt. Kulturelle Bewältigung. Aspekte der Naturkatastrophe im 18. Jahrhundert, hg. v. Franz M. Eybl / Harald Heppner / Alois Kernbauer, Wien 2000 (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 14/15); Am Tag danach. Zur Bewältigung von Naturkatastrophen in der Schweiz 1500 – 2000, hg. v. Christian Pfister, Bern / Stuttgart / Wien 2002; Cities and Catastrophes: Coping with Emergency in European History, hg. v. Geneviève Massard-Guilbaud / Harold L. Platt / Dieter Schott, Frankfurt a.M. 2002; Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, hg. v.
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Die Literatur zu diesem Beben zeigt zugleich, worum es der historisch-kulturwissenschaftlichen Forschung an dieser Stelle in erster Linie geht: weniger um das jeweilige »katastrophale« Ereignis selbst als vielmehr um seine sozialen, politischen und mentalen Folgen im Wandel in der Zeit, um die Deutung und Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen, Tübingen 2003 (Literatur und Anthropologie 13); Naturkatastrophen – Catastrophes naturelles, hg. v. Monika Gisler / Katja Hürlimann / Agnes Nienhaus, Zürich 2003 (Traverse 10/3); Coping with the Unexpected: Natural Disasters and Their Perception, hg. v. Michael Kempe / Christian Rohr, Isle of Harris 2003 (Environment & History 9/2); Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen / Hartmut Lehmann, Göttingen 2003; Urte Undine Frömming, Naturkatastrophen. Kulturelle Deutung und Verarbeitung, Frankfurt a.M. 2006; Matthias Georgi, Heuschrecken, Erdbeben und Kometen. Naturkatastrophen und Naturwissenschaft in der englischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts, München 2009; Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel, hg. v. Gerrit Jasper Schenk, Ostfildern 2009. Aus der Umweltgeschichte siehe den Forschungsüberblick von Reinhold Reith, Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2011 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 89), S. 71 – 103, sowie: Von der Angst zur Ausbeutung. Umwelterfahrung zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. v. Ernst Schubert / Bernd Herrmann, Frankfurt a.M. 1994. Spezialstudien zu Vulkanausbrüchen: Dieter Richter, Der Vesuv. Geschichte eines Berges, Berlin 2007; zum Erdbeben: Rolf Gutdeutsch / Christa Hammerl / Ingeborg Mayer / Karl Vocelka, Erdbeben als historisches Ereignis. Die Rekonstruktion des Bebens von 1590 in Niederösterreich, Berlin 1987; Michele Luminati, Erdbeben in Noto. Krisen- und Katastrophenbewältigung im Barockzeitalter, Zürich 1995; Beate Mehlin, Gestörte Formation. Erdbebenbewältigung in Benevent und Verwirklichung von Herrschaft im Kirchenstaat 1680 – 1730, Tübingen 2003 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 104); Monika Gisler, Göttliche Natur? Formationen im Erdbebendiskurs der Schweiz des 18. Jahrhunderts, Zürich 2007; zum Erdbeben von Lissabon: Horst Günther, Das Erdbeben von Lissabon und die Erschütterung des aufgeklärten Europa, Frankfurt a.M. 2005 [1994]; Die Erschütterung der vollkommenen Welt. Die Wirkung des Erdbebens von Lissabon im Spiegel europäischer Zeitgenossen, hg. v. Wolfgang Breidert, Darmstadt 1994; Ulrich Löffler, Lissabons Fall – Europas Schrecken. Die Deutung des Erdbebens von Lissabon im deutschsprachigen Protestantismus des 18. Jahrhunderts, Berlin / New York 1999 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 70); Christiane Eifert, Das Erdbeben von Lissabon 1755. Zur Historizität einer Naturkatastrophe, in: Historische Zeitschrift 274 (2002), S. 633 – 664; Matthias Georgi, Das Erdbeben von Lissabon, Darmstadt 2005; Jürgen Jacobs, Auswirkungen eines Erdbebens. Zur Katastrophe von Lissabon 1755, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 126/2 (2007), S. 185 – 197; Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, hg. v. Gerhard Lauer / Thorsten Unger, Göttingen 2008 (Das achtzehnte Jahrhundert – Supplementa 15). Zu Überschwemungen: Manfred Jakubowski-Tiessen, Sturmflut 1717. Die Bewältigung einer Naturkatastrophe, München 1992; Marie Luisa Allemeyer, »Kein Land ohne Deich …!« Lebenswelten einer Küstengesellschaft in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 222); Guido N. Poliwoda, Aus Katastrophen lernen. Sachsen im Kampf gegen die Fluten der Elbe 1784 bis 1845, Köln / Weimar / Wien 2007. Zu Stadtbränden: Marie Luisa Allemeyer, »Fewersnoth« und »Flammenschwert«. Zur Deutung, Wahrnehmung und Verarbeitung von Stadtbränden in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2007; Cornel Zwierlein, Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Göttingen 2011 (Umwelt und Gesellschaft 3). Zu epidemischen Krankheiten unten Abschnitt 3.
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»Bewältigung« von Risiken, Bedrohungen und Schäden, von »Krisen«-Erfahrungen und Not, um Erzählungen und Erinnerungen.22 Auch wenn es damit, wie Christian Pfister zu Recht betont hat, erst die historischen Wahrnehmungs- und Umgangsweisen sind, die außergewöhnliche Naturereignisse zu »Katastrophen« machen – »Katastrophen«, zitiert Pfister Max Frisch, »kennt allein der Mensch, sofern er sie überlebt« –,23 so ist doch in den einschlägigen Studien oft nicht hinreichend beachtet worden, dass sich der Begriff der »Naturkatastrophe« einem spezifisch modernen Verständnis von »Natur« sowie einer Psychologisierung und Soziologisierung des Umgangs mit ihr verdankt. Diese Kategorie ist nicht ohne weiteres auf voraufklärerische Kontexte anzuwenden, in denen vornehmlich »säkulare« Interpretationen der fraglichen Naturereignisse nicht vorausgesetzt werden können – und in denen der Begriff der »catastroph¦« (jatastqov¶) noch nicht ausschließlich negativ konnotiert war (als plötzliche Wendung zum Schlechten).24 Eine derartige konzeptuelle Rückprojektion führt im Wesentlichen zu zwei heuristischen Beschränkungen. In ihr, zum einen, erscheinen religiös-eschatologische Deutungen, wenn sie nicht selbst als Nährboden der Furcht vor einer »Katastrophe« angesehen werden, stets als eine Form ihrer psychischen »Bewältigung«. Zum anderen wird in diesen Kategorien das allmähliche Aufbrechen einer genuin religiösen Deutungshoheit allein als eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen fassbar. Im 17. Jahrhundert wurde jedoch der Eingriff in die Natur zum Schutz des Menschen keineswegs als ein grundlegender Verstoß gegen die Vorsehung Gottes angesehen – ein Umstand, der aus säkularisierungstheoretischer Perspektive nur als ein unauflösbarer gedanklicher Widerspruch erscheinen kann.25 22 Zu letzteren vgl.: Histoire et m¦moire des risques naturels, hg. v. René Favier / Anne Marie Granet-Abisset, Grenoble 2000; R¦cits et repr¦sentations des catastrophes depuis l’Antiquit¦, hg. v. René Favier, Grenoble 2005. 23 Christian Pfister, Naturkatastrophen und Naturgefahren in geschichtlicher Perspektive. Ein Einstieg, in: Am Tag danach, hg. v. dems., S. 11 – 26, hier 13; Max Frisch, Der Mensch erscheint im Holozän. Eine Erzählung, Frankfurt a.M. 1979, S. 103. 24 Zur Begriffsgeschichte der »Katastrophe« siehe François Walter, Katastrophen. Eine Kulturgeschichte vom 16. bis 21. Jahrhundert, Stuttgart 2010, S. 16 – 19, 144; Michael O’Dea, Le mot ›catastrophe‹, in: L’invention de la catastrophe au XVIIIe siÀcle. Du chtiment divin au d¦sastre naturel, hg. v. Anne-Marie Mercier-Faivre / Chantal Thomas, GenÀve 2008, S. 35 – 48; Zwierlein, Prometheus, S. 17 f.; auch Dieter Groh / Michael Kempe / Franz Mauelshagen, Einleitung, in: Naturkatastrophen, hg. v. dens., S. 11 – 33, hier 16 – 19. 25 Dies betont auch Zwierlein, Prometheus, insbes. S. 122 f. (zu Furcht, Angst und Schrecken: S. 120 f., 128 – 130, 134 f., 154 f. – mit einer Kritik an Max Weber und Jean Delumeau, die jedoch lediglich die Vernachlässigung des Versicherungswesens betrifft: S. 24, 50 f., 245 – 250). Grundlegend zur Durchdringung von Naturphilosophie und Religiosität, wie sie seit dem späten 17. Jahrhundert in physikotheologischem Denken Form gewann: Ruth Groh / Dieter Groh, Weltbild und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur, Frankfurt
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Diese Debatten bewegen sich im Horizont einer Mentalitätengeschichte, die die intensivierte Auseinandersetzung mit Phänomenen des (Un-)Wetters im 17. Jahrhundert als Indikator einer »Kleinen Eiszeit« ansieht und aus dem klimageschichtlichen Zwischentief auf eine mentale Kälteperiode schließt: auf ein furchterfülltes Krisenbewusstsein vor dem Einzug der Aufklärung.26 In diesem Rahmen ist die immanente Logik der jeweiligen Deutungs- und Erklärungsmuster vielfach nicht weitergehend analysiert worden. Daraus wiederum erklärt es sich, dass Blitz und Donner, jenseits ihrer Folgeschäden, unter den außergewöhnlichen Naturereignissen kaum eingehendere Beachtung gefunden haben.27 Neben der Pest (und im Gegensatz zu seismischen und vulkanischen Aktivitäten) ist es jedoch gerade das Gewitter, für dessen Entstehung und Abwehr bis weit ins 18. Jahrhundert hinein der furchtbesetzten Imagination eine nicht unbeträchtliche Bedeutung zugeschrieben werden konnte. Dieser Umstand ist auch in Heinz Kittsteiners klassischer Studie unberücksichtigt geblieben, die die religiös-moralische Funktionalisierung des »Ungewitters« für frühneuzeitliche Prozesse der Gewissensbildung herausarbeitet, diese jedoch ebenfalls unter säkularisierungstheoretische Vorzeichen stellt: als teleologisch grundierten Vorspann zur Geschichte einer modernen conscientia.28 a.M. 21996, S. 11 – 91. Die Studie ist Teil einer umfassenden Untersuchung religiöser Naturdeutungen seit dem Alten Testament: Groh / Groh, Die Außenwelt der Innenwelt. Zur Kulturgeschichte der Natur 2, Frankfurt a.M. 1996; Dieter Groh, Schöpfung im Widerspruch. Deutungen der Natur und des Menschen von der Genesis bis zur Reformation, Frankfurt a.M. 2003. Vgl. außerdem Michael Kempe, Wissenschaft, Theologie, Aufklärung. Johann Jakob Scheuchzer und die Sintfluttheorie, Epfendorf a.N. 2003 (Frühneuzeit-Forschungen 10); Walter, Katastrophen, insbes. Kap. I.2.2. 26 Zur »Kleinen Eiszeit« siehe insbes.: Kulturelle Konsequenzen der »Kleinen Eiszeit« / Cultural Consequences of the »Little Ice Age«, hg. v. Wolfgang Behringer / Hartmut Lehmann / Christian Pfister, Göttingen 2005 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 212); Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, München 2007, S. 117 – 221; Franz Mauelshagen, Klimageschichte der Neuzeit. 1500 – 1900, Darmstadt 2010, S. 29 – 32 sowie Kap. V und VI. – Instruktiv für eine wissenschaftsgeschichtliche Herleitung der gegenwärtigen alltagssprachlichen Verknüpfung von »Klimakatastrophe« und »Furcht« ist Matthias Dörries, Climate Catastrophes and Fear, in: Wiley Interdisciplinary Reviews – Climate Change 1 (2010), S. 885 – 890. 27 Mit Ausnahme von Jan-Friedrich Mißfelder, Donner und Donnerwort. Zur akustischen Wahrnehmung der Natur im 18. Jahrhundert, in: »Die Natur ist überall bey uns«. Mensch und Natur in der Frühen Neuzeit, hg. v. Sophie Ruppel / Aline Steinbrecher, Zürich 2009, S. 81 – 94; Andreas Schmidt, Gewitter und Blitzableiter. Historische Deutungsmuster eines Naturphänomens und deren Umschlag in Technik, in: Natur-Bilder. Wahrnehmungen von Natur und Umwelt in der Geschichte, hg. v. Rolf Peter Sieferle / Helga Breuninger, Frankfurt a.M. / New York 1999, S. 279 – 296. Zu den Folgen von Unwettern vgl. die genannten Studien zu Stadtbränden, v. a. Zwierlein, Prometheus, Kap. C.II.1. 28 Kittsteiner, Entstehung, Kap. A.I (S. 31 – 100); ders., Das Gewissen im Gewitter, in: ders., Gewissen und Geschichte, S. 25 – 65. – Briese, Macht der Metaphern, untersucht das
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Im Donner, akustotheologisch fundiert, ließ Gott seine Stimme ertönen wie nirgendwo sonst;29 in ihm kündete er immer wieder von letztem Gericht und dem Untergang der Welt.30 Und so artikulierte sich die Furcht vor seiner Gewalt am alltäglichsten in der Furcht vor dem »grausamen« und »schröcklichen« Wetter, das er vom Himmel warf.31 Chroniken und Diarien des 17. Jahrhunderts Gewitter erst für die Zeit der Aufklärung und dabei die Prozesse und Funktionen seiner Metaphorisierung. 29 Dazu Mißfelder, Donner, und aus den Quellen z. B. Bernhard Albrecht, Donner vnd e e e Wetterbuchlein/ Das ist: Grundlicher Vnterricht/ auß H. Gottlicher Schrifft/ woher die e schwere vnd gefahrliche Donner vnd Wetter kommen/ warumb GOtt der HERR solche kommen lasse/ vnd was er damit meyne/ Auch wie man sich in dergleichen starcken Donnerwettern verhalten solle, Leipzig 1622, S. 75 (mit Bezug auf Ps 104); Art. »Donner«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 7, Sp. 1280 – 1282, hier 1281 f. (mit Bezug auf Hiob 37.5, Ps 18.14 und 77.19, Jac 10.13, Exod 9.23, Jos 10.11, 1 Sam 12.17). Für die Identifikation von Donner und (göttlicher) Stimme siehe Sp. 1282. 30 Apk 10.3: »Und da er schrie, erhoben sieben Donner ihre Stimmen. Und da die sieben Donner geredet hatten, wollte ich schreiben. Da hörte ich eine Stimme vom Himmel sagen zu mir : Halte versiegelt, was die sieben Donner geredet haben, und schreibe es nicht!« Und 19.6: »Und ich hörte, und es war wie eine Stimme einer großen Schar und wie eine Stimme großer Wasser und wie eine Stimme starker Donner, die sprachen: Halleluja!« Albrecht, Wettere buchlein, S. 92. 31 Aus den zahlreichen Gewitteraufzeichnungen seien vor allem genannt: Rudolf Reuss, Strassburg im dreissigjährigen Kriege (1618 – 1648). Fragment aus der Strassburgischen Chronik des Malers Johann Jakob Walther nebst Einleitung und biographischer Notiz (Protestantisches Gymnasium zu Strassburg – Programm auf das Schuljahr 1879 – 1880), Straßburg 1879, S. 19: »Es hatt sonsten dass wetter noch ein mahl inn dass münster geschlagen auff den ersten Adventstag. Ist ein solches grausames wetter kommen mitt donder und blitzen, sturmwindt und regen dass viel leutt vermeynt der iüngste tag were vorhanden, so lange gewehret.« S. 38: »Montags den 12. Februarii [1644], gegen tag zwischen 2 und 3 uhren, hatt es einmahls einen gewaltigen donderstreych gethan, darauff ein grausamer sturmwindt mit hagel und regen erfolget, alss were der jüngste tag vorhanden, darvon mænniglich erschrocken.« S. 41: »Sambstags den 30. Decembris [1648] war tag und nacht ein grausamer sturmwindt der erschrœcklichen gebrausset. Umb mitternacht zwischen 11. undt 12. uhren hatt es darauf erschrœcklich gedondert undt ein starcken streych in’s münster gethan. Die gantze lufft war feurig, viel leute haben vermeint der iungste tag wære vorhanden. Gott gabe gnade dass es abermahlen ohne sonderen schaden abgangen. Hatt also diesses iahr ein sehr merckwüdigen ausgang gehabt.« Vgl. auch die Beschreibung von Himmelserscheinungen auf S. 22. Pfarrer Johann Gerhard Ramsler berichtet, einer seiner Zuhörer habe ihm eine »Hagel-Gannß« gebracht; wo dieser Vogel »sich sehen und niederlaße, entstehe bald darauf an selbigen Orthen ein schröcklich Ohngewitter. Eben dießes erfolgte gleich den andern Tag […]. Das graußame Wetter mit erschröcklichem Donnern und PlatzRegen wärete auf 2 Stund, folgendts war es wieder hell und lieblicher Sonnenschein, und war uns, die wir mittlerweil auf denen Knien des Jüngsten Tags erwartteten, nicht anders, als wann wir auf ein neues zu leben anfängen«: Lebens- und Leidensweg des M. Johann Gerhard Ramsler, Specials zu Freudenstadt. Die Lebenserinnerungen eines württembergischen Landpfarrers (1635 – 1703), bearb. v. Uwe Jens Wandel, Stuttgart 1993 (Lebendige Vergangenheit. Zeugnisse und Erinnerungen. Schriftenreihe des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins 15), S. 52 (im Folgenden zit. als Ramsler, Lebenserinnerungen). Daniel Schuller, Eine kurtze Beschreibung deßen was sich Zu Zeiten Danielis Schulleri eines Quartal=Schreibers in Cronstadt von Ao. 1634 bis 1664 [1675] zu-
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verzeichnen Donner und Blitz als Strafe32 ebenso wie als Prodigien, nicht anders als Kometen und andere ungewöhnliche Himmelserscheinungen auch – als Vorzeichen, deren Bedeutung die Zukunft erweisen musste, auf die sie verwiesen.33 Einer der medialen Hintergründe derartiger Notate ist die Wetterpredigt. Verbreitet vor allem im protestantischen Raum, übersetzte sie das göttliche Donnerwort in eine Sprache, die die Menschen verstanden. Das Gewitter erklärte sie nicht mehr aus der Macht des Teufels, wie es Martin Luther oder auch Jean Bodin noch getan hatten,34 sondern aus dem Willen des Schöpfers, der sich des Teufels bediente; und so wandte sie sich gegen die Versuche von Hexenmeistern und »Papisten«, den Weg von Blitz und Donner zu beeinflussen. Magische Abwehrzauber, so ließ sich von lutherischen und reformierten Kanzeln vernehmen, seien wirkungslos, und nicht nur das. Am Ende, so meinte man, bewirkten sie, was sie zu bannen suchten. Geschützdonner etwa und Glockengetragen, SNBB Quart. Germ. 148, Bl. 25r: »Den 11 Julii [1654] des Nachts erreget sich ein schröckliches Ungewitter mit Blitzen und Donnerschlägen, daß man vermeynete die Erde würde untergehen, welche Donner=Strahlen an der kleinen Zinnen einen großen Stein zerschmettert haben, von welchem der halbe theil einem Walachen unter der Zinnen durch das Haus gefallen, allwo er eine Magd getroffen die da in der Stelle todt geblieben« – eine »ungewöhnliche[] Strafe Gottes«. Bl. 57r: »Diese Nacht [auf den 20. Juni 1664] entstände ein groß Ungewitter mit erschreckl. Donnerschlägen und Blitzen, daß man vermeinte, es würde der Jüngste Tag einbrechen.« 32 Braun, Ephemerides, S. 123 f.; Maria Magdalena Haidenbucher, Geschicht Buech de Anno 1609 biß 1650, in: Das Tagebuch der Maria Magdalena Haidenbucher (1576 – 1650). Äbtissin von Frauenwörth. Nach dem Autograph hg. und mit Anmerkungen, Nachwort und Registern versehen v. Gerhard Stalla, Amsterdam / Maarsen 1988, Bl. 95b, 170b. Das Gewitter erscheint bei Haidenbucher als »wol ver diente Straf« für die Sünden im eigenen »bay¨rlandt« ebenso wie als Vergeltung der Gewalttaten feindlicher Soldaten im Dreißigjährigen Krieg: »Sen auch die schwedischen Soldaten mit grosen schrekhen daruon geflokhen.« Weitere Erwähnungen von Wetterschäden: Bl. 134a, 138b, 152a, 168a, 192a, 198a. e 33 Z.B.: Aus dem Tagbuch des Abraham Kern von Wasserburg vom J. 1392 – 1631, in: Beytrage e zur vaterlandischen Historie, Geographie, Statistik und Landwirthschaft, samt einer Uee bersicht der schonen Literatur, hg. v. Lorenz Westenrieder, Bd. 1, München 1788, S. 146 – 173, hier 161 f., zit. 162: »1618 den 9 May das Wetter in S Petersthurn und in die Kirchen zu e Munchen geschlagen, ain Altar und fenster verderbt, zu Berg ausser der Stadt den Kirchthurn e bis auf das Gemaur verbrennt, die gloggen zerschmolzen, und zerbrochen, so nit vil gute Bedeuttung hernach bracht.« Auch Braun, Ephemerides, S. 115. 34 Jean Bodin, Vniversæ natvræ theatrum. In qvo rervm omnivm effectrices causæ, & fines contemplantur, continuæ series quinque libris discutiuntur, Leiden 1596, Buch 2, S. 209 f. Mit Bezug auf Bodin: Johannes Sperling, Institutiones Physicæ, Wittenberg 61672, Buch 5, Kap. 7, qu. 1, S. 809. Die Position findet sich auch bei Paracelsus und den Paracelsisten: Theophrastus Paracelsus, De fulgure, in: Sämtliche Werke, hg. v. Karl Sudhoff. Abt. I: Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften, München / Berlin 1922 – 1933, Bd. 13, S. 185 – 194, insbes. 192 – 194: Das Gewitter kommt, zur Verkündigung Christi, aus dem Verhängnis Gottes und von denen, derer er sich bedient: vom Teufel und den superi im Firmament. Außerdem van Helmont, Aufgang der Artzney-Kunst, Bd. 1, S. 129 – 131. Kritisch zu den genannten Autoren: Daniel Georg Morhof, Polyhistor literarivs philosophicvs et practicvs, Lübeck 21714, Teil 2, Buch 2, Abt. 2, Kap. 24, S. 385 f.
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geläut: Die sollten die bösen Geister erschrecken, die ihr Unwesen trieben droben unter dem Himmel, in der mittleren Schicht der Elementarsphäre (in media aÚris regione); den protestantischen Predigern aber waren sie leerer Schall, sprach aus ihnen doch eine Furcht, die im Gewitter lediglich ein Leidbringendes erkannte, das es nach Kräften abzuwenden galt. Derart ließen sich diese Geister nicht vertreiben; denn waren sie auch böse, so waren sie doch von Gottes Gnaden. Nur wer wusste, dass es Seine Stimme war, die im Donner ertönte, vermochte ihren gewaltsamen Zorn zu lindern. Gegen einen Donner, der selbst zu Geschütz und »Sturmglocke«35 geworden war, half kein Schießen und kein Läuten mehr.36 Das »erschreckliche«, furchterregende Gewitter zu bändigen, vermochte allein die rechte, unerschrockene Furcht, ein gottesfürchtiger Lebenswandel in der Furcht des Gewissens, die Furcht vor Gott und nicht vor den e Mächten des Bösen.37 »Sollen vns also demnach/ doch mit Kindlicher Furcht/ fur e den Zorn Gottes entsetzen/ jhn vmb verzeihung vnserer Sunde/ abwendung/ oder doch ja zum wenigsten vmb linderung der Straffe bitten.« So Michael Bapst e von Rochlitz;38 und Bonifacius Stöltzlin: »Forchtest/ Mensch/ die Done ner=Wetter/ Wilt’ dafur gesichert seyn: […] Bette hier zu deinem Gott/ so bist du befreyt der Noht.«39 Gott ließ sich nicht erschrecken, im Gegenteil: Er e
35 Albrecht, Wetterbuchlein, S. 77. 36 Die Aufklärer gingen noch einen Schritt weiter. In ihren Augen zog das Glockenläuten auf physikalischem Wege das Gewitter an, das es vertreiben sollte. Einen Überblick über die e Argumente gibt Johann Nepomuck Fischer, Beweiß, daß das Glockenlauten bey Gewittern e e e e mehr schadlich als nutzlich sey. Nebst einer allgemeinen Untersuchung achter und unachter Verwahrungsmittel gegen die Gewitter, München 21784, insbes. S. 14 – 16. Das Abfeuern der Geschütze, von dem sich in Fischers Augen weder die eine noch die andere Wirkung nachweisen ließ, stelle lediglich eine wirkungslose Ressourcenverschwendung dar : S. 18 f., 88 – 92, 109 f. 37 In diesem Sinne auch Kittsteiner, Entstehung, S. 64, obwohl dieser an sich in der protestantischen Wetterpredigt den Versuch sieht, überhaupt eine Furcht im Gewitter zu erzeugen. Die Frage ist jedoch nicht, ob, sondern wie der Mensch sich im Gewitter fürchten sollte. e 38 Michael Bapst von Rochlitz, Wetterspiegel/ Oder Nutzliche vnnd eigentliche Erzehlung/ e woher/ wie/ vnnd warumb/ die Donnerwetter/ Plitze/ Hagel/ vnd allerley vngewonliche Witterung entspringen/ wie man sich zur selbigen Zeit verhalten/ vnd was man bey aller vnd e jeder vngewonlichen Witterung bedencken sol, Leipzig 1589; Bl. C 2v – C 3v, D 3r – 4r, H 5v – H 7v, zit. D 3r. Auch Johann Weyer, Apologia. Von Straffung der Vnholden/ Collatio oder vergleichung Johannis Brentij vnnd Johannis Wieri, in: ders., De Praestigiis Dæmonvm, S. 485 – 542, hier 491; dazu auch Kittsteiner, Entstehung, S. 55. Davon unberührt freilich war die Frage, ob der vom Gewitter verursachte Schaden bekämpft werden durfte. Beten und Löschen schlossen sich zu keiner Zeit grundlegend aus. Dazu oben Anm. 25. e e 39 Bonifacius Stöltzlin, Geistliches Donner und Wetterbuchlein. Das ist: Einfaltige Erine nerung vom Donner/ Blitz/ Stral/ Hagel/ und schadlichen Wettern: wie dieselbige anzusehen und zu betrachten: wie man sich auch darbey Christlich verhalten sol. Mit allerley darzu e e gehorigen Geistreichen und Schrifftmassigen Gebeten/ Hertzens=Seufftzerlein und Gee e sangen/ vor/ bey/ und nach gefahrlichen Donner= und Hagel=Wettern/ sampt anderen Wettergebettlein/ Allen Christen nutzlich zu gebrauchen: Auß underschiedlicher hocher-
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schreckte jene, die meinten, ihn schrecken zu können. Die knechtische Furcht vor dem Gewitter, wie sie aus dem Donner der Kanonen sprach, bot nicht nur keinen Schutz; sie zog vielmehr den Zornesdonner nach sich, den sie fürchtete.40 Diese Theologie grenzte sich nicht nur von »Abergläubigen« und Katholiken ab, sondern auch von denen, die das Gewitter allein aus der Natur erklären zu können meinten. Wie sie die Macht des Teufels der Herrschaft seines Schöpfers unterwarf, so stellte sie den natürlichen Ursachen des Gewitters eine erste, übernatürliche voran. Dass der Schöpfer auch hier vor seiner Schöpfung rangiert, verwundert an sich nicht. Bemerkenswerter ist, dass und inwiefern damit die natürlichen Erklärungen des Gewitters nicht aus dem Spiel waren. Zum einen e blieben »die exhalationes, Rauche/ Dempffe/ oder Dunste auß der Erden/ Wasser e vnnd Sumpffen« die notwendige »Materia […]/ daraus beyde die guten vnnd schedlichen Wetter in media aÚris regione generiret werden«. Zum anderen und vor allem jedoch ließ sich auch der übernatürliche Wirkungszusammenhang in den Kategorien des Natürlichen beschreiben; die »Hauptursache des Gewitters« e wurde mit den natürlichen Ursachen analogisiert: Die »Sunde der Menschen«, e e so Bapst von Rochlitz, »sind die rechten bosen Dunste vnd schedlichen Dempffe, e e welche auß dem gifftigen bosen Brunnen vnsers Hertzens/ vnnd auß der alten e e Adamischen Erden/ vnsers Sundlichen Corpers kommen/ vnd von der Sonnen der Gerechtigkeit/ hinauff in den Himmel gezogen/ des Orts von den fewrigen e Zorn Gottes angezundet/ vnnd folgens wider herunter auff vnsern Kopff gee 41 sturzet werden.« Die Nähe zwischen den Dämpfen der Erde und den Dünsten der Sünde ist keine metaphorische; sie gründet vielmehr im Netz kosmischer Analogien. Und das heißt: Wo Vorgänge der Natur als Sanktionszusammenhang verständlich wurden, dort erfolgte umgekehrt die Bestrafung der Sünde mit der Zwangsläufigkeit eines natürlichen Prozesses. Vor diesem Hintergrund schloss die Theologie, auch und gerade in ihrer protestantischen Form, selbst die magische Macht nicht aus, die sie dämonisierte. Eine Zwangsläufigkeit, wie sie in den natürlichen Wirkzusammenhängen angenommen wurde, konnte auch bei den Maßnahmen unterstellt werden, die zur Abwendung der Strafe empfohlen wurden. Wo Gewitter als »sichtigliche vnnd schreckliche Bußpredigten«42 erschienen, dort half zwar kein »Dampff von geweiheten Kreutern«, dort konnte es nichts nützen, »in die zu A[a]ch[en] gee weiheten Ochsenhorner [zu] stossen« und »mit allen vbelgetauften Glocken und e e Schellen [zu] sturmen«. Die alternativen »Kunste« der Protestanten jedoch entfalteten ihre Wirkung auf ähnlichem Wege wie die verteufelten Praktiken: e
leuchter und wolversuchter Schrifftlehrer Betbuchlein zusamen getragen […]. Mit einer Vorrede v. Joh. Michael Dilherr, Ulm 21654, S. 49; dazu Kittsteiner, Entstehung, S. 57 f. e 40 Albrecht, Wetterbuchlein, insbes. S. 133 – 136. 41 Bapst von Rochlitz, Wetterspiegel, Bl. C 7v ; dazu Kittsteiner, Entstehung, S. 46 f. 42 Bapst von Rochlitz, Wetterspiegel, Bl. C 8r.
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»[L]as erstlich in warer Buß vnnd Glauben deinen von GOtt erforderten lieblichen e Rauch eines inbrunstigen vnd hertzlichen seufftzern zu jm auffsteigen/ mache darnach e ein starck vnd laut getone mit deinem Vater vnser/ oder dem nechstgedachten Gebetlein/ wie mit einem Horn oder Drometen vnd schrey hefftig zu Gott/ vnd endlichen/ e e da du ja nicht bald erhoret wirst/ las drumb nicht abe/ sondern thue mit dem kloppel e der Zungen in der Glocken des Mundes/ für der Thur des Himmels einen puls vnnd e e e schlag in den andern/ vnd hore nicht auff/ biß der Hoheste deinen Rauch in gnadigstem e gefallen annehme/ deiner in Barmhertzigkeit gedencke/ vnd die Thur seiner allmeche e tigen Hulffe dir offene/ so wirstu gewißlich erfahren/ das sein zorn im Wetter gestilt/ e e vnnd alle Gefahr an Leib Seel vnd Gutern durch jhn nach seinem Willen gnadiglich e 43 verhutet worden.«
Gegen die »Sturmglocke« des Gewitters brauchten Kirchenglocken nicht geläutet zu werden; wo jedoch eine »Betglocke« erklang, konnte der Herrscher des Himmels seine Ohren nicht verschließen.44 Im »Krieg« mit dem Höchsten, gegen e »deß grossen Himmel Vogts geruste Krieges=Schaaren«, gegen seine »Lufft=Feld=Schlangen« und »Hagel=Gschoß«, halfen keine herkömmlichen Geschütze; gegen sie war »diß der beste Raht/ daß wir entgegen ihm mit hellen Bett=Carthaunen mit vollem hauffen ziehn/ daß auch darob erstaunen der Donner selbsten muß/ und vor denselben nicht herunder donnern kan/ weil ihm die Krafft entbricht von solchem Bet=Geschall.« Dies waren »die rechte[n] Krieges=Waffen«, »die rechte Pfeil zu streiten/ die der Welt Herzog selbst gee lehret zu bereiten/ daß man den Sieg erhalt/ wann der Kampff wird gehort«.45 Auch ein protestantischer Gott wurde am Ende nicht um Hilfe gebeten, sondern e e e zur Gnade verpflichtet: »Mit solcher demutiger Bekantnuß/ vnd ernstlicher Rew e der Sunden/ brechen wir Gott das Hertz/ daß er nicht thun wil (noch kan) nach e seinem grimmigen Zorn: Sondern es gerewt ihn das Ungluck/ das er gedachte zuthun/ sein Hertz muß sich erbarmen.«46 Der Gott eines sakralisierten Universums war schließlich denselben Gesetzen unterworfen, die er seinen Geschöpfen auferlegt hatte. Die Protestanten verlegten sich auf Wort und Schrift, aber ihr Wort hatte eine nicht minder magische Kraft. Die »Gewalt« der Stimme, mit der Gott den Menschen bedrohte, kehrte sich, in Buße und Gebet, gegen ihn e
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43 Hieronymus Ottho, Wetterbuchlein Das ist/ Ein kurtzes aber nutzliches Tractatlein von e den erschrecklichen und schadlichen Donner= und HagelWettern. Worauß zuvernehmen e Obs mit obigen Wettern auch von rechten dingen zugehe? Das ist/ ob sie Naturlich vnd e Gottlich seyn? Oder ob sie vom Teuffel vnd Zeuberern gemacht werden? Warumb sie e e kommen? Mit welchen Segen vnd Kunsten sie zustillen? Oder durch sie zugefugter schade e nutzlich anzuwenden sey?, Altenburg 1610, S. 383 – 385. Dazu Kittsteiner, Gewissen im Gewitter, S. 37; ders., Entstehung, S. 60 f. e 44 Albrecht, Wetterbuchlein, S. 79. e 45 Stöltzlin, Wetterbuchlein, S. 53 – 60. e e 46 Albrecht, Wetterbuchlein, S. 143. Siehe auch Stöltzlin, Wetterbuchlein, S. 52: »[M]an e zwingt den starken Gott/ halt auf die Donnerkeul; entgeht der grossen Noth«. Vgl. Kittsteiner, Entstehung, S. 61.
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selbst.47 Die Furcht des reuigen Gewissens, so ließe sich pointieren, versetzte das göttliche Gewissen in Furcht. Gottes Allmacht nahm hier nur deswegen keinen Schaden, weil er selbst die Waffen gereicht hatte, die ihn bezwangen. Dies widerspruchsfrei zu denken, blieb ein Mysterium des Glaubens; aus einer zunehmenden »Selbstbehauptung« des Menschen kann es nur erklären, wer Aufklärung als Ziel der Geschichte im Blick hat.48 Es ist das spezifische Gefüge von natürlichen, magischen und göttlichen Wirk- und Handlungszusammenhängen, das verständlich werden lässt: Die sündige Furcht vor dem Gewitter zog Blitz und Donner nach sich und die Furcht vor der Sünde vermochte sie zu vertreiben. Im frühen 18. Jahrhundert wurden diese Zusammenhänge physikotheologisch ausformuliert, »empirisch« begründet und in einem quantifizierenden Naturverständnis fundiert. Die »Bronto-Theologie«, das ist neu, beanspruchte nicht nur zu erklären, dass ein Gewitter aufzog, sondern auch, wer im Einzelnen von Blitz und Donner getroffen zu werden drohte. Die physikotheologische Argumentation ist in der ersten Hälfte des Jahrhunderts gang und gäbe und noch an dessen Ende keineswegs verschwunden. Zunächst ist es Zedlers Universal Lexicon, das die Eckpunkte der Debatte präsentiert, wie sie um 1700 vorherrschend war. Als der einschlägige Artikel 1733 publiziert wurde, war das Phänomen der Elektrizität noch nicht entdeckt und der Blitzableiter nicht erfunden. So herrschte noch immer Einigkeit unter den Naturforschern, dass das Feuer des Blitzes »aus schwefelichten Theilen« bestehe; Beweis genug schien der Geruch am Ort seines Einschlags. Das hieß jedoch auch: Der Blitz und seine schweflig e riechende Spur waren Produkte der Natur ; sie für »eine Wurckung des Teuffels« zu halten, »welcher iederzeit einen solchen heßlichen Gestanck hinter sich zu e lassen pflegte«, schien mittlerweile »lacherlich«.49 Und auch Gott hatte sich aus seiner Funktion als »unmittelbare Ursache dieser Dinge« zurückgezogen. Er war, wie die »Christliche[n] Weltweisen« wussten, causa prima und remota, die Erstursache alles Seienden; ihn auch für die causa proxima zu halten, hieß »Natur=Lehre« mit »GOttes=Lehre« zu verwechseln.50 Doch mit der Einigung e auf natürliche Ursachen fing der Streit der »Vernunfftigen« erst an. Der Autor des Zedler-Artikels sortiert das Feld nach denen, die »den Blitz in die Wolcken« e setzen, und denen, die »ihn aus der Erde herfuhren« wollen. In Bezug auf erstere folgt dann die Unterscheidung zwischen der Fraktion derer, die die Entzündung der Materie in der Luft verorten, und derer, die sie der Sonne zuschreiben. Die Kontroverse rekurriert auf antike Auffassungen, ist kompliziert und muss hier 47 Vgl. ders., Entstehung, S. 61. Der Begriff der göttlichen »Gewalt« auch bei Stöltzlin, e Wetterbuchlein, etwa S. 54. 48 Kittsteiner, Entstehung, S. 62. 49 So auch Johann Jakob Walther, in: Reuss, Strassburg, S. 18. 50 Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 4, Sp. 166 – 173, hier 166.
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nicht im Einzelnen interessieren.51 Festzuhalten ist nur, dass sich der Verfasser am Ende der Position Christian Wolffs anschließt: »Der Blitz bestehet aus e e Schwefel und andern sich entzundenen Theilen. Wo dergleichen Ausdunstungen sind, finden sich die meisten Gewitter«.52 Und festzuhalten ist, dass diese Ere örterung in »eine moralische Betrachtung« mündet, waren die »gefahrliche e Wurckungen des Blitzes« doch nicht allein von naturphilosophischer Relevanz: Sie »setzen die Menschen in Furcht.«53 Diese Furcht, wie es schien, hatte unterschiedliche Formen und Ursachen. So findet der Verfasser »zweyerley Arten von Menschen, welche sich bey denen e e Gewittern ungebuhrlich auffuhren«: Da waren zunächst jene, die, »frech und verwegen«, sich vor dem Gewitter gar nicht fürchten zu müssen meinten, »weil e der Blitz naturlich sey«, mit Lukrez »dem Zufalle« zuzuschreiben.54 Der »schlechte[] Muth« dieser »Helden« jedoch entpuppte sich gewöhnlich als verdeckte Zaghaftigkeit, sobald »ein naher Blitz ihnen die deutliche Gefahr zeiget«. Und dann gab es, umgekehrt, die allzu Furchtsamen; »sie verstecken sich in die tieffsten Keller, um nur den Blitz nicht zu sehen«. Da eine derartige Reaktion vielfach auch bei jenen konstatiert werden musste, die »sonst von gesetztem e Gemuthe« waren, drängte sich auch hier zunächst eine natürliche Erklärung auf: Das nahende Gewitter selbst drückte die Luft, die es ausdehnte, in den Körper, und der Körper wirkte bekanntlich in die Seele.55 Entscheidend jedoch schienen zumeist religiöse und moralische Faktoren, »eine furchtsame Auferziehung, eine e nicht recht begriffene Meynung von GOtt und dessen Fursehung, eine allzue grosse Furcht vor dem Tode, und ein boses Gewissen«. So wählte der »weise Mann« auch hier die »Mittel=Strasse«. Im Wissen um die realen Gefahren der Natur schützte er sein Hab und Gut, so weit er es vermochte, doch fürchtete er sich nicht vor dem Tod. Dabei halfen ihm Gebet und Gesang – sofern er sie nicht als reines »Aussen=Werk«56 verstand: Dass »ein leeres Geschrey die Wege GOttes verändern könne«, »muß man nicht meynen«. Gegen den Tod half nur seine Betrachtung: »Wer also in dieser Gelegenheit an GOtt, an den Tod und an sich gedencket, keinesweges aber eine kindische Furcht bezeuget, ist mit nichten unter die kleinen Geister zu rechnen.«57 Gefragt war kein untätiges Zittern vor 51 Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 167 – 171. Sie ist zudem nachzulesen bei Kittsteiner, Entstehung, Kap. A.I; ders., Gewissen im Gewitter. 52 Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 169; Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von den Würckungen der Natur, in: Gesammelte Werke, Bd. I.6, Teil 3, Kap. 8, S. 430 – 488, hier § 321, S. 430 – 440. 53 Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 171 f. 54 Lukrez, De rerum natura VI, 379 – 386. 55 Vgl. Wolff, Würckungen der Natur, § 330, S. 457 – 462. Dies ließ sich auch beim Erdbeben beobachten. Dazu unten Anm. 117. e 56 Stöltzlin, Wetterbuchlein, S. 49; dazu Kittsteiner, Entstehung, S. 57. 57 Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 172 f.
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göttlichem Gericht; gefragt war aber auch keine gottvergessene Furchtlosigkeit: kein unvernünftiger Mut, der sich am Ende doch nur als schlecht verstellte Feigheit herausstellte.58 Vor dem Gewitter schützte nur die rechte Furcht Gottes: eine kindliche Furcht und keine »kindische«; allein sie ließ die Menschen die nötigen Maßnahmen ergreifen – gegen das Gewitter, das aufzog, und gegen e künftige Gewitter überhaupt. Die »Furcht fur dem gerechten Zorne GOttes« nahm seiner zornigen Stimme den Anlass zu donnern. Wer hier weiterdachte, musste zu dem Schluss kommen: Wenn die rechte Furcht Gott davon abzuhalten vermochte, im Gewitter in Angst und Schrecken zu versetzen, dann musste die falsche Furcht das Gewitter bewirken, das sie befürchtete. Diesen Syllogismus braucht der Artikel, nicht anders als die zahlreichen Gewittertraktate des späten 16. und 17. Jahrhunderts, nicht mehr explizit vorzuführen. Er ist zu selbstverständlich, wie es scheint. Indiz dafür ist die 1745 erschienene Bronto-Theologie Peter Ahlwardts,59 wenn sie der theologischen Konsequenz eine ausführliche naturphilosophische und präventionstechnische Begründung an die Seite stellt. Auch wenn sie den Untersuchungszeitraum überschreitet, ist sie im Folgenden näher vorzustellen; denn die physikotheologische Donnertheorie zeigt noch deutlicher als das Zedler’sche Werk die Einheit der natürlichen und religiösen Erklärungen der Gewitterfurcht.60 Diese Theorie vermochte nicht allein die Furcht aus dem Gewitter zu erklären, sondern auch das Gewitter aus der Furcht vor ihm. Auch bei Ahlwardt nährt sich das Gewitter aus schwefligen, der Erde entströmenden Dünsten, die die Kraft der Sonne in die Höhe befördert hatte. Diese Materie, entzündet durch ihre Bewegung aus wärmeren in kältere Lufträume, gab dem Brand des Blitzes seine Nahrung. Doch die »schweflichten« und »feurigen Theile« der Luft waren nicht nur die Ursache des Gewitters, sondern (als solche) auch sein Zeichen, und dies nicht allein durch ihren schwefligen Gestank: Angezogen »durch den Odem«, erhitzten und verdünnten sie das Blut; »innere« Beklemmung angesichts einer allzu starken Ausdehnung der Gefäße war die Folge, und so wurde jenen, »welche von einer sehr empfindlichen Leie besbeschaffenheit sind«, »angstlich zu Muthe«. Die Angst fungierte als Bron58 Johann Heinrich Zopf, Commentatio physico-moralis de providentia Dei fvlminantis, contra profanas atheorvm et natvralistarvm cavillationes vindicata, Frankfurt a.M. 1728, S. 51, bringt die Einheit von falscher Furcht und falscher Furchtlosigkeit auf den Punkt: Die Gottlosen im Gewitter, so Zopf, gaben sich unerschrocken nach außen, hatten aber den Schrecken des schlechten Gewissens im Herzen. e 59 Peter Ahlwardt, Bronto-Theologie, oder : Vernunftige und Theologische Betrachtungen über den Blitz und Donner, wodurch der Mensch zur wahren Erkenntniß GOttes und seiner e Vollkommenheiten, wie auch zu einem tugendhaften Leben und Wandel gefuhrt werden kan, Greifswald / Leipzig 1745. 60 Der Zedler-Artikel setzt stets zweimal an: mit einer naturphilosophischen und einer theologischen Erklärung des Donners, auch wenn er diese nicht immer als solche ausweist.
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tograph; sie erlaubte es, die aufziehende Gefahr eher zu erkennen, als andere e Menschen es vermochten: »in den meisten Fallen vorherzusagen, wenn ein Donnerwetter entstehen werde oder nicht.« Diese Personen, sofern sie sonst nicht zur Furchtsamkeit neigten, verloren ihre Furcht in dem Augenblick, da sich der Blitz sehen und der Donner hören ließ, nach Abkühlung der Luft.61 Ihre Furcht war »gemäßigt«; sie legte sich mit dem Eintreffen des gefürchteten Gewitters, denn dann hatte sie ihre prognostische Aufgabe erfüllt. Doch wo es eine »gemäßigte« Furcht gab, konnte eine »unmäßige« nicht fehlen; und die weigerte sich zu gehen.62 Über ihre schädlichen Wirkungen aufzuklären, ist eines der Hauptanliegen der Ahlwardt’schen Schrift. War die warnende Furcht einer der ersten Schritte zur Verhinderung von Gewitterschäden, so führte die falsche, wie es schien, derartige Zerstörungen mitunter erst herbei. Zum einen konnte sie selbst unmittelbar tödlich enden, zum anderen mittelbar : indem sie an sich zog, was den Tod brachte. Die letale Wirkung der Furcht bot eine Erklärung für die tödliche Wirkung des Gewitters: für die zahlreichen Berichte von Menschen, die, neben dem Blitz, (ganz buchstäblich) vom Schall des Donners erschlagen worden seien.63 Die Furcht, die warnte, wenn das Gewitter aufzog, konnte das Leben kosten, wenn
61 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 76 f., 378 – 384. 62 Ders., Bronto-Theologie, S. 407 (resümierend). 63 Ders., Bronto-Theologie, Vorrede und S. 314, 394; Wolff, Würckungen der Natur, § 329, S. 455 – 457. Auch Bapst von Rochlitz, Wetterspiegel, Bl. D 1r, D 4v – D 6r, und F 7r/v : »Anno 1038. sein umb Pfingsten solche unerhorte Donnerwetter gewesen/ das viel Leute e alleine fur Furcht und Erschrecken in Ohnmacht gefallen/ und uber das auch jr viel e plotzlichen gestorben sein.« Darüber hinaus: Die Bieberauer Chronik (1579 – 1654) des Pfarrers Johann Daniel Minck, in: Südhessische Chroniken aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, bearb. v. Rudolf Kunz / Willy Lizalek, Heppenheim 1983 (Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Sonderband 6), S. 229 – 288, hier 280 (im Folgenden zit. als Minck, Bieberauer Chronik); Peters, Söldnerleben, Bl. 54 (S. 64/148), 141 (S. 109/177); Extract aus e Hr. Martin Botzingers sel. letzthin gewesenen Past. Zu Heubach, vbi †. 1673. æt. 65. Jahr, Vitæ e e e e Curriculo, in: Beytrage zur Erlauterung der Hochfurstl. Sachsen-Hildburghausischen Kirchen- Schul- und Landes-Historie, hg. v. Johann Werner Krauß, Teil 1, Greitz 1750, S. 349 – 368, hier 368; Die Chronik des Johann Philipp Mohr, in: Die Chroniken von Friedberg in der Wetterau, hg. v. Christian Waas, 2 Bde., Friedberg 1937 – 1940, Bd. 1, S. 237 – 260, hier 247; Hans Heberle, Zeytregister, publiziert in: Gerd Zillhardt, Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles »Zeytregister« (1618 – 1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten, Ulm 1975 (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 13), S. 252. Siehe auch das Sprichwort in Lehmann, Florilegium Politicum, S. 224: »Ein furchtsamer ist wie ein Hering/ er stirbt vom Blitz/ wie ein Krebs stirbt vom Tonnerknall.« Der Prediger Bernhard Derschow erwähnt, dass ein Kind im Mutterleib vom Blitz getötet worden sei: Bernhard Derschow, Wetter= vnd WasserSpiegel Das ist Christlicher vnd e grundlicher Vnterricht vom Ungewitter/ insonders von vberflussigen Regen unnd Wassern …, Königsberg 1628, S. 31.
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das Unwetter eingetroffen war.64 Das Gewitter entwickelte seine tödliche Macht somit in erster Linie über die Furcht, in die es versetzte. In der Hitze des Blitzes, so meinten viele Autoren, erfuhr die Luft eine Ausdehnung, die entweder direkt die Blutgefäße zerreißen ließ65 oder aber, über den von ihr hervorgerufenen Donner, mit der äußeren auch die innere Luft erschütterte. Der Donner erregte Furcht und Zittern, einen Schrecken, der entweder gleich unmittelbar zum Tod zu führen vermochte oder aber über Krankheit, Ohnmacht und den Verlust von Gedächtnis und Sprache.66 Daneben gab es für Ahlwardt eine zweite tödliche Wirkung übertriebener Furcht. So wie das Gewitter Ursache einer nützlichen Furcht war (und sich damit selbst seine zerstörerische Gewalt nahm), konnte umgekehrt eine falsche Furcht zur Ursache des Gewitters werden. Diejenigen, die sich allzu sehr vor dem Gewitter fürchteten, gaben ihrer Furcht selbst den Anlass. Sie zogen das Gewitter auf sich, vor dem sie sich ängstigten – in erster Linie, indem sie, um die Enge ihres angsterfüllten Herzens zu weiten, die Luft einzogen, die die Gewittermaterie transportierte: e
»Was ist bekannter als dieses, daß ein mit Furcht und Schrecken uberfallener Mensch e e e uber nichts mehr als Angst uber die Brust oder Engbrustigkeit klage. Er holet daher e e e bestandig die großten Seufzer, und suchet durch ein starkes Anziehen der aussern e kaltern Luft sein beklemmtes Herz zu befreyen, und, wie er redet, sich Luft zu vere e e schaffen. Fahret nun die ausserliche Luft mit der großten Geschwindigkeit in eine so e e stark ausgedehnte Brust; wird dieses hienachst auch mit der großten Geschwindigkeit e zum oftern wiederholet; wie leicht ist es geschehen, daß mit einer solchen Luft die 64 Auch dies galt ebenso für das Erdbeben: Christian Gottlieb Berger, Theorie der Erdbeben und Vulkane, auf Erfahrungen gebaut, Berlin 1788, Kap. 3, S. 86 f., konnte »Kranke e heiten auf die naturlichste Weise aus dem Schreck über die Erderschutterung, und den so e e e mannigfaltigen Wurkungen […] erklaren, welche aus der plotzlichen allgemeinen Zusammenziehung der Nerven beym Schreck, besonders der Hautnerven, und aus dem schnellen e e Ruckgange des Bluts nach den innerlichen Theilen des menschlichen Korpers nach e vielfaltiger Erfahrung entstehn. Folgen sodann auf diesen Schreck noch Furcht und Angst e e vor dem Uebel was man noch erwartet, so werden diese Zufalle vervielfaltiget.« 65 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 145 – 149. 66 Eine weitere mögliche Folge waren verfrühte Geburten: ders., Bronto-Theologie, S. 134 – 136, 320 f. Zu den anderen genannten Aspekten siehe Paolo Zacchia, Quæstiones medicolegales, Frankfurt 21666, Bd. 1/2, S. 400 f.: »Sed quod magis ad rem nostrum facit, illud est, quýd in hisce casibus horribilibus, & ex improviso advenientibus, homines ex timore, priusqum ex violentia cujuscunque caussæ intereunt. Patet in fulmine, quo licet nullam aliam possimus excogitare violentiorem caussam in occidendo, tamen multi ante ex timore, qum ex ejus vi intereunt, […] & simile quid affirmare licet in quibusvis similibus casibus, ubi subitus timor improvisæ, ac inevitabilis mortis irruat. Hinc non semel factum est, ut aliqui leviter vulnerati tamen obierint in ipsa vulneris acceptione ob timorem ipsius mortis, licet aliquando id ipsum ex Ira, & excandescentia evenerit« (mit Bezug auf Daniel Sennert). Zur Ohnmacht siehe auch Maurus Friesenegger, Tagebuch aus dem 30jährigen Krieg. Nach einer Handschrift im Kloster Andechs mit Vorwort, Anmerkungen und Register hg. v. P. Willibald Mathäser, München 2007, S. 77.
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Materie eines Blitzes theils selbst in die Brust gezogen, theils aber auch der Stral eines e Blitzes weit ehe und starker auf uns gelenket und nach uns gezogen werde. Die Ursach hievon aber ist die Furcht und der Schreck. Wollen wir dieser Gefahr vor dem Blitz und seinem Stral entgehen; so muß aller Schreck vermieden und unsere Furcht auf alle Art e gemaßiget werden.«67
Die Furcht vor dem Gewitter, so ließe sich vorläufig resümieren, zeitigte das, was sie fürchtete; sie bestätigte und erfüllte sich selbst, indem sie ein Gewitter auf sich zog, das furchterregend war, weil die Furcht, die es erregte, tödliche Folgen haben konnte. Was war hier zu tun? Die Liste der praktischen Vorschläge ist lang. Zunächst waren Schwefel verströmende Orte zu meiden, an denen Blitz und Donner bevorzugt einschlugen: Vulkane, erdbebengefährdete und sumpfige Gebiete, Abbaustätten für Erz und Sulfur, zudem die Orte des Todes und der Verwesung: Schlachtfelder, Schindanger und Gottesäcker. Auch Viehställe, Gerbhöfe, Töpfereien und Schmieden, dunstverhangene Räume wie Krankenstuben und geheime Gemächer sowie größere Ansammlungen von Menschen boten unkalkulierbare Risiken.68 Besonders signifikant ist die Empfehlung, Geschütze abzufeuern und die Glocken zu läuten. Ahlwardt wusste um die »abergläubischen Ursprünge« dieser Maßnahmen; diskreditiert in den Augen des Naturkundigen jedoch war lediglich die tradierte Begründung des Verfahrens, seine Effektivität blieb ihm unstrittig. Der Schall von Geschützdonner und Glockengeläut, so die natürliche Erklärung, vermochte die Gewitter bringenden Schwefelwolken auseinander zu treiben.69 Die Persistenz der Maßnahme und die Tatsache, dass das Gewitter selbst mit einem Geschütz verglichen wird,70 zeigt, dass diese Erklärung der sympathetischen Tradition deutlich mehr verdankt, als der wissenschaftlich-naturphilosophischen Aufklärung, die sie proklamiert. Die Reihe der praktischen Mittel gegen das Gewitter ließe sich weiter fortsetzen, würde jedoch, trotz ihrer aufschlussreichen hygiene- und ordnungspolitischen Implikationen, den Rahmen dessen sprengen, was hier zu diskutieren ist. Interessanter ist eine gewissermaßen untergeordnete Kategorie, die bei genauerem Hinsehen als Grundlage alles anderen erscheint: die Maßnahmen gegen die Furcht vor dem Gewitter. Gerade jene, die von Furcht erfüllt waren, 67 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 322. Bereits Christoph Oschwind hatte betont: Die »Einbildung thut viel/ unnd je forchtsamer einer ist/ je mehr er den Lufft ein und außzeucht.« Christoph Oschwind, Nutzlicher und kurtzer Bericht/ Einem jeden zur Zeit einreissender e laidiger Pestilentz sehr dienstlich und vonnothen/ mit Anzeigung etlicher Stuck/ durch welche hievor im grossen Sterbend/ vil/ mit diser Erbsucht behafften/ zur Gesundheit wider geholffen worden, Konstanz 1611, Bl. A 5v, zit. nach Werfring, Ursprung, S. 185. 68 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 293 ff., 370 f. 69 Ders., Bronto-Theologie, S. 329 – 332, 372. 70 Ders., Bronto-Theologie, S. 294.
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versäumten es, die Ratschläge zu berücksichtigen und, in gelähmter Untätigkeit gefangen, das Nötige zu unternehmen.71 Schlimmer noch: Da »sie kaum wissen, e was sie thun«, in ihrer »thorichten« Unbesonnenheit und »gar zu starken und e unvernunftigen Leidenschaft«, liefen sie mitunter genau an die für den Gewittereinschlag disponierten Orte, insbesondere in vermeintlich schützende Keller und menschliche Gesellschaft.72 Sie versteckten sich in den Betten, doch blieben sie schlaflos, sei es in der Ruhelosigkeit der Furcht, sei es gar in der irrigen Meinung, sich wachend schneller in Sicherheit bringen zu können – obwohl es doch gerade der Schlaf war, der die schützende Ruhe bot, weil er die Transpiration des Körpers reduzierte.73 So musste, wer wissen wollte, was gegen das Gewitter getan werden konnte, zuallererst die Frage beantworten, wie sich die Furcht vor ihm bekämpfen ließ. Hier half »Aufklärung« über die Natur und den Gott, der sie geschaffen hatte zum Wohle des Menschen. Eine Physikotheologie, der es nicht mehr primär darum zu tun war, eine Furcht vor der göttlichen Strafgewalt im Gewitter zu implementieren, machte aufmerksam auf dessen positive Aspekte. Ihr Anliegen war es, Gott nicht mehr allein in der Gefahr aufscheinen zu lassen, sondern auch in dem Umstand, dass die Gefahr so groß nicht war. Zu diesem Zweck stellte sie zunächst Kosten gegen Nutzen. Das Gewitter, auch wenn es einzelne Menschen unmittelbar zu schaden vermochte, erfüllte in den Augen der Physikotheologen eine wichtige kosmologische Funktion. Es trennte die Luft vom Schwefel, um mit dessen Ausfall nicht allein das Erdreich zu befruchten, sondern darüber hinaus die Luft von anderen Krankheiten und Tod bringenden Teilchen zu reinigen. Auf diese Weise bändigte das Gewitter Gefahren, die größer waren als es selbst, insbesondere Seuchen und Epidemien wie die Pest.74 Was es als Teil eines göttlichen Straf- und Vergeltungszusammenhangs bisher mit sich gebracht hatte, das half es jetzt zu verhindern. Darauf wird in Abschnitt 4.3 zurückzukommen sein. Zu dieser kosmologischen Perspektive fügt sich eine individuelle. Ein Gewitterschlag, so wurde nun betont, war selbst für jene, die er tödlich traf, nur scheinbar von Übel; auch hier hatte ein vollkommener und allmächtiger Schöpfer die beste aller Möglichkeiten gewählt. Wen Gott durch einen 71 So auch – drei Jahrzehnte später – Ludwig Christian Lichtenberg, Verhaltungs=Regeln e bey nahen Donnerwettern nebst den Mitteln, sich gegen die schadlichen Wirkungen des e Blizes in Sicherheit zu setzen: zum Unterricht fur Unkundige, Gotha 1774, S. 74 f. 72 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 393 – 396. 73 Ders., Bronto-Theologie, S. 333 – 336. 74 Ders., Bronto-Theologie, S. 197, 200. Diesen natürlichen Nutzen des Gewitters sieht allerdings auch schon Bapst von Rochlitz, Wetterspiegel, Bl. C 1v ff.; vgl. Kittsteiner, Entstehung, S. 46 f. Gefährlich wurde es erst, wenn das Gewitter vom Teufel und seinen Helfershelfern kam und damit als göttliche Strafe für menschliche Sünden.
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»schleunigen Tod« von dieser Welt abberief, dem ersparte er Todesangst und Krankheit, Unglück, Jammer und schwere Pflichten; und er nahm ihm die Gelegenheit zu weiteren Sünden. Kein Problem somit für die Theodizee: Traf das Gewitter die Gerechten, so waren nicht sie gestraft, sondern die Bösen, denen sie Gutes getan hatten.75 Hier verlor der »plötzliche Tod« seine Bedrohlichkeit. Wo für die ewige Seligkeit ein gottesfürchtiges Leben vor dem Tod und nicht mehr der Augenblick seiner Vorbereitung in Buße und Sakrament ausschlaggebend zu werden begann, dort wurde der Tod im Gewitter von einem bösen zum guten.76 Diese kosmologische und heilstheologische Perspektive erweiterten die Physikotheologen um eine mathematische; die qualitative Entschärfung suchten sie durch eine quantitative zu sichern. Eine distanziert blickende Vernunft musste nicht allein erkennen, dass das Gewitter dort, wo es einschlug, eigentlich gar keinen Schaden anrichtete; sie sah auch, dass es den Menschen überhaupt nur selten traf. (Der argumentative Ebenenwechsel erklärt sich aus dem Apriori göttlicher Güte, die im Versuch, sie zu erweisen, bereits vorausgesetzt werden musste: Gott meinte es gut, weil er nicht schlug, und wenn er es doch tat, war dies auch nur gut gemeint.) Auch wenn die Gefahr vor der Erfindung des Blitzableiters eine reale blieb, schien sie doch von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung. Die Statistik bewies: Es war nicht allein relativ schmerzarm, sondern zudem sehr unwahrscheinlich, durch Blitz und Donner zu sterben.77 Wer sich dessen bewusst war, wer wusste, dass erst die Furcht vor der Gefahr die Gefahrenlage schuf, der hatte bereits den Schutz, den er suchte. Mit der warnenden Furcht gab das Gewitter selbst die Mittel an die Hand, den Gefahren, die es 75 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 211, 401 – 403. 76 So auch Zopf, De providentia Dei, S. 48. Grundlegend zur Bedrohlichkeit des plötzlichen Todes im 17. Jahrhundert: Sebastian Leutert, Geschichten vom Tod. Tod und Sterben in Deutschschweizer und oberdeutschen Selbstzeugnissen des 16. und 17. Jahrhunderts, Basel 2007 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 178), Kap. 3, 4 und 8; Ute Monika Schwob, Sorge um den »guten Tod« – Angst vor dem »jähen Tod«. Religiös-moralische Mahnungen und Reaktionen seitens der Gläubigen, in: Du guoter tút. Sterben im Mittelalter – Ideal und Realität, hg. v. Markus J. Wenninger, Klagenfurt 1998, S. 11 – 30; für den Dreißigjährigen Krieg: Benigna von Krusenstjern, Seliges Sterben und böser Tod. Tod und Sterben in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe, hg. v. ders. / Medick, S. 469 – 496, insbes. 475 ff. Siehe außerdem Rudolf Mohr, Der unverhoffte Tod. Theologie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen Todesfällen in Leichenpredigten, Marburg 1982 (Marburger Personalschriften-Forschungen 5), passim; ders., Protestantische Theologie und Frömmigkeit im Angesicht des Todes während des Barockzeitalters hauptsächlich aufgrund hessischer Leichenpredigten, Marburg 1964, S. 382 – 397; vgl. auch Philippe Ariès, Geschichte des Todes, München 81997 [Paris 1978], S. 394 – 402; Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 88 – 90. 77 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 202 f. Das Argument machte natürlich Schule; vgl. nur Lichtenberg, Verhaltungs=Regeln, S. 75 f.; Georg Simon Klügel, Beschreibung der Wirkungen eines heftigen Gewitters, welches am 12. Jul. 1789 die Stadt Halle betroffen hat, e e nebst einer ausfuhrlichen Erklarung der Entstehung der Gewitter, Halle a. d. S. 1789, S. 64.
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brachte, zu begegnen. Dieses Gewitter warnte gewissermaßen vor sich selbst. Und es strafte jene, die die Warnung missachteten und in furchterfüllter Untätigkeit verharrten. Ihre Furcht, auf dem Weg über eine von Gott eingerichtete Natur, sanktionierte sich selbst, indem sie bewirkte, was sie befürchtete. Die allzu Furchtsamen strafte die Natur, weil sie ihre Pflicht verletzten, sich selbst zu erhalten – paradoxerweise mit dem Verlust dessen, was sie eigentlich erhalten sollten (wo Selbsterhaltung Pflicht war, kam die Verletzung dieser Pflicht ihrer Bestrafung gleich).78 Ahlwardt sah den Menschen nicht allein befähigt, sondern damit auch »verbunden«, »alles zu vermeiden, wodurch der Blitz e und der Wetterstral mehr nach ihnen gezogen werden konnte«: »verbunden e […], Schrecken und Furcht zu meiden und auf alle Art zu maßigen.«79 Das heißt: Wer sich vor dem Gewitter in Sicherheit brachte, verstieß keineswegs gegen den Willen dessen, der es geschickt hatte,80 schließlich suchte er ja das Gewitter nicht abzuschaffen.81 Im Gegenteil: Wer Schutzmaßnahmen ergriff, bediente sich der Fertigkeiten, mit denen er von der Vorsehung seines Schöpfers ausgestattet worden war.82 Dieser Mensch hatte nicht nur die Befähigung, sondern auch die Aufgabe zu handeln. Dem stand keineswegs entgegen, dass die Furcht mitnichten gänzlich aus dem Gewitter zu verschwinden hatte. Das Gewitter sollte durchaus in Furcht versetzen, nur eben nicht in die falsche. Die Furchtlosigkeit, die es dem Menschen erlaubte, sich selbst zu erhalten, war die »wahre« Furcht vor einem Gott, der alles zum Besten eingerichtet hatte. Diese Furcht fürchtete nicht die Strafe, die er verhängte, sondern die Strafwürdigkeit der Menschen, die die Strafe erzwang, anders formuliert: Sie sah in der Strafe kein Übel, sondern ein Instrument göttlichen Heilshandelns, ein Mittel, mit dem Gott aus dem Schlaf der Sünden erweckte83 und von seiner unendlichen Macht und Weisheit überzeugte.84 Diese Furcht war, seit Augustinus, eine kindliche, keine knechtische: e
»Wir haben schon oben bewiesen, daß der Donner und Blitz bey allen Vernunftigen eine wahre Furcht vor GOtt erwecken und nach der Absicht GOttes hervorbringen solle; wir haben aber auch zugleich dabey gezeiget, daß es keine bloß knechtische, e sondern wahre kindliche Furcht seyn musse (S. den § 66). Wir können auch nicht e leugnen, daß der HErr unser GOtt sich seines Blitzes und Donners sowol naturlicher als e e e e auch ubernaturlicher Weise zum oftern bediene, die Menschen zu zuchtigen und zu 78 Zur Selbsterhaltung siehe Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 397 f. 79 Ders., Bronto-Theologie, S. 322 f. 80 Auf natürlichem oder, wo nötig, auf übernatürlichem Wege: ders., Bronto-Theologie, S. 30 – 36. 81 Lichtenberg, Verhaltungs=Regeln, S. 13. 82 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 378 ff. 83 Ders., Bronto-Theologie, S. 201 f. 84 Ders., Bronto-Theologie, S. 190 ff.
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straffen. Man kan also die Furcht der Menschen bey dem Donner und Blitz uberhaupt e keinesweges tadeln und verwerfen. Sie ist eine wurkliche Absicht GOttes und dienet zur e e e Beforderung der Ehre des Hochsten. Und wenn sie dem Willen Gottes gemaß eingerichtet ist; so ist sie auch ein wahres Mittel, unsern Zustand vollkommener zu machen, e e und befordert der Menschen wahre Gluckseeligkeit. Es wird auch nicht leicht ein Mensch gefunden werden, der nicht eine etwanige Furcht bey sich merken und empe finden sollte, wenn es donnert und blitzet. Wie wäre es aber zu wunschen, daß alle diese e Furcht der Menschen eine wahre Furcht vor Gott ware, und nicht vielmehr eine Furcht e e e vor dem Gewitter, als einer bloß naturlichen Begebenheit? Wie ware es zu wunschen, e e daß alle diese Furcht aus einer Erkenntniß unserer Sunden entstunde, und uns zu einer wahren Bekehrung und Besserung, wie auch zum Gebrauch der wahren Mittel, und zur Beobachtung aller uns obliegenden Pflichten antriebe; nicht aber aus der bloßen e e e Vorstellung des Verlustes zeitlicher Guter ihren Ursprung hatte, gar ausnehmend ware, und uns zu allen guten Handlungen ungeschickt machte? Sehen wir aber die Aufe fuhrung derjenigen Menschen an, welchen wir eine Furcht vor dem Donner und Blitz e zugeschrieben haben; so mussen wir gar bald erkennen, daß selbige keinesweges e e e rechter Art, sondern vielmehr hochst sundlich und verwerflich ist. Sie furchten sich vor e dem Donner, in so fern sie wissen, daß selbiger ihnen zu schaden vermogend ist, e keinesweges aber vor dem HErrn ihrem GOtt, dem Blitz und Donner zugehoret und der selbige in seiner Hand hat. Ja, sollte auch GOtt mit ins Spiel kommen; so siehet man ihn nur an als einen Grausamen und Tyrannen, keinesweges aber als denjenigen, welcher e e nach seiner Weisheit und Gute bestandig unser Bestes suchet. Die Liebe GOttes lieget bey dieser Furcht gar nicht zum Grunde. Kurz, diese Furcht ist ganz sclavisch und knechtisch, keinesweges aber kindlich. Wahrhaftig, eine ganz verkehrte Furcht der e e Menschen. Die Furcht unserer Furchtsamen ist gar zu ubermaßig; sie setzet diese Menschen in einen solchen Zustand, daß sie kaum wissen, was sie thun; sie sind also daher ganz ungeschickt, sowol die von GOtt ihnen entdeckte Mittel und vorgeschriebene Pflichten zu erkennen, als auch jene zu gebrauchen, und diese zu beobachten; sie e e sturzen sich also durch ihre Furcht desto ehe[r] in die Gefahr, welche sie befurchten, und welche zu vermeiden sie die Furcht von Rechtswegen eigentlich aufmuntern und e antreiben sollte. Warlich, eine recht thorichte Furcht. Die Vorstellung eines gar zu großen Uebels und Schadens, welches die meisten zum wenigsten in dem Verlust der e e zeitlichen Guter durch den Donner und Blitz setzen, giebet auch klarlich und deutlich zu verstehen, daß bey allen diesen Furchtsamen eine gar zu große Lust zur Welt und zu dem Irrdischen zum Grunde liege.«85
Die Furcht vor dem Verlust zeitlicher Güter erwies sich als »Thorheit«, da sie sich selbst widersprach; aber als Ausdruck mangelnder Gottesfurcht blieb sie dennoch Sünde. Und so erhielt sie ihre Strafe als knechtische Furcht, die verhinderte, dass der Mensch die anderen beschützte ebenso wie sich selbst.86 Den Physikotheologen erbrachte das Gewitter den Beweis für die Existenz eines liebenden Vaters, dessen Erhabenheit kindliche Ehrfurcht verdiente und ver85 Ders., Bronto-Theologie, S. 391 – 393. 86 Ders., Bronto-Theologie, S. 397 f.
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langte. Dieses Gewitter rief jene zur Ordnung, die sich dem göttlichen Willen widersetzten.87 Denen dagegen, die ihm folgten, war es von Nutzen, und nicht nur das: Ihnen bot es selbst den Schutz vor seiner Gewalt, den sie suchten, durch eine natürliche Furcht, die empfand, wer die moralische schon hatte. Diese natürliche Furcht, das lag nicht nur in ihrer Körperlichkeit, sondern auch in ihrer Funktion, entzog sich einer vollständigen Kontrolle. Zwar war es wünschenswert, »allen Schreck fahren zu lassen und aller Furcht zu entsagen«, e realistischer jedoch schien es, »beyde Bewegungen, so viel es nur moglich ist, zu e maßigen, wenn es donnert und blitzet.«88 Hier zählte das Bemühen. Als Zeichen kindlicher Furcht überschritt es die körperlichen Grenzen, die seinem Erfolg gesetzt waren. Diese Furcht war die einzige Möglichkeit langfristiger Prävention; denn sie zielte nicht auf die natürlichen Ursachen des Gewitters, sondern auf dessen Anfang in Gottes Zorn angesichts der leidenschaftlichen und »sclavischen« Furcht der Menschen; was allein half, mit anderen Worten, war das Bemühen um einen christlichen Lebenswandel: um ein gutes Gewissen.89 Nur wer wusste, dass Gott kein zorniger, sondern ein gnädig liebender war, kein ungerechter, sondern der Gerechte, nur der nahm ihm den Anlass zu donnern. Und der Ort dieser Erkenntnis war das von Gott gesandte Gewitter selbst: das Gewitter, das zum rechten Glauben führte, indem es bewirkte, dass die, die rechten Glaubens waren, es nicht fürchten mussten. Die Aufklärung über dieses Gewitter, so Ahlwardt abschließend, wies den Weg in die Glückseligkeit der Tugend: »Kurz: die übermäßige Furcht wird sich legen, und die gemäßigte Furcht, worein uns Blitz und Donner versetzen, wird uns zu GOtt leiten, und zur Beobachtung aller unserer Pflichten reitzen und antreiben.«90 Die Beobachtung des Himmels gab die Antwort auf die Frage, wie das rechte Maß zu erlangen sei: die kindliche statt der knechtischen Furcht, die Furcht der Christen statt der der Gottlosen, die Furcht derer, die wussten, dass, wenn Gott sie schlug, Standhaftigkeit und Vertrauen gefragt waren, nicht Verzweiflung (in der Furcht vor ewiger Verdammnis): die wussten, dass Gott aus Liebe strafte, 87 So auch Johann Heinrich von Seelen / Hermann Jacob Harder, De tonitrv existentiae Dei teste, Lübeck 1722, S. 15: »Dum vero tonitru, opus demirandum ac stupendum plane, homines Dei existentiam docet, & facilius eorum animos mouet, quam res tenuissima ac vilissima (licet & illa recte considerata Deum ostendat), Christiani omnes verbis a SPERLINGIO prolatis: Fulmen terrificum iustitiae diuinae telum est. Mentes indomitas & Deum ipsum negantes stupescere, & Numinis vim agnoscere facit, lubentes subscribunt, ita tamen, vt Deum quidem tonantem reformident, sed Numinis etiam clementia & mentibus recti consciis freti, non nimis exterreantur. In primis dant operam, vt omnem superstitiosam fulminum obseruationem omittant, eandemque gentilibus relinquant.« 88 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 322 f. 89 Ders., Bronto-Theologie, S. 406. 90 Ders., Bronto-Theologie, S. 407 f. Entsprechend auch Zopf, De providentia Dei, S. 49 – 60: Das beste Mittel gegen den knechtischen »metus fulminis«, so Zopf, ist die kindliche Furcht, die »bene acta vita« (S. 60).
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nicht aus Zorn, zum Nutzen, nicht zum Schaden, die wussten, dass die »Ere kenntniß unserer Sunden« nicht das Ende der Gnade war, sondern ihr Anfang.91 Doch diese Antwort stellte eher eine Beschreibung des Problems als seine Lösung dar. Auch sie konnte nicht beantworten, wie das Pendel den rechten Impuls erhielt und der Kreislauf die rechte Richtung: wo und wie die Grenze gezogen werden konnte zwischen den beiden konstitutiv entgegengesetzten Seiten. Auch die Physikotheologie suchte kindliche Gottesfurcht bei Betroffenheit zu implementieren, argumentierte jedoch (erstmals) ausgehend von einer Nicht-Betroffenheit. Wo Gott nicht mehr im Schrecken erwiesen wurde, sondern in der Fruchtbarkeit des Gewitters und der quantitativen Unterrepräsentanz seiner Schäden, dort war argumentativ die materielle Nichtbetroffenheit vorausgesetzt, die erreicht werden sollte. In diesem Argument traf es nur noch die Uneinsichtigen; ihr Leid, verursacht durch die eigene Furcht, erschien als Folge der mangelnden Einsicht in die Tatsache, dass nicht leidet, wer sich nicht fürchtet. In diesem Sinne wurde furchtbedingtes Leiden als göttliche Strafe für die mangelnde Erkenntnis des göttlichen Wesens vorgestellt, für die fehlende Einsicht, dass Gott nicht schadet, sondern hilft (auch im Schaden). Ihre Betroffenheit ließ auf eine Uneinsichtigkeit schließen, die mit der Nichtbetroffenheit argumentativ exorziert werden sollte. So waren jene, die es betraf, mit diesem Argument eigentlich a priori nicht ansprechbar. Im Angesicht des Gewitterschadens verfielen sie einer knechtischen Furcht, die nicht dem Argument zur Last gelegt werden konnte, sondern allein ihnen selbst. Vor diesem Hintergrund entschied über kindliche und knechtische Furcht nicht die Einsicht, sondern die Gnade zur Einsicht. Es stand immer schon fest, wer zu der kindlichen Furcht befähigt war, die – bei Strafe der knechtischen – angemahnt wurde. Das Gewitter versetzte nur jene in kindliche Furcht, die sie schon hatten. Und wer sie nicht hatte, konnte sie auf diesem Weg auch nicht erlangen; er verfiel in den entgegengesetzten Zustand (in dem er sich schon befand). Fürchten musste das Gewitter, wer es fürchtete; und wer es nicht fürchtete, musste es auch nicht fürchten. Insofern kindliche und knechtische Furcht sich jeweils selbst reproduzierten, war die Frage, ob das Gewitter in die eine oder in die andere führte, abhängig von göttlicher Gnade. Dass die Strafe der Rettung diente, konnte auch hier nur erkennen, wer der Strafwürdigkeit bereits entkommen war ; in diesem Sinne stellte diese Erkenntnis bereits die Rettung dar und allein die Geretteten waren zu ihr befähigt. Diese semantische Struktur wurde auch durch die naturphilosophische Frühaufklärung nicht erschüttert. Eine Physikotheologie, die die Paradoxien lutherischer Bußtheologie zu entmystifizieren unternahm, geriet in argumentative Schwierigkeiten, eben weil sie nicht mehr lutherisch argumentierte: weil sie Gott aus dem Verborgenen in die Sichtbarkeit seiner natürlichen Ordnung 91 Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 401 – 406.
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überführte, ihn aber auch dort am Ende nicht fand. (In diesem Horizont erfolgte die Rechtfertigung individuellen Gewitterschadens über die Zurückstellung des Eigeninteresses zu Gunsten des kosmischen und gesellschaftlichen Ganzen.) Die begrifflichen Aporien der kindlichen und knechtischen Furcht vermochte auch der Beweis der Güte Gottes aus der Natur des Gewitters nicht zu lösen. Neu war nur der (implizite) Versuch, dies zu tun; in ihm jedoch verblieb der Beweis, epistemologisch gesehen, in einem sehr »langen« 17. Jahrhundert. Das Argument funktionierte allein deswegen, weil Gott, wie es sich für einen theologischen Schluss gehört, am Ende nicht bewiesen, sondern für seinen Beweis bereits vorausgesetzt wurde. Und das heißt: Wer sich recht fürchtete, hatte auch hier am Ende nicht auf die Stimme der Vernunft gehört, sondern auf die seines Herrn: auf einen Donner, der seine Macht und seine »rationale« Grundierung nicht erweisen konnte ohne die Hilfe der Offenbarung,92 auf einen Donner, der nicht erhaben sein konnte, ohne drohend zu bleiben. Als eine offenbarte erhielt die Stimme des Gewitters ihre physische Macht; und allein als einer offenbarten konnte ihr physisch (um nicht zu sagen: magisch) begegnen, wer sich nicht fürchtete: wen Gott ansah in Gnade.93 Vor diesem Hintergrund ist für die Geschichte des Gewissens zu notieren: Die Bronto-Theologie des Peter Ahlwardt steht nicht für eine allmähliche aufklärerische »Verinnerlichung« der conscientia; sie ist, anders als Heinz Kittsteiner es vorstellt, nicht der dritte historische Schritt nach einer Furchtlosigkeit der Gottlosen und einer anschließenden Gewissensfurcht im Gewitter, nicht die letzte Stufe vor der gänzlichen Verabschiedung des Gewitters aus dem Gewissen.94 Die physikotheologische Argumentation ist kein Beweis dafür, dass hier ein Furcht erregender von einem Furcht lindernden Gott abgelöst zu werden beginnt. Sie steht vielmehr für ein Verhältnis von Gewissen und Gewitter, das noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Furcht und Furchtlosigkeit religiös und kosmologisch untrennbar miteinander verband. Die Spuren dieser physikotheologischen Argumentation lassen sich noch bis in die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts verfolgen. Johann Georg Schelhorns Unterhaltungen beym Donnerwetter zeigen, dass auch die »Entdeckung« der Elektrizität den Gedanken nicht zu stören vermochte.95 Wo die Gewitterwolke 92 Ders., Bronto-Theologie, S. 171 ff., 180. 93 Es entstand ein natürlicher Kreislauf mit religiös-moralischen Implikationen; und das heißt: Auch hier hatte menschliches Handeln magischen Einfluss auf den göttlichen Willen. – Der Interpretation des Donners als körperlich wirksamer Stimme Gottes entspricht die kommunikationstheoretische Erklärung der menschlichen Stimme aus einem Luftschlag. In deren Hintergrund stand die Vorstellung, die Stimme sei »tief« mit Seele und Vernunft verbunden: Karl-Heinz Göttert, Geschichte der Stimme, München 1998, insbes. S. 455. 94 Kittsteiner, Entstehung; ders., Gewissen im Gewitter. 95 Johann Georg Schelhorn, Unterhaltungen beym Donnerwetter, Memmingen 1783, insbes. S. 7 – 35, 46 f. Schelhorn bezieht sich wiederholt auf Christoph Christian Sturm,
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»als eine stark elektrisirte Sammlung von Dünsten«96 erschien, trat das neue Paradigma zunächst nicht an die Stelle des alten, sondern ergänzte und erweiterte es. Nachdem mit der Erfindung des Blitzableiters die Gefahr weitgehend gebannt war, ließ sich das Lob der Fruchtbarkeit von Blitz und Donner noch vorbehaltloser anstimmen.97 Und es ließen sich die vorhandenen Argumente um ein weiteres ergänzen. So findet sich bei Schelhorn der Hinweis, der Schweiß auf der Stirn derer, die sich fürchteten, könne »den Donner herleiten«98 – angesichts einer Feuchtigkeit, wie zu ergänzen wäre, die die elektrische Flüssigkeit anzog.99 Der Gedanke war bereits bei Ahlwardt angelegt,100 wurde jedoch erst an dieser Stelle ausformuliert. Analog zu Ahlwardts Unterscheidungen wurde dies für jene zum Problem, deren Angst nicht als eine natürliche, vom Gewitter bewirkte aufgefasst wurde, sondern als eine unnatürliche, die in ihnen selbst entstand: als e e ein Schrecken, der »den Menschen plozlich todten« kann.101 An diejenigen dagegen, deren Angst nicht Ursache, sondern Zeichen des Gewitters war, erging die Empfehlung, den eigenen Aufenthaltsort zu verlassen, wenn sie vermeiden wollten, dass das Zeichen seinerseits zur Ursache wurde: dass ihre vom Gewitter verursachte Furcht das Gewitter bewirkte, das sie bezeichnete. »Auch diesen Rath ertheilet man«, so Schelhorn, »daß derjenige, welcher einmahl wider seine e e Gewohnheit eine große Aengstlichkeit fuhlet, seinen Platz verandern soll, weil e dieß ein Zeichen seyn mochte, daß die Gewittermaterie schon auf ihn losziehe, e e der alsdenn noch ein todtender Blitz folgen konnte«.102 Dieser Rat half (nur) denen, die bereits wussten: Wer den Blitz sah, den hatte er nicht getroffen; dort, e wo »jahrlich nicht über 16. bis 18. Gewitter in einer Gegend ausbrechen«, ist »die Wahrscheinlichkeit, daß du auf solche Weise dein Leben beschließen werdest, so e groß nicht, daß du dich so sehr davor furchten solltest.«103 So bleibt Schelhorns physikotheologische Begründung der Wirkung von e
96 97 98 99 100 101 102 103
Betrachtungen uber die Werke Gottes im Reiche der Natur und der Vorsehung auf alle Tage des Jahres, welcher die Monathe April, May, und Junius in sich begreift, 2 Bde., Wien / Prag e 4 1797 [1772], S. 282 – 285. Sturm zielt zwar auf die Überwindung einer »aberglaubischen« e und »angstlichen Furcht« vor dem Gewitter in der Erkenntnis der Erhabenheit und Güte Gottes, verbindet dies jedoch nicht mit einem Hinweis auf die schädlichen Folgen der Furcht selbst. Schelhorn, Donnerwetter, S. 19, vgl. auch S. 14 und 16. Zur Schwefligkeit: S. 7. Ders., Donnerwetter, S. 23 – 26. Ders., Donnerwetter, S. 15, auch 46: »Angst treibet dem Menschen den heftigsten Schweiß e aus. Die Natur und der Gang des Blizes, und die Erfahrung lehret, daß dieß sehr gefahrlich ist.« Etwa mit Lichtenberg, Verhaltungs=Regeln, insbes. S. 18 ff., 66, 69 f., und Klügel, Beschreibung, S. 63. Ahlwardt, Bronto-Theologie, S. 51, 315. Durch Hemmung des Umlaufs des Geblüts: Schelhorn, Donnerwetter, S. 46. Vgl. auch Lichtenberg, Verhaltungs=Regeln, S. 27 f., 73 f. Schelhorn, Donnerwetter, S. 15. Ders., Donnerwetter, S. 10 f.
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Gewitterfurcht auf das gefürchtete Gewitter ganz auf der Linie Ahlwardts – auch wenn er, wie Johann Nepomuck Fischer,104 im Glockenläuten keine Hilfe mehr sah, sondern eher eine Gefahr : weil »man aus der Erfahrung weiß, daß durch Bewegung und Erhizung des Erzes die Gewittermaterie vielmehr herbeygezoe e gen, und die Thurngebaude mit dem Leben der Lautenden in Gefahr gesezt 105 werden«. Auch bei Schelhorn donnert im Gewitter die göttliche Stimme,106 und so kommt auch er zu dem Schluss: »Eines der Hauptmittel, vor aller e angstlichen Furcht bey Gewittern […], ist wol dieses, daß wir alles vermeiden, was unser Gewissen beunruhigen kan.«107 Dass der Wirkungszusammenhang zwischen Gewitterfurcht und Gewitter erst in der Physikotheologie ausdrücklich zum Argument wurde, lässt sich in erster Linie mit der Verlagerung der kritischen Stoßrichtung erklären. Die Theologen und Naturphilosophen des späten 16. und 17. Jahrhunderts suchten vor allem diejenigen zu bekämpfen, die Gott im Donner überhörten, auf der einen Seite die »Epikureer«, die im Gewitter lediglich den blinden Zufall der Natur am Werk zu sehen schienen, auf der anderen Seite die »Bezauberer«108 der Welt, die den schwefligen Geruch des Blitzes als Signatur des Teufels lesen zu können meinten. Den rechten Christen kam das böse Wetter nicht vom Teufel und auch nicht aus einer unbeseelten Natur ; es kam von einem Gott, der sich der Natur und notfalls auch des Teufels bediente, um jene zu treffen, die seinen Willen missachteten. Diesen Wettertheologen war es zunächst darum zu tun, überhaupt eine Furcht vor der göttlichen Strafgewalt im Gewitter zu implementieren. Doch auch diese Furcht konnte sich vom rechten Glauben entfernen: wenn sie knechtisch war, nicht kindlich, wenn sie die Strafe fürchtete und nicht den, der sie verhängte. Es lag nur in der Konsequenz dieser Differenzierung, wenn jene, die über neue »wissenschaftliche« Argumente verfügten, dann die Notwendigkeit nicht mehr der Furcht, sondern ihrer Reduktion betonten: die Gefahren nicht der Furchtlosigkeit, sondern einer allzu großen, einer falschen Furcht. Diese Akzentverlagerung ist weniger Ausweis einer allmählichen Säkularisierung als vielmehr die Beschreibung der anderen Seite der Medaille. Auch wenn eine Religion, die sich als eine »vernünftige« und »wissenschaftlich« fundierte zu verstehen begann, für die Selbsterhaltung, zu der sie verpflichtete, weniger auf göttliche Gnade denn auf menschliches Handeln vertraute, wurde mit ihr der Horizont einer göttlichen Vorsehung und einer in Gott gegründeten Natur keineswegs verlassen. Das Gewitter offenbarte Gott in besonderer Weise: Es war seine Stimme und nicht lediglich sein Werkzeug. Den Physikotheologen 104 105 106 107 108
Fischer, Beweiß. Schelhorn, Donnerwetter, S. 17. Ders., Donnerwetter, S. 13, 17 – 19, 26. Ders., Donnerwetter, S. 32. Bekker, Die bezauberte Welt.
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zeigte sich in Donner und Blitz nicht allein die drohende Macht des Schöpfers, sondern auch seine in ehrfürchtiges Staunen versetzende Erhabenheit; in ihnen, um es mit Leibniz zu sagen, wurde »ein verständiger man zur verwunderung der Weisheit, furcht der Macht, und Liebe der übereinstimmung beyder, das ist der Schöhn- und Gütigkeit seines Schöpfers mehr bewegt, als durch tausend orationes, carmina, ja auch wohl bisweilen lectiones und homilias.«109 Diese Erhabenheit an sich jedoch war nicht neu, sondern das Wesen des einen Gottes; sie war nicht das Ende der Drohung, sondern ihr Anfang. Die Physikotheologen entwickelten ihre technischen Möglichkeiten des Gewitterschutzes aus dessen religiös-moralischer Notwendigkeit; die empirische Erkenntnis, auch das Sulfur-Paradigma zeigt es, kam nach und nicht vor der Norm. Vor diesem Hintergrund rekurrierte der physikotheologische Hinweis auf die zerstörerische Kraft der Furcht unausgesprochen auf die bereits antike und von Hobbes aufgegriffene Debatte über das Verhältnis der Furcht zur Religion – um, wie auch Hobbes es tat, die epikureische Kritik christlich zu wenden.110 Der Hinweis erscheint als »wissenschaftlich« fundierte Kritik an einer aus »abergläubischer« Furcht geborenen Gottesvorstellung. Das Gewitter der Physikotheologen vertrieb falsche Furcht und falsche Götter, um die wahre Furcht vor dem wahren Gott zu erregen. All dies zeigt nicht allein, warum der (Straf-)Zusammenhang zwischen Gewitterfurcht und Gewitter erst hier kritisch betont wird, sondern auch, dass er bereits im kritisierten Gedanken angelegt war. Dem Gewitter zunächst vergleichbare Naturereignisse wie seismische Erschütterungen und vulkanische Eruptionen wurden, wie es scheint, im 17. Jahrhundert nicht unmittelbar auf die Furcht vor ihnen zurückgeführt (ungeachtet dessen, dass Furchtlosigkeit auch hier zu den Empfindungs- und Verhaltensanforderungen gehörte)111. Dies dürfte sich in erster Linie aus dem Umstand erklären, dass sie ihre zerstörerische Kraft nicht in der Person entfalteten, die betroffen war. Bei Gewitter und tödlichem Fieber war die Person der Ort nicht 109 Gottfried Wilhelm Leibniz, Grundriß eines Bedenkens von Aufrichtung einer Societät, in: Sämtliche Schriften und Briefe 4/1, S. 530 – 543, hier 535. 110 Zu dieser Debatte oben Kap. 2.1 und 3.3. Ausdrücklich findet sich der Hinweis auf einschlägige Autoren bei Salomon Hottinger / Johann Rudolph Waser / Johann Heinrich Faesi / Johann Rudolph Wolf / Johann Erhard Schmid, Bqomtokoc¸a physico-sacra. Seu, Dissertatio De Fulmine, hujus naturam, in genere, secundum suas causas, & affectiones proponens, Zürich 1698, Bl. D 2r. Die Furcht (im Gewitter), die die Götter schafft, ist knechtische Furcht: Bl. D 1v. Die Verfasser verweisen auf Statius und Petron. Der Art. »Blitz«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 172, zitiert Seneca, Naturales quaestiones II, 31 – 50, insbes. 42. Zu Seneca vgl. auch Gerhard Johannes Voss, De theologia gentili, et physiologia christiana; sive de origine ac progressv idololatriæ, ad veterum gesta, ac rerum naturam, reductæ; deqve natvræ mirandis, quibus homo adducitur ad Deum, Amsterdam 1647, Buch 3, Kap. 6 – 8, S. 753 – 768, insbes. Kap. 7, S. 758 – 764. 111 Für die Mitte des 18. Jahrhunderts vgl. Georgi, Heuschrecken, S. 196 – 202.
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nur des Erleidens, sondern auch der Entstehung des Leidbringenden; sie wurde »persönlich« getroffen von Donner und Blitz und den infektiösen Pfeilen der Pest. Das Beben der Erde dagegen und der Ausbruch eines Vulkans hatten ihren eigenen Ort, ihre Gewalt war nicht unmittelbar auf den einzelnen Menschen gerichtet. Vor diesem Hintergrund schien es manchen zwar nicht undenkbar, auch auf diesem Wege imaginativ zu schaden: ein Erdbeben zu zaubern durch seine Ein-Bildung;112 doch auch in dieser Vorstellung bewirkte die Furcht vor dem Beben nicht sein Erleiden. Dieser Einschränkung ungeachtet bestätigen die »unterirdischen Gewitter«113 die Beobachtungen zu den überirdischen. Aufschlussreich ist auch hier ein persönlicher Erlebnisbericht Athanasius Kirchers, publiziert in der Vorrede seiner voluminösen Untersuchung Mundus Subterraneus, auf die seine Vita dann nur noch verweist.114 Damit soll noch einmal die Textform gewechselt 112 Beispielsweise Marcello Donati, De Medica Historia Mirabili Libri Sex, Mantua 1586, Bl. 30r – 43r. 113 Johann August Unzer, Sammlung kleiner Schriften: Zweite physikalische Sammlung, Hamburg / Leipzig 1767, S. 23 f.; siehe auch unten Anm. 274. 114 Kircher, Vita, Bl. 42v – 43r ; ders., Mundus Subterraneus, in XII Libros digestus; Qvo Divinum Subterrestris Mundi Opificium, mira Ergasteriorum Naturæ in eo distributio, verbo pamtalºqvom Protei Regnum, Universæ denique Naturæ majestas & divitiæ summa rerum varietate exponuntur, Abditorum effectuum Causæ acri indagine inquisitæ demonstrantur, cognitæ per Artis & Naturæ conjugium ad Humanæ vitæ necessarium usum vario Experimentorum apparatus, necnon novo modo & ratione applicantur, 2 Bde., Amsterdam 1665, Bd. 1, Kap. 2 und 3 der 1. Vorrede. In der Abschrift der Vita von 1683 findet sich Kap. 2 der Praefatio im Anhang: Bl. 66v – 74v. In der Übersetzung Sengs ist sie in den Text integriert: S. 40 – 47. – Weitere Hinweise auf Erdbeben in autobiographischen Texten finden sich etwa bei Johann Jacob Walther, in: Reuss, Strassburg, S. 38: »Mittwochs den 16. Novembris [1642], zu nachts, vor 10 uhren hatt es allhier eine gewaltige erdtbebung geben, darvon die leute grausam erschrocken … dessen bedeutung Gott bekant«. Andreae, Autobiographie, Buch 5, S. 446/447: »Daß es am 15. November [1642] Blut regnete und sich darauf am 18. ein Erdbeben ereignete, dessen bin ich selbst Zeuge. Was aber beides bedeutet, wird die Zeit lehren.« Ferner : Gallus Zembroth, Allensbacher Chronik von 1632 bis 1668, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, hg. v. Franz Jospeh Mone, 4 Bde., Karlsruhe 1848 – 1867, Bd. 3, S. 566 – 581, hier 578; Thomas Mallinger, Tagbücher. Von 1613 bis 1660, in: Quellensammlung, hg. v. Mone, Bd. 2, S. 528 – 615, passim; Ramsler, Lebenserinnerungen, S. 39; Aus dem Tagebuche des Bürgermeisters Hans Im Thurn. Mitgetheilt v. Johann Heinrich Bäschlin, in: Beiträge zur vaterländischen Geschichte, hg. vom Historisch-Antiquarischen Verein des Kantons Schaffhausen, Bd. 5 (1884), S. 19 – 55, hier 41; Alexander Bösch, Liber familiarium personalium, das ist, Verzeichnus waß sich mit mir, und der meinigen in meiner haußhaltung, sonderliches begeben und zugetragen hatt. Lebensbericht und Familiengeschichte des Toggenburger Pfarrers Alexander Bösch (1618 – 1693), hg., komm. und eingel. v. Lorenz Heiligensetzer, Basel 2001 (Selbst-Konstruktion. Schweizerische und Oberdeutsche Selbstzeugnisse 1500 – 1850, Bd. 1), S. 120, 123. – Das Theatrum Europaeum verzeichnet für die späten dreißiger und frühen vierziger Jahre des 17. Jahrhunderts zahlreiche Erdbeben in den südlichen Regionen des Heiligen Römischen Reiches, in den Niederlanden und in England; es führt sie auf Gott als Erstursache zurück und liest sie als Zeichen für politische Unruhen:
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werden und mit ihr die Beobachtungsperspektive: von der Traktatliteratur zur Autobiographik. Damit kann jedoch auch gezeigt werden, dass beide denselben Erkenntnismodi folgten. 1638, auf der Rückreise von Malta nach Rom, nutzte Kircher die Gelegenheit, die auf dem Weg liegenden Vulkane zu erforschen: Ätna und Stromboli sowie den Vesuv, der gerade erst im Dezember 1631 mit verheerenden Folgen ausgebrochen war.115 Da zu dieser Zeit ganz Kalabrien durch Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen wurde, erwies sich Kirchers Unterfangen jedoch als ausgesprochen riskant. Auf einer Schifffahrt von Messina nach Santa Eufemia hatten Pater Athanasius und seine Begleiter nur mit Mühe vermeiden können, in einen ungeheuren, »Schrecken« (horror) erregenden Strudel der berüchtigten »Scylla« zu geraten. Unversehrt zunächst, gelangten sie in das Tyrrhenische Meer zwischen den Liparischen Inseln, der Stadt Milazzo und dem Capo Vaticano. Dort jedoch erwartete sie nur noch größere Gefahr. Schwefliger, übel riechender Rauch aus den Kratern von Ätna und Stromboli, unterirdisches Krachen und Dröhnen und ein bei strahlendem Himmel tosendes Meer verhießen den Reisenden Unheilvolles; vielleicht, so Kircher ahnungsvoll, drohte ganz Sizilien und Kalabrien der Untergang. Den Naturkundigen »erschreckten« bereits diese Vorzeichen aufs heftigste; doch es kam noch ein weiteres hinzu. Kircher verspürte eine »ungewöhnliche Enge« seines Geistes und der Seele: eine »Angst«, die ihm nicht als Folge des Wahrnehmbaren erschien, sondern als Hinweis auf das, was noch nicht wahrgenommen werden konnte, nicht als Wirkung eines Vorzeichens, sondern selbst als »Vorgefühl« (augurium) auf das Unglück, das Angst erregte. Sie fungierte gewissermaßen als eine divinatorische Angst.116 Als natürliche Erklärung für diese angustia boten sich, wie im Falle des Gewitters, durch das Beben ausgelöste Luftbewegungen und Entzündungen unterirdischer Dünste an117 – auch wenn Kircher selbst eine derartige Erklärung nicht fore
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Theatri Europæi Vierdter Theil/ Das ist: GLaubwurdige BEschreibung Denckwurdiger Geschichten/ die sich in Europa/ auch zum theil in Ost= vnd West=Indien/ zuvorderst in Hispanien/ Italien/ Franckreich/ Groß=Britannien/ Schott= vnd Irland: In Hungarn/ e e Polen/ Siebenburgen/ Wallachey : In der Turckey/ Persien/ Moscauw: In Dennemarck/ Schweden/ Hoch= vnd Nieder=Teutschland/ sonderlich aber im Kriegs=Wesen/ seydhero Anno 1638. biß Anno 1643. exclusivÀ begeben haben. […] Beschrieben durch Johann Philipp Abelin, verlegt durch Matthäus Merian, Frankfurt a.M. 1643, S. 228 – 233. 115 Zu den zeitgenössischen Reaktionen auf diesen Ausbruch siehe Richter, Der Vesuv, S. 51 – 70; zu Kirchers Vulkanologie: S. 124 – 126. 116 Kircher, Mundus Subterraneus, Praefatio, Kap. 2: »Porrý cum jam capiti Vaticano appropinquassemus, durantibus adhuc iisdem maris symptomatis, ego futuras calamitates quasi præsentiscens, ex inassueta mentis angustia animum meum constringente, palam sociis meis ingentem mox terræmotum secuturum, prædixi; imý valdÀ me vereri, ne totus hic pendentium scopulorum tractus prostratus corrueret, ac proindÀ ei non nimium appropinquaremus: augurium probavit eventus, post duas enim circiter horas, magnam hujus Promontorii partem un cum vicinis habitationibus concidisse audivimus.« 117 So noch Unzer, Zweite physikalische Sammlung, S. 403 – 405; Johann Ernst Basilius
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muliert. Theologisch gesehen war seine »Angst« ein Hinweis des Schöpfers durch und auf dessen Schöpfung. Sie erlaubte Kircher eine Vorhersage, die sich, wie er feststellen musste, in Kürze bewahrheiten sollte: Nachdem zunächst das Capo Vaticano den wütenden Meereswellen zum Opfer gefallen war, rettete sich Kircher nur mit Mühe aus dem einstürzenden jesuitischen Ordenskolleg in Tropea, um anschließend Zeuge der vollständigen Zerstörung von Santa Eufemia zu werden, eines Ereignisses, das die zu Tode erschreckten Menschen erschüttert zurückließ, wie gelähmt und betäubt (attoniti).118 Anders als eine gottlose Furcht erfüllte sich Kirchers »Seelenangst« nicht als ihre eigene (göttliche) Sanktion, sondern als Warnung an die Adresse der Gottesfürchtigen. Gottes Vorsehung bediente sich ihrer, um vermeiden zu helfen, was in Angst versetzte. Insofern erscheint diese Angst nicht als Glied einer Kausalkette; sie griff in den Lauf der Natur nicht ein, sondern bildete ihn ab, und so befähigte sie Wiedeburg, Ueber die Erdbeben und den allgemeinen Nebel 1783, Jena 1784, S. 21. Wiedeburg bezieht sich auf: Fortgesetzte Geschichte des Erdbebens, welches sich durch Italien und mehrere Länder von Europa erstreckt hat, in: Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen 3 (1783), Bd. 1, St. 5, S. 443 – 448, insbes. 445 f. (Forte setzung von: Untergang der Stadte Messina, Reggio, und vieler Oerter und Gegenden in Sicilien und Neapel [St. 3, S. 287 – 294, siehe insbes. 293], und: Nachtrag zur Geschichte des Untergangs von Meßina, und vielen Gegenden in Neapel [St. 4, S. 354 – 357]). In der Fortgesetzten Geschichte werden jedoch, bereits ganz aufklärerisch, »unvernünftige« Reaktionen beschrieben: Über die »Erschütterung« der Einbildungskraft habe das Erdbeben eine »Angst und Furcht« gezeitigt, die das Übel größer machte, als es war, und der »abere glaubische[n] Menge des niedern Standes des Volks« »noch mehr vor[stellt], als wirklich da ist«. 118 Der Hinweis auf eine derartige Wirkung des Erdbebens hat Tradition seit Seneca (Richter, Der Vesuv, S. 55), und er findet sich auch noch bei Gottfried Erhard Feßken, Sieben e Historisch= und Theologische Abhandlungen von Erdbeben/ I. Was die naturlichen Erde beben eigentlich seyn? II. Woher die naturlichen Erdbeben zu entstehen pflegen? III. e e e Warum der allerhochste GOtt dergleichen Erdbeben furgehen und geschehen lasset? IV. e e e Was glaubige und andachtige Christen von denen Erdbeben halten sollen. V. Denckwurdige e Exempel sonderlicher Erdbeben. VI. Was für Ungluck und schwere Straffen Gottes die e Erdbeben nach sich gezogen und bedeutet haben? VII. Wie man dem/ durch das jungste e e Erdbeben/ angedrohten Ungluck zuvor kommen/ und dasselbe vermittelst Gottlicher e e e Gnade abwenden moge? Nach Anleitung des ungewohnlichen Erdbebens/ so jungsthin am 24. Novembris zwischen 3. und 4. Uhr Nachmittage des 1690sten Jahres sich weit und breit e e hat horen lassen. Der heutigen sehr bosen und sichern Welt zu einen Buß=Wecker ausgestellet, o. O. 1691, S. 9. Feßken verweist auf Christi Auferstehung, wie sie Mt 28.2 – 4 berichtet: »Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom e Himmel herab, trat hinzu und walzte den Stein ab und setzte sich darauf. Und seine e Erscheinung war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee. Die Huter aber erschraken e e vor Furcht und wurden, als waren sie tot.« Siehe außerdem: Philosophische Ergotzungen e oder auf Vernunft und Erfahrung gegrundete Untersuchung wie die wahrhaften Seemue scheln auf die hochsten Berge und in die festesten Steine gekommen, nebst einer deutlichen e Erklarung der Erdbeben und anderer wunderbarer Naturbegebenheiten, auf Veranlassung e der von Herrn Anton Lazaro Moro herausgegebenen neuen Untersuchung der Veranderung des Erdbodens, ausgestellet von einem Fleißigen Erforscher philosophischer Lauterkeit, Bremen 1765, S. 432, 450.
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Kircher, sich und seine Gefährten in Sicherheit zu bringen. Sie zeitigte kein Beben, sondern den Schutz vor seinen Folgen. In dieser Angst offenbarten sich Gott und Kirchers Gottesfurcht. Der Autor, daran lässt er keinen Zweifel, zählte am Ende nicht zu denen, die der Schrecken in der Erschütterung (und die Erschütterung des Erschreckens) dauerhaft zu betäuben vermochte, die er verstummen ließ, unempfänglich für allen Trost, Verrückten ähnlich, des jüngsten Tages gewärtig und des letzten Gerichts. Seine Furcht war nicht die Furcht, mit der Gott die Unbußfertigen erbeben ließ; sie befreite vielmehr aus der Erstarrung. Derartige Furcht empfand, wer immer schon Buße tat: wer das einzige Mittel wählte, sich zu ermutigen und zu stärken.119 Wie in den grausigen Tiefen des »Höllentals«,120 so auch auf den wogenden Wassern und den wankenden Böden Süditaliens: Kircher wird in dem Augenblick gerettet, da er die Verächtlichkeit der irdischen Welt erkennt und ihrer Freuden, Ehren und Würden, gar seiner eigenen Gelehrsamkeit, entsagt: als er Gott seine Seele empfiehlt und die Furcht vor dem Tod überwindet. Und das heißt: Wie Kircher rückblickend feststellen kann, wurde er in Angst versetzt, um von ihr erlöst zu werden – weil es ihm aufgetragen war, Gottes Namen und Herrlichkeit zu preisen.121 Als die Erde bebte und Ätna und Stromboli ausbrachen, sollte der Schreiber nicht sterben, er sollte all das sehen. Er sollte das »schreckenerregende Schauspiel« beobachten, in dem Gott sich bewies: das auch die Furchtlosesten mit heiligem Schauer erfüllen musste und mit religiöser Ehrfurcht; er sollte es sehen, 119 Vgl. Kircher, Mundus Subterraneus, Praefatio, Kap. 2: »Nautæ ad hoc spectaculum veluti attoniti, & incredibili formidine perculsi, projectis remis tundentes pectora Divinam implorabant Misericordiam, propediem non nisi eandem sortem, aut ultimi Judicii diem exspectaturi. Confortati tandem ac pœnitentiæ sacramento expiati, Deo duce inter tumentes maris fluctus littus oppositum tenuerunt, ubi exscensione facta denuo homines quæsivimus, sed præter puerum in littore sedentem veluti stupore attonitum, inventus est nemo; hic interrogatus nobis, quidnam S. Euphemiæ contigisset? sed muto locuti nihil extorsimus, metus enim vehemens & formidabilis eventus linguam animumque ita consnarat, ut nec verbis commiseratione plenis, nec ullo charitatis officio ejus animum devincire nobis possemus; cibum oblatum omnem penitus nimio dolore & mœrore oppressus aversabatur, digitis sol¾m extensis Sanct-Euphemianam catastrophen innuere videbatur. Consolationis itaque omnis expers, vultuque subtristi & capta mente homini similis, nobis recedens in proximam sese sylvam proripuit, nunquam amplius visus.« 120 Dazu oben Kap. 3.7. 121 Kircher, Mundus Subterraneus, Praefatio, Kap. 2: »… ea quæ ante mecum animo præsentiscente volveram ipso facto incurrens, animam Deo incessanter, desperat jam vit commendabam. O qum in hoc angustiæ puncto omnia Mundi gaudia desipiebant: qum uno ictu oculi omnis honor, dignitas, imperium, sapientia, nil aliud nisi fumus, bulla, stipula vento rapta esse videbantur, dum in porta æternitatis stans, animam corporeis solutam vinculis ad incorruptibilis vitæ usuram capessendam transmittere pararem; quod sanÀ ipso momento contigisset, nisi Deo Opt. Max. me singulari gratia sua ruina murorum præservatum, ad duriora pro Nominis sui honore & gloria sustinenda destinare visum esset.«
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um von der Erhabenheit Gottes berichten zu können. Im Vorgriff auf die Physikotheologie wurde Kircher von Gott in eine Furcht versetzt, die, war die Gefahr überstanden, auch der naturkundlichen Neugier neue Nahrung gab – und ihn am Ende veranlasste, in den mittlerweile ebenfalls aktiven Vesuv hinabzusteigen, der ihn an Hölle und Jüngstes Gericht erinnerte und zugleich die staunende Bewunderung des Zuschauers erregte.122 Diese Gelehrsamkeit verehrte Gott, nicht den Menschen, und suchte den, der gerettet hatte, im von ihm Geschaffenen auf.123 Auch hier scheinen Vergangenheit und Zukunft, Genesis und Telos, providentiell zusammengeschlossen: Kircher überlebte das Schreckliche, weil und damit er in der Lage war, von Gottes schützender Hand und der Vollkommenheit seiner Schöpfung zu berichten.124 Wo Kircher auch von sich selbst sagen muss, sich in der Erschütterung der größten Furcht verloren zu haben (auf der Flucht aus dem einstürzenden Ordenskolleg waren ihm Hut und Mantel abhanden gekommen), dort ist er sich anschließend »wiedergegeben worden« (um schnellstmöglich die Stadt verlassen zu können – freilich nicht, bevor sich auch die verlorene Kleidung wieder angefunden hatte).125 Kircher beschreibt seine Furcht, um von ihrer Überwindung zu erzählen, von seinem Überleben in der Lebensgefahr. Um das Bisherige zu ergänzen und zum Abschluss zu bringen, sollen schließlich noch jene »erschröcklichen« Himmelserscheinungen in den Blick gerückt werden, die – anders als Gewitter, Erdbeben und Pest – nicht selbst Schaden 122 Ders., Mundus Subterraneus, Praefatio, Kap. 2: Stromboli »montes flammeos eructare videretur, spectaculum visu horrendum, & animo quantumvis intrepido formidandum.« Zum Vesuv Kap. 3. Für die Physikotheologie des Erdbebens siehe etwa Johann Samuel e Preu, Sismotheologie, oder physikalisch-theologische Betrachtung uber die Erdbeben, Nördlingen 1772, insbes. S. 223 – 237, 243 – 247, 258 f. 123 Das Forschungsfeld zu Kirchers Gelehrsamkeit, Naturphilosophie und deren religions- und wissenschaftsgeschichtlichen Kontexten wächst zusehends. Hier sei lediglich hingewiesen auf: Athanasius Kircher : The Last Man Who Knew Everything, hg. v. Paula Findlen, New York / London 2004; dies., Scientific Spectacle in Baroque Rome: Athanasius Kircher and the Roman College Museum, in: Jesuit Science and the Republic of Letters, hg. v. Mordechai Feingold, Cambridge, MA 2003, S. 225 – 284; dies., The Janus Faces of Science in the Seventeenth Century : Athanasius Kircher and Isaac Newton, in: Rethinking the Scientific Revolution, hg. v. Margaret J. Osler, Cambridge 2000, S. 221 – 246; The Great Art of Knowing: The Baroque Encyclopedia of Athanasius Kircher, hg. v. Daniel Stolzenberg, Stanford 2001; Thomas Leinkauf, Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602 – 1680), Berlin 22009. 124 Vgl. auch Kircher, Vita, Bl. 43r. 125 Ders., Mundus Subterraneus, Praefatio, Kap. 2: »Resumpto tamen animo evasi, ita tamen attonitus, ut cum redditus mihi essem, sine pileo & pallio me reperirem, quibus tamen recuperatis, sine mora urbem fugiens, ad cymbam nostram me contuli«. Von Versuchen, während eines Erdbebens nicht nur das eigene Leben, sondern zunächst auch die wichtigsten Statussymbole zu retten, berichten auch englische Autoren in der Mitte des 18. Jahrhunderts: Georgi, Heuschrecken, S. 201.
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anrichteten, sondern allein als dessen Zeichen fungierten: die Gefahr und Veränderung bewirkten, indem sie sie prophezeiten, ihrerseits als mögliches Vorzeichen des Endes der Welt, wie es verstärkt Protestanten immer wieder erwarteten. Besonders Kometen haben im 17. Jahrhundert eine reiche Flugschriftenpublizistik gezeitigt (und unter ihnen vornehmlich jener Stern von 1618, der so vielen Zeitgenossen den Dreißigjährigen Krieg verkündete).126 Doch auch eine Sonnenfinsternis stellte eine Bedrohung dar – weil sie noch seltener zu beobachten war und den Untergang der Welt noch eindrücklicher zu visualisieren schien als andere stellare Konstellationen. Derartige Ereignisse lösten Kontroversen aus über die Möglichkeit einer christlich verstandenen Astrologie, und das hieß: über die rechte und die falsche Furcht vor den Sternen. Die Debatte wurde vor allem von denen geführt, die sich mit Astronomen wie Johannes Kepler darum bemühten, zwischen dem antiken und »heidnischen« Glauben an stellare Vorzeichen und dessen gänzlicher Ablehnung unter Christen der Gegenwart eine »Mittel Strasse« zu finden.127 Sehr ausführlich ist hier eine Schrift des Memminger Arztes und Astrologen Christoph Schorer, der die Sonnenfinsternis, die 1654 in seiner Heimatstadt zu beobachten war, explizit vor dem Hintergrund der Furchtproblematik diskutiert.128 126 Zu Furcht in Kometenflugschriften siehe Kaspar von Greyerz, Religion und Natur in der Frühen Neuzeit. Aspekte einer vielschichtigen Beziehung, in: »Die Natur ist überall bey uns«, hg. v. Ruppel / Steinbrecher, S. 41 – 58. Literatur zum Kometen von 1618 unten in Kap. 5.2, Anm. 123. Zur protestantischen Apokalyptik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts vgl. ferner Volker Leppin, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548 – 1618, Gütersloh 1999 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 69); Wilhelm Schmidt-Biggemann, Apokalypse und Philologie. Wissensgeschichten und Weltentwürfe in der Frühen Neuzeit, hg. v. Anja Hallacker / Boris Bayer, Göttingen 2007 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 2), Teil 2; Thomas Kaufmann, Apokalyptische Deutung und politisches Denken im lutherischen Protestantismus in der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit, hg. v. Arndt Brendecke / Ralf-Peter Fuchs / Edith Koller, Berlin 2007 (Pluralisierung und Autorität 10), S. 411 – 453. Zur Intensivierung von Endzeiterwartung in der ersten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges vgl. ders., Dreißigjähriger Krieg, S. 46 – 73; Benigna von Krusenstjern, Prodigienglaube und Dreißigjähriger Krieg, in: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, hg. v. Hartmut Lehmann / Anne-Charlott Trepp, Göttingen 1999 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), S. 53 – 78. 127 Vgl. Tertius Interveniens gesetzet Zwischen denen/ so den Cometsternen allzu grosse Krafft und Wirckung zuschreiben/ und daher die Leute allzu furchtsam machen. Und denen/ die den Cometen gar keine Krafft zueigen/ ihre Bedeutung gantz verwerffen und die Leute gar zu sicher machen wollen. Bey Veranlassung der zween Cometen/ die im Decembris Außgang des vergangnen Jahres und Anfang dieses 1665. Jahrs sich sehen lassen/ deren letzte noch itzo stehet, o. O. 1665, Bl. B 2r. e 128 Christoph Schorer, Erinnerung von bevorstehender Sonnenfinsternuß und abmahnung von der daher entstehenden grossen Furcht, Ulm 1654, o.P. Für die Kometen siehe nur e Johann Georg Brand, Vernunfft= und Schrifftmassiger Bericht Von Cometen/ Und insonderheit von demjenigen ungeheuren Schweiff=Stern der sich nechst=verwichenen
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Schorer sucht mit seiner Schrift all jene zu beruhigen, die die Sonnenfinsternis fürchteten als ein sicheres Zeichen des Endes der Welt, und er adressiert e sie vor allem »an das Lobl. Frawen=Zimmer«, das in seinen Augen stärker zur e Furcht neigte als Angehörige des »Mannlichen Geschlechts«.129 Eine Eklipse, so e spricht zunächst der Astronom und Astrologe, sei ganz »naturlich« zu erklären, sei es mit Ptolemäus oder Kepler ; und das heißt: Dass »dergleichen [zuvor] nie gesehen worden«, ist für den Autor kein Grund, die Erscheinung zu fürchten, denn das gelte für sämtliche ihrer Art; aufs Haar gleiche keine der anderen. Eine ähnliche Sonnenfinsternis sei zudem schon öfters eingetreten, und ob sie jetzt überhaupt eine vollständige sein werde, sei gänzlich ungewiss. Jene böse Wirkung, die eine Verdunklung der Sonne zuweilen zu entfalten vermochte – wie etwa die Pest –, betreffe keineswegs alle Menschen; dies bewiesen die Hauptverbreitungsgebiete der Seuche (südliche Länder und sumpfige Regionen). Andere Folgewirkungen wiederum würden gänzlich zu Unrecht unterstellt, so etwa schwere Geburten und Missbildungen von Neugeborenen (nach Apk 13), exemplarisch zu beweisen an jenen gesunden Kindern, die während einer Sonnenfinsternis zur Welt kamen. Mit anderen Worten: Eine Verdunklung der Sonne mochte zuweilen bewirken, was manche als apokalyptisches Zeichen verstanden, aber sie als Vorzeichen des Endes selbst zu fürchten, gab es keine »Ursache«.130 All dies war naturphilosophisch gesprochen; doch Schorer argumentiert auch theologisch. Wer den Untergang der Welt fürchtet, wenn sich die Sonne verfinstert, so der Gedanke, der meint seinen Zeitpunkt sicher erkennen zu können, bereits vor dem »Ausgang«: ex ante, und mit ihm Gottes verborgenen und unergründlichen Ratschluss.131 Der Einwurf kritisiert nicht allein eine pagane Astrologie, sondern begegnet, ganz lutherisch, auch jener christlichen Prophetie mit Skepsis, die in die Geschichte der Menschen außerhalb der Heiligen Schrift eintreten zu können meinte.132 Die Sonnenfinsternis war zwar auch für Schorer ein »in die untere Welt« einwirkendes Zeichen (das bewies ihm die e »tagliche Erfahrung«), nur determinierte es nicht, sondern warnte, es verküne dete keine »fatalitat«, sondern beließ dem Menschen die Freiheit zum Guten und
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Winter= und Christ=Monat 1680. und diesen Jenner 1681. in Ost und West hat sehen lassen/ Allen denen/ so sich über Sonne/ Mond und Sternen verwundern/ und ihren e e e allmachtigen Schopffer in kindlicher Furcht daruber preisen, Marburg 1681; Tertius Interveniens. Schorer, Erinnerung, S. 1, 20. Ders., Erinnerung, S. 16. Ders., Erinnerung, S. 8. Die jedoch, ungeachtet der lutherischen Kritik, durchaus auch im Einflussbereich der Reformation verbreitet war. Vgl. Sabean, Das zweischneidige Schwert, Kap. 2; Renate Dürr, Prophetie und Wunderglauben – zu den kulturellen Folgen der Reformation, in: Historische Zeitschrift 281 (2005), S. 3 – 32, insbes. 4 f., 27 – 32. Näheres dazu unten in Kap. 6.3.
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Bösen. Die Religion, hieß das, war »dem Gestirn [nicht] unterworffen«.133 Die einzig angemessene Reaktion war dann nicht eine allzu große Furchtsamkeit vor dem Unausweichlichen (als Pendant zu falscher Sicherheit), sondern stille Hoffnung und geduldiges Vertrauen auf einen Gott, der Schutz gewährte in der Unbeständigkeit und dem Kreislauf einer Welt, die so vielen als ein »Spiel« erschien, als eine »Comœdi und Tragœdi«, die die Menschen dazu verurteilte, »nicht Mitspieler/ sondern blose Zuseher [zu] seyn«.134 Wir sollen, so Schorer, die Sterne nicht als Götter betrachten, wie die Alten es taten und die »Heiden« es heute noch tun, sondern als göttliches Werkzeug; wir sollen Gott, den e e »Schopffer«, mehr fürchten als sein »Geschopf« und die Sünde mehr als ihre Strafe. Wir sollen, mit anderen Worten, nicht die Sterne fürchten, sondern den, der sie geschaffen hat und der sich ihrer als Zeichen bedient. Der Sonnenfinsternis war nicht mit »unchristlicher« Furcht zu begegnen, oder, wie ergänzt werden darf: nicht mit »knechtischer«, sondern mit einer »kindlichen«.135 So forderte es Schorer, und das heißt: Die Wirklichkeit sah in seinen Augen anders aus und gab ihm Anlass zur Sorge. »Heydnische Forcht« sah der Verfasser weit verbreitet, vornehmlich (wenn auch nicht nur) beim »Edlen Volck« der Frauen (und daher verwies er seine Leserinnen für die natürliche Erklärung der Sonnenfinsternis nicht allein auf Ptolemäus und Kepler, sondern auch auf »gee lehrte« und »beruhmte Weibsbilder« der Zeit).136 Diese Furcht, so Schorer, wurzelte in kindheitlichem »Wahn und falsche[m] Gedicht«, das »von Jugend e auff eingebildet« worden war und so vielen »hafftet in ihrem Gemut«, als eine lebenslange, »heimliche innerliche Forcht«.137 Wer diese Furcht nicht abzulegen vermochte, fährt der Theologe dann fort, e wer »sich vor den Gestirn so sehr forchtet«, der offenbarte ein verzagtes Gewissen, das allen Anlass gab zu Furcht und Angst; denn er gab 133 Schorer, Erinnerung, S. 18. 134 Ders., Erinnerung, S. 11 – 14. Vgl. auch Tertius Interveniens, Bl. B 2r. 135 Schorer, Erinnerung, S. 2, 4, 17. In dieselbe Richtung zielt Athanasius Kircher SJ, Diatribe, Oder Beweiß=Schrifft/ Von Wunder=seltzamen Creutzen/ welche so wol auff der e Leute Kleider/ als andern Dingen/ unlangst nach dem letzten Brand deß Berges Vesuvii zu Neapolis erschienen sind, in: Gaspar Schott SJ, Joco-seriorum Naturæ et Artis, Sive e e Magiæ naturalis Centuriæ tres: Das ist/ Drey=Hundert Nutz= und lustige Satze Allerhand e e merckwurdiger Stucke von Schimpff und Ernst/ Genommen auß der Kunst und Natur/ oder e naturlichen Magia. Benebens einem Zusatz oder Anhang von Wunder=deutenden Creutzen/ Auß R. P. Athanasii Kircheri Soc. Jesu, Diatribe, Frankfurt a.M. 1672, S. 278 – 330, hier 327 – 330, auch 289 f. Mit Bezug auf die Kometen findet sich der Begriff der »kindlichen Furcht« etwa bei Brand, Bericht. 136 Schorer nennt die Astronomin Maria Cunitia, die Universalgelehrte und Labadistin Anna Maria van Schurman, die separatistische Dichterin Anna Ovena Hoyer, Tochter des Astronomen Johann Ovens, und die Kalenderschreiberin Salome Schimpfer : Schorer, Erinnerung, S. 2 f. 137 Ders., Erinnerung, S. 3.
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e
»damit zu erkennen/ daß er seinem Gott nicht trawe: sonsten wurde er sich nicht also e e e furchten. Ja ein solcher/ der sich vor der Finsternuß also sehr furchtet/ muß unfehlbar e e ein sehr boses Gewissen haben/ welches in ihm auffwachet/ seine begangene bose Wort e e und Werck vorhelt/ und ihm also angstiget/ daß er sich nicht nur vor der Finsternuß/ e sondern gar vor einen rauschenden Blat forchtet. Es ist aber diese Forcht/ welche unter den Leuthen eingerissen/ eine Heidnische verbottene Forcht.«138
Wer die Sonnenfinsternis allzu sehr fürchtete, ließ die Hoffnung auf Gottes gütige Gnade vermissen, und wer auf Gnade nicht hoffte, dem wurde sie auch nicht zuteil. Allzu große Furcht sanktionierte Gott mit dem befürchteten Ereignis: mit den (fälschlich) unterstellten Folgen der Verdunklung der Sonne, mit Pest, um beim Beispiel zu bleiben, und mit missgebildeten Geburten. »Gedene cket daß ihr durch solche Forcht ein Mißtrawen in ewren Schopffer setzet/ der e euch umb deß willen hernacher straffen kan/ daß euch das was ihr forchtet 139 begegnet[.]« Und das hieß dann: Trat im Zuge einer Sonnenfinsternis das genannte Unglück tatsächlich einmal auf, so war es nicht auf die Eklipse selbst zurückzuführen, sondern auf die Furcht vor ihr, genauer : auf die Befürchtung, e sie werde das Verheerende bewirken: »Dir geschehe wie du glaubest. Wurde euch e aber selbiger Zeit etwas gefahrliches begegnen/ so habt ihr es nicht eben der e Finsternuß/ sondern vielmehr euch selbst und ewrer grossen Forcht zu zumessen.«140 Gerade im Falle von Pest und gefährlicher Geburt ließ sich dies nicht allein theologisch, sondern auch medizinisch erklären, und hier sah Schorer seine Aufgabe als Arzt und ein zentrales Ziel seiner Schrift: jene, die sie lasen, vor den Folgen einer Furcht zu bewahren, die eine tödliche Gewalt zu entfalten vermochte, und dabei insbesondere die Schwangeren aufzuklären, »daß ihr eher e e durch solche Forcht als [durch die] Wurckung der Finsternuß/ in Gefahr kome e 141 men konnet.« Denn »[w]er ist wol der ihm wunschte das jenige/ was er e e forchtet? welches er ihm doch durch die Furcht und Einbildung uber den Halß ziehet.«142 Die medizinischen Hintergründe des Gedankens wird der folgende Abschnitt (4.3) erläutern. Wer in der Sonnenfinsternis das Ende der Welt fürchtete, so Schorers Bilanz, der hatte wirklich Anlass zur Furcht: sowohl vor den unmittelbaren Folgen der
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Ders., Erinnerung, S. 18. Ders., Erinnerung, S. 14. Ders., Erinnerung, S. 15. Ders., Erinnerung, S. 14. Ders., Erinnerung, S. 1. Für die Pest siehe auch ders., Kurtzer Unterricht/ Vornehmlich e Von Cur der Pest/ Und dann was weniges von Verhutung derselben; Nebenst Anweisung wie die Geistliche/ und Andere/ so mit den Krancken umgehen/ sich verhalten sollen …, in: e e Bedencken Und Unterricht/ Wie man sich/ nechst Gottlicher Hulffe/ vor der Pest/ Zeitlich vorsehen und bewahren/ oder auch in der Noht selbst in acht nemen und curiren soll …, Frankfurt a.M. 1680, S. 71 – 144, hier 89, 134, 136.
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Furcht, hier und jetzt, als auch vor denen im Jüngsten Gericht, von dem die Eklipse zu künden schien: e
e
»Wan nun gehorter massen die Zeit des Jungsten Tages ungewiß/ als solle man sich e nicht eben insonderheit vor gedachtem Tage/ noch ihn also forchten/ das man vere meinen wolte/ wir woren Heut oder Morgen darvor sicher und frey/ sondern wir sollen e iederzeit die Sünden forchten/ darmit wir nicht Ursach haben uns vor dem letzten e Gericht zu furchten/ welches die Gottlosen thun/ in dem ihnen ihr Gewissen saget/ das e sie ihres Lebens Rechenschafft geben mussen.«143
Doch der Herr war gütig und sandte Gelehrte aus wie Christoph Schorer, um zu verkünden: Wenn Gott die Sonne verdunkelt, dann will er nicht in apokalyptischen Schrecken versetzen, sondern staunen machen über die wunderbare Ordnung der Schöpfung, und das heißt auch: Er will durchaus, dass die Sterne gefürchtet werden, aber nicht als Zeichen von etwas Unausweichlichem; sie sollen vielmehr Anlass geben für eine Furcht, die das Befürchtete noch zu verhindern vermag. Mit der Sonnenfinsternis, so die Botschaft, will Gott zur rechten Furcht mahnen, um ein Ende mit Schrecken abzuwenden, hier und jetzt genauso wie am letzten Tag. Und der Weg dahin? Eine Astrologie, die den künftigen Lauf der Sterne berechnet, um furchterregende Propheten zu entmachten: e
»Ein Finsternuß ist nicht nur ein Tuch oder einen Hut vor das Gesicht gehalten/ es ist ein Werck der Weißheit und der Allmacht Gottes/ daraus wir lernen sollen/ wie alles in e der Natur so wunderlicher Weise geordnet/ und wie Er ein so gnadiger Herr sey/ daß er e e zu dem Ende/ damit wir nicht wie die Heyden/ vor den Finsternussen erschrocken/ e etlichem Menschen diese Gaben mitgetheilet/ daß sie uns solche vorher verkunden/ e Jahr/ Monat/ Wochen/ Tag/ Stund und Minuten benennen konnen/ wann sich dergleichen am Himmel zutragen werden/ worab wir sonsten billich/ so es unverhoffter und unversehener Weise geschehe/ uns entsetzen/ und mit Forcht und Zittern solche e anschauen/ und ihres außgangs erwarten wurden.«144
Die Furcht vor den Zeichen des Endes wird von Schorer nicht thematisiert, um ihre Berechtigung grundsätzlich zu leugnen, sondern um die Bedingungen ihrer Überwindung vorzustellen: die Bedingungen dafür, vor den Schranken des Letzten Gerichts einen milden Richter zu finden. Die daraus resultierende Debatte über das Verhältnis von heilsamer und schädlicher Furcht führte in Grenzbestimmungsprobleme, denen auch Schorer nicht entkam. Diese zeigen sich vornehmlich dort, wo die Ausdifferenzierung der Furcht nicht allein qualitativ, sondern auch quane titativ erfolgt: in der Warnung vor einer »unmassige[n] forcht«.145 Vor diesem 143 Ders., Erinnerung, S. 9. 144 Ders., Erinnerung, S. 20 f. 145 Ders., Erinnerung, S. 4, 9. Siehe auch die wiederholte Aufforderung, sich nicht »so sehr« oder »zu sehr« zu fürchten, z. B. S. 6 – 8, 10, 14, 18, 20.
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Hintergrund begründet der Arzt und Astrologe seine Kritik an den Theologen des apokalyptischen Schreckens in denselben epistemologischen Kategorien, auf denen das Kritisierte basiert. Auch wenn in seinen Augen die Verfinsterung der Sonne nicht mehr die Apokalypse verkündet, bleibt sie auch bei ihm göttliches Zeichen und Wirkursache im Lauf einer Welt, die einst an ihr Ende gelangen würde. Pest und »monströse« Geburt, als Folge der Eklipsis und Zwischenglied in der Kette der signa und causae, bleiben göttliche Strafe und als solche Vorgriff auf das Jüngste Gericht, auch wenn dessen Zeitpunkt in die Unerkennbarkeit verschoben ist. Neu scheint, dass der (falschen) Furcht in diesem Prozess eine Katalysator- und Transmissionsfunktion zukommt: dass sie eine sich selbst bewahrheitende Wirkung über den menschlichen Körper entfaltet. So erhält bei Christoph Schorer die Frage nach der richtigen und falschen Furcht vor Gott und seiner Schöpfung eine zentrale Bedeutung in der Auseinandersetzung zwischen Naturphilosophie und Theologie, die die wissenschaftshistorische Umbruchphase des 17. Jahrhunderts einmal mehr als wenig »revolutionär« erscheinen lässt.146 Schorers Traktat zeigt, dass der Kausalzusammenhang zwischen Furcht und einem befürchteten himmlischen Ereignis, wie er 1745 von Peter Ahlwardt brontotheologisch ausbuchstabiert werden sollte, bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts zum Kernbestand naturkundlichen Wissens gehörte. Dass hier, anders als im Falle von Blitz und Donner, die Furcht vor der Sonnenfinsternis nicht die Eklipsis selbst zeitigt, sondern lediglich deren angenommene irdische Folgen, taugt als Einwand und Einschränkung kaum; denn es waren, so oder so, nicht die Verfinsterungen der Sonne selbst, die das eigentlich Furchterregende darstellten, sondern das, was sie nach sich zogen: was sie signifizierten. Anders als in der Gewittertheologie jedoch, wird in diesem Fall der kranke menschliche Körper zum Zwischen- und konstitutiven Bindeglied zwischen Gott und den Sternen im Himmel. Wie dies im Einzelnen gedacht werden konnte, ist im Weiteren zu zeigen.
146 Einer der ersten Kritiker des Begriffs der »Wissenschaftlichen Revolution« war Steven Shapin, Die wissenschaftliche Revolution, Frankfurt a.M. 1998 [Chicago 1996]. Einen Überblick über die einschlägige Debatte, wie sie zunächst vor allem in Bezug auf Isaac Newton geführt worden ist, gibt von Greyerz, Alchemie. Zu den religiösen Dimensionen voraufklärerischer Wissenschaft vgl. außerdem: Religion und Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert, hg. v. dems. / Thomas Kaufmann / Kim Siebenhüner / Roberto Zaugg, Gütersloh 2010 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 210).
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4.3. Pest Für die »Pest«147 wurde der Wirkzusammenhang zwischen Furcht und Befürchtetem bereits seit dem späten 16. Jahrhundert diskutiert148 – und zwar vor allem deswegen, so ist zu vermuten, weil diese Seuche, anders als Blitz und Donner, nicht als Metonymie Gottes, sondern als seine Geißel fungierte; zudem hatte die Pest eine größere Bedrohlichkeit als das Gewitter, die ihr auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Aufklärungszeit nicht zu nehmen vermochten. Das Problem, das von der Medizin- und Kulturgeschichte zwar nicht übersehen, jedoch in aller Regel nicht auf seine epistemologischen Hintergründe hin untersucht worden ist,149 durchzieht die Loimographie bis zu seiner Psy147 »Pest« meint im Folgenden das, was von den Zeitgenossen als Pest bezeichnet wurde: ein relativ unspezifisches Bündel an Seuchen und Epidemien. Vgl. Otto Ulbricht, Pesterfahrung: »Das Sterben« und der Schmerz in der Frühen Neuzeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 15 (1996), S. 9 – 35, hier 14. Dass die Pest des 17. Jahrhunderts der Beulenund Lungenpest des 20. und 21. Jahrhunderts bakteriologisch und symptomatologisch aller Wahrscheinlichkeit nicht entsprach und dabei nicht mehr zu klären ist, worin die Veränderungen im Einzelnen bestehen, ist klargestellt worden von Karl-Heinz Leven, Von Ratten und Menschen – Pest, Geschichte und das Problem der retrospektiven Diagnose, in: Pest. Die Geschichte eines Menschheitstraumas, hg. v. Mischa Meier, Stuttgart 2005, S. 11 – 32; ders., Krankheiten – historische Deutung vs. retrospektive Diagnostik, in: Medizingeschichte. Aufgaben, Probleme, Perspektiven, hg. v. Norbert Paul / Thomas Schlich, Frankfurt a.M. 1998, S. 153 – 185; vgl. auch ders., »Unfassbar für den Verstand«. Zur Deutung der Pest in der byzantinischen Literatur, in: Angst und Schrecken, hg. v. Gerok-Reiter / Obermaier, S. 113 – 126. Auch vor diesem Hintergrund sind im vorliegenden Zusammenhang keine retrospektiven Diagnosen zu stellen. Es ist hier nicht zu fragen, welche Krankheit in der Pestangst ›eigentlich‹ gefürchtet (und erlitten) wurde, und das heißt auch: ob in der Frühen Neuzeit ›tatsächlich‹ Menschen in ihrer Pestangst an der Pest erkrankten. 148 Vereinzelte Aussagen datieren auch noch früher. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts etwa mahnte Siegmund Albich (gest. 1427), »weder von der Pest zu sprechen noch an sie zu denken, da allein schon die Angst vor der Seuche, die Einbildung und das Gespräch über sie den Menschen krank mache«. Zit. nach Klaus Bergdolt, Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes, München 2006, S. 44. 149 Der eine Teil der einschlägigen Studien verbleibt an diesem Punkt eher deskriptiv : Werfring, Ursprung, S. 174 – 222; Gerhard F. Strasser, »Niemals nüchter und niemals voll tut in Sterbens-Läufften wohl«. Der Stellenwert der Affekte in der Pest-Prophylaxe nach 1348, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2, S. 1079 – 1089; außerdem Neithard Bulst, Die Pest verstehen. Wahrnehmungen, Deutungen und Reaktionen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Naturkatastrophen, hg. v. Groh / Kempe / Mauelshagen, S. 145 – 163, hier 151, 159 f.; Ulbricht, Angst, S. 106 und 108; Delumeau, Angst, S. 165 – 167; Annemarie Kinzelbach, Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Überlingen und Ulm, 1500 – 1700, Stuttgart 1995, S. 210. Der andere Teil verfolgt ein modernistisches genealogisches Interesse und sucht im frühneuzeitlichen Wissen um die pathogene Wirkung von Krankheitsfurcht die Anfänge von Psychosomatik, Psychologie und Psychoanalyse auf: Huldrych M. Koelbing / Urs Benno Birchler / Peter Arnold, Die Auswirkungen von Angst und Schreck auf Pest und Pestbekämpfung nach zwei Pestschriften des 18. Jahrhunderts, in:
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chologisierung im späten 18. Jahrhundert, und es findet sich nicht allein in der Traktatliteratur, sondern auch in den Texten derer, die von eigener Furcht und Krankheit berichten. Der vorliegende Abschnitt wird in diesen Schriften keine »existenziellen« »Urängste« aufspüren, er wird aus der Pestfurcht des 17. Jahrhunderts nicht auf eine krisenhafte Dominanz der Gefühle über die Vernunft schließen,150 und er wird auch keine Mechanismen der Angst- und Krisenbewältigung präsentieren.151 Er wird herausarbeiten, welcher Stellenwert der Furcht und ihrer Abwesenheit für die Entstehung und die Bekämpfung der Pest zugeschrieben worden ist. Die Auffassung, die Furcht vor der Pest sei ursächlich für die Pest, gründet im frühneuzeitlichen Wissen um eine Macht der Imagination, die mit den neoplatonischen Strömungen der Renaissance zum festen Bestandteil naturphilosophischer Überzeugungen geworden war. Als solche war sie von Relevanz nicht allein für Praktiken heilenden Zaubers und schützender Magie, sondern auch für die gelehrte Medizin.152 Mit ihrem Wissen traten diese Naturkundigen in Distanz zu einer Theologie, die die besondere Wirkung der Einbildungskraft als das Resultat eines Teufelspaktes dämonisierte.153 Ungeachtet dessen jedoch beschrieben und erklärten auch sie die postulierten Kausalrelationen in reli-
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Gesnerus 36 (1979), S. 116 – 126; Christian Sigismund Fingers Dissertation »Über den schädlichen Einfluss von Furcht und Schreck bei der Pest« (Halle 1722). Ein Beitrag zur Geschichte psychosomatischer Konzepte und zur Psychologie der Seuchenbekämpfung. In deutscher Übersetzung hg. v. Huldrych M. Koelbing, unter Mitarbeit v. Urs Benno Birchler, Aarau / Frankfurt a.M. / Salzburg 1979 (Veröffentlichungen der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 33); Der sympathetische Arzt. Texte zur Medizin im 18. Jahrhundert, hg. v. Heinz Schott, München 1998, S. 28 – 38; aufbauend auf Delumeau: David Gentilcore, The Fear of Disease and the Disease of Fear, in: Fear, hg. v. Naphy / Roberts, S. 184 – 208. Der Versuch jedoch, die Glaubwürdigkeit der eigenen Sache durch die Rückdatierung ihrer Ursprünge zu steigern, verstellt den Blick für die Spezifik des Zitierten. Barbara Duden, Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730, Stuttgart 1987, S. 165 ff., berücksichtigt zwar frühneuzeitliche Epistemologien, legt jedoch einen ahistorischen Körperbegriff zu Grunde. Gegen Bergdolt, Die Pest, S. 9 f., 73. Ähnlich wie dieser argumentiert Delumeau, Angst, Kap. 3. Anders als etwa Ulbricht, Angst. Neoplatonisch inspirierte Ärzte sprachen der imaginatio ganz allgemein die Fähigkeit zu, Krankheiten zu verursachen und zu heilen. Siehe etwa Pietro Pomponazzi, De naturalium effectuum causis, siue de Incantationibus, Basel 1567, S. 34 ff., 52 ff., 67 f., 77 f.; Girolamo Cardano, Physica, in: Opera omnia. Faksimile-Neudruck der Ausgabe Lyon 1663, mit einer Einleitung v. August Buck, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, Bd. 3, S. 169 f.; dazu Erwin H. Ackerknecht, Geschichte der Medizin, 7., überarb. und erg. Aufl. v. Axel Hinrich Murken, Stuttgart 1992, S. 71; vgl. auch Duden, Geschichte unter der Haut, S. 165. Vgl. Hannah Baader, Frühneuzeitliche Magie als Theorie der Ansteckung und die Kraft der Imagination, in: Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, hg. v. Mirjam Schaub / Nicola Suthor / Erika Fischer-Lichte, München 2005, S. 133 – 151.
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giösen Kategorien: als Teil eines göttlich-kosmischen Tun-Ergehens-Zusammenhangs. Theophrast Paracelsus brachte es erstmals auf den Punkt, und sein Gedanke blieb bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein einflussreich: »Der Mann, der Gott nicht vertraut und keine Acht auf Gott hat, von dem zieht auch Gott seine Hand ab. Und hierauf folgt, daß die, so Gott zur Zeit der Pestilenz nicht vertrauen, wenn die [Pest] sonst zur Straf regiert, eine heftige Furcht anstößt, und die selbige Furcht gebiert einen starken Willen und die allerheftigste Imagination, diese Krankheit zu gebären. Warum? Der Fürchtige vertraut Gott nicht; daraus folgt, daß er an nichts anderes denn allein an das Sterben und an seine Krankheit, von der er die große Furcht empfangen hat, denkt. Und so gebiert dieser Mensch in seiner eigenen Imagination den basiliscum coeli des microcosmischen Firmaments.«154
Die Krankheit der Pest hatte ihre Ursache in der furchterfüllten Imagination des erkrankten Patienten. Wie aber ließ sich eine derartige Macht der Einbildungskraft erklären? Naturphilosophisch mit Hilfe einer Analogie: »die sonn hat ein schein, der ist nit greiflich, und aber er brent heuser ab, macht feur, kolen, eschen. nun was ist imaginatio anderst, als ein sonn im menschen, die dermaßen wirket in sein globum, das ist, do hin sie scheint? […] dorumb sich keiner sol das entsezen, das aus der imagination werk gangen, die leiblich sind, so doch auch in andern dingen solch sachen augenscheinlich erscheinen. als der ganz himel ist nichts als imaginatio, derselbige wirket in den menschen, macht pesten, kaltwehe und anderst. nun macht ers nicht durch leiblich instrumenten, aber durch die gestalt, wie die sonn anzünt. und wiewol die sonn alein nur eins gewalt hat, der mon auch nur eins, und also ein ietlicher stern nur eins. der mensch aber ist all stern. wie er gedenket, so ist er, und das selbig auch, wie ers gedenket. denket er ein feuer, er ist feuer, gedenkt er ein krieg, es ist krieg und dergleichen, wie ers in i[h]m selbs austeilt. und an dem leit es alein, das die imaginatio in ir selbs ein ganze sonn wird.«155
Das mikrokosmische Firmament wurde als Spiegel des makrokosmischen gedacht. Die Imagination wirkte auf den Menschen wie die Sonne auf die Erde: wie die Imaginationen des Himmels. Diese ließen sich im Falle der Pest mit denen eines Basilisken vergleichen, dem drachen- und schlangenartigen Wesen, dessen böser Blick zu töten vermochte.156 Die Analogisierung weist die Imagination als 154 Theophrastus Paracelsus, De pestilitate, in: Werke 5, S. 176 – 261, hier 240. 155 Ders., Fragmentum libri De virtute imaginativa, in: Sämtliche Werke I.14, S. 309 – 319, hier 310 f. e 156 So auch Johann Heinrich Freitag, Summarischer/ doch grundlicher Vnterricht/ und rahtsames Bedencken/ wie man sich vor denen jetziger zeit Jahrs gemeinlich grassirenden Contagio[n]s-Kranckheiten/ namentlichen vor der Pest/ Pestilentzialischen/ malignirenden/ hitzigen Hungarischen Fleckfiebern/ auch Pocken und Masern der Kinder/ allerhand gifftigen und andern Ruhren theils præserviren, und im Nohtfall ohn zuthun der Mee e e dicorum durch Gottlich verleihen selbst curiren konne und moge, Halberstadt 1636, S. 12. Zum Basilisken siehe Daston / Park, Wunder, S. 53, 205, 207; Brunamaria Dal Lago Veneri, Der Traum der Vernunft. Von Einhörnern, Hippogryphen, Basilisken, Monstern
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eine Form des Sehens aus (eines inneren, das vor dem äußeren kam) – eines Sehens, das noch nicht als die passive Rezeption von Sinnesdaten aufgefasst wurde, zu der die Moderne es machen sollte, sondern als ein aktives Vermögen: als eine Ausstrahlung, die die Dinge berührte, die sie sah.157 Die Strahlen des menschlichen Auges ähnelten den Strahlen der Sonne und als solche den Emanationen des Himmels: des göttlichen Blicks. Damit begegnet die imaginatio coeli als eine strafende – und gibt als solche die Letztbegründung der imaginativen Kraft. Die Kette der Analogien fand ihren Anfang in der göttlichen Vergeltung menschlichen Tuns. Entscheidende Grundlage imaginativer Selbst-Verwirklichung war der mit Gedanke und Vorstellung verbundene Wille des Menschen. Wo dieser inkriminiert schien, bewirkte die Einbildungskraft, was sie vorstellte, als spiegelnde Bestrafung ihrer selbst: des mit ihr verbundenen Wollens. Vermittelt über kosmische Analogien evozierte die sich versündigende Imagination des Menschen die Imaginationen seines Schöpfers. Die imaginatio des mikrokosmischen Firmaments war »in sich selbst eine ganze Sonne«, und die gab nicht nur Wärme. Die Imagination der Gottlosen rief die göttliche auf den Plan: den Blick des Basilisken, den Tod und den Teufel, deren sich der Allmächtige bediente, um jene zu strafen, die ihren Blick von ihm gewandt hatten.158 und Sirenen. Ein Bestiarium. Mit einem Nachwort v. Elmar Locher, Bozen 1999. Für den Vergleich zwischen dem Blick des Basilisken und der Wirkung des pathogenen Giftes siehe Johann Ernst Burggrav, Tractat von der Vngarischen Hauptschwachheit/ auch andern e Epidemischen gifftigen Fiebern/ deroselben vielfaltigen Zufallen/ sampt deren præservatifs und curatifs Mitteln, Frankfurt a.M. 1627, S. 14. 157 Zur Geschichte des Sehens vgl. für den vorliegenden Zusammenhang v. a. Stuart Clark, Vanities of the Eye: Vision in Early Modern European Culture, Oxford 2007; Carl Havelange, De l’œil et du monde. Une histoire du regard au seuil de la modernit¦, Paris 1998 (zum Blick des Basilisken: S. 49 – 56); aus psychoanalytisch-zivilisationsgeschichtlicher Perspektive: Thomas Kleinspehn, Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit, Reinbek b. Hamburg 1989. Zum bösen Blick vgl. auch Siegfried Seligmann, Der böse Blick und Verwandtes. Ein Beitrag zur Geschichte des Aberglaubens aller Zeiten und Völker, Berlin 1910 (ND Hildesheim 1960); Thomas Hauschild, Der böse Blick. Ideengeschichtliche und sozialpsychologische Untersuchungen, Berlin 21982 (Beiträge zur Ethnomedizin, Ethnobotanik und Ethnozoologie 7). 158 Diese Position wurde rezipiert etwa von Heinrich Nisius, De peste, in: Heinrich Petraeus, Agonismata medica Marpurgensia, Dogmatica juxta & Hermetica, Marburg 1618, Disputatio 13, S. 247 f.: »13. Paracelsus causas omnes refert ad imaginationem microcosmi, & impressionem astralem. Imaginationi tantum tribuit, ut eam solam ad ingenerandam & attrahendam pestem sufficere posse autumet. Metus itaque, tristitia & terror citissime hoc malum contrahunt. Pestem dicit esse de materia arsenicalis, quia non secus ac venenum hoc totius essentiae proprietate cor ceu vitae fontem aggreditur, & ita oppugnat, ut citissima & certissima sequatur mors, nisi praesentissimis & exquisitissimis alexipharmacis occuratur. 14. Impressio astralis procedit ex firmamento coeli. Deus enim peccata hominum puniturus utitur saepe conjunctionibus martis, Saturni, & reliquorum syderum infaustis, eclipsibus, cometis, aliisque meteoris tanquam virgis & flagellis, unde homines ipsorum radiis venenatis expositi, multos & varios patiuntur morbos epidemios, endemios, pan-
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Strafwürdig schienen diejenigen, die eine Pesterkrankung zu vermeiden suchten und dafür nicht auf Gott vertrauten, sondern auf sich selbst. Übersetzt man das Vertrauen auf Gott mit der ehrfürchtigen Furcht vor ihm, so lautet die zitierte Aussage des Paracelsus: Wer Gott nicht fürchtet, den versetzt Gott in Furcht, und diese Furcht gebiert, was sie fürchtet. Das Befürchtete, die Pest, ist göttliche Strafe; und so zieht die Furcht vor ihr das Befürchtete herbei als Strafe für die Furcht vor Strafe. In diesem Sinne ist die Furcht selbst die Strafe, die für Furcht verhängt wird. Gott strafte mit der Furcht, die Anlass gab zur Strafe. Die Macht der Einbildungskraft, so ließe sich resümieren, erklärte sich, im Guten wie im Schlechten, aus der Macht Gottes und seiner Imagination. Hier formierte sich der Sanktionszusammenhang in einer doppelten Spiegelung. Mangelnde Gottesfurcht vergalt Gott mit der Furcht vor der Pest und mit der Zeitigung des Befürchteten durch die Furcht. Imaginierte der Mensch die Pest, imaginierte sein Schöpfer sie auch. Dass ein derartiger Vergeltungszusammenhang existierte, besagte jedoch noch nicht, dass er imaginativ entstand; die Rückführung der Pest auf den Willen Gottes bewies noch nicht, dass es die furchterfüllte Imagination war, die das Furchterregende gebar. Angesichts dessen bediente sich Paracelsus, zur »große[n] Wahrheitsprobe [s]eines Arguments«, weiterer Analogien; nur sie, wie es schien, konnten den Nachweis erbringen für einen Wirkungszusammenhang, der sich analogisch konstituierte. Paracelsus verglich die Macht der Imagination mit der Macht der Sonne (wo der Mensch unter dem Einfluss der Sterne stand, wirkte die menschliche Imagination wie sie: wie die Imaginationen des Himmels), und diese Analogie wiederum authentifizierte er durch weitere, vergleichbare Wirkungen menschlicher Imagination. Die meistzitierte, neben plötzlichem Ergrauen und so manch anderer wundersamen Geschichte, ist die Abbildung der Imagination schwangerer Frauen auf ihr Ungeborenes. Wie »die Mutter der Frucht durch die Imagination ein Zeichen eindrückt, so geschah auch dieses«;159 wie die von einer Missgestalt erschreckte Schwangere ein monstrum gebar, so gebar, wen die Pest schreckte, die Pest.160 Vor diesem Hintergrund ließ demios, minus magisve malignos. Quod si astra Martialia ac Saturnina venenosis arsenici proprietatibus gravida oriantur, ipsorum fructus in aÚrem resolvantur, & proprietates planetarum arsenicales, seu realgariae ex malevolo positu, conjunctionibus aut oppositionibus suscitentur, ac in aÚrem demittantur, pestis immittitur. Quicquid enim radii isti maligni attingunt, illud inficiunt, inque venenatam qualitatem transmutant. Quoniam vero venenum istud per se invisibile, externisque signaturis destitutum est, ab hominibus ut visibilia alia nocumenta evitari minime potest.« 159 Paracelsus, De pestilitate, S. 242. 160 Siehe dazu v. a. Werfring, Ursprung, S. 187 – 205; Esther Fischer-Homberger, Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen, Frankfurt a.M. 1984, S. 10 – 33. Weiterführend zu »Wundergeburten«: Daston / Park, Wunder, passim; Alan W. Bates, Emblematic Monsters: Unnatural Conceptions and Deformed Births in Early Modern Europe, Amsterdam / New York 2005 (Clio medica 77); auch Anke Bennholdt-Thomsen / Al-
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sich die Genese der Pest selbst als Geburtsvorgang beschreiben und die Krankheit als ungewollte Leibes-Frucht. Die nächste Stufe der Evidenzsteigerung wurde durch »Erfahrung« (experientia) und »Beobachtung« erreicht: durch die Erzählung von Fallgeschichten. Diese exempla und observatae historiae standen nicht am Anfang der Argumentation, sondern an ihrem Ende; sie generierten nicht primär neues Wissen, sondern sicherten und repräsentierten das vorhandene. Ihre epistemologische Funktion war eine »empirische« im aristotelischen Sinne des Begriffs, und das heißt auch: eine rhetorisch-pädagogische.161 Einschlägig für die paracelsische Tradition des 17. Jahrhunderts ist hier – neben den Autoritäten Daniel Sennert und Jan Baptista van Helmont162 – vor fredo Guzzoni, Zur Theorie des Versehens im 18. Jahrhundert. Ansätze einer pränatalen Psychologie, in: Klio und Psyche, hg. v. Thomas Kornbichler, Pfaffenweiler 1990, S. 112 – 125. 161 Zum paracelsischen Begriff der »Erfahrung« vgl. Dietrich von Engelhardt, Krankheit, Schmerz und Lebenskunst. Eine Kulturgeschichte der Körpererfahrung, München 1999, S. 53. Zur Funktion exemplarischer Fallgeschichten vgl. Michael Stolberg, Formen und Funktionen ärztlicher Fallbeobachtungen in der Frühen Neuzeit (1500 – 1800), in: Fallstudien: Theorie – Geschichte – Methode, hg. v. Johannes Süßmann / Susanne Scholz / Gisela Engel, Berlin 2007 (Frankfurter Kulturwissenschaftliche Beiträge 1), S. 81 – 95, insbes. 82, 84 f., 90 f.; Gianna Pomata, Praxis historialis. The Uses of historia in Early Modern Medicine, in: Historia: Empiricism and Erudition in Early Modern Europe, hg. v. ders. / Nancy Gillian Siraisi, Cambridge, MA 2005, S. 105 – 146; Johanna GeyerKordesch, Medizinische Fallbeschreibungen und ihre Bedeutung in der Wissensreform des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 9 (1990), S. 7 – 19; zu deren Stellung in der Begriffsgeschichte der historia: Arno Seifert, Cognitio historica. Die Geschichte als Namengeberin der frühneuzeitlichen Empirie, Berlin 1976 (Historische Forschungen 11). – Zur rhetorischen Funktion des Exemplums in der Frühen Neuzeit siehe John D. Lyons, Exemplum: The Rhetoric of Example in Early Modern France and Italy, Princeton, NJ 1989; Peter von Moos, Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike bis zur Neuzeit und die historiae im »Policraticus« Johanns von Salisbury, Hildesheim / New York 21996 (Ordo 2); Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, hg. v. Jens Ruchatz / Stefan Willer / Nicolas Pethes, Berlin 2007 (LiteraturForschung 4), Teil 1. 162 Daniel Sennert, De Pestilentia, in: Quæstionum Medicarum Controversarum Liber : Cui acceßit Tractatus de Pestilentia, Wittenberg 1609, S. 375 – 479, hier 411 f.; Jan Baptistavan e Helmont, Tumulus pestis. Das ist: Grundlicher Ursprung der Pest/ Dero Wesen/ Art/ und e e Eigenschafft; als auch deroselben zuverlassig= und bestandiger Genesung. …, Sulzbach 1681, S. 199 ff.; ders., Aufgang der Artzney-Kunst, Bd. 1, 4. Traktat, Kap. 12, S. 595 – 601, Kap. 17, S. 634 – 638, Kap. 20, S. 662 – 664. Zu van Helmont siehe Werfring, Ursprung, insbes. S. 206 – 222; Heinz Schott, Paracelsus and van Helmont on Imagination: Magnetism and Medicine before Mesmer, in: Paracelsian Moments: Science, Medicine and Astrology in Early Modern Europe, hg. v. Gerhild Scholz Williams / Charles D. Gunnoe Jr., Kirksville 2002 (Sixteenth Century Essays and Studies 64), S. 135 – 150; ders., Synästhesie, Sympathie und sensus communis. Zur medizinischen Anthropologie in der frühen Neuzeit, in: Synästhesie. Interferenz – Transfer – Synthese der Sinne, hg. v. Hans Adler / Ulrike Zeuch, Würzburg 2001, S. 95 – 107, hier 102 – 105; zu van Helmonts Erkenntnisverfahren: Michael Stolberg, Die Vision als Modus der medizinischen
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allem der Mediziner und Botaniker Augustus Quirinus Rivinus (eigentlich Bachmann). Dass die Furcht vor der Pest unmittelbar in die Pest führte, zeigten ihm die Geschichten derer, die erkrankten, nachdem sie Kranke gesehen oder von ihnen gehört hatten (oder auch nur meinten, jemand habe die Pest).163 Auf ihrem Weg zum Gottesdienst, so Rivinus, passierte eine Frau, an sich von guter Verfassung, ein infiziertes Haus, zutiefst erschrocken über den Rauch, der aus ihm drang. In der Kirche angekommen, besserte sich ihre Lage keineswegs, denn neben ihr kam, Myrrhe kauend, eine Besucherin zu sitzen, deren ekelerregenden Geruch die Erschrockene kaum zu ertragen vermochte. Nach Hause zurückgekehrt, litt sie an Herzklopfen und Kopfschmerz; wenig später bekam sie die Pest und verstarb.164 Wundersamer noch (»mirandum«) schienen den Zeitgenossen Erkrankungen im Traum, bedurfte es für sie doch, wie es schien, keiner Infektion oder auch nur der Nähe einer Seuche. Neben Sennert und Philipp Höchstetter verweist Rivinus auf einen Bericht Ysbrand van Diemerbroecks:165 Wissensautorisierung. Johann Baptist van Helmont (1579 – 1644) und sein »Aufgang der Arzney-Kunst«, in: Morgen-Glantz. Zeitschrift der Knorr-von-Rosenroth-Gesellschaft 13 (2003), S. 47 – 72. Über Sennert und van Helmont hinaus siehe Ysbrand van Diemerbroeck, Tractatus de peste, In quatuor libros distinctus; truculentissimi morbi historiam ratione et experientia confirmatam exhibens (Opera omnia, anatomica et medica 2), Utrecht 1685, S. 100 ff., 233; Arnold Kerner, Koilokoc¸a. Das ist: Kurtzer/ doch e grundlicher Discurs, Von der gifftspeyenden Seuche der Pestilentz/ was nemlich derselben Natur/ Vrsachen/ Kennzeichen; vnd wie die Gesunde zu præserviren/ vnd die damit befallene/ nechst Gott/ zu curiren, Leipzig 1626, S. 37 – 40, 83 – 85. Zu Kerner vgl. Ulbricht, Angst, S. 106. Für Frankreich und Italien siehe M. Bompart, Nouveau Chasse-Peste, Paris 1630, S. 6; Le Maistre, Conseil pr¦servatif et curatif des fiÀvres pestilents, Pont--Mousson 1631, S. 62; Lodovico Antonio Muratori, Del governo della peste e delle maniere di guardasene. Diviso in politico, medico, ed ecclesiastico, da conservarsi, ed aversi pronto per le occasioni, che Dio tenga sempre lontane. Coll’ utilissima giunta della relazione della Peste di Marsiglia, e con alcune osservazioni dello stesso autore, Pesaro 21743, S. 329, auch 328 – 336, 408 – 415. Vgl. dazu Delumeau, Angst, S. 165 – 167, und Jean-Noël Biraben, Les hommes et la peste en France et dans les pays europ¦ens et m¦diteran¦ens, Paris / Den Haag 1975 – 1976 (Civilisation et Soci¦t¦s 36), Bd. 2, S. 37 f. Für das frühe 18. Jahrhundert siehe Christian Ludwig Mögling / Alexander Camerarius, De peste, Tübingen 1735, § 70; Scheuchzer, Koilocqav¸a Massiliensis, S. 35 f. Vgl. dazu Strasser, Stellenwert der Affekte, S. 1087. 163 Rivinus, De peste, S. 18, 22 – 30, 32, 41. Grundlage ist die Dominanz der Seele über den Körper (S. 41): »intelligit, Archeales morbos in tantum superare humorales, in qvantum anima antecellit organico atqve inerti corpori.« Mit positiver Bezugnahme auf Rivinus: Art. »Entsetzen«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 8, Sp. 1300. 164 Rivinus, De peste, S. 25: »Alia melioris conditionis fœmina, præteriens infectam Domum, fumo inde egresso insigniter perterretur, progreditur in ædes sacras, at in his assidet ipsi latere mulier myrrham masticans, cujus odorem qvia semper abhorruit, tunc qvoqve per integram horam tolerare non nisi cum summo fastidio potuit! Domum ergo reversa, palpitationes cordis & cephalalgiam patitur, paulý post pestem ac mortem ipsam.« Näheres zum Ekel unten in Abschnitt 4. 165 Rivinus, De peste, S. 28 f.; Daniel Sennert, De Febribus Libri IV, Wittenberg 21628, Buch
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»Rutger von Oxstey, Reiter unter Captain Douglas, hatte einst, nachdem er sich des Abends bei guter Gesundheit schlafen gelegt hatte, um Mitternacht diesen Traum, er würde von einem unbekleideten und wütigen Pestkranken zu Boden geworfen und mit diesem heftig ringen; schließlich würde ihm der Kranke, da er ihm mit gespreizten Beinen auf dem Leib saß, seine Pest ins Gesicht speien. Nachdem er mit größtem Entsetzen aus diesem Schlaf erwacht war, glaubte er, dass er bald an der Pest sterben werde, und diese Vorstellung prägte sich ihm derart ein, dass er kein Mittel fand, sie aus seiner Erinnerung zu vertreiben. Am dritten Tag darauf bekam er tatsächlich die Pest, mit Zuständen größter Angst und höchsten Fiebers, und kein Medikament konnte helfen. Am vierten Krankheitstag ist er verstorben.«166
Hier wird die anthropologische Erklärung imaginativer Pestinfektion anschaulich: Die imaginatio sah und verwirklichte die Bilder, die sie in die memoria eingeschrieben hatte.167 Die Analogisierung von Mikro- und Makrokosmos erlaubte es Paracelsus, noch einen Schritt weiter zu gehen. Nicht nur gebar, wer sich vor der Pest fürchtete, in sich die Pest (wie die Schwangere dasjenige, was sie sah); es war darüber hinaus »gar wohl möglich, daß ein Mensch dem andern diese Krankheit anwünschen kann«168 – mit dem Blick des Basilisken: Die dem makrokosmi4, Kap. 1, sub Anno 1626; Philipp Höchstetter, Rararum Observationum Medicinalium Pars Posthuma, Continens Decades qvatuor, nimirum septimam, octavam, nonam & decimam. In qvibus historiæ, qvæsita, observata, monita Medica varia, jucunda, salutaria, utilia, necessariaque tam speculanti Medicinam, qvm operanti continentur, Frankfurt / Leipzig 1674, Dec. 7, Cas. 2, S. 46; van Diemerbroeck, Tractatus de peste, S. 233. 166 »Rutgerus ab Oxstey, eques Capitanei Douglas, cum vesperi bene sanus cubitum discessisset, media nocte somniavit se ab homine pestifero nudo ac furibundo in terram prosni, et cum eodem fortiter colluctari, tandem pestiferum divaricatis cruribus ipsius corpori insidentem, suam pestem in illius os evomuisse. Ex illo somno cum maximo terrore expergefactus, credidit se peste cito moriturum, quam imaginationem adeo fortiter concepit, ut nullis rationibus ex animo illius excuti potuerit. Tertia post somnium die correptus est peste, cum maxima anxietate et febre, nec quicquam proficientibus medicamentis, quarta morbi die mortuus est.« Meine Übersetzung. Der Bericht findet sich auch im Traumbuch von Johann Christoph Männling, e e e Außerlesenster Curiositaten Merck=wurdiger Traum=Tempel Nebst seinen Denckwurdigen e Neben=Zimmern; von allerhand sonderbahren Traumen, welche durch die Auslegung der Zeit e e ihre Erklarung gefunden, aus Denckwurdigkeiten aber auffgezeichnet sind; als einem volle komenen locum communem mit […] Beysatzen, Frankfurt / Leipzig 1714, S. 345 f. Ich folge Männling in der Übersetzung von »animus« mit »Erinnerung«. Näheres zum Traum unten in Kap. 6. 167 Vgl. Paracelsus, De occulta philosophia, in: Werke 5, S. 133 – 176, hier 154: »Jetzt entsetzt sich [ein Mann] ob dieser Botschaft [dass sein Bruder an der Pest gestorben ist], es schauerte ihm die Haut, er hebt an zu imaginieren, so daß er dasselbige nit vergessen kann, es wird in ihm angezündet und reverberiert sich selbst eben so lang«. Vgl. auch Rivinus, De e peste, S. 39. Außerdem: Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn/ Das ist Deß wutenden e e Todts ein vmbstandige Beschreibung In Der beruhmten Haubt vnd Kayserl. Residentz Statt e in Oesterreich/ Im sechzehen hundert/ vnd neun vnd sibentzigsten Jahr/ Mit Beyfugung so wol wissen als g[e]wissen antreffender lehr, Wien 1680 (ND: Mercks Wienn 1680, unter Mitarbeit v. Franz M. Eybl hg. v. Werner Welzig, Tübingen 1983), S. 118 f. 168 Paracelsus, De pestilitate, S. 243.
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schen Firmament unterstellte Person vermochte nicht allein sich selbst, sondern auch die Welt um sich herum imaginativ zu beeinflussen. Dies galt, wie es Paracelsus schien (und nicht nur ihm), vor allem für Frauen, die an und für sich »der Zauberei am stärksten nachhängen«; und es galt für sie insbesondere in der »Angst des Gebärens«, in einer »Geburtsangst«, die noch Gryphius’ Grabredner Pirscher als eigene Kategorie der Angst auswies (neben der des Gewissens, des Todes und der Hölle).169 In Zeiten der Pest war nicht allein die schwangere Frau vom »contagiosischen« Gift bedroht, sondern auch ihr Fötus; wer ihr in dieser Angst Hilfe und Trost verweigerte, den versetzte sie ihrerseits in Angst, dem schickte sie Lebensgefahr und Tod: »Wie denn zu meiner Zeit oft geschehen ist und ich es erfahren hab, daß es mich gejammert hat solch Elend anzusehen: daß man sie in der Zeit der Pestilenz verlassen, und sie die Wehtage und Angst des Gebärens angekommen sind, und daß man sie mit der Hilfe verlassen hat, woraus dann erschreckliche Landsterben entsprungen sind. Denn wenn eine solche Kindbetterin in der Angst des Kindgebärens stirbt, so ist wohl zu denken, was da für eine Imagination zufällt. Denn die Frau denkt so: weil ich und mein Kind oder die Frucht so elend sterben muß, so wollte ich, daß alle Menschen mit mir stürben. Da folgt denn auch ein Platzregen, das ist ein doppeltes Gift dieser Krankheit. Und da ist wohl nicht zu widerreden, daß Gott die Menschen härter straft, weil das eine das andere in solchen Nöten ungetröstet verlassen hat.«170
In dieser Behexung wurde die Imagination der Pest von der Strafe für falsche Krankheitsfurcht zum Strafinstrument an denen, die es unterließen, den zu Recht Geängstigten beizustehen. Die zauberische Einbildungskraft konnte trotz und in ihrer eigenen Strafwürdigkeit selbst als Mittel göttlicher Strafe fungieren; ihre Macht war Strafe und zu Bestrafendes zugleich. 169 Pirscher, Epigramma beati Gryphii, S. 29 – 33. Die Geburtsangst findet sich etwa auch bei e Zopff, Hertzens=Angst, S. 11, und im Art. »Angst einer Gebahrerin«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 301. Vgl. dazu Kaspar von Greyerz, Passagen und Stationen. Lebensstufen zwischen Mittelalter und Moderne, Göttingen 2010, S. 47 ff.; Patrice Veit, »Ich bin sehr schwach, doch drückst du nach …«: Evangelisches Kirchenlied und seelsorgerische Begleitung von Schwangeren im 17. und 18. Jahrhundert, in: Geschichte des Ungeborenen. Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, 17. – 20. Jahrhundert, hg. v. Barbara Duden / Jürgen Schlumbohm / Patrice Veit, Göttingen 22002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 170), S. 49 – 74; Ulrike Gleixner, Todesangst und Gottergebenheit. Die Spiritualisierung von Schwangerschaft und Geburt im lutherischen Pietismus, in: Geschichte des Ungeborenen, hg. v. Duden / Schlumbohm / Veit, S. 75 – 98; Ulinka Rublack, Pregnancy, Childbirth and the Female Body, in: Past & Present 110 (1996), S. 84 – 110; dies., Fluxes, S. 12; auch Eva Labouvie, Andere Umstände. Eine Kulturgeschichte der Geburt, Köln / Weimar / Wien 2 2000, hier S. 137 – 197. 170 Paracelsus, De pestilitate, S. 243. Zu geschlechtsspezifischen Implikationen der paracelsischen Epistemologie vgl. Hildegard Elisabeth Keller, Seeing »Microcosma«: Paracelsus’ Gendered Epistemology, in: Paracelsian Moments, hg. v. Scholz Williams / Gunnoe, S. 93 – 134. Zur Kontagion unten Anm. 174.
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Dies ist der Punkt, der seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Kritiker auf den Plan zu rufen begann. Während die Hexenverfolgungen ihren Höhepunkt erreichten, mehrten sich cartesisch inspirierte Stimmen, die der Einbildungskraft des Menschen die Macht über makrokosmisches Geschehen bestritten und den Glauben an sie – nach der Dämonisierung durch die Theologen – nun der Pathologisierung unterwarfen: die, in nachhaltiger begrifflicher Trennung von res cogitans und res extensa, den Einflussbereich der Imagination auf den Körper der imaginierenden Person zu beschränken suchten.171 Dies hatte im Wesentlichen zwei Konsequenzen: Die Imaginationen Außenstehender fielen als Krankheitserklärung aus; und die eigenen büßten den Status einer unmittelbaren Ursache ein, um, als causa remota, auf die hinteren Ränge säftephysiologischer Wirkungszusammenhänge verwiesen zu werden. Damit verlor die Einbildungskraft jedoch keineswegs ihre ätiologische Bedeutung. Strittig war nicht, ob Angst und Schrecken die Pest zu bewirken vermochten, sondern nur, auf welchen Wegen dies geschah; umstritten war lediglich die Magie des Archeus: die Vorstellung, die Furcht, als causa efficiens, bewirke allein aus sich heraus, was sie befürchtete. Für den Umbruch, in seiner ganzen Ambivalenz und Vielschichtigkeit, steht etwa Athanasius Kircher.172 Humoralpathologen, im Gegensatz zu Paracelsisten, hielten pestartige Erkrankungen für undenkbar ohne äußere Erreger. Dabei war es unerheblich, ob sie diese als stinkende und »unreine« Fäulnisteilchen auffassten: als »Miasmen« und »böse Luft«, die noch bis zu Robert Kochs Entwicklung der modernen 171 Erste Zweifel in diese Richtung äußerte bereits Donati, De Medica, Bl. 30r – 43r, insbes. 36r ff., hielt es dabei aber durchaus noch für möglich, dass die Imagination auch Regen, Donner, Erdbeben und Krankheiten (bei anderen) erzeugt. – Zu Descartes’ medizinischer Theorie vgl. Vincent Aucante, La philosophie m¦dicale de Descartes, Paris 2006. 172 Athanasius Kircher SJ, Scrutinium physico-medicum contagiosæ luis qvæ dicitur pestis e …, Rom 1658, im Folgenden zit. nach der dt. Ausgabe: Naturliche und Medicinalische e Durchgrundung Der laidigen ansteckenden Sucht/ und so genanten Pestilentz/ Darinnen Von Ursprung/ Ursachen/ Zeichen/ und Vorbotten derselben/ wie auch von den ungee wohnlichen Wurckungen der verderbten Natur/ wie sie zu Zeiten durch Einfluß deß Gestirns/ so wohl in den Elementen/ als in den allgemeinen Land= und Welt=Kranckheiten e der Menschen und der Thieren gespuhret werden. Auch von eigentlichen Mitteln und Gegenwehr wider dieselbige …, Augsburg 1680 [Rom 1658], S. 75 – 84 und 130 – 140. Zu Kirchers medizinischen Konzepten vgl. Gerhard F. Strasser, Ansteckungstheorien der Pest in der Frühen Neuzeit am Beispiel von Girolamo Fracastoro und Athanasius Kircher, in: Gotts verhengnis, hg. v. Feuerstein-Herz, S. 69 – 76; ders., Der Stellenwert der Affekte, S. 1084 – 1087; Martha R. Baldwin, Reverie in Time of Plague: Athanasius Kircher and the Plague Epidemic of 1656, in: Athanasius Kircher, hg. v. Findlen, S. 63 – 77, hier 69 – 74; dies., Toads and Plague: Amulet Therapy in Seventeenth-Century Medicine, in: Bulletin of the History of Medicine 67 (1993), S. 227 – 247, hier 236 – 238; Tina Asmussen, Experiment und die Vielschichtigkeit der Natur. Mikroskopie und die Deutung der Pest in Athanasius Kirchers »Scrutinium physico-medicum«, in: »Die Natur ist überall bey uns«, hg. v. Ruppel / Steinbrecher, S. 157 – 170.
