Anerkennung und Widerstand: Lokale islamische Identitätspraxis in Hamburg 9783839438923

The process of mutual negotiations between the Islam and Hamburg illuminates acknowledgment and resistance as ambivalent

189 61 2MB

German Pages 286 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Danksagung
I. Einleitung
II. Über Islam sprechen
III. Lokalität, Identität, Aushandlung
IV. Das lokale Feld
V. Fallstudien
VI. Verdichtung und Diskussion der Forschungsergebnisse
Literatur- und Quellenverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen
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Anerkennung und Widerstand: Lokale islamische Identitätspraxis in Hamburg
 9783839438923

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Laura Haddad Anerkennung und Widerstand

Globaler lokaler Islam

Für »Hans-Ali«

Laura Haddad, geb. 1984, forscht zu lokalem Islam, interreligiösen Initiativen und der Pluralisierung von akademischer Theologie an der Akademie der Weltreligionen, Universität Hamburg, und dem Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, Universität Osnabrück.

Laura Haddad

Anerkennung und Widerstand Lokale islamische Identitätspraxis in Hamburg

Zugleich: Osnabrück, Universität, Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften, Dissertation, 2016.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3892-9 PDF-ISBN 978-3-8394-3892-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Danksagung | 9 I.

Einleitung Hamburger Islamproduktion im Spannungsfeld lokaler Aushandlungen und europäischer Diskurse | 11

1 2

Der raumtheoretische Zugang oder welcher Islam? | 13 Aufbau der Arbeit | 16

II. Über Islam sprechen Ein diskurskritischer Aufriss | 19

1 2

3

Europa, Deutschland und Islam als diskursive Gegensätze | 20 Diskursstränge und ihre Verortung | 26 2.1 Anerkennung | 26 2.1.1 Politisch-rechtliche Anerkennung von Islam in Europa | 26 2.1.2 Islam als Sicherheitsproblem oder: Von Integration zu governance | 31 2.1.3 Gesellschaftliche Anerkennung – Sichtbarkeit | 36 2.2 Widerständige Identitäten | 41 2.2.1 Euro-Islam | 42 2.2.2 Islamophobie, Muslimfeindlichkeit und die Neuaushandlung des Eigenen und des Fremden | 46 2.2.3 Diversität und hybride Identitätskonstruktionen | 50 Konzeptualisierung des Forschungsvorhabens | 56 3.1 Jenseits des Werte-Diskurses | 56 3.2 Die gemeinsame Produktion von lokalem Islam – Das Forschungsvorhaben | 58

III. Lokalität, Identität, Aushandlung Bestimmung des theoretischen „Vokabulars“ für die empirische Analyse | 63

1

Lokalität | 66 1.1 Räume und ihre Herstellung – Zum spatial turn in den Kulturwissenschaften | 66 1.2 Lokalität, Globalisierung und (nationale) Grenzen als räumliche Formen | 67

2

3 4

5

6

Die Stadt als Untersuchungseinheit des Lokalen? | 72 2.1 Stadttypologien | 76 2.2 Lokalität als Identitätsmarker | 80 Die postsäkulare Stadt – Lokalität und Religion | 82 Identität | 83 4.1 Vom handelnden Subjekt zu fragmentierter Subjektivität | 83 4.1.1 Das Projekt der Identity Politics | 86 4.1.2 Kommunitarismus als pragmatische Alternative? | 89 4.2 Anerkennung oder Widerstand – Religion im Spannungsfeld von Identity Politics und Kommunitarismus | 94 Aushandlung | 97 5.1 Praktiken – Zwischen Routine und Wandel | 97 5.1.1 Performativität | 101 5.1.2 Ritual und Transgression | 103 5.2 Religion in der Praxis | 107 Synthese – Lokale Identitäten aushandeln | 109

IV. Das lokale Feld | 113

1

2

Islam in Hamburg – eine Bestandsaufnahme | 113 1.1 Drei Fluchtlinien islamischer Präsenz in Hamburg | 114 1.2 Hamburger Institutionen mit Bezug zu Islam | 117 Ethnographie als methodologische Grundlage | 124 2.1 Rekonstruktion des ethnographischen Forschungsprozesses | 125 2.1.1 Skizze des ersten Feldkontakts | 125 2.1.2 Forschungsprogramm und Entstehung der Fallstudien | 128 2.1.3 Forschungsprogramm: Daten und Auswertung während der Feldphase und danach | 135 2.2 Fazit der Felderfahrungen | 138

V. Fallstudien | 141

1

Fallstudie A: Eine Hausordnung für den Hamburger Islam – Der „Staatsvertrag“ zwischen dem Hamburger Senat und drei islamischen Verbänden | 141 1.1 Vertragsverhandlungen als Identitätsarbeit | 142 1.1.1 Zur (Be-)Deutung des „Staatsvertrags“ | 142 1.1.2 Anstoß und Entstehungsmythen | 143 1.1.3 „Ein Vertrag für alle Verbände“? Vorstellung der betroffenen Gruppierungen | 145

2

3

1.1.4 „Gespräche über die Möglichkeiten einer Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Muslimischen Gemeinschaft“ – Verlauf der Verhandlungen | 152 1.1.5 Über Schwimmunterricht und finanzielle Unterstützung – Inhaltliche Differenzen im Aushandlungsprozess | 157 1.2 Vertragswerk als Identitätsmanifest | 160 1.2.1 Vertragstexte im Vergleich | 160 1.2.2 Hamburg erzählen | 164 1.2.3 Für die Muslime, für den Islam, für Hamburg? – Diskursive Einordnung des „Staatsvertrags“ | 166 1.3 Die Vertragsunterzeichnung – Ein ritualisierter Grund zum Feiern | 169 Fallstudie B: Kunst und Islam auf der Veddel – Corporate Citizenship und andere Identitäten | 172 2.1 Ein Dorf „im Herzen Hamburgs“ – Lokalisierung der Veddel | 173 2.1.1 Historische Entstehung und öffentliche Wahrnehmung der Veddel | 174 2.1.2 Aktuelle Entwicklungen auf den Elbinseln | 176 2.1.3 Quartiersmanagement auf der Veddel | 180 2.1.4 Religiöses Engagement – Die IGMG auf der Veddel | 182 2.1.5 Imagearbeit: Kunstförderung und die Visualisierung von Islam | 184 2.2 Kunst und „dass man damit Geld verdienen kann“ – Rekonstruktion des künstlerisch-islamischen Aushandlungsprozesses | 187 2.2.1 „Berührungsängste“ auf dem „Zahnstocher“ – Verortung der Akteure auf der Veddel | 187 2.2.2 Chronologie der Begegnungen zwischen der Quartierskünstlerin Rahel Bruns und den „Muslimischen Mädchen Veddel“ | 195 2.2.3 Die überraschend(e) Andere – Vergemeinschaftungsmomente und wechselseitige Konstruktionen | 198 2.3 Unternehmerische Rituale und die Grenzen von Corporate Citizenship | 202 Fallstudie C: „Außen Kirche, innen Moschee“? Zur transreligiösen Umwandlung eines Gotteshauses | 205 3.1 Topographisch-historische und diskursive Einbettung | 207 3.1.1 St. Georg und die Konjunktur islamischer Gotteshäuser | 207 3.1.2 Raumkonstruktion und Religionsrecht – Von „predigenden Steinen“ und „unwürdigen“ Tiefgaragen | 209 3.2 Die Kapernaumkirche im Stadtteil Horn und im öffentlichen Diskurs um Moscheebaukonflikte | 213

3.3 Inszenierung eines Gotteshauses – Teilnehmende Beobachtung der Umwidmung | 219 3.3.1 Dialog und Transgression | 219 3.3.2 Statusunsicherheiten bei Gast und Gastgeberin | 221 3.3.3 „Liebe geht durch den Magen“ – Die kulinarische Dimension | 223 3.3.4 Innen Anteilnahme, außen Abgrenzung | 225 3.4 Essen und Sauberkeit – Integration auf der Baustelle | 227 VI. Verdichtung und Diskussion der Forschungsergebnisse | 233

1

2

3

Islam lokalisieren – zum Nutzen raumtheoretischer Kategorien für die Analyse sozialer Aushandlungsprozesse | 233 1.1 Ritual und Scheitern | 235 1.2 Transgression – Unterbrechung – Grenzüberschreitung | 236 1.3 Routinen und Wandel des Hamburger Islam | 237 Islam und die vielfältige Hamburger Stadtgesellschaft – eine synthetische Verdichtung der Fallstudien | 239 2.1 Islam und die unternehmerische Stadt | 242 2.2 Muslimische Gastfreundschaft als Beitrag zur unternehmerischen Stadt | 244 Fazit – Hamburger Islam zwischen Anerkennung und Widerstand | 247

Literatur- und Quellenverzeichnis | 253

Primärquellen (Eigene Interviews und Feldnotizen) | 253 Sekundärquellen | 254 Verzeichnis der Abkürzungen | 283

Danksagung

Ich möchte meinem Betreuer Prof. Dr. Andreas Pott von Herzen danken. Ich hätte mir weder fachlich noch menschlich einen besseren vorstellen können. Allen Mitgliedern der interdisziplinären Forschergruppe „Bürgerschaft und Zugehörigkeit in Europa“ der Universität Osnabrück bin ich sehr dankbar für die Möglichkeit, mein Promotionsvorhaben immer wieder zur wohlwollend kritischen Diskussion stellen zu können. Insbesondere meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Arnulf von Scheliha möchte ich für seine wertvollen Ratschläge und sein echtes interdisziplinäres Verständnis danken. Mit Dr. Vivien Neugebauer verbindet mich mehr als diese Arbeit. Aber damit hat alles angefangen. Maryam Laut, Matthias Land, Jannis Michalk und Irmgard Missall danke ich für ihre Hilfe, bei all dem, was ich nicht gut kann und meiner Familie für alles, was sonst gefehlt hätte. Matthias Kemmerich danke ich für seine ewige Geduld mit mir. Und den Rest. Ohne Sümeyye, Rahel Bruns, Daniel Abdin, Dr. Jürgen Schween und viele andere, wäre es mir nicht möglich gewesen, diese Arbeit zu schreiben. Und es bleibt fraglich, ob es eine andere hätte werden können. Allen, die mir Auskunft gaben, mich zusehen ließen und mir Tee anboten, bin ich zutiefst zu Dank verpflichtet.

Hamburg, Februar 2017

Laura Haddad

I. Einleitung Hamburger Islamproduktion im Spannungsfeld lokaler Aushandlungen und europäischer Diskurse

Anerkennung und Widerstand gelten als gegensätzliche Konzepte sozialer Identitätskonstruktion. In den klassischen soziologischen Theorien wurden „Aufruhr, Protest und Widerstand“ (Honneth 2003: 258) aus der Konzeptualisierung von Anerkennung ausgeklammert und als „opposition to the things that the powerful do“ (Pile/Keith 1997: im Einband) chiffriert. Identität wird jedoch im Spannungsfeld von Anerkennung und Widerstand stetig neu ausgehandelt. Anerkennung geht mit der Festschreibung des Anerkannten einher und bringt damit unweigerlich Ausschlüsse und Ambivalenzen hervor, gegen die sich marginalisierte Positionen widersetzen, um berücksichtigt und dementsprechend selbst anerkannt zu werden. Auch die Anerkennung von Islam in Europa ist daher in verschiedener Hinsicht mit Widerstand verbunden. Der europäische Islamdiskurs würdigt diesen Zusammenhang bisher kaum. Vielmehr bleibt er dem segmentierten Studium von Anerkennungspolitiken auf der einen Seite und Widerstandsstrategien auf der anderen Seite verhaftet.1 Seit mehr als 25 Jahren beschäftigen sich Sozial- und Religionswissenschaftler2 mit der „neuen islamischen Präsenz“ (vgl. Gerholm/Lithman 1988) in Europa und folgen dabei grob zwei diskursiven Fluchtlinien: der Dokumentation und vergleichenden Analyse von islamischen Institutionalisierungsprozessen und der Untersuchung von islamischer Religiosität vor dem Hintergrund von Migrationsund Minderheitenerfahrungen. Während in beiden Bereichen durchaus wertvolle

1

Eine Ausnahme bildet die umfassende Studie „Muslims in the Enlarged Europe“

2

Aus Gründen der Lesbarkeit benutze ich in der vorliegenden Arbeit das generische

(Maréchal, Allievi, Dassetto, Nielsen: 2003). Maskulinum, wenn sowohl Männer als auch Frauen gemeint sind.

12 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND

Erkenntnisse gesammelt werden, bleiben die jeweiligen Diskursarenen weitgehend unvermischt. Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, die Binarität der europäischen Islamforschung aufzubrechen, um den Blick auf neue räumliche Formatierungen, Grenzziehungen und Lokalisierungen zu richten und herauszufinden, wie gegenwärtige Kooperationen, Konflikte und Vergemeinschaftungen muslimischer und nicht-muslimischer Akteure adäquat abzubilden sind. Das offizielle Ringen um Anerkennung ist durch lineare und um Widerspruchsfreiheit bestrebte Positionen der politischen Akteure gekennzeichnet, die als Bestandsaufnahmen und formal komparative Analysen Eingang in die akademische Diskussion finden und als ein Diskursstrang zusammengefasst werden können (vgl. Halm 2008; Meyer/Schubert 2011; Koenig 2003). Die Ausgestaltung europäischer Islampolitiken ist ein relativ junges Phänomen, das aus einer top-down-Perspektive die Einbindung von Islam in Europa steuern soll. Ein zweiter Diskursstrang konzentriert sich auf die informellen, kollektiven Situierungen mit islamischem Bezug. Darin manifestieren sich Positionen, die widerständige, konflikthafte Bestrebungen betonen und damit als bottom-upAnsätze klassifiziert werden können. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Religiosität, kulturellen Verortungen und Selbstethnisierungen der zweiten und dritten Einwanderergeneration dokumentieren die Differenzierung islamischer Religiosität und widersetzen sich damit einer Vereinheitlichung von Islam. In Zusammenhang mit der Intersektionalität von Religion, Ethnizität, Geschlecht und anderen Kategorisierungen sind diese hybriden muslimischen Positionen zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung avanciert (vgl. Nökel 1999; Tietze 2001; Nökel 2004; Otterbeck 2011).3 Darüber hinaus stehen auch Islamophobie und Muslimfeindlichkeit als widerständige Positionen gegenüber der Anerkennung von Islam in Europa im Fokus sozialwissenschaftlicher Forschung (vgl. Foroutan 2010, 2011; Çakir 2014) Die Forschungsansätze deuten eine Diskrepanz zwischen institutionalisiertem Islam und verkörperten (anti-)muslimischen Praktiken an (vgl. Bader 2007). Diese Lücke wird aber nicht konzeptionell geschlossen und so fehlt es beinahe vollständig an akademischen Versuchen der Synthese aus Subjektivierung und Institutionalisierung von Islam. In der diskursiven Trennung von Subjektivierung und Institutionalisierung reproduziert sich eine folgenreiche Dichotomie: Islam und Europa werden seit jeher als komplementäre Gegensätze konstruiert (vgl. Said [1978] 2003). Daran

3

Spielhaus reflektiert diese wissenschaftliche Aufmerksamkeit kritisch als „Boom in der Forschung über Muslime“ (Spielhaus 2011: 189).

E INLEITUNG

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hat auch die neuere Forschung, die sich mit der muslimischen Bevölkerung in Europa beschäftigt, bisher nicht gerüttelt. Sowohl innermuslimische Konflikte als auch Islamophobie und affirmative nicht-muslimische Positionen prägen den Prozess der Anerkennung und bringen ihn mit hervor (vgl. Laclau 1990: 27). Diskutiert wird aber vor allem über die Fremdheit des Islam und in diesem Zusammenhang über „eine neue islamische Präsenz“ in Europa (Tiesler 2006: 36). Diese Präsenz, die der Formulierung nach als stabiler Zustand konstruiert wird, wirft die Frage der Vereinbarkeit von islamischen und europäischen Werten auf (Huntington 1993; vgl. Leggewie et al. 2002; Kandel 2004). Islam und Europa sind jedoch keineswegs statische Konzepte, sondern veränderbare Produkte lokaler Aushandlungen.

