Anfänge der Fotografie : Entstehungsbedingungen eines neuen Mediums 349917703X

Erste fotografische Beobachtungen Voraussetzungen für die Erfindung der Fotografie Wissenschaftliche Erkenntnisse aus

199 108 18MB

German Pages [233] Year 1981

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Anfänge der Fotografie : Entstehungsbedingungen eines neuen Mediums
 349917703X

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Entstehungsbedingungen eines neuen Mediums

riYWYff

Deutsches

Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik

Zu der Buchreihe «Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik»

Technische Objekte sind nicht eindeutig, sondern vieldeutig. Die hu­ manen, ästhetischen, sozial- und geistesgeschichtlichen Bedeutungen zeigen sich nicht in technischer Funktionsbeschreibung. Auch die hi­

storische Abfolge technischer Objekte sagt höchstens etwas über die sozio-ökonomischen Voraussetzungen, die Einbeziehung und Konse­ quenzen der Technik. Diese übergreifenden Bezüge versucht die ge­ meinsam vom Deutschen Museum in München und dem Rowohlt Ta­ schenbuch Verlag herausgegebene neue Buchreihe «Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik» zu beschreiben und zu illu­ strieren. Die Bände richten sich zunächst an Lehrer und Ausbilder, doch sind sie so gestaltet, daß jeder interessierte Laie sie verstehen kann. Es zeigt sich, daß der Weg durch die Geschichte nicht eine zusätzliche Erschwerung und Vermehrung des Lehrstoffes bedeutet, sondern das Verständnis der modernen Naturwissenschaften und Technik erleich­ tert.

Heinz Haberkorn

Anfänge der Fotografie Entstehungsbedingungen eines neuen Mediums

Deutsches Museum

Rowohlt

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Die Buchreihe zur Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik entstand im Rahmen zweier Projekte am Deutschen Museum. Projektmitarbeiter: Günther Gottmann, Bert Heinrich, Friedrich Klemm, Gernot Krankenhagen, Jürgen Teichmann, Jochim Varchmin. Verantwortliche Betreuung des vorliegenden Bandes: Dr. Jochim Varchmin und Bert Heinrich Technikgeschichtlicher Berater: Friedrich Klemm Bildredaktion: Peter Frese und Dorine Paetzold Umschlagfoto: Peter Frese und Sigrid Grünow Die dieser Veröffentlichung zugrunde liegenden Entwicklungsarbeiten

wurden mit Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk und des Bundesmini­ sters für Bildung und Wissenschaft gefördert. Die Interpretation der Fakten gibt die Meinung des Autors, nicht die des Deutschen Museums wieder.

Originalausgabe Umschlagentwurf: Werner Rebhuhn (Fotos: Diorama «Der Fotograf» von Frese/Grunow. Zeitgenössische Fotografie [1871] der Rue de Rivoli - Ausschnitt)

Redaktion: Jürgen Volbeding Layout: Edith Lackmann Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Juli 1981 Copyright (c) 1981 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Satz Times (Linotron 404) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 980-ISBN 3 499 17703 X

Inhalt

Vorwort 7 Einleitung 9

Zeittafel 12 Erste fotografische Beobachtungen 23

Voraussetzungen für die Erfindung der Fotografie 24

Wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Chemie: Entdeckung der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen 24 Wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Physik: Optische Geräte und Hilfsmittel zur Beobachtung und Abbildung von Natur 26 Vorläufer des fotografischen Porträts 36 Die Erfindung des fotografischen Verfahrens 38

■ Joseph Nicöphore Niepce 38 Louis-J.-M. Daguerre 43 Daguerre und Niepce 45 - Daguerres Entdeckung 46 Die Veröffentlichung der Erfindung 48 Das Verfahren und die Auswertung der Daguerreotypie 52 Parallele Entwicklungen fotografischer Verfahren 61

‘ William Henry Fox Talbot 62 Carl August von Steinheil und Franz von Kobell 72 Bedingungen für die rasche Verbreitung der Fotografie in Frankreich 81

• ökonomische, politische und gesellschaftliche Situation 81

Naturwissenschaftliche und technische Entwicklungen 83 Geistige Strömungen 85 ~ Die Situation in der Literatur und der bildenden Kunst 87 ‘ Die kulturelle Rolle des Bürgertums 91 Einstellung der bildenden Künstler zur Fotografie 93

Entwicklungen auf den Gebieten der Kameratechnik,

der Optik nnd der Chemie 97

Erste Verbesserungen an der Daguerreotypie-Kamera 97 Verbesserung der Optik durch Petzval und Voigtländer 99 Steigerung der Lichtempfindlichkeit der fotografischen Platten 103 Verbesserung der Bildqualität durch Goldtonung 104 Eisenvitriolentwickler von Robert Hunt 105 Verbesserung der Negativ-Positiv-Verfiahren 106

Das Papierverfahren von Le Gray 106 Das nasse Kollodiumverfahren 106 Neue Möglichkeiten der Fotografie 110

Die Künstlerfotografie: Nadar, Le Gray, Carjat, Robinson 110 Nadars Leistungen auf fototechnischem Gebiet 118 Die Kommerzialisierung der Porträtfotografie: Disdiri 120 Gesellschaftliche Situation Im Zweiten Kaiserreich (1852-1870) 129

Die Fotografie als Ausdruck des Zeitgeschmacks 138 Weitere Entwicklungen der Fotografie bis zur Gegenwart 147

Entwicklungen im Bereich des Aufnahmematerials 147 Entwicklungen in den Bereichen der Optik und Kameratechnik 153 Studien im Deutschen Museum 169

Quellen, Ergänzungen und Register 192

Anhänge 192 Wort- und Begriffserklärungen, biografische Daten 205 Literatur 222 Personen- und Sachregister 224 Bildquellen 230

Vorwort

Zur Einführung. Den Millionen Besitzern von Fotoapparaten ist die Geschichte der Foto­ grafie eine graue, legendenhafte Vorzeit. Von der Knipskiste bis zum computergesteuerten Wunderwerk benutzen sie die Geräte wie Gebrauchsgegenstände des Alltags, deren Geschichte für die Handhabung unwichtig erscheint. Die Medien und ihre Instrumente wer­ den als gegeben hingenommen. Sie unterliegen höchstens dem industriellen Fortschritt. Mit der Fotografie hat das optische Zeitalter begonnen. Eine ausgebreite­ te Industrie in der Herstellung und Verbreitung von Bildern bestimmt das kreative und soziale Verhalten im Umgang mit der Fototechnik. Immer neue Kameras, neu entwickelte Materialien, ausgedehntere Dienstleistungen bei Entwicklung und Vergrößerung halten den Amateur oftmals davon ab, sich wirklich mit der Fotografie und ihrer Geschichte zu beschäftigen. Mit der zunehmenden Verbreitung von Film und Video wurde der Foto­ grafie sogar das Sterben angesagt. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur, weil Film, Fernsehen und Video undenkbar sind ohne die Fotografie. Nach wie vor ist die Fototechnik die Mutter aller Bildreproduktionsverfahren. Unser Weltbild, das Bild, das wir uns von der Welt machen, ist geprägt durch die Fotografie. Beileibe nicht nur durch die Bildreproduktion; viel­ mehr durch die gesellschaftliche Bedeutung der Fotografie, ihre massenhafte Verbreitung und die Manipulation der «Meinungsmacher». Vielen erscheint das fotografische Bild eine objektive Wirklichkeitsdar­

stellung zu sein, ein getreues Abbild der Welt. Dabei ist es nichts anderes als eine neue Realität, die des Bildes. «Weniger denn je sagt die Wiedergabe der Realität etwas über die Realität selbst aus.» (B. Brecht) Wir sollten uns also nicht nur vom Reiz insbesondere alter Fotos gefangen nehmen lassen, wir müssen urtSTnit den Hintergründen und Zusammenhängen dieser abgebildetenWirklichkeit befassen, auch gerade der, die wir selbst fotografieren. Der technischen und sozialen Geschichte der Fotografie nachzuspüren heißt eine Entwicklung vergegenwärtigen, die uns und unsere Zeit geprägt hat. Schon 1907 hat Alfred Lichtwark (Direktor der Hamburger Kunsthalle) geschrieben: «Es gibt in unserem Zeitalter kein Kunstwerk, das so aufmerk­ sam betrachtet würde wie die Bildnisfotografie des eigenen Selbst, der näch­ sten Verwandten und Freunde, der Geliebten.» Zu leicht sind wir heute noch befangen in dieser Art «folgenloser» Foto­ grafie, die sich ins Private zurückzieht und sich der Macht dieses Produk7

tionsmittels nicht bewußt ist. In der fotografischen Technik liegt mehr als nur - auf den Knopf drücken - Film im Fotoladen abgeben - Bilder abholen - den Freunden vorzeigen. Technische und künstlerische Experimentierfreude ist das eine, soziale Kreativität und Engagement ist das andere, was heute noch in der Fotografie möglich ist. Und so hat sich die Fotografie eben auch ent­ wickelt. Die gesellschaftlichen Veränderungen des 19. Jahrhunderts, das Heraufkommen des Industriezeitalters, wachsendes Bewußtsein des Bürger­ tums und des Proletariats haben die Fotografie beeinflußt wie kaum eioanderes Bildmedium. Erst ein künstlerisches Hilfsmittel, schon bald ein eigen­ ständiges Medium der Berichterstattung und dann eine Waffe im Kampfder Arbeiter für eine bessere und menschenwürdigere Zukunft, dokumentierte die Fotografie-einStück Freiheit von umständlichen, zeitraubenden und öko­ nomisch abhängigen Bildherstellungsverfahren. Die fotografische Technik hat die Emanzipation der eigenen, unabhängigen Produktivität ermöglicht. ' Lernen wir aus der Geschichte, nutzen wir die technischen Möglichkeiten! - Ursprüngliche Absicht dieser vorliegenden Arbeit war, aus der Sozialge­ schichte und Technik der Fotografie eine Didaktik der fototechnischen, visu­ ellen Kommunikation zu begründen. Das Ziel wurde nicht aufgegeben, aber aus Raummangel hier nicht verwirklicht, wenn auch an einigen Stellen ent­ sprechende Hinweise auf kulturpädagogische Aspekte deutlich werden. Visuelle Kommunikation als Lernprozeß zu verstehen, mittels Fotografie Lern­ zusammenhänge herzustellen, ist sicher kein untergeordneter Aspekt einer Sozialgeschichte der Fotografie. Prof. Dr. Alex Diel Universität Hamburg, Fachbereich Erziehungswissenschaft

Einleitung

Das Wort «Fotografie» stammt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie «Lichtzeichnung» oder «Lichtbild». Ein getreues Abbild nicht nur der Natur, sondern besonders von sich selbst zu schaffen und zu betrachten, ist seit Jahrhunderten, wahrscheinlich Jahrtausenden, einer der elementarsten Wunschträume des Menschen. Das Spiegelbild des Menschen im Wasser oder auf glänzendem Metall, das ja auch ein Lichtbild darstellt, da es auf Reflexion von Licht beruht, taucht in Märchen, Sagen und Werken der Dich­ tung immer wieder als ein von Zauberei, Symbolik und Geheimnis umgebe­ nes Phänomen auf. Magier und Scharlatane haben Spiegel und Lichtrefle­ xion immer wieder benutzt, um ihre geheimnisvollen Kräfte zu demon­ strieren. Für sogenannte naive oder primitive Menschen hat ihr eigenes Spiegelbild noch heute etwas Faszinierendes und Furchterregendes zugleich. Sie be­ trachten es als eine Art zweite Existenz. So konnten Völkerkundler beobach­ ten, daß diese Menschen auf ihr fotografisches Abbild mit Angst und Schrekken reagierten, da sie glaubten, ein Teil ihres Lebens sei vernichtet oder in fremden Besitz genommen worden. Obwohl sich Forscher und Gelehrte schon seit Jahrtausenden mit der Op­ tik beschäftigt hatten und seit ungefähr einem Jahrtausend Erkenntnisse über lichtempfindliche Stoffe vorlagen, gelang es erst im Jahre 1839, das durch Lichtreflexion erzeugte Abbild der Natur in einem exakten Bild festzu­ halten. Die Reaktionen auf die Erfindung der Fotografie waren unterschiedlich. Von der Naturwissenschaft wurde sie durchwegs begeistert aufgenommen, die Kunstwelt stand ihr mit geteilter Meinung gegenüber. Ein Teil der Künst­ ler, vor allem der Maler, war begeistert über das neue Verfahren, viele ande­ re sahen sich zu Spott und scharfer Kritik veranlaßt und sprachen diesem technischen Abbild-Verfahren jegliche Fähigkeit ab, individuelle künstleri­ sche Empfindungen zum Ausdruck bringen zu können. Aus kirchlichen Kreisen kam - in dieser durch Wissenschaft, Technik und Industrialisierung geprägten Zeit - sogar der Vergleich mit Teufelswerk, wie es im Leipziger Anzeiger von 1839 zu lesen war:

«Flüchtige Spiegelbilder festhalten zu wollen, dies ist nicht bloß ein Ding der Un­ möglichkeit, wie es sich nach gründlicher deutscher Untersuchung herausgestellt hat, sondern schon der Wunsch, dies zu wollen, ist eine Gotteslästerung. Der Mensch ist nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen worden, und Gottes Bild kann durch keine menschliche Maschine festgehalten werden. Gott soll plötzlich seinen urewigen Geset9

zen untreu werden und es zulassen, daB ein Franzose in Paris eine Erfindung teuflisch­ ster Art in die Welt setzt.» (Freund, G.: Photographie und Gesellschaft, 1979, S. 82)