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Bakteriologie die Krankheitslehren prägten,173 oder aber bereits, wie Kircher, als »Samentierchen« (seminaria) der Pest: als ein durch eine Form der Berührung (contagio) übertragenes krankheitsspezifisches Gift, wie es – in Deutungskonkurrenz zur Miasmentheorie – maßgeblich Girolamo Fracastoro in der Mitte des 16. Jahrhunderts in die medizinische Debatte eingebracht hatte174 (und das praktisch bereits zuvor von all jenen Obrigkeiten unterstellt worden war, die zur Bekämpfung der tödlichen Seuche Isolierungs- und Quarantänemaßnahmen ergriffen).175 Unabhängig davon, wie die pathogene Materie im Einzelnen konzipiert wurde: Ihre Aufnahme in den Körper erfolgte nach dessen jeweiliger humoraler Disposition. Eine furcht- und schreckerfüllte Erschütterung des affektuellen Gleichgewichts störte den Kreislauf der Säfte und Lebensgeister und öffnete den tödlichen Erregern Tür und Tor. Für die Kritiker der Archeus-Lehre hatten die von ihren Verfechtern angeführten Exempel und Historien ihre Beweiskraft verloren. Selten, so mochten sie einwenden, seien die zitierten Fälle, zahlreich dagegen die Beispiele, in denen die Pestinfektion allein durch Kontagion erfolgte.176 Bemerkenswert daran ist: Auf die Evidenz der historia selbst wurde auch hier nicht reflektiert. Diese Kritiker fragten nicht, was heute zu fragen wäre: Müsste nicht, was zum Beweis dient, selbst erst bewiesen werden? Die zeitliche Beziehung belegt noch keine kausale. Dass sich ein Pestpatient, bevor er sich infizierte, vor der Pest gefürchtet hat, besagt nicht, dass er an der Furcht vor ihr erkrankt ist. Doch dies ist nicht der Einwand der Kritiker ; und so unterstellte auch ihr Gegen-Beispiel, der Hinweis 173 Mit dem Konzept des »Miasmas« (griech. l¸asla) wurde Ansteckung auf die »Verunreinigung«, den »Schmutz« und die »Befleckung« zurückgeführt, die es bereits im Namen trug. Vgl. dazu Leven, Von Ratten, S. 17; Keith Thomas, Cleanliness and Godliness in Early Modern England, in: Religion, Culture and Society in Early Modern Britain: Essays in Honour of Patrick Collinson, hg. v. Anthony Fletcher / Peter Roberts, Cambridge 1994, S. 56 – 83, hier 72; darüber hinaus Robert Jütte, Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München / Zürich 1991, S. 177 f. Näheres zum Problem der Un/Reinheit bei Andreas Bähr, Abgötterei stinkt. Unreinheit, Konfession und Krankheit im 17. Jahrhundert, in: Reinheit, hg. v. Peter Burschel / Christoph Marx, Wien / Köln / Weimar 2011 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V. 12), S. 119 – 139. 174 Girolamo Fracastoro, De contagione et contagiosis morbis et eorum curatione libri 3, Venedig 1546, dt.: Drei Bücher von den Kontagien, den kontagiösen Krankheiten und deren Behandlung (1546), übers. und eingel. v. Viktor Fossel, Leipzig 1910. 175 Vgl. Bergdolt, Die Pest, S. 32 f. 176 Rivinus, De peste, S. 34: »Dicis, rara hæc omnia sunt exempla huc usqve adducta, interim innumera testantur contrarium, nempe non terrore, sed contagio poti¾s pestem propagari.« In anderen Fällen erfolgte trotz Furcht keine Erkrankung. Vgl. Kircher, Durche grundung, S. 136: War keine Pest in der Nähe, so Kirchers Beobachtung, führte Furcht sie auch nicht herbei. – Zu Kirchers Begriff der »Erfahrung« (experientia) siehe Leinkauf, Mundus combinatus, Kap. B. IV. Allgemein zum Stellenwert des Experiments in der jesuitischen Naturphilosophie vgl. Marcus Hellyer, Catholic Physics: Jesuit Natural Philosophy in Early Modern Germany, Notre Dame, IN 2006, S. 181 – 201.
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auf Infektion durch Kontagion, bereits, was es zu erweisen suchte: Es sind, so Zedlers Universal Lexicon, »viele Exempel vorhanden, welche dergleichen Ansteckung offenbarlich zu beweisen scheinen. Also gedencket Lister in Comment. ad Sanctor. Med. stat. ad Aphor. 137. daß einsmahls das Pestgift über 200 Meilen mit Kleidern nach London sey gebracht worden, e e und ware davon eine gantze Familie angestecket und getodtet worden. Da ist ja keine Furcht zugegen gewesen, sondern es muß nothwendig das Gift in den Kleidern gestecket haben, welches die Leute angestecket und umgebracht hat.«177
Die Replik der Kritisierten bestätigte dann noch einmal den gemeinsamen epistemologischen Rahmen. Die Zahl derer, so Rivinus, die sich durch Kontakt mit den Kranken nicht infizierten, sei in der Tat sehr gering; denn äußerst selten seien Mut und Furchtlosigkeit im Angesicht der Gefahr.178 Zusätzliche Sicherheit bot die Umkehrprobe: Wer nicht erkrankte, offenbarte für Rivinus nicht die Schwäche des Arguments, sondern die eigene Furchtlosigkeit. Derartigen Mut bewiesen zum einen die Ärzte und Chirurgen, die nicht zögerten, den Leidenden in ihrer Furcht beizustehen; sie schützte die Gnade Gottes.179 Zum anderen wusste Rivinus von Personen, die sich willentlich zu infizieren suchten. Wo Furcht krank machte und Furchtlosigkeit vor Krankheit schützte, wo krank wurde, wer es nicht wollte, dort blieb offenbar gesund, wer gern erkrankt wäre. So berichtet Rivinus von zwei älteren Frauen, die den Ekel vor der Pest überwanden, um den Ekel ihres Lebens zu beenden. Doch sie wurden enttäuscht.180 Denn wer die Pest liebte, fürchtete sie nicht – und wer sie nicht fürchtete, erkrankte nicht an ihr.181 Ohne Furchtaffekt vermochte die Imagination das Imaginierte nicht zu bewirken. Diese Frauen waren ohne Furcht vor dem Tod, jedoch nicht wie Ärzte und Chirurgen: nicht für andere, sondern für sich selbst, nicht mit dem Willen des Höchsten, sondern gegen ihn. Ihnen gab Gott ein langes Leben. Er schickte die Pest zur Last, nicht zur Lust. 177 Art. »Pest«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 761, mit Bezug auf Santorio Santorio, De statica medicina aphorismorum sectiones septem cum commentario Martini Lister, London 1701. 178 Rivinus, De peste, S. 34 f.: »Respondeo igitur primý, verÀ rara exempla esse eorum, qvi accedente reali contactu non inficiantur ab ægris, qvandoqvidem rarissimus est animus in periculo præsens & impavidus.« Andere wollten dasselbe beweisen, argumentierten aber umgekehrt: Auch die Tatsache, dass überhaupt Menschen die Pest überlebten, ließ sich als Indiz dafür lesen, dass affektuelle Dispositionen den Ausschlag gaben. 179 Ders., De peste, S. 35. Und die verstorbenen Ärzte waren dann eben nicht hinreichend furchtlos gewesen. 180 Ders., De peste, S. 33 f., mit Verweis auf Höchstetter, Rarae observationes medicinales, S. 45 f. 181 Rivinus, De peste, S. 34: »Eccur verý pestis contagium qværentem frustratur? certÀ non aliam ob causam, qvm qvod desiderium ejus terrorem excludat; amabant profectý pestem mulieres, mortemqve desiderabant tanqvam graviorum ærumnarum finem; at nemo unqvam metuit qvod optat.«
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Vor diesem Hintergrund brauchte Rivinus gar nicht zu leugnen, dass Menschen durchaus auch auf dem Wege der Kontagion erkranken konnten. Doch schien ihm eine derartige Infektion nicht nur nicht erforderlich,182 sondern ihrerseits unmöglich ohne Furcht. Rivinus gab sich überzeugt »non sine terrore ac suspicione pestis qvenqvam fuisse infectum«.183 Hier wandelte sich die Furcht von einer unmittelbaren Ursache (causa proxima) zur notwendigen Bedingung (conditio sine qua non). Blieb ihr damit auch ein höherer ätiologischer Stellenwert eingeräumt als im Stande entfernter Ursächlichkeit (causa remota)184 oder hinreichender Bedingung (conditio qua),185 so deutet dies doch zugleich darauf hin, dass die konträren Positionen am Ende so gegensätzlich nicht waren: Wie die Furcht auch von den cartesischen Medizinern nicht aus der Verantwortung entlassen wurde, so hatten die Paracelsisten ihrerseits die Möglichkeit einer Ansteckung nie bestritten.186 Kontrovers war allein, wo in der Kette von Ursachen und Zeichen die Infektion zu verorten war, und das heißt: ob der Schrecken die pestbringende Kontagion bedingte oder die Kontagion einen tödlichen Schrecken.187 Die Debatte stieß an ihre Grenzen, wo beide Seiten auf dieselben epistemologischen Voraussetzungen rekurrierten: auf eine Einheit von semiotischen und kausalen Zusammenhängen, die ihren Anfang in Gott fand und nicht in empirischer, analytischer Beobachtung;188 die auch neue Exempel nicht aufzubrechen vermochten ohne neue religiös-moralische Wertsetzungen. Vor diesem Hin182 So blieb Rivinus abschließend beharrlich (De peste, S. 41): »Non necessum est ut aliunde venenum vel contagium adducamus, solus terror sufficit ad multas myriades enecandum«. 183 Ders., De peste, S. 35 f., zit. 36; so auch S. 32. Vgl. S. 22. 184 Als entfernte, mittelbare Ursache erscheint bei Rivinus nur die Furcht im Allgemeinen (d. h. nicht die vor der Pest): ders., De peste, S. 30 f. 185 Jede conditio sine qua non ist auch eine causa remota, aber nicht umgekehrt; und jede causa proxima ist eine conditio qua, aber nicht jede conditio qua auch eine causa proxima. Wo Furcht einen Kausalzusammenhang konstituierte, konnte dieser auch ohne sie zustande kommen; dort brachte sie ihre Wirkung nicht notwendigerweise unmittelbar hervor. Anders formuliert: Es sind zwei verschiedene Fragen (die sich partiell überschneiden), ob ein Faktor für das Eintreten eines Ereignisses zwingend erforderlich ist oder nicht und ob er, wenn er gegeben ist, seine Wirkung direkt oder indirekt entfaltet. 186 So auch bereits van Helmont im Tumulus pestis (siehe Werfring, Ursprung, S. 216 f., auch e Kircher, Durchgrundung, S. 139, weist darauf hin), und Paracelsus, De pestilitate, S. 243. 187 Vgl. Rivinus, De peste, S. 32: »Qvotusqvisqve jam non videt causam pestis proximam esse terrorem pestis, reliqva verý omnia esse saltim remotiores causas, utpote qvæ occasionem terrori pestifero præbent.« Der Schrecken erscheint hier nicht selbst als eine entfernte Ursache, sondern als die Folge entfernter Ursachen. 188 Zu dieser »synthetischen« Denkweise vgl. auch Klaus Krüger, Das Jüngste Gericht und die alltäglichen Katastrophen. Zu Prognose und Diagnose in der spätmittelalterlichen Stadtchronistik, in: Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren, hg. v. Enno Bünz / Rainer Gries / Frank Möller, Stuttgart 1997, S. 79 – 101, hier 93 – 95.
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tergrund brachte die Kritik der »Rationalisten« für das vorliegende Problem keine wesentlichen Veränderungen. Nicht nur vermochte sie sich keineswegs ohne weiteres durchzusetzen – bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wurden paracelsische Ansätze partiell sogar noch von denen rezipiert, die sie eigentlich bereits ablehnten –;189 darüber hinaus, und das ist entscheidend, entfaltete sich auch die verminderte, die »innere« Wirkung der furchterfüllten Imagination im System der Ähnlichkeiten, Qualitäten und Signaturen. Nicht diese Systemzusammenhänge an sich waren unglaubhaft geworden, sondern ihre bisherigen Erklärungen.190 Weniges zeigt dies so deutlich wie die Persistenz der Schwangerschafts-Analogie. Auch dort, wo die inneren Bilder andere Menschen nicht mehr zu infizieren vermochten, schienen sie sich nach wie vor dem Fötus einzuprägen, den eine Frau im Leibe trug.191 Und wie das Ungeborene die Imaginationen der Schwangeren abbildete, so war, wie viele meinten, die Pest das Bild – und das heißt: das Ergebnis – mütterlicher Furcht.192 189 So ist für Kircher ebenso wie in Zedlers Universal Lexicon die Verursachung der Pest durch Schadenszauber und teuflische Umtriebe (bei göttlicher Zustimmung) durchaus noch denkbar, obwohl die unmittelbare Verursachung der Pest durch die Furcht mittlerweile e bestritten wird: Kircher, Durchgrundung, S. 75 – 84; Art. »Pest«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 762. – Allgemein zur Wirkungsgeschichte des Paracelsismus: von Greyerz, Alchemie; Siegfried Wollgast, Zur Wirkungsgeschichte des Paracelsus im 16. und 17. Jahrhundert, in: Resultate und Desiderate der Paracelsus-Forschung, hg. v. Peter Dilg / Hartmut Rudolph, Stuttgart 1993 (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beihefte 31), S. 113 – 144; Rudolf Schlögl, Ansätze zu einer Sozialgeschichte des Paracelsismus im 17. und 18. Jahrhundert, in: Resultate, hg. v. Dilg / Rudolph, S. 145 – 162; ders., Hermetismus als Sprache der »unsichtbaren Kirche«: Luther, Paracelsus und die Neutralisten in der Kirchen- und Ketzerhistorie Gottfried Arnolds, in: Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit, hg. v. AnneCharlott Trepp / Hartmut Lehmann, Göttingen 2001 (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 171), S. 165 – 188; Wilhelm Kühlmann, Paracelsismus und Hermetismus: Doxographische und soziale Positionen alternativer Wissenschaft im postreformatorischen Deutschland, in: Antike Weisheit, hg. v. Trepp / Lehmann, S. 17 – 39. 190 Grundlegend zur episteme der Ähnlichkeit: Foucault, Ordnung der Dinge, Kap. 2, der sie jedoch zeitlich im Wesentlichen nur für die Renaissance gegeben sieht. Vgl. dazu auch Stephan Otto, Das Wissen des Ähnlichen. Michel Foucault und die Renaissance, Frankfurt a.M. u. a. 1992; Thomas Leinkauf, Interpretation und Analogie. Rationale Strukturen im Hermetismus der Frühen Neuzeit, in: Antike Weisheit, hg. v. Trepp / Lehmann, S. 41 – 61. e 191 So z. B. noch 1744 Ernst Anton Nicolai, Gedancken von den Wurckungen der Einbile dungskraft in den menschlichen Korper, Halle a. d. S. 21751 [1744], S. 87 – 117; zur Einprägung furchterregender Erlebnisse: S. 52 – 54. e 192 Kircher, Durchgrundung, S. 130; ders., Magnes Sive De Arte Magnetica Opvs Tripartitvm Qvo Vniversa Magnetis Natura, eiusque in omnibus Scientijs & Artibus vsus, noua methodo explicatur : ac præterea À viribus & prodigiosis effectibus Magneticarum, aliarumque abditarum Naturæ motionum in Elementis, Lapidibus, Plantis, Animalibus elucescentium, multa hucusque incognita Naturæ arcana, per Physica, Medica, Chymica, & Mathematica omnis generis Experimenta recluduntur, Rom 31654, Buch 3, S. 564 – 571, insbes. 567 f.; Johannes Kisner, De imaginatione ejusque viribus, Jena 1665, § 24 ff.,
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Wer derartiges behauptete, betrieb keine frühe Psychologie oder Psychosomatik.193 Auch bei cartesianisch denkenden Naturphilosophen und Medizinern flossen Säfte und strömten Lebensgeister ; und so führte auch in ihren Augen die Furcht vor der Pest nicht deswegen in die Pest, weil sie den Körper generell anfälliger für Krankheiten gemacht hätte, sondern weil die Pesterkrankung Ähnlichkeit aufwies mit ihrer Vorstellung. Dies zeigt sich auch und gerade in der kontagionstheoretischen Erklärung. In Abgrenzung vom Konzept des »Miasmas« und der »bösen Luft« vermuteten Fracastoro und Kircher spezifische Erreger, die eine Krankheit von Mensch zu Mensch zu übertragen vermochten (und damit obrigkeitlichen Isolations- und Disziplinierungsmaßnahmen ihre Legitimation verschafften)194. Die Bakteriologen Koch’scher Prägung suchen und finden hier die Anfänge ihres Denkens (und erklären die späte Durchsetzung des Gedankens aus der Trägheit der Geschichte).195 Eine kulturwissenschaftlich orientierte Medizingeschichte dagegen 31 ff.; Christian Schmid, Vires imaginationis, Leipzig 1675, § 5 ff., 12 ff., 18; Kaspar Ebel, De Viribus Imaginationis (Opera philosophica 3), Frankfurt a.M. 1677, S. 39 – 56; Friedrich Hoffmann, De Imaginationis Natura ejusque Viribus, Jena 1687, § 5 ff.; Georg Daniel Coschwitz / Christian Sigismund Finger, Timoris et terroris in peste noxa, Halle a. d. S. / Magdeburg 1722 (für eine dt. Übersetzung siehe oben Anm. 149); Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Art. »Einbildungs=Krafft«, Bd. 8, Sp. 533 – 538, Art. »Pest«, Bd. 27, Sp. 756 – 779, hier 760 f., 763, Art. »Pest=Anstalten, Pest=Ordnung«, Bd. 27, Sp. 780 – 793, hier 781, 784, 788, Art. »Pestpatiente«, Bd. 27, Sp. 857 – 874, hier 857 f., 860, 862, 864, 868 f., e und Art. »Pestpraservativ«, Bd. 27, Sp. 878 – 881, hier 879. Im Hintergrund steht Thomas Feyens, De viribus imaginationis, Leiden 21635 [1608], S. 179 – 191, 280 – 328; vgl. dazu Lelland Joseph Rather, Thomas Fienus’ (1567 – 1631) Dialectical Investigation of the Imagination as Cause and Cure of Bodily Disease, in: Bulletin of the History of Medicine 41 (1967), S. 349 – 367. Siehe außerdem den klassischen Text von Gianfrancesco Pico della Mirandola, Über die Vorstellung. De imaginatione [1491]. Lateinisch-deutsche Ausgabe mit einer Einleitung v. Charles B. Schmitt / Katharine Park, hg. v. Eckhard Keßler, München 31997 (Humanistische Bibliothek, Reihe 2: Texte 13), insbes. S. 81, 91 f., 105 – 109, 143. 193 Anders als dies die am Fortschritt interessierte Medizingeschichte suggeriert; für Literaturhinweise siehe oben Anm. 149. 194 Olaf Briese, »Gerüchte als Ansteckung«. Grenzen und Leistungen eines Kompositums, in: Die Kommunikation der Gerüchte, hg. v. Jürgen Brokoff / Jürgen Fohrmann / Hedwig Pompe / Brigitte Weingart, Göttingen 2008, S. 252 – 277, hier 255; Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1977 [Paris 1975], S. 251 – 256; Martin Dinges, Pest und Staat. Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion?, in: Neue Wege in der Seuchengeschichte, hg. v. dems. / Thomas Schlich, Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 6), S. 71 – 103, hier 85 ff.; auch ders., Pest und Politik in der europäischen Neuzeit, in: Pest, hg. v. Meier, S. 283 – 313; Ramón Reichert, Auf die Pest antwortet die Ordnung. Zur Genealogie der Regierungsmentalität 1700:1800, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 7 (1996), S. 327 – 358; ders., Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700 – 1900, München 1997. 195 Diese fortschrittsgeschichtliche Lesart vertreten auch Bergdolt, Die Pest, S. 31, 82, 116, der eine verspätete Durchsetzung der »genialen« Kircher’schen Idee beklagt, und Fletcher, Study, S. 112 – 126.
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hat diese teleologische Lesart hinterfragt; sie hat gezeigt, dass seminaria und contagia viva noch nicht als lebende organische Wesen aufgefasst wurden, sondern als Abbilder und Muster krankhafter Zustände, die, insofern sie selbst pathologisch waren, die Fäulnis der Krankheit vermittelten. Auch die kontagiöse Infektion sowie deren Prävention und Therapie erfolgten nach den Prinzipien der Ähnlichkeit: der Sympathie und Antipathie.196 Die Erfindung der Kontagien brachte keinen medizinischen Modernisierungsschub; sie stand dem Konzept des Miasmas deutlich näher als der Bakteriologie der Zukunft.197 Der Miasmentheorie war sie lediglich insofern überlegen, als sie für den postulierten Zusammenhang zwischen Furcht und Krankheit eine genauere medizinische Erklärung zu geben vermochte; auch diese Erklärung jedoch hatte ein religiöstheologisches Fundament. Wo der Erreger der Pest als ihr Abbild aufgefasst wurde: als imago, dort führte ihre Imagination zu einer körperlichen Berührung. Über die Bewegungsrichtung entschied dann der Affekt: Furcht vor der Krankheit zog an, was die Krankheit erregte, und Furchtlosigkeit stieß es ab. Aus all dem wird verständlich, dass die Furcht vor der Krankheit keine beliebige Krankheit zeitigte, sondern eben die gefürchtete (und so galt dies nicht allein für die Pest)198 ; und es wird verständlich, dass selbst hier der Zusammenhang zwischen Imagination und Krankheit am Ende in der heilsgeschichtlichen Brisanz des Furchtaffekts gründete. Die Kontagionstheorie gab für einen göttlichen Sanktionsmechanismus eine medizinische Erklärung. Vor diesem Hintergrund schlossen sich Kontagions- und Miasmatheorie epistemologisch gesehen nicht aus, sondern ein; die eine wie die andere implizierte eine religiöse Interpretation der Pest: Beide setzten Gott als ihre Erstursache voraus.199 Und das heißt auch: 196 Briese, »Gerüchte als Ansteckung«, S. 254 f.; Norman Howard-Jones, Fracastoro and Henle: A Re-appraisal of Their Contribution to the Concept of Communicable Diseases, in: Medical History 21 (1977), S. 61 – 68, hier 62 ff.; Vivian Nutton, The Reception of Fracastoro’s Theory of Contagion: The Seed That Fell among Thorns?, in: Osiris 6 (1990), S. 196 – 234, hier 199 ff.; Jörn Henning Wolf, Girolamo Fracastoro, in: Klassiker der Medizin, hg. v. Dietrich von Engelhardt / Fritz Hartmann, München 1991, Bd. 1, S. 69 – 94, hier 83 ff.; Karl-Heinz Leven, Miasma und Metadosis – antike Vorstellungen von Ansteckung, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 11 (1992), S. 43 – 73, hier 50 ff.; Werfring, Ursprung, S. 169 ff.; Gerhard Emil Weidmann, Einführung zu: Girolamo Fracastoro, »De sympathia et antipathia liber unus«, hg. und übers. v. Gerhard Emil Weidmann, Zürich 1979 (Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen 129), S. 6 – 124, hier 109 ff. 197 Bezeichnend ist auch die Überzeugung der meisten Theologen, Philosophen und Ärzte, »daß Sterbende und unmittelbar Verstorbene giftige Miasmen in die Luft abgaben.« Bergdolt, Die Pest, S. 36. Im Widerspruch zu Bergdolts sonstiger Interpretation werden hier Miasmentheorie und Quarantänemaßnahmen durchaus kompatibel. 198 Näheres dazu unten in Abschnitt 4. 199 In ihren epistemologischen Gemeinsamkeiten zeigt sich dann auch die Einheit von theologischen und medizinischen Pesterklärungen, die sich lediglich dahingehend unterschieden, ob sie sich mit der causa prima, der Erstursache, oder den causae secundae der
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Hier wurde möglicherweise die materielle Selbstständigkeit des Bösen zurückgedrängt, jedoch nicht die Macht eines Gottes, der das Böse zuließ, um es bekämpfen zu können. So oder so, mit der Pest verhängte Gott seine Strafe. Vor diesem Hintergrund wiederum ging der Konsens über die pathogene Wirkung der Krankheitsfurcht einher mit der einhelligen Ablehnung (vermeintlicher) stoischer Hybris. Gegen die Furcht vor der Pest musste etwas unternommen werden, da konnte kein Zweifel bestehen, doch war es nicht nur unmöglich, sondern auch gar nicht erstrebenswert, sie gänzlich zu vertreiben. Ziel war nicht die Freiheit von Furcht, sondern das Gleichgewicht der Affekte: das rechte Maß – und dies nicht nur angesichts der anthropologischen Notwendigkeit der Furcht zum Schutz vor unausweichlicher Gefahr, sondern vor allem in Anbetracht von deren heilsgeschichtlicher Bedeutung. Es gab Furchterregendes, gegen das am Ende kein menschliches Mittel half: das zu ertragen war als göttliche Strafe und Prüfung; was der Mensch tun konnte, jedoch, das sollte er tun, um seiner von Gott gewollten Selbsterhaltung willen.200 Angesichts dessen standen nicht nur Kräuter und Essenzen, sondern auch, grundsätzlich zumindest, die Legitimität und der medizinische Nutzen der Flucht vor der Pest nicht zur Diskussion.201 Auch die Flucht jedoch half nur denen, die das, wovor sie Seuche, ihren Zweitursachen, beschäftigten. Vgl. Matthias Lang, »Der Vrsprung aber der Pestilentz ist nicht natürlich, sondern übernatürlich …«. Medizinische und theologische Erklärung der Seuche im Spiegel protestantischer Pestschriften 1527 – 1650, in: Die leidige Seuche. Pest-Fälle in der Frühen Neuzeit, hg. v. Otto Ulbricht, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 133 – 180. 200 Martin Pansa, Consilium Antipestiferum Das ist/ Ein getrewer Rath in gefehrlichen vnd e e gifftigen Sterbensleufften/ oder Pestilentzseuche. Darinnen grundlich/ kurtzlich vnd e e klarlich dargethan vnd angezeiget wird/ was die rechten naturlichen Vrsachen seyn/ daß so e wenig Leut von der Pestilentz befallen/ auffkommen/ ob sie gleich nutzliche Antidota wieder den Gifft zu rechter zeit gebraucht vnd eingenommen haben. Deßgleichen was die e vrsachen der Pest ingemein/ vnd jetziger zeit insonderheit seyn: Wie man sich darvor huten sol/ auch wie die allbereit inficirten davon zu entledigen …, Leipzig 1604, S. 1. Zur pathogenen Wirkung der Krankheitsfurcht (in Anlehnung an Paracelsus): S. 1 f., 12; ders., Consilium Antipestiferum II. Das ist/ Ein getrewer Rath in gefehrlichen vnd gifftigen Sterbensleufften/ oder Pestilentzseuche. Darinnen angezeigt wird/ auff was weise die geschwinde Seuche gemeiniglich per contagium vnd anklebung fortgepflantzet werde/ was e vor andern bewerte Mittel darwieder zuerwehlen vnd zugebrauchen: vnd was vor fursorge die Obrigkeit zu solchen zeiten trage/ ob den inficierten zu helffen sey : Deßgleichen was man thun oder lassen/ daß die Pest ein ander mal nicht wieder komme. …, Leipzig 1604, S. 46 – 49. 201 Ulbricht, Angst, S. 103; für die Debatte unter protestantischen Theologen vgl. Frank Hatje, Leben und Sterben im Zeitalter der Pest. Basel im 15. bis 17. Jahrhundert, Basel 1992, Kap. 2.2. Siehe auch Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, S. 246 f.; Johann Mate thias Nester, Ausfuhrlicher und Nohtwendiger Bericht/ auch Getreuer Rahtschlag/ wie sich ein jeder bey der jetzo hin und wieder grassirenden hitzigen und gifftigen Soldaten e e Krankheit/ auch der darneben einschleichenden Pest nechst Verleihung Gottlicher Hulffe e verwahren/ diejenigen aber/ so nach Gottes Willen damit heimgesuchet und uberfallen/
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flohen, als legitime Sanktion erkannten: die die Pest als Gotteskinder fürchteten und darauf vertrauten, dass ihr Schöpfer es gut mit ihnen meint; andernfalls konnte die Flucht vor der Seuche zu eben dem Pesttod führen, den sie floh.202 In diesem Zusammenhang gehörte es zu den Fürsorgepflichten (und Disziplinierungsmaßnahmen) landesherrlicher und städtischer Obrigkeiten, neben den körperlichen Krankheitsrisiken auch die seelischen zu minimieren. Wenn sie Isolation und Quarantäne verordneten, wenn sie Pestzüge und Kirchhöfe auslagerten und das Glockenläuten bei Begräbnissen untersagten, dann suchten »Pestregiment« und »Pest-Policey« damit stets auch »eingebildete« Furcht und Angst zu verhindern.203 Noch wichtiger freilich war die Betreuung durch Ärzte und Seelsorger. Und so wurde diesen beiden Gruppen, um die soziale Ordnung zu wahren, das Recht zur Flucht weitestgehend bestritten.204 Mediziner und Pfarrer hatten sich nicht zu schützen, indem sie flohen, sondern indem sie darauf vertrauten, dass Gott ihnen half, wo sie sich selbst nicht zu helfen vermochten. Sie hatten furchtlos zu sein, um ihren Schutzbefohlenen die Furcht nehmen zu können. Gänzlich verweigern freilich konnte man auch ihnen das Recht der Selbsterhaltung nicht, nämlich dann, wenn ihr eigenes Leben unmittelbar in Gefahr geriet. Die Haltung der Autoritäten bleibt an diesem Punkt jedoch recht unbestimmt, und dies e
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samt ihren Zufallen curiren und heilen konne, Bayreuth 1677, S. 49 (mit Verweis auf Luther). 202 Für Nachweise siehe Leutert, Geschichten vom Tod, S. 266 f. e 203 Z.B.: Die Gesellschafft Drey¨er Nachbaren zu Pest-Zeiten/ Als die nutzlichste und beste PestPolicey/ Von der einreißenden Contagion und Ruin vieler tausend Menschen eine Stadt und e e Land zuerretten/ Wodurch So wohl grosse Kosten (so das starckste Hindernus guter Anstalten) dem Publico und Privatis erspahret/ die Krancken und Gesunden auffs beste und genaueste versorget/ und alle vergebliche Furcht und Schrecken/ welche gleichsam der e Saamen der einreissenden Infection, vermieden werden konnen/ Wodurch auch/ Der Ine e fection dergestalt vorgebauet werden kann/ daß unmuglich uber den dritten theil der e Hauser inficiret, Unter zwey Drittheilen aber alle Conuersation und andere Commercien gepflogen und ohne Furcht abgewartet werden können, Halle a. d. S. 1682, § 5, 7 f.; Kurtzer/ e e e doch Grundlicher Nach= und Vnterricht/ Wie man sich/ nechst Gottlicher Hulffe und Beystand/ bey diesen jetzt besorglichen Zeiten/ in welchen nicht allein die gifftig ansteke kende Krankheiten/ und untermengete Flekk=Fieber an vielen Orten/ in Stadten und auf dem Lande hefftig grassiren: Sondern auch die Pestilentzische Fieber und Peste/ in den e e benachbarten Landern sich grausam verspuren lassen/ von Zeiten zu Zeiten sich ziemlich e ausbreiten/ und naher zu unsern Grentzen schleichen/ vor solche gifftig=boßhafft ane e stekkende Krankheiten bester massen præserviren/ schutzen/ und bewahren konne: Damit man solcher Tyrannischen Gewalt/ entweder gantz entgehen/ sich in Sicherheit stellen; e e e e Oder/ so durch Verhangnuß GOttes ein und ander von solcher uberfallen wurde/ desto e gelinder und geschwinder davon geheilet werden mochte …, Braunschweig 1680, S. 26 – 33, hier 33; dazu Strasser, Stellenwert der Affekte, S. 1086. – Zuweilen freilich unterbanden Obrigkeiten auch gut begründete Furcht. Ihre Angst vor einer Massenflucht motivierte ein ums andere Mal allzu optimistische Prognosen und verhinderte damit die mögliche Prävention. Vgl. Bergdolt, Die Pest, S. 32, 58, 70 – 73. 204 Vgl. Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, S. 352.
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erklärt sich womöglich aus einem praktischen Problem: Der Moment der tödlichen Bedrohung ließ sich im Falle der Pest kaum mit Gewissheit erkennen – anders etwa als bei einem soldatischen Angriff. Auch in Kriegszeiten hatte der Seelsorger grundsätzlich seinen Amtspflichten nachzukommen. Fliehen durfte er nur in Begleitung seiner Gemeinde und ohne sie nur bei deren ausdrücklicher Zustimmung. Unzweifelhaft jedoch war die Legitimität der Flucht bei unmittelbarer Gefährdung seines Lebens.205 In der vergleichsweise unklaren Bedrohungslage der Pest dagegen war das Problem so eindeutig nicht zu lösen. Hier blieb die praktische Frage: Wann genau war es Geistlichen und Ärzten erlaubt, sich vor der Pest in Sicherheit zu bringen, und wann hatten sie zu bleiben? Das Problem, das die Reformatoren wiederholt beschäftigt hatte, wurde im 17. Jahrhundert nicht mehr eingehend erörtert. So viel war offensichtlich klar : Grassierte die Pest, hatten Pfarrer und Ärzte furchtlos zu sein bis zuletzt; die Formulierung dieser Norm jedoch (sowie die lobenden Hinweise auf ihre Erfüllung) implizierten nicht allein die Klage, dass die »Wirklichkeit« vielfach anders aussah, sondern auch die Legitimierung der Flucht, wenn die »Vernunft« es gebot.206 Und das heißt für die Semantik der Furcht: Pfarrer und Ärzte, die flohen, wenn sie nur auf diese Weise dem sicheren Tod entgingen, entzogen sich nicht der Vorsehung Gottes, sondern taten, was seinem Willen entsprach: Sie legten keine knechtische Furcht an den Tag, sondern eine kindliche. Wann die eine vorlag, jedoch, und wann die andere, war im Einzelfall nicht leicht zu entscheiden. Am Ende stand auch hier nicht die Quantität, sondern die Qualität der Furcht zur Diskussion: Es war nicht die Furcht an sich auszutreiben, sondern lediglich die falsche; denn nur sie zeitigte die gefürchtete Krankheit. Wer das Befürchtete bekämpfen wollte, hatte die Furcht vor ihm zu besiegen: »bey der Pest« zu 205 Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 110 f. Näheres dazu unten in Kap. 5.2 und 5.3. 206 Zur Debatte über die Legitimität der Pestflucht vgl. Bergdolt, Die Pest, S. 34 f., 62; Otto Ulbricht, Einleitung. Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft, in: Die leidige Seuche, hg. v. dems., S. 1 – 63, hier 33 f., 37 f.; ders., Gelebter Glaube in Pestwellen 1580 – 1720, in: Im Zeichen der Krise, hg. v. Lehmann / Trepp, S. 159 – 188, insbes. 162 – 170. Ulbricht betont die Todesbereitschaft protestantischer Geistlicher im 17. Jahrhundert gegen die Hinweise auf die Flucht von Pastoren bei Hans-Friedrich Angel, Der religiöse Mensch in Katastrophenzeiten, Frankfurt a.M. 1996, S. 383, und Delumeau, Angst, S. 176 – 181. Diese Diskussion verfehlt insofern das Problem, als beide Kontrahenten die normativen Dimensionen ihrer Belegstellen übersehen. – Lang, Medizinische und theologische Erklärung, S. 141 f., erklärt die unterschiedlichen reformatorischen Positionen zur Pestflucht aus dem jeweiligen Verhältnis der Autoren zur zeitgenössischen Medizin: aus der Frage, ob sie lediglich übernatürliche oder auch natürliche Ursachen der Pest unterstellten. Damit unterbewertet er jedoch die religiösen Grundlagen »natürlicher« Erklärungen (dazu oben Anm. 199). Siehe auch Franz Mauelshagen, Pestepidemien im Europa der Frühen Neuzeit (1500 – 1800), in: Pest, hg. v. Meier, S. 237 – 265, hier 241, 245, 254, 256.
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lernen, »den Todt nicht zu furchten/ sondern frolich dahin zu sterben.«207 Und das heißt, umgekehrt formuliert: Gegen die Furcht vor der Pest half allein die »messige frewde/ darbey Gottes nicht vergessen wird«, die »vnzimliche vnchristliche frewde« dagegen, »als mit vnmenschlichem sauffen/ Bulen/ vnd andern dergleichen vnzimlichen sachen«, bewirkte das Gegenteil.208 Vor diesem Hintergrund besaß die Furcht (vor der Pest) im Wesentlichen drei Dimensionen. Zum ersten konnte sie von Gott gesandt sein als Gnadenmittel, als Prüfung der Frommen: als Furcht der Gottesfürchtigen, die sich mit der Pest nicht vor der göttlichen Strafe fürchteten, sondern vor dem, was Strafe verdiente. Timor filialis vermochte die Gefahr zu bannen. Zum zweiten: Pestangst flüsterte auch der Teufel ein, als Täuschung über die Wahrheit des göttlichen Wesens: als Furcht nicht vor der Sünde, sondern vor der Strafe, die sie nach sich zog. Timor servilis, mitunter, führte das Befürchtete, eben die Strafe, allererst herbei. Und damit, zum dritten, konnte Gott die Furcht selbst als Strafe verhängen. Dies ist der Forschung bisher entgangen. Diese Furcht war nicht nur die Furcht vor Bestrafung, sie war selbst die befürchtete Sanktion. Als solche erregte sie ihrerseits die Furcht der Menschen: »Schlimmer als die Pest selbst […] sei die Furcht davor«, zitiert Christian Sigismund Finger noch 1722 »ein allbekanntes, abgegriffenes Sprichwort«.209 Und 1681, zwei Jahre nach der großen Pest zu Wien, hielt der habsburgische Hofmedikus Johann Wilhelm Mannagetta fest: e e »Ausser Kriegsschrocken ist kein grosser Furcht/ als die/ so wegen der Pestilentz e e entstehet/ welche vielmahl grosser/ und schadlicher ist/ als die Pest selbsten/ e dann die so auß gahen Schrecken in die Pest fallen/ sterben gemeiniglich eher daran/ als andere/ so es durch anderwerts gefasten Zunder empfangen.«210 Wer
207 Johann Christoph Hahn, L²stin he¶kator Gottes Hand und Geissel/ Oder Warhaffte e Darstellung und Beschreibung der meisten denckwurdigen Pest=Seuchen und gifftigen Kranckheiten/ so von der heilwerthen Geburt JESU CHRISTI an/ biß zu diesen unsern e Zeiten/ sich hin und wieder in der Welt ereignet und begeben haben. Aus glaubwurdigen Historicis, Chronicis, alten Urkunden und Archiven zusammen getragen/ und so wol ChronologicÀ als auch HistoricÀ beschrieben, Leipzig 1681, S. 17. 208 Martin Pansa, Consilium Antipestiferum III. Das ist/ Ein getrewer Rath in gefehrlichen vnd gifftigen Sterbensleufften/ oder Pestilentzseuche. Darinnen anfenglich ein gar kurtzer vnd bewerter Proceß in wenig zeilen zubefinden/ wie solche Seuche zu vertreiben/ vnd wie gemeiniglich die jenigen der inficirten sterben/ die solchen Proceß nicht achten: Deße e e gleichen ob diese Seuche mehr Gottlich vnd vbernaturlich/ als naturlich sey. Wie man die Pestilentzischen Beulen vnd Blattern curiren vnd heilen sol: Vnd endlich was die e furnehmsten Errata der Medicorum sein in der Pestilentz Chur …, Leipzig 1604, S. 84. 209 Finger, Über den schädlichen Einfluss, S. 13. 210 Johann Wilhelm Mannagetta, Pest=Ordnung/ Oder der gantzen Gemein Nutzlicher Bericht und Gutacht/ Von der Eigenschafft und Ursachen/ der Pestilentz in Genere, Wie dieselbige zu erkennen/ auch mit was Maaß/ und Mittlen Jederman derselben vorzukome e e men/ sich dafur bewahren und hutten/ oder da sie einen angegriffen/ wiederumb konne außgetriben und geheylet werden, o. O. 1681, S. 32 – 34, zit. 32 f. Siehe auch S. 19 f.; dazu
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beachtet, dass für Mannagetta das Pestgift in einer »gleichsam Gottlichen Gewalt bestehe«,211 der kann schließen: Die Furcht vor der Furcht als Strafe nährte sich selbst – und die gefürchtete Pest. Die Beziehung zwischen beiden ist am Ende nicht mehr in den Kategorien von Ursache und (Wechsel-)Wirkung zu beschreiben. Pest und Furcht wurden letztlich identisch. Die Gleichsetzung findet sich implizit etwa bei Rivinus212 und explizit in einer der Pestpredigten des lutherischen Theologen Johann Quistorp: »Vnd mag billig die Furcht vnd das Schrecken mit vnter die Straffen gezehlet werden. e Denn wie ein frischer Muth/ das Vngluck/ das jhm vorstehet vnnd auff dem Halse liegt/ e leichter vnd geringer macht/ als wir sehen an Agag dem Konig der Amalekiter, siehet er e den Todt vor Augen/ dafur sich Fleisch vnd Blut entsetzet/ fasset er ein Hertz vnd gehet getrost dem Samuel entgengen [sic]/ vnd spricht: Also muß man des Todtes bitterkeit e vertreiben [1 Sam 15]. Also machet herkegen die Furcht vnd Kleinmutigkeit das e e Vngluck schwerer vnd grosser. Diese Straffe GOttes erfahren auch wir bey jtzigen e e zeiten/ da GOtt vns nur ein wenig/ wegen vnser vielfeltigen Sunden/ mit dem Vngluck der Pest heimsucht/ giebet er vns ein feiges vnd verzagtes Hertz/ dadurch das Vrtheil e viel grosser/ als es/ Gott sey danck/ an jhm selbst ist/ gemachet wird. Da ist bey vielen e ein solch zagen/ das sie vermeinen/ wenn sie nur die geringste Schwacheit fuhlen/ oder an andre/ sehen/ als sey es die Pestilentz. Weil den[n] nun diese Seuche ein Schrecken/ als eine andere neben Straffe/ mit sich bringet/ so gibt jhr der heilige Geist vnter andern e auch diesen Nahmen/ daß er sie ein Grawen/ vnd zwar ein nachtliches Grawen/ das den Menschen grawen vnd bange machet/ vnd Pfeile/ die des Tages fliehen/ davor ein jeglicher/ auff das er nicht beschediget werde/ auß dem wege leuffet/ nennet.«213 Werfring, Ursprung, S. 183. Wer sich die Pest »einbildet«, so Mannagetta, und wem es vor e ihr graust, der zieht ihr »ausserliches Gifft« auf sich. 211 Mannagetta, Pest=Ordnung, S. 2. Von der »Gewalt« der Pest spricht auch Kircher, e Durchgrundung, S. 80, in Bezug auf die »Phantasey oder Einbildung«, die die Pest fürchtet: S. 130. Die lateinischen Begriffe sind efficacia, potestas, energia und vis: ders., Scrutinium physico-medicum, S. 70, in Bezug auf die imaginatio: S. 110. 212 Rivinus, De peste, S. 41 f., zum Beleg der These, dass der Schrecken allein viele Myriaden Menschen zu töten vermag: »Qvod enim jam olim in Levit. c. 26. v. 16. Divinum Numen minatur peccatoribus perversis, id profectý in omni peste cognoscimus; videlicet justÀ nos punit DEUS, ut, qvi timorem Suæ Omnipotentiæ sprevimus malitiosÀ, strepitum folioli vento agitati, & si qvid levius esse potest, tremebundi reformidemus.« Mit Bezug auf 3 Mose 26.14 – 16: »Werdet ihr mir aber nicht gehorchen und nicht alle diese Gebote tun und werdet ihr meine Satzungen verachten und meine Rechte verwerfen, daß ihr nicht tut alle meine Gebote, und werdet ihr meinen Bund brechen, so will auch ich euch dieses tun: Ich will euch heimsuchen mit Schrecken, mit Auszehrung und Fieber, daß euch die Augen erlöschen und das Leben hinschwindet.« Dieser Schrecken war der Schrecken des erwachenden Gewissens: »Conscientia prava, ubi scelerum furiis agitatur, istum terrorem nobis incutit, qvippe qvæ meritam pænam [sic] omni momento imminere videt, non ausa sperare Divinæ Gratiæ ante neglectæ opem atqve solatium. Ad hæc cacodæmon mult¾m alacris non feriatur istum terrorem augere tm per spectrorum apparitionem, qvm veneficarum incantamenta.« e 213 Johann Quistorp, Quatuor Novissima Oder funff vnd funfftzig Predigten/ darin die e e e manniglich hochnotig zu wissende Lehre Vom Tod vnd Abesterben/ Von dem kunfftigen algemeinen Gericht/ Von der Hellen vnd Hellen Pein/ Von dem Ewigen Leben vnd Himmels
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Furcht und befürchtete Pest fielen in eins, die eine bezeichnete die andere. Die Pest, so der Leipziger Prediger Johann Christoph Hahn, brachte größere Schrecken als der Dreißigjährige Krieg, weil »sie zu iederzeit allerhand consternationes, imaginationes, varia symptomatum genera, Schreckbilder/ Einbile e dungen und seltzame Zufalle mit sich gefuhret/ die nicht zu beschreiben/ was e diese aber zur Pestzeit außrichten konnen/ ist bey den Medicis und Historicis zu ersehen«.214 Vermittels ihrer Furcht, heißt das, war die Pest ihre eigene Ursache und Wirkung zugleich. So begegnet die Furcht nicht lediglich als Strafe, sondern gar als deren gesteigerte Form – als qualvoller Affekt und weil sie ihren Gegenstand selbst bewirkt. Vor diesem Hintergrund wurde die Einheit von Furcht und Pest zur maßgeblichen Grundlage eines »contemptus mundi«. Bei Andreas Gryphius etwa, dem Dichter der vanitas, imaginieren »Angst« und »Furcht« vielfach keine konkreten Gegenstände, sondern beschreiben die Grundbefindlichkeit des Christen in der Welt; sie stehen für Not, Leid und schwere Plagen in der »Enge« der Sünde, sie sind Geißel Gottes wie die Pest. Die Überzeugung vom pathogenen Potential der Krankheitsfurcht findet sich nicht allein in medizinischen und theologischen Traktaten oder in den literarischen Schilderungen Daniel Defoes215 und Abrahams a Sancta Clara216 ; sie ist auch in personalen Selbstbeschreibungen omnipräsent, unabhängig von Stand, Konfession und Geschlecht.217 Thomas Platter d.Ä., um zunächst ein Beispiel aus
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Frewde/ verhandelt wird. Neben angehengten sechßzehen Predigten von der Pestilentz, Rostock 1629, S. 485 f. Hahn, L²stin he¶kator, S. 8; siehe auch S. 5 f., 188 – 190. Daniel Defoe, A Journal of the Plague Year : Being Observations or Memorials, Of the most Remarkable Occurrences, As well Publick as Private, Which happened in London During the last Great Visitation In 1665, London 1722; dt.: Die Pest zu London, Frankfurt a.M. 1976. Zu Defoe vgl. Leiser Madanes, Samuel Pepys und Daniel Defoe: Erzählungen über die Londoner Plage von 1665 als Relektüren des Hobbesschen Naturzustandes, in: Epochen/ Krankheiten. Konstellationen von Literatur und Pathologie, hg. v. Frank Degler / Christian Kohlroß, St. Ingbert 2006 (Das Wissen der Literatur 1), S. 187 – 198; Ulbricht, Pesterfahrung, S. 11, spricht dem Text als einer »Frühform des Romans« den Wert einer historischen Quelle ab. So auch Paul Slack, The Impact of the Plague in Tudor and Stuart England, London 1985, S. 242. Vgl. außerdem David Steel, Plague Writing: From Boccaccio to Camus, in: Journal of European Studies 11 (1981), S. 88 – 110, hier 91 ff. Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, S. 116 – 121, 129 f., 209. Hier ist die pathogene Krankheitsfurcht Teil einer Verkehrtheit der Welt, die, wie Heiner Boehncke gezeigt hat, in Abrahams rhetorischen Paradoxierungen ihre mimetische Abbildung findet: Heiner Boehncke, Die Pest. Sprachspiel und Sünde, in: Das Paradoxe. Literatur zwischen Logik und Rhetorik (Festschrift für Ralph-Rainer Wuthenow zum 70. Geburtstag), hg. v. Carolina Rohmahn / Gerold Schipper-Hönicke, Würzburg 1999, S. 152 – 172, hier 156 – 163. Grundlegend zu Abraham: Franz M. Eybl, Abraham a Sancta Clara. Vom Prediger zum Schriftsteller, Tübingen 1992 (Frühe Neuzeit 6), insbes. Kap. 4. Zur Pest in autobiographischen Texten vgl. auch Michael Stolberg, Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2003
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dem 16. Jahrhundert zu zitieren, berichtet in seiner Autobiographie: »Als wier nun bede trurig waren und min hußfrow nit mer wie vormals frölich [sin] und singen mocht, sprach der herr [Schulmeister zu Brunnentrutt]: ›Din wib ist nit mer frölich, und förchtet sich min wib, die will sy so trurig ist, min wib oder dine o mecht pestelentz (die dozmall zu Brunnendrutt regiert) ouch anstossen; ich o o riette dier, du furtest sy hinweg.‹ Das datt ich, furt sy gan Zürich«.218 Hier bannte der Gatte die Gefahr, indem er die furchtsame Gattin in Sicherheit brachte. Erasmus von Rotterdam dagegen, wie er sich erinnerte, hatte sich selbst retten können, ohne zu fliehen – durch Furchtlosigkeit. Nachdem er 1518 im Verdacht gestanden hatte, sich die Pest zugezogen zu haben, notierte er, glücklich genesen: »Wenn es Pest war, so habe ich sie durch Energie, Nichtbeachten und seelische Stärke vertrieben; denn häufig ist ein gut Teil Krankheit die Einbildung der Krankheit.«219 Davon ausgehend sucht der interessierte Leser nach Erinnerungen an eigene Krankheiten, die aus der Furcht vor ihr geboren waren. Sie sind rar, doch es gibt sie durchaus. Johann Dietz etwa, Feldscher des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, brachte »die Pest mit nach Hause«, als sie in Halle »gar sehr überhand nahm«, 1682, zur Zeit seiner Lehre; und er bekam sie nicht allein »durch vieles Einsammlen des Giftes« unter seinen »Kunden«, sondern »auch von Schröcken und Entsetzen« ob der verheerenden Wirkung der Seuche. Auch eine selbst gefertigte »Pestessenz« konnte nicht verhindern, dass er am Ende »angefangen zu rasen«.220 Darüber hinaus ist von zahlreichen Personen zu lesen, die in »Kummer«, Furcht und Angst lebensgefährlich erkrankten, Fehlgeburten erlitten oder unmittelbar getötet wurden – auch wenn der schreckenerregende Gegenstand in
S. 158 – 167; Andreas Herz, Die Pest in Selbstzeugnissen aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Gotts verhengnis, hg. v. Feuerstein-Herz, S. 49 – 57. 218 Thomas Platter, Lebensbeschreibung, hg. v. Alfred Hartmann, Basel 21999, S. 99. 219 Erasmus von Rotterdam an Beatus Rhenanus, um den 15. 10. 1518, in: Desiderius Erasmus, Briefe, hg. v. Walther Köhler, Darmstadt 1995, S. 207 – 219, hier 218. Für den Hinweis danke ich Gabriele Jancke (Berlin). Vgl. dazu auch Braun, Ephemerides, S. 127 und 129, der die Ausbreitung der Krankheit auf den ekelerregenden Anblick der verschmutzten Stadt zurückführt: »Nec satis habuit Justi vindicis Dei ira his quotidianis belli motibus mortalium ulcisci crimina, quasi quodam flagello Accessit et pestilens lues commune malum intra muros inprimis, quod supra modum platearum foeda illuvies et foetor intollerabilis non solum movit, sed et auxit. […] Ea colluvie mistorum omnis generis animantium, et odore insolito oppidanos et agrestem cum familia confertum in arcta et impura texta æstuet vigiliis angebat: ministeriaque invicem contagio et foeda oppidi lutulenti facies vulgabant morbos.« 220 Johann Dietz, Mein Lebenslauf, hg. v. Friedhelm Kemp, München 1966 (Lebensläufe. Biographien, Erinnerungen, Briefe 6), S. 22. Lohnend dürfte hier eine systematische Analyse von Patientenbriefen sein; vgl. dazu: Krankheit in Briefen im deutschen und französischen Sprachraum, 17. – 21. Jahrhundert, hg. v. Martin Dinges / Vincent Barras, Stuttgart 2007 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 29).
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diesen Fällen keine Krankheit war ;221 und es finden sich Erinnerungen an eigene Gefährdungen dieser Art. Auch dazu einige Beispiele. Zunächst noch einmal Johann Dietz. Wiederholt verursachten ihm »Schrecken und Alteration das hitzige Fieber, so heftig, daß ich auch gleich die erstere Nacht anfangen zu rasen, und das so fort.«222 Auch Seereisen bargen einschlägige Gefahren: Auf seiner Fahrt Richtung »Nordpol« warf »die Gewalt des Windes und der Wellen« Eisschollen an die Wand des Schiffes, und Dietz, »von dem großen Schreck, Angst und Alteration, so mir in den Darmen geschlagen«, bekam »erschröcklichen Schmerz, daß ich nicht wusste, was ich anfangen sollte.«223 Als er einen Uhu für den Teufel hielt, brachte ihn der Schrecken ins Krankenbett, im Falle eines Adlers gar direkt an den Rand des Todes.224 Ähnlich bedrohlich waren Gespenster. Eines Nachts hörte Dietz »ein grausam Tornieren« 221 Ramsler, Lebens- und Leidensweg, S. 70: »Im folgenden Jahr 1675 den 14ten Julii überfiele mich eine trübe Wolcke, als ich Nachmittag zwischen 4 und 5 Uhr von einem starcken Cathar, der mich mit einem großen Frost angegriffen, ins Bett geworfen wurde und mir alßo schmertzlich zusetzte, daß ich kaum mehr Athem hohlen konnte. Meine schwangere Haußfrau ist bey so ohnversehenem Fall alßo erschrocken, daß sie vor der Zeit 2er Knäblen (Zwillinge) geneßen, welche alß noch ohnzeittig wegen Schwachheit von mir auf dem Bette müßen getauft werden, darauf das eine in 2en Stunden, hernach das andere folgenden Tags früeh morgens seelig abgeleibt«. Außerdem: Sebastian Bürster, Beschreibung des schwedischen Krieges 1630 – 1647, hg. v. Friedrich von Weech, Leipzig 1875, S. 38 (31. 12. 1633); [Johannes Cervinus,] Wetterfelder Chronik. Aufzeichnungen eines luth. Pfarrers der Wetterau, welcher den dreißigjährigen Krieg von Anfang bis Ende miterlebt hat, hg., erkl. und erl. v. Friedrich Graf zu Solms-Laubach / Wilhelm Matthaei, Gießen 1882, S. 89 f.; vgl. auch S. 42; Wilhelm Rave, Das Stammbuch des Georg Rave, in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 95 (1939), S. 1 – 44, hier 10; das Denckh Buechlin der Dominikanernonne Verena Reiterin, in: Luzian Reich, Eine Farbenskizze aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, in: Badenia oder das badische Land und Volk 1 (1859), S. 500 – 527, hier 515. Minck, Bieberauer Chronik, S. 280: »Den 11. Februarii [1651], zu Nacht um 11 Uhr, ließ sich ein jämmerliches Schreien gegen dem Kirchhof her hören, so zu zweien unterschiedenen Malen, etwa ein Viertelstund voneinander, jedesmal aber drei Geschrei in tono acuto, tractabili et tremulo, gar eigentlich und vernehmlich durch alle umb die Kirch herumb, auch von denen, so ziemlich [weit] davon gewohnet – als dem Schulmeister im Pfarrhaus, dem Caplan in der Caplanei, so darüber aus dem Schlaf erwacht, dem Diether Simon, Henrich Simon, Peter Daaben, Hans Funcken und von mir und allen den Meinen –, nicht ohne Grauen und Schrecken gehöret worden. Gott ist die Deutung bekannt, derselbe sei uns gnädig und barmherzig. NB: Hans Balthasar Lautenschlager, Bender zu [Niedern-]Hausen, lag damalen todkrank, starb den dritten Tag nach solchem Geschrei, daher etliche wollen judiciren, daß es ihnen bedeutet.« – Der unmittelbare, plötzliche Tod im Schrecken findet sich auch in den Schriften der Mediziner, etwa bei Donati, De Medica Historia Mirabili, Bl. 186v, 187v, und Rivinus, De peste, S. 40, mit physiologischer Erklärung: »etenim videntur in terrore spiritus vel planÀ dissipari, si nimius sit, vel tant¾m retrocedere; qvando planÀ dissipantur, mors in momento præsens est«. Siehe darüber hinaus unten Anm. 233. 222 Dietz, Mein Lebenslauf, S. 28; ähnlich auch S. 16. 223 Ders., Mein Lebenslauf, S. 138. 224 Ders., Mein Lebenslauf, S. 25, 144.
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und »Gepolter im Haus«. »Ich schwitzte vor Angst«, gab er unumwunden zu, »und wusste nicht, was ich machen sollte.« Seine Magd ließ sich von der Erscheinung nicht schrecken (»Je, Herr Vetter, sei Er doch stille, es wird Ihm nichts thun«), doch Dietz war nicht zu beruhigen: »Ach, Frau Muhme, ich weiß nicht, ob der Teufel oder seine Großmutter im Hause ist.« Die Furcht vor dem Leibhaftigen in den eigenen vier Wänden schien dem Autobiographen auch im Rückblick keineswegs ehrenrührig; denn »wem sollte nicht Angst sein, wenn zu Mitternacht, ohne Licht, das Gespenste so die Thüre aufprellet und über ihm schnaubet wie ein Ochse, wenn es auch gleich der beherzteste Mensch von der Welt wäre?« Auch hier war das Schlimmste zu befürchten: »ich könnte den Tod von’n Schrecken haben.«225 Und das Problem betraf nicht den Verfasser allein. Dietz sah andere Menschen sterben, »von Gespenstern, Geistern und Bären erschröcklich geplaget«;226 und sein drittes Kind trank an der Brust der Mutter deren »Schrecken und Alteration« vom Begräbnis des zweiten, bekam die »böse Seuche« und verstarb.227 In Kriegsgebieten kam vermehrt die Furcht vor dem Tod durch soldatische Gewalt hinzu. Auch wenn diese Gewalt von der Furcht vor ihr durchaus qualitativ 225 Ders., Mein Lebenslauf, S. 35 f. Auch Höchstetter wusste von dieser Gefahr ; er berichtet von einer Jungfrau, die sich im Erschrecken über eine Gespenstererscheinung die Pest zuzog und verstarb: Höchstetter, Rarae observationes medicinales, S. 47 f. Weitere Beschreibungen von Gespensterfurcht bei Hans Ludwig Nehrlich, Erlebnisse eines frommen Handwerkers im späten 17. Jahrhundert, in Verb. mit dem Archiv der Franckeschen Stiftungen zu Halle hg. v. Rainer Lächele, Tübingen 1997 (Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien 1), S. 85 f. (wo die gespenstische Erscheinung ein Unglück prophezeiendes und bewirkendes Potential erhält); Johannes Bozenhart, Schicksale des Klosters Elchingen und seiner Umgebung in der Zeit des dreissigjährigen Krieges (1629 – 1645). Aus dem Tagebuche des P. Johannes Bozenhart, hg. v. P.L. Brunner, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 3 (1876), S. 157 – 282, hier 261; Bürster, Beschreibung des schwedischen Krieges, S. 114; Andreae, Autobiographie, Buch 4, S. 246/247; Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus von Miehlen aus den Jahren 1636/37. Im Auszug mitgeteilt von Ferdinand Heymach, in: Nassauische Annalen 38 (1908), S. 255 – 285, hier 259, 272; Ramsler, Lebens- und Leidensweg, S. 42 f. Zum frühneuzeitlichen Gespensterglauben vgl. Miriam Rieger, Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2011 (FriedensteinForschungen 9), sowie die einschlägigen Beiträge in: Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien, hg. v. Moritz Baßler / Bettina Gruber / Martina Wagner-Egelhaaf, Würzburg 2005; Gespenster und Politik. 16. bis 21. Jahrhundert, hg. v. Claire Gantet / Fabrice d’Almeida, München 2007. Zu Gespensterfurcht bei Grimmelshausen unten Kap. 5.4. 226 Dietz, Mein Lebenslauf, S. 123. 227 Ders., Mein Lebenslauf, S. 194. Weiteres zu Dietz unten in Abschnitt 4. Die Augsburger Pest von 1628 konnten die Stadtbewohner auf die Angst vor einem Gespenst zurückführen, mit dem Hinweis auf das Sprichwort »Grosser Schröckhen bringt den Tod«: Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, Göttingen 1989 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 37), Bd. 2, S. 642.
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unterschieden werden konnte – Christoph von Bismarck etwa berichtet, dass brandenburgische Soldaten »durchgezogen [waren] ohne einige Effekten, als daß Anfangs groß Schrecken verursacht worden« –,228 so erschien den Zeitgenossen doch in aller Regel die Furcht vor Gewalt nicht minder gewaltsam als die Gewalt, die zu fürchten stand. Unter den Erzählungen, wie sie sich – neben der Traktatliteratur229 – in autobiographischen und chronikalischen Texten230 sowie 228 Das Tagebuch des Christoph von Bismarck aus den Jahren 1625 – 1640. Mitgeteilt v. Georg Schmidt, in: Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 5 (1915), S. 67 – 98, hier 91. 229 Georg Ernst Stahl / Johannes Jacob Reich, De passionibus animi corpus humanum varie alternantibus, Halle a. d. S. / Magdeburg 1685, These 26, S. 11; dt.: Georg Ernst Stahl, Über den mannigfaltigen Einfluß von Gemütsbewegungen auf den menschlichen Körper, Halle a. d. S. 1695, übers. und erl. v. Bernhard Josef Gottlieb, Leipzig 1961. 230 Erich von Reeken, Handschriftliche Aufzeichnungen des Emder Predigers Menso Altings und seines Sohnes, des Professors der Theologie Dr. Heinrich Alting, in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familien- und Wappenkunde 24 (1975), S. 1 – 24, hier 12 (Eintrag von Heinrich Alting): »Am 20. [Juni 1622] – es war ein Dienstag – zwischen 3 und 4 Uhr morgens starb meine Schwiegermutter, im Fieber liegend, einen sehr ruhigen Tod. Es war ein unbegründetes Gerücht (?) über einen feindlichen Einbruch aufgekommen.« Sigmund von Birken, Prosapia/Biographia, hg. v. Dietrich Jöns / Hartmut Laufhütte (Werke und Korrespondenz 14), Tübingen 1988 (Neudrucke deutscher Literaturwerke, N.F. 41), Bl. 18v – 19v, berichtet, dass seine Frau »durch den natürlichen Tod, von meiner Seiten hinweggerucket, und der Seele nach zu ihrem seelig=vorangewichenen Hans=Conradlein in das ewige Freudenleben versetzet, ja von grossem und übergrossem Unglück zu der allerbetrübtesten, gefährlichsten mühseeligsten Zeit, da es so gar greulich und entsetzlich in allen Ständen und Regimenten zustehet, wie leider itzo vor Augen und frommen Herzen, nach Christi Profezey, recht angst und bang wird, weggeraffet. […] In margine. Daß die unheilbare Wassersucht bey meiner seel[igen] so gar unvermerkt eingeschlichen, hat nicht wenig darzu geholffen das vielfältige Schrecken, so sie zum Wildstein bey den plötzlichen Durchzügen und Einquartirungen des Kriegsvolks zum öfftern und zwar in 3. Kindelbetten eingenommen und vielleicht darauf schnell mag getrunken haben«. Burger, Itinerarium, Cistercienser-Chronik 43, S. 290: »In disem Jahr [1635] ist Fr. Nivardus Hag, ein junger Profeß, als er sein Muetter zu Thann im Elsaß heimbsuechen wolt, nit weit von Ensisheimb, unter ein Companey Grabaten geraten, die ihn auch zuem Theil ausgeplündert und also erschröckt, daß er erkrancket, e[h]e daß er ganz gen Thann khommen, und sein Muetter zu ihm auffs Feld hatt müessen abgeholt werden.« Johann Heinrich Büttner berichtet (in: Hanna Kappus-Mulsow, Trübe Jahre im Ried nach dem ältesten Kirchenbuch Altenheims, in: Die Ortenau. Mitteilungen des Historischen Vereins für Mittelbaden 14 [1927], S. 140 – 154, hier 151): »1690 den 14. Mai starb Michael Schäffer, der ledige Gesell, an der hitzigen Krankheit, durch den großen Schreck der Husaren am Ostermontag verursachet, als die bis an den Zuber, darin man die Ostereier las, unvermerket kommen sind und auf die Stubbühn nachfolgten.« Willi Koch, Aus dem Tagebuch des Conrectors und nachmaligen Bürgermeister Johann Cuno, Haldensleben (1630 – 1684), in: Jahresschrift des Kreismuseums Haldensleben 3 (1962), S. 32 – 45, hier 36: »Durch das Fenster der großen Stube warfen sie das Eisen von einem Streithammer hinein, der auf das Bett fiel, in dem Mutter und Kind lagen. Wie leicht hätte es geschehen können, daß beide an Leib und Leben verletzt worden wären. Durch diese Schrecken ist die Krankheit der Mutter, die schon vor der Geburt das Fieber hatte, noch ärger geworden. Sie hat das Kind nicht säugen können, und weil keine Amme aufzutreiben war, mußte es von einer Frau zur
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anderen getragen werden, bis die Mutter wieder zu sich selbst kam. Jeder mag selbst ermessen, was das für ein Hauskreuz war.« Haidenbucher, Geschicht Buech, Bl. 120a: »weil gott d’ allmechtig nach Seinem göttlichen willen. aus schrökhen vnd Furcht. dise Frumbe gott sellige frau [Sibila von Ruestorff] mit einer hizigen khranchet heimb gesuecht. vnd von disem zergenckhlichen Löben. ab gefodert. vnd nach aus gestandter khranchet wölche Sy¨ mit hegster gedult gelitten. nach empfachung aller hl: S¼c : in gott selligkhlich ent schlafen.« Junius, Verzeignuß, S. 208: »Dinstag den 22. [August 1634] haben die vorcheimer soltatten gar vil vy von franckenland her nacher Bamberg Bracht/ diese 25 wochen so die schweden auff das mahl Bey uns gewessen seint/ hat man in der statt Bamberg mehr als die 1600 menschen begraben/ welche nuhr wegen grosses schreckens trübsahl und hungers gestorben seint«. Nicht metaphorisch zu verstehen ist es daher, dass ein auswärtiger Priester »vor schrecken halb todt gewessen« sei (S. 40, mit der Aufforderung, den Mut nicht zu verlieren, obwohl jene, die ihn aufforderte, selbst voller Angst war). Friedrich Hoppe, Johann Georg Mauls Diarium aus dem Dreißigjährigen Kriege, Naumburg a. d. S. 1928, S. 6: »… da ich vor beständigem Schrecken krank geworden war, habe ich vieles nicht aufgeschrieben.« Fritz Wirth, Das Leben von Johann Sebastian Mitternacht, in: Blätter für Heimatkunde für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt und Thüringen 1928, S. 49 – 51, hier 50: »Weiter fielen ich und mein arm Weib acht Tag nach Michael selbigen Jahres zugleich nach grossen Schrekken bei einer Nacht Plünderung in ein hitzig Fieber und andere Zufälle, darvon mir Gottes Gnade endlich wieder auffhalf. Aber mein seelig Weib mußte die Schuld der Natur bezahlen, welches am 12. Nov. 1640 geschah.« Mallinger, Tagbücher, S. 545: »Die Soldaten aber in alle Orth rottenweiß eingefallen und allein die Ären obenher abgeschnitten, gantze Kärren und Säck voll hinweg gefiehrt. Andere haben die Ären gleich mitten im Acker außgetrost und zehenmal mehr verderbt, weder sie ihnen zuo Nutz gemacht. Welches die arme Leüth in solche Armuot, Angst und Nodt gebracht, daß sie vor grosem Hunger und Kummer erkrancket, erstlich das Hauptwee, die abschewlich Pest, und andere Ungelegenhaiten bekommen, daß darvon vil 1000 und, wil nit sagen, wievil 1000 von dem Feind jämerlich sind erschlagen worden, daß noch kaum der halbe Thail uberbliben und darvon kommen ist. […] Da solches Blinderen gar nit hat wöllen nachlassen, haben sich die arme Burger und Underthonen, Reiche und Arme, Gaistliche und Weltliche, Edle und Unedle, Gelehrte und Ungelehrte, angefangen heftig zuo bekümmeren, melancolisch zuo werden, vil sinnloß worden und in große, schwäre Kranckheit gefallen, erstlich das Hauptwee bekommen, doran etlich 100 gestorben, auch vil wider aufkommen. Auf den Spätling ist die vergifte Pest eingerissen, welche etlich 1000 jung und alte Personen hat hingenommen.« F. Winter, [Jacob] Möser’s Aufzeichnungen über den dreißigjährigen Krieg, in: Geschichts-Blätter für Stadt und Land Magdeburg. Mittheilungen des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde des Herzogthums und Erzstifts Magdeburg 9 (1874), S. 11 – 69 und 165 – 220, hier 50: Als ein schottischer Reiter während des Gottesdienstes in eine Kirche stürmte, gerieten die Leute in Schrecken, »darunter auch eine adelige Wittwe, eine Crosigken von selbigem Hause, so Georg Ernst Lampen gehabt, gewesen, welche auch bald hernach allhier wegen solchen Schreckens gestorben und den 3. März begraben worden«. Die Reichenbacher Chronik (1599 – 1620) des Pfarrers Martin Walther, in: Südhessische Chroniken aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, bearb. v. Rudolf Kunz / Willy Lizalek, Heppenheim 1983 (Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Sonderband 6), S. 7 – 126, hier 126: »Als Montags, genannt Gailmontag (= Rosen-), den 5. Februarii, zu Abend 7 bezechte Soldaten von Bensheim herauf hiedurch nach Raidelbach, da sie ihr Quartier hatten, ritten und in Hanß Scharschmidts, des Schultheißen, Hofstatt und Hause ein Tumult anfingen, von dem sie gewalttätiger Weis andere Quartier begehrten, daß man Sturm geschlagen und die ganze Gemein ad defensionem (= zur Gegenwehr) zuhauf kommen, ist in solchem Rumor Margret, Philipps Schöffers schwanger Weib, also erschröcket worden, daß ihr die Leibesfrucht – puella (= ein
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in den Personalteilen von Leichenpredigten231 finden, ist der des lutherischen Hofrats und Amtsschössers Volkmar Happe besonders detailliert; er schildert den frühen Tod seines ersten, im Jahre 1618 geborenen Sohnes. Im Herbst 1636, so Happe, hatte »die Pest zu Frankenhausen starck zu grassiren angefangen«; Johann Andreas, der sich zu dieser Zeit dort aufhielt, hatte der Vater »in der Gefahr nicht lassen wollen«, und so nahm er ihn zu sich nach Ebeleben. »Aber es ist leider übel gerathen«: Zweimal fielen die Schweden in Ebeleben ein, als sie die Kaiserlichen und Kurfürstlichen verfolgten, die sie bei Wittstock geschlagen hatten, und so wurden »das Schloss und Dorf elendiglich ausgeplündert und Töchterlein) – mit Tod abgangen«. Georg Gaisser, Tagebücher, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, hg. v. Mone, Bd. 2, S. 159 – 528, hier 212a, 311b. Heberle, Zeytregister, S. 252 und 257 (mit Verweis auf Merians Theatrum Europaeum). – Es war offensichtlich insbesondere der »Schrecken«, der unmittelbar zum Tod führen konnte (und weniger »Furcht« oder »Angst«): angesichts dessen, dass er als »göttliches Verhängniß oder Gericht« erschien (Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1113), in seiner Plötzlichkeit Reflexion und Imagination ausgeschaltet waren und ihm eine mental dislozierende Kraft zugesprochen wurde (Gentzken, De passionibus, S. 62). Vgl. dazu oben Kap. 3.7 und unten Anm. 236. Unabhängig davon jedoch erscheint auch hier der Schrecken vielfach als Synonym von Furcht und Angst. e e 231 Nur zwei Beispiele: Nicolaus Stenger, Rechtglaubiger Gottfurchtiger Hertzen Sichere Ruhe/ und ruhige Sicherheit mit Davids Exempel aus dessen Worten Psalm 4. v. 9. Ich lige und schlaffe gantz mit Frieden/ etc. in einer christlichen Predigt bey ansehnlicher LeichBestattung der Weiland WohlEdlen und Tugendreichen Frauen Marien Ernstin/ geborner Zieglerin/ Am Sonn= und Fest=Tage der Hochheiligen DreyEinigkeit/ War der 10. Junij des e 1666sten Jahrs […], bewiesen und erklaret, Erfurt 1666, o.P.: »Allermassen sie auch über das alles in Anno 1660. eine sehr schmertzliche und bittere Creutz=Angst bey damalig e entstandener grossen FeursBrunst erfahren mussen/ in dem nicht allein das beste Theil e e ihres zeitlichen Vermogens im Feur und Rauch jammerlich dahin gefahren und aufgangen: e e Sondern ihr auch wegen grossen Schreckens und Angst daruber fast alle LebensKraffte e e dermassen geschwachet worden/ daß mann dieses von solcher Zeit an taglich mercken und e e spuhren konnen«. Ders., Christianum moriendum Desiderium [=] Christliche Sterbens e Begierde/ auß dem Spruchlein Pauli Philip. I. V. 23. Ich habe Lust abzuscheiden/ etc. In einer e Schrifftmassigen Predigt Bey Leich Bestattung Der weiland Edlen/ und Viel Ehrn=Tugendreichen Frawen Annae Margarethae/ Geborner Utzbergerin/ Deß Ehrnvehsten vnd e Wohlgelarten Herrn Johannis Apfelstadts beyder Rechten Candidati, gewesenen hertzgee liebten HaußEhre […]/ am 22. Augusti deß 1649. Jahres […] Erklaret …, Erfurt 1649, o.P.: Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sich Anna Margaretha Apfelstädt zunächst »gar bey guter Leibes Gesundheit befunden: auch an Continuation deroselben verhoffentlich nicht zu zweifeln gewesen were/ wo nicht am darauff folgenden Montage ein Soldat gegen Abend e ümb 4. Uhr 2. über alle Mas harte Mußqueten Schuß unter der Wohnstube auß Frevel gelost hette/ worauff sie alsobald dermassen erschrocken/ dass sie nicht gewust ob sie in= oder außer der Haut sey/ worzu geschwinde ein hitzig Fieber geschlagen/ so eine Verwirrung deß e Haupts causiret, und obwohl die Ehrenveste und Hochgelarte Herr Doctor Wolffgangus e Crusius, und Herr Paul Juch/ beyde berumbte Medici, gar bald Anfangs alß solches herauß gebrochen/ an Verordnung guter Medicamenten, fleissiger Besuchung/ Labsal und e e e Starckung es nicht ermangeln lassen/ die Patientin alß eine gedultige CreutzTragerin auch darinnen willig gefolget und gerne gebraucht was ihr eingegeben worden/ so hat doch alles nichts fruchten noch helffen wollen/ sondern die Schwachheit und der Affectus je mehr und e mehr uberhand genommen.«
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übel tyrannisiret«. Auch Johann Andreas geriet, wie der Vater berichtet, in ihre Hände. Beim zweiten Überfall »von den feindlichen Schweden auf dem Schlosse Ebeleben ertappet«, wurde er »ausgezogen und mit Pistohlen also tractiret, dass kein Wunder were, er were vor Angst gestorben, hat mit etzliche hundert Gülden Werth verlohren, so er bey sich gehabt. Hierzu ist noch das große Unglück kommen, dass, als ich ihn zu Mühlhausen, dahin wir uns damals in großer Betrübnis flüchtig zu Fuße nacket und bloß reteriren müssen, wieder gekleidet und nebst zweyen Soldaten zur Convoi wieder nach Frankenhausen geschicket, er bey Schlotheim von etzlichen Raubvögeln angefallen, mit Gewalt vom Pferde geworfen und ihme alles wieder genommen worden. Durch welche beyde grausame Feindseligkeiten er also erschrecket worden, dass zu seiner Leibes Beschwehrunge die Wasser- und Schwindsucht geschlagen, also dass er von selbiger Zeit an nicht eine eintzige Stunde gesund gewesen, und sind diese Unthaten nicht die geringste Uhrsachen seines frühzeitigen Todes, wie ich ihn den[n] auch kranck von Frankenhausen anhero nach Ebeleben bringen lassen müssen. Als er anhero kommen, hat er groß Verlangen gehabt, sich in die Kirche zu den Beichtstuhl zu begeben und mit seinem lieben Gott sich zu versöhnen. Als es aber Leibes Schwachheit halber nicht sein können, hat ihm der Herr Pfarr alhier, Valentinus Buelius, in meiner Behausunge Beicht gehöret, von Sünden absolviret und ihme das hochwürdige Abendmahl gereichet. Das ist geschehen den […] September anno 1637. Hierauf hat seine Kranckheit sich täglich gemehret, also dass er gantz verdorret. Darbey ist er aber gar gottesfürchtig und geduldig gewesen, hat fleißig gebetet und sich in des lieben Gottes gnädigen Willen zu leben und zu sterben ergeben.«232
Auch Clara Staiger, Priorin des Augustinerinnenklosters Mariastein, wusste zu erzählen, das manche über dem »jämerliche[n] grosse[n] schreckhen […] ab Dem Schüessen schreyen und lauffen […] erkranckt« oder gar verstorben waren.233 Doch nicht nur das: Darüber hinaus bekannte sie ihre eigene Angst, die sie verspürt hatte, als die Schweden unter Bernhard von Weimar im Mai 1633 das Kloster plünderten, während sie sich mit ihren Mitschwestern in der Willibaldsburg oberhalb von Eichstätt in Sicherheit gebracht hatte: »laider die wolverdiente straff gottes haben mir mit grosen todts engsten müessen außsteen/ das schloß wirt vom feindt zu öfftern mal abgefordert«. Diese Todesangst hatte besondere Folgen: »Was untter werentem Acord für angst und noth untter uns 232 Volkmar Happe, Chronicon Thuringiae, hg. v. Hans Medick / Norbert Winnige / Andreas Bähr, in: Mitteldeutsche Selbstzeugnisse aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, hg. v. Hans Medick / Norbert Winnige, unter Mitarbeit von Andreas Bähr / Holger Berg / Thomas Rokahr / Bernd Warlich, URL: http://www.mdsz.thulb.unijena.de/happe/quelle.php, 11/2008 [30. 11. 2012], Teil II, Bl. 174r – 177v. Vgl. auch Teil I, Bl. 203r : »Anno 1635, als die Sperreuterische Armee in die Grafschaft Schwartzburg kommen und eine Compag[n]i Reuter mit Gewalt Quartier nehmen wollen, darüber ein großer Tumult entstanden, ist meine Hausfrau so erschrecket worden, dass ihr wieder ungrade gangen.« 233 Staiger, Verzaichnus, Bl. 525.
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geweßen ist unmüglich zu beschreiben dan jetliche irs lebens und ehrn geforchten thails wollten ir flucht nach ingolstatt thails zu s. Walburgen und etliche in unser closter nehmen. ich bin so hart geengstiget worden/ das ich vermaint/ es wert mir leib und leben ja sogar die vernunfft kosten dan nymant den außgang gewist«.234 Clara Staiger befürchtete, dass ihre Furcht vor dem Tod sie töten würde; doch was noch gravierender schien: Angesichts der (für die Furcht konstitutiven) Ungewissheit der Lage235 musste sie befürchten, in der Furcht um ihr Leben nicht nur das Leben zu verlieren, sondern zuvor den Verstand; auch andere waren, wie die Priorin hatte beobachten können, in ihrer Angst vor den Soldaten »in gemüet […] zertrent und laider nit geweßen/ wies sein solt«.236 Dietz und Junius war es bekannt und auch Clara Staiger hätte bestätigen können: Wen diese Angst befiel, der wusste nicht mehr, »was zuthun oder zulassen« (um es mit Schottelius zu sagen),237 oder es traf ihn noch schlimmer : »Wunderbarliche Paroxismi«, notierte der lutherische Pfarrer Johannes Plebanus in seinem Tagebuch, hatten bewirkt, dass er »prae nimio angore et solicitudine nicht gewusst, wo und wer ich sey« (und so hatten sie ihn des Vermögens beraubt, seine Angst zu beobachten und zu notieren).238 Wen derartige Angst befiel, der geriet am Ende gar in »Raserei«. Wo die »grosen todts engste« als »wolverdiente straff gottes« erschienen, dort konnte Furcht nicht allein Krankheit und Tod des Körpers, sondern auch der Seele mit sich bringen. Eine Furcht, die das Seelenheil im Jenseits gefährdete, »kostete« mitunter bereits hier und jetzt die »vernunfft«. Die Furcht vor dem Verlust des Verstandes in der Furcht fürchtete die Desintegration der eigenen Person; und als solche war sie verbunden mit der Furcht vor einem »bösen Tod«. In zeitgenössischen Todesmitteilungen wurde regelmäßig festgehalten, ob eine Person »bei guter Vernunft« verstorben war :239 noch befähigt zur Buße und zum Empfang der Sakramente. Pest und Krieg – dies ließ sie als so bedrohlich erscheinen – brachten einen »plötzlichen«, einen unvorbereiteten Tod (mors improvisa), der nicht lediglich den Körper ereilte, sondern vor allem die Seele.240 234 Dies., Verzaichnus, Bl. 80 f. 235 Die Ungewissheit als Grundlage von Angst findet sich auch bei Dietz, Mein Lebenslauf, S. 57. 236 Staiger, Verzaichnus, Bl. 357. Zu Staiger vgl. Kormann, Ich, Welt und Gott, Kap. II.B.2; Geoff Mortimer, Eyewitness Accounts of the Thirty Years War 1618 – 48, Basingstoke, Hampshire / New York 2002, S. 96 – 111, 180 f.; Charlotte Woodford, Nuns as Historians in Early Modern Germany, Oxford 2002, insbes. S. 106 – 116, 125 – 143. 237 Schottelius, Ethica, S. 221; Junius, Verzeignuß, S. 29, 34, 57 f., 74, 156; vgl. auch S. 44. Derart Geängstigte waren jedem Angriff schutzlos ausgeliefert, Zivilpersonen und Soldaten gleichermaßen: S. 57 f., 74. Für »klainmüetige« Soldaten siehe auch Mallinger, Tagbücher, S. 551. 238 Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus, hg. v. Heymach, S. 281. Dazu auch unten Kap. 5.2. 239 So auch bei Staiger, Verzaichnus, Bl. 223, 234; vgl. Bl. 171, 203, 425. 240 Vgl. von Krusenstjern, Seliges Sterben.
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Der Verstandesverlust im Schrecken, den Clara Staiger kommen sah, erschien als eine Form des plötzlichen Todes, als ein seelischer vor dem körperlichen, der im Wissen um die Gefährdung des Seelenheils eintreten konnte und der auf diese Weise selbst das Seelenheil in Gefahr brachte: der eintreten konnte im Wissen um seine eigene Möglichkeit. Wovon Clara Staiger selbst am Ende verschont worden war, das hatte Balthasar Kleinschroth in der Zeit der Belagerung Wiens durch die Osmanen im Jahre 1683 zu erleiden. Kleinschroth, Weltpriester und Präfekt der Sängerknabenschule im Zisterzienserstift Heiligenkreuz, berichtet in seinem Tagebuch unter dem 13. August: »Schon vor etlichen dagen hab ich in den linckhen fueß schmerzen gefüllet. Absonderlich wan ich lang gesessen bin, haben mir die sponadern [Krampfadern] oder nerven wollen zu kurz werden. Letzlich hab ich bey der taffel in die läng nit könen verbleiben sitzen, sondern habe müessen mit gnädigster erlaubnuß des herrn praelaten von der taffel hinwegg gehen und wuste nicht, waß mir wäre. Besorgte mich sehr, eß möchte der eingenohmbene schrockhen und meine alte schwachheit, aniezo herauß brechen.«241
Wiederholt befürchtete Kleinschroth, die Furcht und der Schrecken, die er auf der Flucht vor den osmanischen Truppen ausgestanden hatte, könnten sich auf seine Gesundheit auswirken: »Vnd eß sieht mirs keiner an, was ich dise Zeit gelitten hab, ich förchte lauter, ich werde noch disen Schrockhen vnd die grossen 241 Balthasar Kleinschroth, Flucht und Zuflucht. Das Tagebuch des Priesters Balthasar Kleinschroth aus dem Türkenjahr 1683, hg. v. P. Hermann Watzl S.O. Cist., Graz / Köln 2 1983 (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 8), S. 179. Die Handschrift befindet sich im Archiv des Klosters Heiligenkreuz (Rubr. 3 / Fasc. V). Die Vorrede (Bl. 2r – 4v), der Bericht über Kleinschroths Erkrankung in Kremsmünster (Bl. 204r – 215v) sowie ein umfangreicher Teil, in dem Kleinschroth neben seiner Reise von Wien nach Hall in Tirol die tödliche Erkrankung des Chorknaben Anton Liedtmayr beschreibt (Bl. 249v – 319v), sind bisher nicht ediert worden, liegen jedoch als von Watzl angefertigte Transkription im Klosterarchiv vor. Mein Dank gilt Stiftsarchivar P. Dr. Alberich Strommer, der mir das Typoskript zur Verfügung gestellt hat. Offensichtliche Fehler in Watzls Transkription habe ich anhand des Originalmanuskripts korrigiert. Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen weist das Typoskript insbesondere bei Groß- und Kleinschreibung auf. Da diese jedoch aus praktischen Gründen bisher nicht vollständig überprüft werden konnte und die Handschrift zudem eine zweifelsfreie Entscheidung vielfach nicht erlaubt, wurde die Groß- und Kleinschreibung für die vorliegende Studie modernisiert – im Gegensatz zur publizierten Edition, in der Watzl, von Satzanfängen und Namen abgesehen, durchgängig Kleinschreibung gewählt hat. Der Kurztitel »Tagebuch« zitiert im Folgenden die Edition, das Kürzel »Flucht und Zueflucht« das Originalmanuskript, das überschrieben ist mit »Flucht und Zuefluchts Eigentliche und Wahrhaffte beschreibung, welche sich zuegetragen in der Türckhischen und Tarterischen Landesverwiestung in Österreich Anno 1683, als ich mit 12 Knaben von den alten und berüehmbten Closter Heiligen Creuz durch den ankhomenten feind vertriben entfliehen müeste«. Eine ausführliche Analyse von Kleinschroths Tagebuch unten in Kap. 5.3 und 6.2.
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Sorgen mit der Hauth bezallen müessen.«242 Diese Furcht sollte sich zunächst bewahrheiten – nicht anders als in den Krankheiten der Chorjungen Caspar und Anton Liedtmayr, die mit ihm geflohen waren,243 und nicht anders als in den Frühgeburten geängstigter Frauen:244 Über längere Zeit hatte der Sängerpräfekt mit »attritis« oder »glidersucht« zu kämpfen. An medizinischen Therapieversuchen mangelte es nicht, sowohl gegen die Folgen des »eingenohmenen schrockhen[s]« als auch gegen ihn selbst,245 doch verfehlten sie die Ursache des Problems. Aussicht auf nachhaltige Besserung eröffnete erst die Bannung der »Türkengefahr«: »Diser täg [kurz nach dem 12. September 1683] khombte die fröhliche zeitung, das vergangenen sonntag die statt Wien seye glickhlich entsezet worden. Die herrn patres ermahneten mich gleich, das ich die belägerung oder vill mehr bethlagerung nach meinen wordten wahrhafftig ausgestanden habe und am sonntag ebenfallß seye ergözlich entsezet worden.« Das Wortspiel kann nicht verschleiern, dass Kleinschroth den analogischen Kurzschluss von der »angstigkeith« des Bettlägerigen und der »Ängstigung« der belagerten Stadt nicht nur als einen sprachlichen vorstellt, sondern auch als einen kausalen.246 Die Berichte Johann Dietz’, Volkmar Happes, Clara Staigers, Balthasar Kleinschroths und all der anderen Chronisten und Chronistinnen sind nicht zu verstehen ohne die medizinischen und theologischen Deutungszusammenhänge, wie sie für pestartige Krankheiten skizziert worden sind. Unter diesen wiederum sticht ein Krankheitsbild hervor, das gesonderte Aufmerksamkeit verdient, da es von den Zeitgenossen konkret auf die Furcht vor soldatischer Gewalt zurück242 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 251v ; so auch Bl. 207v, 210v. 243 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 253v – 256v. Dazu auch unten Kap. 6.2. 244 Ders., Tagebuch, S. 91: »Bey villen kunte man die warzeichen sehen, so mit gräulichen wunden daher khomen und denen Tartern noch entwischet, theilß schier ohne kleider, weilen sie alleß dahinden gelasßen und entloffen, vill schwangere weibspersonnen, in grösten schrockhen, deren vill hinuntwider vor und zue der zeit gebähreten, auch wohl ohne hilff einigeß menschen, vill verschmachten, ville kometen umb die kinder, vill hatten noch saugente kinder an ihren brüsten hangen, kunten aber kaum selber mehr athem fangen vor schrockhen der gefahr und schwachheit.« 245 Ders., Tagebuch, S. 179 – 183; Flucht und Zueflucht, Bl. 204r – 216v, 281r, 290r, zit. 281r. Gegen den Schrecken habe Kleinschroth »ein pulffer« eingenommen (Bl. 281r). 246 Ders., Tagebuch, S. 182; Flucht und Zueflucht, Bl. 214r. Zum Begriff der »Angst« in Bezug auf die belagerte Stadt Wien unten Kap. 5.3. Kleinschroth bringt die Paronomasie bereits auf Bl. 206v, zur Ankündigung des später Eingetretenen: »[M]eine geliebten H: Patres, ich hab die Pest ausgestandten vnd selbsten einen Carfunckhel gehabt, Gott hat mich aber wunderlich erhalten, ich hab die Flucht ausgestandten, Gott hat mich abermall wunderlich erhalten; aniezo stehe ich auch mit Wienn die Belaegerung auß, verhoffe auch, das mich Gott diser starckhen Bettlagerung befrey¨en werde.« Vgl. außerdem: Tagebuch, S. 180: »Der guete knab weinete offt, wan er mich voll schmerzen ohne hilff schreyen sahe, müeste aber offt lachen, wan er mich sahe auß den beth entlauffen, alß wan mich die Tartern oder baurn darvon jageten.«
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geführt werden konnte: das auch von Dietz, Happe und Kleinschroth erwähnte »Ungarische Fieber«,247 die Krankheit des Krieges (insbesondere des Dreißigjährigen).248 Wo die Selbstbestätigung von Krankheitsfurcht als eine Form göttlicher Gewalt aufgefasst wurde, dort entfaltete auch die Furcht vor menschlicher Gewalt eine pathogene Kraft – die Furcht vor einer Kriegsgewalt, aus der, nicht anders als aus Gewitter und Pest, die göttliche Stimme sprach und schlug.249 Weniges zeigt so deutlich wie die febris Hungarica, dass sich die Furcht vor der Furcht, die Furcht vor Krankheit und die Furcht vor menschlicher Gewalt nur deswegen selbst zu bewahrheiten vermochten, weil jede von ihnen eine Furcht vor der Gewalt Gottes war – und als solche selbst göttliche Gewalt.
4.4. Ungarische Krankheit Die »Ungarische Krankheit« wird in Chroniken, Tagebüchern und Autobiographien des 17. Jahrhunderts immer wieder erwähnt; erklärt wird sie dort jedoch selten.250 Unter den wenigen Ausnahmen sticht die Selbstbeschreibung eines calvinistischen Kannengießergesellen aus der elsässischen Reichsstadt Oberehnheim hervor: das 1657 fertiggestellte Kleine Biechlin von meinem gantzen Leben des Augustin Güntzer (1596 – um 1657).251 Im Folgenden wird Güntzers Bericht von seiner Erkrankung am »Ungarischen Fieber« im Kontext des zeitgenössischen medizinischen Wissens analysiert. Auf diesem Wege lassen 247 Dietz, Mein Lebenslauf, S. 34, 72; implizit auch S. 54. Nicht anders als Dietz gibt Kleinschroth für diese Krankheit keine weitergehende Erläuterung, Deutung und Erklärung. Neben der Roten Ruhr erscheint sie bei ihm jedoch als eine Folge beständiger Flucht: Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 253v – 255r. 248 Vgl. Delumeau, Angst, S. 140; Hans Zinsser, Ratten, Läuse und die Weltgeschichte. Versuch einer Biographie, Stuttgart 1949 [London 1935, Brunswick, NJ 2008], S. 264 – 268. 249 Das göttliche Wort in der Pest hat »gelesen« Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, S. 316 f.; für die semiotische und kausale Verknüpfung mit der Gewalt des Krieges siehe S. 30 – 34. Die Analogie von tödlichem Donner- und Pestschlag zeigt sich insbes. bei Heberle, Zeytregister, S. 252. 250 Neben den Hinweisen oben in Anm. 247 siehe hier nur Gerhard Bätzing, Auszüge aus den ältesten Kirchenbüchern von Besse, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 83 (1972), S. 97 – 135, hier 120 f.; Heinrich I. Junker, Geschichte des Kirchspiels Britzingen im dreißigjährigen Krieg. Auf Grund der Chronik des Vogt Kaltenbach von Britzingen und des Kirchenbuchs der Gemeinde von neuem dargestellt, Karlsruhe 1888, S. 20, 26. Auch Wallenstein warf die Krankheit nieder, wie er selbst notierte, am Rande seines von Johannes Kepler erstellten Horoskops: »Im zweiundzwanzigsten Jahr hab ich die Ungarische Krankheit und die Pest gehabt, Anno 1605, im Januario.« Zit. nach Golo Mann, Wallenstein, Frankfurt a.M. 21971, S. 88. 251 Augustin Güntzer, Kleines Biechlin von meinem gantzen Leben. Die Autobiographie eines Elsässer Kannengießers aus dem 17. Jahrhundert, ed. und komm. v. Fabian Brändle / Dominik Sieber, Köln / Weimar / Wien 2002 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 8).
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sich die praktischen Implikationen dieses Wissensbestands ebenso erschließen wie die Struktur und die Funktionen der autobiographischen Furchtbeschreibung. Im Jahre 1618 wanderte Güntzer auf der ersten seiner beiden ausgedehnten Handwerkerreisen nach Rom. Auf dieser Wanderschaft, wie er berichtet, sah er sich vielfältigen Gefahren ausgesetzt, vor allem durch die Feinde rechten Glaubens. Aller Bedrohung um Trotz jedoch ging er ihnen nicht aus dem Weg. Wer sich gegen die »Babisten« wappnen wollte, davon gab sich Güntzer überzeugt, der musste sie kennen lernen, und so besuchte er, noch vor seinem Eintreffen in der Heiligen Stadt, die Wallfahrtskirche zu Loreto: »Darmit ich aber auch von e e ihrem Gotzenwerck etwaß konte sagen, ging ich in der Maria Capel, hohrete darinen 2 Meß an, aber wenig Trost und Krafft darbey gesehen.« Für seine Neugierde jedoch hatte der Besucher einen hohen Preis zu zahlen. Es schien ihm, ganz buchstäblich, eine Frage der »Standthafftigkeit« des Glaubens, sich dem Gebot des Niederkniens zu widersetzen und darauf zu verzichten, mit den anderen »die Capel in alen Orten« zu lecken, »gleich wie die Geißen die Mauren. Ich aber bin herumber gangen, dan ich mich Sinde ferchte, den Steinen und Steinengetzen die Ehre anthun.« Mit seinem aufrechten Gang252 jedoch hätte sich der Protestant bald selbst entlarvt. Als er dann auch noch auf jesuitische Geistliche traf, die ihn in den Beichtstuhl zu führen suchten, sah er sich an Leib und Leben bedroht: »Mihr wahr sehr bange, daß ich mich in solche große Gefahr gegeben hab. So ich verradten wirdt, so dirfften sie mich ins Feihr setzen.« Bei aller Standhaftigkeit: Angesichts einer derartigen Bedrohung schienen »Lauffen und Außreißen« »die beste Kunst«. Doch obwohl die Flucht gelang, blieb der Besuch der Wallfahrtskirche nicht ohne Folgen. Güntzer hatte den »Gestanck[] der Knobloch und Wax« »durch den Atem« »geschlucket« – und zog sich so die »hitzige ungerische Kranckheitt« zu.253 Stark geschwächt und zeitweilig gar den Tod vor Augen, schleppte er sich weiter nach Rom – um in Zeiten der Besserung neue Sehenswürdigkeiten in Angriff zu nehmen: »die Statt, ihr Gebey und e abgottische Kirchen«. Was er hier beobachten konnte, war ihm mittlerweile bekannt: In der »S. Petterskirch« gingen die »Menschen, jung und alt, […] auff 252 Calvin charakterisiert den Menschen über seine aufrechte Körperhaltung, »während die übrigen Lebewesen mit gesenktem Haupte zur Erde blicken«: Calvin, Unterricht, I, 15, 3; dazu Dominik Sieber, Einleitung 2: Erlesenes Leid und selbstbewusste Gesten. Die religiösen Leitbilder Augustin Güntzers, in: Güntzer, Kleines Biechlin, hg. v. Sieber / Brändle, S. 28 – 58, hier 40, und C.A. Patrides, Renaissance Ideas on Man’s Upright Form, in: Journal of the History of Ideas 19 (1958), S. 256 – 258, hier 257, Anm. 14. Zur rectitudo bei Luther vgl. Johann Anselm Steiger, Superbia fidei. Hochmut des Glaubens und Aufrichtigkeit des Menschen in der Theologie Martin Luthers und des barocken Luthertums, in: Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert, hg. v. Claudia Benthien / Steffen Martus, Tübingen 2006, S. 19 – 43, insbes. 33 – 37. 253 Die vorangegangenen Zitate: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 57v – 58v.
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Knyen die 25 Staffel hinauff und lecket[e]n deß Babst Biltnuß die Fieß«.254 Auch hier tat Güntzer es ihnen nicht nach, und auch hier blieb dies nicht unbemerkt: »Die Leidt sahen mich an, daz ich auff den Fießen hinauffging und des Babsts Biltnuß die Fieß nicht kißen wolt. Sie halten mich gewiß fihr einen Higonotten oder Naren.« Güntzer ließ sich davon nicht beeindrucken: »Ich dachte aber in meinem Sin, da die fihrneme Leidt in Seiden und Samet i[h]me die Fieß kißen, so mießte ich ihme den Arsch kißen, dieweil ich sehr unsauber, zerrißen Kleider trug, dieselbige voler Leiß und Fle.« In Loreto hatte der Kannengießer am eigenen Leib erfahren müssen, dass dies nicht nur unappetitlich, sondern vor allem gefährlich war : »Ließ es derohalben underwegen, i[h]ne zu kißen, dan ich e e e frochte [fürchte], er mochte zu sehr von der Abgottery stincken, dirffte mich alererst kein neye Kranckheitt anstoßen.« Und um nicht verraten zu werden, sah Augustin Güntzer auch hier zu, dass er aus der Kirche kam.255 Die »Ungarische Krankheit«, an der Güntzer seinem Bekunden nach zu leiden hatte, ist in der Medizingeschichte als Fleckfieber identifiziert worden.256 Im Gegensatz dazu ist an dieser Stelle nicht zu fragen, welches Syndrom sich ›eigentlich‹ hinter der Bezeichnung verbirgt. Vielmehr interessiert der Name selbst: der Name der »Ungarischen Krankheit« oder des »Ungarischen Fiebers« und dessen wichtigste Synonyme »Soldatenkrankheit« und »Lagersucht«. Werden diese Begriffe lediglich als auf noch mangelnder medizinischer Kenntnis basierende Bezeichnungen für Fleckfieber betrachtet, so bleibt unsichtbar, dass die »Ungarische Krankheit« eine eigene Geschichte hat – eine Geschichte, in der jene, deren Körper blauschwarze Flecken hervortrieb, den Anschein erweckten, als »ob sie von Gottes gewalt berüret weren worden: Oder als ob mann sie mit Brüglen geschlagen hette«.257 254 Es ist unklar, ob mit »Petterskirch« der Petersdom oder die Laterankirche gemeint ist und von welcher Papststatue Güntzer hier spricht; vgl. dazu Brändle / Sieber, Kommentar zu Güntzer, Kleines Biechlin, S. 143, Anm. 425. 255 Sämtliche Zitate: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 60v – 61r. ˝ ry, Morbus Hungaricus. Eine medico-historische Quellenstudie, zugleich 256 Vgl. Tibor Gyo ein Beitrag zur Türkenherrschaft in Ungarn, Jena 1901; Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 110 f., 137 f.; Stefan Winkle, Geißeln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen, Düsseldorf / Zürich 1997, S. 645 f.; Stolberg, Homo patiens, S. 165; Georg-Werner Kauffmann, Die »ungarische Krankheit« – Was war das?, in: Familie und Geschichte. Hefte für Familiengeschichtsforschung im sächsisch-thüringischen Raum 5 (1996), S. 312 – 316; Zinsser, Ratten, S. [5], 216, 258 – 269. e 257 So der Arzt Raymund Minderer, Consilivm, Oder Rahtliches Gutachten/ Die jtzt schwebende/ vnd vnder den Soldaten mehrertheils Grassirende/ Sucht betreffend, o. O. [Augsburg] 1620, S. 5. – Vereinzelt wurde bereits im 17. Jahrhundert die Ungarische Krankheit als »Fleckfieber« bezeichnet, etwa von Heinrich Screta, Kurzer bericht fon der allgemainen anstekenden Lagersucht/ das ist/ fon dem giftigen und hizigen haubt= hals= brust= magen= und bauch=wehe/ mit und one fleken/ aus aigner erfahrung/ und dem e grund der zerglid= und feurkunstlerischen lehrsazen aufgesezet/ und in disem andern
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Eine historisch-kulturelle Semantik des Ungarischen Fiebers erlaubt besondere Aufschlüsse über die Bedeutungs- und Wissenskontexte, in denen diese Krankheit entstand. In Güntzers Beschreibung steht die Genese der febris Hungarica in unmittelbarer zeitlicher Verbindung mit der Furcht des Verfassers vor einer konfessionell bedingten Gewaltausübung durch katholische Geistliche; und wie zu zeigen sein wird, stellt Güntzer den Zusammenhang damit auch als einen ursächlichen vor. Als solcher hat er Konsequenzen für die historiographische Debatte über Gewalt im 17. Jahrhundert. Er zeigt, dass, wer über körperliche Gewalt vor der Aufklärung nachdenkt, die Imagination zu berücksichtigen hat – die göttliche ebenso wie jene des Menschen.258 Die Geschichte der febris Hungarica respektive castrensis begann in der Mitte des 16. Jahrhunderts: mit den Kriegen gegen die »Türken«,259 und sie fand im späten 18. Jahrhundert ihr Ende. Dieses mit delirösen und angstvollen Zuständen verbundene Fieber wurde anfänglich bei Soldaten des habsburgischen Heeres diagnostiziert, das 1566 in Ungarn gegen die Osmanen ins Feld zog, um die Christenheit zu verteidigen. Dies erklärte seinen Namen.260 War die Ungarische Krankheit einmal ausgebrochen, nahm sie vielfach tödliche epidemische Ausmaße an. Sie erschien als ein alterum bellum, als ein »zweiter Krieg«: An ihr starben, wie zeitgenössische Mediziner wiederholt berichteten, zuweilen mehr christliche Kämpfer als durch die Hand des türkischen Feindes.261 Den aus dem Habsburgerreich aufbrechenden Soldaten war Ungarn als »der Teutschen Kirch=Hof« bekannt.262 Dabei blieb die Ungarische Krankheit nicht an den Ort
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druk um fil fermehrt und ferbessert, Schaffhausen 1685, S. 19; Bätzing, Auszüge, S. 120 f. – Aus Gründen der Lesbarkeit wird der Begriff der »Ungarischen Krankheit« im Folgenden nicht mehr in Anführungszeichen gesetzt. Vgl. dazu Mommertz, »Imaginative Gewalt« (mit anderer Verwendung des Begriffs der »Semantik«), und oben Anm. 2. Der Begriff der »Türken« bezeichnete in der Frühen Neuzeit die Bewohner des Osmanischen Reiches. Im Folgenden findet er Verwendung, wenn die »Türken«-Bilder der Christen angesprochen sind. Ausführlicher dazu unten Kap. 5.3. Siehe z. B. Tamás Jordán, Pestis Phænomena sev De ijs quæ circa febrem pestilentem apparent, exercitatio, Frankfurt 1576, Kap. 19: De Lue Pannonica, S. 219 – 239, hier 220; Minderer, Consilivm, S. 3 f. Johann Langius, Cura causonis (Epistolarum medicinarum volumen tripartitum), Frankfurt 1589, Bd. 1, epist. IV, S. 23; Lukas Pollio, Kurtzer vnd nützlicher bericht/ Von e der jetzigen geferrlichen Vngerischen Haubtkranckheit/ Wie sich ein jeder fur derselben bewahren/ vnd so sie jemanden angestossen curiren solle. Sambt beigesetzten zeichen/ e wobey man sie erkennen konne/ vnd vrsachen/ von denen sie entspringe, Liegnitz 1596, Bl. A 1r; Tobias Coberus, Observationum medicarum castrensium et Ungaricarum decades tres, Helmstedt 21685 [Frankfurt 1606], Vorwort und III, S. 21; Andreas Caspar Georgi / Justus Vesti, Disquisitio inauguralis medica de febre Hungarica, quam vulgus cephalalgiam epidemiam vocitat, Erfurt 1687, S. 3; Johann Theophil Windisch, De languore Pannonico, Erfurt 1714, S. 7. Windisch, De languore Pannonico, S. 7. Vgl. auch Coberus, Observationes medicae III,
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ihrer Entstehung gebunden. Insbesondere im 17. Jahrhundert verließ sie die Heerlager und überschritt sie die ungarische Grenze, die Soldaten verschleppten sie in die Zivilbevölkerung, und sie zog nach Norden, bis in die Niederlande.263 Die Ungarische Krankheit verhalf den Türken zu Siegen, die diese mit militärischen Mitteln nicht zu erringen vermochten. Warum nun schienen vorzugsweise Soldaten zu erkranken, warum vorzugsweise »Teutsche« in Ungarn und warum im Kampf gegen die Türken? Die Versuche der zeitgenössischen Mediziner, die Ungarische Krankheit zu erklären, lassen sich, nicht anders als im Falle der Pest, zunächst in zwei Kategorien aufteilen: in jene, die von körperlichen, und jene, die von nicht-körperlichen Ursachen ausgingen, modern gesprochen: in physiologische und psychologisch-psychosomatische Erklärungen. Obwohl beide Ansätze im langen 17. Jahrhundert als konkurrierende unterschieden und diskutiert wurden, zeigt ein genauer Blick auf diese Auseinandersetzung, dass letztlich – wie bei der Pest – jeweils jedem von beiden Gültigkeit zugesprochen wurde und lediglich die Gewichtungs- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den angenommenen Ursachen zu klären waren.264 So ist auch hier nicht zu fragen, welche der Ätiologien sich durchgesetzt hat, sondern in welcher Weise beide einander ergänzten. Es ist zu zeigen, warum diese Deutungen mit moderner Terminologie nicht adäquat charakterisiert werden können, und das heißt: warum sie gemeinsam und mit ihnen der Name der Ungarischen Krankheit seit dem Ende des 18. Jahrhunderts allmählich aus der Pathologie verschwanden. Zunächst zur Physiologie. Verantwortlich für die Erkrankung am Ungarischen Fieber zeichnete, neben der Kontagion, eine miasmatische Ansteckung durch »böse Luft«: durch giftige und stinkende Fäulnisteilchen, für deren Entstehung nicht allein gedrängtes soldatisches Zusammenleben in den Feldlagern besonders günstige Voraussetzungen bot, sondern ebenso Anhäufungen gar nicht oder nur mangelhaft bestatteter Leichen, wie sie vorzugsweise auf Schlachtfeldern vorzufinden waren. Die Feuchtigkeit der ungarischen Sümpfe, dem Vernehmen nach, verschärfte die Lage zusätzlich; zudem führte sie zu ausgeprägten Temperaturschwankungen zwischen den Tages- und Jahreszeiten, die die Soldaten aus dem Norden nicht gewohnt waren.265 Ungarn, das wussten nicht allein die Mediziner, war ein gefährliches Land.266 S. 18; Stefan Parschitius von Rosenberg, De morbo Hungarico, Frankfurt a. d. O. 1693, S. 13; Johann Christoph Peck, De phrenetide Pannoniae idiopathica, Halle / Magdeburg 1739, S. 1; Johann Baty, Descriptio quorundam morborum Hungaris endemiorum et remediorum iisdem familiarium et quasi domesticorum, Maastricht 1775, Vorwort. ˝ ry, Morbus Hungaricus, S. 1. 263 Vgl. Gyo 264 Vgl. insbes. Screta, Kurzer bericht, S. 121 f.; Art. »Hungarica Febris«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 13, Sp. 1223 – 1227, hier 1224 f. 265 Siehe etwa Martin Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi et cvratione tractatvs. Historicis cvris atque obseruationibus triginta, nec non quaestionibus aliquot homogeneis
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Als eine zweite zentrale Entstehungsursache der Ungarischen Krankheit neben der miasmatischen und kontagiösen Infektion wurde eine humoralpathologisch wirksame Störung des affektuellen Gleichgewichts angesehen, insbesondere allzu große Furcht (timor) und Schrecken (terror), gebunden an einen Zustand der Bekümmernis (moeror). Wie gesehen, hatte die Furcht an sich in der Debatte über die Ursachen pestartiger Erkrankungen schon lange ihren Platz; und so konnte es auch hier die Furcht vor der febris Hungarica selbst sein, die sie bewirkte.267 Darüber hinaus jedoch war die Erkrankung der kämpfenden Soldaten am Ungarischen Fieber in den Augen vieler an einen besonderen Gegenstand der Furcht gebunden: an die Sorge, im Kampf durch das Schwert des Feindes zu sterben, an die Furcht vor tödlicher Gewalt. Wer diese Auffassung e vertrat, erklärte »das Ungerische Fieber[] wie das bosartige, das ist«, er suchte »die Ursache in einem traurigen, furchtsamen und verzweifelhafften Begrieffe e derer Lebens=Geister« und meinte, »die Soldaten bekamen darum das Fieber, e e weil sie sich befurchten musten, es werde ihnen der Kopf herunter geschlagen.« Zwar stritten auch hier paracelsisch orientierte Mediziner mit den rationales locupletatus, Frankfurt 1600, S. 17 ff.; Coberus, Observationes medicae, Vorwort und I, S. 32; Sennert, De Febribus, Buch 4, Kap. 14: De Morbo Ungarico, S. 543 – 557, hier S. 545 ff.; Johann Jacob Federer, Brevis et compendiosa Febris Vngaricae cvrandæ, cognoscendæ, et ab alijs Febribus discernendæ Methodus, Freiburg i.Br. 1624, S. 21 f.; Andreas Löw, De morbo Hungarico, Jena 1682, S. 6; Screta, Kurzer bericht, S. 72; Georgi, De febre Hungarica, S. 14; Parschitius, De morbo Hungarico, S. 10, 13; Windisch, De languore Pannonico, S. 7, 11, 13 f.; Baty, Descriptio, S. 6 ; Minderer, Conslivm, S. 16 – 18. 266 Hermann Conring, De Vngaria, in: Thesavri Rervmpvblicarvm pars qvarta, Continens Imperivm Romano-Germanicvm, tam in genere, qum in specie in Itinerario Germaniæ Politico, Item Regnvm Hvngariæ & Bohemiæ, hg. v. Philipp Andreas Oldenburger, Genf 1675, S. 394 – 453, hier 420; Ernst Schafelizki, Oratio contra Hungariam, in: Consultatio de principatu inter provincias Europæ habita, hg. v. Thomas Lansius, Tübingen 1613, S. 465 – 478, hier 466 f. (mit Bezug auf Coberus). Zit. nach der Ausgabe der HAB. Vgl. dazu István Bitskey, Militia et littera. Volkscharakterologische Ungarn-Topoi in der frühen Neuzeit, in: Das Ungarnbild in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. Der Ungarische oder Dacianische Simplicissimus im Kontext barocker Reiseerzählungen und Simpliziaden, hg. v. Dieter Breuer / Gábor Tüskés, Bern u. a. 2005 (Beihefte zu Simpliciana 1), S. 111 – 124, hier 117. 267 Neben Screta, Kurzer bericht, S. 156 (vgl. unten Anm. 301), auch Balthasar Conradinus, Febris miscellanea vngarica hgqi¾dgr. Kurtzer vnterricht, wie ein jheder sein hauß in diesen gefehrlichen leuffen des malignæ Epidemialischen Fiebers, die Vngerisch Sucht genant, vnnd auch Schwaiß seuchten, Hirntoben, hals und Lung geschwer, Auch seitenwehe, e vnd Prenne, vnd dergleichen bosen vmbgehende Disel vnd leger, halten und regieren soll, Straßburg 1571, S. 37 f.; Johann Christoph Eysenmenger, Kurtzer Bericht Wie Mann die e e anjetzo regierende hitzige Hauptseuche verhuten und sampt jhren zufallen Curiren solle, Frankfurt a.M. 1621, S. 11; Burggrav, Tractat, S. 24; Johann Adam Zapff, De morbo castrensi seu Hungarico, Jena 1666 [o.P.], S. 16; Johann Faber, Kurtzer vnd nothwendiger e Vnderricht. Wie sich ein jeder/ auch gering verstandiger bey jetzt schwebenden gifftigen e Pestilentzischen Fiebern oder Vngerischen Kranckheit/ so woln zu derer verhutung/ als e bedurfftiger Curation, erzeigen vnd verhalten solle, Ingolstadt 1621, S. 8, 19.
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medici, ob diese Furcht als notwendige oder als hinreichende Bedingung zu betrachten war und ob als causa proxima oder als causa remota der fiebrigen Erkrankung. Es herrschte jedoch Einigkeit, dass die Furcht eine maßgebliche Rolle spielte.268 (Und wo Furcht und Angst das Fieber verursachten, erschienen sie auch als dessen Symptom.269) Um es zuzuspitzen: Vermittelt über das Ungarische Fieber erlitten die Soldaten eine tödliche Gewalt, indem sie sich vor tödlicher Gewalt fürchteten; und dies war vornehmlich jene der Türken. Auch hier ist der Zusammenhang nicht psychologisch oder psychosomatisch zu verstehen. Einer derartigen Interpretation läge eine qualitative Trennung der Substanzen zu Grunde, eine moderne Dichotomisierung von Physis und Psyche, die vor der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht vorausgesetzt werden kann. So ist es keine Schwächung des Immunsystems, die durch die Furcht vor Gewalt hier bewirkt wurde, und auch keine »Traumatisierung«.270 Das Erleiden von Gewalt in ihrer imaginatio muss aus 268 Art. »Hungarica Febris«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1224 f., zit. 1225; darüber hinaus Coberus, Observationes medicae II, S. 8 f., 43, 46, 54; III, S. 18 f., 42 ff.; Adam Lebenwaldt, Hauß= und Artzney=Buch/ In welchem angezeigt und erwiesen wird/ wie man denjenigen Kranckheiten/ welche ein gantzes Land oder mehr Oerther anstecken/ so dann durch Contagion und Anklebung anderweitig fortgepflantzt und ausgebreitet werden/ Als da seyn: Die Pest/ Pestilenzial= und Petechialische Fieber/ Ungarische Kranckheit/ e rothe Ruhr/ Kinds=Blattern etc. Mit GOttes Gnad und Hulff so wohl durch geringe als e e kostbare Mittel Widerstand thun konne. Samt einer Chronick Aller denckwurdigen Pesten/ samt einer Information, was zu solcher Contagions-Zeit I. Status Politicus und Land=Obrigkeiten/ II. Status Civilis oder Stadt=Obrigkeiten/ III. Status Academicus oder Schul=Vorsteher/ IV. Status Medico-Physicus oder die Medici mit ihren Untergebnen/ V. e Status Theologicus oder Seel=Sorger zu thun haben: Dabey eine Funff=fache Cur zu finden/ Nemlich cura theologica, prophylactica, curativa, refectiva, & purificativa, Das ist: e Geistliche Trost=Schutz=Hail= und Krafft=Cur/ Samt einer Anweisung Die Hauser und Mobilien zu reinigen …, Nürnberg 1695, S. 565. 269 Pollio, Kurtzer vnd nützlicher bericht, Bl. C 2r ; Johann Peter Eberhard, De necessario usu vesicatoriorum in febre castrensi, Halle a. d. S. / Magdeburg 1761, S. 21 f. 270 Medizinhistorisches zum psychischen Trauma bietet v. a. der Band: Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung, hg. v. Günter H. Seidler / Wolfgang U. Eckart, Gießen 2005; vgl. darin neben der Einleitung der Herausgeber (»Psychotraumatologie«, eine Disziplin im Werden, S. 7 – 25) insbes. den Beitrag von Heinz Schott, Das psychische Trauma in medizinhistorischer Perspektive – von Paracelsus zu Freud, S. 41 – 55. Im 17. Jahrhundert beschrieb der Begriff des »Traumas« zunächst eine im engeren Sinne körperliche Verletzung: Esther Fischer-Homberger, Haut und Trauma. Zur Geschichte der Verletzung, in: Verletzte Seelen, hg. v. Seidler / Eckart, S. 57 – 83; dies., Zur Medizingeschichte des Traumas, in: Gesnerus 56 (1999), S. 260 – 294; dies., Die traumatische Neurose. Vom somatischen zum sozialen Leiden, Bern / Stuttgart / Wien 1975; siehe auch Ralf Vollmuth, Traumatologie und Feldchirurgie an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, Stuttgart 2001 (Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte, Beihefte 45). Für die Kriege der Moderne werden mit »Kriegszittern«, »posttraumatischer Belastungsstörung« und »shell shock« andere körperliche Folgen »psychischer« Verletzungen beschrieben und diskutiert. Siehe dazu die Literaturhinweise bei Plamper, Fear, S. 261, Anm. 6; auch Susanne Michl / Jan Plamper, Sol-
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einer episteme begriffen werden, die Leib und Seele über sympathetische Beziehungen miteinander verband: in der menschliches Tun, natürliche Prozesse und göttliches Handeln einen umfassenden Wirk- und Verweiszusammenhang bildeten. Es erklärt sich aus der Furcht vor einer göttlichen Geißelung, deren unterschiedliche Formen stets auf ihren gemeinsamen Anfang (und ihr Ende) verwiesen. Wie Gewitter, Erdbeben und Kometen, so auch Krankheit und Krieg: Sie kündigten einander an und verursachten sich auf diese Weise;271 und als solche konnten sie sich wechselseitig erklären: über Ähnlichkeiten, Analogien und Metonymien272 (und nicht als Metaphern273). Wo Erdbeben als »unterirdische Gewitter«274 und beide als Explosionen eines Geschützes275 verständlich wurden, wo der Krieg nicht nur die Pest brachte, sondern selbst als »Pest« erschien,276 dort war am Ende alles eins. Und die Furcht war konstitutiver Teil dieses Komplexes. Sie zeitigte das befürchtete Leiden nicht in einer abgeschlossenen Innerlichkeit des »Gefühls«, sondern an einem Knotenpunkt kosmologischer Prozesse. Dies wird noch deutlicher, wenn auch die Therapie- und Präventionsvorschläge der Ärzte in den Blick genommen werden. Neben zahlreichen körperlichen Behandlungen empfahlen sie, wie beim Wüten der Pest, vor allem eine – mit Leichtsinn nicht zu verwechselnde – Furchtlosigkeit: das Vertrauen in die Kompetenz der Mediziner277 und vor allem in jene des Arztes im Himmel
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datische Angst im Ersten Weltkrieg. Die Karriere eines Gefühls in der Kriegspsychiatrie Deutschlands, Frankreichs und Russlands, in: Geschichte und Gesellschaft 35 (2009), S. 209 – 248; Traumatic Pasts: History, Psychiatry, and Trauma in the Modern Age, 1870 – 1930, hg. v. Mark S. Micale / Paul Lerner, Cambridge 2001, Teil 4. Vgl. außerdem Svenja Goltermann, Die Gesellschaft der Überlebenden. Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, München 2009. Zur geschichtswissenschaftlichen Diskussion um die traumatisierenden Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges (auf das Schreiben über und die Erinnerung an ihn) siehe unten Kap. 5.2. Siehe etwa Theophrastus Paracelsus, Das Buch Paragranum, in: Werke 1, S. 495 – 584, hier 546. Vgl. Mauelshagen, Pestepidemien, S. 245. Vgl. Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn, S. 30 ff. Zu Kometen und Sonnenfinsternissen, die bewirken, was sie bezeichnen, bzw. bedeuten, was sie bewirken, siehe auch Schott, Joco-seriorum, S. 322 f.; Feßken, Abhandlungen, S. 33; Unzer, Zweite physikalische Sammlung, S. 445; Schorer, Erinnerung, S. 16, 18; zum Gewitter, als Vorzeichen von Krieg, Hunger und Pest: Derschow, Wetter= vnd WasserSpiegel, S. 37 – 45. Zum metonymischen (Wirk-)Zusammenhang der unterschiedlichen Geißeln Gottes auch Feßken, Abhandlungen, S. 31. Erst in einer »entzauberten« Welt wird auch eine Metaphorisierung von Naturphänomenen denkbar : Briese, Macht der Metaphern. Unzer, Zweite physikalische Sammlung, S. 23 f.; Fortgesetzte Geschichte, S. 446. Unzer, Zweite physikalische Sammlung, S. 43. »Pest« wurde allgemein nicht nur als Oberbegriff für verschiedene Epidemien, sondern auch für diverse andere »Katastrophen« verwandt: Claudine Herzlich / Janine Pierret, Kranke gestern, Kranke heute. Die Gesellschaft und das Leiden, München 1991, S. 25. Die wiederholte Betonung seiner Notwendigkeit legt die Vermutung nahe, dass dieses Vertrauen nicht eben verbreitet gewesen ist. Vgl. Simon Schultz, De morbo hungarico
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(confidentia): die fröhliche Gewissheit, Gott werde jene, die bußfertig und frohen Glaubens sind, in Zeiten der Gefahr nicht verlassen.278 Die Empfehlung ging zunächst an die Adresse der Soldaten, die im gerechten Kampf gegen den türkischen Erbfeind standen. Unter dieser Voraussetzung bewies, wer am Ungarischen Fieber erkrankte, dass er auf Gott nicht hinreichend gebaut hatte. Möglicherweise jedoch hatte er auch keinen gerechten Kampf gekämpft. Wer sich zu sehr vor den Menschen fürchtete, fürchtete Gott nicht genug.279 Und so konnte in der Furcht vor Gewalt auch erkranken, wer selbst in illegitimer Weise gewaltsam gewesen war.280 In der Chronik Volkmar Happes etwa erscheint die Ungarische Krankheit als eine Sanktion für zügellose soldatische Gewalttätigkeit im Dreißigjährigen Krieg: Nachdem kaiserliches Kriegsvolk im Sommer 1626 in der Grafschaft Schwarzburg-Sondershausen geplündert und gemordet hatte, zog es weiter nach Ungarn, wo es seinen in Happes Augen gerechten Lohn durch das Schwert der Türken und durch das Ungarische Fieber erhielt.281 Die Zorneswut gottloser Soldaten, hieß das, zog den Zorn Gottes auf sich.282 Hier strafte Gott mit
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saevissimis symptomatibus stipato, Leipzig / Frankfurt 1673, S. 20; Johann Georg Landbeck, De Morbo Hungarico sive Castrensi, Wittenberg 1677, S. 20; auch Robert Burton, The Anatomy of Melancholy, hg. v. Thomas C. Faulkner / Nicolas K. Kiessling / Rhonda L. Blair, 6 Bde., Oxford 1989 – 2000, Bd. 1, S. 254; Art. »Pestpatiente«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 27, Sp. 857 – 874, hier 864 f. Vgl. dazu Michael Stolberg, Frühneuzeitliche Heilkunst und ärztliche Autorität, in: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, hg. v. Richard van Dülmen / Sina Rauschenbach, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 111 – 130, hier 120. Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 161 ff.; Quirin Pflug, Assertiones et Quaestiones de lue e Ungarica, Magdeburg 1618, S. 415; Nester, Ausfuhrlicher und Nohtwendiger Bericht, S. 48 – 51; Minderer, Kriegs=Artzney, S. 144. Für die Metaphorisierung Gottes als (einzig kompetenten) Arzt siehe Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 9v, 30r – 31r, 126r, 128v – 129r, 163r, 232r, 240r. Und wo Gott als Arzt erschien, war Christus sein Apotheker ; vgl. dazu Fritz Krafft, Heilen durch Leiden: Der heilende Heiland und seine Arzneien. Herkunft und Geschichte des Sinnbildes ›Christus als Apotheker‹ in der protestantischen und katholischen Volkskunst, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 1, S. 459 – 486. Coberus sieht die Hauptursache der Ungarischen Krankheit in der »impietas erga Deum« – gefolgt von der »negligentia sanitatis publicæ«, dem »privati commodi studium« sowie von »livor & invidia«: Coberus, Observationes medicae I, S. 10. Zur Debatte über Gottesfurcht und Gottlosigkeit der Soldaten siehe oben Kap. 3.4. Zur zeitgenössischen Unterscheidung von legitimer und illegitimer Gewalt siehe oben Anm. 1. Happe, Chronicon Thuringiae, Teil I, Bl. 87v – 88v. Die Interpretation der Ungarischen Krankheit als Strafe Gottes auch bei Conradinus, Febris miscellanea vngarica, S. 4, 21, 25 ff., 41; Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, S. 7 f.; Eysenmenger, Kurtzer Bericht, S 4; Zapff, De morbo castrensi, S. 14; Eckard Leichner, Kurtzer und heilsamer Unterricht/ Wie der ietziger Zeit hiesiger Orten einreissenden Seuche/ ins gemein die e Haupt= oder Ungarische Kranckheit genant/ Nechst Gottlicher Verleihung durch beqveme und leichte in gantz geringem Preiß erkaufliche Mittel vor= und abzukommen …, Erfurt 1665. Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 123. Daher rangierte der Zorn (ira), als spezifisch soldatischer Affekt, in der Ätiologie der »Soldatenkrankheit« regelmäßig neben trauriger Furcht
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seinem Erzfeind und mit der Furcht vor ihm. Mit dieser Sanktion schlug er jene, die nicht Gott, sondern dessen Feinde fürchteten. Gott strafte mit dem, was Anlass zur Strafe gegeben hatte. In einer pathogenen Furcht vor Gewalt erkannten die Gerechten am Ende stets eine religiös-moralische Korruption. Aus der Illegitimität der gefürchteten Gewalt sprach ein legitimes göttliches Handeln; wer dies nicht erkannte, führte das Gewalterleiden, das er fürchtete, selbst erst herbei: als Furcht vor menschlicher Gewalt mit all ihren Folgen.283 All dem lag das Ideal soldatischer Tapferkeit und Furchtlosigkeit zu Grunde:284 Wer es als Soldat an Mut vermissen ließ, war des Todes, nicht nur durch eine besondere Gefährdung im Kampf und die Möglichkeit, in der Furcht vor ihm zu erkranken, sondern auch, weil seine Vorgesetzten sich berechtigt sahen, jene hinzurichten, deren Feigheit das Leben anderer zu gefährden schien.285 Ein derartiges Tapferkeitsideal enthielt auch diätetische Anforderungen. Die Fruchtbarkeit der ungarischen Landschaft, so die Überzeugung der Ärzte, trug nicht dazu bei, das Los der fremden Soldaten zu lindern, im Gegenteil: Soldaten, die ihren Körper schwächten durch übermäßigen Verzehr der Fische der Donau und des Tokajer Weins, bereiteten der Aufnahme pathogener Miasmen zusätzund Schrecken. Vgl. v. a. S. 3, 90, 158, 164; Coberus, Observationes medicae I, S. 46 ff.; Zapff, De morbo castrensi, S. 16, 32; darüber hinaus Georgi, De febre Hungarica, S. 17; Martin Ruland, De morbo Vngarico recte cognoscendo et feliciter curando, Leipzig 1610, S. 46, 83, 102; ders., De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, S. 64, 76; Raymund Minderer, Neu=verbesserte Kriegs=Artzney/ Das ist: Wol=erfahrne und Gemeine Hand= e e Stucklein Der Edlen Artzney=Kunst/ Welche in behander Kriegs=Begebung/ allen und jeden Rittern/ und Officiren/ wie auch gemeinen Soldaten und Knechten zu sonderbahrem e e Nutz an Tag gegeben/ Samt angehangtem rahtlichen Gutachten/ von der schwebenden Soldaten=Sucht, Nürnberg 1667, S. 144; ders., Consilivm, S. 19; Gregor Horst, Bericht von der jetzo hin unnd wider regierenden genandten hitzigen Kranckheit/ Sonst auch die Ungarische Fiebersucht/ oder Hauptkranckheit genent/ Dem gemeinen Nutz zum besten Teutsch beschrieben/ und auff die jetzige Zeit gerichtet, Ulm 1633, S. 13; Leichner, Kurtzer und heilsamer Unterricht, Praeservatio II; Löw, De morbo Hungarico, S. 19, 32; Johann Sigismund Kreysel / Hermann Friedrich Teichmeyer, Dissertatio inauguralis medica de morbo Hvngarico sive febre castrensi, Jena 1741, S. 23, 46; Windisch, De languore Pannonico, S. 18 f., 26 f. Zur antipathetischen Komplementarität von Zorn und Furcht vgl. Duden, Geschichte unter der Haut, S. 165, 172. 283 Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 161 f. Hieraus erklärten sich die Zeitgenossen auch, dass die delirösen Angstzustände der am Ungarischen Fieber Erkrankten immer wieder zu melancholisch-verzweiflungsvollen Versuchen zu führen schienen, sich das Leben zu nehmen (vgl. S. 40 f.). Mit dem moeror animi ist die Problematik der Melancholie, über die Aspekte des Gewissens und der Selbsttötung hinaus, ganz grundlegend angesprochen. Ätiologische und symptomatologische Verbindungen wurden auch von den Experten der Ungarischen Krankheit wiederholt hergestellt, etwa von Coberus, Observationes medicae II, S. 18 – 22; Minderer, Kriegs=Artzney, S. 144; ders., Consilivm, S. 7 f. Näheres zu diesem Problemkomplex unten in Abschnitt 5. 284 Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 90 f. 285 Vgl. Art. »Soldat«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, mit Verweis auf den Artikel »Soldaten=Kranckheit«, der seinerseits (lediglich) auf den Artikel »Hungarica Febris« verweist. Näheres oben in Kap. 3.4.
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lichen Boden. Ungarn konnte den »Teutschen« ein »Kirch=Hof« werden, weil diese nicht geneigt waren, ihre Lebensweise dem ungewohnten Klima anzupassen und von ausschweifender Ernte ungarischer Früchte abzulassen.286 Dies unterschied sie von den Ungarn; es unterschied sie aber auch von den Türken. Anders als die »Teutschen«, wie betont wurde, verstanden auch sie es, nicht gegen ihre Gesundheit zu sündigen – sie respektierten die Gesetze ihrer Religion.287 In der Ungarischen Krankheit erlangten die Türken nicht nur eine faktische Überlegenheit, in ihr stellte diese Dominanz in gewisser Weise auch ihre Berechtigung unter Beweis. Dem Erbfeind wurde eine (partielle) religiösmoralische Vorbildlichkeit zugesprochen, die in Kapitel 5.3 näher zu erörtern sein wird und die geeignet schien, gegen falsche Furcht zu stärken und zur rechten zu rufen.288 Die hier skizzierte Konstellation findet sich auch in Augustin Güntzers au286 Siehe etwa Samuel Spillnberger, De morbo Hungarico, Basel 1597, S. 4; Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, passim; Sennert, De Febribus, S. 546; Johannes Jaenisch, De morbo Hungarico seu febre castrensi, Leiden 1663, § 8; Baty, Descriptio, S. 5 f.; Christian Vater / Johann Theophil Holstein, Theses inaugurales, de febre castrensi alias hungarica, Wittenberg 1705, These 6; Windisch, De languore Pannonico, S. 7, 11 f., 18 – mit der Klage über den der Res Publica Christiana entstandenen Schaden (S. 12, mit Verweis auf Coberus, Observationes medicae I, S. 45; vgl. auch I, S. 33, 42 ff.; II, S. 31); Conring, De Vngaria, S. 420, 424 f., 428 f.; Schafelizki, Oratio contra Ungariam, S. 466 f. In Maßen allerdings vermochte Wein durchaus therapeutische Wirkung zu ente falten: Minderer, Consilivm, S. 75; ders., Kriegs=Artzney, S. 144: »Niemals nuchtern e und niemals voll/ Thut in Sterbenslaufften wol.« 287 Vgl. die Ende des 16. Jahrhunderts niedergeschriebenen Aufzeichnungen des kaiserlichen Kriegsberichterstatters Nicolaus Gabelmann (Bl. 47r/v), zit. nach Gyo˝ ry, Morbus Hungaricus, S. 14; Coberus, Observationes medicae II, S. 39. 288 Ähnlich wie das Türkenbild konturierte sich die unter den »Teutschen« verbreitete Vorstellung von Ungarn in der Spannung zwischen Furcht und Bewunderung, Sumpf und Schlaraffenland, Kritik und Selbstkritik. Vgl. Schafelizki, Oratio contra Hungariam, S. 473; Art. »Ungarn«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 49, Sp. 1346 – 1381, hier 1350 – 1354, 1359 f.; Fleming, Der Vollkommene Teutsche Soldat, S. 41. Eine literarische Reisebeschreibung Ungarns, in Anlehnung an Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch, bietet Daniel Speer, Ungarischer oder Dacianischer Simplicissimus, hg. v. Herbert Greiner-Mai / Erika Weber, Berlin 1978, insbes. S. 148. Vgl. dazu Bitskey, Militia et littera, S. 117 – 121. Näheres zu Speer unten in Kap. 5.4. In der Topologie standen die Ungarn, im historischen Schatten der Hunnen, ihren türkischen Nachbarn an furchterregender Grausamkeit an sich nicht in nennenswerter Weise nach; dass dieser Umstand nicht in die Ätiologie des Ungarischen Fiebers eingegangen ist, dürfte sich aus der längeren Friedenszeit erklären. Der jesuitische Feldgeistliche Jeremias Drexel allerdings berichtete von Verlusten durch ungarische Soldaten im Kampf der Liga gegen die aufständischen Böhmen 1620: »Itaque omne nobis malum ab Ungaris fuit: multos Ungari, sed multo plures ungarica febris sustulit.« (»So erlitten wir durch die Ungarn jedes Übel: viele wurden von den Ungarn ums Leben gebracht, viel mehr noch jedoch vom Ungarischen Fieber.«) Jeremias Drexel, Diarium Castrense, in: Kriegstagebücher aus dem ligistischen Hauptquartier 1620, hg. v. Sigmund Riezler, in: Abhandlungen der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften 23/1, München 1903, S. 78 – 210, hier 139 – 189, zit. 174.
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tobiographischem Bericht – auch wenn zunächst zwei Umstände dagegen zu sprechen scheinen. Güntzer zog nämlich nicht als Soldat nach Italien, und obwohl er fast ganz Europa bereiste, bekam er Ungarn nie zu Gesicht. Dass er dennoch am Ungarischen Fieber der Soldaten erkrankte, ließe sich nun zunächst mit dem Hinweis erklären, dass die Seuche nicht auf ihren ursprünglichen Entstehungsort beschränkt war. Zedlers Universal Lexicon konstatiert, kontagionstheoretisch informiert: »Also darf einer nicht erstlich nach Ungarn reisen, u. sich da die Ungerische Kranckheit hohlen, sondern er kann ein solches Fieber e bekommen, er mag seyn wo er will, wo kein Turcke, wo kein Feind ist.«289 Zudem wurde in der medizinischen Literatur der Zeit vereinzelt auch die Auffassung vertreten, die lues Ungarica sei bereits in der Antike bekannt oder aber ihre eigentliche Ursprungsgegend nicht Ungarn, sondern Italien gewesen.290 Vor diesem Hintergrund verlören die bisherigen Beschreibungen ihre Signifikanz. Wird der Blick jedoch auf Güntzers Furcht vor illegitimer Gewalt des religiösen Erzfeindes gelenkt, so bleibt diese Erkrankung bedeutsam. Des Kannengießers Erzfeind waren nicht die Türken, sondern vornehmlich die Katholiken. Auch wenn Güntzer nicht als Söldner an der Grenze des Osmanischen Reiches stand, verstand er sich doch als ein »geistlicher Ritter«, als miles christianus, im Kampf gegen die Feinde des wahren Christentums: gegen die Truppen des Papstes – und die standen auch in Italien. Als ein Soldat dieser Art stritt Güntzer im Vertrauen auf Gottes Schutz, war sich dabei aber auch seiner Schwäche und Sündhaftigkeit bewusst. Den Beweis erbringen nicht allein die den Text durchziehenden Gebete,291 sondern auch Güntzers Beschreibungen seiner eigenen zahlreichen Krankheiten. Der Autor interpretiert sie – seinen Schöpfer um Nachsicht und Stärkung bittend – als göttliche Strafe:292 nicht allein sein böses Phlegma, seine Bräune und seine Gelbsucht, sondern auch seine »Hauptkranckheit« – im 17. Jahrhundert ein weiteres Synonym für das Ungarische Fieber.293 Und all das 289 Art. »Hungarica Febris«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1223. 290 Jordán, Pestis Phænomena, S. 238 f.; Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, S. 214 f., 238 – 241; ders., De morbo Vngarico, S. 338 – 341, 376 – 378. Jordn und Ruland sehen in der febris Hungarica eine modifizierte febris lenticularis bzw. petechialis. Eine Kritik dieser Auffassung etwa bei Sennert, De Febribus, S. 547. Vgl. auch Gyo˝ ry, Morbus Hungaricus, S. 33 f., 52. 291 Vgl. Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 44v, 132r/v, 147r, 152v, 212v – 213r. Zu Güntzers Selbstverständnis als miles christianus, das neben missionarischer Verkündigung und militärischer Bewährung gegenüber dem konfessionellen Gegner auch die Kämpfe gegen die eigenen teuflischen Laster umfasste, vgl. Sieber, Erlesenes Leid, S. 33 ff.; allgemein: Wang, »Miles christianus«. Güntzer assoziierte die »Babisten« mit den Türken, als er 1628 von ihnen aus Colmar vertrieben wurde: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 130v. 292 Nicht anders als die Krankheit seiner Stieftochter Caterina: Sie starb an der Pest, so Güntzer, nachdem sie »auß Mudt[willen] von dem Wordt Gottes abgevallen und daß Babstthum angenomen« (ders., Kleines Biechlin, Bl. 148v). 293 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 124r – 129v, 195r – 199r, für die »Hauptkrankheit« etwa Bl. 126r.
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bedeutet: Was Güntzers Autobiographie mit der Traktatliteratur verbindet, ist der angenommene Zusammenhang zwischen einer allzu großen soldatischen Furcht vor dem religiösen Feind und der Erkrankung an der febris Hungarica als göttlicher Sanktion. Diese Verbindung von Gewaltimagination und Krankheit ist in Güntzers Text zunächst rein zeitlicher Natur. Dass sie damit jedoch implizit auch als eine kausale vorgestellt wird, beweist der Blick auf die physiologische Seite der Pathogenese; und damit zeigt sich auch die Einheit der beiden Erklärungsansätze. Notwendige physiologische Bedingung der Ungarischen Erkrankung waren auch in Güntzers Augen Miasmen. Diese hatten hier jedoch eine besondere Herkunft: Sie wurden verströmt von (symbolischen) Ver-Körperungen und Repräsentationen des konfessionellen Gegners: von Knoblauch und Wachs, von Statuen des Papstes und der Heiligen Maria.294 Was hier giftig stank, war nicht die Fäulnis ansteckender Teilchen, sondern die ihres Entstehungsgrundes: der »Abgötterei«, und das heißt an dieser Stelle: der religiösen Gefahr. Für Güntzers Ansteckung war somit nicht ausschlaggebend, dass Gewalt angedroht wurde, sondern der religiös-konfessionelle Ort der Drohenden. Das heißt: Die entscheidende Grundlage auch der körperlichen Seite von Güntzers Erkrankung waren Religion und Konfession.295 Und insofern diese als eine »abgöttische« und (damit) bedrohliche vorgestellt wurde, erschien die Imagination religiös ausEs ist ein qualitativer Zusammenhang zu vermuten zwischen dieser synonymen Bezeichnungsmöglichkeit und der genannten Rückführung des Ungarischen Fiebers (als einer sich in starken Kopfschmerzen manifestierenden Erkrankung des Hauptes) auf die Furcht der Soldaten, es werde ihnen im Kampf der Kopf abgeschlagen (Art. »Hungarica Febris«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1225). Eine derartige Interpretation liegt auch insofern nahe, als die Enthauptung eine spezifisch türkische Tötungstechnik war. Vgl. dazu auch Arpold Philipp Kopff, De morbo castrensi quem vulgus cephalalgiam epidemicam vocitat, Rinteln 1691, S. 14 – 16. 294 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 58v, 61r. Zu den konfessionellen Dimensionen dieses Infektionsprozesses vgl. auch Kaspar von Greyerz, Religion in the Life of German and Swiss Autobiographers (Sixteenth and Early Seventeenth Centuries), in: Religion and Society in Early Modern Europe 1500 – 1800, hg. v. dems., London / Boston / Sydney 1984, S. 223 – 241, hier 231 f.; Sieber, Erlesenes Leid, S. 38, der jedoch das katholische Miasma als »subtile konfessionelle Waffe« bezeichnet. Wer, so wäre hier zu fragen, hat diese Waffe geführt? 295 Vgl. auch den Tagebucheintrag Herzog Adolf Friedrichs von Mecklenburg-Schwerin: »Den 18. April [1639] von Dr. Jeremias Pistorius aus Wien ein schreiben bekommen, daß mein Gesandter daselbst Christian August Rohr am Fleckfieber gestorben. hat möglich von den Katholischen eine spanische Suppe bekommen« (Beitrag zur Charakteristik des Herzogs Adolf Friedrich von Meklenburg-Schwerin, wie auch zur Schilderung der Sitten des siebenzehnten Jahrhunderts. Entlehnt aus des obgedachten Herzogs eigenhändig geführten Tagebüchern v. Carl von Lützow, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 12 [1847], S. 59 – 122, hier 110). Ansteckung durch »Ketzerei« findet sich auch bei Gaisser, Tagebücher, S. 217a und 322b – 323a: Ein Gerber sei, »vom Calvinismus angesteckt« (calvinismo infectus), auf die schwedische Seite übergetreten und habe seine Strafe durch tödliche Krankheit erhalten.
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geübter Gewalt konstitutiv für die Genese des Ungarischen Fiebers. Damit wiederum waren in dieser Genese körperliche Prozesse und Imaginationen in einer Weise miteinander verbunden, die sich in den Kategorien einer substanziellen Trennung von Physis und Psyche nicht adäquat beschreiben lässt. Die religiös-konfessionelle Dimension der Gewaltimagination an sich stünde einer psychohistorischen Interpretation der Ungarischen Krankheit nicht im Wege. Bei Güntzer jedoch entfaltet die imaginatio ihre Wirkung gerade nicht »psychisch« oder »psychosomatisch«, sondern ihr ist selbst, wie es der Schaffe hausener Physicus Heinrich Screta 1685 ausdrückt, »etwas korperliches oder 296 materialisches einferleibet«; der Akt der »Einbildung« stellt selbst einen körperlichen Prozess dar. Das Verhältnis von Gewaltimagination und Erkrankung ist hier ein qualitatives. Ausschlaggebend für diese spezifische Erkrankung ist nicht, dass Gewalt imaginiert wurde; wer den Zusammenhang zwischen der Imagination und dem Erleiden von Gewalt zu verstehen sucht, muss nach der Art der imaginierten Gewalt fragen: danach, was als gewaltsam erschien. Allein daraus erklären sich die Folgen der imaginierten Gewaltausübung und die besonderen Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen. Dies zeigt sich in zweifacher Weise. 1. Als Güntzer sich vor den italienischen Katholiken fürchtete, besorgte er nicht allein, »ins Feihr« gesetzt zu werden, sondern auch, zu einer Verletzung seines religiösen Bekenntnisses gezwungen zu sein: das Seelenheil zu verlieren.297 Diese Furcht zeitigte ein Gewalterleiden, dessen besondere Körperlichkeit sich nicht allein in der Krankheit selbst, sondern in deren Entstehungsprozess manifestierte: Erst die Furcht Güntzers vor religiös motivierter Gewaltausübung e ließ die Repräsentationen der »Abgottery« ihr miasmisches Gift gegen den Furchterfüllten verströmen. Diese Furcht war assoziiert mit einem Ekel vor dem »Gestanck« dieses Giftes: des Knoblauchs und Wachses der »Babisten« sowie der katholischen »Abgötterei« selbst.298 Dieser »Gestanck« in Güntzers Nase war nicht ledgilch eine Metapher im Text, nicht rhetorische Waffe, um den konfes296 Screta, Kurzer bericht, S. 122. Vgl. Lebenwaldt, Hauß= und Artzney=Buch, S. 503. 297 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 58r, 60r. Bereits den Elfjährigen hatten Jesuiten gewaltsam zu konvertieren versucht: Bl. 16[a]v. Derartige Zwangskonversionen erschienen ihm schlimmer als der Verlust des leiblichen Lebens (vgl. Güntzers Kommentar zur Bartholomäusnacht: Bl. 230r). 298 Zum Verhältnis von Gestank, Ekel und Infektion in der Frühen Neuzeit vgl. Alain Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Berlin 1984 [Paris 1982], S. 29, 31, 34, 36 46, 50, 63, 68 – 76. Zum Stellenwert des Ekels in der Emotionengeschichte vgl. Rüdiger Schnell, Ekel und Emotionsforschung, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 79 (2005), S. 359 – 432. Zur Geschichte des Ekels in der Moderne vgl. Winfried Menninghaus, Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt a.M. 2002, dessen literaturwissenschaftlicher Ansatz vormodernen Ekel als Untersuchungsgegenstand a priori ausschließt.
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sionellen Gegner unter Rückgriff auf sinnlich Abstoßendes wirkungsvoller zu diskreditieren. Der durch diesen Gestank evozierte Ekel steht an der Seite desjenigen fastidium, das sowohl in der medizinischen Literatur als auch in konkreten Fallbeschreibungen der Zeit sowohl unter den Symptomen299 als auch unter den Hauptentstehungsursachen der Ungarischen Krankheit rangiert. Diese nausea brachte Religiös-Konfessionelles in sinnlich-körperliche Gemeinschaft mit dem Ekel vor stinkenden Fäulnisteilchen über Schlachtfeldern, Sümpfen und Kloaken, vor ungegarter Nahrung, die die Soldaten in den (ungarischen) Feldlagern immer wieder zu sich zu nehmen gezwungen waren, und vor der Ungarischen Krankheit und den Erkrankten selbst.300 Ekel erregte die »böse Luft«, auch und gerade insofern sie hier religiös-konfessionell konnotiert war ; und dieser – mit Furcht assoziierte – Ekel schien geeignet, die Ansteckung herbeizuführen, vor der es ihn ekelte.301 Eine derartige Abhängigkeit der Infektion von der Furcht wurde denkbar, wo die nausea – als körperliche Ursache und als Symptom des Ungarischen Fiebers – am Ende als Gottes Rache erschien an denen, die es ekelte vor seinem Willen und Wort.302 Wenn Gottesfurcht half gegen die Furcht vor Gewalt, dann nicht über die Stärkung eines individuellen psychophysischen Systems, sondern – und auch dies steht in den medizinischen Traktaten der Zeit – weil sie die infektiösen Miasmen abzuwehren und buchstäblich in die Flucht zu schlagen vermochte.303 2. Vor diesem Hintergrund führte auch die Furcht vor unmittelbar ausgeübter körperlicher Gewalt: die Angst, durch das Feuer oder das Schwert des Feindes zu sterben, in erster Linie deswegen in die Ungarische Krankheit, weil auch diese Furcht den Verlust des Seelenheils befürchtete: nicht den Tod an sich, sondern einen plötzlichen, der mit der letzten Buße auch den Weg ins Himmelreich verwehrte.304 299 Siehe etwa Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, S. 93; Horst, Bericht, S. 4; Zapff, De morbo castrensi, S. 17 f.; Parschitius, De morbo Hungarico, S. 5; Löw, De morbo Hungarico, S. 20; Windisch, De languore Pannonico, S. 9, 19. 300 Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 73, 91, 164; Coberus, Observationes medicae II, S. 13; III, S. 21 ff., 31; Horst, Bericht, S. 7; Leichner, Kurtzer und heilsamer Unterricht, Praeservatio II; Windisch, De languore Pannonico, S. 15. Die große Bedeutung des Ekels und dessen Verbindung mit Furcht und Angst zeigen sich auch bei Johannes Milleter, der – wenn auch als vereinzelte und umstrittene Stimme – gar eine »Ekel-Krankheit« als eigenständiges Synonym für den morbus Hungaricus einführte: Johannes Milleter, De Morbo Tsömör Hungaris endemio, Leiden 1717, S. 8 – 23, insbes. 12, 21 f. 301 Vgl. Screta, Kurzer bericht, S. 164. 302 Vgl. Ruland, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi, S. 7 f. 303 Vgl. Georgi, De febre Hungarica, S. 17. Vgl. dazu auch oben Abschnitt 3. 304 Die Furcht vor einem jähen Tod findet sich bei Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 204v. Für Literaturhinweise siehe oben Anm. 76. Bei Johann Georg Heinrich Kramer geht die Empfehlung eines »hertzhafftigen Muth[s]« als »unfehlbare[s] Mittel wieder alle ansteckende Krankheit« mit dem Spott auf die Furcht vor dem jähen Tod unter den »heutigen lauhe[n]
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Ein weiteres Beispiel für diese Zusammenhänge bietet Herzog Johann Ernst der Jüngere von Sachsen-Weimar. Der Bruder Ernsts des Frommen ekelte sich in Ungarn vor nicht gar gekochter Speise, als er im Dreißigjährigen Krieg als dänischer Generalfeldoberst die »teutsche Libertaet« zu verteidigen suchte, und zog sich so die »Hauptkrankheit« zu. Dass Johann Ernst die unangenehme Empfindung des Ekels durch den Genuss starken (ungarischen) Weins zu überwinden suchte, führte, wie es schien, lediglich zu einer Verschlimmerung der Lage:305 Nach vierzehntägiger Krankheit starb er am 4. Dezember 1626.306 Christen einher (Johann Georg Heinrich Kramer, Medicina castrensis, Nürnberg 1735, S. 57 f., Anhang II: Consilium Medicum, de morbo castrensi epidemico Anni 1734. & 1735, S. 109 – 124, hier S. 124). 305 Dass übermäßiger Zuspruch zum Wein den Fehler des Verzehrs ungegarten Fleisches nicht zu beheben, sondern nur zu vergrößern vermochte, betonen auch Sennert, De Febribus, S. 545 f., und Coberus, Observationes medicae I, S. 28 f., 34. Eine Kritik an der landläufigen ätiologischen Verknüpfung von mangelnder Garung und Ungarischer Krankheit – eine Verknüpfung, die besonders in Adelskreisen zu einer regelrechten Strafandrohung für die Berührung frisch geschlachteten Fleisches geführt habe – findet sich bei Jordán, Pestis Phænomena, S. 232 f. Der katholische Obervogt und Advokat Heinrich von Pflummern gibt Weinkonsum ebenso als Ursache der febris Hungarica an wie den Ekel und das Entsetzen vor ihm (bzw. vor der Krankheit dessen, der in diesem Fall den fraglichen Trank anbot): Die Tagebücher des Dr. Johann Heinrich von Pflummern 1633 – 1643, bearb. v. Alfons Semler, hg. vom Badischen Generallandesarchiv, Karlsruhe 1950 (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Beiheft 98 [N.F. 59]), S. 138 f.: »Neben disen vom feindt erlittenen stäthen trangsalen, sorg vnd angsten hatt der allmächtige zumaln die statt Vberlingen mit einer schwären hauptsucht, gleich einem hungarischen fieber haimbgesuecht, daran offtermaln in einem tag in 6, 7 vnd mehr personen jedoch mehrer thailß nhur frembde baursleütt oder arme burger wegen ihres vnordenlichen leben oder vnsaubern haußhalltens (so wegen vberhäufften in die statt herein gewichnen landtvolckhs, roß vnd vich in gemainen häußern durch keine oberkaidtliche gebott oder verordnungen abzustellen geweßt) hingenommen worden. Vnder den vermöglichen vornemmen burgern finden sich allein an diser sucht abgeleibt Frantz Haan, wellicher den 31 Martij gott befohlen, deme gleich nachgehenden tag gevolgt sein vatter Hanß Raphael Haan, wellicher den sohn in seiner kranckhaitt besuecht vnd auf deßen invitirn einen trunckh wein mit ettwaß graußen vnd entsitzen gethon, auch von sollcher imagination so bald er nach hauß kommen, sich zu bett gelegt vnd wie gemellt, dem sohn gleich deß andern tags hoffentlich in daß ewige leben nachgevolgt ist. Deß jüngern Haanan haußfraw ist damaln zugleich mit tödlicher kranckhaitt vnd hauptwee behafft gelegen. – Sonsten sein an diser sucht noch vil andere junge vnd gemainlich die stärckhere leütt, sondernlich die ihenige, welliche dem wein hievor vnmäßiglich ergeben geweßt oder welliche sich deßen in wehrender kranckhaitt nicht enthallten, gestorben.« e 306 Theatrvm Evropævm, Oder Außfuhrliche/ vnd Warhafftige Beschreibung aller vnd jeder e e e denckwurdiger Geschichten/ so sich hin vnd wider in der Welt/ furnamlich aber in Europa/ vnd Teutschen Landen/ so wol im Religion= als Prophan=Wesen/ vom Jahr Christi 1617. e biß auff das Jahr 1629. Bey Regierung deren beyden Glorwurdigsten/ Allerdurchleuche e e tigsten/ vnd Vnuberwindlichsten Romischen Keysern Matthiæ/ allerhochstseligster Gee dachtnuß/ vnd Ferdinandi deß Andern/ vnsers jetzt regierenden Keysers/ sich begeben vnd zugetragen haben/ etc. Beschrieben durch M. Joannem Philippum Abelinum, […] verlegt durch Matthæum Merian, Teil 1, Frankfurt a.M. 1635, S. 1083; Bernhard Gottlieb e Huldreich von Hellfeld, Leben Johann Ernsts des Jungern Herzogs zu Sachsen Weimar e etc. Ein Beitrag zur Geschichte des dreißigjahrigen teutschen Kriegs und des Herzoglichen
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Angesichts der wiederholten Hinweise in der fürstlichen Historiographie erhält der zunächst marginal erscheinende Aspekt des Ekels eine besondere Bedeutsamkeit. Der mit dem Ekel verbundene Affekt der Furcht kommt dann in Form einer traurigen »Bekümmernüs« ins Spiel. »Feindsehlige Politici«, so berichtet Johann Ernsts Hof- und Feldprediger Davide Cipachio, hätten die Vermutung geäußert, ein moeror animi zeichne für das bösartige Fieber des Fürsten verantwortlich. Ihnen verwies die tödliche Erkrankung des Fürsten auf die Gewissensangst dessen, der am Wissen um Illegitimität und Gewaltsamkeit der eigenen konfessionellen und politischen Ziele starb. Dass sich der Fürst hatte zu Tode grämen können, wollte Cipachio nicht bestreiten; nur konnte er den Schluss von der »Bekümmernis« auf eine mit Schuld beladene conscientia nicht ziehen – im Gegenteil: In den Augen des Theologen resultierte eine derart tödliche Traurigkeit aus gewaltsamen Verfolgungen, wie sie derzeit so viele fromme Evangelische in Böhmen, Mähren und Österreich durch die Kaiserlichen zu erleiden hatten.307 Vor diesem Hintergrund hatte Johann Ernst, wenn er denn an »Bekümmernis« gestorben sein sollte, sein Leben im heldenhaft tapferen Kampf für die Sache der Protestanten gelassen: im Kummer des Gerechten angesichts der Ungerechtigkeit der Katholischen. Hätten die politischen Gegenspieler Recht mit ihrer Erklärung des herzoglichen Fiebers, dann wäre, so Cipachio, auch das Leid der Protestanten im Dreißigjährigen Krieg als gerechte Strafe Gottes aufzufassen. Anderen protestantischen Bußpredigern war dies ein durchaus vertrauter Gedanke, Cipachio jedoch hieß es, selbst die Kreuzigung Christi ins Recht zu setzen.308 Grundlage von Cipachios ätiologischer Erörterung ist die Gerechtigkeit der eigenen Sache. Der Hinweis auf sie ist sowohl Ausgangspunkt als auch Ergebnis der Argumentation. Und dies gilt auch für die andere Seite. Beide, sowohl jene, denen der moeror Johann Ernsts auf den Verfolger, als auch diejenigen, denen er auf den Verfolgten verweist, gingen von derselben Prämisse aus: von der Konfessionsspezifik der Entstehungsbedingungen der Hauptkrankheit. In diesem Hauses Sachsen aus Urkunden und gleichzeitigen Schriften entworfen, Jena 1784, S. 178 f.; Johann Heinrich Gelbke, Herzog Ernst der Erste genannt der Fromme zu Gotha als Mensch und Regent. Eine historische Darstellung aus Acten und bewährten Druckschriften gezogen und mit einem Urkundenbuche, 3 Bde., Gotha 1810, Bd. 1, S. 15 f. Für den Hinweis auf Johann Ernst danke ich Dominik Collet (Göttingen). 307 Vgl. dazu oben Anm. 283. 308 Davide Cipachio, Zwo Christliche Leichpredigten […] Die andere[,] da Hochgedachter Fürstlicher Leichnamb mit HochFürstlichem gepränge vnd Ceremonien zu seinem Erbbegräbnüs Stadtlich eingeleutet vnd beygesetzet worden. Gethan zu Weymar den 18. Julij bemeldetes Jahres. von Hochgedachter I. F. Gn. gewesenem Vnwürdigen Hoff= vnd Feldprediger H. Davide Cipachio, 1627, FBG Chart. B 308, Bl. 38r/v, 40r/v. Zu den Einstellungen protestantischer Theologen zum Krieg siehe Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, Abschnitte II und III.
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Apriori zeigt sich, inwiefern die Semantik der Haupt- bzw. Ungarischen Krankheit auch auf der Ebene politischer Rhetorik als Medium und Instrument konfessioneller Auseinandersetzung über das Wahre und Gute fungierte. Die Furcht vor der Gewalt des religiösen Erzfeindes zeitigte, indem sie Gewalt imaginierte, ein körperliches Erleiden. Wer derartiges Leiden beschrieb, erfuhr zwar keine unmittelbare körperliche Verletzungsmacht, dessen ungeachtet jedoch erlitt er auch nicht lediglich eine symbolische Gewalt.309 Dieses Erleiden ist am ehesten als ein mediates körperliches zu fassen. Die Vermittlung zwischen angsterfüllter Gewaltimagination und Erkrankung wiederum stellt sich nicht als eine »psychische« dar, sondern ihrerseits als eine körperliche; sie entstand in der religiösen Bedeutung der Ausübung, des Erleidens und der Imagination der Gewalt. Diese imaginatio begegnet nicht als »bloße« Vorstellung, nicht als mentale Repräsentation »realer« körperlicher Gewaltzusammenhänge, sondern als deren konstitutiver materieller Bestandteil. Erst als sie ihre Macht einzubüßen begann, geriet, unter erneuter Berufung auf die »Erfahrung« (experientia), der Name der Ungarischen Krankheit in die Kritik; erst im späten 18. Jahrhundert konnte er zu einer Bezeichnung werden, die nicht allein der ungarischen Nation Unrecht tat, sondern ihrerseits pathogene Wirkung entfaltete: die, wie der ungarische Arzt Friedrich Jacob Fuker vermerkt, aus Deutschland aufbrechende Soldaten erkranken ließ, indem sie ihnen das falsche Bild eines gefährlichen Ungarn entwarf.310 Eine Furcht, die nicht allein in einer Reaktion auf die Androhung von Gewalt bestand: die nicht als »psychische« Gewalt erlitten wurde, sondern als körperliche (und in deren Erregung damit eine körperlich wirksame Verletzungsmacht ausgeübt wurde), eine solche Furcht muss in die Geschichte körperlicher Gewalt
309 Zum Begriff der symbolischen Gewalt vgl. Kaspar von Greyerz / Kim Siebenhüner, Einleitung, in: Religion und Gewalt, hg. v. dens., S. 9 – 25, hier 15 – 18, die sich u. a. an Pierre Bourdieu, Le pouvoir symbolique, in: Annales. Êconomies, Soci¦t¦s, Civilisation 32 (1977), S. 405 – 411, orientieren. 310 Friedrich Jacob Fuker, De salvbritate et morbis Hvngariae. Schediasma, Leipzig 1777, S. 18: »Factum inde est, vt, cum Germani, milites aut alii, in Hungariam proficisci coguntur, parentibus et cognatis suis ita soleant valedicere, quasi trans Stygem navigaturi. Imprimis muliercularum in isthoc periculo terror tantus est, vt nonnisi cum fletu et gemitibus maritos tamquam ad sepulchrum sequantur, et saepe etiam penitus nolint; vt iam viderim, in Germania homines esurire, qui in Hungaria bene comedissent. X. Est autem Hungaria non solum non insalubris, sed etiam omnibus, quae ad salubritatem locorum requiruntur, indiciis saluberrima.« S. 51: »Hoc saltem compertum habetur, extraneum militem, cui antiquitus in Hungariam adducto cum Turcis aut Hungaris agendum fuerit, ob laborum insalubritatis et crudelitatum famam, iam aegrotasse; ita duplici tyrannide terribilis erat regio. Ipse ego memini, qualiter vltimi belli borussici tempore, ex quatuor millibus tyronum in superiori Hungaria ad arma coactorum, duo mille metu et moerore conficerentur«. Vgl. S. 35.
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aufgenommen werden.311 Für die Historisierung dieser Gewalt – insbesondere in ihrem Verhältnis zur Religion – ist zunächst zu beantworten, wie sie religiös gedeutet wurde, und das heißt: was jeweils als gewaltsam erschien. Hier ist an e Andreas Gryphius zu erinnern: »Doch schweig ich noch von dem/ was arger als der todt. jj Was grimmer den[n] die pest/ vndt glutt vndt hungers noth jj Das nun der Selen schatz/ so vielen abgezwungen.«312 Die Geschichte körperlicher Gewalt ist somit nicht zu verstehen ohne deren kulturelle Formen und Funktionen313 und nicht ohne ihre Legitimierungen, Codierungen und Diskursivierungen,314 wie sie von der Forschung vielfältig herausgearbeitet worden sind. Darüber hinaus jedoch – das beweist das Ungarische Fieber – muss die Frage beantwortet werden, worin die Körperlichkeit dieser Gewalt bestand. Dafür ist die Einbil311 In der einschlägigen Literatur findet sich lediglich der Hinweis, dass physische Gewalt immer auch in Furcht und Angst versetzt(e): Markus Meumann, The Experience of Violence and the Expectation of the End of the World in Seventeenth-Century Europe, in: Power, Violence and Mass Death in Pre-Modern and Modern Times, hg. v. Joseph Canning / Hartmut Lehmann / Jay M. Winter, Aldershot / Burlington 2004, S. 141 – 159, hier 142, 146; ders. / Niefanger, Für eine interdisziplinäre Betrachtung von Gewaltdarstellungen des 17. Jahrhunderts. Einführende Überlegungen, in: Ein Schauplatz, hg. v. dens., S. 7 – 23, hier 9 f., 22; Lindenberger / Lüdtke, Einleitung. Physische Gewalt – eine Kontinuität der Moderne, in: Physische Gewalt, hg. v. dens., Frankfurt a.M. 1995, S. 7 – 38, hier 7. Systematisch kommt die Furcht lediglich dort ins Spiel, wo sie als Kausalursache von Gewalt herangezogen wird, v. a. in der einschlägigen Hexenforschung und bei Crouzet, Les guerriers de Dieu. 312 Andreas Gryphius, Threnen des Vatterlandes/ Anno 1636, in: Gesamtausgabe, Bd. 1: Sonette, hg. v. Marian Szyrocki, S. 48, Vers 12 – 14. Dazu auch unten Kap. 5. 313 Vgl. Natalie Zemon Davis, Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich, Frankfurt a.M. 1987, und die einschlägigen Beiträge in: Physische Gewalt, hg. v. Lindenberger / Lüdtke; Gewalt = Violence, hg. v. Albert Schnyder-Burghartz, Zürich 1995 (Traverse. Zeitschrift für Geschichte – Revue d’histoire 1); Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, hg. v. Rolf Peter Sieferle / Helga Breuninger, Frankfurt a.M. / New York 1998. 314 Vgl.: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger ; Burschel, Sterben und Unsterblichkeit; Das Quälen des Körpers. Eine Historische Anthropologie der Folter, hg. v. dems. / Götz Distelrath / Sven Lembke, Köln / Weimar / Wien 2000; Folter, hg. v. Harrasser / Macho / Wolf; Schlachtfelder. Codierung von Gewalt im medialen Wandel, hg. v. Steffen Martus / Marina Münkler / Werner Röcke, Berlin 2003; Gewalt, hg. v. Ulbrich / Jarzebowski / Hohkamp; Religion und Gewalt, hg. v. von Greyerz / Siebenhüner; Violence in Early Modern Europe 1500 – 1800: New Approaches to European History, hg. v. Julius R. Ruff, Cambridge 2001; Power, hg. v. Canning / Lehmann / Winter ; Maren Lorenz, Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg, Köln / Weimar / Wien 2007; Alain Corbin, Die Massaker von Paris. Ein Beispiel für Gewalt und ihre Darstellung, in: Das zivilisierte Tier. Zur Historischen Anthropologie der Gewalt, hg. v. Michael Wimmer / Christoph Wulf / Bernhard Dieckmann, Frankfurt a.M. 1996, S. 181 – 194; Hohkamp, Grausamkeit; Pröve, Violentia; ders., Gewalt und Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Formen und Formenwandel von Gewalt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 792 – 806.
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dungskraft zu berücksichtigen – eine Imagination, in der Gott die Gottesfürchtigen vor Gewalt schützte und die Furchtsamen gewaltsam strafte, mit Furcht.315 Vor diesem Hintergrund ist das Erleiden imaginierter Gewalt nicht zu begreifen ohne die Möglichkeit imaginativer Gewaltausübung durch Gott und den Menschen.316 Bei aller Kritik des »Aberglaubens«: Auch die Protestanten (und gerade sie) waren überzeugt von der Existenz zauberischer Gewalt,317 und auch sie hatten den magischen Zugriff auf die göttliche Macht nicht verloren; neu waren lediglich ihre Wege und Medien (und auch dies nur zum Teil). Die Moralisierung des Universums gründete in einer »spezifisch protestantische[n] Form des Sakramentalismus«; dieser Kosmos war weniger sakramentalisiert, möglicherweise, aber nicht weniger sakralisiert. Wo geheiligte Personen, Dinge und Orte an Wirkungskraft verloren hatten, dort halfen Wort, Gesang und (eine ihrerseits verdinglichte) Heilige Schrift: aufrichtige Buße und die Werke der Nächstenliebe.318 Um diese Möglichkeiten wusste offenbar auch Augustin 315 Bisherige Studien zur Geschichte frühneuzeitlicher körperlicher Gewalt gehen ganz überwiegend von einem Gewaltbegriff aus, der auf ein spezifisch modernes Konzept der Physis gegründet ist – und zwar nicht allein jene Arbeiten, die im Anschluss an Norbert Elias und Gerhard Oestreich Kulturen über ihre Gewaltpotentiale und deren Ursachen erklären, sondern auch die vorangehend genannten, die diese Tradition zu Recht kritisieren, inspiriert durch kulturanthropologische sowie neuere soziologische Ansätze wie Wolfgang Sofsky, Traktat über die Gewalt, Frankfurt a.M. 1996; Trutz von Trotha, Zur Soziologie der Gewalt, in: Soziologie der Gewalt, hg. v. dems., Opladen / Wiesbaden 1997 (Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 37), S. 9 – 56. Siehe dazu Mommertz, »Imaginative Gewalt« (mit weiterer Literatur), und Andreas Bähr, Die Semantik der Ungarischen Krankheit. Imaginationen von Gewalt als Krankheitsursache zwischen Reformation und Aufklärung, in: Gewalt, hg. v. Ulbrich / Jarzebowski / Hohkamp, S. 359 – 373. – »Psychische Gewalt«, als ausgeübte wie als erlittene, ist ein moderner Komplementärbegriff zur »physischen« und nur vor deren Hintergrund zu verstehen; vgl. Jan Philipp Reemtsma, Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne, München 2009, S. 129 – 133, insbes. 129. 316 Mommertz, »Imaginative Gewalt«, S. 355 – 357. 317 So implizit auch Güntzer : Zu Forchheim hätten ihm ein Wirt und dessen Hausfrau das Essen vergiftet und seien später als »Zauberer« des Landes verwiesen worden: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 49v – 50r. Sein anschließendes langwieriges Leiden an Geschwüren und Eitermalen führt Güntzer hier jedoch nicht auf eine Verhexung, sondern eben auf eine Vergiftung zurück. Pathogenes Potential, so scheint es, kam lediglich Güntzers eigenen Imaginationen zu. Zur Zauberei vgl. auch Bl. 63v. 318 Vgl. Robert W. Scribner, Reformation, Volksmagie und die ›Entzauberung der Welt‹ [1993], in: ders., Religion und Kultur in Deutschland (1400 – 1800), hg. v. Lyndal Roper, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 175), S. 378 – 398, hier 386 – 389, zit. 387; auch Ulinka Rublack, Die Reformation in Europa, Frankfurt a.M. 2003, S. 212 – 215. So wurden Moral und Nächstenliebe zu einer eigenen Form, Gott in Zugzwang zu setzen – auch wenn sein Wirken in der Welt »nicht auf menschliches Geheiß« erfolgte und es »nicht automatisch abgerufen werden konnte« (Scribner, Reformation, S. 387). Der Gott der Protestanten ließ sich bitten und nicht zwingen. Dass jedoch selbst die
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Güntzer. Auf seiner Flucht vor den unliebsamen Katholiken traf der Wanderer auf konfessionsverwandte Bäckergesellen, die sich ebenfalls der katholischen Bedrängnis zu erwehren suchten. Sie »machten sich lustig«, wie Güntzer berichtet, das heißt, sie ermutigten sich, mit Luthers »Kinderlied, zu singen wider die zween Ertzfeinde Christi und seiner heiligen Kirchen, den Bapst und Türcken, etc.«: »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort«. Güntzer konnte als bekannt voraussetzen, wie der Liedtext (damals noch) fortfuhr : »Und steur des Bapsts und Türcken Mord Die Jhesum Christum deinen Son Wolten stürtzen von deinem Thron. Beweis dein Macht, HERR Jhesu Christ, Der du Herr aller Herren bist, Beschirm dein arme Christenheit, Das sie dich lob in ewigkeit. Gott heilger Geist du Tröster werd, Gib deim Volck ein[e]rley sinn auff Erd. Sthe bey uns in der letzten Not, Gleit uns ins Leben aus dem Tod.«319
Vielleicht hätte der Gesang auch Güntzer helfen können. Doch diese Hilfe kam für ihn zu spät. Der Kannengießer lag bereits danieder, mit Ungarischem Fieber, und konnte nicht mitsingen.320 Möglicherweise jedoch hätte das Lied ohnehin nicht geholfen. Wichtiger, als Gott dazu zu bewegen, die Strafe abzuwenden (und stattdessen ihre Instrumente zu treffen), war das Bewusstsein, dass er sich ihrer zu Recht bediente: das Wissen um die eigene Strafwürdigkeit, die furchtlose Gottesfurcht. Als Protestant konnte Theologen diesen Grundsatz nicht immer beherzigten, zeigen etwa die beiden Gewittertraktate von Hieronymus Ottho und Bernhard Albrecht; dazu oben Abschnitt 2. 319 Martin Luther, Luthers Lieder, in: WA 35, S. 411 – 473, hier 467 f., nach Ps 119.105. In den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts dichtete Justus Jonas fort: »Ihr anschleg HERr zu nichten mach, jj las sie treffen die böse sach, jj unn[d] stürtze sie in die gruben ein, jj Die sie machen den christen dein. jj So werden sie erkennen doch, jj das du unser Got lebest noch, jj unnd hilfst gewaltig deiner schar, jj Die sich auff Dich verlesset gar.« Hier wurde aus dem Trostlied eine »lutherische ›Marseilleise‹«, die »auf die Vernichtung der antichristlichen Gegner durch das Eingreifen des himmlischen Retters« zielte: Kaufmann, Apokalyptische Deutung, S. 431. Zur protestantischen Legitimation von Gewalt im Dreißigjährigen Krieg siehe auch ders., Dreißigjähriger Krieg, S. 32 f., 54 – 77. Zur Gewaltsamkeit des Kirchenliedes vgl. Patrice Veit, Entre violence, r¦sistance et affirmation identitaire. A propos du cantique de Luther »Erhalt uns Herr bei deinem Wort«, in: Religion und Gewalt, hg. v. von Greyerz / Siebenhüner, S. 267 – 303. Zum lutherischen Kirchenlied im Allgemeinen vgl. Hans-Georg Kemper, Das lutherische Kirchenlied in der Krisen-Zeit des frühen 17. Jahrhunderts, in: Das protestantische Kirchenlied im 16. und 17. Jahrhundert. Text-, musik- und theologiegeschichtliche Probleme, hg. v. Alfred Dürr / Walther Killy, Wiesbaden 1986 (Wolfenbütteler Forschungen 31), S. 87 – 108. 320 Vgl. Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 60r/v.