1 D ER

RAUMTHEORETISCHE ODER WELCHER I SLAM ?

Z UGANG

Der Hamburger Islam, der im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht, wird von muslimischen und nicht-muslimischen Akteuren praktiziert, anerkannt und in Frage gestellt. Er ist ein höchst situatives, soziales Produkt aus unterschiedlichen Gelegenheiten und konfligierenden Akteurspositionen, eine Lokalisierung von Islam. Den fehlenden Weitblick bisheriger Forschung mit der vergleichbar lupenhaften Analyse von Aushandlungspraktiken in Hamburg zu beheben, klingt widersprüchlich. Dass es sich dennoch lohnt, ist der räumlichen Konzeptualisierung geschuldet, die Islam zu lange als universelles, weltweit einheitliches Phänomen gefasst hat und damit etwas Entscheidendes verdeckte. Während sowohl die Institutionalisierung als auch die subjektive Verortung islamischer Ausdrucksformen durchaus an lokale Kontexte rückgebunden werden, bleiben ihre Wechselwirkungen unterbelichtet. Islam wird als monolithisches Konzept operationalisiert, das anhand lokaler, nationaler und globaler Ordnungen gesteuert werden muss. Dass die Herstellung von Islam selbst ein sozialer Prozess ist, der bereits in unterschiedlichen räumlichen und geschlechtlichen, ethnischen und diversen anderen Positionierungen vollzogen wird, gerät dabei aus dem Blickfeld. Die Verbindung zwischen institutionalisiertem, anerkanntem Islam und den Aushandlungsprozessen von Akteuren, die sich darauf beziehen oder davon abgrenzen, lässt sich eben nur sichtbar machen, wenn die Tatsache berücksichtig wird, dass es den Islam nicht gibt (vgl. Filali-Ansari 2004; Roy 2006: 24f.). Der Islamdiskurs ist durch einen verzerrenden Raumbegriff gekennzeichnet, der in wissenschaftlichen Abhandlungen kaum kritische Beachtung findet. Die

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Gegenüberstellung von Islam als das Andere Europas wurde durch die Kolonialisierung muslimisch geprägter Bevölkerungen manifestiert und durch das Ende des Ost-West-Konflikts neuerlich gefestigt (vgl. Attia 2009: 74). Daraus resultiert eine Dichotomie von Muslimen und Nicht-Muslimen, die zumindest vor dem 11. September 2001 spezifisch europäisch war und auch heute noch außerhalb Europas ihresgleichen sucht.4 Wie lässt sich diese Dichotomie, angesichts der wachsenden Diversität europäischer Gesellschaften konzeptionell überwinden (vgl. Vertovec 2007; Schneider et al. 2015)? Wenn die inhaltlichen Debatten um die Frage nach der Vereinbarkeit von islamischen und europäischen Werten kreisen, scheint es wenig fruchtbar, sie als gegenläufige Diskurspositionen immer wieder festzuschreiben. Als Beispiel dafür lässt sich das Sprechen über eine einheitliche muslimische Community in Deutschland anführen, die als Idealtypus konstruiert wird, jedoch bisher nicht als solche besteht (vgl. Halm 2008: 8). Dafür mehren sich die Beispiele lokaler und landesweiter Anerkennungsinitiativen verschiedener Islammodelle, wie sich an der Einrichtung von „Runden Tischen“, Verhandlungen zu „Staatsverträgen“5 und der Entwicklung islamischer Curricula für den Religionsunterricht zeigen lässt (vgl. Spielhaus/Herzog 2015). Wer diese (rechtliche) Diversität konzeptionell berücksichtigen möchte, muss die Kontextualisierung der Diskurspositionen angemessen in seine Analyse integrieren und die damit verbundenen Praktiken und Alltagsroutinen in den Blick nehmen. Diese lassen sich in konkreten Situationen der interreligiösen Begegnung und Zeremonien beobachten, die parallel zu den meist normativen Debatten zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ablaufen. Die Rituale der kulinarischen Bewirtung und Gastfreundschaft stellen in diesem Zusammenhang wichtige Momente der performativen Aushandlung der Beteiligten dar. Dieser Ansatz erfordert eine räumliche Perspektive, die sich, wenn nötig, von der vorgefertigten nationalstaatlichen Rahmung, dem „methodologischen Nationalismus“ (Wimmer/Glick Schiller 2002) löst. Um die Prozesshaftigkeit von Islam hervorzuheben, verwende ich den Begriff in der vorliegenden Arbeit ohne Artikel, es sei denn, ich beziehe mich auf eine bestimmte Ausprägung, wie den Hamburger Islam, den ich analytisch herausarbeiten werde. Dabei gilt es, der „Raumfalle“ (Lippuner und Lossau 2004) zu entgehen und Raum nicht als fest-

4

Vor 9/11 wurden im US-amerikanischen Selbstverständnis vor allem spanischsprachige Einwanderer als die Anderen der nationalen Identität angesehen (vgl. Zolberg und Woon 1999).

5

Ich nutze den Begriff in Anführungszeichen, da es Kontroversen über seine Verwendung gibt. Näheres dazu in der Fallstudie A, Kapitel V.1.1.

E INLEITUNG

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stehenden Container zu konzeptualisieren, sondern in Anlehnung an Henri Lefèbvres Definition von „space“ als „set of relations between things“ (Lefèbvre [1974] 2007: 83) ein wechselseitiges Verständnis sozialer Raumproduktion zu entwickeln. Lefèbvre, der als soziologischer Vordenker des spatial turn gilt, betonte den Zusammenhang zwischen sozialen Aushandlungen und räumlichen Verortungen (ebd.: 401ff.). Diese räumlichen Verortungen, die er als Unterpfand sozialer Beziehungen fasst (ebd.), sind es, die einen neuen Zugang zum Diskurs um Islam in Europa versprechen. Um diese räumlichen Verortungen zu analysieren, habe ich ein ethnographisches Forschungsprogramm entwickelt, das in Anlehnung an Lefèbvre „die Stadt als eine vermittelnde Instanz zwischen makrogesellschaftlichen Strukturen und mikrogesellschaftlichem Handeln“ (Eckardt 2004: 26) fasst, ohne dabei raumdeterministisch zu argumentieren. Die „Regionalisierung“ (Werlen 2007: 197) Hamburgs, die aus diesem Forschungsdesign erwächst, stellt dementsprechend eine Form von „wissenschaftlichem Geographie-Machen“ (ebd.: 201) dar, das nach einer stetigen, konzeptionellen Infrage- und In-Rechnung-Stellung verlangt.6 Als kosmopolitische Großstadt, wie sie oft gerühmt wird (vgl. Scholz 2012), stellt Hamburg eine geeignete Projektionsfläche dar, auf der Tugenden wie Gastfreundschaft und soziales Engagement religiös konnotiert und für die städtischen Narrative fruchtbar gemacht werden können. Das Modell der europäischen Stadt fungiert als analytisches Verbindungsstück zwischen dem universellen europäischen Islamdiskurs und dem „Unternehmen Hamburg“ (Dohnanyi zitiert nach Albers 2011: 36), das versucht, seine historischen, wirtschaftlichen und geographischen Gegebenheiten als attraktive Standortfaktoren zu vermarkten und in diesem Zusammenhang auch Islam nutzbar zu machen. Die hamburgische Islampolitik, lässt sich einerseits als „historisch einzigartige[r] Einigungsprozess“ (Spielhaus 2011: 21) beschreiben, der mit der Gründung der ersten SCHURA Deutschlands begann und sich mit der Vorreiterrolle Hamburgs in der rechtlichen Anerkennung von Islam fortsetzte.7 Andererseits ist die islamische Institutionalisierung keineswegs hamburgspezifisch, sondern lässt sich in ver-

6

Diesen Schritt vollziehe ich explizit in den Kapiteln IV.1 und IV.2 sowie in einzelnen Analyseschritten der Fallstudien. Visuell bezieht sich die Abbildung „Hamburg“ (Teil IV.2.1, S. 140) mit den relevanten Lokalitäten meiner Feldforschung auf Werlens Forschungsprogramm (vgl. Werlen: 2007). Sie dient der Veranschaulichung des empirischen Settings und stellt durch ihre reduzierte Form gleichzeitig eine Kritik scheinbar objektiver Karten dar.

7

Die SCHURA ist der Rat islamischer Gemeinschaften in Hamburg. Ich gehe in IV.1.2 näher auf sie ein.

16 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND

schiedenen europäischen Kontexten beobachten (vgl. Tezcan 2012: 22). Vor diesem Hintergrund bietet sich Hamburg wie jede andere europäische Stadt, in der Islam verhandelt wird, an, um das lokale Spannungsfeld von Islamdiskurs und Islam-Praktiken zu untersuchen. Die ethnographische Methodologie, die ich mir in der vorliegenden Arbeit zu eigen mache, basiert auf der intensiven Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld und stellt damit eine wissenschaftliche Konstruktion von Lokalität dar, die über die Einschreibung der Forscherin in den Untersuchungsraum gelingt (vgl. Hirschauer/Amann 1997: 10). Während die Ethnographie ursprünglich Alltagskulturen und Rituale von als fremd konstruierten Gesellschaften untersuchte, hat sich das Forschungsinteresse in jüngerer Zeit auf die „Befremdung der eigenen Kultur“ (ebd.: 7) ausgeweitet. Ihr ritualtheoretisches Instrumentarium ist geblieben. Es stellt noch immer eine Hermeneutik dar, die formalisierte Szenen wie die Unterzeichnung des „Staatsvertrags“ im Hamburger Rathaus als Inszenierung fasst, mit der eine geordnete gesellschaftliche Transformation performativ umgesetzt wird. Das Konzept der Transgression ergänzt die formalisierte Logik von Ritualen durch die Erfassung irregulärer Grenzüberschreitungen von bestehenden Wissensordnungen. Mithilfe der Kombination von Transgression und Ritual verspricht der ethnographische Analysezugang ein besseres Verständnis formalisierter und neuer Aushandlungsprozesse von Islam in Hamburg, als dies bisher zur Verfügung steht.

2 A UFBAU

DER

A RBEIT

Das Sprechen über Islam, das den Problemaufriss in Teil II strukturiert, ist zweigeteilt. Anerkennung und Widerstand stellen die Deutungsmuster dar, mit denen Islam in Europa gegenwärtig verhandelt wird. Im Anschluss an die kritische Skizzierung des normativen Diskurses um die Vereinbarkeit von islamischen und europäischen Werten, lege ich das Konzept der Untersuchung dar, das stattdessen auf pragmatische Aushandlungen der Vergemeinschaftung scharf stellt. In Teil III führe ich das theoretische Vokabular ein, auf das ich in meiner Analyse zurückgreife. Die theoretischen Abhandlungen zu Lokalität, Identität und Aushandlung resümieren jeweils die Relevanz und Prägung von Religion als sozialem Konstrukt. Auf der Basis dieser doppelten – diskursiven und theoretischabstrakten – Einbettung führe ich in den Teilen IV und V die ethnographische Analyse der Fallstudien durch. Zunächst skizziere ich die für meine Forschung relevanten Manifestationen von Islam in Hamburg in einer historisch genealogischen Bestandsaufnahme. In Anschluss daran positioniere ich mich selbst im

E INLEITUNG

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Forschungsfeld und konkretisiere meine methodologische Vorgehensweise. Die drei Fallstudien dokumentieren situative Prozesse islamisch-hamburgischer Identitätskonstruktionen, die durch Grenzüberschreitung und Ritualisierung geprägt sind. In der Rückbindung an den Diskurs um Islam in Europa lässt sich ihre Relevanz belegen und gleichzeitig die diskursive Rahmung kritisch reflektieren. Die Fallstudie A thematisiert die rechtliche Anerkennung von Islam. In der Fallstudie B geht die Imagekampagne zur Aufwertung des Hamburger Stadtteils Veddel sowohl mit dem Engagement als auch dem Unbehagen junger engagierter Musliminnen einher, während die Fallstudie C mit der Umwandlung einer ehemaligen Kirche in eine Moschee in Hamburg-Horn den Inbegriff interreligiöser Grenzüberschreitung darstellt und auch damit auf ambivalente Reaktionen stößt. Die Fallstudien B und C verhandeln also verschiedene Aspekte gesellschaftlicher Anerkennung, die sich mit den „Ambivalenzen der Sichtbarkeit“ (Schaffer 2008) beschäftigen. Allen Fallstudien inhärent ist eine performative Qualität, die über die Forderung und Gewährung von Anerkennung hinausgeht. Gegenläufige Positionen lassen die Möglichkeit des Scheiterns allgegenwärtig und konstitutiv erscheinen. Die Fallstudien offenbaren eine spezifische Kombination aus situativer Praxis und diskursiver Einbettung von Islam in Hamburg, die ich im letzten Teil (VI) in verdichtender Weise zusammenfasse und als lokalspezifische Aushandlung von Anerkennung und Widerstand pointiere.

II. Über Islam sprechen Ein diskurskritischer Aufriss

In den letzten Jahren wurde viel über Islam gesprochen und geschrieben. In Europa hat diese Diskussion zum Ende des Ost-West-Konflikts zunächst in eher punktuellen Diskursarenen begonnen und sich spätestens mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 massenmedial und öffentlich ausgeweitet. Dabei stellt sich auch die Frage, welche Diskurspositionen dominant sind und welche gesellschaftlichen Subsysteme sich daran beteiligen. Im folgenden Teil dieser Arbeit möchte ich die meines Erachtens wichtigsten Diskursstränge im Topos Islam in Europa rekonstruieren, um anschließend meine Kritik daran auszuführen und ein kontrastierendes Forschungsprogramm zu entwerfen. Zunächst ist es notwendig, meine Entscheidung für die europäische Diskursarena und gegen andere räumliche Einordnungen zu begründen und das Unterfangen der Diskurs-Rekonstruktion methodisch und theoretisch einzubetten (II.1), bevor der wissenschaftliche Forschungsstand zum Thema und seine Bezüge im medialen und politischen Kontext ausgelotet werden (II.2). Der Problemaufriss, den ich in diesem Teil der Arbeit unternehme, dient somit der Darlegung des Forschungsstandes, den ich für meine Arbeit über lokale Aushandlungsprozesse von Islam in Hamburg als relevant erachte. Gleichzeitig stellen seine dominanten Positionen ein Beispiel für die Überbetonung normativer Wertedebatten dar. Mit dem Aufbau des folgenden Kapitels reproduziere ich die Struktur des Diskurses, die sich vor allem auf der akademischen Ebene in die Beschäftigung mit Institutionalisierungsprozessen von Islam auf der einen Seite und Forschungen zu muslimischer Religiosität und subjektiver respektive kollektiver Identitätsbildung auf der anderen Seite gliedern lässt (vgl. Bader 2007). Im Anschluss diskutiere ich die problematischen Implikationen dieser Aufteilung und resümiere den Diskurs kritisch, um daraufhin meine eigene Forschungsperspektive zu erläutern (II.3).

20 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND

1 E UROPA , D EUTSCHLAND UND I SLAM ALS DISKURSIVE G EGENSÄTZE Zunächst stellt sich die Frage nach der Legitimation des von mir gesetzten diskursiven Rahmens. Siegfried Jäger spricht in seiner Einführung in die „Kritische Diskursanalyse“ (2004) von „dem historischen Apriori) [sic!] der (aktuellen) Diskurse“ (Jäger 2004: 201) und schlägt zu einem besseren Verständnis vor, deren „Genealogie“ (ebd.) zu untersuchen. Der aktuelle Islamdiskurs resultiert mit den Worten Frank J. Buijs und Jan Raths aus der folgenden Entwicklung: „The migration of Muslims to the European centers is part and parcel of the same historic process […]. Seen from the migrant’s perspective, the situation basically boils down to the phrase: we are here because you were there“ (Buijs/Rath 2003: 2).