Heute bestehen für die meisten Menschen der zivilisierten Welt diese Pro­ bleme und Vorbehalte gewiß nicht mehr. Es gibt kaum jemand, auch in den weniger entwickelten Teilen der Welt, der nicht schon mit der Fotografie in Berührung gekommen wäre. Die Probleme, die die Fotografie, der Film und das Fernsehen heute mit sich bringen, sehen ganz anders aus als 1839. In einer hochentwickelten Indu­ striegesellschaft ist der Mensch einer wahren Flut fotografischer Bilder aus­ gesetzt, die es ihm, bedingt durch die scheinbare Objektivität und Realität des Mediums, immer schwerer macht, zwischen Wahrheit und Unwahrheit, Wirklichkeit und Illusion zu unterscheiden. Für die Werbung und für die öffentlichen, meinungsbildenden Massenmedien ist das fotografische Bild das effektivste Mittel zur Information über Politik, Wirtschaft, Kultur, Wis­ senschaft etc. und damit zur Schaffung von Leitbildern, Wert- und Wunsch­ vorstellungen geworden. Auch der Bereich der Amateurfotografie erscheint heute nahezu voll er­ schlossen; kaum ein Familienfest, eine Urlaubsreise, eine nahestehende Per­ son oder ein wichtiger Anlaß, der nicht fotografisch festgehalten wird. Nach der Verkaufsstatistik der bundesdeutschen Fotowirtschaft besaßen im Jahre 1979 77 % aller Haushalte einen Fotoapparat; die Fotoamateure gaben für ihr Hobby 1979 780 Millionen DM aus, sie kauften in diesem Zeitraum knapp 3,5 Millionen Fotoapparate, es wurden rund 2,6 Milliarden Fotos «geschos­ sen», umgerechnet pro Sekunde 82 Bilder (photokina: Preiswerte VideoFarbkameras. In: Süddeutsche Zeitung v. 12. 9.1980). In den Bereichen Wissenschaft, Technik und Kunst ist die Fotografie zu einem wertvollen, nicht mehr wegzudenkenden Hilfs- und Darstellungsmit­ tel geworden. Auf einen Nenner gebracht, muß die Fotografie in Zusammenhang mit Film und Fernsehen als ein wesentlicher kulturbestimmender Faktor unserer Zeit angesehen werden. Die vorliegende Arbeit soll die Entstehungsgeschichte der Fotografie von ihren Anfängen bis zur Phase ihrer Kommerzialisierung und dem Beginn ihrer massenhaften Verbreitung aufzeigen. Dabei werden die zur Erfindung des Verfahrens notwendigen wissenschaftlich-technischen Voraussetzungen beschrieben. Die Fotografie verdankt ihre sich sprunghaft entwickelnde Popularität und massenhafte Verbreitung, die ungefähr um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte, in erster Linie der Möglichkeit, täuschend ähnliche und relativ bil­ lige Porträts herzustellen, die vor allem für das mittlere und kleinere Bürger­ tum erschwinglich waren. Ein besonderes Anliegen der Arbeit besteht darin, am Beispiel der Entste­ hungsgeschichte der Fotografie die bedeutsamen und notwendigen Zusam10

menhänge zwischen wissenschaftlich-technischen, wirtschaftlichen, politi­ schen, sozialen und kulturellen Bedingungen des 19. Jahrhunderts aufzuzei­ gen, wobei das zu wirtschaftlicher und politischer Bedeutung gelangende Bürgertum eine dominierende Rolle spielt. Da jede historische Betrachtung und jede sich innerhalb einer Gesellschaft vollziehende Entwicklung von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren bestimmt ist, muß umgekehrt auch darauf eingegangen werden, wie das neue Medium wiederum diese aufge­ führten Bedingungen und Entwicklungen, vor allem das gesellschaftliche und kulturelle Verständnis und Gefüge dieser Epoche prägte. Neben der Beschreibung der Entwicklungsgeschichte der Fotografie soll die vorliegende Arbeit zu einem besseren Verständnis des 19. Jahrhunderts insgesamt führen, dessen radikale Veränderungen die Grundlagen für unse­ re heutige gesellschaftliche Situation und Weltanschauung geschaffen haben.

Zeittafel

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

4.Jh. v. Chr.

Aristoteles deutet Naturerscheinun­ gen, die dem Prinzip der Camera obscura (C. o.) entsprechen (s. S. 26 f). Ibn-al-Haitham (Alhazen) beschreibt die Anwendung der C. o. bei der Be­ trachtung einer Sonnenfinsternis (s.S. 27 f).

11.Jh. n. Chr.

11.-13. Jh. 13.Jh.

1267

14.Jh.

Kamäl-al-Din, arab. Wissenschaftler, betrachtet irdische Gegenstände (flie­ gende Vögel) mit einer C. o. (s. S. 27). Roger Bacon beschreibt die C. o. (s.S. 27). Albertus Magnus stellt naturwissen­ schaftliche Untersuchungen auf dem Gebiet der Optik an (s. S. 27). \

Entwicklung der Zentralperspektive in Oberitalien (s. S. 29 f).

um 1445

1492 um 1500

12

Bereits seit Jahrhunderten Blüte der arabischen Natur­ wissenschaften.

Verbesserung des Kompasses und der Navigationsgetäte; die Küstenschiffahrt wird zur Seefahrt. Einsatz von Feuerwaffen in der Kriegstechnik.

Erfindung der Brille, wahrscheinlich in Italien.

um 1400 15.Jh.

Klassische Zeit der griechi­ schen Kultur.

Zeit des europäischen Hoch­ mittelalters.

um 1320 um 1350

A llgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Leonardo da Vinci beschreibt das menschliche Auge als C. o. (s. S. 28f, Abb. 3,4).

Entwicklung des Humanis­ mus in Italien. Beginn der Renaissance in Italien. Spätgotik in Deutsch­ land. Beginn der großen geographi­ schen Entdeckungen. Gutenberg erfindet den Druck mit beweglichen Let­ tern. Kolumbus entdeckt Amerika.

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

Hochblüte der Kapitalwirt­ schaft (Fugger, Medici); Ver­ bindung von politischer und ökonomischer Macht. Machiavelli (1469-1527) ent­ wickelt die Theorie vom welt­ lichen Machtstaat. Beginn der Reformation durch Luther (Thesenan­ schlag).

16. Jh.

ab 1513

1517

1525

1544

1565

1568

1588

Albrecht Dürer konstruiert Zeichen­ vorrichtungen für zentralperspektivi­ sche Darstellung (s. S. 30, Abb. 5, An­ hang 1). Erste veröffentlichte Darstellung einer C. o. durch R. Gemma-Frisius(s. S. 31, Abb. 6). Der deutsche Chemiker Oeorg Fabricius entdeckt das Silberchlorid (s.S.24). Daniele Barbara verbessert die C. o. durch eine Sammellinse; er ermittelt den Einfluß der Blende auf die Abbil­ dungsschärfe (s. S. 31). Della Porta beschreibt die Funktion def Sammellinse und die Spiegelreflesfunktion in der C. o. (s. S. 32).

um 1590

16181648 1646

1657

16611715

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Erfindung des Mikroskops durch Zacharias.. Dreißigjähriger Krieg in Deutschland. Athanasius Kircher beschreibt eine transportable C. o., in der mehrere Personen Platz zum Zeichnen finden (s. S. 32, Abb. 7).

Gründung der frühesten wis­ senschaftlichen Gesellschaft, der «Accademia del Cimen­ to», in Florenz. Absolutismus in Frankreich unter Ludwig XIV. Entwick­ lung des Merkantilismus.

13

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

Gründung der «Royal Society of London for improving of natural knowlegde» (König!. Gesellschaft zur Verbesserung des Wissens über die Natur).

1662

1663

Robert Boyle schreibt über die Farbändening des Chlorsilbers, die er jedoch dem Einfluß der Luft zuschreibt (s, S.24). Gründung der «Académie Royale des Sciences» in Paris (Königliche Akademie der Wissenschaften).

1666

1686

Konstruktion der ersten kleinen, transportablen C. o. mit Spiegelreflexfunk­ tion durch Johannes Zahn (s. S. 32, Abb. 7). Glorreiche Revolution in England. Einführung der konstitutionellen Monarchie. John Locke begründet die Notwendigkeit der Gewalten­ teilung.

1688/89

1689

umT730 bis 1757 1748

Ch. Moore Hall und J. Dollond entwikkein die achromatische Linse (s. S. 33).

um 1759

Aufkommen der Silhouettentechnik als billige Form der Portrfitheßtellung (s.S. 34, Abb. 10,11).

ab 1761

1769

14

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Montesquieu führt die Theorie von John Locke weiter.

Veröffentlichung der «Déscriptions des arts et des mé­ tiers» (s. S. 84). Konstruktion einer Dampfmaschine durch den Englän­ der James Watt ( 1736-1819), die wesentlich leistungsfähi­ ger ist als die bisherigen. Kon­ struktion des ersten Dampf­ wagens durch Cugnot.

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

1777

Carl Wilhelm Scheele entdeckt, daß durch Licht geschwärztes Chlorsilber in Ammoniak nicht mehr völlig löslich ist und feinverteiltes, schwarzes Silber hinterläßt, das sich nicht weiter verän­ dert (s. S. 25). Erfindung des Physionotrace durch G. L. Chrétien (s. S. 37 f, Abb. 12).

1786

Französische RevolutionAufhebung der Leibeigen­ schaft - Erklärung der allge­ meinen Menschenrechte. Auflösung derZünftein Frankreich.

1789

1791

1793

Erster Bericht der Brüder Claude und Joseph Nicéphore Niepce über die Idee, ein fotografisches Verfahren zu entwickeln (s. S. 23). Gründung der Pariser École Polytechnique (s. S. 84 f). Erfindung der Lithographie durch Alois Senefelder (1771-1834).

1794/95

1797

1802

Bericht von Th. Wegdwood und H. Davy über ein Kopierverfahren auf der Basis von Silbemitrat.

1804 um 1805 1806

Erfindung der Camera lucida durch W. H. Wollaston (s. S. 37, Abb. 15).

1807

1814/15 1816

1819 1824

1826/27

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Krönung von Napoleon I. zum Kaiser von Frankreich. Elektrisches Bogenlicht. Gründung der ersten deutschsprachigen polytechnischen Schule in Prag (s. S. 85). Erfindung des Dampfschiffes durch R. Fulton. Wiener Kongreß.

J. N. Niepce gelingt es erstmals, Bilder auf Chlorsilberpapier in der C. o. her­ zustellen (s. S. 38, Abb. 16). Entdeckung des Natriumthiosulfats durch F. W. Herschel (s. S. 25). Erste fotografische Aufnahme auf lich­ tempfindlicher Asphaltschicht in der C. o. durch J. N. Niepce (s. S. 39). Erste erhaltene Fotografie von J. N. Niepce (s.S. 41. Abb. 18).

15

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

1828

Verwendung eines achromatischen Objektives in der C. o. durch J. N. Niepce (s. S. 42, Abb. 19). Partnenchaftsvertrag zwischen J. N. Niepce und L. J. M. Daguerre (s. S. 43 u.45f).

1829

Juli-Revolution in Frankreich. Konstitutionelle Monarchie unter Louis Philippe I. (s.S.78f). Entwicklung des Positivismus durch Auguste Comte.

1830 183fr1848 183fr1842 1833

Tod von J. N. Niepce; sein Sohn Isidore tritt in den Partnerschaftsvertrag mit Daguerre ein.

1834

1835

1837

1839 1839

1839

7.1. 1839 16

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Daguerre entdeckt das «latente» Bild und die Entwicklungsmöglichkeit durch Quecksilberdampf (s. S. 48, Abb. 21). Erste fotografische Aufnahme durch W. H. F. Talbot in der C. o. auf Chlor­ silberpapier (s. S. 62 f, Abb. 35). Daguerre entdeckt Kochsalzlösung als Fixiermittel (s. S. 47). Abschluß eines zusätzlichen Vertrages zwischen Daguerre und I. Niepce (s. S.47). Daguerre verwendet Hyposulfitlösung als Fùdermittel (s. S. 47). Konstruktion einer Miniatur-MetallKamera für Daguerreotypien durch Steinheil (s. S. 76f, Abb. 52,53). Die «Société d’Encouragement de l’Industrie Nationale» (Gesellschaft zur Förderung der nationalen Industrie) setzt Preise für Verbesserungen auf dem Gebiet der Fotografie aus (s.S.97f). Ente Mitteilung D. F. J. Aragos an die Académie des Sciences über das Ver­ fahren Daguerres (s. S. 48).

Elektromotor von M. H. von Jacobi. Ente Eisenbahn in Deutsch­ land zwischen Nürnberg und Fürth.

Karusselldrehbank von J. G. Bodmer. Dampfhammer von J. Nas­ myth. Vulkanisation des Kau­ tschuks durch Ch. Goodyear.