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Güntzer nicht bezweifeln: Wirksamer war es zu wissen, Gott nicht zwingen, sondern nur bitten zu können: um die Gnade der Befähigung zu dem, was zur Gnade befähigt, im Werk der Buße, um die Gnade des Wissens, auserwählt zu sein allein im Wissen, dies nicht zu verdienen.321 In diesem paradoxen Gedanken kamen die reformatorischen Gnadenlehren einander gleich. Prädestination, in ihrer calvinistischen wie in ihrer lutherischen Form, stand praktisch nicht im Widerspruch zur Möglichkeit des Handelns; die Frage ist vielmehr, worin diese Möglichkeit bestand. »Handeln« vollzog sich in semiotisch-kausalen Zusammenhängen von Tun und Ergehen, in einem providentiellen Horizont, in dem seine Ursachen und Wirkungen, seine Beweggründe und Ziele, seine Motivationen und Intentionen, sein Anfang und sein Ende immer schon aufgehoben waren. Die Göttlichkeit Gottes und die Menschlichkeit des Menschen implizierten die Existenz einer Vorsehung auf der einen Seite und das Postulat heilsrelevanten Handelns auf der anderen, anders gesagt: dessen Notwendigkeit und Unmöglichkeit zugleich. Zwar scheint Calvins doppelte Prädestination die Möglichkeit auszuschließen, auf das eigene Heil selbst Einfluss zu nehmen; und damit unterscheidet sie sich von der speziellen Providenz Martin Luthers, in der das Werk der Buße das Entscheidende auszurichten vermag.322 Auch die lutherische Buße jedoch war undenkbar ohne die Gnade, auf die sie zielte; auch der lutherische Gott konnte nur vorhersehen, was er bereits festgelegt hatte: ob es dem einzelnen gelingen würde, dieses Werk zu tun. Umgekehrt gilt, und das ist vielleicht noch wichtiger : Im Horizont von Calvins »strenger« Prädestinationslehre generierte die Suche nach Heilszeichen ihrerseits ein Tun, das als Zeichen am Ende zur Ursache wurde für das, was es bezeichnete: das allererst herbeiführte, was doch unabänderlich war.323 Dies 321 Siehe dazu Güntzers reformiertes Glaubensbekenntnis in ders., Kleines Biechlin, Bl. 27v – 29r, 165r – 177r, mit expliziter Bezugnahme auf Luther : Bl. 176v – 177r. Für das Bewusstsein eigener Auserwähltheit siehe Bl. 6v, 29r, 175r. 322 Kaspar von Greyerz, Vorsehungsglaube und Kosmologie. Studien zu englischen Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts, Göttingen / Zürich 1990 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 25), S. 95 – 118; ders., Religion und Kultur. Europa 1500 – 1800, Göttingen 2000, S. 124 f., 149 – 152. Grundlegend zum Gedanken der Providenz ist außerdem Alexandra Walsham, Providence in Early Modern England, Oxford / New York 2001. Für die Romanliteratur siehe Werner Frick, Providenz und Kontingenz. Untersuchungen zur Schicksalssemantik in deutschen und europäischen Romanen des 17. und 18. Jahrhunderts, Tübingen 1988 (Hermea, N.F. 55). 323 Vgl. Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 176v : »Ob nun wol niemand in den ewigen Radt Gottes hineinsehen kan, so offenbaret sich doch die Gnadenwall selbs an den Auserwelten zu seiner Zeitt, wie dan der Abostel Paulus sagt, 2. Timoth 2: Sie tretten ab von der Ungerechtigkeit. Das ist, sie thun Buß undt sindt from. Item, sie nenen den Namen JESUM, verstehen ohne Heicheley, sie erkenen i[h]n fihr ihren Jesum undt glauben an i[h]n. Wehr daß bey sich befindet, der hatt ein gewiß unfelbares Zeignuß, das er ein außerweltes Kindt Gottes seye.« Und Güntzer bezieht sich auch dabei auf Luther : »Darff sich auch ferner nicht um den ewigen Rath Gottes bekimern, dan also (nemlich, wan er from undt glaubig ist[)]
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erklärt sich weniger aus einem Fehler des Gedankens324 als aus einer historischen Epistemologie, in der jedes Bezeichnen auch ein Bewirken ist. Wo nun die Befähigung zur Gnade (im Glaubenshandeln) die Gnade voraussetzte, die sie zu erlangen suchte, dort musste der erste Vers des wehrhaften Kinderliedes lauten: »Erhalt uns Herr, bei deinem Wort.« Gott bewies seine Macht nicht durch den Sieg über den Erzfeind, über »Papisten« und »Türken«, sondern indem er dem Menschen die Gnade erwies, um Seine Macht zu wissen, ohne sie mit Augen zu sehen. So weit die Theologie. Im autobiographischen Text dagegen war die furchtlose Furcht der Gottesfürchtigen nicht das Ende, sondern der Anfang der Furcht, die sie auszutreiben suchte: nicht ihr Gegenteil, sondern ihre Konstitutionsbedingung. Auch in Güntzers Text dominieren zunächst Furcht und Angst, melancholische Anfechtung und drohende Verzweiflung; seine geistliche Ritterschaft stand stets im Zeichen Hiobs (und schien dessen Leiden noch zu übertreffen).325 Wo Gott in Furcht versetzte, um Furcht zu nehmen, dort wurde die Furcht, die genommen werden sollte, durch den Versuch der Befreiung erst ermöglicht. Wenn Güntzer, voller Gottvertrauen, seinen Schöpfer um die Kraft bat, ihm zu vertrauen, so gestand er ein, dass ihm dieses Vertrauen so recht nicht gelingen wollte. Der Protestant konnte seine furchtlose Gottesfurcht nur unter Beweis stellen im Bewusstsein, dass er sie nicht hatte und dafür von dem, den er fürchten sollte, zu Recht in Furcht versetzt wurde – mit allen pathologischen Folgen, wie sie das Ungarische Fieber besonders eindrücklich vor Augen führte. Güntzers Furcht und die Krankheit, die sie nach sich zog, bildeten die Sündhaftigkeit ab, in die der Kannengießer gestürzt werden musste, um sie überwinden zu können: die dem eigen sein musste, der sich von ihr zu distanzieren suchte. So wurde Güntzer dem Ideal der Furchtlosigkeit, das er proklamierte, a priori nicht gerecht. Vor diesem Hintergrund war sein entscheidendes Problem nicht der gewaltsame Angriff der feindlichen Katholiken, sondern seine eigene Angreifbarkeit: die Furcht, der Verführung »innerlich« nicht standzuhalten. Die Gewalt an der Seele erregte auch deswegen größere Furcht als die Verletzung des Körpers, weil sie nicht verübt werden konnte, ohne dass die Angegriffenen es zuließen. Dies zeigt sich auch dort, wo Güntzer Mittel und Wege fand, Leib und Leben zu retten. Als er 1630 bei Colmar unter des Kaisers Mordbrenner fiel, kam er »mit gudter Manier von dißen Soldadten«, weil er sich denen, die ihn niederzufindet sich die Versehung selbst undt ungesucht, schreibet D[oktor] Luther TOM VII Jenens fol 451.« 324 Auch wenn etwa Elias Pledger im späten 17. Jahrhundert ein »praktisch-pastorales Dilemma« konstatierte, das sich für ihn aus dieser Theologie ergab: von Greyerz, Vorsehungsglaube, S. 96. 325 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 101r, 160r, 218r.
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schießen trachteten, »unerschrocken« mit dem »Rohr« entgegengestellt und als kaiserlicher Unterkommissar ausgegeben hatte.326 Wo körperliche Gewalt drohte, half mitunter eine falsche militärisch-politische Identität. Schwieriger war die Lage, wenn eine Verletzung seelischer Integrität zu befürchten stand; doch auch hier gab es Lösungen. Schutz boten, war der Fluchtweg verstellt, Täuschung (simulatio) und geistlicher Vorbehalt (reservatio mentalis): die fälschliche Behauptung katholischer Glaubenszugehörigkeit, notfalls verifiziert durch einschlägige Zeichen und Handlungen, bei »innerer« Distanzierung von dem, was sie repräsentierten. Für Luther waren List und Lüge, obwohl an sich teuflische Verneinung göttlicher Wahrheit und damit die Sünde selbst, nicht länger, was sie zu sein schienen, wenn sie eingesetzt wurden im Kampf gegen »des Teufels Grimm«: die Gewalt der »Papisten«. Hier stand die Aufrichtigkeit gegenüber Gott in »Herz« und »Gewissen« höher als die Aufrichtigkeit gegenüber den Menschen.327 Doch was bei dem Reformator auf Furchtlosigkeit und Unerschrockenheit zielte, erwies sich bei Augustin Güntzer als Signum der Furcht. Als der Kannengießer 1621 durch Frankreich zog, drohten königliche Soldaten ihn als Hugenotten zu erhängen; der so Bedrängte schlug das Kreuz und zog den Kopf aus der Schlinge: Umstehende Bauern, die sich seiner erbarmten, »sagten, wan ich Chrietz fihr mich kondt machen, so bin ich ein chatolischer Christ, so wolten sie mich leben laßen. Ich sagt, ich bin recht abostolisch catolisch, bin ein rechter Christ. Ich machte daz Chritz, sie laßen mich hernachen baßieren.« Glück für Güntzer, dass seine Peiniger die wahren Zeichen nicht entdeckten: »Ich hatt bey mihr ein chalvinisches Handtbuchlin […] in dem Hoßensack. So sie es bekomen hetten, so wirdten sie mich hingerichtet haben.« Und so ließ Güntzer das belastende Material verschwinden, jedoch nicht ohne es sicher zu verwahren »in einer Wacholterstaudten, daß es nicht darauff kondt regnen, gedachte es mitler Zeitt widerumb alda abzuholen.«328 Drei Jahre zuvor, auf seiner Reise durch Italien, hatte Güntzer ganz so weit nicht gehen müssen; hier hatte die Behauptung genügt, rechten Glaubens zu sein und das Beweismittel am Meer verloren zu haben: »der Windt«, so versicherte er einem zu-
326 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 146r/v. 327 Anne Conrad, »Frommer Betrug« und die »Wahrheit des Evangeliums«. Deutungen von Wahrheit und Lüge im Christentum, in: Krumme Touren. Anthropologie kommunikativer Umwege, hg. v. Wolfgang Reinhard, Wien / Köln / Weimar 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Anthropologie e.V. 10), S. 151 – 163, hier 152; Achim Geisenhanslüke, Masken des Selbst. Aufrichtigkeit und Verstellung in der europäischen Literatur, Darmstadt 2006, S. 12 f.; Nachweise in Paul Keseling, Einführung, in: Aurelius Augustinus, Die Lüge und Gegen die Lüge, hg. v. dems., Würzburg 1953, S. VI – IL, hier XL – XLII. Weitere Hinweise zur Debatte unten in Anm. 335. 328 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 112v – 113r.
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dringlichen Mönch, »hette mihr den Beichtzedel ins Wasser geworffen«.329 Hatte der so Belogene diesen Worten Glauben geschenkt, ohne weitere Zeichen einzufordern, so lief Güntzer wenig später Gefahr, sich wiederum mit seinen eigenen zu verraten. Hier kam die Verleugnung der eigenen protestantischen Gesinnung desto offensiver daher, je weniger sie glaubhaft gemacht werden konnte. Als sich Güntzer vom Bischof von Siena und seinen Dienern zur Fußwaschung in eine Spitalkapelle führen ließ – recht widerwillig, wie er suggeriert, denn »seine Lehr stimet mit Christi Lehr nicht uberein« –, »da stundt ein Pfaff, rufft ale Heiligen an, daß Volck schreyet laudt: Ora bra [i.e. pro] nobiß.« Hier e versuchte es Güntzer zunächst mit Gleichklang (aequivocatio): »Ich aber forchte 330 mich vohr Gott also zu schreyen, sonder schrey alamal: Dabiß, dabiß.« Doch e der Betrug blieb nicht unbemerkt: »Noben mihr kneyete ein Franßos, der sagte mit laudter Stim, ich seye Higonott und kein rechter catolischer Christ, ich thue nicht recht betten.« Derart vom Tode bedroht, empfahl sich ein defensives Vorgehen: »Ich sprach, ich seye besser catolisch dan du.« Aber : »Mihr [war] doch heimlich bang, dieweil ich kein Patternoster trug wie sie, sonder nuhr ein wenig hiltzer Grallen an einem Faden hab im Sack fihr einen Schein«.331 Dies, bei aller Simulation, war das mindeste: die Pflege der eigenen Identifikationsmerkmale, auch wenn sie im Verborgenen gehalten werden mussten, und eine gehörige Nachlässigkeit gegenüber den falschen, die an ihrer Stelle zum Einsatz kamen. Der unechte Rosenkranz, wie Güntzer versichert, habe ihn nur einen Kreuzer gekostet; und zudem konnte er ihn »nicht in der Ordnung« halten, sein Esel – der wusste, was er tat – hatte ihn »bey Loreta« zertreten. Und wie sollte ein Calvinist das reparieren? »Kondte [die Kugeln] nicht mehr zusamenmachen, dieweil ich mich nicht darauff verstunde und nichts darauff halte«; und so hatte er »auch niemallen daran gebettet, wie auch [s]ein Essel« nicht.332 Das kluge Tier.333 Aus der polemischen Übersteigerung jedoch, so scheint es, 329 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 57v. 330 »Dabis« heißt »du wirst geben«. Auch wenn man sich fragen mag, warum Güntzer nicht auf das »da nobis« aus dem lateinischen Vaterunser zurückgegriffen hat: Es ist nicht nur sprachlich unkorrekt, sondern führt zudem interpretatorisch in die Irre, wenn der Kommentator (auch) mit »Gib uns etwas zum Beissen« übersetzt (S. 144, Anm. 441), um hier eine »hungrige[] Forderung nach bischöflichen Gaben« auszumachen: Sieber, Erlesenes Leid, S. 42. Ausschlaggebend für Güntzers Wahl des »dabis« scheint hier die (bewusst sinnfreie) Ähnlichkeit des Klanges zu sein. Für Literatur zur aequivocatio siehe unten Anm. 335. 331 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 61v – 62r. – Im Anschluss befürchtet Güntzer noch in zwei weiteren Situationen, »verprentt« und »im Rauch gen Himel geschickt« zu werden: Bl. 62v – 63r. 332 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 62r. Später, in Trient, verkaufte er den Rosenkranz als päpstlich gesegnete Devotionalie: Bl. 63r. 333 Wie die Kommentatoren Brändle und Sieber vermerken (S. 144, Anm. 445), dürfte diese Beschreibung auf das Flugblatt Der Esel und der Mönch aus dem Jahre 1523 anspielen, auf
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spricht nicht allein die Zufriedenheit mit der eigenen Erfindungsgabe, sondern auch ein Unbehagen am Beschriebenen. Güntzer hatte Wege gefunden aus der Gefahr, doch gaben sie ihm Anlass, sich vor seinem Schöpfer zu rechtfertigen und ihn um Gnade zu bitten: »Heilig bist du Herr, unßer Gott, barmhertzig, von großer Giete, vergibest den Sindern nicht nach ihrer Mißedadt, sonder erkenest der Menschen Schwachheidt und Erbsindt, welche sie mit auff diße Welt gepracht haben. Zum andren ist auch der Teiffel sehr e e geschofftig, die Menschen in alerley Sinden zu pringen, sonderlich in schrocklicher e e Abgottery in dißem Landt Italiam, entlich auß der Abgottery in die Zaubery. Siehe, Her, mein Gott, so du mich nicht mit deiner rechten Handt erhalten hast, hette ich gar e leichtlich konen verfieret werden von der rechten Erkandtnuß dein[e]s heiligen Wordts und in des Babsts, deß Antichrists, falsche Lehr und Glauben vallen. Aber ich dancke dihr, o Gott in dem Himel, daß du nicht zugeben hast ihrer List und Tirany, Mordt und e Pranntt, darin ich hette konen geratten. Ich m[u]ß leider, Her, fihr dihr bekenen, daß die rechten Bekener Gottes, so in dißes Landt nacher Rom reißen, etwaß hichlen mießen, welches ich leider auch gethan habe, aber es macht hernacher alererst e standthafftige Christen, so die Abgotte[r]y gesehen und erfahren haben. Es ist zwar vohr dihr, Her, verbotten die Hicheley, aber Her, wehr ist ohne Sindt, der hieb den ersten Stein auff. Niemandt, dan Christus unßer Her und Heilandt, der unßer Sindt hatt getragen, durch welchen wihr selig werden, ale, die es ihnen theilhafftig machen ohn alen falschen Gottesdienst. Um dißen Sunes Verdiensts wilen wolest du mihr, Gott, ale e meine Sinde genodiclich verzeyen, so ich im dißem Landte und die Zitt meins Lebens begangen habe. Undt gibe mihr auß Genadten deinen gudten heiligen Geist, daß ich je lenger, je mehr zur volkomen Kandtnuß komen mag und in Nodtfall der Vervolgiong [sic] Ehr, Hab und zeitliche Gietter verlasse, auch Leib undt Leben [eher] dan dein heiliges Wordt.«334
Möglich, dass sich Güntzer mit dem Geständnis der »Heuchelei« und anschließendem Gnadengesuch einmal mehr als Calvinist erweist; denn Calvin, in diesem Punkt strikter als Luther, zog eine feine (und problematische) Unterscheidung ein: Legitimierbar, in seinen Augen, war allein die dissimulatio, das Verschweigen des eigenen Glaubens, nicht jedoch dessen ausdrückliche Verleugnung in glaubenswidrigen Äußerungen und Handlungen (simulatio);335 dem ein Esel an einem Spinnrad einen Mönch an Intelligenz und Nutzen übertrifft. Für die Abbildung des Flugblattes und seine Beschreibung vgl. auch Robert W. Scribner, For the Sake of Simple Folk: Popular Propaganda for the German Reformation, Cambridge 1981, S. 40 f. 334 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 63v – 64v. Wenig später bittet Güntzer seinen Herrn, ihn vor falschem Gottesdienst zu behüten: Bl. 68r. 335 Lutz Danneberg, Aufrichtigkeit und Verstellung im 17. Jahrhundert: dissimulatio, simulatio sowie das Lügen als debitum morale und sociale, in: Die Kunst der Aufrichtigkeit, hg. v. Benthien / Martus, Tübingen 2006, S. 45 – 92, hier 48 – 67; Perez Zagorin, Ways of Lying: Dissimulation, Persecution, and Conformity in Early Modern Europe, Cambridge, MA / London 1990, S. 63 – 82; Carlos M.N. Eire, Calvin and Nicodemism: A Reappraisal, in: Sixteenth Century Journal 10 (1979), S. 45 – 69; ders., Prelude to Sedition? Calvin’s
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und Güntzer hatte mehr getan als nichts zu tun. In den fraglichen Situationen, wie er rückblickend »bekennen« musste, hätte er die Bereitschaft zum Martyrium unter Beweis stellen müssen, die er dem Vernehmen nach bereits als Elfjähriger entwickelte, als er unter gewaltsamen jesuitischen Konversionsversuchen zu leiden gehabt hatte.336 Seine Einsicht, dass eine derartige »Verfierung […] vill taußent Mall erger dem Menschen [ist], als das Leben lassen«,337 hatte er nicht beherzigt. Zwar war er der »Abgötterei« nicht verfallen, durch Gottes Beistand, doch hatte er dabei, in Worten und Taten, seinen Glauben verleugnet; und das heißt: Der Weg in den Tod, die letzte Steigerung innerweltlichen Leidens, hatte hier nicht zur Diskussion gestanden. Eine Rückführung auf die calvinistische Theologie jedoch vermag nicht zu erklären, dass der Autobiograph neben der Bitte um Gnade durchaus den Versuch einer kasuistischen Argumentation unternimmt. Güntzer sucht nach einer eigenen Legitimation seines Verhaltens. Plausibler ist daher eine andere Lesart. Für sie wiederum ist entscheidend, dass Güntzers Rechtfertigungsversuch am Ende nicht gelingen mochte. Die eigenwillige Argumentation seines Gebetes machte aus dem Calvinisten keinen Lutheraner. Güntzer hätte sich nicht zu erklären versucht, wenn er in seinem Verhalten nicht einen Verstoß gegen das Gebot der Standhaftigkeit gesehen hätte, und vor allem: Er hätte seine Rechtfertigung nicht mit eben diesem Gebot begründet. Diese Rechtfertigung präsentiert sich als Kasuistik, ist es aber nicht. Das Argument stellt das Verbot der Attacks on Nicodemism and Religious Compromise, in: Archiv für Reformationsgeschichte 76 (1985), S. 120 – 145; auch ders., War against Idols: The Reformation of Worship from Erasmus to Calvin, Cambridge 1986, v. a. Kap. 6 und 7. Zum von Calvin attackierten Nikodemismus vgl. Carlo Ginzburg, Il Nicodemismo, Turin 1970; kritisch dazu: Albano Biondi, La giustificazione della simulazione nel Cinquecento, in: Eresia e Riforma nell’Italia del Cinquecento. Miscellanea I, hg. v. dems. / Mariano Sozzini, Florenz / Chicago 1974, S. 7 – 68. Zur Entwicklung im Protestantismus des 17. Jahrhunderts: Zagorin, Ways of Lying, S. 221 – 254. Vgl. darüber hinaus Johann P. Sommerville, The ›New Art of Lying‹: Equivocation, Mental Reservation, and Casuistry, in: Conscience and Casuistry in Early Modern Europe, hg. v. Edmund Leites, Cambridge 1988, S. 159 – 184; Erika Rummel, The Confessionalization of Humanism in Reformation Germany, Oxford 2000, Kap. 5. Zur Geschichte der Lüge vgl. außerdem: Lügen und Betrügen. Das Falsche in der Geschichte von der Antike bis zur Moderne, hg. v. Oliver Hochadel / Ursula Kocher, Köln / Weimar / Wien 2000; Luise White, Telling More: Lies, Secrets and History, in: History and Theory 39 (2000), S. 11 – 21; Kulturen der Lüge, hg. v. Mathias Mayer, Köln / Weimar / Wien 2003; ›Homo mendax‹. Lüge als kulturelles Phänomen im Mittelalter, hg. v. Ulrich Ernst, Berlin 2005 (Das Mittelalter 9/2). 336 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 16[a]v. 337 So der Kommentar zur Bartholomäusnacht, der »bludtig[e]n Hochzeit zu Baris«, Bl. 230r: e e »Wievill werdten in dem Babsthumb noch toglichen vervolgt undt zu ihrer Abgot[te]ry gezwungen, indeme sie dem Menschen die Sellen stellen, von dem Liecht in die Finsternuß e fieren, in welcher Abgottery die Menschen vom Teiffel leichtlichen verfierdt werdten. Welche Menschen in der Beicht sprechen missen, sie haben einen verdampten teifflischen Glauben gehapt, undt ihre Eltern verdamen missen, so under der Erden liegen undt ruhen. Ja, diße Verfierung ist vill taußent Mall erger dem Menschen, als das Leben lassen.«
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simulatio auch für Güntzers eigenen Fall nicht in Frage; die Verstellung blieb offensichtlich die Sünde der »Heuchelei«, eine Sünde, die zweifeln ließ an der Auserwähltheit,338 von der sich der Autor zuvor immer wieder überzeugt gezeigt hatte.339 Aus dieser Sünde befreite kein theologischer Gedanke: nicht die Einsicht des Schöpfers, der alles immer schon wusste, sondern seine Nachsicht mit der Schwäche seiner Geschöpfe, keine »Handlungsfreiheit« des Individuums,340 sondern die Gnade Gottes. Wenn Güntzer die constantia ins Feld führt, um sich zu rechtfertigen, sagt er damit erst einmal, dass er sie nicht hatte. Die Suche nach Schutz verwies auf die Gefährdung, und zwar nicht auf eine körperliche, sondern auf eine seelische. Güntzer hatte der Besuch zweier katholischer Messen »wenig Trost und Krafft« gegeben. Hier, so scheint es zunächst, hatte er aus eigener Anschauung und Erfahrung die konfessionelle Distanz erreicht, die die Theologen von ihm verlangten. Auf der anderen Seite ist, was sich als unmöglich erweist, zuvor für möglich gehalten worden: Was die konfessionelle Neugier nicht fand, hatte sie zumindest gesucht. Das entscheidende Problem war offensichtlich nicht die Verführung durch die anderen, sondern die eigene Verführbarkeit. Nur wer verführbar war, musste sich vor der Versuchung schützen. Güntzers Problem bestand nicht darin, dass er in der Gefahr seinen Glauben verleugnen musste: dass er sich im Feuer des Martyriums hätte opfern sollen, sondern dass und warum er sich selbst in Gefahr gebracht hatte; das Problem war nicht der Zwang, sondern der Augenblick der Freiheit, aus dem die Zwangslage erwuchs. In die Nähe des Erzfeindes hatten ihn nicht militärischer 338 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 176v : Die Auserwählten »nenen den Namen JESUM, verstehen ohne Heicheley, sie erkenen i[h]n fihr ihren Jesum undt glauben an i[h]n. Wehr daß bey sich befindet, der hatt ein gewiß unfelbares Zeignuß, das er ein außerweltes Kindt Gottes seye.« 339 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 6v, 29r, 175r. 340 Wie in den Augen von Sieber, Erlesenes Leid, S. 44. Dies gilt auch für einen zweiten Disput Güntzers mit seinem Gott (Bl. 242v – 244r): Als seine Tochter Agnes zwischenzeitlich der »Blödhäuptigkeit« verfiel, bat der Vater seinen Schöpfer, sie von diesem Leiden zu befreien, mit einem durchaus bemerkenswerten Argument: weil Agnes zu den Menschen gehöre, die »dihr undt der Welt nichts nutzen«; weil sie »dihr dißmallen nicht dienen kan in ihrer Pledheiptigkeidt«. Zur weiteren Unterstützung seiner Argumentation bedient sich Güntzer einer Metapher aus seiner beruflichen Lebenswelt: »Ach Herr, sie ist deiner Hendten Werck, e darum pringe widerum zu Gerocht deiner Handtarbeidt, halte sie in Ehren, kleich wie ein Meister undt Kinstler seine Kunst undt Arbeidt in Ehren helt, schließt sie in Kisten, darmit sie fihr dem Staub undt anderm verwahret wirdt, darmit er stedig eine Freidt daran hatt.« Dieses Zwiegespräch nun ist keineswegs eine »undevote« Unterstellung eines »Künstlerfehlers«, es eröffnet keine »Handlungsräume für eine aktive, selbstbewusste Lebensbewältigung« (Sieber, Erlesenes Leid, S. 33). Stellvertretend für seine Tochter, die Gott »in e ihrer Pletheiptigkeidt nicht rocht anruffen« kann (Bl. 242v), bat Güntzer um das, worum er auch für sich schon gebeten hatte: um die Gnade der Befähigung zur Gnade und ihren Zeichen. Dies ist kein Rechten mit Gott und auch nicht modern, sondern paradox, kein Ausbruch aus der Prädestination, sondern ihre praktische Ausformulierung. Hier liegt, wie Güntzer unterstellt, der Fehler nicht bei Gott, sondern bei derjenigen, deren »Wahnsinn« vom Heil exkludiert.
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Kampf und christliche Mission geführt, keine Ausbildung in Standhaftigkeit, sondern eine curiositas, die sich am Ende aus dem christlichen Lasterkatalog doch noch nicht recht zu befreien vermochte. Hier half keine Kasuistik, kein Appell an die Vernunft, sondern allein die Bitte um göttliche Gnade. Güntzer konnte sich selbst nicht entlasten, weil das entscheidende Problem kein kasuistisches war. Seine Argumentation vermochte nicht zu greifen, weil er sich selbst in die Verlegenheit gebracht hatte, »heucheln« zu »müssen«. So ist festzuhalten: Güntzers Erkrankung am Ungarischen Fieber zeigt, dass die im Kleinen Biechlin proklamierte Abgrenzung von den teuflischen Katholiken nur sehr eingeschränkt gelang. In Güntzers Beschreibung eigenen Gewalterleidens verlor sich die Grenze zwischen dem »Eigenen« und dem »Anderen«, und das heißt auch: zwischen seiner Furcht und seiner Furchtlosigkeit. Auch wenn im 17. Jahrhundert in der religiös motivierten Ausübung von Gewalt kaum eine Grenze so klar gezogen war wie diejenige zwischen den Konfessionen, so wurde sie hier doch signifikant unscharf und problematisch, genauer : Sie verlief am Ende gewissermaßen in Güntzers eigener Person. Der Kannengießer unternahm seine Reise ins Herz des Katholizismus, um ihn kennen zu lernen und sich so wirksamer gegen ihn zu schützen, gleichzeitig machte er sich mit seinem Unternehmen angreifbar.341 Praktisch war die angestrebte Grenzziehung schwierig: Letztlich verursachten die Katholiken eine jener Anfechtungen, mit denen Güntzer immer wieder zu kämpfen hatte. Seine Krankheiten interpretierte er implizit auch als Strafe für seine mangelnde Resistenz gegen diese Versuchung – auch jenes Ungarische Fieber, mit dem er sich durch den (ganz körperlichen) Kontakt mit den Katholiken infizierte. Die »Babisten« fesselten Güntzer ans Bett in seiner Furcht, ihren Verlockungen zu erliegen. Sein Kleines Biechlin ist ein Akt der Selbstvergewisserung als standhafter Protestant im Kampf gegen den Antichristen in Rom. Diese Selbstvergewisserung jedoch erfolgt paradoxerweise in einer Herabsetzung seiner selbst, die vollzogen wird im Wissen um die Verführbarkeit durch den Feind. Hier zeigt sich die Ambivalenz seiner konfessionellen curiositas.342 Das Kennenlernen des Gegners erschien als 341 Das Problem beschäftigte auch die Apodemik. Für Überlegungen im protestantischen Hochadel, wie Bildungsreisen nach Italien ohne seelische Schäden zu überstehen waren, vgl. Antje Stannek, Konfessionalisierung des ›Giro d’Italia‹? Protestanten im Italien des 17. Jahrhunderts, in: Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert, hg. v. Rainer Babel / Werner Paravicini, Ostfildern 2005, S. 555 – 568; Dorothea Nolde, Religion und narrative Identität in Reiseberichten der Frühen Neuzeit, in: Historische Diskursanalysen, hg. v. Eder, S. 271 – 289, hier 284. 342 Grundlegend zur Geschichte der curiositas: Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, Frankfurt a.M. 1996, Teil 3: Der Prozeß der theoretischen Neugierde, S. 263 – 528; wissen(schaft)sgeschichtlich: Lorraine Daston, Die Lust an der Neugier in der frühneuzeitlichen Wissenschaft, in: Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Klaus Krüger, Göttingen 2002
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notwendiger und als riskanter Akt zugleich. Es barg die Gefahr, im Versuch der Selbstvergewisserung eben die Gewissheiten zu verlieren, die gewonnen werden sollten. Bezogen auf die Furcht heißt das: Die Beschreibung der eigenen Furcht präsentiert zunächst (die Möglichkeit von) deren Überwindung; sie beschreibt die eigene Furchtlosigkeit und das Vertrauen auf Gott, wie Hiob selbst am Ende es fand. In der autobiographischen Erinnerung der Gottesfürchtigen wird die Furcht als eine gegenwärtig abwesende beschrieben. Umgekehrt jedoch zeigt sich in der Beschreibung der Überwindung der Furcht auch die Furcht, die überwunden werden sollte. Wo Gottvertrauen proklamiert wurde, wurden auch und vor allem die Schwierigkeiten betont, die es mit sich brachte. Die auf Gott vertrauende Furchtlosigkeit war nicht nur notwendig, sondern auch problematisch – und eben deswegen gefordert. Die Beschreibung der Furcht befreite aus der Furcht, indem sie sie in die Vergangenheit versetzte, und eine Furcht, die als vergangen erinnert wurde, erhielt in der Beschreibung erst die Präsenz, aus der sich der Schreiber zu befreien suchte. Vor diesem Hintergrund erscheinen Furcht und Furchtlosigkeit nicht als mentale, gegensätzliche Zustände, sondern als eine semantische Einheit, in der die eine ohne die andere nicht zu haben war. Die Grenze, die zwischen ihnen verlief, trennte nicht zwischen materieller Anund Abwesenheit von Furcht und damit auch nicht zwischen ihrer Norm und ihrer Wirklichkeit; sie beschrieb vielmehr das komplexe semantische Gefüge, in dem sich beide wechselseitig konstituierten. So belegt Güntzers Beschreibung weder ein großes noch ein geringes Ausmaß seiner Furcht. In ihr zeigt sich ein spezifisches Konzept von der Ordnung und Integrität der eigenen Person, die sich in der Einheit von Selbsterhöhung und Selbstherabsetzung formiert. Eine vergleichbare Konstellation bietet die »selbst gemachte Beschreibung« des Lebens des reformierten Feldschers Johann Dietz (1665 – 1738).343 Auch Dietz, wie in Kapitel 4.3 erwähnt, berichtet nicht allein vom Ungarischen Fieber,344 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 15), S. 147 – 175; Barbara M. Benedict, Curiosity : A Cultural History of Early Modern Inquiry, Chicago 2001; aus der Reiseforschung: Justin Stagl, Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550 – 1800, Wien / Köln / Weimar 2002. 343 Das Originalmanuskript trägt den Titel »Meister Johann Dietz/ Das ist: die getreue/ von ihm selbst gemachte Beschreibung seines Lebens/ item alles dessen/ was er wider die Türken/ am Nordpol/ in deutschen Gauen und Gassen/ unter Soldaten/ Räubern und Bürgern/ Jungfern und Gespenstern/ endlich in seiner Vaterstadt Halle mit zweien Frauen erfahren/ und so auf dieser Welt insgesamt hat leiden müssen.« 344 Dietz, Mein Lebenslauf, S. 34 und 72. Dabei geht der Feldscher zuweilen auf Distanz zur gelehrten Medizin (S. 34): »Sonderlich fiel damals [in Spandau] die ungerische Hauptkrankheit ein, da die Herrn Doctores die Aderlaß’ verordneten und dann Wein und Trinken verboten. Ich aber ließ keinen zur Ader, ließ ein Gläschen guten Wein trinken, brauchte confortantia und alexipharmaca. Meine Patienten wurden besser. Die andern starben weg. –
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sondern immer wieder auch von Furcht und Angst; und er beobachtet sie nicht allein bei anderen, sondern auch bei sich selbst. Es ist seiner chirurgischen Ausbildung und der Orientierung an magia naturalis und sympathetischer Heilkunde geschuldet,345 dass der Autobiograph zu den wenigen gehört, die auch den eigenen Schrecken wiederholt in eine lebensbedrohliche Krankheit münden sahen. Dietz fürchtet sich vor Hunden, Wölfen und Bären,346 in Gewitter und Seenot347 und in den Gefahren des Krieges. Auf dem kurbrandenburgischen Feldzug nach Ungarn etwa, nahe Ofen, als »hie und da einer nach dem andern umbfiel und schrie«, überkam ihn eine Angst, die selbst die Stärksten befallen hätte: »Manch Größerer würde schrecken und grauen, als ich in die Approchen hineinkam.«348 Noch gravierender jedoch stellte sich die Furcht vor Gespenstern349 und all den Eulen, Adlern und Böcken dar, in denen Dietz zunächst den Leibhaftigen vor sich zu haben meinte.350 Diese Furcht vor dunklen Mächten assoziiert der Feldscher mit Reue und Buße: mit der Furcht und der Angst des Gewissens. Als sich »ein erschröcklich großer Adler« nicht als Teufel, sondern als »würklicher Adler« entpuppte,351 enthüllte er Dietz die Wirklichkeit seines Sündenbewusstseins. Und auch dessen Furcht konnte töten, auch sie machte krank, und zwar nicht nur andere, sondern auch den Verfasser selbst.352
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Daher ich auch einsmal bei eine honette Jungfer, sie in ihrer Krankheit zu bedienen, geholet wurde, welche, wann sie sterben sollte, mir ein gut Stück Geld vermachen, blieb sie aber leben, mich gnung beschenken wollte; versprach sie. Aber sie blieb leben und beschenkte mich gut.« Vgl. auch S. 54, wo Dietz das Ungarische Fieber zwar nicht ausdrücklich nennt, wohl aber dessen typische Entstehungsbedingungen beschreibt. Von seinen Erlebnissen in Ungarn, wo der Feldscher 1686 in Diensten Kurfürst Friedrich Wilhelms angekommen war, hält er fest: »Es wurde bei der großen Hitze, die Tages in diesem Land ist, (des Nachtes aber sehr kalt, daher die meisten Krankheiten und das Sterben der Deutschen kombt, sonderlich wann sie bloß auf der Erde liegen und die kalten Dämpfe in’n Leib dringen, welche die rote Ruhr mit dem jungen ungrischen Wein erregen) es wurde, sage ich, von der Hitze, von dem Braten und den aufgeschnittenen toten Körpern von Menschen und Pferden so ein Gestank und Gift, maßen alle Gassen im Lager vollagen, daß niemand bleiben konnte. Dahero die ungrischen Bauren und Tolpatschen gezwungen wurden, große Löcher zu graben und die Körper übereinander zu werfen und zuzuscharren.« Dietz verweist auf Paracelsus und auf die erstmals 1608 erschienene Basilica Chymica des Paracelsisten Oswald Croll; und er verwandte sympathetisches Pulver : Dietz, Mein Lebenslauf, S. 74, 98, 173, 220. Ders., Mein Lebenslauf, S. 44, 95. Ders., Mein Lebenslauf, S. 102, 129, 138. Ders., Mein Lebenslauf, S. 45. Ders., Mein Lebenslauf, S. 11, 35 f., 123. Ders., Mein Lebenslauf, S. 25, 75, 144. Ders., Mein Lebenslauf, S. 144. Ders., Mein Lebenslauf, S. 11, 25, 144, 224, 245, 248 f. Vgl. auch S. 123 (für Berichte über Menschen, die aufgrund ihrer Furcht vor »Gespenstern, Geistern und Bären« gestorben waren). Für weitere Hinweise auf die Bedeutsamkeit des integren Gewissens siehe S. 197, 199.
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Damit verwies die Erkrankung in Furcht und Schrecken auf die Schuld der Erschrockenen. So verwundert es nicht, dass Dietz nicht nur Krankheit und Tod, sondern (implizit) auch die Furcht, die sie verursachte, als Strafe ansah353 – weniger für seine zuweilen leichtsinnige Risikobereitschaft und Missachtung väterlicher Warnungen,354 als vielmehr für die zahlreichen Sünden und Versuchungen des Fleisches,355 die unumwunden eingestanden werden – wenn auch nicht mit der Bußintensität eines Augustin Güntzer. Doch auch hier brachte das Geständnis bereits die Wende. In ihm wurde aus der Strafe des Sünders die Prüfung und Auszeichnung des Gerechten. Gott strafte nur jene, so schien es auch Dietz, die er für die Seligkeit ausersehen hatte. So manches Mal hätte der Feldscher an der Güte und Gerechtigkeit Gottes verzweifeln mögen: »Ich kam wieder in große Angst und Sorgen und gedachte bei mir : ›Wie gehets dir doch so gar übel in der Welt; der Herr hat dein vergessen und will dich immer in Sorgen und Kummer dein Lebenlang bleiben lassen.‹« Doch der Zweifel wird nur formuliert, um ausgeräumt zu werden: »Bald tröstete ich mich auch wieder, daß es je keinem anders hat ergangen, welchen Gott geliebet, und daß die Auserwählten die größte Verfolgung leiden müssen; ja, das sei eben die rechte Livrei, daran der Herr Jesus die Seinen kenne und von dem andern rohen Welthaufen, der heute blühet, morgen verdorret, unterscheide und absondere!«356 Seine Angst schien Johann Dietz nicht ungerechtes Leiden, sondern – da er dies wusste – das Leiden des Gerechten. Auch sie war die Qual des Schuldigen und des Unschuldigen zugleich. Ein Leiden, das ein gerechter Gott schickte, konnte die Leidensfähigkeit eines Gerechten nicht überfordern; die göttliche Prüfung, so schien es auch Dietz, überstieg nicht die Kräfte der Geprüften, niemals mutete sie mehr zu, als der Mensch zu ertragen vermochte (und wer es dennoch nicht ertrug, stellte damit seine Ungerechtigkeit unter Beweis; an ihm wurde die »Versuchung« der Auserwählten zur Strafe der Verdammten).357 Denn das Leid, so versprachen es die Theologen, war stets nur der Anfang seiner Überwindung; und so steht am Ende (und zu Beginn) der Lebensbeschreibung des Johann Dietz nicht das Leiden, sondern die Befreiung aus ihm. Die Geschichte seines Lebens ist eine Überlebensgeschichte. Gott brachte den Feldscher in Lebensgefahr, um ihn anschlie353 Zumindest die Krankheit und den Tod, den die Furcht bringen konnte: ders., Mein Lebenslauf, S. 155. Vgl. auch S. 233 und 236 f.: Als Dietz in Scheidung lebte und die von seiner Frau beauftragten Gerichtsdiener begannen, ihm die Wohnung auszuräumen, hätte er »gleich des Todes sein mögen« und wurde »denn auch würklich krank« darüber. Die Gewalt, die seine Frau an ihm verübt habe, so Dietz, habe sie mit einer steten Beängstigung ihres Gewissens bezahlt, »welches ein schneller Zeuge wider den Menschen«. 354 Ders., Mein Lebenslauf, S. 44 f., 90. 355 Durch Frauen und Handwerkergesellen: ders., Mein Lebenslauf, S. 91, 171 f. 356 Ders., Mein Lebenslauf, S. 239 f. 357 Ders., Mein Lebenslauf S. 98.
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ßend aus ihr zu erretten. Im Gemetzel bei Ofen lernte Dietz Verwundungen kennen, die die Betroffenen um den Tod betteln ließen; er selbst jedoch blieb unversehrt – um seine Pflicht erfüllen zu können: »Da hieß es: ›Feldscher!‹ von dem und dem: ›Raus, verbinde! und solltu auch drüber totgeschossen werden!‹«358 Gott brachte Rettung, indem er Dietz half, sich zu retten, ganz praktisch,359 aber auch mit dem Wissen um die Gewalt der Furcht und um die Macht des Höchsten, sie zu brechen. Die »selbst gemachte Beschreibung seines Lebens« ist der dankbare Bericht von einer wiederholten »gnädige[n] und wunderbarliche[n] Erhaltung« und Stärkung.360 Sie erbrachte den Beweis der »sonderbare [n] Providenz des allsehenden Gottes«.361 Und so mochte ihr Autor am Ende »wohl mit Wahrheit, Gott zum Ruhm und Preis, ewigen Dank sagen, daß mich dies geschehen, in vieler Angst und Betrübnis meiner Seelen kräftig aufgerichtet. Allermaßen in diesem und vielem andern die Wahrheit, Allwissenheit, Gütigkeit und Vorsorge des liebreichen Gottes sich wahrhaftig bezeiget hat.«362 Und so bleibt festzuhalten: Die Furcht, die Angst und der Schrecken des Johann Dietz erhalten ihre textuelle Funktion aus der (den Lebenslauf einleitenden) »Warnung zu wahrer Gottesfurcht und Vertrauen auf Gott«.363 Auch Meister Dietz beschreibt und erinnert die Sünde seiner Furcht und deren pathogene Wirkung, um zu sagen: Ich selbst, am Ende, habe die Mahnung beherzigt. Angesichts ihres theologischen Fundaments ließe sich die paradoxe Einheit von sündiger Furcht und gottesfürchtiger Furchtlosigkeit zunächst als eine spezifisch protestantische betrachten – als eine Einheit, die entstand, als Protestanten den Katholizismus als eine Religiosität äußerlicher Repräsentation zu kritisieren begannen, um sich den Innenraum eines Sündenbewusstseins zu errichten, das keiner institutionellen Vermittlung mehr bedurfte. Gerade die Infektion Güntzers in der Furcht vor den Repräsentationen des konfessionellen Gegners jedoch zeigt, dass die protestantische Entgegensetzung von »Innerlichkeit« und »Äußerlichkeit« die epistemologische Verbindung von Mikro- und Makrokosmos keineswegs in Frage stellte, sondern vielmehr voraussetzte.364 Gegen die Sepsis katholischer Symbole half keine gedankliche Distanz, sondern nur eine körperlich-räumliche. Wie gesehen, verwies dies nun nicht lediglich auf die Verwerflichkeit der Zeichenträger, sondern auch auf eine mangelnde Immunität gegen sie, auf eine Abwehrschwäche, die Gott mitunter mit lebensgefährlicher 358 359 360 361 362 363 364
Ders., Mein Lebenslauf, S. 45. Ders., Mein Lebenslauf, S. 44, 68, 129, 175. Ders., Mein Lebenslauf, S. 9 (das Zitat), 95, 241. Ders., Mein Lebenslauf, S. 98. Ders., Mein Lebenslauf, S. 241. Ders., Mein Lebenslauf, S. 9. Vgl. dazu auch Mommertz, »Imaginative Gewalt«, S. 356 f.
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Infektion sanktionierte. Gegen die Krankheitserreger war ein mentaler Vorbehalt zunächst deswegen wirkungslos, weil die »innere«, affektuelle Disposition, die das Bollwerk gegen die gewaltsamen Attacken von Körpern und Symbolen zu errichten hatte, sich (a priori) im Ungleichgewicht der Sünde befand: weil die Furcht den von außen andrängenden Miasmen die Pforten aufschloss. »Heuchelei« bot eben am Ende keinen Schutz. Diese Schutzlosigkeit jedoch, und das ist dabei entscheidend, resultierte auch für den Reformierten nur aus dem Umstand, dass in die körperlichen Partikel selbst ein seelisch-konfessionelles Moment eingeschrieben war und die Affekte, über die sie ihre Gewalt entfalteten, ihrerseits körperlich gedacht wurden; sie erklärte sich aus einer Macht der Imagination, die eine Verbindung schuf zwischen dem »Innen« und dem »Außen« der Person, zwischen ihrem Körper und ihrem Geist, zwischen Leib und Seele. Wer hier dichotomisch trennt zwischen Räumen und Instanzen, wer Grenzen und qualitative Unterschiede sieht, wo in den Augen der Zeitgenossen keine waren, kann diesen Infektionsprozess nicht adäquat beschreiben.365 So verlief die Grenze, aus der sich Güntzers Gewalterleiden erklärt, letztlich nicht zwischen den Konfessionen, sondern innerhalb seiner selbst. Die persona des Augustin Güntzer ist nicht das aufklärerische Individuum, das die eigenen Gefährdungen problematisiert: die Furcht vor sich selbst in Selbstbeurteilung und Selbstverpflichtung; die Grenze, die sie durchzieht, lässt weder zwei Personen entstehen (wie etwa bei Adam Smith) noch eine Auftrennung der einen in Subjekt und Objekt: keine Selbstspaltung in der moralischen Selbstbeobachtung (wie bei Immanuel Kant),366 sondern eine persona, die nur in Sünde gerecht zu werden und nur in Gerechtigkeit zu sündigen vermochte. 365 Der Prozess dieser Dichotomisierung kam erst mit der Psychiatrisierung und Psychologisierung der »Gefühle« im 19. Jahrhundert voll zur Entfaltung. Vgl. dazu Bettina Hitzer, Gefühle heilen, in: Frevert u. a., Gefühlswissen, S. 121 – 151. 366 Adam Smith, The Theory of Moral Sentiments, hg. v. David D. Raphael / Alexander L. Macfie (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith 1), Oxford 1976, S. 113: »When I endeavour to examine my own conduct, when I endeavour to pass sentence upon it, and either to approve or condemn it, it is evident that, in all such cases, I divide myself, as it were, into two persons; and that I, the examiner and judge, represent a different character from that other I, the person whose conduct is examined into and judged of. The first is the spectator, whose sentiments with regard to my own conduct I endeavour to enter into, by placing myself in his situation, and by considering how it would appear to me, when seen from that particular point of view. The second is the agent, the person whom I properly call myself, and of whose conduct, under the character of a spectator, I was endeavouring to form some opinion. The first is the judge; the second the person judged of. But that the judge should, in every respect, be the same with the person judged of, is as impossible, as that the cause should, in every respect, be the same with the effect.« Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, in: Gesammelte Schriften, hg. v. der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1902 ff., Bd. 6, S. 203 – 491, hier 418: »Der Mensch betrachtet sich in dem Bewußtsein einer Pflicht gegen sich selbst, als Subjekt derselben, in zwiefacher Qualität: erstlich als Sinnenwesen, d.i. als Mensch (zu einer der
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Vor diesem Hintergrund wiegen die konfessionellen Gemeinsamkeiten schwerer als die Unterschiede. Dies zeigt auch der Vergleich zwischen den Autobiographien Augustin Güntzers und Athanasius Kirchers.367 Die Lebensberichte des Calvinisten und des Jesuiten stehen, bei allen Differenzen, in einem Umkehr- und damit in einem Komplementärverhältnis zueinander ; sie treffen sich in der sie strukturierenden Funktion von Furcht und Furchtlosigkeit. In beiden Texten verweist Furcht auf Schuld und deren Abwesenheit auf Unschuld. Schuld und Gerechtigkeit konturieren sich entlang der Entgegensetzung von Furcht und Unerschrockenheit. Der Gewalt Erleidende wird zum ›Opfer‹ – und damit gerecht – nicht allein in der Furcht vor dem ›Täter‹, sondern auch und vor allem in der Fähigkeit, diesem in der Furcht die Stirn zu bieten: in dem Vermögen, die eigene Furcht im Zaum zu halten. Der Gewaltsame hingegen wird zum ›Täter‹, indem er andere in Furcht versetzt und die eigene nicht beherrschen kann: indem er am Ende selbst der Furcht erliegt, die er bei anderen zu erregen sucht. Wie Güntzer in der Beschreibung seiner Furcht die Furcht überwunden hat, so beschreibt sich Kircher in der Überwindung seiner Furcht als furchterfüllt. Beide, am Ende, berichten mit den Gefahren und Ängsten des eigenen Lebens von Gottes Vorsehung und schützender Hand. Die Theologie der furchtlosen Furcht, so zeigt sich hier, ermöglichte eine paradoxe Selbstbewahrheitung der Furcht, die in der theologischen Entparadoxierung nicht entschärft, sondern in besonderer Weise verdeckt war. Die Beschreibung der eigenen Furchtlosigkeit, der Überwindung der Furcht, erfolgte in der Beschreibung der vergangenen, der überwundenen Furcht in deren Ursachen und Wirkungen: im Hinweis darauf, dass in der Vergangenheit die Furcht, als mangelndes Gottvertrauen, das Befürchtete auf sich gezogen hatte. In einer Semantik der Furcht, in der Gott vor der falschen Furcht warnte, um zur rechten zu rufen, schuf der Versuch, die (falsche) Furcht (in der rechten) zu überwinden, nicht allein die Furcht, sondern auch das, was sie befürchtete – und Thierarten gehörig); dann aber auch als Vernunftwesen (nicht blos vernünftiges Wesen, weil die Vernunft nach ihrem theoretischen Vermögen wohl auch die Qualität eines lebenden körperlichen Wesens sein könnte), welches kein Sinn erreicht und das sich nur in moralisch=praktischen Verhältnissen, wo die unbegreifliche Eigenschaft der Freiheit sich durch den Einfluß der Vernunft auf den innerlich gesetzgebenden Willen offenbar macht, erkennen läßt. Der Mensch nun als vernünftiges Naturwesen (homo phaenomenon), ist durch seine Vernunft, als Ursache, bestimmbar zu Handlungen in der Sinnenwelt, und hiebei kommt der Begriff einer Verbindlichkeit noch nicht in Betrachtung. Eben derselbe aber seiner Persönlichkeit nach, d.i. als mit innerer Freiheit begabtes Wesen (homo noumenon) gedacht, ist ein der Verpflichtung fähiges Wesen und zwar gegen sich selbst (die Menschheit in seiner Person) betrachtet, so: daß der Mensch (in zweierlei Bedeutung betrachtet), ohne in Widerspruch mit sich zu gerathen (weil der Begriff von Menschen nicht in einem und demselben Sinn gedacht wird), eine Pflicht gegen sich selbst anerkennen kann.« Zur »Ich-Verdopplung« bei Smith und Kant vgl. Kittsteiner, Entstehung, S. 274 – 283. 367 Zu Kircher siehe oben Kap. 3.7.
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dies sowohl in der Theorie als auch mit praktischer Wirk(lichkeits)mächtigkeit. Güntzers Kleines Biechlin zeigt, dass diese Furcht religiös-theologisch notwendig war, um sie bezwingen zu können: Erst in der Beschreibung der eigenen Krankheit, die entstand als Folge allzu großer Furcht, als Konsequenz mangelnder Furcht vor dem Herrn, konnte sich Güntzer als wahrhaft gottesfürchtig erweisen. In diesem Sinne erlitt Güntzer mit der Krankheit das Gefürchtete, nicht obwohl, sondern weil er sich als gottesfürchtig beschrieb. Insofern wiederum war es nicht die falsche, sondern die rechte Furcht, die, über die Ungarische Krankheit, das Gefürchtete gebar. Gegen diese Paradoxie half keine theologische Ausdifferenzierung. Rechte und falsche Furcht sind hier ›praktisch‹ nicht mehr voneinander zu trennen. Die Furcht, so ließe sich pointieren, konnte ihren Gegenstand schaffen, insofern sie (und ihr Gegenstand) sowohl als Strafe erschien als auch als Möglichkeitsbedingung der Straflosigkeit. Wenn Gott sich in der Sünde zugleich zeigte und verbarg, wenn er die Sünde schuf, um sich selbst erschaffen zu können, wenn umgekehrt die Sünde einen Gott beleidigte, den sie selbst inthronisiert hatte, wenn schließlich die Furcht vor der Sünde als die Furcht vor Gott und Teufel zugleich erschien, dann war es denkbar, dass diese Furcht in die Bestrafung der Sünde führte, die sie vermeiden sollte.368 Indem Gott jene, die sich um den rechten Glauben bemühten, aus der Furcht der Sünde in das (jenseitige) Heil seines Angesichts zu führen proklamierte, versetzte er sie (hier und jetzt) in die Furcht, aus der er sie zu erretten versprach. Und das bedeutet umgekehrt: Wo Gott es war, der in die rettende Furcht versetzte, dort beschrieben die in Furcht Versetzten mit ihrer Furcht auch die wundersame Rettung aus ihr.
4.5. Melancholie »Mir ists offt gelungen Daß freiher Helden Muht durch meine Krafft bezwungen/ Und schier gedämpfet ist. Durch meine wundermacht Ist manch so junges Mensch von aller Lust gebracht/ Wie frölich es auch sprang. Furcht/ bleichsein/ Leid und Klagen Diß sind die Wirckungen davon ich weiß zu sagen. […] Bald hat ein Hencker mich biß auff den Tod geschreckt/ Weil er den Tod gedreut/ Bald denck ich an die Sünden Und denn so muß ich Angst/ O Zentnerangst! empfinden/ Wann je der grosse GOtt mit Donner auff uns schlägt/ 368 Für eine systemtheoretische Interpretation dieser Paradoxien siehe Bähr, Vom Nutzen der Paradoxie, insbes. S. 306 – 308, mit weiterer Literatur.
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So mein’ ich, daß er auch zu mir kein Hertze trägt. Kan auch der Pluto fast mehr Plagen umb sich führen? Kan auch mehr Schmertz und Angst das Höllenheer berühren?«
So sprach die »Melancholey« von sich selbst.369 Weder in diesen Versen Andreas Tschernings noch anderswo ist zu übersehen: Beschreibungen von Furcht und Schrecken waren eng und vielschichtig verkoppelt mit dem Problem der Melancholie, dem »großen Leitmotiv der europäischen Selbstanalyse in Tagebuch und Autobiographie«370 seit Humanismus und Reformation. Wer das 17. Jahrhundert als ein Säkulum der Angst und der »Krise« auffasst, nimmt es daher vielfach auch als ein melancholisches wahr. So mancher Mentalitäts- und Psychohistoriker fühlt sich ein in eine vermeintliche Schwermut der Zeit, die er selbst nicht mehr erleben möchte, und übersieht dabei deren Textualität und semantische Konstituierung.371 Im Bisherigen sind Melancholie und Verzweif369 Andreas Tscherning, Melancholey Redet selber [1655], in: »Komm, heilige Melancholie«. Eine Anthologie deutscher Melancholie-Gedichte. Mit Ausblicken auf die europäische Melancholie-Tradition in Literatur- und Kunstgeschichte, hg. v. Ludwig Völker, Stuttgart 1983, S. 303 – 305, Vers 37 – 42, 60 – 68. Vgl. dazu Grantley McDonald, The Emblem of Melancholy in Seventeenth-Century Germany : Andreas Tscherning’s »Melancholey Redet selber«, in: Melancholie – zwischen Attitüde und Diskurs, hg. v. Andrea Sieber / Antje Wittstock, Göttingen 2009 (Aventiuren 4), S. 95 – 118. 370 Harald Tersch, Melancholie in österreichischen Selbstzeugnissen des Späthumanismus. Ein Beitrag zur Historischen Anthropologie, in: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 105 (1997), S. 130 – 155, hier 130. 371 Vgl.: Melancholie. Epochenstimmung – Krankheit – Lebenskunst, hg. v. Rainer Jehl / Wolfgang E.J. Weber, Stuttgart u. a. 2000 (Irseer Dialoge 1). Auch Ernst Koch, Die höchste Gabe in der Christenheit. Der Umgang mit Schwermut in der geistlich-seelsorgerischen Literatur des Luthertums im 16. und 17. Jahrhundert, in: Krisenbewußtsein und Krisenbewältigung in der frühen Neuzeit – Crisis in Early Modern Europe. Festschrift für Hans-Christoph Rublack, hg. v. Monika Hagenmaier / Sabine Holtz, Frankfurt a.M. u. a. 1992, S. 231 – 243. Koch spricht zwar nicht explizit von Krisenbewusstsein und -bewältigung; dass jedoch auch seine Überlegungen auf diesen Kategorien fußen, zeigt sein Hinweis auf zeitgenössische Klagen über die »böse« und mit Unglück beladene Zeit (S. 231). Von einem »Zeitalter der Verzweiflung« (zwischen 1570 und 1650) spricht David L. Lederer, Verzweiflung im Alten Reich. Selbstmord während der »Kleinen Eiszeit«, in: Kulturelle Konsequenzen, hg. v. Behringer / Lehmann / Pfister, S. 255 – 280, zit. 280. Skeptisch hinsichtlich der Möglichkeit empirisch gesicherter Ergebnisse zur Verbreitung von »Geisteskrankheiten«, nicht jedoch in Bezug auf Fragestellung und Kategorienbildung ist H.C. Erik Midelfort, Melancholische Eiszeit?, in: Kulturelle Konsequenzen, hg. v. Behringer / Lehmann / Pfister, S. 239 – 253. Vgl. auch Wolfgang E.J. Weber, Im Kampf mit Saturn. Zur Bedeutung der Melancholie im anthropologischen Modernisierungsprozeß des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 17 (1990), S. 155 – 192, hier 159. Kritisch gegenüber dem Paradigma des krisenhaften Stimmungstiefs (wenn auch ohne die Melancholie-Problematik zu thematisieren) ist Ferdinand van Ingen, Bußstimmung, Krisenbewusstsein und Melancholie – Deutungsmuster der Frühen Neuzeit?, in: Pietismus und Neuzeit 32 (2006), S. 57 – 78, im Anschluss an Udo Sträter, Meditation und Kirchenreform in der lutherischen Kirche des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1995. Vgl. dazu auch Johannes Wallmann, Reflexionen und Bemerkungen zur Frömmigkeitskrise des 17.
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lung bereits vereinzelt angesprochen worden, und dies wird auch in den folgenden Kapiteln weiter der Fall sein. An dieser Stelle jedoch ist zu systematisieren: das Verhältnis von Furcht und Melancholie jenseits des therapeutischen Zugriffs und ihrer aufgeklärten Diskreditierung. Die Selbstbewahrheitung einer falschen, allzu großen Furcht meinten die Zeitgenossen in besonderer Weise bei Melancholikern konstatieren zu können; denn deren Temperament, so wollte es die Humoralpathologie, schädigte vielfach die Einbildungskraft, schwärzte den Blick auf die Welt und unterwarf die Betroffenen damit » natur« verstärkt der Furcht und der Angst.372 Dass etwa der reformierte Pfarrer Alexander Bösch, wie er sagt, »von natur schamhafft und forchtsam geweßen« sei, habe ihn »nit wenig verhinderet«, »sitten mahlen« das Sprichwort ging: »Audaces fortuna juvat, timidosque repellit«, den Tapferen hilft das Schicksal, die Furchtsamen stößt es zurück.373 Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass eine der umfassendsten Exempelsammlungen für die körperliche Macht der Imagination in Robert Burtons Anatomy of Melancholy (1621) zu finden ist, der einflussreichsten zeitgenössischen Aufarbeitung des Themas.374 Besonders Schwermütige, das wussten die medizinisch Kundigen, hatten sich vor gefährlichen, pathogenen Ein-Bildungen zu hüten. Ausgewiesen als melancholisch, wurde eine Furcht, die die Krankheit verursachte, die sie fürchtete, selbst pathologisch. Daher bewirkte Furcht, wie es schien, mitunter Jahrhunderts, in: Krisen des 17. Jahrhunderts. Interdisziplinäre Perspektiven, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen, Göttingen 1999, S. 25 – 42. 372 Alsted, Encyclopædia, S. 1352; Peregrinus, De noscendis, S. 188 f.; Wesenfeld, Introductio, S. 612 f. Zur furchtbesetzten laesa imaginatio der Melancholiker vgl. Tersch, Melancholie, S. 138; Angus Gowland, Melancholy, Imagination, and Dreaming in Renaissance Learning, in: Diseases, hg. v. Haskell, S. 53 – 102, hier 55 – 65. Die Melancholie war das einzige der vier Temperamente, das sich pathologisieren ließ. 373 Bösch, Liber familiarium, S. 108 f. Mit dieser Selbstbeschreibung charakterisiert sich Bösch zwar nicht ausdrücklich als Melancholiker, aber doch implizit. Zu Bösch vgl. Lorenz Heiligensetzer, Getreue Kirchendiener – gefährdete Pfarrherrn. Deutschschweizer Prädikanten des 17. Jahrhunderts in ihren Lebensbeschreibungen, Köln / Weimar / Wien 2006 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 15), insbes. Kap. 2.2.2. – Ähnliche Varianten des Sprichworts sind bereits antik, in dieser Formulierung findet es sich jedoch erst in einer Spruchsammlung des reformierten niederländischen Humanisten Johann Sartorius: Proverbia sententiaeque Latinitatis Medii Aevi / Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, hg. v. Hans Walther, Teil 1, Göttingen 1963 (Carmina Medii Aevi Posterioris Latina II/1), Nr. 188. 374 Burton, Anatomy, Bd. 1, S. 250 – 255. Die Macht der Imagination wird auch hier nicht auf die Melancholie beschränkt, und so wird sie eher am Rande als Problem der Furcht gekennzeichnet. Dessen ungeachtet jedoch durchziehen »fear« und »anxiety« die ganze Anatomy. Für Furcht und Schrecken als Ursache von Melancholie siehe insbes. S. 259 – 260 und 333 – 336. Zu Burton vgl. v. a. Martina Wagner-Egelhaaf, Die Melancholie der Literatur. Diskursgeschichte und Textfiguration, Stuttgart / Weimar 1997, Teil 1, Kap. 5; Angus Gowland, The Worlds of Renaissance Melancholy : Robert Burton in Context, Cambridge / New York 2006 (Ideas in Context 78).
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nicht allein die jeweils gefürchtete Krankheit (oder das Ungarische Fieber), sondern auch die Krankheit der Melancholie.375 Das Leiden schien ein körperliches und ein seelisches zugleich. Angesichts dessen fand in den beschriebenen Krankheitszusammenhängen von Furcht und Angst nicht allein die Pathologisierung der Melancholie ihren Niederschlag, wie sie seit der Antike Tradition ist (neben der genialischen, neoplatonisch fortgeführten Deutung),376 sondern auch ihre Übersetzung in christliche Kontexte: als Diabolisierung. Auch und gerade die melancholische Selbstbewahrheitung der Furcht wurde im 17. Jahrhundert am Ende als göttliche Sanktion verständlich, und dies spiegelt sich wider in den religiösen Dimensionen der Melancholie.377 Im Anschluss an die mittelalterliche acedia378 hatte sich die desperatio im Christentum zur Todsünde par excellence entwickelt: die schwarzgallige, teuflisch eingeflüsterte Verzweiflung an der göttlichen Gnade und der Möglichkeit eines guten, weil von Gott geschenkten Lebens. Mit der Reformation jedoch, von Luther über Calvin bis hin zu den Pietisten und Puritanern, erfuhr (die Nähe zur) Verzweiflung zugleich eine partielle bußtheologische Aufwertung. Das Wissen, der Gnade unwürdig zu sein, wurde zur entscheidenden Bedingung für Gottes gnädige Rettungstat.379 Offensichtlich war hier sorgfältig zu unterscheiden. Die Gläubigen sollten verzweifeln über der eigenen Sündhaftigkeit, aber e
375 Genannt seien nur Coberus, Observationes medicae II, S. 18 – 22; Nester, Ausfuhrlicher und Nohtwendiger Bericht, S. 48; Stahl / Reich, De passionibus animi, S. 6 f.; Pansa, Consilium Antipestiferum I, S. 12; Zopff, Hertzens=Angst, S. 10, 13. 376 Im Anschluss an Marsilio Ficino, De vita libri tres, Venedig 1498, der seinerseits auf (Pseudo-)Aristoteles, Problemata XXX, 1, rekurriert. Zu diesen Traditionen vgl. Raymond Klibansky / Erwin Panofsky / Fritz Saxl, Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und der Kunst, Frankfurt a.M. 1990, insbes. S. 55 ff., 351 ff. 377 Literaturhinweise im Folgenden. In Burtons Anatomy findet sich die »religious melancholy« in Bd. 3, Kap. 3.4.1 und 3.4.2. Für einen Überblick über die Debatte zur religiösen Melancholie vom Mittelalter bis zur Entstehung von Psychiatrie und Psychoanalyse vgl. Edith Saurer, Religiöse Praxis und Sinnesverwirrung. Kommentare zur religiösen Melancholiediskussion, in: Dynamik der Tradition. Studien zur historischen Kulturforschung 4, hg. v. Richard van Dülmen, Frankfurt a.M. 1992, S. 213 – 239. Zur Melancholie jenseits des Religiösen vgl. aus den Geschichtswissenschaften: Peter Sillem, Saturns Spuren: Aspekte des Wechselspiels von Melancholie und Volkskultur in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2001 (Zeitsprünge 5/1 – 2), und (für Spanien) Roger Bartra, Melancholy and Culture: Diseases of the Soul in Golden Age Spain, Cardiff 2008; aus den Literaturwissenschaften: Melancholie, hg. v. Sieber / Wittstock; aus der Kulturphilosophie: Bettina Nüsse, Melancholie und Tragödie, München 2008 (Genealogische Kulturtheorie 1). 378 Dazu v. a. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Bd. 17B, II – II, qu. 35. 379 Zur pietistischen Melancholie-Konzeption vgl. Hans-Jürgen Schings, Melancholie und Aufklärung. Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1977, Teil 2, Kap. 1. Für eine grundsätzliche Kritik an Schings siehe Wagner-Egelhaaf, Melancholie, S. 4 ff.
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nicht an ihrer Seligkeit: nicht an der Macht und dem Willen Gottes, jene aus der Sünde zu befreien, die ihn darum baten. »Gott richtet auf«, so Luther, »und stärkt niemand als allein die Betrübten, die sterben sollen und die in Verzweiflung sind. Denn das Wort des Lebens und Heils gehört denen, die in Angst und Verzweiflung sind, welchen recht gesagt wird: Du fürchtest dich, und dein Gewissen martert dich, der Teufel mit seinem Stachel und dazu das Fleisch plagen dich. (Aber) sei getrost, Gott zürnt nicht mit dir.«380 Die Traurigkeit der Buße hatte eine göttliche zu sein und keine melancholische, sie hatte in die Gewissheit der Gnade zu führen: aus tödlicher Verzweiflung heraus und nicht in sie hinein.381 Wer an der eigenen Seligkeit verzweifelte, hatte sie schon und tatsächlich verspielt – und damit wahrhaft Grund zur Desperation. Diese Spannung von göttlicher Traurigkeit und teuflischer Melancholie zeitigte zwar keine protestantische Neigung zu Schwermut und »selbstmörderischer« Verzweiflung,382 doch sie entwickelte sich zu einem der maßgeblichen
380 Martin Luther, Vorlesungen über 1. Mose von 1535 – 1545, in: WA 42 – 44, hier Bd. 44, S. 638: »Deus enim non erigit aut confirmat, nisi tristitia absorptos, morituros aut desperabundos. Quia verbum vitae et salutis pertinet ad eos, qui sunt in angustia et desperatione, quibus recte dicitur : Tu times, et conscientia tua excruciat te, stimulus Diaboli et caro te exagitat, confide, Deus non irascitur tibi, etc.« Dt. zit. nach: Lutherlexikon, hg. v. Kurt Aland, Göttingen 41989, S. 21. 381 Martin Luther, Thesen De lege (1535), in: WA 39.1, S. 48 – 53, hier 50; ders., De servo arbitrio, S. 719; Calvin, Institutio, III, 3, 7; auch II, 8, 3. Die biblische Referenz ist 2 Kor 7.10: »Denn die göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut; die Traurigkeit aber der Welt wirkt den Tod.« Zu Luther und seinen geistlichen Traditionen auch Tersch, Melancholie, S. 146 f.; Weber, Im Kampf mit Saturn, S. 162 f. 382 Die kausale Verknüpfung der rechtfertigungs- und prädestinationstheologischen Kritik an katholischer Werkgerechtigkeit mit einer melancholisch verzweifelten Gewissens- und Endzeitangst ist mittlerweile verschiedentlich in Frage gestellt worden und doch, wie es so oft bei traditionsreichen Zuschreibungen der Fall ist, hat sie sich in der Mentalitäts- und Psychohistorie lange gehalten (etwa bei Markus Schär, Seelennöte der Untertanen. Selbstmord, Melancholie und Religion im Alten Zürich 1500 – 1800, Zürich 1985). Die Argumente der Kontroverse sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Siehe dazu Andreas Bähr, Der Richter im Ich. Die Semantik der Selbsttötung in der Aufklärung, Göttingen 2002 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 180), insbes. Kap. 1 und 3, für die voraufklärerische Zeit S. 18 ff., 40 f.; ders., Selbsttötung und Selbsterhaltung. Die Semantik moralischer Ausweglosigkeit in der Aufklärung, in: Das achtzehnte Jahrhundert 28 (2004), S. 65 – 82; ders., Zur Einführung: Selbsttötung und (Geschichts-)Wissenschaft, in: Sterben von eigener Hand. Selbsttötung als kulturelle Praxis, hg. v. dems. / Hans Medick, Köln / Weimar / Wien 2005, S. 1 – 19. Wie bei Furcht und Angst: Das entscheidende Problem in dieser Debatte ist die vorherrschende Psychologisierung von Melancholie und Verzweiflung. Sie liegt auch dort vor, wo der Befund über den Protestantismus hinaus auf sämtliche konfessionalisierte Denominationen ausgeweitet wird (vgl. dazu Tersch, Melancholie, S. 131 f.). Und sie findet sich auch noch in den (durchaus differenzierten) Überlegungen zu literarisch-autobiographischen MelancholieErzählungen von Stuart Sim, Despair, Melancholy and the Novel, in: Melancholy Experience in Literature of the Long Eighteenth Century : Before Depression, 1660 – 1800, hg. v.
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Probleme zeitgenössischer Seelsorge und Homiletik. Nicht nur die Ungerechten, so registrierten selbst protestantische Geistliche, sondern gerade auch jene, die sich um Gerechtigkeit bemühten, schienen oftmals der schlimmsten diabolischen Versuchung zu erliegen und von eigener Hand zu sterben.383 Dies beobAllan Ingram / Stuart Sim / Clark Lawlor / Richard Terry / John Baker / Leigh Wetherall-Dickson, Basingstoke, Hampshire / New York 2011, S. 114 – 141. 383 Koch, Die höchste Gabe; Roland Lambrecht, Melancholie. Vom Leiden an der Welt und den Schmerzen der Reflexion, Reinbek b. Hamburg 1994, S. 41 – 48; für Schottland vgl. auch Mullan, Narratives, S. 240 – 267. Wer sich tötete, weil er sich von Gott verlassen sah, hatte ihn immerhin gesucht; und so fanden diese Frommen auch das Mitleid protestantischer Geistlicher und die weltliche Sanktion ihrer Tat wurde gemildert. Dessen ungeachtet jedoch sahen sie sich, so sie ihren Verzweiflungsakt überlebt oder noch vor sich hatten, nicht nur getröstet, sondern auch mit intensivierter Bußparänese konfrontiert. Im 17. Jahrhundert löste die Pathologisierung von Melancholie und Wahnsinn deren Diabolisierung nicht ab, sondern war ohne sie in der Regel nicht zu denken. Auch dort, wo tödliche Verzweiflung nicht auf Vorsatz, sondern auf Krankheit zurückgeführt wurde, wurde diese ihrerseits dem Teufel in Rechnung gestellt und hatte ihren Anfang damit in Gott. Und das heißt: Weder die Gesetze der Physis noch das Wirken des Teufels zeichneten letztlich verantwortlich für die melancholische Tat und natürlich auch nicht der himmlische Herrscher, der sich ihrer bediente; verantwortlich, vielmehr, schien der sündige Mensch, der die Sanktionskette aktiviert und seine Verworfenheit im »Selbstmord« unter Beweis gestellt hatte. Mochte er auch den Sanktionen der Juristen entgehen, so sah er doch göttlicher Verurteilung entgegen. All dies galt auch für den der Melancholie eng verwandten Wahnsinn. Zu diesem Problemkomplex siehe aus sprachkritischer Perspektive Jeremy Schmidt, Melancholy and the Care of the Soul: Religion, Moral Philosophy and Madness in Early Modern England, Aldershot / Burlington 2007, insbes. Kap. 3; aus der Mentalitätsgeschichte vgl. neben Koch, Die höchste Gabe, H.C. Erik Midelfort, Selbstmord im Urteil von Reformation und Gegenreformation, in: Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993, hg. v. Wolfgang Reinhard / Heinz Schilling, Münster 1995 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 135), S. 296 – 310, hier 298 – 306; ders., A History of Madness in Sixteenth-Century Germany, Stanford, CF 1999, S. 12, 104 – 108, 310 f.; David L. Lederer, Madness, Religion and the State in Early Modern Europe: A Bavarian Beacon, Cambridge 2006, Kap. 4; medizinhistorisch: Roy Porter, Madness: A Brief History, Oxford / New York 2002, Kap. 2; ders., Mind-Forg’d Manacles: A History of Madness in England from the Restauration to the Regency, Cambridge 1987, S. 62 – 81, 264 – 268; Michael MacDonald, Mystical Bedlam: Madness, Anxiety, and Healing in Seventeenth-Century England, Cambridge 1981, insbes. S. 9, 39, 120, 135 f., 167, 176, 217 – 221. – Die Ambivalenz des Entlastungseffekts der Melancholie-Diagnose kam auch in den Hexenprozessen zum Tragen. Von den Kritikern des Hexenbrennens wurden (juristisch erforderliche) Selbstbezichtigungen von Hexen und Hexern mit dem Hinweis auf teuflische Besessenheit hinterfragt und dieser Obsession zunehmend die Krankheit der Melancholie an die Seite gestellt. Beide Begriffe beschrieben im 16. und 17. Jahrhundert zwar nicht dasselbe, ließen sich jedoch ungeachtet zeitgenössischer Bemühungen nicht klar voneinander trennen. Für dämonische Besessenheit schienen melancholische Personen besonders disponiert, und Melancholie ließ sich umgekehrt auch auf dämonische Obsession zurückführen. Auch hier: Die Diagnose der Melancholie verhinderte juristische Sanktionen, aber nicht die religiös-moralische Inkriminierung der pathologisierten Vorstellungen. Zum Verhältnis der beiden Konzepte vgl. im Band: Dämonische Besessenheit. Zur Interpretation eines kulturhistorischen Phänomens, hg. v. Hans de Waardt / Jürgen Michael
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achteten nicht nur Theologen, sondern auch Betroffene an sich selbst: »Ja, je mehr ich Gott anruffete und bitte um sinen heiligen Geist, Hilff und Beystandt,« stellte Augustin Güntzer fest, desto »mehr sich der Teiffel an mich setzete zu e plagen mit schwohrmietigen Gedancken.«384 So manche Frommen wussten wohl, dass sie ihr Wissen um die eigene Gottesferne für die Nähe zu ihrem Schöpfer qualifizierte, aber sie spürten es nicht im Herzen; ihnen fehlte die zur Gnade erforderliche Gnade. Es mochte ihnen nicht gelingen, eine paradoxe Aufgabe zu lösen: das Bewusstsein, die Verdammnis zu verdienen, in die Gewissheit zu überführen, ihr damit entronnen zu sein. Wer verzweifelte, mit anderen Worten, erwies sich als unfähig, aus knechtischer Gottesfurcht eine kindliche zu gewinnen. Die Furcht der verwerflichen Melancholie, die Angst eines schwermütigen Gewissens, die nicht vertraute auf einen rettenden Gott, bewahrheitete sich als Sanktion ihrer selbst; sie stieß in die Hölle hinab, vor der es ihr graute. Melancholische Furcht, die die Schläge des Schicksals als Zeichen der Verdammnis las und nicht als Aufforderung, sich als verdammenswert zu bekennen, als Zeichen der Erwählung also, sie zog weitere Schläge nach sich und am Ende das, was diese vor Augen stellten. Die Paradoxie löste auch hier der autobiographische Blick. Die Beobachtung des Schmidt / H.C. Erik Midelfort / Sönke Lorenz / Dieter R. Bauer, Bielefeld 2005 (Hexenforschung 9), die Beiträge von Rainer Jehl, Melancholie und Besessenheit im gelehrten Diskurs des Mittelalters (S. 63 – 72), H.C. Erik Midelfort, Natur und Besessenheit. Natürliche Erklärungen für Besessenheit von der Melancholie bis zum Magnetismus (S. 73 – 88), Renate S. Klinnert, Von Besessenen, Melancholikern und Betrügern. Johann Weyers De Praestigiis Daemonum und die Unterscheidung der Geister (S. 89 – 105), und Albrecht Burkardt, Besessenheit, Melancholie und »mal de mÀre« in Wunderberichten französischer Heiligsprechungsprozesse des frühen 17. Jahrhunderts (S. 107 – 125). Zu Freuds Interpretation von Teufelsbesessenheit am Beispiel des Malers Christoph Haizmann vgl. Johannes Harnischfeger, »Eine Teufelsneurose im siebzehnten Jahrhundert« – Sigmund Freuds Lektüre einer fernen Krankengeschichte, in: Psyche. Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen 57/4 (2003), S. 313 – 342. Harnischfeger bemüht sich zwar, gegen Freud, um eine »verfremdende« Historisierung der Wahrnehmungskategorien des 17. Jahrhunderts, greift dabei jedoch seinerseits auf psychologische und psychoanalytische Begrifflichkeiten zurück, wenn er die Zeitgenossen als heteronom, von Gott und Teufel übermächtigt, charakterisiert (S. 336). In diesen Kategorien konnte ein Einzelner wie Haizmann auf den göttlichen Ordnungs- und Herrschaftsanspruch nur mit »Wunschphantasien zwischen (Auf)Begehren und Angst« reagieren (S. 338). Die von Freud analysierten Berichte über Haizmann (einschließlich seiner Selbstbeschreibung) sind ediert bei Rudolf Payer-Thurn, Faust in Mariazell, in: Chronik des Wiener GoetheVereins 34 (1924), S. 1 – 18. – Die Reformatoren therapierten ihre eigene Melancholie durchaus auch mit ganz weltlichen Freuden: Johann Anselm Steiger, Melancholie, Diätetik und Trost. Konzepte der Melancholie-Therapie im 16. und 17. Jahrhundert, Heidelberg 1996. 384 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 102r ; auch 218r: »Je mehres ich zu Gott ruffete um seine Hilffe in dißer meiner Verfolgu[n]g, je mehrers ich angefochten wirdte.« Vgl. auch die Aufzeichnungen Nehemiah Wallingtons: Paul S. Seaver, Wallington’s World: A Puritan Artisan in Seventeenth-Century London, London 1985.
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eigenen Lebens erinnerte die Gefahr und dass es zum Äußersten nicht gekommen war. Güntzers Kleines Biechlin, um erneut dieses signifikante Beispiel zu zitieren, ist eine Sammlung von Zeichen des Heils. Es folgt damit bereits einem »Aufschreibbefehl«, wie er erst von Pietisten und Puritanern ausdrücklich formuliert wurde und der gebot – in den Worten von Zedlers Universal Lexicon –, »bey einem jeden e Tage die Spuren der Gottlichen Vorsehung auf[zu]zeichnen, die man an demselben 385 bemerckt«. Güntzer registrierte die Leiden der Vergangenheit, um Gewissheit zu erlangen über sein Verhältnis zu Gott. Teil dieses Leidens war, neben grundlegender »Angst und Nodt«, die ihnen assoziierte Schwermut und Melancholie. Auch wenn die im Text zuweilen als eine rein körperliche Krankheit vorgestellt wird, ist sie doch stets auch eine seelische; sie führte Güntzer wiederholt in die Versuchung, die größte Sünde zu begehen und sich angesichts zuweilen unerträglicher körperlicher Leiden das Leben zu nehmen.386 Die Theologie des verborgenen Gottes erlaubte es dem Calvinisten, ein Leiden, aus dem andere den Schluss der Verdammnis gezogen hätten, als deren Gegenteil zu lesen. Gott, so wusste Güntzer, führte nur diejenigen in teuflische Versuchung, die er zum Heil ausersehen hatte; sie unterzog er einer Prüfung, die jedem anderen als Vollstreckung eines tödlichen Urteils erscheinen musste. Seine Erkenntnis der Verdammungswürdigkeit im Leiden erkennt Güntzer als Signum seiner Erwählung. Das Projekt des autobiographischen Zeichensammelns konnte gelingen, weil die Heilsgewissheit seine Voraussetzung war und nicht sein Ergebnis. Es konnte gelingen, weil es das melancholische Leiden als ein ausgestandenes beschreibt; mit der Züchtigung durch den Herrn erinnert es dessen Befreiungstat und begründet so die Hoffnung, dass diese auch am Ende zu erwarten stand.387 Und das heißt: Eine Melancholie, die nicht sein durfte, wurde, nicht 385 Art. »GOttes Vorsehung«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 50, Sp. 1124 – 1218, hier 1205. Für den Pietismus siehe v. a. Christian Scriver, Seelen=Schatz, in der Ausgabe Leipzig 1698, Teil 3, 2. Predigt, S. 598 – 600, 613 – 615, und Teil 5, 4. Predigt, S. 878 f., zit. nach Leutert, Geschichten vom Tod, S. 256 f. Zum puritanischen »Aufschreibbefehl« vgl. Steinmayr, Menschenwissen, Kap. 6, zit. S. 141, 149. 386 Rein körperlich in Symptomatik und Therapie erscheint die Melancholie in Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 231v. Der Hinweis auf das verdickte schwarze Geblüt (als eine Wirkung e von Einsamkeit und als Ursache von »groß Traurigkeit, Angst undt Schrocken«) findet sich auf Bl. 46v, die Versuchung zur Selbsttötung (mit Hiob) und die Sehnsucht nach dem Tod (resultierend aus dem Umstand, dass Güntzers Krankheit nicht nur körperliche Leiden mit sich brachte, sondern auch soziale Ausgrenzung) auf Bl. 100r – 108v, die Verbindung von Einsamkeit und Melancholie auf Bl. 205r. Für Güntzers Todessehnsucht siehe darüber hinaus auch die Memento-mori-Texte zwischen Bl. 24r und 24v (S. 105). – Die christlich verstandene Einheit von körperlichem und seelischem Leiden brachte es zum einen mit sich, dass Melancholie, obwohl von Gott gesandt, medizinisch therapiert werden konnte, ohne dem göttlichen Sanktionswillen zu widersprechen, dass zum anderen jedoch Gott als der einzige wirklich kompetente Arzt vorgestellt wurde: Bl. 9v, 30r – 31r, 126r, 128v – 129r, 163r, 232r, 240r. Dieser Arzt verordnete am Ende eben das Kreuz, gegen das körperliche und geistliche Arzneien zur Anwendung gebracht wurden: Bl. 217r. 387 Vgl. ders., Kleines Biechlin, Bl. 220r: Nach dem »Abscheidt« aus dieser Welt, so Güntzer,
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anders als ihre Furcht und ihre Angst, beschrieben und beschreibbar als eine überwundene: als überführt in göttliche Traurigkeit. Güntzer konnte mangelndes Vertrauen und Kleinmütigkeit bekennen, weil er am Ende Gottes Vertrauenswürdigkeit erkannt hatte; er konnte sich sehen als Hiob, weil er in drohender Verzweiflung zu neuem Glauben gefunden hatte.388 In der Fähigkeit, seine Melancholie zu erinnern, stellte der Kannengießer die Auserwähltheit unter Beweis, derer er sich erinnernd zu versichern suchte. Eine derartige Konstellation lässt sich nicht allein im Kleinen Biechlin nachweisen, sondern auch dort, wo nach verbreiteter Forschungsmeinung die Furcht vor kriegerischer Gewalt die Theodizee-Frage aufgeworfen und einen grundlegenden Zweifel an der Existenz eines gütigen und gerechten Gottes gezeitigt hat. Darauf wird im folgenden Kapitel zurückzukommen sein. Das Sammeln von Beweismaterial, wie gesagt, schuf Gewissheit über den eigenen Heilsstand, weil diese Gewissheit im Akt des Sammelns bereits vorausgesetzt war ; in diesem Sinne hatte das Unternehmen sein Ziel immer schon erreicht. Damit jedoch kam es paradoxerweise auch niemals ans Ziel. Das Schreib-Projekt konnte a priori nicht gelingen und musste am Ende unabgeschlossen verbleiben. Eine autobiographische Erinnerung, die die Zeichen der melancholischen Furcht389 las, war dabei selbst melancholisch; denn sie, die beständig suchte nach Zeichen, konnte sich niemals sicher sein über deren Bedeutung. Melancholie erschien im 17. Jahrhundert als epistemologisches Problem vor heilsgeschichtlichem Hintergrund. Jede Suche nach Gewissheit wurde mit neuer Ungewissheit erkauft – so wie die Suche nach göttlicher Gnade mit neuer teuflischer Anfechtung.390 So erlangte Güntzer die Gewissheit seines Heils im Wissen, die letzte Gewissheit nicht erlangen, die Zeichen nicht lesen und Gottes unergründlichen Willen nicht erkennen zu können. Seine Autobiographie war Bemühen und Scheitern zugleich – und zeitigte im Misslingen ihren Erfolg.391 Und so wurde der letzte Beweis erbracht in einem beständigen,
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»wertt mich kein Qwall rieren, kein Schmertzen, kein Kranckheidt, keine Hitz, kein Frost werde mich anfechten, ja es wirdt ales Unklick bey mihr ein Ende haben, ich werde weder Hunger noch Durst haben, meine Feindte, so ich auff Erden gehapt hab, werden mich nicht mehr plagen noch engstigen, ich werde i[h]nen enttrunnen seidt [i.e. sein].« Ders., Kleines Biechlin, Bl. 140v. Für den Vergleich mit Hiob siehe Bl. 101r, 160r, 218r. Im Sinne sowohl des subjektiven als auch des objektiven Genetivs: die Zeichen für die Melancholie und die Melancholie als Zeichen. Eckhard Lobsien sähe das Problem als Teil einer allgemeinen »Krise der Zeichen«: Eckhard Lobsien, Renaissance-Krisen, in: Krisis! Krisenszenarien, Diagnosen und Diskursstrategien, hg. v. Henning Grunwald / Manfred Pfister, München 2007, S. 95 – 113, hier 106. Wagner-Egelhaaf, Melancholie, S. 326 – 384, hat die Aporien einer melancholischen Melancholie-Analyse für Karl Philipp Moritz’ spätaufklärerisches Projekt der »Erfahrungsseelenkunde« beschrieben. Das psychologische Unternehmen scheiterte, weil es selbst die Melancholie produzierte, die es zu erkennen und der es zu entkommen versuchte.
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den Text von Beginn an durchziehenden Gebet, das der Akt des Schreibens nicht nur erinnert, sondern stets aktuell und neu formuliert: in der Bitte um eine Erwählung, die der Autobiograph immer schon unterstellen durfte, weil Gott sie dem, der ihn darum bat, unmöglich verweigern konnte.392 Güntzer selbst beschreibt sein Schreiben als Signum der Melancholie, die sein Leben prägte und die ihm von Geburt an die Sterne verhießen.393 Die Vorrede bittet den geneigten Leser, er möge die autobiographische Betätigung »nicht verspotten. Es ist ja beßer fihr den Mießiggang, etwaß Nutzliches zu schreiben und die Zeit hinzupringen, als daß man die Zeit vertreibet mit Freßen undt Sauffen, Spillen, Praßen undt dergleichen andern ub[r]igen Dingen, zauberischen Kinsten oder e Abgotterey. Auch bin ich der melancolischer Natduhr zugethan und underworffen, derohalben ich gern alein bin, nicht gern bey vilen Leudten undt ich jederzeit von Jugent auff vil Feinde hab, mich anfinden undt haßen. […] Darmit ich aber auch etwaß
Im 17. Jahrhundert dagegen erschien melancholische Selbsterkenntnis nicht primär aporetisch, sondern zunächst paradox. Sie gründete in einer Semiologie und Epistemologie, die die aufklärerische Aufspaltung von Signifikant und Signifikat noch nicht vollzogen hatte und in diesem Zusammenhang den Melancholie-Begriff in konstitutiver Ambivalenz hielt. Melancholisch war hier nicht allein, wer in pathologischer Weise »bloße« Zeichen für eine nicht existente Wirklichkeit nahm, sondern auch, wer erkannte, es in der Wirklichkeit stets (nur) mit Zeichen zu tun zu haben. Und so repräsentierte und reproduzierte auch Robert Burtons Un-Ordnung des Wissens die Melancholie, die sie »anatomisch« zu sezieren suchte. – Das Problem der schwarzgalligen Verletzung des Erkenntnisvermögens wurde in besonderer Weise auch bei melancholisch generierten Träumen virulent. Dies deutet sich bereits bei Tscherning an, wenn er die Melancholie sagen lässt: »Es treugt mich/ was ich seh’/ und bild es mir doch ein/ jj Der Tag bedünckt mich Nacht/ und Nacht der Tag zu seyn.« Tscherning, Melancholey, 47 f. Näheres zum Traum unten in Kap. 6. e 392 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 29r: »Also glaube ich, das ich von Gott außerwohlet bin zum ewigen Leben, dieweill ich glaube, daz mich Christus durch sein Leiden undt Sterben, Aufferstehung undt Himelfardt auff das Neye erlesset undt erkaufft hatt, undt begere mein Leben zu bessern, darzu wolle mihr Gott helffen durch seine Hilff undt gudten Geist. Ament.« Bl. 175r : »Von der Genadtenwall Gottes glaube ich, daß Gott i[h]me ein Folck außerwelet hatt undt mich auch zu seinem Kindt undt Erbe seines Reichs hatt erwellet.« Bl. 176v : »Ob nun wol niemand in den ewigen Radt Gottes hineinsehen kan, so offenbaret sich doch die Gnadenwall selbs an den Auserwelten zu seiner Zeitt, wie dan der Abostel Paulus sagt, 2. Timoth 2: Sie tretten ab von der Ungerechtigkeit. Das ist, sie thun Buß undt sindt from. Item, sie nenen den Namen JESUM, verstehen ohne Heicheley, sie erkenen i[h]n fihr ihren Jesum undt glauben an i[h]n. Wehr daß bey sich befindet, der hatt ein gewiß unfelbares Zeignuß, das er ein außerweltes Kindt Gottes seye.« – Dass Güntzer in den eingeschalteten Gebeten die Zeitform wechselt, bemerkt auch Leutert, Geschichten vom Tod, S. 270, sieht darin jedoch einen Wechsel von der Zeit des Berichts in »die Zeit der berichteten Ereignisse«. 393 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 4r : Güntzer begann sein Leben »im Planeten Luna, der 12 himlischen Zeichen nach im Steiinbocke, wahr melancolisch[er] Nadtuhr, kalt und trucken die Erdt.« Des Melancholikers Stern war an sich nicht Luna, sondern Saturn. Luna jedoch stand im Tierkreiszeichen des Steinbocks, das von Saturn beherrscht wurde. Dazu Klibansky / Panofsky / Saxl, Saturn, S. 190 f.
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Freide hab auff Erden, so thue ich schreiben undt leßen, wafern ich mießig wehr von meiner Handtarbeidt.«394
Ähnlich wie bei Robert Burton: Schreiben erscheint hier als Ausdruck von Melancholie und als ihre Therapie zugleich. Die Melancholie, die der Text erklären wird, fungiert selbst als Erklärung des Textes – als Rechtfertigung vor denen, die meinten, ein Handwerker habe nicht zu schreiben, sondern zu arbeiten und sich eitler »Pracht« und selbstbezogenen »Fihrwitz[es]« zu enthalten.395 Der Text pathologisiert sich gewissermaßen selbst, und zugleich beerbt er damit eben die Tradition exklusiver gelehrter Selbstreflexion, gegen deren Unterstellung er sich verwahrt. Sein melancholisches Schreiben, so der Autor, füllte die Zeiten untätigen »Müßiggangs«, der Melancholikern immer wieder als eine Ursache ihres Leidens zur Last gelegt worden war.396 Güntzer rechtfertigte seine Autobiographie mit einer Melancholie, die ihn in den Augen so mancher Zeitgenossen diskreditierte, und zugleich gab ihm diese Missbilligung den Anlass zu schreiben.397 Die zahlreichen Spannungen, Ambivalenzen und Paradoxien, die bereits die Vorrede produziert, lösen sich in den religiösen Dimensionen und Konnotationen der Melancholie.398 In seiner Selbstpräsentation als Melancholiker vereint Güntzer nicht nur die pathologische, sondern auch die genialische Konzeptualisierung der Melancholie mit einer geistlichen.399 Diese Melancholie ist Problem, auch für Güntzer selbst, und zugleich gewinnt sie einen besonderen Wert: aus der Fähigkeit, die eigenen Sünden zu erkennen und damit am Ende auch die eigene Melancholie. Wenn der Verfasser einleitend sein melancholisches Temperament eingesteht und sich das stellare Vorzeichen im folgenden Text bewahrheitet, dann erhebt er sich zugleich über all jene, die ihn als Melancholiker verfolgen und damit gänzlich in die Melancholie treiben. Melancholie und Einsamkeit erklären sich hier wechselseitig und zeichnen Güntzer aus, den Märtyrern gleich, vor seinen Verächtern. Und das heißt: In der autobiographischen memoria öffnet nicht allein die göttliche Traurigkeit der Erkenntnis die Pforten zum Heil, sondern auch die erkannte Schwermut, nicht allein die besondere Beobachtungsgabe, sondern auch die korrumpierte. Denn in der Melancholisierung des eigenen Schreibens war die beschriebene Melancholie immer schon besiegt. Diese Konstellation 394 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 2r. 395 Ders., Kleines Biechlin, Bl. 1r. 396 Vgl. Burton, Anatomy, Bd. 1, S. 6 f.: »I write of melancholy, by being busie to avoid Melancholy. There is no greater cause of Melancholy then idlenesse, no better cure then businesse«. 397 Siehe auch Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 219v. 398 Sie werden auch vom Kommentator übersehen: Sieber, Religiöse Leitbilder, S. 46. 399 Vgl. dazu auch Tersch, Melancholie, S. 149.
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erklärt sich nicht aus der Verquickung unvereinbarer Traditionsstränge, sondern aus der konstitutiven Vielschichtigkeit des zeitgenössischen Melancholiebegriffs, der ohne seine religiös-erbaulichen Implikationen nicht zu verstehen ist.400 Auch Güntzers Melancholie ist stets verknüpft mit Furcht und Angst. Wie kaum ein anderer Text offenbart das Kleine Biechlin die semantischen Äquivalenzen von Furcht und Melancholie, die sich niederschlagen in einer analogen Ausdifferenzierung beider Begriffe und in entsprechenden Grenzverwischungen zwischen dem jeweils Unterschiedenen. Güntzers Zeichensammeln ist melancholisch, aber es ist nicht zu erklären aus einer »realen« Melancholie des Verfassers – und auch nicht aus seiner Furcht; denn das melancholische Verzeichnis notiert Furcht als Zeichen der Befreiung aus ihr. Es präsentiert knechtische Furcht als Bedingung der kindlichen und die Traurigkeit der Welt als Voraussetzung der göttlichen. Im »martialischen Saeculum« waren mithin nicht die Menschen melancholisch, sondern ihr labyrinthischer Modus von Weltaneignung und Selbstreflexion: die Erschließung ihrer selbst im Wissen um ihre Unerschließbarkeit (und die Produktion von Ungewissheit im Bemühen, sie zu beseitigen).401 Die Melancholie dieser Zeit war kein psychisch-mentaler Zustand der »Depression«, sie war vielmehr eine kritische Selbstbeschreibung und stellte der Angst, der Not und der Nichtigkeit dieser Welt die Freuden der »Narren Christi« entgegen.402 400 Auch die Grenze zwischen der pathologischen und der genialischen Konzeptualisierung der Melancholie war zu keiner Zeit klar zu ziehen, bereits in der Antike nicht. Zur erbaulichen Funktion der Melancholie vgl. auch Reinhard Heinritz, Erbauliche Melancholie. Zur Frage nach der Wirkung von Dürers »Melencolia I« in der deutschsprachigen Lyrik des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Aedificatio. Erbauung im interkulturellen Kontext in der Frühen Neuzeit, hg. v. Andreas Solbach, Tübingen 2005, S. 113 – 126. 401 Dies auch gegen Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, hg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1978, S. 119 – 137. Das heißt auch, dass dem Paradigma der melancholischen Krise des 17. Jahrhunderts nicht mit dem Hinweis auf eine mentale Wirksamkeit von Trost-Literatur zu begegnen ist, wie van Ingen, Bußstimmung, es tut. – Zum Verhältnis von Melancholie und Labyrinth siehe Martina Wagner-Egelhaaf, Anatomisten und Seefahrer oder : Die Melancholie des Erzählens, in: Kontingenz und Ordo: Selbstbegründung des Erzählens in der Neuzeit, hg. v. Bernhard Greiner / Maria MoogGrünewald, Heidelberg 2000 (Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 7), S. 95 – 115, insbes. 112; aus sozialpsychologischer Perspektive vgl. Christoph Siegrist, Labyrinth und Melancholie. Aspekte einer sozialpsychologischen Konfiguration in der deutschen Barockliteratur, in: Lese-Zeichen. Semiotik und Hermeneutik in Raum und Zeit. Festschrift für Peter Rusterholz zum 65. Geburtstag, hg. v. Henriette Herwig / Irmgard Wirtz / Stefan Bodo Würffel, Tübingen / Basel 1999, S. 112 – 131; vgl. außerdem Katharine Hodgkin, Madness in Seventeenth-Century Autobiography, Basingstoke, Hampshire / New York 2007, Kap. 6 und 11. 402 1 Kor 4.10: »Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus; wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet.« Die Bezugnahme findet sich in der Zeitdiagnose von Burton, Anatomy, Bd. 1, S. 65.
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Am Ende des langen 17. Jahrhunderts führte die 1738 publizierte Eigene Lebens=Beschreibung des lutherischen Predigers Adam Bernd (1676 – 1748) die bisherigen Aspekte noch einmal in eigener Weise zusammen.403 So bringt sie dieses Kapitel zum Abschluss, und zugleich schlägt sie den Bogen zum nächsten. »Furcht, Traurigkeit und Angst«, die »wie ein Stein auf [das] Herze fället« und in der Erkenntnis der Sünden und als Vorbereitung zur Bekehrung entsteht, hatte Bernd auch an »höchst gesunde[n] Leuten« beobachtet. Die »Erfahrung« aber lehrte ihn zugleich, dass erst die »Milz-Sucht« wirklich in Furcht vor der Sünde versetzte: erst die »Herz-Klemmungen«, in denen »die ganze Welt zu enge werden will« und die »sich leicht Objecta suchen zu diesem Affecte«, die »MilzAngst«, in der der Mensch die eigenen Sünden mit anderen Augen ansah und besser beurteilte als »in gesunden Tagen«. Melancholische Angst, heißt das, war für Bernd »der schärfste Moraliste auf Erden«: »Timor emendator acerrimus«; sie gab der Seele die Gelegenheit, »daß sie alle Schlupfwinkel und alle Tücke des menschlichen Herzens, ja die geringste Ungerechtigkeit gegen den Nächsten, gegen die Obrigkeit, und gegen uns selbst begangen, einsiehet. Die große Furcht vor Gottes Zorn bei dergleichen Angst siehet tausend Sünden, wo andere Menschen keine sehen wollen.« Eine derartige Aussage war Wasser auf die Mühlen der Kritiker, schon seit der Reformation und erst recht seit ihrer pietistisch-puritanischen Erneuerung. Dies wusste auch Bernd, doch wusste er ihnen auch zu antworten: Selbst wenn »manchmal Melancholici und Milzsüchtige Leute, wo etwan das Übel gar zu heftig, auf allzu strenge und scharfe Lehr- und Sitten-Sätze verfallen, welche sie hernachmals widerrufen, und auch wohl gar in geringen kleinen Dingen ein Gewissen sich machen, und conscientiam scrupulosam bekommen«, selbst wenn die Furcht der schwarzen Galle zuweilen Übel sah, wo gar keine waren, verbot sich der Schluss der »Atheisten« und »Ungläubigen«, die »den Haufen wahrer Christen vor eine Gattung Milzsüchtiger Leute ausschreien und ausgeben wollen«: Wahrer Glaube führte nicht
403 Adam Bernd, Eigene Lebens=Beschreibung, Samt einer Aufrichtigen Entdeckung, und e deutlichen Beschreibung einer der grosten, obwol großen Theils noch unbekannten Leie e bes= und Gemuths=Plage, Welche GOtt zuweilen uber die Welt=Kinder, und auch wohl e e uber seine eigene Kinder verhanget; Den Unwissenden zum Unterricht, Den Gelehrten zu e e weiterm Nachdencken, Den Sundern zum Schrecken, und Den Betrubten, und Angefochtenen zum Troste, Leipzig 1738. Im Folgenden wird die moderne Textausgabe benutzt: Adam Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung. Vollständige Ausgabe. Mit einem Nachwort, Anmerkungen, Namen- und Sachregister hg. v. Volker Hoffmann, München 1973 (Die Fundgrube 55). Siehe auch die Fortsetzung der Autobiographie in ders., Abhandlung von e Gott, und der Menschlichen Seele, und derselben naturlichen, und sittlichen Verbindung e mit dem Leibe, wobey zugleich einige Satze der heutigen Weltweisen untersucht werden, ob, e und wiefern dieselbigen mit der Heiligen Schrifft streiten; samt angehangter Fortsetzung seiner eigenen Lebens=Beschreibung, Leipzig 1742.
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zur Melancholie, sondern Melancholie zum wahren Glauben. Es »kommt darauf an«, so des Predigers Schluss, »ob ein kranker Leib, und das Unglück auf Erden nicht eine Gelegenheit sei, das Wahre vom Falschen, und das Böse vom Guten besser zu unterscheiden, als ein gesunder Leib; und ob das Glück und gesunder Leib die Menschen nicht zu einem frechen, wilden, sichern, hochmütigen Sinn viel geneigter mache, und sie, wie taumelnde und trunkene Menschen, zu den törichtsten und verkehrtesten Urteilen, so sie von Sachen, so die Religion und Gott im Himmel angehen, fällen, verleite.«404
Furcht, dies war einer ihrer Vorteile, »hält einen von manchen Sünden ab«.405 Ihre Gefahren jedoch lagen auch für Bernd auf der Hand. Melancholie mochte die Sünde klarer vor Augen stellen, als die Lust des Lebens es tat, und das zeichnete sie aus. Zuweilen jedoch machte sie das Vergehen größer, als es war ; dann drohte sie in die größte aller Sünden zu führen: in »Selbstmord« und tödliche Verzweiflung. Den Religionskritikern konnte der Theologe zwar nicht zustimmen: Den Glauben an Gott gab es auch ohne melancholische Furcht. Der »Aberglaube« allerdings ging auf ihr Konto: »Hat die Furcht schon nicht die Götter, so hat sie doch wohl die Gespenster, und den Teufel manchmal auch in diejenige Örter der Welt gebracht, wo er doch noch nicht zu finden gewesen.«406 Im Bemühen, die Sünde zu sehen, übersah sie mitunter, dass Gott all jene aus Sünde befreite, die sie erkannten. Melancholiker, wenn sie krank waren im Geist und nicht nur im Körper,407 sahen in der Erkenntnis der eigenen Sünde keinen Anlass zur Hoffnung: nicht den Anfang gnädiger Erlösung, sondern das Ende. Sie verzweifelten in der falschen Gewissheit eigener Verdammnis – einer Verdammnis, auf die sie schlossen aus ihrer Neigung zu tödlicher Verzweiflung. Bernds Eigene Lebens=Beschreibung ist durchzogen von diabolisch inpirierten Versuchungen zum »Selbstmord«, wie sie der Autor nicht nur bei anderen beobachtete, sondern auch und gerade bei sich selbst.408 Diese Neigung erklärte er sich neben den Listen des Teufels auch aus der tradierten Macht der Imagination. So manche, wusste Bernd, und öfters die Frömmsten, waren versucht sich zu töten, aus der Furcht, es zu tun, nicht obwohl, sondern weil sie sich davor fürchteten: weil für die Tat, wie sie meinten, ewige Strafe in Aussicht stand.409 404 Sämtliche Zitate dieses Absatzes bei Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 169 – 171; siehe auch S. 6, 12. 405 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 90. 406 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 49. 407 Diese Unterscheidung nimmt Bernd nicht explizit vor. Seiner ambivalenten Bewertung der Melancholie liegt sie jedoch implizit zu Grunde. 408 Die einschlägigen Aussagen finden sich insbesondere im umfangreichen »Discours von der Autochirie« – in der Ausgabe von 1973 als »Exkurs über den Selbstmord«: Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 147 – 209. 409 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 189 – 191, zit. 189 f.: »[B]ei solchem Bilde des Selbst-Mords, womit einige geplaget werden, ist nicht nur große Furcht und Einbildung,
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Auch in anderen Zusammenhängen zeigt sich Bernd wiederholt von der Macht der Einbildungskraft überzeugt. Medizinisch informiert, ausdrücklich etwa durch August Rivinus, berichtet er von Erkrankungen durch die (melancholische) Furcht zu erkranken – an der Pest vor allem und an Roter Ruhr.410 Darüber hinaus entstand das Problem in Bezug auf Verstandesverlust, Delirium und Wahnsinn. Bernd, wie er berichtet, ging den »Närrischen« aus dem Weg und bat die anderen, nicht von ihnen zu erzählen; denn er musste fürchten, sie nachzuahmen und zu werden wie sie. Die Furcht vor der Furcht war des Melancholikers Zeichen, des »furchtsamste[n] Tier[es]« und »verzagste[n] Mensch[en] auf Erden«, und wer sie litt, fürchtete auch jene, die in derselben Weise litten wie er.411 Diese Melancholie fürchtete sich selbst. Bernd vermied die Begegnung mit anderen Melancholikern ebenso wie die Lektüre seiner eigenen melancholischen Autobiographie (obwohl er sie geschrieben hatte den Angefochtenen zum Trost und den Kranken zur »Gesundmachung«).412 Diese Medaß es geschehen werde, weil sie so viel Omina und Anzeigungen entdecken, daß, wenn sie auch darnach wieder gesund werden, sich darüber verwundern müssen; sondern es vermehret auch diese Furcht die schreckliche Gewissens-Angst, so insgemein mit zuschläget. Sie kommen auf die Gedanken, weil sie eines solchen erbärmlichen Todes sterben werden, daß sie unter die Zahl der Verdammten gehören. Sie erschrecken vor dem ganzen Heer ihrer Sünden, so sie in ihrem Leben begangen, und fürchten sich nunmehr mehr vor der Höllen, als vor dem Untergang ihres Leibes. Möchte doch endlich ihr Tod geschehen wie er wollte, wenn sie nur wüssten, daß sie nicht durch diesen Tod in den ewigen Tod verfielen. Es ist nicht zu sagen, was vor schreckliche Gedanken ihnen einfallen, insonderheit wenn der Tag kömmt, vor welchem sie sich so sehr gefürchtet, und von welchem sie gemeinet, daß es der letzte sein werde. Der Teufel muß unfehlbar da seine Hand im Werke haben. Deine Zeit ist aus, heißt es, nur fort, nur fort, kein Glaube ist in dir, dein Vertrauen ist zu lauter Verzweifelung ausgeschlagen; du bist mein, schieb es nur nicht auf; und was der schrecklichen Einfälle mehr sein, die in Menschen alsdenn hinein stürmen. […] Was es nun mit solchen Leuten endlich vor ein Ende nehme, daferne sie nämlich noch zur Tat schreiten: auf was vor einem Wege sie zur Tat kommen, ob sie in diesem Kampfe mit der Hölle, Sünde, und dem Satan ebenfalls des Verstandes beraubet werden; das ist mir noch unbekannt. Gewiß ist, daß dergleichen erbärmlicher Seelen-Kampf sich dann und wann bei solchen Leuten findet, die mit der Furcht und Einbildung geplaget werden: den, und den Tag wirst du dich selbst umbringen.« 410 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 195 f. (mit der analogen Wirkung der Furcht vor der Pest und vor dem »Selbstmord«); außerdem: S. 159 – 163, 247 f., 307. Zu Rivinus siehe oben Abschnitt 3. 411 Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 179, 277, 312 – 314, 322 – 326, 337, zit. 11 und 193. 412 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 5, 13, 15, zit. 13: »ich dürfte es nicht wagen, mein Buch noch einmal durchzulesen, oder die Correctur meines Buches selbst über mich zu nehmen, wenn ich nicht Gefahr laufen wollte, mit dem Übel würklich überfallen zu werden, was mich zuvor nur angewandelt.« Das Problem betraf auch das Schreiben (S. 313): »Von dieser Dispositione delirii kann ich jetzt hier noch schreiben; aber bei dem Übel, welches ich oben erzählet, nämlich bei den Spasmis und innerlichen Convulsionibus, hätte ich damals, als ich es mit meiner eigenen Feder aufschrieb, bald die Feder hinwerfen müssen, weil ich, indem ich eine deutliche Beschreibung davon machen wollte, mir die Sache gar zu lebhaft imaginirte, so daß ich daraus schließen kunte, daß bei mir die Disposition zu diesem
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lancholie vergegenwärtigte, was sie als drohendes Übel erkannte, und ein solches war auch die Melancholie selbst. Sie fürchtete, den Ärzten von sich zu erzählen; und so fand sie kein Ende aus eigener Kraft.413 Doch sie vermochte all dies zu erkennen, im Zustand der Besserung, und das heißt: im autobiographischen Rückblick. Bernd, als er schrieb, wusste um sein furchtsames Wesen und melancholisches Temperament,414 und er wusste, ähnlich wie Thomas Hobbes,415 wie es entstanden war. Er habe es von der Mutter ererbt, die ebenso furchtsam gewesen sei wie er, nicht über ihre Milch, wie manche Ärzte vermuteten, denn die hatte er als Säugling verweigert, sondern durch die embryonale Nähe zu ihrem gepressten Herzen.416 Die Furchtsamkeit der Schwangeren gebar einen furchtsamen Sohn, wie die Einbildung einer Missgestalt eine Missgestalt figurierte.417 Doch woher die Furcht und die Angst der Mutter? Sie habe sie »von Natur« gehabt, zunächst, doch nicht nur das: »Denn in dem Jahre, da meine Mutter mich unter ihrem Herzen trug, setzte der Einfall der Schweden in Pommern ganz Schlesien, und die meisten Inwohner in Furcht und Schrecken, als die noch gar wohl wußten, was vor Not und Jammer sie im 30jährigen Kriege ausgestanden, und daß die Schweden nicht sowohl die Schlüssel zu den verschlossenen Kirchen, als vielmehr die Schlüssel zu den Kühe- und Pferde-Ställen gebracht hätten.« »Todes-Angst« litt die Mutter, als »die streifenden Parteien gekommen, alles geplündert, ja wohl gar in das Heu und Stroh mit den Degen gestochen, und die Leute aufgesuchet, und wenn sie dieselben gefunden, sie gamartert, und ihnen den damals sogenannten Schwedischen Trank eingegeben«. Daher schien es dem Verfasser »nicht Wunder, daß der ein melancholisches Geblüte, und ein zusammen gepreßtes Herze auf die Welt gebracht, den die Mutter unter einem 9 Monat lang zerknirschten, und mit Furcht und Angst beklemmten Herzen getragen; partus enim sequitur conditionem ventris.« Entsprechende Kindheitserlebnisse kamen hinzu: die »fürchterlichen Id¦en«, die man ihm beibrachte, als »Kirchs Komet« 1680/81 am
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Malo noch größer, als zu jenem sein müsse; wiewohl auch desselben Ausbruch jederzeit Gott noch abgewendet, wofür ich ihn in Ewigkeit loben, und preisen will.« Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 313. Auch wenn es bei ihm mehr gab als nur schwarze Galle (Eigene Lebens-Beschreibung, S. 17): »Sollte ich also nach Thomasii Vorschlag die Mixtur und Vermischung der Temperamente bei mir abmessen; so müßte ich sagen, daß ich ohngefähr im 30. Grade cholerisch und hochmütig, im 50. Grade sanguinisch und wollüstig, und im 60. Grade melancholisch und traurig gewesen bin.« Zu Hobbes siehe Bähr, Furcht vor dem Leviathan, Abschnitt 1 und 3. Zudem sah Bernd dann auch in seiner »kümmerlichen« Ernährung mit Kuhmilch eine Ursache seiner Schwäche an Leib und Gemüt und seiner »unordentlichen Affecten und Neigungen«: Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 24. Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 159 – 161.
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Himmel stand,418 und die »fürchterliche[n] Impressionen«, die ihm gemacht wurden, »als der Türke Anno 1683 vor Wien lag. Die große Glocke, so sie des Morgens und zur Vesper-Zeit läuteten: das besondere Türken-Gebet, so in Predigten und Bet-Stunden verlesen wurde: das tägliche Singen des Liedes in Kirchen und in unserer Schule: Du Friedens-Fürst, Herr Jesu Christ, (welches wegen der Connexion der Id¦en im Gehirne noch lange Zeit hernach, so oft ich es habe hören singen, eine dunkele Angst bei mir verursachet, die derjenigen gleich war, so ich damals bei mir empfunden:) das Flüchten unserer besten Sachen in die Stadt: die ängstliche Reden und Discourse der Alten, die wir Kinder mit anhöreten, verursachten, daß ich mich oft mit Furcht plagte, und aus Furcht mir allerhand seltsame Gedanken machte.«419
Auf die Furcht der beiden Kriege wird in Kürze zurückzukommen sein. An dieser Stelle ist entscheidend: Der Melancholiker Adam Bernd wusste um die Ursachen seiner furchtsamen Complexion, weil er wusste, welchen Zweck sie hatte, dass sie überwunden war und auf welche Weise: mit Gottes gnädiger Hilfe. Der Autor, dem Vernehmen nach, war wiederholt versucht, sich zu töten, doch er tat es nicht; am Ende, deswegen begann er zu schreiben, waren die Plagen der Milz und die Sünde der Verzweiflung besiegt.420 Dies ist die notwendige Bedingung für Bernds medizinische Deutung seiner melancholischen Furcht, die zunächst aufklärerisch klingt, der religiösen jedoch nicht widersprach.421 Me418 Der »Große Komet«, einer der hellsten im 17. Jahrhundert, wurde von Gottfried Kirch am 14. November 1680 entdeckt und bis zum Februar 1681 beobachtet. Isaac Newton nutzte ihn, um die Kepler’schen Gesetze zu überprüfen. 419 Sämtliche Zitate des vorangehenden Absatzes bei Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 23 – 25. 420 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 18. 421 Daher ist Bernds anatomisch-melancholische Selbstpathologisierung, auch wenn sie fünfzig oder hundert Jahre zuvor noch kaum denkbar war, in einer Perspektivierung auf die moderne Psychologie nicht adäquat interpretiert. Martina Wagner-Egelhaaf, Melancholischer Diskurs und literaler Selbstmord. Der Fall Adam Bernd, in: Trauer, Verzweiflung und Anfechtung: Selbstmord und Selbstmordversuche in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaften, hg. v. Gabriela Signori, Tübingen 1994 (Forum Psychohistorie 3), S. 282 – 310, hier 293 ff., dies., Autobiographie, S. 147 – 151, und unter anderen methodischen Vorzeichen Schings, Melancholie, Teil 2, Kap. 2, insbes. S. 97 ff., sehen dagegen bei Bernd eine Ambivalenz von tradierter Dämonologisierung und aufklärerischer Pathologisierung der eigenen Melancholie. Vgl. auch Götz Müller, Die Einbildungskraft im Wechsel der Diskurse. Annotationen zu Adam Bernd, Karl Philipp Moritz und Jean Paul, in: Der ganze Mensch. Anthropologie und Literatur im 18. Jahrhundert, hg. v. Hans-Jürgen Schings, Stuttgart 1994 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 15), S. 697 – 723. Für Sabine Groppe, Das Ich am Ende des Schreibens. Autobiographisches Erzählen im 18. und frühen 19. Jahrhundert, Würzburg 1990 (Epistemata. Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft 58), S. 47 – 68, therapiert Bernd mit seinem autobiographischen Schreiben einen religiös-melancholischen Ich-Verlust. Rolf Wintermeyer, Adam Bernd et les d¦buts de l’autobiographie en Allemagne au XVIIIe siÀcle, Bern u. a. 1993, findet bei Bernd die Anfänge der (modernen) Autobiographik in Deutschland.
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Natur-Gewalten
lancholische Furcht, daran ließ der Prediger keinen Zweifel, war eine Krankheit, doch ihre erste Ursache war Gott; ihre Pathogenese, so oder so, stellte ihre religiöse Valenz nicht in Frage. Sie erlaubte es, Gott zu erkennen und die Sünde des Menschen, wie es Gesunde kaum noch vermochten; und selbst dort, wo sie es nicht tat und tödlichen Konsequenzen zutrieb, kam sie vom Herrscher des Himmels: von einem verborgenen, zu Paradoxien neigenden Gott, der Krankheiten schickte (und die Furcht vor ihnen), um als »Arzt« in Erscheinung treten zu können:422 um das Werk seiner Gnade zu verrichten. Gott, so wusste der Autor, schlug die Furchtsamen mit immer größerer Furcht, um sie aus ihr zu befreien.423 Die Eigene Lebens=Beschreibung des Adam Bernd, dies stellt sie von Beginn an klar, berichtet von »Erfahrungen« der Furcht, weil sie auch vom Trost zu erzählen weiß.424 In ihr entfaltet das Problem der Selbstbewahrheitung der Furcht eine besondere, melancholische Brisanz und wird gleichwohl am Ende entschärft. Wie Augustin Güntzers Kleines Biechlin: Sie sammelt die Zeichen der Melancholie – melancholisch – als Zeichen des Heils. Sie fungiert als Belegreservoir einer furchtlosen Furcht, deren primäre historisch-kulturelle Grundlage nicht in der protestantischen Kritik katholischer Werkgerechtigkeit zu suchen ist, sondern in einer konfessionsübergreifenden religiösen Epistemologie.
Gleiches gilt implizit für Jürgen Lehmann, Bekennen – Erzählen – Berichten. Studien zu Theorie und Geschichte der Autobiographie, Tübingen 1988 (Studien zur deutschen Literatur 98), Kap. 5.1, der Bernds »Selbstentblößung als Dialogbereitschaft« interpretiert (S. 89). Vgl. außerdem Helmut Pfotenhauer, Literarische Anthropologie. Selbstbiographien und ihre Geschichte. Am Leitfaden des Leibes, Stuttgart 1987 (Germanistische Abhandlungen 62), Kap. II. 422 Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 191. 423 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 332, 375; auch S. 7 f., 318. 424 Ders., Eigene Lebens-Beschreibung, S. 16, 25.
5. Die Gewalt der anderen
Furcht, Angst und Schreck im Angesicht von (körperlicher) Gewalt schienen eine letale Wirkung nicht allein über tödliche Krankheiten zu entfalten, sondern auch ganz unmittelbar. Dies verlieh ihnen ihre besondere Bedrohlichkeit. Das Problem wurde vor allem in zwei Bereichen virulent, bei soldatischer und bei obrigkeitlicher Gewaltausübung. Die Furcht und die Angst des Krieges wird in den Abschnitten 5.2 bis 5.4 in den Blick rücken; zuvor soll die Aufmerksamkeit dem Folterkeller gelten. Das Wissen von der tödlichen Gewalt der Furcht fand seinen Niederschlag nicht allein in den analysierten chronikalischen und autobiographischen Einträgen sowie in medizinischen Traktaten, sondern auch in der juristischen Literatur und vor Gericht. Noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts konnten Gerichtsmediziner und Richter im Erregen von Angst und Schrecken den ausschlaggebenden Bestandteil eines Tötungsdelikts erkennen – und mit dem Tode bestrafen. »Furcht, im Juristischen Verstande«, war »ein Verbrechen«, und zwar nicht allein, »wenn jemand[em] durch Einjagung eines Schreckens eine Sache oder Consensus abgezwungen« wurde.1 Im April 1751 etwa wurde Eleonora von Gessler mit dem Schwert gerichtet »wegen verübter Grausahmkeit und Todtschlages an ihrer Dienstmagdt«. Die Gräfin hatte Anna Deppin wiederholt misshandelt, bis diese schließlich ihren Qualen erlag. Der Obduktionsbefund vermerkt, die Magd sei »aus Furcht« gestorben, und führt aus: »Wir müßen demnach nach allen wohl überlegten, umbständen, festsetzen, daß Denata zuvor nicht an den Stock- und Ruthen Schlägen, die alhir per se nicht einen absoluten tod verursachen können, hat sterben müßen, sondern, weil Denata schwächlich am Leibe gewesen, so viel schmerzen am Leibe und im Gemüht angst, furcht und traurigkeit hat empfinden müßen, indem sie an ihrem Sterbenstage nach Erzählung der
1 Diese juristische Definition findet sich im Art. »Furcht, im Juristischen Verstande«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 9, Sp. 2326.
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Die Gewalt der anderen
Leut einige Stunden übel tractiret, auf der Erde entblößet, mit Ruthen über den Leib gepeitschet und in große angst gesetzet … .«2
Von Psychologisierung ist hier noch wenig zu spüren. Furcht und Angst werden unmittelbare körperliche Auswirkungen zugeschrieben, mehr noch: Die Schmerzen »im Gemüht« sind Schmerzen wie »am Leibe«. Dass Anna Deppin nicht an ihren Verletzungen gestorben war, konnte die Angeklagte daher nicht entlasten. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die besondere körperliche Gewaltsamkeit von Furcht und Schrecken nicht allein dort zum Tragen kam, wo in illegaler (und illegitimer) Weise geschlagen und gequält wurde, sondern auch dort, wo es mit dem Segen des Gesetzes geschah: nicht allein als Argument zur Bestrafung häuslicher Gewalt,3 sondern auch in der Gewalt der Ankläger : in der gerichtlichen Folter. In der Auseinandersetzung über die Legitimität und Illegitimität von Tortur und peinlicher Befragung, wie sie bereits im 17. Jahrhundert mit kritischem Impetus geführt wurde, spielte die Furcht eine zentrale argumentative Rolle – bei den Gegnern der Folter ebenso wie bei ihren Verfechtern.
5.1. Territio verbalis et realis: Die Furcht vor Folter und peinlicher Befragung Christliche Obrigkeiten verlangten gottesfürchtige Untertanen; dies ist in Kapitel 3 gezeigt worden. Fanden sie sie nicht vor, hatten sie ihre Mittel, sie in Furcht zu versetzen. Sie drohten mit dem Verlust von Leib und Leben und mit »unendliche[m] Schmertz«4 zuvor: mit Folter und Tortur. Wer andere Menschen in tödliche Angst versetzte, hatte damit zu rechnen, am Ende selbst lebensgefährlich geängstigt 2 GStAPK XX, EM 61a, Nr. 27: Fiscalische Obductions- und Untersuchungs-Acta. Wegen der im adelichen Hoffe Perkau Herrn General Graffen von Gesler zugehörig umbs Leben gekommene Dienstbothin Anna Deppin, Bl. 34 – 37, zit. 36v – 37r. Die königliche Untersuchungskommission wies am Ende des Prozesses noch einmal auf den Obduktionsbericht hin: GStAPK XX, EM 61a, Nr. 26: Acten über die zum Tode verurtheilte Generalin Gräfin Gessler, welche eine dienstmagd durch Mißhandlungen getödtet hat. 1750, Bl. 5. – Für den Hinweis auf die Prozessakte und die Transkription der einschlägigen Passagen danke ich Claudia Ulbrich (Berlin) sowie Sonja Köntgen, die an der Freien Universität Berlin ein Dissertationsprojekt bearbeitet mit dem Titel »… welche eine dienstmagd durch Mißhandlungen getödtet hat. Gräfin von Gessler vor Gericht, Königreich Preussen 1750«. 3 Zur häuslichen Gewalt vgl. Michaela Hohkamp, Häusliche Gewalt. Beispiele aus einer ländlichen Region des mittleren Schwarzwaldes im 18. Jahrhundert, in: Physische Gewalt, hg. v. Lindenberger / Lüdtke, S. 276 – 302. 4 Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen, in: Gesammelte Werke, Bd. I.5, S. 321 f.
Territio verbalis et realis: Die Furcht vor Folter und peinlicher Befragung
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zu werden.5 Gefoltert wurde bei hinreichender Verdachts- und Indizienlage und im Falle von Vergehen, für die die Peinliche Gerichtsordnung die Todesstrafe vorsah. Die Tortur suchte das Geständnis einer »klare[n] und lautere[n] Wahrheit« zu e erpressen, die, obwohl »zur Genuge« bekannt, vom Inquisiten ausgesprochen werden musste, zunächst zur Vergewisserung des Gerichts, dann und vor allem jedoch »GOtt und der Gerechtigkeit zu Ehren«6 : zur Restitution kosmischer und gesellschaftlicher Ordnung, zur Tilgung der Blutschuld, zur Abwendung göttlichen Zorns.7 Mit dieser Zielsetzung verstand sich die Folter stets auch als ein Heilsangebot an die Inquisiten. Die schmerzvolle Verletzung des Körpers, die Störung seiner Ordnung, die die Verletzung der Ordnung sühnte, mahnte zu Buße und Umkehr und sollte so die Rettung der Seele ermöglichen, die Reinigung von der Sünde, die Rückführung in die Gemeinschaft der Gerechten.8 Daraus bezog die Tortur nicht allein ihre religiöse Legitimation, sondern auch ihren juridischen Erkenntniswert. Wie vor Beginn der Folter die Instrumente gezeigt und die Qualen e »erklart« wurden, die bevorstanden, so erschien die Folter selbst als eine Erläuterung jener Höllenpein, die erleiden würde, wer seine Schuld nicht gestand. Wer spanische Stiefel trug, wessen Körper aufgezogen und gespannt wurde, dem stand das Jüngste Gericht vor Augen.9 Und das heißt: Die Folter setzte auf die Furcht derer, die Schuld auf sich geladen hatten. Sie zielte, dies hatte bereits Montaigne scharfsinnig erkannt, auf »des Gewissens Macht«,10 auf die Furcht vor dem letzten Urteil des Höchsten, der die Schmerzen der irdischen Folter noch zu steigern wusste. Die Tortur gewann ihre epistemologische Effizienz als letzte Aufforderung zu einer Umkehr, die allein geeignet schien, die Qualen der Ewigkeit zu umgehen. In ihr würde, wer noch zu retten war, seine Ohren nicht 5 Wenn auch nicht ohne weiteres als Gräfin: Zunächst befreit von dieser entehrenden Praxis war der Geblüts-, Amts- und Geistesadel. Das heißt nicht, dass seine Angehörigen nicht gefoltert werden konnten; ihre ständischen Privilegien erhöhten jedoch den Begründungsaufwand: Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 44, Sp. 1451 – 1554, hier 1530. Für das Spätmittelalter vgl. Sven Lembke, Folter und gerichtliches Geständnis. Über den Zusammenhang von Gewalt, Schmerz und Wahrheit im 14. und 15. Jahrhundert, in: Das Quälen, hg. v. Burschel / Distelrath / Lembke, S. 171 – 199. e e e 6 Art. »Schrecken, Schreck, Schreckung, oder Schrock, Schrocken, Schrockung, Territion, Lat. Terror, Metus, Terrere, Territio«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 35, Sp. 1113 – 1114, hier 1113. 7 Vgl. Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1471. 8 Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1469. Dazu grundlegend: Foucault, Überwachen und Strafen, Kap. I; außerdem: Jürgen Martschukat, Inszeniertes Töten. Eine Geschichte der Todesstrafe vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, Köln / Weimar / Wien 2000, S. 33 – 37; Lembke, Folter ; Eid und Wahrheitssuche: Studien zu rechtlichen Befragungstechniken in Mittelalter und früher Neuzeit, hg. v. Stefan Esders / Thomas Scharff, Frankfurt a.M. 1999. 9 Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1454. 10 Montaigne, Essais II, 5, S. 59 – 62, zit. 59.
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Die Gewalt der anderen
verschließen und auch nicht seinen Mund: Wer in unerträglichem Schmerz das Bekenntnis ablegte, ermöglichte es dem Gericht, das Urteil zu sprechen und zu vollstrecken, und schenkte mit dem Tod des Körpers seiner Seele das Leben. Eine derartige Legitimation der Folter schien das Gericht dann auch vor Fehlurteilen zu schützen. Wer ein reines Herz und Gewissen hatte, so die Vermutung, wer um Gottes Gnade wusste, der hatte den körperlichen Schmerz nicht zu fürchten und würde die Qualen der Folter ertragen. Gegen die Gefahr einer Verurteilung Unschuldiger sicherte die Furchtlosigkeit des Märtyrers. Eine Obrigkeit, die von ihren Untertanen Unbeugsamkeit verlangte im Angesicht ungerechter Gewalt, meinte sich darauf verlassen zu können, dass Angeklagte auch dann standhaft blieben, wenn sie selbst einmal den Weg der Wahrheit verfehlen sollte. Wer in der Folter eine göttliche Wahrheit hervorzutreiben meinte (extorquere), setzte nicht allein auf die Furcht der Schuldigen, sondern auch auf die Furchtlosigkeit der Schuldlosen vor den Instrumenten seines Gesetzes. Er unterstellte dabei eine Trennung zwischen körperlicher und seelischer, zwischen diesseitiger und jenseitiger Gewalt. Der unschuldige Märtyrer hielt stand, weil er das Leben der Seele über das körperliche setzte, die Qualen der Hölle über das Leiden auf Erden; in der Furcht um seinen Leib dagegen verriet der Inquisit seine Schuld. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Furcht auch im Ritual der Peinigung selbst, im »Theater des Schreckens«, einen festen Platz einnahm: als »Territio«.11 Die Praxis der körperlichen Tortur operierte nicht allein mit der Furcht vor der Hölle, sondern stets und zunächst auch mit der Furcht vor der Folter selbst. Ob die Rechtsgelehrten und »Criminalisten« drei oder fünf Grade der Tortur ansetzten, der erste Schritt war in aller Regel die Drohung mit ihr, die »Erschröckung« oder »Territion«, sei sie »verbal« oder »real«, nur mit Worten also und dem Vorzeigen der Instrumente oder bereits mit einem ersten Anlegen der Daumenstöcke und Schnüre, das ein Vorgespür auf das Drohende vermittelte, ohne selbst schon wirklich Folter zu sein: »woraus der Inquisit nicht eben grosse Schmertzen empfindet«.12 Die »Territion« verursachte »keinen so sone derlichen Schmertz am Leibe, wohl aber am Gemuthe«.13 Auch wenn sie in aller 14 Regel noch nicht als Folter angesehen wurde, sondern lediglich als deren 11 Einen knappen Überblick über die Begriffsgeschichte der »Territio« gibt Walther, Art. »Terror, Terrorismus«, S. 334 – 336. Der Begriff des »Theaters des Schreckens« wurde geprägt von Richard van Dülmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der frühen Neuzeit, München 1985, zur Folter : S. 29 – 37, zur Drohung mit ihr : S. 32. 12 Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1114. 13 Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1549. 14 Anders dagegen Zacchia, Quæstiones, Bd. 1/2, S. 482: »Primum ergo gradum cum nonnullis DD. faciamus, c¾m Judex minatur reo tormenta, ipsumque terrere studet, ad veritatem ab illo eliciendam, & ab hoc primo torturæ gradu (licÀt abusive tortura dicatur) nemo excipitur, nisi mulier utero gerens«.
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»Nachahmung« (nuda simulatio), auch wenn sie also »mit der Tortur selbst nicht zu vermengen« war,15 galt es doch als »Rechtsgrundsatz« und »Lehre aller Kriminalisten«, »daß schon die bloße Furcht vor der Tortur der Tortur selbst gleichzustellen« und »gleich zu achten sei«.16 »Wenn nun gleich«, so Zedlers Universal Lexicon, »diese blosse Schreckung, weil sie den Leib nicht peiniget, e eigentlich keine Tortur ist; so hat sie doch zum offtern mit der Tortur selbst e gleiche Wurckung, und dringet jezuweilen eben so wohl die Wahrheit heraus, e wird auch alsdenn zuerkannt, wenn die wurckliche Tortur, nach Beschaffenheit der Personen oder Indicien, nicht Statt findet.«17 Nach Beschaffenheit der Person: Vor allem bei furchtsamen Menschen schien die Imagination der Folter oftmals hinreichend, um ein Geständnis zu erwirken. Wurden in einem Verfahren mehrere Inquisiten gleichzeitig »befragt«, empfahl es sich daher, mit den Ängstlichen zu beginnen.18 Dies galt insbesondere für Kinder (»von zartem Alter«) und für das weibliche Geschlecht. Frauen, so eine verbreitete Meinung, waren furchtsamer als Männer.19 Sie hatten das kältere 15 Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1114. 16 Friedrich von Spee, Cautio Criminalis oder Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse [1631]. Mit acht Kupferstichen aus der ›Bilder-Cautio‹. Aus dem Lateinischen übertragen und eingel. v. Joachim-Friedrich Ritter, München 82007, S. 85 und 135 (im Folgenden wird nach der dt. Ausgabe zitiert und der jeweilige Nachweis aus dem lat. Original in eckigen Klammern ergänzt, nach der Ausgabe: Friedrich Spee, Cautio Criminalis, hg. v. Theo G.M. van Oorschot, mit einem Beitrag von Gunther Franz [Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe 3], Tübingen / Basel 1992, hier S. 72 und 102). So auch Johann Matthäus Meyfart, Christliche Erinnerung/ An gewaltige Regenten und Gewissen=haffte e Pradicanten/ wie das abscheuliche Laster der Hexerey mit Ernst auszurotten/ aber in Vere folgung desselbigen auff Cantzeln und in Gerichts=Hausern sehr bescheidentlich zu handeln sey, in: Unterschiedliche Schrifften Von Unfug Des Hexen=Proceßes/ Zu fernerer Untersuchung der Zauberey, hg. v. Johann Reich, Halle a. d. S. 1703, S. 357 – 584, hier 483. Näheres zu den Folterkritikern Spee und Meyfart im Folgenden. 17 Art. »Schrecken«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1114. So auch der Strafrechtler Benedict Carpzov, Practicæ Novæ Imperialis Saxonicæ Rerum Criminalium Pars III. Quæstionum ferÀ universarum in Materi Processus Criminalis tm ordinarii, qum inquisitorii, Torturæ, Executionis & Remissionis ac mitigationis pœnarum, Wittenberg 1635, S. 197, quaest. 117: »Territio continet tantummodý minas de torquendo, & iterum duplex est […]. [1.] Nuda territio, quæ & verbalis dicitur, vulgari idiomate das blosse Vorstellen/ nil aliud est, qum simulatio quædam carnificis nuda de torquendo Reo, absque omni tactu & apprehensione ejusdem, quando scilicet carnifex verbis & gestibus severioribus & ad torquendum consuetis, irruit in inquisitum, non aliter ac si ipsum prehendere ac torquere vellet, absque apprehensione tamen confessionem ejus nud comminatione torturæ extorquet. Qualis territio verbalis, propriÀ loquendo species torturæ non est. […] Nihilominus tamen hc territione veritas sæpi¾s extorquetur.« 18 Anton Matthäus, De Criminibus ad Lib. XLVII. et XLVIII. Dig. Commentarivs, Utrecht 1644, S. 794 f.: »si plures torquendi sint, initium timidissimo, suspectissimo, vel eo, ex quo facillimÀ verum exprimi potest, faciendum«. 19 Johannes Zanger, Tractatus duo: Unus de exceptionibus Alter de qvæstionibus seu torturis reorum. Editio postrema, Wittenberg 1675, S. 854 f., mit Bezug auf Vergil, Aeneis IV, und
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Blut, nicht nur von Natur, sondern auch durch unablässige Muße; und sie hatten, darin den Kindern gleich, weniger Erfahrung von den Dingen dieser Welt.20 Frauen schienen der Einbildungskraft nicht nur besonders mächtig, sondern ihr auch stärker unterworfen.21 An dieser Stelle mahnten die Rechtsgelehrten jedoch auch zur Vorsicht; denn der Schrecken, in den sie versetzten, war »nicht frei von Gefahr«. Er durfte »nur leicht sein und nichts mit der Folter gemein haben«; dies verlangten die bestehenden »Gesetze wie auch die Vernunft«. Knaben etwa, »die durch Schrecken erschüttert wurden«, konnte die Fallsucht (epilepsia) ereilen, und Greise erlitten den Schlagfluss (apoplexia), sonstige mentale Schäden oder gar den Tod.22 Andere Personen, so gebot es die Menschlichkeit, wurden ganz von juridischen Qualen verschont. Insbesondere im Falle einer Schwangerschaft war nicht allein von der Folter abzusehen, sondern auch von der Drohung mit ihr. Wo die weibliche Imagination im Ungeborenen ihr Abbild fand,23 dort konnte die juridische »Schreckung« Fehlgeburten und die Schädigung unschuldigen Lebens nach sich ziehen.24 Von der Territio befreit waren zudem all jene, bei denen eine
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Seneca, Octavia, 868 – 871; Thomasius, Über die Folter, S. 146/147; Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1507 (mit dem Hinweis, dass einige das Gegenteil lehrten: Frauen seien nicht furchtsamer, sondern halsstarriger). In dieselbe Richtung zielt Spee, Cautio Criminalis, S. 81 f. [69 f.]. Zacchia, Quæstiones, Bd. 1/2, S. 400 f. Zur (nicht unumstrittenen) Überzeugung von der Schwäche des weiblichen Körpers und der besonderen Beeindruckbarkeit der weiblichen Seele siehe Wolfgang Schild, Der gefolterte weibliche Körper, in: Der Frieden – Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 1: Erfahrung und Deutung von Krieg und Frieden. Religion – Geschlechter – Natur und Kultur, hg. v. Klaus Garber / Jutta Held / Friedhelm Jürgensmeier / Friedhelm Krüger / Ute Széll, München 2001, S. 463 – 494, hier 464 – 483. Thomasius, Über die Folter, S. 130/131, mit Verweis auf Zacchia, Quæstiones, Bd. 1/2, S. 482 (vgl. auch 400 f.), und Bd. 3, S. 67. Dazu oben Kap. 4.3. Zacchia, Quæstiones, Bd. 1/2, S. 482: »ab hoc primo torturæ gradu [i.e. territione] (licÀt abusive tortura dicatur) nemo excipitur, nisi mulier utero gerens, ut unanimiter sentient DD. omnes […] & hoc summa cum ratione, quia si gravidam deterreas, fœtum abjicere facile coges. […] Sed c¾m dixerimus prægnantem terreri non posse, num & puerpera, hoc est, quæ de recenti peperit, terreri debeat? Hoc Jurisconsultis intactum video: Dicamus ergo nos, distinguendo, aut enim puerpera est in primis diebus sui puerperii, & tunc nullo modo est terrore afficienda, qui terminus erit decem, aut ad summum quindecim dierum. Ratio est, quia ex terrore, & timore maxima fit sanguinis commotio, de directo contraria ei, quæ fit in puerperio: in puerperio enim sanguinis motus tendit ad exteriora per uteri venas: in timore sanguinis motus recurrit ad interiora, & maximÀ versus cor, & sic puerperia facili negotio retinentur, quæ retentio qum discriminis plena sit, noverunt Medici. Sequentibus verý diebus, c¾m terror incussus tanto periculo hominem non exponat, erit, dummodý neque magnus sit, neque repentinus, magis tutus. Sed postquam purgationibus puerperii tempore fluentibus mulier non potest terreri, poteritne menstruis purgationibus fluentibus mulier terreri? Videretur enim eadem ratio in utroque casu militare, quia etiam in menstruate fieri potest recursus sanguinis ad superiora, & inde plurima mala enasci mulieri exitialia: sed dicendum, non esse parem rationem, nam multý promptius, & majori cum periculo ex
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pathologische Furchtsamkeit konstatiert werden musste: Menschen von e »Traurigkeit« und »Kleinmuthigkeit« (bei ärztlichem Attest).25 Wurde bei körperlichen Gebrechen die Folter ausgesetzt, so bei mentalen die Drohung mit ihr. Dies stellte weder eine Menschlichkeit der Richter unter Beweis noch eine Schwäche der Verschonten, sondern vielmehr die angenommene Wirkungsmacht und Gewaltsamkeit der Furcht.26 Die epistemologische Effizienz retentione puerperii morbi adveniunt, qum ex retentione menstruæ purgationis […]. Illud tant¾m adnotaverim hc, mulierem menstruis fluentibus non esse torquendam, quia ex dolore, & labore, aut subita ac repentina retractione fieret ad superiora fluentis sanguinis, aut major venarum adapertio: præterquam quýd facile tunc e occasione posset mulier animo deficere & alia symptomata non sine vitæ periculo incurrere.« Vgl. auch Bd. 3, S. 67. Prospero Farinacci, Praxis et theoricæ criminalis Libri Duo, Frankfurt 1606, quaest. 41, Nr. 84 (S. 652): »Vt mulier prægnans, nec etiam possit terreri, nedum torqueri, secundum Ant. Gom. var. resol. tom. 3. c. 13. rubr. de tort. reor. nu. 4. post med. vers. & ita debet procedere, vbi dicit, quod quando quis non potest torqueri beneficio alterius, vt mulier prægnans, quæ propter periculum partus torqueri non potest, & tunc nec etiam potest terreri, quia ex terrore & comminatione facile posset sequi abortus, & sic stante identitate rationis debet etiam stare eadem iuris dispositio.« Außerdem: Nicolaus Christoph von Lyncker, Analecta Ex Discursibus Academicis ad Georg. Adam. Struvii Syntagma Juris Civilis, Jena 1690, S. 508; Matthäus, De Criminibus, S. 783: »Nunc illud adjiciendum, an qui torqueri non possunt, terreri saltem possint, vel comminatione tormentorum, vel deductione ad eculeum? Hic distinctione utendum: nam qui ætatis vel valetudinis intuitu non torquentur, eos terrere nihil vetat arg. d. l. I. §. impuberi D. de SC. Silan. l. 15. §. quæstionem 41. D. de injur. At mulier prægnans, & in dignitate constituti, ne terrendi quidem sunt: illa propter partum; hi propter dignitatis respectum.« Thomasius, Über die Folter, S. 130/131; Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg, v. Zedler, Sp. 1507. Fälle, in denen Schwangere durch die Folter ihr Kind verloren, gab es offenbar durchaus: Martschukat, Inszeniertes Töten, S. 37. 25 Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg, v. Zedler, Sp. 1529; auch Thomasius, Über die Folter, S. 128/129. 26 Diese Gewaltsamkeit traf zuweilen nicht allein diejenigen, die von obrigkeitlicher Gewaltausübung aktuell betroffen waren, sondern auch deren Beobachter. So berichtet die Chronik von Eger von der Hinrichtung eines Bauern in der Mitte des 17. Jahrhunderts, der vom Teufel dazu verführt worden war, sein eigenes Kind zu töten: »hat ihm der hencker auff Einen Streich den Kopf abgehauen, wegen welchen streich vil der Zuseher erkräncket[.] Gott wolle, so wohl den unschuldigen als auch Schuldigen Vatter die Ewige Ruhe geben. Amen.« Pancratius Englhart von Maszlbach, Cronicon Egrense Ab Ao. 1560 [ad 1680], SNBB Quart. Germ. 173, Bl. 99/114v – 102/117r, zit. 102/117r. Auch wenn hier letztlich unklar bleibt, welcher Affekt die krankheitsauslösende Wirkung entfaltet und in welchem Zusammenhang die Pathogenese mit der moralischen und rechtlichen Bewertung der Exekution steht, scheint doch nur eine Lesart möglich: Die Zuschauer erkrankten in Furcht und Schrecken im Angesicht der Möglichkeit eigener Betroffenheit. (Die Ambivalenz von Schuld und Unschuld stellt hier nicht die Legitimität der Hinrichtung in Frage, sondern ist Teil der Theologie der teuflischen Versuchung: Wer vom Teufel verführt wurde, war stets schuldig und undschuldig zugleich.) Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert hätten sich derartige pathologische Folgen einer juridisch an und für sich gewollten affektuellen Reaktion leicht der aufkommenden Kritik an der verrohenden, zivilisationsschädigenden Wirkung des öffentlich sichtbaren »Theaters des Schreckens« an die Seite stellen lassen. Zu dieser Kritik vgl. Martschukat, Inszeniertes Töten, Kap. 6; ders., Die Zerstörung des Körpers als Zeichen kultureller Ordnung: Codierungen von Gewalt und das Imaginäre der Zivilisation im 18. und
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der Territion, das hätte niemand geleugnet, war ohne Risiken und Gefahren nicht zu haben. Sie wurde bei furchtsamen Personen zwar mit Vorsicht, aber auch bevorzugt angewandt. Der Anblick der Instrumente jedoch versetzte selbst diejenigen in Furcht, die Furcht bisher nicht zu kennen meinten. Die Furcht vor der Folter entwickelte ihre Wirkung nicht allein beim weiblichen Geschlecht und nicht allein bei pathologischer Disposition. Auch wenn sie noch nicht eigentlich Folter zu sein schien, auch wenn in ihr die Folter nur imaginiert und das Imaginierte nicht wirklich erlitten wurde, nahm jede Tortur bei ihr ihren Anfang; denn so mancher fürchtete die Schmerzen der Folter mehr als den Tod, dessen Berechtigung mit ihnen erwiesen werden sollte. Dies hatte bereits Tertullian notiert.27 Richter und Henker vertrauten auf die Furcht vor diesen Schmerzen und auf die Bereitschaft, eher zu sterben, als sie zu erleiden. Auch wenn bei verhärteten Übeltätern die »Verbal-Territion« zuweilen eher spöttische Bemerkungen als wahre Aussagen provozieren mochte,28 so waren doch wenige so »frech« und »verstockt«, dass sie sich von der Aussicht auf »unendlichen« (!) Schmerz nicht schrecken ließen. In den Augen der Peiniger und ihres juristischen Beistands trieb nicht nur das Instrument, sondern oft bereits seine Demonstration die Wahrheit hervor ; wer sah, was ihm drohte, sagte die Wahrheit, um zu verhindern, dass es eintrat.29 In einer Zeit, in der Furcht und Schrecken das Potential zugeschrieben wurde, selbst zu foltern und zu töten, entwickelte die Furcht vor der Gewalt der Folter eine eigene Kraft.30 Sie wurde der gefürchteten Folter in ihrem Erkenntniswert nicht nachgestellt – weil der Schmerz, den sie fürchtete, unerträglich war und weil er am Ende als göttliche Gewalt erschien: weil die Qualen des »Körpers im Schmerz«31 vorausgriffen auf die Qualen nach seinem Tod; weil, wer die Erklärung der Folterstrafen vernommen hatte, auch einen Begriff hatte von den
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19. Jahrhundert, in: Grenzen der Aufklärung. Körperkonstruktionen und die Tötung des Körpers im Übergang zur Moderne, hg. v. Andreas Bähr, Hannover 2005 (Aufklärung und Moderne 7), S. 25 – 45. Quintus Septimus Florens Tertullianus, An die Märtyrer [Ad Martyras], in: Tertullians Ausgewählte Schriften ins Deutsche übersetzt, Bd. 1: Private und katechetische Schriften, hg. v. K.A. Heinrich Kellner, Kempten / München 1912 (Bibliothek der Kirchenväter 1/7), S. 215 – 223, hier 221; dazu Wolf, Die Zeugen, S. 76. Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg, v. Zedler, Sp. 1454. Zur Territion vgl. auch Michael Niehaus, Das Verhör. Geschichte – Theorie – Fiktion, München 2003, S. 215 – 217; Reemtsma, Vertrauen, S. 126 f. Furcht führte eher zum Tod als irgendeine andere Gewalt, meinte Zacchia, Quæstiones, Bd. 1/2, S. 400: »homines ex timore, priusqum ex violentia cujuscunque caussæ intereunt.« Elaine Scarry, Der Körper im Schmerz. Die Chiffren der Verletzlichkeit und die Erfindung der Kultur, Frankfurt a.M. 1992 [New York 1985], zur »Struktur der Folter«: S. 43 – 90. Berechtigte Kritik an Scarrys unzureichender Historisierung des Schmerzes übt Lisa Silverman, Tortured Subjects: Pain, Truth, and the Body in Early Modern France, Chicago / London 2001, S. 20 – 22.
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Strafen des Jenseits. (Und wer die Erklärung nicht verstehen wollte und vor der Mahnung die Ohren verschloss, der hatte es nicht anders verdient; ein richterliches Gewissen, das es im Guten versucht hatte, schritt, wo dies nicht half, umso unbeschwerter zur Tat – mit des Gefängnisgeistlichen Hilfe.32) Die qualvolle Äquivalenz von Folter und Folterangst, die Tortur der Furcht vor der Tortur, war der entscheidende Ansatzpunkt für diejenigen, die die Legitimität der Folter bestritten. Die Obrigkeit vertraute auf die Standhaftigkeit der Gerechten. Die Kritiker jedoch entlarvten diese Zuversicht als bloße Theorie. Ihnen stellten sich vor allem zwei Fragen. Zunächst: Wurde die Standhaftigkeit eines Inquisiten vor Gericht tatsächlich als Zeichen seiner Schuldlosigkeit zugelassen und als Ausweis seiner Gerechtigkeit anerkannt? War dieses Erkenntnisverfahren ergebnisoffen? Und dann: Blieb, wer sich nichts vorzuwerfen hatte, vor und in der Tortur wirklich standhaft? War davon auszugehen, dass ein reines Gewissen gegen den Folterschmerz immunisierte? Zunächst zur zweiten Frage. Die Furcht vor der peinlichen Befragung, so ein zentrales Argument der Kritiker, veranlasste nicht nur Schuldige, die Wahrheit zu bekennen, sondern auch Unschuldige, die Unwahrheit zu sagen: fälschlicherweise sich selbst (und andere) zu bezichtigen. Schien die besondere Gewaltsamkeit der Furcht den Peinigern die Erkenntnis der Wahrheit zu verbürgen, so wurde sie nun zum Hebel, um den epistemologischen Wert der Tortur in Zweifel zu ziehen. Weil die Folter schlimmer war als der Tod, auf den sie zielte, stellte sie, wie Montaigne bemerkte, »eher die Standhaftigkeit als die Wahrheit auf die Probe«;33 und eben deswegen trieb sie nicht die Wahrheit, sondern ihr Gegenteil hervor. Freilich haben die Rechtsgelehrten um diese Möglichkeit immer schon gewusst;34 und so erlangte eine erfolterte Aussage ihren juristischen Wert erst nach anschließender Bestätigung ohne körperlichen Zwang. Im Falle eines Widerrufs jedoch drohte neue Folter, und so blieb die Einsicht der Kritiker bis ins späte 18. Jahrhundert hinein ohne nennenswerte Konsequenz. 32 Vgl. Thomas Weitin, Zwischen Religion und Ökonomie. Die Gewalt der Folter in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Fallgeschichte von Nickel List und seinen Gesellen, in: Wahrheit und Gewalt, hg. v. dems., S. 111 – 144, hier 121 f. – Welche Mühen die rechtliche, moralische und theologische Legitimation der Folter bereitete, offenbart Zedlers Art. »Tortur«. 33 Montaigne, Essais II, 5, S. 61. 34 Aktenkundig, jenseits der Digesten, sind beispielsweise zwei Fälle aus dem Cellenser Prozess gegen die Räuberbande um Nickel List (1698/99). Der Regimentsquartiermeister Peermann habe eine erzwungene Aussage mit dem Hinweis widerrufen, er habe zuvor »nur aus Angst« gestanden, und das Geständnis Andreas Schwartzes sei auf eine Fehlinterpretation der Instrumente zurückzuführen gewesen: Irrtümlicher Weise habe er das Kaminfeuer im Folterkeller für den nächsten gradus torturae gehalten: Weitin, Zwischen Religion und Ökonomie, S. 125. Überliefert ist die Erzählung in Eduard Hitzigs und Wilhelm Härings juristischer Fallsammlung Der neue Pitaval (1843), der bereits die aufklärerische Folterkritik transportiert.
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Wo galt: »das Geständnis, ›Königin der Beweise‹, setzte die Folter, ›Königin der Qualen‹, voraus«,35 dort blieb die »abscheuliche petitio principii«36 der tradierten Praxis resistent gegen jeden Einwurf der Logik.37 Im 17. Jahrhundert brachten die Kritik am ausführlichsten der jesuitische Theologe und Dichter Friedrich (von) Spee und der protestantische Superintendent Johann Matthäus Meyfart auf den Punkt38 (bevor sie dann zu Beginn des darauffolgenden Jahrhunderts von Christian Thomasius aufgegriffen wurde).39 Sah die Epistemologie der Folterer nur drei Verknüpfungen von Furcht und Wahrheit vor – die Furcht der Schuldigen, die Furchtlosigkeit der Unschuldigen und die Furchtlosigkeit der Verstockten, denen nicht zu helfen war –, so brachten ihre Kritiker nun die vierte Kombinationsmöglichkeit ins Spiel: die Furcht der Schuldlosen. Ihr Argument rekurrierte auf eigene Erfahrung und Selbstbeobachtung. Wer schon einmal auf die Folter gespannt worden war, der wusste: Der Mensch war nicht so stark und standhaft, wie es die Gerichtsherren unterstellten. Wenn »heutigentags«, so Spee, »die Allerfrömmsten der bei uns gebräuchlichen Folter unterworfen würden, so würden auch sie unterliegen. Ich habe bisher noch niemanden gehört, der sich Standhaftigkeit zutraute, wenn er nur einmal 35 Edward Peters, Folter. Geschichte der peinlichen Befragung, Hamburg 1991, S. 102 f. Vgl. auch John H. Langbein, Torture and the Law of Proof: Europe and England in the ancien r¦gime, Chicago u. a. 1977, S. 9. 36 Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Nach der Ausgabe von 1766 übers. und hg. v. Wilhelm Alff, Frankfurt a.M. 1998, S. 98. 37 Näheres zur aufklärerischen Kritik und Abschaffung der Folter am Ende dieses Kapitels. 38 Spee, Cautio Criminalis; Meyfart, Christliche Erinnerung. Zu Meyfart vgl. Erich Trunz, Johann Matthäus Meyfart. Theologe und Schriftsteller in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, München 1987. Meyfart, bei aller Eigenständigkeit, folgte Spees Position in vielen Punkten, zuweilen schrieb er direkt von ihm ab (ohne entsprechende Kennzeichnung). Eine ähnliche Kritik wie Spee und Meyfart formulierte Johann Greve, Tribunal Reformatum, In quo sanioris et tutioris justitiæ via, judici Christiano in processu criminali commonstratur, reject et fugat Tortura, Cujus iniquitatem, multiplicem fallaciam, atque illicitum inter Christianos usum, liber & necessari Dissertatione aperuit J.G., Hamburg 1624. 39 Christian Thomasius, Historische Untersuchung Vom Ursprung und Fortgang Des Inquisitions Processes Wieder die Hexen/ Worinnen deutlich erwiesen wird/ daß der Teuffel/ welcher nach buhlet/ und sie auff den Blockers-Berg führet/ nicht über anderthalb hundert Jahr alt sey, Halle a. d. S. 1712, abgedruckt in: ders., Vom Laster der Zauberei. Über die Hexenprozesse. De Crimine Magiae. Processus Inquisitorii contra Sagas, Frankfurt a.M. 2 1987, § 70, Anm. r) (S. 192 f.) sowie § 80 (S. 204 – 207): Es sei »klar«, so Thomasius, »daß die Übereinstimmende Bekäntnüsse derer Hexen, welche durch die Tortur, oder durch die Furcht für derselben heraus gebracht werden, kein rechtschaffenes argument für die Wahrheit derselben geben«. Dazu auch Anm. t): »Hexen nachdem sie insgemein vermahnet werden: Sie solten die Wahrheit sagen, damit man nicht nöthig hätte, dieselbe durch andere Mittel aus ihnen zu bringen, [bringen] aus Furcht für die Tortur, gar leicht auch die aller absurdesten Dinge von der Welt« vor. Vgl. auch ders., Über die Folter. – Thomasius’ Schüler Johann Reich hatte die Schriften Spees und Meyfarts 1703 neu herausgegeben (zusammen mit dem Malleus Judicum und einigen aus dem frühen 17. Jahrhundert datierenden »HexenActen«; siehe oben Anm. 16).
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etwas näheren Einblick in diese Folterqualen gewonnen hatte.«40 Dies galt auch für ihn selbst.41 Wer Gott fürchtete und frei war von Schuld, taugte damit noch nicht zum Märtyrer, und selbst diejenigen, die Eingang in den Kanon der Martyrologien gefunden hatten, hatten nicht immer übermenschliche Stärke gezeigt.42 Und so konnte Spee mit Cicero ausrufen, dass »die Furcht zum Schwächling« macht und »unter soviel Angst und Not kein Raum mehr für die Wahrheit ist«.43 Die Folter stützte sich auf die »Macht des Gewissens«, konnte sich darauf aber nicht verlassen: »Was würde man nicht alles sagen«, so Montaigne, »was würde man nicht alles tun, um derart höllischen Qualen zu entrinnen!« Und mit den Worten von Publius Syrus: »Selbst der ohne Schuld ist, lügt, hat die Marter ihn besiegt.«44 Die Furcht vor der peinlichen Befragung, so die Überzeugung der Kritiker, setzte einen Mechanismus der systematischen Unwahrheitsproduktion in Gang. Wer im Folterschmerz oder in der Furcht vor ihm eine Tat gestand, die er nicht begangen hatte, würde dies auch dann nicht korrigieren, wenn sich die rechtliche Möglichkeit dazu bot. Wo sich die eigene Folterung nur durch eine unwahrheitsgemäße Selbstbezichtigung beenden oder abwenden ließ, dort drohte bei Widerruf sogleich neue Qual. Das Spiel (das keines war) begann von vorn, und es steigerte noch seine Effizienz: Wer sich zunächst nicht hatte schrecken lassen, der tat es sicher jetzt; denn nun wusste er, was ihn erwartete.45 Dies garantierte den Peinigern den ersehnten Beweis und den Angeklagten den Tod.46 40 Spee, Cautio Criminalis, S. 294 [198]. 41 Ders., Cautio Criminalis, S. 81 [69]. 42 Ders., Cautio Criminalis, S. 124 [96], auch 81 [69]. Zu Spees Theologie der Angst: ders., Trvtz-Nachtigal, hg. v. Theo G.M. van Oorschot (Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe 1), Bern 1985, 15.3, 18.1, 18.10. Näheres dazu oben in Kap. 3.2 und 3.6. 43 Spee, Cautio Criminalis, S. 80 [69]. Cicero, Pro P. Sulla oratio, 78: »Quaestiones nobis Servorum accusator ac tormenta minitatur. In quibus quamquam nihil periculi suspicamur, tamen illa tormenta gubernat dolor, moderatur natura cuiusque cum animi tum corporis, regit quaesitor, flectit libido, corrumpit spes, infirmat metus, ut in tot rerum angustiis nihil veritati loci relinquatur.« Das Zitat wurde übernommen von Meyfart, Christliche Erinnerung, S. 471. 44 Montaigne, Essais II, 5, S. 62. 45 In einem Urteil gegen Kurköln berichtete das Reichskammergericht 1632, der unrechtmäßig behandelte Cramer von Attendorn sei aus dem Haftturm geflohen »ex metu tormentorum reiterandorum«: aus Furcht vor der Wiederholung der Folter. Zit. nach: Hexen und Hexenprozesse, hg. v. Behringer, S. 390 – 394, hier 393. 46 Die Folterer wussten an dieser Stelle von einer anderen Gefahr. So mancher, der gestanden hatte aus Furcht vor der Tortur, mochte – und diese Schwäche bestätigte die ihm unterstellte Schuld – auf dem Schafott widerrufen: aus Furcht vor dem Tod. Es lag in der Logik des Verfahrens, dass jede neue Folter(drohung) ein erneuertes Geständnis und jede Erneuerung der Hinrichtungsvorbereitungen einen erneuten Widerruf erwarten ließ. Die Henker fürchteten eine majestätsbeleidigende Prozedur infiniten Ausmaßes, der nur mit dem unbeirrten Vollzug der verhängten Strafe ein Ende gesetzt werden konnte: Caspar Klock, Consilia, Bd. 3, Nürnberg 21673, Cons. 192, Nr. 41 (S. 772): »Dannenhero und obschon
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So befreite die Folter nicht aus der Unwissenheit, sondern stellte sie auf Dauer ; sie sicherte die Wahrheit der Henker gegen jedes denkbare Indiz. Bereits Augustinus hatte den Folterknechten zugerufen: »[D]ie, welche das Urteil fällen, können denen, über die sie urteilen, nicht ins Herz sehen.« Sie töteten Unschuldige in ihrem Bemühen, keine Unschuldigen zu töten.47 Die Tortur trieb nur die Wahrheit heraus, die sie schon zu kennen meinte. Damit wurde, was den Verfechtern der Folter ein Mittel schien, um Strafe zu begründen, in den Augen ihrer Kritiker selbst zu unbegründeter Bestrafung. Die Folter geriet zu eben der Treptau hernacher sein Bekentniß zu revociren/ und dahin als wann dieselb [sic] aus Pein e und Marter erfolgt/ er aber niemals dergleichen That [crimen majestatis] auszuuben in den e Sinn genommen hatte/ zu verstreichen gemeint. So ist doch solches aller glaubhafften Muthmassung nach allein ex malitia hominis perditissimi und allein ad eludendam promeritam pœnam beschehen/ hierum auch selbe in keine consideration zu ziehen/ sondern wider ihn ad condemnationem nichts destoweniger zu schreiten: Quemadmodum Scabinos Lipsienses, c¾m quidam ob delictum, quod in tortura confessus erat, ultimo supplicio afficiendus confessionem in judicio revocasset, dicens: sibi illam extortam, & denuý pro more quæstioni subjiciendus illa nihil opus esse dixisset, se enim delictum commisisse, & metu torturæ se id confessum causatus fuisset, idque aliquoties fecisset; consulti responderunt, quæstionem denuý de eo habenda, & quod si ut antea ad illam eludendam tunc quoque delictum fateretur, pœna in priori judicio expressam, sive in confessione perseveraret, sive eam revocaret, executioni demandandam esse, malitiæ hominis alis quoque perditissimi indulgendum non esse rati, referente & probante Daniel. Mollero lib. 3. semestrium c. 41. per tot.« Zedlers Universal Lexicon (Art. »Tortur«, Sp. 1545) geht in seinem Kommentar zu Klock noch weiter: Wer derart mit der Obrigkeit spielte, so der Verfasser, an dem war nicht allein die bisher vorgesehene Strafe zu vollstrecken; hier waren drastischere Mittel angezeigt. e Klock, so der Verfasser, »fuhret an, daß einer der das Geständniß aus Furcht der Marter gethan, die Bestätigung aber aus Furcht des Todes unterlassen zu haben vorwendete, und e e sich dieses Mittels offters bedienete, nichts desto weniger, als ein hochst boßhaffter Mensch, e mit dem Schwerdte gestrafft worden sey. Jedoch ware dißfalls rathsamer, die ausserordentliche Straffe zu ergreiffen.« Um es zuzuspitzen: Die Kritiker der Tortur sahen das Problem, dass unschuldige Inquisiten an ihrem Geständnis festhielten, weil sie die (erneute) Folter fürchteten; in den Augen der Folterknechte dagegen widerriefen die Schuldigen aus Furcht vor dem Tod. – Im Jahre 1760 fürchteten die Weimarer Behörden, der Gefangene Rudolf Börner könne sein erfoltertes Geständnis aus Todesangst auf dem Schafott erneut widerrufen. Den ersten Widerruf hatten sie ignoriert, weil sie von der Schuld des Angeklagten überzeugt waren; nun sorgten sie sich um die öffentliche Ruhe und Ordnung: »Es sey auf den Fall, wenn Börner, sein gethanes Bekenntniß nach gehegten Hochnothpeinlichen Halsgerichte revociren sollte, dennoch die ihm dictirte Strafe zu vollstrecken, und zwar um so mehr, als es bey der ganzen Sache hauptsächlich darauf ankommt, daß der Inquisit durch bloße Tortur zum Bekenntniß gebracht worden, oder er sonst genugsam graviret gewesen, daß er dahero nicht aus Trieb seiner Unschuld, sondern vielmehr aus Bosheit, oder aus Furcht vor der Todes-Straffe widerrufet.« Zit. nach: Richard J. Evans, Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532 – 1987, Berlin / Hamburg 2001, S. 151. 47 Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat (De civitate Dei). Aus dem Lateinischen übertragen v. Wilhelm Thimme, eingel. und komm. v. Carl Andresen, München 21985, Bd. 2, Buch 19, Kap. 6, S. 538 f. Augustinus’ Argumentation wird zitiert bei Spee, Cautio Criminalis, S. 125 [96], und Meyfart, Christliche Erinnerung, S. 491 (sowie später von den Aufklärern).
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Sanktion, deren Berechtigung sie zu erweisen unternahm, und ließ sich so nicht länger als sühnende »Verdachtsstrafe« verstehen.48 Doch das Problem reichte noch weiter. Die Folter erpresste nicht allein fälschliche Selbstbeschuldigungen, sondern darüber hinaus unwahre Aussagen über andere Personen; sie setzte nicht nur das Leben der Gefolterten in Gefahr. Auf diese Weise wiederum gefährdeten Daumenschrauben und Aufzüge mit dem körperlichen auch das seelische Heil der Inquisiten. Zwar herrschte theologischer Konsens, dass »keine Todsünde« beging, wer den eigenen Tod der Folter vorzog und »sich, von Folterqualen gezwungen, schuldig bekennt«;49 zwar war niemand »verpflichtet […], durch Ertragen so entsetzlicher Martern, die schlimmer als der Tod selbst sind, sein Leben zu erhalten«50 (und das war zunächst nicht selbstverständlich). Aber wer andere eines Verbrechens bezichtigte, das sie nicht begangen hatten, wer sie auf die Folterbank brachte und aufs Schafott, der sündigte mit Lüge und Mord. Der Folterschmerz provozierte Denunziationen, weil in ihm die Stimme des Gewissens verstummte. Setzten Richter und Henker auf die Furcht der Schuldigen vor den Qualen der Hölle, so wussten ihre Kritiker, dass »die Folter vielen [gewissenhaften] Leuten so entsetzlich und unerträglich erscheint, daß sie lieber die ewige Verdammnis als die Tortur auf sich nehmen«.51 Rechtsgelehrte und »Criminalisten« waren dafür blind; das lag in der Logik ihres Verfahrens. Es gelangte allein denen zu Ohren, die den Todeskandidaten die letzte Beichte abnahmen: die ihnen die Möglichkeit boten, fälschliche Bezichtigungen zu bekennen, ohne neue Folter gewärtigen zu müssen.52 Den Denunzierten freilich konnte dies nicht mehr helfen. Für Meyfart kam noch ein weiteres Problem hinzu. Die Qualen der Folter, die selbst die Leiden Hiobs übertrafen, konnten unbescholtene Menschen dazu treiben, an der Güte und Gerechtigkeit Gottes zu verzweifeln; und in der Todsünde der desperatio war diesen Unglücklichen die ewige Verdammnis gewiss. e e Die »Noth der biß auff den Todt bekummerten Seele«, so Meyfart, »ist die argste/ e die grausamste und die gefahrlichste«; denn wer »in der letzten Todes=Angst e […] mit den Augen siehet das Geruste/ den Meister/ die Knechte« und »den 48 Auf diese Kritik verweist der Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1468, und außerdem Thomasius, Über die Folter, S. 156/157. Das Argument wurde dann auch in der spätaufklärerischen Kritik aufgegriffen: Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 92, auch 99; Voltaire (François Marie Arouet), Commentaire sur le livre des d¦lits et des peines par un avocat de province (1766), in: Œuvres complÀtes, hg. v. Louis Moland, Paris 1877 ff., Bd. 25, S. 539 – 577, hier 557 f.; zu Kant siehe unten Anm. 83. Vgl. Niehaus, Das Verhör, S. 216; Roland Borgards, Physio-Politik. Zur Folter in Medizin und Jurisdiktion des 18. Jahrhunderts, in: Grenzen der Aufklärung, hg. v. Bähr, S. 95 – 124, hier 117. 49 Spee, Cautio Criminalis, S. 81 [69]. 50 Ders., Cautio Criminalis, S. 126 [97]. 51 Ders., Cautio Criminalis, S. 81 [69]. 52 Meyfart, Christliche Erinnerung, S. 469, 474.
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Dampff von den rauchenden Kohlen« in der Nase verspürte, der war versucht zu tun, was er niemals tun durfte: zu glauben, dass ein Gott, der unschuldigen Menschen ein derartiges Schicksal bereitete, selbst Schuld auf sich lud. Für sie sah der höchste Richter das schlimmste Schicksal vor; und daran trugen »die Richter« auf Erden einen »sehr grossen Theil« der Schuld.53 53 Ders., Christliche Erinnerung, S. 554 – 558. Die Elenden, so Meyfart, mochten mit Asaph e klagen: »Soll es denn umsonst seyn/ daß mein Hertz unstrafflich gelebet/ und ich meine e Hande in Unschuld gewaschen habe. Zuletzt fahen sie an mit den Thoren in ihren Hertzen zu sprechen: Es ist kein GOtt/ es ist kein GOtt! […] Wie mag einen Unschuldigen dazumahl zu e e Gemuthe seyn! kan auch die ausgemarterte Seele sich trosten und sagen: Ich habe von GOtt e e noch eine grossere Straffe verdienet/ auch das hollische Feuer selbsten/ wenn GOtt nach seiner strengen Gerechtigkeit mit mir handeln wolte: Derenthalben will ich des HErrn Todt e e tragen/ denn ich habe wider ihn gesundiget/ biß er meine Sache ausfuhre/ und mir Recht schaffe[,] Mich. 7. Er wird mich ans Licht bringen/ daß ich meine Lust an seiner Gnade sehe/ e meine Feindin wirds sehen mussen/ und mit aller Schande bestehen/ die jetzt zu mir sagt: wo ist der HErr dein GOtt! Meine Augen werdens sehen/ daß sie denn/ wie ein Koth auff der e e Gassen/ zutreten wird. Kan die ausgemarterte Seele sich trosten/ die schandliche/ e e e schmahliche und schmertzliche Pein vor eine vaterliche Zuchtigung dazumahl achten und e e sagen: Welchen der HErr lieb hat/ den zuchtiget er/ er staupet aber einen jeglichen Sohn/ den e er aufnimmt. […] Kan auch dieser und dergleichen Trostgrunden die ausgemarterte Seele dazumahl in der letzten Todes=Angst sich erinnern/ wenn sie mit den Augen siehet das e Geruste/ den Meister/ die Knechte: Wenn sie in den Nasen empfinden den Dampff von den e rauchenden Kohlen? Unmuglich ist es nicht durch die innerliche Erleuchtung des heiligen Geistes/ welcher den Außerwehlten/ deren keiner verlohren werden kan/ wo nicht die Worte/ doch den Verstand in die Gedancken geleget/ sonsten ist alles verlohren. […] Geschicht unterdessen/ daß eine in diesem Laster unschuldige Person am letzten Ende verzweiffelt/ hat sie zwar GOTT aus vorgeschehenen beharrlichen und verstockten Unglauben von Ewigkeit verworffen/ jedoch seyn die Richter an einem sehr grossen Theil schuldig/ daß die Seele verdammet wird. Das ist eine erschreckliche Schule!« Verantwortung für diese Gefährdungslage trugen freilich nicht allein die Gerichtsherren, sondern auch die Theologen unter ihren Kritikern, die nicht zögerten, auch das ungerechteste Leiden zur liebevollen Prüfung der Gerechten zu erklären. Ihr Gott agierte im Verborgenen; wer das nicht sah, sah über den irdischen Tod hinaus auch dem ewigen entgegen. Die Frage (auch) hier ist nicht, wie eine derartige Straftheologie mit einer Kritik der Folterpraxis zu vereinbaren war, sondern wie der Mensch einen Gott erkennen sollte, der sich nicht zu erkennen gab. Zum Zusammenhang von Furcht, Verzweiflung und Melancholie oben Kap. 4.5. Die Richter selbst scheinen das Problem gesehen zu haben; denn sie nahmen »Schwermütige« von der Folter aus (Thomasius, Über die Folter, S. 128/129). In der späten Aufklärung wurde das Problem anders formuliert, blieb aber in jeder Hinsicht vergleichbar: Wer eine todbringende Falschaussage erzwang, durch »die Uebermacht der Empfindung« und »unwiderstehbare[] Marter«, der machte sein Opfer zum »Selbstmörder« und brachte so dessen Seelenheil in Gefahr : Er e e e drohte ihn nicht allein zum »Morder des Korpers« zu machen, sondern »auch zum Morder seiner Seele[.] Denn wer hat die Tiefen der Urtheile des Ewigen und seiner furchtbaren Gerechtigkeit durchschauet?« Joseph von Sonnenfels, Ueber die Abschaffung der Tortur, Zürich 1775, S. 52 f.; vgl. Martschukat, Inszeniertes Töten, S. 93. Um zu verhindern, dass sich die Inquisiten von eigener Hand ihren Martern entzogen, stellten die Folterer nach einem derartigen Schritt noch größere Qualen in Aussicht (dazu auch Reemtsma, Vertrauen, S. 138). Ihre Gegner kritisierten, dass die Peiniger ihre Opfer erst in die Selbsttötung trieben, die sie zu verhindern suchten, und in das Elend, das sie zur Abschreckung ent-
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So lässt sich resümieren: Weil im Schmerz der Tortur für die Betroffenen sogar das Schicksal nach dem Tod an Bedeutung verlor, wurde er zu einer besonderen Form der Gewalt: nicht nur am Körper, sondern auch an der Seele. In ihm erhielt der Körper absolute Dominanz. Die Folter brachte »eine große Gefahr mit sich«,54 weil sie Schuldige schuf, wo keine waren, und dies in zweifacher Hinsicht. Sie lieferte dem Gericht die Schuldigen, nach denen es verlangte, und manche von ihnen machte sie dabei schuldig vor Gott. Wer frei war von Schuld, konnte schuldig werden, wenn er »die Zahl der Schuldigen vermehren« half55 und wenn er das Vertrauen in Gottes Beistand verlor. In der Furcht vor der Folter wurde Unwahrheit zu Wahrheit; dies war es, was sie als wirklich furchterregend erscheinen ließ, für die betroffene Person56 ebenso wie für die Gesellschaft, der sie angehörte. Gegen diesen fatalen Mechanismus suchte sich die juristische Theorie mit dem Ideal der furchtlosen Standhaftigkeit der Gerechten zu sichern (wie oben erläutert). Praktisch jedoch – und dies war der zweite grundlegende Einwand der Kritiker – gaben die Gerichte der Furchtlosigkeit der Unschuldigen keinen Raum. Wer standhaft blieb, dies entsprach der epistemologischen Logik der Folter, wurde von den Richtern deswegen noch nicht als unschuldig betrachtet. Wo die angenommene Schuld des Inquisiten nicht am Ende, sondern am Anfang des Erkenntnisverfahrens stand, wo die Folter auf das Geständnis einer Schuld zielte, die praktisch als gegeben vorausgesetzt wurde, wo sie ein Verbrechen also nicht zu erweisen, sondern zu bestätigen hatte, dort schlossen die Henker von Standhaftigkeit zunächst nicht auf Unschuld, sondern auf ihr Gegenteil, auf eine »Verstocktheit« (pertinacia) und Indolenz des Gewissens, auf die es nur eine Antwort gab: die Steigerung der Qualen. Die Unbeugsamkeit des verworfenen Willens allein jedoch vermochte in ihren Augen eine derartige Widerstandskraft nicht befriedigend zu erklären (sie war eher deren Beschreibung). Wer unerträglichen Schmerz ertrug, war, wenn Märtyrerqualitäten und göttliche Intervention nicht zu vermuten standen, mit anderen Mächten im Bunde; hier empfahl sich eine Deutung, die die Schuld des Delinquenten weiter untermauerte. Seit dem Spätmittelalter griffen Theologen und Juristen gern auf einen »Schweigezauber« (maleficium taciturnitatis) zurück: Die Kräfte des Bösen vermochten zu bewirken, dass die gefolterten Gliedmaßen nichts zu verspüren
warfen: in den Verlust der ewigen Seligkeit (vgl. dazu auch Lederer, Verzweiflung, S. 265 f.); sie änderten jedoch lange nichts an einer der maßgeblichen Prämissen des gesamten Problems: an der religiösen und moralischen Verwerflichkeit des »Selbstmords«. – Weiteres zu diesen Problemkomplexen im Folgenden und in Anm. 76. 54 Spee, Cautio Criminalis, S. 81 [69]; so auch Montaigne, Essais II, 5, S. 62. 55 Spee, Cautio Criminalis, S. 81 [69]. 56 Ders., Cautio Criminalis, S. 133 [101].