Damit lässt sich zumindest eine historische Fluchtlinie skizzieren, die das Sprechen über Islam in Europa heute noch prägt. Während die Autoren in ihrem Überblicksartikel von 2003 betonen, dass die koloniale Vergangenheit der europäischen Nationen nur eine unzureichende Erklärung für die lokalen Bedingungen von Muslimen im Europa des 21. Jahrhunderts seien, stellt sie dennoch die historische Disposition dar, auf deren Basis sich die Islamrezeption entwickelt hat (vgl. Tezcan 2012: 21ff.). Um den aktuellen Diskurs verstehen zu können, möchte ich deshalb in gebotener Kürze erläutern, inwiefern Europa – mit Deutschland als geographisch-politischem Teil davon – und Islam narrativhistorisch als Gegenpole konstruiert wurden. Edward W. Said hat mit seinem literaturwissenschaftlichen Klassiker „Orientalism“ (erstmals erschienen 1978) den Bezug zwischen Islam und Europa zwar nur implizit diskutiert, seine Deutung prägt die Literatur darüber jedoch noch heute (vgl. Tezcan 2012). In der Einleitung schreibt er über den Titelbegriff als Weg: „of coming to terms with the Orient that is based on the Orientʼs special place in European Western experience. The Orient is not only adjacent to Europe; it is also the place of Europeʼs greatest and richest and oldest colonies, the source of its civilizations and languages, its cultural contestant, and one of its deepest and most recurring images of the Other. In addition, the Orient has helped to define Europe (or the West) as its contrasting image, idea, personality, experience“ (Said [1978] 2003: 1f.).

Ü BER I SLAM

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Obwohl der Orient, von dem Said schreibt, begrifflich sehr weit gefasst werden kann und mehr als die Religion des Islam einschließt, konvergieren Orient und Islam zumindest sequentiell (vgl. Said [1978] 2003: 17). Said nimmt mit seiner These über die europäische Erschaffung des Orients den vorwiegend britischfranzösischen Kolonialismus in den Blick, der nicht nur die Besetzung mehrheitlich muslimisch geprägter Länder mit sich brachte und die Gründung eines akademischen Faches nach sich zog, sondern auch, wie Said zeigt, das kulturelle Selbstverständnis europäischer Denker beeinflusste, die ihrerseits die Polarisierung von Ost und West, von Orient und Okzident reproduzierten (vgl. ebd.: 16). Dementsprechend fasst er in Anschluss an Michel Foucault Orientalismus als Diskurs, der von Frankreich und Großbritannien ausgehend, die wechselseitige Prägung von Europa und Islam als monolithische Blöcke hervorbringt (ebd.: 2f.). Levent Tezcan führt in seinem Buch „Das muslimische Subjekt“ (2012) eine interessante Weiterentwicklung des Saidschen Gedankens aus, die sich auf die deutsche Kolonialgeschichte und damalige Islampolitik bezieht. Er zeigt, dass die deutschen Bestrebungen zum Beginn des 20. Jahrhunderts überraschende Parallelen zum aktuellen Islamdiskurs und seinen politischen Implikationen aufweisen und stellt damit eine bisher unbeachtete historische Kontinuität fest. Tezcan leitet daraus die gegenwärtige Entwicklung verschiedener nationaler Islampolitiken in Europa ab: „In strategisch wichtigen europäischen Zentren wie Großbritannien, etwas zurückhaltender in Frankreich, Italien und den Niederlanden werden lokale migrations- und integrationspolitische Ansätze zu konzertierten Programmen einer Islampolitik gebündelt. Die Islampolitik weist trotz der völlig unterschiedlichen Kontexte der Kolonialherrschaft einerseits und des demokratischen Rechtsstaates andererseits erstaunliche Parallelen in den Motivationen, Inhalten, Lösungsvorstellungen und nicht zuletzt in den Effekten auf, die zu der Vorstellung von Islam als Einheitsgebilde beitragen“ (Tezcan 2012: 22).

Diese Beobachtung soll den folgenden Diskursaufriss historisch-thematisch einrahmen und das Produkt Islam in Europa kritisch beleuchten. Dazu gehört auch die Reflektion darüber, inwiefern Europa, das als „Behälterraum [Hervorhebung im Original, L.H.]“ (Pott 2002: 73) sowohl den Kontinent als auch die politischwirtschaftliche Europäische Union (EU) enthält, mithilfe der Abgrenzung zu Islam stabilisiert wird (vgl. Fokas 2007: 3f.). In der akademischen Literatur zum Topos Islam in Europa wird eine „historische, traditionelle und neue islamische Präsenz“ (Tiesler 2006: 36) unterschieden. Diese Unterteilung weist bereits auf die Kontinuität im Verhältnis von Islam und Europa hin, offenbart aber auch eine zu Grunde liegende Frontstellung.

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Eine Präsenz ist temporär begrenzt und relational. Der Begriff verweist implizit auf eine marginalisierte oder zumindest eine periphere Position. Die „historische islamische Präsenz“ bezieht sich auf die muslimische Herrschaft von Al-Andalus1 auf der Iberischen Halbinsel zwischen 711 und 1491, die durch die christliche Reconquista besiegt und beendet wurde. Die „traditionelle islamische Präsenz“ manifestiert sich bis heute in der muslimischen Bevölkerung in Südosteuropa, die dort zu Zeiten des Osmanischen Reichs zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert Fuß fasste. Im Gegensatz zur „historischen Präsenz“, die als allgemein bekannt gelten kann, stellt die jahrhundertelange Anwesenheit von Muslimen auf dem Balkan einen blinden Fleck im europäischen Kollektivbewusstsein dar, was die Identitätskonstruktion Europas unter Ausschluss von Islam veranschaulicht (vgl. Tiesler 2006: 40; vgl. Färber et al. 2012: 62).2 Der Begriff der „neuen islamischen Präsenz“ wurde im Englischen bereits 1988 von Tomas Gerholm und Yngve Georg Lithman benutzt, fand allerdings, wie Nina Clara Tiesler darlegt, erst mit Beginn der 1990er Jahre vor dem Hintergrund der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse des Jahres 1989, die die Frontstellung von Islam und Europa neu auflegten, Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs (Tiesler 2006:37f; vgl. Gerholm/Lithman 1988). Bereits 1979 erschien mit der Iranischen Revolution, die nachträglich als islamische Revolution rezipiert wurde und eine Islamische Republik Iran zur Folge hatte, Islam als politische Kraft, die auch im Westen wahrgenommen wurde. Bis dahin hatten vor allem panarabische, nicht-religiöse Bewegungen zusammen mit linksgerichteten politischen Strömungen in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt Aufsehen erregt. Gleichzeitig verhängten die meisten Länder Westeuropas zum Ende der 1970er Jahre einen Anwerbestopp für „Gastarbeiter“3, was zu einem

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Arabisch für ‚Spanien‘ (Wehr 1976: 27). Im Folgenden werden arabisch- und türkischsprachige Begriffe übersetzt und, sofern sie nicht im Duden erfasst sind, kursiv geschrieben. Auf die korrekte Transkription arabischsprachiger Begriffe nach der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft wird aus Gründen der Lesbarkeit verzichtet.

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Wobei sich zumindest der akademische Diskurs mittlerweile damit auseinandersetzt, wie die Tagung „bosnisch, türkisch, deutsch… Auf dem Weg zu einem europäischen Islam?“ (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart 2013) im November 2013 andeutet.

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Der Terminus wurde damals für angeworbene ausländische Arbeitnehmer geprägt. Er impliziert eine Rückkehr derselben und wird heute nur noch als historisch überkommener Invivo-Code damaliger Diskurse benutzt. Um dies zu markieren, setze ich ihn in Anführungszeichen.

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vermehrten Familiennachzug der bereits anwesenden Arbeitnehmer aus der Türkei und den arabischsprachigen Ländern des südlichen Mittelmeers führte. Die 1980er Jahre vergingen allerdings weitgehend, ohne dass Islam in Europa sichtbar wurde. Erst das Jahr 1989 markiert einen Wendepunkt. Zunächst hinterließ das Ende des Ost-West-Konflikts eine politisch-ideologische Leerstelle, die Raum für neue Frontstellungen schuf. Samuel Huntingtons Aufsatz „The Clash of Civilizations?“ (1993), der zwar erst vier Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges erschien, konstruiert eine solche Frontstellung, in dem er den cultural turn auf den politikwissenschaftlichen Bereich der Internationalen Beziehungen anwendet und Islam zum kulturell-zivilisatorischen Gegenspieler des Westens erklärt (vgl. Huntington 1993: 31f.). Im Rückblick haben die Thesen Huntingtons den damaligen Zeitgeist mitgeprägt. Im englischsprachigen Raum stellt die Rezeption des Romans „The Satanic Verses“ von Salman Rushdie (1988) den Beginn gesellschaftlicher Auseinandersetzungen dar, die mit der Dichotomie zwischen fundamentalistisch und liberal umrissen werden können und damit der Idee eines Kulturkampfes, wie von Huntington konstatiert, den Boden bereiteten (vgl. Keith/Pile 1993b: 20). Rushdies Buch über zwei indischstämmige Einwanderer in London, das mit islamischen Bezügen arbeitet und diese teilweise satirisch umdeutet, wurde von britischen Muslimen öffentlich verbrannt und zog eine iranische Fatwa4 nach sich, die ein Kopfgeld auf den Schriftsteller aussprach. Neben der Morddrohung gegenüber Rushdie wurden weitere Personen, die an der Veröffentlichung beteiligt waren, zum Teil verletzt und sogar umgebracht (vgl. Weisman 1991). Die Geschehnisse gingen als „Rushdie-Affäre“ in die Geschichte ein, die in den verschiedensten sozialwissenschaftlichen Diskursen dieser Zeit aufgegriffen und als Schlüsselereignis dargestellt wird (vgl. Keith und Pile 1993b: 20; Taylor 1997). Neben diesen einschneidenden Vorkommnissen, die zwischenzeitlich sogar die Aussetzung der diplomatischen Beziehungen zwischen Iran und Großbritannien zur Folge hatten, entwickelte sich in Frankreich der erste Konflikt um das muslimische Kopftuch, der sich an der Weigerung dreier Schülerinnen, ihr Kopftuch am Schultor abzulegen, entfachte. Nach der wochenlangen Suspendierung der Schülerinnen entschied der Staatsrat, das Tragen des Kopftuchs an Schulen zuzulassen, wenn daraus keine Störung des Schulfriedens entstehe. Im laizistischen Frankreich hatte diese Entscheidung eine kontroverse gesellschaftspolitische Debatte zur Folge, die sich jahrelang hinzog (vgl. Reich 1995: 26ff.). Diese Affären werden von verschiedenen Autoren als Wendepunkt im „Verständnis von Muslimen in Europa“ (Tiesler 2006: 93; vgl. Kumar 2002) mar-

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Arabisch für ‚Rechtsgutachten‘ (Wehr 1976: 623).

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kiert. Sie zeigen allerdings auch, wie mit Said bereits angedeutet, dass die Impulse der europäischen Islamdebatten in der Vergangenheit vor allem von Großbritannien und Frankreich ausgingen. Inwiefern lassen sie sich also auf den Rest des politisch-geographischen Europa übertragen? Zunächst einmal sind weder Europa noch Islam feststehende Kategorien. Selbst wer sich auf einen containerhaften Raumbegriff beruft (vgl. kritisch dazu Pott 2002: 73ff.), muss sich über Europas Grenzen verständigen, die offensichtlich variabel sind. Die Türkei gehört geographisch zumindest teilweise zum europäischen Kontinent, politisch führte die bloße Möglichkeit von Beitrittsverhandlungen in die EU zu jahrelangen Kontroversen (Göle 2008: 55). Das Beispiel deutet an, wie prekär das polarisierte Konstrukt von Islam und Europa im 21. Jahrhundert geworden ist. Der Nachfolger des Osmanischen Reichs als Mitglied der EU würde die bestehenden Machtverhältnisse entscheidend durcheinanderbringen (vgl. AlSayyad 2002: 16). Nezar AlSayyad und Manuel Castells weisen in der Einleitung ihres Sammelbandes „Muslim Europe or Euro-Islam“ (2002a) darauf hin, dass Europa und Islam eigentlich keine vergleichbaren Kategorien darstellen, da erstere als räumliches Konzept verstanden werde, während letztere religiös und kulturell konnotiert sei und sich einer räumlichen Fixierung entziehe. Die Autoren warnen vor einer „essentialization“ (AlSayyad/Castells 2002b: 5), die sich aus der Übernahme der Dichotomie von Islam und Europa ergebe. Dass sie sich trotzdem auf diese Rahmung eingelassen haben, zeugt weniger von einer unreflektierten Strategie, als von triftigen Gründen, die dafür sprechen. Die Rahmung Islam in Europa bezieht ihre Legitimation gewissermaßen aus einem Zusammenspiel von historischen Narrativen und den unbeabsichtigten Folgen nationaler Politiken. Diskursiv korrespondieren die historischen Narrative mit der Einwanderung von Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vornehmlich nach Westeuropa. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Studien, die sich auf Islam in Westeuropa konzentrieren und dies auf quantitative Kennzahlen zurückführen. Dahingegen grenzt sich die hier zu Grunde gelegte Rahmung insofern ab, als sie zwar den primären Bezug Westeuropas aufgreift, diesen aber vor dem Hintergrund westeuropäischer Dominanz in Europa expansiv versteht (vgl. Said [1978] 2003: 2). Der Topos Islam in Europa mag vor allem ein Topos über Islam in Westeuropa sein, jedoch wird er von den politischen Akteuren nicht als regionaler Spezialdiskurs deklariert, sondern als grundlegende europäische Entwicklung, die ihrerseits vom historischen Selbstverständnis Europas als Abendland informiert ist (vgl. Fokas 2007: 2). Wenn es um das Sprechen über Islam in Europa geht, kursieren nationale oder lokale Diskurse mit islamischem Bezug schnell auch unter

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den europäischen Nachbarn, selbst wenn die tatsächlichen politischen Bedingungen dort ganz andere sind. Dies lässt sich vor allem an einer latent anhaltenden Kopftuchdebatte und am Minarettverbot, das zunächst Gegenstand eines Schweizer Referendums war und dann europaübergreifend diskutiert wurde (Broder 2009; vgl. Zeit Online 2009), illustrieren. Auch wenn wie in Österreich bereits seit 1912 auf nationaler Ebene eine Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft besteht (Monarchie Österreich-Ungarn 1912), unterscheidet sich die Art und Weise, wie Muslime und ihre Religion dort wahrgenommen werden wenig vom Rest Europas. Während es also durchaus Unterschiede in der Politik der Anerkennung von Islam in den nationalen Kontexten Europas zu beobachten gibt, vereint die „Verlagerung des Feindbildes vom Kommunismus auf den Islam“ (Attia 2009: 74) die Länder des Westens und wirkt identitätsstiftend. Inwiefern auch in den hier präsentierten Fallstudien europäische Fluchtlinien virulent sind, wird in der empirischen Verdichtung (Teil V) kritisch diskutiert. Die neue islamische Präsenz (vgl. Gerholm/Lithman 1988), die Gegenstand des folgenden Diskursaufrisses sein wird, gründet sich auf einer fragwürdigen Dichotomisierung von muslimischen und nicht-muslimischen Sprecherpositionen. Während die diskursive Hegemonie nicht-muslimischer Positionen von einigen Autoren kritisiert wird (vgl. Spielhaus 2011: 175; Neugebauer 2014: 95), findet die Unterscheidung an sich kaum Eingang in eine kritische Reflektion. Doch inwiefern lassen sich muslimische und nicht-muslimische Positionen überhaupt trennen und verlaufen die diskursiven Gräben tatsächlich trennscharf entlang religiöser Zugehörigkeiten? Um sich diesen Fragen anzunähern, müssen freilich nicht nur nicht-muslimische, europäische Diskurse zitiert werden, sondern auch explizit muslimische Positionen, die ihrerseits eine europäische Rahmung anführen. Die Verknüpfung islamischer und europäischer Zugehörigkeiten diskutiere ich im zweiten Diskursstrang als Ausprägung widerständiger Identitäten. Die Dokumentation der Geschichte von Islam in Europa ist detailliert und fachübergreifend aufbereitet worden (vgl. AlSayyad/Castells 2002a; Buijs/Rath 2003; Tiesler 2006; Bader 2007). Mein Ziel ist deshalb an dieser Stelle kein allgemeiner Überblick, sondern eine zugespitzte Schilderung, die sich bisher auf die Rahmung des diskursiven Feldes bezog (II.1) und nun die wichtigen Diskursstränge skizzieren wird. Ich habe die folgenden Ausführungen in zwei Diskursstränge gegliedert: Der erste erörterte Strang behandelt die makrosoziale Dimension des Diskurses um Islam in Europa, die ich um den Begriff der Anerkennung (II.2.1) herum anordne. Der zweite Strang nähert sich der zu beobachtenden Diskussion von einer eher subjektorientierten Perspektive, die als Widerständige Identitäten (II.2.2) kategorisiert sind. Diese subjektive Schwerpunktset-

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zung soll dazu dienen, die später ausgeführte Konzeptualisierung der vorliegenden Arbeit zu unterfüttern.