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

29.1. 1839

Talbot meldet bei der Académie des Sciences seinen Anspruch auf die Er­ findung des fotografischen Verfahrens an(s.S. 61). Erste Aufnahmen auf Chlorsilberpa­ pier durch Carl August v. Steinheil und Franz v. Kobell (s. S. 74 f). Vertrag Ober den Staatsankauf des Daguerreotypie-Verfahrens (s. S. 49, Abb. 23, Anhang 2). Bericht Aragos vor der Deputierten­ kammer über das Daguerreotypie- Ver­ fahren (s. S. 49, Abb. 24, Anhangs). Erteilung des englischen Patents auf Daguerres Erfindung. Öffentliche Sitzung der Académie des Sciences: Verkündung des Staatsan­ kaufes und ausführliche Beschreibung des Verfahrens durch Arago (s. S. 51). Josef Petzval beginnt mit mathemati­ schen Linsenberechnungen (s. S. 100, Abb. 67). Veröffentlichung der Anleitungsbro­ schüre Daguenes (s. S. 58 f, Abb. 33, 34). Erste Daguerreotypie-Portrfits von Steinheil (s. S. 78 u. 80, Abb. 54,56). Erfindung der Goldtonung der Dagueneotypie-Platten durch H. Fizeau (s. S. 104 f). Erfindung der «Calotypie» durch Tal­ bot (s.S. 65, Abb. 38). Konstruktion von sehr lichtstarken Porträt- und Landschaftsobjektiven durch Petzval (s. S. 100, Abb. 68). Entdeckung der höheren Lichtemp­ findlichkeit der fotografischen Platten durch Einwirken von Bromjod durch F. Kratochwilaund J. F. Goddard (s.S. 103). Bekanntmachung der Entdeckung der höheren Lichtempfindlichkeit der foto­ grafischen Platten unter Einwirken von Chlordfimpfen durch die Gebrüder Natterer(s. S. 104).

April 1839 14.6. 1839 3.7. 1839

14.8. 1839 19.8. 1839

Ende 1839

um 1840

Mfirz 1840 Sept. 1840 Ende 1840 1840/41

Mfirz 1841

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Morsealphabet von S. Morse.

17

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

1844

Erscheinen des ersten Calotypie-Bildbandes von Talbot: «The Pencil of Na­ ture» (s. S. 70f). Eisenvitriolentwickler von R. Hunt (s. S. 105). Erste Panoramakamera von F. Martens(s. S. 153, Abb. 113). Zweiter Calotypie-Bildband von Tal­ bot: «Sun Pictures in Scotland» (s. S. 69 ff, Abb. 42,43,44).

Aufstand der Weber in Schle­ sien.

Juni 1844 1845

Febr. 1848 1848

Bericht einer Apotheker-Zeitschrift über das «Collodion», eine Klebe- und Haftflüssigkeit (s. S. 107).

um 1850

Febr. 1851 März 1851

18521870 18531856 1853

1854 1855

18

Revolutionen in Paris, Berlin, Wien und anderen Städten. «Kommunistisches Manifest» von K. Marx und Fr. Engels. Entstehen des «Realismus» in der Malerei und Literatur (s. S. 91 f, Abb. 60,61).

Verbesserung des Negativ-Positiv-Papierverfahrens durch Le Gray (s. S. 106). F. Scott-Archer beschreibt das nasse Kollodiumverfahren in verständlicher und anwendbarer Form (s. S. 107). Zweites Kaiserreich unter Napoleon III. (s.S. 129f> Krimkrieg.

VergröBerungsgerät von J. J. Heil­ mann. F. Nadar öffnet sein fotografisches Atelier (s. S. 110ff). Phase der Künst­ lerfotografie (s. S. 111 ff, Abb.73bis81). A. A. Disdiri eröffnet ein fotografi­ sches Atelier. Einleitung der Phase der kommerziellen Atelierfotografie (s.S. 122 ff, Abb. 85,88,89,90). Verbesserte Ausführung der PanoramakameradurchF. Martens(s. S.153). Fotografische Retusche auf der Pariser Weltausstellung durch den Münchner Fotografen Hanfetaengl vorgestellt. Disdiri gibt eine Kollektion von Re­ produktionen von Ausstellungsobjek­ ten des «Palais de ITndustrie» und des «Palais des Beaux Arts» heraus (s.S. 128).

Fahrrad mit Tretkurbel von P. M. Fischer.

Stahlherstellung durch Wind­ frischen in der Bessemer-Bir­ ne von H. Bessemer.

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

ab 1856

Versuche Nadars, Luftaufnahmen vom Ballon aus zu machen (s. S. 118). Ballonaufnahme Nadars aus 520 Meter Höhe von relativ guter Qualit&t (Abb. 83). Erste einschiebbare Balgenkamera des Engifinders Kinear, sog. Reisekamera (s.S. 162, Abb. 123). Panoramakamera von Th. Sutton (s. S. 154, Abb. 114).

1859

1860

1861 ab 1861

1861/62

1862

1863

1864

18711914 1873

Disdfiri bildet französische Offiziere fQrdie Kriegsfotografie aus (s. S. 128). Nadar fotografiert in den Katakomben von Paris mit elektrischen Lichtbogen­ lampen und mit Magnesiumbeleuchtung(s. S. 119, Abb. 82). Disdfiris Buch: «L* Art de la Photogra­ phie» erscheint (s. S. 126 u. 143). Nadar stellt in Paris fotografische Portrfits aus, die unter Verwendung von elektrischem Licht entstanden sind (s. S.118). Vergrößerungsgerät von P. E. Liese­ gang (s.S. 158).

Eröffnung der Londoner U-Bahn.

Dynamomaschine von W. Siemens. Deutsch-Französischer Krieg.

Erfindung der Trockenplatte mit Bromsilber-Gelatine-Schicht durch R.L. Maddox (s. S. 147). Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus.

Entwicklung der orthochromatischen Platte durch H. W. Vogel (s. S. 148).

ab 1874/75

Entwicklung der impressionistischen Malerei (s. S. 95, Abb. 64). Telefon von 0. Bell. Vier­ taktmotor von N. A. Otto.

1876 1878

Doppel-T-Anker von W. Siemens.

Erster Fernsprecher von Ph. Reis.

1867 18701871 1871

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Steigerung der Lichtempfindlichkeit der Trockenplatte durch den Englän­ der Ch. Bennett (s. S. 147).

19

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

1879

1884

1886

1887

1888

1889

1891

Elektro-Lokomotive von W. Siemens. Elektrische KohlefadenGlühbime mit Schraubsockel von Th. A. Edison.

Entwicklung des panchromatischen Filmmaterials durch H. W. Vogel (s. S. 148). Geheimkamera von C. P. Stirn (Abb. 118,119). H. Goodwin erfindet den vollkommen transparenten und biegsamen Rollfilm (s.S. 149). G. Eastman verwendet den Rollfilm in seiner Box-Kamera (s. S. 160f, Abb. 121,122). Verbesserung des Schlitzverschlusses durch O. Anschütz, womit Belich­ tungszeiten bis zu '/imsec. ermöglicht wurden. «Goerz-Anschütz-Spreizen­ kamera» (s. S. 164, Abb. 125). Erfindung des sog. additiven Farbver­ fahrens mittels Dreifarben-Projektion durch F.E.Ives(s.S. 150 f). Enter Fotoautomat von Ch. Fröge (s.S. 157f).

1894

20

Eiffelturm in Paris mit 300 m damals höchstes Bauwerk der Erde.

Entwicklung des Dieselmo­ tors durch R. Diesel. Magazin-Kamera von R. Krügener (s.S. 155, Abb. 116). Konstruktion des «Bosco»-Automaten durch C. Bernitt (s. S. 156f, Abb. 117, 118). Erfindung der Kinematogra­ phie durch Louis Lumiöre.

1895 1902

Enter Kraftwagen von C. Benz.

Thomas Alva Edison läßt sich das 35 mm breite Filmmaterial, das für die Kinematographie gedacht ist, patentie­ ren (s. S. 149).

1893-97

1893

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Patent auf die ente panchromatische Trockenplatte, von A. Miethe und A. Traube entwickelt (s. S. 148). A. Miethe verbessert das DreifatbenProjektionsverfahren (s. S. 150f, Abb. 111,112).

Zeit

Entwicklung im Bereich der Fotografie

Motorflug der Gebrüder Wright.

1903

1908 1910 1912

1913 1914-18 1914

1919-33 ab 1925 ab 1929

1933 1935

1936

1938/39

1939-45 1939

1945

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Entwicklung der «Westentaschen-Tenax» (s. S. 149).

Dieselmotor für das Auto.

Oskar Bamack entwickelt das heute übliche Kleinbild-Film-Format 24 x 36 cm(s.S. 149f). Bamack konstruiert die zwei sog. «Ur­ leicas» (s. S. 165, Abb. 127). Erster Weltkrieg. Erste Serie von höchstens zehn Leicas von der Firma Leitz in Wetzlar herge­ stellt.

Weimarer Republik. Produktion der Leica in großer Serie (s.S. 165, Abb. 128). Serienmäßige Produktion der zweiäu­ gigen Spiegelreflexkamera «Rolleiflex»(s.S. 166).

Machtergreifung Hitlers. Erstes gebräuchliches Farb-Dia-Ver­ fahren-, Kodachrome-Umkehrfarbfilm (s.S. 151). Farb-Dia-Verfahren « Agfacolor Film Neu» (s.S. 151). Einäugige Kleinbild-Spiegelreflexka­ mera «Kine Exakta», von den IHAGEE-Werken in Dresden hergestellt (s. S. 166). Entdeckung der Silbersalzdiffusion durch E.Weydeund A. Roth;wird Grundlage des «Sofortbildverfahrens» und des ersten Fotokopierverfahrens der Welt (s.S. 152). Konstruktion der Kleinstbildkamera «Minox» durch W. Zapp (s. S. 149).

Zweiter Weltkrieg. Agfa entwickelt das erste Negativ-Posi­ tiv-Verfahren. Parallel dazu entsteht während des Zweiten Weltkrieges der Kodacolor-Farbnegativfilm (s. S. 151). Abwurf der ersten Atomborabe auf Hiroshima durch die USA. 21

Zeit

'

1947

Entwicklung im Bereich der Fotografie

Erfindung des Polaroid-SchwarzWeiß-Verfahrens durch den Amerika­ ner Edwin Land (s. S. 152ff).

1949

ab 1953

1963 ab 1970

ab 1978

1979

Allgemeinhistorische, gesellschaftliche und technische Daten

Gründung der Bundesrepu­ blik Deutschland. Stfindige Steigerung der Lichtempfind­ lichkeit des Filmmaterials (s. S. 1521). Erfindung des Polaroid-Farbverfahrens(s. S. 152). Die Elektronik bzw. die Mikroelektro­ nik dringt in den Kamerabau ein (s.S. 168). Hochempfindliche Farbnegativfilme mit 27 DIN; Farbumkehrfilme sind bei entsprechender Entwicklung bis auf 36 DIN belichtbar (s. S. 152). 77 % aller bundesdeutschen Haushalte besitzen einen Fotoapparat (s. S. 163).

Erste fotografische Beobachtungen

Wie so oft in der Geschichte wurden Gedanken, Erfindungen von verschie­ denen Personen parallel und vollkommen unabhängig voneinander entwikkelt. Die erste historisch belegte Idee des fotografischen Verfahrens stammt aus dem Jahre 1793 und wurde von den Brüdern Claude und NicöphoreNiepce beschrieben. Neun Jahre später, im Juni 1802, wurde im Journal of the Royal Institution in London von Thomas Wedgwood (1771-1805) unter Mit­ wirkung des Chemikers Humphrey Davy (1778-1829) über eine Methode berichtet, «Glasbilder zu kopieren und Silhouetten herzustellen durch Ein­ wirkung von Licht auf Silbernitrat». In dem Bericht werden Kopierverfahren unter Einwirkung von Sonnen­ licht auf weißes Papier und Leder beschrieben, die mit Silbernitrat, später mit dem lichtempfindlicheren Chlorsilber präpariert waren. Es wird darin erklärt, wie Zeichnungen auf Glasplatten sowie Insektenflügel, Blätter, aber auch Kupferstiche auf das präparierte, lichtempfindliche Papier bzw. Leder gelegt und anschließend dem Sonnenlicht ausgesetzt wurden. Die dadurch hervorgerufenen unterschiedlichen Schwärzungen des Silbernitrats bzw. des Chlorsilbers ließen ein «vom Licht gezeichnetes» Bild erscheinen. In dem Bericht ist ferner der Versuch erwähnt, Bilder auf lichtempfindlichem Mate­ rial in der Camera obscura herzustellen. Die dabei erhaltenen Abbildungen waren jedoch zu schwach. Erfolg hatte Wedgwood offensichtlich mit dem Versuch, Bilder über ein Sonnenmikroskop auf präpariertes Papier zu kopie­ ren, wenn sich das Papier in nur kleinem Abstand zur Mikroskoplinse be­ fand. Obwohl Wedgwood und Davy die wissenschaftlichen Arbeiten Schee­ les bekannt waren, der ja in einer Ammoniaklösung ein Lösungsmittel für Chlorsilber gefunden hatte, gelang es ihnen seltsamerweise nicht, auf dieser Grundlage die entstandenen Bilder zu fixieren.

Voraussetzungen für die Erfindung der Fotografie Die Fotografie beruht auf den Erkenntnissen und Grundlagen aus zwei ver­ schiedenen Bereichen der Naturwissenschaften: - aus dem Bereich der Chemie, genauer gesagt aus der Kenntnis lichtem­ pfindlicher Stoffe, z. B. der Silbersalze, die es ermöglichten, die Natur auf einem Bild festzuhalten, d. h. zu fixieren, - aus dem Bereich der Physik, d. h. der Optik, die die Grundlagen schuf, das exakte Abbild der Natur mittels optischer Systeme in Form scharfer, ver­ kleinerter Abbilder auf einer Mattscheibe zu projizieren. Experimente in diesen beiden Wissenschaftsbereichen führten zu grundle­ genden Ergebnissen, liefen jedoch jahrhundertelang getrennt voneinander ab. Erst die Idee, diese vorhandenen Grundlagen zu kombinieren, führte gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Entwicklung von fotografischen Ver­ fahren. Wie bereits erwähnt, liefen die verschiedenen Experimente parallel und vollkommen unabhängig voneinander ab, wobei nicht nur systematische Forschungen, sondern häufig zufällige Entdeckungen eine entscheidende Rolle spielten.

Wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Chemie: Entdeckung der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen

Die Kenntnis der Herstellung von Silbernitrat durch das Auflösen von Silber in sogenanntem in der Metallurgie benütztem Scheidewasser (Salpetersäure) und nachfolgender Kristallisation findet sich in einer Schrift des 13. Jahrhun­ derts, die fälschlich dem halb sagenhaften arabischen Alchemisten Geber (Dschäbir) zugeschrieben wurde, der im 8./9. Jahrhundert n. Chr. gelebt ha­ ben soll. (Ruska, J.: Das Buch der großen Chemiker. Neudruck 1955, Bd. 1, S. 18-31 und S. 60-69) Im 13. Jahrhundert beschrieb auch Albertus Magnus (1193-1280) das Sil­ bernitrat in einem seiner Werke. Im Jahre 1565 wurde das in der Natur vorkommende Silberchlorid von

dem deutschen Chemiker Georg Fabricius (1516-1571) entdeckt und als wichtiges Silbererz unter der Bezeichnung «Hornsilber» näher beschrieben. Der englische Naturforscher Robert Boyle (1627-1691) behandelte 1663 in einer Schrift über «Experiments and considerations touching colours» die Farbenänderung des Chlorsilbers; er schrieb diese Erscheinung jedoch nicht dem Einfluß des Lichtes, sondern dem der Luft zu.

24

1: J. H. Schulze (1687-1744), Anatom und Chirurg, stellte als erster fest, daß Chlorsilber unter dem Einfluß von Licht geschwärzt wird. Dies war eine der wich­ tigsten Voraussetzungen für die Entwick­ lung der Fotochemie. (Kupferstich, um 1720)

Einen entscheidenden Schritt vollzog im Jahre 1727 der deutsche Arzt Jo­ hann Heinrich Schulze (Abbildung 1). Erstellte fest, daß Chlorsilber durch den Einfluß des Lichtes geschwärzt wird. Dazu benutzte er eine mit einem silbernitrathaltigen Gemisch von Kreide und salpetersaurem Kalk gefüllte Flasche, auf die er eine Papierschablone legte, in welcher Worte bzw. Buch­ staben ausgeschnitten waren. Durch die Einwirkung von Sonnenlicht färbten sich jene Stellen, die nicht gegen Licht geschützt waren, dunkel, und es zeich­ neten sich die Worte genau auf dem lichtempfindlichen Brei ab. Schulze war somit der erste Wissenschaftler, der ein Lichtbild herstellte. Bedeutung für die Entwicklung der fotochemischen Prozesse gewann auch die Arbeit des schwedischen Chemikers Carl Wilhelm Scheele (1742-1786). Er fand durch systematische Versuche heraus, daß Salmiakgeist (in Wasser gelöstes Ammoniakgas) Chlorsilber aufzulösen vermag, ferner, daß dieses durch Lichteinwirkung unter Reduktion zu Silber geschwärzt wird. Außer­ dem entdeckte Scheele die unterschiedliche Wirkung der Spektralfarben auf das Chlorsilber: Chlorsilber wird unter dem Einfluß der violetten Farbe weit eher geschwärzt als durch alle anderen Farben. Scheele ergänzte 1777 diese Beobachtung durch die Feststellung, daß das durch Licht geschwärzte Chlor­ silber in Ammoniak nicht mehr völlig löslich ist, sondern feinverteiltes schwarzes Silber hinterläßt, das sich nicht weiter verändert und ein endgülti­ ges Bild liefert. Somit war hier bereits ein Fixiermittel für Fotografien auf Chlorsilberpapier entdeckt worden. Diese Erkenntnisse Scheeles blieben je­ doch für viele Jahre unbeachtet und ungenutzt. Natriumthiosulfat (Na2S2O3), ein technisch einwandfrei arbeitendes Fixiermittel für Fotografien, das auch heute noch teilweise in Gebrauch ist, hat neben Louis Joseph GayLussac (1778-1850) und Jean-Joseph Welter (1763-1852) auch der Astronom Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) bereits 1819 entdeckt. Auch diese Entdeckung war den Erfindern der Fotografie lange Zeit nicht bekannt. Da­ guerre z. B. hatte die Entwicklung seines fotografischen Verfahrens bereits 1835 mit der Entdeckung der Quecksilberdämpfe als Entwickler des latenten Bildes nahezu abgeschlossen. Jedoch erst 1837 fand er in einer Kochsalzlö­ sung eine erste Möglichkeit, seine Daguerreotypien zu fixieren, und erst 1839 verwendete er Natriumthiosulfat als Fixiermittel.

25

Wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Physik: Optische Geräte und Hilfsmittel zur Beobachtung und Abbildung von Natur

Als bedeutendste Voraussetzung für die Entwicklung fotografischer Verfah­ ren ist im optischen Bereich die Entdeckung des Prinzips der Camera obscura zu sehen. Die Kameras, mit denen im 19. Jahrhundert die ersten Fotografien hergestellt wurden, waren nichts anderes als technisch etwas weiter entwikkelte Formen der einfachen Camera obscura. Die Camera obscura (lat: dunkle Kammer) besteht aus einem dunklen Raum oder Kasten, in den durch eine kleine Öffnung Licht einfallen kann (Lochkamera). Auf der der Öffnung gegenüberliegenden Wand zeichnet das einfallende Licht die außer­ halb der Kammer vor dem Loch befindliche Natur ab, seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend. Dieser Abbildungsvorgang entspricht dem Prinzip einer zentralperspektivischen Bildkonstruktion, d. h. die Öffnung stellt das Per-

spektivitätszentrum dar (Abbildung 2).

o. o

o,

2: Strahlenverlauf in der Camera obscura, die heu­ te auch Lochkamera ge­ nannt wird. Für die Abbil­ dung auf der Kamera­ rückwand sind Linsen prinzipiell nicht notwen­ dig. Doch werden aus den Punkten Ot, O2,0, die Kreisbilder O’,, O’2,O’3, d. h., vor allem bei nahen Gegenständen gibt es je­ doch Unschärfe.

Bereits Aristoteles (384-322 v. Chr.), der sich mit der Formulierung ein­ zelner naturwissenschaftlicher Prinzipien befaßte, schilderte die Erschei­ nung des Prinzips der Camera obscura in seinem Werk «Problemata» im Zu­ sammenhang mit der Beobachtung einer Sonnenfinsternis. Es handelt sich hier jedoch lediglich um die Beschreibung eines Phänomens:

«Warum wird jemand, der durch ein Sieb, das Laubwerk einer Platane ... oder durch die verschränkten Finger zur Zeit einer Sonnenfinsternis zur Sonne blickt, den Sonnenglanz in der Form des nicht vollständigen Mondes wahrnehmen? Deswegen, weil das durch ein eckiges Loch durchfallende Licht nicht eckig ist, sondern das Licht geht mndgeformt und umgekehrt aus der Öffnung hervor. Weil es sich um einen gera­ den Doppelkegel handelt, den das Licht von der Sonne zum Loch und wieder vom Loch zur Erde bildet, so wird auch bei unvollständiger Form der Sonne das Licht 26

wieder die Figur abbilden. die die Sonne zeigt. Da nun der Sonnenkreis nicht vollstän­ dig ist, werden auch die Strahlen entsprechend hervorkommen. Bei kleineren Löchern ist die Erscheinung deutlicher als bei gröBeren.» (Baier, W.: Geschichte deFFotografie, 1977, S. 7)

Im 11. Jahrhundert beschrieb der arabische Forscher Ibn äl-Haitham (um

965-1039), der im Mittelalter unter dem Namen Alhazen bekannt war, in einer Abhandlung «Über die Gestalt der Finsternis» die Anwendung der Ca­

mera obscura, wiederum im Zusammenhang mit der Beobachtung von Son­ nenfinsternissen. Von Alhazen, der durch sein Werk Ober die Optik großen Einfluß auf die Physik des Abendlandes gewann, stammen auch die ersten wissenschaftlichen Abhandlungen über Linsen. Ein anderer arabischer Wis­ senschaftler, Kamäl al-Din (gest. 1320), hat schon irdische Gegenstände mit der Camera obscura beobachtet. < Im mittelalterlichen Abendland wurden naturwissenschaftliche Studien fast ausschließlich in Klöstern betrieben, vorwiegend unter theologischen Gesichtspunkten, d. h. als Zeichen und Beweise göttlicher Offenbarung und Macht. Mit der profanen, materialistischen Forschung im Bereich der Natur­ wissenschaften setzte man sich allzu leicht der Verfolgung und Verurteilung wegen Ketzertums und Teufelsmagie aus. Brachte die mittelalterliche For­ schung auch eine Reihe von wertvollen naturwissenschaftlich-technischen Ergebnissen hervor, so war die freie Entfaltung der Naturwissenschaften doch in hohem Maße eingeengt. Ein Aufschwung der Naturwissenschaften wurde im 13. Jahrhundert vor allem durch das Wirken zweier Theologen entscheidend beeinflußt, durch den Dominikaner Albert von Bollstädt (1193-1280), auch Albertus Magnus genannt, und den englischen Minoritenmönch Roger Bacon (1214-1294). Beide standen unter dem Einfluß der arabischen und aristotelischen Wissen­ schaft. Bacon erwähnt 1267 die Camera obscura in einem Buch über die Op­ tik als Lehre vom Sehen. Er gab ein Vermögen für seine wissenschaftlichen Forschungen aus und wurde trotz des päpstlichen Segens für seine Bemühun­ gen ins Gefängnis gesperrt. Ein kräftiges Aufblühen und eine nahezu explosionsartige Entwicklung naturwissenschaftlichen Forschens brachte die Renaissance (franz.: Wieder­ geburt, wobei die Wiedergeburt des Denkens der klassischen Antike ge­ meint ist), die mit Beginn des 15. Jahrhunderts von Italien ausging. Auf der Grundlage der Ideen des Humanismus wurde das Menschenbild des «Uomo universale» geschaffen, das Bild einer umfassend gebildeten, großen Persön­ lichkeit, die sich mit der Natur in schöner Harmonie weiß und alles vermag, wenn sie nur will. Der Mensch, der sich im Mittelalter als «Pilger zur himmli­ schen Heimat» verstand, begann nun ein Bewußtsein als Schöpfer und Be­ herrscher der Welt zu entwickeln. Wichtig wurde nun alles, was meßbar, wägbar und rational erfaßbar war. In der bildenden Kunst fand diese Geistes­ haltung ihren Ausdruck darin, ein möglichst exaktes Abbild der Natur, des 27

3: Zeichnungen zu optischen Untersuchungen von Leonar­ do da Vinci, Codex Atlanticus,um 1492. Die zweite Skizze von oben stellt den Strahlenverlauf in der Camera obscura dar. Die Begeisterung und zugleich Verwunderung über diese Entwicklung kommt am be­ sten durch seine eigenen Wor­ te zum Ausdruck: «Wer möchte es für möglich halten, daB ein so kleiner Raum die Bilder des ganzen Weltalls zu fassen vermag! O großartiges Geschehen! Welcher Ver­ stand könnte diese Naturer­ scheinung wohl ergründen? Welche Sprache könnte ein solches Wunder erklären? Gewiß keine! Das veranlaßt das menschliche Vorstel­ lungsvermögen zur Betrach­ tung des Göttlichen. Hier werden alle Gestalten, hier werden alle Farben, hier wer­ den alle Bilder der Teile des Weltalls in einem Punkte zu­ sammengedrängt ...» Text: Codex Atlanticus, fol. 345 v-b, 1505/08. Leonardo konnte sich jedoch nicht erklären, wie das auch im menschlichen Auge-ent­ sprechend der Camera obscu­ ra - umgekehrt erzeugte Bild für den Menschen trotzdem höhenrichtig erscheint. Erst spätere medizinische Er­ kenntnisse lieferten den Be­ weis, daß diese Umkehrung im menschlichen Gehirn her­ vorgerufen wird.