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und oft auch kaum zu bluten schienen.57 Wer sich selbst durch die Folter nicht brechen ließ, hatte offenbar den Teufel auf seiner Seite, eine Macht, die bereits für so manche inkriminierte Tat verantwortlich zeichnete. Auch gegen eine derartige Erklärung des vermeintlich Unerklärlichen führte Friedrich Spee eine medizinische Deutung ins Feld. Für zentral auch an dieser Stelle hielt er Furcht, Angst und Schrecken, in diesem Fall allerdings nicht ihre mentale und affektuelle Dimension, nicht ihr Erleben, sondern ihre Physiologie: »Aerzte, die ich befragt habe, erklären es für möglich, daß in solcher Angst das Blut so aus einzelnen Teilen des Körpers zurückweiche und zum Herzen zusammenströme, daß keines mehr vorhanden ist, das herausfließen könnte. Wer, wenn er nicht völlig unwissend ist, kennte nicht die alltägliche Erfahrung, daß durch bloßen Schrecken oder ähnliche Ursache das Blut erstarrte und selbst dort kein Tropfen herausströmt, wo ihm durch Durchschneiden einer Schlagader der Weg weit geöffnet ist?«58
Unter den Gerechten gab es nicht allein das furchtlose Schweigen der Philosophen, sondern auch, wie die Mediziner wussten, ein Schweigen voller Furcht; mitunter verstummte nicht nur, wer den eigenen Körper überwunden hatte, sondern auch, wer ihm erlag. Und das heißt: Auch hier trieben Furcht und Angst nicht die Wahrheit, sondern einen Schuldigen hervor. Die Folterkritik Friedrich Spees (und nicht nur seine) ist durchaus ambivalent, in Teilen sogar widersprüchlich; ihre Grenzen sind enger gesteckt, als es zunächst den Anschein hat. Spee verwies auf die Macht und die Gewalt der Furcht, um den Erkenntniswert der Folter, die sie fürchtete, in Frage zu stellen. Er plädierte damit jedoch keineswegs für eine vollständige Abschaffung der Folter. Sein Argument, im Entscheidenden, geht anders: Wenn die Furcht vor der Folter der Folter gleichzumessen ist, dann wäre es doch hinreichend, es bei ihr bewenden zu lassen.59 An dieser Stelle kommt in erster Linie nicht die äquivalente Gewalt der Furcht zum Tragen, sondern der Umstand, dass die Furcht vor der Folter nicht eigentlich als Folter, sondern als deren mildere Variante vorgestellt wurde: als mentale und affektuelle, nicht als unmittelbar körperliche Qual. Die Furcht vor der Folter wirkte wie die gefürchtete Folter, sie kam ihr in diesem Sinne gleich, und doch war sie mit ihr nicht identisch. Wenn die Furcht, 57 Siehe z. B. Kramer (Institoris), Der Hexenhammer, Bl. 105va – 107vb (S. 669 – 682). Dazu Lembke, Folter, S. 196; Peters, Folter, S. 105. 58 Spee, Cautio Criminalis, S. 122 [94]. In eine ähnliche Richtung zielt Meyfart, Christliche Erinnerung, S. 486 f., 515. Zedlers Universal Lexicon sieht beide Erklärungsmöglichkeiten: neben einem Abwehrzauber eine Anspannung der Nerven (Art. »Tortur«, Sp. 1506). Vgl. auch Spee, Cautio Criminalis, S. 114 [89 f.], wo der Verfasser seine Gegner mit deren eigenen Waffen zu schlagen sucht und aus der angenommenen Übernatürlichkeit der Standhaftigkeit nicht allein auf die Unerträglichkeit des Folterschmerzes schließt, sondern damit auch auf dessen Unrechtmäßigkeit. 59 Ähnlich dachte Benedict Carpzov : Wolf, Die Zeugen, S. 77 f. Zu Carpzov siehe oben Anm. 17.
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so Spee, bereits dieselbe Gewalt hat wie die Tortur, die sie fürchtet, warum belassen wir es dann nicht bei ihr – da sie doch weniger gewaltsam ist? Hier wurde der Versuch unternommen, die peinliche Befragung nicht nur mit dem christlichen Strafgedanken, sondern auch mit dem Gebot der Nächstenliebe in Einklang zu bringen. Für Spee stellte die Kraft der Folterangst den Erkenntniswert der Tortur in Frage und zugleich begründete sie ihren eigenen. Das jedoch heißt: Das Plädoyer, die Wahrheit nicht mit der Folter, sondern allein mit der Furcht vor ihr hervorzutreiben, schaffte die gefürchtete Folter nicht ab, sondern setzte sie als Handlungsoption voraus. Die Furcht vor der Folter konnte allein dann die erwünschte Wirkung entfalten, sie konnte allein dann als Wahrheitsfindungsinstrument fungieren, wenn die Folter selbst eine reale Möglichkeit blieb; andernfalls hätte die Furcht vor ihr ihren Gegenstand verloren. Diesen Widerspruch konnte Spee nicht lösen (und wollte es auch gar nicht). Weiterreichende Konsequenzen zogen hier erst die Aufklärer des späten 18. Jahrhunderts, die die peinliche Befragung grundlegend delegitimierten. Ihnen stand Spee ferner als den Zeitgenossen, die er attackierte. Bei aller Kritik: Den göttlichen Kosmos seiner Gegner hatte auch Spee noch nicht verlassen. Sein Wissen vom Menschen war keine Biologie und keine Anthropologie; auch der Körper des Friedrich Spee, »in seinem Willen und seinem Schmerz«, kommunizierte »mit den Mächten der unsichtbaren Welt«.60 Die Grenzen der Kritik erklären sich nicht aus einer Furcht vor den Autoritäten, sondern aus dem Bemühen des Theologen, einer höheren Autorität den Vorrang einzuräumen: Als weniger gewaltsame Folter empfahl Spee nicht allein die Furcht vor der körperlichen Pein; »die beste und mildeste Tortur, die die Sünder zum Sprechen bringen kann«, schien ihm »Reue und Buße«, die Furcht und Angst des Gewissens. Geistliche und Beichtiger »voll göttlichen Eifers« sollten »die Richter nicht eher zur Anwendung jener schrecklichen und oft allzu grausamen Tortur antreiben, als bis sie selbst diese ihre heilige Tortur gebraucht haben, d. h. mit heilsamen Gewissensbissen über ihre Sünden die Herzen der Angeklagten haben erweichen lassen«, und »so manches Sünders steinernes Herz durch die Kraft des göttlichen Wortes und die Leidenschaft des heiligen Geistes mürbe« gemacht worden ist.61 Was hier evoziert werden sollte, ist nicht die Furcht vor Daumenschrauben und spanischen Stiefeln, sondern vor den Feuern der Hölle. Nicht alle Theologen freilich empfanden dies als die »mildeste« Tortur. Vielleicht sprach aus der Cautio Criminalis der Jesuit. Protestanten dagegen schien die Furcht vor den Strafen des Jenseits die höchste aller Qualen: »Ein
60 Gegen Lembke, Folter, S. 197. 61 Spee, Cautio Criminalis, S. 139 [104].
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böses Gewissen«, so Luther, »ist die Hölle selbst«.62 Und auch die Humanisten wussten um die Folter der conscientia, um das Erleiden der Strafe im Wissen um ihre Berechtigung: »Wer immer Strafe erwartet«, so Montaigne, »erleidet sie, und wer immer sie verdient hat, erwartet sie. Die Böswilligkeit schmiedet sich ihre Folterwerkzeuge selbst«.63 Wer um seine Strafwürdigkeit wusste, war schon gestraft. Doch auch hier wirkten reinigende Kräfte. Ein Gewissen, das als Folterwerkzeug zum Einsatz kam, fungierte immer auch als Gnadeninstanz: »[W]ie uns das Gewissen mit Furcht erfüllt«, wusste Montaigne, so erfüllt es den, der ein reines Gewissen hat, »auch mit Zuversicht und Vertraun.«64 Und Luther erklärte: Ein »gutes Gewissen ist das Paradies und Himmelreich.«65 Wer wusste, dass er die Hölle verdient hatte, hatte sich aus ihr schon befreit; die Möglichkeit ewiger Verdammnis stellte sich als der Beginn der Seligkeit vor. Auch die protestantische Tortur des Gewissens hatte eine »heilsame« Wirkung, weil sie es erlaubte, nach aufrichtigem Bekenntnis vor sich selbst und vor Gott die Qualen, mit denen sie drohte, zu umgehen. Reuevolle Buße schien hier die »mildeste« Folter, weil sie Leib und Leben schonte, nicht erst im Himmel, sondern bereits auf Erden. Gleichwohl war auch sie eine Tortur, und wer bedenkt, was auf dem Spiel stand, wird auch für Spee festhalten können: Die Qualen, die sie brachte, mochten noch jene übertreffen, die sie beenden sollte; der Biss des Gewissens erschien als die sanfteste und die schärfste Marter zugleich. Spee stellte dem »Quälen des Körpers« am Ende nicht die Furcht vor der menschlichen, sondern vor der göttlichen Gewalt voran: die Angst vor den Instrumenten des letzten Gerichts. Die Furcht vor der Hölle entfaltete die größte Effizienz, weil sie selbst keine körperliche Gewalt ausübte, dafür aber die größtmögliche Gewalt antizipierte. Nur wer sich vom Bild dieser Gewalt nicht schrecken ließ, musste sie bereits jetzt am eigenen Leibe verspüren. Auch hier zeigt sich: Friedrich Spee zog die Notwendigkeit von Folter nicht in Zweifel, sondern bevorzugte lediglich andere Instrumente.66 Vor dem Hintergrund all dessen stellte die Cautio Criminalis auch den Folterern selbst die höllische Folter des Gewissens vor Augen. Auch sie sahen peinlicher Befragung entgegen, wenn auch nicht hier und noch nicht jetzt. Peiniger, die unerträglichen Schmerz zufügten, nicht um eine Information zu erlangen, sondern um die Ohnmacht ihrer Opfer zu dokumentieren,67 Henker, die straften, um strafen zu können, Richter, die den Körper quälten, um die Seele zu retten, und sie doch in größte Gefahr brachten, sie alle hatten um ihre eigene 62 63 64 65 66 67
Luther, Verantwortung, S. 113. Vgl. ders., Epistel am vierten Sonntag des Advent, S. 170 f. Montaigne, Essais II, 5, S. 59. Ders., Essais II, 5, S. 60. Luther, Verantwortung, S. 113. Dagegen sieht Lembke, Folter, 192 – 194, in Spee ausschließlich den Modernisierer. Vgl. ders., Folter, S. 174.
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Seligkeit zu bangen. »Ja, es ist zu befürchten«, so Spee, »daß einstmals die Obrigkeiten selbst von Gott bestraft werden«; sie »gefährden ihr Seelenheil aufs höchste.«68 »Ich fürchte sehr, sie werden alle dereinst im Tode ein unbarmherziges Urteil erfahren, die so grausam und unbarmherzig die Menschen Qualen aussetzen«.69 Und Johann Matthäus Meyfart, in Erwartung der letzten Posaune, fand noch deutlichere Worte: e
»Ja/ ja das Augenblick wird kommen/ das unumgangliche Augenblick/ das une uberwindliche Augenblick/ das unausbleibliche Augenblick/ in welchen das Scheubild e des Todes euch schrecken will. […] Das Scheubild wird anfangen euch zu qualen/ und e in allen Gliedern zu durchangstigen. Das Scheubild wird euch vor Augen stellen/ was e e ihr von Zeugen gehoret/ was ihr von den Verklagten gehoret/ was ihr von den Henckern e e e gehoret/ was ihr von den Gemarterten gehoret/ was ihr von den Verdammten gehoret. Das Scheubild wird euch vor Augen stellen die furchtsame/ die grausame/ die mehr den[n] Barbarische/ und mehr den[n] Teuffelische Werckzeuge/ von Peitschen und e Ruthen/ von Spitzen und Stacheln/ von Ketten und Stricken/ von Blochern und e e e Schroten/ von Schrauben und Zangen/ von Stulen und Bancken/ von Prugeln und e Stecken/ von Fackeln und Kugeln/ und was des Geschmeisses mehr seyn mochte. […] e e Das Scheubild wird euch lehren/ eure Bubenstuck konten nicht besser/ als von euren e e blutigen Handen gebusset/ und von euren verzagten und verzweiffelten Gewissen abgestraffet werden.«70
Diese Obrigkeiten, so Spees zentraler Vorwurf, instrumentalisierten Befürchtungen und Ängste des Volkes. Sie schürten eine genuine Furcht vor Verbrechen und kriminellen Taten, um rechtfertigen zu können, dass sie zu ihrer Linderung diejenigen in Furcht versetzten, die sie als die Verantwortlichen ansahen. Das Problem wurde besonders bei den Hexenverfolgungen virulent. Die Analyse, die Spee zu nachhaltiger Berühmtheit verhalf, klingt fast aufklärerisch (und ist es doch noch nicht): »Ich will nun etwas sagen, was – ich wünschte es – alle hören sollten, die Ohren haben, zu hören, vor allem aber der ehrwürdige Kaiser, die Fürsten und ihre Ratgeber : Man erfinde absichtlich irgend ein gräßliches, zu den Sonderverbrechen gehöriges Vergehen, von dem das Volk Schaden befürchtet. Man verbreite dann ein Gerücht darüber und lasse die Inquisitoren dagegen einschreiten mit denselben Mitteln, wie sie sie jetzt 68 Spee, Cautio Criminalis, S. 119 [93]. 69 Ders., Cautio Criminalis, S. 98 [80]. 70 Meyfart, Christliche Erinnerung, S. 574 f. Vgl. dazu Hartmut Lehmann, Johann Matthäus Meyfart warnt hexenverfolgende Obrigkeiten vor dem Jüngsten Gericht, in: »Vom Unfug des Hexen-Processes«. Gegner der Hexenverfolgung von Johann Weyer bis Friedrich Spee, hg. v. dems. / Otto Ulbricht, Wiesbaden 1992 (Wolfenbütteler Forschungen 55), S. 223 – 229. Zur Endzeiterwartung vgl. auch Johann Matthäus Meyfart, Tuba Novissima, das ist von den vier letzten Dingen des Menschen, 1626. Mit einem Anhang: Ausgewählte Stücke aus Meyfarts Schriften, hg. v. Erich Trunz, Tübingen 1980 (Deutsche Neudrucke. Reihe Barock 26).
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gegen das Hexenunwesen anwenden. Ich verspreche in der Tat, daß ich mich der allerhöchsten Obrigkeit stellen und lebend ins Feuer geworfen werden will, falls es nach kurzer Zeit in Deutschland weniger dieses Verbrechens Schuldige geben sollte, als es jetzt der Magie Schuldige gibt. Wenn es mir geschähe, daß ich auch nur den unwissendsten Mann aus dem Volke so etwas sagen hörte, dann würde ich gewiß Angst bekommen, daß er wohl nicht so sprechen würde, wenn er nicht gewichtige Gründe hätte. Ich würde zum mindesten innehalten und überlegen und würde es einigen Nachdenkens wert erachten, was ein vernünftiger Mensch, der nicht von allen Sinnen verlassen und streitsüchtig ist, mit solcher Überzeugung auszusprechen wagt.«71
Die Folter »erfand« die Schuldigen, die sie sich berechtigt wähnte zu quälen. Das heißt freilich nicht, dass es für Spee keine Schuld gab; nur war es ein anderer, der sie erkannte und strafte. Wer Gottes Urteil vorzugreifen wagte, den entließ die Cautio mit den Worten: »Lebe nun wohl, mein Leser, […] und fürchte das göttliche Walten«.72 Wer folterte, so lässt sich diese Position resümieren, der beging Unrecht an denen, die ein gutes Gewissen hatten, er versäumte es, das Gewissen der Sünder zu wecken (und sie damit ihrer gerechten Strafe zuzuführen), und er belastete damit sein eigenes. Er schürte die Furcht der Menschen, anstatt sie zu lindern, und sah damit selbst ewiger Furcht entgegen. Die Kritik an der Folter begann sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchzusetzen. Dies erklärt sich nicht aus der Trägheit historischer Prozesse und einer Widerständigkeit von Autoritäten, sondern aus dem Umstand, dass die Kritik, wie sie von Spee und Meyfart formuliert wurde, auf denselben Denkvoraussetzungen und Zielbestimmungen basierte wie die kritisierte Position. Diese Kritik wollte nicht die Tortur abschaffen, sondern lediglich ihren Missbrauch. Sie wollte nicht verhindern, dass Menschen auf die Folter kamen, sondern dass es Unschuldigen widerfuhr. Wer die peinliche Befragung durch die Furcht vor ihr zu ersetzen suchte, sah sie für die wahrhaft Schuldigen weiterhin vor – möglicherweise bereits in diesem Leben, sicher jedoch im kommenden. Gegenstand der Auseinandersetzung war die Tauglichkeit menschlicher Erkenntnisverfahren. Wer der Peinigung des Körpers das Vermögen bestritt, Schuld zu erweisen, hielt für diejenigen, die sie auf sich geladen hatten, eigene Methoden bereit; er überantwortete sie göttlicher Tortur. Wo die zu eruierende Wahrheit heilsgeschichtliche Relevanz besaß, dort stritt man nicht, ob, sondern welcher Schmerz zugefügt werden durfte: Schmerz am Körper oder Schmerz an der Seele (der doch am Ende selbst als ein körperlicher erschien). Wer sich hier für das Falsche entschied, dem drohte am Ende selbst die Folter, nicht allein vor, sondern auch hinter den Schranken des Gerichts. Somit
71 Spee, Cautio Criminalis, S. 154 [113]; ähnlich auch S. 109 [86]. 72 Ders., Cautio Criminalis, S. 294 [198].
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ist weiter zu präzisieren: Strittig war nicht, ob, sondern wer gequält werden durfte (und auf welche Weise).73 Kritiker wie Spee und Meyfart glaubten somit nicht, dass jede Marter auf Erden die Wahrheit verstellte. Wo nicht eine Würde des Menschen zur Diskussion stand, sondern allein seine Schuld, dort verblieb das inkriminierte Instrumentarium in der Hinterhand (auch wenn seine epistemologische Verlässlichkeit dann weiter ungeklärt blieb). Im Horizont einer religiös-kosmologisch verstandenen Gerechtigkeit war eine kategorische Position noch nicht denkbar (und eine grundsätzliche Abkoppelung von der Wahrheitsfrage damit ebenso wenig). Anders gesagt: Selbst für Kritiker wie Spee und Meyfart war die Möglichkeit einer Verurteilung Unschuldiger (mit der sie ihre Kritik begründeten) kein Anlass, Sinn und Zweck der Folter grundsätzlich zu bestreiten.74 Dies hebt die Diskussion auf eine andere Ebene. Die strittige Frage war am Ende nicht, ob, sondern in welchem Umfang justizielle Irrtümer toleriert, wie viele zu Unrecht Gequälte und Verurteilte in Kauf genommen werden konnten. Vor diesem Hintergrund replizierten die Angegriffenen mit einer Risikokalkulation. Die Möglichkeit fälschlicher Bezichtigungen aus Furcht vor der Folter (die natürlich auch sie ungern in Kauf genommen hätten) führte sie nicht zu einer Infragestellung der Tortur, sondern zu einer Verbesserung der Sicherungsmaßnahmen. e Dann schien die Gefahr gering: Bei Berücksichtigung aller »Umstande«, so e Christian Wolff, »durffte [man] nicht besorgen, daß [der Inquisit] aus Furcht vor e den Schmertzen unschuldiger Weise bekennen wurde, was er nicht begangen«. Sollte dann, was die Kritiker befürchteten, wider Erwarten doch eingetreten sein, so war dies ein bedauerliches, aber unvermeidliches Opfer ; höher wog »die gemeine Wohlfahrt und Sicherheit«.75 Verfechter der Folter reagierten auf ihre Kritiker mit einer Abwägung von möglichem Schaden und zu erwartendem Nutzen. Bei Wolff war diese Argumentation bereits staats- und gesellschaftspolitisch grundiert, stand aber nicht im Widerspruch zur Theologie. Entgegen 73 Wie das zu entscheiden war, vermochte die Folterpraxis selbst nicht mehr zu klären; sie war nicht mehr das, was die Entscheidung herbeiführte, sondern das, worüber eine Entscheidung herbeigeführt werden musste – genau deswegen aber wurde sie durch die Skepsis nicht delegitimiert. 74 Ihre Kritik, die auf Reue statt auf Daumenschrauben setzte, war theologisch, wenn auch nicht zwingend, so doch konsequent (und im Kern, auch bei Spee, protestantisch gedacht); mehr als das jedoch war sie nicht, und dies erklärt, dass sie sich in der gerichtlichen Praxis lange nicht durchzusetzen vermochte. Dass sie die Kritisierten bei deren eigenen Voraussetzungen abholte, dass sie im Entscheidenden auf den Erkenntniswert der Folter abhob und nicht auf das Leiden der Gefolterten, war nicht nur strategischem Denken und Möglichkeitssinn geschuldet; und so führte sie hier nicht zu einer Beschleunigung, sondern zu einer historischen Verzögerung der Beseitigung der Folter. 75 Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken von dem Gesellschafftlichen Leben, S. 321 f. Dazu Borgards, Physio-Politik, S. 108. In dieselbe Richtung argumentiert der Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1451, 1469 f.
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dem ersten Anschein ging seine Antwort am Einwurf der Gegner keineswegs vorbei; sie verfehlte nicht ihre Spitze. Die gesamte Diskussion hatte zur Voraussetzung, dass der Schmerz der gepeinigten Person als individuelles, »inneres« Empfinden keine wahrnehmbare Größe darstellte. Beide Seiten verbanden Wohl und Wehe des einzelnen Menschen untrennbar mit der Ordnung von Kosmos und Gesellschaft, als deren Teil er erschien. Wo die Kritik nicht auf das Leiden der Gefolterten abhob, sondern auf ihre Schuld, dort war es den Gegnern ein Leichtes, die Verurteilung Unschuldiger nicht als konstitutives Grundproblem, sondern als Ausnahme von der Regel erscheinen zu lassen. Die Legitimität eines probaten Erkenntnismittels konnte kein noch so bedauernswerter Unfall erschüttern. Dass diese Lesart den theologischen Bedenken kein Unrecht tut, beweist nicht allein der Umstand, dass diese das Wahrheitsproblem nur verschoben, anstatt es zu lösen. Darüber hinaus zeigt es sich in der heilsgeschichtlichen Deutung der Folteropfer, wie sie vor allem bei Meyfart präsentiert wird. Mochten Folterung und Verurteilung Unschuldiger vor irdischen Gerichten inakzeptabel erscheinen, so erhielten sie im Rahmen göttlicher Gerechtigkeit höhere Weihen. Inwiefern? Die Tortur schien einem protestantischen Theologen wie Meyfart vor allem deswegen gefährlich, weil sie die Gequälten dahin zu bringen drohte, an der Güte und Gerechtigkeit Gottes zu verzweifeln: weil sie die Standhaftigkeit auch derer überfordern konnte, die frei von Schuld und guten Willens waren; und hier wurden die Gerichtsherren in die Verantwortung genommen. Eigentlich beklagenswert daran jedoch waren nicht Leid und Schmerz der Verzweifelten auf Erden, sondern die Tatsache, dass sie mit ihrer Verzweiflung ihr Seelenheil verspielten; zu bejammern war ihr jenseitiger Schmerz. Und das heißt: Die Schuld, die irdische »Criminalisten« auf sich geladen hatten, konnte die Gepeinigten vor dem höchsten Richter nicht entlasten. Sich der Verzweiflung zu ergeben, davon waren die Theologen überzeugt, basierte am Ende auf vorsätzlicher Apostasie; aus der Todsünde der desperatio sprach das mangelnde Vertrauen auf die göttliche Gnade – die doch jedem gewiss war, der nur auf sie vertraute. Wer die Folter nicht ertrug, mochte sie auch noch so unerträglich sein, hatte sich am Ende aus freien Stücken dazu entschieden; wer unschuldig gewesen war, hatte nun die größte Schuld auf sich geladen.76 So lautete die theo76 Siehe dazu oben Anm. 53. Dies sagte implizit auch der folterkritische reformierte Prediger Anton Prätorius, auch wenn er in erster Linie die Schuld der Richter betonte, die in der e e »kleinmuhtig[en]« Angst und »schwermuhtig[en]« »Verzweiffelung«, in die sie die Gefangenen mitunter bis zur Selbsttötung getrieben hatten, deren Schuldeingeständnis sehen zu können meinten: Anton Prätorius, Von Zauberey vnd Zauberern/ deren Vrsprung/ e Vnterscheid/ Vermogen vnd Handlungen/ Auch wie einer Christlichen Obrigkeit/ solchem e e schandlichen Laster zu begegnen/ dasselbe auffzuheben/ zu hindern vnd zu straffen gebuhre e 4 vnd wohl muglich seye, Frankfurt a.M. 1629 [1598], S. 97, 117 – 119, 129 – 131. Zwar wurde
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logische Rückversicherung: Ungerechtigkeit war Sache der Menschen, auf den Gerechten im Himmel fiel sie (a priori) nicht zurück. Wer auf der Folter verzweifelte, tat dies nicht, weil Gott ihn verlassen hatte, sondern weil es sich umgekehrt verhielt; und wer sich von Gott abzuwenden wagte, dem kehrte auch er den Rücken. So wurde die Marter der Gerechten zur Prüfung auf ihre Gerechtigkeit. Die Verbrechen der Richter entbanden die Gerichteten nicht von der Zumutung, das Unerträgliche zu ertragen. Heilsgeschichtlich gesehen, so scheint es, wurde die justizielle Fehlerquote damit durchaus tolerabel. Das Vergehen der Richter wurde zur Bewährungsprobe für ihre Opfer. Es bot den Auserwählten die Möglichkeit, ihre Auserwähltheit unter Beweis zu stellen – um sie sich so erst zu verdienen. Wer in die Gefahr der Verzweiflung geriet, erhielt immer auch die Gelegenheit zum Martyrium. Es wird deutlich: Verantwortung für die lange historische Dauer der Tortur trug nicht der Widerstand gegen ihre Infragestellung, sondern deren Begründung. Die Folter konnte erst abgeschafft werden, als sich ein neues Argument der Kritik ins Feld führen ließ. Anders als es die Historiographie des humanistischen Fortschritts vermutet, handelte es sich dabei nicht um ein moralisches. Die Verbannung der Tortur aus der Jurisdiktion verdankte sich keiner Entdeckung der Würde und der Rechte des Menschen.77 Auch die aufklärerischen Gegner des gerichtlichen Quälens hoben im Entscheidenden (und am wirksamsten) auf seinen Erkenntniswert ab: auf seine Ineffizienz.78 In diesem Sinne war, was sie die religiöse Problematik der desperatio von Prätorius nicht ausdrücklich thematisiert, auch bei ihm jedoch resultierte tödliche Verzweiflung aus einer teuflischen »Anfechtung«, die direkt in die ängstigende »Todteskammer« »der Hellen Rachen« führte (S. 119) – unabhängig davon, welche Verantwortung das Gericht an dieser diabolischen Versuchung traf. Die Wertlosigkeit der Folter angesichts der Furcht, die sie erregt, unterstreicht Prätorius auf S. 97, 101, 103. Zu Prätorius vgl. die sozialpsychologische Interpretation von Klaus A. Vogel, Wo Sprache endet. Der Bericht des Anton Prätorius über die Folter und das Problem der »selektiven Empathie«, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 188 – 204, die allein die kritische Haltung des Predigers fokussiert. Für eine diskursanalytische und wissenshistorische Interpretation vgl. Gerhild Scholz Williams, Ways of Knowing in Early Modern Germany : Johannes Praetorius as a Witness to His Time, Aldershot 2006. Ähnlich wie Meyfart und Prätorius argumentiert hier ferner Greve, Tribunal Reformatum, S. 281 – 283. – Zogen Inquisiten aus ihrer Verzweiflung die Konsequenz des »Selbstmords«, so erschien dies nicht allein religiös und moralisch verwerflich, sondern auch unehrenhaft. Angesichts dessen befleckte ein derartiger Schritt auch die Ehre des Gerichts; und insofern lag es in dessen ureigenstem Interesse, ihn zu verhindern: van Dülmen, Theater des Schreckens, S. 34 f. 77 Für die fortschrittsgeschichtliche Lesart siehe etwa Lynn Hunt, Inventing Human Rights: A History, New York / London 2007, Kap. 2; Mathias Schmoeckel, Humanität und Staatsraison. Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter, Köln / Weimar / Wien 2000 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit 14), zusammenfassend S. 590 f., zur Territion: S. 260 – 264. 78 Niehaus, Das Verhör, S. 217, Anm. 56; Martschukat, Inszeniertes Töten, S. 92 – 98;
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vorbrachten, bereits bekannt;79 ihre Kritik jedoch ruhte auf einem anderen Fundament. Sie trugen zwar keine grundlegend neue Kritik vor, aber eine neue Begründung der alten – und verhalfen ihr damit zu größerer Tragweite. Im Hintergrund stand, wie Roland Borgards gezeigt hat, ein physiologischer Paradigmenwechsel: Das neurologische Konzept der »Spannung« der Nerven wurde durch deren »Empfindlichkeit« und »Reizbarkeit« ersetzt.80 Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein hatte die Folterspannung der Illustration der Nervenspannung gedient; bis zu dieser Zeit verifizierte die Marterpraxis der Juristen die Körper- und Schmerztheorie der Mediziner. Teil und Voraussetzung dieses Verfahrens war die Vermutung, mit dem Schmerz ein Geständnis der Tat hervortreiben zu können. Streckbänke und Aufzüge, meinten die Gelehrten, offenbarten mit der juridischen Wahrheit auch die physiologische. Mit der Konzeptualisierung von Empfindlichkeit und Reizbarkeit dagegen gewannen individuelle Dispositionen eine zentrale Bedeutung. Die neue Physiologie, zugespitzt (und metaphorisch) gesagt, ging nicht mehr davon aus, dass mit der Spannung der Saite ein »Affekt«, sondern mit dem Anschlagen der Saite ein »Gefühl« ausgelöst wurde.81 Bei jedem Menschen, um im Bild zu bleiben, sprachen diese Saiten ganz verschieden an: Sie wiesen individuelle Empfindlichkeiten auf. Um unterschiedliche Konstitutionen ihrer Folteropfer hatten die Juristen freilich immer schon gewusst; jedoch verorteten sie sie in einem Koordinatensystem der Schuld. Ihre Bestimmung folgte den Gesetzen einer fest umrissenen Kombinatorik, die lediglich vier Variationsmöglichkeiten bereithielt: Schuld und Unschuld auf der einen Seite ließen sich jeweils mit Stärke und Schwäche auf der anderen verknüpfen, und das heißt: mit Furchtlosigkeit und Furcht. Die hier verhandelten Dispositionen zeichneten sich somit nicht durch »Individualität« und Einzigartigkeit aus. Anders dagegen die durch Nervenreizung erregte Empfindung: Sie befand sich unzugänglich und tief verborgen im Innern der Person. Im Gegensatz zum »Affekt« ließ sich die Subjektivität Thomas Weitin, Die Ökonomie der Folter, in: Folter, hg. v. Harrasser / Macho / Wolf, S. 277 – 289, hier 283 f.; ders., Zwischen Religion und Ökonomie, S. 119 – 127. 79 Vgl. Peters, Folter, S. 105 f., auch 110. 80 Borgards, Physio-Politik. Anders jedoch, als von Borgards suggeriert, war die Physiologie nicht der Grund dafür, dass die Kritik an der Folter überhaupt formulierbar wurde (dies war, wie gesehen, auch im 17. Jahrhundert bereits möglich), sondern dafür, dass sie jetzt auch juridisch wirksam werden konnte. Das bedeutet wiederum nicht, dass Folterkritiker wie Spee und Meyfart als Frühaufklärer zu betrachten sind. Silverman, Tortured Subjects, insbes. S. 4, sieht die Grundlage der Abschaffung der Folter in einem Zusammenbruch des diskursiven Konsenses über die Natur des Schmerzes, der Wahrheit und des Körpers. 81 Dem korrespondierte ein neues Erkenntnisverfahren: der induktiv-empirische Wissenserwerb aus der (kontrollierten) Schmerzzufügung im Experiment anstelle der Deduktion des physiologischen Wissens mit Hilfe einer Analogie, der Folter. In den Augen aufgeklärter Mediziner (und nur in ihren) war die individuelle Disposition ihres Untersuchungsobjekts der Anfang und nicht das Ende ihres Erkenntnisprozesses.
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eines »Gefühls« durch kein Zeichen- und Koordinatensystem zuverlässig repräsentieren; hier eröffnete sich der Raum (und der Abgrund) von Hermeneutik und Interpretation. Damit begann das Ordnungsschema der Affekte seine Gültigkeit zu verlieren. Wo das Wesen des Schmerzes sich nicht mehr nach der Gottesfurcht derer bestimmte, die ihn verspürten, dort verriet er nicht länger eine juridische Wahrheit, sondern nur noch sich selbst – seine Existenz, wohlgemerkt, nicht seine subjektive Qualität. Wo Nerven nicht mehr gespannt, sondern gereizt wurden, dort produzierte die Folter keine Zeichen der Schuld, sondern lediglich Zeichen des Schmerzes: dort geriet die Spannung der Folter in umgekehrt proportionales Verhältnis zur Wahrheit der Tat. Der menschliche Körper hatte sich von einem kosmologisch-gesellschaftlichen zu einem individuellen Zeichenfeld gewandelt, und so büßte seine Zeichenproduktion ihre justizielle Zuverlässigkeit ein. Erst als die individuelle Reaktion auf die Gewalt der Folter von der Empfindlichkeit und Sensibilität der Nervenfasern abhängig gemacht wurde, konnte sie von der Schuld abgekoppelt und ihr Erkenntniswert damit grundlegend bestritten werden. Aufgeklärte Mediziner hatten empirisch erwiesen, dass die Folter niemals erreichen konnte, was sie wollte. Die Folterkritik der zweiten Jahrhunderthälfte zeitigte weiterreichende Konsequenzen als die Einwürfe der Theologen, weil sie die Wertlosigkeit der Tortur physiologisch auszurechnen vermochte.82 Bei einer derartigen Physiologisierung und Mathematisierung des Problems spielte die Moral eine nachrangige Rolle – bzw. eine andere, als so manche Aufklärer vermein(t)en. Des Menschen Würde und Rechte wurden »erfunden« nicht aufgrund, sondern lediglich als konzeptueller Teil seiner »Empfindlichkeit«, und als solche wurden sie für die Folterdiskussion nicht zentral. Die Tortur fand nicht deswegen ihr rechtliches Ende, weil ein Mensch nicht gequält werden durfte, sondern weil seine Qual niemandem half: nicht weil es »kategorisch« ausgeschlossen war, ihn als Mittel zum Zweck zu gebrauchen, sondern weil das Mittel seinen Zweck nicht erfüllte. Nicht das Leiden des empfindlichen Körpers selbst war das ausschlaggebende Argument, sondern seine epistemologische Depotenzierung. Die Folter konnte erst in dem Augenblick abgeschafft werden, als die Gottesfurcht aus der Diskussion verschwand – und das heißt auch: als ihre Kritiker aufhörten, die Furcht vor ihr als Marterinstrument zuzulassen und die 82 Vgl. Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 96 f.: »Der Ausgang der Folter ist also eine Sache des Temperaments, er unterliegt einer Berechnung, die für einen jeden entsprechend seiner Widerstandskraft und Empfindsamkeit verschieden sein muß, so daß bei dieser Verfahrensweise eher ein Mathematiker denn ein Richter die wie folgt zu stellende Frage zu beantworten vermöchte: sind die Muskelkraft und die Empfindlichkeit der Nerven eines Unschuldigen gegeben, so ist der Schmerzensgrad zu bestimmen, der ihn zum Bekenntnis eines vorliegenden Verbrechens bringen wird.« Dazu Borgards, Physio-Politik, S. 108 – 110, 116 f.
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Ablösung der körperlichen durch die imaginäre Tortur als einen Akt der Humanisierung zu feiern. Dies ist etwa bei dem, der den Kategorischen Imperativ formuliert hat, noch nicht zu konstatieren: »Es kan«, so Immanuel Kant, »niemand gestraft werden als nach bewiesenem Verbrechen. Also kann er nicht torqvirt werden. Aber territio findet statt.«83 Dies war ganz im Sinne der Anordnung des preußischen Königs, die Abschaffung der körperlichen Tortur geheim zu halten, um mit ihr weiterhin drohen zu können. Kant, der den Begriff der »Geistestortur« (tortura spiritualis) geschaffen hatte, weil er eine Analogie sah zwischen dem Aufrichtigkeitszwang des Eides und der Folterung des Leibes, hielt die territio verbalis nach wie vor für ein probates Instrument der Wahrheitserkenntnis.84 Die Moralisierung der Folterkritik und der (gefolterten) Person verhinderte nicht den gerichtlichen Einsatz der Furcht vor der Tortur und damit am Ende auch nicht die gefürchtete Tortur selbst. Deren Verbannung wurde zwar historisch begleitet von einer Moralisierung der höchsten Normsetzungsinstanz, von deren Verlagerung ins Innere der Person, und von einer Psychologisierung der Furcht; sie verdankte sich jedoch keinem genuin ethischen Argument. Dies beweist nicht zuletzt das Manifest der aufklärerischen Strafrechtsreform, Beccarias Dei delitti e delle pene: »Ein drittes Motiv für die Folter besteht darin, daß der vermutlich Schuldige bei der Untersuchung sich in Widersprüche verstrickt, als ob die Furcht vor der Strafe, die Ungewißheit des Urteils, das feierliche Auftreten und die Majestät des Richters, die fast allen Verbrechern wie den Unschuldigen eigene Unwissenheit nicht, und dafür spricht die Wahrscheinlichkeit, sowohl den Unschuldigen, der von Furcht ergriffen wird, als auch den Schuldigen, der sich zu decken sucht, in Widersprüche fallen lassen müßte; als ob nicht die bei den Menschen bereits im Zustand der Ruhe üblichen Widersprüche in der Aufregung eines Geistes, der von dem Gedanken, sich einer drohenden Gefahr zu entziehen, besessen ist, noch zunehmen müßten.«85
Auch in Beccarias Einlassungen zur Furcht stand die Würde des Menschen nicht am Anfang, sondern am Ende der Argumentation. Entscheidend blieb der Körper der Inquisiten: Wer den »Schmerz zum Prüfstein der Wahrheit« macht, so Beccaria, der »sucht diese in den Muskeln und Nerven eines elenden Men83 Immanuel Kant, Erläuterungen zu G. Achenwalls Iuris naturalis pars posterior, in: Gesammelte Schriften 19 (Handschriftlicher Nachlaß 6: Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie), S. 321 – 442, hier 413, Nr. 7491; dazu Niehaus, Das Verhör, S. 217. Dass Kant, bei aller Kritik der Vernunft, an einem (durchaus christlich verstandenen) Gottesbegriff festhielt (als Möglichkeitsbedingung von Moralität), ist nachzulesen in Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: Gesammelte Schriften 6, S. 1 – 202. 84 Siehe Weitin, Ökonomie der Folter, S. 281 – 283; ders., Zwischen Religion und Ökonomie, S. 126 f. 85 Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 95.
Territio verbalis et realis: Die Furcht vor Folter und peinlicher Befragung
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schen […]. Es ist dies das sichere Mittel, kräftige Verbrecher freizusprechen und schwache Unschuldige zu verurteilen.«86 Hier verlor nicht nur die Folter ihre juridische Überlebenschance, sondern auch die Furcht vor ihr – und zwar mit derselben Begründung: weil sie nutzlos geworden war. Für Beccaria war die Territio nicht milder als die körperliche Tortur, sondern ebenso gewaltsam wie sie; für ihn wirkte sie nach denselben physiologischen und mathematischen Gesetzen wie der Schmerz, den sie vor Augen stellte. Wer seine Ächtung der Folter dagegen moralisch begründete, mit dem Strafcharakter entehrender körperlicher Qual, konnte weiterhin mit ihr drohen, um Strafwürdigkeit zu erweisen – und blieb damit in den Widersprüchen gefangen, denen schon Spee und Meyfart nicht entkamen.87 Die humanistische Kritik mochte die Tortur mancherorts aussetzen,88 gänzlich beseitigen konnte sie sie nicht. Wer mit der ethischen Unverletzlichkeit der Person argumentierte, hatte den Einwand zu entkräften, dass das Leiden der Opfer höher wiegen konnte als das Leiden der Täter, das heißt: dass kein Recht auf Unverletzlichkeit hat, wer selbst verletzt: dass die Folter zumindest dann Legitimität beanspruchen kann, wenn sie künftiges Leid zu verhindern erlaubt (wenn auch nicht, um ein Geständnis über bereits zugefügtes zu erpressen). Wirksamen Schutz gegen einen derartigen Einwurf bot (und bietet) allein der Hinweis auf den empfindlichen Körper : auf die Nutzlosigkeit der Tortur, auf den Umstand, dass auch diese Rechtfertigung der Folter eine »abscheuliche petitio principii«89 enthält: dass sie die Täterschaft voraussetzt, die erwiesen werden soll. Die Unverletzlichkeit des moralischen Subjekts gibt den Ausschlag erst in denjenigen (idealtypischen und exzeptionellen) Fällen, in denen die epistemologische Argumentation versagt: dort, wo es keiner Erkenntnis über den Täter bedarf, sondern über sein Opfer. Mit dem Verschwinden der körperlichen Tortur verlagerte sich die juridische Wahrheitsfindung in den Raum des Verhörs. Die Furcht war damit freilich nicht aus dem Spiel. In der rein verbalen Befragung erscheint sie in jeder Hinsicht psychologisiert und »vergeistigt«. Die Furcht des Verdächtigen vor Gott und seinem weltlichen Arm ist ersetzt durch seine Furcht vor sich selbst und dem eigenen Gewissen. Wer im Verhörraum sitzt, mag an den Beichtstuhl denken, sieht den Qualen der Hölle jedoch nicht mehr entgegen. Diese Furcht wirkt nicht mehr körperlich und sie hat körperliche Gewalt nicht mehr zu fürchten. Auch sie 86 Ders., Verbrechen und Strafen, S. 92 f. 87 Beide Argumentationen konnten allerdings durchaus nebeneinander bestehen, und so findet sich der humanistische Gedanke auch bei Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 92: »Ist es also ein anderes Recht als das der Gewalt, das einem Richter die Vollmacht verleiht, einen Bürger mit einer Strafe zu belegen, solange seine Schuld oder Unschuld zweifelhaft sind?« Vgl. oben Anm. 48. 88 Dazu Niehaus, Das Verhör, S. 216 f. 89 Beccaria, Verbrechen und Strafen, S. 98.
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jedoch treibt, in Mimik und Gestik, körperliche Zeichen hervor.90 Welche Wahrheit sie bezeichnen, bleibt weiter zu untersuchen.91 Ihre Gewaltsamkeit büßt die Furcht auch hier nicht ein. Die Furcht vor der Folter schien selbst schon die Folter, die sie fürchtete, und sie konnte den Tod zur Folge haben, dessen Rechtmäßigkeit sie erst erweisen sollte. Ihre Gewalt begründete den einen den Nutzen der Tortur und den anderen deren Nutzlosigkeit. Zweifelhaft konnte sie niemandem sein.
5.2. »Nicht gnugsam zu beschreiben«: Die Angst des Dreißigjährigen Krieges Gefoltert wurde nicht allein in den Kellern der Justiz, »torquieren und vexieren« waren vor allem auch im Krieg zu »beförchten«.92 Obrigkeitliche Folter bemühte sich um Legitimierung, soldatische jedoch hielt sich damit gewöhnlich nicht auf. Im Gegensatz zu vielen ihrer Opfer sind die Praktiken der Tortur nicht namenlos geblieben, auch die außergerichtlichen nicht. Bekannt geworden ist, neben dem »polnischen Bock«,93 vor allem der »schwedische Trunk«, den kaum ein zeitgenössischer Bericht auslässt, weil er manchem schlimmer schien als jener, den man Christus bot vor seinem Tod,94 eine »hellische martter«,95 die noch bei Adam Bernd96 und ebenso in Zedlers Universal Lexicon Erwähnung findet, weil sie sich zum Sinnbild für die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges entwickelt hatte: für seine vielfach schrankenlose Gewalt. Dass im Königreich Schweden die Folter verboten war, konnte dessen auf deutschem Reichsboden umherstreifende Söldner nicht hindern, »mit dem bekannten Schwedischen Trancke von e den Leuten die Bekanntniß, wo sie ihr Geld verborgen, in Kriegs=Zeiten gar wohl heraus zu bringen«.97 Wem Wasser oder Jauche eingeflößt und durch Sprünge auf den Bauch wieder herausgepresst wurde, der hielt, so er es über90 Vgl. Borgards, Physio-Politik, S. 117 ff.; Wolf, Die Zeugen, S. 84. 91 Zur Geschichte des Verhörs seit der Aufklärung vgl. v. a. Niehaus, Das Verhör, insbes. Teil II und III; ders., Mord, Geständnis, Widerruf. Verhören und Verhörtwerden um 1800, Bochum 2006 (Schriften zur historischen Kommunikationsforschung 1); Sozialgeschichte des Geständnisses. Zum Wandel der Geständniskultur, hg. v. Jo Reichertz / Manfred Schneider, Wiesbaden 2007. 92 Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus, hg. v. Heymach, S. 271. 93 Vgl. etwa Dietz, Mein Lebenslauf, S. 92 f. 94 Mengering, Kriegs=Belial, S. 658 f. 95 Junius, Verzeignuß, S. 197 f. 96 Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, S. 23. 97 Art. »Tortur«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1468, mit Bezug auf Samuel Stryk, Tractatus de Jure Sensuum in qvo Qvæ in utroque Jure de Sensibus disposita, dilucidÀ explicantur, Frankfurt a. d. O. 31685, Diss. 6, Kap. 4, S. 359, § 8.
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lebte, kein Versteck mehr geheim. Mit derartigen Techniken ernährte sich der Krieg. Auch wenn die schwedischen Soldaten nicht die einzigen waren, die diese Folter praktizierten, hatten sie sie doch erfunden und gingen mit ihr in die Geschichte ein. Und sie quälten mit ihr keineswegs nur die gegnerische Partei. In diesem Krieg, so ging allseits die Klage, wüteten die Freunde schlimmer als die Feinde;98 und gemeint waren immer wieder die Soldaten in Diensten Gustav Adolfs. Der »Löwe aus Mitternacht« kam, wie er vorgab, christusgleich als Retter in der Not; sein militärischer Arm jedoch brachte nicht nur Hilfe und Unterstützung. Des Schwedenkönigs Soldaten schienen den Protestanten vielfach gewaltsamer als die »Papisten«, ja mehr noch: grausamer als der Inbegriff der Grausamkeit: als »Türken und Tataren«, der »Erbfeind christlichen Namens«. Dieser Perzeptions- und Beschreibungsmodus fand sich schnell in allen konfessionellen Lagern. Gegenstand der folgenden Überlegungen ist die Furcht vor kriegerischer Gewalt im Horizont der Spaltung der Christenheit: die Furcht vor der Gewalt des konfessionellen Feindes und davor, dass der Freund noch gewaltsamer agierte. In einem zweiten Schritt dann gerät jene Furcht in den Blick, die im Dreißigjährigen Krieg, folgt man der Topologie, noch übertroffen wurde: die Furcht vor den »Türken«, die seit der Eroberung Konstantinopels virulent geworden war und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch einmal eine besondere (und abschließende) Aktualität erhielt. Hier stehen nicht nur Kontinuität und Wandel der Furchtsemantik im 17. Jahrhundert zur Diskussion, sondern auch ihre Abhängigkeit von religiösen und kulturellen Grenzziehungen: innerhalb der Christenheit auf der einen Seite und zwischen Christen und Nichtchristen auf der anderen. Die Wahrnehmung der außergewöhnlichen Grausamkeit des Dreißigjährigen Krieges verdankte sich keineswegs allein den Aktionen der Schweden. Ein Krieg, dessen Soldaten sich selbst zu ernähren hatten, schien auf allen Seiten eine Gewalt hervorzubringen, die sich um tradierte Ordnungen und Grenzen nicht scherte. Christus, so wurde beklagt, war kein Leitbild der Söldner, gleich welcher Konfession sie angehörten, gleich welcher politischen Autorität sie unterstellt waren. Viele Zeitgenossen kritisierten, dass nicht mehr allein christlich, sondern nun auch noch unchristlich gemordet wurde: unter gänzlicher Missachtung religiöser Zugehörigkeiten. Den miles christianus mochte man fordern; auffindbar jedoch schien er kaum. In der militärischen Praxis, so die resignierte Diagnose, gehörte der »geistliche Ritter« der Vergangenheit an. Damit ist einmal mehr das Verhältnis von Religion und Gewalt berührt, wie es die Geschichtswissenschaft seit einigen Jahren zunehmend beschäftigt. Das 98 Auf Einzelnachweise muss und kann an dieser Stelle verzichtet werden; die Aussage ist in den zeitgenössischen Texten omnipräsent.
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wachsende Forschungsfeld lässt sich im Wesentlichen in zwei Segmente unterteilen. Zunächst, und dies nicht erst seit dem 11. September 2001, wird der Versuch unternommen, Gewalt aus Religion zu erklären – aus einer religiösen Motivation des Handelns, deren Illegitimität die einschlägigen Studien zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung nehmen und über die so mancher Zeitgenosse des Dreißigjährigen Krieges offensichtlich froh gewesen wäre. Dieser kausallogische Zusammenschluss hat eine historiographische, in der religionskritischen Aufklärung wurzelnde Tradition, die seine methodologischen Probleme zu verdecken droht.99 Unabhängig davon jedoch sind zahlreiche Formen religiöser Legitimierung von Gewalt und die Bitte um handgreifliche göttliche Unterstützung der eigenen Sache auch und gerade in den Kriegen des 17. Jahrhunderts nicht zu übersehen. (Die – religiöse – Kritik daran blieb demgegenüber vergleichsweise marginal.100) Der zweite Forschungsstrang betrachtet die andere Seite. Er fragt nicht nach religiösen Begründungen der Ausübung von Gewalt, sondern nach Möglichkeiten der Bewältigung ihres Erleidens durch ihre religiöse Deutung.101 Insofern die vorliegende Studie Furcht und Angst zum Thema hat, steht das zweite Paradigma im Zentrum ihres Interesses.102 99 Vgl. Martin Schaffner, Religion und Gewalt. Historiographische Verknüpfungen, in: Religion und Gewalt, hg. v. von Greyerz / Siebenhüner, S. 29 – 37. 100 Siehe Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 66 – 77; Julian Kümmerle, Wer war schuld am Dreißigjährigen Krieg? Der spiritualistische Theologe Joachim Betke (1601 – 1663) und seine Schrift »Excidium Germaniae« (1640), in: Geistliche im Krieg, hg. v. Franz Brendle / Anton Schindling, Münster 2009, S. 117 – 128; ders., Radikal-pietistische Deutungsmuster der Kriege des 16. und 17. Jahrhunderts. Gottfried Arnolds »Unparteiische Kirchenund Ketzerhistorie« (1699/1700), in: Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Begriff, Wahrnehmung, Wirkmächtigkeit, hg. v. Franz Brendle / Anton Schindling, Münster 2006, S. 261 – 287. 101 Diese paradigmatische Aufteilung ist nur bedingt mit konfessionellen Differenzen assoziiert. Ungeachtet unterschiedlicher Akzentsetzungen ist unter protestantischen Theologen nicht allein eine Buß- und Leidensfrömmigkeit auszumachen, sondern durchaus auch Kriegstreiberei (Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 46 – 65), und umgekehrt hatte die katholische, marienfromme Kriegspredigt immer auch eine konsolatorische Funktion: Andreas Holzem, Geistliche im Krieg und die Normen des Kriegsverstehens. Ein Religionsgeschichtliches Modell zu Ritual, Ethik und Trost zwischen militärischer Kulttradition und christlicher Friedenspflicht, in: Geistliche im Krieg, hg. v. Brendle / Schindling, S. 41 – 85, insbes. 75 – 80; ders., Barockscholastik in der Predigt. Kriegsethik, Sündenschuld und der Kampf gegen Trübsal und Verzweiflung, in: Krieg und Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens, hg. v. dems., Paderborn / München / Wien / Zürich 2009 (Krieg in der Geschichte 50), S. 553 – 595; ders., »… zum seufzen und wainen also bewegt worden«. Maria im Krieg – das Beispiel Rottweil 1618 – 1648, in: Religionskriege, hg. v. Brendle / Schindling, S. 191 – 216. 102 Aus dem gesamten Forschungsfeld siehe neben den bereits zitierten Bänden (Religionskriege, hg. v. Brendle / Schindling; Geistliche im Krieg, hg. v. dens.; Krieg und Christentum, hg. v. Holzem): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, hg. v.
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Seine »Unchristlichkeit« ließen den Dreißigjährigen Krieg so manchem als etwas historisch Neues erscheinen: als einen Gewaltzusammenhang von bis dato ungekannter Qualität und ungekanntem Ausmaß. Beobachter wussten zu berichten von der massenhaften Vergewaltigung von Frauen, von der kaltblütigen Ermordung kleiner Kinder und von Menschen, die Menschen aßen, um nicht zu verhungern;103 davon meinte man in der Geschichte noch nicht gehört zu haben. Derartige Gewalt war furchterregend genug, wenn sie nur von der feindlichen Seite verübt wurde; omnipräsent und zusätzlich gewaltsam jedoch wurden Furcht und Angst, wenn nicht einmal mehr sicher schien, wer Feind ist und wer Freund.104 Die Vergänglichkeit einer verkehrten Welt, eines der maßgeblichen Selbstbeschreibungsmuster des 17. Jahrhunderts, erhielt hier die eindrücklichste Anschaulichkeit. Der Dreißigjährige Krieg war vielen Autoren Vorgriff auf das Jüngste Gericht, insbesondere protestantischen, aber nicht nur ihnen. Im Leben sahen sie einen bösen Traum, doch was noch schlimmer war : Es stand zu befürchten, dass es aus ihm auch ein böses Erwachen geben würde. Die Gewalt dieses Krieges, so wurde wiederholt betont, überstieg die Möglichkeiten ihrer sprachlichen Repräsentation. Nach Aussage zahlreicher Beobachter hatte sie ein Ausmaß und eine Qualität erreicht, die sich nur mit dem Hinweis auf ihre Unbeschreiblichkeit beschreiben ließ. Dies gilt nicht nur für die Gewalt, sondern ebenso und vornehmlich für die Furcht vor ihr, die vielfach Matthias Asche / Anton Schindling, Münster 22002; Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich, hg. v. Klaus Schreiner, München 2008 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 78); Religion und Gewalt, hg. v. von Greyerz / Siebenhüner; Guerres et paix de religion en Europe aux XVIe au XVIIe siÀcles, hg. v. David El-Kenz / Claire Gantet, Paris 2 2008. 103 Derartige Anthropophagieberichte dürften als topisch einzustufen sein. Vgl. Daniel Fulda, Gewalt gegen Gott und die Natur. Ästhetik und Metaphorizität von Anthropophagieberichten aus dem Dreißigjährigen Krieg, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 240 – 269; Das Andere Essen. Kannibalismus als Motiv und Metapher in der Literatur, hg. v. Daniel Fulda / Walter Pape, Freiburg i.Br. 2001; Valentin Groebner, Menschenfett und falsche Zeichen. Identifikation und Schrecken auf den Schlachtfeldern des späten Mittelalters und der Renaissance, in: Schlachtfelder, hg. v. Martus / Münkler / Röcke, S. 21 – 32, insbes. 32. 104 So stellte Maurus Friesenegger die gesamte, mehr als 1400 Seiten umfassende lateinischsprachige Version seines Tagebuchs (auf deren Basis er selbst den stark gekürzten und mehrfach edierten deutschen Text angefertigt hat) in das Zeichen der Unsicherheit: »Ephemerides Erlinganae seu Andecenses, Id est Liber in quem incertae sunt res omnes, quae circa parochianam Ecclesiam S. Viti in Erlingen, prope M[o]n[aste]rium Montis Sancti ord. S. Bened. in Superiori Bauaria memoria dignae conligerunt«. Maurus Friesenegger, Ephemerides Andecenses Sive Res gestæ memori dignæ de Monte sancto, et Pago Erlingano: Congestæ et compositæ Ab R.do P. F. Mauro Friesenögger, tunc Ad S. Vitum Parocho, poste Montis sancti Reverendiss.mo D. Abbate Pars I. Ab anno 1627. usque ad 1635. Pars II. Ab anno 1635 usque ad 1649, DABA, HS 108, S. 1. Die Klage über die bisher »unerhörten Grausamkeiten, das bisher noch kein Feind getan«, und dass es die Freunde sogar noch schlimmer trieben als sie, findet sich in ders., Tagebuch, S. 49, 61.
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noch gewaltsamer erschien als sie. Eine Gewalt der Furcht, die in tödliche Krankheit oder gar direkt zum Tod zu führen vermochte, stellte eine herausragende Gefahr dar, nicht nur für Leib und Leben, sondern auch für die Seele; sie war besonders zu fürchten. Es ist die »Unbeschreiblichkeit« und »Unaussprechlichkeit« von Furcht und Angst im Angesicht von kriegerischer Gewalt, die den Zeitgenossen den Dreißigjährigen Krieg als einen außergewöhnlichen erscheinen ließ. Wo »Furcht« und »Angst« nach ihren historischen Bedeutungsgehalten und autobiographischen Funktionen befragt werden, dort liegt es nahe, auch ihre »Unaussprechlichkeit«, »Unsagbarkeit« und »Unbeschreiblichkeit« einer semantischen Analyse zu unterziehen. Die sprachliche Artikulation einer sprachlich unfassbaren Furcht, die Beschreibung des Unbeschreiblichen im Hinweis auf seine Unbeschreiblichkeit, war im 17. Jahrhundert ohne Zweifel ein rhetorisch wirksamer Steigerungs- und Überbietungstopos.105 Doch zugleich war sie mehr als das. Sie verweist auf historische Konzepte von Sprache und Schrift und gibt damit weitergehenden Aufschluss über die kulturelle Bedeutung der beschriebenen Furcht und Angst im »martialischen Saeculum« – über historische Auffassungen vom Verhältnis zwischen der Sprache und dem, was sie nicht aussprechen zu können scheint. Die geschichtswissenschaftliche Forschung rekurriert maßgeblich auch auf die Beschreibungen »unbeschreiblicher« Furcht und Angst, wenn sie den historischen Ort und die historische Bedeutung des Dreißigjährigen Krieges und der Kriege des 17. Jahrhunderts insgesamt zu bestimmen sucht. Im »martialischen Saeculum« sieht sie vielfach ein »Jahrhundert der Angst«, und der Dreißigjährige Krieg erhält darin einen zentralen Stellenwert. Die einschlägige Forschungsrichtung liest Beschreibungen von Furcht und Angst als Indikator für eine Krisenhaftigkeit der Zeit, der sie neben einer demographischen, ökonomischen, sozialen und politischen Dimension auch eine mentale zuschreibt:106 eine Krise des (religiösen) Bewusstseins.107 105 John Theibault, The Rhetoric of Death and Destruction in the Thirty Years War, in: Journal of Social History 27 (1993), S. 271 – 290, hat herausgearbeitet, wie diese Rhetorik in Supplikationen mit dem Ziel des Schadensausgleichs eingesetzt werden konnte. 106 Die aktuellsten Bestandsaufnahmen der Debatte sind: Early Modern Europe: From Crisis to Stability, hg. v. Philip Benedict / Myron P. Gutmann, Newark 2005, sowie der einschlägige Thementeil in: The American Historical Review 113 (2008). Siehe darüber hinaus John Theibault, German Villages in Crisis: Rural Life in Hessen-Kassel and the Thirty Years’ War, 1580 – 1720, Atlantic Highlands, NJ 1995; Sheilagh C. Ogilvie, Germany and the Seventeenth Century Crisis, in: Historical Journal 35 (1992), S. 417 – 441; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600 – 1715, München 1991; Helmut G. Koenigsberger, Die Krise des 17. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982), S. 143 – 165; Geoffrey Parker, Europe in Crisis, 1598 – 1648, Oxford / Malden, MA 2 2001 [1979]; The General Crisis of the Seventeenth Century, hg. v. dems. / Lesley M.
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Einen ihrer Höhepunkte, so wird des Öfteren vermutet, erreichte diese Krise dort, wo angesichts von dauerhafter Gewalt und beständiger Angst eine Verzweiflung an der Güte göttlicher Vorsehung artikuliert zu werden scheint. Bekannt ist die Randnotiz aus einer Familienbibel aus dem schwäbischen Gerstetten, eingetragen unter dem 17. Januar 1647: »Sie sagen, der schreckliche Krieg sei jetzt vorbei. Ist aber noch nirgends ein Fried zu spüren. Überall sind Neid, Haß und schlimmere Ding – der Krieg hat uns so gelehrt. Die Alten sind mit der Gottlosigkeit alt worden – wie sollten sie’s noch lassen können vor ihrem Ende? Vom Fleck stehen noch ein paar Häuslein. Wir Leut leben wie die Tier, essen Rinden und Gras. Kein Mensch kann sich denken, daß so etwas vor uns geschehen sei. Viele Leute sagen, es sei jetzt gewiß, daß kein Gott ist.«108
Diese Marginalie wird zuweilen als Beleg dafür zitiert, dass nicht erst mit Voltaires empörter Verspottung der Leibniz’schen Metaphysik nach dem verheerenden Erdbeben von Lissabon (1755),109 sondern bereits in den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges die Frage der Theodizee aufgeworfen wurde: das ProSmith, London 21997 [1978]; Theodore K. Rabb, The Struggle for Stability in Early Modern Europe, Cambridge / New York 1975; Crisis in Europe 1560 – 1660: Essays from Past and Present, hg. v. Trevor Aston / Christopher Hill, London 61980 [1965]. 107 Diese »Bewusstseinskrise« ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff des »Krisenbewusstseins«, der die historische Wahrnehmung meint, in einer gefährlichen und »geschwinden« Zeit zu leben, und damit verbundene Befindlichkeiten, Denkweisen und Handlungsmuster beschreibt (z. B. Endzeiterwartung, »Weltangst« und Prodigienfurcht, Ketzer-, Hexen- und Judenverfolgungen). Die Forschung diskutiert hier die Frage, welcher Stellenwert subjektivem Krisenbewusstsein für die Diagnose einer objektiven historischen Krise zuzumessen ist. Vgl. v. a. Rainer Postel, Geschwinde Zeiten. Zum Krisenproblem im 16. Jahrhundert, in: Krisenbewußtsein, hg. v. Hagenmaier / Holtz, S. 13 – 21; Hartmut Lehmann, Die Krisen des 17. Jahrhunderts als Problem der Forschung, in: Krisen des 17. Jahrhunderts. Interdisziplinäre Perspektiven, hg. v. Manfred Jakubowski-Tiessen, Göttingen 1999, S. 13 – 24. Darüber hinaus: Um Himmels Willen, hg. v. Jakubowski-Tiessen / Lehmann; Im Zeichen der Krise, hg. v. Lehmann / Trepp; Hartmut Lehmann, Frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der »Kleinen Eiszeit«, in: Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, hg. v. Wolfgang Schieder, Göttingen 1986 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 11), S. 31 – 50; ders., The Persecution of Witches as Restoration of Order. The Case of Germany, 1590s – 1650s, in: Central European History 21 (1988), S. 107 – 121; ders., ›Not, Angst und Pein‹, S. 308 f.; ders., Absolutismus, S. 17 f., Kap. III: S. 105 ff.; Hans-Jürgen Goertz, Deutschland 1500 – 1648. Eine zertrennte Welt, Paderborn / München / Wien / Zürich 2004, S. 239. 108 Abgedruckt in: Gruorn. Ein Dorf und sein Ende, hg. v. Angelika Bischoff-Luithlen, Münsingen 31982, S. 83; Jürgen Kuczynski, Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Bd. 1: 1600 – 1650, Köln 1983, S. 117; Peter Lahnstein, Das Leben im Barock. Zeugnisse und Berichte 1640 – 1740, Stuttgart 1974, S. 26 f. 109 Voltaire (François Marie Arouet), Candide, ou l’optimisme. Traduit de l’Allemand de M. le Docteur Ralph, avec les additions qu’on a trouv¦es dans la poche du Docteur, lorsqu’il mourut a Minden, l’an de grace 1759, in: Œuvres complÀtes 21, S. 137 – 218, insbes. 146 ff. Zu Voltaires Reaktion siehe die einschlägigen Beiträge in: Das Erdbeben von Lissabon, hg. v. Lauer / Unger ; weitere Literatur zum Lissaboner Beben oben in Kap. 4.2.
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blem der Rechtfertigung Gottes angesichts der Leiden in der Welt.110 Die Antwort des gottesfürchtigen Philosophen fiel optimistisch (und spekulativ) aus: Das Übel, so Leibniz, sei nicht Übel, sondern unerkanntes Gut, die gegebene Welt, obgleich voll des Schlechten, doch die beste aller möglichen.111 (Wie mussten dann erst die anderen aussehen, fragte sich Voltaire.112) Diese Antwort, wie es scheint, hätte im Winter 1647 wenig Gehör gefunden. Hier ist eine Krise des Religiösen ausgemacht worden,113 die insbesondere Johannes Burkhardt mit dem Bewusstsein von Geschichte und Geschichtlichkeit in Verbindung gebracht hat. Burkhardt interpretiert den Dreißigjährigen Krieg als »ersten großen Störfall des frühneuzeitlichen Geschichtsbilds«.114 Als gänzlich neue Erfahrung von Gewalt und Leid habe er nicht allein die Vorstellung 110 Etwa von Fulda, Gewalt gegen Gott, S. 268. 111 Gottfried Wilhelm Leibniz, Versuche in der Theodic¦e über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels. Übers. und mit Anm. versehen v. Artur Buchenau (Philosophische Werke 4), Hamburg 1996. – Zur Philosophie- und Wissensgeschichte der Theodizee siehe Wilhelm Schmidt-Biggemann, Theodizee und Tatsachen. Das philosophische Profil der deutschen Aufklärung, Frankfurt a.M. 1988, S. 61 ff.; ders., Apokalypse und Philologie, S. 286 ff.; Hans-Gerd Janssen, Gott – Freiheit – Leid. Das Theodizeeproblem in der Philosophie der Neuzeit, Darmstadt 21993. 112 Voltaire, Candide, S. 149. 113 Zuletzt von Johannes Arndt, Der Dreißigjährige Krieg, 1618 – 1648, Stuttgart 2009, S. 201. 114 Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt a.M. 1992, S. 233 – 244, zit. 243. Zu frühneuzeitlichen Geschichtskonzepten: ders., Strukturelemente der neuen historischen Wissenschaften, in: Verhaltenswandel in der Industriellen Revolution, hg. v. August Nitschke, Stuttgart 1975, S. 73 – 91; grundlegend: Reinhart Koselleck, Vergangene Zukunft der frühen Neuzeit, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 42000, S. 17 – 37; ders., Historia magistra vitae. Über die Auflösung des Topos im Horizont neuzeitlich bewegter Geschichte, in: ders., Vergangene Zukunft, S. 38 – 66; ders., Art. »Geschichte, Historie«, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. Brunner / Conze / Koselleck, Bd. 2, S. 593 – 717 (für eine Diskussion der enthaltenen Verzeitlichungs-These siehe Stefanie Stockhorst, Novus ordo temporum. Reinhart Kosellecks These von der Verzeitlichung des Geschichtsbewußtseins durch die Aufklärungshistoriographie in methodenkritischer Perspektive, in: Begriffene Geschichte. Beiträge zum Werk Reinhart Kosellecks, hg. v. Hans Joas / Peter Vogt, Frankfurt a.M. 2011, S. 359 – 386); Niklas Luhmann, Temporalisierung von Komplexität: Zur Semantik neuzeitlicher Zeitbegriffe, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1980, S. 235 – 301, hier 260 – 296; Lucian Hölscher, Die Entdeckung der Zukunft, Frankfurt a.M. 1999, Teil 1; außerdem: Paul Noack, Eine Geschichte der Zukunft, Bonn 1996; Rudolf Wendorff, Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewußtseins in Europa, Wiesbaden 2 1980; Die Autorität der Zeit, hg. v. Brendecke / Fuchs / Koller ; auch Keith Thomas, Vergangenheit, Zukunft, Lebensalter. Zeitvorstellungen im England der frühen Neuzeit, Berlin 1988 (Kleine kulturwissenschaftliche Bibliothek 10), Kap. 1 und 3. Vgl. auch Georges Minois, Geschichte der Zukunft. Orakel, Prophezeiungen, Utopien, Prognosen, Düsseldorf / Zürich 1998, der die Anfänge moderner Konzepte der Zukunft in den Orakeln und Prophezeiungen der Vormoderne ausmacht und damit die historischen Unterschiede zwischen beiden nivelliert.
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erschüttert, geschichtliches Geschehen sei eine ewige Folge exemplarischer Historien, sondern mit ihr auch das Vertrauen in deren religiöses Fundament. In zeitgenössischen Alltagsbeschreibungen konstatiert Burkhardt eine erstmalige weiterreichende Infragestellung einer gerechten göttlichen Ordnung.115 Ausgezeichnet als »Trauma«,116 wird dieser Störfall zum einen vorgestellt als maßgeblicher Katalysator für die allmähliche Ablösung des Vertrauens auf das Wirken Gottes in der Welt durch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von deren menschlicher Gestaltung. Zum anderen und zugleich soll er den Umstand erklären, dass trotz allem nach diesem Krieg das »statisch-exemplarische Geschichtsideal«117 zunächst restituiert worden sei. Sowohl die Erschütterung als auch ihre Bewältigung setzt Burkhardt wiederum in unmittelbare Beziehung zu vermeintlich verbreiteten zeitgenössischen Ängsten. Zunächst wird ihm die besondere »Krise des frühneuzeitlichen Zeit- und Geschichtsbewußtseins«,118 wie sie die Kriegserfahrung mit sich gebracht habe, als Manifestation und Zuspitzung einer »gemeineuropäischen Angst« der – auch klimatisch bedingten – »Krise des 17. Jahrhunderts« verständlich,119 um anschließend die »Überwindung des Störfalles und die traditionalistische Restitution des frühneuzeitlichen Geschichtsbildes« in »einen gewissen ängstlichen Immobilismus« »der deutschen Nachkriegsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts« münden zu sehen.120 Die Restitution, geboren aus der Angst von Krise und Störfall, hatte Angst zur Folge; sie sollte eine Angst bewältigen, die sie nur noch bestätigen konnte. Das hier formulierte Trauma-Theorem, in dem Angst aus Geschichtsbewusstsein und Geschichtsbewusstsein aus Angst erklärt wird, ist in der Forschung bis heute einflussreich. Seine Spur findet sich auch dort, wo, wie bei Bernd Roeck, das religiöse Geschichtsbild im Dreißigjährigen Krieg keine Verletzungen erfährt, sondern umgekehrt eine Möglichkeit bietet, psychische Kriegsverletzungen zu heilen.121 Die Debatte um die mentalitätsgeschichtlichen Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 238, das Zitat der Familienbibel: S. 243. Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 243. Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 239. Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 238. Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 243, mit Bezug auf die Arbeiten von Hartmut Lehmann, der jedoch mit der »Krise des Glaubens« im »Jahrhundert der Angst« die Intensivierung eschatologischer Erwartungen meint: der Furcht vor dem Ende der Geschichte (und der Hoffnung auf die Erlösung, die ihm folgt): Lehmann, Absolutismus, Kap. III, insbes. S. 105 ff., 127 und 161. Zur »Klimakrise« vgl. auch: Kulturelle Konsequenzen, hg. v. Behringer / Lehmann / Pfister; Behringer, Kulturgeschichte des Klimas, S. 117 – 209. 120 Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 244. 121 Bernd Roeck, Der Dreißigjährige Krieg und die Menschen im Reich. Überlegungen zu den Formen psychischer Krisenbewältigung in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, hg. v. Bernhard R. Kroener / Ralf Pröve, Paderborn 1996, S. 265 – 279, in gekürzter und durchgesehener Fassung wiederabgedruckt in: Der Dreißigjährige Krieg. Facetten einer folgenreichen Epoche, hg. v. 115 116 117 118 119
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Auswirkungen dieses Krieges wird durch diese beiden Positionen strukturiert. Sie wird im Folgenden nicht entschieden, sondern nach ihren Voraussetzungen und Implikationen befragt. Die »unaussprechliche« Furcht vor Gewalt, von der so viele Texte aus den Kriegszusammenhängen des 17. Jahrhunderts berichten,122 fürchtete nicht allein bevorstehende physische Gewalt durch Soldaten der gegnerischen oder – schlimmer noch – der eigenen konfessionellen Partei. Vielmehr fürchtete sie immer auch die Gewalt des Herrn, die sich in der soldatischen manifestierte: einen Gott, der sich der Kriegsgewalt bediente, um die Sünden der Menschen zu strafen. Diese Furcht entstand im Angesicht göttlicher Zeichen: von Ereignissen in Natur und geschichtlicher Welt, die vor Strafe warnten (als »erschreckliche« Prodigien) oder sie selbst vollzogen (weil die Warnungen nicht beachtet worden waren) oder beides zugleich. Kometen drohten mit Krieg – der berühmteste konstituierte den Beginn und die Einheit des »Dreißigjährigen«123 – und dieser Peter Claus Hartmann / Florian Schuller, Regensburg 2010, S. 146 – 157 (im Folgenden wird nach der Erstfassung zitiert); ders., Diskurse über den Dreißigjährigen Krieg. Zum Stand der Forschung und zu einigen offenen Problemen, in: Krieg und Frieden im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Theorie – Praxis – Bilder. Guerre et Paix du Moyen ffge aux Temps Modernes. Th¦orie – Pratiques – Repr¦sentations, hg. v. Heinz Duchhardt / Patrice Veit, Mainz 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte, Beiheft 52), S. 181 – 193. Roeck und Burkhardt werden rezipiert von Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, München 2003, S. 94 f. 122 Auch die vorliegende Studie profitiert von dem unverzichtbaren Quellenverzeichnis von Benigna von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Beschreibendes Verzeichnis, Berlin 1997 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 6). 123 Nicht erst die Nachgeborenen, sondern bereits die Zeitgenossen selbst bezeichneten diesen Krieg als einen »dreißigjährigen«: Konrad Repgen, Seit wann gibt es den Begriff »Dreißigjähriger Krieg«?, in: Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus. Festschrift für Heinz Gollwitzer zum 65. Geburtstag, hg. v. Heinz Dollinger, Münster 1982, S. 59 – 70; ders., Noch einmal zum Begriff »Dreißigjähriger Krieg«, in: Zeitschrift für Historische Forschung 9 (1982), S. 347 – 352; ders., Über die Geschichtsschreibung des Dreißigjährigen Krieges: Begriff und Konzeption, in: Krieg und Politik 1618 – 1648. Europäische Probleme und Perspektiven, hg. v. dems., München 1988 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 8), S. 1 – 84, hier 6 f. und Anhang I. Der Komet von 1618 wurde dann als ein maßgebliches Vorzeichen dieses Krieges interpretiert: Nach 1648 wussten zahlreiche Beobachter zu berichten, dass er wie eine Rute ausgesehen und dreißig Tage lang am Himmel gestanden hatte: Hans Medick / Benigna von Krusenstjern, Einleitung: Die Nähe und Ferne des Dreißigjährigen Krieges, in: Zwischen Alltag und Katastrophe, hg. v. dens., S. 13 – 36, hier 13, 30 f.; von Krusenstjern, Prodigienglaube, S. 60 (Anm. 42) und 73 – 75 (Quellenauszüge). Umfassend zu diesem Kometen: Marion Gindhart, Das Kometenjahr 1618. Antikes und zeitgenössisches Wissen in der frühneuzeitlichen Kometenliteratur des deutschsprachigen Raumes, Wiesbaden 2006 (Wissensliteratur im Mittelalter 44). Für die Interpretation divinatorischer Zeichen und Prodigien in einem lokalen Kontext vgl. Holger Berg, Military Occupation under the Eyes of the Lord: Studies in Erfurt during the Thirty Years War, Göttingen 2010 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 103), Kap. 4.
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(oder beide zusammen) mit Gottes Gericht am Ende der geschichtlichen Zeit. Die Zeichen des Himmels erregten keine geringere Furcht als das, was sie bezeichneten; denn sie wurden »nie ungestraft erblickt«.124 Diese Furcht fürchtete eine Zukunft, die als Heilsgeschichte gelesen werden konnte. Gegründet in göttlicher Providenz, schien das, was kommen sollte, immer schon geschehen; es war bereits existent und lediglich noch nicht erkannt. Die Beschreibung der Furcht vor dieser Zukunft fungierte als memoria; sie war zum einen Erinnerung und Mahnung zum anderen.125 Und das heißt: Furcht vor kriegerischer Gewalt kam zur Darstellung als überwundene Furcht. Dies hat sowohl textuelle als auch historische Gründe. Furcht, zum einen, wurde beschrieben als eine vergangene; ihre Beschreibung erforderte eine distanzierte Beobachtung: Sie setzte voraus, dass die Furcht überstanden war. Damit, zum anderen, kam Furcht zur Darstellung als überwindbare und als zu überwindende in der Zukunft: überwunden in der Ewigkeit Gottes. Wer eigene Furcht beschrieb, beschrieb sie als aktuell abwesend; er oder sie präsentierte sich als furchtlos in der Furcht vor Gott. Die Furcht vor dem künftigen Schicksal der eigenen Seele und des eigenen Körpers schien überwinden zu können, wer sich einer göttlichen Vorsehung anvertraute, in der Vergangenheit und Zukunft in spezifischer Weise zusammengeschlossen waren und aufeinander verwiesen. Dies ist im Folgenden im Einzelnen zu zeigen. Um zu untersuchen, welche Konsequenzen sich daraus für die Diskussion um das Störfall-, Krisen- und Trauma-Paradigma ergeben, wird dabei nicht danach gefragt, ob und inwiefern das Bewusstsein von (der eigenen) Geschichte und Geschichtlichkeit Furcht ausgelöst oder bewältigt hat, sondern inwiefern die Beschreibung von Furcht und deren Überwindung das eigene Leben als Lebens-Geschichte konstituierte. 124 Andreae, Autobiographie, Buch 6, S. 20/21 (lat.: »cruenta prodigia nunquam impune visa«); auch Buch 8, S. 148/149 (lat.: »impune spectata stella nubila insolitae magnitudinis«). Die Wendung geht zurück auf ein griechisches Sprichwort, das Claudian folgendermaßen übersetzt hat (Claudianus, De bello Gothico, 243): »Et nunquam coelo spectatum impune Cometen«. Das Zitat findet sich etwa in: Tertius Interveniens, Bl. A 2v (wo jedoch statt »coelo« »terris« gesetzt ist). Zur Epistemologie und Wirkungsmacht von Vorzeichen, Prodigien und der Furcht vor ihnen siehe auch unten Kap. 6. 125 Auf die Bedeutung der memoria für die Vormoderne ist bisher vor allem in der Mediävistik hingewiesen worden; vgl.: Memoria als Kultur, hg. v. Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1995 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 121), S. 387 – 427. Damit wird »Erinnerung« im Folgenden nicht als reflexives psychologisches Ereignis verstanden (unabhängig vom Grad seiner Konstruktivität), nicht als individuelles Gedächtnis also, sondern als personales und kulturelles Gedenken. Zur psychologisch-kognitionswissenschaftlich basierten Debatte vgl. hier nur Harald Welzer, Gedächtnis und Erinnerung, in: Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 3: Themen und Tendenzen, hg. v. Friedrich Jaeger / Jörn Rüsen, Stuttgart / Weimar 2004, S. 155 – 174. Zur neueren kulturwissenschaftlichen Diskussion siehe auch: Erinnerung, Gedächtnis, Wissen. Studien zur kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung, hg. v. Günter Oesterle, Göttingen 2005 (Formen der Erinnerung 26).
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Diesem Zweck dient die Lektüre von personalen Selbstbeschreibungen, vornehmlich aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges – von chronikalischen Erlebnisberichten, Diarien und Autobiographien; diese Texte werden kontextualisiert in den zeitgenössischen theologischen, philosophischen und medizinischen Auseinandersetzungen darüber, was Furcht ist: über ihre Gegenstände, Ursachen und Folgen sowie über ihre religiöse und moralische Bewertung. Wenn diese autobiographischen Furchtbeschreibungen hier nicht als »Selbstzeugnisse« gelesen werden, nicht als Fenster zu subjektiven »Erfahrungen« und »Wahrnehmungen« hinter dem Text, so geschieht dies auch mit dem Ziel, den Dreißigjährigen Krieg weitergehend zu historisieren, als dies bisher geschehen ist. Hier wird nicht der Versuch unternommen, das »katastrophische« Ausmaß dieses Krieges zu bestimmen: Es treten nicht die Störung und Persistenz personaler und sozialer Ordnung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern historische Ordnungs-Konzepte – über eine Qualifizierung der Beschreibung eigener Furcht an Stelle einer Quantifizierung von Leidensintensitäten, die Gefahr läuft, moderne Erfahrungen als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.126 126 Maßstäbe in dieser Diskussion hat vor allem ein Sammelband gesetzt, der von Hans Medick und Benigna von Krusenstjern unter dem programmatischen Titel Zwischen Alltag und Katastrophe herausgegeben worden ist (1999, 22001). In ihrer Einleitung erweisen die Herausgeber das erstmals von Friedrich Schiller entworfene historiographische Bild vom »katastrophischen« Charakter des Dreißigjährigen Krieges, das bis in den Zweiten Weltkrieg hinein immer wieder als historischer Maßstab für kriegerische Zerstörung fungierte, als einen der Ursprungsmythen deutscher Nationalstaatlichkeit. Sie suchen die These vom all-destructive fury zu hinterfragen, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges auf einen Mosaikstein und Mediator einer umfassenden Krisenhaftigkeit des langen 17. Jahrhunderts zu verkleinern, wie es die quantifizierende Sozial-, Wirtschafts- und Mentalitätsgeschichte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vielfach getan hat. Das Projekt greift auf »Selbstzeugnisse« als zentrale Quellengattung zurück, auch deswegen, weil in ihnen, wie erwähnt, der Dreißigjährige Krieg vielfach bereits als ein solcher bezeichnet und damit als ein außergewöhnlicher Gewaltzusammenhang vorgestellt wurde. Die Relativierung des Katastrophenmythos, wie sie mit dem Konzept dieses Sammelbandes vorgenommen wird, ist alltags- und erfahrungsgeschichtlich basiert. Sie betont Kontinuitäten sozialer und kultureller Ordnung in der Unordnung des Krieges sowie Handlungsspielräume im Gewalterleiden und Möglichkeiten seiner Bewältigung. Diese Herangehensweise hat einen wichtigen Beitrag zur Historisierung des Dreißigjährigen Krieges geleistet; auch sie jedoch bewahrt das »Katastrophische« sowohl materiell (ungeachtet seiner Einschränkung) als auch als heuristische Kategorie. Dazu auch unten Anm. 245. Für einen erfahrungsgeschichtlichen Zugriff vgl. auch die in Anm. 101 genannten Arbeiten zur religiösen Leidensbewältigung sowie Otto Ulbricht, The Experience of Violence during the Thirty Years War : A Look at the Civilian Victims, in: Power, hg. v. Canning / Lehmann / Winter, S. 97 – 128; Meumann, Experience of Violence; Mortimer, Eyewitness Accounts; Arndt, Der Dreißigjährige Krieg, Kap. 3; Peter H. Wilson, Europe’s Tragedy : A History of the Thirty Years War, London / New York 2009, Kap. 23. – Zur Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg im 19. und 20. Jahrhundert siehe auch Kevin Cramer, The Thirty Years’ War and German Memory in
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Die Gerstettener Notiz ist nicht die einzige, die sich als Beleg dafür zitieren ließe, dass Gott angesichts der Leiden des Dreißigjährigen Krieges mit der Theodizee-Frage konfrontiert wurde. Der protestantische Kirchenlieddichter Johann Rist etwa sei angesichts »allerhand zeitliche[r] Plagen«, denen er sich ausgesetzt sah, zuweilen zu dem »Schluß« gekommen, dass »Gott nicht sein e liebster Vater/ sondern sein allerargester Feind sei«,127 kein gnädiger Herrscher also, sondern, um die Paraphrase Anne-Charlott Trepps zu zitieren, ein »Tyrann«, »der seinen Untertanen aus reiner Lust an der Qual zusetzt«.128 Ungewöhnliche Worte, wie es scheint. Als kaiserliche Soldaten im April 1634 das Vogtland durchzogen, berichtete der lutherische Pfarrer Johannes Braun: »Zuletzt waren die Einwohner durch die Gewöhnung an das tägliche Übel derart verwildert, dass sie fast an göttlicher Hilfe und Vorsehung zu verzweifeln schienen und in der Schwachheit der Natur gänzlich das Vertrauen verloren, bei Gott mit Gebeten irgendeine Linderung erreichen zu können, wurden doch die Verhältnisse von Tag zu Tag schlechter.«129 Obgleich weniger Gewissheit aus diesen Zeilen spricht als aus der Gerstettener Glosse, scheint die Existenz eines gütigen Gottes auch hier nicht mehr unhinterfragt. Jedoch: Bevor dieser Schluss gezogen wird, ist die jeweilige Perspektive der Berichte zu beachten. Die Klage Johann Rists ist Teil einer Trostschrift. Sie beklagt das Leiden desjenigen, der weiß, »daß er dises alles mit seinem gottlosen Leben und Wandel/ mehr denn tausend mahl habe verdienet.« Das Leiden unter the Nineteenth Century, Lincoln, NE u. a. 2007; Hilmar Sack, Der Krieg in den Köpfen. Die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg in der deutschen Krisenerfahrung zwischen Julirevolution und deutschem Krieg, Berlin 2008 (Historische Forschungen 87); Martin C. Wald, Die Gesichter der Streitenden. Erzählung, Drama und Diskurs des Dreißigjährigen Krieges, 1830 bis 1933, Göttingen 2008 (Formen der Erinnerung 34); mit Fokus auf den Begriff des »Leidens«: David L. Lederer, The Myth of the All-Destructive War : Afterthoughts on German Suffering, 1618 – 1648, in: German History 29/3 (2011), S. 380 – 403, hier 380 – 387. e 127 Johann Rist, Neue Musikalische Kreutz= Trost= Lob= und DanckSchuhle/ Worinn bee findlich Unterschiedliche Lehr= und Trostreiche Lieder/ in mancherlei Kreutz/ Trubsahl e e e und Wiederwartigkeit hochnutzlich zu gebrauchen […] dem allerhochsten Gott zu sone derbahren Ehren/ seiner angefochtenen Kirchen zur kraftigen Erbauung/ den auch sehr e e vielen hochbetrubten Hertzen/ in diser jammerlichen und gahr elenden Zeit/ zum hertzlichen Trost und Erquikkung/ wolmeinentlich auffgerichtet und angeordnet, Lüneburg 1659, S. 48. 128 Anne-Charlott Trepp, Im ›Buch der Natur‹ lesen: Natur und Religion im Zeitalter der Konfessionalisierung und des Dreißigjährigen Krieges, in: Antike Weisheit, hg. v. ders. / Lehmann, S. 103 – 143, hier 126, vgl. auch S. 124. Zu Rist außerdem dies., Von der Glückseligkeit alles zu wissen. Die Erforschung der Natur als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit (1550 – 1750), Frankfurt a.M. / New York 2009, Kap. III. 129 Braun, Ephemerides, S. 110 f.: »Postremo ita assuetudine mali quotidiani efferaverant animos incolæ, ut penÀ de divino auxilio et providentia desperare viderentur, et precibus quicquam levamenti impetrare posse Deo ex naturæ imbecillitate omnino diffiderent, rebus quotidie in deteribus ruentibus.«
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der vermeintlichen Feindschaft Gottes war »Anfechtung«, es war die Prüfung des Herrn.130 Und das heißt: Gerade dort, wo Gott sich abgewandt zu haben schien, zeigte er sich in der ganzen Herrlichkeit seiner Präsenz. Wenn die Not am größten ist, so ging das Sprichwort, ist Gott am nächsten.131 Keine Gewissheit ohne Zweifel, keine Rettung ohne Not. Der Zweifel in der Bedrängnis stellte die Gerechtigkeit Gottes am Ende nicht in Frage, sondern war ihre notwendige Bedingung: konstitutiv für ihre Möglichkeit; er untergrub nicht ihre Gewissheit, sondern gab ihr das Fundament ihres Hauses. Dies zeigt sich auch bei Johannes Braun. Zum einen war für ihn der Zweifel, den er zu beobachten meinte, nicht unzweifelhaft; er war ein scheinbarer und offensichtlich auch gar nicht wirklich eingetreten. Zum anderen jedoch, und das ist ausschlaggebend, wurde die Verzweiflung der Einwohner von dem, der sie vermutete, als Zeichen der »Verwilderung« gelesen. Auch wenn Braun in einer derartigen Verrohung zunächst die Folge des wütenden Mordens kaiserlicher Soldaten erkannte, war es für ihn am Ende doch die Schwäche der Natur, die den Damm brechen ließ. Bei allem Mitleid mit dem »armen Volk«: Eigentlich hätte es standhalten müssen, auch wenn sich hier niemand unterstehen mochte, den ersten Stein zu werfen. Dies wird noch deutlicher, vergegenwärtigt man sich die protestantische Bedeutung von »Verzweiflung« (desperatio): Wo das Vertrauen in die göttliche Gnade zur alleinigen Heilsbedingung erklärt worden war, galt der Verlust dieses Vertrauens als größte aller möglichen Sünden.132 In den Ephemerides des Johannes Braun nun wird die Verzweiflung der von den Kaiserlichen Heimgesuchten nicht allein als strafwürdige Sünde vorgestellt, sondern, als solche, ihrerseits als der Sünden Strafe. Gott, gut lutherisch paradoxiert, strafte Sünde mit Sünde – um aus Sünde zu befreien. Der Gott des Johannes Braun 130 Rist, Kreutz= Trost= Lob= und DanckSchuhle, S. 48. 131 Lateinisch, mit Exodus 5: »Cum duplicantur lateres, venit Moses.« Zu deutsch: »Werden die Ziegel verdoppelt, kommt Moses zu Hilfe.« Das meinte: Wo immer ein Pharao unerträgliche Lasten auferlegte, schickte Gott seine Retter und Helfer, um aus Exil und Gefangenschaft zu befreien. In der alttestamentarischen Erzählung ist die Verschärfung der Arbeitsbedingungen in der Ziegelherstellung für den ägyptischen Pharao der Auslöser dafür, dass Moses mit der Rettung Israels beauftragt wird (vgl. Exodus 6). Die Redensart findet sich in der zeitgenössischen Flugblattpublizistik, etwa zur Begrüßung des schwedischen Eintritts in den Dreißigjährigen Krieg: Cum duplicantur lateres venit Moses, Wenn man die Zigel duplicirt So kompt Moses vnd Liberirt, in: Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Die Sammlungen der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt, hg. v. Wolfgang Harms / Cornelia Kemp, Tübingen 1987, S. 200. Vgl. dazu Silvia Serena Tschopp, Heilsgeschichtliche Deutungsmuster in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges. Pro- und antischwedische Propaganda in Deutschland 1628 bis 1635, Frankfurt a.M. u. a. 1991 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 29), S. 131 – 134. Außerdem wird das Sprichwort in chronikalischen und autobiographischen Texten zitiert: Happe, Chronicon Thuringiae, Teil I, Bl. 33v. Siehe darüber hinaus Derschow, Wetter= vnd WasserSpiegel, Vorrede [S. 6]. 132 Näheres zur Verzweiflung oben in Kap. 4.5.
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zeigte sich dort, wo er unsichtbar zu sein schien, im Verborgenen; er war ein deus absconditus. »Sieh doch«, so Braun, »wie gottlos diese so unangenehmen und nutzlosen Kuckuckskinder sind, die sich geradezu verschworen haben, das arme Volk auszurotten, und ihren Quartiergebern den frevelhaften Dank erweisen, ihre Häuser erst auszuplündern, um sie anschließend in Flammen aufgehen zu lassen, schlimmer als die Feinde es taten. Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Mensch so sehr jeden Sinn für Menschlichkeit verlieren kann, dass er derartiges zu unternehmen wagt, wenn ihn nicht die gerechteste Rache des erhabenen Gottes für die Verbrechen der Menschen entflammt hätte, der, in aller Regel, mit Feuer, Schwert, Raub und anderem Unglück seine ungeniert frevelnden Verächter straft, was wir zu unserem Schaden schon lange und ausführlich erfahren.«133
So unmenschlich schien Braun die Gewalt der Soldaten, dass sie nur eine göttliche sein konnte; sie war so ungerecht, dass sie sich ihm allein aus Seiner Gerechtigkeit erklärte. Die Gewalt der Feinde sanktionierte die Sünden derer, die sie erlitten, gerade auch insofern sie in die Versuchung einer Verzweiflung führte, die das Seelenheil in höchste Gefahr bringen musste. Gott stürzte in die Sünde der Desperation, um aus ihr erretten zu können, das »arme Volk«, aber prinzipiell auch seine Seelsorger. Vor diesem Hintergrund belegen Brauns Hinweise auf den Vertrauensverlust der Bevölkerung nicht reale Zweifel an der göttlichen Gerechtigkeit, sondern deren Missbilligung durch den Verfasser. Der beschriebene Zweifel, sei es der eigene, sei es der der anderen, ist nicht mentales Ereignis, sondern Bestandteil eines Textes. Im Kontext theologischer Paradoxa der Zeit war die Verunsicherung die Grundlage ihrer Aufhebung, Beseitigung und Überwindung. Der Zweifel erschien als Teil des Unglaubens in der Welt, den es brauchte, damit christlicher Glaube nicht nur sichtbar, sondern überhaupt erst möglich wurde; die Gerechtigkeit bedurfte der Ungerechtigkeit, um sich an ihr bewähren zu können.134 Und so präsentierte Johannes Brauns Hinweis auf die Schwäche der anderen in erster Linie dessen eigene Festigkeit und Stärke.
133 Braun, Ephemerides, S. 104: »Vide quæso ingratissimorum cuculorum impietatem, qui ad excindendam miseram plebeculam quasi conjurantes suis hospitibus hanc sceleratam gratiam reponunt, ut prius ædium penetralibus direptis, post flammis etiam exurant, ausu plus quam hostili. Nunquam equidem putarem, hominem adeý omnem humanitatis sensum exuere posse, ut talia auderet, nisi justissima Numinis Divini vindicta ob mortalium scelera inflammatus, qui ferro[,] flammis, latrociniis, aliisque cladibus intemerÀ delinquentes sui contemtores solet ut plurimum animadvertere, quod nos nostro damno jam diu abunde experimur. Hanc mortalium cladem coeli tempestas sapientioribus portendere visa est.« Vgl. S. 101: Dort wird die extrema desperatio neben der impietas in Deum als eines jener Laster der Soldateska angeführt, die sie »in das Los des Soldatendienstes herabgestoßen« hatten. 134 Zu Unglaube und religiösem Zweifel vgl. Martin Scharfe, Über die Religion. Glaube und Zweifel in der Volkskultur, Köln 2004; Lucian Hölscher, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 83 – 87. Speziell zur Blasphemie, die die
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Vor diesem Hintergrund wiederum verwundert es nicht, dass auch in der Gerstettener Familienbibel die berichtete Leugnung der Existenz Gottes keineswegs das letzte Wort war : »Der Benckheler«, so fuhr der Schreiber fort, »der Heinzmann, ich und einer von den Fremden taten uns heint zusammen, ob wir nicht ein paar zerfallene Häuslein könnten wieder wohnbar machen. Die andern sagen all, es sei ja kein Fried, die Kriegsvölker kämen sicher wieder, es sei alles ohne Nutzen. Wir aber glauben, daß Gott uns nicht verlassen hat. Wir müssen jetzt alle beisammen stehen und Hand anlegen, inwendig und auswendig«.135 Implizit distanziert sich der Verfasser auch hier ; der Glaubensverlust, den er beobachten muss, ist der der anderen. Zwar hält er ihn für verständlich, denn niemals sei »so etwas vor uns geschehen«, doch ist er nicht sein eigener. Dies ist nicht, wie Johannes Burkhardt meint, »Volkes Stimme […], Gott möge, so es ihn gebe, der Menschen nicht länger spotten«.136 Dass viele sagten, es sei wohl kein Gott, zeigte dem Schreiber, wie verkehrt die Welt und wie gottlos die Menschen geworden waren; es verwies ihm auf die Erfolge des Teufels in einer besonders schlimmen Zeit – und darauf, dass er nicht das letzte Wort haben würde. Die Randnotiz der schwäbischen Hausbibel macht zwei verschiedene Aussagen: Die Neuartigkeit des Leidens und die aus ihr gefolgerte Nichtexistenz Gottes werden nicht von denselben Sprechern behauptet; der Bibeleintrag setzt sie logisch nicht gleich. Die erste Bemerkung schließt den Verfasser ein, die zweite nicht. Vor diesem Hintergrund wurde hier das Bild einer in göttlicher providentia und Exemplarizität gegründeten Geschichte durch die Betonung der Novität (novitas) und Außergewöhnlichkeit des Geschehens keineswegs in Frage gestellt.137 Existenz Gottes nicht in Frage stellte, sondern voraussetzte, vgl. v. a. Loetz, Mit Gott handeln, und Schwerhoff, Zungen wie Schwerter. 135 Zit. nach Lahnstein, Leben im Barock, S. 27. 136 Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 238, übernimmt – und verändert – mit dieser Formulierung die Worte des Pfarrers von Ensingen Mitte der 1630er Jahre: »Und hat es leider bei vielen das Ansehen, daß sie ohne Gott, ohne Wort, ohne Glauben, Hoffnung und Vertrauen zu Gott ex desperatione [aus Verzweiflung] wie das Vieh leben und sterben. Gott wölle sich endlich des grausamen Elends erbarmen und unseres Unglücks nit spotten oder lachen«. Zit. nach Klaus Schreiner, Die Katastrophe von Nördlingen. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Folgen einer Schlacht für Land und Leute des Herzogtums Württemberg, in: Frieden ernährt – Krieg und Unfrieden zerstört. 14 Beiträge zur Schlacht bei Nördlingen, hg. v. Dietmar-H. Voges, Nördlingen 1985 (Jahrbuch des Historischen Vereins für Nördlingen und das Ries 27), S. 39 – 90, hier 67. Auch diese Beschreibung jedoch distanziert sich von dem, was sie beschreibt; sie beklagt und betrauert die »große Unbußfertigkeit, Bosheit, Verachtung Gottes und seines Wortes« in der Gemeinde (S. 67). So waren das Problem am Ende nicht göttlicher Spott und göttliches Lachen, sondern diejenigen, die darüber verzweifelten. Diese Aussage suggeriert gerade nicht, dass es Gott möglicherweise gar nicht gibt, und so impliziert sie auch keinen »Zweifel an der Geschichtsmächtigkeit Gottes« (Schreiner, Katastrophe, S. 46). 137 Durch den Hinweis, es handele sich um ein »historisches Ausnahmeereignis« (Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 242 f.), geschah dies ohnehin nicht, konnte die Au-
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Die Beschreibung des fundamentalsten aller Zweifel war unmöglich ohne die textuelle Distanzierung vom Beschriebenen. Weitere Bestätigung findet diese Interpretation durch die Chronik des katholischen Klarissinnenklosters im badischen Villingen: durch das Denckhbüechlin von allerlei sachen, in dem die Ordensschwester und Äbtissin Juliana Ernstin von der Belagerung der Stadt durch die württembergischen Truppen im November 1632 berichtet. Die Verfasserin schreibt nicht allein von den »grossen Angsten vnd Netten« der Ordensschwestern, von eigener »grosser Forcht« und dem eigenen »grossen Schreckhen«;138 sondern sie beobachtet auch die andere Konfessionspartei. Die Äbtissin notiert die publizistische Apotheose Gustav Adolfs, des gottgesandten Retters in der Not, die selbst einige Protestanten provozierte139 und natürlich umso schärfere Kritik der Katholischen hervorrufen musste. Etliche Menschen, so die Chronistin, hatten den Schwedenkönig »vir Gott erkent vnd ihre Kinder ihns Schwede Nahmen nidergesegnet vnd nidergelegt. Die altten Litt haben Zaichen getragen wie mir Applaszaichen haben vnd haben vnssers lieben Herren Namen in das Schweden Namen verendert vnd gesagt: der Schwed sol helffen Gott kind nima helffen; Gott hab kain Volk me[hr]«.140 Dies, so suggeriert der Text, konnte nur sagen, wer keinen Gott hatte. Der Frevel der Vergöttlichung erwies die Verzweiflung als menschlicher Hybris geschuldet. Die desperatio der anderen stellte die Gerechtigkeit der eigenen Sache unter Beweis: Wer sich in die Verzweiflung treiben ließ, hatte es offenbar nicht anders verdient. Und das heißt auch hier : Der Bericht von denen, die zweifelten an der göttlichen Zuwendung, wandte sich nicht von Gott ab, sondern von denen, die Gott den Rücken gekehrt hatten: von den Zweifelnden, den Ungerechten, nicht von den Gerechten.141
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ßergewöhnlichkeit doch gerade mit Hilfe biblischer und antiker exempla betont werden – etwa im Falle der auch von Burkhardt (S. 240 f.) angesprochenen Zerstörung der Stadt Magdeburg. Vgl. dazu Hans Medick, Historisches Ereignis und zeitgenössische Erfahrung: Die Eroberung und Zerstörung Magdeburgs 1631, in: Zwischen Alltag und Katastrophe, hg. v. dems. / von Krusenstjern, S. 377 – 407. Karl J. Glatz, Ein gleichzeitiger Bericht über das Wirtembergische Kriegsvolk vor der östreichischen Stadt Villingen vom Jahre 1631 bis 1633, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte 1 (1878), S. 129 – 137, hier 132 (Bl. 42b), 134 (Bl. 46a), 135 (Bl. 47a), 136 f. (Bl. 48b – 49a). Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 56 ff. Glatz, Bericht, S. 130 (Bl. 39b). Ein letztes Beispiel: die Aufzeichnungen des lutherischen Pfarrers Johannes Plebanus, zit. nach Ernst Friedrich Keller, Die Drangsale des Nassauischen Volkes und der angrenzenden Nachbarländer in den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, seine Helden, Staatsmänner und andere berühmte Zeitgenossen. Ein Beitrag zur inneren Geschichte jener Zeit, nach archivalischen und andern Quellen bearbeitet, Gotha 1854, S. 286: Wenn »dieses Elend«, so Plebanus, »die Gottlosen allein betroffen, die Gott den Herrn nicht erkennen, so wäre solches weniger zu verwundern, aber daß auch die Frömmsten die grausamste Pein leiden, daß sie ihre Habe plündern, Weib und Töchter schänden, sie niederhauen oder Haus und Hof verbrennen und in die Asche legen, ihre Kirchen und Gotteshäuser sich nehmen, ihre evangelischen Lehrer verjagen und vertreiben sehen und solche Plag und Qual dulden
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Dieser Befund lässt sich bestätigen, wenn zwei weitere Problemaspekte analysiert werden, die Burkhardts Befunde zunächst zu unterstützen scheinen. Der erste ist die Angst, deren vermeintliche zeitgenössische Verbreitung das Störfall-Theorem als Erklärung heranzieht. Zahllos sind die Beschreibungen von Furcht und Schrecken im Angesicht der Gewalt. Nicht die Gewalt der Soldaten, sondern die Furcht vor ihr machte in den Augen vieler das außergewöhnliche Leiden und die eigentliche Gewalt dieses Krieges aus. Sie, nicht die Gewalt, die sie fürchtete, wurde in Selbstbeschreibungen mit Verzweiflung in Verbindung gebracht.142 Der zweite Aspekt ist jener Topos, der das außergewöhnliche historische Ausmaß dieser Angst mit dem regelmäßigen Hinweis auf deren »Unaussprechlichkeit« und »Unbeschreiblichkeit« auszusprechen und zu beschreiben suchte. Dieser Topos vollzog die größtmögliche rhetorische und sprachliche Steigerung, indem er das Beschriebene in den Rang des Unvergleichlichen und Unüberbietbaren erhob. Auf diese Unaussprechlichkeit hinzuweisen sahen sich zeitgenössische Autoren und Autorinnen nicht zuletzt dadurch veranlasst, dass in den gewaltsamen Auseinandersetzungen des Dreißigjährigen Krieges die Ordnung der Konfessionen einzubrechen begann; tradierte Zuschreibungen und Abgrenzungen wurden allseits fragwürdig (und wo fundamentale Gewissheiten schwanden, wuchs die Furcht): Die Freunde, kaum einer der Berichte versäumt es zu betonen, erwiesen sich als schlimmer als die Feinde, Christen waren ärger als der Erzfeind aller Christen, als »Türken und Tartaren«. Über dieses Motiv ist die Unaussprechlichkeit der Furcht unmittelbar an jene Erschütterung der bisher »konfessionell so konsolidiert erscheinende[n] Religiosität« gekoppelt, die, als eine eigene Krise, mit der »ersten Krise des frühneuzeitlichen Zeit- und Geschichtsbewusstseins« assoziiert ist.143 Sammelt man die Kriegsnachrichten von »unbeschreiblicher« Furcht und Angst, so scheinen die für eine derartige Krisenhaftigkeit angeführten Evidenzen nur die müssen, daß selbst die Steine sich erbarmen möchten, – fürwahr das kann nicht Jeder mit Gottes weisen Fügungen reimen. Indem nun kein Aufhören zu merken, sondern je länger, je mehr Elend und Jammer zu befürchten, wie der Augenschein gibt, so ergeben sich leicht die Leut’ in allerlei schwermüthige Gedanken, daß sie nicht wissen, ob sie Gottes Providenz und Regierung seiner Kirchen ferner glauben oder daran zweifeln wollen? Ob sie der evangelischen Lehre beständig bleiben oder davon abfallen und sich zum Gegentheil schlagen wollen?« Auch Plebanus weiß derartigen Zweifel zu beheben, im Vertrauen auf eine weise, wenn auch für den menschlichen Verstand nicht immer durchschaubare göttliche Vorsehung. In ihr sucht und findet er Trost in einem »Jammer, Ruin und Verderben […], dergleichen fürwahr unsere Voreltern in das zehnde und mehr Glieder hinaufwerts nicht erfahren haben« (S. 267; auch S. 276, 279). 142 Jedoch war mit dieser »Verzweiflung« in aller Regel nicht ausdrücklich der Zweifel an der Existenz eines gütigen Gottes gemeint. Der Zweifel daran, dass Gott aus dem Leiden befreien würde, bezweifelte zunächst die je eigene Errettung und nicht die Existenz eines Retters. Dieser Zweifel wurde zur »Verzweiflung«, wenn er das Ausbleiben der Errettung als göttliches Verdammungsurteil fasste. 143 Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 238.
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Spitze des Eisbergs. Jedoch sind aus ihnen andere Schlüsse zu ziehen, wenn sie mit den Instrumentarien einer historisch-kulturellen Semantik analysiert werden, als Semantik zunächst der Unaussprechlichkeit und dann – und vor allem – von Furcht und Angst. Wie der lutherische Pfarrer Wolfgang Ammon144 und der Zisterziensermönch Sebastian Bürster145 musste so mancher Autor gestehen, dass er im Angesicht des Leidens lieber geschwiegen hätte als gesprochen. »Was für abscheuliche Schandtaten die Schweden als Feinde ausgeübt«, so der lutherische Advokat Johann Georg Maul, »das läßt sich nicht genug beschreiben, und es ist besser, man schreibt nichts davon auf, als daß man die Nachwelt damit ärgert.«146 Dem katholischen Schlosspfleger Felix Guetrater waren »die etlich Ja[h]r hero ausgestandne Unglick widerwertig zue gedenken, dass ich wegen der neuen Unhail gleichsamb schier die Föder nicht ansözen mag«;147 dem Zisterziensermönch Conrad Burger war es »zue verdrüßlich«, »Leib und Lebensgefahren, […] Hunger, Durst, Hiz und kälten […] alle zue beschreiben«.148 Und Athanasius Kircher: »Wie viel Gelegenheit zur Erduldung von Ungemach um seines Namens willen mir der gütige Gott auf diesem Weg [nach Mainz und Speyer] geboten hat, dies, wie so vieles andere, übergehe ich lieber.«149 Die Erinnerung an vergangene Leiden konnte eine Qual sein, nicht allein für die Leser, sondern zunächst und vor allem für die Schreiber selbst. Doch dies konnte sie nicht daran hindern zu sprechen; auch Kircher hatte schon von so manchem Schrecken berichtet, als er vorgab zu schweigen, und tat es auch weiterhin. Erinnerung, so schmerzhaft sie auch sein mochte, tat not – damit das Leiden, das sie erinnerte, sich nicht wiederholte. Diese Autoren wären am liebsten verstummt, doch sie taten es nicht, weil sie es nicht durften (und weil die Erinnerung noch immer leichter erträglich schien als das Erinnerte)150. Der Erinnerung stand somit kein Unwille 144 Selbstbiographie des Stadtpfarrers Wolfgang Ammon von Marktbreit († 1634), hg. v. Franz Hüttner, in: Archiv für Kulturgeschichte 1 (1903), S. 50 – 98, 214 – 239, 284 – 325, hier 87. 145 Bürster, Beschreibung, S. 87. 146 Hoppe, Johann Georg Mauls Diarium, S. 7 f. 147 Franz Martin, Das Hausbuch des Felix Guetrater 1596 – 1634, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 88/89 (1948/49), S. 1 – 50, hier 34. 148 Burger, Itinerarium, Cicerstienser-Chronik 43, S. 129. 149 Kircher, Vita, Bl. 32r : »quantam verý hoc in itinere benignissimus Deus malorum pro eius nomine sustinendorum materiam obtulerit, uti mille alia lubens omitto.« e e e 150 Andreae, Fragment, S. 6: »Doch wollen wir unsere Ungluksfalle erzahlen, da es ungleich e e leichter ist, sie zu horen, und zu lesen, als es uns fallt, sie zu ertragen.« Lat.: Threni Calvenses, S. 6: »Nunc tamen mala nostra recitare liceat, quando facilius audiuntur, & leguntur, quam nobis perferuntur.« Manchen gar wurde die Erinnerung, angesichts der Abwesenheit des Erinnerten, zu einer ausgesprochenen Lust. Vgl. aus der Nachkriegszeit die Turmknopfnachricht des Kirchners Johann Strahm aus Ostheim vor der Rhön (1657): »Praeteritorum malorum recordatio jucundissima est.« (»Höchst angenehm ist die Erinnerung an vergangene Leiden.«) Der Text ist ediert in Karl Zeitel, Die kirchlichen Ur-
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entgegen, nicht ihre Unerträglichkeit, sondern ihre Unmöglichkeit; entscheidend war, dass sich das Leiden »nicht genug beschreiben« ließ.151 Die Autoren schwiegen nicht, meinten aber das, was sie sagen wollten, nicht hinreichend artikulieren zu können. Diese Unfähigkeit war kein Verstummenmüssen im Angesicht unhintergehbarer Subjektivität und Individualität, weder im epistemologischen noch im moralischen Sinne. Denn die Semantik von Unaussprechlichkeit und Unbeschreiblichkeit zeigt, dass sich das Problem nicht als ein qualitatives, sondern als ein quantitatives darstellte. So wurden regelmäßig mündliche Artikulation und schriftliche Aufzeichnung unterschieden und hierarchisiert. Das Leiden, so schien es, konnte nicht nur nicht hinreichend erinnert und ausgesprochen werden: Noch schwieriger war, es aufzuschreiben.152 Bei aller Topik der Phrase – beides ist offensichtlich nicht dasselbe. Noch deutlicher wird dies in der Begründung der Unterscheidung. Das ganze Ausmaß der Gewalt zu erzählen, bedurfte zu viel der Zeit,153 es niederzuschreiben dagegen, zu viel des Papiers; kein Buch auf Erden wäre in der Lage gewesen, es zu fassen.154 Wenn das Problem der Unbeschreiblichkeit bei der schriftlichen Vermittlung noch gravierender gegeben war
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kunden im Kirchturmknopf der Michaeliskirche in Ostheim v. d. Rhön. Ein Blick in die Kirchen-, Schul- und Kulturgeschichte der Stadt Ostheim v. d. Rhön, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 19 (2004), S. 219 – 282, hier 233 – 239, zit. 233 (Bl. 1r). Vgl. die abweichende erfahrungsgeschichtliche Interpretation von Hans Medick, der auf Strahm aufmerksam gemacht hat: Hans Medick, Der Dreißigjährige Krieg als Erfahrung und Memoria. Zeitgenössische Wahrnehmungen eines Ereigniszusammenhangs, in: Der Dreißigjährige Krieg, hg. v. Hartmann / Schuller, S. 158 – 172, hier 164 (engl.: The Thirty Years’ War as Experience and Memory : Contemporary Perceptions of a Macro-Historical Event, in: Enduring Loss in Early Modern Germany : Cross Disciplinary Perspectives, hg. v. Lynne Tatlock, Leiden / Boston 2010 [Studies in Central European Histories 50], S. 25 – 49). Entsprechende Aussagen finden sich auch in der Zeit der Türkenkriege des späten 17. Jahrhunderts, insbes. im Tagebuch Balthasar Kleinschroths; dazu unten Abschnitt 3. Siehe auch Andreae, Autobiographie, Buch 5, S. 410/411: »Mehr füge ich jetzt nicht hinzu [zum Tod des Freundes Wilhelm von Wense], […] durch den Schmerz gehindert«. Und Buch 8, S. 158/159: »Ach, mit welchem Widerwillen schreite ich zur Schilderung der Ilias von Leiden, die ich in diesem vierten Jahre meines Kerkers [1653] erduldete«. Junius, Verzeignuß, S. 221. Martin, Hausbuch des Felix Guetrater, S. 17: »Was ich auf diser Rais, als ich gar allein geritten, wegen der Schneegwän und Wölffen underschidlich ausgestanden, derff ich vil Zeit zu beschreiben.« Heberle, Zeytregister, S. 121, 159. Vgl. dazu Andreas Merzhäuser, Das ›illiterate‹ Ich als Historiograph der Katastrophe: Zur Konstruktion von Geschichte in Hans Heberles »Zeytregister« (1618 – 1672), in: zeitenblicke 1 (2002), Nr. 2, URL: http://www.zeitenblicke.historicum.net/2002/02/merzhaeuser/index.html [31. 12. 2012], S. 7, der jedoch hinter der »numerischen« Ordnung der Beschreibung eine »versteckte Subjektivität« von Heberles »eigener Erfahrung« (S. 15) der »Katastrophe« aufspüren zu können meint. Zum »Zählen und Rechnen« in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung vgl. auch Repgen, Über die Geschichtsschreibung, S. 3 – 19, zit. 17.
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als bei der mündlichen, handelte es sich um eine Frage von räumlicher und materieller Kapazität. Und so betraf es auch ein drittes Artikulationsmedium neben Stimme und Schrift: Das Leid dieses Krieges, das »nicht gnugsam zu beschreiben« war, war auch nicht »mit trenen zu beklagen«.155 Es war eine Frage der Zahl und der Menge: der Tränen, der Blätter, der Tinte, der Worte. Sebastian Bürster brachte es gleich einleitend auf den Punkt: »[V]illeicht dier diser tractat zue leßen möchte molest, überlästig und maßlaidig sein und sprächen, seye nur lappen und narren werk; sag ich ja darzue, weylen eß in kain rechte ordnung, schönen stilum und alleß wohl und außfüerlich gestelt, gesezt und eingebracht, und also auß so vil taußenden, hundert und aber vil hundertmal taußenden quasi nihil et tantum aliquid est. Dann wer wolte so viler böser buoben alle ihr böse buobenstück und böse bossen haben könden beschreiben, deren nun jezo uber die 20 jahren hero so vil 1000 und abermalen vil 1000 taußend allhie an dem closter hero in allen machen und durchzüg füruberzogen. Ich hette nit zeit und weil, federen und dinten noch papeyr gnuog ufftreiben oder bekomen kenden; so ist auch der hunderste und noch mehr thail mier nit zue wüssen worden; allain schreibe ich diß, damit der leßer (über noch vil jahr hernacher, so man on disen undergleichen sachen würd reden oder darvon wird hören sagen, durch leßen diß) auch etwaß darzuo oder darvon wüsse zue sagen und nur ain wenig etwaß desselben erkantnuß und wüssenschaft haben möge.«156
155 [Johannes Cervinus,] Wetterfelder Chronik. Aufzeichnungen eines luth. Pfarrers der Wetterau, welcher den dreißigjährigen Krieg von Anfang bis Ende miterlebt hat, hg., erkl. und erl. v. Friedrich Graf zu Solms-Laubach / Wilhelm Matthaei, Gießen 1882, S. 56. Andreae, Autobiographie, Buch 4, S. 296/297: »Den übrigen Sturm, der Württemberg verheerte, wer könnte ihn beschreiben, wer mit Strömen von Tränen genug beweinen?« Lat.: »Reliquam agri huius Würtembergici tempestatem et cladem quis fando explicet? Quis lacrymarum flumine satis deploret?« Und Buch 8, S. 152/153: »Welcher Strom von Thränen aber mag den Schmerz genügend abwaschen, den in mir zu Recht die Furcht wegen des Unglücks erweckt, das über dem Nacken unserer Nachkommenschaft schwebt.« Lat.: »Ecquis vero imber lacrymarum satis eluat dolorem, quem ex metu calamitatis posteritatis nostrae cervicibus incumbentis merito concipimus«. Darüber hinaus konnten Tränen als eine Form fungieren, der (religiösen) Trauer schweigenden Ausdruck zu verleihen. So notierte der Benediktinermönch Veit Höser zur gewaltsamen Einführung der reformatorischen Lehre durch Herzog Bernhard von Weimar in Regensburg: »de qua abominatione libet potius plangere quam scribere.« (»Über diesen Greuel möchte man lieber weinen als schreiben.«) Veit Höser, Peregrinationis, Durante per inferiorem Bauariam, Weimmariana persecutione !p¹ t[oO] t_m )sj/tym )ktaiwij_m Joimobi²qw[oO] exantlatæ, periocha, BSB Ms. Clm 1326, 2. St., Bl. 1r. Übersetzung aus dem Lateinischen hier und im Folgenden von mir. Allzu salopp und begrifflich ungenau ist die Übersetzung von Rupert Sigl, Wallensteins Rache an Bayern. Der Schwedenschreck. Veit Hösers Kriegstagebuch, Grafenau 1984, S. 83 – 171. Vgl. auch Bätzing, Auszüge, S. 122. 156 Bürster, Beschreibung, S. 1 f. Der Hinweis auf die Feder findet sich auch bei Ramsler, Lebenserinnerungen, S. 24: Es »kan gewißlich die ohnerträgliche Müeh, Gefahr, Plünderung, Angst und Schrecken, so er [Ramslers Vater] dabey neben der Mutter biß in das 1640te Jahr erlitten, mit keiner Feder beschrieben werden«. Siehe außerdem Lorenz Heiligensetzer, »… wie wol ich von natur schamhafft und forchtsam geweßen bin«. Zur
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Was für die Beschreibung gilt, auch das ist hier zu entnehmen, gilt ebenso für das Beschriebene: Es war zählbar, nicht anders als Todesfälle und materielle Schäden157 (und ließ sich doch nicht zählen). »Vom Elend dieses Jahres«, versicherte der lutherische Theologe Johann Sebastian Mitternacht, »wollte ich wol ein gantzes Buch schreiben/ so weiß ich auch die Ungewetter nicht zu zehlen/ die mich troffen haben« (und gemeint waren nicht Blitz und Donner).158 Nicht zu beschreiben war, was »alles« geschah,159 »wie oft«,160 »wie viel«.161 Die Unbe-
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Darstellung von Gefühlen in Pfarrer-Autobiographien des 17. Jahrhunderts, in: Von der dargestellten Person, hg. v. von Greyerz / Medick / Veit, S. 169 – 182, hier 171. Vgl. darüber hinaus den Bericht Agnolos di Tura von der Pest in Siena Mitte des 14. Jahrhunderts: »Tatsächlich starb man auf so unheimliche, furchtbare und schreckliche Weise, daß es keine Feder gab, die Lage zu beschreiben.« Zit. nach Bergdolt, Die Pest, S. 42. Andreae, Autobiographie, Buch 4, S. 308/309: »Die Zahl meiner verstorbenen Verwandten und Freunde kann kaum ein Verzeichnis aufnehmen. Doch will ich einige wenige aufzählen«. Und Buch 6, S. 62/63: »Wie viele Freunde ich in diesem einzigen Jahr verlor, könnte dieser Bogen kaum fassen.« Siehe auch Buch 4, S. 324/325. Bätzing, Auszüge, S. 118: Wir »haben großen Schaden gelitten im Lande an Leib, Ehren, Vieh, Fahrnis, Fruchtversäumung und dergleichen mehr, daß es nit all kann gerechnet oder gezählt werden.« Wirth, Johann Sebastian Mitternacht, S. 50. Und so beginnt der Verfasser aufzuzählen (in seinem Lebens-Lauff ebenso wie in seinem gedruckten Gebetbuch): »Nur dieses Jahr ist über mich gegangen das Todeswetter/ welches meyn erst und einzig Ehepfläntzlein abgebrochen und in die Erde verscharret. Ehe ich von dies Ungewetter begunte zu drükken/ überfiel mich das Plünderungs wetter/ da ich gantz und gar umb das Meyne kommen/ daß ich auch nicht einen Brodts behalten/ den ich ins Elend/ darein ich ziehen mußte/ hatte mitnehmen können/ da brauset daher das Krankheiten Wetter/ das warff mich durch ein hitziges Fieber gantz ungestümmig darnieder/ und hatte mit mir vor Abends außgemachet/ wenn Gottes Hand/ darinnen meine Zeit stehet/ nicht meine Hülffe geweßen wäre. Darauff schlägt es meyn liebes Weib auch darnieder/ daß wir beyd dalagen/ und keins dem anderen helffen konnte. Von welch wetter wir beyde noch nicht wieder gantz trokken worden sind. Mitunter stürmte das Schrekke Wetter/ denn indem wir da auff dem Dorff gelegen/ ist ein Einfall und Plünderung nach dem ander geschehen/ die mich allezeyt mit troffen/ und in meyner gefährlichen Krankheyt sehr erschrekket hat. Von dem Armuth Wetter will ich nichts melten/ denn unßer gantzes Feld dies Jahr verwüßtet und unbestellig bleiben muß.« Bürster, Beschreibung, S. 114; Burger, Itinerarium, Cicerstienser-Chronik 43, S. 129; Heberle, Zeytregister, S. 121; Junius, Verzeignuß, S. 154; Bätzing, Auszüge, S. 124; G. Sello, Eine Potsdamische Pfarrchronik aus der Zeit des großen Krieges, in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 20 (1883) (ND 1973), S. 207 – 234, hier 233; auch: Aus den Predigten des Pfarrers Hartmann Kreid (1636 – 1650), in: Die Chroniken von Friedberg, hg. v. Waas, Bd. 2, S. 1 – 25, hier 13. Christoph Crusius, Der Nieder=Lausitzische Methusalah, d.i. Denck= und Glaube wurdige Lebens=Beschreibung Eines Mannes, welcher zu Drehna unweit Luckau in der Nieder=Lausitz hundert und siebenzehn Jahr alt worden, wie solches in einem Auffere e baulichen Gesprach zwischen dem 147 Jahrigen Ertz=Vater Jacob Und den 117 Jahr alt gewordenen Martin Kaschken, Nebst der diesem Mann gehaltenen Leichen=Predigt und Parentation/ […] ans Licht gestellet hat M. Chr. C., Guben 1730, S. 138. Neben Bürster, Beschreibung, S. 1 f., und Kircher, Vita, Bl. 32r : Aus dem Kirchenbuch von Reichensachsen (und Langenhain) von 1639 – 1653. Mitgeteilt v. Walter Kürschner, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, N.F. 9 (1913), S. 48 – 55, hier 53. Daraus wird auch das vielfach serielle Verzeichnen und Protokollieren von Gewaltereignissen verständlich, etwa bei Happe, Chronicon Thuringiae, passim.
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schreiblichkeit erklärte sich daraus, dass für die Menge des zu Bezeichnenden keine äquivalente Menge an Zeichen zur Verfügung stand. Vor diesem Hintergrund sind auch jene Aussagen zu sehen, die zunächst nicht von Quantitäten, sondern von Qualitäten sprechen. Wenn es für den Prämonstratensermönch Georg Sautter »nit auszusprechen [ist], wie sie mich geschlagen und getrillet haben«,162 so beschreibt er die Handlung der Gewalt und nicht das Gefühl, das sie in ihm auslöst. Wenn Felix Guetrater berichtet: »Wie hart ich nun an seiner Ankunfft erschrocken und wie herzlich betriebt ich etlich Tag, doch ohne recht wissende Uhrsach gewest, kann ich nit genuegsamb erdenken will geschweigen beschreiben«,163 so skaliert er die Heftigkeit seiner affektuellen Reaktion und bringt nicht etwa ein subjektives Empfinden zum Ausdruck. Und noch einmal Sebastian Bürster : »[I]ch kan und weiß es schäuzlich und erschröcklich gnuog nit sagen noch schreiben; eß ist noch vil schäuzlicher und erschröcklicher, alß kain mensch ihme einbülden kan, geweßen«.164 Bürster fehlte eine hinreichende Anzahl an Worten des Schreckens. Bei Lorenz Ludolph schließlich findet sich eine signifikante Reihung: Wer »solchen zustand nicht selber gesehen und mit ausgestanden«, so der reformierte Pfarrer zunächst, »der glaubt nicht, was ich hier zu gedenken setze« – um wenig später aus seiner Leichenpredigt auf die 1642 verstorbene Sabine von Boyneburg zu zitieren: »quot, quae, quales, quantae s[ancti] Davidis afflictiones fuerint omnes, dici non potest.«165 (»Wie viele und welcher Art all die Anfechtungen des heiligen David gewesen sind, ist unmöglich zu sagen.«) Das »quales« ist chiastisch gerahmt von Quantitäten, an der Seite eines »quae«, das es eher in der Bedeutung des »was« erscheinen lässt denn als Hinweis auf eine sprachlich nicht repräsentierbare Innerlichkeit. Es war nicht so, dass sich nichts sagen ließ; es konnte vielmehr nicht genug gesagt werden. Wer sprach und schrieb, würde nie zu Ende kommen; und eben deswegen musste er jetzt damit beginnen.166 Sebastian Bürster und Lorenz Ludolph brachten noch einen weiteren Aspekt ins Spiel: die Einbildungskraft. Das Gewalterleiden des Dreißigjährigen Krieges 162 163 164 165 166
Sautter, Erzellung, S. 696. Martin, Hausbuch des Felix Guetrater, S. 32. Bürster, Beschreibung, S. 116. Aus dem Kirchenbuch von Reichensachsen, S. 53. So auch der Gymnasiallehrer und Pfarrer Christoph Krause in Bezug auf die Zerstörung Magdeburgs: »Was nun nit allein von den Crabaten und Wallonen, sondern auch von Deutschen für Muthwill und Tyrannei ist verübet worden, kann nicht genug beschrieben werden.« Julius Otto Opel, Denkwürdigkeiten des Gymnasiallehrers und Pfarrers Christopherus Krause in Magdeburg, in: Neue Mittheilungen aus dem Gebiet historischantiquarischer Forschungen 14/2 (1878), S. 313 – 384, hier 382. Im Anschluss folgt das aus zahlreichen zeitgenössischen Schilderungen bekannten Panorama des Schreckens. Siehe auch Burger, Itinerarium, Cicerstienser-Chronik 45, S. 114. Vgl. dazu Groebner, Menschenfett, S. 31.
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schien, wenn überhaupt einem anderen Menschen, dann allenfalls denen vorstellbar zu machen, die es selbst bereits erlebt hatten, das heißt: die einer vollständigen sprachlichen Vermittlung und Repräsentation nicht bedurften.167 Dies ist zu sehen vor dem Hintergrund eines Wandels von Evidenz- und Authentizitätskriterien, im Zuge dessen eigene »Erfahrung« und Augenzeugenschaft gegenüber Schrift und Tradition an Bedeutung für die Bewahrheitung von Wissen gewann; entscheidend jedoch ist, dass mit diesem Hinweis die unüberbietbare Steigerung des Ausmaßes veranschaulicht werden sollte.168 Und so gab es am Ende nur einen, der kannte, was denen, die es nicht schon kannten, nicht zur Kenntnis zu bringen war : Gott allein wusste, was jene, die hier schrieben, ausgestanden hatten.169 Die Semantik der Unaussprechlichkeit platzierte somit, was sie aussprach, nicht in einem außersprachlichen Innenraum des »Gefühls«, nicht in einem Arkanum der Person, sondern im Raum eines in Gott gegründeten Kosmos. Der Hinweis auf das »Unaussprechliche« wurde nicht gegeben, um vor dem Leiden zu verstummen, sondern um eine Sprache zu
167 So auch Andreae, Autobiographie, Buch 8, S. 158/159, wo er die Leiden beschreibt, die er im Jahr 1653 »erduldete, in dem ich, krank an der Seele und durch körperliche Qualen gepeinigt, erlitt, was nur einer, der auf die Inseln verbannt oder auf die Ruderbank oder in Bergwerke oder zum Kampfe in der Arena mit wilden Tieren verdammt ist, verstehen oder bemitleiden kann.« Aus dem Türkenkrieg: Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 251v : Es »weiß niemandt besser zu sagen, wo einen der Schuech trueckhe, alß der denselben anhat: Es glaubts keiner, waß ich ausgestandten, ich mach nit vill Wordt, aber was ich sag, das kann man mir glauben, vnd eß sieht mirs keiner an, was ich dise Zeit gelitten hab, ich förchte lauter, ich werde noch disen Schrockhen vnd die grossen Sorgen mit der Hauht bezallen müessen.« In Bezug auf die – »innere« – Anfechtung vgl. Rist, Kreutz= Trost= Lob= und DanckSchuhle, S. 48: »Glaube mir/ libe Seele/ daß die Grausahmkeit diser Ane fechtung kein Mensch recht kan verstehen/ noch von derselben vernunftig urtheilen/ es sei e e denn/ daß er das unvergleichliche Feur des gottlichen Zorns/ in seinem Hertzen selber e e gefuhlet/ und/ was der Grimm des Hohesten für ein scharffschneidender Pfeil in demselben e e e sei/ personlich habe erfahren/ von einem unverstandigen lasset sich dises weder ausschreiben/ noch aussprechen/ noch ausdenken.« Vgl. auch Ramsler, Lebenserinnerungen, S. 60: »Was ich in Paroxismis für Schmerzen müßen erleiden, kann niemand beßer wißen, als der auch von dießem grimmigen Affect geplaget worden.« 168 Auch vor dem Hintergrund dessen, dass diese »Erfahrung« im Rahmen einer göttlichen Vorsehung gemacht wurde. – Vgl. auch Frieseneggers Bericht von den Anfang 1634 in seinem Kloster einquartierten Soldaten (Friesenegger, Tagebuch, S. 44): »Was nach dem Abzug dieser sauberen Gäste im ganzen Kloster […] sowohl in den Zimmern, als Gängen, und Vorhöfen für Wust, Unrat, Graus, und Gestank gewesen, läßt sich aus dem, daß täglich nebst den Militärpersonen über die 1000 Menschen da wohnten, leicht etwas, aber nicht genug einbilden.« In Frieseneggers lateinischsprachiger Fassung des Tagebuchs (Ephemerides) ist dieser Satz nicht enthalten. 169 Haidenbucher, Geschicht Buech, Bl. 160 – 162, 165; Staiger, Verzaichnus, Bl. 189; Wirth, Johann Sebastian Mitternacht, S. 49 – 51, hier 50. Um Mitternachts »unaussprechliche« Leiden wussten darüber hinaus die »alten Inwohner oftgedachtes [s]eines Vaterlandes«, ja »fast gantz Thüringen« (S. 49 f.).
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finden. Die Semantik der »Unsagbarkeit« war keine rhetorische Pathosformel,170 kein mystisches Schweigen171 und auch nicht aus einem traumatischen Furchterleben geboren.172 Sie war, mit anderen Worten, keine Aussage über das Wesen sprachlicher Zeichen, nicht die Behauptung ihrer repräsentationslogischen Defizienz: Sie bestritt der Sprache nicht die Fähigkeit, die Wirklichkeit überwältigender Affekte abzubilden; sie konstatierte vielmehr, dass kein menschliches Buch groß genug sei, um all das Leiden zu verzeichnen. So stellte die Aufzeichnung des Unsagbaren einen Beitrag zur »himmlischen Buchführung« dar : den Versuch, so viele Zeichen als möglich in den liber memoriae einzuschreiben, um ihn der Nachwelt einst zur Lektüre vorzulegen.173 Hier war nicht das Ende des Schreibens erreicht, sondern erst sein Anfang gemacht. Vor diesem Hintergrund verwies die bisher ungekannte »Unaussprechlichkeit« von Furcht und Angst nicht auf eine Ungerechtigkeit des gerechten Gottes, sondern auf die seiner Geschöpfe. Diese Semantik stellte die Existenz Gottes nicht in Frage, sondern bestätigte sie. Ihre paradoxe Struktur reflektiert die konzeptuellen Paradoxien eines liebend strafenden und strafend liebenden Gottes, von dem gesprochen werden musste und doch nicht gesprochen werden konnte. Wenn Lorenz Ludolph die Leichenpredigt mit den Worten beginnen lässt, es sei nicht zu sagen, wie sehr und womit David angefochten wurde, so bezieht er sich auf den Gesang des 22. Psalm (Vers 16 – 18); der beginnt mit der Klage, die Christus am Kreuz zitieren sollte: »Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.« Die »Unsagbarkeit« steht nicht beim Psalmisten; sie war das Unheil dieses Krieges. Aber auch sie verließ nicht den Rahmen des göttlichen Wortes. Die Texte Geistlicher und Gebildeter zeigen es ebenso wie bäuerliche Chroniken:174 Dass den Zeitgenos170 Dazu Benthien, Barockes Schweigen. 171 Dazu aus systemtheoretischer Perspektive Niklas Luhmann / Peter Fuchs, Von der Beobachtung des Unbeobachtbaren: Ist Mystik ein Fall von Inkommunikabilität?, in: dies., Reden und Schweigen, Frankfurt a.M. 1989, S. 70 – 100. 172 Wer in den Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg eine »Traumatisierung« ausmacht, wie viele Historiker es tun, argumentiert mit dem Fehlen einer Rede, übersieht dabei die Struktur der vorhandenen Aussagen und setzt das, was er zu erweisen sucht, immer schon voraus. Was für die Weltkriege und den Holocaust im 20. Jahrhundert gelten mag, ist für das 17. Jahrhundert nicht ohne weiteres zu unterstellen. In Bezug auf den Holocaust vgl. Eviatar Zerubavel, The Elephant in the Room: Silence and Denial in Everyday Life, Oxford 2006, insbes. S. 5 – 8, 29, 40, 50, 57, 81. Zur Traumaforschung vgl. auch Wulf Kantsteiner, Menschheitstrauma, Holocausttrauma, kulturelles Trauma: Eine kritische Genealogie der philosophischen, psychologischen und kulturwissenschaftlichen Traumaforschung seit 1945, in: Handbuch der Kulturwissenschaften 3, hg. v. Jaeger / Rüsen, S. 109 – 138. 173 Zu den metapherngeschichtlichen Hintergründen der »himmlischen Buchführung« und ihrer Verbindung zur memoria siehe Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a.M. 21983, Kap, 3, insbes. S. 23 f., 30, zit. 23. 174 Siehe die Chronik des katholischen Bauern Caspar Preis: Bauernleben im Zeitalter des
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sen, wie sie sagten, die Furcht und die Gewalt des Dreißigjährigen Krieges in diesem Ausmaß bisher unbekannt waren, brachte keine bedrohliche Störung der historischen Regel, sondern neuen exemplarischen Aufschluss über sie: einen gänzlich neuen Hinweis auf die immer schon bekannte Sündhaftigkeit des Menschen. Furcht, als eine Gewalt, die schlimmer schien als die Gewalt, die sie fürchtete, war Strafe Gottes,175 bis zur Unaussprechlichkeit gesteigert angesichts unaussprechlicher, und das hieß: unzählbarer, Sünden.176 Sie war göttliche Sanktion Dreißigjährigen Krieges. Die Stausebacher Chronik des Caspar Preis 1636 – 1667, hg. v. Wilhelm A. Eckhard / Helmut Klingelhöfer. Mit einer Einführung v. Gerhard Menk, Marburg a. d. L. 1998 (Beiträge zur hessischen Geschichte 13), S. 46, 64 – 68 und 72 f.: »Nun bitte ich alle diejenige, so diese Geschicht lesen oder hören lesen, lautter und fleentlich umb Gottes Willen, das ihr doch wöllet ein wenig stielhalten und euch bedenken und besinnen, was doch wir arme Leuth erlitten haben. Es war Jamer, Angst, Noth und Hertzenleyd mit den armen Leuthen in der Zeit. Wir waren so gar geängstiget und verzaget, das uns auch ein rauschendes Blat verjaget. Und wie ich auch selbst etlich mal, wan der Wint stark hatt gewehet und die Schifferstein an der Kirchen geklabert haben, erschrocken sein und auch des Nachts etlich Mal aus dem Bett gesprungen und gemeinet, es ränten Reutter in dem Dorf. […] Alles Ungluck und alle Trübsall zu erzellen, ist in meinem Vermögen nicht, auch was ich schon weiß und gesehen habe. […] Es ist doch nicht zu sagen noch zu erzehlen, allen den Jamer, die Trübsal und das Hertzenleyt, das wir arme Leuth haben müsen leyden und ausstehen in achtzehen Jaren. Es glaubet es kein Mensch, dan die es erfahren haben mit grosem Schmertzen und Hertzenleyt. […] Ich sage unverhollen, es ist am Weltende. Es ist doch wetter Ehr, Lieb, Trauw noch Glauben mehr in dieser bösen betrugliche Welt. O lieber Herr Gott, kome nur balt und verhelfe uns alle zu deiner Glory und ewiger Seeligkeit. Amen. […] Ach, du treuer Gott, gedenke doch an das vorige Trangsall und alle Quellung, die wir in viellen Jahren erlitten haben. Siehe nicht an unser sündliches böses Leben, sondern erbarme dich unser und sey uns gnädig und barmhertzig und erstatte die vorige böse bluttige Krigsjahr wider mit deinem vätterlichen Segen, dan es ist ja ein gemein Sprichwort: ›Krig und Brand erfüllet Gott mit reicher Hand‹. Also geschehe uns auch, du lieber Gott, dan ich meine ja, wir haben erlitten Krig und Brand, das weistu lieber Herr und Gott am besten wohl«. Zur Metapher des rauschenden Blattes siehe oben Kap. 3.4. 175 Zu der der Furcht selbst eigenen affektuellen (Straf-)Gewalt kam erschwerend hinzu, dass ihre Omnipräsenz in Kriegszeiten christliche Begräbnisse verhindern konnte. So notierte der Schulmeister und Aushilfspfarrer Gerlach (Das Tagebuch des Schulmeisters Gerlach in Albertshausen 1629 – 1650, hg. v. Hans Zimmermann, Würzburg 1924, S. 25, 33): »12. Febr. [1638] große Furcht vor den Croaten, sodaß man einen alten Mann nicht ehrlich begraben konnte, sondern in Burgholz zu Albertshausen verscharren mußte. […] 26. Mai [1647] Pfarrer Simonis in Würzburg, wo er sich der Kriegsgefahr halber aufgehalten, gestorben. Die Leiche nach Üngershausen geführt und dort zur Erde bestattet. Leichenpredigt nit gehalten wegen großer Furcht vor dem Kriegsvolk.« Der Pfarrer von Besse berichtete im dörflichen Kirchenbuch von der Ermordung seines Paten, »welchen die Crobaten am 11. Maji [1637] den Kopf mit ein Säbel voneinander zerhauen haben und ist damals aus Forcht und Gefahr des Feindes ohne Gesang und Klang begraben worden 13. Maji«: Bätzing, Auszüge, S. 120; siehe auch S. 128. 176 Auch die Semantik der Unbeschreiblichkeit des Leidens ist damit im Kontext einer buchhalterisch auszählenden Heilsökonomie zu verorten. Zur Zählbarkeit von Sünden und (katholischen) Werken vgl. Leutert, Geschichten vom Tod, S. 104 f., und Markus
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für sie selbst, Spiegel und Gespiegeltes zugleich, als Strafe ihr eigener Anlass und als solcher ihre eigene Bestrafung. In diese Furcht, so der paradoxe Gedanke, in diese Sünde und deren Sanktion, versetzte Gott, um Furchtlosigkeit zu verheißen: um aus Sünde zu befreien. Dieser Gott stieß den Menschen in die Tiefen des Unheils, um die rettende Hand reichen zu können. Dies ist der theologische Hintergrund für die textuelle Struktur zeitgenössischer Furchtberichte. Eigene Furcht, auch und gerade insofern sie als strafwürdige Strafe erschien, wurde beschreibbar (erst) als überwundene: aus der Perspektive der Rettung. Vor diesem Hintergrund wiederum erhielt Furcht eine zentrale Bedeutung für das eigene Leben als Lebens-Geschichte. Diese Lebensgeschichten sind Berichte des Über-Lebens, verfasst im Anschluss an die Bannung der Gefahr. Furcht wurde als abwesende erzählt, als erinnerte – um zu erinnern an die Ursachen der Furcht und an eine gnädige Vorsehung, die es ermöglicht hatte, ihr zu entkommen. Die in sich geschlossenen Viten exemplifizieren dies in besonderer Weise (Athanasius Kirchers mit jesuitischen Akzenten, Johann Valentin Andreaes mit lutherischen), aber keineswegs nur sie.177 Johannes Plebanus benahm die Angst zuweilen die Fähigkeit, das, was Angst erregte, zu beobachten und zu notieren;178 wenn dem so ist, dann war, wer die Angst notieren konnte, von ihr befreit. Die Erinnerung an eigene Furcht erinnerte eine Prüfung, und sie wusste, diese Prüfung (im Wissen um sie) bestanden zu haben. Sie konstituierte das Leben der erzählenden persona, indem sie in der Furcht vor den Soldaten eine brisante Friedrich, Der lange Arm Roms? Globale Verwaltung und Kommunikation im Jesuitenorden 1540 – 1773, Frankfurt a.M. / New York 2011, S. 373. 177 Kircher, Vita, neben den bereits zit. Passagen Bl. 5r – 9v ; vgl. auch Kirchers Brief an Nicolas-Claude Fabri de Peiresc vom 14. 11. 1633, in: Papiers et correspondance de NicolasClaude Fabri de Peiresc, BNF Fonds franÅais Nr. 9538, Bl. 230r – 232v, hier 230r – 231v. Andreae, Autobiographie, Buch 1, S. 36/37 – 38/39: »Durch all diese Gewichte wurde mein Leben ausbalanciert, und so ist es gekommen, daß ich mich des Guten, das Gott in seiner Gnade verlieh, nicht zu schämen und über das Böse, wodurch er mich väterlich züchtigte, nicht unzufrieden zu sein brauche, vielmehr den göttlichen Ratschluß, kraft dessen er durch seine Umwege und doch gerade führt und durch Niederbeugen erhebt, nämlich durch den Tod zum wahren Leben leitet, schätzen und mit vollem Munde preisen mußte.« Und später (Buch 4, S. 324/325): »Wenn aber die höchste Gottheit beschlossen hat, daß ich trotz der Irrungen meines Lebens und so vieler Gestalten des Todes (die niemand zählen oder fassen kann, außer, wer sie selbst sah) für die Hoffnung besserer Zeiten fortlebe und erfahre, wie viel bei unserer Schwachheit die Kraft von oben vermag, wohlan, so geschehe der Wille des Herrn, und sogar unter Tränen und Seufzern will ich unserem Gott frohlocken.« Darüber hinaus ist natürlich an Augustin Güntzers Kleines Biechlin zu denken, das jedoch vergleichsweise wenig von kriegerischer Gewalt berichtet. (Zu Güntzer im Krieg vgl. Fabian Brändle, Unter die Reiter. Zwei Elsässer Handwerker im eisernen 17. Jahrhundert, in: Krieg und Literatur. Internationales Jahrbuch zur Kriegs- und Antikriegsliteraturforschung / War and Literature: International Yearbook on War and Anti-War Literature 14, hg. v. Claudia Glunz / Thomas F. Schneider, Göttingen 2008, S. 15 – 23.) Vgl. auch Bätzing, Auszüge, S. 121 f., 126. 178 Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus, hg. v. Heymach, S. 281: »Interim nihil observavi et annotare huc potui.«
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Furcht vor Gott erkannte, theologisch gesprochen: eine knechtische Furcht vor den Folgen der Sünde, und indem sie sie im Akt ihrer Erkenntnis in die kindliche Furcht vor der Sünde selbst überführte. Und das heißt: Einerseits formte sich die erinnerte Furcht in der Erinnerung an das Ende der Bedrohung; ihre Überwindung war eine Bedingung ihrer Entstehung. Diese Überwindung, andererseits, brauchte die Furcht, um sie überwunden haben zu können. Wo Furcht beschrieben wurde, wurde ihr Ende verkündet, und die Verkündigung ihres Endes setzte die Furcht ein, die sie besiegt zu haben vermeinte. Wenige autobiographische Texte des Dreißigjährigen Krieges sprechen derart oft und facettenreich von Furcht, Angst und Schreck wie die Ephemerides des lutherischen Pfarrers Johannes Braun. Die Furcht und das päpstlich-kaiserliche »Wüten«, durch das sie ausgelöst wurde, ließen sich auch für Braun in den Zeilen, die ihm zur Verfügung standen, kaum erzählen und darstellen.179 Braun schrieb dennoch auf, was er konnte, mit den wenigen Worten, die er hatte,180 nachfolgenden Generationen zum Gedächtnis – auch wenn er sich dabei ins Uferlose verlieren sah: »wie einer, der im Watt, nahe der Küste hinausgehend, ins hohe Meer gerät«.181 Insofern sich der Pfälzer hier als schlechter Kenner norddeutscher Küstenverhältnisse erweist, veranschaulicht dieser Vergleich noch einmal in ungewollter Deutlichkeit, dass und inwiefern es sich bei der Unbeschreiblichkeit um ein Raumproblem handelte. Dieser Raum war die Weite des Textes und nicht die Tiefe seines Untergrundes; die Ephemerides des Johannes Braun waren nicht Oberfläche, sondern selbst das, was sich unter ihr verbirgt. Im Folgenden interessiert die Frage, wer sich in diesem Erlebnisbericht fürchtete und warum. Ursache unbeschreiblicher Furcht waren für Braun zunächst die kaiserlich-katholischen Restitutionsbestrebungen: die Zerstörung der Kirche Christi in der Oberpfalz durch die »päpstliche Tyrannei«.182 Dann waren es die Werkzeuge, deren sich der Kaiser bediente: Söldner, denen sämtliche Grundsätze »rechter Gottesfurcht« (Dei metus) abhanden gekommen waren, eine Soldateska, die mit der Einschreibung eine »plötzliche Umkehr 179 Braun, Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 1 f.: »Quis enim consilia, fraudes et sævitiam regni Antichristiani hoc seculo scribendo assequatur? […] Quanta apud omnes bonos et veræ religionis Christianæ amantes trepidatio passim sit oborta, et quanta animorum apud promiscuam plebem mutatio sit subsecuta, vix enarrari potest.« Ders., Ephemerides, S. 73: »Quantam incolis jam dudum exhaustis miles licenti ferox cladem intulerit, vix enarrari calamo potest«. Es folgt eine Schilderung der Tötung der Rinder und Schweine sowie der Vertreibung und des Umherirrens der Einwohner und seiner selbst. 180 Braun, Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 1. 181 Ders., Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 1: »Quamvis animo provideam, me veluti qui proximis littori vadis inducti mare ingrediuntur, in vastiorem altitudinem ac velut profundum invehi.« 182 Ders., Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 1.
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vollzogen« (repente mutatus) und sich in all ihrer »unmenschlichen Grausamkeit« (inhumana crudelitate) mit Körper und Geist dem »Fürsten der Finsternis und dieser Welt« übergeben hatte.183 Als am schlimmsten jedoch erachtete es Braun (wie so viele andere Autoren auch), dass dies nicht nur für die Soldaten der anderen galt, sondern auch für die eigenen. Die feindlichen Söldner waren dem Teufel verschrieben, da hatte niemand etwas anderes erwartet, aber dieser Krieg verkehrte die Welt; in ihm trieben es die vermeintlichen Freunde noch ärger als die Feinde. Bei aller Straftheologie konnte Braun dies auch politisch erklären, aus mangelnder Entlohnung184 – und damit die Oberen nicht von der Kritik ausnehmen. Maßgeblich verantwortlich für die Furcht der Bevölkerung schien ihm die ihres Fürsten, der sich, in Feigheit und Faulheit, eher dem Luxus hingab als der Verteidigung seiner Schutzbefohlenen. Gott strafte nicht nur mit einer zügellosen Soldateska, sondern vor allem auch mit einer Obrigkeit, die gegen sie nichts unternahm. Auch hier waren keine christlichen Soldaten auszumachen: Wo es aufgegeben war, die Angreifer, tapfer und furchtlos, zu vertreiben, ermunterte sie die Furcht und die Feigheit der Verteidiger zu weiteren Unternehmungen.185 Vor diesem Hintergrund dominiert in Brauns Beschreibung zunächst das Bild einer allgemein verbreiteten, begründeten und nachvollziehbaren Angst. Von ihr behauptet auch der Verfasser nicht, frei zu sein, ihr Subjekt ist vielfach die erste Person Plural, ein »wir«. Im Entscheidenden jedoch suchte sich Braun, bei aller Furcht, in der er selbst sich befand, von den anderen abzuheben; am Ende war er nicht einer von ihnen, sondern ihr Gegenüber. Braun hatte Furcht wie die anderen, doch anders als die anderen vermochte er sie zu überwinden. Die Ephemerides beginnen mit einer in mehrfacher Hinsicht emblematischen Szene, die den ersten Grund der Furcht betrifft: die Gefährdung des Seelenheils durch die Restitutionsbemühungen des kaisertreuen Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg. In diesen Verfolgungen schien vor allem Johannes Braun in höchster Gefahr zu schweben, war er es doch, der von katholischer Seite für den hartnäckigen Widerstand der evangelischen Sulzbacher Bürgerschaft gegen das gräfliche Vorgehen verantwortlich gemacht wurde. Wohlmeinende empfahlen Braun, nicht auf seiner Unbeugsamkeit zu beharren, sondern sich der drohenden Verfolgung durch die Inquisition zu entziehen. Doch Braun konnte nicht anders. Wer ihn so beriet, beriet ihn schlecht. Der Pfarrer blieb standhaft, im Vertrauen auf sein gutes (lutherisches) Gewissen, den Ausgang der Dinge erwartend, »um meine Sache nicht durch feige Flucht zu verschlechtern oder
183 Ders., Ephemerides, S. 101. 184 Ders., Ephemerides, S. 111: »nihil pensi habent«. Ausführlicher noch: S. 129. 185 Ausführlicher zu diesem Aspekt oben Kap. 3.5.
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unserem Glauben gegenüber den Feinden einen Makel anzuhaften.«186 Im Angesicht des Inquisitionsgerichts dann, dessen Richter Feuer schnaubten wie die Teufel der Hölle, befiel auch Braun, wie er bekennen musste, eine rechte Furcht und Bangigkeit, war doch die Gefahr, der er ins Auge sah, keineswegs zu verachten.187 Doch dann dachte der Inquisit »an Gottes Verheißung in Matthäus 10«, »darinnen Christus, unser Heiland, denen, die sich zu ihm bekennen, den Heiligen Geist als treuen Beistand vor ungerechten Richtern verspricht; ich fasste wieder Mut«, so Braun, »und stellte mich ihnen unverzagt gegenüber, bereit, alles zu leiden, was sie durch Gottes Zulassung über mich beschließen würden.«188 Die Verbannung aus dem Herzogtum Sulzbach konnte dies nicht verhindern, doch stellte der Verurteilte, durch die Drohungen der Inquisitoren nicht zu erschrecken,189 bereits hier dem Gericht seine Rückkehr zum gottgewollten Zeitpunkt in Aussicht. »Mit diesen Worten ging ich fröhlich von dem ungerechten Rat davon und dankte Gott, meinem Beschützer, dass er mich mit seiner allmächtigen Rechten dem Rachen des Löwen entrissen hatte; Ihm empfahl ich mich und die Meinen in diesen angsterfüllten und bedrängenden Zeiten.«190 Damit unterschied er sich vom »Pöbel«: Dieser, um die eigene Haut vor den kaiserlichen Soldaten zu retten, lief »scharenweise« zum päpstlichen »Götzendienst« in die Kirche.191 Die kaiserlichen Soldaten waren Geißel Gottes, auch weil sie die Menschen dazu brachten, ihre Seele zu verkaufen, im Verrat am rechten Glauben. Es war die furchtlose Bereitschaft zum Martyrium, die es am Ende verhinderte. Dies ist, Kapitel 3.7 hat es gezeigt, etwa auch bei Athanasius Kircher zu ersehen: Mit dem Tode bedroht von feindlichen Reitern, versetzten seine 186 Braun, Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 4 f.: »Ceterum optima fretus conscientia rerum eventum qualemcunque expectandum animo mecum devovi, ne tergiversando vel fugiendo causam meam redderem deteriorem, vel religioni nostræ apud adversarios maculum inurerem.« 187 Ders., Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 5: »Incesserat me primo introeuntem nonnullus metus et trepidatio, quod non contemnendum oculis obversaretur periculum, cum præsertim me ab omnibus desertum vidissem.« 188 Ders., Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 5: »Cæterum memor divinæ promissionis Matthæi X qua suis confessoribus Christus Salvator noster Spiritum Sanctum fidelem parastaten coram iniquis judicibus pollicetur, animum resumo, atque intrepide me illis sisto quicquid Dei permissu de me statuerent, subiturus.« 189 Ders., Ephemerides, Transkr. Zindel, S. 6. 190 Ders., Ephemerides, S. 12: »His a senatu Iniquitatis lætus dimissus discessi, gratias Deo protectori agens, quod me À leonum faucibus omnipotenti sua dextra eripuisset, cui me meosque commendavi in his temporum angustiis.« 191 Ders., Ephemerides, S. 16: »Die solis insequente [20. 6. 1628] militum praesidiariorum metu plebecula gregatim ad pontificia sacra in templum accurrebat, futuræ defectionis et in religione inconstantiæ non obscurum argumentum.« Und S. 33: »… Republica Christiana inter hos gravissimæ persecutionis fluctus et tempestates sic periclitante, et plurimis metu Cæsaris ad Idololatriam pontificiam deficientibus«.
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furchtlosen und gottergebenen Tränen die Angreifer in Schrecken und ließen sie, mit Rücksicht auf das Heil ihrer Seelen, von ihrem gewaltsamen Ansinnen Abstand nehmen.192 Brauns Furchtlosigkeit schützte vor dem Furchterregenden, und dies nicht allein vor den Schranken des Inquisitionsgerichts, sondern auch im Angesicht marodierender Söldner. Auch hier waren kühler Kopf und distanzierter Blick gefragt, um der Gefahr zu begegnen. Als sich die Nachrichten vom Nahen feindlicher Truppen verdichteten, befiel auch Braun die Angst; aber im Gegensatz zu den »zitternden« Flüchtlingen, deren »elendes und bejammernswertes Schauspiel«193 er beobachten konnte, begann der Schreiber, in seiner Angst zu überlegen: »was ich in dieser Bedrängnis [angustiae] und höchsten Lebensgefahr zu tun hätte, um für mich und die Meinen nichts zu versäumen.«194 Der Pfarrer und Hausvater Braun, obgleich selbst voller Furcht und beständig auf der Flucht, sah sich dafür verantwortlich, dass jene, die ihre Furcht überwältigte, versorgt und in Sicherheit gebracht wurden: die »armen Leute« und seine fast epithetisch als »zitternd« und »ängstlich« apostrophierte Gattin.195 Furcht an sich konnte (und durfte) angesichts der drohenden Gewalt nicht ausbleiben; zu vermeiden jedoch war ihre unnötige Übersteigerung durch eine unvernünftige Einbildung und den leichtfertigen Glauben an falsche Gerüchte; die, so schien es Braun, machte alles nur noch schlimmer.196 Zuweilen ließ sich der Pfarrer von den kopflos Flüchtenden mitreißen, konnte auch er sich ihres Beispiels nicht erwehren. Doch Braun versäumt nicht zu betonen, dies lediglich getan zu haben, um nicht aufzufallen: sei es, um nicht als einziger »vernünftig« zu erscheinen, während all die anderen »den Verstand verloren«,197 sei es, umgekehrt, um nicht als unverantwortlich und leichtsinnig 192 Kircher, Vita, Bl. 22v – 25r. 193 Braun, Ephemerides, S. 54: »Miserum sanÀ et lamentabile spectaculum«. 194 Ders., Ephemerides, S. 54: »Cum nostris cervicibus hostiles copias magis magisque imminere passim rumor increbesceret, quam etiam fugientium ac trepidantium multitudo adaugebat, ne mihi meisque deessem, quid in his rerum angustiis et summo vitæ discrimine mihi faciundum, mecum anxie delibero.« 195 Ders., Ephemerides, S. 102 f., 125. 196 Z.B. ders., Ephemerides, S. 106: »Eodem [die] hostium incursatio in agrum Monachobergensium trepido rumore nunciata est, quem plurimum imperita multitudo adauxit, addendo vana auditis.« S. 120 f.: »Auxit timorem fugientium noctis crepusculum, ut se innumeras hostium copias insequi falsa sibi opinione persuaderent. Ob repentinum hanc imperita plebes fugam non minus intra muros tam a milite præsidiano, quam cive fuit trepidatum, cum præsertim fama increbuisset, hostes infestis armis ad oppidum oppugnandum advenire; Ideo omnes in armis esse jussi. Futiles illi motus ac formidinis autores Melkendorfi ea nocte substiterunt, maximam prædæ partem Bacho sacrificantes.« Vergleichbar ist auch: Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus, hg. v. Heymach, S. 279. Näheres zum Problem des Gerüchts unten in Abschnitt 3. 197 Braun, Ephemerides, S. 54: »Horum ego motus exemplo, oppido infirmo diffidens, ne solus sapere viderer, cæteris insipientibus, ad arcem quoque cum meis et exigua supellectili ac commeatu me raptim recipio.«
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angesehen zu werden: »Dieses Gerücht erschütterte und entmutigte alle und veranlasste sie zur Flucht, in Erinnerung an das vergangene Unglück. Damit es nicht den Anschein hätte, dass ich mich unbesonnen dem Mutwillen der Soldaten aussetzte, ging ich mit meiner Frau und meiner Tochter eiligst in die Stadt und hinter ihre Mauern.«198 Sowohl dieser Rückzug, so die Botschaft, als auch der vorherige auf die Feste Plassenburg war der Furcht der anderen geschuldet, nicht der eigenen. Und damit sagt der Verfasser auch: Standhaftes Verhalten hätte anders ausgesehen. Derartige Standhaftigkeit bewies Braun offensichtlich in jenen Situationen, in denen er von räuberischen Söldnern ganz unmittelbar körperlich angegriffen wurde. Es war scheinbar auch ihm leichter, das Befürchtete zu ertragen als die Furcht. Wie vor dem Inquisitionsgericht auch wurde der Angriff hier nicht mehr erwartet, sondern war bereits da, und so musste (und konnte) gehandelt werden. Vor diesem Hintergrund findet sich in der Beschreibung höchster eigener Gefährdung keine eigene Furcht, sondern furchtloser und tapferer Widerstand. Hier leistet Braun das, was er von den Obrigkeiten und den eigenen, christlichen Soldaten vergeblich erwartete.199 Von Brauns eigener Furcht hören wir hier erst wieder in der (unmittelbar anschließenden) Reflexion, erst nachdem die Gefahr gebannt ist, in den grundlegenden Schlüssen, die aus ihr gezogen werden. Das Schauspiel dieser Welt und dieses Lebens, so das Räsonnement, war ein Schauspiel von Furcht und Angst: »O du elendes und mühseliges Leben, das beständig zwischen Furcht und Hoffnung schwankt und in manchen Zeitaltern so vielen Wechselfällen ausgesetzt ist! Welche Zeiten, welche Sitten!«200 Dieses Leben führte nicht nur manche im Volk, sondern auch Braun selbst zuweilen an den Rand der Verzweiflung. Seine desperatio jedoch, wie erwähnt, war nicht die der »Verwilderten«.201 Sie war die Schwermut dessen, der nie vergaß, dass auch ein strafender Gott Barmherzigkeit zeigte:202 dass er denen helfen würde, die auf ihn vertrauten. Das 198 Ders., Ephemerides, S. 102 f.: »Omnium animos perculit hæc fama, et ad fugam recordatione priorum calamitatum stimulavit. Ego cum uxore et filia, ne me militari huic petulantiæ temere objecisse ipsemet viderer, ad oppidum et intra septa proripio, commissa re familiari ancillæ, videret ne me absente quid detrimenti caperet.« 199 Ders., Ephemerides, S. 100 – 102 und 105. 200 Ders., Ephemerides, S. 105: »O! vitam miseram et ærumnosam, quæ inter spem metumque nunquam non fluctuat, et tot in finitis seculis casibus obnoxia est. O tempora! o mores!« Wenn »infinitis seculi« gelesen und »seculis« damit als verschrieben angesehen wird (wie es Zindel, Bd. 32/2 [1934], S. 24, zu tun scheint), heißt es deutsch: »das […] so endlos vielen Wechselfällen dieses Zeitalters ausgesetzt ist«. 201 Siehe oben Anm. 129. 202 Braun, Ephemerides, S. 57: »Hac ratione bis ad extremas angustias ob hostium incursionem redacti, bis auxilii divini numen et præsidium sensimus qui suos quidem acriter castigat, sed non funditus extirpat, cujus etiam in mediis irarum fluctibus divinæ misericordiæ apparent vestigia.«
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Leben konnte zermürbend sein, weil es immer wieder Furchterregendes bereit hielt; doch in die Ausweglosigkeit führte es nicht, weil stets ein Anlass zur Hoffnung verblieb. Jeder Gefahr folgte schließlich eine glückliche Rettung.203 An der desperaten Lage, von der er berichtet, konnte Braun nicht verzweifeln; verzweifelt, so sein Bekunden, wäre er allein, wenn er der Nachwelt nicht hätte davon berichten können.204 So ist Brauns Überlebensgeschichte exemplum und memoria, sie ist Erinnerung und Mahnung zugleich, mit dem Vergangenen beschrieb sie auch die Möglichkeiten der Zukunft. Dies gilt auch für andere autobiographische Furcht- und Gewaltberichte der Zeit. Exemplarisch seien zwei weitere kurz vorgestellt: die Peregrinationis periocha des Benediktinermönchs und Oberaltaicher Abtes Veit Höser sowie die Klosterchronik der Dominikanernonne Maria Anna Junius. Dass im Krieg kein Heil ist, wusste Veit Höser mit Vergil.205 Auch für ihn jedoch setzten die Grausamkeiten, die er im Dreißigjährigen Krieg erleben musste, neue Maßstäbe. Sie schienen ihm unaussprechlich206 (und was er aus203 Eine ähnliche Struktur findet sich offenbar im Tagebuch Christians II. von Anhalt-Bernburg. Angefochten von drohender Verzweiflung in einem Leben »inter spem et metum«, wurde Christian durch die Gnade Gottes und das Vertrauen auf dessen Providenz gerettet. Zit. nach Andreas Herz, »… ma fatale destinÀe …«. Krisen- und Leidenserfahrungen Fürst Christians II. von Anhalt-Bernburg (1599 – 1656) in seinen Tagebüchern und anderen Zeit- und Lebensdokumenten, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2, S. 981 – 1035, hier 989, 1009 f., 1016, 1018 – 1027. Auszüge des Textes sind publiziert in: Tagebuch Christians des Jüngeren, Fürst zu Anhalt: niedergeschrieben in seiner Haft zu Wien, – im Geleite Kaiser Ferdinands des Zweiten zur Vermählungsfeier nach Inspruck, – auf dem Reichstage zu Regensburg, – und während seiner Reisen und Rasten in Deutschland, Dänemark und Italien, hg. v. G. Krause, Leipzig 1858; Tagebuch des Prinzen Christian von Anhalt über die Kriegsvorfälle des Jahres 1620, in: Beyträge zur Geschichte und Literatur, vorzüglich aus den Schätzen der pfalzbaierischen Centralbibliothek zu München, hg. v. Johann Christoph Freyherrn von Aretin, München 1804, Bd. 2.6, S. 65 – 96, Bd. 3.7, S. 49 – 112, Bd. 3.8, S. 49 – 112. 204 Braun, Ephemerides, S. 113: »Deploratissimus rerum status, et tot clades justa Numinis ira in res nostras animum meum fatigarent et moestitia restringerent, nisi scirem, hanc calamitatem et casuum commemorationem posteritati non fore ingratam. Quæ jam quotidiano crebroque intuitu nobis vilescunt, ad calamitates jam longe usu induratis posteros olim in [?] multis rebus possunt edocere.« Dieses Aussprechen des Unaussprechlichen ist nicht therapeutisch zu verstehen. Braun schreibt nicht, um sein Leiden zu überwinden, sondern um von dessen Überwindung zu berichten. Die Überwindung ist nicht Ergebnis, sondern Voraussetzung des Aktes. Wie bei Balthasar Kleinschroth (dazu unten Anm. 467): Der hier von drohender Verzweiflung spricht, sucht nicht das Mitleid seiner Leser zu evozieren, sondern ihre Verehrung der Vorsehung Gottes. 205 Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 1r, zitiert Vergil, Aeneis XI, 362: »Nulla salus bello«. Der Vers fährt fort: »pacem te poscimus omnes«. Offenbar dachte so mancher im Dreißigjährigen Krieg an das klassische Epos; das Zitat findet sich etwa auch in den Kirchenbüchern von Besse: Bätzing, Auszüge, S. 124. 206 Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 6r : »Quis hic explicaret attonitorum Incolarum terrores, timores, pauores? […] Relinquo et Istos.« Und Bl. 12r: »Dictu difficile est, scriptu
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sprach, hätte er lieber verschwiegen),207 bis dato nie gehört und schlimmer als das Schlimmste: ärger als die Gewalt der »Geten«, die im Imaginationshaushalt des 17. Jahrhunderts »Türken und Tartaren« an Unüberbietbarkeit in nichts nachstanden.208 So blieb von dieser Furcht und Angst auch der Schreiber keineswegs unberührt; wiederholt trieb ihn die gefährliche Nähe der Schweden zu bitterer Klage.209 Doch auch Höser schrieb von dieser Angst, um mitzuteilen, dass er aus ihr befreit worden war. Zum einen hatte sich, sein Schreiben war der Beweis, das zu allererst Befürchtete nicht bewahrheitet: der körperliche Tod. Dies verdankte sich, zum anderen, dem Umstand, dass ihn die Furcht, die er hatte, nicht paralysierte. Bei aller Angst blieb Höser handlungsfähig, im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen, die vor Verwirrung nicht mehr wussten, was sie tun sollten,210 die in überstürzter Flucht, in allzu großer Furcht vor den Schweden, den Schweden in die Arme liefen.211 Auch dieser Text ist eine Überlebensgeschichte, und er ist von einzelnen Überlebensgeschichten durchzogen. Die Rettung seines Lebens jedoch war Höser am Ende kein Anlass zu uneingeschränkter Freude. Die Peregrinationis periocha ist nicht allein ein Bericht von überstandenen Gefahren, sondern auch, wie ein angehängtes Schreiben an Hösers Mitbruder Franziskus zeigt,212 eine Bekenntnis- und Rechtfertigungsschrift. Hösers Überleben, so scheint es, verdankte sich in seinen eigenen Augen zunächst nicht der rechten, sondern einer falschen Furcht. Höser, wie er betont, floh nicht gleich mit den ersten, die das Kloster verließen, hielt er doch über-
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impossibile, et auditu incredibile, quomodo hi Weimmariani prædones et carnifices furerent, frenderent efferberentque in omnes Boicos Indigenas in quos inciderent.« Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 1r. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 8v : »Incolæ ob rei novitatem et atrocitatem nimio terrore stupefacti, neque Equitum multitudini resistere, neque incendia circumquaque exurgentia sopire uolentes, desperabundi ex ædibus ubique fumantibus in plateas excurrunt […]. Isto, Geticis truculentijs crudeliori spectaculo, a Croatis, postridie ibi præequitantibus peruiso, non potuerunt quidam ex Illis, vt Ipsimet falsi sunt, cohibere lachrymas cum exclamatione; Hoc facinus non inter Christiana facta, sed inter barbaras et Scythicas immanitates censendum esse. At uero non eundum nobis ad remotissimos Getas, ad uidendum crudelia, cum Weimmarium omnium crudelitatum artificem in Ianuis habeamus, et sentiamus.« Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 17v : »Sed ú fluctuantes et indesinenter redeuntes amararum tribulationum procellas!« Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 16r : »His Diebus ita dilatabantur, adeo grassabantur, et in tantum effundebantur hostes in omnes partes et oras […] ut Homines præ turbatione prorsus ignorarent, quo modo sibi consulerent.« So auch Bozenhart, Schicksale des Klosters Elchingen, S. 174 f.: »desswegen wir sammentlich in grosser Furcht, nit wissend, wo aus, wo an. […] Ich fiele in diesen Rohren in ein Graben, blieb ein Pater und Ave lang darin stecken, wusste vor Furcht nit, was ich thun sollte.« Betroffen waren auch Soldaten: Mallinger, Tagbücher, S. 551; Leibniz, Bedencken, S. 608 f. Und: Vor Schrecken wussten Menschen zuweilen nicht nur nicht, was sie tun sollten, sondern auch nicht, was sie taten: Burger, Itinerarium, Cicerstienser-Chronik 45, S. 114. Dazu auch oben Kap. 4.3. Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 16r. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 22v – 23r.
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triebene Furcht nicht nur für sündhaft, sondern zudem für gefährlich.213 Er blieb jedoch, wie er zugeben musste, auch nicht bei den Letzten. Am Ende, als die Schweden sein Kloster bedrängten, folgte Höser der warnenden Stimme seiner Furcht,214 die seine Rettung war, während jene, die nicht gehen wollten, ihre Weigerung mit dem Leben bezahlten. Die Mitbrüder, die blieben, starben das Martyrium als standhafte Zeugen ihres Glaubens. Mit Scham bekennt Höser, nicht den Mut gehabt zu haben, es ihnen gleich zu tun.215 Doch warum hätte er diesen Mut aufbringen sollen? Kein Christ war verpflichtet, auf seinen Henker zu warten. Das Martyrium war ultima ratio; es wurde gefordert, wenn keine andere Möglichkeit blieb, dem eigenen Bekenntnis die Treue zu halten. Das sehnsüchtige Verlangen, den Scheiterhaufen zu besteigen, das Peter Burschel für die katholische Konfessionskultur konstatiert hat, war zum einen ein Spezifikum der Martyrologien: derer, die auf der Bühne des jesuitischen Dramas starben (ungeachtet deren metaphorischer Verknüpfung mit der Bühne des Lebens).216 Zum anderen musste auch dort die Todesbereitschaft zwei Bedingungen erfüllen: Sie musste dem wahren Glauben dienen, durfte jedoch dabei (und damit) die Pflicht zur Selbsterhaltung nicht verletzen. Ohne dies bliebe unverständlich, dass sich Höser nicht allein bezichtigte, die anderen im Stich gelassen zu haben, um sich in Sicherheit zu bringen, sondern – umgekehrt – im selben Atemzug auch dem Eindruck zu begegnen suchte, sich mit dem Verlassen des Ortes der Geborgenheit leichtsinnigerweise in Lebensgefahr gebracht zu haben.217 Dass es Höser, trotz der Möglichkeit der Flucht, als Ausdruck der Standhaftigkeit (constantia) ansehen konnte, in den Tod zu gehen, nachdem sich das Kloster in einen Ort der Unsicherheit verwandelt hatte, lässt sich vor diesem Hintergrund allein aus dem Umstand erklären, dass er mit der Flucht sein Gelöbnis der klösterlichen stabilitas loci verletzte.218 Auch ein protestantischer Seelsorger 213 Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 16r. 214 Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 17r : »Nihilominus tamen anxia mens fugam inire finesque hostiles excedere consulebat, suadebat, urgebat.« 215 Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 23r : »Noli chare Pater, nolito tibi persuadere, quod in periculorum gurgitem memet temere immerserim! Nolebam fateor cum primis in fugam compulsis fratribus recedere; nolebam etiam cum Omnium postremis inter Hostes perseuerare: Sic nempe uidi utrumque, et Primos fugere, et Postremos perseuerare. Perseueraui inter Postremos, sed inter Omnium postremos, qui sua morte, inter Hostes passa, perseuerantia sua usque in finem contestati sunt, abfuisse me, non sine pudore confiteor, cum pastoris perfecti muneris sit, animam pro Ouibus ponere: Sed non sum perfectus, utinam uel parum rectus, in gradu ultimo. Verumtamen sint benidictæ [sic] Misericordiæ DEI nostri, in quibus uisitauit Nos ex alto.« 216 Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. 217 Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 23r. 218 Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 19r: »cras vero Exilij mei Iter erat ingrediendum; Exilium dico, quia e finibus nostris exire, quia colonias proprias relinquere, quia Professionis meæ professæque Stabilitatis Domum, Fratresque meos, Filios et viscera mea
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hatte bei allgemeiner Drohung soldatischer Gewalt seinen Amtspflichten nachzukommen. Es war ihm jedoch erlaubt zu fliehen, wenn seine Gemeinde ihre ausdrückliche Zustimmung erteilte, wenn sie ihn begleitete oder wenn er unmittelbar an Leib und Leben gefährdet war.219 Die besondere Konstellation der Klostergemeinschaft erschwerte offenbar eine derart eindeutige Regelung.220 Höser, daran kann kaum ein Zweifel bestehen, kannte die Historien der katholischen Märtyrer. Zu sterben war auch ihm die höchste Auszeichnung und der erste Weg, den Beweis der Rechtgläubigkeit zu erbringen. Hier traf er sich etwa mit Athanasius Kircher, der aufrichtig bedauern konnte, von seinem Schöpfer zum tödlichen Martyrium nicht ausersehen worden zu sein.221 Kircher nun, wie auch Braun, so scheint es zunächst, waren dem drohenden Tode entrissen worden, weil sie ihn nicht scheuten und bereit waren zu sterben. Höser dagegen hatte sich selbst gerettet, weil er diese Bereitschaft nicht hatte; und so musste er, statt eines Dankes, seinen Herrn dafür um Gnade und Nachsicht bitten. Diese Selbstbezichtigung für eigenmächtiges Handeln jedoch (die ihn ihrerseits als gottesfürchtig auszeichnete) war nur die eine Seite der Medaille. Die »Ilias«222 des Veit Höser ist nicht nur eine confessio, sondern auch eine Rechtfertigung. Das martyrologische Gebot des Sterbens beantwortet der Verfasser nicht allein mit dem Eingeständnis eigener Schwäche, sondern auch mit verdeckt kasuistischen Argumenten. Ganz abgesehen davon, dass hier zuweilen sogar die persönliche Lebensgefahr die Unausweichlichkeit der Flucht begründet,223 gegen die stabilitas loci, befand sich Höser offensichtlich im Konflikt
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vndique dispersa iam tandem sed nimis tempestiue deserere […] ad alienigenas tendere compellor«. Größere Brisanz hatte die Angelegenheit eigentlich im Falle der Verstellung. Während seiner Flucht verbarg Höser wiederholt seine Glaubenszugehörigkeit, indem er ihre Zeichen beseitigte, im Gegensatz zu Augustin Güntzer jedoch bereitete ihm dies offensichtlich keine Gewissenskonflikte: Bl. 18r, 19r, 20r. Zu Güntzer und der Debatte über die Legitimität der simulatio siehe oben Kap. 4.4. Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg, S. 110 f. Für die Thematisierung des Problems in der Autobiographik vgl. Heiligensetzer, Zur Darstellung von Gefühlen, S. 180 f. Ein Beispiel aus dem Dreißigjährigen Krieg ist Johannes Henrici, Aufzeichnungen aus seinem Leben und seiner Zeit (1592 – 1656), in: Die Chroniken von Friedberg, hg. v. Waas, Bd. 1, S. 231 – 236, hier 234. Für die »Brüder, die draußen im Waldgebiet ihrer Pfarreien betreuten«, sah auch Höser die Sache klarer (Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 2v): Sie »harrten beständig in ihren Dörfern aus und wollten ihre Pfarrkinder nicht verlassen, bevor sie nicht durch äußerste Not dazu gezwungen würden. Aber diese Meinung hat viele der Unsrigen auf den falschen Weg geführt.« Lat.: »Ita etiam nostri expositi Fratres in Siluicano Districtu Parochijs præstituti, stabiles in suis colonijs perseuerarunt, non ante a suis Paræcianis abscessuri, quam extrema necessitate adigerentur. Sed hæc opinio multos Nostrorum fefellit.« Kircher, Vita, Bl. 22v – 25r. Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 22v. Die Gefahr für Höser selbst und für die anderen. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 4v : »Nvnc ut videre est, periculum in nos intortum versabatur in summo apice, reliquum erat,
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zweier normativer Anforderungen. Gegen die Integrität des klösterlichen Ortes stand nicht nur das eigene Leben, sondern vor allem auch die Sicherheit der umliegenden Bevölkerung. Die Feinde des Klosters, da waren sich alle Ordensbrüder einig, hatten es in erster Linie auf seinen Abt abgesehen. Wenn Höser blieb, vergrößerte er auch für das Dorf die Gefahr eines Überfalls; dann kam er zwar seinen seelsorgerlichen Pflichten nach, gefährdete aber das körperliche Leben seiner Herde.224 So war Hösers Flucht geboren und geboten aus einer Sorge nicht um sich, sondern um die anderen.225 Vor diesem Hintergrund konnte sich der Abt für seine Entscheidung auf die Heilige Schrift berufen: »Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere«226 (Mt 10.23). Er konnte die Mutter Gottes und alle Heiligen anflehen, ihn gnädig zu beschützen, als ihm, bedrängt von den Schweden, das Herz vor Angst schier zu zerspringen drohte; und er konnte Gott seine geplante letzte Reise zum Opfer darbringen.227 Hier ist es die Flucht, die als Standhaftigkeit erscheint und nicht das Bleiben; wer hier floh, unterwarf sich nicht dem Feind, sondern leistete ihm Widerstand (und so wurde Höser nicht nur zur Flucht aufgefordert, sondern ermahnte selbst andere dazu). Auch wenn Höser bekennen musste, kein Märtyrer zu sein: am Ende, so sagt es der Text, entsprach sein Handeln dem Willen seines Gottes. Auch ihm gab seine Rettung Recht, eine Rettung, die nicht ihm selbst, sondern jenen Mächten zu verdanken war, die er um sie gebeten hatte. Mochten auch einige seiner Mitbrüder bestimmt gewesen sein, für ihren Glauben in den Tod zu gehen: Höser war ein anderes Schicksal beschieden. Veit Höser war Zeuge seines Glaubens, nicht indem er starb, sondern indem er überlebte und davon berichtete (wie von seinem Leiden daran). Somit auch hier : Eigene Furcht wurde beschreibbar aus der Perspektive ihrer Überwindung. Und damit setzte die Beschreibung der erreichten Furchtlosigkeit die Furcht ein, die überwunden worden war. Veit Höser verließ den Ort der Gefahr, weil er durch sein Bleiben andere in Gefahr gebracht hätte. Die Dominikanerinnen des Klosters zum Heiligen Grab blieben, als die Schweden nach Bamberg kamen; denn ihre Entscheidung betraf allein sie selbst. Auch sie litten unaussprechliche Ängste, die, wie ihre Chronistin Maria Anna Junius versichert, in ihrem ganzen Ausmaß unmöglich zu erinnern,
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ut quia iam de corio nostro ludebatur, de nostra etiam salute conseruanda nobis prospiceremus.« Auch Bl. 19r (siehe oben Anm. 218) und 23r. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 4v – 5r ; auch Bl. 14r und 17r. Vgl. auch ders., Peregrinationis periocha, Bl. 17r/v, 19r, 20r, 21v, 22v. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 4v. Ders., Peregrinationis periocha, Bl. 18r : »Quod ne Dei clementia fieri permitteret, Divos in Vota vocabam, crebriusque præsentaneam Mariæ Matris tutelam implorabam, ingeminando – SVB TVVM PRÆSIDIUM –«. Bl. 21v : »Aris astans reminiscebar Itineris mei præhabitum, quod a Deo auspicari, per B[eati]ss[i]mæ. DOMINÆ opem prosperari, et per tutelaris Angeli ducatum fausto processu regi et derigi optabam et intentius obsecrabam.«
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geschweige denn aufzuschreiben waren; doch begehrten sie eher zu sterben, als ihr Kloster zu verlassen.228 Die Nonnen bewiesen Wehrhaftigkeit,229 waren aber auch bereit, den schwedischen Obristen die Tore zu öffnen. Eben dies, so Junius, versetzte die Ankömmlinge in ehrfürchtige Verwunderung und in das Erstaunen darüber, an »schwagen weibs perschonen« eine derart »riedterlich[e]« Stärke wahrzunehmen;230 und so bestätigte es die Nonnen in ihrer Entscheidung: »[A]lls der oberste lohausen bey uns gewessen ist haben wir zu ihm gesagt/ ihr gnadten sehen wol an unserm Clösterlein das wir arme schwestern seint/ dan nichts schönes oder stattliches bey uns zu findten ist/ auch wer uns nicht müglig gewessen/ uns ausserhalb des Closters zu erhalten/ deswegen seint wir in steiffer Hoffnung bliben wir werden genad erlangen. Da hat er uns zur andtwort geben es gefelt mir alles wol bey euch/ dan christus der herr ist auff erdten auch arm gewessen/ ihr habt gar recht gethon/ das ihr in euhern Closter blieben seit/ dan so ihr hin nauf werdt so wert ihr in meiner gewalt gewessen/ und eüher Closter verderbt und verwüst wordten … .«231
In ihrem Gespräch mit den standhaften Nonnen verwandelten sich »grimige löben« in »gedultige und sanftmüttige lemblein«. So war es, wie Junius gegen argwöhnische Mutmaßungen betont, nicht etwa die Aufopferung der weiblichen Ehre, die ihnen den Tod ersparte, sondern eher die Opferung ihrer selbst, um der Ehre willen: die Bereitschaft der Braut Jesu, den Tod einer christlichen Lucretia zu sterben.232 Auch hier vermochte die standhafte Überwindung der Furcht, die furchtlose Bereitschaft zu sterben, eben dies zu verhindern. Gott strafte mit Furcht, um zur Gottesfurcht zu rufen; und er schenkte die »wunderbarliche« Gnade der Furchtlosigkeit denen, die darum wussten: die sich mahnen ließen und denen bekannt war, dass ihre Furchtlosigkeit das Furchterregende überwand.233 228 Junius, Verzeignuß, S. 211 f., 221 f. Zu Junius vgl. auch Kormann, Ich, Welt und Gott, Kap. II.B.1; Mortimer, Eyewitness Accounts, S. 97 – 111; Woodford, Nuns as Historians, insbes. S. 117 – 143. 229 Junius, Verzeignuß, S. 121, 178, 216, 218, 221. Vgl. dazu Ulinka Rublack, Metze und Magd. Frauen, Krieg und die Bildfunktion des Weiblichen in deutschen Städten der Frühen Neuzeit, in: Historische Anthropologie 3 (1995), S. 412 – 432. 230 Junius, Verzeignuß, S. 24, 187, 221. 231 Dies., Verzeignuß, S. 118 f. 232 Dies., Verzeignuß, S. 222. Zu geschlechtergeschichtlichen Implikationen der von Nonnen verfassten Kriegsaufzeichnungen, am Beispiel von Maria Magdalena Haidenbucherin, vgl. Norbert Schindler, Krieg und Frieden und die ›Ordnung der Geschlechter‹. Das Tagebuch der Maria Magdalena Haidenbucherin (1609 – 1650), in: Der Frieden, Bd. 1, hg. v. Garber / Held / Jürgensmeier / Krüger / Széll, S. 393 – 452; vgl. außerdem Martin Scheutz, »… im Rauben und Saufen allzu gierig«. Soldatenbilder in ausgewählten Selbstzeugnissen katholischer Geistlicher aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 12 (2001), S. 51 – 72, hier 61 f. 233 Vgl. auch Staiger, Verzaichnus, Bl. 80 f., 357, 525.