2 D ISKURSSTRÄNGE

UND IHRE

V ERORTUNG

2.1 Anerkennung An dieser Stelle möchte ich mithilfe einzelner Diskursfragmente zeigen, wie die europäische Islamdebatte des 21. Jahrhunderts strukturiert ist. Dabei wird deutlich, dass die politischen Rahmenbedingungen aufgrund nationalstaatlicher Verständnisse verschieden sind und durchaus unterschiedliche Wirkungen auf die Entwicklung des dortigen Islammodells haben, was ich zunächst kurz skizziere (2.1.1), um dann zeigen zu können, dass die Frage nach der politischen Anerkennung von Islam in Europa trotzdem überall virulent ist und zumeist kontrovers diskutiert wird. Was ich im Folgenden als Anerkennungsdiskurs fasse, beinhaltet somit nicht nur die politischen Bestrebungen islamischer Organisationen, sondern die gesamtgesellschaftlichen Implikationen, die mit Anerkennung assoziiert werden können. Diese sind verbunden mit der gesellschaftlichen Anerkennung von Islam in Europa, die vor allem über das Schlagwort Sichtbarkeit (2.1.3) verhandelt wird. 2.1.1 Politisch-rechtliche Anerkennung von Islam in Europa Die Institutionalisierung der europäischen Muslime ist eine relativ neue Erscheinung und bis heute auf der politischen Ebene meist unzureichend ausgestaltet. Rechtlich gesehen gibt es allerdings „some common principles“ (Ferrari 2003: 226), die die Grundlage für die Anerkennung von Religionsfreiheit darstellen. Auf internationaler Ebene enthalten der UN-Zivilpakt sowie die Europäische Menschenrechtskonvention entsprechende Artikel. Auf europäischer Ebene garantiert die EU-Charta der Grundrechte eine grundsätzliche Religionsfreiheit. Ähnliche Gesetze sind in den nationalen Verfassungen aller europäischen Länder verankert. „All contain a central nucleus aimed at guaranteeing the respect of the freedom of thought, conscience and religion and the recognition of the right to manifest, individually or together with others, in public or in private, oneʼs religion or conviction, with the sole limits laid down by the law and necessary to protect some fundamental values, such as public order, health and public morals, the rights of others and fundamental liberties“ (Ferrari 2003: 227).

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Silvio Ferrari nennt diese völkerrechtlichen, supranationalen und nationalen Grundsätze als Prämisse für die rechtliche Anerkennung von Islam in Europa. In einem Aufsatz des Sammelbandes „Muslims in the Enlarged Europe“ (2003) beschäftigt er sich mit der legalen Dimension und bezeichnet den rechtlichen Grundsatz der Religionsfreiheit, den er in weitgehend allen europäischen Ländern bestätigt sieht, als Voraussetzung für die staatliche Kooperation mit Religionsgemeinschaften, da Staaten mit allen Organisationen zusammenarbeiten, die von gesellschaftlichem Interesse seien (Ferrari 2003: 234).5 Die Schwierigkeit, dieses Prinzip in Bezug auf Religionen umzusetzen, liege jedoch in dem gegenläufigen rechtlichen Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche und der damit einhergehenden Autonomie religiöser Angelegenheiten. Ferrari sieht in diesen beiden legalen Dimensionen einen Widerspruch, der in den Mitgliedstaaten der EU unterschiedlich stark ausgeprägt sei und nicht durch eine pauschale Lösung für die Europäische Union aufgelöst werden könne (Ferrari 2003: 235). Die Unterschiede in den einzelnen Nationalstaaten werden von Ferrari eher vernachlässigt, er nutzt diese letztlich nur, um daraus parallele Strategien der verschiedenen Mitgliedstaaten abzuleiten. Ferrari unterscheidet Länder mit Staatskirchen, Länder mit mehr oder weniger starker laizistischer Ausrichtung und Länder mit Staatskirchenverträgen. Er führt aus, dass diese traditionelle Unterscheidung für die aktuellen religiösen Entwicklungen in Europa nicht mehr zutreffend sei. Als Beispiel nennt er unter anderem die niedrigere staatliche Förderung der englischen Nationalkirche im Vergleich zu den Zahlungen der deutschen Bundesländer an die Evangelische Kirche (ebd.: 225) und resümiert, dass der scheinbar bedeutendere Status einer Nationalkirche in der konkreten Umsetzung weniger Gewicht habe, als es in der oben skizzierten Dreiteilung den Anschein habe. Ähnlich positioniert sich die Mitherausgeberin desselben Bandes, Brigitte Maréchal im Kapitel „Institutionalisation of Islam and Representative Organisations for Dealing with European States“. Sie nimmt eine grobe Typologisierung der verschiedenen europäischen Staaten vor und unterscheidet drei Arten des Umgangs mit Religion: universelle Regulierungen, teilweise Anerkennungssysteme von Religionen und die Existenz von Staatskirchen. Diese Idealtypen sind nicht trennscharf und wie Maréchal betont nicht unbedingt ausschlaggebend für die tatsächlich realisierten Politiken in den einzelnen nationalen Kontexten

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Der Sammelband liefert umfassende Analysen quantitativer und qualitativer Daten über Muslime in Europa, die sich auf Fragen der islamischen Institutionalisierung genauso beziehen wie auf die Erforschung muslimischer Religiosität. Wie der Titel andeutet, beziehen die Autoren alle europäischen Länder mit ein, sofern diese statistisch sichtbare muslimische Minderheiten aufweisen (Maréchal et al. 2003: xiv).

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(Maréchal 2003: 153f.). Ihre These bestätigt sich auch in der Untersuchung der islamischen Anerkennungsformen innerhalb Deutschlands (Spielhaus/Herzog 2015) und untermauert die Relevanzsetzung der vorliegenden Arbeit, in der das Zusammenspiel lokaler Strukturen und Identitätspolitiken verschiedener Akteure aufgezeigt werden soll. Maréchal erörtert zunächst generell die Frage nach dem Nutzen von politischer Anerkennung für die europäischen Muslime und verhandelt dies unter dem Label „Practical interests: what is at stake for the Muslims“ (Maréchal 2003: 154). Sie konkretisiert die rechtliche Dimension für viele alltagsweltliche Bereiche und zeigt ihre Relevanz auf, da, wie sie argumentiert, auch aus rein repräsentativen Positionen tatsächlicher politischer Einfluss entstehen könne (ebd.: 155f.). Der ausschließliche Bezug auf Muslime, den die Autorin hier vornimmt, gibt allerdings Anlass zu Kritik. Hierin reproduziert sich die grundsätzliche Dichotomisierung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, die den Diskurs um Islam in Europa bestimmt. Selbst eine so wohlinformierte Analyse, wie Maréchal sie vorlegt, kommt nicht ohne den unterkomplexen Zuschnitt auf Muslime in Europa aus, obwohl ihre Überlegungen deutlich machen, dass auch für die restlichen Europäer einiges auf dem Spiel steht. Die wesentliche Schwierigkeit der politischen Anerkennung auf nationaler Ebene benennt Maréchal als Problem der legitimen Sprecherschaft, das von vielen Muslimen als unislamisch empfunden werde (ebd.: 157). Dieses Argument wird jedoch nicht nur von Muslimen gebraucht, sondern diente Politikern in der Bundesrepublik jahrelang als Ausrede für das politische Schattendasein muslimischer Organisationen (vgl. Spielhaus/Herzog 2015: 35). Nicht zuletzt diese Parallele führt die diskursive Trennung von Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa ad absurdum. Worauf Maréchal in diesem Zusammenhang allerdings zu Recht hinweist, ist die Problematik der zentralisierten Repräsentation auf nationaler Ebene. Die Organisation eines solchen islamischen Gremiums sei vor allem dann problematisch, wenn sie als top-down-Politik implementiert werde und von den lokalen Gemeinden nicht mitgetragen werde. Inwiefern diese Einschätzung aktuell gültig ist, werde ich zumindest für das Beispiel meiner empirischen Untersuchung diskutieren. Meine Beobachtung islamischer Akteure in Hamburg weist eher auf die Vermutung hin, dass diese überwiegend eine Institutionalisierung anstreben, weil sie sich dadurch politische Vorteile versprechen, woraus sich wiederum innermuslimische Repräsentationskonflikte ergeben. Wie bereits angesprochen, legen die einzelnen europäischen Länder einerseits ähnliche rechtliche Prinzipien zur Gewährung von Religionsfreiheit im Allgemeinen zu Grunde. Andererseits gehen sie unterschiedlich mit dieser Ausgangslage um und gestehen den nationalen muslimischen Minderheiten stark differierende Abstufungen der Anerkennung zu (vgl. Tiesler 2006: 20). Politisch

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schlagen sich diese asymmetrischen Voraussetzungen vor allem darin nieder, dass die Institutionalisierung in den verschiedenen nationalen Kontexten zeitlich versetzt verläuft. Nico Landman betont die zunehmende Internationalisierung des Diskurses, welche nicht zuletzt auf den europäischen Integrationsprozess zurückzuführen sei, der zumindest auf der politischen Ebene vergleichbare Ausgangspunkte schaffe (Landman 2005a: 560f.). Auch Matthias Koenig hat in seiner Dissertation mit der vergleichenden Analyse der Religionspolitik von Großbritannien, Frankreich und Deutschland in Bezug auf die islamische Inkorporation „einen Trend isomorphen Wandels“ (Koenig 2003: 221) konstatiert. Er schreibt: „Im Zuge der Inkorporation muslimischer Immigranten vollzieht sich offensichtlich ein institutioneller Wandel von Religionspolitik in Richtung einer Etablierung routinemäßiger Beziehungen zwischen Staat und religiösen Minderheiten“ (ebd.: 217). Das Attribut der Routine, das Koenig hier gebraucht, ist insofern bedeutsam, als es implizit einen Verweis auf die praktische Logik der religiösen Aushandlungsprozesse enthält, die in der Vergangenheit zu wenig Aufmerksamkeit erhalten haben und daher in der vorliegenden Arbeit im Fokus stehen sollen (vgl. II. 3). Während Koenig die nationalen Unterschiede in der Inkorporation von Migranten in Zusammenhang mit Islam zwar als fortwährend wichtig betrachtet, lässt sich seine Arbeit in eine Reihe mit ähnlichen, zu dieser Zeit veröffentlichten Ansätzen stellen, die eine diskursive Europäisierung von Islam konstatieren und damit befördern. Koenig weist für die wichtigsten europäischen Institutionen, den Europarat und die Gremien der Europäischen Union, nach, dass diese in den 1990er Jahren bedeutende Schritte in Richtung einer Institutionalisierung der existierenden religiösen Vielfalt in Europa unternommen haben. Der Europarat habe Koenig zufolge die Gründung und Ausgestaltung transnationaler muslimischer Netzwerke begünstigt (Koenig 2003: 213). Dies konstatiert der Autor in Zusammenhang mit dem oben skizzierten Verständnis von Religionsfreiheit, auf das sich die europäischen Nationalstaaten beziehen und macht damit eine weitere wichtige Beobachtung: „Der noch dem Recht auf Religionsfreiheit zugrundeliegende Religionsbegriff wird dahingehend modifiziert, daß [sic!] ‚Religion‘ weniger als Glaube, sondern als Ausdruck kollektiver Identität codiert wird und als solche staatlicherseits zu respektieren und zu fördern sei“ (ebd.).

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Während der Grundsatz der Religionsfreiheit eine mehr oder weniger private Angelegenheit dargestellt habe, wandele sich die Reichweite des Grundsatzes in den 1990er Jahren auch und vor allem vor dem Hintergrund eines im Entstehen begriffenen islamischen Gemeindelebens in Europa zu einem kollektiven Anspruch auf Anerkennung. Auf EU-Ebene bezeichnet Koenig vor allem den Amsterdamer Vertrag (Europäische Union 1997) und den darin enthaltenen Artikel 13 zum Diskriminierungsverbot als Motor der islamischen Organisation auf nationaler und europäischer Ebene (Koenig 2003: 214). In eine ähnliche Richtung zielt die Analyse von Bérengère Massignon, die die EU-politische Dimension anhand von Dialoginitiativen der Europäischen Kommission nachgezeichnet hat. Sie datiert den Beginn der kommissarischen Bestrebungen auf das Ende der Präsidentschaft von Jacques Delors (1985-1995), der während seiner gesamten Amtszeit versucht habe, die Kooperation mit Religionsvertretern und anderen Mitgliedern der Zivilgesellschaft voranzubringen, jedoch mit dem Fehlen geeigneter Ansprechpartner konfrontiert gewesen sei. Diese Situation sei bezeichnend für die Mitte der 1990er Jahre und markiere gleichzeitig den Beginn der islamischen Institutionalisierung auf europäischer Ebene (Massignon 2007: 125ff.). Ohne die einzelnen Initiativen nun im Detail nachzuzeichnen, lässt sich für die Rekonstruktion des Diskursstranges über die rechtliche Anerkennung von Islam in Europa festhalten, dass das Thema noch vor der Jahrtausendwende auf die europäische Agenda gerückt war und auch in den verschiedenen nationalen, regionalen und lokalen Kontexten Europas aufgegriffen wurde. Für Deutschland beobachtet Koenig den Beginn von „religionspolitische[n] Kontroversen“ (Koenig 2003: 202) in der Mitte der 1990er Jahre, was er im Vergleich zu Frankreich und Großbritannien als späte Entwicklung einordnet. Ab diesem Zeitpunkt lassen sich erste politische Maßnahmen feststellen, die das zuvor standhaft als Nicht-Einwanderungsland vertretene Bild der BRD in Frage stellten. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts (2000) ist insofern ein relevantes Ereignis, als der Diskurs um Ausländer dem heute vorherrschenden Diskurs um Muslime in Deutschland vorangegangen war und nun, durch die vereinfachte Verwandlung von Ausländern zu Deutschen, eine neue Differenzkategorie notwendig wurde: Religion. Riem Spielhaus spricht in diesem Zusammenhang von der „Neoethnisierung“ (Spielhaus 2011: 56) von Islam, die den früheren Bezug auf ethnische und kulturelle Herkunft abgelöst habe. Sie verweist damit auf die doppelte Wirkung von Ethnisierungsprozessen, die sowohl stigmatisierend als auch selbstermächtigend wirken können (vgl. ebd.).