4: Das Auge als Camera obscura. Zeichnung von Leonardo da Vinci, Codex Atlanticus, 1490/95. Seine Erkenntnis formulierte er mit den Worten: «Die Erfahrung, die zeigt, daB die Gegenstän­ de ihre Bilder in das Augeninnere senden, beweist uns auch, daß es ebenso ist, als wenn die Bilder von beleuch­ teten Gegenständen durch ein kleines rundes Loch in eine ganz dunkle Wohnung fallen.» Menschen in allen richtigen Details und Proportionen zu schaffen. Vorrich­ tungen und Geräte, die man als erste «Zeichenmaschinen» bezeichnen kann und vor allem die Camera obscura wurden zu wichtigen Hilfsmitteln für den Künstler. Leonardo da Vinci (1452-1519), das überragende Genie dieser Zeit, re­ präsentiert das geistige Ideal der Renaissance: die Einheit von künstlerisch-

29

5: Perspektiv-Tisch von Albrecht Dürer. Für die Malerderitalienischen Renaissance und der Spätgotik in Deutschland war die genaue zentralperspektivische Darstellung von Raum und Gegenstand ein vorrangiges Problem. Zu diesem Zweck wurden ver­ schiedene Hilfsvorrichtungen konstruiert. Diese sogenannten Perspektiv-Tische und ähnliche Vorrichtungen wurden bis ins 18. Jahrhundert von Malern benutzt. Von Dü­ rer sind zwei Holzschnitte bekannt, die Perspektiv-Tische darstellen. Die Beschrei­ bung dieses Tisches findet sich im Anhang 1. (Holzschnitt 1525)

schöpferischer Tätigkeit und naturwissenschaftlichem Forschergeist. Seine Schriften enthalten mehrere Hinweise auf die Camera obscura. In seinen Studien über das Licht und die Optik sind zeichnerische Darstellungen und Erklärungen enthalten, die das Prinzip der Camera obscura in Verbindung mit der Funktionsweise des menschlichen Auges darstellen (Abbildungen 3 und 4). Bereits im 15. Jahrhundert wurden von Malern und Architekten der ober­ italienischen Republiken Verfahren der Projektion experimentell erfolg­ reich angewandt, um zentralperspektivisch richtige Darstellungen zu erzie­ len. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Hilfsmittel und Geräte entwikkelt, die man als erste Formen von «Zeichenmaschinen» bezeichnen kann. Albrecht Dürer (1471-1528) hatte mit einem für damalige Verhältnisse Höchstmaß an Perfektion verschiedene solcher Vorrichtungen konstruiert und auch praktisch eingesetzt (Abbildung 5). 30

Die erste veröffentlichte Darstellung einer Camera obscura stammt aus dem Jahre 1544 (Abbildung 6). Die handschriftliche Notiz auf der Zeichnung lautet übersetzt: Das Verschwinden der Sonne am 24. Januar 1544. Auch hier ist die Camera obscura mit einer Sonnenfinsternis in Verbindung ge­ bracht. Ein entscheidender Schritt in der Entwicklung der Camera obscura wurde 1568 durch den venezianischen Edelmann Daniele Barbara vollzogen. In sei­ nem großen Werk über die Perspektive «La pratica della prospettiva» führt er aus, daß man in das Loch der Camera obscura eine Sammellinse einführen müsse, wenn man sehr viel hellere Bilder erhalten wolle. Er hat dabei auf die Wirkung der Brille Bezug genommen, die um 1350 wahrscheinlich in Italien entwickelt worden war. Barbara hat ferner als erster die Bedeutung der Blende für die Schärfe der Abbildung erkannt, ein Phänomen, das wir heute als Schärfentiefe bezeichnen; außerdem hat er auf die Verwendungsmöglich­ keit der Camera obscura als Zeichenhilfe hingewiesen. In seinem oben ge­ nannten Werk formuliert er diese Erkenntnisse so: «... Auch muß das Linsenglas so weit abgedeckt werden, daß nur eine kleine Öff­ nung in der Mitte frei bleibt, dann wird man eine lebhaftere Wirkung erhalten. Ver­ folgt man die Umrisse der Gegenstände dann auf dem Blatt mit einem Stift, so kann man das Bild perspektivisch richtig zeichnen. Weiter läßt sich das Bild schattieren und kolorieren, so wie es die Natur dir zeigt, dabei darf das Blatt nicht von seiner Stelle bewegt werden bis zur Beendigung der Zeichnung.»(Baier, W.: Geschichte der Foto­ grafie, 1977, S. 10)

6: Darstellung der Beobachtung einer Sonnenfinsternis, nach dem Prinzip der Camera obscura, von Rainer Gemma-Frisius, einem niederländischen Gelehrten. Die lateini­ sche Inschrift lautet übersetzt: Das Verschwinden der Sonne im Jahre 1544, am 24. Januar, in Louvain / Löwen in Belgien. (Holzschnitt 1545) 31

Den größten Einfluß auf die Verbreitung der Camera obscura zu dieser Zeit hatte der Italiener Giovanni Battista della Porta (1538-1615), der sie in seinem viel gelesenen und in zahlreichen Auflagen erschienenen Buch «Magia naturalis sive de Miraculis Rerum Naturalibus» in einer allgemein ver­ ständlichen Form beschrieb und weitesten Kreisen bekannt machte. Die er­ ste Auflage dieses Buches erschien 1558; 1588 kam eine neue Auflage her­ aus, die u. a. um die Beschreibung der Funktion der Sammellinse erweitert war. Della Porta beschrieb in seinem Werk bereits die Möglichkeit einer Spiegelreflexfunktion in der Camera obscura mit folgenden Worten: «Auf folgende Weise aber geht es an: man muß nämlich in das Loch ein Perspektiv mit mehreren Konvexlinsen stellen, aus diesem fällt das Bild in einen Hohlspiegel, der weiter entfernt stehen muß, als sein Mittelpunkt austrägt: so werden die Bilder zwar umgekehrt hinein, aber aufrecht wieder herausfallen wegen des weit abstehenden Mit­ telpunktes. Bringt man nun über dem Loch ein weißes Papier an, so fallen die Bilder der außen befindlichen Gegenstände so klar und deutlich auf dieses, daß man sich nicht genug erfreuen oder darüber verwundern kann. Damit man es nicht ohne Erfolg versu­ che, sei gesagt, daß die Krümmungsradien der Linsen und des Hohlspiegels in einem bestimmten Verhältnis stehen müssen.» (Baier, W.: Geschichte der Fotografie, 1977, S. 11)

Der Hohlspiegel war in einem Winkel von 45° gegen die Linsenachse ge­ neigt, ein Konstruktionsprinzip, das wir heute in jeder modernen Spiegelre­ flexkamera finden. Eine ortsungebundene Camera obscura, in deren Inne-

7: Eine «transportable» Camera obscura aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Darin konnten mehrere Personen Platz finden. Sie wurde konstruiert, um Landschaften na­ turgetreu nachzeichnen zu können. (Kupferstich 1671)

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8: Die erste leicht transportable Camera obscura mit Linsenoptik und einem Spiegelreflex-System von Johannes Zahn. (Kupferstich 1685)

rem eine oder mehrere Personen Platz zum Zeichnen fanden, beschrieb Athanasius Kircher (1602-1680) ausführlich in seinem 1646 erschienenen Buch «Ars magna Iucis et umbrae» (Abbildung 7). Nach und nach baute man Modelle der Camera obscura als kleines trans­ portables Gerät, speziell für den Gebrauch des Künstlers. 1686 wurde von dem Prämonstratensermönch Johannes Zahn eine transportable Spiegelre­ flex-Camera obscura konstruiert, die er «Oculus artificialis» (künstliches Au­ ge) benannte. Im Inneren der Kamera war ein Spiegel im Winkel von 45° zur Linse angebracht, der das Bild nach oben auf ein Mattglas projizierte, auf dem man das Bild nachzeichnen konnte (Abbildung 8). Zahn verwendete in der Camera obscura bereits ein Objektiv, in dem zwei bis drei Linsen in gegeneinander verschiebbaren Röhren gefaßt waren. Dabei stellte er den Einfluß der Brennweiten der verwendeten Sammellinsen auf die Bildgröße und Bilddistanz fest. Auf Begriffe unserer heutigen Kameratechnik übertra­ gen, kann man sagen, daß er schon Weitwinkel- und Telewirkungen beob­ achtet hat. Zur weiteren Entwicklung der Camera obscura ist zu sagen, daß sie in verschiedener Form und Größe, besonders als Zeichenhilfe ausgebildet, bis zur Zeit der Erfindung der Fotografie kaum eine Änderung erfuhr. Im Be­

reich der Aufnahmeoptik wurde sie verbessert, als Ch. Moor Hall (um 1730) mit John Dollond (1757) die achromatische Linse für optische Apparate ver­ wendete. Dadurch wurde der Farbensaum, den die Bilder zeigten, weitge­ hend beseitigt. Die Camera obscura wurde für den Künstler des 17. und 18. Jahrhunderts zum unentbehrlichen Hilfsmittel in seinem Bestreben, ein getreues Abbild 33

von Natur zu schaffen (Abbildung 9). Sie wurde hauptsächlich im Bereich der Landschaftsmalerei und -Zeichnung verwendet, um räumliche Dimensio­ nen und Perspektiven in ihren richtigen Proportionen darstellen zu können.

9: Darstellung einer Ca­ mera obscura mit Linsen­ optik, wie sic als Zeichen­ hilfe benutzt wurde. (Stahlstich 19. Jh.)

10: Silhouette eines Män­ nerkopfes (Ende 18. Jh.).

11: Silhouette eines Frauenkopfes (um 1800).

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12: Hinter eine aufgespannte Leinwand wurde im Profil und Gegenlicht die abzubil­ dende Person gesetzt. Die Umrisse des Schattenbildes wurden durch den Physionotrace, ein Gestell, das nach dem Prinzip des Storchschnabels (Pantograph) funktio­ nierte, stark verkleinert und auf eine Metallplatte (in der Regel Kupfer) übertragen und anschlieBend graviert. Spfiter verwendete man an Stelle von Kupfer auch Holz oder Elfenbein. Die sich innerhalb der Umrißlinie des Gesichtes befindenden Linien wurden nach Skizzen von Hand nachgraviert. Von den im Kupfer gravierten Origina­ len konnten außerdem noch Drucke hergestellt werden. (Zeichnung 1786) 35

Vorläufer des fotografischen Porträts

Waren die Camera obscura und die «Zeichenmaschinen» im 15. und 16. Jahr­ hundert Geräte, die ausschließlich vom Künstler als Hilfsmittel benutzt wur­ den, so wurden mit der wachsenden Entwicklung des Bürgertums im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts einige Techniken und Geräte geschaffen, die in erster Linie ihre Anwendung in der Herstellung billiger Porträts fanden. Zur Zeit Ludwigs des XV. (1715-1774) entstand eine Art der Porträther­ stellung, die besonders bei den unteren Schichten des Bürgertums sehr be­ liebt war - das Schneiden von Silhouetten (Abbildungen 10 und 11). Diese Technik erhielt ihren Namen nach dem damaligen Finanzminister E. de Sil­ houette, der um 1759 Kontrolleurder Finanzen warund durch äußerste Spar-

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15: Die 1806 erfundene Camera lucida als Zei­ chenhilfe. Mit einem vier­ seitigen Prisma wird der zu zeichnende Gegen­ stand in das Auge proji­ ziert. Dieses sieht durch das Prisma das Bild gleichzeitig auf dem Zei­ chenpapier und verfolgt die zeichnende Hand. (Stahlstich, 19. Jh.)

samkeit und Steuererhöhungen versuchte, den nahezu bankrotten Staats­ haushalt zu retten. Die Silhouettentechnik, vornehmlich von dem sparsam lebenden Kleinbürgertum gebraucht, bestand darin, die Profile von Gesich­ tem in schwarzem Glanzpapier nachzuschneiden. Daraus entstand bald ein Gewerbe, das auf allen größeren Festen, auf Bällen und Jahrmärkten ausge­ übt wurde. Ein Gerät zur relativ billigen Herstellung von Porträts, das etwas gehobeneren Ansprüchen des Bürgertums gerecht wurde, erfand 1786 Gilles-Louis Chrétien: den Physionotrace (Abbildung 12). Hinter eine aufgespannte Leinwand wurde im Profil und Gegenlicht die abzubildende Person gesetzt. Die Umrisse des Schattenbildes wurden durch den Physionotrace, ein Ge­ stell, das nach dem Prinzip des Storchschnabels (Pantograph) funktionierte, stark verkleinert und auf eine Metallplatte (in der Regel Kupfer) übertragen und anschließend graviert. Später verwendete man als Material auch Holz und Elfenbein. Die sich innerhalb der Umrißlinie des Gesichts befindenden Linien wurden nach Skizzen von Hand nachgraviert. Von den in Kupfer gra­ vierten Originalen konnten außerdem noch Drucke hergestellt werden (Ab­ bildungen 13 und 14). Ein weiteres, auch heute noch für den Amateurbedarf angebotenes Gerät, das auch einem ungeübten Menschen gestattet, Realität zeichnerisch nach­ zuvollziehen, ist die 1806 von William Hyde Wollaston (1766-1822) erfunde­ ne Camera lucida (Abbildung 15). Mit Hilfe eines in Augenhöhe aufgehäng­ ten Prismas konnte man die auf ein Stück Zeichenpapier projizierten Abbil­ dungen von Personen oder Landschaften nachzeichnen. Der Vorzug dieses Gerätes ist sein geringes Gewicht und die damit verbundene einfache Trans­ portierbarkeit. 37

Die Erfindung des fotografischen Verfahrens

Joseph Niciphore Niepce

Ein Abbild von Natur auf einer lichtempfindlichen Platte in der Camera obscura herzustellen gelang als erstem dem Franzosen Joseph Nicdphore Niepce (Abbildung 16). Ohne seine Vorarbeiten wäre es Daguerre ohne Zweifel nicht gelungen, sein Verfahren der Daguerreotypie zu entwickeln. Zusammen mit seinem Bruder Claude (1763-1828), der sich bis zu seinem Tode mit der Entwicklung eines Perpetuum mobile beschäftigte, entwickelte er die Idee des fotografischen Verfahrens bereits im Jahre 1793. Mit der kon­ kreten Umsetzung dieser Idee begann Niepce jedoch erst im Jahre 1816. Dem regelmäßigen Briefwechsel der Brüder Nicöphore und Claude verdankt