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Der lutherische Pfarrer, der Benediktinermönch, die Dominikanernonne: Sie alle hatten sich unaussprechlich gefürchtet und sie alle hatten ihre Furcht besiegt; sie hatten eine gefährliche Furcht gehabt, denn sie waren menschlich und schwach, und sie waren zur rechten Furcht gekommen, denn sie hatten die Gnade. Sie litten Furcht, als Strafe und Prüfung, und sie schlugen ihren Anlass mit Furchtlosigkeit, indem sie aus Strafe und Prüfung die richtigen Konsequenzen zogen. Dort nun, wo Furcht aus der Perspektive und der Notwendigkeit ihrer Überwindung zur Darstellung kam, lässt sich die Frage nach einem »realen« Furchtempfinden nicht stellen. Braun, Höser und Junius litten Furcht, um sie bezwingen zu können. In ihren Texten manifestiert sich nicht ihre Furcht, sondern das Postulat gottesfürchtigen Gottvertrauens, das die Furcht ermöglichte, in der es Trost zu spenden versprach. Zeitgenössische Beschreibungen verzweiflungsvoller Furcht wussten um die Klage Hiobs, der mit seinem Herrn hadert, um am Ende zu ihm zurückzufinden, und das heißt: Sie beschrieben diese Furcht, um sich von ihr zu distanzieren. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten diese Texte so verstanden werden, etwa vom Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Otto von Leixner in den von ihm fingierten Aufzeichnungen eines gewissen Johannes Carl Masius.234 Vor dem Hintergrund all dessen wurden in ihnen die Existenz eines gütigen Gottes und eine heilsgeschichtlich fundierte Geschichtsauffassung nicht in Frage gestellt, sondern vorausgesetzt und (re)formuliert. Dieser Befund findet zunächst Unterstützung durch die Überlegungen Bernd Roecks, der, wenn auch ohne explizite Bezugnahme auf Burkhardt, konstatiert: »Vermutlich war einer großen Mehrheit der Menschen das Theodizee-Problem 234 Johannes Carolus Masius, Die letzte Seele. Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert, hg. v. Otto von Leixner, Leipzig 1907. Sämtliche Elemente, die im Vorangehenden herausgearbeitet worden sind, finden sich in diesem Werk vereint. Und es kommt noch ein weiteres hinzu. Als Ausdruck der Verzweiflung an der Güte und Gerechtigkeit Gottes beschreibt der fiktive Autor seine Versuchung, im Angesicht des kriegerischen Leidens nicht nur sich selbst das Leben zu nehmen, sondern auch seinem kleinen Sohn Martin, um ihm weiteres Elend zu ersparen. Diese teuflische Anfechtung überwindet erst eine göttliche Intervention. Hatte der Verfasser der vorliegenden Studie diesen Text zunächst als eindrucksvolle Bestätigung seiner Befunde gelesen, so begann hier sein Misstrauen zu keimen. Allzu modern schien ihm eine derartige Kombination von Mord und »Selbstmord«. Recherchen zur Person des Johannes Masius bestätigten den Verdacht: Dieser war nicht, wie im Text angegeben, Hauptpastor zu St. Johannis in Magdeburg, sondern existierte lediglich in der Imagination des fiktiven Herausgebers von Leixner. Leixner hat nicht eine historische Quelle ediert, sondern – in offenbar umfassender Kenntnis zeitgenössischer Autobiographik – einen kongenialen literarischen Text verfasst, der als erbauliche Schrift in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Neuauflagen erlebte, zuletzt noch einmal im Jahr 2002, und der als Baustein jenes historischen Gedächtnisses zu betrachten ist, das vor dem Ersten Weltkrieg (und noch bis in den Zweiten hinein) im Dreißigjährigen Krieg die Urkatastrophe der deutschen Nation erkannte. Zur Geschichte der Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg vgl. die oben in Anm. 126 zit. Literatur.
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völlig fremd.«235 Auch Roeck betont: »Selbst die Störung der Ordnung [im Dreißigjährigen Krieg] erscheint so als ihr Teil; Gottes Zeichen unterstreicht, daß auch die Irritation dem Heilsplan konform geht.« Auch für Roeck zeitigte die Erfahrung kriegerischer Gewalt keine Infragestellung der providentialistischen »Interpretation der Geschichte«, sondern deren Fundierung.236 Zu diesem Schluss kommt Roeck jedoch auf anderen methodologischen Wegen; er begründet ihn nicht semantisch, sondern, nicht anders als Burkhardt, mentalitätsund psychohistorisch. Vor diesem Hintergrund argumentiert er nicht in qualitativen, sondern in quantitativen Kategorien (mit »einer großen Mehrheit der Menschen«), und basiert damit sein Argument gerade nicht auf die von Burkhardt herangezogenen Texte, sondern auf all die anderen, die ihnen entgegenstehen. Roecks unausgesprochener Einwand gegen Burkhardts Befund zielt in erster Linie auf eine mangelnde Repräsentativität seiner Belege. Anders als für Burkhardt ist für Roeck tradierte Religiosität in den Ängsten dieses Krieges nicht krisenhaft erschüttert, sondern umgekehrt ein Instrument, die Erschütterungen des »Krisenerlebnisses« aufzufangen237 (durch die Verheißung, so wäre womöglich zu ergänzen, des ersehnten Endes dieser Welt, das zu Furcht nur den Ungerechten Anlass gab). Dies scheint ihm paradox, handelte es sich in seinen Augen doch um eine Religiosität, die für diese Erfahrungen selbst mit verantwortlich zeichnete: »Dieselbe Steigerung der religiösen Emotion, die zu den Voraussetzungen des Dreißigjährigen Krieges zu rechnen ist, mag so dazu beigetragen haben, daß es gelang, seine Schrecken psychisch zu bewältigen.«238 Umgekehrt formuliert, bewältigte hier etwas einen Schrecken, den es selbst allererst geschaffen hatte. Diese Aussage behauptet zwischen Bewältigung und Verursachung implizit kein konzessives, sondern ein kausales Verhältnis. In diesen Kategorien war die Krise, die sich in der Angst zu manifestieren schien, individualpsychologisch (»von den Menschen«239), aber nicht historisch zu überwinden. Ohne eine Änderung der Grundkoordinaten musste sich das Problem beständig reproduzieren – weil die Spannung hier keine semantische, sondern eine kausale ist und somit am Ende keine Paradoxie, sondern ein Widerspruch. Damit steht eine derartige Aussage in der Tradition einer aufklärerischen Religionskritik und Geschichtskonzeption, die Furcht und Religion 235 Roeck, Der Dreißigjährige Krieg, S. 279. Vgl. auch Andreas Holzem, Religiöse Semantik und Kirchenkrise im »konfessionellen Bürgerkrieg«. Die Reichsstadt Rottweil im Dreißigjährigen Krieg, in: Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, hg. v. Horst Carl / Hans-Henning Kortüm / Dieter Langewiesche / Friedrich Lenger, Berlin 2004, S. 233 – 256, hier 240 – 245, 254 f. 236 Roeck, Der Dreißigjährige Krieg, S. 277. 237 Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 269. Zu den Begriffen »Krisenerlebnis« und »Krisenbewusstsein« vgl. oben Anm. 107. 238 Roeck, Der Dreißigjährige Krieg, S. 279. 239 Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 267.
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kurzschließt (auch dort, wo letztere die erstere nicht herbeiführt, sondern beseitigt) und die Bewältigung beider dem Prozess historischen Fortschritts anvertraut: zunächst dem Westfälischen Frieden,240 langfristig dann einer sein Werk vollendenden Aufklärung.241 Wo Religion Ursache dessen ist, was sie anschließend zu deuten und, als Deutung, zu überwinden hat, konstatiert der historische Psychologe eine »vormoderne[] reduzierte[] Subjektivität« und ein mangelndes »Selbstgefühl«,242 deren Überführung in die furchtlose Autonomie der Person der Entwicklung eines aufklärerischen Geschichtsbildes vorbehalten bleibt. Die Begriffe der »Krise«, des »Traumas«243 und ihrer »Bewältigung« entwerfen ihren Gegenstand vom historischen Ende her. Ebenso wie ihre Gewährsleute wissen auch sie um den (guten) Ausgang der Dinge:244 um eine catastroph¦, die im zeitgenössischen Sprachgebrauch nicht nur die außergewöhnlich schreckliche, sondern auch die glückliche historische Wendung meint.245 Anders als 240 Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 279. 241 Ausführlich dazu oben Kap. 2. 242 Roeck, Der Dreißigjährige Krieg, S. 274. Gegen die in diesen Formulierungen enthaltenen »Prädikate des Mangels oder der Devianz« wendet sich auch Herz, Krisen- und Leidenserfahrungen, S. 1004. Wenn er jedoch vorschlägt, »besser« von einem »anderen Individualitätstypus« zu sprechen, bedient auch er sich einer modernen Semantik, die »das Individuum« der Vormoderne in einer »legitimistisch-statischen Gesellschaft« verortet, um in der Folge dessen aus den »beengstigungen« kriegerischer Ordnungsstörung auf eine psychisch-»existentielle Krise« zu schließen. Auch wenn letztere im Fall Christians II. nicht in einen »existentiellen Glaubenszweifel« geführt habe, werden Religion und humanistisches Wissen unter diesen Vorgaben lediglich als Mittel der Krisenbewältigung beschreibbar (S. 989 f., 1022 – 1027, 1031 – 1034, zit. 989 f., 1026, 1033). 243 Roeck, Der Dreißigjährige Krieg, S. 270 f.; ders., Diskurse, S. 186, mit Bezug auf Imhof, Die verlorenen Welten, S. 91 – 109. Otto Ulbrichts Kritik an der These von einer kollektiven Traumatisierung zielt auf deren Verbreitung und praktische Erkennbarkeit, nicht auf den Begriff: Ulbricht, Experience of Violence, S. 100, 120 ff. 244 In Bezug auf den Begriff der Krise vgl. Henning Grunwald / Manfred Pfister, Einleitung zu: Krisis!, hg. v. dens., S. 7 – 20; Ansgar Nünning, Grundzüge einer Narratologie der Krise: Wie aus einer Situation ein Plot und eine Krise (konstruiert) werden, in: Krisis!, hg. v. Grunwald / Pfister, S. 48 – 71. 245 Wie etwa bei Hieronymus Kromayer, Oratio Panegyrica De Bello Tricennali Germanico et Partibus tam togatis, quam sagatis Serenissimi Saxoniae Electoris in isto spectatis habita in Templo Academico, XXII. Julii, Soteriorum die publice indicto, Leipzig 1650, Bl. A 1r : »non eventu, sed exitu res magnas ponderari, tritum est, & læt belli hujus tricennalis catastrophe magis comprobatum.« »Es ist allgemein bekannt, dass große Dinge nicht nach dem Ereignis, sondern nach dessen Ausgang beurteilt werden müssen; und die glückliche Wendung dieses dreißigjährigen Krieges hat es mit besonderer Deutlichkeit unter Beweis gestellt.« Anders als Hans Medick meint, wird damit der Dreißigjährige Krieg bei Kromayer nicht als »Katastrophe mit einem happy end« vorgestellt (Medick, Erfahrung und Memoria, S. 159), sondern gar nicht als eine »Katastrophe« im heutigen alltagssprachlichen Sinne des Wortes. Der Begriff der »catastroph¦« in der Bedeutung einer Wende zum Guten findet sich bei Kromayer auch auf Bl. A 3r/v und im Sinne einer tragischen Wendung auf Bl. 1r. Siehe dazu auch den Art. »Catastrophe«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 5,
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frühneuzeitliche Texte jedoch verteilen sie dabei mit der Furcht und ihrem Gegenstück zwei Affekte auf dem Zeitstrahl der Geschichte, die doch untrennbar zusammengehören: zum einen im providentiellen Horizont, zum anderen semantisch-textuell – als aufeinander verweisende Beschreibungen. Diese Begriffe emotionalisieren und essentialisieren Furcht und Furchtlosigkeit, um sie damit zugleich in einer Wirklichkeit jenseits des Textes und in einer als zukunftsoffen konzipierten Geschichte zu verorten. Die frühneuzeitliche Semantik der Furcht dagegen gehorcht keiner epistemologischen Trennung zwischen einer vorgängigen »Erfahrung« und ihrer nachgängigen »Diskursivierung«, einer Deutung, die in der Bewältigung von Emotionen neue schafft – psychische und mentale Zustände, deren intime Kenntnis nur bei intuitiver und empathischer Rückübertragung eigener Befindlichkeiten postuliert werden kann. Das bedeutet: Auch wo keine Krise des religiösen Bewusstseins konstatiert wird, sondern ein religiös konnotiertes Bewusstsein einer Krise, auch wo das Deutungssystem Religion nicht als erschüttert angesehen wird, sondern als Instrument zur Bewältigung der Erschütterung, auch wo die Krise in der Religion überwunden wird und nicht in deren Überwindung, auch dort wird eine moderne, lineare Geschichtskonzeption vorausgesetzt, die mit einer frühneuzeitlichen Furchtsemantik schwer kompatibel ist. So verbindet die beiden hier diskutierten Positionen am Ende mehr, als sie trennt. Nicht nur, dass auch eine Krisenlinderung durch religiöse Geschichtsdeutungen die Krise voraussetzt, die gelindert worden ist: Auch dort, wo das frühmoderne Geschichtsbild selbst in die Krisis hineingezogen wurde, hatte es, bevor es so weit kam, ihrer »Bewältigung« gedient.246 Hier konkurrieren Intensitäten des Leidens. Beide Aussagen basieren, epistemologisch gesehen, auf dem Selbstbild einer Aufklärung, die sich in ihrem Anspruch konstituierte, die Furcht aus der Geschichte zu vertreiben. Für diese Proklamation beschrieb sie die Vergangenheit als erfüllt von einer Furcht, die sie auf eine religiös fundierte Geschichtsauffassung zurückführen zu können meinte. Insbesondere im Theorem des »Störfalles« hat dies für die vorliegende Fragestellung weiterreichende Implikationen. In ihm erscheint der Dreißigjährige Krieg als Motor und Katalysator einer krisenhaften Entwicklung, in der die zunächst innerhalb der alten eschatologischen Ordnung intensivierte Furcht vor dem Ende der Geschichte allmählich durch die Angst im Wissen um das Fehlen einer derartigen Ordnung abgelöst wurde: durch die Angst im Bewusstsein von e
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Sp. 1457 f., der »Catastrophe« wertneutral als »eine geschwinde, jahlinge Veranderung« definiert. Zur Begriffsgeschichte der »Katastrophe« siehe oben die Einleitung zu Kap. 4.2. Zu Kromayer vgl. Guenther H.S. Mueller, The »Thirty Years’ War« or Fifty Years of War, in: The Journal of Modern History 50/1, On Demand Supplement (März 1978), S. D1053 – D1056, hier D1055. 246 Nicht zuletzt, so wie bei Roeck, in der Legitimierung des Krieges: Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, S. 28.
»Flucht und Zueflucht«: Die Furcht vor »Türken und Tataren«
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Historizität, der Notwendigkeit, hier und jetzt und mit offenem Ausgang selbst geschichtlich zu handeln. Der Versuch, diese neue Furcht durch die Rückkehr zum Alten zu bewältigen, konnte, weil sich Uhren nur um den Preis historischer Triebwerkschäden zurückdrehen lassen, aus dieser Perspektive zunächst nur in einen »ängstlichen Immobilismus« führen.247 Unter dieser Voraussetzung erscheint erst der dynamische Optimismus der Aufklärung, der sich einer moralisch und selbstverantwortlich handelnden Gestaltung geschichtlichen Fortschritts verschrieben hatte, als ein wirksames und dauerhaftes Mittel gegen die Angst der Krise, nicht nur gegen die alte, sondern auch gegen die neue, insofern diese sich am Ende auch noch der Persistenz des Alten verdankte. Über diese aufklärerischen Elemente hinaus kommt in der These von der Furcht vor der eigenen Geschichtlichkeit ein existentialphilosophisches Paradigma zum Tragen, in dem von Kierkegaard über Heidegger bis hin zu Sartre eine »Angst« im Bewusstsein der historischen Kontingenz des eigenen Daseins von der gegenstandsbezogenen »Furcht« unterschieden worden ist. Und wer dann noch die Spuren der individual- und kollektivpsychologischen Diskussion um die langfristigen mentalen Folgen von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg beachtet, muss feststellen: Die These vom »Trauma des Dreißigjährigen Krieges« als »Störfall frühneuzeitlicher Geschichtserfahrung« verdankt sich Theoremen, die eines eint: eine Modernität, die sowohl den Blick auf frühneuzeitliche Konzepte von Furcht und Angst verstellt als auch auf deren Verschränkung mit Geschichtlichkeit, auf Konzepte, in denen Geschichte nicht ohne religiöse und kosmologische Hintergründe und Horizonte verständlich wird, auch dort nicht, wo ihr Ende nicht unmittelbar zu erwarten stand.248
5.3. »Flucht und Zueflucht«: Die Furcht vor »Türken und Tataren« Dieser religiöse Referenzrahmen behielt auch bis zum Ausklang des Jahrhunderts eine weitreichende Gültigkeit – ungeachtet der Tatsache, dass sich um 1700 die »säkulare« Jahrhundertrechnung zu etablieren und die vorangegangene Zenturie zum »martialischen Saeculum« zu formen begann.249 Auch die neue 247 Ders., Der Dreißigjährige Krieg, S. 244. 248 Benigna von Krusenstjern sieht für die zweite Hälfte des Krieges einen (nur) zwischenzeitlichen Rückgang eschatologischer Erwartungen: von Krusenstjern, Prodigienglaube, S. 64. 249 Markus Meumann konstatiert für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts bereits die Ablösung des eschatologischen Geschichts- und Zeitkonzepts durch ein modernes, lineares, und verweist dafür auf die Etablierung der Jahrhundertrechnung gegen Ende des Säkulums – als Folge der Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges: Meumann, Von der Endzeit zum Säkulum; Experience of Violence.
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Rechnung enthob die geschichtliche Zeit nicht gänzlich ihrer providentialistischen Fundierung – besonders deutlich zu ersehen etwa bei den Pietisten.250 Diese Persistenz manifestiert sich auch in den Beschreibungen der militärischen Auseinandersetzungen der zweiten Jahrhunderthälfte, vor allem derer gegen die Osmanen, historisch gesprochen: gegen die »Türken«.251 In diesen Berichten zeigt sich nicht allein die lange Dauer einer heilsgeschichtlichen und eschatologischen Grundierung der beschriebenen Furcht vor kriegerischer Gewalt, sondern zudem deren zweite zentrale Dimension. Furcht vor Krieg im Zeichen der Endzeit fürchtete den Antichrist; und dieser inkarnierte nicht allein in Angehörigen der jeweilig anderen Konfession, in denen also, die das rechte Christentum verlassen hatten, sondern auch in jenen, die ihm gar nicht erst angehörten. Um das Feld vollständiger auszuleuchten, ist daher, nach den innerchristlichen Spannungen zwischen 1618 und 1648, nicht etwa der »zweite dreißigjährige Krieg« in den Blick zu rücken, nicht die Feldzüge Ludwigs XIV. zwischen 1667 und 1697,252 sondern der Konflikt mit den Nichtchristen: nach der Furcht vor »turkisierten«253 Konfessionen nunmehr die Furcht vor den Türken selbst. Die militärischen Auseinandersetzungen des Heiligen Römischen Reiches mit dem Osmanischen konzentrierten sich auf die Grenzgebiete im Südosten. Weiter als bis nach Wien drangen die Türken nicht vor, und als es ihnen gelang, scheiterte die Belagerung der Stadt: zunächst 1529, am Ende dann auch 1683. Im Gegensatz zum Dreißigjährigen Krieg stellte ein »Türkenkrieg« auf Reichsboden daher weniger eine Realität als vielmehr eine Möglichkeit dar : eine Drohung und Gefahr. In der publizistischen Kontroverse in den deutschsprachigen Territorien wurde die Furcht vor den Osmanen vielfach wichtiger als die Osmanen selbst. Der Krieg gegen sie mochte sich am Ende als eine vergleichsweise randlagige Erscheinung erwiesen haben, die Furcht vor ihm war es nicht; denn sie wies ins Zentrum christlichen Selbstverständnisses. Das Problem der »Türkengefahr« bestand seit der Eroberung Konstantino250 Siehe dazu Jakubowski-Tiessen, Eine alte Welt; Hans Schneider, Die unerfüllte Zukunft. Apokalyptische Erwartungen im radikalen Pietismus um 1700, in: Jahrhundertwenden, hg. v. Jakubowski-Tiessen / Lehmann / Schilling / Staats, S. 187 – 212. 251 Um der Lesbarkeit willen wird im Folgenden auf die Anführungszeichen in der Regel verzichtet. 252 Der Begriff wurde von Johannes Burkhardt geprägt, zuletzt in Johannes Burkhardt, Deutsche Geschichte in der Frühen Neuzeit, München 2009, Kap. 7. Zum Verhältnis von Religion und kriegerischer Gewalt in den innerchristlichen Auseinandersetzungen der zweiten Jahrhunderthälfte vgl.: War and Religion after Westphalia, 1648 – 1713, hg. v. David Onnekink, Farnham, Surrey 2009. 253 Thomas Kaufmann, »Türckenbüchlein«. Zur christlichen Wahrnehmung »türkischer Religion« in Spätmittelalter und Reformation, Göttingen 2008 (Forschungen zur Kirchenund Dogmengeschichte 97), Kap. V.
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pels im Jahre 1453; besonders virulent wurde es dann in der Reformationszeit, des Weiteren im späten 16. Jahrhundert und – nach einer ›Atempause‹ während des Dreißigjährigen Krieges – in den frühen 1660er und 1680er Jahren. Hier sticht insbesondere die zweite Belagerung Wiens hervor, die einem zwanzigjährigen Frieden ein Ende setzte und nicht allein den historischen Höhepunkt, sondern auch die allmähliche Wende der Bedrohung mit sich brachte: den memorialpolitisch bis heute wirkmächtigen Umschlag von der Furcht der Christen vor den Türken zur behaupteten Furcht der Türken vor den Christen – den Anfang, gewissermaßen vom Ende der Endzeit. Die »Türkengefahr« des »martialischen Saeculums« hat – im Gegensatz zum 15. und 16. Jahrhundert – in der Forschung lange Zeit vergleichsweise wenig Beachtung gefunden, und auch wenn sich dies seit einigen Jahren zu ändern beginnt, steht eine Untersuchung ihrer historisch-kulturellen Semantik nach wie vor aus.254 Dies ist auch für die Belagerung der kaiserlichen Residenz festzustellen. Da »Erinnerungsorte« wie dieser zudem eine vergleichsweise hohe Überlieferungsdichte hervorzubringen pflegen,255 liegt es nahe, die Furcht vor der Eroberung Wiens im Folgenden ins 254 Dies gilt auch nach der Publikation von Andrew Wheatcroft, The Enemy at the Gate: Habsburgs, Ottomans and the Battle for Europe, London 2008, der zwar »fear« als sein »main topic« vorstellt (S. XXI), jedoch eine Geschichte der militärisch-politischen Bedrohung geschrieben hat. Für das 15. und 16. Jahrhundert vgl. v. a. Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, Kaufmann, »Türckenbüchlein«, kurz gefasst als: Aspekte der Wahrnehmung der »türkischen Religion« bei christlichen Autoren des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Wahrnehmung des Islam. Zwischen Reformation und Aufklärung, hg. v. Dietrich Klein / Birte Platow, München 2008, S. 9 – 25, sowie Martin Hille, Providentia Dei, Reich und Kirche. Weltbild und Stimmungsprofil altgläubiger Chronisten 1517 – 1618, Göttingen 2009 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 81), Kap. C.III. Die Gewalt der Türkenkriege des späten 17. Jahrhunderts ist bisher v. a. kunst- und mediengeschichtlich untersucht worden: Andrea Pühringer, »Christen contra Heiden?« Die Darstellung von Gewalt in den Türkenkriegen, in: Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie, hg. v. Marlene Kurz / Martin Scheutz / Karl Vocelka / Thomas Winkelbauer, Wien / München 2005 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 48), S. 97 – 119. Generell ist die Gewalt dieser Auseinandersetzungen nun auch Gegenstand einer Typologie transkultureller Kriege geworden: Transcultural Wars from the Middle Ages to the 21st Century, hg. v. Hans-Henning Kortüm, Berlin 2006, darin insbes. der Beitrag von Stephen Morillo, A General Typology of Transcultural Wars – The Early Middle Ages and Beyond, S. 29 – 42. Eine weitergehende Diskussion der einschlägigen Literatur im Folgenden. 255 Siehe v. a. Walter Sturminger, Bibliographie und Ikonographie der Türkenbelagerung Wiens 1529 und 1683, Graz 1955 (Veröffentlichung der Kommission für neuere Geschichte 41); ders., Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten, München 1983; ders., Die Türkeninvasion von 1683 in gleichzeitigen Berichten, in: Museum Perchtoldsdorf, Perchtoldsdorf 1983, S. 153 – 173; Karl Teply, Das österreichische Türkenkriegszeitalter, in: Die Türkenkriege in der historischen Forschung, hg. v. Zygmunt Abrahamowicz u. a., Wien 1983 (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 13), S. 5 – 51. Zur Belagerung
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Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Und wenn etwa der lutherische Prediger Adam Bernd sein furchtsam-melancholisches Temperament neben den über die Mutter ererbten Schrecken des Dreißigjährigen Krieges maßgeblich auch auf die »fürchterliche[n] Impressionen« zurückführt, die ihm als Kind »beigebracht wurden«, »als der Türke Anno 1683 vor Wien lag«,256 scheint diese Fokussierung einmal mehr gerechtfertigt. Andere Berichte aus den Türkenkriegen, wie etwa jene des nach Ungarn ziehenden militärischen und medizinischen Personals, sind demgegenüber von nachrangigem Interesse.257 Neben ausgewählter Traktatliteratur stützen sich die Überlegungen dieses Kapitels zunächst auf die recht zahlreichen (publizierten wie unpublizierten) Berichte von »Augenzeugen«, den testes oculati, aus der belagerten Stadt. In einem zweiten Schritt dann wird ihnen ein Tagebuch aus dem Umland gegenübergestellt: der umfangreiche Furcht- und Fluchtbericht Balthasar Kleinschroths, des Sängerpräfekten im Zisterzienserkloster Heiligenkreuz im Wienerwald. Das frühneuzeitliche Christentum, überspitzt gesagt, konstituierte sich in seiner »Türkenfurcht«: nicht allein in der Abgrenzung von den Nichtchristen, sondern in der Sorge, von ihnen überwältigt zu werden. Das wirkungsmächtige Narrativ der »Türkengefahr« wird somit nur verständlich über die ihm eingeschriebene Furcht. Diese erhielt ihre gewaltsame Virulenz durch die heilsgeschichtlichen Implikationen ihres Gegenstands. Furcht erregten nicht allein die Kämpfer aus Südost, sondern vor allem auch die Bilder, die sich die Christianitas von ihnen entwarf. Die Bewohner des Reiches fürchteten nicht die Osmanen, sondern die »Türken«, will sagen: In der militärischen Bedrohung fürchteten sie immer auch die religiöse: deren heilsgeschichtliche Bedeutung.258 Wiens als »lieu de m¦moire« (Pierre Nora) vgl. Mathieu Lepetit, Die Türken vor Wien, in: Deutsche Erinnerungsorte, hg. v. Etienne François / Hagen Schulze, Bd. 1, München 2001, S. 391 – 406. 256 Bernd, Eigene Lebens-Beschreibung, insbes. S. 23 – 25, zit. 25. Näheres dazu oben Kap. 4.5. 257 Hier wären etwa zu nennen die eigene Lebensbeschreibung des Feldschers Johann Dietz (Dietz, Mein Lebenslauf), ein von einem anonymen Musterschreiber verfasstes und bisher noch unbekanntes Tagebuch aus dem Jahre 1688 (BSB Cod. germ. 7074), die Aufzeichnungen des Fähnrichs Zehe (Zehe, Hannoversche Rotröcke), Siegmund Joachim von Trautmannsdorff, Diarium de bello contra Turcas 1690 – 1691, ÖNB Cod. 7311, sowie das Tagebuch des siebenbürgischen Ratsherrn Mathias Miles, Diarium expeditionis anno 1682 cum principe Michaele Apafi in Hungariam susceptae, lingua germanica exaratum (SNBB, Fol. Germ. 296), in: Monumenta Comitialia Regni Transylvaniae, Bd. 17, hg. v. Sándor Szilágyi, Budapest 1894, S. 341 – 388. Miles ist bekannt geworden durch sein e Werk: Siebenbürgischer Wurg=Engel/ Oder Chronicalischer Anhang des 15 [sic] Seculi e e nach Christi Geburth/ aller theils in Siebenburgen/ theils Ungern/ und sonst Siebenburgen e e e angrantzenden Landern/ furgelauffener Geschichten …, Hermannstadt 1670. 258 So bereits Georgius von Hungaria, Tractatus de moribus, condictionibus et nequicia Turcorum. Traktat über die Sitten, die Lebensverhältnisse und die Arglist der Türken. Nach der Erstausgabe von 1481 hg., übers. und eingel. v. Reinhard Klockow, Köln / Weimar /
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Zwischen der Mitte des 15. und dem Ende des 17. Jahrhunderts wurde »der Türke« zum Maßstab für alles Verwerfliche, zum Bösen schlechthin, zum Fleisch und zum Nachfahren des Teufels. »Turca« stand für blutdürstige Gewalt und eine »angeerbete Grausamkeit«,259 die nicht nur historisch-genetisch, sondern auch semantisch verbürgt schien: Sein (lateinischer) Name, so fanden die Etymologen, leitete sich her von »Torqueo, ich peinige/ oder Trux, (grausam)«.260 Dies, so wussten die Theologen, war der »Antichrist«: Negation und diabolische Pervertierung alles Christlichen.261 Das wiederum bedeutet: Der »Türke« ist eine genuin christliche Figur. In der Epistemologie der similitudo wurde auch der Gegensatz als eine Form der Ähnlichkeit gefasst. Wie Lucifer, der gefallene Engel: Das Böse, die Sünde als Verneinung Gottes, entstand aus Gott selbst, gewissermaßen an seiner Seite. Die Theologie der permissio Dei sah im Teufel nicht allein den Gegenpart des Herrn, sondern (als solchen) auch seinen Diener ; denn Gottes Ziel war nicht, das Böse auszuschalten, sondern es für seine Zwecke einzusetzen. Und das heißt: Die Bedrohung durch den türkischen Antichrist, so lange sie anhielt, wurde als göttliche Strafe aufgefasst an jenen Christen, die die Grundsätze des rechten Glaubens verraten hatten: als Sanktion hier und jetzt und als Vorgriff auf ewige Pein.262 Das Bild vom »Erbfeind« ist paradoxerweise nicht zu verstehen ohne den reuevollen Blick von Christen auf sich selbst. Gott strafte nach dem Prinzip des Talion: Gleiches mit Gleichem und Sünde mit Sünde. In diesem Sinne (und nur in diesem) erschienen die Türken als Spiegel des Eigenen.263 Sie reflektierten die Sünden der Christen in der ihnen eigenen Sündhaftigkeit. Über den Erbfeind erhob sich dann nur, wer das Strafinstrument als
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Wien 1993 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens. Ergänzungsreihe zum Siebenbürgischen Archiv 15), Kap. 3. e e Lucius Apronius, Denckspruche Itziger Furnehmsten Potentaten und Herrn In Evropa, o. O. 1656, Bl. C 4v. e [Erasmus Francisci,] Die heran dringende Turcken=Gefahr : Das ist; Wohlgemeinte/ e doch unvorgreiffliche Erinnerung/ in was hochbesorgtem und gefahrlichem Zustande/ e unser liebes Vatterland Teutscher Nation/ und das gantze Heil. Rom. Reich jetziger Zeit e stecke: auch wie diesem blutdurstigem Erb= und Ertz=Feinde fruchtbar und ersprießlich e e zu begegnen ware: Vermittelst einer Unterredung furgestellet/ durch C.M., o. O. [Nürnberg?] 1663, Bl. E 1r. Zur Etymologie siehe auch Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 20, mit zahlreichen Quellenhinweisen für das 15. und 16. Jahrhundert. Dass dieses Bild nicht die historische »Wirklichkeit« abbildet, ist jetzt noch einmal aufgezeigt worden von Jürgen Luh, Religion und Türkenkriege (1683 – 1699) – neu bewertet, in: Militär und Religiosität, hg. v. Kaiser / Kroll, S. 193 – 206. Vgl. Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 20; dazu unten Anm. 272. Die Konfessionen, dies zeigen vor allem die Türkenpredigten der Zeit, unterschieden sich dabei in erster Linie im Grad ihrer apokalyptischen Orientierung: Norbert Haag, »Erbfeind der Christenheit«. Türkenpredigten im 16. und 17. Jahrhundert, in: Repräsentationen der islamischen Welt im Europa der Frühen Neuzeit, hg. v. Gabriele HaugMoritz / Ludolf Pelizaeus, Münster 2010, S. 127 – 149. Siehe dazu unten Anm. 271.
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solches erkannte. Aus ihrem indikatorischen Potential gewann die türkische Verderbtheit eine heilsgeschichtliche Notwendigkeit: Sie brachte, wenn sie näher kam, die christliche ans Licht; sie erlaubte es, aus der Bedrohung durch türkische Unchristlichkeit auf die eigene zu schließen und zum Heil zu finden im Wissen um die eigene Abweichung vom rechten, christlichen Weg. Freilich wusste man vom Widersacher am Bosporus auch Positives zu berichten; doch war dies eher Teil des Feindbildes als sein Gegenteil. Dem 16. und 17. Jahrhundert stand ein reichhaltiges Wissen über das Osmanische Reich zur Verfügung, das sich nicht mehr allein aus den kanonischen Schriften speiste, sondern nunmehr auch aus der Neugier der Reisenden (curiositas) und deren eigener Anschauung (experientia). Dieser Rekurs auf die Erfahrung jedoch erklärte sich primär aus der Überzeugung, dass den Gegner kennen musste, wer ihn wirksam bekämpfen wollte.264 Nicht nur Expeditions- und Gefangenenberichte, sondern auch die Schriften der Reformatoren betonen die zeremonielle Strenge und moralische Disziplin der türkischen Religion, ihre gesetzestreue Frömmigkeit, Reinheit und Hygiene.265 Ihre verführerische Wirkung auf die Einbildungskraft und eindrückliche Faszination ließen sich allein durch eine dämonologische Rückführung entschärfen. Religiöse Demut entlarvten die Theologen als Heuchelei, die vermeintliche Vorbildlichkeit als schönen »äußerlichen« Schein; alles in allem hatte man es mit trügerischen Blendwerken zu tun, derer sich Satan bediente, um seinen Opfern das Seelenheil zu rauben.266 Vor ihnen hieß es auf der Hut zu sein, doch bargen sie auch eine heilsgeschichtliche Chance. Bereits der Dominikaner Georg von Ungarn etwa beschrieb die gefährlichen Verlockungen türkischer Religiosität, um mitzuteilen, dass er erst
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264 Für das 17. Jahrhundert siehe etwa Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 3v. Vgl. Martin Wrede, Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg, Mainz 2004 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte 196), Teil 1, Kap. 2 und 6. Für das 15. und 16. Jahrhundert vgl. Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 24 f. Reisebeschreibungen begannen früher als die Publizistik damit, den Islam nicht mehr als »Sekte« oder als »Gesetz« aufzufassen, sondern als »Religion«. Doch auch als Religion blieb der islamische Glaube ein falscher und seine »ethnographische« Erkenntnis ein Versuch seiner Entmachtung: Almut Höfert, Den Feind beschreiben. »Türkengefahr« und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450 – 1600, Frankfurt a.M. 2003; kurz gefasst in dies., Das Gesetz des Teufels und Europas Spiegel. Das christlich-westeuropäische Islambild im Mittelalter und der Frühen Neuzeit, in: Orient- und IslamBilder. Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, hg. v. Iman Attia, Berlin 2007, S. 85 – 110, hier 101 – 105. Für Quellen aus dem 17. Jahrhundert siehe unten Anm. 286 – 289, zu Höfert auch Anm. 271. 265 So auch die Feldärzte in Ungarn, die hier einen wirksamen Schutz gegen die Ungarische Krankheit sahen; dazu oben Kap. 4.4 und im Folgenden. 266 Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 25.
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durch sie wirkliche Festigkeit im christlichen Glauben gefunden habe.267 Ähnlich wie bei Augustin Güntzer im Land der »Papisten«: Für eine wirksame Abgrenzung schien es temporärer Annäherung zu bedürfen. Dieses Interesse an Vorbildlichem steht im Kontext einer rhetorischen Topologie, die Christen mit dem Hinweis kritisierte, sie seien noch schlimmer als das Schlimmste. Im Dreißigjährigen Krieg versammelte Arnold Mengerings Kriegs=Belial die Argumente.268 Wo »Türken« als Exempel firmierten, wurden sie nicht mit Lob bedacht, sondern die fraglichen Christen umso effektiver diskreditiert. Wer sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen hatte, der überbot noch, was nicht überboten werden konnte. Der Topos war häresiologisch basiert; er stellte die Verwerflichkeit der Türken nicht in Frage, sondern setzte sie voraus. All dies bedeutet: Weder die Hinweise auf die verderblichen Züge von Christen noch jene auf die vorbildlichen der Türken rückten letztere in helleres Licht, im Gegenteil. Zusammen schufen sie eine negative Kontrastfolie: ein Bild, aus dem weniger die Verhältnisse im Osmanischen Reich sprachen als vielmehr der Versuch, das Römische zu einem Heiligen zu machen. Beschreibungen der »Türken« sind somit zunächst und in erster Linie als christliche Selbstbeschreibungen zu betrachten. In der Forschung ist die Erbfeindrhetorik überwiegend als Akt der Identitätsbildung interpretiert worden: als Versuch, das »Eigene« zu formen im Ausschluss des angsterregenden »Fremden«,269 als Versuch, das »Selbst« zu erkennen in der Erkenntnis des »Anderen«,270 als Versuch, es zu stabilisieren in der »epistemologischen Bemächtigung« seines »negativen Spiegelbildes«.271 Für das 267 Georgius von Hungaria, Tractatus de moribus, Vorwort (S. 144 – 149), Kap. 16 (S. 298 – 307) sowie S. 348 f. und 406 – 411. 268 Mengering, Kriegs=Belial, S. 15, 174, 189, 237, 347 f., 468 – 472, 592, 596, 639 f. 269 Vgl. Carsten Colpe, Historische und theologische Gründe für die abendländische Angst vor dem Islam, in: Fremdheit und Angst. Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Islam, hg. v. Doron Kiesel / S¸ener Sargut / Rosi Wolf-Almanasreh, Frankfurt a.M. 1988 (Arnoldshainer Texte 53), S. 31 – 55, insbes. 36, 44; allgemein: Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 174. 270 Siehe etwa Mustafa Soykut, Image of the »Turk« in Italy : A History of the »Other« in Early Modern Europe, 1453 – 1683, Berlin 2001; Western Views of Islam in Medieval and Early Modern Europe: Perception of Other, hg. v. David R. Blanks / Michael Frassetto, New York 1999. 271 Für die »epistemologische Bemächtigung« siehe Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 24 f. Kaufmann fasst den Begriff in einem religiösen und damit in anderem Sinne als Almut Höfert. Höfert sieht im »Türken«-Diskurs des 15. und 16. Jahrhunderts eine Kompensation politisch-militärischer Unterlegenheit und macht in ihm die Anfänge orientalistischen Herrschaftswissens der Moderne aus. Diese Interpretation kritisiert die bis dato prävalente Meinung, dass dieses Wissen aus der Überlegenheit geboren worden sei. Auch sie jedoch kommt nicht ohne die Kategorie einer »Identität« und eines »Eigenen« aus, die sich über das »Fremde« bzw. »Andere« als ihrem (negativen) »Spiegelbild« formieren. Die dichotomische Struktur dieser Kategorie wird auch nicht durch deren Dynamisierung und Plu-
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späte 17. Jahrhundert wird die so konstruierte »Identität« vielfach nicht nur als eine christliche und damit als eine individuelle vorgestellt, sondern nunmehr auch als eine kollektive: als eine europäische, wenn nicht gar nationale.272 Die ralisierung überwunden. Siehe Höfert, Den Feind beschreiben, insbes. S. 23 f., 313 – 320, dies., Gesetz des Teufels, S. 85, 104 – 107, und mit selbstkritischer Note dies., Alteritätsdiskurse: Analyseparameter historischer Antagonismusnarrative und ihre historiographischen Folgen, in: Repräsentationen, hg. v. Haug-Moritz / Pelizaeus, S. 21 – 40, hier 22. (Für den Begriff des »negativen Spiegelbildes« in Bezug auf die mittelalterliche Figur des »Antichrist als Feindbild schlechthin« siehe Simona Slanicka, Feindbilder : Die Darstellung des Kriegsgegners als negatives Spiegelbild, in: Kriegs/Bilder in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Birgit Emich / Gabriela Signori, Berlin 2009 [Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 42], S. 93 – 119, hier 97 – 99.) Siehe außerdem Höfert, The Order of Things and the Discourse of the Turkish Threat: The Conceptualisation of Islam in the Rise of Occidental Anthropology in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, in: Between Europe and Islam: Shaping Modernity in a Transcultural Space, hg. v. ders. / Armando Salvatore, Brüssel u. a. 2000 (Multiple Europes 14), S. 39 – 69; dies., Vom Antichrist zum Menschen. Der Wandel des westeuropäischen Türkenbildes in der frühen Neuzeit anhand des Traktats über die Sitten, die Lebensverhältnisse und die Arglist der Türken des Georgs [sic] von Ungarn, in: Spagat mit Kopftuch. Essays zur Deutsch-Türkischen Sommerakademie der Körber-Stiftung, hg. v. Jürgen Reulecke, Hamburg 1997, S. 47 – 72. Für eine orientalismusgenealogische Interpretation vgl. auch Daniel J. Vitkus, Early Modern Orientalism: The Representation of Islam in Sixteenth and Seventeenth Century Europe, in: Western Views of Islam, hg. v. Blanks / Frassetto, S. 207 – 230; zum orientalistischen Blick außerdem Asli C ¸ irakman, From the »Terror of the World« to the »Sick Man of Europe«: European Images of Ottoman Empire and Society from the Sixteenth Century to the Nineteenth, New York u. a. 2002. – Das »Andere« und das »Fremde« sind kategorial sorgfältig voneinander zu unterscheiden: Ersteres beschreibt eine Differenz, letzteres dagegen eine (hermeneutische) Distanz (unabhängig davon, ob diese Distanz für überwindbar gehalten wird oder nicht). Siehe dazu die scharfsinnige Analyse von Andrea Polaschegg, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin / New York 2005 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 35), insbes. S. 39 – 59. 272 Josef Köstlbauer, Europa und die Osmanen – Der identitätsstiftende »Andere«, in: Studien zur europäischen Identität im 17. Jahrhundert, hg. v. Wolfgang Schmale / Rolf Felbinger / Günter Kastner / Josef Köstlbauer, Bochum 2004 (Herausforderungen. Historisch-politische Analysen 15), S. 45 – 71; Lepetit, Türken, S. 398 – 402, der die Imagologie des »Türken« als »seitenverkehrtes Spiegelbild« zwecks Ausbildung einer deutschen nationalen Identität interpretiert und daher vor allem dessen Verfremdung ausmacht: »Gegenüber dem Deutschen wird der Türke zum Fremden par excellence« (S. 398). Ähnlich argumentiert Wrede, Das Reich, Teil 1, insbes. S. 110 ff. Siehe darüber hinaus Martin Rheinheimer, Identität und Kulturkonflikt. Selbstzeugnisse schleswig-holsteinischer Sklaven in den Barbareskenstaaten, in: Historische Zeitschrift 269/2 (1999), S. 317 – 369. Für das 16. Jahrhundert siehe Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 43 f. und Kap. VI (»Der Türke und die europäische ›Identität‹«), der vor diesem kategorialen Hintergrund die Figur des »Antichrist« als »diabolisch pervertiertes Derivat des Eigenen« charakterisiert (S. 20); Claire Norton, »The Lutheran is the Turks’ luck«: Imagining Religious Identity, Alliance and Conflict on the Habsburg-Ottoman Marches in an Account of the Sieges of Nagykanizsa 1600 and 1601, in: Das Osmanische Reich, hg. v. Kurz / Scheutz / Vocelka / Winkelbauer, S. 67 – 82. Vgl. auch Iskra Schwarcz, Konfliktverhältnisse auf dem Balkan und die kaiserliche Propaganda in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Das Osmanische Reich, hg. v. Kurz / Scheutz / Vocelka / Winkelbauer, S. 229 – 247.
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einschlägigen diskurs- und mentalitätsgeschichtlichen Studien lesen die historischen Texte zumeist mit allzu modernen Augen und lösen die heilsgeschichtlichen Grundierungen der Furchtbeschreibungen (sofern sie sie in den Blick nehmen) als Instrumente von Gewaltlegitimation und Krisenbewältigung auf.273 Auch hier ist es die Autobiographik, die derartige Interpretamente zu hinterfragen erlaubt. Die Funktion der Furchtbeschreibung für die personale Selbstkonstitution, die im Tagebuch Balthasar Kleinschroths deutlicher zu Tage tritt als irgendwo sonst, wird zeigen, dass die Rede von der »Türkenfurcht«, wie sie in der Publizistik vielfältig verbreitet wurde, mit dem konzeptuellen Handwerkszeug von »Identität und Alterität« nicht hinreichend erfasst werden kann. In der Logik von »Perversion« und dichotomischem »Antagonismus« geht sie nicht auf. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts schien der Christenheit nur ein einziges wirklich effizientes Instrument gegen die Gewalt der Osmanen zur Verfügung zu stehen: kein militärisches (und auch kein epistemologisches), sondern ein geistliches: das Wissen um die politische und militärische Unterlegenheit und um deren Gründe, das Wissen um die Gefahr und darum, worin sie eigentlich bestand. »Preces et lacrymae«, ging das Sprichwort, »sunt arma Ecclesiae«: »Gebete und Tränen sind die Waffen der Kirche«.274 Als die Bedrohung mit der Belagerung Wiens im Jahre 1529 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte, las Luther in ihr einen Fingerzeig auf die Plausibilitätsdefizite der Papstkirche; und so reagierte er mit der Mahnung, Buße im Gewissen zu tun und sich abzuwenden von einer Religiosität des äußerlichen Gesetzesgehorsams und der Zeremonien, 273 Zur Krisenbewältigung: Ulrich Andermann, Geschichtsdeutung und Prophetie. Krisenerfahrung und -bewältigung am Beispiel der osmanischen Expansion im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, in: Europa und die Türken in der Renaissance, hg. v. Bodo Guthmüller / Wilhelm Kühlmann, Tübingen 2000, S. 29 – 54; ders., Vom Amselfeld nach Wien. Osmanische Kriegsdrohung, Apokalypse und Geschichtsdeutung vom späten Mittelalter bis zum Konfessionellen Zeitalter, in: Der Krieg in religiösen und nationalen Deutungen der Neuzeit, hg. v. Dietrich Beyrau, Tübingen 2001, S. 41 – 60. Zur Gewaltlegitimation: Klaus Schreiner, Kriege im Namen Gottes, Jesu und Mariä. Heilige Abwehrkämpfe gegen die Türken im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Heilige Kriege, hg. v. dems., S. 151 – 192; Anton Schindling, Türkenkriege und ›konfessionelle Bürgerkriege‹. Erfahrungen mit ›Religionskriegen‹ in der Frühen Neuzeit, in: Krieg und Christentum, hg. v. Holzem, S. 596 – 621, hier 602; auch Gregory James Miller, Holy War and Holy Terror : Views of Islam in German Pamphlet Literature, 1520 – 1545, Boston University 1994. 274 Das Sprichwort findet sich etwa bei Michael Julius, Sechs kurtze Predigten: Jn welchen e das herrliche schone Kinderliedt: Erhalt uns HERR bey deinem Wort/ etc. erkleret und e e ausgeleget ist allen Christen/ in diesen fehrlichen vnd betrubten Jharen/ nutzlich vnd e trostlich zu lesen, Erfurt 1589, Bl. D 4r (dazu Veit, Entre violence, r¦sistance et affirmation identitaire, S. 274), und in Hegnitii Medici, et Centumuirorum Coronensium Oratoris Diarivm Rerum Memorabilium Transilvaniae de anno MDCLX., SNBB Fol. Germ. 290, S. 17.
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die Katholiken und Türken in seinen Augen vereinte. Das Strafinstrument zu bekriegen, hätte bedeutet, gegen Gott selbst zu Felde zu ziehen; stattdessen war zu bekämpfen, was göttliche Sanktion auf sich zog: Sünde und Unbußfertigkeit. Diese Verweigerung gegenüber der militärischen Option gab der Reformator zwar bald auf, sein Gesinnungswandel jedoch blieb an zwei Auflagen gebunden: Der militärische Feldzug, zum einen, durfte kein Kreuzzug sein; er war nicht von der geistlichen, sondern allein von der weltlichen Obrigkeit anzuführen (hier fand die Zwei-Reiche-Lehre ihren Niederschlag); und zum anderen mussten die kriegerischen Maßnahmen von spirituellen begleitet werden.275 Zwar konnte Buße auf Soldaten nicht verzichten; wo sie fehlte, jedoch, war auch das mächtigste Söldnerheer zum Scheitern verurteilt. Erst die eigene Umkehr im Leben vermochte auch den Gegner im Felde zur Umkehr zu zwingen. In der Folge stellten die militärische und die geistliche Option daher keinen Widerspruch mehr dar – so lange es Einigkeit gab über die Prioritäten; und dies blieb weitgehend auch bis zum Ende des 17. Jahrhunderts der Fall. In dieser Zeit war die Bekämpfung der furchterregenden »Türkengefahr« eine Frage der rechten Furcht. Bezeichnend ist der wiederholte Hinweis kirchlicher und weltlicher Obrigkeiten, das Volk fürchte sich nicht genug vor den Türken, es sei ihrer Faszination, Verlockung und Verführung erlegen.276 Hier erscheint »Türkenfurcht« nicht als ein Leiden, sondern als eine heilsgeschichtliche und ordnungspolitisch-militärische Notwendigkeit. Die »Türkengefahr« ließ sich instrumentalisieren für die Anweisung zu einem Verhalten, das der Gefahr die 275 Dazu Hartmut Bobzin, »Aber itzt … hab ich den Alcoran gesehen Latinisch …«. Gedanken Martin Luthers zum Islam, in: Luther zwischen den Kulturen. Zeitgenossenschaft – Weltwirkung, hg. v. Hans Medick / Peer Schmidt, Göttingen 2004, S. 260 – 276. Zur Haltung Luthers gegenüber den Türken vgl. auch Kaufmann, »Türckenbüchlein«, passim; Martin Brecht, Luther und die Türken, in: Europa und die Türken, hg. v. Guthmüller / Kühlmann, S. 9 – 27; Johannes Ehmann, Luther, Türken und Islam. Eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515 – 1546), Gütersloh 2008 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 80); Johannes Kritzl, »Adversus turcas et turcarum deum«. Beurteilungskriterien des Türkenkrieges und des Islam in den Werken Martin Luthers, Bonn 2008 (Disputationes religionum orbis. Sectio O: Orient et Occident 4). e e 276 Tobias Wagner, Turcken=Buchlein/ Das ist: Summarische Beschreibung deß Ottomanie schen Hauses Herkommen/ und Kriegen/ biß auf gegenwartige Zeiten. Vom Autore auß e seinem Genealogischen Lateinischen Libell, ins Deutsch ubersetzt/ und zu Erweckung e e wahrer Buß und Wachtsamkeit/ gegenwartiger grossen TurckenNoth/ an Tag gegeben, Ulm 2 1664 [1661], S. 150 f. (mit einem Zitat aus Augier Ghislain de Busbecq, Legationis Turcicæ Epistolæ quatuor. Qvarvm Priores Dvæ ante aliquot annos in lucem prodierunt sub nomine Itinerum Constantinopolitani et Amasiani …, Paris 1589), und S. 191 (mit einem Zitat von Johannes Cuspinian). Siehe dazu Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 46 f.; Karl Vocelka, Erblande gegen Erbfeinde. Die österreichischen Länder und das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit, in: Repräsentationen, hg. v. Haug-Moritz / Pelizaeus, S. 41 – 54, hier 45 – 48; ders., Geschichte der Neuzeit. 1500 – 1918, Wien / Köln / Weimar 2010, S. 315.
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Grundlage entziehen sollte, indem es der göttlichen Strafe den Anlass nahm. Gefordert war die rechte Furcht vor den Türken, nicht die falsche, die Ehrfurcht vor Gott und nicht vor seiner Geißel, und das heißt: die Furcht vor der Sünde, deren Bestrafung der Erbfeind androhte und vollzog. Dies war die Furchtlosigkeit, die Schutz bot; sie vertrieb die Gefahr, die sträflicher Leichtsinn auf sich ziehen musste. Zu ihr kamen nur die rechten Christen – weil sie die Bedrohung erkannten: weil sie wussten, dass hier nicht ihr diesseitiges Leben auf dem Spiel stand, sondern das Leben danach. Die rechte Furcht(losigkeit) gegenüber den Türken legte an den Tag, wer die nötigen Vorsichtsmaßnahmen ergriff: wer sich rüstete zum Kampf und sein Leben als Einsatz gab und wer dies tat im Vertrauen auf Gott: im Wissen um die eigene Strafwürdigkeit und darum, dass Gott denen gnädig sein würde, die dies wussten. Die Auseinandersetzung über die »Türkenfurcht« und ihre Überwindung war keine Auseinandersetzung über das Osmanische Reich oder die Religion des Islam, sondern über die Grundlagen des Christentums, und dies blieb sie auch dann noch, als man sich auf Reichsboden allmählich abzugewöhnen begann, religiöse Konflikte militärisch auszutragen: nach dem Ende einer allseitigen rhetorischen »Turkisierung« des konfessionellen Gegners, wie sie bis zum Westfälischen Frieden auf der Tagesordnung gestanden hatte.277 Vor diesem Hintergrund schien ein militärisches Vorgehen gegen den Erbfeind zwar notwendig und legitim; Erfolg jedoch versprach es allein dann, wenn auch geistlich gekämpft wurde, mit Gott, und wenn im Falle eines Sieges kein Zweifel bestand, wer ihn errungen hatte. Diese Konstellation strukturiert die beunruhigten Reflexionen auf die zunehmende Gefahr und die konkreten Beschreibungen der Kriegshandlungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Einige Texte der frühen sechziger Jahre weisen eine Besonderheit auf, die nicht der aktuellen historischen Situation geschuldet ist, die sie beschreiben, nicht den konkreten Kampfhandlungen ihrer Zeit, sondern deren Vorgeschichte. Sie operieren mit einem signifikanten historischen Bezug: nicht allein mit Geschichte und Tradition der »Türkengefahr« und auch nicht mit der jüngsten Entwicklung des politisch-militärischen Konfliktes mit dem Osmanischen Reich, sondern mit dem Dreißigjährigen Krieg. »Woher kommts«, so der lutherische Theologe Tobias Wagner 1661, e
»daß wir Teutschen nicht mehr an unsern außgestandenen dreyssigjahrigen Krieg/ an e e das darinnen verubte Wurgen/ Brennen/ Reissen und Rauben gedencken/ da Evangelische und Papisten einander selbsten in die Haar seynd gefallen/ als wann wir nicht e Christen gegen Christen/ sondern Turcken wider Christen untereinander weren gee wesen/ daß wir offt seuffzeten/ wann Gott doch alle andere Baume zu Ruthen machte/ und wirs leiden/ und gedultig seyn; Woher kommts/ daß nach solchem Jammer wir 277 Kaufmann, »Türckenbüchlein«, Kap. V.
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nicht allein nicht frommer/ sondern noch darzu arger seynd/ ohnerachtet aller Orthen e die Fußstapffen deß weyland brennenden Zorns Gottes/ die in Aschen gelegte Dorffer/ e e e e Vestungen/ Schlosser und Stadt/ minirte/ uber einen Hauffen geworffene Thurne [sic] e und Mauren/ noch fur unsern Augen ligen? Antwort: Von der Sicherheit/ welche uns e Teutschen die Gedachtnus hemmt/ die Augen blendet/ die Empfindlichkeit nimmet/ e daß wir des Vergangenen nicht mehr gedencken/ das Gegenwartige nicht sehen/ das e e Außgestandene nicht mehr fuhlen/ gleich wie einer der mitten im Meer schlafft/ und e 278 wie einer schlafft oben auff dem Mastbaum/ Proverb. 23. v. 24.«
Dieser Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg schrieb keine Geschichte »außgestandener« Gefahren, sondern die Genealogie der gegenwärtigen. Die Sünden, die Gott sanktionierte mit der »Türkengefahr« des späten 17. Jahrhunderts, hatten für Wagner einen konkreten historischen Ort. Die Drohung eines erneuten Türkenkriegs schien ihm Strafe dafür, dass aus den Erfahrungen des dreißigjährigen Blutvergießens nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen worden waren. Was Menschen erlitten hatten zwischen Prager Fenstersturz und Westfälischem Frieden, als sich Christen wie »Türken« verhielten, war die Antwort auf ihre Sünden (und damit auch auf diesen Krieg; er strafte sich immer schon selbst). Dreizehn Jahre später bereits schien dieser Sanktionszusammenhang in Vergessenheit geraten zu sein; aus der Geschichte, so wird von Wagner unterstellt, hatte hier niemand gelernt. Statt Buße und Umkehr : die unbeirrte Fortsetzung des falschen Wegs. Die Türken kamen wieder, denn es galt Sünden zu strafen, die umso schwerer wogen, als niemand sagen konnte, er sei nicht gewarnt worden. Gott vergaß nichts, dies unterschied ihn von den Menschen: Wer vergessen hatte, welcher Preis gezahlt worden war für mehr als »türkische« Gewalt, wurde dafür jetzt von der Gewalt der Türken heimgesucht. Im Dreißigjährigen Krieg selbst hatte man, wie es hieß, von einer Grausamkeit, wie er sie brachte, noch nicht gehört; jetzt dagegen kannte man sie schon nicht mehr. Künftige Gefahren drohten, weil jene, die die vergangenen überstanden hatten, wenig Dankbarkeit bewiesen. Die Menschen erinnerten sich nicht: an ihr Leid und an die Botschaft, die es enthielt. Dieses Vergessen wurde weder als Zeichen einer »Traumatisierung« noch einer »Unfähigkeit zu trauern« vorgestellt.279 Verantwortlich erschien weder eine »Unaussprechlichkeit« des Gewalterleidens noch eine »unbeschreibliche« Gee
e
278 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 219 f. Das proverbium ist den Sprüchen Salomos entnommen (23.31 – 34): »Sieh den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht: Er geht glatt ein, aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. Da werden deine Augen seltsame Dinge sehen, und dein Herz wird Verkehrtes reden, und du wirst sein wie einer, der auf hoher See sich schlafen legt, und wie einer, der oben im Mastkorb liegt.« 279 Alexander Mitscherlich / Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. Mit einem Nachwort der Autoren zur unveränderten Neuausgabe, München / Zürich 1977.
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waltsamkeit des eigenen Tuns:280 kein Gefühl unbewältigter Schuld am Leiden der Opfer. Was von Wagner angemahnt wurde, ist weder das Eingeständnis eigener Verbrechen noch das Bewusstsein für unsichtbare Verwundungen. Seine Aufforderung hatte weder eine moralische noch eine psychologische Grundierung, sondern eine religiöse. Sie besagte: Erinnere dich, was du (und dass du es) erlitten hast für das, was du getan hast – und was kommen wird, wenn du dich nicht änderst. Der Bußruf des Theologen wusste um einen Tun-Ergehens-Zusammenhang in der Geschichte, den schon das spätere 18. Jahrhundert vielfach so nicht mehr kannte. Wenn Wagner in seiner Warnung vor der »Türkengefahr« an den Dreißigjährigen Krieg erinnert, sucht er zu verhindern, dass weiter erlitten wurde, was schon einmal erlitten worden war : dass die Geschichte sich wiederholte. Im Gegensatz zum 20. Jahrhundert jedoch wusste der Mahner darum, dass das Künftige stets dem Vergangenen glich. Wagners Klage, dass aus der Geschichte nicht gelernt worden sei, setzte die historische Didaxe als Möglichkeit voraus: historia est magistra vitae. Konstitutiv für diese Möglichkeit historischer Belehrung jedoch war das Wissen um (und die Klage über) deren beständige und unausweichliche Wirkungslosigkeit. Was schon immer geschah, würde auch wieder geschehen. Historie (als Heilsgeschichte) lehrte fürs Leben, da sie sich beständig wiederholte; und sie wiederholte sich, als Geschichte des Unheils, weil die Sünder, die sie machten, sich unfähig zeigten, aus ihr zu lernen. Tobias Wagner rief auf zu Buße und Umkehr, weil derartige Aufrufe bisher verhallt waren; er tat es mit der Zuversicht, dies nunmehr zu ändern, und im Zweifel daran zugleich. Diese Geschichte brauchte die Sündhaftigkeit ihrer Akteure, zu deren Überwindung sie angetreten war. Die Hoffnung auf Besserung schien so nötig wie unbegründet, und das heißt auch: gekoppelt an Furcht und Angst. Dies war noch immer Geschichte nach dem Fall und vor dessen aufklärerischer Entmachtung. Die immanenten Paradoxien ihrer Begrifflichkeit lösten sich allein in der transzendenten Perspektive, in der Erschließung eines zweiten historischen Raums. Die Mahnung, es künftig anders zu machen, dachte schlussendlich an ein Leben nach dem Tod. Eine Geschichte, die der Vergehen der Menschen bedurfte, um sie sühnen zu können, brauchte eine Geschichte nach und neben ihr selbst: Sie musste einst (und immer schon) ein Ende haben. Dass Tobias Wagner mit der jüngsten Vergangenheit argumentiert (und nicht 280 Für letztere vgl. aus dem Türkenkrieg in Ungarn 1687 den Feldherrnbericht von Heinrich Tobias von Haßlingen, Journal pro Anno 1687, ÖStA (KA) B/1510:2, S. 208: »dz gemetzle vndt niederhawn der feindte ist nicht zubeschreiben, weilen Sie in der flucht durch die enge passe einander nicht weichen khönnen, vndt schätzte ich ihrer Todten zum wenigsten auf 7000: der Janitscharen seint sehr viel in dem morast ersoffen, einige aber haben sich zur rechten Handt in dem Waldt salviret, so noch täglich von denen Unserigen auffgesucht, vndt zum theill niedergemacht, zum theill bey¨ 10. vndt 12. heraußgebracht worden.« Nachweise zur »Unaussprechlichkeit« des Gewalterleidens unten in Anm. 468.
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mehr nur mit der antiken), kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sein Argument eschatologisch ausgerichtet blieb; dies beweist nicht zuletzt seine Notiz zu Kometenerscheinungen der fünfziger und sechziger Jahre.281 Dass die Welt die Angst und die Not des Dreißigjährigen Krieges überlebt hatte, führte nicht zu einer Linderung endzeitlicher Spannung, sondern zu deren erneuter Aktualisierung. Auch wenn Wagners Rekurs auf die Geschichte zunächst auf ihre modern-lineare Konzeptualisierung schließen lassen mag, hat auch er das exemplarische Geschichtsbild nicht verlassen. Auch das Türcken=Büchlein offenbart die spezifische Verschränkung von einer rück- und einer vorausschauenden memoria, von Erinnerung und Mahnung, im Horizont göttlicher Providenz. Die Türken rückten wieder näher, so die verbreitete Überzeugung, weil die Zeit trotz innerchristlicher Befriedung keine christlichen Soldaten mehr kannte. Der »geistliche Ritter« schien in dreißigjährigem Morden verloren gegangen zu sein, als Christen, in etymologischer Perversion ihres Namens, sich wie »Türken« bekämpften. Das Problem hatte zwei Seiten. Zunächst, so meinte man, gab es unchristliche Obrigkeiten, die sich allzu sorglos zeigten. Wer der Gefahr nicht zum Opfer fallen wollte, musste sie erkennen, und das hieß auch: Er musste wissen, dass Gott es war, der sie schickte. Wer die »Türkengefahr« verachtete, so Wagner, verachtete auch seinen Schöpfer.282 »Die Sicherheit«, warnte eine ane onyme Flugschrift, sei »fast iederzeit alles Unglucks Ursprung gewesen/ und niemand ehender/ als der sonder Furcht gelebet/ unterdrucket worden.«283 Schwerer jedoch wog die Gottlosigkeit der Soldaten. Sie manifestierte sich nicht in fahrlässiger Furchtlosigkeit, sondern in falscher Furcht. Von »deutscher« Tapferkeit schien nur noch ein Schatten geblieben;284 dem Söldner der Zeit war Feigheit zu attestieren, er fürchtete die Türken und nicht den Gott, dem sie dienten (in all ihrer Grausamkeit). Dieser Soldat wusste nicht, dass Gott denen die Furcht nahm, die Buße taten und auf ihn vertrauten. Auch hier jedoch waren Präzisierungen gefragt und Missverständnisse zu e
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281 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 222. Darüber hinaus findet sich bei ihm der Hinweis auf Luthers Sorge, Gott möchte in seinem Zorn einmal einen Türkenkrieg über die Deutschen ergehen lassen (S. 226 f.), und die Einschätzung der »Türkengefahr« nach dem Alten Testament (S. 183 ff.). – Erdbeben, »denen man insgesamt eine Vorbedeutung pflegt zuzuschreiben«, werden etwa auch von Erasmus Francisci, Schau= und Ehren=Platz e Christlicher Tapfferkeit/ Das ist: Aller Denck= und Ruhmwurdig=ausgestandenen e e e e Belagerungen der Weltberuhmten Romisch=Kayserlichen Ansitz=Stadt Wien in Oesterreich …, Nürnberg 1684, S. 20, erwähnt. e e 282 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 149 f., 190 f. Die Mahnung findet sich im Dreißigjährigen Krieg bereits bei Mengering, Kriegs=Belial, S. 639 f. e 283 Treu=Aufrichtiges Bedencken über der itzigen Zeit obhandenen und taglich zunehmenden e e allgemeinen Turcken=Gefahr/ wohlmeinend eroffnet von Einem Liebhaber des Vaterlandes, o. O. 1664, § 1. Siehe auch unten Anm. 334 und 335. e 284 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. G 1r.
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vermeiden. Beitrag zur Klärung leisteten die Brüder »Wohlrath« und »Frische muth« in ihrem fiktiven Dialog Die heran nahende Turcken=Gefahr, die der gelehrte Schriftsteller Erasmus Francisci (bzw. Finx) 1663 publizierte. Als Frischmuth beklagt, im Dreißigjährigen Krieg habe es »unter den unserigen« e wenigstens noch »rechte Waghalse gegeben«, »die so unerschrocken gefochten/ e e als hatten sie mit dem Tode Bruderschafft getruncken«, widerspricht ihm der e Klügere sanft: »Die Bedachtsamen wurden mehr haben ausgerichtet/ weder285 e e die Waghalse: deren es unter den Turcken auch mehr gibt/ weder uns lieb seyn e mag. Dann ihre Religion treibt sie dazu an/ daß sie den Tod nicht furchten 286 sollen.« Frischmuth entgegnet, dies könne der christliche Glaube doch noch »viel besser thun: dann wir wissen gewiß/ daß/ wer sein Leben/ um Christus willen/ verlieret/ der werde es finden«, und so bringt Wohlrath das Problem auf den Punkt: »Ja; aber wenig gedencken leider daran; besonders die Soldaten: e e e sonst wurden sie viel Christlicher leben/ den Tod von der Hand eines Turcken fur e 287 Gewinn achten/ und keinen Schritt fur seinen Klauen weichen.« Die Grundsätze ihrer Religion, sagt Wohlrath, werden von den christlichen Soldaten eben nicht befolgt; mit anderen Worten: Was nützt die beste Lehre, wenn sie niemand beherzigt? Anders dagegen die Türken: Ihre Demut gegenüber der »Allmacht und Allwissenheit« ihres Gottes gab Christen allen Grund zur Bescheidenheit: e e »kaum zu glauben/ wie sehr die Turcken uns hierinn beschamen«. Über die theologische Verwerflichkeit ihrer Lehre konnte natürlich kein Zweifel bestehen; e in Sachen göttlicher »Fursehung« taten sie des Guten zu viel, »massen ein recht e e e Stoischer unumganglicher Nothzwang deß Verhangnusses von ihnen statuiret e wird/ der durch keinen menschlichen Witz noch Rath zu andern noch vermeiden sey.« Die »türkische Religion«, so meinte Francisci, entkoppelte die Todesstunde des Menschen von seinem Tun und Lassen zuvor und beließ damit für die Freiheit eines Christenmenschen keinen Raum (eine Argumentation, die sich zwanzig Jahre später, anlässlich der Belagerung Wiens, auch bei Eberhard Werner Happel wiederfinden sollte ebenso wie in Gottfried Wilhelm Leibniz’ Hinweis auf die »eingebildete praedestination« der »Türcken«).288 Ungeachtet 285 286 287 288
D.i. »als«. e Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 1r. e Ders., Turcken=Gefahr, Bl. H 1r. e Eberhard Werner Happel, Der Ungarische Kriegs=Roman, Oder Außfuhrliche Bee e schreibung/ Deß jungsten Turcken=Kriegs/ Wobey Aller darinnen verwickelter Hoher e Potentaten Lander/ Macht/ und Herrschafft/ absonderlich aber eine curieuse Beschreibung e e von Ungarn/ Persien/ und Turckey/ zusamt denen denckwurdigsten Belagerungen und e blutigsten Feld=Schlachten so die Turcken Zeit ihrer Herrschafft zu jedermanns Verwunderung vorgenommen und erhalten haben. Unter einer anmuthigen Liebes= und Helden=Geschichte auf Romanische Weise in einer reinen ungezwungenen Teutschen e Redens=Arth verfasset und mit allerhand Nutz= und ergotzlichen Historischen/ Politie e schen und dergleichen leßwurdigen Sachen angefullt, Ulm 1685, S. 736. Als erstes
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dessen jedoch habe diese Religion zu einem Gesetzesgehorsam zu bewegen e vermocht, der Respekt verlangte. Die ausgeprägte Furcht der Türken »fur der e e gottlichen Gewalt« ließ sie in »Andacht und Eiver uber ihrem Gesetz hefftig entbrennen«.289 So fürchteten Knechte, ließe sich ergänzen, aber deren Gottesfurcht schien noch immer besser als keine. An sich war »die Natur der Asiatie schen Volcker«, bei all ihrem Mut, »etwas forchtsamer/ dann [die] der Europeer«; dies änderte sich jedoch, sobald christliche Gottesfurcht in Vergessenheit geriet.290 Der »türkische« Glaube brachte große Gefahr, nicht allein geistlich, sondern auch militärisch: nicht nur weil er so manche zur Konversion verführte, sondern auch, weil er sich als effizientes Rüstzeug erwies im Kampf gegen jene, die sich nicht bekehren lassen wollten. Die bei Francisci aufscheinende Ambivalenz von Wertschätzung und Verdammnis der »türkischen« Religion und ihrer Verfechter wird auch aus der Häresiologie nicht sogleich verständlich; die Diagnose der Widersprüchlichkeit e
»Haupt=Wesen« der »Irrthumer und verdamlichen Opinionen« der Mohammedaner sah Happel, wie so viele andere, die Leugnung Christi und seines Erlösungswerkes an (dazu auch Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 41). Aus lutherischer Sicht musste dies, zum zweiten, die Möglichkeit einer spezifisch christlichen Freiheit hintertreiben. Die Türken schienen eine Gottheit aus der europäischen Antike zu verehren (die einzige quasi-monotheistische, die sie zu bieten hatte): das fatum der Stoa, die Unfreiheit eines unausweichlichen Schicksals. Der polemische häresiologische Rekurs jedoch verfehlt nicht allein das stoische Freiheitskonzept; er verstellt zudem, dass sich stoische providentia und protestantische Prädestination (gleich welcher Spielart) deutlich weniger unterschieden, als es das Differenzbestreben der Theologen postulierte. Wenn Francisci und Happel christliche Freiheit und stoische Notwendigkeit opponieren, dann nehmen sie eine Abgrenzung vor, die nicht Aufschluss über das Kritisierte gibt, sondern über die Kritiker – in diesem Fall die Abgrenzung gegen die »Türken« über die vorausgesetzte Grenze zur antiken Philosophie, im Gegensatz zur umgekehrten Praxis der interkonfessionellen »Turkisierung«: der Abgrenzung gegen Katholiken oder Protestanten mittels der Grenze zu den »Türken«. Die Kritik am »stoischen Notzwang« des Schicksals vermochte weder die stoische Philosophie noch den theologischen Gehalt der »türkischen Religion« zu erfassen; sie präsentiert vielmehr den Gründungsmythos eines Christentums, das der stoischen Schicksalskonzeption eine deterministische Grundierung unterstellte, um die Freiheit des Sünders denken zu können: die Möglichkeit des Bösen in der Möglichkeit der Entscheidung zum Guten (zu der der Sünder am Ende der göttlichen Gnade bedurfte, und das heißt: zu der er befähigt sein musste und es doch nicht war). Hier liegt eine spannungsreiche Übersetzung vor: Um die Andersartigkeit der erbfeindlichen Religion zu betonen, standen nur Begriffe aus dem eigenen semantischen Arsenal zur Verfügung. Damit wurde nicht nur ein Unterschied gemacht, sondern auch eine Ähnlichkeit geschaffen. Auf diesem Wege mochte die anvisierte Unterscheidung so recht nicht gelingen – und so drohte die Gefahr diabolischer Verführung umso mehr. Der Erztäuscher verrichtete sein teuflisches Werk gerade dort, wo er die Christen so weit in die Sünde geführt hatte, dass ihnen sogar der Gesetzesgehorsam des Antichrist die Schamesröte ins Gesicht trieb: wo ihnen die verderblichste Religion am Ende noch als die wahre erschien. – Leibniz, Bedencken, S. 609, führt außerdem die körperliche Überlegenheit der »Barbaren« über die »civilisirten völcker[]« ins Feld. Dazu auch im Folgenden. e 289 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 2v – 3v. e 290 Ders., Turcken=Gefahr, Bl. F 4v – G 1v, zit. G 1v.
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drängt sich auf. Sie lässt sich jedoch entkräften, wenn die Sache noch einmal anders gewendet wird. Die Furchtlosigkeit der Türken gegenüber dem Tod, so die Botschaft des Dialogs, verwies auf die Widerchristlichkeit ihrer Religion; aller religiösen Begründung zum Trotz konnte der rechte Christ in der Furchtlosigkeit seines Gegners am Ende nur eine Waghalsigkeit erkennen. Aus der Todesfurcht christlicher Soldaten dagegen sprach nicht das Wesen ihrer Religion, sondern deren Missachtung. Auch der Gott der Christen verlangte, den Tod nicht zu fürchten, doch gab er seiner Forderung ein anderes Fundament. Eine »bedachtsame« Todesbereitschaft vermochte »mehr auszurichten« als eine »waghalsige«, eine christliche Tapferkeit mehr als die der Türken, weil sie das Leben einsetzte für das höchste Gut und es nicht für ein zweifelhaftes riskierte. Wo derartige Furchtlosigkeit fehlte, jedoch, schien eine »stoische« noch immer überlegen; wer christliche Todesbereitschaft vermissen ließ, den versetzte unchristliche in Furcht. Wer keinen Grund haben wollte, die Türken zu fürchten, tat also gut daran, sie zu fürchten – in gottesfürchtigem Maße: nicht zu wenig, aber auch nicht zu sehr. Er musste den Erbfeind bekämpfen mit einer Bereitschaft zum Tode, die nicht den Tod suchte, weder sehnsüchtig noch verzweifelt, sondern das Leben danach:291 die das Leben gab im Wissen, dass Gott die Türken nur schickte, um aus diesem Jammertal zu befreien. Wer die Türken besiegen wollte, sollte nicht nur ihre Laster kennen, sondern auch ihre Tugenden;292 er sollte wissen, aus welcher Quelle ihr Mut sich speiste, um sich auf die einzig reine und ergiebige zu besinnen: auf geistliche Ritterschaft, auf Buße und Gebet. Für Soldaten, die e Gottvertrauen mit »Kleinmutigkeit« verwechselten, gab es keine Verwendung; denn sie pflegten »die ersten [zu] seyn/ so da Fersen=Geld geben/ sich mit e schandlicher Flucht/ vor dem blossen Anblick der Feinde/ retiriren/ und Land und Leute dem Schwert und Feuer in die Rapuse293 geben.« Sollte es jedoch gelingen, all die, »die/ deß Tages/ hundert tausend Sacrament fluchen/ eh sie ein Vatter unser […] beten«,294 zur Umkehr zu bewegen, dann gab es noch Hoffnung: »Ja wann wir in wahrer Gottesforcht/ und bußfertiger Bekehrung zu Gott gute alte Streiter Jesu Christi weren/ und uns nicht verliessen auff uns selbsten/ sondern auff e Gott/ wär es wol ein Weg/ diesen Feind so hoch nicht zu forchten/ als einen Tyrannen/ dessen Gott mit dem Stab seines Zorns wird Meyster seyn: Aber jhn wollen verachten/ e e e und einen erzurnten Gott haben/ da gehe du Turcken Verachter weit entdan [sic]; 291 Siehe dazu auch oben Kap. 3.4. e 292 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 3v. Dies bezog sich nicht allein auf die Taten der Türken, sondern auch auf ihre Schriften: Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 39; Bobzin, Gedanken Martin Luthers, S. 270 – 272. 293 D.i. »preis«. e 294 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. K 3r/v.
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angesehen Orient für jhm sich hat entsetzet/ daß Occident sich fur demselben soll e huten/ wachen und betten/ daß es nicht in Anfechtung falle.«295
Ein Gegner, der Ost und West in Angst und Schrecken versetzte, war Gegner genug. Auch wenn hier kaum eine europäische oder deutsche »Identität« geboren wurde, wie manche meinen,296 gewann in dieser Zeit der nicht-christliche Antichrist Vorrang vor dem christlichen: Nur in überkonfessioneller Eintracht, nur im Zusammenschluss aller »Teutschen«, so Wagner und Francisci, gab es die Chance, einen Feind zu bezwingen, der sich um Konfessionen nicht scherte;297 nur so konnten Protestanten vermeiden, künftig gleich zwei Erbfeinde fürchten zu müssen und zu seufzen mit den Versen des Reformators: »Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort/ Und steur des Bapsts und Türcken Mord«.298 Dazu bedurfte es nicht europäisch, sondern christlich gesinnter Soldaten: Soldaten mit unbeflecktem Gewissen, die ihre Offiziere mehr fürchteten als den Feind,299 die sich nicht auf sich selbst verließen, sondern auf Gott und sein Wort. Die Praxis freilich schien anders auszusehen und die Vernachlässigung christlicher Grundsätze das Bild zu bestimmen. Diese entwickelte ihre tödliche Wirkung nicht erst im Kampf, sondern bereits davor: nicht allein in der Feigheit vor dem Feind, sondern auch in den Krankheiten, in die sie führte. An dieser Stelle wird nochmals der Ort der kriegerischen Auseinandersetzung virulent. Die Sie tuation in Ungarn, dem »Musterplatz Turckischer Grausamkeiten«,300 gab Anlass zur Sorge, weil die Zahl der Soldaten dort bei weitem nicht so hoch war, wie angenommen; und dies ging nicht unmittelbar auf das Konto der Türken: »Von denen aber/ so bißher in Ungarn gelegen/ sollen ihrer viel/ dem gemeinen Verlaut e e e nach/ sich gar zu sehr uberfullet/ und an den Zaunen zu tode gefressen haben. Werden also ihrer theils wohl aufgehebt/ und allbereit bey dem lieben Gott seyn. Etliche sagen/ unseren Teutschen falle der Lufft in Ungarn zu streng/ und werde offt der Kern guter e Mannschafft an der heissen Sonnen verdistillirt; daher nachmals die ubrige Quint= e Essents sehr schwach und unkrafftig sey : Wiewol dennoch denen hohen und niedrigen e e Officiren/ herauf ein wachsames und sorgfaltiges Auge zu haben gebuhrete.«301
Wurden die Vorschriften der Diätetik verletzt, fehlte gegen den Feind die rechte Medizin; dann wurde die Gefahr größer, als sie eigentlich war, weil die Soldaten, e
e
e
295 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 191; siehe auch S. 213 und Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. K 3r – 4r. 296 Für Nachweise siehe oben Anm. 272. e 297 Francisci, Turcken=Gefahr, S. F 3r – 4r, K 4v. Siehe dazu Wrede, Das Reich, S. 166 – 171. e e 298 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 235 – 238 (Hervorh. von mir); außerdem S. 206. e 299 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. N 1r – unter der Voraussetzung freilich, dass »sich unsre e e Cavalliers und Heerfuhrer nicht [schamten]/ ihren Soldaten mit guter Andacht vor zu leuchten«: Bl. K 3r/v. e e 300 Wagner, Turcken=Buchlein, S. 154. e 301 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. E 2v – 3r.
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die sie bekämpfen sollten, den Bedingungen des Grenzgebietes erlagen: seiner Fruchtbarkeit und seinem Miasmenreichtum zugleich. Der Hinweis auf die bösartige Strenge der »Lufft« rechtfertigt die Annahme, dass diese Soldaten in Franciscis Augen nicht an einem Übermaß an Nahrungsmitteln verstarben, sondern am Ungarischen Fieber – auch wenn der Autor dies nicht ausdrücklich erwähnt. Jenen, die um die imaginative Genese der Ungarischen Krankheit wussten, teilte Francisci dann mit: Die Soldaten der Grenzregion starben an der febris Hungarica aus allzu großer Furcht vor den Türken, und eben deswegen wuchs diese Furcht im Reich.302 Das Problem nährte sich aus seiner Einseitigkeit. Die Türken, das wussten auch die Mediziner, betraf es in dieser Weise nicht. Sie waren im Vorteil, denn sie befolgten die Gesetze ihrer Religion: ihre Vorschriften zu Ernährung, Hygiene und Reinheit. Wer die »Türkengefahr« wirksam bekämpfen wollte, musste sich auf die örtlichen Bedingungen einstellen. Den Versuchungen der Landschaft hatte er nicht zu verfallen, sondern zu widerstehen. Wer sich im Paradies wähnte, hatte mit der Schlange zu rechnen. Ein christlicher Soldat musste wissen, was gegen die ungarische Gefahr zu tun war, und das hieß auch: was seine Feinde unternahmen. Mochten das am Ende auch »Äußerlichkeiten« sein, so halfen sie ihnen doch im Kampf gegen die Söldner aus dem Norden. Wollten die der Gefahr nicht schon erliegen, bevor sie die Türken überhaupt zu Gesicht bekamen, durften sie ihrem Gegner hier nicht nachstehen. Zum Sieg freilich bedurfte es dann noch mehr : Die wahre Gottesfurcht allein, im Bündnis aller Christen, vermochte dem Vormarsch der Osmanen Einhalt zu gebieten und ein weiteres endzeitliches Moratorium zu erwirken. Ein »Frischmuth« mochte hier zuversichtlich sein, »es werde auch dißmal der e Ungarische Krieg bald ein Loch gewinnen/ und der Turck so weit nicht herauf e gehen/ als die allgemeine Furcht/ welche ihr ein Ding immer gefahrlicher ein303 bildet/ besorget.« Ein »Wohlrath« dagegen kannte die Offenbarung und wusste: Hinter dem Türken verbarg sich der Gog der Apokalypse.304 Wer ihn fürchtete, erlag keiner bloßen Einbildung. Mochte Furcht die Probleme zuweilen auch größer machen, als sie waren,305 so hatte sie hier doch einen guten Grund. Für »Wohlrath« bestand kein Anlass zur Sorglosigkeit; und er sollte Recht behalten. Bereits 1664 drangen die Osmanen bis nach St. Gotthard und Mogersdorf vor und veranlassten viele Bewohner Wiens zur Flucht; von ihrer »Betrübnis« und »Verängstigung« berichtete etwa der Venezianische Gesandte am Kaiserhof,
302 303 304 305
Näheres zur Ungarischen Krankheit oben in Kap. 4.4. e Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 4r. e Ders., Turcken=Gefahr, Bl. I 1r ff. Näheres dazu im Folgenden.
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Giovanni Sagredo.306 Knapp zwanzig Jahre später dann, nachdem der 1664 geschlossene Friede von Eisenburg nicht verlängert worden war, stand das Heer des Großwesirs Kara Mustafa Pascha unmittelbar vor den Toren Wiens; der »Große Türkenkrieg« begann. Die heraufziehende Gefahr gab Anlass für eine rege öffentliche Auseinandersetzung. Für die Gymnasialschüler im schlesischen Brieg etwa hieß es bereits am 22. Mai 1683: »HANNIBAL ANTE PORTAS«. Unter diesem Motto veranstaltete das Schultheater des Lyceums einen affektregulatorischen actus publicus, dessen Programmschrift Vielfältiges versprach: Landes-, Geschichts- und Religionskundiges über die Türken wurde vorgetragen, Politisches und Kriegsrechtliches erörtert und ein erbauliches Drama auf die Bühne gebracht.307 Die Furcht in der Schule schien groß (und durchaus begründet), aber das Vertrauen in Gott und den Kaiser noch größer. Dies zeigen nicht allein die einführenden Worte des lutherischen Rektors Gottfried Thilo;308 es spiegelt sich bereits in der historischen Referenz der Titelallegorese. Diese bemisst die Größe der gegenwärtigen Gefährdungslage, indem sie sie der antiken nicht nur gleich-, sondern sogar noch voranstellt. Dazu bedurfte es einer kleinen sprachlichen Manipulation: »Hannibal ad portas« heißt es bei Cicero und Livius; so brachten 306 Giovanni Sagredo, Dispacci del Residente Veneto in Germania, ÖStA (HHStA) Dispacci di Germania, März 1663 – Februar 1664, Bd. 122/123, 5. August 1663, Nr. 1, S. 256: »La divulgatione non s’ À verificata, spargendosi ben spesso voci, che possino consolare l’ afflitto et impaurito popolo«. Vgl. auch Sagredos Bericht vom 8. Juli 1663, Nr. 2, S. 198. Zahlreiche Quellen zum Türkenkrieg von 1663/64 sind verzeichnet bei Georg Wagner, Das Türkenjahr 1664. Eine europäische Bewährung. Raimund Montecuccoli, die Schlacht von St. Gotthard-Mogersdorf und der Friede von Eisenburg (Vasvr), Eisenstadt 1964 (Burgenländische Forschungen 48). 307 Hannibal ante portas, id est, periculum incumbentis belli Turcici, cum materiis cognatis, in actu publico Gymnasii Brigensis, discursibus oratoriis, historicis et politicis, horis ab VIII. matutinis, die XXII. Maji, anni M. DC. LXXXIII. instituendo repræsentabitur, Brieg 1683. Zur Affektregulierung im protestantischen Schultheater vgl. Ulrike Wels, »… daß man die Affecten auch durch saubere Künste moviren könne …«. Affekt im protestantischen Schultheater – Gottfried Hoffmanns Vorrede zur Eviana (1696), in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2, S. 863 – 875. 308 Hannibal ante portas, Bl. 1v : »nemo tandem Prudentiorum erit, aut ex adamante factus, aut de petra excisus, qui immanes illas & truculentissimas strages tanto tamque crudeli Hoste, superioribus seculis, ad Nicopolim, Varnam, Mohatzium, Ezecchium, Agriam, Christiano orbi illatas, sine commotione gravi, sine acerbissimis lacrymis vel legat, vel audiat. Immý nemo Saniorum erit, qui horridam illam ac formidolosam ORIENTIS tempestatem, impræsentiarum cervicibus nostris impendentem, paulo penitius introspiciens, non exhorrescat, & cum STEPHANO, Polonorum Rege sapientissimo judicet, esse periculosæ plenum opus aleæ manus cum TURCIS conserere. Ver¾m, NE QVID NIMIS! Vivit in cœlis DEUS indulgentissimus, qui Populi sui misertus pro meliore causa stabit. Vivit in terris LEOPOLDUS Augustissimus, qui sicuti non solum Optimos Cæsarum Virtute, Maximos Potestate, Benignitate Clementissimos, sed & Felicissimos fortun vincit, vincet quoquÀ HANNIBALEM illum & Pyrgopolinitem gloriosum.«
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sie die Bedrohung Roms im zweiten Punischen Krieg auf die rhetorische Formel (im Falle Ciceros bereits, um den Topos auf eine aktuelle innenpolitische Gefahr zu übertragen: auf die Machtansprüche Marc Antons).309 1683 dagegen finden wir die Präposition »ad« durch ein »ante« ersetzt, das den geänderten politischreligiösen Bedingungen Rechnung trug und dem klassischen Zitatenschatz bis heute erhalten geblieben ist.310 Beschrieb »ad« den Umstand, dass Hannibal lediglich in die Umgebung Roms gelangte, also eher die Zielvorgabe als den Vollzug, so steht er im »ante« bereits unmittelbar vor den Toren. Der präpositionale Tausch markiert die historische Steigerung der Gefahr. Der »türkische Hannibal«,311 dies ließ sich schon im Mai erahnen, würde Wien näher kommen als der karthagische der Hauptstadt des römischen Imperiums. Unabhängig davon, wann der semantische Eingriff erstmals vorgenommen worden ist: Für die Zeit der »Türkenfurcht« ist nicht allein eine signifikante Adaptation der antiken Phrase festzustellen, sondern auch ihre Transformation, ihre Übersetzung gewissermaßen,312 die die welthistorische Gefährdungslage aufrief und zugleich ihrer heilsgeschichtlichen und eschatologischen Zuspitzung zuführte.313 Die historische Referenz vergleicht nicht nur: sie identifiziert. Als die Türken 1683 vor Wien standen, war die Erinnerung an Hannibal keine bloße Metapher. 309 Cicero, Orationes Philippicae 1, 11; vgl. auch: De finibus IV, 22; Livius, Ab urbe condita XXIII, 16.2, vgl. auch XXI, 16.2. 310 Dass die antike Fassung den Zeitgenossen ebenfalls präsent war, zeigt etwa: Mala & bona nova: Hannibal ad portas; Henricus Leo reviviscit in Opera Musica Hannoveræ Anno M DC LXXXIX, Hannover 1689. In Zedlers Universal Lexicon findet sich die neue Variante und ein missverständlicher Verweis auf die Vitae des Cornelius Nepos, der (in XXIII, 5 – 6) den historischen Hergang beschreibt, die Phrase »Hannibal ante portas« jedoch selbst nicht verwendet: Art. »Hannibal«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 12, Sp. 474 – 477, hier 477. 311 »Turcicus ille Hannibal«: Hannibal ante portas (Gottfried Thilo), Bl. 1v. 312 Zum heuristischen Stellenwert der »kulturellen Übersetzung« vgl. Doris BachmannMedick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek b. Hamburg 2006, Kap. 5. 313 Hier tritt Hannibal als Erzfeind des Imperium Romanum in Erscheinung, der – nach Livius, Ab urbe condita XXI, 1 – den Römern bereits als Knabe ewigen Hass geschworen habe. Die Figur findet sich auch in mehreren zeitgenössischen Darstellungen der bildenden Kunst: Andor Pigler, Barockthemen. Eine Auswahl von Verzeichnissen zur Ikonographie des 17. und 18. Jahrhunderts, Bd. 2: Profane Darstellungen, Budapest 21974, S. 393. Doch Hannibal war auch in der Fühen Neuzeit eine durchaus ambivalente Gestalt (wie auch bereits bei Livius): nicht nur Bedrohung für das Abendland, sondern auch bewunderter Feldherr. In der Reformationszeit ließ er sich beschwören, um der Hoffnung auf einen Sieg über die Osmanen Ausdruck zu verleihen. Vgl. dazu Richard Ebermann, Die Türkenfurcht. Ein Beitrag zur Geschichte der öffentlichen Meinung in Deutschland während der Reformationszeit, Halle a. d. S. 1904, S. 10. Darüber hinaus findet sich die positive Konnotation in Stellungnahmen Machiavellis und Montesquieus; dazu Karl Christ, Hannibal, Darmstadt 2003, S. 174.
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Das Theaterprogramm des Gymnasiums Brieg vereinigt die beiden Bedrohungslagen in ein und derselben Geschichte – nicht anders als Albrecht Altdorfers berühmte Alexanderschlacht (1529), die die Geburt des hellenistischen Großreiches bei Issos 333 v. Chr. und die erste Belagerung Wiens durch die Türken im Jahr 1529 in ein und dasselbe Bild setzt: in eine historia im eigentlichen Sinne des Wortes314 (unabhängig davon, dass sich das Gemälde, im Gegensatz zur Schulschrift, primär als Vergangenheits- und nicht als Gegenwartsbeschreibung ausweist). Die Geschichten wiederholten sich auch hier : einst Hannibal vor Rom, jetzt Kara Mustafa vor Wien. Was Karthago für das Imperium Romanum, das war die Hohe Pforte für das Heilige Römische Reich. Diese Identifikation beschrieb nicht allein das exemplarische Ausmaß der Gefahr, sondern auch die Hoffnung auf ihre Überwindung: nicht allein die Vergangenheit, sondern mit ihr auch die Zukunft. Hier wurden nicht nur welthistorische Bedrohungen gleichgesetzt, sondern auch die Verheißungen, die sie bargen – und zwar, im Gegensatz zur Ciceronischen Übertragung, nunmehr im Horizont eschatologischer Erwartung. Wenn Thilo die Elefanten Hannibals vor dem inneren Auge aufmarschieren ließ, dann stellte er auch eine historische Wende in Aussicht: entweder noch in dieser Welt (die Festigung der vierten respektive fünften Weltmonarchie im Moment ihrer Gefährdung)315 oder aber nach ihrem Untergang. Apokalyptische Ängste implizierten zwei Hoffnungen: das Ende für den Augenblick noch einmal abwenden zu können oder aber auf der richtigen Seite zu stehen, sollte dies nicht gelingen.316 Beide Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht von selbst; und das heißt: Wer hier die römische Geschichte beschwor, wollte nicht nur Ängste schüren und nicht nur zuversichtlich stimmen; er wollte auch mahnen, alles Nötige zu tun: nicht allein das
314 Siehe dazu Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 17 – 20. 315 Dies unterscheidet die Allusion freilich von Altdorfers Schlachtenpanorama. Als Hannibal vor den Toren stand, wurde die vierte Weltmonarchie nicht geboren, sondern bedroht. In dieser Gefährdungslage den Keim für den politischen Aufstieg Habsburgs zu sehen, blieb dann spätergeborenen Historikern vorbehalten, die nicht allein über das Wissen um die weitere historische Entwicklung verfügten (wie Cicero und Livius auch), sondern zudem bereits über einen philosophisch-teleologisch grundierten Begriff der Geschichte. 316 Diese Hoffnungen sind, bei Licht besehen, ausschlaggebend. Die gesteigerte Erwartung der Endzeit zeitigte im 17. Jahrhundert keineswegs notwendigerweise eine intensivierte Furcht vor ihr. Für diesen Sachverhalt hat Peter Sloterdijk eine pointierte Formulierung gefunden (in: Das 21. Jahrhundert beginnt mit dem Debakel vom 19. Dezember 2009. Adrian Kreye im Gespräch mit Peter Sloterdijk, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 294, 21. Dezember 2009, S. 10): »Apokalyptik ist eine Form von Optimismus, weil sie von der Annahme ausgeht, es würden am Ende die Richtigen eliminiert und die Guten blieben übrig – sie selbst.« Vgl. auch Robin Bruce Barnes, Prophecy and Gnosis: Apocalypticism in the Wake of the Lutheran Reformation, Stanford, CA 1988, S. 4.
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politisch Mögliche, sondern vor allem das religiös zwingend Erforderliche: die Anerkennung der Strafe und das Bemühen um Besserung.317 Die weitere Zuspitzung der Lage konnte der actus publicus nicht verhindern. Zwei Monate später, im Juli des Jahres, war es wieder so weit: Christliches Kriegsvolk war gefordert, furchtlose und standhafte Soldaten. Wien im Sommer 1683, das war, folgt man den Berichten der »Augenzeugen«, eine »geängstigte« Stadt,318 und das bedeutete: sie selbst in Bedrängnis und ihre Bewohner »ge317 Hannibal ante portas, Bl. 1v – 2r (Gottfried Thilo): »SURSUM igitur oculos, manus ac mentes elevemus Omnes, & delictorum culpam seriý deprecati, sanct vitæ emendatione PATREM propitium in partes vocemus. Ipsum verý Gloriosissimum IMPERATOREM nostrum, in Numinis ac Nominis divini Hostem arma moventem, piis ominibus ac votis prosequamur devotissimis.« Vgl. außerdem die Vorträge Nr. 23 bis 29. 318 In der Charakterisierung der Stadt (und nicht nur ihrer Bewohner) als ge- bzw. beängstigt manifestiert sich die Räumlichkeit der »Angst«: Christoph Fürer von Haimendorf, Die e bekriegte/ und triumphirende Donau in Londen eingefuhrt und vorgestellt/ Als des Kayserlichen Herrn Abgesandtens in Engelland etc. Hrn. Grafen von Thun Excellentz alldorten e die Nachricht erhalten/ Vber Den Entsatz Der Von TVrCken/ VIeL geangstIgten StaDt VVIen, Nürnberg 1683; Georg Christoph von Kunitz, Diarium Welches Der am e e Turckischen Hoff/ und hernach beym Groß=Vezier in der Wienerischen Belagerung gee wester Kayserl. Resident Herr Baron Kunitz eigenhandig beschrieben; und Hernach bey der e e Am Sonntag den 2/12. Septembris 1683. von 9. Uhr fruh/ biß 4. Uhr Abends/ glucklich von e e der Turckischen Belagerung liberirten Stadt Wien (weiln gedachter Herr Resident samt e e denen Turcken die Flucht nehmen mussen/) in seinen Zelt mit allen seinen andern Sachen e e hinterlassen hat. Nebst außfuhrlicher Relation Der Wienerischen Belagerung/ Auch was vorhero/ als die Tartarn denen Unsrigen bey Regelsbrunn in die Arriereguarde eingefallen (so den 7. Julij, st. n. 1683. geschehen) passirt/ samt der Belager= und Eroberung beeder Vestungen Baracan und Gran/ Auch einer Lista derer jenigen specificirten Bassen, so in Person der Belagerung obgedachter Stadt Wien beygewohnt, o. O. 1684, Bl. B 1r ; Johann e e Ferdinand Fischer, Diarium, Oder Weitlauffig und grundliche Beschreibung/ von der e Kays. Haupt= Und Residentz=Stadt Wien/ In Unter=Oesterreich/ im Viertel unterm Wiennerwald liegend; welche vom 14. Julij/ biß 12. Septemb. Anno 1683. 61. Tag von des e e e Turckischen Kaysers Sultan Machomet Kriegs=Volck anfanglich in die 200000. Mann bee stehend/ so ihr Logament rings umb die Stadt mit 22. Lagern gemacht/ ist belagert worden/ e nebst einer außfuhrlichen Specification aller hierbey gebliebner Hoch= und Nieder=Officieren, Regensburg o. J., o.P. [S. 10]; Johann Peter von Vaelckeren, Wienn von e e e Turcken belagert/ von Christen entsezt. Das ist: Kurtzliche Erzehl= vnd Beschreibung alles e e dessen/ was sich vor= in= vnd nach der grausamben Turckischen Belagerung der Kayserlichen Residentz Statt Wienn in Oesterreich Anno 1683. vom 6. Maij an/ biß 19. Sepe tembris von Tag zu Tag denckwurdigs zugetragen …, Linz 1684, S. 94, vgl. auch 88; Happel, Kriegs=Roman, S. 658, 772; Christian Wilhelm Huhn, Nichts Neues und Nichts Altes/ e e oder umbstandliche Beschreibung, Was Anno 1683. Vor/ bey und in der Denckwurdigen e e Turckischen Belagerung Wien, vom 7 Julii biß 12 Septembr. taglich vorgelauffen/ entworffen/ von einem Teste Oculato …, Breslau 1717, S. 8, 11, 70 f.; Johann Martin Lerch, e e e Warhaffte Erzehlung: Welcher gestalt in der angstlichen Turckischen Belagerung der e Kayserlichen Haupt= und Residentz=Stadt Wien in Oesterreich Durch das feindliche Lager e gedrungen/ und die erste Kundtschafft zur Kayserlichen Haupt Armada, wie auch von dar e glucklich wieder zuruck gebracht worden, o. O 1683, Bl. 3r, vgl. 1v ; Eyness traurig Krieg Anfangs des 1683 Jahr verwandelt in den frölichen Lorber Herrlicher Victorien gegen Ende ermelten Jahrs. Aus bewehrten Relationen verlässlichen Sendtschreiben und gewissen
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drückt«. Auf dem Titelblatt seiner Christlichen Anweisung Zur Buß= und Bet=Übung hält Johann Heinrich Lerche fest: »Der TVrke rVket hereIn jj DIe e e ChrIsten zV trVken jj VnD qVaLen. Turke. durch versetzung der Buchstaben 1. e e Ruket. 2. Trukt«.319 Die Sätze präsentieren nicht allein die chronogrammatische Datierung der Belagerung der Stadt und der Publikation des Textes,320 sondern darüber hinaus eine anagrammatisch erzeugte Etymologie des »Türken«, die neben der Grausamkeit des Erbfeindes auch die Angst enthält, die durch sie evoziert wird. Diese Semantik beschreibt die »Bedrängnis« als Prozess (der Einengung) und als Resultat (der Enge). Über das Anrücken und Bedrücken ist das Moment von Furcht, Angst und Gefahr dem Namen des »Türken« anagrammatisch eingeschrieben und chronogrammatisch mit dem Schicksalsjahr der Donaustadt kurzgeschlossen. Wir befinden uns (noch immer) im Zeitalter der similitudo: Der »Türke« stand für die »Angst«, in der sich »Wien 1683« befand. Bevor die Truppen des Großwesirs die Stadtmauern erreichten, schickten sie ihre Zeichen voraus. Feuer und Schwefel der brennenden Dörfer und Vorstädte waren »schon vor dem Thor zu Wien [zu] spühren« und versetzten die Bewohner bereits vor der eigentlichen Belagerung in Furcht und Schrecken,321 in ein Leben Nachrichten zusammengezogen, Bibl. Acad. R. S. Romania, ms. germ. 114, Bl. 6, zit. nach Constantin Serban, Einige unveröffentlichte oder wenig bekannte Handschriften zur Belagerung Wiens 1683, in: Studien zur Geschichte Wiens im Türkenjahr 1683, hg. v. Peter Csendes, Wien 1983 (Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 39), S. 130 – 141, hier 137. Aus dem Dreißigjährigen Krieg siehe Mallinger, Tagbücher, S. 536, 559, 580. Erasmus Francisci bestimmte die Möglichkeit der »Angst=Presse« als ein Grundproblem von Städten überhaupt – im Gegensatz zum Leben auf dem Land: Francisci, Schau= und e e e Ehren=Platz, S. 1 – 4, zit. 3. M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung dessen/ was sich e e vor wurklicher Belagerung der Kaiserlichen Haupt= und Residenz=Stadt Wienn in Oesterreich/ im Jahr Christi M. DC. LXXXIII. zugetragen, Nürnberg 1684, S. 63, bezeichnet Wien als »Angst=Kerker«. 319 Johann Heinrich Lerche, Christliche Anweisung Zur Buß= und Bet=Übung, Wie diee selbe bey itziger grossen Turcken Gefahr durch alle Tage in der Wochen in der halltenden [sic] Hauß=Kirchen mittelst eines sonderbaren Gesanges anzustellen und fort zusetzen. Entworffen von Johann Heinrich Lerchen/ Predigern zu Haßelfelde. Im Jahr Der TVrke e e rVket hereIn jj DIe ChrIsten zV trVken jj VnD qVaLen. Turke. durch versetzung der e e Buchstaben/ 1. Ruket. 2. Trukt, Quedlinburg 1683. Vgl. auch das Chronogramm bei Fürer von Haimendorf, Die bekriegte und triumphirende Donau (siehe Anm. 318). 320 Die Summe der lateinischen Majuskeln ergibt römisch DDDCLVVVVVVIII = MDCLXXXIII = arabisch 1683. 321 Ludwig Baur, Berichte des hessendarmstädtischen Gesandten Justus Eberhard Passer an die Landgräfin Elisabeth Dorothea über die Vorgänge am kaiserlichen Hofe und in Wien von 1680 bis 1683, in: Archiv für österreichische Geschichte 37 (1867), S. 271 – 409, hier 396: Bericht an die Landgräfin vom 8. Juli. Dies vermerkt auch der Bericht vom 13. Juli, S. 398, und der Tagebucheintrag vom 7. Juli, S. 384: »Dann das feur Vnd Schweffel roche mann schon Vnd sahe den grosen Dampff am Himmel Vorm Burgthor, mann hats auch schon in der Statt bey der Michaeler Kirch gerochen, die Einen weinten hier, die andern dort. Ach Gott! ach Gott! ich armer Mensch! etc.«
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»intra spem et metum«, »zwischen der Furcht und Hoffnung«.322 Als Kara Mustafas Soldaten dann die Festung bestürmten, wurde sie »von der feindlichen e Artillerie und Feuer=Einwerffen beangstigt […] und dem Allerbehertzesten dahin zu nahen ein Grausen erweck[t]«.323 In Schrecken versetzt von Feinden, die »mit Todesverachtung ihr Leben aufs Spiel« setzten,324 ergriffen zuweilen selbst die eigenen Soldaten, Offiziere und Mineure die Flucht.325 »[A]llgemeine Mutlosigkeit« und »lähmende Furcht« in den ersten Tagen der Belagerung waren die Folge.326 Die Bedrohungslage wurde durch dreierlei noch verschärft. Zunächst durch die eigenen Truppen: Auch hier wurden Gewalttaten nicht allein vom Feind verübt.327 Zudem brachten auch bei der Türkenbelagerung nicht nur Mord und Brand den Tod, sondern ebenso »der grosse Schrocken/ Kummernuß und Bee trubnuß«, in die sie die eingesperrten Menschen versetzten – sei es unmittelbar oder über Krankheiten wie die Rote Ruhr, unter der die Stadt in der Zeit der Belagerung besonders litt.328 All dies ist aus dem Dreißigjährigen Krieg bereits bekannt. Bei der Belagerung Wiens jedoch kam noch ein weiteres Problem hinzu. Die Situation war neben allseitiger Furcht gekennzeichnet durch zahlreiche Bewegungen der Flucht. Wach- und Verteidigungssoldaten verließen 322 Baur, Berichte, S. 374 (Tagebucheintrag Passers vom 23. Mai); Bericht Pater Bernardus’, des Hofmeisters des Melker Hofes in Wien, vom 11. Juli 1683, in: Romuald Gumpoltsberger, Melk in der Türkennoth des Jahres 1683, in: Drei und dreissigster Jahres-Bericht des k.k. Obergymnasiums des Benedictinerstiftes zu Melk, hg. v. Isidor Krenn, Wien 1883, S. 1 – 78, hier 61. 323 Huhn, Nichts Neues, S. 70 f. 324 Johann Georg von Hoffmann, Bericht über die Belagerung der Stadt Wien im Jahre 1683 von einem Offizier der Garnison, hg. v. Stefan Hofer, in: Jahresbericht des Realgymnasiums der Theresianischen Akademie in Wien, Jg. 1937, Wien 1937, S. 3 – 17, hier 13 f., zit. nach Walter Sturminger, Die Türken vor Wien in Augenzeugenberichten, München 1983, S. 301. 325 Ferdinand Bonaventura Harrach, Ein Tagebuch während der Belagerung von Wien im Jahre 1683, hg. v. Ferdinand Mencˇík, in: Archiv für österreichische Geschichte 86/1 (1898), S. 205 – 252, hier 214; Hoffmann, Bericht, S. 13, zit. nach Sturminger, Türken vor Wien, S. 298. 326 Ders., Bericht, S. 13, zit. nach Sturminger, Die Türken, S. 120. 327 Brief des Grafen Kolowrat/Colobrat, Herrn zu Schallaburg, an Abt Gregor von Melk, 18. Juli 1683, in: Gumpoltsberger, Melk in der Türkennoth, S. 28; Kunitz, Diarium, Bl. A 4v. e 328 Nicolaus Hocke, Kurtze Beschreibung/ Dessen Was in wehrender Turckischen Bee lagerung der Kayserlichen Residentz Statt WIENN Von 7. Julij biß 12. Septembris deß abgewichenen 1683. Jahrs/ sowohl in Politicis & Civilibus; als Militaribus passiret, Wien 1685 (ND Wien 1983), S. 102; Fischer, Diarium [S. 11]; Summarische Relation, Was sich in e e wahrender Belagerung der Stadt Wien in= und ausser deroselben zwischen dem Feind und e Belagerten von Tag zu Tag zugetragen. Ordentlich und mit sonderbarem Fleiß beschrieben e und in Druck gegeben von einem in gedachter Stadt mitbelagert gewesten Hof=Cantzley=Bedienten. Fernere Beschreibung/ Wie/ und wo der Angrieff der Entsatzung der e Kayserl. Residentz=Stadt Wien angeordnet und beschehen/ auch was man/ nach glucklich erfolgtem Entsatz an Beuth erobert …, Nürnberg o. J., S. 15.
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Stellung und Posten,329 und die Menschen aus Vorstädten und Dörfern flohen hinter die Mauern der Befestigungsanlage. Schien dies den Beobachtern noch nachvollziehbar zu sein (wenn auch bei den Soldaten keineswegs zu billigen), so lag die Sache in einem weiteren Fall anders: Als der Einschluss drohte, verließ der Kaiser, wie schon zur Zeit der Pest wenige Jahre zuvor, samt Hofstaat die Stadt (und mit ihm all jene, die es sich leisten konnten).330 Er floh von dort, wohin die Menschen des Umlandes ihre Zuflucht nahmen. Diese Flucht, so wird vielfach berichtet, verursachte zusätzlichen Schrecken in der Bevölkerung.331 Furcht und Angst vermochten sich selbst zu verstärken nicht allein durch die pathologischen Wirkungen, die sie zeitigten (so dass sie gleichsam selbst pathologisch wurden), sondern auch durch die Furcht derer, die eigentlich zum Schutz der Geängstigten aufgeboten waren. Neben den Soldaten war dies vor allem ihr oberster Befehlshaber. Ein Herrscher von Gottes Gnaden hatte nicht als erster zu gehen, sondern bis zum Letzten zu bleiben; Flucht war legitim, solange sie nicht die Gefahr für die anderen erhöhte.332 Als der kaiserliche Zug die Stadt verließ, hinterließ er nicht nur verärgerte, sondern auch zusätzlich verängstigte Bewohner. Der Flüchtige mochte argumentieren, dass das Reich ein Oberhaupt benötigte. Hinzu kam die Schwangerschaft seiner Gemahlin, auf die sich die Furcht
329 Baur, Berichte, S. 399 (Bericht Passers an die Landgräfin vom 13. Juli). 330 Fischer, Diarium [S. 1 f.]. Und diejenigen, die sich nichts leisten konnten, wurden der Stadt verwiesen: »die Bettler […] nebst dem Vnnützen Volck«: Baur, Berichte, S. 380 (Tagebucheintrag Passers vom 24. Juni). 331 Ders., Berichte, S. 389 (Tagebucheintrag Passers vom 14. Juli): »Vnd dise Furcht hat der Kayser darumb gemehrt, weil Er so geschwind geflohen von Linß.« So auch der Eintrag vom 7. Juli (S. 385) und Passers Bericht vom 16. Juli (S. 401); außerdem: Paul Conrad Balthasar Han, Alt und Neu Pannonia, Oder Kurz=Verfasste Beschreibung Des Uralten e Edlen Konigreichs Hungarn/ Als der allgemeinen Christenheit considerablen Schutz= und Vor=Mauer/ Von mehr dann 1000. Jahren hergeholet …, Nürnberg 1686, S. 540 f.; Happel, Kriegs=Roman, S. 497 – 499; Vaelckeren, Wienn, S. 9 – 11; Johann van Ghelen, Kurtze doch warhaffte/ und mit denckwürdigen Umständen verfasste/ Erzehlung Der/ im Julio 1683. Heil Jahres von dem Erb=Feinde vorgenommenen/ Welt=erschollenen Belagerung/ Wie auch hernach klüglichst=angestellten/ und mit Aufschlagung deß gantzen Ottomannischen Heers/ am 12. September desselben Jahrs/ ja so glücklich als ritterlich ins Werck gesetzten Entsetzung Römisch=Keyserlicher Residentz=Stadt Wien, Wien 1684, S. 2; M. e e e M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 4 f. – Als sich am 13. Juli »noch der Prov. P. Alexius a. s. Cruce und sein Sekretär P. Januarius a[.] s. Elia durch Flucht aus der Stadt retten« wollten, gaben sie daher – um »die Zurückbleibenden nicht zu erschrecken« – vor, »im Kloster Mariabrunn nach dem Rechten sehen zu wollen und wieder zurückzukehren.« Franz Loidl, Von der Pest (1679) und Türkennot (1683) des Hof- und Augustiner-Barfüßer-Klosters in Wien (aus dem Protokoll des Convents), in: Wiener Geschichtsblätter 2 (1947), S. 79 – 86, hier 83. Die beiden Augustinermönche kehrten dann in der Tat zurück, weil sie durch ihre Flucht fast dem Feind in die Hände gefallen wären. 332 Näheres zur Legitimität der Flucht im Folgenden und oben in Kap. 4.3.
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und Angst einer Belagerung schädigend auswirken musste.333 Hier war nicht allein die politische Führung, sondern auch deren Nachfolge in Gefahr. Ungeachtet dessen jedoch wurde über die Flucht des Kaisers übel geurteilt. Erst hatten »Ihro Kayserl. Mayest.« die Lage auf die leichte Schulter genommen, sich »Ale lergnadigist gefallen lassen/ […] unwissend/ der groß heran tringenden e e Turcken=Gefahr/ nur 8. Tage lang zuvor/ mit einer sehr schonen Hirschen=Jagt dero Divertissement zu suchen«, während in der Stadt bereits »ein sehr groß Geschrey und Lamentieren von Weib und Kindern« zu hören war, »daß es zu erbarmen gewesen«,334 erst kamen »Ihre Mt. […] spath von der Jagt«, so dass »wenig gefehlt, daß sie nicht in der Brenner Hände gekommen«,335 und jetzt das: Feigheit, Verzagtheit und schändliche Flucht. Fürst Georg Friedrich von Waldeck sagte es ganz offen,336 und auch das Volk zeigte sich empört: Ein Kaiser, der seinen Untertanen einen Verteidigungsbeitrag abverlangte, ohne selbst seinen Schutzauftrag zu erfüllen, verlor die Legitimation seiner Herrschaft: »Waß der gemeine Pöbel vor schimpfliche reden führt über ihr gesalbtes haupt selbsten, läst sich der Feder nicht anvertrauen, sind gantz schwürig vnd wollen nicht mehr pariren, indem sie so viel zum Türckenkrieg contribuiren müssen, vnd doch jetzt nicht geschützet würden, Inmaßen das haupt selbst auß denen Erbländern weichete, das heist: qui conscientiis dominari cupit, is capitolium Dei invadit et saepe eam, quam in terris habet, potestatem amittit.«337
333 Vgl. Harrach, Tagebuch, S. 210 – 212 (3. und 7. Juli), S. 218 (15. Juli) und S. 236 (18. August) (die Geburt der Prinzessin: S. 247, 7. September). Vgl. auch unten Anm. 339. 334 Wenceslaus Frey, Eigentliche Beschreibung/ Was sich Bey Anfangs der Wiennerischen e Belagerung/ als nemblichen vom 15. Julij/ deß 1683. Jahrs/ in dem Kayserl. Marckt Pee e tersdorff/ in Unter=Oesterreich liegend/ merckwurdiges zugetragen/ und wie die Turcken/ e Tartarn/ auch andere Barbarische Volcker mit mir/ und anderen daselbst befindlichen e Christen/ erbarmlich verfahren/ wie ich hierauff durch den Feind in schwere Gefangene e schafft gefuehrt/ auch folgends hernach/ vermittelst Gottlicher Beyhulff/ von grausamben Banden hinwieder entlediget worden, o. O. 1685, o.P. [Bl. 1r]. Berichtet werden der Vorgang und die kritischen Stimmen auch von Harrach, Tagebuch, S. 209 (3. Juli): »Man hat vermeint, Ihr. Kay. May. solten dass eingerichte Jaagen zu Peterstorff einstellen, sie seynd gleichwohl hinauss, vnd haben in grossen Regen in dass Gebürg reüthen, allda jagen vnd wider zuruckhgehen muessen. Zu Peterstorff haben sie das Mittagmahl eingenohmen, allwo schon alles voller Rumor vnd Ängsten ware.« 335 Baur, Berichte, S. 383 (Tagebucheintrag Passers vom 6. Juli); vgl. auch den Eintrag vom 23. Mai (S. 374) und vom 2. Juli (S. 381). 336 So berichtet es Harrach, Tagebuch, S. 236 (18. August). 337 Zu deutsch: »Wer über die Gewissen zu herrschen sucht, der dringt ein in den Tempel des Herrn und verliert oft die Herrschaft, die er auf Erden innehat.« Baur, Berichte, S. 404 (Bericht Passers an die Landgräfin vom 22. Juli); die Phrase findet sich auch im Tagebucheintrag vom 7. Juli (S. 386). Vgl. auch Harrach, Tagebuch, S. 213 (7. Juli); Huhn, Nichts Neues, S. 13 f.
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Leopold war sich des Vorwurfs wohl bewusst und ob der »Verdemütigungen«, wie er seinem Beichtvater bekannte, in einer »schweren Trübsal und Not«.338 Um die gesunkene »Liebe vnd Affection« der »Länder vnd Vnterthanen […] wider [zu] verstärckhe[n]«, musste somit klargestellt werden, dass die Abreise des Kaisers aus Wien und Linz nicht der »Kleinmüthigkeit« geschuldet gewesen war, sondern der militärischen Notwendigkeit: dem »gählinge[n] Einfähl eines so geschwindten vnd mächtigen Feindt[s]«. Die Verteidigung der Residenz wollte organisiert sein; Leopold verließ nicht einfach die Stadt: Er begab sich zur Armee, um sich an die Spitze eines alliierten Entsatzheeres zu stellen. Der Kaiser wurde anderswo gebraucht. Sein Oberstallmeister Graf Ferdinand Bonaventura Harrach fasst in seinem Tagebuch die damaligen Überlegungen zusammen: Wenn es gelänge, so sei die einhellige Meinung des Geheimen Rates gewesen, die »Dissensionen vnd Dificulteten, so unter denen Alliirten entstehen kunten, auff [zu]heben«, dann würde dies »denen ihrigen einen grossen Muth, den Feindt aber grosse Sorge verursachen«. Es ließe sich »der ganzen Welt zeigen«, dass die Flucht nicht des Kaisers Furcht zu lindern suchte, sondern die seiner Schutzbefohlenen.339 Bei Licht besehen: Dies war gar keine Flucht; sie sollte nicht die Seinen in Furcht versetzen, sondern den Feind. Und dies tat bitter Not. Den Tod verachtende Angreifer berannten die Stadt,340 Verteidiger, die ihn fürchteten, verließen die Mauern;341 Soldaten waren »erschöpft«, »mißmutig und alarmmüde«342 und die Bewohner pflichtvergessen;343 die Hoffnung auf Rettung und den Abzug der Feinde begann zu schwinden. Die Eroberung der Stadt stand unmittelbar bevor. Graf Starhemberg, ihr Kommandant, musste reagieren; am 1. September erbat er von seinem Kaiser Unterstützung. Doch auch er hatte Missverständnissen vorzubeugen: Der Absender des Hilfegesuchs schloss mit mehrfacher »diemuetigster Versicherung, das mich keine Kleinmuetigkeit dises schreiben machet, weilen wir alle sambentlich resolviret, uns bis auf den lezten Bluetstropffen zu wöhren, umb uns wirdig [zu erweisen] des Allerg[nä]d[i]gsten Vertrauens, so Eur Kays. Mays. zu uns 338 Brief Leopolds I. an Marcus von Aviano, 19. Juli 1683, in: Marie Heyret, P. Markus von Aviano O.M. Cap. Apostolischer Missionär und päpstlicher Legat beim christlichen Heere. Zur Erinnerung an die dritte Jahrhundert=Feier seiner Geburt, München 1931, S. 287. 339 Harrach, Tagebuch, S. 234 f. (16. August). Die Getreuen des Kaisers, unter ihnen auch Harrach selbst, empfahlen Leopold jedoch nicht allein die Flucht (für Nachweise siehe oben Anm. 333), sondern rieten ihm später auch davon ab, sich während des Entsatzes der Stadt zur Armee zu begeben: S. 243 (30. August), S. 248 (9. September), S. 250 (10. September), S. 251 (12. September). Insbesondere der polnische König wusste dies »bey der Republica [nicht] zu verantworten« (S. 243): »Ihro Kay. May. Persohn wäre gar zu praecios, dass Sie solte einige[r] Gefahr exponiert werden« (S. 248). 340 Hoffmann, Bericht, S. 13 f., zit. nach Sturminger, Die Türken, S. 301. 341 Baur, Berichte, S. 399 (Bericht Passers an die Landgräfin vom 13. Juli). 342 Hoffmann, Bericht, S. 15, zit. nach Sturminger, Die Türken, S. 311 f. 343 Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 177 f.
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haben.«344 Ein »jeder tapffere Christ«, dies betonte nicht nur Starhemberg, ging lieber in den Tod als in türkische Gefangenschaft, wo, wie man wusste, Zwangskonversion drohte.345 Er setzte sein Leben ein, um die Stadt zu verteidigen, und nicht seine Seele aufs Spiel. Die Truppen der Alliierten, und mit ihnen der Kaiser, trafen rechtzeitig ein, und sie brachten die Wende. In einer letzten Kraftanstrengung schlugen jene, die nicht geflohen waren, die Belagerer in die Flucht. Nun wurde auch klar : »Kleinmütig« war hier am Ende niemand gewesen, weder der Kaiser noch sein oberster Feldherr und auch nicht die Soldaten unter ihrem Kommando. Mochte es zwischenzeitlich auch nicht leicht gewesen sein, die Verteidiger der Stadt zu tapferer Pflichterfüllung zu bewegen und vor Verzweiflung zu schützen, so war am Ende doch ihre Standhaftigkeit zu rühmen und der christliche Mut, zu dem sie aufgefordert waren. »Noch nie«, so der Feldzeugmeister Francis Taaffe, hatte »sich eine Besatzung tapferer und besser gehalten als diesmal die Wiener.«346 Nachdem der König von Polen, am Tag nach dem Entsatz, »des Feindes Aprochen/ Batteryen und unglaubliche Arbeit besehen« hatte, stand er nicht an festzustellen: Wenn »er eine solche Armee/ als er gestern die Ehre gehabt zu e commandiren/ zu seiner Disposition haben konte/ so wolte er die gantze Welt zitternd machen.«347 Exemplarisch war nicht nur die Bedrohungslage gewesen, sondern auch die Tapferkeit der Kämpfer, die sie überwand. Sie verwandelten Unordnung in Ordnung: »Es wahre alles in solche stattliche Schlacht=Ordnung eingerichtet/ daß die Welt nit leicht etwas Ordentlichers und stattlichers je wird e gesehen haben.« Soldaten wie Offiziere gingen auf »die GOttes vnwurdige[n] e Boßwichter« los mit einer »unbeschreibliche[n] Resolution vnd Mannhafftig-
344 Carl von Duncker, Drei Berichte aus dem belagerten Wien 1683, in: Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs, N.F. 7 (1893), S. 265 – 272, hier 272. e 345 Fischer, Diarium [S. 12]; [Johann Georg Wilhelm Rueß,] Glaubwurdiges Diarium Und e e e außfuhrliche Beschreibung/ Dessen Was Zeit warender Turckischen Belagerung der e e Kayserl. Haupt= und Residentz=Stadt WIEN vorgangen. Von einem kayserl. Officirer, so sich vom Anfang biß zum Ende darinnen befunden/ warhafftig verzeichnet und zusammen getragen. Und was noch weiter und ferner passiren wirdt/ zubekommen, o. O. o. J. [1683], e Bl. E 3r/v ; identisch: ders., Warhaffte vnd Grundliche Relation Uber Die den 14. Iulii Anno e e e 1683. angefangene/ den 12. Septembris aber glucklich auffgehebte Belagerung der Kays. Haupt= vnd Residentz=Statt WIENN. Beschrieben durch den damahlen beywohnenden/ e e vnd gegenwartigen J.G.R., Wien 1683, S. 107 f.; auch Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. D 2v, E 1r. 346 Francis Taaffe, 3. Earl of Carlingford, an seinen Bruder Nicholas Taaffe, 2. Earl of Carlingford, 12. 9. 1683, publiziert in: Fritz Karminski, F.M. Franz Graf Taaffe im Kriegsjahr 1683, in: Armee- und Marine-Zeitung, Jg. 1883, Wien 1883, S. 25 ff., zit. nach Sturminger, Die Türken, S. 358. e 347 Außfuhrliche Relation, Vom 1/11. bis den 6/16. Septembris 1683. Wie es in dem blutigen Treffen bey Entsetzung der Stadt Wien abgelauffen, o. O. o. J., S. 3.
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keit«, die vor Augen führte, »was die erbare Welt von vnerschrockenen vnd e tapffern Kriegs=Leuthen hette hoffen vnd erwarten konnen.«348 Und wo hatten sie ihre Tapferkeit her? Kein Zweifel: aus bußfertigem Leben und stetem Vertrauen auf Gott. Wer bereit war sein Leben zu opfern, dem war mitunter ein langes beschieden. Am Ende hatte das Gebet seine Schlagkraft bewiesen, und das heißt: Gott hatte den Siegern das Schwert geführt; ihm allein war die Victori zu danken.349 Die Furcht war von der Hoffnung bezwungen. Der polnische König, wie der Kriegsrat Johann Peter von Vaelckeren berichtet, ließ dem Kaiser folgende Grußbotschaft übermitteln: e
»Der Finger Gottes/ welcher die Menschen=Hande zum Streitt bewaffnet/ habe die e Krafft vnd Macht gnadiglich verliehen/ wormit die vereinbarte vnd auff GOtt/ den e Herrn aller Heerschaaren hoffende Christliche Gemuther/ denen abgesagten Feinden e dern durch das kostbare vnd theure Bluth Christi erlosten Glaubigen/ diesen vor aller Welt Augen schwebenden Abbruch gethan/ den Feind in die Flucht geschlagen/ vnd die herrliche Beuthen von ihme erhalten haben … .«350 e
Gott hatte sich erbarmt »uber sein zu jhm hoffend= vnd schreyendes Bußfertiges Volck«,351 das, ganz offensichtlich, die Mahnung des kaiserlichen Beichtvaters beherzigt hatte, sich »zu bessern vnd Gott nit so freuentlich und offt zu belaidigen«.352 Er hatte den Spieß umgedreht, in seiner Allmacht, Güte und Gerechtigkeit, und Gleiches mit Gleichem bekämpft. Er hatte den Feinden »den Hasen in den Buesen gesteckt« und »die Forcht in ihre Hertzen eingejagt«; er hatte sie mit einer »Blindheit« und »Verblendung« »geschlagen«, die nicht nur Gott, sondern auch den eigenen Vorteil verkennt,353 und die sich, nach Aussage der Menschenkundigen, der Furcht, der Angst und dem Schrecken verdankte. Dies war Vergeltung nach dem Prinzip des Talion: Gott schlug die Türken mit der »unaussprechlichen« Furcht, in die sie die Wiener versetzt hatten;354 und er tat es mit der Furchtlosigkeit derer, die ihm vertrauten.355 348 Vaelckeren, Wienn, S. 89, 91. Die Schönheit der alliierten Schlacht- und Truppenordnung betonen auch Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 194, und der Minorit Georg König: Walter Sturminger, Der Minorit Georg König und die Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, N.F. 38 (1968 – 1970), S. 344 – 351, hier 345 und 351. 349 Fischer, Diarium [S. 13]; van Ghelen, Erzehlung, S. 58 f. 350 Vaelckeren, Wienn, S. 97. 351 Ders., Wienn, S. 88. 352 Harrach, Tagebuch, S. 244. 353 Vaelckeren, Wienn, S. 92; Summarische Relation, S. 12; Relation, Oder Eigentliche Beschreibung/ Wie/ vnd wo der Angriff der Entsatzung der Kayserl. Residentz=Statt Wienn e angeordnet vnd beschehen/ auch was man nach glucklich erfolgenden Entsatz an Beuth e erobert/ vnnd was sonsten Schrifftwurdiges sich dabey zugetragen/ ist alles hierin ordentlich beschriben, o. O. 1683, o.P. [S. 1]; Happel, Kriegs=Roman, S. 812. e 354 Von »vnaußsprechliche[r] Forcht vnter denen Türcken« spricht Rueß, Grundliche Relation,
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Die Furcht der Belagerten hatte schlimmer nicht sein können (in dem, was sie vorstellte, und in ihren Auswirkungen), doch sie hatte sich am Ende nicht bewahrheitet. Die Türken hatten mit dem Untergang der Stadt gedroht, ihn aber nicht wirklich herbeigeführt; sie hatten Furcht und Schrecken gebracht, aber letztlich nicht das, was zu befürchten stand. In der Flucht der Osmanen von der Feste Wien fielen die Furcht ihrer Bewohner und die Wirklichkeit des Befürchteten auseinander. Im Nachhinein verlor die Furcht die Gewalt, die sie gehabt hatte, als der Ausgang der Dinge noch offen gewesen war. Und sie richtete sich nun gegen die andere Seite. Ein Belagerer, der eher Schrecken brachte als den Tod, »nur« die Furcht und weniger das, was sie fürchtete, der erlag ihr am Ende selbst; bei ihm entwickelte der Schrecken nun seine ganze Gewalt.356 Der Triumph war militärisch uneingeschränkt und zum Ruhme des Herrn, und dennoch schien er den Siegern nicht frei von Makel. Türken, die über Wochen gekämpft hatten ohne Furcht vor dem Tod, ergriffen jetzt auf »schändliche« und »abscheuliche« Weise die Flucht. Dies bescherte den Alliierten zwar den Sieg, verhinderte jedoch, dass er wahrhaft umfassend und ehe
S. 101; Fischer, Diarium, S. 15, schreibt: »was die Turcken vor einen Verlust gelitten ist nit zubeschreiben«, und gleiches gilt ihm auch für das furchtbedingte »Elend in Wienn« (S. 5). Nachweise zur Unaussprechlichkeit und Unbeschreiblichkeit der von den Wienern erlittenen Furcht unten in Anm. 468. 355 Dies hatte sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet: Kunitz, Diarium, Bl. A 1r, A 3v – B 1r. 356 Somit brachte Furcht nicht nur eine Verschlimmerung des Leidens; sie reizte, wenn es bei ihr blieb, mitunter auch zur Gegenwehr – und war damit der Anfang der Leidensüberwindung. So stellt es ein anonymes Tagebuch vor, das während des Feldzugs zur Befreiung Budas durch die Heilige Liga im September 1686 verfasst worden ist: Diarium germanicum bellicarum ab Austriacis a die 5. Augusti usque ad 19. Octobris [1686] in Hungaria gestarum [ohne Titel und Jahr], ÖNB Cod. 7249, Nr. X (Texte 2 und 3 der Sammlung), Bl. 5r – 14v, hier 13r/v : »Ciuitatem iam ita maturam ad oppugnandum 3bri in locis tentamus. Turcæ ut solent, fortiter defendant, op[er]a ignita in nostros ey¨ciunt, quæ credo, magis ad terrorem iny¨ciendum, quam ad mortem inferendum confecta, terrent q[ui]dem, sed non interficiunt nostros, imý in tantis flammis ubi illæsos nostri se uident, animos capiunt ferociores multo facti ignem flammis addunt præ terrore mortem inexpectatam suis muscetis et tormentis immittunt, frequentissime per tres integras horas utrimque pugnatum et fortiter, tandem ubi Turcæ animos Christianorum indefessos uiderunt, nequid quicquam sperandum, præter captam ciuitatem, utcumque de ciuitate et rebus suis ipsi desperabundi, tamen inuiderunt nobis tantum boni, ipsi iam relicturi ciuitatem multi in suas domus proprias ignem iny¨ciunt, et iam iam deflagrantes intuentur, alij quo flammas ardentiores facerent, Christianorum sanguine et carne aspergendas curarunt. Nam qui domus suas integras reliquerunt falso puluerem tormentarium abundÀ undique substratum reliquerunt, deinde et ignem ita appensum ut nostrorum introitu facillimÀ perniciem nostrum arrenderetur, hoc uerý Turcico Stratagemate plurimos ex nostris ad orcum miserunt, ubi nos spolia audissimÀ inuestigantes nobis metipsis mortem consciuimus, hac ratione uincentes uicti plurimi extiterunt, imý it inualuerunt illorum ingenia in huius modi ignitis op[er]ibus conficiendis, ut biduý uel triduý post captam urbem ex nostris nonnulli in Turcarum ædibus puluere huiusmodi disperso suffocati et combusti sint. Interim Turcæ hoc die ubi ad ultimum ciuitatem defendissent, tandem fuga sibi salutem quærunt, in arcem ascendant, fertur mille, quingentos ex omni agmine hac ratione euasisse.«
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renvoll ausfiel. Christliche Tapferkeit hätten sich die Überlegenen auch von den Unterlegenen erhofft. Unter ihnen, so berichtet Vaelckeren, war e
»eine solche Einmutigkeit/ verlangen und Eyfer daß sie eines Zaums vnd keiner Sporen e vonnohten gehabt hetten/ keiner hatte in willens zu weichen/ sondern obzusiegen/ keiner war vor erhaltener Victori begierig auff die Beuth/ sondern es liesse sich der e eintzige Eifer bey allen sehen/ vest zu stehen/ zu fechten vnd zu uberwinden/ sie e wunschten durchgehents/ daß deßgleichen auch der schandfluchtige Feind gethan hette/ auf daß die Schlacht desto hefftiger vnd der darauß entstandene Sieg/ desto e e grosser/ preyß=wurdiger vnd famoser bey der erbaren Christlichen Welt hette ere 357 schallen mogen.«
Und Francis Taaffe schrieb seinem Bruder : »Wir haben Wien befreit. Wenn der Sieg nicht so vollständig ist, wie wir es uns versprachen, so liegt dies lediglich in der Feigheit des Feindes, den wir vom Morgen bis zum Abend vor uns her trieben, ihn von Posten zu Posten schlagend, ohne daß er den Mut gehabt hätte, uns entgegenzutreten«.358 Die Türken, so wurde nun deutlich, waren zwar ein ernstzunehmender Gegner, jedoch am Ende der alliierten Christen nicht würdig. Die Furcht des Feindes war die effektivste Waffe, aber lieber noch hätte man einen furchtlosen bezwungen. War der Sieg erst einmal errungen, mochte ihn auf die Feigheit des Gegners so recht niemand bauen.359 Dies rückte auch die kolportierte Todesverachtung der Türken in ein zweifelhaftes Licht; den letzten Beweis, so zeigte sich nun, blieb sie schuldig. Tobias Wagner hatte offenbar Recht behalten. So verachtete der Antichrist den Tod und nicht der rechte Christ. Die ehr- und kopflose Flucht vor Wien brachte es an den 357 Vaelckeren, Wienn, S. 91. 358 Francis Taaffe an Nicholas Taaffe, 12. 9. 1683, in: Karminski, Graf Taaffe, S. 22 f., zit. nach e Sturminger, Die Türken, S. 356. In dieselbe Richtung zielt [Rueß,] Glaubwurdiges Diarium, Bl. E 2v – E 3r : »In Summa/ jedweder thate das jenige/ was von praven und e vernunfftigen Capitainen zuerwarten/ was stand= und mannhaffte Soldaten vollziehen sollen/ dann/ indeme die Generalen vor dero Trouppen den Angriff thaten/ avancirte dero e lobliches Exempel/ die gemeine Mannschafft so starck/ daß diese wiederumb durch selbige e e aufgehalten werden muste/ niemand gedachte zu weichen/ alle zu uberwinden/ Niemand wurde verleitet oder abgehalten/ von der bevorstehende Beut/ sondern alles begriffen/ und e vertiefft den Feind anzugreiffen und zu erlegen/ also zwar/ daß allein verlangt wurde/ daß e e der Feind den jenigen Widerstand gethan hatte/ den selbiger allen Umbstanden und Ane e e sehen nach hatte thun konnen und sollen/ und dadurch den Sieg desto wurdiger/ und des e e e Feinds gantzlichen Niderlag eine vollstandige Victorie zuerwerben/ welche befoderst Gott/ e e e der die Generale und samtliche Mannhafft angefuhrt und gestarcket hat/ zuzuschreiben ist/ wann man sowol den Avantageusen situm, welchen der Feind gehab[t]/ den Succurs auffzuhalten/ erwegen/ als auch sich erinnern wil/ der abscheulichen Flucht/ welche der Feind von Stund an genommen/ als er selbst die unsrige zum erstenmahl an den Kallenberg sehr e hitzig angegriffen hat«. Identisch im Wortlaut: Rueß, Grundliche Relation, S. 106; sehr e e e ähnlich ist außerdem M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 66 f. Vgl. auch Happel, Kriegs=Roman, S. 819. 359 Vgl. dazu auch Lepetit, Türken, S. 398, 402.
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Tag: Die Tapferkeit der Türken war schöner Schein; am Ende verachtete sie nicht den Tod, sondern Gott. Sie erwies sich als Signum einer religiösen Verblendung und tieferliegenden Hasenherzigkeit, die der Erbfeind immer schon hatte und derer Gott sich bediente, um christliche Todesverachtung hervorzutreiben. Diese Disposition des Erbfeindes schien die Bedingung nicht nur des Kampfes, sondern auch des Sieges der Christen, militärisch ebenso wie strafund gnadentheologisch. Es war nicht die Flucht des Gegners an sich, sondern eben ihre »Schändlichkeit« und »Abscheulichkeit«, die auf eine »miraculose«360 göttliche Intervention schließen ließ: die Tatsache, dass sich die Belagerer zum Zeitpunkt des Rückzugs eigentlich in einer militärisch durchaus vorteilhaften Situation befanden. Bei Vaelckeren und Taaffe ist dies nur impliziert, Johann Georg Wilhelm Rueß und Johann van Ghelen jedoch sagten es ausdrücklich; und auch Rueß artikulierte sein Bedauern über diesen Ausgang der Dinge.361 Und das heißt: Die Christen wollten gesiegt haben unter Konditionen, die es ihnen niemals erlaubt hätten zu siegen (und die zudem den Gegner gar nicht als Antichrist hätten erscheinen lassen). Soll hier nicht lediglich ein Fehler in menschlichem Denken oder eine Unachtsamkeit in göttlichem Handeln unterstellt werden, so sind andere Erklärungen des Widerspruchs zu suchen. Explanatorisch unzureichend ist ebenfalls der Umstand, dass in den zitierten Kommentaren keine Theologen sprechen, sondern jene, die deren Waffen trugen – zum einen, weil die Krieger selbst zuvor anders gedacht hatten, und zum anderen, weil ihr Ethos, wie es hier artikuliert wurde, dem theologischen Gedanken des miles christianus keineswegs widersprach. Das Problem entstand nicht aus einer Unvereinbarkeit von soldatischem und christlichem Ethos, sondern daraus, dass das Kriegerethos auf christlichen Fundamenten basierte. Vor diesem Hintergrund scheint es im Entscheidenden der rückschauenden Perspektivik der Berichte geschuldet. Als Gott die Türken in eine »schändliche« Flucht schlug, tat er, was die Wiener Besatzung aus eigener Kraft nicht vermochte. Im Augenblick des Triumphes jedoch, als die göttliche Hilfe zu Tage trat, waren deren spezifische Bedingungen rasch wieder vergessen. Man zeigte sich dankbar für die göttliche Unterstützung, war mit ihren Modalitäten dann aber doch nicht ganz zufrieden. Die unehrenhafte Flucht des Gegners ging dem Sieger selbst an die Ehre. Das Ethos des christlichen Soldaten implizierte beides zugleich: nicht allein die Schändlichkeit des Antichrist, als Bedingung von Kampf und Sieg, sondern auch den Wunsch nach einem würdigen und ebenbürtigen Gegner. Dieses Bedürfnis jedoch wurde erst nach der Vertreibung der Unwürdigen formulierbar. Es verdankt sich einer 360 Summarische Relation, S. 12; Relation, Oder Eigentliche Beschreibung [S. 1]; Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 217; Happel, Kriegs=Roman, S. 812. e e 361 Rueß, Grundliche Relation, S. 106; [ders.,] Glaubwurdiges Diarium, Bl. E 2v – E 3r (siehe e e Anm. 358); van Ghelen, Erzehlung, S. 59; so auch M. M. S., Ausfuhr= und grundliche e Erzahlung, S. 67.
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Retrospektive, in der aus vormals Bedrohten nicht lediglich Überlebende geworden waren, sondern Sieger. Eine derartige Umkehrung der Bedrohungsrelation zeitigte auch Konsequenzen für die Erinnerung an vergangene Leiden: Wo man nicht nur der Überwindung der Gefahren gedachte, sondern nach ihnen gern auch noch größere überwunden hätte, dort rückte die ausgestandene Bedrängnis in die zweite Reihe. Und so konnte, wer erinnern wollte an Gottes kriegerischen Triumph, die »Angst«, mit der er erkauft war, am Ende aus der Erinnerung entlassen: »Nun ist es geschehen/ mein Wien«, schließt das Diarium des Kriegsvolontärs Johann Ferdinand Fischer, »und der halbe Theil von Unter=Oesterreich hat es empfunden/ du kanst aber alles e leicht vergessen/ dann der grosse Gott hat dir deinen Allergnadigsten frommen Christl. e e gerechten Kayser und Landsfursten Leopoldum Primum widerumben geben/ auch deinen Christlichen Vorstehern zutheil gemacht/ und auß den Rachen des wilten e e Christenfeind deß grausamen Turcken gerissen. Wunsche also daß euch GOtt von e e ferner Gluck geben/ und kunfftig hin in guten Ruhestand erhalten wolle/ Amen.«362
So lässt sich vorläufig resümieren: Die zahlreichen »Augenzeugenberichte« von der Belagerung Wiens fügen sich zu einer Geschichte des Überlebens, die die militärische Bedrohung und die unbeschreiblichen Leiden der Bevölkerung brauchte, um die siegreiche Hand Gottes erstrahlen und unbeschreibliche Freuden bringen zu lassen. So erinnerte der anonyme Autor M. M. S. den nahenden Entsatz: »Was nun solches vor innerliche Freude und Trost bey allen Anwesenden erwecket/ kan e e niemand basser glauben/ weder363 wer diese neun Wochen uber selbsten in diesem Angst=Kerker versperret gewesen/ und alles ersinnliche Elend/ welches je den Mene schen begegnen mag/ an seinem eigenem Leibe und Gemuth erfahren und empfunden/ auch so manche Lebens=Gefahr ausgestanden/ und nunmehr den blutigen Untergang seines Ehgatten/ und trauten Kinder/ und was sonsten lieb und werth ist/ oder in der e Welt hoch und theur geschatzt zu werden pfleget/ vor Augen gesehen … .«364
Dieses Narrativ ist gekoppelt an das Postulat und den behaupteten Vollzug einer religiösen Umkehr; der Entsatz erschien immer auch als die Befreiung aus der Enge 362 Fischer, Diarium [S. 16]. 363 D.i. »als«. e e e 364 M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 63; die Unbeschreiblichkeit des Leidens unter tatarischer Gewalt auf S. 5: »Welches Elend denn eben so wenig mit Gedancken zu erreichen/ als der unglaubliche Schaden/ und unaussprechliche Verlust mit der Feder zu e e beschreiben/ moglich fallet.« Vgl. auch Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 199: »was nun dise e e e auffgehebte Belagerung/ denen Belagert=gewesten: Umb daß sie von der Turckischen e Grausamkeit und ewigen Dienstbarkeit sambt den jhrigen errettet worden/ fur Freud und Frohlocken verursachet/ das mag keiner besser als ich/ und alle die jenige/ so dieselbe außgestandten mit mir außsprechen.«
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der Sünde, als das gnädige (und das heißt: das gleichermaßen verdiente wie unverdiente) Aussetzen der Strafe der Angst. Auch hier: Ohne die Ängstigung der e sündigen Stadt ließ sich der Raum des Heils nicht eröffnen, ohne »die trube[n] e Angst=Wolken«, die Wien »entsetzlich angefochten« hatten, konnte »der gutige Himmel« nicht wieder beginnen, »hell auszuklaren/ und die frohe Sonne erfreulich e herfur zu blicken«.365 Gott prüfte die Erwählten, doch niemals mehr, als sie zu ertragen vermochten. Diese Erzählungen von Befreiung und Umkehr waren mit einer historischen Wendemarke verknüpft. Furcht und Furchtlosigkeit tauschten in den zwei Jahrzehnten nach 1683 allmählich die Seiten. Die Zeiten christlicher »Türkenfurcht« gingen zu Ende, jetzt begann, so tönten viele Stimmen, die Furcht der Türken vor den Christen; an die Stelle verbreiteten Unterlegenheitsbewusstseins trat ein publizistischer Gestus stolzer, teilweise gar höhnischer Überlegenheit.366 Diese Wende ist jedoch nicht als die materielle Bedingung des Umkehrnarrativs zu betrachten. Dieses Narrativ beschreibt keine historische Entwicklung, sondern zwei Seiten derselben semantischen Medaille: Die »Türkengefahr« setzte die Furcht der Türken (als Möglichkeit) und die Furchtlosigkeit der Christen (als Notwendigkeit) voraus; und nach dem Ende der Bedrohung lebte die Furchtlosigkeit der Christen nicht nur von der Furcht des Gegners, sondern auch von der eigenen, die sie überwunden zu haben proklamierte. Furcht und Furchtlosigkeit blieben, so oder so, wechselseitig aufeinander bezogen und hatten ohne einander keinen Bestand. Dies beweist auch der Topos von der bedrohlichen Grausamkeit des Erbfeindes. Die feige Furcht der fliehenden Türken widersprach dieser Zuschreibung nicht, sie war vielmehr ihr Teil. Als die Sieger das verlassene Lager besichtigten, mussten sie Greuliches entdecken: »Das grausambste vnd elendi[g]e e ste Spectacul/ woruber sich auch ein steinenes Hertz hette erbarmen mussen/ e e waren die arme unschuldige Kinder/ welche im turckischen Lager in grosser e e Menge zerstrewter herumb lagen/ dern Vatter vnd Mutter Theils schon in die Schlaverey weggeschlept = Theils nidergehawen = vnd Theils halb todt zerfetzt e e waren/ an dern blutigen Brusten man ihrer viele noch hangen sahe«.367 Die Schilderung findet sich in ähnlicher Form auch beim Stadtschreiber Nicolaus Hocke, und der fügte noch hinzu: Es »waren von dem umbgestandenen Rev. e Vichs/ und Menschen todten Corper ein solcher Gestanck/ und so vieler grosser 365 Han, Alt und Neu Pannonia, S. 554. 366 Siehe Köstlbauer, Europa und die Osmanen. Noch 1689 jedoch zog sich Mathias Unger, wie er in seinem Tagebuch notierte, ins schlesische Brieg zurück, »weillen wir uns nach den 1693igsten [sic] Türkenß gefahr und Belagerung Wien[s], nicht wissent was ferners Gott über uns verhangen möchte[,] dahin salvieret«: Mathias Unger, Diarum Soproniensis ab anno 1674 usque 1723, SNBB Quart. Germ. 113, Bl. 2v. 367 Vaelckeren, Wienn, S. 93. Zur Gewalt gegen Frauen auch Fischer, Diarium [S. 16].
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Flugen im Lager/ daß nicht zu glauben und zu verwundern/ wie die Turcken so e lange Zeit darinnen bleiben/ ihre Roß und Vich erhalten konnen.«368 Die Befreiten besorgten, »vor Abscheu« ob solchen Gestanks »fast [zu] erkranken«;369 und Jobst Heinrich Koch, einem Agenten am Kaiserhof, ist es dem Vernehmen nach auch widerfahren.370 Und so hatten die Besatzer sich am Ende eben deswegen nicht in ihrer Stellung zu halten vermocht. Bereits am 29. Juli hatte der hessendarmstädtische Gesandte Justus Eberhard Passer berichtet, dass die »Türckische Arm¦e 2 meil von Wien, wegen deß durch die Todten Cörper vnd heißen hundstagen veruhrsachten gräulichen gestancks s. v. weg gerücket, vnd noch Einige nur zur bloquade gelassen worden« waren.371 Das blutdürstige Treiben der Türken habe »abscheuliche« Folgen gehabt, die nicht nur ihre Opfer, sondern auch sie selbst kaum noch ertrugen und die sie umso schneller aus ihrem Lager vertrieben. Wer illegitimen Schrecken verbreitete, so mochte man hier schließen, war selbst nur zu leicht zu erschrecken. Die Grausamkeit des Erbfeindes strafte sich selbst; der »hochmuth«,372 der aus ihr sprach, schien mit Feigheit immer schon kompatibel. Das heißt: Die Umkehrung der politisch-militärischen Verhältnisse änderte das semantische Muster der »Türkenfurcht« nicht, sondern akzentuierte – zwischenzeitlich – eine andere seiner zahlreichen Facetten. Erst seit Beginn des 18. Jahrhunderts, mit der zunehmenden Entschärfung des Verhältnisses zwischen dem Heiligen Römischen Reich und dem Osmanischen, büßte diese Semantik allmählich ihre Relevanz ein. Erst als eine neugierige Exotisierung der Türken ihre heilsgeschichtliche Dämonisierung abzulösen begann (vor allem unter den Gebildeten), erst als es mehr gab als Sieg und Niederlage, gab es auch mehr als Furcht und Furchtlosigkeit.373 368 Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 202. e 369 Abgefertigter Post=Reuter aus Wien/ Das ist: Grundliche Beschreibung/ Was bey= in und e e nach Aufhebung der Turckischen Belagerung der Kayserl. Residentz=Stadt Wien vorgegangen. Worbey 2. Auffmunterungs=Schreiben: deren das erste des Herrn Commendane ten/ Grafen von Starenberg/ an sein Volck; das andere des Groß=Veziers an seine Turcken; e Benebst der Lista was in der Belagerung Wien[s] vor Volck geblieben/ zu lesen, o. O. 1683, Bl. B 4v, zit. nach Sturminger, Die Türken, S. 377. 370 Karl Steinmüller, Wien 1683: Ein Bericht von Jobst Heinrich Koch, in: Wiener Geschichtsblätter 34 (1979), S. 176 – 187, hier 185: »Es war unmüglich, daß man ohne Kranckheit solche Spectacula anschauen können, zumaln, da man an vielen orthen unvermeidentlich durch todte und verfaullte Cörper gehen und fahren müßen. Hab also meine curiosität theuer genug bezahlen, und noch darzu am Fieber bey meiner Rückkunft 4 ganzer Wochen in Regenßburg zu bette liegen müssen.« 371 Baur, Berichte, S. 408 (Bericht Passers an die Landgräfin vom 29. Juli). 372 Hegnitius, Diarivm, S. 18. 373 Zum Prozess der »Exotisierung« vgl. Maximilian Grothaus, Zum Türkenbild in der Adels- und Volkskultur der Habsburgermonarchie von 1650 bis 1800, in: Das Osmanische Reich und Europa 1683 bis 1789: Konflikt, Entspannung und Austausch, hg. v. Gernot Heiss / Grete Klingenstein, München 1983 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit
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Diese Entwicklung ist nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Studie. Die folgenden Überlegungen fahren nicht fort in der Zeit, sie wechseln vielmehr den Ort. Das Archiv des Zisterzienserklosters Heiligenkreuz im Wienerwald verwahrt noch heute ein Manuskript, das den Anmarsch der Türken auf Wien nicht aus der Stadt, sondern aus dem Umland beschreibt: das etwa 320 Blatt umfassende Tagebuch des Präfekten der klösterlichen Sängerschule, Balthasar Kleinschroth, das von der jüngeren Forschung bisher kaum beachtet worden ist374 und den barocken Titel trägt: 10), S. 63 – 88; ders., Der »Erbfeindt christlichen Nahmens«. Studien zum TürkenFeindbild in der Kultur der Habsburgermonarchie zwischen 16. und 18. Jahrhundert, Graz 1986; ders., Vom Erbfeind zum Exoten. Kollektive Mentalitäten über die Türken in der Habsburger Monarchie der frühen Neuzeit, in: Auf den Spuren der Osmanen in der österreichischen Geschichte, hg. v. Inanc Feigl / Valeria Heuberger / Manfred Pittioni / Kerstin Tomenendal, Frankfurt a.M. u. a. 2002 (Wiener Osteuropa Studien 14), S. 99 – 113; Frank Matthias Kammel, Gefährliche Heiden und gezähmte Exoten: Bemerkungen zum europäischen Türkenbild im 17. und frühen 18. Jahrhundert, in: Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit, hg. v. Ronald G. Asch / Wulf Eckart Voß / Martin Wrede, München 2001, S. 503 – 525; Franco Cardini, Europa und Islam. Geschichte eines Missverständnisses, München 2000, S. 228 f. Eine wichtige Kritik an der analytischen Kategorie des »Exotischen« formuliert Wolfgang Neuber, Grade der Fremdheit. Alteritätskonstruktion und experientia-Argumentation in deutschen Turcica der Renaissance, in: Europa und die Türken, hg. v. Guthmüller / Kühlmann, S. 249 – 265. Für den historischen Umschwung von Furcht zu Aufgeschlossenheit vgl. auch Paula Sutter Fichtner, Terror and Toleration: The Habsburg Empire Confronts Islam, 1526 – 1850, London 2008; Jean-François Solnon, Le turban et la stambouline. L’Empire ottoman et l’Europe, XIVe – XXe siÀcle, affrontement et fascination r¦ciproques, Paris 2009; Vocelka, Erblande gegen Erbfeinde, S. 51 f. 374 Mit wenigen Ausnahmen: Martin Scheutz / Kurt Schmutzer, Schwirige baurn – pfaffen – Jesuviter. Die »Große Angst« 1683 in Niederösterreich am Beispiel des Fluchtberichtes von Balthasar Kleinschroth (geb. 1651), in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 68 (1997), S. 306 – 335. Scheutz und Schmutzer interessieren sich nicht für historische Bedeutungen von »Furcht«, sondern für Handlungsspielräume innerhalb einer »Großen Angst«, die sie als »massenpsychologische[s] Phänomen« auffassen (S. 310). Britta Echle, Magisches Denken in Krisensituationen, in: Im Zeichen der Krise, hg. v. Lehmann / Trepp, S. 189 – 201, insbes. 198 f., untersucht magische Vorstellungen in Kleinschroths Tagebuch und interpretiert diese in den psychologischen Kategorien der Angstbewältigung. Darüber hinaus ist das bisherige Interesse der Forschung an Kleinschroths Tagebuch in erster Linie lokalgeschichtlicher Natur: Niederösterreich im Türkenjahr 1683, hg. v. Karl Gutkas, St. Pölten 1983 (Wissenschaftliche Schriftenreihe Niederösterreich 61); ders., Das Jahr 1683 in Niederösterreich, in: Die Türken in Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683, hg. v. Robert Waissenberger, Salzburg 1982, S. 151 – 161. Für die Ausbildungsgänge der Chorjungen interessiert sich Harald Tersch, Erfahrung und Autorität. Bildungsgänge im Fluchtbericht des niederösterreichischen Sängerknaben, Kapellmeisters und Schulmeisters Balthasar Kleinschroth, in: Vormoderne Bildungsgänge. Selbst- und Fremdbeschreibungen in der Frühen Neuzeit, hg. v. Juliane Jacobi / Jean-Luc Le Cam / Hans-Ulrich Musolff, Köln / Weimar / Wien 2010, S. 189 – 205. Auszüge des Tagebuchs sind abgedruckt bei Sturminger, Die Türken, passim.
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»Flucht und Zuefluchts Eigentliche und Wahrhaffte beschreibung, welche sich zuegetragen in der Türckhischen und Tarterischen Landesverwiestung in Österreich Anno 1683, als ich mit 12 Knaben von den alten und berüehmbten Closter Heiligen Creuz durch den ankhomenten feind vertriben entfliehen müeste. So ich Zuesamen getragen vnd verfertigt Anno 1686 den 5. Marti vnd mit schuldigster Danckhsagung, vermög meines gethanen Gelüebds zue AltenÖtting den 4. Septembris Anno 1686 abgelegt«.375
War es den bisherigen Berichten militärisch und politisch Involvierter am Ende vornehmlich um die Stadt Wien und den Sieg der Alliierten zu tun, so stehen bei Kleinschroth das Leiden und Überleben seiner selbst sowie der ihm anbefohlenen Chorjungen im Vordergrund. Eine strukturelle Analyse seines Diariums vermag zu zeigen, dass die in der einschlägigen Forschung verbreiteten Begriffe der »Identität«, des »Selbst« und des »Eigenen« ungeeignet sind, die Funktion der Furchtbeschreibungen im autobiographischen Text zu erfassen und mit ihr den Stellenwert der »Türkenfurcht« für die Selbstkonstitution der autobiographischen persona. In diesem Zusammenhang wird ein weiterer, bisher nicht thematisierter Problemaspekt in den Blick geraten, der aus Kriegen generell nicht wegzudenken ist – und so auch aus dem Dreißigjährigen nicht –, der in der »Türkengefahr« des späten 17. Jahrhunderts jedoch besondere Virulenz gewann: die Relevanz von Nachricht und Gerücht für die Genese von Furcht und Angst (und vice versa). Im Gegensatz zu den Berichten der in Wien Eingeschlossenen und im Gegensatz etwa auch zur »Ilias« des Veit Höser aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zeichnet sich Balthasar Kleinschroths »Odyssee« (die er selbst nicht so bezeichnet, die es aber eigentlich ist) vor allem durch eines aus: Ihr Verfasser bekam die »grausamben barbern«,376 ungeachtet ihrer beständigen Nähe, nie zu Gesicht. Kleinschroth beschreibt, wie er »die Sach gesehen, gehöret, ja selbsten erfahren«,377 aber die Truppen der Osmanen hatte er nicht gesehen, sondern stets nur von ihnen gehört. Dies hat zwei Konsequenzen. Das Tagebuch, zum ersten, berichtet nicht von kriegerischen Handlungen, sondern von der Flucht vor ihnen und von der Irrfahrt, die sie mit sich brachte; und zum zweiten: Die zahlreichen Fluchtbewegungen, die das Diarium enthält, wurden gesteuert durch die Nachrichten und Gerüchte, die von der nahenden Gefahr zu vernehmen waren. Eines der Hauptprobleme, die dieser Text beschreibt, ist die stete Unkenntnis darüber, wo Türken und Tataren sich gerade aufhielten. Die Ungewissheit schürte die Furcht der Menschen und dies vergrößerte noch die gefürchtete Gefahr. Vor einer eingehenderen Analyse des Problems jedoch seien die wichtigsten 375 Zu Überlieferung, Editionslage und Zitierweise siehe oben Kap. 4.3, Anm. 241. 376 Kleinschroth, Tagebuch, S. 197. 377 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 2v.
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Rahmendaten des beschriebenen Geschehens genannt. Kleinschroth floh im Laufe des Juli 1683 zweimal aus Heiligenkreuz. Als Anfang des Monats die ersten Nachrichten vom Nahen der türkischen und tatarischen Streifscharen das Stift erreichten, führte er seine Chorknaben zunächst nach Lilienfeld. Unter Missachtung der Anweisung des bereits geflohenen Abtes Klemens Schäffer, den der Sängerpräfekt in Säusenstein an der Donau getroffen hatte, begab er sich anschließend noch einmal nach Heiligenkreuz, um auch jene Patres zur Flucht zu bewegen, die sich entschlossen zeigten, das Kloster gegen die anrückenden Truppen zu verteidigen. Angesichts ihres zähen Widerstands gegen Kleinschroths Ersuchen verließ der Zug der Flüchtigen erst wenige Stunden vor dem Einfall der Türken das Stift. Als auch sie in Lilienfeld angekommen waren, zog Kleinschroth mit seinen Chorknaben weiter durch die niederösterreichischen Eisenwurzen und brachte sie in Klöstern in Kremsmünster und Linz in Sicherheit. Nach einem nochmaligen Treffen mit Abt Schäffer in Passau kehrte Kleinschroth Ende August nach Kremsmünster zurück, wo seine »Raiß«378 ihr Ende fand379 (wenn auch nicht die Leidensgeschichte380). So weit die entscheidenden Stationen der erzählten Geschichte. Bereits in dieser Übersicht deutet sich an: Neben und vor dem Problem einer realistischen Einschätzung der Lage entstanden vielfältige Bedrohungen in der Auseinandersetzung über die Legitimität der Flucht. Diese war, wie nicht allein die Skrupel Veit Hösers, sondern auch die Kritik am Aufbruch des Kaisers aus Wien gezeigt haben, im Einzelfall keineswegs unzweifelhaft und unumstritten. Zunächst sprach auch hier die Stimme des Volkes. Unmittelbar an Leib und Leben wurden die Flüchtigen nicht etwa durch die türkischen Soldaten bedroht, sondern durch die Bauern des Wiener Umlandes. Auf katholische Geistliche waren sie nicht gut zu sprechen, sahen sie doch die entscheidende Ursache des gegenwärtigen kriegerischen Konflikts mit den Türken in der Gegenreformation in Oberungarn. Und nun entzogen sich die Verantwortlichen auch noch durch Flucht, um den Betroffenen die ganze Last der Verteidigung zu überlassen. Wiederholt wurde Kleinschroths Zug von Bauern aufgehalten, die ihrem Hass auf »Pfaffen« und »Jesuviter« unverhohlen Ausdruck verliehen und sich nicht gewillt zeigten, die Flüchtigen passieren zu lassen. Hier half am Ende die Vermittlungsleistung nicht allein des Amtmanns von Großhollenstein, sondern auch Kleinschroths selbst, der einigen der aufrührerischen Bauern wohl bekannt war und als Weltpriester nicht zu den ungeliebten Ordensgeistlichen gehörte.
378 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 256r, 258v. 379 Für weitere Details im Überblick vgl. Scheutz / Schmutzer, Schwirige baurn, S. 308 f. 380 Dazu unten Kap. 6.2.
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Kleinschroth ermöglichte sich und den Seinen zu überleben, indem er die Bauern dazu brachte zu unterscheiden.381 Neben seinem eigenen Stand und der Unschuld der Kinder hatte Kleinschroth ein weiteres Argument parat: Sie alle und die Geistlichen generell hatten keine Möglichkeit, sich selbst zu verteidigen; ihnen blieb, wollten sie ihr Leben retten, ausschließlich die Flucht. In dieser Weise argumentierte der Sängerpräfekt dann auch jenem Pater gegenüber, dem es gelungen war, die im Kloster verbarrikadierten Mitbrüder seinem verhängnisvollen Einfluss zu unterstellen. Kleinschroth, der zurückgekehrt war, um sie abzuholen, warfen sie vor, überhaupt geflohen zu sein (nicht anders als ihrem Abt)382. Sie weigerten sich, mit ihm zu gehen, weil sie das Kloster niemals im Stich lassen wollten; wer dazu bereit war, meinten sie, gab den Gnadenschatz preis und die stabilitas loci. Und so blieben sie nicht nur selbst, sondern hinderten auch Kleinschroth daran, erneut zu fliehen. Dies war des Dankes Gegenteil: Kleinschroth, der sich zu seiner ersten Flucht regelrecht hatte bereden lassen müssen, der sich dann, unter Missachtung aller Warnungen und flehentlichen Bitten, erneut in Gefahr begeben hatte, um die anderen aus ihr zu erretten, er sah sich nun mit dem Vorwurf der Feigheit konfrontiert. Hätte er nur die Zeichen beachtet und auf die Mahner gehört: Indem die Patres ihn festhielten, brachten sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihren Retter erst wirklich in Lebensgefahr.383 Kleinschroths Argument war denkbar einfach: Das Stift hatte gegen die Angreifer nicht den Hauch einer Chance: »[N]unmehr ist eß ein unverständige einbildung, ja vill mehr ein vermessenheit sich wöhren wollen, wo die gelegenheit zuwöhren nit ist.«384 Wer es dennoch versuchte, verhielt sich nicht anders als das Kind mit dem hölzernen Säbel, das drohte: »Komb Türckh, ich will dir den kopf abhacken«, und am Tag nach seinen wunderlichen »posturen« auch gleich in Gefangenschaft geriet.385 Heiligenkreuz besaß, anders als Wien, keine Besatzungsarmee, sondern am Ende dann doch vornehmlich geistliche Waffen. Jener Pater, der bereit war, für das Kloster zu sterben, konnte dem Kloster nicht helfen, ja mehr noch: Er machte sich schuldig »aller diser gueten leuthen unglickhs, verlust, leibaigenschafft, ja deß tottß selbsten«, und würde seinem Gott dafür einst »große rechenschafft geben« müssen.386 Wo Flucht möglich war (und 381 Kleinschroth, Tagebuch, S. 44 f., 63, 141; außerdem S. 98: Dort entkräftet Kleinschroth die bäuerliche Kritik an der Flucht der Patres mit dem Hinweis, dass sie gar nicht fliehen, sondern ihr Kloster verteidigen wollten – und führt damit zu ihrer Rechtfertigung an, was er selbst an ihnen kritisierte. 382 Ders., Tagebuch, S. 75. 383 Zum gesamten Absatz siehe ders., Tagebuch, S. 67 – 69, 72 – 78, 147. 384 Ders., Tagebuch, S. 78. 385 Ders., Tagebuch, S. 70. 386 Ders., Tagebuch, S. 78. Kleinschroth sollte Recht behalten. Am 4. August habe er seinem Abt Schäffer berichtet: »vill leuth wären mit leben daruon khomben oder aufßwenigst nit
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Widerstand zwecklos), sprach nichts gegen sie. Ein Martyrium stand hier nicht zur Diskussion. Auch Kleinschroth besaß die Bereitschaft zu sterben, wenn sich im Tod ein höheres Gut retten ließ. Wo dies unmöglich schien, jedoch, hegte er an der Legitimität der Selbsterhaltung keinen Zweifel. Grundsätzlich galt zwar auch für ihn: »eß mueß gewaget oder gestorben sein.«387 War die Lage jedoch aussichtslos, gab es keinen Grund, den Kopf auf den Block des Henkers zu legen; dann war ein jeder nicht nur berechtigt zur Flucht, sondern sogar verpflichtet dazu – um mit sich selbst auch die anderen zu erhalten.388 Am Ende verfehlte das Argument nicht seine Wirkung. Der Einfluss des selbsternannten »commandanten« wurde gebrochen, von denen, die zu würdigen wussten, dass sich Kleinschroth für sie in Lebensgefahr begeben hatte.389 Man ergriff endlich die Flucht und kam gerade noch davon. Auch wenn es Athanasius Kircher für sich persönlich abgelehnt hatte: Wem es erlaubt war zu fliehen, der durfte sich (zumindest grundsätzlich) auf der Flucht auch verstellen – gegenüber der anderen Konfessionspartei, gegenüber den Türken und gegenüber den Bauern.390 Zeitgenössische Fluchtberichte erzählen oft auch von einem beständigen Wechsel der Kleider : Das geistliche Gewand wurde gegen ein weltliches getauscht in Situationen der Bedrohung; der Rücktausch erfolgte, sobald ein Ort der Sicherheit erreicht war.391 Auf diese Weise führte auch Kleinschroth durch die Gefahr : seine Mitbrüder, seine Chorjungen und sich selbst.392 Ihr »Wesen«, so scheint es, blieb davon unberührt. Verkleidung fungierte als Überlebenstechnik in Konflikten, in denen der Feind sich
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gefangen worden, aber er [Pater Camerer] hat sie theilß beredet, theilß mit gwaldt aufgehalten, vill hätten ihre sachen weiter gebracht, aber auf sein einrathung haben sie es in kloster gelassen.« Wie hatte er das erreichen können? Der Pater »hat ihnen die gfahr gringer gemacht.« Dafür stellte ihm nicht nur Gott, sondern auch mancher der Geretteten Rache in Aussicht; und der Abt konnte Kleinschroth bestätigen: »Dieses ist […] ein vermessenes und unbesunenes stuckh gewesen[,] ich sollte schier sagen, das man ihme hätte sollen gwalt anthuen, händt und füesß binden und also haben ligen lassen.« Ders., Tagebuch, S. 174. Ders., Tagebuch, S. 69. Kleinschroth erbat die göttliche Hilfe für seine eigene Person immer auch und zunächst als Hilfe für die Kinder, die er zu beschützen hatte: ders., Tagebuch, S. 76; vgl. auch: Flucht und Zueflucht, Bl. 2v – 3r. Ders., Tagebuch, S. 85; für den »commandanten« siehe S. 74. Kircher verzichtete im »Höllental« auf eine Verkleidung, um die furchtlose Überlegenheit des Gottesfürchtigen unter Beweis zu stellen (Kircher, Vita, Bl. 22v); damit bestritt jedoch auch er – zumal als Jesuit – nicht ihre grundsätzliche Legitimität (vgl. Bl. 17v). Kleinschroth, Tagebuch, S. 97, 172; vgl. etwa auch Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 19r, 20r.; Glatz, Bericht, S. 132. Hinweise auf eine entsprechende Praxis unter katholischen Missionaren finden sich bei István György Tóth, Türken und Mönche. Kriegserfahrungen der katholischen Missionare im Ungarn des 17. Jahrhunderts, in: Religionskriege, hg. v. Brendle / Schindling, S. 217 – 227, hier 222 f. Kleinschroth, Tagebuch, S. 103, 145, 168 – 171, 177, 181; auch: Flucht und Zueflucht, Bl. 253r.