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2.1.2 Islam als Sicherheitsproblem oder: Von Integration zu governance Die wohl meist diskutierte Kategorie im politisch-rechtlichen Diskurs um islamische Anerkennung in Europa ist seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 der Bereich Sicherheit. Inwiefern sind die Aspekte Anerkennung und Sicherheit aufeinander bezogen? Nachdem beide unabhängig voneinander auf die politische Agenda gerückt waren, versprach man sich nach 2001 eine sicherheitspolitische Hebelwirkung durch die Anerkennung von muslimischen Organisationen. Diese einfache Gleichung von mehr Sicherheit durch mehr Anerkennung erwies sich allerdings als unterkomplex. Das zeigt sich am Beispiel einer so weitreichenden islamischen Institutionalisierung wie sie z.B. in Großbritannien und den Niederlanden fortgeschritten ist und den dortigen islamistisch geprägten Terror- und Gewaltakten.6 Die Anerkennung von Islam geht also zuweilen mit der gleichzeitigen Stigmatisierung als Sicherheitsrisiko desselben einher und lässt sich als paradoxe, manchmal schizophrene Entwicklung in den einzelnen politischen Settings beobachten. Diese Situation möchte ich am Beispiel des Bundesministeriums des Innern skizzieren. Das Profil des Bundesministeriums des Innern wandelte sich von einseitiger Sicherheitspolitik, die außerdem wesentlich zum Selbstbild Deutschlands als Nicht-Einwanderungsland beitrug, hin zu einer Öffnung für gesellschaftspolitische Themen. Dieser Wandel lässt sich vor allem unter Wolfgang Schäuble (CDU) nachzeichnen, der zwischen 2005 und 2009 Bundesinnenminister war und im Jahr 2006 die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ins Leben rief (Tezcan 2012: 36f.). Das Gremium setzt sich paritätisch aus 15 Vertretern des deutschen Staates und 15 deutschen Islamvertretern zusammen (DIK-Redaktion 2010). Inwiefern die DIK allerdings die Problematik der Repräsentation und Anerkennung verschiedener Akteure mit Bezug zu Islam fördert oder eine Vermischung von Sicherheits- und Gesellschaftspolitik institutionalisiert, lässt sich hier nicht

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Die Niederlande sind seit dem Mord an dem islamkritischen Regisseur Theo van Gogh im Jahr 2004 äußerst gespalten in Bezug auf die islamische Religion und ihre Anhänger. Vorher galten sie stets als offenes, islamfreundliches Land (vgl. Landman 2005b:582). In Großbritannien erschütterten islamistische Anschläge im Jahr 2005 die bis dahin bestehende Balance. Im Jahr 2013 wurde in London auf offener Straße ein britischer Soldat hingerichtet. Der Täter ließ sich von einem Passanten dabei filmen, wie er sich zu dem Mord bekannte und seine Tat islamistisch begründete. Die Bilder verbreiteten sich schnell und erneuerten die britische Angst vor home-grown-terrorists (vgl. Sydow 2013).

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vollständig klären. Die Zusammensetzung des Gremiums weist allerdings bereits auf die bestehende Problematik der Repräsentation und der gegenseitigen innerislamischen Anerkennung hin. Während die DIK sowohl die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) als auch die Alevitische Gemeinde Deutschland involviert, bleiben diese beiden Organisationen in Hamburg bisweilen vom offiziellen Islamdiskurs, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ausgeschlossen (vgl. Fallstudie A). Darüber hinaus ergänzen verschiedene national ausgerichtete Dachverbände wie die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und der Zentralrat der Marokkaner in Deutschland (ZMaD) mit unterschiedlichem Islambezug den weiteren Kreis der DIK-Teilnehmer, um nur einige zu nennen. Insgesamt lässt die Teilnehmerliste das Bemühen erkennen, niemanden auszuschließen, was sich auch in der Zusammenstellung der Arbeitsgruppen zumindest in der ersten Runde der DIK zeigte, auf die Tezcan in seinem Buch „Das muslimische Objekt“ (2012) Bezug nimmt. In der Arbeitsgruppe 1, die sich mit dem Thema „Deutsche Gesellschaft und Wertekonsens“ beschäftigte, trafen neben Vertretern der größeren islamischen Verbände unorganisierte öffentliche Personen wie die islamkritische Necla Kelek und ein Mitglied der Türkischen Gemeinde in Deutschland als Vertreter der säkularen Muslime sowie einige Sozialund Islamwissenschaftler aufeinander (Tezcan 2012: 48). Abgesehen von der Frage nach der Repräsentation und Positionierung der Teilnehmer der DIK, bietet das Dialogforum auch auf inhaltlicher Ebene Angriffsflächen. Tezcans Kritik bewegt sich zwischen der grundsätzlichen Honorierung einer solchen Initiative, die von den meisten Autoren als dringend überfällig bewertet wird, und der Infragestellung ihres essentialisierenden Impetus (vgl. Tezcan 2012: 9). Fest steht, dass der Tenor deutscher Politiker vorher und auch noch danach durch die Leugnung von Islam als Teil Deutschlands bestimmt war. Davon unterscheidet sich der Vorstoß des Ministers Schäuble, der dies in der DIK-Gründungsrede 2006 und damit vier Jahre vor Christian Wulff auch konstatierte,7 konträr. Allerdings arbeitet Tezcan in seiner Analyse heraus, dass sich die DIK als subtile Form der Sicherheitspolitik fassen lasse, in der es um die „Sicherstellung der Berechenbarkeit, der Kompatibilität einer Bevölkerungsgruppe und ihrer Wertorientierungen“ (Tezcan 2012: 165) gehe. Auch Ghassan Hage schlägt in einem Aufsatz im Sammelband „No Integration?!“ (2009) eine solch kritische Deutung der deutschen Islampolitik vor, in dem er die institutionelle Angst vor dem „unregierbare[n] Muslim“ (Hage 2009) analysiert. Wenngleich

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Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung war nicht Christian Wulff der erste Politiker, der Islam als Teil Deutschlands bezeichnete. Wolfgang Schäuble hatte dies bereits im Rahmen der DIK getan (vgl. Hildebrandt 2015).

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diese Interpretation durchaus zutreffend erscheint, stellt sie vor allem auf die Stigmatisierung von Muslimen ab. Darüber hinaus ist aber auch die Frage interessant, wie die angesprochenen Akteure mit dem Stigma umgehen und inwiefern sie sich die politische Aufmerksamkeit als eigene Handlungsmacht aneignen können. Auf diese Perspektive werde ich in der empirischen Untersuchung zu sprechen kommen. Der Diskurs um die Anerkennung von Islam nimmt mit der Gründung der DIK erst seinen Anfang. Durch die Einrichtung eines zentralen Gremiums ist lediglich ein symbolischer Impuls gegeben, der durch konkrete Strategien, die im deutschen Föderalismus meist unterhalb der Bundesebene angesiedelt sind, weiter ausgestaltet werden muss. In den vergangenen Jahren seit Gründung der DIK hat sich auf der Länderebene in dieser Hinsicht einiges getan. Der Bericht „Die rechtliche Anerkennung des Islams in Deutschland“ (2015), den die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus und der Rechtswissenschaftler Martin Herzog im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung verfassten, weist daraufhin, dass es vielfältige Möglichkeiten der rechtlichen Anerkennung gebe, die auch ohne die Verleihung des Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, praktische Verbesserungen in der Zusammenarbeit von muslimischen Gemeinden und staatlichen Strukturen gewährleisten (Spielhaus und Herzog 2015: 11f.). Dabei unterscheiden sich die Anerkennungspolitiken in den einzelnen Bundesländern noch stark. Während es bis jetzt nur in Bremen, Hamburg, Niedersachsen und RheinlandPfalz Verhandlungen oder bereits bestehende grundlegende Verträge mit islamischen Verbänden gebe, setzen andere Bundesländer eher auf punktuelle Strategien der Anerkennung, z.B. in Form von „Runden Tischen“ oder der Beteiligung am Religionsunterricht (Spielhaus und Herzog 2015: 16). Rauf Ceylan gibt in seinem Buch „Cultural Time Lag“ (2014) zu bedenken, dass die „Moscheekatechese“ (Ceylan 2014: 28) eine Leerstelle bisheriger akademischer Auseinandersetzung darstelle. Dabei sei die Islam-Didaktik, zu der Ceylan den entsprechenden Religionsunterricht an Schulen sowie Angebote der Moscheegemeinden und die parallele Einrichtung islamischer Theologie-Studiengänge an deutschen Universitäten zählt, eine neue konkrete Form der Institutionalisierung von Islam. Damit gehe die Notwendigkeit einher, die „Verflechtungen und Interdependenzen“ (ebd. 2014: 29) von Moscheen, Schulen und Familien und ihren Strukturwandel konzeptionell zu begleiten. Ceylan kommt in seiner Untersuchung unter anderem zu dem Schluss, dass die Entwicklung und Dokumentation islamischer Didaktik in Schule und Moschee nur auf der Grundlage einer „Kommunikationsplattform“ (ebd.: 439) auf Bundesebene gelingen könne und wirft damit die Frage nach der gesamtdeutschen Repräsentation von Islam auf, die weiterhin ungeklärt ist (vgl. Blätte 2011).

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Die einzige Religionsgemeinschaft, die bisher in Deutschland (in Hamburg und Hessen) als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt wurde, ist die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ), die als heterodoxe islamische Strömung von vielen islamischen Autoritäten nicht als Teil der muslimischen Umma8 anerkannt wird. Damit hat die marginalisierte AMJ den anderen islamischen Religionsgemeinschaften in Deutschland, die ebenfalls den Status des öffentlichen Rechts anstreben, etwas voraus. Inwiefern dies ihre gesamtgesellschaftliche – also auch innerislamische – Anerkennung befördern wird, bleibt abzuwarten. Vergleicht man die Ausführungen zur rechtlichen Anerkennung von Islam mit Überlegungen, die Michael Bommes zum Thema Integrationspolitik angestellt hat, lassen sich einige Parallelen feststellen, die die Islamdebatte erhellen können. Um dies nachzuvollziehen, möchte ich mit Bommes einen kurzen Aufriss des Integrationsbegriffs skizzieren, der in seinem Text „Integration findet vor Ort statt“ [2008] (2011) nicht nur auf die, von mir als relevant identifizierte lokale Dimension aufmerksam macht, sondern einen pointierten Überblick über die europäische Karriere des Integrationsbegriffs darlegt. Er datiert die deutsche Umsetzung integrationspolitischer Bemühungen auf die Mitte der 2000er Jahre, als nicht nur die DIK gegründet, sondern auch ein Integrationsgipfel von der Bundesregierung einberufen wurde. Damit reagierte die Bundesregierung auf gesellschaftliche Debatten, die auch durch akademische Beiträge, wie zum Beispiel dem Heraufbeschwören von „Parallelgesellschaften“ (vgl. Heitmeyer 1997: 192) durch Wilhelm Heitmeyer befeuert wurden.9 Insofern kann auch die sozialwissenschaftliche Forschung für die Hysterisierung von Islam als Sicherheitsproblem verantwortlich gemacht werden, die sich innerhalb des ausschließlich problembezogenen Diskurses um Integration in den vergangenen zwanzig Jahren verbreitete und bis heute virulent ist. Wie Bommes in seinem Aufsatz verdeutlicht, müsse die Integrationsdebatte nicht nur in einem auf gesellschaftlichen Zusammenhalt abstellenden Kontext lokalisiert werden, sie sei auch und vor allem ein wirtschaftspolitisches Thema. Diese Dimension schließe an den EU-politischen Anstoß der Angleichung nationaler Migrationspolitiken an, die sich mit den Schlagworten „gesteigerte Kontrolle und Selektivität“ (Bommes [2008]

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Arabisch für ‚Nation‘, ‚Volk‘ (Wehr 1976: 22). Wird verwendet für die Gemeinschaft der Gläubigen, was sich vom arabischen Umma Mohammed herleitet (die Gemeinde Mohammeds) (ebd.).

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Heitmeyer formulierte bereits Mitte der 1990er Jahre einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Parallelgesellschaften, in denen die Werte der Mehrheitsgesellschaft nicht anerkannt würden und dem stattdessen bedeutsamen Bezug zum Islam (vgl. Heitmeyer:184ff.). Allerdings fanden seine Worte erst einige Jahre später Gehör.

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2011: 203) umschreiben lassen. Im Paradigma des „aktivierenden Wohlfahrtsstaates“ (ebd.) haben Migranten letztlich zur allgemeinen Produktivität beizutragen und Politik, die dies nicht fördere, gelte als unzulängliche Wirtschaftspolitik (ebd.: f.). Dieser Zusammenhang plausibilisiert den begrifflichen und substantiellen Wandel eines, vor allem in der Bundesrepublik, allgegenwärtigen Integrationsdiskurses hin zu einer auf governance abzielenden aktivierenden Sozialpolitik, die sich in den nationalen Kontexten Westeuropas aktuell auf Islam bezieht (vgl. Bader 2007). Die Verflechtung von Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Kontrolle macht eine Anerkennung von Muslimen als institutionalisierte Minderheiten aus der Perspektive staatlicher Politik rational. Bommes weist in diesem Zusammenhang auch auf die europäische Dimension der politischen Anstrengungen hin und expliziert die Motive wie folgt: „[…] indem die europäischen Wohlfahrtsstaaten parallel seit den 1990er Jahren nach angemessenen Migrations- und Integrationspolitiken suchen, weil sie sich alle damit konfrontiert sehen, dass Europa zu einer Weltzuwanderungsregion geworden ist und die Resultate ihrer mehr oder weniger inkrementalen Migrations- und Integrationspolitiken nur sehr wenig den einstigen politischen Absichten entsprechen“ (Bommes [2008] 2011: 205f.).