16: J. N. Niepce(1765-1833) kann als Erfinder des fotogra­ fischen Verfahrens gelten, da er als erster mittels lichtemp­ findlicher Platten in einerCamera obscura nur durch die Einwirkung des Lichts Bilder herstellte. Er verfolgte dabei die Absicht, die herkömmli­ chen drucktechnischen Ver­ fahren, insbesondere die Li­ thographie, zu verbessern. (Gemälde von L. Berger, An­ fang 19. Jh.) 38

die Geschichte der Fotografie wesentliche Informationen über die Entwick­ lungsstadien der Erfindung. Niepce stammt aus einer sehr wohlhabenden und angesehenen Familie des alteingesessenen burgundischen Bürgertums. Finanziell abgesichert, verfüg­ te er über Zeit und Geld, sich mit wissenschaftlichen Experimenten, vor al­ lem auf dem Gebiet der Chemie, zu beschäftigen. Es gehörte förmlich zum guten Ton in diesen Kreisen, sich naturwissenschaftlich zu betätigen. Die Kulturgeschichte hat dafür die Begriffe «Salonwissenschaften» oder «Wis­ senschaft im Salon» geprägt. Im Jahr 1813 begann Nicdphore Niepce sich für die Lithographie zu inter­ essieren, die 1797 von Alois Senefelder (1771-1834) erfunden und um 1812 in Frankreich bekannt wurde. Niepce wollte ein fotochemisches Verfahren der Lithographie erfinden, indem er die Steinplatten mit einem lichtempfindli­ chen Firniß überzog, mit Firniß oder öl transparent gemachte Zeichnungen

oder Stiche darauf legte und dem Sonnenlicht aussetzte. Aus dem Briefwechsel mit seinem Bruder Claude geht hervor, daß es Nicöphore Niepce 1816 gelang, Bilder auf Chlorsilberpapier in der Camera obscura herzustellen. Diese Bilder waren jedoch nicht lichtbeständig, außerdem waren sie negativ und seitenverkehrt. Ergab die Versuche mit Chlorsilberpa­ pier auf und kam auf die Verwendung von Asphalt als lichtempfindlicher Schicht. «Das von Niepce angewandte Asphaltverfahren bestand darin, daß Asphalt in hel­ lem Petroleum aufgelöst wurde, von dieser Lösung eine ganz dünne Schicht auf eine Glasplatte gegossen wurde, die unter einem transparent gemachten Stich der Belich­ tung ausgesetzt wurde. Die Belichtungszeit betrug etwa 2 bis 3 Stunden. Unter den dunklen Strichen der Zeichnung blieb die Asphaltschicht unverändert, während sie unter den heilen Teilen hart wurde. Die unverändert gebliebenen Teile konnten durch ein Lösungsmittel ausgewaschen werden, das sich aus Lavendelöl und hellem Petro­ leum zusammensetzte. Nach dem Abwaschen blieb auf dem Glas ein lichtbeständiges Bild zurück.» (Baier, W.: Geschichte der Fotografie, 1977, S. 48)

Statt Glas konnten als Schichtträger Stein (Lithographiestein) Zinn, Kup­ fer oder Silber verwendet werden. Die so erhaltenen Bildvorlagen wurden dann an den von der Asphaltschicht befreiten Stellen geätzt oder graviert. Von der eingefärbten Druckplatte konnten anschließend Abzüge hergestellt werden (Abbildung 17). Diese so belichteten Platten nannte Niepce Helio­ graphien (aus d. Griechischen: Sonnenzeichnungen - helios = Sonne, graphein = zeichnen). Aus dem Briefwechsel mit seinem Bruder Claude geht hervor, daß es ihm im Jahre 1824 gelungen war, eine derartige Aufnahme, von ihm als «Point de vue» (frz.: Aussichtspunkt) bezeichnet, von zufriedenstellender Qualität herzustellen. Für seine vielfältigen und ausdauernden Versuche wählte er immer wieder die Aussicht von dem Arbeitszimmer seines Hauses in Gras en Chälon auf die Seitenflügel und die Hofgebäude. 39

17: Kardinal Amboise. Es handelt sich um eine von J. N. Niepce hergestellte Reproduktion eines be­ reits vorhandenen Sti­ ches. Mit seinem im Text beschriebenen Verfahren gewann er von der Vorla­ ge nach einem Ätzvor­ gang eine neue Druck­ platte. (Auf Asphaltplatte reproduzierter Stich, 1827)

1825 hatte Niepce von dem Optiker Chevalier in Paris eine Prismenlinse erhalten, mit deren Einbau in die Kamera es ihm gelang, die Umkehrung der Bilder aufzuheben. Außerdem ging Niepce nach 1824 von der Anwendung von Steinplatten auf Kupfer- und Zinnplatten als Schichtträger über, einer­ seits wohl deswegen, weil er damit bessere Ätzergebnisse erzielen konnte,

andererseits, weil besonders bei der Verwendung der Zinnplatte bereits auf dem Original durch die helle Farbe des Metalls eine bessere Hell-DunkelWirkung erzielt werden konnte. Von diesen «points de vue» ist nur ein Exemplar erhalten geblieben, bei dem es sich um eine auf einer Zinnplatte gemachte Aufnahme handelt, die heute allgemein als die erste Fotografie der Welt gilt. Die Platte stammt aus dem Jahr 1826 oder 1827 (Abbildung 18). Für einen breiteren Anwendungsbereich war jedoch die Asphaltschicht zu wenig lichtempfindlich, die Belichtungszeiten betrugen sechs bis acht Stun­ den. Dies schloß jede Aufnahme eines bewegten Objektes aus, und auch bei 40

Landschaftsaufnahmen ergab sich eine unnatürliche Bildwirkung, da wäh­ rend der langen Belichtungszeit die Sonne ihren Stand änderte und damit die Schatten auf beiden Seiten des Bildes erschienen (s. Abb. 18). Es gelang Niepce nicht mehr, sein fotografisches Verfahren in bezug auf kürzere Be­ lichtungszeit zu verbessern. Ab 1828 verwendete er ein achromatisches Objektiv, das aus drei Linsen bestand (Abbildung 19) und einen größeren Bildausschnitt und eine bessere Schärfe ergab, allerdings durch die ausgeprägte Bildfeldwölbung zu Abbil­ dungsfehlern führte. Bei diesem Objektiv liegt im Prinzip eigentlich schon ein Apochromat vor. Niepce verfolgte das Ziel, mittels einer Kamera und einer Platte (aus Stein, Glas, Zinn, KupferoderSilber), die mit einer lichtempfindli­ chen Asphaltschicht überzogen war, durch Einwirken von Licht ein Abbild der Natur zu erzeugen. Die Platte wollte er lichtbeständig machen und an­ schließend durch Ätzen oder Gravieren als Druckplatte weiterverarbeiten. Er wollte also eigentlich ein fototechnisches Druckverfahren entwickeln.

18: Die erste erhaltene Fotografie der Welt. J. N. Niepce nahm 1826 oder 1827 den Blick aus seinem Arbeitszimmer in Gras bei Chalon-sur-Saône auf eine Zinnplatte mit Asphaltschicht auf. Die Belichtungszeit für diese Aufnahme betrug rund acht Stunden.

41

19: Schemazeichnung eines achromatischen Objektivs, wie es Niepce verwendete.

Faßt man die Verdienste und Erfolge Niepces an dieser Stelle zusammen, so ist es ihm ohne Zweifel als erstem Menschen gelungen, mit einer Camera obscura auf einer lichtempfindlichen Platte eine Fotografie herzustellen. An seiner Camera obscura hat er einige entscheidende Verbesserungen in Rich­ tung auf die fotografische Kamera entwickelt, so z. B. einen ausziehbaren Lederbalg, der die Entfernungseinstellungentscheidend erleichterte, und ei­ ne Irisblende am Objektiv, die es erlaubte, über Blendenverstellung die Be-

20: Original-Kamera von Niepce mit Irisblende. 42

lichtungszeit und Schärfentiefe in gewissen Grenzen zu regulieren (Abbil­ dung 20). Im Jahre 1826 nahm Louis-J.-M. Daguerre, der über den Pariser Optiker Chevalier von den Arbeiten Niepces erfahren hatte, mit ihm Verbindung auf, die nach anfänglichem Mißtrauen Niepces schließlich 1829 zum Ab­ schluß eines Partnervertrages führte.

Louis-J.-M. Daguerre

Louis-Jacques-Mandö Daguerre (Abbildung 21) wurde am 18. November 1787 in Cormeilles-en-Parisis als Sohn des dortigen Gerichtsdieners geboren. Nach einer dreijährigen Lehrzeit bei einem Architekten und einer sich daran anschließenden Lehrzeit bei dem berühmten Bühnenbildner J. E. M. Degotti wurde Daguerre zu einem erfolgreichen und von der offiziellen Kunstkritik sehr anerkannten Theatermaler. Ein besonders großer Erfolg wurde das von ihm entwickelte Diorama. Man kann es sich als eine Art optisches Theater

21: Louis J. M. Daguerre (1787-1851) war eine der wichtigsten Persönlich­ keiten in der Geschichte der Fotografie. Er hatte, auf den Versuchen von Niepce aufbauend, von vornherein die Absicht, mit lichtempfindlichen Platten in einer Kamera fotografische Bilder als Endprodukt herzustellen, die nicht mehr weiter be­ arbeitet werden sollten. Die Daguerreotypien gel­ ten im heutigen Sinne als erste Fotografien. (Re­ produktion eines Gemäl­ des von F. Nadar nach ei­ ner Daguerreotypie, P. Nadar, Paris) 43

22: Diorama von Daguerre. 1822 hergestellt. (Holzstich 1874) vorstellen, bei dem durchscheinende, von hinten und vorne bemalte riesige Gemälde beleuchtet wurden und den Eindruck von Stimmung und Wirklich­ keit vermittelten (Abbildung 22). Im auffallenden Licht wurde z. B. eine Landschaft bei Tag gezeigt, bei durchfallendem Licht erschien dieselbe Landschaft bei Nacht. Den stärksten Beifall beim Publikum fand Daguerre mit seinem Diorama «Mitternachtsmesse in der Kirche St. ¿tienne du Mont

in Paris», wobei das Innere der Kirche zunächst bei Tagesbeleuchtung ge­ zeigt wurde und alle Veränderungen durchmachte bis zur Mitternachtsmes­ se. (Nähere Beschreibung des Dioramas: Heinz Buddemeier: «Panorama, Diorama, Photographie», München 1970, und B. Newhall: «Die Väter der Fotografie», Seebruck 1978.) Die Camera obscura hat Daguerre für seine Dioramen als Hilfsgerät zum Nachzeichnen der Natur benutzt, sicher ist jedoch nicht, ob er dabei ur­ sprünglich die Absicht hatte, Bilder auf lichtempfindliches Material aufzu­ nehmen; wahrscheinlich hatte er sich seit 1825 damit beschäftigt, ohne zu konkreten Erfolgen zu kommen. Daguerre verfügte als erfolgreicher Maler über gute Beziehungen zu Künstler-, Literaten- und Theaterkreisen. Vor allem war er ein unermüdlich

tätiger Mensch, immer auf der Suche nach neuen Schöpfungen. Diese Eigen­ schaften und Bedingungen haben ohne Zweifel später Niepce veranlaßt, den Partnerschaftsvertrag mit ihm abzuschließen, da er in ihm einen Menschen sah, dem es durch sein Interesse und seine Aktivität gelingen mußte., seine Erfindung voranzutreiben und zu verbreiten. 44

Dagwerre ud Niepce

Daguerre erfuhr über den Optiker Chevalier in Paris, bei dem er Objektive für seine Camera obscura herstellen ließ, von den Arbeiten Niepces. Er war sehr daran interessiert und schrieb Niepce im Januar 1826 und im Januar 1827, wobei er in letzterem Brief um eine Probe einer Heliographie bat. Niepce stand den Vorschlägen Daguerres bezüglich einer Zusammenarbeit sehr mißtrauisch gegenüber, zumal ihm Daguerre keine konkreten Beweise über den Stand seiner eigenen Arbeiten bzw. Erfahrungen erbrachte. Nachdem Niepce 1827 anläßlich eines Besuchs in London bei der Royal Society (Königliche Gesellschaft) vergeblich versucht hatte, Interesse für ei­ ne Veröffentlichung seines heliografischen Verfahrens zu wecken, kehrte er enttäuscht nach Frankreich zurück und nahm die Verbindung mit Daguerre wieder auf. Er hoffte in ihm einen tatkräftigen und geschäftstüchtigen Helfer zu finden und bot ihm im Oktober 1829 die Zusammenarbeit zum Zwecke der Vervollkommnung des heliographischen Verfahrens an. Am 14. Dezember unterzeichneten beide einen zehnjährigen Partnerschaftsyertrag, in dem in 16 Artikeln die Zielsetzung und die rechtlichen Grundlagen festgelegt sind. In der Einleitung des Vertrages heißt es:

«... Herr Niepce hat in dem Wunsch, durch ein neues Mittel ohne Mitwirkung eines Zeichners die Ansichten, die die Natur bietet, festzuhalten, Untersuchungen ange­ stellt, deren Ergebnisse in zahlreichen die Erfindung bestätigenden Proben vorliegen. Diese Erfindung besteht in der von selbst vor sich gehenden Reproduktion der in der Camera obscura aufgefangenen Bilder. Herr Daguerre, dem er seine Erfindung mitgeteilt hat, erkennt ihren Wert mit Inter­ esse an, zumal sie einer großen Vervollkommnung fällig ist, bietet Herrn Niepce an, sich mit ihm zu vereinigen, um diese Vervollkommnung zu erreichen und um alle nur möglichen Vorteile aus diesem Gewerbezweig zu ziehen ...»