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ihrer bedienen konnte, um Leben zu zerstören.393 »Kleider mach[t]en Leute«,394 aber eine Verkleidung noch keine andere Person.395 Der Wechsel des »Äußeren« drohte das »Innere« nicht zu gefährden, sondern half es zu bewahren. All dies bedeutet: Ausschlaggebend für die Entscheidung über die Flucht war nicht deren grundsätzliche Legitimität, sondern, kasuistisch gewissermaßen, die Beurteilung der jeweiligen Situation. Hier fehl zu gehen, gab es zwei Möglichkeiten: die Unterschätzung der Gefahr auf der einen Seite und ihre Überbewertung auf der anderen. Ad 1. Die Gefahr, wie gesehen, konnte nur bannen, wer sie erkannte. Auch Kleinschroth musste gestehen, dass man anfänglich »in Österreich schier ohne forcht des feindß gelebet« und den schreckerfüllten Berichten der ersten, die im Kloster ihre Zuflucht suchten, keinen Glauben geschenkt hatte.396 Als ein Ordensgeistlicher aus dem burgenländischen Podersdorf, das seinerzeit ungarisch war, die Nachricht brachte, die eigene Armee sei schon nicht mehr in der Lage, dem Andrängen der Feinde zu widerstehen, fand auch er kein Gehör. Der Mann wurde »vor einen verzagten haasen gescholten, ausgelacht und verspotet«, und das sogar von Kleinschroth selbst.397 Die Sorglosigkeit, auch wenn sie sich bald als falsch herausgestellt hatte, ließ sich zunächst durchaus erklären. Sie resultierte, so Kleinschroth, aus der allgemeinen Nachrichtenlage; die Patres hatten nur geglaubt, was alle glaubten: »Biß dahero haben wir verstandnermassen gelebet ohne sorg, und nit geglaubet, das der feind ein feind seye. Doch aber soll sich dessen niemand verwundern, weilen man unß also versichert hat.« »Wir waren alß guete bekante nachbarn, alßdan lustig und ohne sorg, weilen die zeitungen alleß gueteß versprachen. […] Eß ist unß in disen kloster nit allein geschehen, eß ist das ganze land von solchen falschen bericht eingenomen gewesen.«398 Schwer, sich dabei von etwas anderem zu überzeugen. Auch hier hatte das Verhalten des Kaisers schädlichen Einfluss 393 Ders., Tagebuch, S. 120. 394 Art. »Kleid«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 15, Sp. 889 – 897, hier 896. 395 Auch dort nicht, wo sie erzwungen war. So vernahm Kleinschroth den Bericht eines Bauern, der in die Hände der Tataren gefallen war (Kleinschroth, Tagebuch, S. 196 f.): »›Sie haben mich also bald hart gebunden, die haar von kopf und den barth mit einen messer hinweckh geschniden, von den huet haben sie die flich abgerissen und die hoche kappen darvon mir aufgesezt, darzue legten sie mir einen groben langen rockh an und gaben mir einen strickh umb die mitt. Da hab ich also müessen mit ihnen ein Tarter sein.‹ (Der arme man«, so Kleinschroths Kommentar, »hatte alle dise kleidung noch an und der zeit noch kurz haar auf den kopff und in den barth. Und ich selbste hätt ihm nit erkennet, in diser kleidung, wan er sich selbsten nit verrathen hätte, obwollen er vorhero mir nur gar zu bekant war).« Zu Kleidung und Verkleidung in Kleinschroths Tagebuch vgl. auch Scheutz / Schmutzer, Schwirige baurn, S. 326 – 331 (mit weiterer Literatur zu Kleiderordnungen). 396 Kleinschroth, Tagebuch, S. 18 f. 397 Ders., Tagebuch, S. 21. 398 Ders., Tagebuch, S. 28 und 25.
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ausgeübt; Kleinschroth, sein Bericht entstand im Jahre drei nach dem Entsatz, war gut, vielleicht allzu gut informiert: »Haben doch ihr Keyserliche Mayestät selbsten Montag und ertag [i.e. Dienstag] 2 meill von Wienn gejaget zu Peterstorff und Medling allwo vill hundert flüchtige leuth sich dermallen schon befunden. Dennoch hat man nit glauben wollen, auch bey hoff, daß die sach so schlecht bestellt wollt sein, wie eß doch war.«399 Die Nachvollziehbarkeit der Sorglosigkeit nahm ihr jedoch nicht die moralische und heilsgeschichtliche Brisanz. Als der Ordensbruder aus Ungarn berichtete, hatte man »ohren gehabt und nit hören wollen, waß diser gehört«.400 Die Taubheit gegenüber seiner Rede, dies zeigt nicht nur die Allusion auf die Evangelien,401 verweigerte sich einem Propheten und damit auch der Stimme seines Herrn: »Also hat Gott wollen unß machen empfünden die wolverdiente straff und ruethen, welche er unß gezeigt hat, aber niemand hat eß glauben wollen, daß dieselbe vor unß gebunden seye.«402 Die anfängliche Unbesorgtheit in Heiligenkreuz schien am Ende nicht verständliche Nachlässigkeit, sondern verurteilenswerter Vorsatz: Blindheit gegenüber der Strafe, als Ausfluss der Sündhaftigkeit, die zu bestrafen stand. Darauf wusste Gott nur eine Antwort: die Verschärfung der Sanktion. Wer seine Botschaft nicht verstand, verpasste die Gelegenheit zur Linderung seines Zorns. Wer die Gefahr nicht erkannte, hatte ihre Steigerung zu gewärtigen. Den guten Nachrichten zu glauben, mochte noch angehen, doch nicht, die schlechten zu verlachen. Die Macht der falschen fama schützte nicht vor Strafe. Der Pater, der »die gefahr woll gewust«, scherte sich nicht um den Spott, zu Recht, wie Kleinschroth im Nachhinein erkannte, und setzte »sein person auff daß wenigst in sicherheit«.403 Die anderen jedoch zahlten für ihren Hochmut einen hohen Preis. Der Geistliche wusste, was er »gehört und gesehen« hatte: »Gebßt Gott, daß eß euch nit einmahl reue, daß ihr mir nit 399 Ders., Tagebuch, S. 25; vgl. auch S. 28. Für die einschlägigen Berichte aus Wien siehe oben Anm. 334. Außerdem mochte Kleinschroth die Sache von seinem Abt erfahren haben: Klemens Schäffer, Generalprotokoll für das Jahr 1680 »in welches alles so sich nit allein bey den closter selber sondern bey allen desßen habenten güettern, herrschafften, dörffern, residenzen und höffen von anno eintausend sechs[h]undert hero […] zuegetragen […] iezt und künfftiger zeit soll eingetragen und einverleibet werden, StAH R 7 f IV n. 11 a, Bl. 404r: »Den 3. July ist zeitung eingelauffen, daß durch Türkhen vndt Tartern auf dem Haidboden vmb Vngarisch-Altenburg schon fast alle dörffer in feuer stehen, welchem mann aber wenig glauben geben, auch sich nicht daran khert hat, sogar auch der kayser mit aller seiner jungen herrschaft vnd hoffstatt.« Zit. nach Watzl, Kommentar zu: Kleinschroth, Tagebuch, S. 216, Anm. 17. 400 Kleinschroth, Tagebuch, S. 22. 401 »Wer Ohren hat, der höre!« Mt 11.15, 13.9 und 13.43; Mk 4.9, 4.23 und 7.16; Lk 8.8 und 14.35. Vgl. auch Mt 13.17: »Viele Propheten und Gerechte haben begehrt zu sehen, was ihr sehet, und haben’s nicht gesehen, und zu hören, was ihr höret, und haben’s nicht gehört.« 402 Kleinschroth, Tagebuch, S. 25. 403 Ders., Tagebuch, S. 24.
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geglaubet habt.«404 Gott gab’s nicht; der Mahner behielt Recht und die Reue stellte sich bald ein. Ad 2. Bei aller Leichtfertigkeit jedoch suchte die Missachtung der gut gemeinten Warnung einem realen Problem zu begegnen. Der Pater wurde nicht lediglich ausgelacht, sondern vom »herrn praelaten« »sehr scharff« kritisiert: »daß er mit so forchtsamben zeitungen ohne rechten grund anhero komen, ja ihm noch verwisen, daß er solche zeitung hab in land dörffen aussagen, welches ihme villeicht möchte einmahl sorgen machen, indeme man sagen wird, daß ein geistlicher von Heiligen-Creuz daß volckh verzagt und flichtig gemacht habe.«405 Auch wenn in diesem Fall größere Sorge angezeigt gewesen wäre: Im weiteren Verlauf wurde nicht allein für die Beobachter aus der belagerten Stadt,406 sondern auch in Kleinschroths Augen oftmals mehr Furcht geschürt, als zuträglich war. Wo es »in der sach« nichts zu fürchten gab, dort war Trost angezeigt und kein »lamentiren und klagen«, das nichts »halffe, ja wohl mehr schaden veruhrsachte, wie ich öfftern in würthshäusern erfahren müessen.«407 Übermäßige Furcht diskreditierte die Nachricht, die sie brachte: »ist alleß ein geschrey von forchtsamben leuthen, welchen man durchauß keinen glauben soll geben«.408 »Blindes lärmen« und üble Rede brachten »unglickh und verderben«.409 Sie zeitigten unnötige Bestürzung410 und lebensgefährliche Unfälle in überhasteter Flucht,411 sie trieben die Flüchtigen erst dem Feind in die Arme und vermochten am Ende gar zu Mord und Totschlag zu führen. In der Nähe von Lunz etwa hatten »die leuth selber mit ihren erbährmlichen schreyen […] die sach vill gefährlicher und entsetzlicher« vorgestellt als angemessen und so »den auflauff vill verzweifelter zuwegen gebracht«. Die Situation drohte zu eskalieren: »Ein mensch hat den andern verzagt gemacht, ein schreyen hat das andere mordgeschrey veruhrsachet«; viel hätte nicht gefehlt, und »die leuth, von denen vill mit blosßen gewöhr sich möglichst zu defendiren herumb geloffen«, hätten sich »selbsten undter ein ander umbgebracht oder velezet […], dan ein ieder vermeint hat, er lauffe den feinden in die händ.«412 Dieser Dynamik des »Geschreys«, wie er bekannte, konnte sich auch Kleinschroth nicht entziehen: »Eß ist einmahl wahr, das, ob404 405 406 407
408 409 410 411 412
Ders., Tagebuch, S. 21. Ders., Tagebuch, S. 21; vergleichbar auch S. 27. Nachweise unten in Anm. 424. Kleinschroth, Tagebuch, S. 126. Zum Wirtshaus als Raum der Kommunikation (und Alkoholisierung) vgl. insbes.: Zwischen Gotteshaus und Taverne. Öffentliche Räume in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Gerd Schwerhoff / Susanne Rau, Köln / Weimar / Wien 22008 (Norm und Struktur 21), Teil 1. Kleinschroth, Tagebuch, S. 27. Ders., Tagebuch, S. 131. Ders., Tagebuch, S. 176. Ders., Tagebuch, S. 35. Ders., Tagebuch, S. 132.
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wollen ich schon in gröster lebenß gfahr undter denen Tartern gewessen bin, hab ich mir doch den tott niehmallen gwisser zusein und nähenter geschäzet alß dismahlß.«413 Hier hatte selbst Kleinschroth die Distanz des Beobachters verloren und mit ihr den Bezug zur Wirklichkeit. Dies schien auch ihm zunächst nur verständlich: Die »immerwehrente lärmen«, so Kleinschroth, »die stätte feindßgefahr und der grosße schrockhen hatte die leuth so forchtsamb gemacht, das, wo man einige fliehen gesehen, man gleich vermeint hat, der feind sey auch schon hinder ihnen« – »obwollen damahlß der feind nicht vorhandten gewesen […]. Eß ist gewiß, wan man in diser flucht einigen schuß oder starckheß schreyen gehört, seint einem gleich die haar gegn berg gestandten. Man hat alle winckhl und weeg ausgeschauet, wo nit ein feind hervor kombe.«414 Bei allem Verständnis jedoch: Angesichts ihrer gravierenden Folgen war Leichtfertigkeit im Umgang mit schlechten Nachrichten und Gerüchten aufs Schärfste zu tadeln. Und so hatte es Kleinschroth seinen »knaben verbotten, das sie niergents sollten eine üble zeitung erzehlen bey hocher straff.«415 Neben den Kindern zog er insbesondere die »weibsbilder« zur Verantwortung; sie als erste, so meinte er, setzten furchterregende Gerüchte in die Welt und verloren, wenn sie sie hörten, das Bewusstsein und ihre Gesundheit.416 Doch auch »mannsbilder«, wie gesehen, zeigten sich mitunter allzu »verzagt«;417 und auch sie trugen geistige und körperliche Schäden davon – nicht zuletzt Kleinschroth selbst.418 Die Ungewissheit der Lage, wie sie diesen Türkenkrieg kennzeichnete, begünstigte ein beständiges Schwanken zwischen allzu großer und allzu geringer Furcht. Das rechte Maß schien hier schwer zu erreichen.419 Nicht nur falsch verstandene Tapferkeit, so sagt es der Text, sondern auch Kleinmut und Verzagtheit brachten Gefahren, indem sie die Gefahrenlage verkannten; nicht nur die Missachtung der Bedrohung, sondern auch ihre Überbewertung vermochte sie noch zu steigern. Allzu große Furcht erfüllte sich selbst, sie zeitigte das Gewalterleiden, das sie fürchtete, zum einen über ihr affektuelles Erleben und 413 Ders., Tagebuch, S. 132. So auch S. 128: »in summa, eß war in den armen marckh ein solcher auflauff, gehen, reuten, fahren, lauffen, schreyen und zitern, lamentiren und verzagen, ein solche noth und ellent, ein so armseeliches aussehen, das ich sagen mueß, das ich noch niehmallen gwisser vermeint hab verlohren zusein alß dismahlß.« 414 Ders., Tagebuch, S. 100. 415 Ders., Tagebuch, S. 126. 416 Ders., Tagebuch, S. 126 f., 132 f. Vgl. auch S. 29: Um die Frauen nicht zu erschrecken, so Kleinschroth, »hab ich vorhero in etwaß umbgeredt.« 417 Ders., Tagebuch, S. 103, 106, 126, zum Ordenspater S. 21. 418 Dazu oben Kap. 4.3. Neben den Leichtfertigen gab es freilich auch noch jene, die die Furcht der anderen bewusst für ihre eigenen Zwecke instrumentalisierten: Kleinschroth, Tagebuch, S. 110, 114. 419 Vgl. auch ders., Tagebuch, S. 61, 88, 158 f., 161.
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ihre körperlichen Folgen, zum anderen durch das Fluchtverhalten, das sie initiierte. Das Gerücht schien in diesem Mechanismus ein zentraler Baustein. Die fama mala, dies wusste schon Vergil, war ein »monstrum horrendum ingens«, des Mars gefährliche, weil geflügelte, Genossin.420 Ihrerseits der Furcht geschuldet, war sie ebenso furchterregend wie der Krieg, den sie vor Augen stellte; als »hvomo armato« hatte sie Teil an seiner Gewalt.421 Und das heißt: Nicht nur, wer in Sicherheit wog, wo es Anlass gab zur Sorge, sondern auch, wer von Schrecken kündete, wo keine waren, vermochte die Leiden zu vergrößern, vor denen er zu bewahren suchte. Furcht und fama schienen »ansteckend«, sie bargen das Potential »epidemischer« Verbreitung, weil sie sich wechselseitig beförderten.422 Derart kombiniert, tendierten sie zu autopoietischer Selbstbestätigung und Verwirklichung des vorgestellten Unheils. Die Dynamik der Fluchtbewegungen Balthasar Kleinschroths speiste sich aus dem Umstand, dass die durch die
420 Der locus classicus ist Vergil, Aeneis IV, 173 – 188, zit. 181. Vgl. dazu Hans Joachim Neubauer, Fama. Eine Geschichte des Gerüchts, Berlin 22009, S. 67 f.; Dorothee Gall, Monstrum horrendum ingens – Konzeptionen der fama in der griechischen und römischen Literatur, in: Kommunikation, hg. v. Brokoff / Fohrmann / Pompe / Weingart, S. 24 – 43; Jürgen Brokoff, Fama: Gerücht und Form. Einleitung, in: Kommunikation, hg. v. Brokoff / Fohrmann / Pompe / Weingart, S. 17 – 23, hier 17 f. 421 Cesare Ripa, Iconologia di Cesare Ripa Pervgino Caualier de Santi Mauritio, & Lazaro, divisa in tre Libri: Ne i quali si esprimono varie Imagini di Virt¾, Vitij, Passioni humane, Affetti, Atti, Discipline, Humori, Elementi, Corpi Celesti, Prouincie d’Italia, Fiumi, & altre materie infinite vtili ad ogni stato di Persone, Venedig 1669, S. 540 f. (Rvmore); vgl. auch S. 192 f. (Fama); dt. (in Auszügen): Herrn Cæsaris Ripa[e] von Perusien Ritters von St. Mauritio und Lazaro/ etc. erneuerte Iconologia oder Bilder=Sprach/ Worinnen Allerhand e anmuhtige Außbildungen/ von den furnehmsten Tugenden/ Lastern/ menschlichen Bee e gierden/ Wissenschafften/ Kunsten/ Lehren/ Elementen/ Himmlischen Corpern/ Itae e e lianischen Landschafften/ Flussen/ und andern unzahlichen Dingen hergenommen/ gantz e sinnreich vorgestellet/ und auß den bewehrtesten Scribenten erklaret werden …, Frankfurt 1669, S. 146. Vgl. dazu Neubauer, Fama, S. 104; zum Verhältnis von Furcht und Gerücht darüber hinaus S. 35 – 37, 73 – 75, 110, 122; auch S. 55 – 57 – mit Bezug auf Delumeau, Angst, S. 240 – 252. Delumeau stellt eine Verbindung zu Aufruhr und Aufstand her, ebenso wie Lefebvre, La Grande Peur, S. 247, und Andreas Würgler, Fama und Rumor. Gerücht, Aufruhr und Presse im Ancien R¦gime, in: WerkstattGeschichte 15 (1996), S. 20 – 32, hier 21 f. 422 Die Geschichte der Analogisierung von Gerücht und Epidemie reicht mindestens bis in die Reformationszeit zurück und gestaltet sich analog zu den jeweils vorherrschenden Infektionstheorien. Vgl. Briese, »Gerüchte als Ansteckung« (wo allerdings die gleichsetzende »Denkfigur« der »Gerüchte als Ansteckung« [S. 252] analytisch wie historisch unverständlich bleibt). Einschlägig für das 17. (bzw. frühe 18.) Jahrhundert ist auch Defoe, Pest zu London, S. 7; dazu Brigitte Weingart, Kommunikation, Kontamination und epidemische Ausbreitung. Einleitung, in: Kommunikation, hg. v. Brokoff / Fohrmann / Pompe / Weingart, S. 241 – 251, hier 244 ff.
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schreckliche Nachricht gezeitigte Flucht stets selbst zur schrecklichen Nachricht werden musste.423 Unbewiesenes »Geschrei« barg besondere Gefahren, weil in Zeiten des Krieges weniges derart gefragt und schwer erhältlich war (und ist) wie zuverlässige Informationen. Angesichts der konstitutiven Ungewissheit der Lage berichten die zeitgnössischen Beschreibungen der Ereignisse zunächst einmal und immer auch die eingelaufenen Nachrichten von den Ereignissen. Es wird erzählt, was man hörte und auf welchen Wegen. Und es wird erzählt vom Bemühen zu sehen. »Augenzeugenberichte« verzeichnen, was diejenigen beobachteten, die die Dynamik des Gerüchts initiierten. Auch sie hatten oft nicht das Unsichtbare zu Gesicht bekommen, nicht die Türken selbst, sondern lediglich die Zeichen, die sie vorausschickten; und die führten vielfach in die Irre. Feuer und Rauch etwa schienen die Nähe des Feindes zu verraten, entpuppten sich jedoch nicht selten als Verteidigungsmaßnahme oder Unachtsamkeit auf der eigenen Seite.424 Diese Berichte vom Hören und Sehen präsentieren die kommunikativen Mechanismen der Furchtproduktion: die Verantwortlichkeit der e »geflugelte[n] Fama«425 für die imaginatio. Das Bemühen, Ungewissheit zu reduzieren, resultierte vielfach in deren Potenzierung. Die falsche Nachricht (und die Nachricht von der Nachricht) holte das kolportierte Ereignis heran und rückte es zugleich in immer größere Ferne; greifbar machte sie es nicht. Der Prozess der visuellen Wahrnehmung wurde nicht allein für Situationen der Ungewissheit festgehalten, sondern auch dort, wo Klarheit über die Gefährdungslage bestand. Diese Aufzeichnungen wollten nicht erklären, wie Furcht entstand, sondern markierten die Abwesenheit des Gefürchteten; mit dem Sehen beschrieben sie nicht die Wege der Informations- und Erkenntnisgewinnung, nicht deren Autorisierung und Authentifizierung, nicht die Genese und Wirkung von Erfahrung, sondern die Distanz zum Gesehenen: die Position der eigenen Betrachtung – in wenigem derart signifikant verkörpert wie im Stefansdom, dem exponiertesten, immer wieder erwähnten Beobachtungsposten.426 Manifest wird dies vor allem dort, wo das Sehen in das Gesehene selbst eingeschrieben ist. In Fortführung der zeitgenössischen Basismetaphorik des Theaters wussten zahlreiche Autoren von »Schauspielen« des Schreckens zu berichten, im Dreißigjährigen Krieg ebenso wie in den militärischen Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich.427 Spectacula der Gewalt dienten, war die andere Seite be423 Kleinschroth, Tagebuch, S. 61; vgl. auch S. 105. e 424 Ders., Tagebuch, S. 21. Aus der Flugschriftenpublizistik siehe M. M. S., Ausfuhr= und e e grundliche Erzahlung, S. 2 – 4; Vaelckeren, Wienn, S. 11, 13. e e e 425 M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 2. 426 Hocke, Kurtze Beschreibung, passim. 427 Zur frühneuzeitlichen Theatermetaphorik siehe: Dimensionen der Theatrum-Metapher in der Frühen Neuzeit. Ordnung und Repräsentation von Wissen, hg. v. Flemming Schock /
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troffen, mitunter der Ergötzung der Betrachter ;428 waren sie auf der eigenen zu beobachten, vermochten sie »ein steinenes Hertz«429 zu erweichen und vermehrten das Schreien und Weinen der Menschen.430 Als Graf Starhemberg aus verteidigungstechnischen Gründen die Vorstädte in Brand stecken ließ, war dies, so Happel, »denen Zuschauenden Christen und Burgern von Wien ein so e e e erbarmliches Spectacul […]/ daß man hatte meinen konnen/ der uhralte e e jammerliche Trojanische Brandt wurde ietzo an diesem Orthe wiederhohlet.«431 e Und der Anonymus M. M. S. hielt fest: »Mit was betrubten Augen nun nicht allein die Interessirten/ sondern auch alle andere rechtschaffene Patrioten/ dieses allzu kostbare Feuerwerk angeschauet/ wird denen jenigen zu beurtheilen e e anheim gestellet/ welche durch Feuer=Schaden etwan auch verunglucket wor432 den.« Diese Bilder des »Spectaculs« bargen keine hermeneutischen Probleme. Hier wurde Gewisses, nicht Ungewisses berichtet, es wurde die nahe Gefahr beschrieben, nicht die ferne, die gut begründete Furcht und nicht die unbegründete. Gleichzeitig jedoch nehmen auch diese Beschreibungen des Nahen eine Distanzierung vor ; das Gefürchtete erscheint als nah und doch (noch) abwesend
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Oswald Bauer / Ariane Koller, Hannover 2008. In Bezug auf die druckgraphische Darstellung der Gewalt des Dreißigjährigen Krieges vgl. Martin Knauer, Krieg, Gewalt und Erbauung. Zur Funktion der Todesmahnung in druckgraphischen Bildfolgen des Dreißigjährigen Krieges, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 83 – 104, hier 88 ff. e Huhn, Nichts Neues, S. 106: »… und wurde die Mine alsdann angezundet/ mit so vortrefflichem Effect, daß man eine grosse Menge der Feinde Leiber/ Beine und Armen in die e Lufft fliegen gesehen; welches Spectacul den Herren Commandanten dermassen ergotzet/ e e e daß er sich nicht enthalten konnen/ mehrgeruhmten Hrn. Capitain Hafner offentlich zu e e umbarmen/ und dieser loblichen Verrichtung wegen/ vor der gesambten Generalitat zu preisen«. Vaelckeren, Wienn, S. 93 (wie oben Anm. 367); auch S. 17. Vornehmlich von Frauen und Kindern. So berichtet Pater Philibert in seinem Diarium über die Flucht der Bevölkerung ins Melker Stift (in: Gumpoltsberger, Melk in der Türkennoth, S. 11 f.): »Es ist unbeschreiblich, was für Confusion und Schrecken heute zu sehen war. […] Das traurige Spectaculum vermehrte das heftige Lamentieren, Schreien und Weinen der Weiber und Kinder«. Es habe »das Ansehen gehabt, als ob ein neuer Moses erstanden sei, so das gesammte Volk in ein anderes Land führen sollte.« Happel, Kriegs=Roman, S. 508. Auf den griechischen Erinnerungsort (und römischen Gründungsmythos) referiert auch Hocke, Kurtze Beschreibung, S. 15: Der Brand der e Vorstädte sei »erschrocklicher als das incendium Trojæ, zusehen gewesen«. Hier wird das antike exemplum sogar noch übertroffen. Siehe außerdem Vaelckeren, Wienn, S. 17, und e e e M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 6 f., der noch den Brand Roms hinzufügt. Zur Kopplung des »Spektakulären« an Unbeschreiblichkeit, Exemplarität und Novität siehe oben Anm. 430 und unten Anm. 468. Der Verweis auf die antiken Brände findet sich auch in Matthias Miles’ Bericht vom Zug siebenbürgischer Hilfstruppen nach Ungarn 1682: Miles, Diarium expeditionis, S. 374, auch 368 (mit der Zerstörung Jerusalems); vgl. auch S. 358, 364, 376 f. Eigene Furcht wird S. 353, Unbeschreiblichkeit S. 357 und 359 erwähnt. e e e M. M. S., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung, S. 6.
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zugleich. Ein Schauspiel (spectaculum) bedurfte eines Betrachters (spectator), um ein solches zu sein, eines Beobachters, der im Augenblick der Betrachtung von dem, was er sah, nicht unmittelbar betroffen war.433 Der Tod hielt noch Abstand zu dem, dem er vor Augen stand. Der Bericht von Kleinschroths Vetter Wolfgang Schmalfuß aus Perchtoldsdorf zeigt dies in aller Anschaulichkeit: »Dise nacht darauf hatte ich die wacht neben andern auf den thurn. Alß der dag anbrach, schauete ich über den thurn hinab und erschrackh von herzen, rueffte meinen mitwachtern, sagent: Sehet wasß bedeut dises? Dan wir sahen den marckh völlich umbringet mit Tartern und alle gässen in marckh besezt mit Türckhen. Wir seint verrathen, sprach ich und eylleten alle zugleich hinab in die kirchen und erzehleten unsern mitburgern, waß wir gesehen hätten. Eß hebete alleß darauf an zuschreyen und zuweinen, es war ein allgemeines nothklagen, eß nahmben uhrlaub von einander man und weib, kinder und eltern, brüeder und schwestern, groß und klein, jung und alt und hätte alles ein erbährmliches ansehen. Der herr pfahrherr gabe uns allen die absolution und sprach uns zugleich ein herz zue, christlich zusterben. Niemand kan uns glauben, was diseß vor ein armseeliches spectacul war, indeme wür alle müessten hinauß gehen und unsern tott gleichsamb vor augen sahen. Sehr schmerzlich war, das eineß von den andern müeste so gewalthätiger weiß dahin scheiden.«434
Die in den Texten berichtete Distanz zum Geschehen ist nicht nur eine räumliche, ihr ist vielmehr auch eine zeitliche eingeschrieben. Die räumliche Entfernung markiert ein Noch-nicht (in der Furcht) und ihre Beschreibung zugleich ein Nicht-mehr (im Überleben).435 Die rückschauende Perspektive wird vor 433 Abgesehen von der Imagination, die in Furcht und Angst erstarren ließ. 434 Kleinschroth, Tagebuch, S. 207 f. 435 Die beschriebene Konstellation findet sich in einer ganz eigenen Pointierung auch im anonymen Diarium eines Musterschreibers, das von der Wiedereroberung Griechisch Weißenburgs (Belgrads) im September 1688 berichtet (Tagebuch aus dem Türkenkrieg 1688, BSB, Cod. germ. 7074, Bl. 49r – 51r). Nachdem nicht allein »viel Tausend Jung und Alt vom Feindt umbgebracht« worden waren, so der Verfasser, sondern sich zudem »etlich Tausend […] durch abspringung von den Mauren am Schloß, das Leben selbsten genommen, und andere sich auß großer Angst und Furcht in den donau fluß gestürzt, und ersäufft« hatten, verspürte der Kriegsvolontär »die begierde«, einen Beutezug in die frisch eroberte Wasserstadt zu unternehmen. Nachdem er das Tor passiert hatte, fand er »einen rechten Spectacul […], in deme viel Taußend vom Feindt jung und alt theilß Todt theilß aber noch lebendig, sehr abscheulich zermetzelt auffeinander gelegen, über welche man gefahren, geritten und getretten, so gar, daß etwelche das inngewaidt außgehangen, und so ich anderst etwas zur beut haben wollen gleichfallß über diese gehen müssen.« Der Musterschreiber, dem Vernehmen nach, zögerte nicht, dies zu tun. Beim anschließenden Besuch eines Kaufmannsladens zeigte er sich ungeschickt genug, in die Vase zu fallen, auf die er gestiegen war, um »ein klein kästlein« zu ergattern, in dem er Wertvolles vermutete. In dieser Vase, so der selbstironische Kommentar, »lag nun herr von angst und bang, und konte ihn keines wegs wider herauß helffen«. Glück im Unglück hatte er, denn ein bayrischer Musketier zog ihn »auß dem Loch«; doch im vielversprechenden Kästlein befand sich lediglich türkischer Reis. – Eigene Furcht (die seiner Neugier Einhalt gebot) beschreibt der Verfasser des Weiteren auf Bl. 45v.
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allem dort virulent, wo Kleinschroth, über das Hören und Sehen hinaus, vom Erzählen erzählt. Der Sängerpräfekt berichtet nicht allein von Gefahren, von seinen eigenen und denen anderer, von Furcht und Flucht, sondern auch von Furcht- und Fluchtberichten – von denen, die er regelmäßig erhalten, und von denen, die er selbst gegeben hatte. Diese Berichte dienten zum einen, innerhalb des Textes, der Nachrichtenübermittlung; sie informierten über die Lage der Dinge, über das, was noch drohend bevorstand (oder auch nicht). Zum anderen künden sie vom Überleben. »Eß erzellete einer dem andern seine gefahren«, um das wundersame Wirken Gottes zu erweisen.436 Besonders signifikant sind hier die Berichte der Kleinschroth anbefohlenen Chorknaben. Der Sängerpräfekt stellt unter ihnen eine bemerkenswerte Leidenskonkurrenz fest: »Seint alß die arme kinder ganz erschrockhen und voller forcht zu mir, der ich ihnen weit bin entgegen gangen, ankomen. Ein ieder erzehlete mir, waß er aus gestandten, mit zähren, zitern und sehr nachtrückli[c]he worten. Eß hab ein iedwederer mehr wollen ausgestandten haben, alß der andre.«437 Auch später noch: »Ein ieder wollte sein gefahr mir vor die gröste beschreiben, keiner wollte der sicherste gewesen sein.«438 Und schließlich: »Müeste doch bisweilen lachen, wan ich meine knaben betrachtete, wie sie einen oder den andern imerzue vexireten, welcher mehrer geweinet. Ein anderer aber war mit disen übel zufriden, das er sich meiner so wenig angenohmben. Bald wolt ein ieder der beherzteste sein, bald ein ieder der mitleydigste, keiner ohne gfahr, keiner ohne sorg, keiner wolte den andern in gueten noch bößen begebenheiten den vorzuch vergunen.«439 Aus diesem Wettbewerb des Leidens spricht nicht allein die Fähigkeit der Kinder, das Schwere leicht zu nehmen (oder ihre Unfähigkeit, sein Ausmaß zu realisieren), sondern auch das Wesen von Erinnerung und memoria. In den Überlebensberichten im Text offenbart sich auch das Anliegen des Textes, der von ihnen berichtet. Das Leben, das schien schon zu wissen, wer noch an seinem Anfang stand, war ein stetes Bemühen um das Martyrium. In ihm suchte der Mensch nicht den Tod, sondern die Abgrenzung von den anderen. Bereits die Kinder hatten es verstanden: Leiden zeichnete aus. In den Erzählungen seiner Jungen sieht Kleinschroth diesen Gedanken in kindlicher Unbefangenheit offengelegt. Und er distanziert sich davon – mit einem Lachen und im Vorwort seines Tagebuchs: »Dan ich auf keine Weiß gesinnet bin diseß zubeschreiben, damit die ganze Welt wisße, waß ich ausgestandten, oder andere mir angethan haben, gar nit: sondern 436 Kleinschroth, Tagebuch, S. 91, 151, 163, 166, 170, 173, 186 – 189, 196, 201 – 203, 209, zit. 186 (27. Oktober, als Kleinschroth mit seinen Knaben in Wien auf die Patres traf). Vgl. auch S. 117. 437 Ders., Tagebuch, S. 44. 438 Ders., Tagebuch, S. 133 439 Ders., Tagebuch, S. 146.
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nur aleine ist mein Absehen diseß lesen zulassen denen ienigen, welche darauß mit mir zusehen verlangen, wie hoch ich denen die mich vnd die Meinige erhalten haben, verbunden bin.«440 Anders als die Martyrologien: Dieser Text erzählt nicht vom Sterben, sondern vom Überleben (auch wenn es dazu der Bereitschaft zum Martyrium bedurfte). Impliziert ist dabei eine Distanzierung nicht allein von einer jesuitischen Sehnsucht nach dem Scheiterhaufen, sondern auch von einer protestantischen Leidensemphase, die die Selbsterhebung in der Selbstherabsetzung vollzog und aus den Zeichen der Verdammnis auf die eigene Auserwähltheit schloss.441 Kleinschroth erzählt von den Erzählungen der Kinder, um ihre Rettung zu verkünden und dass das Leiden, aus dem sie errettet worden waren, keinen Anlass gab zu Überheblichkeit. Auszeichnung verdiente nicht primär, wer litt, sondern wer aus Leiden befreite; der Fluchtbericht des Balthasar Kleinschroth zielt vornehmlich auf das Gedenken der Retter. Und an dieser Stelle ist das Ende der proklamierten Bescheidenheit erreicht: Der Verfasser erinnert nicht allein an all die anderen, die ihn und die Seinigen »erhalten haben«, er lässt auch keinen Zweifel daran, welchen Anteil er selbst daran hatte. Kleinschroth geriet wiederholt in Gefahr und in ihr in Furcht; im Gegensatz zu vielen anderen jedoch vermochte er seine Furcht zu kontrollieren und zu überwinden;442 er vermochte in einer Weise zu handeln, die auch den anderen die Furcht benahm. In der Erinnerung an die Rettung der Kinder lieferte Kleinschroth auch den Nachweis, dass er selbst maßgeblich zu ihr beigetragen hatte. Doch es gab Momente, in denen auch Kleinschroth nichts mehr auszurichten vermochte und selbst der Unterstützung bedurfte. Am Ende half Gott allein. Ihm galt Kleinschroths »schuldigste[] Ehr«, zum Schluss und von Beginn an, ihm, der »mich mit den Meinigen ohne alle meine Verdienst, sondern nur auß seiner vnergründlichen Güete vnd Barmherzigkeith, vnd dan auch wegen der Vnschuld meiner kleinen vertribenen Jugend, alß Knaben von minderen Jahren, vor allen Gefahren aber gnädigist erhalten hat«.443 Kleinschroth präsentiert sich als gottesfürchtig furchtlos, indem er sich als Retter vorstellt und weiß, dass seine eigene Rettungstat ohne die göttliche zur Vergeblichkeit verurteilt war, dass sich Furchtlosigkeit bewies im Wissen um ihre Grenzen: um die Notwendigkeit jener 440 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 2v. 441 Augustin Güntzer etwa hätte dieses Problem nicht gesehen – auch wenn er in der Einleitung zu seiner Autobiographie dieselbe Bescheidenheitsfloskel verwendet. Der Hinweis, die Niederschrift der Ereignisse diene nicht zum »ey¨ tlen Ruhm oder Ehr« (Klieinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 2v), ist in religiös geprägten Selbstbeschreibungen topisch, so auch bei Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 1r – 2r. 442 Vgl. Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 293v : An sich, versichert der Verfasser, fürchtete er sich nicht so leicht – um an dieser Stelle einzuräumen, dass ihm ein Gewitter in der Nacht zum 14. Mai einen kalten Schauer über den Rücken gejagt hatte. 443 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 3r.
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Furcht, an der Furchtlosigkeit sich bewährte und aus der Gott allein am Ende befreite. Kleinschroth wurde gerettet, so die Botschaft, weil er sich nicht auf sich selbst verließ und weil er nicht sich selbst gerettet sehen wollte, sondern die anderen. Er wurde von Gott gerettet, weil er ihn bat, ihn zu retten, um die Kinder retten zu können.444 Die Furchtlosigkeit, die ihn am Ende bewahrt, ist das Wissen, dass der Mensch aus eigener Kraft zu ihr nicht kam. Von dieser furchtlosen Furcht will der Text erzählen, von der Furcht, ihren körperlichen Folgen und der Befreiung aus allem: vom Wirken Gottes in der Gefahr. Anders als viele Erfahrungsberichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges artikuliert er dieses Vorhaben ausdrücklich; und es kommt eine weitere Besonderheit hinzu: Balthasar Kleinschroth stellt seinen Fluchtbericht als die Erfüllung eines Gelübdes vor, das »ich gethan hab Gott dem Allmächtigen, dessen Werckh alle heillig seint, vnd Vhrtheil vnergründlich, wie auch der allerheiligsten Muetter Gotteß vnd Jungfrauen Mariæ vnserer allezeit, vnd absonderlich in einer gefährlichen Zeit vnd Noth starckhen Beschüzerin vnd Führerin«.445 Diesen Anlass benennt der Text nicht nur einleitend, bevor er beginnt, sondern darüber hinaus als Teil des Berichts von den Gefahrensituationen, die das Gelübde motivierten. Aufgefordert von seinen Knaben, versprach Kleinschroth am 18. Juli in den Eisenwurzen: »Geliebte knaben! So will ich mit euch Gott den Allmächtigen und seiner Allerheyligsten Muetter geloben und versprechen, das wan er unß durch die gnadenreiche fürbitt der Allerseeligsten Jungfrau Mariae werde auß diser eussersten lebenßgefahr […] erlösen und unverlezt lasßen hindurch khomben, das wir wollen (so vill aufswenigst nach der flucht in der sicherheit auß euch noch bey mir sein werden) in Bayern auf Alten Ötting […] wahlfahrten gehen und alldorten neben schuldigster danckhsagung der [sic] verlauff unserr gantzen fluchtraiß beschribner[weise] vor einen opfer ablegen zum zeugnuß der erzaigten hilff und gnad.«446
Der Fluchtbericht erfüllt das Gelübde, indem er vom Gelübde erzählt. Kleinschroth hatte seine Furcht stets überwunden, um die anderen zu retten; als er dann jedoch in Heiligenkreuz saß, »erzitterte« auch er »an allen glidern in ansehung der augenscheinlichen gefahr und vorbewusten todß. Jch war gleichsamb an händ und füessen star«. Als die Hoffnung erstarb, als Kleinschroth Vorbereitungen traf zum Tod, war der Augenblick des Gelübdes gekommen;447 und dies brachte die Rettung. Da erging es dem Sängerpräfekten
444 445 446 447
Siehe auch ders., Tagebuch, S. 76. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 3r. Ders., Tagebuch, S. 148 f., zit. 149. Ders., Tagebuch, S. 75 f., 129, zit. 75. An anderen Stellen berichtet Kleinschroth von der Erneuerung des Gelübdes (S. 153 f.), bestätigt den Willen, es zu erfüllen, denkt über praktische Realisierungsmöglichkeiten nach und erzählt vom Verfassen der »Raißbe-
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besser als den kaiserlichen Soldaten in der Schlacht bei St. Gotthard-Mogersdorf knapp zwanzig Jahre zuvor, die sich, von »panischem« »Schrecken ergriffen«, e von den Türken »die Kopfe herabhauen liessen«; sie hatten »mit lauter Stimme zur heiligen Maria« geschrien, doch diese, wie Oberstleutnant Andreas von e Melville kommentierte, mochte es »nun wohl wegen des Getummels der Schlacht e 448 nicht gehort haben.« Kleinschroth dagegen wurde erhört: Im Moment der größten Gefahr, als alle menschlichen Überlebenstechniken versagten, in der furchtlos furchterfüllten Überantwortung an die göttliche Macht, war sie zur Stelle und befreite aus der Furcht. Für diesmal jedoch stand ihr dafür eine ungewöhnliche Gegenleistung in Aussicht. Athanasius Kircher, in zahlreichen Gefahren seines Lebens, hatte eine Wallfahrt nach Loreto und den Eintritt in die Gesellschaft Jesu gelobt (und den Überfall im »Höllental« hatte er nicht durch ein Votum überlebt, sondern durch seine sehnsuchtsvolle Bereitschaft zu sterben);449 auch Martin Luther hatte Mönch zu werden versprochen, als ihn der Donner zwischen Mansfeld und Erfurt erschreckte, und die Wiener gelobten, eine Säule zu errichten, als die Pest unter ihnen grassierte. Balthasar Kleinschroth dagegen versprach, einen Bericht zu verfassen, als die Türken sein Leben bedrohten und das seiner Jungen: Wenn du uns rettest, dann schreibe ich auf, dass du uns gerettet hast. Angestrebt war damit eine Steigerung der göttlichen Motivation: Gott, so unterstellt es das Gelöbnis, bringt Rettung, damit der Gerettete aufschreibt, dass Gott ihn gerettet hat – zur Vermehrung Seines Ruhms. Jeder nach seinem Vermögen: Gott half und der Mensch erzählte es den anderen. Hier manifestiert sich die memoriale Ökonomie des Gelöbnisses. Das Versprechen des Textes beförderte die Rettung, von der der versprochene Text berichtet. Der Überlebensbericht dankt für eine göttliche Hilfe, die Gott auch deswegen zu leisten bereit war, weil ihm sein Verfasser den Bericht von seiner Hilfe in Aussicht gestellt hatte. Der Text verdankte sich einem Überleben, das sich seinerseits ein Stückweit dem (Gelöbnis des) Text(es) verdankte. Er kam nicht erst nach der Rettung, sondern ging ihr bereits voraus. Was für die Selbstbeschreibungen des Dreißigjährigen Krieges gilt – die Bedingung ihrer Niederschrift macht die Geschichte des Leidens zur Überlebensgeschichte –, schreibung« (Flucht und Zueflucht, Bl. 207r, 210r, 215r, 258r/v, 259v, 277r, 295r, 311r, zit. 258v). 448 Bericht des in kurkölnischen Diensten stehenden Andreas von Melville von der Schlacht e e e von St. Gotthard-Mogersdorf 1664, in: Historische Gemalde, in Erzahlungen Merkwurdiger e e Begebenheiten aus dem Leben beruhmter und beruchtigter Menschen, hg. v. einer Gesellschaft von Freunden der Geschichte, Bd. 3, Leipzig 21799, S. 76 – 135, hier 129; wiederabgedruckt in: Wagner, Das Türkenjahr 1664, S. 206. Vgl. dazu Kaiser, Zwischen »ars moriendi«, S. 331, der die von Melville ironisierte Marienanrufung der Soldaten als Ausdruck christlichen Sterbens interpretiert. 449 Kircher, Vita, Bl. 8v – 9r, 38r – 41r, und oben Kap. 3.7. Zwar berichtet auch diese Vita von den Wunderwerken an ihrem Verfasser, um Gott zu ehren und ihm zu danken; diesen Bericht stellt Kircher jedoch nicht als Votiv vor: Bl. 12v.
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erhält somit an dieser Stelle einen spezifisch katholischen Sinn. Der straftheologische Zusammenhang von Tun und Ergehen, aus dem sich auch für Kleinschroth die »Türkengefahr« erklärt, konstituiert sich über die memoriale Funktion eines Textes. Gott ließ nicht zuletzt deswegen ab von seinem Zorn, weil der, den er traf, versicherte, einst daran zu erinnern. Als Tauschhandel, nach den Gesetzen des do ut des, mochte der Priester dieses votum am Ende nicht verstehen; so hätten es wohl eher kritische Protestanten gesehen. Gottes Hilfe konnte und wollte Kleinschroth sich nicht erkaufen; er erbat sie und versprach Dank – und stellte sie der Gnade des Himmels anheim.450 Und so konnte auch in Kleinschroths Augen die göttliche Strafe nicht ausgesetzt werden ohne die Anerkennung, ihrer »würdig« zu sein. Auch der Sängerpräfekt wusste, dass Gott allen Grund hatte zum »Zorn«; auch er wurde am Ende nur deswegen aus der Furcht befreit, weil er bekannte, eine »so grosße Gnadenzeit […] niehmallß verdienet« zu haben.451 Maßgeblicher Bestandteil dieses Bekenntnisses jedoch war auch das Gelöbnis, einst an die Befreiung zu erinnern. Wer das versprach, dem wurde, retrospektiv, die Gnade zuteil. Vor diesem Hintergrund wiederum liegt eine derartige memoriale Vereinbarung implizit auch jenen Berichten zugrunde, die sie so nicht benennen wollen oder können; dies sind vor allem die protestantischen. Wo erinnert wurde zum Dank für die Rettung und zur Mahnung, künftig zu unterlassen, was Rettung erforderlich machte, dort half Gott vor allem denen, die stets dessen gedenken würden. So sind konfessionelle Unterschiede auch hier nicht fundamental. Das Gelübde Balthasar Kleinschroths pointiert auf eine besondere Weise die Strukturmerkmale autobiographischer Furchtbeschreibungen des 17. Jahrhunderts. Diese Charakteristika manifestieren sich nicht allein im Akt des Gelübdes und des Schreibens, sondern auch in der Platzierung des schriftlichen Resultats. Kleinschroth, auch dies hatte er gelobt, brachte das Manuskript in Altötting zum Opfer dar – an jenem Ort, an dem der bayerische Kurfürst Max Emanuel mit Kaiser Leopold die »Heilige Allianz« gegen die Türken geschlossen und vor seinem Aufbruch zum Entsatz Wiens die dortige Gnadenmutter Maria um den Segen für den bevorstehenden Kampf gebeten hatte.452 Der Text wandte sich an 450 Siehe dazu Lenz Kriss-Rettenbeck, Zeichen, Bild und Abbild im christlichen Votivbrauchtum, Zürich / Freiburg i.Br. 1972, S. 298 f.; Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg / Basel / Wien 2006, Bd. 2, S. 838. 451 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 3v – 4r. Vgl. auch Bl. 208v. 452 Schreiner, Kriege im Namen Gottes, S. 173. Dies wird erwähnt etwa bei Vaelckeren, Wienn, S. 98 f. Zu Maria als Schlachtenhelferin siehe auch Klaus Schreiner, Maria. Mutter, Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Köln 2006 [München / Wien 1994], Kap. 10; Monique Scheer, Rosenkranz und Kriegsvisionen. Marienerscheinungskulte im 20. Jahr-
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die Pilger des Wallfahrtsortes, sie sollten ihn lesen, aber geschrieben war er für den Gott, den sie verehrten. Dass sich in diesem Bericht, wie Martin Scheutz und Kurt Schmutzer konstatieren, die ecclesia triumphans präsentiert, ist sicher richtig;453 hinreichend für das Verständnis seiner Genese ist es jedoch nicht. Als ein Opfer war der Text nicht lediglich Dokument des Geschehenen; als ein Gegenstand, der das Gelübde einlöste, sprach er nicht nur zu den Menschen, sondern auch zu Gott. Er erzählte den anderen vom Überleben und versicherte dem, der es ermöglicht hatte, seinen Dank, und nicht nur das: Mit der Einlösung des Versprechens gab er ein neues: künftig alles zu tun, um eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden. Dieser Text ist nicht nur eine Sammlung sprachlicher Zeichen, sondern auch eine sprachliche Handlung. Das hat weniger mit Performativität zu tun (weil diese Begrifflichkeit dazu neigt, die historischen Konzepte des Handelns und des Sprechens zu verkennen) als vielmehr mit Magie.454 Auch hier unterscheiden sich die Konfessionen nicht grundlegend voneinander. Bei Protestanten zeigt sich die magische Dimension, über den Akt der memoria hinaus, vornehmlich innerhalb des Textes. Vielfach finden sich eingeschaltete Gebete, die nicht nur autobiographisch erinnert, sondern im Akt der Erinnerung zugleich erneut gesprochen werden, und die verdeutlichen, dass diese Selbstbeschreibungen nicht nur zurück schauten, sondern damit immer auch voraus (in der providentiellen Einheit der Zeit), dass sie nicht nur zu den Menschen sprachen, sondern stets auch zu deren Schöpfer.455 Auch Balthasar Kleinschroth jedoch brauchte, um seinen Fluchtbericht schreiben zu können, nicht nur die Befreiung aus der Gefahr, sondern auch die hundert, Tübingen 2006 (Untersuchungen des Ludwig-Uhland-Instituts der Universität Tübingen 101), S. 299 – 337, insbes. 309 – 313. 453 Scheutz / Schmutzer, Schwirige baurn, S. 309. 454 Tersch, Erfahrung und Autorität, S. 191 f., liest das Diarium als Mirakelbericht. Für diese Interpretation spricht, dass andere Texte vergleichbaren Inhalts an Wallfahrtsorten gewöhnlich nicht begegnen. Sie geht jedoch von der Prämisse aus, dass Kleinschroth nicht nur die Übergabe des Fluchtberichts, sondern auch die berichtete Flucht als eine »kollektive Bußwallfahrt« verstand (S. 192). Dafür gibt es im Text keinen Anhaltspunkt. Zudem wird das Tagebuch von Kleinschroth selbst nicht als Mirakelbuch präsentiert, sondern als ein Votiv : nicht allein als Bericht von himmlischen Wunderwerken, sondern vor allem als ein (gelobter) Dank für sie. Angesichts dessen entzieht sich diese eigentümliche Text-Gabe einer vorschnellen Kategorisierung, auch wenn gattungsspezifische Ähnlichkeiten zu Mirakelbüchern ebenso wie zu Reiseberichten und der einschlägigen Flugschriftenpublizistik durchaus auszumachen sind. 455 Eindrückliches Beispiel auch hier ist Augustin Güntzers Kleines Biechlin, in dem zumeist signifikant offen bleibt, ob seine Gebete im Akt des Schreibens gesprochen sind (und sich damit auf die Zukunft des Verfassers beziehen) oder in der erinnerten Situation (mit Bezug auf die Zukunft der beschriebenen Person). Selbst dort, wo der Kontext eine Klärung erlaubt, werden die einschlägigen Gebete nicht explizit als erinnerte markiert. Für Beispiele siehe nur Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 8r – 9v, 15v.
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Gefahren, aus denen er befreit worden war. Auch dies spricht in besonderer Weise aus dem kindlichen Wettbewerb des Leidens. Die Sangesschüler wollten nicht mehr erleiden als die anderen, natürlich nicht: Sie wollten mehr erlitten haben. Ihre spielerische Konkurrenz bringt die Grundlagen der memoria auf den Punkt. Die Erinnerung war eher ein Vergnügen denn eine Last, und das nicht allein für die Kinder, sondern auch für den, der von ihnen erzählte: Als ein »guete[s] Weib« berichtete, was sie »in einer so namhafften Gfahr ausgestandten«, habe Kleinschroth »mit Lust zue gehöret«;456 und so erbat der Schreiber von seinen Lesern einen »vnbeschwerdt[en]« Dank für die Gerechtigkeit Gottes und keine niedergedrückte Klage über erlittenes Unrecht.457 Ähnlich war es nach dem Dreißigjährigen Krieg dem Ostheimer Kirchner Strahm ergangen,458 und der Ethiker Schottelius formulierte es 1669 theoretisch: »Unsere Traurigkeit und Gefahr erwektet [sic] oft bey uns eine Nachfreude und Belustigung: Wan man sich eines sehr geliebten Dinges/ so man mit Schmertzen verlohren/ erinnert und darauf gedenket/ so machet solches traurige Nachsinnen wegen der e gehabten Liebe/ annoch eine Lust: Also wan man aus einem grossen Unglucke oder e einer Gefahr erloset worden/ mit Schrecken und Traurigkeit aber solches hernach/ da e e e man sicher ist/ uberdenket/ so komt uns ein erfreuendes Grausen an/ und je grosser das e Ungluk oder die Gefahr gewesen/ je mehr es uns erfreuet/ daß wir entkommen … .«459
Das heißt: Wo es des Leidens bedurfte, um aus ihm erstanden sein zu können, dort galt: Je größer das Leid, desto angenehmer die Erinnerung daran. Zur Steigerung gegenwärtigen Wohlbefindens diente auch die memoriale Augmentierung dessen, was in der Vergangenheit ausgestanden worden war. »Flucht und Zueflucht« bilden somit eine Einheit. Nur chronologisch kommt die zweite nach der ersten, textuell dagegen erhält die Flucht aus dem sicheren Hafen heraus ihre Form. Diese Texte, um zu resümieren, beschreiben nicht die Nähe, sondern die Distanz zum Leiden; sie präsentieren nicht das Leiden selbst, sondern seine Überwindung. Und sie bilden die Perspektive ihrer Beschreibung auch im Beschriebenen ab – im zeitlichen Sinne, mit Überlebensgeschichten in der Überlebensgeschichte, und im räumlichen: durch die Beschreibung von Situationen der Beobachtung. Aufschlussreiches Beispiel aus der Zeit des Dreißigjährigen 456 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 251v. 457 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 3v – 4r : »Aber vmb diese aller=gnädigste Heimsuechung Gotteß wird von mir der günstige Leser höffligst erbetten vnbeschwerdt in seinen geistlichen Wand[el,] Gebettern, vnd Exercitien einmahl mit mir Gott zu dancken vor so grosße Gnadenzeit, welche ich vmb denselben niehmallß verdienet hab, sondern die Straff welcher er mich antriffe [?], wohl wäre würdig gewesen.« 458 »Höchst angenehm«, so Strahm, »ist die Erinnerung an vergangene Leiden.« Siehe oben Anm. 150. 459 Schottelius, Ethica, S. 179 f.
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Krieges ist einer der zahlreichen Berichte von der Zerstörung Magdeburgs. In den Kindheitserinnerungen des Kanzleisekretärs Johann Daniel Friese, der als Sohn des damaligen Magdeburger Oberstadtschreibers den Angriff auf die Stadt erlebte und zusammen mit seinem Vater dem Inferno entkam, wird die Einheit der drei Elemente geradezu emblematisch ins Bild gesetzt.460 Nach zahlreichen Situationen der Furcht, der Angst und einem »Jammer[,] der nicht zu beschreiben«, gelang die Flucht mit Gottes Hilfe;461 die Familie fand Unterschlupf in einem Lager vor den Toren der Stadt. Als die Elbmetropole in Flammen aufging, bot sie ein »Schauspiel«, das die Geretteten von Ferne beobachten e konnten – und das sie aufgefordert waren zu betrachten: »Diese Nacht ungefahr e um 11 Uhr/ stunde die gantze Stadt Magdeburg im Feuer/ und fuhrte uns der e e Vater seel. aus der Hutten/ damit wir die Zeit unsers Lebens davon sagen konten. Es war im Lager/ welches doch eine grosse Weite von der Stadt gelegen/ alles helle/ daß man einen Brieff darbey lesen kunte/ von der grossen Feuers=Gluth.«462 Die Beschreibung der Szene erinnert nicht allein den Schrecken, sondern auch die Erinnerung an ihn und die Mahnung zu erinnern; und sie leistet der Aufforderung Folge. Auch der Historische Extract des Johann Daniel Friese löste auf seine Weise ein memoriales Versprechen ein. Dabei sind räumliche und zeitliche Perspektivik sowie Faktizität und Normativität unmittelbar miteinander verschränkt: Was erinnert wird und werden soll, ist der Anblick, der sich denen bot, die der Angst der brennenden Stadt glücklich entronnen waren. Dieses »exemplarische« »Schauspiel« war nur beobachtbar und wurde erst zu einem solchen in der Sicherheit der Distanz.463 Wer an die 460 [Johann Daniel Friese,] Historischer Extract Aus einem Manuscripto, Welches Herr Daniel Frisius, Cancell. Secret. zu Altenburg/ Von seinen Fatis hinter sich gelassen. Und Von e dem Autore dieser Historischen Fragen/ seinen Untergebenen zur Vergnugung/ wie auch dem unparteyischen Leser zu dienstlicher Nachricht/ hier angedruckt worden. Vom e Magdeburgischen Ungluck, in: Friedrich Friese, Leichte historische Fragen, Leipzig 1703, S. 279 – 327 und 381 – 425. Anders als lange angenommen, stammen die Aufzeichnungen nicht von Frieses Vater ; dazu von Krusenstjern, Selbstzeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, S. 90. Zwei weitere Beispiele aus dem Dreißigjährigen Krieg sind Braun, Ephemerides, S. 54, und Höser, Peregrinationis periocha, Bl. 8v. 461 Friese, Historischer Extract, S. 402 und 310, 317 f., 321. 462 Ders., Historischer Extract, S. 319. Vgl. dazu Medick, Historisches Ereignis, S. 405 f. 463 Gleiches gilt natürlich auch für die umfangreiche Flugschriftenpublizistik anlässlich der Zerstörung Magdeburgs, die hier nicht analysiert zu werden braucht. Vgl. dazu Medick, Historisches Ereignis; in Bezug auf Deutungen von Gewalt: Peter Burschel, Das Heilige und die Gewalt. Zur frühneuzeitlichen Deutung von Massakern, in: Archiv für Kulturgeschichte 86 (2004), S. 341 – 368, insbes. 354 – 357; auch Michael Kaiser, »Excidium Magdeburgense«. Beobachtungen zur Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im Dreißigjährigen Krieg, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 43 – 64; ders., Die ›Magdeburgische Hochzeit‹ (1631). Gewaltphänomene im Dreißigjährigen Krieg, in: Leben in der Stadt. Eine Kultur- und Geschlechtergeschichte Magdeburgs, hg. v. Eva Labouvie, Köln / Weimar / Wien 2004, S. 195 – 213; ders., »… aber ich muß erst Beute
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Lektüre eines Briefes dachte im Licht und Angesicht der nächtlich brennenden Stadt, der verriet keinen Schrecken (mehr), sondern das Schaudern dessen, der ahnte, dass er ohne Furcht nicht hatte zur Furchtlosigkeit gelangen können. Wenn Balthasar Kleinschroth sich an seine Reise nach Altenmark erinnert mit den Worten: »In disen weeg betrachtete ich alle orth, wo wir in der flucht einmahlß in gfahr waren und schaurete mir noch offt die hauth darüber«,464 dann reagiert er noch nicht mit dem lustvollen Grauen, das im darauffolgenden Jahrhundert die Gemüter zu faszinieren begann. Kleinschroths und Frieses Distanz zum Schrecklichen ist am Ende keine räumliche (und ästhetische), sondern eine zeitliche.465 Der Wechsel vom Beschriebenen zur Beschreibung, von der Furcht zu ihrer Überwindung, wird nicht erst durch den Text vorgenommen und erreicht, sondern ist in ihm selbst bereits vollzogen. Die imaginierte Brieflektüre bringt es auf den Punkt: Was zunächst der Veranschaulimachen«. Die Zerstörung Magdeburgs im Spiegel von Selbstzeugnissen, in: »… gantz verheeret!« Magdeburg und der Dreißigjährige Krieg. Beiträge zur Stadtgeschichte und Katalog zur Ausstellung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen, hg. v. Matthias Puhle, Halle a. d. S. 21998 (Magdeburger Museumsschriften 6), S. 63 – 70; Martin Knauer, »… Das Mägdlein ist nicht todt, sondern es schläfft«. Die Eroberung Magdeburgs als heilsgeschichtliches Ereignis, in: »… gantz verheeret!«, hg. v. Puhle, S. 71 – 79; mediengeschichtlich: Birgit Emich, Bilder einer Hochzeit. Die Zerstörung Magdeburgs 1631 zwischen Konstruktion, (Inter-)Medialität und Performanz, in: Kriegs/Bilder, hg. v. ders. / Signori, S. 197 – 235; dies., Hochzeit in Trümmern. Die Zerstörung Magdeburgs 1631 im medialen Kampf der Deutungen, in: Parthenopolis. Jahrbuch für Kultur- und Stadtgeschichte Magdeburgs 1 (2007/08), S. 13 – 36; Silvia Serena Tschopp, Rhetorik des Bildes. Die kommunikative Funktion sprachlicher und graphischer Visualisierung in der Publizistik zur Zerstörung Magdeburgs im Jahre 1631, in: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit, hg. v. Johannes Burkhardt, München 2005 (Historische Zeitschrift, Beihefte 41), S. 79 – 103; geschlechtergeschichtlich: Rublack, Metze und Magd; speziell zum Aspekt der Vergewaltigung: Lederer, Myth, S. 387 – 395; aus literaturwissenschaftlicher Perspektive, in Bezug auf den Traueraffekt: Marcel Lepper, Lamento. Zur Affektdarstellung in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2008, Kap. 5.B. 464 Kleinschroth, Tagebuch, S. 196. 465 Die »Lust« der erinnerten Angst verdankte sich keiner psychologischen Dialektik; sie ist kein joy of grief. Angst wurde hier nicht gesucht, sondern gemieden. Diese Lust ist keine »Angstlust«; sie ist eine Lust nicht der Angst, sondern der Erinnerung an sie. Zur »Lust an der Angst« vgl. Karl Eibl, Abgrund mit Geländer. Bemerkungen zur Soziologie der Melancholie und des ›angenehmen Grauens‹ im 18. Jahrhundert, in: Die Kehrseite des Schönen, hg. v. dems., Hamburg 1993 (Aufklärung 8/1), S. 3 – 14; Begemann, Furcht und Angst, Kap. 4; Carsten Zelle, »Angenehmes Grauen«. Literaturhistorische Beiträge zur Ästhetik des Schrecklichen im achtzehnten Jahrhundert, Hamburg 1987; ders., Das Schreckliche als ästhetischer Begriff, in: Archiv für Begriffsgeschichte 33 (1990), S. 125 – 136; Böhme, Vom phobos zur Angst, S. 172; Richard Alewyn, Die Lust an der Angst, in: ders., Probleme und Gestalten, Frankfurt a.M. 1974, S. 307 – 330. Vgl. auch Michael Balint, Angstlust und Regression. Ein Beitrag zur psychologischen Typenlehre, Stuttgart 1960. Dort ist »Angstlust« eine nur bedingt treffende Übersetzung für das englische »thrill«, wie Ingrid Kasten, Zwischen Lust und Angst. Umzug ins Offene um 1500, in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für historische Anthropologie 10 (2001), S. 30 – 61, hier 33, gezeigt hat.
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chung des Ausmaßes der Zerstörung zu dienen scheint, sagt vor allem eins: Was in der Erinnerung einen Text zu lesen erlaubte, ist bereits im Erinnerten selbst zum Objekt eines Lesens geworden. Dass diese Konstellation nicht dem vergleichsweise großen zeitlichen Abstand zum erinnerten Geschehen geschuldet ist (die Erstveröffentlichung von Frieses Kindheitserinnerungen erfolgte über sieben Jahrzehnte nach dem Brand), beweisen die strukturellen Parallelen zu (zeitlich wie räumlich) »ereignisnahen« Berichten – in der Beschreibung von überwundener Furcht ebenso wie von ihrer Überwindung. Der illustrative (und ästhetisierende) Rückgriff auf die Lektüre eines Briefes verdankt sich nicht der zeitlichen Distanz der Erinnerung, sondern der in das Erinnerte selbst eingeschriebenen Distanzierung. Zurück zu Kleinschroth und damit zur Ausgangsfrage dieses Abschnitts. Werden die vorangehend erörterten Aspekte zusammengenommen, so ist auch aus den Furchtbeschreibungen der späten Türkenkriege weder auf eine »Traumatisierung« zu schließen noch auf deren »Bewältigung«.466 Die Erinnerung an die Qualen schien hier eher eine Freude denn selbst eine Qual. Leiden wurde nicht verschwiegen, sondern artikuliert, und dies nicht, um die Wunde zu schließen, sondern um von dem zu erzählen, der sie immer schon geheilt hatte.467 »Unbeschreiblichkeit« und »Unaussprechlichkeit« von Furcht und Angst sind auch in den Türkenkriegen omnipräsent; wie im Dreißigjährigen Krieg sind sie gekoppelt an die Exemplarizität und Novität des »Spectaculs«; und so sind sie auch hier die Sprache, deren Unmöglichkeit sie behaupten. Auch hier stellen sie die Beschreibung des Leidens als ein Problem der Quantität vor: des zur Verfügung stehenden Raumes.468 Derartige Beschreibungen des Unbeschreiblichen 466 Gegen Hans Joachim Kissling, Türkenfurcht und Türkenhoffnung im 15./16. Jahrhundert. Zur Geschichte eines »Komplexes«, in: Südostforschung 23 (1964), S. 1 – 18; Martin Scheutz, Schwarze Raben auf den Feldern. Kriegserfahrung und Profilierungschance. Der Herzogenburger Chorherr Gregor Nast (1653 – 1728), sein Selbstzeugnis über das Jahr 1683 und der »Erbfeind«, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 117/1 – 2 (2009), S. 74 – 131, hier 76 und 104. 467 Als entlastend wurde das Beschreiben eigener Schmerzen allein dann vorgestellt, wenn es sich bei diesen um die »Ängste« des eigenen Gewissens handelte, dort also, wo ihre Beschreibung als Sündenbekenntnis fungierte. Siehe Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 295r/v : »Vnd diseß sey¨e gnueg geredet von meinen Schmertzen, welche ich nit länger verthruckhen könen, sondern durch meine vnannehmliche Federn herausgelassen«. Vgl. auch Bl. 260r. Dieser Schmerz fand den Weg aufs Papier, weil seine Niederschrift nicht auf persönliches Mitleid zielte, sondern auf die Verehrung göttlicher Barmherzigkeit. Stand dagegen körperlicher Schmerz zur Beschreibung an oder der Schmerz angesichts des Verlustes einer geliebten Person, so betonte auch Kleinschroth dessen Unbeschreiblichkeit: Bl. 204r, 260r. 468 Ders., Tagebuch, S. 91: Bei der Kaumberger Schanze traf Kleinschroth auf eine »sehr grosse menge der flichtigen […], welche nit genueg erzehlen kunten, waß für ellend und noth sie ausgestandten.« Er selbst sah Frauen vorzeitig Kinder gebären vor Schrecken: »Eß war überall ein erbärmliches ellend, so nit zu beschreiben. Und wer nit dergleichen mit augen
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fungierten daher nicht als Akte einer psychischen »Bewältigung« des Erlittenen durch seine religiöse Deutung (ebenso wenig wie sie eine Erschütterung des religiösen Interpretationsrahmens indizieren). Vielmehr sind sie Berichte von der Überwindung des Leidens durch das Versprechen eines Berichts. Diese Überwindung kam nicht nach der Furcht, sondern war ihr selbst bereits eingeschrieben; denn sie stellte nicht allein eine Verheißung dar, sondern stets auch – wie das Furchterleiden selbst – eine Anforderung und Aufgabe. In diesem Sinne ist sie ein Produkt des Textes. Sie wurde somit nicht als eine mentale aufgefasst, sondern als eine spezifisch religiöse: nicht als Steigerung individuellen Wohlbefindens, sondern als »Trost«. Auch die hier artikulierte »Unaussprechlichkeit« verortete ihren Gegenstand nicht in einem unzugänglichen Ingesehen, kanß nit begreiffen, waß nur ich mit den meinigen erfahren und gesehen. […] Diser aller ellend und andern mehrern, die gar nit bewusst seint, ist mit keiner federn zubeschreiben, noch auszusprechen.« Hier finden sich sämtliche konstitutiven Elemente der »Unbeschreiblichkeit« und »Unaussprechlichkeit«, die bereits für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges festgestellt worden sind. Und so wird auch hier mit dem Unbeschreiblichen seine Überwindung beschrieben: »Ich lobe Gott, das er mich mit den meinigen gnädigst erhalten hat, das ich annoch dises zue seiner ehr gedänckhen und beschreiben kan.« Kleinschroth dankte Gott für sein Überleben, weil es die Voraussetzung dafür war, ihm dafür danken zu können. Auch hier ist der Gedanke des Gelübdes impliziert: Gott rettet, damit der Gerettete davon berichten kann. Vgl. auch S. 130: »Mit einem word, eß war ein solche noth, die nit zubeschreiben, kan ihn es auch keiner einbilden, alß der dise oder dergleichen gesehen hat.« S. 195: »Eß ist nit alleß wohl möglich zubeschreiben, wie dise barbern mit disen so berüehmbten und schönen kloster umbgegangen«. S. 205: »In der kirchen [in Perchtoldsdorf] ware eß ein gräuel zusehen, wie vill leiber ganz verbrennet hinundher lagen, eß war ein solcher gestanckhen, das ich khein weiß waiß denselbigen zubeschreiben oder etwaß zuvergleichen.« Vgl. außerdem S. 182 und 209. Und es gibt weitere Beispiele: Fritz Posch, Gregor Schinnerers Erlebnisberichte über den Türkeneinfall des Jahres 1683, in: Unsere Heimat. Monatsblatt des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich und Wien 26 (1955), S. 160 – 169, hier 163 – 166, stellvertretend S. 164: »die for[c]ht, schrekhen undt verwihrung khan ich nicht beschreiben und ist mir unmiglich, das ellendt der armen leuth zu gedenkhen.« Eberhard Werner Happel, Historia moderna Europæ, Oder eine Historische Beschreibung Deß Heutigen Europæ; Welche zum e Anfang und Fundament hat den Munsterischen Frieden=Schluß/ und von dar an forte fahret/ Unpartheyisch zu beschreiben/ dieses Letztere Semi-Seculum Mirabile, das ist/ die e e e Jungste mehr als Vierzig=Jahrige Wunderbare Zeit/ furnemlich was kurtz vor und unter der e e Glorwurdigsten Regierung Aller=Durchlauchtigsten/ Großmachtigst= und Une e e e uberwindlichsten Romischen Kaysers/ Leopoldi I. furgefallen, Ulm 1692, S. 667: »Was für Jammer/ Elend und Wehklagen durch diesen Einfall [der Türken 1663] unter den armen Leuten entstanden/ ist leichter mit Gedancken zu fassen/ als dieses Orts mit der Feder zu e e beschreiben.« Und S. 707: Die »an dem Strand [der Raab] gepflantzte Turckische Stucke e e donnerten unaufhorlich in das Geschrey/ und erfulleten also Lufft und Feld mit ere e schrocklichem Geprassel/ welches alles so grausam war/ daß die tapfferste und alteste Soldaten sich solcher Stunden niemahls erinnern kunten. Aber darum gaben die Christliche Generalen noch nicht das gantze Spiel verlohren/ sondern satzten hier und dar eines und das andere Regiment schleunig ins Feld/ und dem andringenden Feind entgegen/ und also die bereits Gewichene wiederum zum Stand zu bringen/ und sprachen ihnen allen mit freundlichen Worten ein Hertz ein.«
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nern der Person, sondern in der Unendlichkeit eines göttlichen Kosmos. Die vorgestellte Antwort auf sie war kein Verstummen, sondern das dem Menschen mögliche Maß an Worten, keine Infragestellung Gottes, sondern das Lob seiner Gerechtigkeit. Und das heißt: Auch am Ende des »martialischen Saeculums« steht ein psychologisches Instrumentarium, wie es erst einhundert Jahre später entwickelt werden sollte, dem historischen Verständnis der zeitgenössischen Selbstbeschreibungen im Wege. Wer nach dem Unausgesprochenen hinter dem Ausgesprochenen sucht, der übersieht womöglich, was die Autoren sagten, wenn sie von Unsagbarkeit sprachen. Die Semantik der »Unaussprechlichkeit« ist auch in den Türkenkriegsberichten an jenen rhetorischen Steigerungstopos gekoppelt, der es im Dreißigjährigen Krieg erlaubte, den konfessionellen Gegner zu dämonisieren: »… ärger als die Türken«. Da die negative Kontrastfolie zur Beschreibung des vormaligen Feindes (in den eigenen Reihen oder in denen der anderen) nunmehr selbst der zu beschreibende Feind geworden war, bedurfte es dazu jedoch einer topologischen Transformation. Sie vollzog sich nicht im Bild von den »Türken«. Auch hier blieb der »Türke« der Inbegriff an Grausamkeit und als solcher ein rhetorisches Mittel der Charakterisierung anderer; für seine Charakterisierung stand keine neue Eskalationsrhetorik zur Verfügung. Anders als im Falle innerchristlicher Gewalt hielt die unmittelbare Begegnung mit den Türken antagonismustechnisch keine Überraschungen bereit. Die Anpassung hatte somit an anderer Stelle zu erfolgen, bei denen, die die Tradition mit dem Erbfeind topisch vereinte: Schien es vor den »Erfahrungen« des Dreißigjährigen Krieges keine schrecklichere Gewalt gegeben zu haben als die von »Türken und Tataren«, so erfuhr man jetzt, dass die Tataren noch grausamer wüteten als die Türken. Wurden Kleinschroth bereits die »schwirigen« Bauern durchaus ebenso gefährlich wie die Türken (und bedienten sich zuweilen gar ihrer Waffen),469 so brachten die Tataren noch größere Gefahr. Als Streifscharen verbreiteten sie – ähnlich den »Croaten/Crabaten« des Dreißigjährigen Krieges – größte Furcht und Schrecken, nicht allein durch eine grausame Kriegführung, sondern vor allem auch durch die notorische Ungewissheit ihres Aufenthaltsortes. Um sie steigerungstopisch zu fassen, musste die tradierte semantische Einheit von »Türken und Tataren« aufgebrochen und intern ausdifferenziert werden. Kleinschroth referiert den Bericht eines »Heiligen Creuzerische[n] undterthan[s]« aus Gaaden, dem er begegnet war, als er sich zusammen mit dem Chorknaben Caspar Liedtmayr Ende Oktober 1683 auf dem Weg nach Altenmark befand und all die Orte »betrachtete«, 469 Kleinschroth, Tagebuch, S. 148 und 166 f.: Ein Bauer, so Kleinschroth, wollte sich mit eben dem Säbel, mit dem die Tataren seine Ehefrau geköpft hatten, »an allen pfaffen rechen, dan dise an allen krieg schuldig seint.« Siehe auch S. 180.
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»wo wir in der flucht einmahlß in gfahr waren«. Der »guete bauersman«, der »undter die Tartern gerathen« war, weiß das bekannte Panorama diabolischer Grausamkeit zu entfalten und – das ist neu – er delegitimiert ihr violentes Treiben über dessen Widernatürlichkeit. Die Tataren, wie der Mann selbst gesehen hatte, waren »unmenschliche menschen« und »recht teufflische leuth«, die sich erfreuten an »der natur selbsten wider strebenten mordthat[en]«.470 Sie zögerten nicht, selbst Kinder zu zerhacken, zu erdrosseln und zu ertränken. Und wie »sie mit denen weibsbildern verfahren, kan kein christliches und ehrliches ohr anhören, deren sie weder schwachen, noch minderjährigen, noch schwangeren, noch kranckhen, noch halb totten, ja so gar der totten selbsten nit verschonet, ihren viechischen willen gnueg zuthuen«. Anders dagegen die »Türckhen«. Obwohl auch sie »grausambe barbern seint«, sprach der Bauer, »so gehen sie doch nit so unmenschlich umb mit denen weibsbildern. Die Türckhen halten all ihr sachen ordentlich in betten und andern glaubensbräuchen, die Tartern aber […] hab ich selten waß betten gesehen oder an ihnen ein glaubenszeichen verspüret. Bisweilen hat ein ihriger pfaff in einen winckhl einer zeldt sizent und die ohren zuehaltent ein abscheuliches geschrey gehabt, wanß gedonnert hat, seint sie wohl forchtsamb und andächtich herumb gangen, sonsten haben sie kein einziges zeichen einer verehrung Gottes oder der ehrbarkheith sehen lasßen.«471
Tataren, die unschuldige Kinder in »forcht« um ihr Leben versetzen, um es ihnen anschließend zu nehmen,472 erzittern hier selbst in Furcht. Deren Beschreibung folgt den semantischen Vorgaben des timor servilis. Die Tataren, so Kleinschroth, fürchteten Gott im Gewitter, aber sie machten sich daraus kein Gewissen. Sie fürchteten die göttliche Strafgewalt, aber nicht die Sünde, die zu bestrafen stand. Sie suchten die Sanktion zu umgehen und das drohende Übel, aber sie scheuten nicht deren Anlass. Sie verkannten, mit anderen Worten, die Gerechtigkeit des Donnerschlags und welches Instrument ihn abzuwenden vermochte. Kleinschroth und sein Gewährsmann belassen keinen Zweifel: Wenn es blitzte und krachte, half kein Verschließen der Ohren, sondern allein die 470 Zur zeitgenössischen Unterscheidung von gerechter und grausamer Gewalt siehe Hohkamp, Grausamkeit, und für die Definition von Grausamkeit über die Freude an der Gewalt sowie über ihre Widernatürlichkeit den Art. »Grausamkeit«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 11, Sp. 747 – 753, hier 748 – 750, zu den »barbarischen Völckern, […] dem Geschlechte derer Muselmänner«, insbes. Sp. 749. Flankiert von der Unmenschlichkeit, wie sie etwa auch Braun, Ephemerides, S. 101, konstatiert, markiert der Hinweis auf die Widernatürlichkeit die allmähliche historische Überführung der asymmetrischen Gegenbegriffe von Christ und Antichrist in eine totalisierende Perspektive. Vgl. Reinhart Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, in: ders., Vergangene Zukunft, S. 211 – 259. 471 Sämtliche Zitate des vorangehenden Absatzes bei Kleinschroth, Tagebuch, S. 196 – 199; vgl. auch S. 201 f. 472 Ders., Tagebuch, S. 198 f.
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Öffnung der Herzen: die Liebe zu Gott und seiner Gerechtigkeit. In der protestantischen Wetterpredigt der Zeit richtete sich eine derartige Kritik gegen magische Praktiken »abergläubischer« Bauern und gottloser Katholiken; im Bericht des Heiligenkreuzer Sängerpräfekten erklärt sie die Grausamkeit der »Tataren« aus ihrer Kleinmütigkeit.473 Nach dem erfolgreich abgewehrten Angriff auf Wien kann die Zuschreibung einer derartigen Furcht nicht sonderlich überraschen. Die neue militärische Lage jedoch, auch wenn Kleinschroth um sie wusste, ist für das Verständnis der Passage nicht entscheidend. Der Verfasser argumentiert grundlegender : Er führt die Furchtsamkeit des Feindes auf dessen Gottesverhältnis zurück. Damit wiederum stellt er zwischen der knechtischen Gottesfurcht der Tataren und ihrer Grausamkeit eine Kausalverbindung her. »Hasenherzige« Furcht im Gewitter und furchterregende Gewalt bilden hier keinen Gegensatz, sondern erklären sich wechselseitig. Das barbarische Wüten der Tataren wird nicht etwa aus einer Furchtlosigkeit verständlich, sondern aus ihrer Furcht: aus einer verzagten Furcht vor Gott. Die Tataren schienen Kleinschroth gefangen in ihrer Grausamkeit, die sich, wie der Christ wusste, am Ende gegen sie selbst richtete, ob mit Blitz und Donner oder den Qualen der Hölle. Auch im heilsgeschichtlichen Sinne gehen aus Kleinschroths Erzählung der Verfasser als Sieger und die furchterregenden Tataren als Verlierer hervor. Gott vergalt den Tataren ihre Grausamkeit, nach dem Prinzip des Talion: Sie, die bei ihren Opfern eine Furcht erregten, die sie selbst hatten, versetzte er in die Furcht, in die sie die Christen versetzten und aus der er sie befreite.474 Die knechtische Furcht der Tataren im Gewitter erscheint damit als eine genuin christliche Figur. Sie kontrastiert die kindliche Gottesfurcht Balthasar Kleinschroths, die die gewaltsamen Folgen der tatarischen Furcht als gerechte Strafe erkennt für knechtische Furcht auf christlicher Seite und damit am Ende 473 Vgl. auch den Bericht Michael Heberers von Bretten von einem drohenden Schiffbruch in der Nähe von Samos in der Zeit seiner Gefangenschaft und Dienstbarkeit auf einer osmanischen Galeere: »Das vngewitter vnd wiederwertige Wind namen mit der einfallenden finsteren Nacht mit gewalt vberhand/ daß keiner wissen kund bald wo er ware. Da schrien e e vns die Turcken auß verzweiflung zu/ Wir Christen solten vnsern Gott vmb hulff anruffen. Aber es war zu letzt vergeblich. Dann der gewalt des Windes vnd des wilden Meers war so groß/ daß er vnser Galleren/ wider allen vnsern widerstandt/ gegen dem Land an die Felsen e mit solcher vngestumme warff/ daß ein guter theil der Remen zersprang/ Welches durch das krachen einen solchen schrecken menniglich gab/ daß sie vermeineten/ die Galleren e e wurden gar zu grund gehen/ vnd mußten alle verderben.« Michael Heberer von e Bretten, Ægyptiaca Servitvs: Das ist/ Warhafte Beschreibung einer Dreyjahrigen Dienstbarkeit/ So zu Alexandrien in Egypten jhren Anfang/ vnd zu Constantinopel jhr Endschafft genommen, Heidelberg [1610], ND: Aegyptiaca Servitus. Mit einer Einleitung v. Karl Teply, Graz 1967 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten 6), S. 168. Weiteres zu Heberer unten in Anm. 479. 474 Vgl. bereits Georgius de Hungaria, Tractatus de moribus, S. 322 f.
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auch für Kleinschroths eigene: für die allzu menschlichen Schwierigkeiten, auf Gottes Gnadenwerk zu vertrauen. Auch wenn sich bei Kleinschroth keine ausgeprägte Bußparänese findet, unterscheidet er sich in diesem Punkt nicht grundlegend von protestantischen Autoren. Und das heißt: Balthasar Kleinschroth stellt seine kindliche Gottesfurcht am Ende nicht der knechtischen eines »Anderen« oder gar »Fremden« gegenüber, seien dies Türken, Tataren oder unchristliche Christen, sondern vielmehr seiner eigenen: einer knechtischen Furcht, die es brauchte, um sie zur kindlichen überwinden zu können. Die eine Furcht war ohne die andere nicht zu denken und ihr stets schon immanent. Der timor servilis des »Antichrist« wäre damit nicht lediglich als »diabolisch pervertiertes Derivat des Eigenen« zu bezeichnen475 – und zwar nicht wegen einer partiellen Vorbildlichkeit und Faszination der Türken, sondern weil selbst dort, wo diese als negative Kontrastfolie des Christlichen entworfen werden, eine bußtheologische Sicht formuliert wird. Aus einer derartigen Perspektive entstand ein christliches »Eigenes« allein im Wissen um dessen konstitutive Desintegration. Sündhaftigkeit war nicht die Verneinung des Christlichen, sondern sein Wesen. Sie markierte die unausweichliche Distanz zum Schöpfer, die es brauchte, um sich ihm nähern zu können, und in diesem Sinne stand sie für die unhintergehbare Distanz des Einzelnen zu sich selbst. Der Begriff des »Eigenen« setzt die Möglichkeit einer »Identität« des »Selbst« voraus, die in den vorliegenden Zusammenhängen nicht gegeben und auch gar nicht angestrebt war. Die religiösen und die narrativen Dimensionen von Kleinschroths Fluchtbericht zeigen, dass diese Begriffe die historisch-kulturelle ebenso wie die personale Selbstbeschreibung verfehlen. Kleinschroths Gewährsmann macht gewissermaßen eine »Erfahrung« einer Differenz: dass man nämlich unterscheiden müsse zwischen gesetzestreuen »Türken« und nahezu gottvergessenen »Tataren«. Er wirft damit die Frage auf, wie der religiöse Gehorsam der Türken zwischen der Gottesfurcht des Verfassers und der tatarischen Furcht im Gewitter eigentlich zu verorten ist. Für eine Antwort ist zu bedenken: Die barbarische Grausamkeit der Türken stellt der Bauer aus Gaaden nicht zur Diskussion. Wenn Erasmus Francisci die Furcht der e Türken vor »der gottlichen Gewalt« herausstreicht, um seine Mitchristen mit ihrem beschämenden Spiegelbild zu konfrontieren, dann stellt er auch diese Furcht als eine knechtische vor.476 Die primäre Grenzziehung verortet somit die Christen auf der einen Seite und grausame »Türken und Tataren« gemeinsam auf der anderen. Diese Grenze jedoch, und das ist entscheidend, ist eine innerchristliche. Dies zeigt sich nicht allein dort, wo die Tataren ihrerseits an »Verruchtheit« überboten werden: durch christliche, insbesondere protestantische, 475 Kaufmann, »Türckenbüchlein«, S. 20. e 476 Francisci, Turcken=Gefahr, Bl. H 2v – 3r.
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Apostaten in ihrem Gewand.477 Den entscheidenden Beweis erbringt der autobiographische Text. Kleinschroths Tagebuch zeigt, inwiefern die Beschreibung von »Türken und Tataren« als Teil einer genuin christlichen Selbstbeschreibung anzusehen ist. Die persona seines Verfassers konstituiert sich in Unterscheidungen, die nicht zwischen einem »Selbst« bzw. »Eigenen« und einem »Anderen« oder »Fremden« aufgemacht werden, sondern durch die autobiographische Erzählung, das heißt: zwischen schreibender und beschriebener Person, zwischen ihrer Furcht und ihrer Furchtlosigkeit. Wenn der Autor an die Furcht vor den Türken erinnert, sei es die eigene oder die der anderen, dann erinnert er an Gottes Befreiungstat und an deren Bedingungen; in der Beschreibung dieser Furcht beschreibt er sich selbst als furchtlos in kindlicher Furcht vor dem Herrn. Der Sängerpräfekt berichtet vom Überleben: von der Rettung der Kinder und seiner selbst, wie sie möglich wurde durch ihn selbst und am Ende durch Gott, der sich seiner bediente und der jene rettete, die erkannt hatten, dass Furcht und Flucht vor den Türken zur Strafe und Prüfung geschickt sind. Differenz wird markiert in einem spezifisch religiösen Sinne: im Wissen um die eigene Sündhaftigkeit und die Distanz zu Gott, die es brauchte als Bedingung seiner Gnade und der Auszeichnung vor denen, die gefangen blieben in Furcht.478 477 Kleinschroth liefert vier Beispiele für derart transkulturelle Verkleidungen. Ein katholischer »Tatar« habe sich verraten, indem er die Bitte seines Opfers um einen »guten« Tod nicht nur verstand, sondern sogar beherzigte, ein zweiter durch die Anrufung Jesu und Mariae auf der Folter : Kleinschroth, Tagebuch, S. 204: »Ich habe mir von einen glaubwürdigen herrn erzehlen lassen, das, alß die Tartern ein gewisses vornehmeß orth blünderten, habe einer ein vornehme frau erwischet und dieselbige neben seinen pferd forth geschleppet. Sie batte ihm öffters durch Christum und unser Liebe Frau, er wolle sie doch nit umbringen, biß sie vorhero möchte gebeichtet haben. Weilen er aber ihr nichts antwortete, besorgte die guete frau, er dörffte ihr unversehens den kopff abschlagen. Lamentirte also mit ihr selbsten. ›Ach mein arme seel, ach Gott, khönte ich nur noch einmahl beichten. O mein Jesu bist gnädig meiner armen seelen!‹ Alß dises der Tarter gehöret, hat er sie von sich gelasßen und ihr selbsten gelegenheit gemachet ferner zuentkhomben. Verstunde diser nit wohl teutsch? Villeicht war er auch einer. War dises nit ein C[h]rist? Ja ein Catholischer Christ, deme also das heyl der seelen diser frauen zu gemüth gangen.« Und S. 206 f.: Ein gefangener Tatar, wie Kleinschroths Vetter Schmalfuß berichtet, habe »in der schlaipffung […] weiter nichts geredet, sondern sehr offt geschryen: ›Auweh, Jesu Maria, auweh Jesu Maria‹ und starckh geseuffzet[.] Christlicher leser«, so des Verfassers Kommentar, »da kunte man abermahl fragen, wer diser gewesen seye? Ein Tarter? Nein. Ein Türckh? Daß auch nit. Ein kezer [d.h. Protestant]? Daß gar nit. Ein Catholischer Christ? Hätt schirr gesagt, auch dises nit. Aber ja, eß war ein Catolischer doch böser Christ, der gueth teutsch kunte und gar wohl glaublich ein rebell so wohl Gott, alß den Keyser, das gibt zeignuß die sprach, und die anrueffung so hoch heyliger patronen eines Catholischen sterbenten.« Einige »rebellische Ungarn« dagegen gaben sich durch den Verzehr von Schweinefleisch und Wein zu erkennen und weitere verdeckte Protestanten durch die öffentliche Dekapitation einer Marienstatue im burgenländischen Loretto (S. 203 f., zit. 204): »Waren das Tartern? Nein, sondern kezer, meineydige verruechte Christen und vill ärger alß Tartern.« Zur symbolischen Dekapitation von Heiligenstatuen vgl. auch S. 192 f. 478 Wenn hier von einer »Erfahrung« von Differenz gesprochen wird, dann also im Sinne des
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Nach der Ægyptiaca Servitvs, dem Reise- und Überlebensbericht Michael Heberers von Bretten vom Beginn des Jahrhunderts,479 ist Balthasar Kleinschroths Flucht und Zueflucht die maßgebliche autobiographische Beschreibung der Furcht der späten Türkenkriege. Im Bericht des Herzogenburger Chorherrn Gregor Nast dagegen, auch wenn er von derselben Zeit und dem gleichen Ereigniszusammenhang spricht (von dem, was 1683 in und um Herzogenburg geschah, im oberen und unteren Markt), ist die Furcht schon nicht mehr dominant. Dies scheint in erster Linie der größeren zeitlichen Distanz geschuldet zu sein: Nast verfasste seinen Bericht um 1724/25, im Wissen also um die endgültige Überwindung der Gefahr. Vier Jahrzehnte nach dem Ende der Bedrohung musste die Furcht vor ihr nicht mehr beschworen und in allen Einzelheiten erörtert werden; in Vergessenheit geraten war sie jedoch nicht.480 historischen Begriffs der experientia und nicht im Sinne eines identitätsstiftenden inneren Erlebens. Diese »Erfahrung« wird damit weder als Erklärungsgrund für gesellschaftliche Wirklichkeit betrachtet noch als deren Resultat: weder als explanans noch als explanandum, sondern als Bestandteil einer historischen Selbstbeschreibung. Auch die wichtige diskursanalytisch-konstruktivistische Kritik des Begriffs der »Differenzerfahrung«, wie sie von Scott, Evidence of Experience, formuliert worden ist, basiert auf einem modernen Konzept der »Identität«. – Zur Geschichte des Erfahrungsbegriffs siehe hier nur Martin Jay, Songs of Experience: Modern American and European Variations on a Universal Theme, Berkeley / Los Angeles / London 2005, zur »Erfahrung« in historischem Denken Kap. 6, darin zu Scott S. 249 – 255. 479 Heberer berichtet von seiner Zeit in osmanischer Gefangenschaft. Bereits einleitend benennt er den Anlass seines Schreibens: die Rettung aus Furcht, Angst und Gefahr, in die ihn Gott zur Strafe der Sünden versetzt hatte (Heberer, Ægyptiaca Servitvs, S. 2 f.). Einschlägige Überlebensgeschichten finden sich dann insbes. auf S. 63 f., 85 f., 90 – 94 und 333 f. Heberer mahnt Schicksalsgenossen auf der Galeere zu standhaftem Gottvertrauen wider die Verzweiflung und berichtet, was jene erlitten, die die Kraft dazu nicht fanden e (S. 306): »Ich ermahnet sie zur gedult/ Aber es half wenig/ dann sie waren deß wusten lebens der Speiß/ der Arbeit/ der Leut vnd Sprachen vngewohnet/ vnd starben auß vnmuth vnd e e bekummernus in Vierzehen Tagen jhrer drey/ welches mich sehr schmertzet/ vnd redete den andern zu/ Sie solten so zaghafft nit sein/ sondern Gott vertrawen/ der mich armen e elenden/ nun ein lange zeit in solchem Elend gnediglich erhalten hette/ der wurde auch sie erhalten.« Vgl. auch S. 100. Für die Unbeschreiblichkeitssemantik siehe S. 56, wo Heberer erzählt, wie er 1585 in Marseille in ein »Massacre« an den Hugenotten geriet: »hat man also e e e bald/ ein solch Blutbad/ Wurgen vnd Wuten/ in der Stadt gehort vnd gesehen/ daß mich solches jammert wider zu gedencken/ wil geschweigen/ nach der leng zu erzehlen.« Zu Heberers differenzierter Deutung und (Il-)Legitimierung von Gewalt siehe v. a. Claudia Ulbrich, »Hat man also bald ein solches Blutbad, Würgen und Wüten in der Stadt gehört und gesehen, daß mich solches jammert wider zu gedenken.« Religion und Gewalt in Michael Heberer von Brettens »Aegyptiaca Servitus« (1610), in: Religion und Gewalt, hg. v. von Greyerz / Siebenhüner, S. 85 – 108, zu Heberers ambivalenter Bewertung der Türken S. 102 ff. 480 Der Text ist jetzt vollständig ediert bei Scheutz, Schwarze Raben, S. 74 – 131. Für Berichte von Furcht und Schrecken siehe S. 113 (Bl. 4v), S. 118 (Bl. 7v), S. 126 (Bl. 14r), in Verbindung mit dem Gerücht: S. 121 (Bl. 11r), S. 127 (Bl. 15v), als Ursache von Frühgeburten: S. 124 (Bl. 13v), als Resultat der Flucht der eigenen Soldaten: S. 129 (Bl. 16v).
Simpliciaden und Poesie: Literarische Kriegsbeschreibungen
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5.4. Simpliciaden und Poesie: Literarische Kriegsbeschreibungen Zum Abschluss geraten, in erneutem Wechsel der Textgattung, literarische Thematisierungen der Furcht vor kriegerischer Gewalt in den Blick. Vornehmlich die autobiographisch strukturierten Beschreibungen in Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch und in seinem wichtigsten Vorbild, Johann Michael Moscheroschs Soldaten=Leben, sind hier einschlägig, und darüber hinaus die lyrischen Verarbeitungen des Problems bei Martin Opitz und Andreas Gryphius. Die Kontextualisierung dieser Literatur in den zeitgenössischen Feldern des Wissens und dem Korpus nicht-literarischer Selbstbeschreibungen eröffnet besondere Möglichkeiten ihres historisch-kulturellen Verständnisses. Die gewonnenen Befunde wiederum unterstreichen die Textualität nicht-literarischen autobiographischen Schreibens. Im Folgenden werden literarische und nicht-literarische Darstellungen von Kriegsgewalt nach ihren spezifischen Gemeinsamkeiten befragt, um zu zeigen, inwiefern die eine Textform die Semantiken und narrativen Strukturen der anderen aufzuschließen vermag. Dabei verliert sich die Grenze zwischen Literatur und ihrem vermeintlichen Gegenteil, zwischen »Dichtung und Wahrheit«, und damit auch zwischen fiktionalem und faktualem Schreiben.481 In der literatur- und geschichtswissenschaftlichen Forschung herrscht mittlerweile weitestgehender Konsens, dass Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch nicht das »Zeitdokument«, die »realistische« »Chronik«482 und das »Sittenbild des Dreißigjährigen Krieges«483 ist, als die das Werk lange von den an der ersten »deutschen Katastrophe« Interessierten gelesen worden ist; und diese Einmütigkeit verdankt sich nicht dem Umstand, dass der Roman, anders als Moscheroschs Soldaten=Leben, nicht während der Gewalthandlungen publiziert 481 Zum Konzept des »faktualen Schreibens« siehe vor allem die narratologischen Überlegungen von Matías Martínez / Christian Klein, Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens, hg. v. dens., Stuttgart 2009, S. 1 – 13; Matías Martínez / Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, München 72007. 482 Kurt Pfister, Kurfürst Maximilian von Bayern und sein Jahrhundert, München 1948, S. 378. 483 Clemens Heselhaus, Grimmelshausen – Der abenteuerliche Simplicissimus, in: Der deutsche Roman. Vom Barock bis zur Gegenwart. Strukturen und Geschichte, hg. v. Benno von Wiese, Düsseldorf 1965, Bd. 1, S. 15 – 63, hier 56. Als »›realistisches‹ Bild des Kriegsgeschehens und des soldatischen Alltags« betrachtet den Text auch noch Ferdinand van Ingen, Der Dreißigjährige Krieg in der Literatur, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock (1572 – 1740), hg. v. Harald Steinhagen, Reinbek b. Hamburg 1985, S. 237 – 256, hier 237.
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wurde, sondern erst zwei Jahrzehnte nach ihrem Ende. Auch wenn bereits Grimmelshausens Zeitgenosse Johann Beer den Protagonisten seiner Teutschen Winternächte (1682) den Simplicissimus durchlesen lässt als einen Text, »in welchem der gantze Teutsche oder 30.jährige Krieg beschrieben ist«, »wäre es zu kurzsichtig«, so Wilhelm Kühlmann, »das Romanwerk in erster Linie auf seinen historisch-autobiographischen Dokumentations- oder Abbildungswert hin zu befragen.«484 Auch dort jedoch, wo nunmehr erzählerische Strukturen und literarische Vorlagen (wie der spanische Pikaro-Roman) Aufmerksamkeit gefunden haben, hat die Tradition des Historismus ihre Spuren hinterlassen.485 Zwar finden die einschlägigen Arbeiten in den literarischen Gewaltdarstellungen kein »authentisches Bild« des Kriegsalltags, wohl aber einen Spiegel seiner historischen Erfahrungen und psychisch-mentalen Konsequenzen.486 So schließen auch sie vom literarischen Text auf eine hinter ihm liegende materielle historische Wirklichkeit und lassen es so an seiner weitergehenden Historisierung vermissen. Dies zeigt sich in erster Linie in der Debatte über die Theodizee. Analog zur historiographischen Lektüre nicht-literarischer »Selbstzeugnisse« erkennt etwa der Literaturhistoriker Andreas Merzhäuser in Grimmelshausens simplicianischem Zyklus eine Erschütterung der Überzeugung von der Güte und Gerechtigkeit Gottes sowie des in ihr gegründeten exemplarischen Geschichtsbildes. Im Simplicissimus macht er einen »Antikriegsroman« aus, der – dies unterstellt schon der Begriff – bei aller Vormodernität bereits moderne Züge trage. Einer der maßgeblichen Belege ist ihm die Vorankündigung des Romans in Grimmelshausens Satyrischem Pilgram (1667): »ICh gestehe gern/ daß ich den hundersten Theil nicht erzehlet/ was Krieg vor ein erschreckliches und grausames Monstrum seye/ dann solches erfordert mehr als ein 484 Wilhelm Kühlmann, Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus und der Dreißigjährige Krieg – Historische Signatur und Problemgehalt eines Epochenromans, in: Religionskriege, hg. v. Brendle / Schindling, S. 163 – 175, hier 166, wiederabgedruckt in: ders., Grimmelshausen. An- und Absichten eines vormodernen Modernen, Heidelberg 2008, S. 31 – 60, hier 42 f. Kühlmann zitiert Johann Beer, Teutsche Winternächte, hg. v. Ferdinand van Ingen / Hans-Gert Roloff (Sämtliche Werke 7), Bern u. a. 1994, S. 200. 485 Im Gegensatz zur Grimmelshausen-Forschung an sich ist die Literatur zur Kriegs- und Gewaltdarstellung im Simplicissimus durchaus überschaubar. Neben den im Vorangehenden wie im Folgenden genannten Studien siehe Italo Michele Battafarano, »Was krieg fuer ein erschreckliches und grausames Monstrum seye«. Der Dreißigjährige Krieg in den Simplicianischen Schriften Grimmelshausens, in: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 10 (1988), S. 45 – 59; Dieter Breuer, Krieg und Frieden in Grimmelshausens »Simplicissimus Teutsch«, in: Der Deutschunterricht 37/5 (1985), S. 79 – 97. 486 Vgl. von geschichtswissenschaftlicher Seite Steffen Kaudelka, Grimmelshausens Kriegsdarstellung in seinen Romanen »Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch« und »Der seltzame Springinsfeld« – eine Quelle für Historiker?, in: Sozialwissenschaftliche Informationen 19/2 (1990), S. 78 – 86, zit. 86.
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gantz Buch Papier/ so aber in diesem kurtzen Wercklein nicht wohl einzubringen ware/ e Mein Simplicissimus wird dem gunstigen Leser mit einer andern und zwar lustigern e Manier viel Particularitaten von ihm erzehlen … .«487
Bereits diese poetologischen Reflexionen legten es nahe, so Merzhäuser, den Simplicissimus als eine Kritik zu lesen, die »am beispiellosen Beispiel des ›Teutschen Krieges‹ das monströse Wesen kriegerischer Auseinandersetzung vor Augen führt.« Merzhäuser erkennt in ihnen das Eingeständnis des Autors, dass der »tradierte historiographische Diskurs« in der Vergegenwärtigung der »beispiellosen Erfahrung des Schrecklichen« versagt und es erfordert habe, sich »nach einer anderen, angemesseneren Darstellungsform« umzusehen: der satirischen.488 Dies vorausgesetzt, sieht sich Merzhäuser berechtigt, die gesamte Anlage des Romans als eine subtile Unterminierung der Theodizee und der historiographischen Exemplarizität zu lesen, obwohl diese zu Beginn des 4. Kapitels des ersten Buches ausdrücklich formuliert werden. Einleitend in die Beschreibung des grausamen Überfalls auf den Spessarter Bauernhof, der den Einbruch der Gewalt in das friedliche Leben des Simplicius bringt und damit die Wende zur eigentlichen Handlung des Romans, gibt der Protagonist nämlich folgende Lektüreanweisung: »WJewol ich nicht bin gesinnet gewesen/ den Friedliebenden Leser/ mit diesen Reue tern/ in meines Knans489 Hauß und Hof zu fuhren/ weil es schlim genug darinn here gehen wird: So erfordert jedoch die Folge meiner Histori/ daß ich der lieben posteritat hinderlasse/ was vor Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin und wieder e verubet worden/ zumalen mit meinem eigenen Exempel zu bezeugen/ daß alle solche e e e Ubel von der Gute deß Allerhochsten/ zu unserm Nutz/ offt notwendig haben verhangt e e werden mussen: Dann lieber Leser/ wer hatte mir gesagt/ daß ein GOtt im Himmel e ware/ wann keine Krieger meines Knans Hauß zernichtet/ und mich durch solche e Fahung unter die Leut gezwungen hatten/ von denen ich genugsamen Bericht empfangen? Kurtz zuvor konte ich nichts anders wissen noch mir einbilden/ als daß mein e e Knan/ Meuder/ ich und das ubrige Haußgesind/ allein auf Erden seye/ weil mir sonst kein Mensch/ noch einige andere menschliche Wohnung bekant war/ als die jenige/ e darinn ich taglich auß und ein gieng: Aber bald hernach erfuhr ich die Herkunfft der e Menschen in diese Welt/ und daß sie wieder darauß musten; ich war nur mit der Gestalt e ein Mensch/ und mit dem Nahmen ein Christenkind/ im ubrigen aber nur ein Bestia! e Aber der Allerhochste sahe meine Unschuld mit barmhertzigen Augen an/ und wolte mich beydes zu seiner und meiner Erkantnus bringen: Und wiewol er tausenderley Weg hierzu hatte/ wolte er sich doch ohn zweiffel nur deß jenigen bedienen/ in welchem 487 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Satyrischer Pilgram, hg. v. Wolfgang Bender, Tübingen 1970, S. 160. 488 Andreas Merzhäuser, Über die Schwelle geführt. Anmerkungen zur Gewaltdarstellung in Grimmelshausens Simplicissimus, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 65 – 82, hier 69 – 76, zit. 75 f. 489 D.i. »Vaters«.
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mein Knan und Meuder/ andern zum Exempel/ wegen ihrer liederlichen Aufferziehung e gestrafft wurden.«490
Merzhäuser bemüht sich um den Nachweis, dass im weiteren Verlauf des Romans die Ausgestaltung der einzelnen Schicksale und die konkrete Beschreibung ausgesuchter Gewalt diese emblematische Proklamation konterkarieren; und so liest er aus dem kindlichen Hinweis auf die tausend göttlichen Alternativen nicht das artikulierte Vertrauen in die Weisheit des Schöpfers, sondern eine unterschwellige Klage über ihr Fehlen.491 Den Beweis erbringe die Uneinsichtigkeit des Verhältnisses von Tun und Ergehen. Merzhäuser vermisst im Roman mit situationsbezogener Moralisatio und exemplarischer Belehrung auch eine unmittelbare Korrespondenz von Verbrechen und Strafe. Zu zahlreich sind ihm die Episoden, in denen die erlittene Gewalt nicht der Schuld des Betroffenen, sondern dem »sadistischen« Frevel der Täter zuzuschreiben ist, in denen »weder die barmherzige noch die strafende Gewalt Gottes zur Erscheinung [gebracht wird], sondern einzig und allein das irrsinnige Wüten der Soldaten und das Leid der Opfer.«492 Das Problem der »individuellen« Vorsehung und Prädestination (providentia privata)493 hatte die Zeitgenossen durchaus beschäftigt: Wie konnte es sein, fragten sich manche, dass ein gerechter Gott »Kollektivstrafen« verhängte, mit Pest und Krieg, die Gerechte wie Ungerechte gleichermaßen trafen, gewissermaßen ohne Ansehen der Person? Wo die Miasmen der Pest wüteten, taten sie dies offensichtlich vielfach ohne Rücksicht auf den persönlichen Heilsstand der Betroffenen. Doch niemand schloss daraus auf die Ungerechtigkeit des Höchsten, im Gegenteil: Hier traten, so die gängige Meinung, die Defizite menschlichen Erkenntnisvermögens zu Tage: die verborgenen Wege des Herrn. Wer konnte wirklich wissen um die Sünden des Einzelnen und wie Gott angemessen auf sie reagierte? Und wer wollte leugnen, dass am Ende ein jeder Bestrafung verdiente? Der Mensch war allzumal Sünder ; wer konnte behaupten, frei zu sein von Schuld? Und es kam noch eine weitere Lösungsmöglichkeit hinzu: Was die Ungerechten strafte, so das Argument, das prüfte die Gerechten; was mangelndes Gottvertrauen sanktionierte, stellte das vorhandene auf die Probe. Traf es Tugendhafte, mit anderen Worten, so waren sie entweder doch nicht so tu490 Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch, hg. v. Dieter Breuer, Frankfurt a.M. 1989 (Bibliothek der frühen Neuzeit, Abt. 2, Bd. 4, Teil 1.1), S. 27. 491 Merzhäuser, Über die Schwelle geführt, S. 69 ff. 492 Ders., Über die Schwelle geführt, S. 70 f. Vgl. auch ders., Gestaute Bewegung. Der Krieg als Medium der Erkenntnis in Grimmelshausens Simplicissimus, in: Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen. Das Bild vom Krieg und die Utopie des Friedens in der Frühen Neuzeit, hg. v. Hans Peterse, Göttingen 2006, S. 35 – 50. 493 Dazu auch unten in den Ausführungen zu Moscherosch.
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gendhaft gewesen, wie es den Anschein gehabt hatte, oder sie erhielten Gelegenheit, mit ihrer Leidensfähigkeit ihren ausgezeichneten Heilsstatus unter Beweis zu stellen. Von einer Sinnlosigkeit der Gewalt ist auch bei Grimmelshausen keine Rede. Ihre religiöse Deutung erscheint nicht als aufgesetztes Instrument der Bewältigung, sie ist nicht der (erfolglose) Versuch, das Sinnlose mit Sinn zu überformen; sie ist vielmehr konstitutive Grundlage für die Beschreibung der Gewalt. Die Deskription durchbricht und hintertreibt ihre religiöse Deutung nicht, vielmehr formiert sie sich in ihr. Die Satire belustigt sich über den Menschen, der die Welt verkehrt, und nicht über den Gott, den er damit beleidigt.494 Eine weitere Beobachtung legt dies nahe. In der poetologischen Vorabinformation im Satyrischen Pilgram kompensiert der satirische Charakter der Simpliciana eine notwendige Selbstbeschränkung der Deskription, die mit der in diesem Kapitel analysierten Semantik der »Unbeschreiblichkeit« assoziiert ist. Simplicius begnügt sich, dem Vernehmen nach, mit lustig-lustvollen »Particularitäten«, weil er das ganze Ausmaß des Traurigen nicht nur in diesem einen, sondern auch in hundert weiteren Büchern nicht erzählen könne. Bereits diese Proklamation legt es nahe, die Passage und damit den angekündigten Roman(zyklus) anders zu lesen, als Merzhäuser es tut. Auch im Satyrischen Pilgram konstatiert die Rede von der »Unbeschreiblichkeit« ganz offensichtlich keine qualitativen Grenzen der Repräsentation, keine Unmöglichkeit, »inneres« Leidensempfinden adäquat zu versprachlichen, sondern eine quantitative, eine räumliche Begrenztheit des Schreibens. Wer hier darauf verzichtet zu erzählen, behauptet nicht, dass nicht erzählt werden könnte – und beginnt zu erzählen. Es folgen, wenn auch nicht hundert Bände, so doch immerhin zehn, ein Zyklus von »Fortsetzungsromanen«, der seine eigene Unabschließbarkeit auch erzähltechnisch beständig demonstriert.495 Angesichts der beobachteten Grausamkeiten will und muss der Verfasser nicht verstummen, sondern, im Gegenteil, an sie erinnern. So mancher Gewaltexzess findet seine Sprache (in einer rhetorischen Ausgestaltung, in der eine Uneigentlichkeit nur erkennen kann, wer sich eine authentische Abbildung erhofft und, konsequenterweise, bei deren Unmöglichkeit ein Verstummen erwartet), sogar ohne den naheliegenden Hinweis auf eine Unaussprechlichkeit.496 Auch die Unfähigkeit des kindlichen Betrachters, das Leiden einer vergewaltigten Frau zu erfassen, sowie deren eigenes Verstummen sind kein (Ver-)Schweigen, sondern eine literarische Beschreibung des »Unbeschreiblichen«, die das, was sie nicht beschreiben zu können vorgibt, der 494 Zur Religion bei Grimmelshausen siehe auch Ruprecht Wimmer, Religion und Konfession in Grimmelshausens Simplicissimus, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, N.F. 32 (1991), S. 81 – 96. 495 Näheres zur Erzähltechnik im Folgenden. e 496 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 216: »elender jammerlicher Anblick«.
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Einbildungskraft des Lesers anheim stellt: um das Unvorstellbare vorzustellen.497 Grimmelshausen, um zu erinnern, findet nicht eine Ersatzsprache angesichts der Begrenztheit der eigentlichen; das »Unaussprechliche« ist vielmehr selbst Teil der einen Sprache. Es ist nicht das, was sich der sprachlichen Abbildung verweigert, sondern konstituiert sich erst in ihr. Auch hier, so scheint es, sind Grenzen erreicht, hinter denen nicht eine unaussprechliche menschliche Erfahrung verschlossen liegt, sondern der Raum des Göttlichen sich eröffnet. Und das heißt: Die Novität und Inkommensurabilität der (nicht) beschriebenen Gewalt verweist im Simplicissimus nicht auf die Störung der göttlichen, sondern der menschlichen Ordnung und Geschichte; auch hier steht nicht Gottes, sondern des Menschen Gerechtigkeit zur Diskussion. In diesem Text ist die Erinnerung an all das »unbeschreibliche« Leid, auch wenn es dem (Literatur-)Historiker widerstreben mag, die Erinnerung an das barmherzige Heilshandeln Gottes (und die Aufforderung, sich dessen würdig zu erweisen) – nicht obwohl, sondern weil dieses Leiden ungerecht ist. Was für den historischen Kontext nicht-literarischer Selbstbeschreibungen festgestellt werden konnte, erhält auch durch die Struktur des Romans einen Beleg. Wer in Simplicius’ Beschreibungen des ungekannten, beispiellosen Schreckens des Dreißigjährigen Krieges die Theodizee-Frage gestellt sieht, isoliert sie aus ihren textimmanenten Zusammenhängen und Funktionen, aus ihrer Aufgabe, die Bedingung der Befreiung aus dem Schrecken vorzustellen: Beichte und Umkehr. Die Moralisatio ist nicht in jeder einzelnen Teilerzählung angelegt, sondern in der Gesamtstruktur des Simplicianischen Zyklus. Ob und inwiefern es sich bei den einschlägigen Passagen des Simplicissimus um eine kritische Darstellung des (Dreißigjährigen) Krieges handelt, ist nur zu entscheiden, wenn der Roman vom Ende her gelesen wird; und dies sagt er selbst bereits zu Beginn. Simplicius beschließt den Weg seines Lebens in der Einsiedelei als Konsequenz aus der Erkenntnis seiner Verstrickung in das Wesen der Welt, nach ersten Ansätzen im Spessart (in Nachahmung seines leiblichen Vaters, Ende Buch 5) dann kompromisslos in der Continuatio (Buch 6): auf der einsamen Insel, dem Ort des Utopischen, dem Außen par excellence. Am Ende des Lebens erzählt Simplicius sein Leben und am Ende der Erzählung, warum er dies tut: e
»[Z]uletzt als ich mit hertzlicher Reu meinen gantzen gefuhrten Lebens-Lauff bee trachtete/ und meine Bubenstuck die ich von Jugend auff begangen/ mir selbsten vor e e Augen stellte/ und zu Gemuth fuhrete/ daß gleichwohl der barmhertzige GOtt unane gesehen aller solchen groben Sunden/ mich bißher nit allein vor der ewigen Verdambnuß bewahrt/ sonder Zeit und Gelegenheit geben hat mich zu bessern/ zube-
497 So auch im Falle von Simplicius’ Begegnung mit Hexen (ders., Simplicissimus, S. 178): »Da kan jeder gedencken/ in was Schrecken und Furcht ich gesteckt.«
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kehren/ Jhn umb Verzeyhung zu bitten/ und umb seine Gutthaten zudancken/ beschriebe ich alles was mir noch eingefallen/ in dieses Buch … .«498
Mochte dabei auch manch »SatyricÀ« Gesprochenes unziemlich scheinen und der Sünde das Wort erteilen, so war es dem »Herrn Omne« doch »gar angenehm[er]« als der »Theologische Stylus«;499 »ein ehrlich gesinnter Christlicher Leser« würde so leicht nicht »angesteckt/ vergifftet und verderbt werden«, e sondern »die Gottliche Barmhertzigkeit preysen/ wann er findet/ daß ein so schlimer Gesell wie ich gewesen/ dannoch die Gnad von GOtt gehabt/ der Welt zu resignirn, und in einem solchen Standt zuleben/ darinnen er zur ewigen Glory e zukommen/ und die seelige Ewigkeit nechst dem heiligen Leyden deß Erlosers zu 500 erlangen verhofft/ durch ein seeliges ENDE.« Simplicius will nicht nur die Leiden des Krieges erinnern, sondern mit ihnen vor allem sein eigenes Leben. Diese Lebensgeschichte nun, wie so manche ihrer Vorbilder auch, kommt als Lebensbeichte daher (und fordert damit auch zu ihrer Nachahmung auf); denn im Gegensatz zu den meisten nicht-literarischen autobiographischen Kriegsberichten wird die Leid bringende Gewalt im Simplicissimus nicht nur von den anderen, sondern auch von der Schreiberinstanz verübt. Simplicius ist nicht nur Opfer, sondern immer und vor allem auch Täter, er leidet zwar, doch er lässt auch leiden. Wird diskutiert, ob in diesem Text die Theodizee-Frage aufgeworfen wird, ist dies stets zu berücksichtigen. Die »Histori«501 des Simplicius bezeugt den Nutzen seines eigenen Leidens und des Leidens der anderen über den Nutzen der von ihm selbst ausgeübten Gewalt: jenes Leidens, das er anderen zugefügt hat. Dieses Leid scheint gerechtfertigt in (der Möglichkeit) seiner Erkenntnis. In ihr kommt Simplicius zur Kenntnis seiner selbst und wird auf diesem Wege aus seinem eigenen Leiden befreit.502 Im Rahmen der Autobiographie wird die Geschichte des Unheils zur Heilsgeschichte. Die erlittene Gewalt erhält ihren Sinn als Ausfluss der Sünden der Hauptfigur, die diese, um zur Seligkeit zu gelangen, nicht allein erkennen, sondern dafür auch erst begangen haben muss. Hier scheinen Tun-ErgehensZusammenhänge auf, die nicht nach dem modernen Maßstab personaler Verantwortlichkeit, sondern nach den Vorgaben einer religiös fundierten autobiographischen Reflexion zu beurteilen sind. Wie im Falle nicht-literarischer Selbstbeschreibungen auch, wird das berichtete Leiden verständlich als Teil eines Berichtes vom eigenen Leben – auch wenn in diesem Fall, nunmehr im 498 499 500 501 502
Ders., Simplicissimus, S. 677. Ders., Simplicissimus, S. 564 f. Ders., Simplicissimus, S. 678. Ders., Simplicissimus, S. 27. Dies darf dann auch für das durch Simplicius verübte Leiden der anderen unterstellt werden. In gewisser Weise ist der Erzähler nicht nur Opfer göttlicher Gewalt, sondern auch das Instrument ihrer Ausübung.
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Gegensatz zu nicht-literarischen Texten, die conversio des Erzählers nicht bereits vorausgesetzt, sondern selbst thematisch wird. Die Exemplifizierung hat nicht nur die Rettung aus der Gefahr zum Gegenstand, sondern vornehmlich deren entscheidende Bedingung: die Beichte und die Bekehrung zu Gott. So stellt das Exempel des bekehrten Simplicius die eingangs proklamierte Güte Gottes nicht in Frage, sondern erbringt ihren Beweis. Hier ist keine Uneigentlichkeit der Rede zu unterstellen; die heilsgeschichtliche Vorgabe zu Beginn des ersten Buches wird im Gesamttext konsequent eingelöst. Auf der einsamen Insel hat Simplicius den Standpunkt bezogen, von dem aus er nicht nur Gott und seine Nebenmenschen, sondern auch sich selbst zu beobachten vermag. Der Simplicissimus Teutsch beherzigt die Forderung des »Gnothi sauton«, das die Römer »Nosce te ipsum« nannten und die Deutschen »Erkenne dich selbst«,503 das Postulat moralischer und religiöser Selbstreflexion, das vom Apollinischen Orakel zu Delphi über die augustinische Selbsterforschung seinen Weg in zahlreiche Glaubens- und Denkströmungen der Frühen Neuzeit gefunden hatte und in der Erfahrungsseelenkunde des späten 18. Jahrhunderts »psychologisch« ausformuliert werden sollte. Der Prozess der Selbsterkenntnis hatte seinen Ort im Gewissen; er zielte auf das Bewusstsein von den eigenen Taten, auf das Wissen um das eigene Verhältnis zu Gott und damit zu sich selbst. Sein erster Schritt war das »Erwachen«, und dies war notwendigerweise ein böses. Die conscientia regte sich in Furcht und Schrecken; sie e begann zu »drucken« im Wissen um die drohende Strafe, wie Gott sie verhängen würde (und noch nicht die erwachende Person selbst).504 Und damit sind wir wieder beim Thema. Im Gegensatz zu einschlägigen nicht-literarischen Selbstbeschreibungen hat sich die autobiographische Erzählerinstanz im Simplicissimus vor Gewalt nicht ständig zu fürchten. Gleichwohl sind Furcht und Angst für den Text zentral. Zum einen sind sie durchaus vorhanden, zum anderen stehen sie nicht nur innerhalb des Textes, sondern auch an seinem Anfang. Das Erwachen des Gewissens in Furcht und Schrecken motiviert die Erzählung vom eigenen Leben und von den Schrecken, die es mit sich brachte, und damit auch von der Motivation zu erzählen; diese Erzählung berichtet immer auch von ihrem eigenen Anlass. Der Schrecken, in den die eigenen Taten versetzt haben, das Erschrecken des Gewissens darob und der eigene durch Gewalt erlittene Schrecken (als vermittelte Strafe dafür) gehören untrennbar zusammen und strukturieren den Roman. Furcht wird auch im Simplicissimus zuweilen als eine schlimmere Pein als das Gefürchtete vorgestellt. Auf der Suche nach einem geeigneten Rückzugs- und Verteidigungsposten gegen Reiterangriffe etwa steigt Simplicius in einen ver503 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 543. 504 Ders., Simplicissimus, S. 431 f., 450.
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fallenen Keller hinab, der mit einem verborgenen Schatz auch ein »Ungeheur oder Gespenst« zu beherbergen scheint. Nicht nur sein Pferd, sondern auch er selbst zittert vor Furcht: »Zehen/ ja hundert mal lieber hätte ich Kugeln gee wechselt/ als mich in solcher Angst befunden. Jch wurde gequalt/ und wuste e 505 doch nicht von wem/ denn ich sahe oder horete nichts.« Paracelsus hat auch bei Grimmelshausen seine Spuren hinterlassen:506 Auch im Simplicissimus hat die Gewalt der Furcht zahlreiche der bekannten Folgen, für andere und für den Protagonisten selbst. Furcht, Angst und Schrecken lassen die Haare nicht nur zu Berge stehen, sondern auch ergrauen,507 sie führen in Krankheit,508 Erstarrung und Ohnmacht,509 sie rauben den Verstand, die Orientierung und (mit Plinius) das Gedächtnis.510 Und die Soldaten? Sie versetzen in Furcht, doch Gleiches widerfährt ihnen auch selbst; sie verletzen die Norm der Furchtlosigkeit in jeder Hinsicht, sie sind selbst dem unterworfen, was sie tun. Und warum das alles? Weil sie die rechte Furcht nicht haben. Die Furcht vor dem Verlust ihres Lebens, die sie erleiden, ist das Resultat eines Lebens, in dem sie den Verlust des ewigen nicht fürchten: e
»[Ae]ngstigen/ und wieder geangstiget werden/ rauben/ und wieder beraubt werden/ e e e e plundern/ und wieder geplundert werden/ sich forchten/ und wieder geforchtet were den/ Jammer anstellen/ und wieder jammerlich leiden/ schlagen/ und wieder gee schlagen werden; und in Summa nur verderben und beschadigen/ und hingegen e wieder verderbt und beschadigt werden/ war ihr gantzes Thun und Wesen; Woran sie e sich weder Winter noch Sommer/ weder Schnee noch Eiß/ weder Hitze noch Kalt/ weder Regen noch Wind/ weder Berg noch Thal/ weder Felder noch Morast/ weder e e e Graben/ Paß/ Meer/ Mauren/ Wasser/ Feuer/ noch Walle/ weder Vatter noch Mutter/ e Bruder und Schwestern/ weder Gefahr ihrer eigenen Leiber/ Seelen und Gewissen/ ja weder Verlust deß Lebens/ noch deß Himmels/ oder sonst einiger anderer Ding/ wie das Nahmen haben mag/ verhindern liessen.«511
Der Schrecken in der Gewalt des Krieges, mit all der Gewalt, die er nach sich zieht, ist Teil der Strafe des »erschrecklichen Monstrums« Krieg; und das Ge505 Ders., Simplicissimus, S. 290 – 292, zit. 291. 506 Dazu Maximilian Bergengruen, Nachfolge Christi – Nachahmung der Natur. Himmlische und Natürliche Magie bei Paracelsus, im Paracelsismus und in der Barockliteratur (Scheffler, Zesen, Grimmelshausen), Hamburg 2007 (Paradeigmata 26), S. 235 – 285. 507 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 646. e 508 Ders., Simplicissimus, S. 645 f. Pathogen ist auch die »Bekummernis«: S. 594. 509 Ders., Simplicissimus, S. 31 – 33. 510 Ders., Simplicissimus, S. 145, 268, 452, 666 f. 511 Ders., Simplicissimus, S. 60 f. Widersprüchlich scheint die Aussage auf den ersten Blick im Hinweis auf die »Gefahr ihrer eigenen Leiber« und den »Verlust deß Lebens«. Was, wenn e nicht diese Gefahr, fürchteten Soldaten, wenn sie, wie zuvor behauptet, »sich forchten« und e »geangstigt werden«? Die Spannung lässt sich jedoch entschärfen, wenn unter der Furchtlosigkeit in Bezug auf das eigene leibliche Leben eine Waghalsigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst verstanden wird.
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wissen ist es, das dies erkennt. Simplicius weiß, dass er selbst ein furchterregender und von Furcht erfüllter Landsknecht gewesen ist. Seine conscientia fürchtet nicht den militärischen Gegner, sondern sich selbst: Wessen Gewissen e »angstig« ist »und beschwert«, so Simplicius, der ist sich »selber feind«.512 Diese Angst drängt zur Umkehr, um ihre schädlichen Folgen zu verhindern oder zu heilen; in ihr überwindet Simplicius die »Scham«, die sich stets vor der Beichte e »geforchtet [hat]/ wie der Teuffel vorm H. Creutz«. Auch hier jedoch wird eine Unterscheidung vorgenommen. Die Umkehr, die Simplicius lediglich aus knechtischer Furcht vollzogen hat, »nachdem er zuvor von dem Teuffel erschreckt worden«, hat sich als wenig dauerhaft erwiesen; allzu rasch zog sie neue Gewissensangst nach sich: »[G]leich wie meine Bekehrung ihren Ursprung nicht auß Liebe zu Gott/ genommen: sondern auß Angst und Forcht verdampt zu e werden; also wurde ich auch nach und nach wider gantz lau und trag/ weil ich e e allgemahlich deß Schreckens vergaß/ den mir der bose Feind eingejagt hatte«.513 Bereits zuvor hatte er bekennen müssen: »[I]ch fieng an/ und gieng in mich selber/ nit zwar auß Gottseeligkeit oder Trieb meines Gewissens/ sondern auß e Sorg/ daß ich einmal auf so einer Kurbe erdappt/ und nach Verdienst bezahlt e werden mochte«.514 Die rechte Furcht des Gewissens stellt Simplicius unter Beweis, indem er die falsche erinnert. Wer vom Scheitern der Umkehr berichtet, hat sie jetzt erfolgreich vollzogen; von der Angst des Gewissens spricht allein, wer ihre Überwindung zu verkünden hat. In der Einsamkeit ist sich Simplicius selber ein Freund geworden. Er hat sich gefunden im Wissen um den damaligen Verlust seiner selbst; die Integrität der Person ist nunmehr gewahrt. Simplicius scheint gerechtfertigt in seiner insularen Eremitage, die die autobiographische Abwendung vom bisherigen Leben auch geographisch vollzieht und die zeitliche Selbstdistanzierung durch eine räumliche Auslagerung unterstreicht. Mit dem Raum der menschlichen Welt scheint das verbleibende Leben, dies zumindest ist daran augustinisch, auch ihrer Zeit entrückt.515 Doch der Schein trügt. Der Simplicianische Zyklus, sich beständig fortschreibend, schiebt das Ende der Geschichte immer weiter hinaus. Nach der ersten Ankündigung eines »ENDEs« nach Buch fünf des Simplicissimus und einer zweiten nach dessen Continuatio setzt die weitere Fortführung dann mit einer per512 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 543. 513 Ders., Simplicissimus, S. 451 – 453; so auch S. 467. Zuvor hatte Simplicius dem Exorzismus eines Besessenen beigewohnt. Der böse Geist schrie ihm entgegen, er, Simplicius, spotte »beydes GOtt und der Religion«, er wisse »nit einmal was beichten ist«, und werde dem Teufel nicht entrinnen (S. 451 f.). – Zur (erfolglosen) Abschreckung von der Sünde durch den Krieg vgl. S. 463. 514 Ders., Simplicissimus, S. 370. 515 Zu augustinischen Traditionen bei Grimmelshausen: Dieter Breuer, Grimmelshausens simplicianische Frömmigkeit. Zum Augustinismus des 17. Jahrhunderts, in: Chloe 2 (1984), S. 213 – 252.
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spektivischen Verschiebung ein. Dies geschieht zunächst noch innerhalb der »Fortsetzung« des Simplicissimus, wenn die insulare Entwicklung des Protagonisten, im Anschluss an die autobiographische Erzählung, nicht mehr von diesem selbst, sondern durch die »Relation« des holländischen Schiffskapitäns Jean Cornelissen überliefert und der Eremit zur Rückkehr in die (europäische) Welt aufgefordert wird. Seine Verlängerung findet der Perspektivwechsel im Seltzsamen Springinsfeld, dessen Protagonist uns wissen lässt, dass Simplicius der Aufforderung nachgekommen ist und die Insel wieder verlassen hat. Von seinem neuen Leben, das auf diesen Schritt folgt, erfahren wir, mit Springinsfeld, aus der Sicht eines der Nebenakteure des Simplicissimus. Hier ist eine beständige Weiterverlagerung des Beobachtungsstandpunktes zu beobachten, gekoppelt an die kontinuierliche Steigerung seiner Ordnungsgrade. Cornelissen beobachtet, wie Simplicius sein Leben beobachtet, was wiederum von Grimmelshausen beobachtet wird, der sich zum »Beschluss« zudem gleichsam selbst beobachtet, indem er sich als Herausgeber der von Simplicius verfassten, von Jean Cornelissen tradierten und von einem Samuel Greifnson vom Hirschfeld edierten Autobiographie fingiert, dessen Name nach seiner anagrammatischen Aufschlüsselung mit einem weiteren von Grimmelshausens Pseudonymen zur Deckung kommt.516 Springinsfeld dann beobachtet die Fortsetzung von Simplicius’ Leben (und wie er es weiterhin beobachtet), und in den Bekehrungsgeschichten des Wunderbarlichen Vogel-Nestes schließlich wird auch diese Beobachtung noch einmal beobachtet: Berichtet der erste Teil des Werkes von der Lektüre des Springinsfeld, so der zweite Teil von der Lektüre des ersten. In verschiedenerlei metaleptischen Kurzschlüssen werden Erzähler und Erzählen wiederholt Gegenstand der Erzählung, so dass das Erzählen selbst in Frage gestellt zu sein scheint.517 Die Erzähl- und Beobachtungsinstanz verliert ihren festen Grund, den Punkt ihrer unhintergehbaren Letztbegründung. Diese e
516 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 699: »Hochgeehrter großgunstiger lieber Leser/ etc. dieser Simplicissimus ist ein Werck von Samuel Greifnson vom Hirschfeld/ massen ich nicht allein dieses nach seinem Absterben unter seinen hinderlassenen Schrifften gefunden/ sonder er bezeugt sich auch selbst in diesem Buch auff den keuschen Joseph den er gemacht/ und in seinem Satyrischen Pilger auff diesen seinen Simplicissimum, welchen er in seiner Jugend zum theil geschrieben/ als er noch ein Mußquetirer gewesen; auß was Ursach e er aber seinen Namen durch Versetzung der Buchstaben verandert/ und German Schleifheim von Sulsfort an dessen statt auff den Titul gesetzt/ ist mir unwissent; sonsten hat er noch mehr feine Satyrische Gedichte hinderlassen/ welche/ wann diß Werck beliebt wird/ e wol auch durch den Truck an Tag gegeben werden kondten; so ich dem Leser zur Nachricht e nicht verbergen wollen; diesen Schluß habe ich nicht hinderhalten mogen weil er die ersten e funff Theil bereits bey seinen Lebzeiten in Truck gegeben. Der Leser leb wol. dat. Rheinnec, den 22. Apprilis Anno 1668 – H.J.C.V.G., P. zu Cernheim.« 517 Siehe dazu Gerhard Lauer, Grimmelshausen oder Die Kunst des Erzählens vor Gott, in: Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, hg. v. Heinz Ludwig Arnold, München 2008 (Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur, Sonderband 6), S. 22 – 31.
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skeptische Perspektivierung mutet zunächst modern an und scheint eine Lesart des Simplicissimus zu unterstützen, die in ihm eine negative Antwort auf die Theodizee-Frage ausmachen zu können meint. Mit der Glaubwürdigkeit des Erzählens und der Erzählerfigur Simplex scheint auch deren schlussendliche Rechtfertigungsleistung auf den Prüfstand zu geraten. Nicht nur die Beschreibung des Überfalls auf den Spessarter Bauernhof und der Schlacht bei Wittstock, sondern auch die Erzählstruktur des Romanzyklus scheint zunächst zu besagen: Die in diesem Krieg ausgeübte und erlittene Gewalt ist bar jeder heilsgeschichtlichen Funktion und durch keine göttliche Güte und Allmacht gedeckt. Dies wäre jedoch zu kurz geschlossen. Die metaleptische Erzählstruktur, wie Gerhard Lauer gezeigt hat, ist kein erster Schritt auf einem Weg in die (Post-) Moderne. Ihre Unabgeschlossenheit indiziert keine frühe Irritation an der Möglichkeit eines wirklichkeits- und wahrheitsgetreuen Erzählens, sondern pointiert die Unabschließbarkeit des religiös-moralischen Umkehrprozesses. Sie ist Reflex frühneuzeitlicher Sünden- und Rechtfertigungstheologie. Dass die Bekehrungsgeschichte nicht allein ein wesentliches Thema, sondern zudem ein konstitutives Prinzip der Simplicianischen Romane darstellt, findet auch in der narrativen Technik seinen Niederschlag. Durch die erzählerische Kunst wird die Moralisatio nicht konterkariert, sondern narratologisch fundiert. Die hier aufscheinende infinite Perspektivierung ist selbst die Moral, die eine moralisierende Belehrung nicht anschaulich zu übermitteln vermag. Zum Gelingen des Bekehrungsprojektes gehörte wesentlich die Einsicht in die Unmöglichkeit seines Gelingens; und so muss ein Erzählen, das von der Umkehr berichtet, »das, wovon es handelt, auch selbst sein: eine Sünde, die um ihre eigene Sündigkeit weiß und ihrer eigenen Unbeständigkeit zu entkommen versucht, ohne zu erwarten, dass dies dauerhaft gelingen oder den Erzähler mehr vor Gott rechtfertigen könnte als jeden anderen Neben-Menschen.« Die »verwirrende Modernität« des simplicianischen Schreibens und Lesens erklärt sich aus der »Einsicht in die Sünde des Erzählens«.518 Besonders sinnfällig wird dies in der Scharnierfunktion der Insel.519 Die Einsiedelei des Simplicius markiert das Problem, ohne es lösen zu können. Simplicius widersetzt sich zunächst Jean Cornelissens Aufforderung zur Rückkehr nach Europa, um nicht die glücklich erreichte Gottesnähe in der insularen Abgeschiedenheit erneut gegen Krieg und Unglauben einzutauschen. Eben mit dieser Haltung jedoch, davon waren nicht nur die Protestanten, sondern, bei aller Weltabgewandtheit, auch die katholischen Jansenisten überzeugt, stellt er die Scheinfrömmigkeit unter Beweis, der er zu entgehen sucht. Die Aufforderung des Kaufmanns, dessen Name als eine anagrammatische Ver518 Lauer, Grimmelshausen, S. 30. 519 Für weitere Aspekte und Momente siehe ders., Grimmelshausen, S. 23 f.
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stellung von »Cornelis Jansen« gelesen werden kann,520 besagt: Sich selbst vermag nur zu heiligen, wer auch zur Heiligung seiner Nebenmenschen beiträgt. Mögen damit auch neue Verstrickungen drohen: In noch größere Gefahr begibt sich, wer meint, sich derartigen Gefahren entziehen zu können. »Feindesliebe lässt sich eben nur unter Feinden praktizieren«.521 Dass Simplicius am Ende dann doch in die Welt zurückkehrt (und die Geschichte weitergeht), dass er dem Tatchristentum gegenüber der mystischen Gotteserkenntnis den Vorzug gibt,522 ist kein Eingeständnis einer gescheiterten Umkehr, sondern die Einsicht in die Sündhaftigkeit der Eremitage: in den Glauben, der Welt (hier und jetzt) entkommen zu können. Davon kann nur noch aus der Außenperspektive erzählt werden. Nachdem der bekehrte Eremit von vergangenen Bekehrungen berichtet hat und von ihrem Scheitern, kündet Cornelissens Bericht über Simplicius von der Hybris zu glauben, damit könne die Umkehr endgültig gelungen sein. Der Kaufmann unterzieht Simplicius’ autobiographische Selbstkritik ihrerseits der Kritik. Er benennt die Gefahr, dass die Infragestellung des eigenen Lebens, der Hinweis auf die Sünden der Vergangenheit, in gegenwärtige Selbstgerechtigkeit zu führen droht. Springinsfeld, ein anderer (und vielleicht noch größerer) Sünder, ist es dann, der von den Konsequenzen berichtet, die Simplicius aus der Kritik gezogen hat: von der Rückkehr in die Welt in der Einsicht, dass eine »beständige« Abkehr von ihr nur in und nicht neben ihr stattfinden kann. Einsamkeit, im buchstäblichen Sinne, ist hier kein Gesellschaftsmodell; Simplicius bleibt ein Nebenmensch seiner selbst. Nur dann ist er besser als die anderen, wenn er einsieht, dass er – selbst in dieser Einsicht – nicht besser sein kann als sie. Diese Reflexion kann der Protagonist am Ende nicht mehr leisten. Er muss sich in seiner Sündhaftigkeit erkennen und ist doch am Ende unfähig zu erkennen, dass auch diese Erkenntnis immer von Sünde behaftet bleiben muss. Simplicius kann den Standpunkt seiner (Selbst-)Beobachtung nicht ins Unendliche verschieben; er hat einen menschlichen Blick auf sich selbst und keinen göttlichen. So ist es nur konsequent, dass seine Abkehr von der Insel mit einem Wechsel in der Berichterstattung einhergeht – und andere Sünder über Simplicius ebenso berichten dürfen wie er (über sie). 520 Dieter Breuer, Grimmelshausen-Handbuch, München 1999, S. 77. 521 Ders., Grimmelshausen-Handbuch, S. 90. 522 Siegfried Streller, ›Der Wahn betreugt‹. Das religiöse Konzept in Grimmelshausens Simplicianischen Schriften, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hg. v. Dieter Breuer, 2 Bde., Wiesbaden 1995, S. 703 – 710, hier 709 f. Der Umstand der Rückkehr wird ausgeblendet von Stefan Trappen, Konfessionalität, Erbauung und konfessionell gebundene Traditionen bei Grimmelshausen, in: Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft 18 (1996), S. 53 – 73, der die Einsiedelei des Simplicius akzentuiert.
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In diesem Sinne reflektiert die paradoxe Technik des unabgeschlossenen Erzählens von der Bekehrung die paradoxe Unabschließbarkeit dessen, wovon es erzählt. Rechtfertigungstheologisch betrachtet, ist dieses Erzählen konstitutiver Teil seines Gegenstandes. Wo das Wissen um und die Reflexion auf die eigene Unfähigkeit zur Besserung die einzige Möglichkeit der Besserung darstellte, dort war auch diese Reflexion notwendigerweise korrumpiert. Der Glaube an die Möglichkeit, aus eigener Kraft umkehren zu können, der Glaube, die eigene Verwerflichkeit gänzlich erkennen zu können, erschien als Teil der Sünde, die es zu erkennen und zu überwinden galt. Dies war dogmatisch nicht mehr widerspruchsfrei zu fassen. Theologisch setzt an diesem Punkt die Mystik ein und für die weniger mystisch Veranlagten die Literatur. Mit ihren besonderen Möglichkeiten markiert sie die Aporien der Rechtfertigung, ohne sie auf ein göttliches Konto zu verbuchen und dessen Inhaber für ihre Unlösbarkeit zur Verantwortung zu ziehen. Sie erzählt von der Sünde und von der Unfähigkeit des Menschen sie zu überwinden: davon, dass die göttliche Gnade nur erlangte, wer von dieser Unfähigkeit wusste und wem bekannt war, dass er selbst für dieses Wissen bereits der göttlichen Gnade bedurfte, die er mit ihm erreichen wollte. Auch in der Satire: Die Bedingung der göttlichen Gnade erfüllte nur, wer wusste, dafür auf die göttliche Gnade angewiesen zu sein. Dies ist der Gedanke der Prädestination; die Geschlossenheit göttlicher Vorsehung barg eine Unabschließbarkeit und Vergeblichkeit menschlichen Tuns und Lassens, die ihren Anfang und ihr Ende in der Unbedingtheit göttlicher Gnade fand und sich neben der theologischen Paradoxierung vielleicht am eindrücklichsten mit einer literarischen Erzähltechnik repräsentieren und veranschaulichen ließ, wie sie im simplicianischen Zyklus vorliegt. Ein in sich gespiegeltes Erzählen hielt dem, der den Spiegel vorhielt, den Spiegel vor – und nicht etwa seinem Gott.523 So zeitigt das Wissen um die Unmöglichkeit der Rechtfertigung auch bei Grimmelshausen keine Verzweiflung an einer göttlichen Güte und Gerechtigkeit, sondern die Aufforderung, sich, im Wissen um die Begrenztheit der eigenen Fähigkeiten, trotz allem um Rechtfertigung zu bemühen und dafür auf die göttliche Gnade und Barmherzigkeit zu vertrauen. Die Unabschließbarkeit des Reflexions- und Erzählprozesses erklärt sich am Ende aus den Aporien der Furchtsemantik. Zur (rechten) Furchtlosigkeit, so die Botschaft, gelangte allein, wer furchtsam gewesen war und zweierlei erkannte – zum einen, dass seine Furcht sich seiner Sünde verdankte: der Tatsache, dass das eigene Tun andere in Furcht versetzt hatte, und zum anderen, dass diese Erkenntnis unmöglich war ohne die Gnade der kindlichen Furcht, auf die sie zielte. Anders gewendet: Zum timor filialis zu kommen, und das heißt: ihn an sich selbst zu beobachten, war notwendig und unmöglich zugleich. Die eigene rechte 523 Vgl. Lauer, Grimmelshausen, S. 25.
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Furcht, die sich in der Beobachtung der falschen manifestierte, war a priori unbeobachtbar ; wer sie an sich beobachten zu können meinte, stellte die falsche unter Beweis. Wer kindliche Furcht haben wollte, heißt das, musste eine knechtische an sich konstatieren. In der metaleptischen Aufarbeitung der Paradoxien und Aporien der Rechtfertigung erweist sich Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch als ein Roman der Furcht(losigkeit). Er beschreibt eine Welt der Soldaten-Menschen, in der Ängstigen und Geängstigtwerden zur Grundausstattung gehören524 und (allein) das Wissen darum aus der Enge des teuflischen Kreises in die Weite des Heils zu führen vermag. Um die unterschiedlichen Fäden zusammenzuziehen: Worin bestehen »Nutz« und Notwendigkeit der Gewalt im simplicianischen Zyklus? Den Protagonisten wie seine Leser soll sie in eine Furcht versetzen, in der sie mit Gott und sich selbst auch den Nutzen der Gewalt des Krieges erkennen, in eine Furcht also, die nicht die furchterregende Gewalt fürchtet (als Erleiden), sondern ihren Anlass, die Sünde: die furchterregende Ausübung von Gewalt (als Tat). Der Nutzen des Krieges besteht hier in der Erkenntnis einer Sünde, die auch mit dem Ende des Krieges kein Ende finden kann, in der Erkenntnis, dass eine sündige Menschennatur zu der Sündenerkenntnis, die sie retten könnte, nicht befähigt ist. Der Romanzyklus präsentiert und fordert eine Selbstreflexion, deren eigene Sündhaftigkeit eine Verkehrtheit der Welt reflektiert, in der die Einheit der Gegensätze garantiert, dass erst im Übergang zum nächsten Leben, erst wenn der Mensch aus seinem »Lebens-Traum« erwacht, die Spiegel durchbrochen, der Wahn entlarvt und die Aporien gelöst werden können. Einige Interpreten haben in den simplicianischen Schriften eine Diskrepanz zwischen der straf- und moraltheologischen Rechtfertigung des Krieges (als eine der »Hauptstrafen« Gottes) und einer satirischen Beschreibung seiner »Wirklichkeit« ausgemacht, um daraus, explizit oder implizit, auf eine ironisch-unterschwellige Unterminierung der Theodizee zu schließen.525 Die Gerechtigkeit des Krieges sei erschüttert, seine Rechtfertigung »entwertet«, wo offensichtlich unchristliche und ungerechte Soldaten Menschen quälen, von denen nicht ersichtlich ist, was sie sich haben zu Schulden kommen lassen, und wo andererseits auch nach Beendigung des Krieges nicht die sittliche Besserung festzustellen ist, die ihn als Akt göttlicher Warnung und Strafgewalt legitimieren könnte. Grimmelshausen beschreibe eine verkehrte Welt, in der Tun und Ergehen nicht länger korrespondieren. Die Argumentation gehorcht einem Syllogismus, den die Autoren nicht eigens benennen (geschweige denn begründen): Der Krieg ist 524 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 60, 544 f. 525 Neben Merzhäuser, Über die Schwelle geführt, siehe Breuer, Krieg und Frieden, S. 84, 89; ders., Grimmelshausens simplicianische Frömmigkeit; Ferdinand van Ingen, Krieg und Frieden bei Grimmelshausen, in: Êtudes Germaniques 46 (1991), S. 35 – 53, hier 37, 44 f.; auch Kaudelka, Grimmelshausens Kriegsdarstellung, S. 78.
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gerechtfertigt und mit ihm auch Gott, wenn er die genannte straftheologische Wirkung entfaltet; tut er dies nicht (wie dem Anschein nach im Dreißigjährigen Krieg), dann steht mit der Gerechtigkeit des Krieges auch die göttliche Güte in Frage. So evident dieser Schluss zunächst zu sein scheint, geht er doch fehl. Zweifellos wird im Simplicissimus eine Kritik der »verkehrten Welt des Krieges«526 formuliert, die die tradierten politisch-theologischen Theorien des bellum iustum schlecht aussehen lässt. Eine derartige Kritik war mit einer Rechtfertigung Gottes jedoch durchaus kompatibel. Gott strafte Gleiches mit Gleichem: Strafwürdiges mit Strafwürdigem. Um aus Sünde zu befreien, bediente er sich der Sünde; und dies tat er, weil auch diese Zuchtrute die Welt nicht dazu bringen würde, sich zu ihm zu bekehren. Die Ungerechtigkeit dieses Krieges, mit anderen Worten, setzte nicht Gott ins Unrecht, sondern die Menschen, die ihn führten; sie ließ Gott nicht als ungerecht erscheinen, sondern als den Gerechten. Gott strafte natürlich nicht nur mit heroischen und christlichen Soldaten: Er war nicht deswegen böse, weil er sich des Bösen bediente, um es zu bekämpfen. Und so verlor er auf diese Weise auch nicht seine Allmacht. Um ihre These zu ere e härten, berufen sich Breuer und van Ingen auf die Rede des »Fursten uber den e Mummel-See«, der den Erzähler rhetorisch fragt: »Was kan die Gute Gottes davor/ wenn euer einer sein selbst vergisset/ sich der Creaturen der Welt/ und e e deren schandlichen Wollusten sich ergibt/ seinen viehischen Begierden den e e Ziegel schiessen last/ sich dardurch dem unvernunfftigen Viehe/ ja durch sole chen Ungehorsam gegen Gott/ mehr den hollischen als seeligen Geistern gleich macht?«527 In dieser Frage, anders als van Ingen meint, manifestiert sich kein »Konkurrenzverhältnis« zwischen göttlicher Allmacht und menschlicher Willensfreiheit.528 Die Freiheit des Menschen, sich von Gott ab- und dem Bösen zuzuwenden, wie sie sich für viele Zeitgenossen im Dreißigjährigen Krieg in besonderer Weise manifestierte, war kein Widerspruch zur Omnipotenz des Herrn, sondern ihr konstitutiver Teil. Die Frage, ob der Krieg hier als »Gottes Strafgericht zur Warnung der Menschen« zu betrachten ist oder aber als »Folge menschlicher Verfehlungen«,529 ist somit falsch gestellt; dieser Krieg war stets das eine im anderen. Er war selbst die Sünde, die er sanktionierte; er gab sich selbst den Anlass, er war seine eigene Ursache und Wirkung. Auch im straftheologischen Sinne ernährte er sich selbst. So erscheint auch bei Grimmelshausen der Dreißigjährige Krieg als ein besonders sinnfälliges Exempel einer »verkehrten Welt«, deren Geschichte, in ihrer beständigen Wiederholung, auf ihr 526 Regina Schulte, Die verkehrte Welt des Krieges. Studien zu Geschlecht, Religion und Tod, Frankfurt a.M. 1998 (Geschichte und Geschlechter 25), S. 59 f., 79 – 83. 527 Grimmelshausen, Simplicissimus, S. 499. 528 Van Ingen, Krieg und Frieden, S. 45. Breuers Bezugnahme auf die Passage findet sich in Breuer, Krieg und Frieden, S. 89. 529 Van Ingen, Krieg und Frieden, S. 45.
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Ende zutrieb. Aus ihren vitiösen Zirkeln befreiten nur die göttliche Gnade und die Eschatologie.530 Im Hintergrund steht das Konzept eines »verborgenen Gottes« (deus absconditus), das auch dort unterstellt werden kann, wo es nicht im lutherischen Sinne ausformuliert wird. Die Simplicianischen Schriften mögen insgesamt eher katholische als protestantische Züge tragen, ihre erbauliche Funktion jedoch erhebt sie über die Grenzen der Kontroverstheologie.531 Zudem steht die mystisch-augustinische Frömmigkeit der Jansenisten, wie sie in Grimmelshausens Schriften aufscheint, dem lutherischen Protestantismus in vielem näher als dem papstkirchlichen Katholizismus. Die Satire, am Ende, untergräbt die Moralisatio nicht, sondern gibt ihr ein festeres Fundament. Sie ist weder »Realismus« noch »modern anmutender« Perspektivismus.532 Das spezifisch literarische Moment besteht nicht in einer Unterminierung herrschender Diskurse, wie Merzhäusers modernistische Interpretation suggeriert, sondern in deren erzählerischer, fiktiv erfahrungsbezogener Ausgestaltung. Der Roman formuliert neben der Norm auch die Schwierigkeiten ihrer Umsetzung – Schwierigkeiten von konstitutiver Natur, nicht nur weil aus jeder Norm ihre Nichterfüllung spricht, sondern weil die religiöse Norm, die hier zur Verhandlung anstand, allein diejenigen erfüllten, die um ihre Nichterfüllbarkeit wussten. Diese Reflexion vermochte die literarische Erzählung anschaulicher zu leisten als die theologische Paradoxierung und moralisch-religiöse Belehrung. Diejenigen, die in den simplicianischen Furchtund Gewaltbeschreibungen die Theodizee-Frage aufgeworfen sehen, übergehen neben der Sünden- und Rechtfertigungstheologie auch die den Text strukturierende historische Furchtsemantik. Indem sie normative Proklamation und ironisch-satirisch präsentierte Wirklichkeit voneinander trennen, finden sie subjektive Furcht- und Gewalterfahrungen hinter dem Text und in deren Literarisierung zuweilen eine Möglichkeit ihrer »Verarbeitung«.533 Diese Interpre530 Erklärungsbedürftig war in diesem Horizont somit nicht der Krieg, sondern die Möglichkeit des Friedens. 531 Siehe dazu Trappen, Konfessionalität; Streller, Das religiöse Konzept, S. 703; Rolf Tarot, Formen erbaulicher Literatur bei Grimmelshausen, in: Daphnis 8/3 – 4 (1979), S. 95 – 121; Yves Carbonnel, Drei Erbauungsbücher in einem: Der Simplicius Simplicissimus von Grimmelshausen, in: Religion und Religiosität, hg. v. Breuer, S. 693 – 701. 532 Die Zitate bei van Ingen, Krieg und Frieden, S. 45 und 50. 533 So etwa Sven Externbrink, Die Rezeption des »Sacco di Mantova« im 17. Jahrhundert. Zur Wahrnehmung, Darstellung und Bewertung eines Kriegsereignisses, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 205 – 222, hier 219 – 221. Auch damit wird interessanterweise eigentlich gesagt, dass die Angst aus der Perspektive ihrer Bewältigung zur Darstellung kommt. Hier wird zweierlei unterstellt, das sich eigentlich ausschließt: die Angst in der Beschreibung und deren Bewältigung durch die Beschreibung. Ein Nachweis über die Intuition des Spätgeborenen hinaus wird für eine derartige Behauptung nicht erbracht. – Eine literarische »Krisenbewältigung« sieht auch Esther-Beate Körber,
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ten, auch dort, wo sie nicht nach physisch-materiellen, sondern nach psychischmentalen Realitäten suchen, lesen den literarischen Text mit dem Wirklichkeitsverständnis jener Historiker, die sie berechtigterweise der Kritik unterziehen. Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch führt uns nicht in ein angst- und gewalterfülltes Jahrhundert, sondern in normative Differenzierungen der Angstsemantik, in der Furcht und Furchtlosigkeit allein als untrennbare Einheit zur Beschreibung kommen konnten. Der Roman hat eine nachhaltige Wirkung entfaltet, die hier weder nachgezeichnet werden kann noch muss. Hinzuweisen jedoch ist auf ein weniger bekanntes, wenngleich erfolgreiches zeitgenössisches Werk, das den Bogen vom Dreißigjährigen Krieg zu den Türkenkriegen schlägt: 1683, im Jahr der Belagerung Wiens, erschien Daniel Speers Ungarischer Oder Dacianischer Simplicissimus, Vo[r]stellend Seinen wunderlichen Lebens Lauff/ Und Sonderliche Bee gebenheiten gethaner Raisen. Nebenst Wahrhafter Beschreibung deß vormals im e Flor gestandenen/ und offters verunruhigten Ungerlands.534 1684 sah das Werk bereits seine dritte Auflage, geriet anschließend jedoch weitestgehend in Vergessenheit. Grimmelshausens Vorlage wird bei Speer in erster Linie als Schelmenroman rezipiert; auch darin jedoch ist das vertraute Überlebensnarrativ enthalten. Wiederholt leidet der durch Ungarn reisende Erzähler höchste Gefahr, und stets wird er mit göttlicher Hilfe aus ihr errettet.535 Als Simplicius in türkische Gefangenschaft gerät, ist das Elend derart groß, dass er es »nit genug klagen« kann, doch wenig später schon sieht er sich wieder befreit.536 In Furcht und Angst versetzen ihn, neben Gespenstern und Bergwerken,537 vornehmlich die »Tür-
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Krisenbewusstsein und Krisenbewältigung in der Literatur nach 1648, in: Die Wahrnehmung von Krisenphänomenen. Fallbeispiele von der Antike bis in die Neuzeit, hg. v. Helga Scholten, Köln / Weimar / Wien 2007, S. 169 – 187. Die Fortsetzung des Titels lautet: »So dann Dieser Ungarischen Nation ihrer Sitten/ Gee e brauch/ Gewohnheiten/ und fuhrenden Kriege. Sambt Deß Grafen Tekely Herkommen/ und biß auf jetzigen Zeit verloffenen Lebens=Lauff. Heraußgegeben von gedachtem Dacianischen Simplicissimo« (o. O. 1683). Im Folgenden wird nach der orthographisch vorsichtig modernisierten Edition zitiert: Daniel Speer, Ungarischer oder Dacianischer Simplicissimus, hg. v. Herbert Greiner-Mai / Erika Weber, Berlin 1978. Einschlägige Forschungen stehen noch am Anfang. Siehe dazu vor allem den Sammelband: Das Ungarnbild in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit. Der Ungarische oder Dacianische Simplicissimus im Kontext barocker Reiseerzählungen und Simpliziaden, hg. v. Dieter Breuer / Gábor Tüskés, Bern u. a. 2005 (Beihefte zu Simpliciana 1). Vgl. auch Klaus-Peter Matschke, Das Kreuz und der Halbmond. Die Geschichte der Türkenkriege, Darmstadt 2004, S. 326 ff. Speer, Dacianischer Simplicissimus, S. 22 f., 75 – 77, 89, 92, 126 – 128, 140, 189, 227. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 180. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 137, 218, 221; vgl. außerdem S. 123.
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ken«, gegen die er ausgezogen ist. Ob sie »blinden Lärmen« machen538 oder wirklichen Anlass geben für »Geschrei«: Wo sie nahen, gerät man in eine Bestürzung, dass »man nicht wuste was man anfangen solte.«539 Anders als die Soldaten jedoch, die in ihrer Verzagtheit dem Feind »die Hälse herreckten, daß man ihnen die Köpfe absäbelte«,540 hält Simplicius sich am Ende (wie er bereits zu Anfang verkündet) immer wieder tapfer und »unverzagt«, überwindet seine Furcht und schlägt den Feind zurück.541 Ungeachtet aller Gefahren ist er »gern ein ungarischer Soldat und hub an, stattliche Profession in solchem Beruf zu machen, wie dann einer vor dem Erbfeinde sein Leben seliger als vor dem christlichen Feinde enden kann.«542 Eine derartige Todesbereitschaft wird mit Überleben belohnt. Zwar vermag auch Simiplicius die Wechselfälle des Schicksals nicht zu beeinflussen: jedem Glück lässt Fortuna ein Unglück folgen;543 doch ebenso folgt auf jedes Unglück ein Glück. Am Ende stehen stets die »Wunderwerke Gottes«, die niemand »gnugsam aussprechen« kann und ein jeder den anderen erzählen muss.544 In Speers Adaptation des Grimmelshausen’schen Simplicissimus fehlt die Bekehrungsgeschichte, das Erwachen des Gewissens und eine Abkehr des Erzählers von den eigenen Vergehen. Dessen ungeachtet nimmt auch dieser Roman eine abschließende Wendung, die noch einmal seine erbauliche und belehrende Absicht unterstreicht. Nach einer »Wahre[n] Abbildung und kurze[n] Lebensbeschreibung des ungarischen Grafen Emerici Tökeli«545 folgt zum »Beschluß« des Romans ein Diskurs über die Ursachen und die Legitimität politischer Rebellion, wie sie von Imre Thököly gegen die habsburgische Zentralmacht im Grenzland Ungarn initiiert worden war. Speer führt Erhebungen und Aufruhr nicht unmaßgeblich auf eine »Unbillig- und Ungerechtigkeit« der Oberen gegenüber ihren Untertanen zurück. Nicht anders als Hunger, Mangel und materielle Not schienen ihm unchristliche Obrigkeiten einen »Kummer« zu bereiten, der analog zum menschlichen auch den Tod des politischen Körpers zur Folge
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Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 136. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 225; vgl. auch S. 152. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 225. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 167, 169, 171, 226. Die Vorrede hält fest (S. 7): »Es ist eben Zeit, daß ich übel geplagter und auch verjagter, doch nicht verzagter Ungarischer oder Dacianischer Simplicissimus mich neben meinen zween Vettern, den Teutschen und Französischen Simplicissimum, schriftlich darstelle«. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 176. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 176. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 92. Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 245 – 250. Speers Beschreibung des Lebens von Imre Thököly (1657 – 1705) wurde auch separat und anonym publiziert unter dem Titel: e Kurtze Lebens=Beschreibung Des Ungarischen Herrn Graff Tokeli, o. O. 1683.
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haben konnte.546 Diese Erklärung nimmt die Autoritäten in die Pflicht; sie ist jedoch keineswegs eine Legitimation des Widerstands gegen jene, die ihre Pflicht vergessen. Die »Tökelischen«, so der Autor, beriefen sich auf »ein unauflösliches Band« zwischen Obrigkeiten und Untertanen, auf eine Art Gesellschaftsvertrag, der bei einer »Tyrannei zu Schaden und Nachteil des gemeinen Wesens« Bauern und Bürger »befugt, solch unziemlich Beginnen mit aller Gewalt zuruckezutreiben«. Speer dagegen gibt den Kaiserlichen Recht, die in der Tyrannei eine »Geißel Gottes« sahen, »womit er die Menschen wegen ihrer Laster und Sünden peitsche«. Mochte Thökölys Sache auch noch so gerecht sein: Lehnte er sich auf gegen Gottes gesalbten Stellvertreter auf Erden, so wurde sie ungerecht. Mit diesem Schritt stellten die Aufständischen die Ungerechtigkeit unter Beweis, die Gott mit einer tyrannischen Obrigkeit bestrafen musste. Sie bestätigten die Berechtigung der ungerechten Herrschaft, gegen die sie sich erhoben hatten, sie legitimierten die Tyrannei, gegen deren Illegitimität sie opponierten. Und sie begaben sich in große Gefahr ; denn ein Gott, der mit Despoten strafte, würde den Widerstand gegen sein Strafinstrument nicht ungestraft lassen: »[W]arum sollen wir«, schließt der Roman, »als verständige Menschen wider Gott und Gottes Ordnung, wider Gewissen und Eid, wider Billigkeit und Recht, wider Vernunft und Verstand, gegen unserer von Gott vorgesetzten Obrigkeit auflehnen, widersetzen, rebelliren, mit Kriegesmacht überziehen, so alles Gott der Allmächtige zu seiner Zeit rächet und strafet, wie man dann nirgend in Historien findet und lieset, daß Rebellerei und Aufruhr der Untertanen wider ihre Obrigkeit ungestraft geblieben seie.«547
Speer gibt hier eine der klassischen christlichen Begründungen des politischen Widerstandsverbots. In ihr ist jede Herrschaft a priori gerecht: Ist sie es einmal nicht, so ist sie es doch, denn dann ist sie als göttliches Strafinstrument legitimiert. Die Ungerechtigkeit dieser Herrschaft wird aus der Ungerechtigkeit der Untertanen erklärt und gerechtfertigt. Die Widersprüchlichkeit der politiktheoretischen Argumentation ist aufgehoben im Postulat einer Gerechtigkeit Gottes, in jener Autorität also, der selbst (und der allein) die Oberen auf Erden Gehorsam schuldeten. An dieser Stelle schlägt dann die Wertung auf die Erklärung durch und kommt mit ihr schließlich zur Deckung: Auch dort, wo Speer Rebellionen aus obrigkeitlicher »Unbilligkeit« erklärt, leitet er sie am Ende aus der Unbilligkeit der Untertanen ab: nicht aus Hunger und materieller Not, sondern aus »Uberfluß und Vollauf«, aus Geiz, Wollust und dem eitlen »Wahn«, unheilbar beleidigt und herabgesetzt worden zu sein. Er erklärt sie aus eben dem »Stolz« und »Hochmut«, aus der »Aufgeblasenheit« und Selbstüberhebung, die 546 Speer, Dacianischer Simplicissimus, S. 251 f. Die Parallele wird von Speer nicht explizit formuliert, ergibt sich jedoch aus dem Textzusammenhang. 547 Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 256.
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die Rebellen mit Gewalt vom Thron zu stoßen suchen.548 Eine »säkulare« Vertragstheorie, wie sie Thököly in den Mund gelegt wird, kann hier nicht verfangen. Wie bei Thomas Hobbes, so auch bei Daniel Speer : Der Herrscher durfte gegen die Grundsätze des Christlichen nicht verstoßen; tat er es doch, war religiöser Widerstand die einzig legitime Antwort, und das heißt: das Martyrium. Dazu zeigten sich die Ungarn ebenfalls bereit. »[I]m Herzen dem Calvinismo ergeben«, berichtet Speer, »lassen sie sich nit leichtlich zu einer andern Religion zwingen, sondern nebenst diesem wehren sie sich bis zum Tode und tragen auch vor der grausamsten Marter wenig oder keine Abscheu.« Was wunderte es da, dass sie »sind alle zum Krieg geneigt und wagen ihr Leben gar leicht.« Ihre Ordnung, Selbstdisziplin und furchtlose Todesverachtung verlangte einen Respekt, der in seiner Ambivalenz demjenigen glich, den man den »Türken« zu zollen bereit war.549 Diese Beschreibung der rebellischen Ungarn spiegelt sich auch in der Zeichnung ihres Landes. Speers Lob auf dessen Fruchtbarkeit (»aus eigener Erfahrung«) ist vertraut und ebenso die Warnung vor den Gefahren, die sie barg, nicht nur politisch, sondern auch gesundheitlich. Auch Speer war bekannt: Angesichts der Luftverhältnisse sahen sich Reisende vielfach fiebrigen Erkrankungen ausgesetzt, insbesondere wenn sie im Überfluss kein Maß zu halten wussten: »Es ist aber in Kaschau eine überaus ungesunde Luft und alle sieben Jahr fast eine Pest. Ein Fremder wird bald krank und bekommt das Fieber, wann er Kaschauer Wein trinket.«550 Vor diesen Gefahren schützte die Furcht des Herrn, das »Gewissen«,551 das die Rebellen nicht hatten: die Anerkennung der göttlichen Strafgewalt auch dann, wenn ihre Gerechtigkeit nicht zu erkennen war, auch dort, wo sie unsichtbar und verborgen zu sein schien. Theologisch war dies protestantisch gedacht, politisch gab es den Kaiserlichen Recht. Es führte der katholischen Zentralmacht die Bedingungen vor Augen für die göttliche Gnade, auf die sie sich berief, und sicherte ihr so das Fundament. Für die Furcht-Problematik einschlägiger als Speers Grimmelshausen-Rezeption ist eine der maßgeblichen Vorlagen des Simplicissimus-Romans: Das Sol548 Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 251 f. Als weitere Ursachen von Rebellionen werden politische Uneinigkeit der Untertanen und konfessionelle Differenzen genannt: die »Ungleichheit der Religionen«, und außerdem eine »Unachtsamkeit der burgerlichen Gesetzhaltung«. 549 Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 95 – 97, auch 174. 550 Ders., Dacianischer Simplicissimus, S. 148; des Weiteren S. 95, 195, 213, 216 f. Dazu oben Kap. 4.4; außerdem Bitskey, Militia et littera; S. Katalin Németh, Fiktionalität und Realität in den deutschen Ungarnbeschreibungen des 17. Jahrhunderts, in: Das Ungarnbild, hg. v. Breuer / Tüskés, S. 55 – 76. 551 Speer, Dacianischer Simplicissimus, S. 253, 256.
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daten=Leben des seinerzeit weithin bekannten Satirikers Johann Michael Moscherosch (1601 – 1669), das erstmals 1644 im zweiten Teil der Wunderlichen und Warhafftigen Gesichte Philanders von Sittewalt publiziert wurde.552 Diesem weitgehend in Vergessenheit geratenen Text wurde in der Forschung bisher ungleich weniger Aufmerksamkeit zuteil als seinem berühmten Nachfahren. Neben Wilhelm Kühlmann hat sich vor allem Walter Ernst Schäfer mit Person und Werk Moscheroschs beschäftigt und 1996, in gekürzter und modernisierter Form, die einzige erhältliche Neuausgabe des Gesichts Soldaten=Leben vorgelegt.553 Der Protagonist und Ich-Erzähler Philander (sein Nachname »von Sittewalt« ergibt, anagrammatisch entschlüsselt, Moscheroschs Geburtsort Willstätt/Wilstaett) schildert sein Leben unter räuberischen Soldaten in Lothringen. Nachdem er zunächst in ihre Gefangenschaft geraten war, entwickelt er sich zu ihrem Spießgesellen und nimmt an ihren Streifzügen teil. Gemeinsam verbreiten sie Angst und Schrecken unter der bäuerlichen Bevölkerung; Erpressung und grausamste Folter stehen auf der Tagesordnung. Wie Grimmelshausens Simplicissimus reflektiert Moscheroschs Soldaten=Leben die außergewöhnliche Gewaltsamkeit des Dreißigjährigen Krieges aus der Perspektive eines Mittäters, 552 Johann Michael Moscherosch, Wunderliche Warhafftige Gesichte Philanders von Sittewald/ das ist Straffschrifften Hanß [sic] Michael Moscheroschen von Wilstädt. Anderer Theil, vermehrt und gebeßert, Straßburg 1666, Sechstes Gesichte: Soldaten=Leben, S. 576 – 836. 553 Unter Räubern. Johann Michael Moscherosch: »Soldatenleben«. Berichte aus dem Dreißigjährigen Krieg, von entlaufenen Soldaten, Kriegslisten, Geheimsprachen, Festgelagen und Freudentänzen, Mord und Totschlag – nebst einem Disput über die Erfindung des Pulvers und des Buchdrucks, hg. v. Walter Ernst Schäfer, Karlsruhe 1996. Andere »Gesichte« Moscheroschs sind in folgenden Ausgaben verfügbar : Johann Michael Moscherosch, Visiones De Don Quevedo. Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. ND der Ausgabe Straßburg 1642, Hildesheim / New York 1974; ders., Wunderliche und Wahrhafftige Gesichte Philanders von Sittewalt. Ausgewählt und hg. v. Wolfgang Harms, Stuttgart 1986. Zur Person Moscheroschs siehe Walter Ernst Schäfer, Johann Michael Moscherosch. Staatsmann, Satiriker und Pädagoge im Barockzeitalter, München 1982; ders., »Ach, so beseuffze doch mein armes Vatterland!« Johann Michael Moscherosch in Willstätt, Marbach 1993 (Spuren 23). Zum Werk vgl. ders., Der Dreißigjährige Krieg aus der Sicht Moscheroschs und Grimmelshausens, in: Literatur im Elsaß von Fischart bis Moscherosch. Gesammelte Studien, hg. v. Wilhelm Kühlmann / Walter Ernst Schäfer, Tübingen 2001, S. 305 – 316; ders., Moral und Satire. Konturen oberrheinischer Literatur des 17. Jahrhunderts, Tübingen 1992 (Frühe Neuzeit 7); Wilhelm Kühlmann / Walter Ernst Schäfer, Frühbarocke Stadtkultur am Oberrhein. Studien zum literarischen Werdegang J.M. Moscheroschs (1601 – 1669), Berlin 1983 (Philologische Studien und Quellen 109); Wilhelm Kühlmann, Moscherosch und die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Aspekte des barocken Kulturpatriotismus, in: Bibliothek und Wissenschaft 16 (1982), S. 68 – 84; Kenneth Graham Knight, Johann Michael Moscherosch. Satiriker und Moralist des siebzehnten Jahrhunderts, Stuttgart 2000 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 374).
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der seine Täterschaft erkannt und – nach einigen erfolglosen Versuchen – sein Leben geändert hat. Nicht anders als seine berühmte Adaptation ist dieser Roman nicht allein eine Überlebens-, sondern dabei auch eine (protestantische) Bekehrungsgeschichte. Und als einer von wenigen Texten entlarvt er damit die furchterregende Gewaltsamkeit der Soldaten als ein Resultat ihrer eigenen Furcht. Einige der Gewaltbeschreibungen Philanders enthalten eine distanzierte Beobachtungsperspektive, aus der nicht primär die Nichtbetroffenheit des Protagonisten spricht, sondern die Infragestellung seines Tuns. Als ein Frachtschiff, das vergeblich versucht hatte, »vns in der mitte deß Flusses also zu entkommen«, im Begriff ist, von Kugeln durchlöchert, zu sinken, notiert der Erzähler das »grausame[] Geschrey« und den »Jammer«, die zu hören sind, und e den »vnglaublich schrockliche[n] Anblick«, der sich vom Ufer aus bietet.554 Als einige Zeit später einer der Spießgesellen zwei Gefangene gegeneinander um ihr Leben würfeln lässt und der Verlierer den Gewinner bittet, seine Gemahlin und seine Kinder zu segnen, treiben seine Worte Philander »die Augen über«, weil er daran denkt, »wie mir in gleichem Fall offt zu Muth gewesen.« Und nachdem alle beide, ungeachtet des Ausgangs des grausamen Spiels, fast zu Tode gefoltert worden sind (und den Tod weiterer Tortur vorgezogen hätten)555, »huben sie ein e solch Zetter=Geschrey an/ daß es ein Grewel war zu horen«.556 Diese Leiden, die Philander kaum ansehen und anhören kann, hat er selbst mit herbeigeführt. Von seinen ruchlosen Gesellen unterscheidet er sich lediglich durch das »Mitleiden«, das er mit den Opfern gehabt habe, und durch das bekundete Bedauern, ihnen nicht helfen zu können. Sein »Jammer« in Anbetracht des sinkenden Schiffs speist sich aus der Empathie mit den »armen vnschuldigen Leute[n]« und nicht, wie bei den übrigen Zuschauern, aus der Trauer um die verlorenen Güter, e »welche sich uber 12000. Reichsthal. solten beloffen haben.«557 Und nachdem er den Gefolterten schon nicht hatte beistehen können, ist er »heimlich destomehr erfrewt«, dass es ihnen am Ende doch noch gelungen war zu entkommen.558 Philander betont wiederholt, zu dem gezwungen oder verleitet worden zu sein, was die anderen von sich aus taten und aus Lust an blutrünstiger Gewalt;559 und zuweilen mahnt er einen seiner Spießgesellen, sein Opfer zu »verschonen« und 554 Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 604. 555 So auch in einer anderen Foltersituation (ders., Soldaten=Leben, S. 590): »ich glaub der e e e Kerls hatte sich selber entleibet/ wo er seiner Hande gebrauchen konnen/ nur deß Schmertzens zu entkommen.« 556 Ders., Soldaten=Leben, S. 620 f. 557 Ders., Soldaten=Leben, S. 605. Weiterer »Jammer« auf S. 583 f., 589, 598. 558 Ders., Soldaten=Leben, S. 623. Weiteres »Mitleiden« auf S. 509, 590, 598. 559 Ders., Soldaten=Leben, S. 615 f. Oder er habe versucht, sich nach Möglichkeit zurückzuhalten: S. 615 f., 686.