Bommes spricht von der „Adressierung der Migranten als ‚Subjekte‘“ (ebd.: 218) und prägt damit eine Deutungsweise, die auch Tezcan in Bezug auf die Aktivierung von Muslimen durch die DIK entwickelt hat (Tezcan 2012:19). Die Priorisierung von Integrationspolitik, die Bommes vor allem auf kommunaler Ebene identifiziert und als Kombination aus „Ressourcen“ (Bommes [2008] 2011: 218), „Anerkennung“ und „Legitimität“ (ebd.) benennt, verhandelt die auch im Islamdiskurs zentralen Kategorien. Tezcan bezeichnet die Islampolitik seit Gründung der DIK als „Dreh- und Angelpunkt der Integrationsdebatte in Deutschland“ (Tezcan 2012: 7) und bringt damit den Zusammenhang zwischen beiden Politiken auf den Punkt (vgl. ebd.: 164f.). Bommes Fazit zur Stoßrichtung und Wirkungsweise von Identitätspolitik ist pragmatisch: „Aber nicht alles, von dem man nicht genau weiß, wie es geht, kann man lassen, bis man es weiß: Integrationspolitik wird bis auf weiteres fortgesetzt werden“ (Bommes [2008] 2011: 224). Hierin klingt eine Perspektive an, die sich als Beobachtung zweiter Ordnung sowohl einer generellen Kritik am Integrationsbegriff und damit verbundenen Maßnahmen entzieht als auch der euphemistischen Semantik politischer Akteure eine Absage erteilt. In dieser Position liegt ein, für die vorliegende Analyse der gesellschaftlichen Herstellung von Islam höchst fruchtbarer Ansatz, der allerdings im dazugehörigen Diskurs kaum

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Beachtung findet. Anstatt die scheinbaren Unzulänglichkeiten und Ambivalenzen des politischen Alltagsgeschäfts zu verschleiern und die Optimierung derselben zu kommunizieren, ist es zumindest mittelfristig zielführender, diese Art des Improvisierens als realistischste Strategie anzuerkennen. Wenn Bommes in einer Fußnote den „‚gebastelten‘ und heterogenen Charakter“ (ebd.: 219 in der Fußnote) von Integrationspolitik herausstellt, verdeutlicht dies die parallele – wenn auch zeitlich versetzte – Entwicklung der rechtlichen Anerkennung von Islam, die Spielhaus und Herzog schildern. Auch sie sprechen von einer „Vielfalt der Wege zu Anerkennung“ (Spielhaus/Herzog 2015: 8) und betonen, dass diese zum jetzigen Zeitpunkt weniger über eine einheitliche Lösung auf Bundesebene zu erreichen sei, als über Aushandlungsprozesse auf der Ebene der Länder und Kommunen (vgl. ebd.). Dieser kurze Überblick über die rechtlichen und politischen Voraussetzungen religiöser Anerkennung, der sich vor allem auf die deutsche Entwicklung bezieht und die europäische Ebene schlaglichtartig skizziert, soll nun im Folgenden mit einem mehr auf gesellschaftliche Debatten fokussierten Zuschnitt kontrastiert werden, der national kursierende Diskurse und deren transnationale Effekte in den Blick nimmt. Dabei möchte ich erneut auf Koenig verweisen, der zu Recht akzentuierte, dass die Verbreitung von Paradigmen nicht nur über rechtliche Implementationen vonstatten gehe, sondern vor allem über die Kopie und Verbreitung von Praktiken und Diskursen und einer damit einhergehenden normativen Dynamik (vgl. Koenig 2003: 218). 2.1.3 Gesellschaftliche Anerkennung – Sichtbarkeit Die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen der europäischen und nationalen Religionspolitiken korrespondieren mit der medialen, politischen und damit zusammenhängend auch wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Die heute allgegenwärtige Forderung nach der Anerkennung von Islam ist in den 1980er Jahren noch kaum öffentlich geäußert worden (Mıhçıyazgan 1990: 15). Dies hat sich seitdem zusammen mit der Sichtbarkeit muslimischer Ausdrucksformen erheblich gewandelt. Sichtbarkeit ist mittlerweile eines der meist diskutierten Themen im Topos um Islam in Europa und wird diskursiv mit der Anerkennung von Islam gleichgesetzt (vgl. Allievi 2003). Dies liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass wir in einer auf visuelle Reize fokussierten sozialen Welt leben. Es gibt eine Fülle sprachlicher Wendungen, in denen Sichtbarkeit Relevanz verbildlicht. Was ins Auge fällt oder offensichtlich ist, wird wahrgenommen. Der Begriff Anerkennung ist auch sprachlich mit dem menschlichen Sinn des Sehens verbunden. Andererseits kann der visuelle Ausdruck im Kontext gesellschaftlich-politischer Macht-

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kämpfe auch als subversives Instrument genutzt werden (Schaffer 2008: 12ff.; vgl. Färber et al. 2012: 63). Dies zeigt, wie prekär die soziologische Trennung zwischen Anerkennung und Widerstand ist (vgl. Honneth 2003: 258) und wirft die Frage auf, inwiefern visuelle Repräsentation mit Anerkennung einhergeht und unter welchen Bedingungen widerständige Ästhetiken zu einem Wandel dominanter „Blickpraxen“ (Schaffer 2008: 162) führen können. Diese Überlegungen sollen die folgenden Ausführungen über die Sichtbarkeit von Muslimen in Europa informieren, die vor allem anhand von zwei Symbolen diskutiert wird: dem muslimischen Kopftuch und dem Bau von Moscheen. Beide Symbole stellen für sich genommen keinen Anspruch auf politische Teilhabe oder Anerkennung als Religionsgemeinschaft dar, sondern können als Ausübung des Rechts auf individuelle und kollektive Religionsfreiheit gefasst werden. Sie wurden allerdings im gesellschaftlichen Diskurs als höchst politisch rezipiert. Diese Wahrnehmung liegt in der diskursiven Polarisierung von Islam und Europa begründet. Nilüfer Göle bezeichnet das Kopftuch als „forbidden modern“ (vgl. Göle 1996) und macht deutlich, dass konservative Religiosität und Moderne zwei Seiten einer Medaille sind. Die erste französische Kopftuchaffäre (affaire de foulard) von 1989 ging noch weitgehend ohne eine transnationale gesellschaftliche Wahrnehmung vonstatten und wird erst retrospektiv als Schlüsselereignis in der öffentlichen Debatte um Islam in Europa eingeordnet (vgl. Tiesler 2006: 20). Als im Jahr 2004 das muslimische Kopftuch an französischen Schulen generell verboten wurde, geschah dies in einer Phase, in der das Thema auch in anderen europäischen Kontexten auf der Agenda stand. Im Jahr 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht auf die Klage der Lehrerin Fereshta Ludin, die verschleiert unterrichten wollte, mit einer Kompromissentscheidung reagiert. Nicht der Bund könne über ein entsprechendes Kopftuchverbot entscheiden, aber die Bundesländer seien dazu berechtigt. Sechs von ihnen, darunter Bayern beschlossen sodann ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen, was wiederum im Januar 2015 vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde (Bundesverfassungsgericht 2015). Dagegen sind in Großbritannien sogar die Polizeiuniformen kopftuchkompatibel gestaltet, was nur ein Beispiel für die außergewöhnliche Berücksichtigung darstellt, die die britische Rechtspraxis religiösen Minderheiten im Land gewährt (vgl. Allievi 2003: 340). Großbritannien stellt demnach eine Ausnahme in Westeuropa dar, wo es ansonsten überall zumindest punktuelle Konflikte um das muslimische Kopftuch gab. Stefano Allievi erklärt dies allerdings weniger mit den rechtlichen Dispositionen, als mit einem bereits kursierenden problematisierten Bild von Islam, das im Kopftuch seinen konkreten Ausdruck fand (vgl. Allievi 2003: 341). Auch von anderen sozialwissenschaftlichen Autoren wird die

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kontroverse Symbolik des muslimischen Kopftuchs als gesamteuropäisches Phänomen gefasst. Nilüfer Göle beschreibt das muslimische Kopftuch im öffentlichen Raum Europas und der Türkei als stigmatisiert (Göle 2004: 22).10 In ihrem Buch „Anverwandlungen. Der Islam in Europa zwischen Kopftuchverbot und Extremismus“ (2008) konstatiert sie, dass die Sichtbarkeit des muslimischen Kopftuchs „an die Grenzen des Autonomieanspruchs erinnert“ (Göle 2008: 126), der für die westlich-europäische Biopolitik mit dem Satz „Unser Körper gehört uns“ (ebd.) auf den Punkt gebracht werden könne. Demgegenüber verschließe sich die Kopftuchträgerin diesem Prinzip und mache durch ihr öffentliches Auftreten die Kontingenz des westlich geprägten Körperregimes sichtbar. Allievi nennt den muslimischen Schleier dementsprechend „almost a touchstone of reflection in the presence of Islam in the public sphere“ (Allievi 2003: 338). Ein weiterer Prüfstein lässt sich in der Errichtung und dem Neubau von Moscheen im europäischen Kontext erkennen. Auch Allievi diskutiert in seinem Kapitel über „Relations and negotiations: Issues and debates on Islam“ (2003), in dem er bereits den Konflikt um das muslimische Kopftuch in Europa diskutiert hat, die diskursive Bedeutung der islamischen Gebetsstätte. Er schreibt: „The construction of a mosque or the adaptation of a prayer hall is hardly ever only an architectural and town-planning problem; it produces in-depth social and cultural discussions and reactions. The conflict also appears semantically over-determined, if we think of the numerical dimension of which we are talking“ (Allievi 2003: 346).

Damit rezipiert Allievi den europäischen Moscheebaudiskurs als Metapher für die Anerkennung der islamischen Sichtbarkeit. Es geht dabei weniger um die tatsächliche Sichtbarkeit von Islam, die nicht etwa durch die Anzahl der bestehenden Moscheen repräsentiert wird, wie er hier deutlich macht, sondern um eine gefühlte Präsenz, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts von der Wahrnehmung als exotisch fremd zur Einordnung als bedrohlich fremd gewandelt hat. Die ersten Moscheen in Deutschland und seinen europäischen Nachbarländern entstanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zuge von kolonialen oder – wie im Falle Deutschlands – von wirtschaftlichen Beziehungen mit mehrheitlich muslimischen Ländern und wurden sogar teils durch Spenden deutscher Unternehmen ermöglicht, was ihre gesellschaftliche Akzeptanz verdeutlicht (vgl. Mıhçıyazgan 1990: 11).

10 Göle verweist darüber hinaus auf die türkisch-französische Parallele, die sich in den Kopftuchverboten beider Länder widerspiegelt und reflektiert die vielschichtigen Verflechtungen der politischen Kultur der Türkei und Europa (Göle 2008: 107).

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Das Zitat von Allievi kann ebenfalls als Prophezeiung für das grotesk anmutende Referendum in der Schweiz gelten, mit dem im Jahr 2009 ein generelles Minarettverbot entschieden wurde. Dieser Volksentscheid ist insofern bemerkenswert, als die Anzahl der bestehenden Minarette innerhalb der Schweiz zu dieser Zeit die Zahl zehn nicht überschritt (vgl. Jakobs 2010). Abgesehen von seiner mangelnden empirischen Evidenz zog die Abstimmung eine europaweite Diskussion über ähnliche Verbote nach sich (vgl. Zeit Online 2009). Die Tatsache, dass Allievi das Thema Moscheebau in einem umfassenden Überblick der europäischen Länder mit muslimischem Bevölkerungsanteil skizziert, und lediglich im Falle Portugals keinen Konflikt beschreibt, zeigt, wie allgegenwärtig die Kontroverse um die physische Besetzung des öffentlichen Raums durch Islam in Europa ist. Selbst im Südosten Europas, wo es eine „traditionelle muslimische Präsenz“ (Tiesler 2006: 36) gibt, verlaufe der Neubau von Moscheen oder die neue Nutzung innerhalb bestehender Gebäude nicht ohne Polemiken, so Allievi. Auch hier stelle Großbritannien eine Ausnahme dar, wo die Errichtung repräsentativer Moscheen und die Umnutzung von ehemaligen Kirchen als islamische Gotteshäuser nur unter extrem rechtsgerichteten Bewegungen Aufsehen erregt habe (Allievi 2003: 347). Dagegen kam es in Deutschland vor allem zu Beginn der 2000er Jahre zu verschiedenen gesellschaftlichen Konflikten, die die Errichtung einer Moschee zum Gegenstand hatten und eine beachtliche Anzahl an medialen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen nach sich zogen. Darunter befindet sich die Dissertation von Thomas Schmitt, auf die ich in Fallstudie C ausführlicher Bezug nehmen werde. An dieser Stelle möchte ich lediglich einige kurze Bemerkungen zum diskursiven Hintergrund der deutschen Moscheebaukonflikte machen. Claus Leggewie wurde im Jahr 2002 von der Herbert-Quandt-Stiftung beauftragt, eine „Handreichung für die Praxis“ (Leggewie et al. 2002) zu verfassen, in der „Der Weg zur Moschee“ (ebd.) konstruktiv skizziert werden sollte. Darin werden die Dispositionen deutlich, die den Auseinandersetzungen zum Thema zu Grunde liegen, wie der folgende Satz aus dem Vorwort des Berichts zeigt: „Je größer kulturelle Unterschiede sind, desto ausgeprägter sind Empfindungen von Fremdheit und Distanz“ (Leggewie et al. 2002: 7). Dieser Satz bringt die Rezeption von Moscheebaukonflikten als Kulturkonflikte auf den Punkt. Sechs Jahre später ist diese Deutung noch immer dominant, wie ein Zitat von Johannes Kandel für eine Expertise der FriedrichEbert-Stiftung zeigt: „Wie aktuelle Konflikte aus verschiedenen Regionen Deutschlands zeigen – zum Beispiel München, Frankfurt, Köln und Berlin –, geht es dabei nicht nur um baurechtliche und verkehrliche Probleme, den Ort und die Gestalt der Moschee (zum Beispiel die Höhe des Mi-

40 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND naretts), sondern auch um den Namen der Moschee sowie um die konkreten Funktionen, die der Moschee vom Moscheebauträger zugewiesen werden. Die Multifunktionalität einer Reihe geplanter Moscheebauten, die sich in dem Namen ‚Islamisches Zentrum‘ ausdrückt, hat Kritik und Befürchtungen ausgelöst, hier würden nicht nur gottesdienstliche Räume errichtet, sondern zugleich politische Machtansprüche erhoben“ (Kandel 2008: 3).

Mit den Konflikten um sichtbare Moscheen, die mit einem Minarett versehen werden, verbindet sich zusätzlich häufig die Befürchtung einer akustischen Raumnahme durch den Muezzinruf. Auch die dabei geäußerten Positionen beziehen sich nicht in erster Linie auf rechtliche Probleme, sondern äußern eher gesellschaftliches Unbehagen (vgl. Pott/Thieme 1999: 458ff.; Lemmen/Miehl 2001: 30f.), das wiederum auf die bereits beschriebene Polarisierung von Islam und Europa rekurriert. Der Gebetsruf wird dann zu einem islamischen Übergriff in die vorwiegend nicht-islamische Öffentlichkeit stilisiert. In Deutschland ist der Aufruf zum Gebet außerhalb der Moschee noch immer die Ausnahme. Stefan Muckel und Reiner Tillmanns betonen im Sammelband „Der Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates“ (2008), dass ein grundsätzliches Verbot des Gebetsrufes nicht zulässig sei, da es die Religionsfreiheit unzulänglich einschränke. Dieses Grundrecht könne nur beschnitten werden, wenn dadurch „Grundrechte Dritter und Gemeinschaftsinteressen von Verfassungsrang beschränkt“ (Muckel/Tillmanns 2008: 257) würden, was im konkreten Fall zu prüfen sei. Bei vielen neueren Moscheeprojekten schlossen die jeweiligen Bauherren den öffentlichen Aufruf zum Gebet von vornherein aus, um Konflikten vorzubeugen. Die Diskrepanz zwischen dem grundsätzlichen Recht auf einen Gebetsruf und seiner tatsächlichen Durchführung ist eklatant und zeigt, in welchem Maße der öffentliche Raum als umkämpfter gesellschaftlicher Aushandlungsort anzusehen ist. In Westeuropa haben allein die Niederlande den Muezzinruf gesetzlich anerkannt (vgl. Allievi 2003: 355f.). Eine weitere gesellschaftliche Aushandlung, die Islam und Sichtbarkeit betrifft, manifestierte sich im Streit um die Darstellbarkeit des Propheten Mohammed und damit verbunden um die Legitimität religionskritischer Satire. Wie bereits die „Rushdie-Affäre“ von 1989, rührte ab 2005 der Streit um die Mohammed-Karikaturen weltweit die Gemüter. Der Konflikt begann, als die dänische Zeitung Jyllands Posten satirische Zeichnungen des Propheten Mohammed druckte und fand im Januar 2015 in Paris bei einem Anschlag auf die Redaktion der an der Veröffentlichung beteiligten Satirezeitschrift Charlie Hebdo seinen bisherigen traurigen Höhepunkt. In den zehn Jahren, die seit dem ersten Erscheinen der Karikaturen vergangen waren, kam es zu diversen Ausschreitungen, bei denen weltweit über hundert Menschen ums Leben kamen. Ohne den Verlauf