Im Artikel 5 des Vertrages ist folgendes bestimmt: «Herr Niepce bringt in die Gesellschaft ein und übereignet derselben seine Erfin­ dung, welche den Wert der Hälfte des Ertrages darstellt, dessen sie fähig ist, und Herr Daguerre bringt eine neue Anordnung der Dunkelkammer, seine Talente und seine Geschicklichkeit ein, welche der anderen Hälfte des erwähnten Ertrages gleich geach­ tet werden.» (Eder, J. M.: Geschichte der Photographie, 1932, S. 280) Der Vertrag enthielt noch die Klausel, daß der Sohn Niepces, Isidore, im Falle des Todes des Vaters an seiner Stelle in das Gesellschaftsverhältnis eintreten solle. Niepce schickte Daguerre daraufhin eine ausführliche Be­ schreibung seines Verfahrens und führte ihm auch seine Arbeitsweise prak­ tisch vor. Dieser Vertrag mag ein ungleicher Handel gewesen sein, denn die Verbes­ serungen an Daguerres Camera obscura bedeuteten im Vergleich zu den vor­ liegenden Ergebnissen Niepces relativ wenig, sicher ist jedoch auch, daß Niepce in dem vitalen und interessierten Daguerre einen Partner gewonnen 45

hatte, der mit seinen gesellschaftlichen Verbindungen für die Verbesserung und für die Propagierung des Verfahrens bestens geeignet schien. Sicher wä­ re es sehr falsch, würde man Daguerre unredliche Absichten in bezug auf diese Partnerschaft unterstellen. Zu einer praktischen, erfolgreichen Zusam­ menarbeit zwischen den beiden Vertragspartnern ist es nie gekommen, kei­ nem von beiden ist es in den ersten vier Jahren gelungen, das fotografische Verfahren entscheidend zu verbessern. Aus ihrem Briefwechsel geht hervor, daß Daguerre an der Heliographie in. erster Linie das Mittel der Nacharbeit durch Gravur oder Ätzung ablehnte. Sein erklärtes Ziel war, nur durch die Verwendung von lichtempfindlichem Material in der Camera obscura ein lichtbeständiges Bild der Natur herzu­ stellen. Er schrieb dazu am 15. November 1829 an Niepce:

«... Außerdem bin ich der Meinung, daß der Grabstichel überhaupt nicht notwen­ dig werden dürfte als im äußersten Falle, wenn es anders nicht möglich sein sollte, zu einem Erfolg zu kommen. Wenn aber die Kunst eines Graveurs nicht sollte entbehrt werden können, dann würde die Erfindung jedes Interesse verlieren. Die Natur hat ihre Einfachheit und Wahrheit, die man sich wohl hüten muß, zu zerstören. Nur ihr darf man folgen in der Wahl der möglichen Mittel.» (Baier, W.: Geschichte der Foto­ grafie, 1977, S. 63)

Um aber ein naturgetreues Bild zu erhalten, war es vor allem notwendig, die Belichtungszeiten von 6 bis 8 Stunden drastisch zu verkürzen. Die von Niepce verwendete Asphaltschicht erschien ihm dazu völlig ungeeignet. Aus dem Briefwechsel geht hervor, daß Daguerre auf Grund seiner Versuche in Silberchlorid und in Silberchlorid geeignete Stoffe von hoher Lichtempfind­ lichkeit sah. Niepce stand den Vorschlägen Daguerres, mit diesen Stoffen zu arbeiten, etwas skeptisch gegenüber, da er bereits 1816 Silberjodid als sehr lichtempfindlichen Stoff erkannt hatte, es ihm aber nicht gelungen war, die entstandenen Bilder zu fixieren. Daguerre wies auch immer wieder auf die Notwendigkeit hin, bessere, lichtstärkere Objektive zu entwickeln, um eine Verkürzung der Belichtungszeit zu erreichen. Am 5. Juli 1833 starb Niepce. Nach seinem Tode trat sein Sohn Isidore in den Gesellschaftsvertrag mit Daguerre ein.

Dagaerres Entdeckung

Daguerre setzte seine Versuche fort, wobei er Silberplatten bzw. versilberte Kupferplatten benutzte, die er durch Joddämpfe lichtempfindlich gemacht hatte. Die weiteren Entwicklungsschritte seiner Arbeiten gehen aus dem Briefwechsel mit Isidore Niepce hervor. So muß Daguerre bereits im Mai 1835 im Besitz der Erkenntnis gewesen sein, daß durch Belichtung einer Jod­ silberplatte ein latentes (nicht sichtbares) Bild entsteht, das mit Hilfe von Quecksilberdampf entwickelt und damit sichtbar gemacht werden konnte. In 46

einer chemischen Formel ausgedrQckt, hat sich dabei folgende Reaktion voll­ zogen: AgJ + Hg-»HgJ + Ag (Silber geschwärzt). Daguerre hat nie verraten, wie er auf dieses Verfahren gekommen ist. Historisch abgesichert ist heute, daß hier wie so oft in der Geschichte der Entdeckungen im Bereich der Naturwissenschaften und der Technik der Zu­ fall die entscheidende Rolle gespielt hat: «Die Jodsilberplatten geben bei kurzer Belichtung kein sichtbares Bild. Daguerre mußte daher immer sehr lange belichten, um ein sichtbares Bild zu erhalten. Eines Tages wurde während einer Aufnahme das Wetter plötzlich trübe. Daguerre nahm also die zu kurz belichtete Platte wieder aus der Kamera und stellte sie in einen Schrank. Als er am nächsten Tag den Schrank wieder öffnete, sah er zu seinem größten Erstaunen das fertige Bild auf der Platte. Er vermutete gleich, daß in dem Schrank etwas sein müsse, was die Entstehung des Bildes verursachte. Er nahm nun der Reihe nach die Chemikalien nacheinander heraus, fand aber immer wieder das gleiche Er­ gebnis: Eine schwach belichtete Platte zeigte nach einigen Stunden das Bild. Schließ­ lich war nur noch eine kleine Schale mit Quecksilber, das aus einem zerbrochenen Thermometer stammte, in dem Schrank übrig. Das brachte ihn auf die Vermutung, daß die Dämpfe des Quecksilbers die Ursache für die Entstehung des Bildes sein möchten. Er setzte also eine schwach belichtete Platte, die kein Bild zeigte, der Einwir­ kung von Quecksilberdämpfen in einem Kasten aus und erreichte damit die Entdekkung des latenten Bildes.» (Baier, W.: Geschichte der Fotografie, 1977, S. 73)

Durch diese Entdeckung war es Daguene gelungen, die Belichtungszeit für Aufnahmen, die im Winter gemacht wurden, auf 15 Minuten zu reduzie­ ren, woraus er ableitete, daß die Belichtung im Sommer nicht mehr als 3 bis 4 Minuten betragen würde. Er war weiterhin voller Zuversicht,sein Verfahren so weit verbessern zu können, daß es ihm gelingen würde, fotografische Por­ träts heizustellen. Bereits am 27. September 1835 machte er eine derartige Ankündigung im Pariser «Journal des Artistes», obwohl er seine Bilder noch gar nicht fixieren konnte. Erst 1837 fand er das gesuchte Fixiermittel in einer einfachen Kochsalzlösung. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Erfin­ dung, 1839, verwendete er auch Hyposulfitlösung als Fixiermittel, obwohl Friedrich Wilhelm Herschel bereits 1819 in Natriumthiosulfat ein Fixiermit­ tel für lichtempfindliche Silbersalze entdeckt hatte (s. S. 25). Die Eile Daguerres, sein Verfahren so schnell anzukündigen, ist wohl auch aus seiner Angst heraus zu verstehen, es könnte ihm ein Erfinder zuvorkom­ men, da er wußte, daß sich bereits mehrere Chemiker mit fotografischen Verfahren befaßten. Nach Abschluß seiner Arbeiten schloß er mit Isidore Niepce am 13. Juni 1837 einen«usätzlichen Vertrag ab, in dem bestimmt wurde, daß das neue Verfahren nur den Namen Daguerres tragen sollte, daß bei Veröffentli­ chungen jedoch auch der Name von J. N. Niepce und dessen Verfahren ge­ nannt werden müsse. Diese Maßnahme Daguerres hat ihm viel Kritik eingebracht. Auf den noch heute bestehenden Streit der Fotohistoriker über die Berechtigung Da-

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guerres, sich als Erfinder der Fotografie zu bezeichnen, soll hier nicht weitet eingegangen werden; nur einige Punkte seien dazu angeführt: - Ohne Zweifel war J. N. Niepce der erste, dem es gelang, mit Hilfe einer lichtempfindlichen Platte in der Camera obscura ein dauerhaftes Abbild der Natur herzustellen. - Es ist auch als sicher anzunehmen, daß Daguerre ohne die Ergebnisse Niepces und ohne die Partnerschaft mit ihm sein Verfahren der «Daguerreotypie» nicht hätte entwickeln können. - Daguerre gebührt ohne Zweifel das Verdienst, als erster das Jodsilber als lichtempfindliche Substanz in der Camera obscura verwendet zu haben. Ferner hat er das latente Bild und dessen Entwicklung mittels Quecksil­ berdampf sowie die Möglichkeit des Fixierens entdeckt. Sein Verfahren weicht von dem Niepces so weit ab, daß ihm das Recht zugebilligt werden kann, es nach seinem Namen zu benennen. - Daguerre hat Isidore Niepce bei der Auswertung des Verfahrens in keiner Weise übervorteilt.

Die VerAffeatüdmng der Erfindung

Nach Beendigung aller Arbeiten an der Erfindung handelte es sich nun dar­ um, sie auszuwerten. 1838 boten Isidore Niepce und Daguerre die Erfindung über die Tagesblätter von Paris auf dem Weg der Subskription zum Verkauf an, jedoch ohne den erwarteten Erfolg. Daraufhin wandte sich Daguerre an denfhysiker Dominique François Arago (1786-1853), der Mitglied der Aka­ demie der Wissenschaften in Paris und zugleich Angehöriger der Deputier­ tenkammer war. Arago war der Typ des liberalen, fortschrittlichen und enga­ gierten Naturwissenschaftlers und Politikers. Er zeigte sofort außerordentli­

ches Interesse für die Erfindung, in der er auch die sich abzeichnenden An­ wendungsbereiche klar erkannte. Die erste Mitteilung Aragos an die französische Akademie erfolgte am 7. Januar 1839, in der er die Ergebnisse Daguerres in groben Umrissen schilder­ te und bereits hier auf mögliche Anwendungsbereiche des Verfahrens hin­ wies. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch schon der deutsche Naturforscher und Geograph Alexander Frhr. v. Humboldt (1769-1859) und der französi­ sche Physiker Jean-Baptiste Biot (1774-1862) die Arbeitsergebnisse Da­ guerres begutachtet. Beide, ebenfalls Mitglieder der französischen Acadé­ mie, waren von der technischen Brillanz des Verfahrens begeistert. Am 14. Juni 1839 kam ein Vertrag zwischen der französischen Regierung und I. Niepce und Daguerre zustande (Abbildung 23). Mit dem Ankauf die­ ser Erfindung, nun Daguerreotypie genannt, hatte der französische Staat das Recht erworben, diese Erfindung der Öffentlichkeit zu übergeben. Dafür wurde Niepce und Daguerre eine lebenslange, jährliche Staatsrente von 4000

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23: Titelblatt der Veröf­ fentlichung des Gesetzes über den Ankauf des Daguerreotypie-Verfahrens durch den französischen Staat am 14. Juli 1839. (Vollkommener Wortlaut des Gesetzes mit deut­ scher Übersetzungs. An­ hang 2)

Francs zugestanden. Außerdem erhielt Daguerre für sein Anfang Mörz 1839 abgebranntes Diorama eine ebenfalls jährliche Sonderrente von 2000 Francs. Diese Beträge erlaubten beiden, das Leben eines gehobenen, privile­ gierten Bürgers zu führen (Anhang 2). Am 3. Juli 1839 erstattete Arago vorder Deputiertenkammer Bericht über das Verfahren zur Prüfung des Gesetzentwurfes über die Bewilligung des Ankaufes durch den französischen Staat und der Gewährung der Pensionen für Daguerre und Niepce (Abbildung 24). In einer ausführlichen Rede ging er auf das Verfahren ein und begründete die Einmaligkeit der Erfindung, wobei er auch die Arbeiten von J. Nicöphore Niepce und deren Bedeutung für die Erfindung würdigte. Im weiteren beschrieb er die Anwendungsmög­ lichkeiten des Verfahrens, bezogen auf drei Bereiche: - Für Archäologie und Kunst wies er auf die rasch und technisch perfekt durchzuführende Möglichkeit hin, historische Bauwerke, Hieroglyphen

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RAPPORT ©3 Ul» AHÛDD SVK Lt

24: Titelblatt des Berich­ tes über das Verfahren Daguerres, den François Arago am 3. Juli 1839 der Deputiertenkammer er­ stattete. (Wortlaut des Berichtes in deutscher Übersetzungs. Anhang3)

DAGUERRÉOTYPE, Lu à la icnnce de la Chambre des Députes le 5 juillet 1*39,

A LACADÉMIE DES SCIENCES, trance du 19 août.

•I

BACHELIER, IMPRIMEUR-LIBRAIRE (Du l&uttau

-Qoh.j.IuÎ)w, ele.,

QUAI DES AUGUSTINS,

55.