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»nicht eben so gleich hien/ ohne Gewissens=Forcht [zu] todten«.560 Diese Distanzierung vom Geschehen jedoch kann ihn auch in seinen eigenen Augen nicht entschuldigen (unabhängig davon, ob sie erst retrospektiv erfolgt).561 Was den Erzähler entlastet, ist allein das Wissen, sich bei aller Verführung doch schuldig gemacht zu haben; Philander hat der Versuchung nicht widerstanden. Mochte er zur Grausamkeit gegen die »armen Leute« auch genötigt worden sein, so war er es doch selbst, der »die Sach« am Ende »fast eben so starck wider sie triebe als irgend einer«.562 Diese Erkenntnis ist es, die ihn gegenüber den anderen Tätern auszeichnet: die Fähigkeit, sich der frevlerischen und unchristlichen Taten zu e schämen, die zu beweinen ihre Opfer nicht genug »Zahren« besaßen.563 Scham, Jammer und Mitleid markieren die Umkehr, die allen Beschreibungen des eigenen gewaltsamen Tuns bereits eingeschrieben ist und die sich auch deswegen schwierig gestaltet, weil das soldatische Leben auch für Philander so e manche »Frolichkeiten« und materiellen Annehmlichkeiten bereithielt. Wenn e »das hencken nicht zubefahren/ vnd die Seeligkeit nicht in Noth gewest ware/ 564 [wolten] wir vns in diesem Krieg wol befunden haben«. Ein gewissermaßen katholischer Kirchenbesuch, der allein ritueller Beruhigung diente, konnte diese Gefährdungslage dann nur noch verschärfen: »Ich muß bekennen/ nach dem ich frühe morgens einmahl in der Kirchen gewest/ war mir gar wol/ vnd darumb e auch desto frolicher als andere/ mit singen/ springen/ vnd beschaid thun/ dessen sie alle trefflich zu frieden. Kurtz. Es hatte bey mir das Ansehen/ als ob ich e e Sporenstreichs der Hollen hatte zulaufen wollen.«565 Wenn Philander kurz zuvor e einem Pfarrer, der »sich bey vns forchtete«, zwei Dublonen zusteckt, die »er e meinetwegen benotigten haußarmen Witwen vnd Weysen vmb Gottes Willen geben« soll, haftet dem ein ähnlicher Geruch der Werkgerechtigkeit an – auch wenn es die Gesellen fluchen lässt: »der ist deß Teuffels der etwas vmb Gottes Willen gibt«,566 und so bereits auf das anschließende Damaskuserlebnis vorauszuweisen scheint.567 Die milde Gabe ist noch Teil der Verwerflichkeit, die es
560 Ders., Soldaten=Leben, S. 696 und 627, auch 590. 561 Und was für ihn gilt, so sagt es der Text, trifft auch für die anderen »armen vnschuldigen Soldaten« zu: Auch wenn es vielfach der Krieg ist (und nicht sie selbst), der sie in »lebendige[] eingefleischte[] Teuffel« verkehrt, so lindert dies doch nicht ihre Schuld (S. 797 f.). 562 Ders., Soldaten=Leben, S. 710. 563 Ders., Soldaten=Leben, S. 609, hier bezogen auf die Plünderung und Schändung eines Gotteshauses. 564 Ders., Soldaten=Leben, S. 624, 632, zit. 632; vgl. auch S. 776. 565 Ders., Soldaten=Leben, S. 717. 566 Ders., Soldaten=Leben, S. 711 f. e 567 Ders., Soldaten=Leben, S. 717: »[I]n dem ich tobend vnd wutend schnaubete/ alle Tugend/ wo nicht gar außzurotten/ doch auffs wenigste/ zu beschmitzen [i.e. vermindern]/ gieng es e mir wie dem Saulus/ daß mich deuchte/ ich horte warhafftig eine Stimme/ die zu mir
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zu überwinden galt; sie lindert die größte Not, ohne über die Verantwortlichkeiten hinwegtäuschen zu können. Ein derartiges Werk, wie sich dem Erzähler rückblickend zeigt, entsprang letztlich der Furcht derer, die ihr Opfer in Furcht versetzt hatten und zu denen Philander sich zählt: Nachdem der Pfarrer die unfeine Gesellschaft verlassen hat, »aus Forcht/ daß er mit vns von der Erden verschluckt wirde«, ist diese »dessen nicht minder erfrewet: als die sich eben so sehr vor einem Geistlichen besorget/ vnd mehr als vor dem Teuffel.«568 Woher diese Scheu? Die Gottlosen ahnen, so scheint es, dass der (protestantische) Geistliche Recht hatte, als er die soldatischen Schutzpraktiken (der Heiligenanrufung, des Festmachens und der Herstellung von Amuletten aus dem Johannesevangelium) als »Aberglauben« entlarvte: als er ihnen vorlas (aus einem »grossen Buch«), dass aus derartiger Magie ein Mangel an Gottvertrauen sprach, eine falsche Furcht, durch die sich die Soldaten in eben die Gefahr brachten, die sie zu bannen suchten, körperlich wie seelisch. »Mannfest« ist, so weiß der Lutheraner, wer »auff Gott fest trawet.«569 Die Gottlosen ahnen, dass sie gegen die Gottesfürchtigen »wenig außrichten wirden«, weil Gott, ihnen »zu Gut«, seine »Feind mit Forcht thut schlagen.«570 Ähnlich wie bei Athanasius Kircher :571 Die Bande scheut den Gerechten (wie der Teufel das Weihwasser), weil sie in ihm ihre Ungerechtigkeit erkennt und die Gefahren, in die sie sich mit ihr begibt.572 Auch Philanders eigene Furcht, die eigene Angst und der eigene Schrecken, die ihn ermatten und ohnmächtig werden zu lassen drohen,573 sind in diesem Rahmen situiert. Wo Philander selbst die Angst erfährt, in die er andere versetzt, ist sie mit einem »Abschew vnd Eckel […] ab allen diesen grossen Vntugenden« assoziiert, mit einer schreckerfüllten Regung des Gewissens, das ihn (wie der Hunger) »biß zur Vnsinnigkeit« plagt, das ihn »halb todt« zurücklässt574 und nach langem Schlaf erkennt, dass Gott mit diesem Schrecken straft und noch weiteren in Aussicht stellt. Im autobiographischen Rückblick: nachdem das Gewissen erwacht ist (bzw. Philander ihm endlich Gehör geschenkt hat),575 erscheint ihm seine Furcht vor der Vergeltung eines Jägers oder Bauern (für die Angst, so wäre zu ergänzen, in die er sie versetzt hat) als eine Furcht vor »ver-
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sprach: Philander/ Philander/ es wird dir schwer werden/ also wider Gott vnd Gewissen zu streiten.« Ders., Soldaten=Leben, S. 711, 716. Ders., Soldaten=Leben, S. 713 f. Ders., Soldaten=Leben, S. 691 f. Dazu oben Kap. 3.7. Vgl. auch Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 711: »Bobowitz/ der in Forchten stunde/ er e muste auch irgend in die Kirche gehen: Bruder/ sprach er/ du bist ein Narr/ der ist deß e Teuffels der in die Kirchen geht. Der ist deß Teuffels der Predig horet.« Ders., Soldaten=Leben, S. 582 f., 737 f. Ders., Soldaten=Leben, S. 717, 739 f., 746. Vgl. auch S. 596. Ders., Soldaten=Leben, S. 663.
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dienter« Sanktion,576 wie sie hier und jetzt zu gewärtigen war und vor allem auch im Jenseits.577 Wiederholt schaltet der Erzähler Klagen von Bauern und Geistlichen ein, die Freunde seien in diesem Krieg schlimmer als die Feinde; aus ihnen spricht die Stimme seines eigenen Gewissens. Sie beklagt eine verkehrte Welt, in der Christen in Angst und Schrecken versetzt werden von Christen, die e feindlicher sind als der Erbfeind, als »Turcken« und »Heyden«,578 die gar keine Christen sind, am Ende, denn sie schicken die rechten Christen zum Teufel,579 zu dem, mit dem sie selbst paktieren (und damit erweisen sie sich natürlich als christlich, nicht anders als Satan selbst, denn sie stehen für die Umkehrung der Verhältnisse, die die Umkehrgeschichte ermöglicht; es braucht sie, um den Protagonisten zu retten und vielleicht, ihre punktuelle Scheu deutet es an, auch sie selbst).580 Diese Soldaten fürchten, fromm zu erscheinen,581 denn wenn sie es sind, haben sie den Teufel, ihren »General«,582 tatsächlich zu fürchten. Die schreckenerregende Furchtlosigkeit jedoch, die sie dabei zur Schau tragen, entlarvt der rechte Christ nur allzu leicht als unzureichende Verkleidung von Angst. So berichtet Philander von seinen Gesellen Bobowitz und Laffal: e
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»Grosse Wort/ viel Auffschnitte/ vnd machtiges Betrowen musten wir von diesen e beyden horen/ wie sie dies vnd das mit vns vornemmen/ vnd so mit vns vmbgehen e wolten; als die im Krieg aufferzogen waren/ manchen hingericht/ manchen nidergelegt/ manchem das Liecht außgeblasen/ manchen schlaffen gelegt/ manchen Pfaffen e gefressen vnd Landsknechte geschissen hatten. […] Aber warhafftig wuste ich in meinem Hertzen vnd sahe es auß allem ihrem Wesen/ Thun vnd Geberden/ daß sie so toll nicht waren/ als sie sich es gegen vns annahmen. Sie waren eben geartet wie alle solche Großsprecher vnd Eisenbeisser pflegen/ die Schwerter vnd Degen/ Dolchen vnd Rappier/ Pferde vnd Pistolen/ Fewer vnd Dampff im Munde haben … .«
576 Ders., Soldaten=Leben, S. 740. Bereits zuvor hatte sich Philander »verwundert«, »daß so grewliche Thaten nicht eher an vns getadelt vnd gestrafft worden« (S. 710); er kannte »das e Lob vnd Tranckgeld/ so die jenige zu hoffen hatten/ die auß Tag nacht/ vnd auß Nacht tag zu machen pflegen« (S. 600). 577 Für Soldaten war die Lage besonders brisant, hatten sie doch beständig mit der Möglichkeit eines »plötzlichen Todes« zu rechnen: ders., Soldaten=Leben, S. 798. 578 Ders., Soldaten=Leben, S. 664 – 670, 734. 579 Wer christlich ist, den betrachten diese Unchristen als Antichrist; das Gute erklären sie zum Bösen: ders., Soldaten=Leben, S. 675: »[D]er ist deß Teuffels, sprach Laffall/ der der e Frombste ist.« Und S. 711 f.: »[D]er ist deß Teuffels der in die Kirchen geht. Der ist deß e Teuffels der Predig horet. […] der ist deß Teuffels der etwas vmb Gottes Willen gibt«. Ähnlich: S. 590, 666 – 682, 696 f., 720, in der Zusammenschau: S. 735. 580 Ders., Soldaten=Leben, S. 664 – 670, 705 – 709, 734. 581 Ders., Soldaten=Leben, S. 675: »Ihr Herren/ sprach der Schultheiß/ wisset ihr auch/ e welcher der frombste Soldat seye? Sie sprachen/ Nein; und sahen einander an/ dann ieder e e forchtete er mochte der sein«. 582 Ders., Soldaten=Leben, S. 709.
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Recht eigentlich, so das Fazit, war es ihnen doch »scheißbang« »im Hertzen«.583 Diese »Bangigkeit« ist nicht die Furcht von Soldaten, die an fragwürdigen Tapferkeitspostulaten scheitern. Diese Söldner sind nicht selbst zu Opfern ihres Krieges geworden; vielmehr fürchten sie diejenigen, die sie zu Opfern gemacht haben und in deren Tugend ihre eigene Verwerflichkeit sich spiegelt. »Es müssen e ja«, so Philander, »diese Kerls in ihrem Gewissen versichert sein/ was sie fur ein Ende zugewarten haben: weil sie ihre sach selbsten so wohl bestellen/ vnd in deß Raben magen/ das ist/ am liechten Galgen erwehlen: Also daß wohl zu besorgen/ e wie ein anderes Soldthatisches Spruch= oder Vexirwort lauttet: Es werde ihnen kein Hund auff das Grab seychen/ Er lauffe dann eine Leiter hinauff.«584 Aus Sicht des Bekehrten fürchteten eigentlich auch jene den Frevel (in ihrem Herzen), die sich willentlich für ihn entschieden: indem sie selbst wussten um die Frevelhaftigkeit ihres Tuns. Die demonstrierte Furchtlosigkeit dieser Soldaten scheint ihm keine christliche Tapferkeit, sondern der Beweis für die Unchristlichkeit ihrer Gewalt; hinter der Maske von frohgemuter Aufschneiderei und hochfahrender Rede tritt ihre »Verzagtheit« zu Tage. Die ist nicht selbst die Furcht vor Strafe, aber mit dieser unmittelbar assoziiert. Und sie brachte, wie auch Speers Simplicissimus und jeder Militärkundige wusste,585 nicht nur das Seelenheil in Gefahr, sondern im Kampfgeschehen auch das körperliche Leben: »Warhafftig ist es/ hundert vnd aber hundert werden also vor der Faust erstochen/ vnder denen nicht wol viere mit einem rechten Muth vnd vnverzagten Hertzen auff die Wise gehen. Ich selbst wolte deren etliche mit Namen nennen/ vnd mit Fingern zeigen e e e konnen/ welche/ zu Bemantelung ihrer Zaghafftigkeit/ in dergleichen Fallen gedantzt/ e gesungen/ gesprungen/ vnd sonsten allerley Frohligkeit sich genommen haben/ die e doch im Hertzen gezittert als ein Laub/ geschwitzet als ob sie in einem Frantzosischen 586 Bad gesessen.«
Wenn hier nicht allein das Erleiden, sondern auch das Ausüben von Gewalt aus der Angst vor ihr abgeleitet wird, so klingt das zunächst nach einer Einsicht moderner Gewalt- und Traumapsychologie. Der Eindruck freilich trügt. In Moscheroschs Soldaten=Leben ergeht der Appell an die rechte christliche »Tugend« des Krieges, an die Gottesfurcht des Soldaten,587 die nicht nur die Furcht im Kampf überwindet, sondern damit auch die Überlebens- und Siegchancen erhöht. Philander hat es für sich erkannt und fordert es von den anderen: Wer auf Gottes Wort und Befreiungstat vertraut: wessen Gewissen schreckerfüllt erkannt hat, dass der lebensgefährliche Schrecken der Opfer auf 583 584 585 586 587
Ders., Soldaten=Leben, S. 728. Ders., Soldaten=Leben, S. 727. Speer, Dacianischer Simplicissimus, S. 225. Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 728 f. Ders., Soldaten=Leben, S. 671, 746, 795 f., zit. 795.
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die Täter zurückfällt,588 wer erkannt hat, dass Gott den, der das erkannt hat, nicht e »verderben« lässt,589 der wird aus der »grosten Angst vnd Noth« befreit, nicht allein aus der Gefahr des Lebens, sondern ebenso aus der des »Verzweifflen[s]«: der rettet das Seelenheil, das er verspielen würde, wenn er meinte, es verspielt zu haben.590 Hier manifestiert sich die spezifische Einheit von Umkehr- und Überlebensnarrativ. Philander, so stellt es die autobiographische Romanform vor, formuliert seine Einsicht, nachdem und weil er überlebt (»bestanden«) hat,591 und er hat überlebt (wie er einsieht), weil er zu dieser Einsicht gelangt ist. Auch hier kommt, mit Dank, die eigene Furcht als überwundene zur Darstellung: die erlittene Furcht und die Furcht eines Gewissens, das erkannt hat, dass die erlittene Furcht diejenige vergalt, unter der andere zu leiden hatten.592 Im Soldaten=Leben wird eine verkehrte Welt des Krieges enthüllt, um ihr die rechte des himmlischen Friedens entgegenzustellen; in der beschriebenen Unordnung der Menschen593 scheint die wahre göttliche Ordnung auf. Von einer Erschütterung der Theodizee ist auch da, anders als Schäfer meint, nichts zu vermerken: durchaus kein »Zweifel an der Vorsehung Gottes, insofern sie Leben und Schicksal des einzelnen Menschen bestimmt (providentia privata)«.594 Dies zeigt sich auch in jener Passage des Romans, die auf den ersten Blick den vornehmsten Beweis für Schäfers These zu erbringen scheint.595 Nach dem erwähnten Untergang des zerschossenen Schiffes reift bei Philander und einem »Doctor der Artzney«596, seinem Begleiter und Bruder im Geiste, nicht allein die Bereitschaft »durchzugehen«; zwischen ihnen entspinnt sich darüber hinaus ein e skeptischer Diskurs »wie es müglich ware/ daß so viel ehrlicher Leute/ eben mit e e einander/ alle hatten mussen sterben/ auff eine Stunde/ an einem Orth/ und auff eine Weise[,] da sie doch sonder zweiffel nicht alle eine Geburts=Stunde oder Himmels Zeichen wirden gehabt haben.«597 Der zunächst naheliegende Schluss des Doktors, dass dann eben doch »sie alle nothwendig einerley Geburts=Zeie chen musten gehabt haben«, kann Philander nur befremden. Er hält dem Mediziner den Unterschied »zwischen einer Allgemeinen Ursache/ und zwischen e einer Eigenstandigen Ursache« entgegen »vnd daß Jene Diese übertreffe in e
588 Philander war am Ende »so wol wegen der Stoß die mir der Bobowitz [einer seiner e e Spießgesellen] gegeben/ als wegen Mude/ Schrecknus/ Hungers/ Bekummernus vnd Gee stancks todtlich kranck«: ders., Soldaten=Leben, S. 775. 589 Ders., Soldaten=Leben, S. 768. 590 Ders., Soldaten=Leben, S. 773. 591 Vgl. insbes. ders., Soldaten=Leben, S. 832. 592 Vgl. auch ders., Soldaten=Leben, S. 583. 593 Ders., Soldaten=Leben, S. 663, 707. 594 Schäfer, Der Dreißigjährige Krieg, S. 310 f., 313, zit. 310. 595 Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 610 – 614. 596 Erstmalig erwähnt auf S. 598 des Soldaten=Lebens. 597 Ders., Soldaten=Leben, S. 610 f.
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allem.« Dabei kann er sich »zum Exempel« auf die »tagliche Erfahrung« berufen und auf die Geschichte: auf vergangene Schlachten zu Lande, auf Unfälle zur See, bei denen »biß in 40000. vnd mehr Mann auff ein mal umbkommen seind«, auf Seuchen und Epidemien und auf das Jahr 1631: e
»Es ist einer von glucklicher Geburt/ vnd vnder einem Zeichen Lang=Lebens geboren/ e e e ziehet aber und wohnet in einer Statt/ uber die ein großes Ungluck verhanget ist/ als bey vnsern Zeiten/ nach Magdeburg etc. der wird mit Gemeiner Statt zugrunde gehen/ ob er schon noch so gute Zeichen in seiner Geburts=Stunde wegen Lang=Lebens gehabt e hatte. Wie offt sehen wir/ daß durch ein allgemeine eingerissene Pest Leute dahin e e sterben/ die doch nach ihrer Geburts-Stunde noch viel Jahr hatten leben konnen/ und 598 sollen … .«
Die Ursachenkonkurrenz bestreitet, ganz lutherisch, die Allmacht der Sterne und konfrontiert die Astrologie mit der Theologie (ohne freilich deren Denkvoraussetzungen zu zerstören).599 Doch wie ist sie genau zu verstehen? Die »allgemeine Ursache« meint die kollektive Wirksamkeit eines akzidentiellen Geschehens im Gegensatz zu einer persönlichen (wenngleich keineswegs individuellen) stellaren Vorherbestimmung durch die Nativität. Es war die Freiheit des Menschen zum Bösen, die Gott veranlasste, diese »eigenständige Ursache« zu entkräften und eine »allgemeine« herbeizuführen: Es ist »wol wahr«, so bee lehrt Philander den Gelehrten, »daß jedem Manschen seine Zeit/ Orth vnd Weise/ zu leben vnd zu sterben von Gott vor bestimbt ist/ welche Zeit er nicht e uberschreiten kan: daß aber etliche Ihnen ihre Zeit auß eigenem erwehltem e e Vnfall verkurtzen/ das seye anderst niemands als dem Manschen selbsten zu600 zuschreiben.« Hier wird die Festlegung der Lebenszeit zur Definition ihrer Obergrenze: Fest steht, welches Alter ein Mensch im Höchstfall zu erreichen vermag; ob es gelingt, liegt an ihm selbst. Diese Grenze bestimmt Gott und nicht der Sternenhimmel; und so kann, wie »der Doktor« am Ende eingestehen muss, e e e auch ein »Gottfurchtiger« »die bose Aspecten deß Himmels uberwinden/ vnd darumb recht gesagt sey/ Biß[t] du nur fromm vnd bette gern jj So schaden dir gar nichts die Stern.«601 Es ist also die allgemeine und nicht die »eigenständige« Ursache, die in der Verantwortung des einzelnen Menschen liegt. Damit jedoch bleibt das Problem, dass gerade die allgemeine Ursache ohne Bezug zum Heilsstand der Person wirksam zu werden scheint, im Text nach wie vor ungelöst. Die Ausdifferen598 Ders., Soldaten=Leben, S. 611 f. 599 Zur epistemologischen Nähe des reformatorischen Schrift- und Geschichtsverständnisses zu hermetisch-astrologischen Erkenntnisverfahren siehe Marcus Sandl, Martin Luther und die Zeit der reformatorischen Erkenntnisbildung, in: Die Autorität der Zeit, hg. v. Brendecke / Fuchs / Koller, S. 377 – 409. 600 Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 611. 601 Ders., Soldaten=Leben, S. 614.
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zierung der Ursachen, die das »grosse[] Vngluck«602 des Schiffbruchs erklären soll, kann es noch nicht rechtfertigen. Doch auch hier findet sich eine Antwort. Für sie beruft sich Philander auf die »H. Schrifft«, die sagt: »daß offt der e Vnschuldige/ vmb der Boßheit willen vieler Schuldigen/ hat mussen das Leben lassen/ vnd zeitlich vndergehen/ dene es doch Gott an der Seele nicht wird haben entgelten lassen.«603 Die Schuldigen, die hier Schaden erleiden, erleiden ihn zu Recht; und wer unschuldig ist, nimmt am Ende keinen Schaden. Die Vergeltung wird vertagt und der Lohn der Qualen umso größer sein. Hier artikuliert sich kein schwindendes Vertrauen in die providentia privata, sondern eine Vergewisserung über ihr wahres Wesen: Gott und nicht der Sternenhimmel hat das Schicksal des Menschen verfügt. Er weiß immer schon, wer sich für ihn entscheidet (um die Macht der Sterne zu brechen), und lässt einem jeden das Seine zuteil werden. Hier gerät kein Glaubensartikel »ins Wanken«604. Nicht nur Philanders eigene Leiden, sondern auch das kollektive Sterben der anderen, wie es der Dreißigjährige Krieg auch im Soldaten=Leben in ungekanntem Maße mit sich bringt (nicht zuletzt durch Philander selbst), kann der Erzähler straftheologisch begründen, auch wenn ihm die Sanktionswege des Herrn nicht immer einsichtig erscheinen mögen. Die Verborgenheit der Gerechtigkeit Gottes war nicht mit ihrer Inexistenz zu verwechseln; sie gehörte vielmehr zu ihrem Wesen. Auch in Moscheroschs Roman braucht es den Zweifel an der göttlichen Güte, um zu ihrer Gewissheit gelangen zu können; auch hier scheint er Teil der Probe, die zum Heil qualifiziert. »DEVM esse Causam boni per se, mali per accidens«, notierte der Verfasser unter dem 24. März 1620 in seinem Schreibkalender : Gott ist Ursache des Guten wie des Bösen, des Guten nach seinem Wesen und notwendigerweise, des Bösen akzidentiell (weil eigentlich im Widerspruch zu ihm).605 Sowohl in ihrer Klage über unaussprechliches »flehen vndt jamer[,] auch forcht«,606 als auch in ihrem Vertrauen auf die Allmacht und Gerechtigkeit Gottes kommen Moscheroschs Soldaten=Leben – wie die Gesichte insgesamt607 – und sein Tagebuch zur Deckung. Über die Geschichte der Furcht und der Angst hinaus eröffnen diese Befunde eine zusätzliche Perspektive für die historische Gewaltforschung. Wie gezeigt, verweisen die unverhüllten Gewaltdarstellungen bei Grimmelshausen und 602 603 604 605
Ders., Soldaten=Leben, S. 610. Ders., Soldaten=Leben, S. 612 f. Schäfer, Der Dreißigjährige Krieg, S. 311. Adolf Schmidt, Moscheroschs Schreibkalender, in: Jahrbuch für Geschichte, Sprache und Litteratur Elsass-Lothringens 16 (1900), S. 139 – 190, hier 147 – 190, zit. 156. 606 Ders., Schreibkalender, S. 173 (19. 11. 1621); vgl. auch S. 179 (28. 6. 1622). 607 Vgl. dazu Claudia Bubenik, »Ich bin, was man will«. Werte und Normen in Johann Michael Moscheroschs »Gesichte Philanders von Sittewald«, Frankfurt a.M. u. a. 2001 (Mikrokosmos. Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung 63), S. 159 – 206.
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Moscherosch nicht auf einen frühen Zweifel an einer gütigen Vorsehung, sondern auf das Wissen um eine besondere göttliche Prüfung: um eine gewaltsame Störung menschlicher Ordnung, die sich im schreckerfüllten Gewissen der Gewalt ausübenden Person manifestiert. Die Wiederherstellung der Ordnung erfolgt über eine Umkehr des Protagonisten: über die Abkehr von seinen Taten. Der Protagonist wird zum ›Täter‹ im (Rück-)Blick auf eine Vergangenheit, die ihm nunmehr als eine verwerfliche erscheint. In einer verkehrten Welt, so die Botschaft, muss der Einzelne nicht allein sein Überleben sichern, er darf dabei vor allem nicht gegen die göttliche Ordnung verstoßen. Diese Perspektive der Gewaltausübenden ist in den Kategorien dichotomischer Täter-Opfer-Relationen nicht zu beschreiben. Denn auch sie formiert sich gewissermaßen aus der Sicht derer, die Gewalt erlitten. Mit deren Furcht vor der Gewalt der Täter korrespondierte eine Furcht der Täter vor ihren Opfern: die Furcht vor dem eigenen Gewissen, eine Angst der Soldaten, die sie nicht zu Opfern machte, sondern ihre Schuld entlarvte. Umgekehrt wiederum konnte die eigene Furcht vor der Gewalt der anderen als göttliche Strafe für die eigenen Taten aufgefasst werden; und so verliert sich hier die Grenze zwischen ›Täter‹ und ›Opfer‹, zwischen der einen Furcht und der anderen; sie verläuft stets auch innerhalb der Person: zwischen der schreibenden und der beschriebenen.608 Die autobiographische Berichterstattung im Gewand des Romans produziert eine sündentheologische Einheit von Opferstatus und Täterschaft eines Erzählers, der die Verkehrtheit der Welt und seiner selbst erkennt, die unausweichliche Einheit von Ängstigen und Geängstigtwerden, und der, als Voraussetzung ihrer Beschreibung, beides überwunden hat. Und die Poeten? Die Gedichte von Andreas Gryphius und Martin Opitz, den beiden maßgeblichen lyrischen Referenzen des Simplicissimus, erhalten immer dann eine autobiographische Form, wenn sie nicht allein von der Angst der Welt und des Lebens künden, sondern konkret von der Gewalt und der Furcht des Dreißigjährigen Krieges. Bevor in Kapitel 6 mit der schreckerfüllten Traumimagination ein neuer Aspekt in den Blick rücken wird, bringen sie das, was bisher zur historisch-kulturellen Semantik der Furcht vor Gewalt herausgearbeitet worden ist, in gebundener Rede auf den Punkt.609 608 Neben Grimmelshausens simplicianischem Zyklus und Moscheroschs Soldaten=Leben zeigen dies auch Gryphius’ Dramen Catharina von Georgien und Leo Armenius. Dazu oben Kap. 3.6. 609 Zur lyrischen Sprache der Gewalt siehe die instruktiven Überlegungen von Moritz Baßler, Zur Sprache der Gewalt in der Lyrik des deutschen Barock, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 125 – 144. Zur Gewaltdarstellung im Trauerspiel vgl. Arnd Beise, Verbrecherische und heilige Gewalt im deutschsprachigen Trauerspiel des 17. Jahrhunderts, in: Ein Schauplatz, hg. v. Meumann / Niefanger, S. 105 – 124.
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Martin Opitzens Trostgedicht In Widerwertigkeit Deß Kriegs ist ein memoe riales Poem. Es berichtet von der »nie gehort[en]« »Tyranney« des Dreißigjährigen Mordens,610 wie sie prophezeit worden war von einem »grausamen« Kometen, dessen »Fewerschwantz die Sternen selbst erschrecket«;611 es erzählt von Grausamkeiten, wie sie die »Heyden« »noch nicht gethan«612 und die ihre e Opfer, so sie überlebten, »halb fur Schrecken todt«613 zurückließen. Die »grimmige Gewalt« dieses Krieges, so Opitz, verwirrte die »Ordnung der Natur«,614 dass es sogar »den wilden Feind im Lager selbst erschreckt.«615 Sie war selbst dort, wo der Krieg nicht war : »Ist noch ein Ort dahin der Krieg nicht kommen sey/ jj So ist dennoch nicht gewesen Furchte frey.«616 »Ein jeder ist verzagt: Eh’/ als der Feind noch kommen/ jj Da hat die Furchte schon viel Oerter eingenommen/ jj Vnd Oberhand gehabt.«617 Der Erzähler beschreibt und erinnert diese Furcht, auch wenn er so recht nicht von ihr sprechen will: »wiewol man frische Wunden jj Nicht viel betasten e sol«.618 »Mir schuttert Haar vnd Haut/ jj Wann/ daß ich dencken wil/ was ich nur 619 angeschawt.« »Graw vnnd Schew« ob des Vergangenen setzen seinem Schreiben eine Grenze. Viel will dieser fiktive Augenzeuge »mit schweigen vbergehn«, um seiner selbst willen und »derer wegen auch[,] die nach vns kommen sollen«.620 Doch er »wil« es nicht nur, er »muß auch«; denn selbst wenn er wollte: Des »Feindes harte Sinnen« würde er nicht »genug beschreiben e konnen«.621 Dessen ungeachtet wird erzählt, was erzählt werden kann. Und so ist auch hier die »Unbeschreiblichkeit« ein Problem des verfügbaren Raumes zum Schreiben: eine Frage der Quantität der Worte und nicht der Qualität einer durch Worte (nicht adäquat) repräsentierbaren Empfindung. Damit ist das Problem auch hier ein religiöses. Am Ende konnte der Erzähler niemanden verschonen, weder sich selbst noch seine Leser. Auch wenn es schmerzte wie der erinnerte Schmerz: Das Gedenken an die Furcht des Krieges tat Not, weil es eine Vergeltung erinnerte: dafür, dass »die Gottesfurcht auch mehrentheils verschwun-
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610 Martin Opitz, Trostgedicht In Widerwertigkeit Deß Kriegs: In vier Bucher abgetheilt/ Vnd vor etlichen Jahren anderwerts geschrieben, in: ders., Gedichte. Eine Auswahl, hg. v. Jan-Dirk Müller, Stuttgart 1970, S. 32 – 72, I, 123. 611 Ders., Trostgedicht, I, 225 f. 612 Ders., Trostgedicht, I, 167 f. 613 Ders., Trostgedicht, I, 111. 614 Ders., Trostgedicht, I, 131, 242. 615 Ders., Trostgedicht, I, 136. 616 Ders., Trostgedicht, I, 67 f. 617 Ders., Trostgedicht, I, 105 – 107. 618 Ders., Trostgedicht, I, 54 f. 619 Ders., Trostgedicht, I, 107 f. 620 Ders., Trostgedicht, I, 173 – 176. 621 Ders., Trostgedicht, I, 121 f., 176.
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den«.622 Wenn der Mensch das Gute flieht und Böse liebt, so Opitz, dann »kompt e es/ daß der HERR/ diß Schrecken in vns jagt«.623 »Creutz/ Vngluck/ Angst vnd e Qual ist vnser Prufestein.«624 Die »Unbeschreiblichkeit« dieser Angst erscheint e als Spiegel von Sünden, deren »Zahl noch grosser [nicht] wachsen kan«.625 Über die Maßlosigkeit des Vergehens, das sie sanktioniert, wird die Angst ihrerseits in numerischen Kategorien bestimmt. Das Gedicht stellt klar : Um zu erfassen, was der Mensch getan hat, reichen seine eigenen Kapazitäten nicht aus, und Gleiches gilt für die Furcht, mit der er dafür bezahlt. Der Text schließt die quantitative Bestimmung des »Unbeschreiblichen« mit dessen bußtheologischer Funktion zusammen, und so muss er von dem, was unbeschreiblich erscheint, so viel als möglich beschreiben. Der Schmerz der Erinnerung vergalt den Gott zugefügten Schmerz. Das »Unbeschreibliche« indizierte damit nicht die Inexistenz eines göttlichen Raumes (der Vorsehung), sondern die Begrenztheit des menschlichen: des Raums des Textes (bei der Beschreibung der Angst) und des Raums des Körpers und der Welt (in der »Angst«, die beschrieben wird). Das »Unbeschreibliche« stellte der Enge der Sünde die unendliche Weite des Heils entgegen. Die mahnende Erinnerung daran versprach immer auch Trost: dass sich der Raum des Göttlichen öffnete all denen, die um die Begrenztheit des menschlichen wussten. Die »Angst=Presse«,626 so die frohe Botschaft, war nicht allein unvermeidlicher Teil eines jeden irdischen Glücks, sondern auch die Bedingung, von ihr erlöst zu sein – hier und jetzt (weil beständig in Angst leben würde, wer meinte angstfrei leben zu können)627 und nach dem Tod: »O wol dem/ welchen Gott hier/ als ein Vatter quelet/ jj Der wird hernach gantz frey/ gantz quit vnd loß gezehlet! jj Den Gott mit Trewen meynt/ den er von Hertzen e e liebt/ jj Wird von den Bosen hier gepresset vnd betrubt.« Und das heißt umgekehrt: »Die jetzt mit Sicherheit im Rosengarten sitzen/ jj Die werden anderswo e e mit schrecken mussen schwitzen.«628 »Vngluck« »von aussen« konnte das
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Ders., Trostgedicht, I, 197. Ders., Trostgedicht, I, 283. Ders., Trostgedicht, I, 296. Ders., Trostgedicht, I, 279. Hacke, Angst=Presse. Diesem Irrtum erlag, wer sein Heil und Glück in körperlichem Wohlbefinden suchte: e Opitz, Trostgedicht, II, 245 – 254: »Wie thoricht handeln dann die jhnen lassen grawen jj e e Fur dem/ was Menschlich ist/ die nicht zurucke schawen/ jj Was sie doch selber sind/ vnd e leben Furchte voll jj Fur dem/ was keiner nicht vermeyden kan noch soll. jj Wer seine Zuversicht dem Wesen hat ergeben/ jj Das nur den Leib betrifft/ der kan nicht ruhig leben/ jj e e Der muß in angsten stehn. Kein Gluck ist also frey jj In dem nicht etwas noch von Angst vnd Kummer sey : jj Man findet allzeit was das man nicht haben wolte/ jj Vnd allzeit mangelt was das nicht gebrechen solte.« Frei von Furcht waren nicht einmal die Majestäten (II, 291 f.): »Wie hoch jhr Sitz auch sey/ jj So ist er dennoch nicht von Angst vnd Sorgen frey.« 628 Ders., Trostgedicht, I, 437 – 442.
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»Herz« nicht bedrängen.629 Das Herz wurde geängstigt nur, wenn das »Gewissen«630 die Stimme erhob; in dieser Klage jedoch wurde die Angst zur Grundlage ihrer eigenen Überwindung. Die Welt erschien als »Angst«: als »eng«, weil es eine Weite hinter und nach ihr gab – und nicht umgekehrt: Der Glaube an eine Welt nach der Welt Ende hatte nicht die Aufgabe, eine innerweltliche, »traumatische« Angst zu »bewältigen«. Dies ist eines der großen Themen des Andreas Gryphius.631 Besonders in seinen Gedichten ist die Angst präsent, vielfach in topischer Assoziation mit »Not« und »Pein«. Sie kennzeichnet den bösen und eitlen Traum eines Lebens, aus dem der Mensch erst mit dem Tod erwacht.632 Die dreißigjährige Mordbrennerei ist hier lediglich ein Teil dieses »Lebenß Traums«;633 die bei Gryphius beschriebene Angst ist mitnichten auf diesen Krieg beschränkt.634 Anders als vielleicht zu erwarten, steht die Furcht vor seiner Gewalt nicht in den Threnen des Vatterlandes im Vordergrund, sondern etwa in der Grabschrifft Marianæ Gryphiæ e seines Brudern Pauli Tochterlein. Mit diesem Epigramm beklagt der Dichter den frühen Tod seiner Nichte, die noch in der Nacht nach ihrer Geburt im Brand von Freystadt ums Leben kam. Auch wenn seine Ursache ungeklärt ist, führt Gryphius das Feuer auf die Kriegsereignisse zurück: »Gebohren in der Flucht/ umbringt mit Schwerd und Brand/ e Schir in dem Rauch erstuckt/ der Mutter herbes Pfand/ 629 Ders., Trostgedicht, II, 457 f. Ähnlich auch II, 609 – 612: »Im Hertzen liegt verborgen/ jj Was nicht genommen wird/ was frey ist aller Sorgen: jj Diß/ was hieraussen ist/ was niemand halten kan/ jj Mag fliehen/ wann es wil; es geht vns gar nicht an.« 630 Ders., Trostgedicht, I, 280. 631 Georg Braungart interpretiert die Gryph’schen Gedichte (und nicht nur sie) nicht als Akt einer religiösen, sondern einer spezifisch ästhetischen Krisenbewältigung: als Selbstbehauptung eines »von der Vernichtung bedrohten Ich«: Georg Braungart, Poetische Selbstbehauptung. Zur ästhetischen Krisenbewältigung in der deutschen Lyrik des 17. Jahrhunderts, in: Krisen des 17. Jahrhunderts, hg. v. Jakubowski-Tiessen, S. 43 – 57, zit. 56. Claudia Benthien deutet die providentielle Zeitstruktur des vanitas-Topos traumapsychologisch (und damit in den Kategorien moderner temporaler Linearität) und, in Verbindung damit, die »Angst« der Barocklyrik existenzialphilosophisch: Claudia Benthien, Vanitas, vanitatum, et omnia vanitas: The Baroque Transience Topos and Its Structural Relation to Trauma, in: Enduring Loss, hg. v. Tatlock, S. 51 – 69, zur traumatischen »Existenzangst« des Dreißigjährigen Krieges S. 61. Zu den religiösen Implikationen der Gryph’schen Lyrik siehe auch Wolfram Mauser, Dichtung, Religion und Gesellschaft im 17. Jahrhundert. Die »Sonnete« des Andreas Gryphius, München 1976. 632 Zum Traum siehe oben Kap. 3.6 und vor allem unten Kap. 6. Zur Angst bei Gryphius vgl. auch Isabella Rüttenauer, Die Angst des Menschen in der Lyrik des Andreas Gryphius, in: Aus der Welt des Barock, hg. v. Richard Alewyn, Stuttgart 1957, S. 36 – 55. 633 Andreas Gryphius, Menschlichen Lebenß Traum, in: Dissertationes funebres, S. 324 – 332. 634 Vgl. nur ders., Threnen in Schwerer Kranckheitt, in: Sonette, S. 59, Vers 13 f.: »Itz was vndt morgen nichts/ vnd was sind vnser thaten? jj Ein mitt viel herber angst durchaus vermischter traum.«
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e
Des Vatern hochste Furcht/ die an das Licht gedrungen/ Als die ergrimmte Glutt mein Vaterland verschlungen. Ich habe dise Welt beschawt und bald gesegnet: Weil mir auff einen Tag all Angst der Welt begegnet. Wo ihr die Tage zehlt; so bin ich jung verschwunden/ e Sehr alt; wo fern ihr schatzt/ was ich für Angst empfunden.«635
Obwohl zunächst nicht unmittelbar ersichtlich, enthalten auch diese Zeilen die Semantik der »Unbeschreiblichkeit« und illustrieren deren historische Spezifik. Die rhetorische Maximierung erfolgt durch die paradoxe Berechnung des Lebensalters nach dem Angsterleben. Obgleich zum frühstmöglichen Zeitpunkt verstorben, hat Mariana das höchstmögliche Alter erreicht, da sie in der Zeit ihres allzu kurzen Lebens bereits die größtmögliche Angst erfahren hat; indem ihr »all Angst der Welt begegnet« ist, hat sie ein ganzes Leben gelebt. Durch ihre inverse Verknüpfung mit der Zahl der Lebenstage wird das Ereignis dieser Angst gewissermaßen mathematisiert. Durch die steigerungstopologische Komprimierung des Größten auf das Kleinste wird auch hier eine Unbeschreiblichkeit suggeriert, die sich dem quantitativen Ausmaß des zu Beschreibenden verdankt und nicht seiner Qualität. Im verabsolutierenden »all« wird Angst über ihre Menge bestimmt und nicht über eine Intensität ihres Erlebens.636 Eine derartige Verabsolutierung setzt die Überwindung des Beschriebenen voraus; diese Perspektive wird in Gryphius’ Epigramm in besonderer Weise pointiert. Die Erzählerin, die hier berichtet, hat nicht überlebt, davon handelt ja ihre Rede. Tot freilich, sonst könnte sie nicht sprechen, ist sie nicht. Mariana ist 635 Ders., Grabschrifft, in: Oden und Epigramme, S. 209. Die erste eingehende Interpretation des Gedichtes wurde vorgelegt von Antje Ernst / Mathias Ernst, »Ich habe dise Welt beschawt und bald gesegnet: Weil mir auff einen Tag all Angst der Welt begegnet.« Kriegserfahrungen im Spiegel von Andreas Gryphius’ Grabschrift für seine Nichte, in: Zwischen Alltag und Katastrophe, hg. v. von Krusenstjern / Medick, S. 497 – 506. Vgl. auch Dirk Niefanger, Affekt und Katastrophengedächtnis bei Andreas Gryphius, in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2, S. 941 – 950, hier 945 f. Weitere Berichte vom Stadtbrand: Andreas Gryphius, Fewrige Freystadt. Erste Neuedition seit 1637. Text und Materialien, hg. v. Johannes Birgfeld, Hannover 2006 (die Schrift schließt mit dem Gedicht Uber den Untergang der Stadt Freystadt); ders., Menschlichen Lebenß Traum, in: Dissertationes funebres, S. 324 – 332. 636 Vgl. auch Opitz, Trostgedicht, I, 177 – 179: »Ey! ey! du werthes Land/ was kanstu doch e erfahren/ jj Das nicht genugsam schon in diesen kurtzen Jahren jj An dir verubet sey?« Einen anderen Akzent setzt Gryphius’ Sonett Auff den Tag der vnschuldigen Kindlein. Matth.11 (in: Gryphius, Sonette, S. 228 f., Vers 1 – 8), da es nicht den Krieg beschreibt. Auch hier jedoch wird Angst in quantitativen Kategorien gefasst: »NIcht! klage Rachel nicht! ob gleich dir zarte Reben jj Die Kinder deiner Brust in Auffgang ihrer Zeit/ jj Von e mehr als grausem Sturm/ der Schwerdter abgemayt! jj Es ist so gantz nicht auß! ach traure e e nicht! sie leben. jj Die Lamblein so ihr Blutt furs wehrte Lamb gegeben/ jj Sind itzt nach kurtzer Angst/ und kaum erkandtem Leid/ jj In dem besternten Sitz der grossen Herrligkeit/ jj In dem sie Gottes Rath/ vnd hohes Lob erheben.«
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umgezogen, gewissermaßen, aus dem irdischen »Angsthauß« ins »Lusthauß« des Himmels;637 mit der Welt und ihrem eigenen Körper hat sie auch deren bedrängende Angst zurückgelassen. Erst jetzt (und hier), erst im Jenseits, kann sie sagen, ihr sei sämtliche Angst des Diesseits begegnet. Als sie starb, verließ sie einen »Schauplatz«, der nicht nur die Welt meint, sondern stets auch die einzelne Person: »WAs sind wir menschen doch? ein wohnhaus grimmer schmertzen. […] Ein schawplatz herber angst/ vnd wiee e derwertikeit«.638 Und: »Ich Schau=Platz grauser Plagen/ jj Schrey fur vnd fur umbsonst!«639 Die persona, die hier »ich« sagt, spielt ihre Rolle auf der Bühne der Welt und ist nicht etwa jemand, die sich vom Theater des Lebens zurückgezogen hat. Die Angst, die sie verspürt, ist ein äußerer Zustand, genauer : eine affektuelle Befindlichkeit, die einer Logik der Dichotomisierung von »Innen« und »Außen« noch nicht folgt. Dieser Zustand ließ sich quantifizieren, weil er qualitativ für alle Menschen gleichwertig schien. Der einzelne Mensch war der »Schauplatz« der Bedrängnis, wie diese Welt sie mit sich brachte, und wurde noch nicht als Individuum mit einzigartiger und ineffabler Angstempfindung konzipiert. Wenn Martin Opitz den »blawen Dunst jj Vnd Nebel« der »Beredten Kunst« zu vertreiben unternimmt, um »den harten Fall« offenzulegen, »den wir seyther e e empfunden/ jj Vnd manniglich gefuhlt«, dann lüftet er keinen Schleier von einem Arkanum verborgener Innerlichkeiten, sondern beschreibt, was alle traf (und bedient sich dabei einer Rhetorik der Rhetorik-Kritik).640 Diesen »Schauplatz herber Angst«, wie ihn Gryphius und Opitz entwerfen, konnte nur »anschauen«, wer ihn bereits verlassen hatte. Wer hier von der eigenen Angst sprach, betrachtete sie auf der Bühne des affektuellen Erlebens: aus sicherer Distanz.641 So ist auch hier die beschriebene Angst abwesend und vergangen. Und das heißt: Auch in der Lyrik des Dreißigjährigen Krieges kommen Furcht und Angst nur dann zur Sprache, wenn zugleich die Bedingung für ihre Überwindung formuliert und deren trostreiche Gewissheit verkündet wird. So ergibt sich die Summe: In den Selbstbeschreibungen der Zeit scheinen die Räumlichkeit des Angst- und Furchtaffekts, seine Quantifizierbarkeit sowie die Möglichkeit und das Faktum seiner heilsgeschichtlichen Überwindung untrennbar miteinander verkoppelt.
637 Vgl. dazu auch Ernst / Ernst, Kriegserfahrungen, S. 504. 638 Andreas Gryphius, Menschliches Elende, in: Sonette, S. 35, Vers 1 und 3. e 639 Ders., Auff den Sontag deß mit uns kampfenden Heylands/ oder Reminiscere. Matt. 15, in: Sonette, S. 198, Vers 1 f. 640 Opitz, Trostgedicht, I, 53 – 56. e 641 So auch ders., Trostgedicht, I, 107 f.: »Mir schuttert Haar vnd Haut/ jj Wann/ daß ich dencken wil/ was ich nur angeschawt.«
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Es ist damit zu resümieren: Die untersuchten autobiographischen Texte aus den Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts, seien sie literarischer oder nicht-literarischer Art, erschließen die Grenzen einer religiösen, moralischen und kosmologischen Ordnung, die sich in der vielschichtigen Unterscheidung von Furcht und Furchtlosigkeit formiert. Die vielfältigen Erzählungen von »Erschrecklichem« und Furchterregendem sowie dessen (zumeist) religiöse Deutung sind kein Beleg für ein pathologisch erhöhtes Furchtpotential vor der Aufklärung: nicht für historische Krisen und traumatische Umbrüche und auch nicht für deren mentale und psychische Bewältigung, sondern sie verweisen auf qualitativ andere Konzeptualisierungen von »Furcht« und »Angst«: auf die Vorstellungen davon, welche Furcht sein sollte und welche nicht, welche Ursachen Furcht hatte und welche Wirkungen und wie mit ihr umzugehen sei. Werden die analysierten Überlebens- und Umkehrgeschichten in den Kategorien des Krisen- und Bewältigungsparadigmas interpretiert, so wird Religion als sinnstiftender Reflex und als Therapeutikum eines anthropologisierten und psychologisierten Angst»Gefühls« vorgestellt und damit ein aufklärerisches Denken fortgeschrieben, das Religion und Furcht wechselseitig auseinander erklärt und sich in der proklamierten historischen Überwindung beider konstituiert: in der begrifflichen Entwicklung eines »Subjekts«, das sich selbst vertraute in Abgrenzung von einer Tradition, die auf Gott vertraut und, in den Augen der Aufklärer, dieses Vertrauen mit Furcht bezahlt hatte. Aus semantischer Perspektive dagegen spricht aus den Furchtbeschreibungen des »martialischen Saeculums« keine »defizitäre« oder »versteckte Subjektivität«,642 keine Ablenkung vom »Ich« und kein verhinderter »Rückzug nach Innen«,643 sondern eine andersartige Auffassung von »Innerlichkeit«: von der Ordnung der »Person«.
642 Die Zitate bei Merzhäuser, Das ›illiterate‹ Ich, S. 5, 15. 643 Die Zitate bei Benignavon Krusenstjern, Buchhalter ihres Lebens. Über Selbstzeugnisse aus dem 17. Jahrhundert, in: Das dargestellte Ich, hg. v. Arnold / Schmolinsky / Zahnd, S. 139 – 146, hier 144.
6. Schrecken der Nacht: Die Furcht und die Macht des Traums
»Life is a dream. ’Tis waking that kills us.« Virginia Woolf, Orlando
Im Jahre 1606, im Alter von etwa zehn Jahren, hatte Augustin Güntzer einen Traum: »In meiner Jugent begeynet mihr in einem Traum in der Nacht in meines Vatters Hauß, wie daß ein Mandt an der Schellen leidtet, da man zu Mitdag ißet. Da sprach mein Vatter zu mihr : Bub, lauff hinunder, frag, wehr da leidtet? Ich lieff eilens die Stiegen hinunder, damit ich im Essen nichts versaime, undt schrey zur Stiegen hinab: Wehr e leidtet da? Da stundt ein erschrocklicher schwartzer Man vohr der Dihren undt sprach, er sey da undt seye der Teiffel. Kom herunder, du mußt mit mihr streitten und schlagen. Da sprach ich: Sole ich nit dihr schlagen, mache dich fordt, du hast mit mihr nichts zu thun. Er sprach zu mihr : Du mußt es aber thun undt mit mihr streitten. Da sprach ich: Dieweill ich es thun muß, so komen dan die heiligen Engel vom Himel heraber, mich zu bewahren. Ich w[e]iß, daß Gott stercker ist dan du. Gottes Engelin werden mich fihr dihr bewahren, undt sein heiliger Geist, der wirdt mich regieren, daß du mihr keinen e Schaden wirst konen zufiegen. Dieweil es dan mit Gewalt sein muß, Her, dan ich wille dich mit der Gottes Hilffe woll ermeistern. Da nam ich einen Stecken in mein Handt. e Als ich zurr Dihren hinauß ging, so kamen 4 schone weiße Engelin vom Himel herunder, trugen mich uber daz Waßer vohr meines Vatters Dihren under eine Pricken uber dem Waßer, mich alda bewardt. Der F[e]indt reittet auff ein schwartzen Pferdt, e bewapnet mitt einem Sper und Schwerdt, auff mich dar, wollet mich ermordten und e nidermachen. Ich erwohret mich aber seiner mitt meinem Stecken. Die Engelin hielten e mich vest, ich schlug also dapffer auff i[h]n zue undt sprach: Sieh du boßer Findt, ist nicht Gott stercker dan du? Hab ich nicht die Schlacht erhalten wider dich? Da erwachet ich auß dem Schlaff undt danckete Gott, daz es nuhr ein Traum wehr. Sagt es meinem e Vatter an. Er sprach: Daz ist fihrwahr ein boß[e]r Traum, Gott helffe. Ach Gott, ich muß dihr klagen, wie ich armer J[ü]nglin in einem schwehren, bessen Traum lag, wie ich e mitt dem beßen Feindt muß streitten und kompffen. Ach Her, mein Hertz ist mihr betriept. Ich ferchte, es wirdte wahr werden. O du heiliger Gott, erbarme dich uber mich undt gibe du mihr deinen heiligen Geist, der mihr hilfft streitt[en] wider alle meine Findte, auff das ich ein christlicher Ritter erfunden mecht werdten. Wan mihr angst ist, ruff ich deinen Namen an, dan ich weiß, daz du gern hilffest. So hilffe mihr um Christi, deines Sones, willen. Am[e]nt.«1 1 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 14r – 15v. Vgl. auch Bl. 13r/v.
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Augustin Güntzer erzählt einen bösen Traum, und er notiert seine Furcht, dass er wahr werden könnte. Anfang der zwanziger Jahre sowie 1650, so schien es ihm, war das Befürchtete tatsächlich eingetreten: Im Rückblick auf sein bisheriges Leben musste Güntzer feststellen, dass es sich als ein unausgesetzter Streit des Kreuzesschülers gegen den Teufel gestaltet hatte und auch weiterhin gestalten sollte: als Kampf des miles christianus gegen die Mächte des Bösen in der Welt und gegen das Böse in ihm selbst.2 Im Traum erhielt Güntzer ein Zeichen – ein Zeichen, das Orientierungsgewissheit versprach für künftiges Handeln und zugleich in Ungewissheit hielt über seine Bedeutung. Es versetzte in Furcht, wie all die anderen monstra und e Prodigien auch,3 nicht allein, weil die Zukunft, die es anzeigte, »erschrocklich« war, sondern auch, weil unsicher blieb, ob sein Bild Wirklichkeit werden würde. Das für die Furcht konstitutive Moment der Imagination (und das heißt auch: die mit Furcht affizierte imaginatio) entwickelte eine Macht, die im Modus des Traums nicht etwa eine Verminderung, sondern eher noch ihre Steigerung erfuhr. Als ausgezeichnetem Medium der Divination konnten dem Traum exklusiver epistemologischer Status und erhöhte Wirklichkeitsmächtigkeit zugesprochen werden. Mit dieser Möglichkeit wiederum erhielt der Traum selbst eine besondere Bedrohlichkeit: angesichts der Gefahr, sich in ihm zu täuschen, seine Zeichen falsch zu verstehen und so zu seiner ungewollten Erfüllung beizutragen. Mit der frühneuzeitlichen Neuformulierung des antiken Traummodells unter christlichen Vorzeichen gewann der divinatorische Traum eine spezifische Relevanz für die Selbstbeschreibung des Menschen in der Geschichte des eigenen Handelns. Dieser Traum sagte die Zukunft nicht allein voraus, sondern warnte auch vor ihr, um vor Gefahren zu schützen: um Entscheidungen über Zukünftiges zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund erhielt die Kategorie der furchterregenden Traumimaginationen eine besondere Virulenz. Gegenstand des vorliegenden Kapitels sind nicht lediglich autobiographische Erinnerungen an vergangene Träume; Thema ist ein autobiographisches Erinnern an ein Leben, das als die Erfüllung vergangener, warnender Träume beschrieben wird. Drei Beispiele sollen zeigen, wie das Schreiben über das eigene Leben als Bericht 2 Vgl. ders., Kleines Biechlin, Bl. 102r/v, 217v– 219r, zit. 218r/v: »Ich schreye zu Gott, bittete i[h]n e allstiindlich um seinen heiligen Geist, der mihr hilffet streitten wider dißen mochtigen Fiinde, e darmit ich ein christlicher Ritter erfunden mocht werden alhie auff Erden. Gleich wie ein Kriegesman streittet wider seinen Feinde, biß er i[h]ne im Kampff uberwindet undt seiner Meister wirdt, zu Boden schmeißete, also hofft ich, mit Gott im Himel dißen Fiindte auch zu Boden zu schmeißen undt den Sig darvon tragen. Gott wirdte mihr zugeben seine heillig Englin, wie er mihr schon offenbart hatt im Traum, des 13 Platts auch zu sahen. Ich muß also im Chrietz leben biß ans Ende, biß Gott ein Verniegen [i.e. Genügen] an meinen Leiden hatt.« 3 Insbesondere der Komet zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, der auch bei Güntzer beschrieben und abgebildet wird: ders., Kleines Biechlin, Bl. 200r sowie die zwischen Bl. 64v und 63[a]r eingeklebte Zeichnung.
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von der Verwirklichung eines divinatorischen Träumens praktiziert werden konnte, in dem Furcht, Angst und Schrecken ein konstitutiver Stellenwert zukam. Neben Güntzers Kleinem Biechlin (1657) sind dies Girolamo Cardanos De vita propria (1575/76) und die ebenfalls bereits angesprochene Fluchtbeschreibung Balthasar Kleinschroths (1686).4 Der Zusammenhang von Furcht, divinatorischem Träumen und autobiographischem Schreiben, wie er sich in Güntzers Traumbericht kristallisiert, ist spezifisch für das 17. Jahrhundert; er unterscheidet sich signifikant von den Selbstthematisierungen des aufklärerischen Subjekts: von dessen Reflexionen auf sich selbst und auf das Schreckliche, das es sah in der Nacht. Im Folgenden wird gefragt nach den strukturellen Analogien von Furcht-, Traum- und Lebenserzählung im »martialischen Saeculum«. Zur Diskussion stehen autobiographische Texte, die von der Verwirklichung eigener Träume berichten, von der Erkenntnis ihrer Bedeutung, von der Berücksichtigung ihrer Mahnung sowie von der Überwindung ihrer Angst und der Gefahr, die sie prophezeiten. In diesen Schriften konstituiert sich die autobiographische persona, indem sie von der Gefährdung ihrer Integrität in der Furcht erzählt und von der Relevanz schreckerfüllter Träume für die Wiederherstellung ihrer Ordnung.5 Um dies 4 So betrachte ich im Folgenden autobiographische Schriften im engeren Sinne: Beschreibungen der Entwicklung des eigenen Lebens zwischen zwei Zeitpunkten. Traumaufzeichnungen in Briefen und kontinuierlich geführten Tagebüchern werden damit nicht uninteressant, da sie die Grundlage für die Abfassung von Autobiographien bilden konnten. Sie stehen hier jedoch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit, insofern sie in der Regel unkommentiert blieben, da das Kommende die Bedeutsamkeit des Geträumten erst noch erweisen musste. Vgl. dazu Sebastian Leutert, »All dies, was mir mein Genius vorgezeichnet hatte«. Zur Psychologisierung des Traumes in Selbstzeugnissen des 18. Jahrhunderts, in: Von der dargestellten Person, hg. v. von Greyerz / Medick / Veit, S. 251 – 273, hier 260 f.; auch unten Anm. 23. Zu Träumen in englischen Tagebüchern des 17. Jahrhunderts vgl. von Greyerz, Vorsehungsglaube, S. 131 – 136. Siehe darüber hinaus: The Private Diary of Dr. John Dee, hg. v. J.O. Halliwell, Camden Society 1842, insbes. S. 10 (11. 2. 1581), S. 17 f. (24. 11. 1582), S. 31 (2. 8. 1589), S. 59 (6. 8. 1597); vgl. dazu Stephen Clucas, Dreams, Prophecies and Politics: John Dee and the Elizabethan Court 1575 – 1585, in: Reading the Early Modern Dream: The Terrors of the Night, hg. v. Katharine Hodgkin / Michelle O’Callaghan / Susan J. Wiseman, New York / London 2008 (Routledge Studies in Renaissance Literature and Culture 7), S. 67 – 80. Zur Bedeutung des Vorsehungsglaubens für die Interpretation der Ereignisse des eigenen Lebens vgl. von Greyerz, Vorsehungsglaube, S. 131 – 136; ders., Religion in the Life of German and Swiss Autobiographers (Sixteenth and Early Seventeenth Centuries), in: Religion and Society in Early Modern Europe 1500 – 1800, hg. v. dems., London / Boston / Sydney 1984, S. 223 – 241; Velten, Das selbst geschriebene Leben, S. 203 – 220. – Dass es »ungewöhnlich« ist, dass ein Traum »als Deutungsschlüssel für ein ganzes Leben eingesetzt wird«, betont auch Leutert, Zur Psychologisierung, S. 255. 5 Leutert, der anhand von »Selbstzeugnissen« die historische Entwicklung der Bedeutung des Traums für die Reflexion auf das eigene Leben untersucht, zeichnet einen Prozess der »Psychologisierung« im 18. Jahrhundert nach, ohne das spezifische historische Verhältnis von Traumbeschreibung und autobiographischem Text systematisch zu analysieren: Leutert, Zur Psychologisierung.
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Schrecken der Nacht: Die Furcht und die Macht des Traums
zeigen zu können (in den Abschnitten 2 und 3), ist zunächst kurz das zeitgenössische Wissen vom Traum und seiner Exegese zu skizzieren.6
6.1. Die Furcht vor dem Traum: Theorien und Konzepte der Oneirokritik Es gehört zum Selbstverständnis der Psychoanalyse, dem Traum wieder zu seinem Recht verholfen zu haben. In seiner an der Wende zum 20. Jahrhundert publizierten Traumdeutung spricht Sigmund Freud dem Traum wieder eine Bedeutung zu – in Kritik am wissenschaftlichen Desinteresse des 19. Jahrhunderts und heuristisch ausgehend von dem, was ihm selbst nächtens erschien. »Ich meine also«, schließt das psychoanalytische Gründungsmanifest, »am besten gibt man die Träume frei.«7 Mit dieser Forderung knüpft Freud explizit an die (spät)antike und frühneuzeitliche Tradition der Trauminterpretation an.8 Mit der hier proklamierten Parallele ist es jedoch, bei Licht besehen, nicht weit her. Wo die Bedeutungszuschreibungen an den Traum so unterschiedlich sind, kann die Tatsache der Bedeutungszuschreibung an sich keine Gemeinsamkeit mehr stiften. Der Traum der Freud’schen Psychoanalyse konstituiert sich in einer doppelten Übersetzung. Er erscheint – selbst als Angsttraum – als die Erfüllung eines verdeckten, unerfüllbaren Wunsches,9 als eine Erfüllung, die sich nur verschlüsselt zeigt: als Trauminhalt, und das heißt: als Verschlüsselung eines hinter dem manifesten Inhalt liegenden Traumgedankens. Die Bilder des Traums sind die verschlüsselte Entschlüsselung eines durch Mehrfachzensur verschlossenen Unbewussten. Dieser Traum erzählt die Geschichte eines Begehrens, und insofern bildet er die Vergangenheit ab. Der voraufklärerische Traum hingegen, insoweit er nicht durch den körperlich-seelischen Organismus des Menschen verursacht war, machte keine Aussage über vergangenes, sondern über zukünftiges Geschehen. Die Zukunftsdimension des Freud’schen Traumes liegt allein in einer Hoffnung und damit in der Unmöglichkeit künftiger Erfüllung, er verweist auf eine Abwesenheit des Gewünschten. Indem der Traum Künftiges als gegenwärtig vorstellt, verweist er auf die Vergangenheit des
6 Allgemein zum frühneuzeitlichen Traumwissen vgl. Claire Gantet, Der Traum in der Frühen Neuzeit. Ansätze zu einer kulturellen Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2010 (Frühe Neuzeit 143). 7 Sigmund Freud, Die Traumdeutung [1899/1900] (Studienausgabe 2), Frankfurt a.M. 1972, S. 587. 8 Vgl. ders., Die Traumdeutung, S. 117 – 120. 9 In die größten Begründungsnöte brachte Freud der Versuch, auch den angstbesetzten Traum als Wunscherfüllung zu interpretieren: Die Traumdeutung, S. 552 – 558.
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Wunsches.10 Der voraufklärerische divinatorische Traum dagegen war die Anwesenheit des Künftigen. Schon bei Platon ermöglichte der göttlich inspirierte Traum einen besonderen Zugang zum Reich der Ideen und ewigen Wahrheiten,11 seinen nachhaltigsten Niederschlag fand das antike Traumverständnis jedoch im spätantiken Traumbuch des Artemidor : in einem thesaurischen Verzeichnis von Traumbildern, einem Nachschlagewerk gleichsam, das es Träumerin und Träumer ermöglichte, die Sprache des Traums zu übersetzen: nach dem Erwachen zu ermitteln, auf welche künftigen Ereignisse das Geträumte verwies.12 Während die Ideenschau des platonischen Träumers in der christlichen Vision einen Nachhall fand, ging die Artemidor’sche Schicksalsoffenbarung mit der Verbannung des antiken Polytheismus in der mittelalterlichen Theologie unter. Aus der theologischen Notwendigkeit, gegen die vermeintliche Unausweichlichkeit des fatum die Freiheit des Sünders zu wahren, wurden die heidnischen Götter zu teuflischen Dämonen herabgestuft und der göttliche Traum in erster Linie auf die Hagiographie beschränkt: auf prophetische und apokalyptische Offenbarungen, auf visionäre Jenseits- und Gottesschau sowie auf Bekehrungsnarrative.13 In dieser Christianisierung verlor der Traum als Vorausschau auf künftige alltägliche Ereignisse im diesseitigen Leben des einzelnen Menschen seine theologische Legitimität.14 Diese konnte er erst wiedererlangen, zum 10 Vgl. ders., Die Traumdeutung, S. 588. Für Freud selbst ist der Aspekt der Zukunftsschau der Punkt, an dem er der Traumauffassung »bei den alten Völkern« (S. 581) – »natürlich« (S. 588) – nicht folgt. Dieser Punkt ist jedoch für die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Konzepten grundlegender, als Freud es suggeriert (vgl. S. 117 ff.). 11 Vgl. Platon, Kriton, 44a – b; Timaios, 71a – 72a; Apologie, 33c; Phaidon, 60c – 61b. 12 Zu Artemidor vgl. unten Anm. 15. Zur antiken Traumdeutung vgl. Beat Näf, Traum und Traumdeutung im Altertum, Darmstadt 2004; Laura Hermes, Traum und Traumdeutung in der Antike, Zürich / Düsseldorf 1996; aus psychoanalytischer Perspektive: Christine Walde, Antike Traumdeutung und moderne Traumforschung, Düsseldorf / Zürich 2001; zur Spätantike: Patricia Cox Miller, Dreams in Late Antiquity : Studies in the Imagination of a Culture, Princeton, NJ 1994. 13 Unter den Bekehrungsnarrativen finden sich auch bereits vereinzelt autobiographische Texte. Einschlägig sind Augustinus’ Confessiones sowie aus dem 12. Jahrhundert Guiberts von Nogent De vita sua und v. a. das Opusculum de conversione sua Hermanns von Köln. Vgl. dazu Steven F. Kruger, Dreaming in the Middle Ages, Cambridge 2005 [1992] (Cambridge Studies in Medieval Literature 14), S. 150 – 165. 14 Zwar besaß auch das Mittelalter eine Traumbuchtradition, nur unterlag diese im Allgemeinen der Ablehnung der kirchlichen Autoritäten. Zu dieser Tradition vgl. Nigel F. Palmer / Klaus Speckenbach, Träume und Kräuter. Studien zur Petroneller ›Circa instans‹Handschrift und zu den deutschen Traumbüchern des Mittelalters, Köln / Wien 1990 (Pictura et poesis. Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Literatur und Kunst 4); Kruger, Dreaming, S. 7 – 16; Steven R. Fischer, Dreambooks and the Interpretation of Medieval Literary Dreams, in: Archiv für Kulturgeschichte 65 (1983), S. 1 – 20. Zum Traum im Mittelalter vgl. auch Stefan Niessen, Traum und Realität. Ihre neuzeitliche Trennung, Würzburg 1993, S. 37 – 54, Mittelalterliche Visionsliteratur. Eine Anthologie. Ausgew., übers.,
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einen als sich mit der Ausbildung des reformatorischen Schriftverständnisses der gottgesandte Traum als Mahnung zu beständiger Buße verstehen ließ, zum anderen als mit der Renaissance der antiken Tradition auch deren Traumverständnis eine neue Legitimation erfuhr. Und so sah das 16. Jahrhundert zum einen eine öffentlichkeitswirksame Übersetzung und Verbreitung des Artemidor’schen Textes15 (aus religiös-moralischen sowie hermeneutischen Gründen gekürzt um die Darstellungen geschlechtlicher Liebe),16 zum anderen eine Fortschreibung der Gattung: die Neuentstehung von Traumbüchern17 und die eingel. und komm. v. Peter Dinzelbacher, Darmstadt 1989, Jacques Le Goff, Der Traum in der Kultur und in der Kollektivpsychologie des Mittelalters, in: ders., Für ein anderes Mittelalter. Zeit, Arbeit und Kultur im Europa des 5. – 15. Jahrhunderts, Berlin 1984, S. 137 – 146, ders., Das Christentum und die Träume (2. – 7. Jahrhundert), in: ders., Phantasie und Realität des Mittelalters, Stuttgart 1990, S. 271 – 322, Jean-Claude Schmitt, R¦cits et images de rÞves au Moyen ffge. Voix, visions, apparitions, in: Ethnologie FranÅaise 33/4 (2003), S. 553 – 563, ders., The Liminality and Centrality of Dreams in the Medieval West, in: Dream Cultures: Explorations in the Comparative History of Dreaming, hg. v. David Dean Shulman / Guy G. Stroumsa, New York / Oxford 1999, S. 274 – 287, ders., Die Bekehrung Hermanns des Juden. Autobiographie, Geschichte und Fiktion, Stuttgart 2006, Kap. 3, S. 99 – 162, sowie die einschlägigen Beiträge in: Traum und Vision in der Vormoderne. Traditionen, Diskussionen, Perspektiven, hg. v. Annette Gerok-Reiter / Christine Walde, Berlin 2012. 15 Die Erstübertragung stammt von Walter Hermann Ryff, WArhafftige/ gewisse/ vnd e e vnbetrügliche vnderweisung/ wie alle Troum/ Erscheinungen/ vnnd Nachtliche gesicht/ die o o vns von der seelen/ wan sich der leib zu rugen [i.e. Ruhe] begeben hat/ eingebildt und e fürbracht werden/ wie solche natürlich vnnd recht erklart vnnd außgelegt werden sollen/ als dann solchs von den alten Philosophis vnnd weissagern der Heyden durch langwirigen brauch/ vnnd fleissige nachtrachtung warhafftig vnd gewisß erfunden ist/ Dardurch e o e künfftige zufall/ glücks vnd unglücks erfaren vnd erlernet werden mogen/ on einige entziehung oder abbruch/ des gewalts vnd der krafft Gottes, Straßburg 1540. Im Folgenden wird zitiert nach der Ausgabe: Des Griechischen Philosophen Artemidori Grosses und vollkommenes Traum=Buch, In dem der Ursprung, Unterschied und die Bedeutung allerhand e e e Traume, die einem im Schlafe vorkommen konnen, aus naturlichen Ursachen hergeleitet e wird, Nebst einer Erinnerung Philipp Melanchthons vom Unterschied der Traume und ane e gehangtem Berichte, was von Traumen zu halten sey. Neue verbesserte und mit einem e vollstandigem [sic] Register und einer Astronomischen Traum=Tafel vermehrte Auflage, Leipzig 1753 (ND Darmstadt o. J. [1969]). 16 Siehe Thomas Rahn, Traum und Gedächtnis. Memoriale Affizierungspotentiale und Ordnungsgrade der Traumgenera in der Frühen Neuzeit, in: Ars memorativa. Zur kulturgeschichtlichen Bedeutung der Gedächtniskunst 1400 – 1750, hg. v. Jörg Jochen Berns / Wolfgang Neuber, Tübingen 1993, S. 331 – 350, hier S. 343. 17 Zur Rezeption der deutschen Übersetzung Artemidors siehe Ludger Grenzmann, Traumbuch Artemidori. Zur Tradition der ersten Übersetzung ins Deutsche durch W.H. Ryff, Baden-Baden 1980 (Saecvla Spiritalia 2), S. 210 ff.; Felizitas Fuchs, Von der Zukunftsschau zum Seelenspiegel, Aachen 1987 (acta culturologica 6), S. 114 ff.; für den protestantischen Raum: Ulman Weiß, Traumglaube und Traumkritik im älteren deutschen Luthertum. Eine Skizze, in: Traum und res publica. Traumkulturen und Deutungen sozialer Wirklichkeiten im Europa von Renaissance und Barock, hg. v. Peer Schmidt / Gregor Weber, Berlin 2008 (Colloquia Augustana 26), S. 228 – 256, hier 230 – 233, 238 – 241. Einen Überblick über die mittelalterliche und frühneuzeitliche Rezeption antiken Traumwissens
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Entwicklung einer spezifisch frühneuzeitlichen Traumtheorie, die jetzt vier Genera des Träumens auszudifferenzieren suchte. Paradigmatisch ausformuliert von Philipp Melanchthon, wurden hier zum einen zwei Arten natürlicher Träume unterschieden: die nicht-divinatorischen, weil körperlich und seelisch bedingten, von den astral verursachten, die eine weltliche Zukunft ankündigten, zum anderen zwei Gattungen übernatürlicher Traumimagines: die teuflisch täuschenden von denen mit göttlicher Botschaft im christlichen Sinne: von den heilsgeschichtlich relevanten Träumen. Sortiert nach divinatorischem Potential, erschienen die seelisch-körperlich bedingten den diabolischen Träumen assoziiert und dem Paar der astralen und göttlichen gegenübergestellt.18 Eines der ersten und wichtigsten Beispiele für die neue gelehrte Überzeugung vom divinatorischen Träumen ist das Traumbuch des Mailänder Arztes und Gelehrten Girolamo Cardano, das nicht allein an Artemidor, sondern auch an den spätantiken Autor Synesios von Cyrene anknüpft und 1563, ein Jahr nach seinem Erscheinen in lateinischer Sprache, ins Deutsche übersetzt worden ist.19 Auf Cardanos eigene Lebensbeschreibung wird im Anschluss ausführlicher gibt Gregor Weber, Träume und ihre Deutung. Kontinuitäten und Rezeptionen von der Antike zur Renaissance, in: Traum und res publica, hg. v. Schmidt / Weber, S. 27 – 56, für das 17. Jahrhundert S. 43. 18 Siehe v. a. Melanchthons Einleitung zu Artemidor : Philipp Melanchthon, Erinnerung Des Hoch=gelehrten Herrn, Herrn Philippi Melanchtonis. Von mancherley Geschlechtern der e e e Traume, samt ihrer Bedeutung; Manniglichen sehr nutzlich zu lesen, in: Artemidor, Traum=Buch, S. 17 – 29; dazu Rahn, Traum und Gedächtnis, S. 333 – 336. Der Text ist eine übersetzte und überarbeitete Fassung von Melanchthons Traktat De somniis. Siehe dazu Weiß, Traumglaube, S. 230 f. (mit Nachweisen), und zu Melanchthon außerdem Siegfried Bräuer, »… einige aber sind Natürliche, andere Göttliche, wieder andere Teuflische.« Melanchthon und die Träume, in: Spottgedichte, Träume und Polemik in den frühen Jahren der Reformation, hg. v. dems., Leipzig 2000, S. 223 – 254. 19 Girolamo Cardano, Synesiorum Somniorum, omnis generis insomnia explicantes, Libri o IV [1562], in: Opera omnia 5, S. 593 – 728; dt.: Traumbuch Cardani. Wahrhafftige/ gewüsse, e e vnd vnbetrügliche vnderweisung/ wie allerhandt Traum/ Erscheinungen vnnd Nachtliche o o gesicht/ welche vns von der seelen/ wann sich der leib zu ruwen begeben/ eingebildet und e fürbracht werden/ wie solche natürlich vnnd recht erklart vnnd außgelegt werden sollend/ e o e dardurch künfftige zufal glücks vnnd vnglücks erfaren vnd erlernet werden mogen/ on einige entziehung/ oder abbruch des gewalts vnnd der krafft Gottes. Auch von den Kleinsten vnd e e e Nachsten dingen. Vnd vom aller Besten vnd Saligsten laben …, Basel 1563 (im Folgenden zit. als Cardano, Traumbuch). Der lateinische Titel verweist auf: Das Traumbuch des Synesius von Kyrene. Uebersetzung und Analyse der philosophischen Grundlagen von Wolfram Lang, Tübingen 1926 (Heidelberger Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte 10). Zu Cardanos Traumdeutung und deren Kontext vgl. Peter André Alt, Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit, München 2002, S. 56 – 75; Jacques Le Brun, J¦rúme Cardan et l’interpretation des songes, in: Girolamo Cardano. Philosoph, Naturforscher, Arzt, hg. v. Eckhard Keßler, Wiesbaden 1994 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 29), S. 185 – 205; Markus Fierz, Girolamo Cardano, 1501 – 1576: Physician, Natural Philosopher, Mathematician, Astrologer, and Interpreter of Dreams, Boston / Basel / Stuttgart 1983, S. 125 – 155.
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zurückzukommen sein,20 an dieser Stelle sind zunächst die spezifischen Unterschiede hervorzuheben, die sich zwischen Cardanos und Artemidors Traumbuch feststellen lassen und die zeigen, dass die Bedeutung des Traumbuchs der Renaissance aus seiner antiken Vorlage allein nicht hinreichend verständlich wird. Cardano folgte Artemidor, indem auch er ein umfangreiches Verzeichnis mit Traumsymbolen vorlegte. Darüber hinaus jedoch notierte er eine Vielzahl eigener Träume und deren Interpretation21 und verweist damit auf wichtige Veränderungen in der Kontextgebundenheit der Traumdeutung. Zwar hielt es schon Artemidor für erforderlich, bei der Interpretation von Traumbildern gesellschaftliche Lage und Lebenssituation der Träumenden zu berücksichtigen.22 Diese Bedingtheiten jedoch waren ihrerseits verallgemeinerbar, sie hebelten die Regeln zur Entschlüsselung der Bilder nicht aus, sondern waren ihr Bestandteil. Cardanos Träume dagegen waren nur noch seine eigenen. Zwar schöpften sie, als interpretierbare Bilder, aus einem historisch-kulturellen Vorrat an Symbolen, konkret interpretieren ließen sie sich jedoch allein nach der Aufzeichnung der eigenen lebensgeschichtlichen Entwicklung; erst im autobiographischen Rückblick war zu entscheiden, ob der Traum in die Zukunft gewiesen hatte, und wenn ja, in welche (und so empfahl es sich, für die Aufzeichnung der »Spuren der e Gottlichen Vorsehung« nicht allein Tage-, sondern auch »Nachtbücher« zu führen).23 Für die Leser und Leserinnen des Traumbuchs waren diese Träume nur deswegen interessant, weil sie die Interpretationsprinzipien exemplifizierten, die es jeder und jedem einzelnen erlaubten, die je eigenen Träume als Allegorien des Kommenden, als Ausblick auf das eigene Leben zu lesen: als
20 Des Girolamo Cardano von Mailand eigene Lebensbeschreibung, übers. v. Hermann Hefele, München 1969 [Jena 1914] (Lebensläufe. Biographien, Erinnerungen, Briefe 18). Die beste verfügbare Edition des lateinischen, erstmals 1642 publizierten Originals ist Girolamo Cardano, De propria vita, liber, in: Opera omnia 1, S. 1 – 54. Im Folgenden wird, wenn nicht anders angegeben, nach Hefeles Übersetzung zitiert. 21 Cardano, Traumbuch, Buch IV. 22 Artemidor, Traum=Buch, insbes. Buch I, S. 104 f.; so auch Cardano, Traumbuch, Buch e III: »vonn vnderscheydung der traumen/ nach art des traumenden«. Zur Deutungsmethode Artemidors vgl. Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 3: Die Sorge um sich, Frankfurt a.M. 1986 [Paris 1984], S. 7 – 51, insbes. S. 10 ff.; Jens Heise, Traumdiskurse. Die Träume der Philosophie und die Psychologie des Traums, Frankfurt a.M. 1989, S. 49 – 83; Hartmut Böhme, Vergangenheit und Zukunft im Traum. Zur Traumhermeneutik bei Artemidor von Daldis und Ludwig Binswanger, in: Zeitschrift für Germanistik 18/1 (2008), S. 11 – 29. 23 Vgl. Le Brun, Interpretation, S. 188; das erste Zitat ist entnommen aus: Art. »GOttes Vorsehung«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Sp. 1205. Der Rat, neben Diarien auch »Nachtbücher« zu verfassen, findet sich bereits bei Synesios, Traumbuch, 153 A, aufgegriffen dann bei Cardano, Traumbuch, S. 36, auch 29. Synesios jedoch ging es dabei weniger um autobiographisches Schreiben, als vielmehr um ein »demokratisierendes« Aufbrechen des tradierten gesellschaftlichen Deutungsmonopols der Traumdeuter.
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göttliche Warnung und Schutz im Handeln.24 Die Deutungsunsicherheit, die blieb, war konstitutiv : angesichts der Beschränktheit menschlichen Erkenntnisvermögens und als Bedingung der Notwendigkeit der Exegese.25 Die historischen Bedeutungen des »eigenen Lebens« erschließen sich somit aus dem divinatorischen Potential von Träumen: aus deren Fähigkeit, etwas über den Verlauf dieses Lebens auszusagen; und aus diesen Bedeutungen wiederum erschließen sich die spezifisch frühneuzeitlichen Möglichkeiten, über dieses Leben zu schreiben.
6.2. Geträumte Schrecken: Autobiographische Traumerzählungen In der Beschreibung seines eigenen Lebens (De vita propria) entwirft Cardano seine Traumerlebnisse als ein ursächliches Moment für seine biographische Entwicklung als Gelehrter sowie für das Abfassen seines Traumbuchs (als Teil seines gelehrten Werkes). Darüber hinaus jedoch werden diese Träume auch als Grundlage für die Niederschrift der Lebensbeschreibung vorgestellt; denn in Cardanos Augen erschloss sich erst in der autobiographischen Erinnerung die (biographische) Bedeutung dessen, was er im Schlaf gesehen hatte.26 24 Cardano, Traumbuch, Bl. C 1v – D 1r und S. 17, 19, 26. 25 Mehr noch: Die obscuritas war geradezu Ausweis der Göttlichkeit des Traums. Und so kam das vollständige Wissen um die Traumbedeutung vor Eintritt des Geträumten allein dem Gott zu, der den Traum gesandt hatte – auch wenn Cardano bewusst war, dass ein Traum seine Funktion als Warnung nur bei apriorischer Eindeutigkeit erfüllen konnte (vgl. Cardano, Eigene Lebensbeschreibung, S. 204 – 206; Traumbuch, S. 417 – 445). Selbst der theorematische, unverschlüsselte Traum, den Cardano mit Artemidor (als seltene Möglichkeit) vom allegorischen unterschied, bot diese Eindeutigkeit nicht. Auch wenn das theorematische »Bildnis« sich durch eine besondere »Verwunderung« der Träumenden zu erkennen zu geben suchte, konnte auch über sein Wesen allein die Zeit Gewissheit verschaffen. Zudem bedeutete die besondere Kürze dieser Zeit: die gewöhnlich rasche Aufklärung durch das Eintreten der angezeigten Ereignisse, in erster Linie deren Unbeeinflussbarkeit. Und das heißt: Der theorematische Traum hatte keine Warnfunktion. Seine Eindeutigkeit verdankte sich hier seiner relativen praktischen Irrelevanz. Vor diesem Hintergrund war es gerade die Allegorese und nicht die Klarheit des Traums, die auf die göttliche providentia verwies. Vgl. Cardano, Traumbuch, S. 47, 519 – 525; Artemidor, Traum= Buch, S. 79 – 82; dazu auch unten Anm. 29. Cardanos Trennung von »Bildnis« und »Erscheinung« bzw. »Gesicht« ist somit nicht zu verwechseln mit der christlichen Differenzierung von Traum und Vision. Die frühneuzeitliche Vision unterschied sich vom Traum nicht allein hinsichtlich der (Tages- oder Nacht-) Zeit ihres Erscheinens; darüber hinaus indizierte die Klarheit ihrer Botschaft eine besondere Nähe zum Göttlichen. Für das Mittelalter vgl. dagegen Wolfgang Haubrichs, Offenbarung und Allegorese. Formen und Funktionen von Vision und Traum in frühen Legenden, in: Formen und Funktionen der Allegorie, hg. v. Walter Haug, Stuttgart 1979 (Germanistische Symposien. Berichtsbände 3), S. 243 – 264. 26 Cardano, Traumbuch, S. 713; Eigene Lebensbeschreibung, S. 79 – 81, 119, 202.
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Einer seiner entscheidenden Träume stellte Cardano eine grundlegende Gefährdung seiner Ehre als Mediziner vor Augen, was ihn, wie er rückblickend konstatierte, vor dem Verlust dieser Ehre bewahrte.27 Eines Nachts sah sich Cardano von einer großen Schlange bedroht, die sich vor ihm auf der Erde ausgestreckt hatte und im Begriff zu sein schien, den Träumenden zu fressen. Erwacht in Furcht und Schrecken, wusste Cardano, dass ihm der Traum eine kommende Lebensgefahr verhieß. Worin diese Gefahr bestand, verriet das Geträumte ihm nicht, dies musste die Zukunft erweisen; und die ließ nicht lange auf sich warten.28 Am darauffolgenden Tag übernahm Cardano die Behandlung des fiebrig erkrankten Sohnes des Grafen Camillo Borromeo. Wie Cardano berichtet, hätte er bereits zuvor wissen können, dass er diese Behandlung hätte ablehnen sollen, blickte man doch, wie ihm später auffiel, in jedem der zahlreich aufgehängten Familienwappen in das Antlitz einer Schlange. Doch Cardano übersah dieses erste Zeichen. Als er dann die Krankheit des jungen Borromeo untersuchte, schien es sich zunächst lediglich um ein leichtes »Kaltweh« zu handeln. Da Cardano bei seinem Patienten jedoch ein ungewöhnliches Aussetzen des Pulsschlags feststellen musste, das ihm – weil oder obwohl er es nicht zu deuten vermochte – kein gutes Zeichen zu sein schien, verordnete er sicherheitshalber eine stärkere Medizin. Das Rezept war bereits unterzeichnet und der Diener auf dem Weg zur Apotheke, als sich Cardano des nächtlichen Traumes erinnerte. Das geträumte Bedrohungsszenario konnte sich in seinen Augen nur auf die soeben verordnete Medikation beziehen: »›Wer weiß‹, sage ich zu mir selbst, ›vielleicht ist das Aussetzen des Pulsschlags ein Anzeichen des nahen Todes? […] Und die mir so feindlich gesinnten hiesigen Ärzte werden dann die
27 Die Beschreibung dieses Traums findet sich sowohl in Cardanos Traumbuch (S. 707 – 713) als auch in der Eigenen Lebensbeschreibung (S. 117 – 119). 28 Die Furcht und der Schreck, die hier das Erwachen auslösen, gehören zunächst zu den Affekten, die geträumt oder durch einen Traum vorausgesagt bzw. ausgelöst wurden. Darüber hinaus lassen sie sich als Zeichen für die Göttlichkeit des Geträumten interpretieren: als Bestandteil einer Verwunderung. Die admiratio war insbesondere bei furchterregenden Träumen erforderlich, damit die träumende Person erkannte, dass diese Furcht Bestandteil der geträumten Botschaft war und nicht Signum einer hermeneutisch problematischen natürlichen (körperlich-seelischen) oder teuflischen Traumgenese. Das Zeichen der admiratio unterschied die Furcht, mit der Gott die Frommen warnte, von jener Furcht, in der sich die Gottlosigkeit der Träumenden verriet. Vgl. Cardano, Traumbuch, S. 5, 19, 24 – 26, 36, 87, 232 f., 237 f., 478 – 481, 490, 525 (für die Gefahr anzeigende Schlange S. 481); dazu Rahn, Traum und Gedächtnis, S. 336 – 343, insbes. 342; Le Brun, Interpretation, S. 188 f.; zur admiratio vgl. Claire Gantet, Le songe (der Traum) et ses savoirs dans l’Allemagne moderne, in: Bulletin de la Mission historique franÅaise en Allemagne 38 (2002), S. 235 – 253, hier 249 f. Siehe auch unten Abschnitt 3. Dieser Traum Cardanos ist somit eine Mischung aus theorematischem und allegorischem Traum: Deutlich träumt Cardano die Gefahr, die dann auch schnell und unausweichlich eintritt. Was er zunächst nicht erkennt, (damit) jedoch langfristig verhindern kann, ist das, was in dieser Gefahr droht. Vgl. oben Anm. 25.
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Ursache des Todes in der starken Arznei sehen.‹«29 So rief Cardano den Diener zurück, änderte das Rezept und ersetzte die Medizin durch eine leichtere. Alles, was Cardano nach seiner Darstellung im Augenblick intuitiv wusste, war ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen seiner ersten Verordnung und einer gegebenen Gefahr für sein Leben. Diese Gefahr konnte folglich allein durch eine Änderung der Verordnung vermieden werden. Im Rückblick konnte sich Cardano die Zusammenhänge dann erklären: Vorausgesetzt war, wie Cardano (erst) später von Galen lernte,30 dass der Junge ohnehin nicht zu retten war. Vor diesem Hintergrund bestand die Gefahr für Cardano darin, dass die zusätzlich zu Rate gezogenen Mitglieder des Mailänder Ärztekollegiums, bei denen er zu dieser Zeit nicht eben wohlgelitten war, in derselben diagnostischen Unsicherheit den Tod des Jungen auf die zunächst verordnete starke Medikation zurückführen und Cardanos Ehre als Mediziner dauerhaft in Frage stellen konnten. Der Warntraum erfüllte seine Funktion. Der Junge starb, das war nicht zu verhindern, in den Augen der Kollegen jedoch nicht aufgrund, sondern trotz der Medikation Cardanos, die diese ihrerseits für richtig befunden und kurz vor dem Tod des jungen Patienten sogar selbst noch einmal angewandt hatten. Die Warnung der Schlange im Traum bewahrte Cardano vor einem sozialen Tod: vor dem dauerhaften Verlust seiner Ehre als Arzt. Und mehr noch: Diese Warnung legte in Cardanos Beschreibung die Grundlage für seinen späteren Erfolg als Mediziner,31 und sie motivierte ihn, diese erfolgreiche und glückliche Entwicklung schreibend zu erinnern. Deren Bedeutung, und das heißt auch: die Bedeutung der Träume für diese Entwicklung, erschloss sich Cardano erst im autobiographischen Rückblick auf die Ereignisse. In der schriftlichen Konstituierung der eigenen Biographie erhielt der Traum seine Bedeutung durch die Erinnerung an das Leben und das Leben – als Lebens-Zusammenhang – seine spezifische Bedeutung aus der Macht divinatorischen, mit Furcht affizierten Träumens.32 29 Cardano, Eigene Lebensbeschreibung, S. 118. 30 Claudius Galenus, De praesagitione ex pulsibus, in: Opera omnia, hg. v. C.G. Kühn, Leipzig 1821 ff. (ND Hildesheim 1964 – 1965), Bd. 9, S. 205 – 430; ders., Synopsis librorum de pulsibus, in: Opera omnia 9, S. 431 – 549, hier 543 – 546. 31 Zu Cardanos Stellung in der Medizin der Renaissance siehe Nancy Gillian Siraisi, The Clock and the Mirror : Girolamo Cardano and Renaissance Medicine, Princeton 1997, zu seinen Träumen S. 174 – 191. 32 Damit stellte sich Cardano zwar durchaus als einen (neuzeitlichen) »Gestalter seines eigenen Lebens« vor (Wagner-Egelhaaf, Autobiographie, S. 138); doch stand er dabei nicht im Widerspruch zur Vorsehung Gottes, sondern in Übereinstimmung mit ihr. Angesichts des divinatorischen Potentials seiner Träume ist seine Lebensbeschreibung dann auch kaum als »first psychological life narrative« zu bezeichnen, wie es Sidonie Smith / Julia Watson, Reading Autobiography : A Guide for Interpreting Life Narratives, Minneapolis / London 2001, S. 88, tun. Zu Cardanos Autobiographik vgl. außerdem Enenkel, Erfindung des Menschen, S. 641 – 669, Anthony Grafton, Cardanos Kosmos. Die Welten und Werke eines
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Girolamo Cardano und Augustin Güntzer trennen nicht nur ein knappes Jahrhundert, darüber hinaus steht hier der humanistische Gelehrte aus dem vornehmlich katholischen Italien dem calvinistischen Handwerker aus dem Elsass gegenüber. Ungeachtet dieser zeitlichen, religiös-konfessionellen und schichtspezifischen Unterschiede gibt es jedoch zwischen Cardano und Güntzer in Bezug auf das Verhältnis von Furcht, Traum und autobiographischem Schreiben signifikante Gemeinsamkeiten. Güntzers eingangs zitierter Angsttraum war nicht der einzige seiner Art. In einem zweiten Traumbericht nahm der zu bekämpfende Teufel konkretere Gestalt an. Als Güntzer im Begriff war, von der ersten seiner beiden ausgedehnten Handwerkerreisen in seine elsässische Heimatstadt Oberehnheim zurückzukehren, träumte er acht Wochen lang bald jede Nacht von bevorstehendem Zank und Streit mit dem Vater sowie von Handgreiflichkeiten mit den Kannengießergesellen der Stadt. Freilich schien ihm zunächst nicht gewiss, ob diese Träume zu den divinatorischen zählten, doch die Ereignisse gaben den Befürchtungen des Heimkehrers Recht. Güntzer hatte sich gegen die Rügerituale der Zunftgenossen zu behaupten, da er nicht bereit war, ihre Erwartungen an standesgemäße Geselligkeit zu erfüllen: »Dag und Nacht zechen und grob, lustig sien« sowie »Unkischheidt« drohten Güntzers Seele in größte Gefahr zu setzen. Um die Lage zu entschärfen, beschloss der Kannengießer nach knapp einjährigem Aufenthalt in Oberehnheim, auf seine zweite Reise zu gehen, nach Skandinavien. Dieser Plan wiederum erzürnte den Vater derart, dass der »seinen e Seidendogen von der Wandt wolte nemen, mihr denselbigen ub[e]r den Kopff wolt schlagen.« Da gedachte Güntzer noch einmal seiner Träume und brach auf. Es ist die Gefährdung des Seelenheils, die in Güntzers Text verständlich werden lässt, dass sich der furchtsame Traum in dieser Weise erfüllt. Auch wenn es zunächst körperliche Gefahren sind, die Güntzer träumt, im Eintreten des Geträumten erleidet und in Reaktion auf den Traum künftig zu vermeiden sucht, so lag die entscheidende Bedrohung doch nicht in den körperlichen AuseinRenaissance-Astrologen, Berlin 1999, Kap. 9, John Sturrock, The Language of Autobiography : Studies in the First Person Singular, Cambridge 1993, S. 74 – 81, und zu seinem Traumverständnis – ohne eine systematische Analyse der autobiographischen Dimension – Gantet, Der Traum, Kap. 6.2. – Mechal Sobel, Teach Me Dreams: The Search for Self in the Revolutionary Era, Princeton / Oxford 2000, ist m.W. bisher die einzige, die den Stellenwert divinatorischen Träumens für das Handeln der träumenden Person untersucht hat. Ihre Studie fragt jedoch nicht nach der Konstituierung eigenen Handelns in dessen autobiographischer Beschreibung, sondern unternimmt den sozialgeschichtlichen Versuch, historisches Handeln aus den Träumen historischer Akteure zu erklären. Dieser Versuch basiert auf einem ahistorischen Begriff des Traums und eines über diesen Traum erschlossenen Selbst. Angesichts dessen lässt Sobel eine klare Unterscheidung vermissen zum einen zwischen den unterschiedlichen Facetten divinatorischen Träumens und zum anderen zwischen den historischen Vorstellungen vom Traum und dem eigenen, analytischen Traumkonzept, das dem Freud’schen mehr verdankt, als die Verfasserin zugibt.
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andersetzungen, sondern in deren Ursache: im Versuch der Zunftgenossen, Güntzer zu einem Tun zu bewegen, das seine Seele in Lebensgefahr bringen musste. Diese Gefahr ist es, die den zweiten Aufbruch aus Oberehnheim (der an sich und aus anderen Gründen ohnehin geplant war) als moralisch und religiös unausweichlich erscheinen ließ.33 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum diese Träume Güntzer erst im Anschluss an die geträumten Raufhändel wirklich zum Handeln motivieren und nicht schon im Vorfeld. Zwar befürchtet der Reisende bereits vor seiner Rückkehr, dass seine Träume wahr werden könnten, um daraufhin den Vorsatz zu fassen, »nicht lenger dan 3 oder 5 Tag bey Hauß zu ve[r]pleiben«, zwar versteht er also seine nächtlichen Bilder durchaus als eine mögliche Warnung, reagiert dann aber doch nicht konsequent genug auf sie, und so treten die körperlichen Leiden, die der Traum vor Augen gestellt hatte, zunächst und unvermeidlich ein. Güntzer beherzigt die Warnung erst, als die Erfahrung ihn lehrt, dass der Traum mit der Gewaltandrohung gegen den Leib implizit eine Gefährdung der Seele angezeigt hatte.34 Sein Traum von »Feisten und Degen« war somit kein theorematischer Schicksalstraum; er beließ die Möglichkeit zu handeln. Dass der Erzähler implizit eingestehen kann, dies anfänglich nicht hinreichend getan zu haben (und überhaupt nach Hause zurückgekehrt zu sein), ist der autobiographischen Retrospektive geschuldet, dem Umstand, dass er es in dem Moment nachgeholt hatte, in dem er die eigentliche Bedeutung des Traums entschlüsselte und das wahre Ausmaß der Bedrohung erkannte: die Gefahr nicht für den Körper, sondern für die Seele.35 Auch hier : 33 Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 64(a)v – 65r. 34 Vgl. ders., Kleines Biechlin, Bl. 63(a)r – 65v, zit. 64(a)v. In Güntzers Darstellung resultiert die väterliche Gewalt, die den letzten Anstoß zum Aufbruch gibt, erst aus dem Plan zum Aufbruch. Auch in diesem Sinne tragen die Gewaltträume selbst zu ihrer Bewahrheitung bei: Ein Teil dessen, was sie anzeigen, folgt erst daraus, dass der Kannengießer beherzigt, was sie angezeigt haben – aus dem Versuch, der angekündigten Gefahr zu begegnen. Der geträumte Streit mit den Zunftgenossen wurde Wirklichkeit, weil Güntzer aus seinem Traum nicht sofort die erforderlichen Konsequenzen zog, der imaginäre Konflikt mit dem Vater dagegen bewahrheitete sich, weil Güntzer nach dem Eintreten der zünftischen Händel die (eigentliche) Mahnung doch noch verstand. 35 Dass sich Schicksals- und Warntraum von ihren Denkvoraussetzungen her nicht widersprachen, sondern vielmehr bedingten, zeigt besonders deutlich eine Traumbeschreibung Cardanos, die beide Aspekte explizit verbindet. Im Dezember 1557 habe Cardano im Schlaf ein leichtes Erdbeben verspürt, das er zunächst nicht zu deuten vermochte, das ihm jedoch, wie er im Nachhinein feststellen musste, eine verhängnisvolle Hochzeit seines Sohnes Giovanni Battista ankündigte. Dieses Zeichen veranlasste Cardano, den Sohn am Morgen des darauffolgenden Tages zu ermahnen, an diesem Tag nichts Unüberlegtes zu tun – ohne dass Cardano wusste, dass es die am Abend bevorstehende Hochzeit war, vor der er warnte. Und so ging der Unheil verkündende Traum in Erfüllung: Die Hochzeit wurde vollzogen, und sie kostete nach dem Ehebruch der Gattin zunächst diese selbst und dann ihren Mörder das Leben: ihren Mann. Dieser Traum jedoch, wie Cardano betont, hätte sich auch dann als ein göttlicher erwiesen, wenn der Sohn in die Eheschließung nicht eingewilligt hätte. In diesem
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Gottes gütige und schützende Vorsehung ließ das Kommende sehen, um zu mahnen, den rechten Weg einzuschlagen.36 Dies wird noch deutlicher, wenn diese nächtliche Erscheinung im Kontext des e eingangs zitierten Kindheitstraums gelesen wird. Der »erschrockliche schwartze Man« und die Engel, wie der junge Güntzer sie träumt, figurieren als die Geburtshelfer einer Biographie, die sich im Spannungsfeld von Sünde und Gnade entwickelt, im Kampf gegen die Sündhaftigkeit der Welt: gegen die Sündhaftigkeit der anderen und gegen die des eigenen Adam. Und das heißt: In Güntzers Träumen zeigt sich das, was kommen sollte, nur insofern als ein unvermeidbares Ereignis, als dieses Ereignis seinerseits Zeichen war für ein vermeidbares: für eine drohende Gefahr. Angesichts dessen sowie angesichts der religiösen Bedeutung dieser Bedrohung erwuchs dem träumenden und kämpfenden Ritter in und aus diesem Traum sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit, in den Gefahren des geistlichen Kampfes auf Gottes Hilfe zu vertrauen. Güntzer konnte sich der (Möglichkeit der) Bewahrheitung seiner Träume von gewaltsamen Auseinandersetzungen nur gewiss sein angesichts der Existenz einer Vorsehung, in der die Furcht vor körperlicher Gewalt und die Formen ihres Erleidens gebunden waren an ein Bewusstsein von der eigenen Sündhaftigkeit und der Notwendigkeit, diese mit Gottes Hilfe zu bekämpfen. Ein dritter Text schließlich soll zur Vervollständigung des Bildes beitragen: eine Traumerzählung des katholischen Sängerpräfekten Balthasar Kleinschroth, dessen Beschreibung der »Türkenfurcht« anlässlich der Belagerung Wiens 1683 im vorangehenden Kapitel erörtert worden ist. Der Verfasser hatte den Bericht von seiner Flucht aus dem Kloster Heiligenkreuz bereits abgeschlossen und zur Abschrift gegeben, ja mehr noch: er hatte bereits Wallfahrtsvorbereitungen getroffen, um mit der Darbringung des Werkes in Altötting sein Gelübde zu vollziehen, als er sich unversehens gezwungen sah, seine Erzählung fortzusetzen. Die abschließende Anrufung Marias, bereits verfasst mit der Bitte, nach göttlichem Schutz auf Flucht und »Raiß« auch noch dessen Beschreibung auf seiner Reise zu beschützen, wurde wieder gestrichen, um einen zweiten Textteil folgen zu lassen.37 Dieser Abschnitt ist bisher nicht ediert worden, weil er nicht mehr von der Flucht vor den Türken berichtet; für das Verhältnis von Furcht, diviFall, so das Resümee, wäre der Traum von Cardano eben als eine Warnung beherzigt worden: Cardano, Eigene Lebensbeschreibung, S. 160 – 162, 202 f.; auch: Traumbuch, S. 432, 441. e 36 Vgl. auch Philipp Melanchthon, Summarischer Bericht, Was man von Traumen, e e e naturlicher und gottlicher Weise halten solle; Aus der H. Schrift und andern beruhmten e Philosophischen Buchern zusammen gezogen, in: Artemidor, Traum=Buch, S. 30 – 72, hier 55. Darüber hinaus träumte Güntzer eine Warnung an seine Frau, nicht zu den »Papisten« zu konvertieren, damit sie ihr Seelenheil nicht verspiele. Die Warnung wurde beherzigt: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 134r/v. 37 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 259v – 260r.
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natorischem Träumen und autobiographischem Schreiben enthält er jedoch sehr Aufschlussreiches (und bisher Unbekanntes). Kleinschroth, davon erzählt sein Tagebuch, war gerettet worden, aus »Türkenfurcht« und »Türkengefahr« – um die Sängerknaben retten zu können, die sich in seiner Obhut befanden. Gottes gnädiger Hilfe schien es geschuldet, dass die Kräfte zehrende Flucht durch Niederösterreich zuletzt ein glückliches Ende fand. Dieses Ende erwies sich jedoch, wie Kleinschroth nach Abschluss des Berichtes feststellen musste, als vorläufig. Die Flucht war überstanden und der sichere Hafen erreicht, doch damit war die Gefahr nicht für alle gebannt. Die Flucht hatte ihre Spuren hinterlassen: Nicht allein Kleinschroth selbst,38 sondern auch zwei seiner Sängerknaben trugen von »eingenohmenen Schrockhen« und beständiger Furcht gefährliche Erkrankungen davon: Caspar und Anton Liedtmayr fesselten Rote Ruhr und Ungarisches Fieber ans Bett.39 Der erste überwand auch noch diese »Belagerung«, wie Kleinschroth selbst zuvor auch,40 den zweiten jedoch kosteten die Spätfolgen der ersten das Leben. Für Anton Liedtmayr kam am Ende jede medizinische Hilfe zu spät, und schlimmer noch: Erst sie, wie sich herausstellen sollte, brachte den Tod, den sie zu verhindern suchte. Nachdem der herbeigerufene Arzt Lienhardt auch bei Anton die Febris Hungarica diagnostiziert hatte, an der bereits Caspar gelitten zu haben schien, verordnete er auch ihm das Bewährte: vor allem »Vngarisches Pulffer«. Die Therapie jedoch schlug in ihr Gegenteil aus. Sie verstärkte noch die Angst, aus der die Krankheit entstanden war und in der sie sich manifestierte.41 Der Junge »phantasirte« und war, bei steigender Fieberhitze, ansprechbar nur noch in lichten Momenten (lucida intervalla).42 Auch der sich stetig verschlechternde Krankheitsverlauf konnte Lienhardt nicht hindern, an seiner Medikation festzuhalten und – similia similibus curentur – statt Kühlung auf weiterem Schwitzen zu bestehen. Und damit nicht genug. Da der Patient unter der Therapie sichtlich zu leiden hatte, suchte er sie abzuwehren, und so sah sich Kleinschroth gezwungen, zu ihrer Durchsetzung beizutragen. Er wurde zornig gegen den Jungen und drohte ihm gar mit Gewalt: »ein Ruethen auff dass Beth bringen zu lasßen«.43 Anton nun, so habe er geklagt, hätte jede therapeutische »Marter«44 willig ertragen, wenn er, Kleinschroth, nur abgelassen hätte von 38 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 207v, 210v, 251v, 281r. Bl. 294r berichtet von Traurigkeit. 39 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 253v – 256v. Zu Kleinschroth siehe diesbezüglich auch oben Kap. 4.3. 40 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 206v, 214r. 41 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 261v, 262v, 266v, 269r, 274v, 275v. Näheres zur Ungarischen Krankheit oben in Kap. 4.4. 42 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 270v. 43 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 268r. 44 So Kleinschroths eigene Bezeichnung: Flucht und Zueflucht, Bl. 268v – 269r.
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ungeduldigem Zorn.45 Zu Antons Angst der Krankheit kam die Furcht nicht nur vor seinem Arzt, sondern auch vor seinem klösterlichen Beschützer. Und so wandte sich der Geängstigte an Gott, als einzig verbliebenem Helfer,46 und unterwarf sich »willig« einer Therapie,47 die ihn nur durch den Tod aus der Angst dieser Welt befreite. All dies erfahren wir von einem Erzähler, der sich den Vorwurf nicht ersparen kann, ein offensichtlich falsches Heilverfahren nicht allein zugelassen, sondern auch noch unterstützt zu haben – trotz aufkeimender Zweifel und gegen den Willen des Jungen.48 »Kein Casus« hatte Kleinschroth so »übergwältiget, alß dieser, keiner also tieff getroffen, alß diser, keiner ohn alle Hoffnung also bestürzet, alß diser, keiner […] in ein solche Verwirrung gesezet, alß diser«, keiner brachte ihm größere »Noth Angst vnd Müehseeligkheith«,49 weil der Sängerpräfekt erkennen musste, dass er seinen Schützling selbst der Not und Angst ausgesetzt hatte, vor der er ihn hatte bewahren wollen. Kleinschroth, so »klagete« sein Gewissen, hatte Anton vor den Türken gerettet, um ihn nun den Ärzten auszuliefern. Das furchtlose Vertrauen in ihre Kompetenz, in der Theorie eine der maßgeblichen Bedingungen für den medizinischen Erfolg, hatte sich hier als tödliche Falle erwiesen.50 Falsche Furchtlosigkeit gab berechtigter Furcht erst den Anlass. Besondere Brisanz erhielt die Angelegenheit, weil hier nicht allein das Leben des Körpers auf dem Spiel stand, sondern vor allem das Heil der Seele. Kleinschroth beunruhigte am Ende weniger der Tod des Jungen als vornehmlich der Umstand, dass er so plötzlich eingetreten war : die Möglichkeit, das Seelenheil des Knaben in Gefahr gebracht zu haben, durch mangelnde Sterbevorbereitung in fahrlässigem Vertrauen auf baldige Genesung.51 Der Gedanke versetzte Kleinschroth in »Schrockhen« und zeitigte körperliche Symptome, die eine der »Angst« entgegengesetzte Druckbewegung beschrieben: keine Einengung des Herzens von außen, sondern seine Ausdehnung von innen, die Bedrängnis seiner körperlichen Umgebung.52 »Überschwemmet« von Tränen von unmöglich hinreichender Zahl, trieb das Herz sie mit überwältigender »Gewalt« hervor (als einzigen Zeugen seiner Trauer); dabei drohte es selbst zu zerspringen und die Rippen des Erschrockenen mit Krachen zu brechen.53 45 46 47 48 49 50 51 52 53
Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 268r ; vgl. auch 265v, 266v. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 269r. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 268v. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 269r. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 283r. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 267r, 275r/v, zit. 275v. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 268v, 278v, 285v, 299v, 300v, 303r/v. Vgl. dazu Stolberg, Affekt und Krankheit. Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 271r, 281v, 282v, 285r. Auch hier wird die »Un-
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Doch die Folgen des Schreckens waren, seinem Anlass entsprechend, nicht allein körperlicher Natur : Kleinschroths Text ist durchzogen von »kleinmütiger« Traurigkeit. Zu ihr hatte Anton in der Angst seiner körperlichen Qualen geneigt und in der Furcht vor der Strenge seines Herrn,54 Kleinschroth dagegen tat es im Wissen, dem nicht die nötige Beachtung geschenkt zu haben. »Trübeß Wetter« war über ihn gezogen, »wegen meiner so vill von Sünden auffsteigenten Dämpffen«. Wiederholt sah sich der Autor, versucht und angefochten vom Teufel, in Gefahr verwerflichster Verzweiflung.55 Auch von dieser Verzweiflung jedoch, auch von seiner Angst um das Seelenheil des Jungen, konnte Kleinschroth nur deswegen sprechen, weil er am Ende von ihr erlöst worden war. Ihre Beschreibung präsentiert des Verfassers Schuldbewusstsein und zugleich sein Wissen um Gnade und Heil. Kleinschroth überwand seine desperate Angst, als er erkannte, dass auch der Junge am Ende aus seiner Angst befreit worden war.56 Doch woher kam diese Erkenntnis? Nachdem Anton am 21. April 1686 verstorben war, erinnerte sich Kleinschroth eines Traums, den er, dem Vernehmen nach, in der Fastenzeit gehabt hatte, also noch vor oder ganz zu Beginn der Erkrankung, die er auf den 10. April des Jahres datiert.57 Dieser Traum setzt nicht allein die kommende Entwicklung ins Bild, sondern auch Kleinschroths Bewusstsein, für sie verantwortlich zu sein – die Anklage seines Gewissens: »Selber Fastenßzeit hat mir einsmallß geträumet, ich solte gerichtet werden, weilen ich einen Menschen hätte vmbgebracht, vndt war gar woll zufriden, das ich sterben kundte, alß aber man mir auff einer Bühn wolte den Kopff abschlagen, bin ich in solche Ängsten gerathen, das ich hefftig angefangen zue wüeten, vndt zuarbeiten zue bitten vnd zue schrey¨en, man wolle mir doch nur so vill Zeit lassen, das ich mein so woll bey¨ anderst alß mir befindlichen Knaben möchte zuvor recht versorgen, aber eß wolt mir niehmant dise Gnad verleihen, derenthalben hab ich mich nit wollen zur Enthauptung bequemen sondern wehret mich, so gueth ich könen, wurde aber darüber mued, vnd hab neben häuffigen Schweiß vnd grossen Seuffzern angefangen vmb Hilff zu schrey¨en, alß ich aber vermerckhte, dass eß nur ein Traum gewesen, bin ich von Hertzen getröst worden, Gott darvor gedanckhet, vnd gebettet, er wolle mir hinfiro gnädig sein: Aber anietzo weiß ich disen Traum (so vill zuegelassen ist anderst auszulegen) nun gar zu woll, womit er hindeuten wollen, vnd beschuldige die lieben Eltern meineß Antonius, daß sie mir ihr Kind so vnachtsam anvertraueten, das ich dasselbige in so saumseeliger Sicherheit also vernachlässiget hab, vnd zue Grund gehen lassen, würdig, das man mir
54 55 56 57
beschreiblichkeit« in quantitativen Kategorien gefasst. Siehe dazu ferner Bl. 204r, 251v, 260r, 273v – 274r, 279r und 308v, Tagebuch, S. 91, 130, 195 und 205, sowie oben Kap. 5.2 und 5.3. Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 266v. Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 265v, 278v, 279v, 294r/v, 308v, zit. 279v. Vgl. auch Bl. 283v und 310v : Hier grenzt der Autor eine »billige« Traurigkeit von der Verzweiflung an der eigenen Seligkeit ab. Für Kleinmütigkeit angesichts der eigenen Erkrankung siehe Bl. 204v. Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 279r, 313v – 314v. Ostersonntag fiel 1686 auf den 14. des Monats.
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wegen dessen Tott solle die wollverdiente Straff widerfahren lassen, zue welcher ich mich willig vnd beraith erkenne, ia von Gott, doch gnädigste erwarte.«58
Kleinschroth träumt voller Angst von seiner drohenden Hinrichtung. Er träumt, sich zu widersetzen mit dem Argument, die ihm anbefohlenen Chorknaben beschützen zu müssen, und er träumt, bei seinen Richtern kein Gehör zu finden. Erwacht aus Furcht und Schrecken, stellt Kleinschroth erleichtert fest, dass es »nur ein Traum gewesen« ist. Auch wenn dem Wortlaut nicht genau zu entnehmen ist, ob er mit seinem anschließenden Stoßgebet lediglich seiner Freude darüber Ausdruck verleiht, dass er nicht wirklich exekutiert worden ist, oder aber seinen Traum damit auch als gänzlich bedeutungslos, als einen nicht-divinatorischen einstuft: Später sollte sich herausstellen, dass die nächtliche Erscheinung die Zukunft verkündet hatte und wie diese aussah. Die weitere Entwicklung hatte Kleinschroth gezeigt, warum seiner Argumentation vor dem imaginären Gericht kein Erfolg beschieden sein konnte: Der Angeklagte im Traum sucht, paradoxerweise, seine Bestrafung abzuwenden, indem er eine Verpflichtung ins Feld führt, für deren Nichterfüllung er gestraft werden soll. Kleinschroth träumt seinen Wunsch und sein Bemühen, die Kinder zu retten, und zugleich das Wissen, genauer : die Befürchtung, das Gegenteil getan zu haben. Dem Verurteilten wird die erbetene Gnade verweigert, weil er denjenigen, den er noch versorgen möchte, bereits umgebracht hat und eben deswegen aufs Schafott geführt werden soll. Die »vergangene Zukunft«,59 so erinnerte sich Kleinschroth, brachte es an den Tag: Der Traum hatte prophezeit, dass der Sängerpräfekt zum Mörder werden sollte. Diese Vorhersage hatte an der Sache offensichtlich nichts zu ändern vermocht. Anders als bei Cardano scheint Kleinschroth sein Traum auch während der lebensbedrohlichen Erkrankung des Jungen und trotz aufkommender Zweifel an der Indikation nicht als eine mögliche Warnung in den Sinn gekommen zu sein. Gleichwohl hatte auch dieser Traum – und das zeichnet ihn als einen religiösen aus – eine mahnende und damit eine handlungsoffene Dimension: Der geträumte Junge ist tot, das Urteil gegen seinen Mörder ist jedoch noch nicht vollstreckt. Da dieser Vollzug, im Gegensatz zum Traum, von den weltlichen Instanzen real auch nicht zu erwarten war, blieb dafür allein das göttliche Gericht. Dies war zum Zeitpunkt des Schreibens freilich noch nicht zusammengetreten. Wie sein Urteil ausfallen würde, wenn Kleinschroth einst vor seinen Schranken stünde, hing von zweierlei ab. Zum einen musste es vom Delinquenten als gerechtfertigt anerkannt werden; diese Bedingung ist erfüllt, denn sie ist die Grundlage des gesamten Schreibens. Zum anderen war die Frage zu beantworten, worin die mörderische Tat genau bestand: inwiefern Anton 58 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 304v – 305r. 59 In Anlehnung an und Abwandlung von Koselleck, Vergangene Zukunft.
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eigentlich getötet worden war – und inwiefern nicht. Für den Körper schien dies eindeutig, für die Seele jedoch keineswegs. Noch einmal: Kleinschroth beschäftigte weniger Antons Tod, als vielmehr dessen Art: dass es womöglich ein »böser« gewesen war ; er fürchtete um die Seele des Jungen. Zu ihrer Erlösung tat Kleinschroth, was er konnte, mit Berichten von Antons reinem Gewissen, mit Fürbitten und mit einer dreißigtägigen Speisung eines Mannes, einer Frau und eines Knaben, »Gott den Allmächtigen zue Ehren, Jesu Maria vnd Joseph«.60 Aber die Sicherheit, dass seinen Bemühungen Erfolg beschieden sein würde, konnte er nicht haben. Gegen diese Furcht bedurfte es weiterer Träume. Kleinschroth hatte in den Tagen nach Antons Tod ein Gelübde geleistet, ein »gewisseß Votum«, das er erfüllen wollte, wenn Gott »an disen mein verstorbenen vnd von mir so vernachlässigten Knaben ein Gnaden Zeichen widerfahren lassen [sollte], eß möge sein, wie eß wolle«.61 Und Gott erhörte die Bitte. Die Träume, die er sandte zum Zeichen, waren drei an der Zahl, und sie erzählen, ihrem Anlass entsprechend, keine Geschichten irdischen Lebens, sondern bieten, in der Tradition mittelalterlicher Mystik, Visionen vom Jenseits.62 Als Kleinschroth an Antons »E[h]rtag«, einen Monat nach dessen Tod, im Begriff war, die dreißigste Messe zu lesen, erklärte ihm das »frome einfältige Weib«, das er zu Speisung und Fürbitte geladen hatte, den Jungen des Nachts »an einen gueten Orth« gesehen zu haben, in den Räumen ewiger Seligkeit. Als sie noch in Gedanken über des Jungen Seelenheil gewesen sei, erschien ihr, wie sie versichert, vor dem »Beth in der Höh der Antonius gantz schön, wie er zu Lebzeiten gewesen, in sein Kleid mit grünen Auffschlägen, wie er pflegte zue tragen, vmbgeben mit einen hellen schönen Schein, gantz fröhlich von Angesicht, bald in den Himmel sehent, bald mich anschauent«.63 Kleinschroth, als er diese Worte vernahm, fand Trost in »vnaussprechliche[r] Traurigkeith« und »empfunde ein absonderliche innerliche Freud«, gleichzeitig jedoch sah er sich mit dem Problem der Verifikation der Traumerscheinung konfrontiert. Er ließ die Frau »examiniren«, vom Präfekten und anderen »hoch verständigen H: Geistlichen vnderschidlichen Standß«, und er ermahnte sie, unter Androhung obrigkeitlicher Befragung, hier nichts zu erdichten. Die »Weibßpersohn« jedoch blieb bei ihrer Aussage, auch nach Beichte und Kommunion. Für ihre Glaub60 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 279r. 61 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 279r. Wie Kleinschroth das Gelübde zu erfüllen gedachte, bleibt an dieser Stelle unbestimmt. Näheres dazu unten in Anm. 87. 62 Für einen vergleichbaren Fall siehe Leutert, Geschichten vom Tod, S. 224. Zur mittelalterlichen Jenseitsschau vgl.: Mittelalterliche Visionsliteratur, hg. v. Dinzelbacher; Otto Langer, Vision und Traumvision in der spätmittelalterlichen dominikanischen Frauenmystik, in: Traum und Träumen. Inhalt, Darstellung, Funktionen einer Lebenserfahrung in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Rudolf Hiestand, Düsseldorf 1994 (Studia humaniora 24), S. 67 – 84. 63 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 309r – 314r, zit. 309r und 310r.
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würdigkeit sprach zunächst ihr untadeliger Lebenswandel und guter Ruf und dass die Bibel sagt, Gott habe durch »dergleichen frome Weibsbilder« »vill gewürckhet«. Dazu fügte es sich dann, dass sie sich durch ihren Bericht keinen Vorteil zu verschaffen versuchte. Kleinschroth entlohnte sie nicht für ihre Aussage, und die Frau hatte es auch nicht erwartet. Das bewies bereits ihr Verhalten sowie die Tatsache, dass sie von Kleinschroths Gelübde gar nicht wusste – von einem »Votum«, mit dem er ohnehin nur ein unbestimmtes Zeichen erbeten hatte und nicht speziell einen Traum. Doch es gab noch ein weiteres Indiz: den Inhalt ihrer Erscheinung. Wer Forderungen stellen wollte, träumte besser von einer Seele, die ihrer Erlösung noch harrte – um die nötigen Heilsmittel erbitten zu können: »bestimbte Messen in gewissen Orten, Klagkleidungen, Opffer, Aussteuerung zur Hey¨ rath, Almosen, vnd dergleichen mehr«. Diese Frau dagegen konnte mit ihrer Vision nichts verdienen; denn sie hatte von »einer schon erlösten« Seele geträumt, von schöner Lichtgestalt.64 Doch wie konnte Kleinschroth das wissen? Der gute Leumund der Frau schien ein Indiz, aber kein hinreichendes, und ihre Selbstaussage war kein Beweis, denn sie war es, die es zu bewahrheiten galt. So half nur eines: ein weiterer Traum. Zunächst war es Caspar, Antons Bruder, und dann Kleinschroth selbst, denen der Verstorbene, dem Vernehmen nach, des Nachts erschien. Beiden habe er versichert: »eß ist alleß gueth vmb mich« und »stehet alleß wohl«. Der Traum des Bruders und (vor allem, so kann ergänzt werden) Kleinschroths eigener, geträumt »fruhe zwischen 3 vnd 4 (vnder welcher stund er gestorben)«,65 offenbarten, wovon »diese frombe Weibßpersohn« »ihr Erscheinung gehabt«: eben »von einer schon erlösten Seel«.66 Drei im Kern identische Träume waren offensichtlich Verifikation genug. Caspar Liedtmayrs und Balthasar Kleinschroths nächtliche Bilder schienen zu beweisen, dass das »guette Weib« »wahrhafft« geträumt hatte, was es geträumt zu haben vorgab. Doch damit, es konnte nicht anders sein, waren noch immer nicht alle Fragen beantwortet. Geklärt war jetzt der Inhalt des fraglichen Traums, aber noch nicht seine Bedeutung: ob er sich göttlicher Inspiration oder teuflischer Einflüsterung verdankte. Wer garantierte, dass, was göttlich schien, auch göttlich war, und nicht ein »Betrug deß Feinds«?67 Prinzipiell wäre es denkbar 64 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 311v – 312r. Dazu fügte es sich, so Kleinschroth, dass sie ihre Erscheinung erst nach drei Tagen offenbarte – um Unglück zu vermeiden, wie es der »Gebrauch der gemeinen vnverständigen Leuth« gewesen sei (Bl. 313r). Bei dieser Überlegung lässt Kleinschroth freilich die Möglichkeit außer Betracht, dass die Frau eben deswegen drei Tage mit der Verkündigung ihres vermeintlichen Traums gewartet haben könnte, weil sie auf diese Weise die Glaubwürdigkeit ihrer unwahren Erzählung zu steigern vermochte. 65 Es erstaunte Kleinschroth, von Anton nur dieses eine Mal geträumt zu haben – obwohl er ihn des Tags beständig vor Augen gehabt habe: Flucht und Zueflucht, Bl. 294v, 310v. 66 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 312v. 67 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 313r und 314r.
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gewesen, hier zu exegetischen Zwecken einen weiteren Traum anzuschließen, e wie es etwa in einer anonymen Flugschrift geschieht, die »deß Turcken Untergang« prophezeite;68 an dieser Stelle jedoch hätte er das Problem lediglich weiter verschoben. Stattdessen hatte die Traumimagination selbst das Unterscheidungsmerkmal zu liefern. Als Jenseitsschau wies sie keine allegorische Verschlüsselung auf, und so ließen sich nunmehr alle Zweifel beseitigen. Das entscheidende Kriterium für ihre Wahrheit war die Furcht: »Daß eß aber kein Betrug deß Feindß gewesen, ist zue schliesßen auß disen, das sie an den erschinenen Jünglingß kein einzigß vnrechteß Zeichen ersehen oder vermerckhet hat, ein vnrechte Hand oder Fueß, oder dergleichen, so der böse Feind nit allerdingß zu verstellen vermag, obwollen er sich in einen Engel deß Liechtß verkehren kann. Zue e
e
68 Zwey Nachdanckliche Traum-Gesichte/ Von Deß Turcken Untergang. Zweifels ohn Von e Gottlicher Direction. Herauß gelassen von mehrmahls zugetroffen erfahrnem Designante Somniatore, o. O. 1684, S. 3 – 19. Auf die theologische Begründung der Möglichkeit prophetischer Träume in der Gegenwart (S. 3 – 5) lässt der anonyme Verfasser zunächst, »zum e Exempel«, die Erzählung zweier eigener »erschrocklich« Traumgesichte folgen, die ihn in e Erstaunen versetzten, »daß der Mensch ob einem Traume so geangstet und abgemattet e werden konne« (S. 9, vgl. auch 13), und die sich seinem Bekunden nach später als wahr erwiesen haben. Anschließend werden, »nunc ad rem«, zwei Träume vom Untergang des Osmanischen Reiches vorgestellt (S. 14 ff.). Beide erfahren ihre Deutung durch einen jeweils zweiten in derselben Nacht (S. 16 f.). Ein derartiges hermeneutisches Verweis- und Sicherungssystem, in dem auch noch das spätere Traum-Doppel auf das frühere Bezug nimmt (S. 18), gab dem Autor Anlass zu der Hoffnung, dass all diese Träume »bald wahr werden« mögen (S. 14), und rechtfertigte es, sie nach Prüfung ihrer Verträglichkeit mit der Heiligen Schrift (S. 18) auch als Frontispiz zum Druck gelangen zu lassen. – Eine Prophezeiung der späten Türkenkriege auf dem Wege des Traums findet sich auch in der Selbstbeschreibung Anna Vetters, wie sie abgedruckt ist bei Gottfried Arnold, Unpartheyische Kirchen= und Ketzer=Historie, Frankfurt a.M. 1729, Bd. 2, Teil 3, S. 281 – 284. Zu Vetter vgl. Eva Kormann, Traditionsbildungen des radikalen Pietismus. Zur Rezeption von Anna Vetters Visionen, in: Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus, hg. v. Ulrike Gleixner / Erika Hebeisen, Korb 2007 (Perspektiven in der neueren und neuesten Geschichte. Kultur, Wissen, Geschlecht 1), S. 107 – 122. – In Eberhard Happels Kriegs=Roman (S. 67 – 73) wird die osmanische Niederlage vor Wien von der gegnerischen Seite selbst prophezeit. Als der Hohe Rat 1682 den Sultan vom geplanten Bruch des zwanzigjährigen Friedens abzubringen sucht, hat dieser einen schreckerfüllten Traum. Er habe Mohammed gesehen, berichtet der Träumer nach dem Erwachen, wie er mit dem Koran auf einen hohen Berg gestiegen und auf der anderen Seite abgestürzt sei; Mohammed selbst, wenngleich sehr abgemattet, sei mit dem Leben davongekommen, aber vier der goldenen Spitzen seien verloren gegangen, die er auf dem Turban wie eine Krone getragen hatte, und seine Ausgabe der heiligen Schrift habe sichtlich Schaden genommen. Der Hohe Rat ahnt die Bedeutung, die der christliche Leser schon kennt. Doch auf ihn will der Sultan nicht hören. Er schließt sich der Interpretation seines Großwesirs an und wirft einen Mufti hinaus, der sich weigert, sie zu bestätigen. Unter offensichtlicher exegetischer Gewaltanwendung entnimmt der Sultan dem Traum eine Aufforderung zur Kriegserklärung an den Kaiser; und dies bleibt nicht ungestraft. Die Fehldeutung des Traums, die Missachtung der (christlichen!) Warnung, bringt seine Erfüllung: zunächst die Gefahr für die Christen und am Ende die Niederlage der Türken.
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dem kan er woll ein Freuen verursachen, aber kein bleibenter, sondern last nach sich ein grosse Traurigkeith deß Gemüthß, welcheß sich vill anderst erzeuget in dieser Erscheinung, dan dise Weibsperson nit allein zur selben Zeit grosse Freud in ihr empfunden, sondern auch noch nachhero behalten, vnd bißhero empfindet, wan sie daran gedenckhet, ia öffterß ihr wünschet ihm zuesehen: Vnd obwollen sie ihm nit getrauet anzuereden, weilen sie nit gewust, was sie sagen solte, hat sie ihr doch nit in geringsten geförchtet, noch darnach: Sie sagte auch, das der Schein nicht eineß Feuerß gewesen sey¨e, sondern eineß hellen Liechtß vmb sein gantze Person, in welche er frölich vnd über die Massen schön erschinen, doch in seiner vorigen Gestallt, mit welcher er begabt, vndt nur gar zue woll zue erkennen war.«69
Im Engelsgewand des geträumten Anton verbarg sich kein Teufel; denn das Bild des Jungen gab keinen Anlass zur Furcht. Wo Traumerscheinungen Strafe in Aussicht stellten, waren Furcht, Angst und Schrecken probate exegetische Begleitaffekte – implizit auch in Kleinschroths Hinrichtungstraum, auch wenn der Erzähler es für diesen nicht diskutiert. In seiner Jenseitsvision lagen die Dinge jedoch anders. Furchteinflößende Attribute einer fröhlichen und schönen Gestalt, Klauen am Engel des Lichts, hätten diabolische Täuschungsmanöver verraten.70 Kleinschroths zweiter Traum sollte keine Furcht erregen, sondern die Furcht nehmen, in die der erste versetzt hatte. Entscheidend für den heuristischen und exegetischen Wert der Furcht im Traum war also die Frage, wer welche Furcht erregte und mit welcher Absicht. Aus dieser Perspektive scheint dann auch die Jenseitsschau der Seherin nicht gänzlich frei von Furcht: Auch wenn sie sich vor Anton nicht gefürchtet hatte, hatte sie »aber gleichwoll ihm nit getrauet anzureden«.71 Die Scheu vor der hell erstrahlenden Person ist eng assoziiert mit der Ehrfurcht vor Gottes Herrlichkeit. So trug zur Bewältigung traumexegetischer Unsicherheiten auch eine Ausdifferenzierung der Furchtsemantik bei. Jeder Zweifel schien nunmehr beseitigt. Ungeachtet dessen ist jedoch weiter zu fragen: Woher konnte Kleinschroth die Gewissheit nehmen, dass ihm das 69 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 313r/v. In dieselbe Richtung äußert sich der Verfasser auch im Anschluss an den ursprünglichen Traumbericht (Bl. 310r): »[I]ch hab mich zwar nit geförchtet, aber gleichwoll ihm nit getrauet anzureden, ich hab in mir ein grosße Freud empfunden vnd dieselbige auch hernach behalten: Alß er also gegen einer Viertelstund vor mir war, gelobte ich bey¨ mir, das ich wolte künfftig Sambstag in der Loreto Capelln ein Mesß hören, alsdan ist er verschwunden, ich hab hernach auch nit mehr schlaffen könen, vor Trost vnd Liblichkeit diser Erscheinung«. 70 Für den lutherischen Protestantismus vgl. Weiß, Traumglaube, S. 229, 243, für England Janine Rivière, »Filthy dreamers and scurrilous dreams«: The Politics of Dreams in Seventeenth-Century England, in: Proceedings of the University of Queensland History Research Group 12 (2001), S. 15 – 22, hier 17. Im Inquisitionsprozess gegen die Benandanti im italienischen Friaul verriet eine geträumte Engelsgestalt ihren diabolischen Charakter, indem sie die Seele des Träumers zu einer theologisch inkriminierten Ausfahrt aus dem Körper aufforderte: Carlo Ginzburg, Die Benandanti. Feldkulte und Hexenwesen im 16. und 17. Jahrhundert, Hamburg 1993 [Turin 1966], insbes. S. 197. 71 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 310r, auch 313v.
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»einfältige Weib« die Wahrheit gesagt hatte, als sie von ihrer Furchtlosigkeit im Traum berichtete? Auch wenn die Verbindung im Text nicht ausdrücklich hergestellt wird: Am Ende scheint es Kleinschroths eigener – furchtloser – Traum zu sein, der nicht nur den Inhalt der Traumerscheinung des »Weibes« bestätigt, sondern auch deren Furchtlosigkeit. Implizit erweist Kleinschroths Traum damit nicht nur, was sie geträumt hat, sondern auch dessen Bedeutung. Und damit wiederum setzt der Sängerpräfekt, ebenfalls unausgesprochen, auch für seinen eigenen Traum die Furchtlosigkeit als entscheidendes Verifikationskriterium ein. Dessen bedurfte es (auch wenn Kleinschroth es nicht eigens erwähnt), um Sicherheit zu gewinnen, dass auch aus seinem Traum die Wahrheit sprach und nicht die Lüge. Was der Bestätigung diente, musste selbst bestätigt sein (und machte das Bestätigte damit eigentlich verzichtbar). Es kristallisiert sich ein geschlossenes Deutungssystem heraus, eine Kette der Träume, in der der spätere den früheren erklärt.72 Zusammengenommen vermittelten sie die Gewissheit, dass Anton erlöst war, trotz seines im Gerichtstraum angekündigten gewaltsamen Todes. Nachdem in der Vergangenheit das prophezeite körperliche Unheil eingetreten war, eröffneten die drei Jenseitsvisionen einen Prospekt auf die Zukunft seelischen Heils (deren Kenntnis zum Zeitpunkt des Schreibens freilich allein auf Glaubensbasis erlangt werden konnte: als Hoffnung)73. Gleichzeitig wirkten sie exegetisch auf den Initialtraum zurück. Sie brachten Gewissheit über das, was in ihm noch ungewiss gewesen war : die Begnadigung Balthasar Kleinschroths. Da nun kein Zweifel mehr daran bestand, dass des Jungen Seele nicht ermordet worden war,74 konnte ein göttlicher Richter auf eine Vollstreckung des Urteils verzichten; er hatte des Erwachten Bitte um Gnade erhört. Die drei Jenseitsvisionen klärten darüber auf, dass Kleinschroth die implizite Mahnung des Exekutionstraums verstanden und das Nötige getan hatte, um zusammen mit seinem Schützling auch sich selbst für die ewige Seligkeit zu qualifizieren. All dies freilich lag von Anbeginn begründet in Gottes »heimlichem« und »vnergründlichem Vrtheill«.75 Göttliche Träume gewährten Einblick in eine Ordnung, die der, der sie schickte, vor den Augen der Menschen verbarg. Anton, das wusste Kleinschroth jetzt, war in Krankheit gewesen ohne Krankheit, in 72 Dies ist durchaus topisch, bereits seit dem alttestamentarischen Traum des Daniel (Dan 2). Für die Topologie der Traum-Literatur des Barock vgl. Manfred Engel, Träume in der deutschsprachigen Barockliteratur, in: Traum und res publica, hg. v. Schmidt / Weber, S. 59 – 75, hier 63. 73 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 272v : »[D]an er ist hoffentlich in die Freud deß H: eingangen«. 74 Der erste Traumbericht artikuliert diesbezüglich keine Unklarheit, implizit ist sie aber auch in ihm enthalten. 75 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 262r, 279v, 295v, 309r/v.
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»Gfahr ohne Gfahr«.76 Kleinschroth hatte ihn aus der einen Bedrohungslage in eine andere geführt, doch Gott führte ihn wieder heraus.77 Und so brachte Antons plötzlicher Tod, bei Licht besehen (oder im Nachhinein), nicht nur höchste Gefahr und größten Schmerz, sondern auch so manchen »Gewinn«:78 Bei Caspar, dem Bruder, zeitigte er unverhoffte Gottesfurcht und auch Kleinschroth selbst habe er zur Besserung des Lebens und Vorbereitung auf ein seliges Sterben gemahnt.79 Und Anton? Ihn, so der Autor, befreite der unvorhergesehene Tod aus einer unbeständigen und »ey¨ tlen Weld«;80 ihm gewährte eine »gschwind vollbrachte Jugent […] ein vill vollkomenereß Alter […] alß das vnseriche lange[] Leben in Sünden«.81 Als er in Todesängsten »phantasirte«, offenbarte der Sterbende die Reinheit seines Herzens, die er vor der Welt so manches Mal verborgen gehalten hatte und von der Gott allein genaue Kenntnis besaß.82 Hintergrund dieses positiven Perspektivwechsels freilich war, dass sich eine zentrale Befürchtung als gegenstandslos erwiesen hatte: Anton hatte die Generalbeichte, die er wiederholt erbeten und die Kleinschroth bis zuletzt hinausgeschoben hatte, ohne dessen Wissen doch noch abgelegt.83 So offenbarten die Träume, dass der Sängerpräfekt seinem Schützling nicht nur den Tod gebracht hatte, sondern damit auch das ewige Heil, und das heißt: dass Gott niederwarf, um aufzurichten, dass er Schmerzen zufügte, um Trost spenden zu können, dass er väterlich strafte, mit Angst und Not, um seine Majestät zu »vermehren«.84 Kleinschroth hatte am Ende die göttliche Gnade nicht verwirkt, sondern war ihr heimliches Werkzeug. Es war Gott und nicht er, 76 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 279v. 77 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 272v. 78 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 260r : Kleinschroth konnte »kaum den Schmertz [über] den nachfolgendten Casum beschreiben, vor grosser Bestürtzung eines so vnverhofften, traurigen vnd vnwiderbringlichen Verlust, wan er nit ein Gwinn zue nennen ist«. 79 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 271r. 80 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 279v ; vgl. Bl. 284r. 81 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 286r/v. Vgl. die ungewöhnliche Lebensalterberechnung in Andreas Gryphius’ Grabinschrift für seine kurz nach ihrer Geburt verstorbene Nichte Mariana; dazu oben Kap. 5.4. 82 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 296v – 297r, 298v, zit. 297r : »Er war alius intus alius foris, anderst in Gemüeth, anderst in Ansehen, anderst bey¨ Gott, anderst bey¨ den Menschen, vnd hat also wollen in Verborgen Gott gefallen, vnd der Welt offentlich misßfallen, obwollen alle, die ihm [sic] sahen, vnd mit ihm vmbgiengen, ein sattsameß Wollgefallen an ihm hatten.« Die Entgegensetzung von »Innen« und »Außen« fällt hier bemerkenswerterweise zu Gunsten der fraglichen Person aus und nicht zu ihrem Nachteil. Damit wird keine religiös-moralische Kritik an einer Diskrepanz von (schönem) Schein und (bösem) Sein formuliert, sondern das Lob auf ein wahres Gottesverhältnis, das sich, wie der Schöpfer selbst, im Verborgenen entfaltete und der Welt gab, was sie verdiente. 83 Kleinschroth, Flucht und Zueflucht, Bl. 276v – 278v, 287r, 289r/v. Zudem hatte Kleinschroth seinen Schutzbefohlenen in vielfältiger Weise auf den »gähen Tott« vorbereitet: Bl. 306v – 307v. 84 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 291v, 295v – 296r.
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der den Jungen aus dem Leben genommen hatte; und so hatte Kleinschroth ihm das Leben geschenkt.85 Um all dies zu erkennen, brauchte es gottgesandte Träume und keine »eingebilte guete Versicherung« der Menschen, die nichts war als leere Hoffnung, Betrug und »lauter Traumgedicht«.86 Erst als die Bedeutung der Jenseitsvisionen erkannt war, wurde – neben ihnen selbst – auch der Traum vom Gericht beschreibbar. Erst im Wissen um die Erlösung ließ sich eine imaginäre Hinrichtung erinnern, die nicht allein die Furcht, die Erlösung verspielt zu haben, ins Bild setzt, sondern auch die Hoffnung auf Gnade. Diese Traumerzählung verdankte sich nicht schon dem Tod des Jungen, der diesseitigen Erfüllung der nächtlichen Prophezeiung, sondern erst dem Vertrauen auf ihre schlussendliche Nichterfüllung: auf die Rettung der Seelen im Jenseits. Dieses Vertrauen wiederum schien nur dann gerechtfertigt, wenn Kleinschroth von diesen Träumen und ihrer Bedeutung erzählte. Da nun auch Anton gerettet war, sah sich Kleinschroth noch einmal verstärkt gefordert zu tun, was sein Schützling nicht länger vermochte: das Gelübde zu erfüllen und den Text endlich nach Altötting zu bringen – ergänzt um den Bericht von Antons Rettung und dessen Sterben zuvor. Denn wurde der Vertrag nicht erfüllt und die Gegenleistung nicht erbracht, war das versprochene Heil noch immer nicht gesichert. In diesem Sinne bedingt auch in Kleinschroths Text die Deutung des Traums nicht allein die Beschreibung des vergangenen Lebens (so wie die Erinnerung an das Leben die Deutung des Traums), sondern auch den Entwurf des künftigen (und zugleich ist es dieser Entwurf, der die Deutung des Traums und die Beschreibung des Lebens bestimmt). Die Deutung des Traums wirkt zurück auf die Biographie, von der er kündet, nicht nur auf die erzählte, sondern auch auf die noch zu lebende (die immer schon als Teil der Erzählung erscheint). Der Akt dieses autobiographischen Schreibens enthält eine Zukunftsdimension, die über den Text hinausweist und doch selbst sein Teil ist. Wer Balthasar Kleinschroths Tagebuch liest, stößt auf traumexegetisch-autobiographische Rückkopplungen, die den gesamten zweiten Teil des Textes strukturieren. Im Gegensatz zu den Autobiographien Cardanos und Güntzers präsentiert dieser Abschnitt, wie auch der Fluchtbericht zuvor, lediglich den Ausschnitt eines Lebens. Dessen ungeachtet jedoch bietet er eine spezifische Abgeschlossenheit, zum einen weil er, nach des Autors Bekunden, separat verfasst worden ist (was nicht sinnvoll bezweifelt werden kann), zum anderen und vor allem jedoch, weil am Beginn der in ihm erzählten Geschichte ein Traum steht, der nicht nur durch das beschriebene Leben erklärt wird, sondern auch durch drei weitere Träume an seinem Ende. Über die Fortsetzungsgeschichte 85 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 279v. 86 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 289v.
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hinaus gewinnen diese Träume dann auch zentrale Bedeutung für das Tagebuch insgesamt. Sie erinnern Kleinschroth daran, seine »Vota zue vollziehen«: Sie erlegen ihm auf, eine Überlebensgeschichte zu vervollständigen, in der die Flucht vor den Türken nunmehr als ihr Anfang erscheint, und beide Teile jetzt auf der Wallfahrt zu opfern.87 Derartige Traumerzählungen sind nicht allein konstitutiv für den autobiographischen Text, in dem sie sich befinden; darüber hinaus weisen sie strukturelle Parallelen zu denjenigen Furchtbeschreibungen auf, die keine Träume enthalten, zu Kleinschroths Fluchtbericht etwa und zu vielen anderen auch. All diese Texte künden von einer Furcht in der Vergangenheit und ihrer Überwindung in Gegenwart und Zukunft. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Erkennbarkeit der Bedrohung, des Mediums der Erkenntnisgewinnung und damit der Form der Imagination. Und so manifestiert sich im Traum auch die zukunftsweisende Dimension der Furcht. Die Erinnerung an die eigene Furcht hatte Ähnlichkeit mit der Erinnerung an einen divinatorischen Traum: Sie memorierte die Ankündigung des Bedrohlichen und dass es abwenden konnte, wer sie und ihre Affizierung recht verstand. Dies ist, neben narratologischen Aspekten, einer der maßgeblichen historischen (und das heißt religiösen) Gründe dafür, dass sowohl die Furcht als auch der furchterfüllte Traum erst vom (guten) autobiographischen Ende her darstellbar wurden. Der erste Teil von Kleinschroths Diarium, der von der Furcht vor »Türken und Tataren« erzählt, und die Beschreibung der Furcht des Gewissens im zweiten Part enthalten dieselbe Botschaft: Die Akzeptanz der Strafe setzt sie am Ende aus.88 Erst das Wissen um dieses Ende ermöglichte die Beschreibung des Anfangs. Die Furchtlosigkeit in Kleinschroths zweitem Traum lieferte den Beweis für eine
87 Ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 314r. Der Fluchtbericht selbst war, wie gesagt, zum Zeitpunkt des Träumens bereits verfasst. Worin das zweite, das »gewisse Votum« (Bl. 279r) genau bestand, wird nicht gesagt. Der Gesamtzusammenhang legt jedoch zwingend nahe, dass auch dieses Gelübde die Niederschrift und Opferung eines Berichtes versprach. ›Wenn du, Gott, uns rettest auf der Flucht‹, gelobt Kleinschroth sinngemäß im ersten Teil des Tagebuchs, ›so schreibe ich es auf und bringe es nach Altötting. Gleiches gilt‹, so das Versprechen im zweiten Teil, ›wenn du die Seele Antons bewahrst, der die Flucht nicht überstanden hat, und mir ein Zeichen gibst, dass du es getan hast.‹ – Eigentlich vergessen hatte Kleinschroth sein Gelübde auch über den Krankheiten nicht. Wiederholt bekennt er, es noch nicht erfüllt zu haben, gibt die Gründe dafür an und erneuert den entschlossenen Vorsatz seines Vollzugs: Bl. 207r, 208v, 215r, 258r/v, 311r. 88 Vgl. auch ders., Flucht und Zueflucht, Bl. 276v. Die anfängliche Todesbereitschaft im Gerichtstraum dürfte sich nicht allein aus einer grundlegenden christlichen Jenseitsorientierung und Todessehnsucht erklären, sondern auch aus dem Respekt gegenüber weltlichen Obrigkeiten und Autoritäten. Fragwürdig wird deren Urteil in dieser Erzählung allein durch eine höhere Gerechtigkeit. Der geträumte Widerstand hält freilich nur so lange an, bis sich herausstellt, dass der Urteilsspruch gar nicht als Unrecht zu betrachten ist.
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göttliche Begnadigung, die ihre Voraussetzung war und ebenso ihre Folge und die die Gewissensangst einsetzte, aus der sie befreite. Es ist festzuhalten: In den Selbstbeschreibungen Güntzers und Kleinschroths (und letztlich auch Cardanos) erhält die Traumerscheinung eine emblematische Funktion (sei es implizit oder auch, wie bei Güntzer, ganz ausdrücklich und nach den Vorgaben zeitgenössischer Emblematik89), und so gewinnt sie eine zentrale Stellung am Anfang des Lebens, von dem die Texte berichten. Damit wiederum steht der Traum auch am Ende der gelebten Zeit: am Beginn der autobiographischen Berichterstattung. Nirgends wird dies deutlicher als im zweiten Teil von Kleinschroths Tagebuch, in dem die Träume an seinem Schluss der Auslegung des Traumes an seinem Anfang dienen und damit das autobiographische Schreiben erst ermöglichen. Die erzählte Geschichte findet ihr Ende und die Erzählung kann beginnen, als geklärt ist, was der Initialtraum bedeutet. Diese Struktur setzt voraus, dass der Traumtext ein Narrativ enthält, das auf die gesamte Lebenserzählung abgebildet werden kann. Wo dies gegeben ist, wiederum, korrespondiert die Beschreibung des Traums mit der Beschreibung der Furcht, die den Traum affiziert. Die Furcht steht am Anfang des Lebens und ihre Überwindung an seinem Ende, am Beginn des Schreibens über sich selbst. Dieser Kurz- und Zusammenschluss von Furcht-, Traum- und Lebensbeschreibung spiegelt die Geschlossenheit einer gnadenvollen Providenz. Die Autobiographien Cardanos und Güntzers sowie Kleinschroths Fluchtbericht gehören zu den wenigen auffindbaren Texten des 16. und 17. Jahrhunderts, in 89 Vor der eigentlichen, eingangs zitierten Erzählung von Güntzers kindheitlichem Traum, der pictura des Emblems, und dem abschließenden Gebet, der subscriptio (Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 14r – 15v), findet sich die inscriptio, die sich leicht an ihrer gebundenen Rede identifizieren lässt (Bl. 13r/v): »Ano 160 segxen [sic] Jahrr wirdt ich in einem Traum gewahr, e wie daß ich werdte außstehen groß Angst undt Gefahr mitt Streitten undt Kompffen mitt dem Teiffel, ich sag. Auff einen Tag im Midtdag es wahr, da kam ein schwartzer Man daher fihr meines Vatters Hauß undt leidtet an der Klogen an. Mein Vatter sprach: Es ist Man da, Bub lauff undt frag, wehr ist da? Ich lieff geschwindt, frag: Wehr ist da? Der Man sprach, er sey da. Ich sprach: Wehr seidt ihr, daß ich es kan sagen? Er sprach: Ich bin der Teiffel, kom herunder, e du must mitt mihr streitten undt schlagen. Dem bossen Geist ich ich balt Antwordt gab mit dißen Wordten: Ich gehe nicht hinab, mache dich fordt von mihr, du hast mit mihr nichts zu schaffen, Gottes Geist undt sein Engelin werdten mich verwachen. Er sprach: Es muß sein, mit i[h]me muß ich ein Kampff außstehen. Ich sprach: Muß es dann sein, so gib mihr, Her, dine Engelin, daz sie mich fihr dem Findt bewahren fein. Vom Himel 2 Englin da kamen balt, trugen mich dergestalt under eine Pricken uber dem Wasser balt. Ich lobete Gott mit Betten e und Singen, der boße Geist auff ein schwartzen Roß mit einem Spere um mich dudt springen.« Zur Emblematik bei Güntzer siehe Sieber, Erlesenes Leid, S. 54; grundlegend: Peter Hesselmann, Gaukelpredigt. Simplicianische Poetologie und Didaxe. Zu allegorischen und emblematischen Strukturen in Grimmelshausens Zehn-Bücher-Zyklus, Frankfurt a.M. 1988, S. 68 – 106; Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 3 1993 [1964].
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denen sich diese Konstellation unmittelbar und umfassend erweisen lässt. Ungeachtet dessen können die drei Schriften eine qualitative Repräsentativität für sich beanspruchen; dies belegen weitere Lebenserzählungen, in denen sich ähnliche Strukturen andeuten, vor allem die Autobiographien Johann Valentin Andreaes,90 August Hermann Franckes,91 Paul Winklers92 und Athanasius Kir90 Andreae, Autobiographie, Buch 1, S. 64/65 – 66/67: »Indem ich so in voller Gunst bei fast allen Größen der Universität stand, d. h. bei Osiander, Hafenreffer, Magirus und Ziegler, meinen mir besonders geneigten Förderern, überdies durch ein reichliches Stipendium unterstützt wurde, brachte ein schwarzer Sturm mir beinahe den Untergang. Denn ich erinnere mich, daß ich im Schlaf sah – um sogar einen Traum zu erzählen –, wie eine pechschwarze Wolke sich tief herabsenkte und hart an den Fenstern des Hauses vorbeistreifte. Ich öffnete eines der Fenster und riß ein Stück ab, das so kalt war, daß ich durch seine eisige Berührung erwachte. Das Ereignis ließ nicht lange auf sich warten. Da waren ein gewisser Heusser aus Österreich, Sigismund Rath und einige andere, die reichlich frechen Spott gegen die allzu ausschweifenden und häufigen Liebschaften jener Zeit richteten, zweifellos auch Unschuldige hineinzogen. An dieser Schändlichkeit wurde auch ich beteiligt, sie wurde aber bald entdeckt und zog mir Strafe und Schande zu. Denn die Schuldigen und Unschuldigen verfolgten daraufhin der Unwillen und das Ansehen des Matthäus Enzlin gleichermaßen, eines ziemlich versierten Rechtsgelehrten, aber damaligen Sejans für unser Vaterland, der dadurch beleidigt war, daß man seinem Hause den Vorwurf der Unkeuschheit machte. Von da an schätzten mich andere geringer, ich mich selbst aber am allergeringsten. Schon hatte ich mich der Theologie unter der Führung Michael Schäfers ergeben, eines Theologen von gründlichen Kenntnissen, der besonderen Beifall fand. Schon hatte ich öffentlich gepredigt, zuerst in Sachsenweiler, dem Geburtsort meines Schwagers Plieninger, danach öfter in Hermaringen bei Felix Rösch, meinem treuen Jugendlehrer, schließlich auch in der Gegend von Tübingen, besonders in Derendingen, und zwar mit Erlaubnis der theologischen Fakultät. Nun hätte ich die gewöhnlichen Stufen mit der Zustimmung aller Rechtschaffenen hinaufsteigen können. Doch entweder mein Schicksal oder die Entrüstung über die Angelegenheit vertrieben mich aus dem Vaterland.« Vgl. dazu Sebastian Leutert, Religiöse Träume und visionäre Prophetie in der frühen Neuzeit. Dargestellt unter besonderer Berücksichtigung deutschsprachiger Selbstzeugnisse und Visionsberichte. Lizentiatsarbeit an der Universität Zürich, Typoskript 1996, S. 96 f. 91 August Hermann Francke, Lebensnachrichten über A.H. Francke, von ihm selbst zusammengestellt, in: Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s, enthaltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s, hg. v. Gustav Kramer, Halle a. d. S. 1861, S. 56 – 79, hier 77 – 79. Als Franckes Berufung ins Predigtamt anstand, hatte er zwei Träume (berichtet in der dritten Person): »Erstlich kam Ihm vor, als hätte Er vor sich stehen ein Gefäß mit Erdfrüchten, und ward Ihm dabei gesaget, Er solte nur die reiffesten daraus lesen. Darauf kam Ihm vor, als würde Ihm ein Gefäß mit Oel gegeben, da sagte er : Es ist unrein. Es ward Ihm aber gesagt: Er solte Seine Zähne damit reinigen. Da erwachte Er, und fand sich in seinem Gemüthe bekümmert, und bat Gott, wenn es etwas wäre, das Ihm dadurch solte zu erkennen gegeben werden, so möchte Ers Ihm deutlicher zu erkennen geben, weil Er dies nicht verstünde. Da schlief Er bald wieder ein, und Ihm träumete, als wäre Er zu Leipzig, und wäre etwas angeschlagen, und zwar an dem pult, welches Er auf pellere (austreiben) deutete. Er war aber als bey dem so genanten schwartzen=Bret zu Leipzig, und fand einen bey sich stehen, Namens Bulde, Stud. Theol., der Ihm seine Collegia mannichmal angeschlagen, welcher nachhero Superintendens zu Wasungen in dem Meiningischen geworden ist. Zu dem sagte Er : Ich will auch wieder anschlagen. Es ist wol gut, saget er, aber es sind Leute von Erffurt da, die wollen Ihn hören. Er antwortete: Kennen sie mich denn? Nein, antwortete er
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chers93 sowie das Tagebuch des Johannes Plebanus.94 In ihnen geben Träume Trost in der Gefahr und Orientierung im Handeln, in alltäglichen Entscheidungssituationen ebenso wie in zentralen: an Wendepunkten des Lebens.95 Ihm, aber sie haben von Ihm gehöret. Hierauf erwachte Er, und wußte so wenig, was er aus diesem, als was Er aus dem erstern Traum machen solte; würde sich auch daran weiter nicht gekehret haben, wenn nicht, nach dem Er früh aufgestanden, Briefe von Leipzig an Ihn kommen, die gemeldet, daß allda am schwartzen Bret, am Rath=Hause und Amt=Hause die Collegia pietatis angeschlagen und verboten wären; da Er doch noch nicht an den Traum gedachte. Aber an eben dem Tage kamen Nachmittag vorgedachte Briefe von Erffurt an Ihn, darinnen Er von der Augustiner-Gemeine, zu Ablegung einer Gast=Predigt, wegen vacant gewordener Diaconat=Stelle eingeladen ward. Hier fiel Ihm nun sein Traum, den Er von Leipzig und den Leuten von Erffurt gehabt, ein, und konnte es nunmehr nicht wohl für einen bloßen Traum halten, der nichts bedeutet hätte.« Diese Träume initiieren im Text keine pietistische Bekehrung und Umkehr, sondern geben Handlungsorientierung an einer zentralen Schnittstelle des Lebens. Francke nimmt die Berufung an, setzt sein Universitätsstipendium zurück und lässt die autobiographische Erzählung hier ihr Ende finden. 92 August Kahlert, Paul Winkler’s Selbstbiographie, in: Zeitschrift für Geschichte und Alterthum Schlesiens 3 (1860), S. 82 – 146, hier 92 f. Für eine psychologische Deutung vgl. Ulbricht, Ich-Erfahrung, S. 131 – 134. 93 Kircher, Vita, Bl. 30r – 32r : Eines Nachts, im Jahr 1631, sah Kircher, wie er berichtet, in einer Wachvision den Hof des Würzburger Ordenskollegs mit feindlichen Soldaten gefüllt. »Von Schrecken erschüttert« (horrore attonitus) und »in Bedrängnis seiner Seele« (angustia animi) schaute er ein Unheil, wie in einem Spiegel, das nicht nur diesem Kollegium, sondern ganz Deutschland bevorzustehen schien. Die Vorahnung sollte sich bewahrheiten: Im Oktober des Jahres standen schwedische Truppen vor den Toren des Kollegs. Seine Mitglieder strömten in größter Verwirrung auseinander, »ergriffen« von eben dem »Schrecken« (terrore perculsi), den Kircher verspürt hatte, als er ihn vorhersah. Die Vorahnung bewahrheitete sich, weil niemand Kirchers Warnung hatte beachten wollen: weil der Seher nicht gehört, sondern verlacht worden war. 94 Aufzeichnungen des Pfarrers Plebanus, hg. v. Heymach, S. 271: »Den 16 Julij [1636] hatt ich mir gentzlich fürgenommen, den Zustand zu Miehlen zu besuchen und hinaus zu gehen, wurd mir aber in ista via zu Patersberg von einem und dem andern meiner Nachbarn heftig wiederrhaten. Und weil mir dann auch einfiel, was ich nechst vergangene nacht für einen schweren traum wegen groser gefahr under Mördern ausgestanden, hab ich dem allem nachgedacht, bin wieder umbgewendet und blieben. Folgenden tag ist mir angezeigt worden, wie ein Raubvogel oder 4 den gantzen Sambstag zu Miehlen und in dem Feld aufgepasst, also dass der einige Man, so im Feld Korn geschnitten, ihnen entlaufen müssen. Hab mir hieraus die Rechnung leicht zu machen gehabt, dass solche meiner Wiederkunft zu Nassauw seyen inne worden und gehoffet mich vielleicht zu erhaschen.« Der Traum vom 19. Juni war grundlegender. Nachdem Plebanus auf Begehren des verstorbenen Vaters in einem »wunderlichen traum« den 116. Psalm im Gottesdienst ausgelegt hatte, notierte er (S. 269): »Ob dann wol ich aus der Natur und zuvor aus Gottes wort weiss, dass nicht leicht uf die traum etwas zu geben, so weiss ich doch auch, dass zwischen den traumen ein groser Underschied, und dass under denselbigen etliche von Gott eingegeben seyen, dardurch bisweilen zukünftiger Ding die Menschen erinnert, gelehret, vermahnet, gewarnet und getröstet werden. Wann aber ich in diesem meinem langwierigen Exilio, darinnen mich die barbarische Soldaten mit den meinen, Gott erbarm es, gebracht haben, nacht und tag mich bekümmere, auch dass man dieses grosen Jammers noch kein End und Ufhören sehen oder spüren kan, dieses alles wann ich bedencke, wie ich’s stätig, besonders wenn ich allein für mich selbsten bin, bedencken muss, und solcher Gedancken, ob ich schon gern wolt, nicht ledig werden
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An der Wende zum 18. Jahrhundert rückte die träumende Vergewisserung über das eigene Heil dann noch einmal in den pietistischen Selbstbeschreibungen in den Vordergrund. Sie schlagen den Bogen zurück zum Beginn des Kapitels, zu Augustin Güntzers Kindheitstraum, und schließen in mancher Hinsicht den Kreis. Einschlägig und repräsentativ ist hier weniger August Hermann Francke als vielmehr die Autobiographie des Böttchers Hans Ludwig Nehrlich.96 Sie weist unübersehbare Parallelen zu der von Johann Henrich Reitz herausgegebenen Sammelbiographie Historie der Wiedergebohrnen auf, und gleichzeitig finden sich strukturelle Unterschiede. Bei Reitz fungieren schreckerfüllte Träume vielfach als göttliche Mahnung zur Umkehr : als Initialzündung kan, als entstehet grose Melancholie, trauwrigkeit und schwermuht bey mir, dass ich ofter nicht aus und ein weiss. Darumb halte ich gentzlich dafür, dass vorerzehlter traum, darinnen ich auf diesen Psalmen, desen Betrachtung und Auslegung bin gewiesen worden, ein Göttlicher traum und Gesicht sey gewesen, darmit mich der getreuwe Gott aufmundern wöllen«. Weitere Hinweise auf Träume auf S. 282 – 285 (April und 16. Juli 1637). 95 Aufschlussreich sind darüber hinaus die Lebenserinnerungen des lutherischen Pfarrers Johann Gerhard Ramsler – auch wenn die einschlägige Traumerzählung keine autobiographische ist. Ramsler, Lebens- und Leidensweg, S. 24, berichtet von den Folgen der »ohnerträgliche[n] Müeh, Gefahr, Plünderung, Angst und Schrecken«, die seine Eltern im Jahr 1640 erlitten und die »mit keiner Feder beschrieben werden« könne: »Wer wollte sich nun verwundern, daß ein solcher an Leibs- und GemüthsKräfften abgetriebene junge Mann in so kurtzer Zeit sein Leben enden sollte. Gott hatte ihm sein Creutz und letzte Stunde abgemessen und wollte seinem Jammer ein Ende machen, welches ihme ein Traum in der Nacht vor seinem seeligen Abschied angedeuttet, da er mit einem grimmigen Löwen gekämpfet und denselben überwunden, auch die Mutter zugleich eben in derselben Nacht im Traum ein leydtragendes Weiblen mit einem Schleyer auf dem Kopf gesehen, welches mit einem Stecken zween Storcken auf ihrem Nest voneinander geschlagen, daß der eine todt zur Erden gefallen, auch beede einander morgens dieße Träume erzehlet haben, worüber zwar der Vatter die Mutter wegen der Träume Nichtigkeit getröstet, gleichwohl heimlich bey sich geseufzet und noch selbigen Tag die Bedeuttung erfüllen müßen. Es war im Jahr Christi 1640, die Charwochen vor der Thür, da er in seinem gedingten Hauß außer der Stuben auf- und abgieng und auf PassionsPredigten meditirte, als ihn plötzlich ein Schlagfluß rührte, der ihm gleich die Sprach genommen, worüber er in die Stuben und auf das Lotterbett sich eilendts begeben und mit Fingerdeutten sein Anliegen und anderes mehr andeutten wollen, allein es entsetzte sich die Mutter über den schnellen Affect und wußte vor Schrecken nicht, was sie thun sollte. Die Nachbarn liefen hinzue und ratheten zu Mitteln, allein es wolte nichts helfen, der Vatter aber nahm in aller Gegenwartt das Käpplen vom Haubt, faltete die Händ auf der Brust zusamen, bettet und seufzt bey sich selbst und verschiede gleich darauf sanft und seelig.« Wer die Bedeutung des Traums nicht versteht, so die Botschaft, der muss sie »erfüllen«. Gleichzeitig liefert der gesamte Mechanismus in Ramslers Augen den Beweis für die Gewalt der Furcht und der Angst des Krieges. – Einer eingehenden Erschließung und Analyse harren die Traumerzählungen im umfangreichen Tagebuch des calvinistischen Fürsten Christian II. von Anhalt-Bernburg; erste Hinweise finden sich bei Herz, Krisen- und Leidenserfahrungen, S. 998 f., 1028 f. Gleiches gilt für die zahlreichen in griechischer Sprache verfassten (und damit für die meisten zeitgenössischen Leser verschlüsselten) Traumaufzeichnungen des Gräzisten Martin Crusius, Diarium, 1596 – 1605, 3 Bde., hg. v. Wilhelm Göz / Ernst Conrad (Bd. 1 und 2) und Reinhold Stahlecker / Eugen Staiger (Bd. 3), Tübingen 1927 – 1958. 96 Nehrlich, Erlebnisse.
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für die Wiedergeburt, und als teuflische Versuchung der von Sündenangst geplagten Seele im Verlauf des Bußkampfs.97 Die hier über sich schreiben, teilen das eigene Leben in zwei Abschnitte ein: Sich wähnend im Stande des Heils (ungeachtet fortgesetzter Anfechtungen), entwerfen sie ihre Vergangenheit vor dem gnadenbringenden Traum als eine Zeit der Gottesferne – in augustinischer Tradition und analog zu jenen Berichten, in denen nicht vom schwachen (oder fehlenden) Glauben zum starken, sondern vom falschen zum rechten konvertiert wird: von der einen Konfession zur anderen.98 In den Reitz’schen Historien steht 97 Instruktiv dazu ist Hans-Walter Schmidt-Hannisa, Göttliche Gesichte? Traumdarstellungen in pietistischen Lebensläufen, in: Interdisziplinäre Pietismusforschungen, hg. v. Udo Sträter in Verb. mit Hartmut Lehmann / Thomas Müller-Bahlke / Johannes Wallmann, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen 17), Bd. 2, S. 585 – 596. Über die dort zit. Belege hinaus siehe Reitz, Historie, insbes. die Vorrede [S. 6 f.]; Teil I, S. 144; Teil III, S. 53 – 59, 171 ff. Besonders aufschlussreich und zugleich ungewöhnlich im Rahmen der Sammlung ist Teil II, S. 227 – 230. 98 Vgl. nur Joseph Jörger, Motiva, Oder Haubt=Ursachen/ Welche mich bewogen/ Die Lutherische Sect in meinen vorigen jungen Jahren zu verlassen/ und den allein seeligmachenden Catholischen Glauben anzunehmen; Zu welchen von Gott wunderbahrer Weiß beruffen worden/ und mit Hindannsetzung aller weltlichen Ehr und Hochheit/ den geistlie chen Ordens=Stand erwohlt habe, Wien 1710, S. 14 – 18: Auf seiner Reise nach Paris hatte Jörger gerade ein neues Zimmer bezogen, da »sagte ein Adeliches Mannsbild/ […] zu mir/ ich solte wohl Achtung geben/ was mir in disen neuen Zimmer zum erstenmahl traumete/ wurde gewiß wahr werden; Ich lachete ob diser Red/ mit Vermelden/ daß ich niemahlen auff e die Traume etwas gehalten/ also auch disesmahl nichts darvon halten wurde; allein Gott schickete es wunderbahrlich; eben da ich im besten Schlaff ware/ traumete mir/ ich sasse bey einer herrlichen Taffel/ welche mit vilen Cavalieren und Damen (darunter nur eine ware/ die e ich in der Jugend kennete/ und nach der Zeit auch Catholisch worden) zimblich angefullet e ware; es gienge an stattlichen Tractamenten nichts ab/ und waren alle voller Frohlichkeit: in e wehrender groster Ergetzlichkeit fienge mir an eine Ohnmacht zuezugehen/ ich erschracke/ e und hatte eine grosse Besturtzung/ daß ich meine Bekehrung auffgeschoben/ und mich nunmehr in augenscheinlicher Gefahr deß Lebens zu seyn erkennete; das Hertz fienge immer mehr und mehr an zu beben und zu zittern; ich dachte/ mein Gott/ wie wird es mit deiner armen Seel hergehen/ du weist/ daß der Catholische Glaub der wahre Glaub seye/ und hast deiner Eltern halber solchen zu bekennen dir nicht getrauet/ seufftzete zu GOTT/ wann e er mir nur dißmahl mein Leben verlangerte/ wolte ich damit keinen Auffschub mehr mae chen/ allein die Krafften verliessen mich immer mehr und mehr/ und weil meines Auffe kommens kein Hoffnung mehr ubrig/ sondern mich bedunckte/ ich ligete schon in den e e Zugen/ brach ich noch in dise Wort auß: HErr JESU in deine Hand befehle ich meinen Geist: e e worauff wurde ich auß dem Schlaff ermundert/ die Thranen flossen uber meine Wangen Hauffenweiß herab/ ich kunte mir disen Traum/ nachdem ich erwacht/ nicht mehr auß den e Sinn schlagen; eines Theils danckte ich GOTT/ daß ich nicht todt/ sondern lebendig ware; anderstheils dachte ich bey mir selber/ wer weiß/ was dir GOtt dardurch vorstellen wollen/ daß du mit deiner Glaubens=Bekehrung nicht mehr sollest saumseelig seyn«. Jörger, wie er berichtet, besprach die Sache mit Michel Ange de Toulon, seines Zeichens Kapuzinerpater e e und Apostolischer Missionar ; der warnte ihn »vor grossern Ungluck/ so mir durch die e Vorbedeutung deß Traums widerfahren mochte/ wann ich nicht bey Zeiten wolte den e gottlichen Einsprechungen Gehorsamb leisten«, und so vollzog Jörger noch am selben Tag die Konversion. Zu Jörger vgl. Gesine Carl, »Aus der Verwirrung zu der Ordnung«. In-
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der Traum allenfalls insofern am Anfang der Vita, als die zweite, durch ihn initiierte Phase des Lebens als die heilsgeschichtlich maßgebliche vorgestellt und die gesamte Vergangenheit von der Wendemarke her konzipiert wird. Für den traum- und visionsgetränkten Lebens=Lauff Johann Tennhardts gilt dies ebenfalls.99 In Nehrlichs Traumbeschreibungen dagegen ist die »erweckung«100 bereits vorausgesetzt; seine Träume bilden die schon vollzogene Bekehrung ab und damit die Grundstruktur der gesamten Vita. In dieser Autobiographie, anders als in der Reitz’schen Sammlung, wird nicht nur die Zeit der Umkehr fokussiert, sondern das ganze, immer wieder von Furcht und Angst geprägte Leben.101 Der Text bekennt zum einen die Anfechtungen des Gewissens und die Furcht vor ewiger Verdammnis: einen »bösen« Traum, vom gekreuzigten und blutüberströmten Heiland erschlagen zu werden – eine Vorstellung, die Nehrlich selbst als eine »schwermühtige« in die überwundene Vergangenheit des Unheils verbannt.102 Zum anderen verkündet der Autor den Trost des Herrn: die Befreiung aus den Ängsten der Seele, in der Verwandlung einer verzweifelten »traurigkeit« in eine »Göttlige«, der Furcht vor dem Teufel in ein »Zittern« vor Gott und seiner Stimme (mit Phil 2.12), die den Teufel selbst in Schrecken versetzt:103
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nerchristliche Konversionen in der Frühen Neuzeit als Grenzüberschreitung und Raumwechsel, in: Räume des Selbst, hg. v. Bähr / Burschel / Jancke, S. 219 – 235. Tennhardt, GOTT allein, insbes. Bd. 1, S. 24 – 125. Nehrlich, Erlebnisse, S. 22. Unerheblich für den Vergleich zwischen Nehrlich und Reitz ist der Umstand, dass die exemplarischen Berichte in der Historie der Wiedergebohrnen zumeist eine spezielle Bearbeitung durch den Herausgeber erfahren haben, sichtbar etwa in den standardisierten Bilanzen mit »Beweistümern« für die erfolgreiche Wiedergeburt. Nehrlich, Erlebnisse, S. 28: »Das ich nun dieses sagen muß ist es war wie meine liebe Mutter sagt, das ich oft schwermühtig gewesen, oft auch über böse treume aufgewacht. Aber doch weiß ich mich noch zu besinnen, als ich noch bey¨ meinen Eldern im ledigen stande war, und mich mit vollen anfechdungen zu bette begab, und auch im schlaff unruhig war, so kam mir recht natürlich vor, das ich meinen heiland Jesum am creutze sahe, mit einer dornen crone, und voller voller blud mit beiden armen ausgestreckt und sein haubt neigend, indem ichs nun wolte recht betrachten, so neigete sich das Creitz immer Näher zu nach mir, als wens itzt wolte auff mich fallen und mich todt schlagen, so fuhr ich in der angst auff und schrie so starck als ich konde, meine Mutter fuhr gleich aus dem bette, und ruf mich mit Namen, was ist dir den ein mal, was hastu doch vor, Mein Vatter sagte, was fücht doch den Narribus ein mal an, und wen ich an das waßer gienge, reiffe ein zu weichen, so schickt mir meine Mutter oft aus groser vorsorge vor mich ein bar schul Mägtlein nach, das sie sorgete ich möcht mich ersäuffen. ach meine liebe Mutter hat grose liebe und sorge vor mich, ach ich kan es dem lieben Gott und ihr nicht gnug dancken.« Ders., Erlebnisse, S. 27, 57, 65, 67, 74, 81, 83, 85, zit. 65 und 81 (»furcht und Zittern«).
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»[A]ls ich vor kummer ein wenig einschlief, so kam mir im traum vor, es stünde Ja so gar ein starcker Man vor meinem bette, als ich nun sahe, das er mit einem ticken starcken arm so steiff auf mich zu winckte, hörede ich ihm darbey¨ sagen, fürchte dich nicht, den ich bin dein Gott, ich stärcke dich, ich erhalde dich, ich helffe dir auch durch die rechte hand meiner gerechtigkeit. darüber erschrack ich, das er so gewaldig und starck vor mir stund, und erwachte driber, als ich aber lag, und sanne, ein wenig nach, was doch diß wol zu bedeiten hätte, kurtz darauf ward ich mit solcher liebligkeit in aller stille nach dem inwendigen menschen recht freudig, das also mein hertz mit vielen liedern, sprüchen und psalmen erfüllet, und sonderlich war mir das schöne lied so kräftig in dich hab ich gehoffet Herr p, du bist mein stärck mein fels mein hord, mein schild, meine kraft sagt mir dein word, mein hilf, mein heil, mein leben, mein starcker Gott, in aller noth, wer mag dir widerstreben.«104
Dieser Wechsel zur Gnade des Gottvertrauens wird in einem weiteren Traum in verschlüsselter Bildlichkeit präsentiert. Nehrlich sei im Schlaf widerfahren, »als wen ich an einen orth in eine hauß solte gehen als ich nun da hin kam, so führte mich einer nach der stuben thir zu, und macht sie auff, ich solde doch hinnein gehen, so sahe ich das es gantz dunckel da war, und wolde nicht hineingehen, der Man aber stoß mich mit gewald hinnein, als ich mich aber in der stuben wieder umbwandte nach der Thir so wurtte ich untter der banck gewahr, das kohlen untter derselben waren, und glüheden als wie in einen schmiede ofen, in dem ich sie ansahe, glieden sie immer weitter ford so geschwind das immer eine die andere ansteckte, als es nun rund in der stuben glimmete, so fingen hernach am ende rechte flammen /an zu brennen/, das es recht helle brande, woriber ich im schlaff erschrak und auff wachte.«105
Nicht allein seine Frau, der er von der nächtlichen Erscheinung berichtet, sondern auch Nehrlich selbst legt sie zunächst ganz weltlich aus: als eine Warnung, sich vor »unglick« zu hüten, sei es im Umgang mit Feuer, sei es beim Pechen der Fässer. Schon bald jedoch weiß der Böttcher es besser : »auslegen der treume«, so sagt es Genesis 40, »gehöret Gott zu«; der Mensch schaut seine irdische Zukunft nicht, und so lässt Nehrlich eine »geistliche teutung« der Bilder folgen, die er in der Nacht gesehen hat. Nunmehr scheinen sie ihm der kohlschwarzen Finsternis der Sünde die wärmende Glut der Liebe entgegenzustellen und das Licht göttlicher Gnade – »daß allso eine glaubige seele, welche durch Gottes gnade den bußweg gangen, und im glauben Jesum geschmecket, die kan mit warheit singen, du bist wie ein feuer vom himmel endbrochen, und hast mir das Marck und die adern durchkrochen, es lodert die seele mit freuden und lachen, da weiß den mein geist sich fein lustig zu machen, es wird doch noch hir und dord eine kohle die andere anzinden, dieses winsche ich von hertzen.«106 104 Ders., Erlebnisse, S. 60. 105 Ders., Erlebnisse, S. 32. 106 Ders., Erlebnisse, S. 33.