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des Karikaturenstreits nun im Einzelnen darzulegen, lässt sich daran die politische, mediale und soziale Verquickung des europäischen Islamdiskurses ermessen. Vor allem in Anschluss an die Anschläge auf Charlie Hebdo im Januar 2015 entwickelte sich eine weltweite zivilgesellschaftliche Kampagne, die unter dem Label „Je suis Charlie“ Solidarität mit den Karikaturisten bekundete. Die spontane Initiative verbreitete sich in den sozialen Netzwerken des Internets und fand religionsübergreifend Anhänger und Kritiker (vgl. Müller 2015). Vor allem der Streit um die Legitimität von Religionskritik und Blasphemie, der im Zuge der Anschläge wieder aufflammte, zeigt auf, wie unzureichend die an religiösen Zugehörigkeiten orientierte Lagerbildung die soziale Realität widerspiegelt. Die weltweite Rezeption und Reaktion auf die Anschläge einer auflagenschwachen Spartenzeitschrift wie Charlie Hebdo veranschaulicht, welche Sprengkraft Gewalt mit Bezug auf Islam knapp vierzehn Jahre nach den Anschlägen des 11. September 2001 noch hat. Insofern verbindet die Episode des Karikaturenstreits die Motive Sichtbarkeit und Sicherheit miteinander und zeigt, dass Anerkennung nur als Zusammenspiel von gesellschaftlichen und rechtlich-politischen Aspekten realisiert werden kann (vgl. Akgönül 2013: 1; Spielhaus/Herzog 2015: 10). Dieses Zusammenspiel wird von Tezcan als Konstruktion eines „muslimische[n] Subjekt[s]“ (2012) gefasst, das aus Perspektive des politischen Zugriffs gleichzeitig „Gefahrenquelle und Ansatzpunkt“ (Tezcan 2012: 18) darstelle. Um einen weiteren Blickwinkel auf den Diskurs um Islam in Europa zu erhalten, möchte ich einen zweiten Diskursstrang skizzieren, der als widerständige Identitäten zusammengefasst wird. Dabei geht es nicht um eine inhaltlich andere Auseinandersetzung, sondern um einen Zugang zum Topos, der sich durch seine subjektiv-identitäre Perspektive von der vorherigen Schilderung gesellschaftspolitischer Aspekte unterscheidet. Stand bisher Anerkennung respektive NichtAnerkennung als Diskursfeld im Zentrum meiner Analyse, nehme ich nun die gewissermaßen mikrozentrische Perspektive der Konstruktion von Identitäten in den Blick, die den Umgang mit islamischen Aushandlungsprozessen anhand kontroverser kollektiver Selbstverortungen nachvollzieht. 2.2 Widerständige Identitäten Vor dem Hintergrund der neuen islamischen Präsenz (vgl. Gerholm/Lithman 1988) lassen sich im Diskurs um Islam in Europa akademische und politische Ansätze verorten, die die identitären Implikationen dieser neuen Präsenz verhandeln. Sie lassen sich in drei Themenblöcke gliedern. Zum einen sind muslimische Identitäten normativ entweder als streng religiöse Konzepte im Sinne Tariq Ramadans „Muslimsein in Europa“ (2001) oder streng säkulare Konzepte im

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Sinne eines assimilierten „Euro-Islam“ (Tibi 2002) diskutiert worden (2.2.1). Eine zweite Ebene, die ich hier illustrieren möchte, bezieht sich auf die komplementäre Gegenposition, die unter dem Schlagwort Islamophobie firmiert und hier im Sinne eines dialektischen Identitätsbegriffs in die Diskussion einbezogen werden soll (2.2.2). Mit Laclau wird damit die Auffassung vertreten, dass die Infragestellung oder grundlegende Kritik an einer Identität ihre Existenz bestätigt und den konstitutiven Charakter des Eigenen impliziert (vgl. Laclau 1990: 32). Der hier unternommene Versuch der konzeptionellen Dekonstruktion von Muslimen und Nicht-Muslimen ist dementsprechend verbunden mit der Synthese islambezogener Identitätskonstruktionen, gleich ob ablehnend oder affirmativ. Das dritte Unterkapitel verhandelt die Diversität islamischer Identitäten als hybride Selbstverortungen (2.2.3) und beleuchtet die Strategien und Praktiken, die in dieser Perspektive kollektiv und subjektiv entwickelt werden. 2.2.1 Euro-Islam Der Art und Weise, wie Muslime in Europa leben, ist seit der Wahrnehmung einer neuen islamischen Präsenz (vgl. Gerholm/Lithman 1988) viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Einigen Autoren zufolge hat die wissenschaftliche und gesellschaftliche Beschäftigung mit der Religiosität und den subjektiven Identitätskonstruktionen von europäischen Muslimen vor der Diskussion um ihre politische Anerkennung eingesetzt (vgl. Bader 2007). Um in diese Diskussion einzusteigen, bietet sich zunächst der Blick auf ein Konzept an, das subjektive Religiosität mit gesellschaftlicher Passung verbindet. Den Begriff Euro-Islam, oder besser die Ideen, die damit verbunden sind,11 werde ich hier anhand zweier Autoren skizzieren, die konträre Handlungsprogramme für europäische Muslime entwickelt haben und damit das Spektrum der Interpretationsmöglichkeiten europäisch-islamischer Identitäten illustrieren. Zuerst widme ich mich in aller Kürze dem Islamwissenschaftler Tariq Ramadan, der in Oxford lehrt und eine der profiliertesten Positionen im EuroIslamdiskurs ausformuliert hat. Als schweizer Eidgenosse mit ägyptischen Wurzeln verbindet er den orthodoxen Islam seines Großvaters Hassan Al-Banna, der die Muslimbruderschaft mitbegründete, mit einem selbstbewussten Auftreten des in Europa sozialisierten Akademikers. Mit seinem Buch „Muslimsein in Europa“ (2001) liefert er eine erste Handlungsanleitung, die die Scharia12 zwar als obers-

11 Tariq Ramadan verwendet nicht den Begriff Euro-Islam, spricht allerdings von einer „europäischen islamischen Kultur“ (Ramadan 2009:262). 12 Arabisch für ‚Weg zur Tränke‘; das offenbarte Gesetz des Islam, das religiöse islamische Recht (Wehr 1976: 424).

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tes Gebot auffasst, allerdings trotzdem einen pragmatischen und alltagstauglichen Umgang mit islamischem Recht vorschlägt. In weiteren Werken zum Thema hält sich sein Pragmatismus allerdings insofern in Grenzen, als er die „westliche Einheitskultur“ (Ramadan 2009: 252) gerade für muslimische Jugendliche in Europa für problematisch hält und eine möglichst distanzierte Haltung ihr gegenüber präferiert. Diese Position expliziert er als „Entwicklung einer europäischen islamischen Kultur“ (Ramadan 2009: 262), die sich sowohl gegen den „Strudel der Un-Kultur ohne Seele und Werte“ (ebd.) als auch gegen den Zustand einer „andauernden Verwerfung mit unserer Umgebung“ (ebd.) richtet. Damit benennt Ramadan die beiden Pole, innerhalb derer sich die Ausgestaltung einer islamisch-europäischen Identität vollziehen soll. Sie sind es auch, die die kontroverse Rezeption seines Konzeptes ermöglichten. Während Kritiker die Bemerkungen über eine europäische „Un-Kultur“ bei Ramadan hervorheben und daraus eine antiwestliche Haltung ableiten, betonen andere seine Verfassungskonformität (vgl. Ammann 2006: 23ff.). Ramadans Vorstellung nach sollen europäische Muslime sich durchaus in Europa zu Hause fühlen. Allerdings schreibt er ihnen eine Rolle zu, die die stetige Distanz impliziert. Sie besteht darin, dass europäische Muslime von Ramadan als „Korrektiv“ (Neugebauer 2014: 153) für die übrige europäische Gesellschaft konstruiert werden. Damit nehmen sie einen selbstermächtigenden, zentralen Platz ein, und können so die stigmatisierende Verortung von Islam in Europa umkehren. Trotz dieser Aufwertung verharrt Ramadans Modell eines europäischen Islam in der Dichotomisierung von Islam und Europa und grenzt beides penibel voneinander ab. Mit dieser Haltung ist Ramadan nicht allein im Diskurs um die Verortung von Islam und Europa. Bezeichnenderweise lässt sich auch bei einem nach eigenen Angaben säkularen Muslim die Modellierung eines EuroIslam beobachten, der den Bindestrich des Begriffs eher zu einer Trennlinie werden lässt. Bassam Tibi, syrischstämmiger Sozialwissenschaftler in Deutschland, legt einen assimilativen Ansatz zu Grunde, wenn er schreibt, dass sich nicht nur die europäischen Gesellschaften auf ihre neuen muslimischen Minderheiten einstellen, sondern auch und vor allem Muslime an ihre europäische Umwelt anpassen sollten (Tibi 2002: 32). Tibi nutzte den Begriff bereits in den 1990er Jahren (vgl. Nielsen 2007: 35). Obwohl seine Ideen bis heute eher kritisch rezipiert werden, regte er eine weitreichende normative Debatte um die Konfiguration von Islam in Europa an (vgl. Neugebauer 2014: 94f.). Allerdings weist Jørgen Nielsen darauf hin, dass Tibis Europabegriff zum einen Standards zu Grunde lege, denen weder europäische Religionspolitiken noch die Mehrzahl der europäischen Bürger gerecht werden können. Er schreibt: „The expectation of religious tolerance is one which is blind to the continuing national and ethnic

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intolerance which remains endemic in European culture and continues to find expression in national legislation and policies“ (Nielsen 2007: 36). Darüber hinaus setze Tibis Europabegriff, der Religionen als Privatsache behandle, Europa mit Frankreich gleich, wo die strikte Trennung von Staat und Kirche zur Staatsräson gehört. Nielsen pointiert, dass diese Sichtweise eine höchst unterkomplexe Herangehensweise an die vielfältigen nationalen und regionalen politischen Kulturen Europas darstelle, die auf unterschiedliche Weise mit Religion im öffentlichen Raum umgehen (vgl. ebd.: f.). In Analogie zu den Konzepten Afro-Islam oder Indo-Islam, die die regionalen Varianten von Islam in den verschiedenen Teilen der Welt beschreiben sollen, konkretisiert Tibi seine Idee wie folgt: „[…] a liberal variety of Islam acceptable both to Muslim migrants and to European societies, one that might accommodate European ideas of secularity and individual citizenship along the lines of modern secular democracy. In other words Euro-Islam is the very same religion of Islam, although adjusted to the civic culture of modernity“ (Tibi 2002: 37).

Die Definition ist aus verschiedener Hinsicht problematisch. Bereits der Bezug auf andere kulturell geprägte Varianten wie den Afro-Islam legt eine Regionalisierung nahe, die in keiner Weise die Komplexität örtlich-religiöser Praktiken zu erfassen vermag. Auch die Infragestellung essentialistischer Identitätskategorien, die Tibi an anderer Stelle postuliert (vgl. Tibi 2002: 32), lässt sich hier nicht mehr herauslesen. Die Konstruktion Europas als einzig gültige Fassung der Moderne, die im obigen Zitat anklingt, vermittelt nicht den Eindruck der von ihm angemahnten Sensibilität für bestehende Wertkonflikte, sondern einer einseitigen Zuweisung dieser Konflikte in Richtung der muslimischen Migranten. Während Tibi im ersten Teil seiner Definition für die meisten Muslime Selbstverständlichkeiten ausspricht, wie die Achtung der individuellen Staatsbürgerschaft, vermittelt sein Konzept ein eurozentrisches Islambild. Auch die Tatsache, dass sein Aufsatz „Muslim Migrants in Europe: Between Euro-Islam and Ghettoization“ (2002) die städtische Segregation von muslimischen Migranten in Europa als rhetorische Gegenfigur zu dem von ihm vorgeschlagenen Konzept konstruiert, deutet das Verständnis an, mit dem Tibi soziale Konflikte anhand vermeintlich kultureller Eigenheiten erklären möchte. Tibis Absicht, eine Alternative zu den beiden, von ihm als dominant bezeichneten Positionen „anti-Islamic“ (Tibi 2002: 41) und „philo-Islamic“ (ebd.) zu entwickeln, ist zwar theoretisch begrüßenswert, jedoch verfällt er in der Umsetzung selbst in essentialisierende Deutungsmuster, wenn er assimilierte Muslime und islamfreundliche, nicht-muslimische Europäer des „self-denying“ (Tibi 2002: 42 vgl. auch 31) beschuldigt.

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Letztere bringt er auch pauschal mit dem politischen Konzept des Kommunitarismus in Verbindung, das er als Katalysator für die Abgrenzung muslimischer Europäer darstellt. Dabei ignoriert er die politischen Realitäten, die im antikommunitaristischen Frankreich die Segregation vor allem muslimischer Franzosen eskalieren ließ. Der Weg zum Euro-Islam führt nach Tibi über Dialog. Seine wenig innovativen Vorschläge für einen intensiveren interreligiösen Dialog illustrieren die akademische Fixierung auf sprachlich-diskursive Aushandlungsformen, deren Logik ich in der vorliegenden Arbeit kritisch beleuchten möchte. Tezcan weist in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Begriff EuroIslam auf zwei weitere Aspekte hin. Neben der eurozentrischen Perspektive, die das Konzept offenbart und auf die ich in den obigen Ausführungen bereits hingewiesen habe, identifiziert Tezcan eine sachliche und eine strategische Dimension, die der unkritischen Rezeption eines Euro-Islam, wie unter anderem Tibi ihn vorschlägt, entgegen stehen. Die sachliche Kritik, die Tezcan äußert, bezieht sich auf eine geopolitische Überlegung: „Inwiefern macht unter den Bedingungen der Globalisierung, in unserer Zeit der intensivierten Globalisierung, in der Institutionen, Personen und Ideen weltweit zirkulieren, noch die Europäisierung als eine Kategorie aus dem kulturellen Bestand 19. Jh. [sic!] Sinn?“ (Tezcan 2013: 9).