1039

usw. im Bild zu konservieren. Für den Künstler konnte sich ein leicht handhabbares Mittel ergeben, um Studiensammlungen und Skizzen anzu­ fertigen. - Für die Allgemeinheit hob er den Aspekt der Gemeinnützigkeit und die leichte Handhabbarkeit des Verfahrens hervor. - Für Naturwissenschaft und Technik ging er mit dem Weitblick des Natur­ wissenschaftlers bereits auf Anwendungsmöglichkeiten ein, die für die da­ malige Zeit utopisch klangen, sich heute jedoch längst realisiert haben, nämlich auf die Möglichkeit, auch fotografische Mondkarten herzustellen, auf die Anwendung im Bereich der Fotometrie (Lichtmessung), der Mi­ krofotografie und der Meteorologie, auf die Anwendungsmöglichkeiten im Bereich der Physiologie und Me­ dizin.

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Im letzten Teil seiner Rede hob er noch das hohe Maß an technischer Voll­ kommenheit des Verfahrens im Vergleich zu bereits vorliegenden fotografi­ schen Ergebnissen von Forschem anderer Länder hervor und schloß mit der patriotischen Feststellung, Frankreich habe diese Entdeckung adoptiert, sich vom ersten Augenblick an stolz gezeigt, die ganze Welt damit freigebig be­ schenken zu können (Anhang In der Pairskammer referierte am 30. Juli 1839 der berühmte Chemiker L.-J. Gay-Lussac (1778-1850) in gleich positiver Art überdas Verfahren. Er ging auf die nutzbringenden Anwendungsmöglichkeiten in den Bereichen

der perspektivischen Darstellung von Landschaft und Gegenständen ein, die für den Gebrauch des Künstlers ebenso geeignet seien wie für den des Archi­ tekten, Reisenden und Naturhistorikers. Er hob ferner noch die Anwendbar­ keit zur Herstellung von Porträts hervor. Außerdem wies er auf die Bedeu­ tung des mit dem Staatsankauf verbundenen Nutzungsrechts für die Allge­ meinheit hin: «Im Besitze des Einzigen würde es (das Verfahren, Anm. d. Verf.) ferner lange Zeit auf demselben Standpunkt bleiben und vielleicht verblühen; dem Publikum überge­ ben, wird es groß und vollkommen werden durch das Zusammenwirken Aller.» (Eder, J. M.: Geschichte der Photographie, 1932, S. 313)

Das Gesetz wurde von beiden Kammern nahezu einstimmig ange­ nommen. Hierauf kam es am 19. August 1839 in einer Sitzung der Pariser Akademie der Wissenschaften zur Verkündung des Ankaufs des Verfahrens mit einer genauen Beschreibung der fotografischen Prozesse von Niepce und Daguerre durch Arago. " Historisch bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß durch den Staats­ ankauf das Verfahren nicht nach patentrechtlichen Bedingungen benutzt werden konnte, sondern der Öffentlichkeit zur freien Handhabung überge­ ben wurde, wodurch dem neuen Medium außer der wissenschaftlich-techni­ schen lind der kulturellen auch eine gewisse politische Bedeutung zukam. Dieser Umstand hat ohne Zweifel die rasche Verbreitung des fotografischen

Verfahrens speziell in Frankreich enorm vorangetrieben. Waren auch in England und Deutschland bis zum Jahre 1839 parallel und unabhängig von­ einander bereits andere fotografische Verfahren entwickelt worden, so gin­ gen doch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die entscheidenden Entwicklun­ gen und die große Popularität des neuen Mediums von Frankreich aus. Öie

Veröffentlichung der Erfindung löste in Frankreich euphorische Begeiste­ rung und im Ausland lebhaftes Interesse aus, das eine Reihe von technischen Weiterentwicklungen hervorbrachte.

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Das Verfahren und die Auswertung der Daguerreotypie

Das Funktionsprinzip der Daguerreotypie beruht darauf, mit einer Kamera (Camera obscura) auf lichtempfindlichem Material ohne Zuhilfenahme von sonstigen Hilfsmitteln und ohne gestalterische Nachbearbeitung ein getreues Abbild von Natur zu schaffen, d. h. die Natur durch reflektiertes Licht sich selbst zeichnen zu lassen. Die Daguerreotypie zeichnet sich durch eine außerordentliche Brillanz der Abbildung aus, wie sie in keinem fotografischen Versuch und Ergebnis vor­ her erreicht worden war (Abbildung 25). Der Bildträger war eine Silberplat­ te bzw. eine versilberte Kupferplatte, worauf direkt das Positiv entstand. Die Daguerreotypie war ein Unikat, d.h. man konnte davon keine fotografi­ schen Abzüge herstellen. Für die Herstellung einer Daguerreotypie waren, etwas verkürzt beschrieben, folgende Arbeitsschritte nötig: - Eine Kupferplatte wird «silberplattiert», d. h. es wird eine dünne Silber­ platte aufgelötet, deren Oberfläche poliert und gereinigt wird. - Die Platte wird Joddämpfen ausgesetzt (Abbildung 26), wobei sie durch das entstehende Silberjodid lichtempfindlich, d. h. sensibilisiert wird.

25: Fossilien, von Daguerre um 1839 aufgenommen. Das Bild macht die Brillanz der fotografischen Abbildung deutlich, die zu jener Zeit von keinem anderen Verfahren erreicht wurde. 52

26: Funktionsdarstellung des Kastens zum Jodieren der fotografischen Plat­ ten. Diese Abbildung ist in Daguerres Anleitungs­ broschüre zur Herstellung von Daguerreotypien aus dem Jahr 1839 enthalten. (Lithographie 1839)

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.J - Die Platte wird nun in einem abgedunkelten Raum in einen Rahmen ge­ setzt und in die Kamera eingelegt (Abbildung 27), die dem einfachen Kon­ struktionsprinzip einer Camera obscura entspricht. - Der Verschluß der Kamera wird je nach den Lichtverhältnissen 3 bis 30 Minuten geöffnet. - Die so belichtete Platte, auf der noch kein Bild sichtbar ist, wird nun ent­ wickelt, indem sie im Winkel von 45° in einem Behälter angebracht wird 53

Zb. Funktionsdarstellung der von Daguerre benutz­ ten Kamera aus der Anlei­ tungsbroschüre von 1839 (s. Abb. 30und 33). Fig. 1 zeigt den hinter der Visierscheibe schräg an­ gebrachten Spiegel (F), der für den von oben dar­ aufblickenden Beschauer das verkehrte Kamerabild richtigzeigte. Nach der Einstellung des Motivs wurde die lichtempfindli­ che versilberte Kupfer­ platte zur Belichtung ein­ gelegt (G). Die Platten hatten meist das Format von 16,5 x 22cm. Fig. 2 zeigt den Kameraver­ schluß (J) vor dem Objek­ tiv (M).

(Abbildungen 28 und 29). In diesem wird durch eine Spirituslampe Queck­ silber auf 60 bis maximal 75 Grad erhitzt. Durch das Einwirken des entste­ henden Quecksilberdampfes wird das latente Bild sichtbar. - Nach einer kurzen Zwischenwässerung in reinem Wasser kommt die Platte in eine schwache Salzlösung, besser noch in eine Hyposulfitlösung. - Das Bild wird nun fixiert, d. h. stabilisiert, wobei durch die Salzlösung die noch lichtempfindlichen Silberjodidteilchen chemisch neutralisiert und damit lichtunempfindlich gemacht werden.

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28: Behälter zum Entwic­ keln der belichteten Daguerreotypie-Platte, die darin in einem Winkel von 45° eingelegt wird. Unter der Platte wird das sich in einer Schale befindende Quecksilber auf 60 bis ma­ ximal 75 Grad erhitzt. Durch das Einwirken der entstehenden Quecksil­ berdämpfe wird das «la­ tente» Bild sichtbar. (Li­ thographie 1839)

- Die Platte wird einer Schlußwässerung in reinem Wasser unterzogen, um die Salz- bzw. Hyposulfitlösung auszuwaschen, und anschließend ge­ trocknet.

Da das Verfahren am 19. August 1839 von Arago lediglich theoretisch erklärt worden war, bestand natürlich lebhaftes Interesse daran, die Herstellung ei­ ner Daguerreotypie praktisch zu erleben. Daguerre veranstaltete deshalb in der Folgezeit Vorführungen sowohl vor Künstler- und Joumalistenkreisen in 55

29: Entwicklungsgerät aus der Daguerreotypie-Einrichtung von Voigtländer, 1841, das zu der von ihm im gleichen Jahr konstru­ ierten Metallkamera ge­ hörte. (Original im Deut­ schen Museum, Mün­ chen)

seinem Atelier, als auch vor größerer Öffentlichkeit. Dieses praktische Erle­

ben des Entstehens einer Daguerreotypie rief bei den Zuschauern eine unge­ heure Faszination hervor; trotz der rationalen Denkweise des 19. Jahrhun­ derts war der Vorgang gewissermaßen von einer Aura des Magischen umge­ ben (s. Anhang 4). Eine Faszination, die die Fotografie auch heute noch ohne Zweifel auf den Laien ausübt und die ihre Auswirkung hat im Aufblü­ hen einer enorm expandierenden Fotoindustrie, die vor allem vom Fotoama­ teur lebt. Daguerre bewies vor allem aber auch seine Eigenschaften als tüchtiger Geschäftsmann. So hatte er schon während der Verhandlungen mit der fran­ zösischen Regierung am 1. Juni 1839 einen englischen Patentagenten beauf­ tragt, in England ein Patent auf seine Erfindung zu beantragen, das dann bereits am 14. August 1839 erteilt wurde. Noch im Jahre 1839 hatte er sich mit dem Pariser Kamerafabrikanten A. Giroux verbunden, von dem er Original-Daguerreotyp-Kameras nach sei-

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30: Die erste nach Deutschland gelangte Originalkamera von Daguerre mit dessen Unterschrift und Siegel von Giroux. Das Kameragehäuse besteht aus zwei ineinander­ steckenden, verschiebbaren Holzkästen zur Scharfeinstellung des Motivs (s. Abb. 27). Eine einfache Metallklappe verschließt das stark abgeblendete Objektiv, das aus einer einfachen achromatischen Linse des Pariser Optikers Charles Chevalier besteht. (S. Abb. 31; Original im Deutschen Museum, München)

31: Schemazeichnung einer achromatischen Linse von Chevalier, wie sie in der Kamera Daguerres verwendet wurde. 57

nen Angaben in Lizenz herstellen ließ. Zusammen mit der notwendigen Aus­ rüstung wurden die Kameras zu einem Preis von 400 Francs, ein großer Teil davon ins Ausland, verkauft. Dieser Preis war sehr hoch, der Erwerb blieb also zu dieser Zeit nur einer ganz dünnen Oberschicht vorbehalten. Eine Vergleichszahl dazu: Als sich Niepce 1827 in London aufhielt, um sein helio­ graphisches Verfahren der Royal Society vorzustellen und anzubieten, klag­ te er über die hohen Lebenshaltungskosten von 300 FF pro Monat (Newhall, B.: Die Väter der Fotografie, 1978, S. 71). Trotz des hohen Preises fanden Daguerres Apparate reißenden Absatz. Das Kameragehäuse bestand aus zwei ineinander verschiebbaren Kästen aus Mahagoniholz, die durch Verschiebung die Scharfeinstellung ermöglich­ ten. An der Rückseite der Kamera war eine Mattscheibe angebracht.

32: Das Schild, das die Authentizität der Kameras nachwies, die Alphonse Giroux unter der Lizenz Daguerres baute und vertrieb. Die Aufschrift lautet übersetzt: Es wird für keinen Apparat Garantie gewährt, wenner nicht die Unterschrift von M. Daguerre und das Siegel von M. Giroux trägt. Der Daguerreotype, ausgeführt unter der Leitung seines Erfinders. In Paris bei Alph. Giroux und Cie., Rue de Coq St. honoré, No. 7. (Original im Deutschen Museum, München) 58

33: Titelblatt der zweiten, korrigierten Ausgabe der Anleitungsbroschüre zur Herstellung von Daguerreotypien, 1839.

BAHIllKttTTII ct t»u Diorama, PAH DAGUERRE, FruiUr . m«e«ileur du D>»ran» , Oflwirr de la Legion-d'Honneur , membra de pluneur« AeadAmae« , eM MI COQ-AAIRT-OOROrR , ■* 7,

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Ein dahinter im 45°-Winkel aufgeklappter Spiegel richtete für den von oben daraufblickenden Beschauer das verkehrte Kamerabild aufrecht. Nachdem die Einstellung auf der Mattscheibe vollzogen war, wurde die Rückwand ab­ genommen und dafür die Kassette mit der lichtempfindlichen Platte einge­ setzt, meist im Format 16,5x22 cm, für unsere heutigen Verhältnisse ein Riesenformat (Abbildung 30). Vor dem Objektiv mit einer achromatischen Linse von Chevalier (Abbildung 31) war eine Metallklappe angebracht, die für die Zeit der Belichtung geöffnet wurde, eine Vorrichtung, die wir heute als Kameraverschluß bezeichnen. Die Kamera war im Prinzip leicht nachzubauen. Um die Attraktivität der Authentizität wenigstens so weit und lange wie möglich auszunützen, wurde an jeder Kamera ein ovales Schild angebracht, auf welchem - übersetzt stand:

«Es wird für keinen Apparat Garantie gewährt, wenn er nicht die Unterschrift von M. Daguerre und das Siegel von M. Giroux trägt» (Abbildung 32). 59

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34: Titelblatt der deut­ schen Ausgabe von Da­ guerres Anleitungsbro­ schüre, 1839.

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