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In der Überzeugung von der Möglichkeit einer derartigen göttlichen Inspiration, verbunden mit dem Wissen um die Gefahren teuflischer Täuschung und Verführung,107 befand sich Nehrlich im Einklang nicht allein mit Johann Henrich Reitz oder Johann Tennhardt, sondern auch mit anderen »radikalen« Pietisten, wie etwa dem Ehepaar Petersen. Es war Johanna Eleonora, die dem Medium des Traums nicht nur in der (auto)biographischen, sondern auch in der theologischen Erkenntnisgewinnung einen zentralen Stellenwert zusprach und dabei nicht allein mit der lutherischen Orthodoxie in Konflikt geriet, sondern auch weiter ging als manche Kirchlichen unter den »Stillen im Lande«. Die Beschreibung ihrer zahlreichen Träume begründete die eigene Umkehr nicht, sondern setzte sie, wie bei Nehrlich, bereits voraus: Sie legitimierte die den pietistischen Umkehrnarrativen zugrunde liegende Theologie (und in dieser theologischen Prophetie beerbte sie in gewisser Weise die politische). In ihrer Beschreibung des eigenen Lebens geriet der religiöse Traum von der göttlichen Offenbarung des Kommenden zur Verheißung des wahren Inhalts der Schrift: von der Ankündigung der Zukunft zur Befähigung, die Bibel nach der Zukunft zu befragen. Petersens wechselseitige Exegese von Traum und Heiliger Schrift propagierte ein Christentum der Tat, um einen »toten Buchstabenglauben« zu kritisieren.108 Diese theologischen Erscheinungen kamen ohne Furcht- und Angstaffekt aus, und so sollen sie an dieser Stelle nicht weitergehend analysiert werden. Anders liegen die Dinge in Petersens Traum vom 14. Psalm, der von der Torheit der Gottlosen handelt und vom Schrecken, der sie befallen wird, wenn sie ihre Ungerechtigkeit erkennen. Die Erscheinung, so die Erzählerin, habe sie auf 107 Ders., Erlebnisse, S. 61: »[H]ir bey¨ habe ich auch zu beseufzen, das mir auch oft (wie ichs den mercklich gespirt) von Satan recht greulige und unflattige treume sind eingeraunet worden, und wen ich mich des tages über meinem beruff mit gebet verwahret, und auf guter huth gestanden, das ich mich vom Satan, der weld und meinen eigenen gedancken, und allen bösen plicken verwahren können, so ist des Satans geschwinde list gewesen, itzt schläft er, itzt kanst du ihm bey¨ kommen mit solcher annehmliger lockung, und hat mir doch Gott in dieser grösten gefahr bey¨bracht, diß ist Ja wider sein gebod, und bin erschrocken, ach ach, das doch dieses nur nicht wahr were, und als ich erwacht so ist es nichts anders als des Satans einraunen und schrecken /gewesen/, aber glaube lieber Christ lieber streitter, wen du nur an allen diesen dingen keinen gefallen hast, und sobald du erwachest, und sengst dich gleich mit gebet in Gott, so heist es, dem teuffel hat er seine gewald zerstört verhärt in aller gestald, (er mach sich auch verstellen in was für eine ahrt er wil) wie pflegt zu thun ein starcker held, der seine feind [mit] gewaldig fäld halleluJa.« Näheres zur diabolischen Traumgenese im Folgenden. 108 Johanna Eleonora Petersen, Leben, von ihr selbst mit eigener Hand aufgesetzet: Autobiographie [1718], hg. v. Prisca Guglielmetti, Leipzig 2003 (Kleine Texte des Pietismus 8), § 15 (S. 17 f.), § 33 – 36 (S. 37 – 44), § 38 (S. 47 f.). Zu Petersens Autobiographie vgl. Ruth Albrecht, Johanna Eleonora Petersen. Theologische Schriftstellerin des frühen Pietismus, Göttingen 2005 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 45), Kap. 4.4; Kormann, Ich, Welt und Gott, Kap. II.A.1.
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einer Schifffahrt von Frankfurt nach Hanau gehabt, als sie begleitet war von »Soldaten, so mit 4. unkeuschen Weibes=Personen sehr grobe und unzüchtige Schertz=Reden führeten«. Betrübt, »daß die Menschen ihrer Seelen so gantz vergessen«, habe sie einzuschlafen versucht, um »solche Rede nicht länger [zu] hören«, und im Schlaf dann besagten Psalmspruch vernommen. Davon erwacht, »kams [ihr] vor«, als sollte ein »grosser Sturm=Wind« kommen und das Unterste des Schiffes nach oben kehren. Eine Viertelstunde später zog der »Wind=Würbel« tatsächlich auf und bewahrheitete damit nicht nur Petersens Vorahnung, sondern auch die im Schlaf geträumte Verheißung des Psalms. Über ihre Wachvision war Petersen nur anfänglich erschrocken; als der erahnte Schiffbruch wirklich drohte, wurde sie in »eine sehr ungewöhnliche Freude« versetzt und in die Hoffnung, nun bald ihren Herrn Jesus zu sehen – im Gegensatz zu ihren Mitreisenden, die in Todesangst »zitterten und zageten« (und die die Gefahr verlachten, als sie zwischenzeitlich vorüber zu sein schien – woraufhin Gott sie noch einmal zu steigern beschloss). Petersen sah sich veranlasst, ihnen die Ursachen ihrer Angst zu erläutern: ihre Unzucht und Frechheit und dass sie den Namen dessen, den sie jetzt »um Hülffe anschrien«, »zuvor in ihrem leichtfertigen Schertz so offt unnütz genennet«. Und sie sagte ihnen, wie sie die Furcht vor dem Tod überwanden: durch die »Furcht des HErrn«, als Zuflucht in aller Not.109 Die Autobiographie, so zeigt sich hier, sollte die Gottesfurcht der Verfasserin nicht allein in theologisch-schriftexegetischen Träumen zutage bringen, sondern auch in solchen mit missionarischer Funktion: die es Petersen erlaubten, die Sünder aus falscher Furcht zur rechten zu führen.110
6.3. Eine Kultur des Traums im »martialischen Saeculum« Die analysierten Texte verkoppeln Furcht-, Traum- und Lebenserzählung in spezifischer Weise miteinander. Dabei entsteht eine strukturelle Geschlossenheit, die besonders bei Cardano, Güntzer und Kleinschroth ins Auge springt und die zeigt, dass der Zeit-Raum der Vorsehung noch bis ins frühe 18. Jahrhundert hinein eine person- und selbstkonstituierende Macht zu entfalten vermochte – über konfessionelle Differenzen hinweg und ungeachtet einer zunehmenden Kritik der Traumdeutung, die nach einer verbreiteten Forschungsmeinung mit der cartesisch-»rationalistischen« Naturphilosophie und Erkenntnistheorie grundstürzende Züge erhalten habe. Nicht erst seit Descartes, sondern bereits 109 Petersen, Leben, § 24 (S. 27 f.). 110 Weitere Erwähnungen von Furcht und Angst finden sich in dies., Leben, S. 8 (Furcht des Herrn), 11 (Furcht und Angst), 13 f. (»knechtische Furcht«), 15 (Angst vor körperlichem Leid versus Angst vor seelischem Schaden), und 25 (ehrfürchtige Scheu anderer der Autorin gegenüber). – Zu pietistischen Traumerzählungen vgl. auch Gantet, Der Traum, Kap. 6.4.
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seit der Reformation wurde die frühneuzeitliche Überzeugung von der Möglichkeit divinatorischen Träumens von einer Tradition der Skepsis flankiert, die bis in die Antike zurückreicht und die Deutung der nächtlichen Bilder als wahnhaften Wirklichkeitsverlust zu diskreditieren suchte. Unabhängig vom Grad ihrer Verbreitung implizierte diese Skepsis jedoch in aller Regel keine Negation der Existenz divinatorischer Träume, sondern eher deren Bestätigung: den Hinweis auf die praktischen Schwierigkeiten, den wahrsagenden vom irreführenden Traum zu unterscheiden. Dies zeigt sich nicht nur bei den Lutheranern, sondern selbst in der cartesischen Philosophie. Descartes, der zumeist als Initiator einer frühaufklärerischen Verbannung des Traums aus der Vernunft zur Verantwortung gezogen wird,111 thematisiert den Traum als Problem einer Erkenntnis- und Bewusstseinstheorie, die auszuschließen sucht, dass auch unser Wacherleben nur geträumt ist.112 Wie jedoch sein Biograph Adrien Baillet zu berichten weiß, verdankte Descartes die entscheidende Inspiration zu dieser epistemologischen Selbstvergewisserung paradoxerweise einem divinatorischen Traum.113 Auch wenn dies nicht autobiographisch überliefert ist und auch wenn sich die cartesische Traumauffassung später noch verändert haben mag,114 ist nicht ausgemacht, dass Descartes im Discours de la m¦thode und in den Meditationes de prima philosophia überhaupt eine Traumtheorie entwirft: dass er dort vom Traum im Allgemeinen spricht und nicht lediglich auf eine seiner Gattungen rekurriert: auf den na-
111 Michel Foucault, Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, Frankfurt a.M. 1973 [Paris 1961], S. 68 – 71, 240 – 254. In diesem Punkt d’accord mit Foucault ist Jacques Derrida, Cogito und Geschichte des Wahnsinns, in: ders., Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a.M. 1976 (Paris 1976), S. 53 – 101. Siehe außerdem Niessen, Traum und Realität, Teil II.2; Alt, Schlaf der Vernunft, S. 127 ff.; Heise, Traumdiskurse, Teil II.2; Ralf Konersmann, Traumwelten der Neuzeit. Philosophische Traumkritik und Hermeneutik des Verdachts, in: Schlaf und Traum. Eine Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden in Zusammenarbeit mit der Wellcome Collection, London, 31. März bis 3. Oktober 2007, Dresden, Dezember 2007 bis März 2008, London, hg. vom Deutschen Hygiene-Museum Dresden / Wellcome Collection London, Köln / Weimar / Wien 2007, S. 79 – 89, hier 82 – 84; Petra Gehring, Traum und Wirklichkeit. Zur Geschichte einer Unterscheidung, Frankfurt a.M. / New York 2008, Kap. 3, insbes. S. 81 – 83. 112 René Descartes, Discours de la m¦thode pour bien conduire sa raison, et chercher la verit¦ dans les sciences / Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, übers. und hg. v. Lüder Gäbe, Hamburg 1990, Teil 4, S. 50 – 67; Meditationes de prima philosophia / Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, hg. v. Lüder Gäbe, Hamburg 1992, I, § 1 – 12, und VI, § 23 – 24. 113 Adrien Baillet, La vie de Monsieur Des-Cartes. PremiÀre partie, Paris 1691 (ND Genf 1970), S. 81 – 86. 114 Das ist der klassische Lösungsversuch; vgl. etwa Gérard Simon, Descartes, le RÞve et la Philosophie au XVIIe siÀcle, in: Revue des Sciences Humaines 211/3 (1988), S. 133 – 151.
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türlichen, nicht-divinatorischen.115 Diese Interpretation lässt sich nicht beweisen (da sie mit dem Schweigen argumentieren muss), sie wird jedoch durch zwei weitere Umstände gestützt. Zum ersten: Descartes’ erkenntnistheoretische Hypothese von der Existenz eines betrügerischen Geistes (genius malignus), der auch in einem seiner bösen Initialträume auftritt, verrät keinen Vorgriff auf die späte Aufklärung, sondern, wie Stuart Clark gezeigt hat, den Rückgriff auf die Dämonologie des 15. bis 17. Jahrhunderts, die in ihrer Debatte über die körperliche Wirklichkeit des Hexensabbats den Traum als Medium teuflischer Täuschung verhandelte und damit die Möglichkeit göttlichen Träumens nicht aus-, sondern einschloss.116 So verwundert es denn auch nicht, zum zweiten, dass am Ende der cartesischen Meditationen die hyperbolische Gleichsetzung von Traum und Wacherleben aufgehoben wird mit dem Hinweis auf die Existenz eines Gottes, der kein Betrüger ist; der methodische Zweifel ist ausgeräumt und in die thetische Gewissheit von der göttlichen Providenz überführt.117 Mithin war auch hier wenig »Revolution« in der Wissenschaft.118 Es blieb vorerst dabei: Auch im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert leugneten die Skeptiker der Traumdeutung in aller Regel nicht grundsätzlich ihre Möglichkeit. Um die wahren von den falschen Träumen unterscheiden zu können, waren die nächtlichen Erscheinungen zunächst einmal festzuhalten. Diese Praxis ist in Tagebüchern wie jenem von Samuel Pepys119 ebenso zu beobachten wie in Topoi-
115 Vom natürlichen Traum spricht Descartes in den Passions de l’me: Descartes, Leidenschaften der Seele, Art. 21, S. 36 – 39. 116 Stuart Clark, Vanities of the Eye: Vision in Early Modern European Culture, Oxford 2007, Kap. 9. Siehe auch Maximilian Bergengruen, Genius malignus: Descartes, Augustinus und die frühneuzeitliche Dämonologie, in: Unsicheres Wissen. Skeptizismus und Wahrscheinlichkeit 1550 – 1850, hg. v. Carlos Spoerhase / Dirk Werle / Markus Wild, Berlin / New York 2009 (Historia Hermeneutica. Series Studia 7), S. 87 – 108. 117 Erste diesbezügliche Überlegungen habe ich formuliert in Bähr, Träumen von sich, S. 279 f., Anm. 23. In dieselbe Richtung zielt jetzt auch Bernhard Teuber, Literarisches Träumen im Frankreich der Frühen Neuzeit. Inszenierung, Kritik und Apologie des Traums zwischen Ronsard und Racine, in: Traum und res publica, hg. v. Schmidt / Weber, S. 77 – 110, hier 96 – 101. Vgl. auch Ian Hacking, Dreams in Place, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism 59/3 (2001), S. 245 – 260. Allzu eindimensional und quellenunkritisch wiederum ist die Interpretation von Anthony C. Spearing, Introduction, in: Reading Dreams: The Interpretation of Dreams from Chaucer to Shakespeare, hg. v. Peter Brown, Oxford 1999, S. 1 – 21, hier 14 f., der aus Descartes’ Träumen, wie sie von Baillet berichtet werden, auf dessen »certainty as to the prophetic status of his dreams« schließt. 118 Zur Stellung Descartes’ in der »Wissenschaftlichen Revolution« vgl. Shapin, Wissenschaftliche Revolution, passim; Daston / Park, Wunder, passim; The Cambridge History of Science, Bd. 3: Early Modern Science, hg. v. Lorraine Daston / Katharine Park, Cambridge 2006, passim. 119 The Diary of Samuel Pepys. A New and Complete Transcription, hg. v. Robert Latham / William Matthews, Berkeley / Los Angeles 2000, Bd. 1, 6. 11. 1660, Bd. 2, 3. 12. 1661; vgl. auch Bd. 3, 6. 11. 1662, Bd. 5, 8. 1. 1664, Bd. 8, 25.3. und 29. 6. 1667. Von Greyerz, Vorse-
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und Exempelsammlungen: Auch Johann Christoph Männling wusste nicht mehr recht, was er von den Träumen halten sollte, im Jahre 1714 und als lutherischer Theologe – und archivierte in seinem Traum=Tempel Erzählungen auf mehr als fünfhundert Seiten Oktav. Die Imagination behielt ihre körperliche Macht. Ein divinatorischer Traum im 17. Jahrhundert war nicht allein eine abbildliche Vorausschau auf das Kommende; er führte, was kommen sollte, qua Abbildung selbst mit herbei (und allein deswegen konnte er es abbilden). Sein Bild war ein Zeichen, das bewirkte, was es bezeichnete, eine imago, deren Vorstellung zu zeitigen vermochte, was sie imaginierte. Die vis imaginationis entfaltete sich nicht allein in der Wachwirklichkeit. Affiziert mit heilsgeschichtlich brisanter Furcht und Angst, bewahrheitete sich die Prophezeiung des Traums als Akt göttlicher Vergeltung. Wo schreckerfüllte Träume in Erfüllung gingen, entstand das Gefürchtete aus der Furcht. Signifikant auch hier ist das Beispiel der Pest. Die Furcht vor der Pest, dies betonen medizinische Traktate und Traumbücher gleichermaßen, führte auch dann in die Pest, wenn sie nur geträumt war. »In kein Tuch«, wusste Männling, »zieht das Oehl so tieff ein, als das Schrecken und Impression in das e Gemuthe. Der berühmte Medicus, Olaus Borrichius, erzehlt von einer Frau, so e offt ihr von ihm getraumt, ware sie allemahl kranck worden.«120 Und der Reiter Rutger von Oxstey, bereits zitiert in Kapitel 4.3, sei an der Pest gestorben, nach imaginärem Kampf mit einem »wütigen« und spuckenden Kranken, nach dem Erwachen »mit größtem Entsetzen« und in der angstvollen Überzeugung, nunmehr an der Pest sterben zu müssen.121 Erst die aufklärerischen Ärzte des 18. Jahrhunderts begannen, das Eintreten einer im Traum befürchteten Erkrankung »psychosomatisch« zu erklären: nicht als Wirkung eines schreckenerregenden divinatorischen Traums, sondern als Resultat eines furchtsamen Glaubens an divinatorisches Träumen.122 Rutgers entsetzlicher Traum von der Pest bewahrheitet sich als Folge seiner Furcht vor der Pest. Die Furcht ist auch hier die maßgebliche Entstehungsgrundlage der Krankheit, die sie fürchtet; sie wird im Traum=Tempel als pathogen vorgestellt und damit selbst, im historischen Sinne, als pathologisch. Auch diese Pathogenese jedoch war, wie gesehen, allein als Akt göttlicher Vergeltung denkbar : als himmlische Sanktion der Furcht. Was folgt daraus für den hungsglaube, S. 132, 134, sieht in Pepys einen Vorreiter der Säkularisierung des Traums. Dazu auch oben Anm. 4. 120 Männling, Traum=Tempel, S. 204. 121 Ders., Traum=Tempel, S. 345 f. (weitere vergleichbare Erzählungen auf S. 202 – 205, 300 f., 498 – 500). Männling hat den Bericht aus van Diemerbroeck, De peste, S. 233, übernommen. 122 Vgl. Michael Stolberg, Body Language: Dreaming in Eighteenth-Century Practical Medicine, in: The Dream and the Enlightenment / Le rÞve et les LumiÀres, hg. v. Bernard Dieterle / Manfred Engel, Paris 2003, S. 71 – 87, hier 77 f.
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Traum? Insofern sich göttliche Träume in aller Regel durch die obscuritas ihrer Bilder auszeichneten, erweist sich deren Klarheit in diesem Fall als verdächtig. Rutgers Traum, so suggeriert es Männlings Erzählung, bewahrheitete sich, weil der Reiter keine Deutungsunsicherheit erkennen ließ. Er schloss von der geträumten Ursache der Krankheit auf seine künftige Erkrankung (nach den Gesetzen der Ähnlichkeit: so wie Borrichius’ Patientin ihre Krankheit voraussah, indem sie denjenigen sah, der sie heilte, wenn sie krank daniederlag). Diese Sicherheit strafte sich selbst, weil Gott sie strafte, und so verifizierte sie ungewollt ihre Deutung. Der Traum bewahrheitete sich, paradoxerweise, weil Rutger ihn meinte zu verstehen, und weil er dabei fehl ging: weil er ihn als Ankündigung einer unabänderlichen Zukunft verstand und nicht als göttliche Warnung, nicht als Mahnung zur Umkehr, um abzuwenden, was drohte, wenn Umkehr unterblieb. Dieser Traum bewahrheitete sich, weil sich der Träumer in die Furcht vor tödlicher Krankheit führen ließ und nicht in die Gottesfurcht, die aus Krankheitsfurcht befreite. Von Rutgers nächtlicher Erscheinung und ihren tödlichen Folgen erfahren wir nicht vom Träumer selbst (natürlich nicht), sondern aus der Perspektive von Ärzten, Traumdeutern und Predigern. In autobiographischen Texten liegen die Dinge anders. Augustin Güntzer beschreibt sein Leben als eine Geschichte zahlloser Krankheiten, und er interpretiert sie als Ausdruck göttlichen Handelns – in der theologischen Ambivalenz von Strafe und Prüfung: als Sanktion für begangene Sünden und als Mahnung, sich künftig um deren Vermeidung zu bemühen: als Aufforderung zur Buße. Güntzer erkrankt zwar nicht an der Pest, jedoch am pestähnlichen Ungarischen Fieber. Die febris Hungarica erscheint in seinem Text als Indikator mangelnder Zuversicht, als das Ergebnis allzu großer Furcht (vor Gewalt), die implizit auch das Ungarische Fieber fürchtete. Derartige Furcht strafte Gott mit Furcht – und so am Ende auch mit der Ungarischen Krankheit.123 Geträumt hat Güntzer von diesem Fieber nicht; mit dem eingangs zitierten Kindheitstraum jedoch, der ihm einen unausgesetzten Kampf mit dem Teufel vorstellt, hat er implizit auch all die Krankheiten gesehen, die kommen sollten. Bereits in diesem Traum, so scheint es, ahnt er ihre Funktion: die göttliche Prüfung und Strafe, die Mahnung zur Furcht des Herrn, und so wird er bereits hier der Rettung gewahr. Es kamen die Krankheiten, wie verheißen, doch es kam auch die Heilung von ihnen. Mit dem Kampf gegen das Böse hatte der Traum auch den Sieg des Guten verkündet, den Triumph der Engel und ihres Schöpfers. Der Traum von diesen Krankheiten bewahrheitet sich aus der Perspektive der Genesung – weil, dies zeigt die Autobiographie, die rechten Konsequenzen gezogen worden sind: die Buße im Wissen, dass die Krankheit Strafe ist und sich, 123 Im Einzelnen dazu oben Kap. 4.4.
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bei allen therapeutischen Bemühungen, aus eigener Kraft nicht abwenden lässt.124 Das Furchterregende tritt hier nicht lediglich als Strafe für die Furcht ein, sondern als Bedingung ihrer Überwindung: Kein Sieg ohne Kampf. Furcht, »Angst und Nodt«125 sind omnipräsent in Güntzers Lebensbeschreibung, und doch sind sie am Ende nicht alles. Was der Traum verheißt, im Entscheidenden, und was er erfüllt, ist nicht Furcht, sondern Furchtlosigkeit. Im Gegensatz zu Rutger erkennt Güntzer das Furchterregende als gerechte Sanktion und nicht als zu vermeidendes Leid. Als er den Traum erzählt, ist knechtische Gottesfurcht in kindliche transformiert, und so kann er den Traum beschreiben, der die Transformation vorstellt. Furcht und Angst sollten kommen, aber in ihrer Beschreibung waren sie immer schon bezwungen. Der Autobiograph musste einen guten Ausgang träumen und allein er konnte es tun.126 Auf der einen Seite der gottgesandte, der Abwendung des Drohenden dienende Warntraum der Gottesfürchtigen, auf der anderen Seite der schreckerfüllte Traum der Gottlosen, der auf die Herrschaft der Furcht verwies und auf die Strafwürdigkeit und Bestrafung der Beherrschten: Die furchtsamen Träume mussten unterschieden werden, und doch war dies nicht leicht zu bewerkstelligen. Die Problematik zeigt sich bereits bei Cardano,127 und sie ist zu sehen vor dem Hintergrund zeitgenössischer theologischer Bemühungen, das Verhältnis von göttlicher, teuflischer und natürlicher Traumimagination zu bestimmen. Hier trifft sich Güntzers Selbstbeschreibung mit dem 1625 publizierten Traum Discurß des Theologen Conrad Dieterich, der das tradierte Spannungsfeld der Traumgenera in für die lutherische Auffassung maßgeblicher und erstmals systematischer Form entwickelt.128 124 Dem steht nicht entgegen, dass sich Güntzer wiederholt medizinischen Behandlungen unterzog. Maßgeblicher Arzt war am Ende jedoch Gott: Güntzer, Kleines Biechlin, Bl. 9v, 30r – 31r, 126r, 128v – 129r, 163r, 232r, 240r. 125 Ders., Kleines Biechlin, Vorblatt sowie Bl. 1r, 8v, 25v, 53v, 66v, 109r, 115r, 130v, 141v, 162r, 192v, 196v, 199v, 214v, 219v – 220r, 242r; vgl. auch Bl. 30r, 50r, 56r, 158r, 204v, 215r, 216v – 217r. 126 Vgl. darüber hinaus das Tagebuch des Haager Schulmeisters und Dichters David Beck, Spiegel van mijn leven; een Haags dagboek uit 1624, hg. v. Sv. E. Veldhuijzen, Hilversum 1993 (Egodocumenten 3), 14. 9. 1624. Beck, wie er berichtet, hatte einen derart angstbesetzten Traum vom Besuch eines Pesthauses, dass er meinte, sich an der Seuche angesteckt zu haben. Becks gottesfürchtige Vorbereitung auf ein christliches Sterben jedoch, so suggeriert es das Diarium, verhinderte den gefürchteten Tod. Für den Hinweis auf Beck danke ich Rudolf Dekker (Rotterdam). 127 Siehe oben Anm. 28. 128 Conrad Dieterich, Philosophischer vnd Theologischer Traum Discurß/ Von den e e e e Nachtlichen Traumen: Darinnen Bericht geschiehet/ I. Was nachtliche Traume seyn. II. Woher sie insgemein kommen. III. Wie mancherley dieselbige seyn. IV. Was von ihnen zu e halten. V. Wie deren allerseyts recht Christlich zugebrauchen […]; Sampt beygefugter nothwendiger Wiederlegung/ allerhandt irrigen Opinionen unnd Meynungen …, Ulm 1625. Zu Dieterich vgl. Weiß, Traumglaube, S. 246 – 251. Für die erste Hälfte des 18. Jahr-
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Die Schwierigkeiten, Gottes schauenden Traum von dem seines täuschenden Widersachers zu unterscheiden, sind so alt wie der Glaube an diabolische Träume selbst. Mit der Reformation erhielt das Problem jedoch eine neue Dimension. Als mit dem lutherischen Offenbarungsverständnis die Existenz prophetischer Träume außerhalb der Heiligen Schrift ausgeschlossen wurde, wurden jene Träume, die sich hier und jetzt den Anschein des Prophetischen gaben, an sich und qua Anspruch zu teuflischen erklärt: zu Merkmalen häretischen Enthusiasmus. Als paradigmatisches Beispiel für die verheerenden politischen Folgen einer derartigen Anmaßung wurden – bevor pietistische »Schwärmer« die Bühne betraten – vor allem die Münsteraner Wiedertäufer zitiert und Thomas Müntzer, der sich als neuer Daniel erfand.129 Hier fungierte der tödliche Ausgang der Geschichte als Beweis für die Verwerflichkeit der Verheißung.130 Neben diesen »politischen« Eingebungen des Teufels gab es sündige Träume, die zur Sünde verführten und das erwachte Gewissen in Angst versetzten (nach dem Erwachen des Träumers), sowie jene Albträume, die die Bußfertigen, im Bewusstsein ihrer Schuld, an Seelenheil und göttlicher Gnade verzweifeln zu lassen suchten.131 Obwohl diese diabolischen Erscheinungen von natürlichen und göttlichen unterschieden wurden, standen sie zu ihnen in einer spezifischen Verbindung, in der die Trennlinien des Gattungsschemas verschwimmen und Unsicherheiten in Deutung und Kategorisierung zu Tage treten. Als nicht-divinatorische Träume trafen sie sich mit den »natürlichen« Schimären einer unkontrollierten Phantasie, die sich aus körperlichen und seelischen Prozessen speiste: als Abbildung vorausgegangener Affekte, insbesondere als Symptome eines melancholischen
hunderts vgl. Männling, Traum=Tempel, S. 15 ff., 28 ff.; Art. »Traum«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 45, Sp. 173 – 208, hier insbes. 182 – 199. 129 Thomas Müntzer, Die Fürstenpredigt, in: ders., Schriften und Briefe, hg. und mit einem Vorwort v. Gert Wehr, Gütersloh 1978, S. 64 – 80. Zur frühneuzeitlichen Rezeption der Prophetie des Buches Daniel vgl. Wolfgang E.J. Weber, … oder Daniel würde zum Lügner, das ist nicht möglich. Zur Deutung des Traums des Nebukadnezar im frühneuzeitlichen Reich, in: Traum und res publica, hg. v. Schmidt / Weber, S. 203 – 225. 130 Martin Luther, Vorlesungen über 1. Mose, in: WA 43, S. 593; Melanchthon, Erinnerung, S. 24 f., 28; Dieterich, Traum Discurß, S. 95 f., 129 – 145, Männling, Traum= Tempel, S. 33 f., Art. »Traum«, in: Universal Lexicon, hg. v. Zedler, Bd. 45, Sp. 199. Dazu Weiß, Traumglaube, insbes. S. 233 – 238, 250, zu Luther S. 227 – 230. Zu den innerreformatorischen Auseinandersetzungen vgl. auch Hans-Jürgen Goertz, Radikalität der Reformation. Aufsätze und Abhandlungen, Göttingen 2007 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 93), S. 164 – 187. Vgl. außerdem Gantet, Le songe, S. 244 ff., und für England Janine Rivière, »Visions of the night«: The Reform of Popular Dream Beliefs in Early Modern England, in: Parergon: Journal of the Australian and New Zealand Association for Medieval and Early Modern Studies 20/1 (2003), S. 109 – 138; dies., The Politics of Dreams. 131 Siehe etwa Melanchthon, Summarischer Bericht, S. 43, 55.
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Ungleichgewichts der Säfte132 oder hitziger Fiebrigkeit.133 Die beiden Traumarten trafen sich jedoch nicht allein in ihrem fehlenden divinatorischen Potential, sondern auch in dessen Ursachen; denn »natürliche« Furchtsamkeit ließ sich ihrerseits auf eine Verletzung religiös-moralischer Grundsätze zurückführen: auf eine Abkehr von Gott, die den Einflüsterungen des Teufels die Pforten öffnete. Göttlich träumen, wie schon Platon wusste, konnte daher allein, wer frei von affektuellen Störungen und Verwirrungen ein tugendhaftes Leben führte.134 Ferner berührte sich der teuflische Traum mit dem göttlichen. Wer von der eigenen Abkehr von Gott träumte, der vernahm auch die Aufforderung zur Bekehrung: die Mahnung, recht zu leben – im Bewusstsein, dass »das Leben ein Traum« war und am Ende wie ein solcher verging.135 Derartige Mahnträume schienen göttlich inspiriert, eingegeben von einem Schöpfer, der zwar selbst keine bösen Träume sandte, der nicht erlauben konnte, dass Satan Menschen dazu brachte, Seine Gnade zu verspielen, der sich jedoch des Teufels bedienen mochte, um eben dies zu verhindern.136 Dieser Gott ließ teuflische Furchtträume zu als Bewährungsprobe im Glauben und als Strafe für die, die ihn nicht hatten: die eher diabolischen Traumlügen glaubten als göttlichen Wahrheiten.137 Auch hier : Die Gläubigen sollten sich fürchten, aber nicht zu sehr. Sie sollten Gott fürchten und nicht den Teufel.138 Sie sollten einen Gott fürchten, der seines Widersachers bedurfte, um seine Göttlichkeit zu erweisen. Furcht schien un-
132 Dieterich, Traum Discurß, S. 26 ff.; Melanchthon, Erinnerung, S. 19 f.; Cardano, Traumbuch, S. 5 f., 10 – 12, 479; Burton, Anatomy of Melancholy, Bd. 1, S. 153, 250 – 255, Bd. 2, S. 96 – 99, 257; Männling, Traum=Tempel, S. 18, 275, 280. 133 Dieterich, Traum Discurß, S. 28. 134 Vgl. auch Cardano, Traumbuch, S. 45, 435 ff. 135 Dieterich, Traum Discurß, S. 179. Die Rede vom Leben als Traum hatte sprichwörtlichen Charakter: Lehmann, Florilegium Politicum, S. 760: »Der Mensch Leben vnnd Wandel/ ist wie ein Traum.« Literarisiert wurde sie, neben Andreas Gryphius, von Pedro Calderón de la Barca, La vida es sueÇo, in: Obras completas 2, hg. v. Angel Valbuena Briones, Madrid 1987, S. 501 – 533. Für eine psychoanalytisch orientierte Interpretation von Calderûns Werk vgl. Gerhard Poppenberg, Traumleben – Traumpolitik. Calderûns Konzeption des Traums in ›La vida es sueÇo‹, in: Traum und res publica, hg. v. Schmidt / Weber, S. 147 – 164. Vgl. außerdem Pedro Ramírez, Traum und Schlaf in »La Vida es SueÇo«, in: Der Traum. Beiträge zu einem interdisziplinären Gespräch, hg. v. Edgar Marsch, Freiburg (Schweiz) 1996, S. 71 – 80. Nachweise aus Gryphius’ Werk unten in Anm. 163. Vergleichbar ist auch Ulrich Bräker, Tagebücher 1768 – 1778, in: Sämtliche Schriften 1, 13. – 18. 8. 1771, S. 347 f., und 8. 3. 1772, S. 395 f.: War das Leben voller Wollust, so Bräker, folgte ein Erwachen in Schrecken, war es voller Angst und Not, erwachten die Träumenden in ewige Freude. 136 Dieterich, Traum Discurß, S. 180. 137 Ders., Traum Discurß, S. 83 – 87. 138 Ders., Traum Discurß, S. 166.
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begründet, doch allein für diejenigen, die diese Furcht nicht als gänzlich unbegründet erachteten.139 Dies erklärt, warum in christlichen Kulturen vor allem die furchtbesetzten Träume virulent blieben – als Medium teuflischer Anfechtung. Die Sünde der Angst im Traum verwies auf dessen diabolische Genese; in der qualvollen Furcht der nächtlichen Bilder ritt der Teufel seinen Angriff. Güntzers böser Kindheitstraum setzt eben dies in besonderer Weise in Szene. Damit wiederum offenbart er den diabolischen Traum als einen divinatorischen – und ebenso sich selbst: Güntzers nächtliche Erscheinung war kein teuflischer Traum, sondern ein göttlicher Traum vom Teufel. Und wie hatte Güntzer das erkannt? Er war sich – paradoxerweise auch hier – zunächst seiner Deutung nicht gewiss. Güntzer fürchtete (lediglich), es könnte wahr werden, was er gesehen hatte, und so bat er Gott, dass es nicht der Fall sein möge, und erwartete den Ausgang der Dinge. Exegetisch unsicher und zugleich voller Furcht, hatte Güntzer den Traum nicht als Vorausschau auf etwas Unausweichliches verstanden, sondern als Mahnung, zu dessen Verhinderung beizutragen. Die nötige Gewissheit dazu, so darf nach der Lektüre von Kleinschroths Tagebuch und der einschlägigen Traktate ergänzt werden, scheint ihm die geträumte Furcht vor dem Teufel gegeben zu haben und die Furchtlosigkeit angesichts einer himmlischen Intervention ohne satanische Attribute. Und so harrte Güntzer nicht lediglich der Dinge, die da kamen, er wartete nicht nur, wie sich sein Leben entwickeln würde, sondern beteiligte sich an seiner Gestaltung: Er stellte sich den ganz realen Kämpfen, und er entwickelte 139 Dieser Ambivalenz der Furcht entsprach die für den Protestantismus zentrale Unterscheidung zwischen göttlicher Traurigkeit und verwerflicher, pathologisch melancholischer Verzweiflung (dazu oben Kap. 4.5). Die göttliche Traurigkeit war dabei in mancherlei Hinsicht mit der (pseudo-)aristotelischen und neoplatonischen »Melancholie der Philosophen« assoziiert, wie sie auch bei Dieterich und Cardano zu finden ist. Dort verweist der Tiefsinn der Melancholiker auf ihre Nähe zum Göttlichen: auf ihre besondere Befähigung zu träumender Divination: Dieterich, Traum Discurß, S. 81; Cardano, Traumbuch, S. 559, 561. Diese Begabung konnte nicht allein religiös, sondern auch »natürlich« erklärt werden, und das heißt: in aristotelischen Kategorien. In Kritik am platonischen Konzept privilegierter göttlicher Inspiration hatte Aristoteles die träumende Zukunftsschau auf die nächtliche Wahrnehmung natürlicher Vorzeichen zurückgeführt: Aristoteles, De insomniis. De divinatione per somnum (Parva naturalia III), übers. und erl. v. Philip J. van der Eijk, in: Werke, Bd. 14.3, § 458b – 464b, S. 15 – 31. In den Augen vieler Naturphilosophen und Mediziner besaßen Melancholiker für derartige Anzeichen eine gesteigerte Sensibilität. Vgl. dazu Gowland, Melancholy, S. 75, 82, 85 – 92; auch Gantet, Le songe, S. 243. Diese Fähigkeit eignete jedoch auch dem Teufel, der bei so mancher melancholischen Verstimmung die Hand im Spiel hatte. Der »verschlagene Geist«, so Dieterich, vermochte im Traum künftige Dinge als von Gott vorhergesagt erscheinen zu lassen, die er selbst lediglich aus natürlichen Indizien erschlossen hatte: Dieterich, Traum Discurß, S. 90. Implizit wird auf diese Weise Aristoteles zugleich dämonisiert und bestätigt (für Dieterichs explizite Distanzierung von Aristoteles siehe S. 52 ff.); und es werden damit einmal mehr die vielschichtigen Probleme der Traumkategorisierung erkennbar. Dazu auch unten Anm. 150 und 151.
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das bußfertige Bewusstsein von der Unfähigkeit, sein Leben zu ändern und die ins Mark gebrannte Sünde zu überwinden (und erbrachte damit den Beweis für seine Auserwähltheit). In Folge dessen trat nicht nur ein, was Furcht erregte, sondern auch, was über die Furcht schon im Traum zu triumphieren versprach. Der Teufel, der Angst macht, ist im erzählten Traum bereits bezwungen. Güntzer, heißt das, ahnt dies zu Beginn seines Lebens, und da er die geträumte Botschaft versteht, weiß er es sicher an seinem Ende. Im Wissen um Verlauf und Ausgang seines Lebens schreibt Güntzer in den Traum die Warnung ein und in sein Leben ihre Beherzigung. Am Ende des Lebens kann er den Traum erzählen, als dessen Bewahrheitung er sein Leben präsentiert. Der autobiographische Traum, mit anderen Worten, enthält bereits in seinem Text seine retrospektive Deutung; und das weist ihn als einen divinatorischen aus: als einen Prospekt auf die Zukunft. Teuflische Träume mussten von göttlichen geschieden werden, so verlangte es die Theologie, und gleichzeitig ließen sie sich praktisch kaum unterscheiden. Abschließende Klärung brachten hier weder Imagologie noch Affektologie, weder die Krallen des Bösen noch eine Bewunderung und Regung des Herzens,140 sondern erst der lebensgeschichtliche Rückblick. Das Teuflische im Traum konnte erst identifiziert (und damit ausgeschlossen) werden, nachdem sich die gegebene Erscheinung als eine göttliche und die Abwehr des Versuchers als erfolgreich erwiesen hatte. Hier wurde nicht allein geklärt, ob die Angst im Traum seine göttliche oder seine diabolische Genese bezeichnete; erst jetzt wurde die Unterscheidung als solche überhaupt möglich und wirksam. Und damit war sie praktisch bereits aufgehoben. Die Aporien der Differenzierung (das Ununterscheidbare unterscheiden zu müssen und das Unterschiedene nicht unterscheiden zu können)141 entstanden angesichts des göttlichen Ursprungs des teuflischen Traums. Der betrügerische Traum war die Voraussetzung seiner gnadenreichen Entmachtung: kein göttlicher Traum ohne den teuflischen, den er bezwang. So erweist die autobiographische Perspektive den divinatorischen und den satanischen Traum als Gegensatz und als Einheit zugleich. Der göttliche Traum ist ebenso ihr Ergebnis wie der teuflische, den er entkräftet. Die Deutung des Traums richtete sich nach dem Ausgang der Dinge; doch gleichzeitig folgte der Gang der Ereignisse der Exegese des Traums: Erst die 140 Zur Herzensregung siehe Dieterich, Traum Discurß, S. 172 (mit Bezug auf Luther); Männling, Traum=Tempel, S. 37. Zur admiratio oben Anm. 28. Der Rückgriff auf das Herz indiziert die mystische Dimension des Problems; er war der Versuch, das Unfassliche begrifflich zu fassen: die Notwendigkeit göttlicher Gnade zum Verständnis des divinatorischen Traums. 141 Das Problem der Ununterscheidbarkeit stellte sich nicht allein theologisch, sondern auch epistemologisch – weil das Teuflische der Täuschung eben darin bestand, zu erscheinen wie die göttliche Wahrheit.
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gottesfürchtige Reaktion machte die Erscheinung zu einer göttlichen. Damit das Furchterregende im Traum nicht Wirklichkeit wurde, mussten die Träumenden über die richtige Deutung verfügen, und das heißt: über die rechte Furcht. Reiter Rutger, so sahen es die außenstehenden Beobachter, ließ sich durch seinen Traum in die falsche Furcht versetzen; bei ihm war der Teufel offensichtlich erfolgreich und trieb die Furcht ihrer unausweichlichen Selbstbestätigung zu.142 Güntzer dagegen, wie er von sich sagen zu können meinte, hatte die Furcht des Traums in die rechte Furcht im Wachen versetzt, und so konnte sein Traum zum divinatorischen werden. Er wusste: Der Angsttraum ist teuflisch, weil er quält, und göttlich ist er, weil Gott sich des Teufels bedient: weil er mit der Angst im Traum prüft und straft. Dieses Wissen war Bedingung der Gnade und verdankte sich doch selbst der Begnadigung. Der geistliche Ritter hatte schon immer das Heil, das dem weltlichen verwehrt blieb. So zeigt sich: Das Problem der Unterscheidung zwischen göttlichem und teuflischem Traum wurde am Ende nicht über die Traumgenera gelöst, sondern über eine Ausdifferenzierung der Furchtsemantik, und das heißt auch: über den autobiographischen Blick. Traumerzählungen in Texten wie Güntzers Kleinem Biechlin und Kleinschroths Flucht und Zueflucht hat die Forschung bisher, wenn sie sie überhaupt untersucht hat, nach Maßgabe einer paradigmatischen Kopplung von »Selbstzeugnis« und Individualität betrachtet, um die Emergenz des autobiographischen Traums als Signum einer Individualisierungsleistung zu lesen: als Teil einer historischen »Entdeckung des Ich«, geknüpft an eine Internalisierung gesellschaftlicher Normen und die Kontrolle der eigenen Affekte.143 Lange Zeit, zudem, wurde Humanismus und Protestantismus in diesem vermeintlichen Prozess eine Vorreiterrolle attestiert. Dass die konfessionelle Engführung hier in die Irre geht, hat mittlerweile so manche Protestantismus- und KatholizismusStudie gezeigt. Dabei wurde jedoch dem unterstellten Prozess der Subjektivierung zumeist lediglich ein größerer mentalitätsgeschichtlicher Rahmen gegeben, insbesondere von Vertretern des Konfessionalisierungsparadigmas.144 Wenn dagegen an dieser Stelle die Ähnlichkeiten zwischen Kleinschroths Diarium und Güntzers Lebensbericht aufgezeigt werden, so wird das fragliche Paradigma selbst einer kritischen Prüfung unterzogen und das Geschichtsbild 142 Auch wenn Männling Rutgers nächtliche Erscheinung nicht als teuflisch oder göttlich, sondern – signifikanterweise – als Furchttraum kategorisiert. 143 Ulbricht, Ich-Erfahrung; implizit auch Leutert, Zur Psychologisierung, ungeachtet dessen, dass er die diskursive Funktion autobiographischer Traumaufzeichnungen untersucht (S. 253 f.). 144 Vgl. hier nur den Grundlagentext von Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Die katholische Konfessionalisierung, hg. v. dems. / Reinhard, S. 1 – 49, hier 16 – 20.
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historisiert, das ihm zu Grunde liegt. Autobiographische Träume, wie sie von Güntzer und Kleinschroth beschrieben werden, verweisen nicht auf eine entstehende Innerlichkeit des Menschen, weder auf eine protestantische noch auf eine katholische, sondern auf das konzeptuelle Verhältnis zwischen dem »Innen« und dem »Außen« der Person und auf dessen historische Spezifik. Protestantisch bei Güntzer ist die Buß- und Heilsfunktion des divinatorischen Träumens: das Teuflische im Traum als göttliche Mahnung, dem Bösen zu widerstehen, als Aufforderung zu einem ebenso notwendigen wie aussichtslosen Kampf. Von derartiger Bußparänese sind Kleinschroths Aufzeichnungen nicht durchzogen. Es ist nicht die Suche nach Zeichen der Auserwähltheit, die dort den Traum generiert, sondern das Wissen um eine falsche Entscheidung und die Ungewissheit über ihre Folgen. (Ungeachtet dieses Situations- und Handlungsbezugs freilich ist es auch bei Kleinschroth das verborgene Urteil der Vorsehung, das der Traum entbirgt.) Als katholisches Moment springt zudem das Gelübde des Sängerpräfekten ins Auge, das erfüllt wird nach der Verifikation des zweiten Traums – im Bericht über ihn und über seine Bedeutung als das erbetene Zeichen zur abschließenden Klärung des ersten.145 Ein vergleichbarer Schreibakt jedoch wird auch vom Protestanten beschrieben. So wie es für Kleinschroth erforderlich blieb, das Versprechen einzulösen und das Tagebuch zu opfern, damit es am Ende auch wirklich so kommen konnte, wie es der Antonius-Traum verhieß, so war auch für Güntzer – eher als Ausdruck des Prädestinationsgedankens denn als Widerspruch zu ihm – die Sache bei der Traumniederschrift noch nicht ausgemacht. Unmittelbar im Anschluss an den autobiographischen Bericht über den vergangenen Traum folgt ein Gebet, das in die Zukunft nicht nur des beschriebenen Kindes weist, sondern auch in die des Schreibers: die Bitte, der Traum möge sich nicht bewahrheiten, eine Bitte, die Güntzer nicht nur erinnert, sondern in der Erinnerung noch einmal formuliert. Es war zur Auseinandersetzung mit dem Bösen gekommen, wie Güntzer es gesehen hatte im Traum, doch war der Kampf noch nicht endgültig entschieden. Wenn es auch zum Sieg des Guten kommen sollte, musste Güntzer die Gnade Gottes weiterhin imaginieren: in beständigen, die Autobiographie durchziehenden Anrufungen Gottes. Sie zeigen: Die gelebte Vergangenheit erlaubte die Interpretation des Traums, die Traumdeutung jedoch, als autobiographischer Akt, wirkte zurück auf das noch zu lebende Leben; von ihr hing es ab, ob der Traum in Erfüllung ging. Dies ist die imaginativmagische Dimension des Güntzer’schen Schreibens. Sie unterstellt, dass das Leben, wenn es an seinem Ende aufgezeichnet wurde, erst am Anfang stand. 145 Jenseitsvisionen wie diese, die die Geschichte einer konkreten Person erzählen, sind selbst nicht spezifisch katholisch, sondern wurden im 17. Jahrhundert auch von Pietisten und Puritanern beschrieben.
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Beide Autoren, Kleinschroth wie Güntzer, kämpfen im Traum auf ihre Weise mit ihrem Henker und beide setzen, wenn sie davon berichten, ihre Gewissensangst ins Bild. In beiden Träumen bleibt offen, wie der Kampf am Ende ausgehen wird und bei beiden Erzählern ist es nicht das vergangene Leben, sondern der Akt seiner Beschreibung, der die menschenmögliche Gewissheit zu verschaffen vermag. All das zeigt: Die protestantische Traumbeschreibung ist, ebenso wenig wie die katholische, über ein Konzept der Verinnerlichung nicht zu erfassen. Dies gilt auch für die neue Frömmigkeit des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Im Pietismus entwickelte sich der divinatorische Traum der Calvinisten und Lutheraner, seine Mahnung zu reuevoller Reflexion auf die Unausweichlichkeit der Sünde, zu einer Aufforderung zu Wiedergeburt und gänzlichem Neuanfang im Handeln.146 Für die historische Verortung auch dieser Texte ist nicht eine (protestantische) Innerlichkeit des Gottesverhältnisses entscheidend; auschlaggebend ist vielmehr, dass die anvisierte Umkehr durch Träume initiiert werden konnte, die das »Innere« des Herzens in eine körperliche Verbindung zu einem beseelten Kosmos setzten – und dass diese Umkehr so einmalig nicht war : dass die Gläubigen auch im Stande der Wiedergeburt auf den imaginativen Bezug zu ihrem Schöpfer angewiesen blieben und damit auf sein gnädiges Handeln an ihnen. Das Theorem der (protestantischen) Internalisierung und Individualisierung basiert auf einer modernen qualitativen Unterscheidung von »innerer« und »äußerer« Welt, die im 17. Jahrhundert für keine der Konfessionen und Frömmigkeitsbewegungen in dieser Weise vorausgesetzt werden kann.147 Bei Güntzer und Kleinschroth manifestieren sich überkonfessionelle Gemeinsamkeiten nicht allein im Glauben an furchterregende divinatorische Träume, sondern auch in Bezug auf dessen magische Implikationen. Diese Autoren vertrauten nicht allein auf göttliche Inspirationen in der Nacht, sondern 146 Vgl. v. a. Reitz, Historie (siehe oben Anm. 97). Furchterfüllte Kindheitsträume vom Teufel finden sich auch bei Bunyan, Grace Abounding, S. 6 (mit träumendem Ausblick auf die Freuden der Wiedergeborenen: S. 19 f.), und Thomas Tryon, Some Memoirs of the Life of Mr. Tho. Tryon, Late of London, Merchant: written by himself: together with some Rules and Orders, proper to be observed by all such as would train up and govern, either Families, or Societies, in Cleanness, Temperance, and Innocency, London 1705, S. 8 – 10. Zu Tryons Traumdeutung siehe ders., A Treatise of Dreams & Visions, wherein The Causes, Natures, and Uses, of Nocturnal Representations, and the Communications both of Good and Evil Angels, as also departed Souls, to Mankind. Are Theosophically Unfolded; that is, according to the Word of God and the Harmony of Created Beings, o. O., o. J. [London 1689?], Kap. III, S. 26 – 46, sowie Kap. X und XI, S. 176 – 218. Vgl. von Greyerz, Vorsehungsglaube, S. 131. 147 Überkonfessionelle Übereinstimmungen in den Traumauffassungen des 16. Jahrhunderts betonen auch Richard L. Kagan, Lucrecia’s Dreams: Politics and Prophecy in SixteenthCentury Spain, Berkeley / Los Angeles / Oxford 1990, S. 36, und Gantet, Le songe, S. 246 ff. Zum Jansenisten Pascal vgl. Teuber, Literarisches Träumen, S. 101 – 103.
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auch auf die Fähigkeit des Menschen, sie von Gott zu erwirken und mit ihnen ihr glückliches Ende. Auch wenn Güntzer, anders als Kleinschroth, seine TraumZeichen nicht ausdrücklich erhandelt hatte (im Versprechen, sie zu erinnern), erbrachte er dennoch eine vergleichbare Gegenleistung. Auch seine memoria besagte nicht nur, dass sich seine nächtliche Erscheinung bisher bewahrheitet hatte, sie bewirkte zudem, dass der Traum auch in Zukunft in Erfüllung gehen konnte. Voraussetzung dieses Gedankens war die Überzeugung von einer beseelten, geistdurchwirkten Natur. Güntzers Glaube an die Traumdivination stand in keinem Widerspruch zur Naturkunde seiner Zeit, die bei aller Kritik an Schadenszauber und »schwarzer Magie« deren epistemologische Voraussetzungen in aller Regel nach wie vor teilte. Für die neoplatonisch-hermetische Tradition gilt dies ohnehin; sie wird in der katholischen Gelehrsamkeit des späteren 17. Jahrhunderts durch Athanasius Kircher repräsentiert, der scholastisches und cartesisches Denken mit dem Wissen um die divinatorische Kraft des Traumes verband.148 Darüber hinaus ist es jedoch auch für die aristotelische Naturphilosophie zu konstatieren, die vielfach als Initialzündung einer langfristigen Verwissenschaftlichung und Bedeutungsentleerung des Traums zitiert wird.149 Neben Kircher ist hier Girolamo Cardano ein Beleg dafür, dass beide Traditionen widerspruchsfrei und unter christlichen Vorzeichen zur Deckung gebracht werden konnten, und das heißt: dass Aristoteles nicht göttliche, sondern lediglich übernatürliche Träume für ausgeschlossen erklärt hatte.150 148 Näheres zu Kirchers naturphilosophischen Auffassungen oben in Kap. 4.2 und 4.3. 149 Z.B. von Alt, Schlaf der Vernunft, S. 37 f.; differenzierter ist dagegen Gehring, Traum, S. 22 – 29. 150 Vgl. dazu Gowland, Melancholy, insbes. S. 77 – 85, zu Cardano S. 89 f. Eine gedankliche Inkonsistenz bei Cardano sieht dagegen Alt, Schlaf der Vernunft, S. 66. – Cardano, bei aller humanistischen curiositas, war bekennender Katholik (Cardano, Eigene Lebensbeschreibung, S. 71 – 73, 159 f.; vgl. Eugenio di Rienzo, La Religione di Cardano. Libertinismo e Eresia nell’Italia della Controriforma, in: Cardano, hg. v. Keßler, S. 49 – 76) und führte seine (wissenschaftlichen) Inspirationen und Träume auf das Wirken eines persönlichen, von Gott gesandten »Schutzgeistes« zurück, der sein Leben in der Uneinsichtigkeit all seiner Wechselfälle vor Gefahren bewahrte (und ihn als Gelehrten und Wissenden auswies; vgl. Albert Schirrmeister, Rationalität und Geschichte. Zum Status von geträumter Wahrnehmung in spezifischen kulturellen Kontexten der Frühen Neuzeit, in: Zugänge zur Rationalität der Zukunft, hg. v. Nicole C. Karafyllis / Jan C. Schmidt, Stuttgart / Weimar 2002, S. 95 – 111, hier 105; ders., Traum und Wissen in der Frühen Neuzeit. Erste Annäherungen, in: Zeitsprünge. Forschungen zur Frühen Neuzeit 5 (2001), S. 297 – 310, hier 304 – 306). Dieser tutelaris spiritus stand zu der besonderen Sensibilität für natürliche Zeichen, die Cardano darüber hinaus – unter Berufung auf Aristoteles – zur Erklärung seiner diagnostischen und prognostischen Fähigkeiten anführte, nicht in Konkurrenz. Zwar sahen aristotelisch Träumende nicht unmittelbar in die Zukunft, sondern lasen die Zeichen der Natur: sie »fühlten« die gegenwärtigen natürlichen Ursachen künftiger Wirkungen. Doch vermochte derart spürbare Zeichen allein eine von Gott bestimmte Natur zu geben. Gott ließ divinatorisch träumen, indem er die (gute) Seele dazu befähigte,
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Auch die Dogmen der Konfessionsverwandten wurden von Güntzer keineswegs unterlaufen. Theologen wie Conrad Dieterich fanden bei Aristoteles in erster Linie eine Leugnung göttlicher Inspiration – und unterzogen ihn daher der Kritik. Wenn Dieterich lutherische Deutungszurückhaltung anmahnt, rekurriert er also nicht etwa auf »den Philosophen«. In Distanzierung von Aristoteles und im Rückgriff auf Melanchthons Gattungsquadriga hielt er nicht nur göttliche, sondern sogar astrale Träume für denkbar.151 Wie alle Protestanten seiner Zeit die natürlichen Zeichen wahrzunehmen, die er gesandt hatte. Vgl. Cardano, Eigene Lebensbeschreibung, S. 167 – 171, 179, 201 – 208, zit. 179, zu Aristoteles S. 169; Traumbuch, Bl. C 4r/v und S. 30 f.; Aristoteles, De insomniis, § 458b – 464b (S. 15 – 31). Das Verhältnis zwischen der Natürlichkeit und der Göttlichkeit des divinatorischen Traums bleibt bei Cardano schwer zu bestimmen; dies verweist letztlich jedoch nur auf die Verbindung zwischen beiden. Gibt es in der Lebensbeschreibung neben der natürlich zu erklärenden Prognose auch ein übernatürliches göttliches Wirken, so wird die Divination im Traumbuch als gänzlich »natürlich« ausgewiesen (S. 16 f., vgl. 20). Letzteres diente jedoch lediglich der Befreiung aus einer Furcht vor »sonderlichem gebott Gottes« (2. Vorrede) und damit implizit, mit Aristoteles und Synesios, der Abgrenzung von der privilegierten Inspiration (die Cardano in ihrer schützenden Funktion, wenn auch mit Unbehagen und vermittelt über den guten Geist, letztlich für sich selbst dann durchaus beanspruchte). Das heißt: Gott hatte prinzipiell jeden Menschen, so er gottesfürchtig war, zu divinatorischem Träumen befähigt. Vor diesem Hintergrund erschienen auch die natürlichen divinatorischen Träume als göttlich gewirkt und Gott und Natur damit als Einheit. Vgl. dazu Carol Schreier Rupprecht, Divinity, Insanity, Creativity : A Renaissance Contribution to the History and Theory of Dream/Text(s), in: The Dream and the Text: Essays on Literature and Language, hg. v. ders., Albany, NY 1993, S. 112 – 132, hier 118; Le Brun, Interpretation, S. 194 f. – Zum Verhältnis von Magie, Religiosität und Wissenschaft im frühneuzeitlichen Protestantismus vgl. Scribner, Reformation; von Greyerz, Alchemie. 151 Die von Dieterich angeführten natürlichen divinatorischen Träume waren in seinen Augen keine göttlichen, insofern sie von »Heiden« geträumt wurden und keine christlichen Inhalte transportierten, und sie wurden von ihm nicht als teuflische aufgefasst, insofern sie nichts Häretisches artikulierten. Sie waren jedoch auch nicht die Träume des Aristoteles, insofern sie, wie die göttlichen, einer Elite vorbehalten waren – in diesem Fall einer politischen. Hier zeigen sich die zeitgenössischen Deutungsschwierigkeiten noch einmal in besonderer Weise: Dass es natürliche divinatorische Träume gab, bewies Dieterich die »Erfahrung« (Dieterich, Traum Discurß, S. 44). Unerklärbar jedoch schien ihm deren Entstehung. Nachdem der Verfasser alle bisherigen Erklärungsansätze verworfen hat, führt er sie auf »sonderbahre[] natürliche[] Ursachen« zurück (S. 40) und warnt den gläubigen Christen vor neugierigem »Fürwitz« gegenüber den geheimnisvollen Mysterien der Natur (S. 52). Vor diesem Hintergrund fungiert bei Dieterich, anders als bei Cardano und bereits bei Artemidor (Traum=Buch, Buch IV, S. 372 f.), der Rekurs auf die »Erfahrung« als Argument für eine generelle Skepsis gegenüber menschlichen Traumauslegungen: Die praktische Notwendigkeit, für eine Gewissheit über die Bedeutung der Träume den Gang der geschichtlichen Entwicklung abzuwarten, wird als Beweis für ein göttliches Interpretationsmonopol und die Nutzlosigkeit »abergläubischer« Traumbücher vorgebracht (Dieterich, Traum Discurß, S. 44, 52, 105 ff.). Auch diese Skepsis jedoch, wie gezeigt, stellte die Möglichkeit einer (derartigen) Traumdeutung nicht generell in Frage, sondern setzte sie vielmehr voraus. Der Bezug auf die »Erfahrung« findet sich auch bei Luther, Vorlesungen über 1. Mose, in: WA 44, S. 249; Predigten des Jahres 1524, in: WA 15, S. 398 – 810, hier 620 – 622, und Melanchthon, Summarischer Bericht, S. 45. Vgl. auch Ulrich Bräker, Tagebücher 1789 – 1798, in: Sämtliche Schriften 3, 21. 9. 1795, S. 578 f.
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rechnete auch Dieterich mit Gottes Handeln in der Geschichte des Menschen über eine mit Seinem Odem animierte Natur. Die Reformation hatte, wie Marcus Sandl gezeigt hat, hermetische Erkenntnisverfahren nicht nur adaptiert, sondern sogar verabsolutiert. Die signifikativen Beziehungen zwischen Himmel und Erde transformierte sie in eine Korrespondenz von Welt und Heiliger Schrift; den Referenzpunkt von Zeichen und Ereignissen, das Wesen und Handeln Gottes, holte sie so in die Geschichte der Welt hinein. Geschichte wurde zur Heilsgeschichte, Welt und Bibel kamen exegetisch zur Deckung und Prophetie wurde möglich152 – auch im autobiographischen Traum. Angesichts dessen zeugt Güntzers Glaube an göttliche Träume nicht etwa von einer mangelnden Durchsetzungskraft der Theologen,153 sondern kann sich deren dogmatischer Rückendeckung sicher sein, der lutherischen ebenso wie der calvinistischen.154 Noch in der Eigenen Lebens=Beschreibung des lutherischen Predigers Adam Bernd (1738) wird klar : Am Nutzen divinatorischer Träume mochte es Zweifel geben, an ihrer Möglichkeit kaum.155 Und so ist die protestantische Skepsis gegenüber dem Traum nicht die Vorhut seiner aufklärerischen Verwissenschaftlichung und »Entzauberung« und nicht der Beginn seiner psychologischen Internalisierung. Damit wiederum spricht aus den autobiographischen Traumerzählungen des 16. und 17. Jahrhunderts keine allmähliche Emanzipation des Subjekts: Sie sind keine Vorform erfahrungsseelenkundlicher Selbstbeobachtung, nicht die Selbstreflexion eines vernünftigen Individuums, das im späten 18. Jahrhundert 152 »Der biblisch geoffenbarte Wille Gottes determinierte die Zukunft als Horizont seiner Entschlüsselung und Interpretation.« Sandl, Martin Luther, S. 397. Siehe auch Barnes, Prophecy, insbes. S. 7 f. 153 Wie dies suggeriert wird von Peer Schmidt, Wan er auch aufwachet/ ihm eben ist/ als einem der aus der Schlacht entrunnen. Träume im Dreißigjährigen Krieg, in: Traum und res publica, hg. v. dems. / Weber, S. 257 – 283, hier 281. 154 Calvin hat sich mit Träumen vor allem in seiner Exegese des Buches Daniel beschäftigt. In Auseinandersetzung mit antiken Autoren (Homer, Aristoteles, Cicero, Macrobius) unterscheidet er hier (lediglich) göttlich-prophetische und natürliche Träume. Damit betont er zum einen die Möglichkeit divinatorischen Träumens, zum anderen warnt er vor falschen Propheten. Luthers Frage, ob göttliche Träume auch außerhalb der Heiligen Schrift, in der Gegenwart des Exegeten, denkbar sind, hat sich ihm jedoch offenbar nicht gestellt. Jean Calvin, Praelectionum in Ieremiam prophetam pars altera cap. VIII – XXXI, in: Opera exegetica et homiletica, hg. v. Eduard Reuss / Alfred Erichson / Wilhelm Baldensperger, Bd. 16 (Opera omnia 38), Sp. 440; Praelectionum in Danielem prophetam pars prior cap. I – V, in: Opera exegetica 18 (Opera omnia 40), Sp. 517 – 722, hier insbes. 556 – 560, 652. In der Anthologie von Ignaz Jezˇower, Das Buch der Träume, Berlin 1928, ist Calvin, im Gegensatz zu den anderen Reformatoren, nicht vertreten. 155 Bernd führt das klassische Argument der Traumskeptiker an: Was nützt mir die Warnung, wenn ich das, wovor ich gewarnt werde, nicht verhindern kann? Bernd, Eigene LebensBeschreibung, S. 45 – 48, 56, 91; siehe auch S. 62 f., 96, 142 f., 180 f., 215, 228 – 230, 325. Vgl. außerdem S. 26 f., 358. Zu Bernd vgl. auch Gantet, Der Traum, Kap. 6.4.3.
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in den Schrecken des Traums ein beunruhigendes Potential zu moralischer Selbstvergewisserung zu entdecken begann.156 (Und damit weisen sie auch nicht auf die Psychoanalyse voraus.157) Diese Texte berichten von einem Leben, das sich in bewahrheiteten Träumen konstituieren konnte: in der autobiographischen Erinnerung an sie und in einer Epistemologie, in der das Zeichen noch als integraler und wirksamer Bestandteil jener Wirklichkeit vorgestellt wurde, die es bezeichnete. Texte wie Cardanos De vita propria, Güntzers Kleines Biechlin und Kleinschroths Flucht und Zueflucht erinnern das Leben ihrer Verfasser nicht als eine individuelle biographische Entwicklung, sondern als Bestandteil einer kosmischen Ordnung, in der der Ort dieses Lebens durch Zeichen einer göttlichen Vorsehung markiert war. Das Sammeln dieser Zeichen, das Verzeichnen furchtsamer Träume sowie der auf eine Erfüllung dieser Träume hinweisenden Ereignisse, diente der Verortung der autobiographischen persona in einem teleologisch strukturierten Prozess, den Gott und (noch) kein Autor-Subjekt initiiert hatte. Anders als eine moderne subjektive Re-Konstruktion des Vergangenen als Grundlage der eigenen Gegenwart basieren frühneuzeitliche autobiographische Erinnerungen nicht auf einem Paradigma linearer und dynamischer zeitlicher Entwicklung aus einmaliger Vergangenheit in eine offene Zukunft; vielmehr setzen sie einen Zeitbegriff voraus, in dem die memoria erinnert, was immer schon geschehen ist. Sie sind Erinnerungen an eine Zukunft, denn die schien keine offene zu sein, sondern bereits in kosmischer providentia 156 Aus der Erfahrungsseelenkunde vgl. insbes. Karl Friedrich Pockels, Ueber den Einfluß der Finsterniß in unsere Vorstellungen und Empfindungen, nebst einigen Gedanken über e die Traume, in: Cm_hi sautºm oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde [im Folgenden: e MzE] 5 (1787), 2. St., S. 88 – 102; ders., Psychologische Bemerkungen über Traume und Nachtwandler, in: MzE 6 (1788), 3. St., S. 76 – 89; Salomon Maimon, Ueber den Traum und e über das Divinationsvermogen, in: MzE 9 (1792), 1. St., S. 70 – 88; ders., Revision der Erfahrungsseelenkunde, in: MzE 10 (1793), 1. St., S. 583 – 592. Vgl. dazu Alt, Der Schlaf der Vernunft, S. 160 – 189; Hans-Walter Schmidt-Hannisa, Das eiserne Szepter des Schlafes. Über die Unzurechnungsfähigkeit von Schlaftrunkenen, Nachtwandlern und Träumern im 18. Jahrhundert, in: Unzurechnungsfähigkeiten. Diskursivierungen unfreier Bewußtseinszustände seit dem 18. Jahrhundert, hg. v. dems. / Michael Niehaus, Frankfurt a.M. 1998, S. 57 – 83; Leutert, Zur Psychologisierung, S. 261 ff. Anzeichen einer erfahrungsseelenkundlichen Traumauffassung finden sich auch bei Bräker, Tagebücher 1768 – 1778, 14. 9. 1774, S. 681 f. 157 Der Erfahrungsseelenkunde fehlte eine Theorie des Unbewussten als anthropologischer Instanz. Die Beobachtung der dunklen Seite der Vernunft zielte, bei aller praktischen Begrenztheit, auf deren Rückführung in das Licht vernünftiger Moral. Vgl. dazu Manfred Engel, The Dream in Eighteenth-Century Encyclopedias, in: The Dream, hg. v. dems. / Dieterle, S. 21 – 51, insbes. 37 ff. Eine Interpretation der erfahrungsseelenkundlichen Traumauffassung als eine Vorform der Freud’schen gibt Doris Kaufmann, Träume als wissenschaftliches Objekt – Bürgerliche Selbstverständigungsprozesse im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Emanzipation. Festschrift für Reinhard Rürup, hg. v. Michael Grüttner / Rüdiger Hachtmann / Heinz-Gerhard Haupt, Frankfurt a.M. / New York 1999, S. 75 – 94.
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gegründet, keine noch nicht existente also, sondern lediglich eine noch nicht erkannte. Sie sind Erinnerungen an Ereignisse, die im Wissen um das, was gekommen war, als (Vor-)Zeichen lesbar wurden, nicht der Rückblick auf das, was zum Erreichen des selbst gesetzten Zieles geführt hatte. Das eigene Leben, als autobiographischer Text, konnte sich in der Erinnerung an Zeichen konstituieren, mit denen Gott dieses Leben geleitet und deren Bedeutung sich in der Erinnerung an das Geschehene erschlossen hatte. Dieses autobiographische Schreiben will eine Einsicht in die Geschichte des eigenen Lebens bezeugen, die als Gotteserkenntnis endet. In ihm markieren Furcht und Furchtlosigkeit die maßgeblichen Pole der Entwicklung. Vor diesem Hintergrund offenbaren die hier analysierten Erzählungen keine individuellen Gefühls- und Erfahrungswirklichkeiten, keine historischen (Traum-)Imaginationen, Ängste und Hoffnungen jenseits des Textes,158 auch dann nicht, wenn zuvor literarische Vorbilder, narrative Muster sowie rhetorische Darstellungs- und Rechtfertigungsstrategien herauspräpariert worden sind.159 Sie geben vielmehr Aufschluss, wie Wirklichkeiten der Erfahrung entstehen, indem Wissen wirksam wird: in einer Verwirklichung von Gewissheiten, die nicht nur auf die Rezeption und Aneignung von Theorien verweist, sondern in erster Linie auf die Wertvoraussetzungen und die praktische Bedeutung dieses Wissens selbst. In den Beschreibungen ihrer furchtsamen Träume öffnen uns Cardano, Güntzer, Kleinschroth und all die anderen kein Fenster zu subjektiven Zuständen der Angst, weder vor dem Geträumten noch vor dem Träumen selbst; und so indizieren sie auch keine »Traum und Angst« assoziierende christliche Mentalität:160 keine erhöhten Furchtpotentiale und keine Herrschaft der Einbildungskraft vor dem Einzug der Aufklärung. Mit ihrer Furcht, vielmehr, beschreiben sie die Befreiung aus ihr. Sie zeigen damit, dass sie die moderne Spaltung zwischen einem Innenraum der Person und deren Außenwelt, von der der psychohistorische Zugriff ausgeht, noch nicht kennen. Eine flächendeckende Untersuchung autobiographischer Traumerzählungen aus den Kriegszeiten des 17. Jahrhunderts bleibt auch am 158 Einen mentalitäts- und erfahrungsgeschichtlichen Zugang zum Traum wählen dagegen Peter Burke, L’histoire sociale des rÞves, in: Annales. Êconomies, Soci¦t¦s, Civilisation 28 (1973), S. 329 – 342, dt.: Kulturgeschichte der Träume, in: ders., Eleganz und Haltung, Berlin 1998, S. 37 – 62, Reinhart Koselleck, Terror und Traum. Methodologische Anmerkungen zu Zeiterfahrungen im Dritten Reich, in: ders., Vergangene Zukunft, S. 278 – 299, und explizit psychoanalytisch Jacques Le Goff (wie Anm. 13). 159 Was an und für sich wichtig ist. In Bezug auf Güntzer vgl. dazu Sieber, Erlesenes Leid, S. 47 – 55. Die in autobiographische Texte eingeschalteten Traumbeschreibungen erklären sich jedoch schon insofern nicht aus einer rhetorischen Funktion, als sie eine Unsicherheit der Deutung überwinden sollen. 160 Eine spezifisch christliche Verbindung von »Traum und Angst« konstatiert, im Anschluss an Delumeau, Le Goff, Das Christentum, S. 317 f.; vgl. auch S. 273, 279.
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Ende dieses Kapitels Desiderat.161 Die vorangehenden Analysen demonstrieren jedoch, welche Ergebnisse zu erwarten sind, wenn sie nicht unter den Vorgaben eines mentalitätsgeschichtlichen Individualisierungstheorems fortgeführt werden. Aus psychohistorischer Perspektive liegt der Erkenntniswert autobiographischer Traumberichte für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in deren vermeintlichem Vermögen, traumatische Ängste zu bewältigen. Die therapeutische Leistung selbst wird dabei letztlich nicht begründet, sondern unterstellt.162 Wird dagegen die Furcht historisiert, die die fraglichen Träume affizierte, und wird die Funktion untersucht, die ihre Erzählung im autobiographischen Text erhält, so zeigt sich: Diese Träume beschreiben, dass Furcht überwunden ist, und sind kein psychisches Instrument ihrer Bewältigung. Das Leben, wie diese Autoren es beschrieben, entstand im Traum: im Wissen um die Macht einer Imagination, die das Imaginierte schuf, indem sie es abbildete. Wer so schrieb, hegte an der Wirklichkeit des Geträumten noch keinen grundlegenden Zweifel; und er setzte eines voraus: dass das ganze »Leben ein Traum« war (und nicht allein das geträumte) und dass zum eigentlichen Leben erweckt wurde, wer einst den irdischen Schauplatz verließ. Wirklichkeitsmacht, mit anderen Worten, gewann der Traum für eine im Modus der Unwirklichkeit und wahnhaften Uneigentlichkeit gefasste irdische Existenz – für ein Leben, das eitel schien und nichtig und das verharrte in »Not, Angst und Pein«: in der »Enge« und im Abgrund der Sünde. Lyrischen Ausdruck hat diese vanitas-Figur vor allem bei Andreas Gryphius gefunden.163 161 Dieses Desiderat wurde für den Dreißigjährigen Krieg zunächst von Roeck, Diskurse, S. 192, konstatiert und zuletzt noch einmal von Schmidt, Träume, S. 261 und 281 f. 162 Vgl. Roeck, Diskurse, S. 192, auch wenn er hier keine Ergebnisse präsentiert, sondern eine Forschungsaufgabe formuliert. 163 Andreas Gryphius, Es ist alles eitell, in: Sonette, S. 33 f., Vers 9: »Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.« Menschliches Elende, in: Sonette, S. 35, Vers 9 – 11 : »Gleich e wie ein eitell traum leicht aus der acht hinfalt jj Vnd wie ein strom verscheust/ den keine e macht auffhalt/ jj So mus auch vnser nahm/ lob ehr vnd ruhm verschwinden.« Threnen in Schwerer Kranckheitt, in: Sonette, S. 59, Vers 13 f.: »Itz was vndt morgen nichts/ vnd was sind vnser thaten? jj Ein mitt viel herber angst durchaus vermischter traum.« Auff den Sontag deß von der geheimen Ewigkeit lehrenden Gottes/ oder 1. Sontag nach der H. Dreyeinigkeit. Luc. 16, in: Sonette, S. 207 f., Vers 1 – 7: »O Nichts! O wahn! O Traum! worauff wir Menschen bauen jj Was hilfft der Taffel Lust und stoltzer Kleider Tracht? jj Wenn die verdam’te Seel’ in schwartzen Flammen kracht jj Vnd nimmermehr nicht mag die e minste Rettung schauen? jj Wie kan vns doch so hoch fur Noth und Sterben grauen jj Wenn der so hier in Angst ohn allen Trost verschmacht jj Auff Gottes Ehren=Thron wird ewig groß gemacht?« Vanitas! Vanitatum Vanitas!, in: Oden und Epigramme, S. 17 – 20, Vers e e 4 – 6: »Dis was vns kan ergetzen/ jj Was wir fur ewig schatzen/ Wirdt als ein leichter traum vergehn.« Verleugnung der Welt, in: Oden und Epigramme, S. 40 f., Vers 12 – 14 und 33 – 36: »So traumt jhm wenn er wacht/ er wacht vnd sorgt im traum. jj 3. Auff meine Seel/ auf! auf! entwach aus diesem Traum! jj Verwirff was jrrdisch ist/ vnd trotze Noth vnd Todt! jj […]
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Damit kam die Erweckung aus dem »Lebenß Traum«164 nicht nur als Verheißung, sondern auch als Forderung daher. Wer dereinst erwachen wollte, dessen Gewissen musste es hier und jetzt bereits tun; andernfalls versprach das Erwachen ein böses zu sein. Dieser Gedanke durchzieht nicht allein autobiographische und oneirokritische Traumberichte, sondern auch literarische Texte. In Gryphius’ Catharina von Georgien verkündet ein emblematischer Traum der Protagonistin die Überwindung ihrer Furcht in der Bereitschaft zum Martyrium sowie die Furcht ihres Henkers Chach Abas, in die sie ihn auf diese Weise versetzt. Der Traum geht in Erfüllung (und erfährt seine korrekte Deutung) durch den Fortgang der Handlung und durch Abas’ Vision von der toten Catharina, die zum Beschluss des Dramas die Qual seines Gewissens visualisiert.165 Moscherosch und Grimmelshausen präsentieren die »verkehrte Welt des Krieges« in Form eines Traums des Protagonisten, der in sie verstrickt ist und sich am Ende bekehrt.166 Und Männling betont: Nur wer seine Träume recht verstand e
vnd alle Phantasie jj Der Eitel=le[e]ren welt sey fur mir alß ein traum/ jj Von dem ich nun e erwacht! vnd laß nach diesem tod jj Mich vnerschrocken HERR/ fur deinem Andlitz stehn.« e Uber seinen Traum von Gluckseligkeit der Seeligen, in: Oden und Epigramme, S. 203: »Diß e Leben zeigte dir/ vil/ doch verganglich Gutt/ jj Ein Traum hergegen wiß das Lusthauß steter Ehren. jj Du nimst was ewig an/ und setzest aus dem Muth/ jj Die Welt und was mit ihr muß e e unversehns auffhoren. jj Schatzt man diß Leben hoch/ das schlechter als ein Traum/ jj Dein Traum war wahre Freud dein Leben Dunst und Schaum.« Zu Gryphius vgl. auch Alt, Der Schlaf der Vernunft, insbes. S. 92 – 111. Weitere Nachweise und Literatur zum Topos des »Lebens-Traums« oben in Anm. 135. 164 Gryphius, Menschlichen Lebenß Traum, in: Dissertationes funebres, S. 324 – 332. Vgl. dazu Niefanger, Affekt, S. 941 – 943. 165 Gryphius, Catharina von Georgien, I, 323 – 352, und V, 375 – 448. Für den Handlungsverlauf des Dramas und eine Analyse der eingeschriebenen Furcht- und Angstsemantik siehe oben Kap. 3.6. Zu den Träumen vgl. Engel, Träume, S. 63 – 66, zit. 66: »Der übernatürliche Traum wird zum Ehrenzeichen einer christlichen Königin und Märtyrerin – und die antike Onirokritik zur bibelgeschulten Schriftauslegungskunst.« Angesichts der Befunde dieses Kapitels ist Engel zuzustimmen (und der Konjunktiv in den Indikativ zu überführen), wenn er festhält (S. 75): »Dieser gesicherte und kulturell sicher eingemeindete Bildungsbesitz [von der Traumdeutung] dürfte mit einiger Wahrscheinlichkeit auch normprägend für die barocke Traummentalität und das ganz persönliche Umgehen mit Träumen gewesen sein.« 166 Der Traum des Simplicius stellt die Verkehrtheit der Kriegsgesellschaft vor Augen: Grimmelshausen, Simplicissimus, Buch 1, Kap. 15 – 18. Philander von Sittewalt sieht in einer Wachvision die Verkündigung der Höllenstrafe, der die »gewissenlosen Soldaten« entgegen sehen, »die ihr eigen Vatterland verderben helffen/ die sich des Gewalts im Krieg mißbrauchen: vnd nicht so wol/ nach dem was Redlich als was Nutzlich ist/ sehen.« Die Vision versetzt Philander in Schrecken und nach ihrem Verschwinden schläft er ein, »vor Mattigkeit vnd Angst halb todt«. Wieder erwacht, findet er einen »Lehr=Brieff« der Soldaten vor, den ihm der imaginierte Richter hinterlassen hat und der soldatische Gottesfurcht anmahnt. Bereits seit drei Nächten hatte Philander »von anderst nichts als e e schrocklichen Sachen getraumet«, und so führen seine Träume nunmehr die Umkehr seines Lebens herbei. Moscherosch, Soldaten=Leben, S. 741 – 746, zit. 742, 746, der »Lehr=Brieff« S. 746 – 768. Über Philanders Träume hinaus ist das Soldaten=Leben insgesamt (ebenso wie die anderen Visiones Moscheroschs) als Traum konzipiert, jedoch
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und die Umkehr vollzog, zu der sie mahnten, nur dem öffnete sich der Weg »aus dem Traum-Tempel, in dem wir auf Erden leben, in den Tempel der Herrlichkeit, des Ruhms (gloria) und der Ehre (honor)«.167 Aus der »Welt=Angst«, so der Gedanke, führte die rechte Angst des Gewissens heraus, und wer das nicht erkennen wollte, den schreckten die Träume in der Nacht. Das 17. Jahrhundert entwarf die Welt als Angst und das Leben als Traum, um die Weite und die Angstfreiheit eines Jenseits postulieren zu können und die Sünder auf seine Zugangsbedingungen zu verpflichten: auf die Furcht als Voraussetzung ihrer Überwindung. Die vielschichtige Verkopplung von Furcht und Traum legte den Grundstein kultureller Selbstbeschreibungen des »martialischen Saeculums«, und ohne sie war auch die Konstituierung des »ich« im autobiographischen Text nicht zu denken.
lediglich im Sinne einer satirisch-pikaresken Distanzierung von der Wirklichkeit. Zu den Träumen bei Moscherosch und Grimmelshausen vgl. Engel, Träume, S. 66 – 71. Näheres zu den beiden Autoren oben in Kap. 5.4. 167 Männling, Traum=Tempel, S. 48 f., zit. 48.
7. Schluss: Selbstkonstitution in furchtloser Furcht
Furcht und Angst, konstatierte so manche Stimme der Zeit, übertrafen an Macht und Gewalt alle anderen Affekte, ja sogar das Befürchtete selbst – denn sie vergegenwärtigten es nicht nur imaginär, sondern führten es, wie es schien, womöglich auch ganz körperlich herbei. Das Problem wurde im 17. Jahrhundert vornehmlich bei der Verbreitung von Krankheiten virulent und bei körperlicher Gewaltausübung: auf den Schauplätzen des Krieges und in den Kellern der Folterer. Wer pestartige Seuchen fürchtete, drohte eben deswegen von ihnen dahingerafft zu werden; eine übersteigerte Furcht vor der Violenz der Soldaten, wenn sie nicht ihrerseits pathogen wirkte oder gar tödlich, trieb mitunter jene dem Feind in die Arme, die ihm zu entkommen suchten; und in der Auseinandersetzung über die gerichtliche Tortur wurde die Gewaltsamkeit der Furcht zum Argument, ihren Wahrheitswert entweder zu behaupten oder zu bestreiten. Das ganze Problem hatte, mehr oder weniger ausdrücklich, stets ein religiöses Fundament. Die Leiden der Furcht und ihrer Selbstbestätigung, so wollten es die Gelehrten, sanktionierten die mangelnde Furcht vor dem Herrn. Mit der besonderen Gewalt der Furcht schlug Gott jene, die ihn nicht fürchten wollten. Er peinigte sie mit Furcht, um sie zur Gottesfurcht zu führen – selbst jene noch, die die Kritiker als unschuldige Opfer obrigkeitlicher Folter beklagten. Auf diese Weise wurde Furcht zur notwendigen Bedingung für ihre Überwindung: für die Transformation falscher Furcht in die rechte. Die von ihrer eigenen Furcht sprachen (und nicht nur von der der anderen), riefen eben dies ins Gedächtnis; und sie erzählten die Geschichte ihrer Befreiung, ihren Weg aus der »Enge« der »Angst« in die Weiten des Heils: aus der Bedrängnis des Herzens und des Gewissens, aus belagerter Stadt und eingeschlossenem Kloster, aus den Kerkern der Hölle und der Welt. Sie beschrieben sich als furchterfüllt und furchtlos zugleich. Wie steht es also mit der Furcht im »Jahrhundert der Angst«? Die vorangehenden Kapitel unternahmen den Versuch, sie weitergehend zu historisieren, als dies bisher geschehen ist. Dazu wurde sie dort aufgespürt, wo von ihr die Rede ist; und sie wurde als eine Form kultureller Selbstbeschreibung analysiert, wie sie sich in den theoretischen Debatten der Zeit ebenso manifestiert wie im
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literarischen und im autobiographischen Text. »Furcht« in der Geschichte ist nicht zu verstehen ohne die historischen Bedingungen und Funktionen ihrer Erzählung. Sie kam zur Sprache, so der Befund, in der Erinnerung an die (göttlich gewirkte) Errettung aus einer Furcht, die, als himmlische Sanktion, die Macht hatte, ihren Gegenstand selbst zu bewirken. Autobiographische Texte gedachten der Furcht stets auch, um zu präsentieren, was die Autoritäten verlangten: Furchtlosigkeit und rechte Furcht – als Faktum in der Gegenwart und als memoria für die Zukunft: als Mahnung. Diese Texte sind Teil einer Kultur, die im Hinweis auf die desintegrative Kraft der Furcht die Ordnung ihrer Werte und Normen entwarf und die Grundlagen ihrer Integrität. In diesem Sinne stellen sie Prozesse gesellschaftlicher und personaler Selbstkonstituierung vor. Diese Funktion der Furchtbeschreibungen ist zu Tage getreten, nachdem zweierlei herauspräpariert worden ist: zum einen das historische Wissen von den »natürlichen« Ursachen und Folgen der Furcht, wie sie insbesondere in Affektologie und Pathologie diskutiert wurden, zum anderen ihre religiösen, moralischen und politischen Deutungen und Bewertungen. Erst diese Kontextualisierung hat gezeigt: Furcht kam allein dort zur Sprache, wo zugleich die Möglichkeiten und die Bedingungen von Furchtlosigkeit vor Augen gestellt wurden. Diese Konstellation ist nicht allein einer autobiographischen Retrospektive geschuldet; sie ist den historischen Konzepten von Furcht und Angst selbst immanent. Die Konditionen ihrer Überwindung sind Teil ihrer Semantik, wie sie in Geschichten vom eigenen Leben zur Entfaltung kommt und erzählerisch wirksam wird. Die Geschichte der Furcht ist die ihrer sprachlichen Repräsentation, nicht nur im textanalytischen Sinne, sondern auch im historischen. Jene, die im 17. Jahrhundert von Furcht und Angst schrieben, meinten noch keine verborgene und unzugängliche Gefühlssubstanz hinter deren Zeichen, keine unaussprechliche Individualität der Empfindung, wie es die Vernunft der Aufklärer tat, die die Furcht aus ihrem Bannkreis zu vertreiben unternahm. Sie markierten vielmehr einen sichtbaren Ort in der Topographie der Affekte: in den Ordnungen ihrer Repräsentation. Sie sprachen weder »emphatisch« noch »empathisch«: nicht von einem je eigenen, persönlichen »Erleben« (und auch nicht von dem der anderen), sondern vom Verhältnis ihrer Furcht zu anderen Affekten: zu Hoffnung, Vertrauen und Liebe, zu Tapferkeit und Leichtsinn, zu Indolenz des Gewissens und Verzweiflung, mit anderen Worten: zu den verschiedenen Formen der Furchtlosigkeit. Sie wussten: Diese affectus entstanden in der Sprache, die sie verständlich werden ließ, in einer Sprache, die noch nicht als Reduzierung von Wirklichkeit begriffen wurde, sondern vielmehr als deren Voraussetzung und Bestandteil: die von den Dingen, die sie bezeichnete, epistemologisch noch
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nicht abgespalten worden war.1 Wo die Erzählungen von Furcht und Angst »rhetorisch« sind, sind sie es im antiken Sinne des Begriffs, wie er auch in der Frühen Neuzeit noch vorauszusetzen ist: im Wissen, dass Rhetorik Wirklichkeit nicht verzerrt, sondern überhaupt erst zugänglich macht.2 Diese Erzählungen folgen einer Dramaturgie der Affekte, die die Möglichkeiten ihrer klugen Regulierung und Ausbalancierung beschreibt. Sie erzählen Geschichten von drohendem Schiffbruch (ob mit oder ohne Seereise),3 und das heißt: Sie berichten von Furcht und Angst und sie tun es (mit Ingo Schulze) »von sicheren Gesta-
1 Besonders deutlich wird dies in der musikalischen Affektmodellierung. Gebildet und abgebildet wurden »Affecte« nach zeitgenössischer Auffassung nicht nur über die Verbalsprache, sondern auch über die Musik; denn diese wurde ihrerseits als Sprache gefasst. Ihre Potenz zur Repräsentation, Erkenntnis und Gestaltung der Welt erhielt sie aus der angenommenen Existenz kosmischsphärischer Harmonien. Ihren sprachlichen Status verlor die Musik erst im Zuge der aufklärerischen Verlagerung der »Gefühle« in einen außersprachlichen Raum; nun wurde sie ihrerseits zum bevorzugten Medium dessen, was (verbal)sprachlich nicht mehr repräsentierbar zu sein schien. Vgl. dazu Rainer Bayreuther, Theorie der musikalischen Affektivität in der Frühen Neuzeit, in: Musiktheoretisches Denken und kultureller Kontext, hg.v. Dörte Schmidt, Schliengen 2005 (Forum Musikwissenschaft 1), S. 69– 92; Ulrich Thieme, Die Affektenlehre im philosophischen und musikalischen Denken des Barock. Vorgeschichte, Ästhetik, Physiologie, Celle 1984. Besonders einschlägig für den vorliegenden Zusammenhang ist das musiktheoretische Werk von Athanasius Kircher SJ, Musurgia Universalis. 4. ND der Ausgabe Rom 1650, 2 Bde., mit einem Vorwort, Personen-, Orts- und Sachregister v. Ulf Scharlau, Hildesheim u.a. 2006; ders., Neue Hall= vnd Thon=Kunst/ Oder Mechanische Gehaim=Verbindung der Kunst und Natur/ durch Stimme und Hall=Wissenschafft gestifftet/ Worinn ingemein der Stimm/ Thons/ Hall= und Schalles Natur/ e e Eigenschafft/ Krafft und Wunder=Wurckung/ auch deren geheime Ursachen/ mit vielen neu= und ungemeinen Kunst=Wercken und Proben vorgestellt werden …, Nördlingen 1684 (ND Hannover 1983). Dazu Penelope Gouk, Making Music, Making Knowledge: The Harmonious Universe of Athanasius Kircher, in: The Great Art of Knowing, hg. v. Stolzenberg, S. 71– 83; Melanie Wald, Welterkenntnis aus Musik. Athanasius Kirchers »Musurgia universalis« und die Universalwissenschaft im 17. Jahrhundert, Kassel / Basel / London / New York / Prag 2006 (Schweizer Beiträge zur Musikforschung 4); Ars magna musices – Athanasius Kircher und die Universalität der Musik. Vorträge des deutsch-italienischen Symposiums aus Anlass des 400. Geburtstages von Athanasius Kircher (1602–1680), hg.v. Markus Engelhardt / Michael Heinemann, Laaber 2007 (Analecta musicologica 38). Zur geistlichen Musik und zum Musiktheater vgl. außerdem die einschlägigen Beiträge in: Passion, hg. v. Steiger, Bd. 2. 2 Dieses Konzept der Rhetorik war virulent unabhängig von der ebenfalls bereits antiken Kritik ihrer missbräuchlichen und manipulativen Verwendung. Grundlegend zum Rhetorik-Verständnis des Barock: Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen, Tübingen 22002. 3 Zum Motiv des (drohenden) Schiffbruchs vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt a.M. 1997; für autobiographische Texte der Frühen Neuzeit vgl. Dürr, Funktionen des Schreibens, S. 19; Leutert, Geschichten vom Tod, Kap. 8.2.4, insbes. S. 294. Einschlägige Episoden finden sich in den Autobiographien von Johann Dietz, Augustin Güntzer, Athanasius Kircher und Johanna Eleonora Petersen sowie im Tagebuch Joachim Dietrich Zehes. Johann Valentin Andreae metaphorisiert sein gesamtes Leben als Schifffahrt.
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den«,4 von der guten Wendung aus. Hier narrative Muster und rhetorische Topoi zu erkennen, deckt kein Vergehen historischer Gewährsleute auf, sondern historisiert Auffassungen von Sprache und Wirklichkeit. Dass Textstrukturen stets auch Wirklichkeitsmuster sind, zeigt nicht-theoretisches und nicht-literarisches Schreiben mit besonderer Deutlichkeit. Autobiographische Texte, gerade weil sie keinen anderen Realitätsbezug proklamierten als die Theorien der Gelehrten und die Literatur der Dichter, öffnen kein Tor zur Innerlichkeit; sie zeigen vielmehr die epistemologische Äquivalenz und die qualitative Einheit beider Räume: des Innen und des Außen der Person. Die Omnipräsenz von Furcht und Angst in den Texten beweist daher keine »reale« epidemische Verbreitung derartiger Affekte. Auf mentale Krisen und »Traumatisierungen« im Jahrhundert der Kriege und Seuchen ist hier also nicht zu schließen. Die psychologische Frage nach derartigen Traumata lässt sich nicht stellen, ohne damit einerseits ihre Unbeantwortbarkeit einräumen zu müssen und andererseits die Antwort immer schon gegeben zu haben. Ist in dieser Zeit von »Katastrophen« die Rede, so sind keine buchstäblich »unbeschreiblichen« Gipfel des Leidens gemeint, sondern in der Regel jene »Wendungen« zum Besseren, über deren Beschreibung wir überhaupt erst von Furcht und Angst erfahren. Dies gilt vornehmlich für den Dreißigjährigen Krieg, in dem sich, wie die Klage ging, Christen schlimmer bekämpften als »Türken und Tataren«, es gilt aber auch für die späteren militärischen Auseinandersetzungen mit dem »türkischen Erbfeind« selbst. Für »krisenhaft« wird die Furcht des »martialischen Saeculums« nur halten, wer sie auf eine Aufklärung hin perspektiviert, die die Furcht in die Geschichte verlagert, um sich in ihrer historischen Austreibung konstituieren zu können (und die damit zwar nicht die »Angst« geschaffen hat, wie es die Dialektiker wollen, wohl aber eine Furcht vor der Geschichte).5 Furcht war ein Leitkonzept des 17. Jahrhunderts und nicht seine kollektive Befindlichkeit. In Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Konnotation ist die »Furcht« dieser Zeit entweder komplementäres Gegenstück oder aber Synonym von Begriffen, denen für die gesellschaftliche Selbstverständigung zentrale Bedeutung zukam: von Hoffnung und Vertrauen, Mut und Liebe, in summa: von Gottesfurcht im bekehrten, unbefleckten Gewissen. Wer von ihr schrieb, jedoch, verfing sich früher oder später in den normativ bedingten Aporien ihrer Semantik. Die vermochte keine Bemühung der Theoretiker zu lösen; in ihnen zeigen sich die historischen Grenzen einer Kultur. 4 Ingo Schulze, Neue Leben. Die Jugend Enrico Türmers in Briefen und Prosa. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Vorwort versehen von Ingo Schulze, Berlin 2005, S. 586. 5 Für weitere Einzelheiten siehe Andreas Bähr, Editorial zum Thementeil »Gefürchtete Geschichte«, hg. v. dems., in: WerkstattGeschichte 49 (2008), S. 3 – 5.
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Gefordert, so paradoxierte es Blaise Pascal, waren Furcht und Furchtlosigkeit zugleich. Die Entparadoxierung erfolgte über die religiöse Unterscheidung zwischen timor filialis und timor servilis, zwischen der Liebe zu Gott und einer Furcht, die ihrerseits ein paradoxes Problem aufwarf: die Anlass hatte, sich selbst zu fürchten, weil sie zu bewirken schien, was sie vorstellte. Diese Paradoxie ist kein Ergebnis einer gezielten theologischen Operation; sie schien der Wesenskern »knechtischer« Furcht: das Signum ihrer Sündhaftigkeit, die sie von der »kindlichen« entfernte, oder nicht-theologisch gesprochen: Sie markierte die Destruktivkraft einer Furcht, die nicht vor Bevorstehendem warnte, um es vermeiden zu können, sondern die es selbst erst Wirklichkeit werden ließ: die in die Gefahr hineinführte, die sie zu bannen suchte. Auch wenn diese Paradoxie nicht Teil der theologischen Paradoxierung war, entstand sie doch in deren Folge. Und sie zeigt: Die Entparadoxierungen der Gelehrten gingen historisch und kulturell gesehen nicht auf. Sie zielten auf eine kindliche Furcht, die eben die knechtische brauchte, die sie verdammte: die sie überhaupt erst schuf, um sie überwinden zu können und selbst die kindliche zu sein. Hintergrund ist die theologische Rechtfertigung des Leidens, die es unmöglich machte, praktisch zu unterscheiden, was sie theoretisch unterscheiden musste, und die sich daher mit dem Problem konfrontiert sah, die Notwendigkeit illegitimer Furcht auf dem Weg zur einzig legitimen zu begründen. Furchtlose Furcht war gefordert, doch auf die Frage nach ihrer Verwirklichung fand sich am Ende keine Antwort. Dieser Befund ist nicht ideologiekritisch gemeint; er ist nicht der Versuch, für die Furcht der Menschen, an Stelle von Pest, Krieg und Klimaverschlechterung, nunmehr die Rede über sie zur Verantwortung zu ziehen: die machtvollen Normierungen der Furcht durch die Autoritäten – um einmal mehr das Liebesgebot Gottes als fürchterliche Strafandrohung zu entlarven. Diese Untersuchung bietet keine Erklärung von Furcht-»Erfahrungen« aus deren diskursiver Konstruktion.6 »Knechtische Furcht« entstand als Teil eines Textes und nicht als »reales« Erleben, und sei es auch diskursiv generiert. Sie wurde geschaffen in einer Rede, die mit serviler Furcht die filiale der Sprechenden beschrieb, mit der desintegrativen eine integrative. »Furcht« war zentral, heißt das, nicht als zu therapierendes Leiden, sondern als begriffliches Instrument zur Markierung kulturell grundlegender Differenzen. Kulturen des 17. Jahrhunderts formierten sich in einem Apriori religiös basierter Paradoxierungen, die die Paradoxien ihrer eigenen Grundstruktur 6 Wie bei Scott, Evidence of Experience. Zur ideologiekritischen Dimension diskursanalytischer Verfahren vgl. Andreas Hirseland / Werner Schneider, Wahrheit, Ideologie und Diskurse. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und Ideologiekritik, in: Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, hg. v. Reiner Keller / Andreas Hirseland / Werner Schneider / Willy Viehöver, Bd. 1: Theorien und Methoden, Opladen 2001, S. 373 – 402.
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verdeckten. Unterschiede zwischen den Denominationen, den einzelnen Wissensfeldern und in der chronologischen Entwicklung, im Zuge der (so wenig revolutionären) »wissenschaftlichen Revolution«, finden sich im Detail; maßgeblich waren sie für das hier verhandelte Problem nicht. Katholiken mochten andere Akzente setzen als Lutheraner und Reformierte, Theologen und Moralphilosophen andere als Naturkundige und Mediziner, Hermetiker andere als Cartesianer. Zudem schrieben Gewalt Ausübende zuweilen anders als jene, die unter ihnen litten, und auch Genderspezifisches ist nicht zu übersehen. Diese Differenzen jedoch betrafen am Ende nicht den Kern der Furchtsemantik, sondern allein deren historische Begründungen. Das Paradoxon der furchtlosen Furcht findet sich in religiösen und moralischen Auseinandersetzungen, in der politischen und militärischen Theorie, in Pathologie und Affektologie: in sämtlichen Debatten also, die in den beschriebenen Ordnungsstörungen des 17. Jahrhunderts über die ordines des kosmischen, gesellschaftlichen und menschlichen Körpers geführt wurden. Es strukturierte die Beziehungen der Person zu Gott, zur res publica und damit zu sich selbst. Vor dem Hintergrund all dessen bestimmte es auch die Prozesse der Selbstkonstitution im autobiographischen Schreiben: nicht nur in der (normativen) Rede über andere, sondern auch in der (kaum weniger von Normen geprägten) Rede über die eigene Person. Jene, die von ihrer Furcht erzählten, taten nicht allein kund, von ihr und ihren pathologischen Folgen erlöst worden zu sein; sie benannten auch die Bedingungen der Befreiung: die Beherzigung der Botschaft der Furcht. Im Horizont intensivierter Endzeiterwartungen im 16. und 17. Jahrhundert – in ausgeprägtem Maße im Protestantismus, aber keineswegs nur dort – entwickelten sich hermetisch grundierte Epistemologien, die mit Gottes gewaltsamem Handeln in der Welt ebenso rechneten wie mit dessen Verborgenheit und der Schwierigkeit der Entzifferung seiner (Vor-)Zeichen und Signaturen. In diesem Horizont wurden Furcht und Angst zu heilsentscheidenden affektuellen Dispositionen. Sie erhielten, und dies war die positive Seite ihrer Macht zur Selbstbewahrheitung, eine besondere epistemologische Valenz. Dieses stets auch religiös begründete Erkenntnispotential wiederum entfaltete sich nicht allein im Wacherleben, sondern auch im gottgesandten Traum, und hier erfuhr es sogar noch seine Steigerung. Zahlreiche Autoren und Autorinnen berichteten von schreckerfüllten nächtlichen Erscheinungen, die sie warnten und mahnten zur Umkehr : Sie erzählten ihr Leben als eine Verwirklichung divinatorischer Träume. Damit geben sie nicht nur – einmal mehr – spezifischen Aufschluss über die Geschichte der Furcht; in derartigen Traumerzählungen erweisen sich – umgekehrt und wie anderswo kaum – auch die historisch-kulturellen Spezifika vormodernen autobiographischen Schreibens. Diese Historisierung des Autobiographischen wirft die Frage auf, ob und wie
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die von ihrer Furcht schreibende Person auf den Begriff gebracht werden kann. Eva Kormann würde sie als ein »heterologes Subjekt« bezeichnen, das sich nicht allein durch sich selbst konstituiert, als »Ich«, sondern auch durch die sozialen und religiösen Bezüge, in die es eingebunden ist: über »Gott« und die »Welt«.7 Damit ist gesagt (und dem ist beizupflichten): Subjektivität ist im 17. Jahrhundert nicht lediglich eine Schwundstufe auf dem Weg zu ihrer modernen Gestalt: zu Autonomie und Selbstbestimmung, wie sie in Rousseaus Confessions und Goethes Dichtung und Wahrheit paradigmatisch ausbuchstabiert worden sind. Sie ist nicht »heteronom« überformt, gelenkt durch fremde, furchterregende Mächte und Gewalten.8 Damit wird aber auch gesagt: »Gott« und »Welt« sind dem »Ich« äußerliche Instanzen, konzeptuelle Bestandteile eines »Selbst«, das sich ihnen in abgeschlossener Innerlichkeit gegenübergestellt sieht. So bemisst auch das analytische Konzept der »Heterologie« vormoderne Selbstbeschreibungen nach jener aufklärerischen Subjektivität, die sich von der Welt und von Gott emanzipiert und zu einer »homologen«, mit sich selbst übereinstimmenden Vernunft gefunden zu haben proklamierte.9 7 Kormann, Ich, Welt und Gott; dies., Heterologe Subjektivität. Zur historischen Varianz von Autobiographie und Subjektivität, in: Autobiography by Women in German, hg. v. Mererid Puw Davies / Beth Linklater / Gisela Saw, Oxford u. a. 2000, S. 87 – 104; dies., Ich und Welt in der Autobiographik des 17. Jahrhunderts. Heterologe Selbstkonzepte bei Maria Elisabeth Stampfer und Elias Holl, in: Vom Individuum zur Person, hg. v. Jancke / Ulbrich, S. 97 – 107. Kormann übernimmt den Begriff der »Heterologie« von Verena Olejniczak, Heterologie. Konturen frühneuzeitlichen Selbstseins jenseits von Autonomie und Heteronomie, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 101/26 (1996), S. 6 – 36. 8 Das Paradigma der Heteronomie findet sich v. a. bei Marcel Mauss, Eine Kategorie des menschlichen Geistes: Der Begriff der Person und des »Ich« [1938], in: ders., Soziologie und Anthropologie, Bd. 2: Gabentausch, Soziologie und Psychologie, Todesvorstellungen, Körpertechniken, Begriff der Person, Frankfurt a.M. / Berlin / Wien 1978, S. 223 – 252; Richard A. Shweder / Edmund J. Bourne, Does the Concept of the Person Vary Cross-Culturally?, in: Culture Theory. Essays on Mind, Self and Emotion, hg. v. Richard A. Shweder / Robert A. LeVine, Cambridge 1984, S. 158 – 199; Michael Carrithers, Art. »Person«, in: Encyclopedia of Social and Cultural Anthropology, hg. v. Alan Barnard / Jonathan Spencer, London / New York 1996, S. 419 – 423. 9 Siehe dazu auch Andreas Bähr, Furcht, Traum und autobiographisches Schreiben in der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34/1 (2007), S. 1 – 32, hier 28 – 32. Eine vergleichbare Perspektivgebundenheit findet sich bei Natalie Zemon Davis, Boundaries and the Sense of Self in Sixteenth-Century France, in: Reconstructing Individualism: Autonomy, Individuality, and the Self in Western Thought, hg. v. Thomas C. Heller / Morton Sosna / David E. Wellbery, Stanford 1986, S. 53 – 63; dt.: Bindung und Freiheit. Die Grenzen des Selbst im Frankreich des 16. Jahrhunderts, in: dies., Frauen und Gesellschaft am Beginn der Neuzeit. Studien über Familie, Religion und die Wandlungsfähigkeit des sozialen Körpers, Berlin 1986, S. 7 – 18. Auch wenn Davis auf die imaginative Durchlässigkeit der Körpergrenze der frühneuzeitlichen Person hinweist (S. 10), ist dies Teil eines sozialhistorischen Arguments, das die gesellschaftliche Konstituierung des Selbst und dabei dessen Strategien und Möglichkeiten von Autonomie, Einflussnahme und Selbstfindung aufzuzeigen sucht. Bei Martin, Myths, ist die Porosität der personalen Grenze lediglich Indikator einer
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Im Gegensatz dazu historisiert die vorliegende Studie nicht »das« Subjekt (um ein »Selbstkonzept« zu benennen), sondern die vielschichtigen Unterscheidungen zwischen Furcht und Furchtlosigkeit, in denen sich die schreibende Instanz als persona konstituiert. Wo Furcht von Gott kam und nicht aus dem Inneren des einzelnen Menschen, dort war keine Unterdrückung des Affektes gefragt, sondern seine kluge und gottesfürchtige Regulierung, die Generierung seiner rechten Form; dort konstituierte sich die »Person« nicht in der Beseitigung von Furcht, sondern im Wissen um deren irdische Unausweichlichkeit und heilsgeschichtliche Notwendigkeit und in der Überwindung von Furcht durch eben dieses Wissen. Die autobiographische Praxis leistete keinen Widerstand gegen die Semantik der Furcht, sondern brachte deren vielfältige Implikationen zum Ausdruck. In ihr begegnet kein »Selbst« (denn das Wort hätte hier nur Gottesferne indiziert10 und damit verwerfliche und schädliche Furcht), sondern ein »Gesicht«: die furchtlose Gottesfurcht des Pfarrers und der Äbtissin, des Sängerpräfekten und des Hausvaters, des Gelehrten und des Arztes. Sie alle wurden zur persona als Teil eines Kosmos und seiner Vorsehung, in denen eine qualitative Unterscheidung von »Ich, Welt und Gott«11 noch weitgehend unbekannt war. Die semantische Analyse hat ergeben, dass im 17. Jahrhundert in Furcht und Angst ein Problem von besonderer Brisanz erkannt wurde und die Konzepte, in der einen oder anderen Form, eine religiöse Imprägnierung besaßen. Sie konstatiert damit jedoch zwischen Furcht und Religion kein kausales Verhältnis. Weder erklärt sie Religion aus Furcht noch Furcht aus Religion; weder fasst sie Religion als Ursache noch als Bewältigungsmöglichkeit von Furcht. Eine Geschichte der Furcht, die nicht ein »Gefühl« historisiert (um es damit doch nur zu universalisieren), sondern die Kategorien, Formen und Funktionen einer »Affect«-Beschreibung, verlässt die Tradition aufklärerischer Aberglaubenskritik und historisiert damit auch die Entwicklung eigener Beobachtungskategorien. Sie unterstreicht den heuristischen Wert der Paradoxien der Furcht: einer kindlich furchtlosen einerseits und einer knechtischen, die sich selbst bestätigte, andererseits. Mit ihnen beschrieben die Zeitgenossen ihren Ort im Kosmos, uns Gefährdung des Selbst in der Besessenheit (Einleitung und Kap. 5). Die Rede von der Gefährdung setzt jedoch das, was als gefährdet beschrieben wird, als das »Normale« voraus: eine klare Grenze zwischen einem »inneren Selbst« und seinem »Außen«, mit dem es über soziale Beziehungen verbunden ist. – Auch Mary Fulbrook und Ulinka Rublack operieren kategorial mit der modernen Trennung von Autonomie und (diskursiver) Übermächtigung, wenn sie das soziale und relationale Selbst zwischen diesen beiden Polen verorten: Mary Fulbrook / Ulinka Rublack, In Relation: The ›Social Self‹ and Ego-Documents, in: German History 28/3 (2010), S. 263 – 272. 10 Vgl. Condren, Specifying the Subject, S. 36, 46; Bedford / Davis / Kelly, Introduction, S. 5. 11 Kormann, Ich, Welt und Gott.
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dagegen offenbaren sie die kulturellen Grenzen ihrer Konzepte: den Ort ihrer Selbstbeschreibungen in der Geschichte. Keine Angst also vor der Paradoxie. Für sie gilt heute, was für die Furcht galt im »martialischen Saeculum«: Fürchten muss sie am Ende nur, wer sie fürchtet.
Quellen und Literatur
1.
Abkürzungen
BNF BSB DABA FBG GStAPK HHStA HAB HLBF KBSR KA ÖNB ÖStA SNBB StAH
2.
BibliothÀque Nationale de France, Paris Bayerische Staatsbibliothek, München Diözesanarchiv des Bistums Augsburg Forschungsbibliothek Gotha Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel Hochschul- und Landesbibliothek Fulda Kapitelsbibliothek des Ev.-luth. Dekanats Sulzbach-Rosenberg Kriegsarchiv Wien Österreichische Nationalbibliothek, Wien Österreichisches Staatsarchiv, Wien Sz¦ch¦nyi Nationalbibliothek Budapest Stiftsarchiv Heiligenkreuz
Ungedruckte Quellen
Acten über die zum Tode verurtheilte Generalin Gräfin Gessler, welche eine dienstmagd durch Mißhandlungen getödtet hat. 1750, GStAPK XX, EM 61a, Nr. 26. Braun, Johannes, Ephemerides, KBSR Nr. 2113. Cipachio, Davide, Zwo Christliche Leichpredigten […] Die andere. da Hochgedachter Fürstlicher Leichnamb mit HochFürstlichem gepränge vnd Ceremonien zu seinem Erbbegräbnüs Stadtlich eingeleutet vnd beygesetzet worden. Gethan zu Weymar den 18. Julij bemeldetes Jahres. von Hochgedachter I. F. Gn. gewesenem Vnwürdigen Hoff= vnd Feldprediger H. Davide Cipachio, 1627, FBG Chart. B 308. Diarium germanicum bellicarum ab Austriacis a die 5. Augusti usque ad 19. Octobris [1686] in Hungaria gestarum, ÖNB Cod. 7249, Nr. X. Fiscalische Obductions- und Untersuchungs-Acta. Wegen der im adelichen Hoffe Perkau Herrn General Graffen von Gesler zugehörig umbs Leben gekommene Dienstbothin Anna Deppin, GStAPK XX, EM 61a, Nr. 27.
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Quellen und Literatur
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Gedruckte Quellen
Abbrege Des Memoires Illustres Contenant Les Plus Remarqvables Affaires D’Estat Enrichi, D’un Sommaire Des Essais De Montaigne, hg. v. Christoph Kormart, Dresden 1689. e Abgefertigter Post=Reuter aus Wien/ Das ist: Grundliche Beschreibung/ Was bey= in und
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Gedruckte Quellen e
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nach Aufhebung der Turckischen Belagerung der Kayserl. Residentz=Stadt Wien vorgegangen. Worbey 2. Auffmunterungs=Schreiben: deren das erste des Herrn Commendanten/ Grafen von Starenberg/ an sein Volck; das andere des Groß=Veziers e e an seine Turcken; Benebst der Lista was in der Belagerung Wien[s] vor Volck geblieben/ zu lesen, o. O. 1683. e e Abraham a Sancta Clara, Mercks Wienn/ Das ist Deß wutenden Todts ein vmbstandige e Beschreibung In Der beruhmten Haubt vnd Kayserl. Residentz Statt in Oesterreich/ Im e sechzehen hundert/ vnd neu vnd sibentzigsten Jahr/ Mit Beyfugung so wol wissen als g wissen antreffender lehr, Wien 1680 (ND: Mercks Wienn 1680, unter Mitarbeit v. Franz M. Eybl hg. v. Werner Welzig, Tübingen 1983). e Ahlwardt, Peter, Bronto-Theologie, oder : Vernunftige und Theologische Betrachtungen über den Blitz und Donner, wodurch der Mensch zur wahren Erkenntniß GOttes und seiner Vollkommenheiten, wie auch zu einem tugendhaften Leben und Wandel e gefuhrt werden kan, Greifswald / Leipzig 1745. A Journal of the Plague Year : The Diary of the Barcelona Tanner Miquel Parets, 1651, hg. v. James Amelang, New York / Oxford 1991. e e Albrecht, Bernhard, Donner vnd Wetterbuchlein/ Das ist: Grundlicher Vnterricht/ auß e e H. Gottlicher Schrifft/ woher die schwere vnd gefahrliche Donner vnd Wetter kommen/ warumb GOtt der HERR solche kommen lasse/ vnd was er damit meyne/ Auch wie man sich in dergleichen starcken Donnerwettern verhalten solle, Leipzig 1622. Alsted, Johann Heinrich, Encyclopædia Septem tomis distincta, Herborn 1630 (ND hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, 4 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1989 – 1990). Ammann, Paul / Elias Facetius, Dissertatio Medica Inauguralis De Febre Hungarica, Leipzig 1688. e Andreae, Johann Valentin, Fragment aus dem dreißigjahrigen Krieg, betreffend das e Schicksal und die Einascherung der Stadt Calw, geschehen den 10. Sept. 1634. Oder Joh. e e Valentin Andrea Threni Calvenses, aus dem Lateinischen ubersezt von [Justus Andreas] L[eppichler], Tübingen 1793. Andreae, Johann Valentin, Autobiographie, bearb. v. Frank Böhling, übers. v. Beate Hintzen, in: Gesammelte Schriften, in Zusammenarbeit mit Fachgelehrten hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Bd. 1.1 – 1.2, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012. Andreae, Johann Valentin, Threni Calvenses, quibus urbis Calvæ Wirtembergicæ bustum, sors præsens lamentabilis et innocentia expressa. Accessit amicorvm condolentia, Argentinae 1635. Andreä, Samuel, Disputatio politica discutiens fundamenta politicae Hobbesianae, Herborn 1672. e e Apronius, Lucius, Denckspruche Itziger Furnehmsten Potentaten und Herrn In Evropa, o. O. 1656. Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, begr. v. Ernst Grumach, hg. v. Hellmut Flashar, Berlin 1970 ff. Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers. und komm. v. Franz Dirlmeier, in: Werke, Bd. 6. Aristoteles, De insomniis. De divinatione per somnum (Parva naturalia III), übers. und erl. v. Philip J. van der Eijk, in: Werke, Bd. 14.3. Aristoteles, Rhetorik. Erster Halbband, übers. und erl. v. Christof Rapp, in: Werke, Bd. 4.
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Quellen und Literatur e
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durch auch/ Der Infection dergestalt vorgebauet werden kann/ daß unmuglich uber e den dritten theil der Hauser inficiret, Unter zwey Drittheilen aber alle Conuersation e und andere Commercien gepflogen und ohne Furcht abgewartet werden konnen, Halle a. d. S. 1682. Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearb. v. Richard Dietrich, Köln / Wien 1986. Die Reichenbacher Chronik (1599 – 1620) des Pfarrers Martin Walther, in: Südhessische Chroniken aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, hg. v. Rudolf Kunz / Willy Lizalek, Heppenheim 1983 (Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Sonderband 6), S. 7 – 126. Die Tagebücher des Dr. Johann Heinrich von Pflummern 1633 – 1643, bearb. v. Alfons Semler, hg. vom Badischen Generallandesarchiv, Karlsruhe 1950 (Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, Beiheft 98 [N.F. 59]). Diemerbroeck, Ysbrand van, Tractatus de peste, In quatuor libros distinctus; truculentissimi morbi historiam ratione et experientia confirmatam exhibens (Opera omnia, anatomica et medica 2), Utrecht 1685. Dieterich, Conrad, Philosophischer vnd Theologischer Traum Discurß/ Von den e e e e Nachtlichen Traumen: Darinnen Bericht geschiehet/ I. Was nachtliche Traume seyn. II. Woher sie insgemein kommen. III. Wie mancherley dieselbige seyn. IV. Was von ihnen zu halten. V. Wie deren allerseyts recht Christlich zugebrauchen […]; Sampt beye gefugter nothwendiger Wiederlegung/ allerhandt irrigen Opinionen unnd Meynungen …, Ulm 1625. Dietwar, Bartholomäus, Leben eines evangelischen Pfarrers im früheren markgräflichen Amte Kitzingen von 1592 – 1670, von ihm selbst erzählt. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des 30jährigen Krieges in Franken, hg. v. Volkmar Wirth, Kitzingen 1887. Dietz, Johann, Meister Johann Dietz des Großen Kurfürsten Feldscher. Mein Lebenslauf, hg. v. Friedhelm Kemp, München 1966 (Lebensläufe. Biographien, Erinnerungen, Briefe 6). Donati, Marcello, De Medica Historia Mirabili Libri Sex, Mantua 1586. Drexel, Jeremias, Diarium Castrense, in: Kriegstagebücher aus dem ligistischen Hauptquartier 1620, hg. v. Sigmund Riezler, in: Abhandlungen der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften 23/1 (1903), S. 78 – 210, hier 139 – 189. Duncker, Carl von, Drei Berichte aus dem belagerten Wien 1683, in: Mittheilungen des k.u.k. Kriegs-Archivs, N.F. 7 (1893), S. 265 – 272. Ebel, Kaspar, De Viribus Imaginationis (Opera philosophica 3), Frankfurt a.M. 1677. Eberhard, Johann Peter, De necessario usu vesicatoriorum in febre castrensi, Halle a. d. S. / Magdeburg 1761. Ein hannoversches Soldatenleben um 1700. Die Selbstbiographie des Oberstleutnants Joachim Dietrich Zehe, hg. v. Herbert Röhrig, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 50 (1978), S. 193 – 211. Erasmus, Desiderius, Briefe, hg. v. Walther Köhler, Darmstadt 1995. Erzellung, waß R.P. Georgius Sautter, Canonicus Marchtall., Pfarr=Vicarius zu Unter=Wachingen, den Schwedischen Krieg durch (während der Jahre 1632 und 1633) ausgestanden, in: Die Schweden in Schwaben, in: Historisch-politische Blätter 104 (1889), S. 688 – 707, hier 693 – 707. e Extract aus Hr. Martin Botzingers sel. letzthin gewesenen Past. Zu Heubach, vbi †. 1673.
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Quellen und Literatur e
Besorgung und Festung einer Guarnison bei Friedens-Zeiten, und die Beschutzung wider feindliche Gewalt in Kriegs-Zeiten, auch deren Attaque und Eroberung, sowohl defensive als offensive lehret; Nebst einem Anhange von gelehrten Soldaten, Adel und Ritter-Stande, von Duellen, Turnier- und Ritter-Spielen, auch Ritter-Orden & c. ND der Ausgabe von 1726, mit einer Einleitung v. W. Hummelberger, Osnabrück 1967 (Bibliotheca Rerum Militarium. Quellen und Darstellungen zur Militärwissenschaft und Militärgeschichte 1). Fortgesetzte Geschichte des Erdbebens, welches sich durch Italien und mehrere Länder von Europa erstreckt hat, in: Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen 3 (1783), Bd. 1, St. 5, S. 443 – 448 (Fortsetzung von: Untergang der e Stadte Messina, Reggio, und vieler Oerter und Gegenden in Sicilien und Neapel [St. 3, S. 287 – 294], und: Nachtrag zur Geschichte des Untergangs von Meßina, und vielen Gegenden in Neapel [St. 4, S. 354 – 357]). Fracastoro, Girolamo, De contagione et contagiosis morbis et eorum curatione libri 3, Venedig 1546. Fracastoro, Girolamo, Drei Bücher von den Kontagien, den kontagiösen Krankheiten und deren Behandlung (1546), übers. und eingel. v. Viktor Fossel, Leipzig 1910. Francisci, Erasmus, Schau= und Ehren=Platz Christlicher Tapfferkeit/ Das ist: Aller e e e Denck= und Ruhmwurdig=ausgestandenen Belagerungen der Weltberuhmten e e Romisch=Kayserlichen Ansitz=Stadt Wien in Oesterreich …, Nürnberg 1684. e [Francisci, Erasmus,] Die heran dringende Turcken=Gefahr : Das ist; Wohlgemeinte/ e doch unvorgreiffliche Erinnerung/ in was hochbesorgtem und gefahrlichem Zustande/ e unser liebes Vatterland Teutscher Nation/ und das gantze Heil. Rom. Reich jetziger Zeit e stecke: auch wie diesem blutdurstigem Erb= und Ertz=Feinde fruchtbar und ere e sprießlich zu begegnen ware: Vermittelst einer Unterredung furgestellet/ durch C.M., o. O. [Nürnberg?] 1663. Franck, Sebastian, Paradoxa, hg. v. Siegfried Wollgast, Berlin 21995. Francke, August Hermann, Lebenslauf [1690/91], in: ders., Werke in Auswahl, hg. v. Erhard Peschke, Berlin 1969, S. 4 – 29. Francke, August Hermann, Lebensnachrichten über A.H. Francke, von ihm selbst zusammengestellt, in: Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s, enthaltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s, hg. v. Gustav Kramer, Halle a. d. S. 1861, S. 56 – 79. Francke, August Hermann, Nicodemus. Ein Tractat über die Menschenfurcht, zur Pflanzung der wahren Furcht Gottes allen Christen besonders aber den Kirchen= und Schul=Lehrern gewidmet, Halle a. d. S. 61826 [1702]. Frey, Wenceslaus, Eigentliche Beschreibung/ Was sich Bey Anfangs der Wiennerischen e Belagerung/ als nemblichen vom 15. Julij/ deß 1683. Jahrs/ in dem Kayserl. Marckt e Petersdorff/ in Unter=Oesterreich liegend/ merckwurdiges zugetragen/ und wie die e e Turcken/ Tartarn/ auch andere Barbarische Volcker mit mir/ und anderen daselbst e befindlichen Christen/ erbarmlich verfahren/ wie ich hierauff durch den Feind in e schwere Gefangenschafft gefuehrt/ auch folgends hernach/ vermittelst Gottlicher Beye hulff/ von grausamben Banden hinwieder entlediget worden, o. O. 1685. e Freitag, Johan Heinrich, Summarischer/ doch grundlicher Vnterricht/ und rahtsames Bedencken/ wie man sich vor denen jetziger zeit Jahrs gemeinlich grassirenden Contagio[n]s-Kranckheiten/ namentlichen vor der Pest/ Pestilentzialischen/ maligniren-
Gedruckte Quellen
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den/ hitzigen Hungarischen Fleckfiebern/ auch Pocken und Masern der Kinder/ allerhand gifftigen und andern Ruhren theils præserviren, und im Nohtfall ohn zuthun e e e der Medicorum durch Gottlich verleihen selbst curiren konne und moge, Halberstadt 1636. [Friese, Johann Daniel,] Historischer Extract Aus einem Manuscripto, Welches Herr Daniel Frisius, Cancell. Secret. zu Altenburg/ Von seinen Fatis hinter sich gelassen. Und e Von dem Autore dieser Historischen Fragen/ seinen Untergebenen zur Vergnugung/ wie auch dem unparteyischen Leser zu dienstlicher Nachricht/ hier angedruckt wore den. Vom Magdeburgischen Ungluck, in: Friedrich Friese, Leichte historische Fragen, Leipzig 1703, S. 279 – 327 und 381 – 425. Friesenegger, Maurus, Tagebuch aus dem 30jährigen Krieg. Nach einer Handschrift im Kloster Andechs mit Vorwort, Anmerkungen und Register hg. v. P. Willibald Mathäser, München 2007. Fritsch, Ahasver, Miles peccans, sive tractatus de peccatis militum, Rudolstadt 1682. e Fronsperger, Leonhart, Fünff Bucher. Von Kriegß Regiment vnd Ordnung/ wie sich ein o yeder kriegßman inn seinem Ampt vnd beuelch halten soll/ vnd was zu anfang eines o o Kriegs zuerwegen vnnd zubetrachten sey …, Frankfurt a.M. 1565. Fuker, Friedrich Jacob, De salvbritate et morbis Hvngariae. Schediasma, Leipzig 1777. Fürer von Haimendorf, Christoph, Die bekriegte/ und triumphirende Donau in e Londen eingefuhrt und vorgestellt/ Als des Kayserlichen Herrn Abgesandtens in Engelland etc. Hrn. Grafen von Thun Excellentz alldorten die Nachricht erhalten/ Vber e Den Entsatz Der Von TVrCken/ VIeL geangstIgten StaDt VVIen, Nürnberg 1683. Gaisser, Georg, Tagebücher, in: Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, hg. v. Mone, Bd. 2, S. 159 – 528. Galenus, Claudius, Opera omnia, hg. v. C.G. Kühn, Leipzig 1821 ff. (ND Hildesheim 1964 – 1965). Galenus, Claudius, De praesagitione ex pulsibus, in: Opera omnia 9, S. 205 – 430. Galenus, Claudius, Synopsis librorum de pulsibus, in: Opera omnia 9, S. 431 – 549. Gelbke, Johann Heinrich, Herzog Ernst der Erste genannt der Fromme zu Gotha als Mensch und Regent. Eine historische Darstellung aus Acten und bewährten Druckschriften gezogen und mit einem Urkundenbuche, 3 Bde., Gotha 1810. Gentzken, Friedrich, Tractatus ethico-physicus de passionibus, ubi affectus omnes tum generatim tum speciatim considerantur, eorumque natura, proprietates, diversæ species, objecta peculiaria, physici-characteres, singularia phœnomena, naturalis & moralis usus, varii abusus, horumque moralia remedia justo ordine succincte sistuntur, Kiel, 2. Aufl. o. J. [ca. 1720] [1707]. Georgi, Andreas Caspar / Justus Vesti, Disquisitio inauguralis medica de febre Hungarica, quam vulgus caphalalgiam epidemiam vocitat, Erfurt 1687. Georgius von Hungaria, Tractatus de moribus, condictionibus et nequicia Turcorum. Traktat über die Sitten, die Lebensverhältnisse und die Arglist der Türken. Nach der Erstausgabe von 1481 hg., übers., und eingel. v. Reinhard Klockow, Köln / Weimar / Wien 1993 (Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens. Ergänzungsreihe zum Siebenbürgischen Archiv 15). Gerhard, Johann, Loci theologici cum pro adstruenda veritate tum pro destruenda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervose solide et copiose explicati,
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Quellen und Literatur
jedermanns Verwunderung vorgenommen und erhalten haben. Unter einer anmuthigen Liebes= und Helden=Geschichte auf Romanische Weise in einer reinen ungezwungenen Teutschen Redens=Arth verfasset und mit allerhand Nutz= und e e e ergotzlichen Historischen/ Politischen und dergleichen leßwurdigen Sachen angefullt, Ulm 1685. Happel, Eberhard Werner, Historia moderna Europæ, Oder eine Historische Beschreibung Deß Heutigen Europæ; Welche zum Anfang und Fundament hat den e e Munsterischen Frieden=Schluß/ und von dar an fortfahret/ Unpartheyisch zu bee schreiben/ dieses Letztere Semi-Seculum Mirabile, das ist/ die Jungste mehr als Viere e e zig=Jahrige Wunderbare Zeit/ furnemlich was kurtz vor und unter der Glorwurdigsten e e Regierung Aller=Durchlauchtigsten/ Großmachtigst= und Unuberwindlichsten e e e Romischen Kaysers/ Leopoldi I. furgefallen, Ulm 1692. Harrach, Ferdinand Bonaventura, Ein Tagebuch während der Belagerung von Wien im Jahre 1683, hg. v. Ferdinand Mencˇík, in: Archiv für österreichische Geschichte 86/ 1 (1898), S. 205 – 252. e Hartmann, Johann Ludwig, Neue Teuffels=Stucklein: Passauer=Kunst/ Vest=mae e chen/ Schieß= und Buchsen=Kunst/ Feuer=loschung/ Granaten= und Kugel= e dampffen/ Unsichtbar machen/ Noth=Hembd/ Waffen=Salb/ Auß=Seegnen etc. Nach Ihrer Mannigfaltigkeit/ Abscheulichkeit/ und Abstellungs=Nothwendigkeit betrachtet e Und zu præservirung der Tugend bey jetzigen Krieges=Laufften herauß gegeben, Frankfurt 1678. Hauber, Eberhard David, Bibliotheca sive acta et scripta magica, Lemgo 1738 – 1745. Heberer von Bretten, Michael, Ægyptiaca Servitvs: Das ist/ Warhafte Beschreibung e einer Dreyjahrigen Dienstbarkeit/ So zu Alexandrien in Egypten jhren Anfang/ vnd zu Constantinopel jhr Endschafft genommen, Heidelberg [1610], ND: Aegyptiaca Servitus. Mit einer Einleitung v. Karl Teply, Graz 1967 (Frühe Reisen und Seefahrten in Originalberichten 6). e Hellfeld, Bernhard Gottlieb Huldreich von, Leben Johann Ernsts des Jungern e Herzogs zu Sachsen Weimar etc. ein Beitrag zur Geschichte des dreißigjahrigen teutschen Kriegs und des Herzoglichen Hauses Sachsen aus Urkunden und gleichzeitigen Schriften entworfen, Jena 1784. e Helmont, Jan Baptista van, Aufgang der Artzney-Kunst/ Das ist: Noch nie erhorte e Grund-Lehren von der Natur/ zu einer neuen Beforderung der Artzney-Sachen/ so wol Die Kranckheiten zu vertreiben/ als Ein langes Leben zu erlangen, übers. v. Christian Knorr von Rosenroth, mit Beiträgen v. Walter Pagel / Friedhelm Kemp, 2 Bde., München 1971 [Sulzbach 1683]. e Helmont, Jan Baptista van, Tumulus pestis. Das ist: Grundlicher Ursprung der Pest/ e e Dero Wesen/ Art/ und Eigenschafft; als auch deroselben zuverlassig= und bestandiger e Genesung. Nebenst Beyfugung der wahren Ursach und Grund allerhand Fieber ; Und worinnen biß zu dato in Curirung derselben ist geirret worden, Sulzbach 1681. Henrici, Johannes, Aufzeichnungen aus seinem Leben und seiner Zeit (1592 – 1656), in: Die Chroniken von Friedberg, hg. v. Waas, Bd. 1, S. 231 – 236. Heyret, Marie, P. Marcus von Aviano O.M. Cap. Apostolischer Missionär und päpstlicher Legat beim christlichen Heere. Zur Erinnerung an die 3. Jahrhundert-Feier seiner Geburt, München 1931.
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Quellen und Literatur e
Zeichen/ und Vorbotten derselben/ wie auch von den ungewohnlichen Wurckungen der verderbten Natur/ wie sie zu Zeiten durch Einfluß deß Gestirns/ so wohl in den Elementen/ als in den allgemeinen Land= und Welt=Kranckheiten der Menschen und e der Thieren gespuhret werden. Auch von eigentlichen Mitteln und Gegenwehr wider dieselbige …, Augsburg 1680 [Rom 1658]. Kircher SJ, Athanasius, Neue Hall= vnd Thon=Kunst/ Oder Mechanische Gehaim= Verbindung der Kunst und Natur/ durch Stimme und Hall=Wissenschafft gestifftet/ Worinn ingemein der Stimm/ Thons/ Hall= und Schalles Natur/ Eigenschafft/ Krafft e e und Wunder=Wurckung/ auch deren geheime Ursachen/ mit vielen neu= und ungemeinen Kunst=Wercken und Proben vorgestellt werden …, Nördlingen 1684 (ND Hannover 1983). Kircher SJ, Athanasius, Selbstbiographie, übers. v. Nikolaus Seng, Fulda 1901. Kircher SJ, Athanasius, Vita Admodum Reverendi P. Athanasii Kircheri …, angehängt an: Fasciculus epistolarum Adm. R.P. Athanasii Kircheri Soc. Jesu, Viri in Mathematicis et Variorum Idiomatum Scientiis Celebratissimi, Complectentium Materias Philosophico-Mathematico-Medicas …, hg. v. Hieronymus Ambrosius Langenmantel, Augsburg 1684. Kirchhof, Hans Wilhelm, Militaris Disciplina. Kritische Ausgabe, hg. v. Bodo Gotzkowsky, Stuttgart 1976 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 298). Kisner, Johannes, De imaginatione ejusque viribus, Jena 1665. Kleinschroth, Balthasar, Flucht und Zuflucht. Das Tagebuch des Priesters Balthasar Kleinschroth aus dem Türkenjahr 1683, hg. v. P. Hermann Watzl S. O. Cist., Graz / Köln 21983 (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 8). Klock, Caspar, Consilia, Bd. 3, Nürnberg 21673. Klügel, Georg Simon, Beschreibung der Wirkungen eines heftigen Gewitters, welches e e am 12. Jul. 1789 die Stadt Halle betroffen hat, nebst einer ausfuhrlichen Erklarung der Entstehung der Gewitter, Halle a. d. S. 1789. Koch, Willi, Aus dem Tagebuch des Conrectors und nachmaligen Bürgermeister Johann Cuno, Haldensleben (1630 – 1684), in: Jahresschrift des Kreismuseums Haldensleben 3 (1962), S. 32 – 45. »Komm, heilige Melancholie«. Eine Anthologie deutscher Melancholie-Gedichte. Mit Ausblicken auf die europäische Melancholie-Tradition in Literatur- und Kunstgeschichte, hg. v. Ludwig Völker, Stuttgart 1983. Kopff, Arpold Philipp, De morbo castrensi quem vulgus cephalalgiam epidemiam vocitat, Rinteln 1691. Kramer (Institoris), Heinrich, Der Hexenhammer. Malleus Maleficarum, neu aus dem Lateinischen übertragen v. Wolfgang Behringer / Günter Jerouschek / Werner Tschacher, hg. und eingel. v. Günter Jerouschek / Wolfgang Behringer, München 42004. Kramer, Johann Georg Heinrich, Medicina castrensis, Nürnberg 1735. Kreysel, Johann Sigismund / Hermann Friedrich Teichmeyer, Dissertatio inauguralis medica de morbo Hvngarico sive febre castrensi, Jena 1741. Kromayer, Hieronymus, Oratio Panegyrica De Bello Tricennali Germanico et Partibus tm togatis, qum sagatis Serenissimi Saxoniæ Electoris in isto spectatis habita in Templo Academico, XXII. Julii, Soteriorum die publice indicto, Leipzig 1650. e Kunitz, Georg Christoph von, Diarium Welches Der am Turckischen Hoff/ und her-
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Gedruckte Quellen e
nach beym Groß=Vezier in der Wienerischen Belagerung gewester Kayserl. Resident e Herr Baron Kunitz eigenhandig beschrieben; und Hernach bey der Am Sonntag den 2/ e e 12. Septembris 1683. von 9. Uhr fruh/ biß 4. Uhr Abends/ glucklich von der e e Turckischen Belagerung liberirten Stadt Wien (weiln gedachter Herr Resident samt e e denen Turcken die Flucht nehmen mussen/) in seinen Zelt mit allen seinen andern e e Sachen hinterlassen hat. Nebst außfuhrlicher Relation Der Wienerischen Belagerung/ Auch was vorhero/ als die Tartarn denen Unsrigen bey Regelsbrunn in die Arriereguarde eingefallen (so den 7. Julij, st. n. 1683. geschehen) passirt/ samt der Belager= und Eroberung beeder Vestungen Baracan und Gran/ Auch einer Lista derer jenigen specificirten Bassen, so in Person der Belagerung obgedachter Stadt Wien beygewohnt, o. O. 1684. e Kurtze Lebens=Beschreibung Des Ungarischen Herrn Graff Tokeli, o. O. 1683. e e e Kurtzer/ doch Grundlicher Nach= und Vnterricht/ Wie man sich/ nechst Gottlicher Hulffe und Beystand/ bey diesen jetzt besorglichen Zeiten/ in welchen nicht allein die gifftig anstekkende Krankheiten/ und untermengete Flekk=Fieber an vielen Orten/ in e Stadten und auf dem Lande hefftig grassiren: Sondern auch die Pestilentzische Fieber e e und Peste/ in den benachbarten Landern sich grausam verspuren lassen/ von Zeiten zu e Zeiten sich ziemlich ausbreiten/ und naher zu unsern Grentzen schleichen/ vor solche e gifftig=boßhafft anstekkende Krankheiten bester massen præserviren/ schutzen/ und e bewahren konne: Damit man solcher Tyrannischen Gewalt/ entweder gantz entgehen/ e e sich in Sicherheit stellen; Oder/ so durch Verhangnuß GOttes ein und ander von e e solcher uberfallen wurde/ desto gelinder und geschwinder davon geheilet werden e mochte …, Braunschweig 1680. Lahnstein, Peter, Das Leben im Barock. Zeugnisse und Berichte 1640 – 1740, Stuttgart 1974. Landbeck, Johann Georg, De Morbo Hungarico sive Castrensi, Wittenberg 1677. Langius, Johann, Cura causonis (Epistolarum medicinarum volumen tripartitum), Frankfurt 1589. Lebens- und Leidensweg des M. Johann Gerhard Ramsler, Specials zu Freudenstadt. Die Lebenserinnerungen eines württembergischen Landpfarrers (1635 – 1703), bearb. v. Uwe Jens Wandel, Stuttgart 1993 (Lebendige Vergangenheit. Zeugnisse und Erinnerungen. Schriftenreihe des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins 15). Lebenwaldt, Adam, Hauß= und Artzney=Buch/ In welchem angezeigt und erwiesen wird/ wie man denjenigen Kranckheiten/ welche ein gantzes Land oder mehr Oerther anstecken/ so dann durch Contagion und Anklebung anderweitig fortgepflantzt und ausgebreitet werden/ Als da seyn: Die Pest/ Pestilenzial= und Petechialische Fieber/ e Ungarische Kranckheit/ rothe Ruhr/ Kinds=Blattern etc. Mit GOttes Gnad und Hulff so e wohl durch geringe als kostbare Mittel Widerstand thun konne. Samt einer Chronick e Aller denckwurdigen Pesten/ samt einer Information, was zu solcher Contagions-Zeit I. Status Politicus und Land=Obrigkeiten/ II. Status Civilis oder Stadt=Obrigkeiten/ III. Status Academicus oder Schul=Vorsteher/ IV. Status Medico-Physicus oder die Medici mit ihren Untergebnen/ V. Status Theologicus oder Seel=Sorger zu thun haben: Dabey e eine Funff=fache Cur zu finden/ Nemlich cura theologica, prophylactica, curativa, refectiva, & purificativa, Das ist: Geistliche Trost=Schutz=Hail= und Krafft=Cur/ e Samt einer Anweisung Die Hauser und Mobilien zu reinigen …, Nürnberg 1695.
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Quellen und Literatur e
ansehnlichen und volckreichen Leichbegangniß des weiland Edlen/ Groß=Achtbahren e und Hoch=Gelahrten Hn. Andreæ Gryphii, Des Furstenthums Groß=Glogau wolmeritirten Syndici & c. Welcher Abends umb 5. Uhr/ den 16. Jul. in Confessa der e e loblichen Herren Lands=Standen/ gantz unverhofft und geschwinde durch einen Schlag=Fluß/ mit dem Namen JEsu/ sein Leben selig beschlossen/ ætatis 48. Jahr/ weniger 11. Wochen. In einer Leich=Predigt gezeiget/ auffgesetzt …, o. O. 1665 (angehängt an: Andreas Gryphius, Dissertationes Funebres, Oder Leich=Abdanckune e gen/ Bey unterschiedlichen hoch= und ansehnlichen Leich=Begangnussen gehalten, Leipzig 1667). Platter, Thomas, Lebensbeschreibung, hg. v. Alfred Hartmann, Basel 21999. e Pockels, Karl Friedrich, Psychologische Bemerkungen über Traume und Nachtwandler, in: Magazin zur Erfahrungsseelenkunde 6 (1788), 3. St., S. 76 – 89. Pockels, Karl Friedrich, Ueber den Einfluß der Finsterniß in unsere Vorstellungen e und Empfindungen, nebst einigen Gedanken über die Traume, in: Magazin zur Erfahrungsseelenkunde 5 (1787), 2. St., S. 88 – 102. Politische Testamente und andere Quellen zum Fürstenethos der Frühen Neuzeit, hg. v. Heinz Duchhardt, Darmstadt 1987. Pollio, Lukas, Kurtzer vnd nützlicher bericht/ Von der jetzigen geferrlichen Vngerischen e Haubtkranckheit/ Wie sich ein jeder fur derselben bewahren/ vnd so sie jemanden angestossen curiren solle. Sambt beigesetzten zeichen/ wobey man sie erkennen e konne/ vnd vrsachen/ von denen sie entspringe, Liegnitz 1596. Pomponazzi, Pietro, De naturalium effectuum causis, siue de Incantationibus, Basel 1567. Posch, Fritz, Gregor Schinnerers Erlebnisberichte über den Türkeneinfall des Jahres 1683, in: Unsere Heimat. Monatsblatt des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich und Wien 26 (1955), S. 160 – 169. Prätorius, Anton, Von Zauberey vnd Zauberern/ deren Vrsprung/ Vnterscheid/ Vere e mogen vnd Handlungen/ Auch wie einer Christlichen Obrigkeit/ solchem schandlichen e Laster zu begegnen/ dasselbe auffzuheben/ zu hindern vnd zu straffen gebuhre vnd e 4 wohl muglich seye, Frankfurt a.M. 1629 [1598]. Preu, Johann Samuel, Sismotheologie, oder physikalisch-theologische Betrachtung e uber die Erdbeben, Nördlingen 1772. Proverbia sententiaeque Latinitatis Medii Aevi / Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters in alphabetischer Anordnung, hg. v. Hans Walther, Göttingen 1963 (Carmina Medii Aevi Posterioris Latina II/1). Pufendorf, Samuel, Acht Bücher vom Natur- und Völkerrecht, ND der Ausgabe Frankfurt a.M. 1711, Hildesheim 2001. Pufendorf, Samuel, Gesammelte Werke, hg. v. Wilhelm Schmidt-Biggemann, Berlin 1996 ff. Pufendorf, Samuel, De jure naturae et gentium, 2 Bde., hg. v. Frank Böhling, in: Gesammelte Werke, Bd. 4.1/2. Pufendorf, Samuel, Einleitung Zur Sitten= und Stats=Lehre/ Oder kurtze Vorstellung e e der Schuldigen Gebuhr aller Menschen/ und insonderheit der Burgerlichen Stats= e Verwandten/ nach Anleitung Derer Naturlichen Rechte, hg. v. Gerald Hartung, in: Gesammelte Werke, Bd. 2, S. 93 – 230.
Gedruckte Quellen
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Quellensammlung der badischen Landesgeschichte, hg. v. Franz Joseph Mone, 4 Bde., Karlsruhe 1848 – 1867. e Quistorp, Johann, Quatuor Novissima Oder funff vnd funfftzig Predigten/ darin die e e manniglich hochnotig zu wissende Lehre Vom Tod vnd Abesterben/ Von dem e kunfftigen algemeinen Gericht/ Von der Hellen vnd Hellen Pein/ Von dem Ewigen Leben vnd Himmels Frewde/ verhandelt wird. Neben angehengten sechßzehen Predigten von der Pestilentz, Rostock 1629. Rave, Wilhelm, Das Stammbuch des Georg Rave, in: Westfälische Zeitschrift. Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde 95 (1939), S. 1 – 44. Rechenberg, Adam, Thomæ Hobbesii Evqgla Compendiarium in Religione Christian novum, de Unú tant¾m Fidei Articulú cum obedienti, ad salutem necessariú, Discussum, Leipzig 1674. Reeken, Erich von, Handschriftliche Aufzeichnungen des Emder Predigers Menso Altings und seines Sohnes, des Professors der Theologie Dr. Heinrich Alting, in: Quellen und Forschungen zur ostfriesischen Familien- und Wappenkunde 24 (1975), S. 1 – 24. Reich, Luzian, Eine Farbenskizze aus den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, in: Badenia oder das badische Land und Volk 1 (1859), S. 500 – 527. Reitz, Johann Henrich, Historie Der Wiedergebohrnen. Vollständige Ausgabe der Erstdrucke aller sieben Teile der pietistischen Sammelbiographie (1698 – 1745) mit einem werkgeschichtlichen Anhang der Varianten und Ergänzungen aus den späteren Auflagen, hg. v. Hans-Jürgen Schrader, 4 Bde., Tübingen 1982. Relation, Oder Eigentliche Beschreibung/ Wie/ vnd wo der Angriff der Entsatzung der Kayserl. Residentz=Statt Wienn angeordnet vnd beschehen/ auch was man nach e e glucklich erfolgenden Entsatz an Beuth erobert/ vnnd was sonsten Schrifftwurdiges sich dabey zugetragen/ ist alles hierin ordentlich beschriben, o. O. 1683. Reuss, Rudolf, Strassburg im dreissigjährigen Kriege (1618 – 1648). Fragment aus der Strassburgischen Chronik des Malers Johann Jakob Walther nebst Einleitung und biographischer Notiz (Protestantisches Gymnasium zu Strassburg – Programm auf das Schuljahr 1879 – 1880), Straßburg 1879. Ripa, Cesare, Herrn Cæsaris Ripa[e] von Perusien Ritters von St. Mauritio und Lazaro/ etc. erneuerte Iconologia oder Bilder=Sprach/ Worinnen Allerhand anmuhtige Auße bildungen/ von den furnehmsten Tugenden/ Lastern/ menschlichen Begierden/ Wise e e senschafften/ Kunsten/ Lehren/ Elementen/ Himmlischen Corpern/ Italianischen e e Landschafften/ Flussen/ und andern unzahlichen Dingen hergenommen/ gantz sinne reich vorgestellet/ und auß den bewehrtesten Scribenten erklaret werden., Frankfurt 1669. Ripa, Cesare, Iconologia di Cesare Ripa Pervgino Caualier de Santi Mauritio, & Lazaro, divisa in tre Libri: Ne i quali si esprimono varie Imagini di Virt¾, Vitij, Passioni humane, Affetti, Atti, Discipline, Humori, Elementi, Corpi Celesti, Prouincie d’Italia, Fiumi, & altre materie infinite vtili ad ogni stato di Persone, Venedig 1669. e Rist, Johann, Neue Musikalische Kreutz= Trost= Lob= und DanckSchuhle/ Worinn befindlich Unterschiedliche Lehr= und Trostreiche Lieder/ in mancherlei Kreutz/ e e e e Trubsahl und Wiederwartigkeit hochnutzlich zu gebrauchen […] dem allerhochsten e Gott zu sonderbahren Ehren/ seiner angefochtenen Kirchen zur kraftigen Erbauung/ e e den auch sehr vielen hochbetrubten Hertzen/ in diser jammerlichen und gahr elenden
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Quellen und Literatur
Zeit/ zum hertzlichen Trost und Erquikkung/ wolmeinentlich auffgerichtet und angeordnet, Lüneburg 1659. Rivinus, Augustus Quirinus, De Lipsiensi peste Anni 1680, Leipzig 1681. Röber, Paul, Dreyerlei gar vnterschiedliche Angstkelche/ Welcher einen Christus vnser e e e Erloser/ den andern die Glaubigen/ den dritten die Gottlosen austrincken mussen/ 1. Ein Opfer=Kelch/ 2. Artzney=Kelch/ 3. Hefen= vnd Straf=Kelch. Bey Christlicher e Leichen Solennitet Des Ehrwurdigen/ Vorachtbarn vnd Hochgelarten Herren M. Jeremiæ Spiegels/ Wolverdienten Probsten vnd Superintendenten zu Kemberg/ zuvor aber Professoris Eloquentiæ zu Wittenberg/ Welcher im Jahr Christi 1637. d. 15. Sepe temb. selig in den Armen seines Erlosers eingeschlaffen …, Wittenberg 1639. Rousseau, Jean-Jacques, Bekenntnisse. Aus dem Französischen v. Ernst Hardt, mit einer Einführung v. Werner Krauss, Frankfurt a.M. / Leipzig 1985. Rüdiger, Andreas, Anweisung Zu der Zufriedenheit der Menschlichen Seele/ Als Dem e Hochsten Gute dieses zeitlichen Lebens, Leipzig 21726 [1721]. Rüdiger, Johann Christoph, Klugheit zu Leben, und zu Herrschen/ nach dem Sinn und Lehr=Art Eines wahrhafftig Hochgelahrten Mannes, und mit eigenen Gedancken des Verfassers untermischet, Leipzig 1722. e Rueß, Johann Georg Wilhelm, Warhaffte vnd Grundliche Relation Uber Die den 14. e Iulii Anno 1683. angefangene/ den 12. Septembris aber glucklich auffgehebte Bee e lagerung der Kays. Haupt= vnd Residentz=Statt WIENN. Beschrieben durch den e damahlen beywohnenden/ vnd gegenwartigen J.G.R., Wien 1683. e e [Rueß, Johann Georg Wilhelm,] Glaubwurdiges Diarium Und außfuhrliche Beschreie e e bung/ Dessen Was Zeit warender Turckischen Belagerung der Kayserl. Haupt= und e Residentz=Stadt WIEN vorgangen. Von einem kayserl. Officirer, so sich vom Anfang biß zum Ende darinnen befunden/ warhafftig verzeichnet und zusammen getragen. Und was noch weiter und ferner passiren wirdt/ zubekommen, o. O. o. J. [1683]. Ruland, Martin, De morbo Vngarico recte cognoscendo et feliciter curando, Leipzig 1610. Ruland, Martin, De perniciosæ lvis Vngaricæ tecmarsi et cvratione, tractatvs. Historicis cvris atque obseruationibus triginta, nec non quaestionibus aliquot homogeneis locupletatus, Frankfurt 1600. Ryff, Walther Hermann, WArhafftige/ gewisse/ vnd vnbetrügliche vnderweisung/ wie e e alle Troum/ Erscheinungen/ vnnd Nachtliche gesicht/ die vns von der seelen/ wan sich o o der leib zu rugen begeben hat/ eingebildt und fürbracht werden/ wie solche natürlich e vnnd recht erklart vnnd außgelegt werden sollen/ als dann solchs von den alten Philosophis vnnd weissagern der Heyden durch langwirigen brauch/ vnnd fleissige o e nachtrachtung warhafftig vnd gewisß erfunden ist/ Dardurch künfftige zufall/ glücks e vnd unglücks erfaren vnd erlernet werden mogen/ on einige entziehung oder abbruch/ des gewalts vnd der krafft Gottes, Straßburg 1540. e e e e S., M. M., Ausfuhr= und grundliche Erzahlung dessen/ was sich vor wurklicher Belagee rung der Kaiserlichen Haupt= und Residenz=Stadt Wienn in Oesterreich/ im Jahr Christi M. DC. LXXXIII. zugetragen, Nürnberg 1684. Salian SJ, Jacques, De timore Dei, libri novem, Paris 1629. Santorio, Santorio, De statica medicina aphorismorum sectiones septem cum commentario Martini Lister, London 1701. Schafelizki, Ernst, Oratio Ernesti Schafelizki contra Hungariam, in: Consultatio de
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Gedruckte Quellen e
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Register
Abraham a Sancta Clara 235, 244 f., 249, 260, 267 Adolf Friedrich I., Herzog von Mecklenburg-Schwerin 272 Adorno, Theodor W. 25, 27 Agnolo di Tura 360 Ahlwardt, Peter 203 – 215, 227 Albrecht, Bernhard 196, 198 – 200, 280 Alsted, Johann Heinrich 60 – 62, 64 f., 72, 75, 177, 297 Altdorfer, Albrecht 402 Alting, Heinrich 253 Ammon, Wolfgang 357 Andreä, Samuel 124 Andreae, Johann Valentin 134, 142, 217, 252, 349, 357 – 360, 362, 365, 512, 543 Apfelstädt, Anna Margaretha 255 Apronius, Lucius 385 Aristoteles 58, 79, 96, 104, 111, 179, 527, 532 – 534 Arnold, Gottfried 241, 342, 505 Artemidor von Daldis 489 – 493, 498, 533 Athanasius von Alexandria 178 Augustinus, Aurelius 57, 60, 64, 71, 79 f., 86, 111, 158, 164, 209, 283, 324, 489, 521 Ausonius, Decimus Magnus 97 Bapst von Rochlitz, Michael 198 f., 204, 207 Baillet, Adrien 520 f. Balthasar, Hans Urs von 37 f. Baty, Johannes 264 f., 270 Beccaria, Cesare 322, 325, 337 – 339
Beck, David 524 Becmann, Johann Christoph 125 – 127, 177 Beer, Johann 448 Begemann, Christian 13 – 15, 27, 438 Bekker, Balthasar 190, 215 Bellarmino, Roberto 85 – 87, 117 Berger, Christian Gottlieb 205 Bernd, Adam 307 – 312, 340, 384, 534 Bernhard, Herzog von Sachsen-Weimar 256, 359 Birken, Sigmund von 253 Bismarck, Christoph von 253 Blumenberg, Hans 288, 363, 543 Bodin, Jean 189, 197 Böhme, Gernot 27, 179 Böhme, Hartmut 27, 35, 40 – 42, 79, 153, 179, 387, 438, 492 Bompart, M. 234 Bontekoe, Cornelis 59, 64, 72 f. Börner, Rudolf 324 Borromeo, Camillo 494 Bösch, Alexander 217, 297 Bötzinger, Martin 204 Bourke, Joanna 31 f. Boyneburg, Sabine von 361 Bozenhart, Johannes 252, 372 Bräker, Ulrich 48, 526, 533, 535 Brand, Johann Georg 222 – 224 Braun, Johannes 20, 141 – 148, 182, 197, 250, 351 – 353, 366 – 371, 374, 377, 437, 442 Budde, Johann Franz 59 – 61
654 Bunyan, John 93, 531 Burckhardt, Jacob 45, 47 f. Burger, Conrad 177, 253, 357, 360 f., 372 Burggrav, Johann Ernst 231, 265 Burkhardt, Johannes 16, 346 – 348, 354 – 356, 377 f., 380, 382 Bürster, Sebastian 251 f., 357, 359 – 361 Burton, Robert 268, 297 f., 304 – 306, 526 Busbecq, Augier Ghislain de 390 Büttner, Johann Heinrich 253 Caesar, Gaius Iulius 64, 98, 140 Calderûn de la Barca, Pedro 526 Calvin, Jean 90 f., 94, 106, 134, 261, 281, 285 f., 298 f., 534 Camerarius, Alexander 234 Canetti, Elias 63 Cardano, Giovanni Battista 497 f. Cardano, Girolamo 229, 487, 491 – 498, 502, 509, 511, 519, 524, 526 f., 532 f., 535 f. Carpzov, Benedict 317, 328 Catull (Gaius Valerius Catullus) 176 Cervinus, Johannes 251, 359 Chaillou, Jacques 57 Chambers, Ephraim 57 Chemnitz, Martin 89 Christian, Markgraf von BrandenburgBayreuth 144 – 146, 148 f., 367 Christian II., Fürst von Anhalt-Bernburg 371, 379, 514 Cicero, Marcus Tullius 67, 99, 139, 177, 323, 400 – 402, 534 Cipachio, Davide 276 Claudian (Claudius Claudianus) 349 Coberus, Tobias 263, 265 f., 268 – 270, 274 f., 298 Conradinus, Balthasar 265, 268 Conring, Hermann 124, 138, 265, 270 Coschwitz, Georg Daniel 242 Croll, Oswald 290 Crüger, Valentin 59, 72 Crusius, Christoph 360 Crusius, Martin 514 Crusius, Wolfgang 255 Cunitia, Maria 224
Register
Cuno, Johann 253 Curtius Rufus, Quintus 62, 139 Cusanus, Nicolaus 89 Cuspinian, Johannes 390 Dee, John 487 Defoe, Daniel 249, 426 Delro, Martn Antonio 188 Delumeau, Jean 22 – 32, 37, 41, 190, 194, 228 f., 234, 246, 260, 426, 536 Deppin, Anna 313 f. Derschow, Bernhard 204, 267, 352 Descartes, Ren¦ 47 f., 61 f., 71 f., 78, 187, 237, 519 – 521 Diemerbroeck, Ysbrand van 234 f., 522 Dieterich, Conrad 524 – 528, 533 f. Dietschi, Anna 250 Dietz, Johann 86, 250 – 252, 257, 259 f., 289 – 292, 340, 384, 543 Dilthey, Wilhelm 45 Donati, Marcello 217, 237, 251 Drexel, Jeremias 270 Ebel, Kaspar 242 Eberhard, Johann Peter 266 Eleonore Magdalene Therese von PfalzNeuburg, Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches 407 Elias, Norbert 26 f., 279 Elisabeth Dorothea, Landgräfin von Hessen-Darmstadt 404, 406 – 408, 416 Enzlin, Matthäus 512 Epikur 65 Erasmus von Rotterdam, Desiderius 250 Ernst I., gen. der Fromme, Herzog von Sachsen-Gotha 275 Ernstin, Juliana 355 Ernstin, Maria 255 Evans-Pritchard, Edward E. 40 Eysenmenger, Johann Christoph 265, 268 Faber, Johann 265 Faesi, Johann Heinrich 216 Farinacci, Prospero 319 Febvre, Lucien 23 f. Federer, Johann Jacob 265
Register
Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 371 Feßken, Gottfried Erhard 219, 267 Feuerbach, Ludwig 22, 35 f. Feyens, Thomas 242 Ficino, Marsilio 298 Finger, Christian Sigismund 229, 242, 247 Fischer, Johann Ferdinand 403, 405 f., 409 – 411, 414 f. Fischer, Johann Nepomuck 198, 215 Fleming, Hannss Friedrich von 130 – 133, 135 f., 270 Foucault, Michel 15, 51 – 53, 57, 76, 179, 241 f., 315, 492, 520 Fracastoro, Girolamo 237 f., 242 f. Francisci, Erasmus 385 f., 394 – 399, 404, 409, 444 Franck, Sebastian 88 Francke, August Hermann 93 f., 512 – 514 FranÅois, Marquis de Saluce 67 f. Freitag, Johan Heinrich 230 Freud, Sigmund 22 f., 26 – 28, 33, 36 f., 488 f., 496, 535 Frey, Wenceslaus 407 Friedrich II., König von Preußen 130, 338 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 127, 250 Friese, Daniel 437 Friese, Johann Daniel 437 – 439 Friesenegger, Maurus 205, 343, 362 Frisch, Max 194 Fritsch, Ahasver 130, 135 f., 140 Fuker, Friedrich Jacob 277 Fürer von Haimendorf, Christoph 403 f. Gabelmann, Nicolaus 270 Gaisser, Georg 255, 272 Galen (Claudius Galenus) 495 Gentzken, Friedrich 59 – 61, 72, 75, 177, 255 Georg Friedrich, Fürst zu Waldeck 407 Georg von Ungarn 386 Georgi, Andreas Caspar 263 Gerhard, Johann 86 – 89 Gessler, Eleonora von 313 f. Geulincs, Arnold 72
655 Ghelen, Johann van 406, 410, 413 Göcklin, Maria 498 Goethe, Johann Caspar 13 f. Goethe, Johann Wolfgang von 13 f., 36, 547 Goldhagen, Eustachius Moriz 84 Graven, Anna Maria 155 Greve, Johann 322, 335 Grimm, Jacob und Wilhelm 57, 153 Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von 19, 252, 270, 447 – 465, 467 f., 476 f., 511, 538 f. Grotius, Hugo 96, 125, 127 Gryphius, Andreas 19, 28, 100, 115, 148 – 171, 182, 236, 249, 278, 447, 477, 480 – 482, 508, 526, 537 f. Gryphius, Mariana 156, 480 – 482, 508 Guetrater, Felix 357 f., 361 Guibert von Nogent 489 Güntzer, Agnes 287 Güntzer, Augustin 20, 260 – 263, 268, 270 – 274, 279 – 289, 291 – 295, 301 – 306, 312, 365, 374, 387, 431, 435, 485 – 487, 496 – 498, 509, 511, 514, 519, 523 f., 527 – 536, 543 Güntzer, Augustin (senior) 485, 496 f. Gustav II. Adolf, König von Schweden 341, 355 Habermas, Rebekka 29 Hacke, Georg 155, 479 Hagendorf, Peter 128 Hahn, Johann Christoph 247, 249 Haidenbucher, Maria Magdalena 197, 254, 362, 376 Han, Paul Conrad Balthasar 406, 415 Hannibal 400 – 403 Happe, Johann Andreas 255 f. Happe, Volkmar 255 f., 259 f., 268, 352, 360 Happel, Eberhard Werner 395 f., 403, 406, 410, 412 f., 428, 440, 505 Harder, Hermann Jacob 211 Häring, Wilhelm 321 Harrach, Ferdinand Bonaventura 405, 407 f., 410
656 Hartmann, Johann Ludwig 132 Haßlingen, Heinrich Tobias von 393 Heberer von Bretten, Michael 443, 446 Heberle, Hans 204, 255, 260, 358, 360 Heidegger, Martin 27 f., 37, 40, 101, 105, 152, 154, 156, 381 Helmont, Jan Baptista van 191, 197, 233 f., 240 Henrici, Johannes 374 Hermann von Köln 489 Hippel, Theodor Gottlieb von 13 f. Hitzig, Eduard 321 Hobbes, Thomas 33, 60, 62, 72, 78, 96, 100 – 120, 123 – 127, 148, 164 f., 177, 216, 310, 467 Höchstetter, Philipp 234 f., 239, 252 Hocke, Nicolaus 405, 408, 410, 413 – 416, 427 f. Hocker, Johann Ludwig 131 Hoffmann, Friedrich 242 Hoffmann, Johann Georg von 405, 408 Holstein, Johann Theophil 270 Homer 534 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 66 Horkheimer, Max 25, 27 Horst, Gregor 269, 274 Höser, Veit 359, 371 – 375, 377, 418 f., 421, 437 Hottinger, Salomon 216 Huhn, Christian Wilhelm 403, 405, 407, 428 Hume, David 22, 33 f., 36 f., 48 Ignatius von Loyola 85, 174, 180 Im Thurn, Hans 217 Jaenisch, Johannes 270 Jan III. Sobieski, König von Polen 408 – 410 Jean Paul 12 – 14 Jöcher, Christian Gottlieb 141 Johann Ernst I., gen. der Jüngere, Herzog von Sachsen-Weimar 275 f. Jordn, Tams 263, 271, 275 Jörger, Joseph 515 Juch, Paul Heinrich 255
Register
Julius, Michael 389 Junius, Maria Anna 176 f., 179, 254, 257, 340, 358, 360, 371, 375 – 377 Kant, Immanuel 27, 34 f., 40, 58, 84, 293 f., 325, 338 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 67 Kara Mustafa Pascha 400, 402, 405 Kepler, Johannes 222 – 224, 260, 311 Kern von Wasserburg, Abraham 197 Kerner, Arnold 234 Kierkegaard, Søren 26 – 28, 37, 40, 152, 156, 381 Kirch, Gottfried 310 f. Kircher, Athanasius 20, 171 – 180, 182, 185, 217 – 221, 224, 237 f., 242, 294, 357, 365, 368, 374, 421, 433, 471, 513, 532, 543 Kircher, Johannes 178 Kirchhof, Hans Wilhelm 135, 251 Kisner, Johannes 241 Kittsteiner, Heinz Dieter 17, 27 f., 62, 72, 78, 104, 116, 131, 195, 198 – 202, 207, 213, 294 Kleinschroth, Balthasar 20, 258 – 260, 358, 362, 371, 384, 389, 417 – 427, 429 – 436, 438 – 445, 487, 498 – 504, 506 – 511, 519, 527, 529 – 532, 535 f. Klock, Caspar 323 f. Klügel, Georg Simon 208, 214 Knorr von Rosenroth, Christian 191 Koch, Jobst Heinrich 416 Koch, Robert 237 König, Georg 410 Kopff, Arpold Philipp 272 Kormann, Eva 49, 186, 257, 376, 505, 518, 547 f. Koselleck, Reinhart 52, 104, 113 f., 346, 402, 442, 502, 536 Kosso, Cynthia 30 f., 80 Kramer, Johann Georg Heinrich 274 f. Kramer (Institoris), Heinrich 189, 328 Krause, Christoph 361 Kreid, Hartmann 360 Kreysel, Johann Sigismund 269
Register
Kromayer, Hieronymus 379 f. Kühlmann, Wilhelm 241, 389 f., 417, 448, 468 Kunitz, Georg Christoph von 403, 405, 411 Landbeck, Johann Georg 268 Langius, Johann 263 Lauer, Gerhard 193, 345, 457 f., 460 Lebenwaldt, Adam 266, 273 Lehmann, Christoph 62, 84, 98, 526 Leibniz, Gottfried Wilhelm 127, 131, 216, 345 f., 372, 395 f. Leichner, Eckard 268 f., 274 Leixner, Otto von 377 Leopold I., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 400, 406 – 410, 419, 422, 434, 505 Lerch, Johann Martin 403 Lerche, Johann Heinrich 404 L’Espine, Jean de 77, 91, 154, 156 Lichtenberg, Georg Christoph 63 Lichtenberg, Ludwig Christian 207 – 209, 214 Liedtmayr, Anton 258 f., 499 – 510, 530 Liedtmayr, Caspar 259, 441, 499, 504, 508 Lipsius, Justus 45, 77, 84, 96 – 99, 109, 126, 130, 134 f., 139 f., 165 List, Nickel 321 Livius, Titus 139, 400 – 402 Locke, John 48, 72, 100 – 102 Löw, Andreas 265, 269, 274 Ludolph, Lorenz 361, 363 Luhmann, Niklas 42, 56, 89, 346, 363 Lukrez (Titus Lucretius Carus) 33, 106, 202 Luther, Martin 37, 79, 85 – 89, 133 – 135, 137, 140, 150, 153, 197, 241, 245, 261, 280 – 283, 285, 298 f., 330, 389 f., 394, 397, 433, 475, 525, 528, 533 f. Lyncker, Nicolaus Christoph von 319 Machiavelli, Niccolý 96, 98 – 100, 126, 136, 401 Macrobius Ambrosius Theodosius 534 Maemminger, Wolfgang Christoph 97 – 99
657 Maimon, Salomon 535 Malinowski, Bronislaw 41 Mallinger, Thomas 217, 254, 257, 372, 404 Mannagetta, Johann Wilhelm 247 f. Männling, Johann Christoph 235, 522 f., 525 f., 528 f., 538 f. Marc Anton (Marcus Antonius) 401 Marco d’Aviano 408 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich 407 Marx, Karl 36 Maszlbach, Pancratius Englhart von 319 Matthäus, Anton 317, 319 Maul, Johann Georg 254, 357 Mauss, Marcel 547 Maximilian II. Emanuel, Kurfürst von Bayern 434 Mehmed IV., Sultan des Osmanischen Reiches 505 Melanchthon, Philipp 79, 490 f., 498, 525 f., 533 Melville, Andreas von 433 Mengering, Arnold 129, 133, 136 – 138, 141, 145, 340, 387, 394 Merian, Matthäus 218, 255, 275 Merton, Robert K. 67 Merzhäuser, Andreas 358, 448 – 451, 461, 463, 483 Meyfart, Johann Matthäus 317, 322 – 326, 328, 331 – 336, 339 Miles, Mathias 384 Milleter, Johannes 274 Minck, Johann Daniel 204, 251 Minderer, Raymund 262 f., 265, 268 – 270 Mitternacht, Johann Sebastian 360, 362 Mögling, Christian Ludwig 234 Mohr, Johann Philipp 204 Molina, Luis de 86 Montaigne, Michel de 11 f., 14 – 16, 24, 57, 62 – 76, 78, 130, 138 – 140, 164, 175 – 178, 181, 315, 321, 323, 327, 330 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat, Baron de 401 Morhof, Daniel Georg 197 Moritz, Karl Philipp 303, 311
658 Moscherosch, Johann Michael 19, 447, 450, 468 – 477, 538 f. Möser, Jacob 254 Müller, August Friedrich 13, 55, 81 – 83, 177, 311, 478, 515 Müntzer, Thomas 525 Muratori, Lodovico Antonio 234 Naphy, William G. 29, 53 Nast, Gregor 439, 446 Nehrlich, Hans Ludwig 252, 514, 516 – 518 Nepos, Cornelius 401 Nester, Johann Matthias 244, 268, 298 Neumann, Johann Georg 124 Newton, Isaac 157, 221, 227, 311 Nicolai, Ernst Anton 241 Nietzsche, Friedrich 63 Nisius, Heinrich 231 Opitz, Martin 19, 447, 477 – 482 Oschwind, Christoph 206 Ottho, Hieronymus 200, 280 Otto, Rudolf 37 Ovens, Johann 224 Ovena Hoyer, Anna 224 Pansa, Martin 244, 247, 298 Paracelsus (Theophrast von Hohenheim) 138 f., 179, 197, 230 – 233, 235 f., 240 f., 244, 266 f., 290, 455 Parschitius von Rosenberg, Stefan 264 Pascal, Blaise 55, 62 f., 70 f., 84, 91, 531, 545 Passer, Justus Eberhard 404 – 408, 416 Peck, Johann Christoph 264 Peiresc, Nicolas-Claude Fabri de 365 Pepys, Samuel 249, 521 f. Peregrinus, Laelius 60 – 62, 64, 77, 177, 297 Petersen, Johann Wilhelm 91, 518 Petersen, Johanna Eleonora 91, 518 f., 543 Petraeus, Heinrich 231 Petron (Titus Petronius) 33, 106, 216 Pfister, Oskar 37 f., 192, 194 f., 296, 303, 347, 379, 447 Pflug, Quirin 268
Register
Pflummern, Johann Heinrich von 275 Pico della Mirandola, Gianfrancesco 242 Pirscher, Sigmund 149, 153 – 155, 163, 236 Pistorius, Jeremias 272 Platon 58, 75, 489, 526 Platter, Thomas (der Ältere) 249 f. Plebanus, Johannes 252, 257, 340, 355 f., 365, 369, 513 Pledger, Elias 282 Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus Maior) 455 Plinius der Jüngere (Gaius Plinius Caecilius Secundus) 98 Pockels, Karl Friedrich 535 Pollio, Lukas 263, 266 Pomponazzi, Pietro 229 Possard, Johannes 59, 72 Prätorius, Anton 334 f. Pregitzer, Johann Ulrich 97 – 99 Preis, Caspar 363 f. Preu, Johann Samuel 221 (Pseudo-)Aristoteles 298 (Pseudo-)Sallust 98 Pufendorf, Samuel 96, 100, 124 – 127 Quintilian (Marcus Fabius Quintilianus) 70 Quistorp, Johann 248 Radcliffe-Brown, Alfred R. 41 Ramsler, Johann Gerhard 196, 217, 251 f., 359, 362, 514 Rath, Sigismund 512 Rave, Wilhelm 251 Rechenberg, Adam 124 Reich, Johannes Jacob 253, 298 Reiterin, Verena 251 Reitz, Johann Henrich 91 – 93, 153, 514 – 516, 518, 531 Rhenanus, Beatus 250 Ripa, Cesare 426 Rist, Johann 351 f., 362 Rivinus, Augustus Quirinus (August Quirin Bachmann) 187, 234 f., 238 – 240, 248, 251, 309 Röber, Paul 155
Register
Roberts, Penny 29, 53 Roeck, Bernd 252, 347 f., 377 – 380, 537 Rohr, Christian August 272 Roosevelt, Franklin D. 12 Rösch, Felix 512 Roskoff, Gustav 34 Rousseau, Jean-Jacques 62, 101, 547 Rüdiger, Andreas 60, 76, 82 Rüdiger, Johann Christoph 134 f., 138 – 140 Rueß, Johann Georg Wilhelm 409 f., 412 f. Ruland, Martin 264, 268 – 271, 274 Ryff, Walther Hermann 490 Sagredo, Giovanni 400 Salian, Jacques 86, 88 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 97, 139 Santorio, Santorio 239 Sartorius, Johann 297 Sartre, Jean-Paul 28, 152, 156, 381 Sautter, Georg 177, 361 Schafelizki, Ernst 265, 270 Schäfer, Michael 512 Schäfer, Walter Ernst 468, 474, 476 Schäffer, Klemens 253, 419 f., 423 Schelhammer, Günther Christoph 153 Schelhorn, Johann Georg 213 – 215 Scheuchzer, Johann Jacob 186, 195, 234 Schiller, Friedrich 350 Schimpfer, Salome 224 Schinnerer, Gregor 440 Schmalfuß, Wolfgang 429, 445 Schmid, Christian 242 Schmid, Johann Erhard 216 Schmitz, Hermann 179 Schopenhauer, Arthur 34, 61, 63 Schorer, Christoph 222 – 227, 267 Schott, Gaspar 224, 267 Schottelius, Justus Georg 57, 60, 62, 135, 152, 155, 257, 436 Schuller, Daniel 196 f. Schultz, Simon 267 Schulze, Ingo 543 f. Schurman, Anna Maria van 224 Scott, Anne 30 f. Screta, Heinrich 262, 264 f., 268 f., 273 f.
659 Scriver, Christian 91, 302 Seelen, Johann Heinrich von 211 Seneca, Lucius Annaeus 11, 64, 71, 98 f., 140, 216, 219, 318 Sennert, Daniel 205, 233 f., 265, 270 f., 275 Smith, Adam 293 f. Sonnenfels, Joseph von 326 Spee, Friedrich von 317 f., 322 – 325, 327 – 333, 336, 339 Speer, Daniel 19, 270, 464 – 467, 473 Sperling, Johannes 197 Spiegel, Jeremias 155 Spillnberger, Samuel 270 Spinoza, Baruch de 58 f., 61 f., 64, 72, 74 f., 78, 120 – 124 Stahl, Georg Ernst 253, 298 Staiger, Clara 11, 177, 256 – 259, 362, 376, 514 Starhemberg, Ernst Rüdiger von 408 f., 428 Statius, Publius Papinius 33, 106, 216 Stearns, Carol Z. 31 f. Stearns, Peter N. 31 f. Stenger, Nicolaus 255 Stietencron, Heinrich von 38 – 40 Stobaios, Johannes 97 Stöltzlin, Bonifacius 198, 200 – 202 Strahm, Johann 357 f., 436 Stryk, Johann Samuel 131, 138, 340 Sturm, Christoph Christian 213 f. Synesios von Cyrene 491 f., 533 Taaffe, Francis, 3. Earl of Carlingford 409, 412 f. Taaffe, Nicholas, 2. Earl of Carlingford 409, 412 Tacitus, Publius Cornelius 62, 105 f. Teichmeyer, Hermann Friedrich 269 Tennhardt, Johann 93 f., 516, 518 Tertullian (Quintus Septimus Florens Tertullianus) 320 Thilo, Gottfried 400 – 403 Thököly, Imre, Fürst von Siebenbürgen 465 – 467 Thomas von Aquin 57, 80 f., 85 f., 98, 115, 298
660 Thomasius, Christian 59 f., 63, 77, 81 f., 84, 96, 98, 103, 318 f., 322, 325 f. Trautmannsdorff, Siegmund Joachim von 384 Trinckhus, Georg 155 Tryon, Thomas 531 Tscherning, Andreas 296, 304 Ulbricht, Otto 30, 44, 228 f., 234, 244, 246, 249, 350, 379, 513, 529 Unger, Mathias 415 Unzer, Johann August 217 f., 267 Vaelckeren, Johann Peter von 403, 406, 410, 412 f., 415, 427 f., 434 Valerius Maximus 130 Vater, Christian 270 Vegetius (Publius Flavius Vegetius Renatus) 134 Velleius Paterculus 140 Vergil (Publius Vergilius Maro) 120, 176, 317, 371, 426 Vesti, Justus 263 Vetter, Anna 505 Voltaire (FranÅois Marie Arouet) 325, 345 f. Voss, Gerhard Johannes 216 Wagner, Johann Tobias 96, 130 Wagner, Tobias 390 – 394, 398, 412 Walch, Johann Georg 59 f., 76 f., 96 Wallenstein (Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein) 260, 359 Wallington, Nehemiah 301 Walther, Johann Jakob 196, 201, 217
Register
Walther, Martin 254 Waser, Johann Rudolph 216 Wense, Wilhelm von 358 Wesenfeld, Arnold 61, 95, 126 f., 297 Weyer, Johann 191, 198, 301, 331 Wiedeburg, Johann Ernst Basilius 219 Windisch, Johann Theophil 263, 265, 269 f., 274 Winkler, Paul 512 f. Wittgenstein, Ludwig 48, 54, 58, 181 Wolf, Johann Rudolph 27, 49, 103, 115, 160, 216, 243, 278, 320, 328, 336, 340, 387 Wolff, Christian 59, 61, 75, 94 f., 202, 204, 314, 333 Wolfgang Wilhelm, Pfalzgraf von PfalzNeuburg 367 Woolf, Virginia 485 Wuttich, Johann Jacob 153 Xenophon 62, 140 Zacchia, Paolo 205, 316, 318, 320 Zanger, Johannes 317 Zapff, Johann Adam 265, 268 f., 274 Zedler, Johann Heinrich 56 f., 59 f., 72, 75 – 77, 81 – 83, 94, 119, 130 – 133, 135, 138, 153 f., 157, 178, 185, 196, 201 – 203, 216, 234, 236, 239, 241 f., 255, 264, 266, 268 – 272, 302, 313, 315 – 321, 324 f., 328, 333, 340, 379, 401, 422, 442, 492, 525 Zehe, Joachim Dietrich 128, 384, 543 Zopf, Johann Heinrich 203, 208, 211 Zopff, Johann Caspar 155, 236, 298