In Zusammenhang mit den Konflikten in der Türkei, die sich 2013 mit den Protesten rund um den Istanbuler Taksim Platz entluden, benennt Tezcan eine transnationale Tendenz, die sich zwischen radikalen Islamisten und Gegnern dieser orthodoxen Islamauslegung entspinnt. Eine ähnliche Szenerie ließe sich in Ägypten unter der Herrschaft des Muslimbruders Mursi beobachten (Tezcan 2013: 7). Wenn also auch außerhalb Europas, gewissermaßen auf dem muslimischen Kerngebiet, Deutungskämpfe um die Allgegenwart islamischer Verhaltensregeln ausgefochten werden, könne dies nicht als europäisches Phänomen bezeichnet werden, ohne dabei erneut die Frage des Eurozentrismus aufzuwerfen. Die zweite Dimension, die Tezcan als „strategisch“ (Tezcan 2013: 9) bezeichnet, bezieht sich auf die Annehmbarkeit des Begriffs Euro-Islam aus islamistischer Sicht. Einer proklamierten Verwestlichung ihrer Religion können europakritische Muslime, die sich vor der kulturellen Hegemonie des Westens und in Folge dessen vor dem Wertverlust dort lebender Muslime fürchten, kaum zustimmen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Ramadan, dessen

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orthodoxe Version einer islamisch-europäischen Kompatibilität ich oben auch unter dem Label Euro-Islam diskutiert habe, diesen Begriff selbst nicht verwendet. Die kontroversen Konzepte von Tibi und Ramadan haben nicht nur konstruktive Kritiken aus dem akademischen Diskurs entfacht, sondern können teilweise als Auslöser und Reaktion auf anti-islamische Positionen gedeutet werden, die sich im Topos Islam in Europa besonders in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt haben. 2.2.2 Islamophobie, Muslimfeindlichkeit und die Neuaushandlung des Eigenen und des Fremden Zu Beginn dieses Aufrisses habe ich die historisch-diskursive Gegenüberstellung von Islam und Europa konstatiert, die in den vergangenen zwanzig Jahren aufs Neue hervorgetreten ist. Mit kritischem Bezug auf Huntingtons These des „Clash of Civilizations“ (1993) lässt sich geopolitisch nach dem Ende des Ost-WestKonflikts die westliche Suche nach einem neuen Feindbild nachzeichnen, die in der Religion des Islam und seinen Anhängern endete. Der islamkritische Diskurs, den ich im vorliegenden Unterkapitel diskutieren werde, nahm in Teilen der europäischen Gesellschaften deutlich xenophobe Züge an und wird mittlerweile unter dem Begriff Islamophobie verhandelt. Die DIK widmete dem Thema 2012 eine Fachtagung, auf der die politisch-rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen der Debatte diskutiert wurden (DIK 2013). Die Sozialwissenschaftlerin Naime Çakir, die sich in ihrer Dissertation mit Islamfeindlichkeit beschäftigte, hielt auf der Fachtagung einen Vortrag über den „‚Nutzen‘ der Islamdebatte“. Darin führte sie das Phänomen auf die soziale Logik von Identitätskonstruktionen zurück, die zur eigenen Bestätigung einer Abgrenzung nach außen bedürfen. Çakir diskutierte in ihrer Dissertation verschiedene soziologische Modelle des Eigenen und des Fremden und kommt zu dem Schluss, dass diese eine „komplexitätsreduzierende“ (Çakir 2013: 98) Wirkung haben und, bezogen auf Islam „eine große Gruppe von Menschen“ (ebd.) exkludieren können (vgl. Çakir 2014: 35ff.). Es bleibt die Frage, ob sich diese Logik tatsächlich am besten mit dem Begriff der Islamfeindlichkeit beschreiben lässt, der auf die Religion statt auf die Gläubigen abzielt. Mit dieser Unterscheidung hat sich die Arbeitsgruppe Prävention der zweiten Runde der DIK beschäftigt und in Anlehnung an den Soziologen Heiner Bielefeld den Begriff der Muslimfeindlichkeit als Diskussionsgrundlage konzipiert. Auch die Studie des FriedrichEbert-Instituts „Die Abwertung der Anderen“ (2011), die eine „europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung“ vornahm, bezeichnet Muslimfeindlichkeit als den treffenderen Ausdruck und kommt zu dem Schluss, dass diese Haltung in allen europäischen Gesellschaften mit mus-

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limischem Bevölkerungsanteil in ähnlichem Maße verbreitet sei (vgl. Zick et al. 2011: 46 und 69ff.). Wie Klaus-Dieter Fritsche (CSU, damals Staatssekretär im Bundesministerium des Innern) in seinem Grußwort auf der DIK-Fachtagung 2012 explizierte, steht hinter der Differenzierung zwischen Islamophobie und Muslimfeindlichkeit die verfassungsrechtliche Neutralität gegenüber Weltanschauungen, die eine kritische Haltung gegenüber der Religion des Islam nicht sanktionieren könne, eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hingegen schon (vgl. Fritsche 2013: 9). Diese „als Islamkritik verbrämte Muslimfeindlichkeit“ (ebd.) stellte Fritsche in den Mittelpunkt des Tagungsinteresses. Allerdings lassen sich die Phänomene in der sozialen Realität kaum voneinander trennen. Islamkritik ist salonfähig geworden und führt in ihrem Fahrwasser nicht selten rassistische und menschenfeindliche Positionen mit. Gleichzeitig bildet Islamophobie ein Sammelbecken für Enttäuschungen über das politische System, wie die im Herbst 2014 entstandene Bürgerbewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) zeigt. Die Bewegung startete in Dresden mit wöchentlichen Demonstrationen, zu denen in Hochzeiten mehr als 15.000 Teilnehmer (Rucht 2015) erschienen und damit ein sichtbares Zeichen im öffentlichen Raum setzten. In zahlreichen weiteren Städten wurden Ableger gegründet und Demonstrationen durchgeführt, die allerdings weitaus weniger Menschen anzogen. Inwiefern die Demonstrierenden einen grundsätzlichen Unmut über bestehende politische Verhältnisse äußerten oder explizit die Präsenz von Islam in Europa kritisierten, wie es der Name der Bewegung vermuten lässt, ist nicht klar. Die ersten Untersuchungen zu dieser Frage deuten an, dass zumindest die Vermischung einer generellen Unzufriedenheit mit islamkritischen Positionen unter den Teilnehmern verbreitet ist (Rucht et al. 2015: 47). Dies zeigt, dass mit dem Schlagwort Islam eine diffuse negative Kategorie konstruiert wird, die ein gewaltiges Mobilisierungspotential aufweist. Auf der anderen Seite organisierte sich sowohl in Dresden als auch anderswo eine ebenso große, kritische Öffentlichkeit gegen die islamophobe Bewegung und zeigte so eindrucksvoll, dass die Kritik am Islam keinen gesellschaftlichen Konsens hat. Darüber hinaus lässt sich mit dem Aufkommen von PEGIDA und den Reaktionen und Gegendemonstrationen illustrieren, dass der deutsche Islamdiskurs nicht entlang der Grenzen von muslimischen und nicht-muslimischen Sprecherpositionen geführt wird. Vielmehr verläuft der Graben zwischen jenen, die Muslime und Islam in Europa grundsätzlich für eine Gefahr halten und seine Präsenz unterbinden wollen und jenen, die dies nicht so sehen (vgl. Foroutan 2010).

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Während Dresden mit Abstand die größte PEGIDA-Bewegung hervorgebracht hat, kann sie deshalb nicht als ausschließlich lokales Phänomen betrachtet werden. Der Vorsitzende des Rats für Migration, Werner Schiffauer, hält die Entstehung von PEGIDA für eine Nachwehe des CDU-Slogans, Deutschland sei kein Einwanderungsland und Migration nach Deutschland müsse unterbunden werden, der Bestandteil des Koalitionsvertrages von 1983 war (vgl. Zeit Online 2015). Auch die Entstehung politischer Parteien, die nach eigenen Angaben islamkritische Positionen vertreten, deuten eine translokale Verbreitung des Phänomens an. Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler schreibt dazu: „Das Feindbild Islam gilt als Erfolgsschlager in der europäischen Rechten“ (Häusler 2011: 1). In Deutschland besetzte diese Position bislang die PRO-Bewegung, aus der die PRO-Köln Initiative hervorging und mittlerweile verschiedene lokale und regionale Ableger sowie einen Bundesverband hat. In anderen europäischen Ländern haben islamfeindliche, rechtsgerichtete Parteien wie der Front National (FN) in Frankreich, oder die Partij voor de Vrijheid (PVV) in den Niederlanden auch bei überregionalen Wahlen Erfolge verzeichnet.13 Ohne im Einzelnen auf die Entstehens- und Beweggründe von PEGIDA und den genannten politischen Parteien einzugehen, lässt sich an ihnen exemplarisch ein gesellschaftlicher Zeitgeist illustrieren, der im Spannungsfeld einer Neuaushandlung des Eigenen und des Fremden steht. Neben breiten Teilen der deutschen und europäischen Gesellschaften, die sich mit Bezugnahme auf Islam neu positionieren, entfacht diese Entwicklung auch im akademischen Kontext Kontroversen. Mit dem Schlagwort Islamophobie wird ein Begriff in die Debatte eingeführt, in dem dieser Streit kulminiert. Der Islamwissenschaftler Tilmann Nagel diskreditiert den Begriff in einem gleichnamigen Aufsatz, der 2014 erschien, als schwammig und unscharf (vgl. Nagel 2014: 330) und fasst ihn als apologetische Figur auf. Er kritisiert, „wie mit der Verwendung des Begriffs ‚Islamophobie‘ beabsichtigt, ein religiös-politisches System, das bedingungslose Anerkennung und kritiklose Unterwerfung fordert, für unantastbar erklärt werden soll“ (ebd.: 331). Dagegen nimmt die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan die Existenz von gesellschaftlichen Vorbehalten gegen Islam und Muslime durchaus ernst. Wie eine von ihr geleitete repräsentative Studie zu Einstellungen gegenüber

13 Die deutschen Übersetzungen lauten Nationale Front (FN) und Freiheitspartei (PVV). Auch in Dänemark, Großbritannien und anderen europäischen Ländern gibt es explizit islamfeindliche Parteien (vgl. Netz gegen Nazis 2009). Die PVV wurde 2011 in den Niederlanden die drittstärkste politische Kraft und der FN ist seit 2012 in der französischen Nationalversammlung vertreten.

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Muslimen in Deutschland zeigte, sei ein großer Teil der deutschen Gesellschaft zumindest teilweise islamfeindlich eingestellt und repräsentiere damit einen „Resonanzboden“ (Foroutan et al. 2015: 7), auf dem Angriffe gegen Muslime und islamische Einrichtungen salonfähig werden. Die „Sarrazin-Debatte“ von 2010 hat dazu einen entscheidenden diskursiven Beitrag geleistet. Mit seinem 2010 erschienenen Buch „Deutschland schafft sich ab“ hat der ehemalige Finanzsenator Berlins, Thilo Sarrazin, eine Debatte losgetreten, deren islamophobes Potential frappierend ist. Mit seinen fragwürdigen Thesen über vererbbare Intelligenz, die naturdeterministische Annahmen auf solch askriptive Merkmale wie Religion und Ethnizität übertragen (vgl. Sarrazin 2009), diskreditierte er seine Aussagen zwar im akademischen und politischen Kontext weitgehend selbst. Allerdings kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Buch millionenfach verkaufte und offenbar „ins Schwarze“ traf (Wehler 2010). Die Frequenz, mit der Politik und Medien darum bemüht waren, Sarrazins Behauptungen zu widersprechen oder in Frage zu stellen, zeigt, wie ernst sie genommen wurden. Sigmar Gabriel ließ sich schließlich, nachdem er Sarrazins Buch scharf verurteilt hatte, dazu hinreißen, nach einer „entschiedeneren Integrationspolitik“ (ebd.) zu rufen und gab dem damaligen Mitglied der deutschen Bundesbank damit implizit Recht. Sarrazins Position bezüglich muslimischer Migranten und ihrer Nachkommen offenbarte sich bereits in einem 2009 in der Zeitschrift Lettre International erschienenen Interview: „Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Dies gilt für siebzig Prozent der türkischen und für neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin“ (Sarrazin zitiert in Berberich 2009).

Dass einer solch pauschalisierenden Hasstirade überhaupt konstruktive Kritik entgegengesetzt werden muss, zeigt, dass Sarrazins Haltung kein Einzelfall war. Als solche hätte sie schlicht ignoriert werden können. Die Verknüpfung aus Polemik und scheinbar rationaler, weil in Prozentzahlen ausgedrückter Zustandsbeschreibung, liefert einen Hinweis auf den Erfolg seines Buches. Obwohl die Fehlbarkeit statistischer Werte und Darstellungen mittlerweile bekannt ist, ist die Wirkung von numerischen Daten als vertrauensgenerierende Unterfütterungen noch immer allgemein unvermindert. So ist nicht verwunderlich, dass in Reaktion auf die Aussagen Sarrazins vor allem seine statistischen Behauptungen auf den Prüfstand kamen und sich daraus wiederum neue Auseinandersetzungen über die richtige Verwendung von sozialwissenschaftlichem Datenmaterial entwickelten. Eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern der Humboldt Universität

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Berlin um Foroutan veröffentlichte kurz nach Erscheinen des betreffenden Buches einen „empirischen Gegenentwurf“ (2011), in dem die „messbaren Integrationserfolge“ (Foroutan et al. 2011: 3) von in Deutschland lebenden Muslimen herausgestellt werden sollten. In diesem Sinne reproduziert die Gegendarstellung die rationalistische Logik der von Sarrazin angestoßenen Debatte. Mit fortschreitender Rezeption des Buches „Deutschland schafft sich ab“ und der Position Thilo Sarrazins relativierten schließlich Leitmedien wie Spiegel Online oder Zeit Online ihre ablehnende Position und plädierten für eine differenziertere Rezeption (Matussek 2010; vgl. Wehler 2010). Der kritische Einwurf, das Buch behandle auch andere gesellschaftlich relevante Themen, die kaum Eingang in die öffentliche Diskussion fanden, ist für den hier vorgenommenen Diskursaufriss insofern relevant, da er die diskursive Sprengkraft des Topos Islam und Muslime in Deutschland sichtbar macht, von der andere Themen oftmals überlagert werden. In diesem selektiven Aufriss habe ich Diskursstränge gebündelt, die verschiedene Gegenpositionen zu Islam in Europa verhandeln. Dabei wurde deutlich, auf welch unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen anti-islamische Haltungen ausgedrückt werden und welch breite gesellschaftliche Rezeption damit verbunden ist. Der Aufriss hat allerdings auch deutlich gemacht, dass diese Haltung keinen Konsens hat, sondern eine öffentlich wahrnehmbare Neuaushandlung quer zu askriptiven Merkmalen wie muslimisch und nicht-muslimisch stattfindet. Auch Nicht-Muslime gingen gegen PEGIDA und für die sichtbare Präsenz von Islam in Deutschland auf die Straße. Sie dekonstruieren damit eine an religiösen Grenzen orientierte Dichotomie. Ähnlich wirken die affirmativen europäischen Selbstverortungen europäischer Muslime, die ein sowohl-als-auch proklamieren und damit Gegenstand zahlreicher empirischer Studien der vergangenen zwanzig Jahre geworden sind. Ihnen widme ich mich im folgenden Unterkapitel. 2.2.3 Diversität und hybride Identitätskonstruktionen Beschäftigten sich die letzten beiden Unterkapitel mit Identitäten, die ich als grenzerhaltend beschrieben habe, möchte ich nun den Fokus auf einen Diskursstrang richten, der die diversen alltäglichen Identitätskonstruktionen bündelt, die der Kategorie Muslime in Europa zuzuordnen sind. Weil sich die hier fokussierten Akteure oftmals einer dauerhaften, eindeutigen Verortung verweigern, sind sie selbst zum Gegenstand von verschiedenen empirischen Studien geworden, die die Hybridität von nicht nur islamischen Identitäten herausstellen.

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Der öffentliche Diskurs, der mit der Artikulation von Bindestrich-Identitäten einhergeht, lässt sich als diversity turn (vgl. Vertovec 2012: 287) beschreiben. Steven Vertovec schreibt dazu: „My lines of argument are that these discourses, policies and practices: have arisen and been developed by a confluence of factors; include definitions of diverse subjects that are ambigous and ever-shifting; are directed toward rather differing facets, goals or orientations; have become institutionally mainstreamed […] have cumulative social impacts that are transforming the social imaginary“ (Vertovec 2012: 288).

Vertovec geht sogar so weit, von einem „age of diversity“ (ebd.: 309) zu sprechen, was er mit dem grundlegenden Wandel gesellschaftlicher Narrative erklärt. Der Bezug zu Diversität sei mittlerweile weder aus politischen Agenden noch aus wissenschaftlichen Diskussionen wegzudenken. Dazu passt, dass die EU seit dem Jahr 2000 das Motto „In Vielfalt geeint“ hat und damit die Gegenüberstellung von Einheit und Vielfalt als Potential betont (Europäische Union 2015). Vertovec skizziert in diesem Zusammenhang, wie die These, ökonomische Effizienz durch Diversität zu steigern, den Erfolg des Konzepts vorangetrieben habe (Vertovec 2012: 291). Die Argumentation, vielfältig positionierte Arbeitnehmer könnten den diversen Markt- und Unternehmensanforderungen besser gerecht werden, trifft dabei den rationalistischen Zeitgeist und führt das Paradigma der funktionalen Differenzierung fort. Darüber hinaus löse der diversity turn das Konzept des Multikulturalismus weitgehend ab, so Vertovecs These (Vertovec 2012: 293). Er zeichnet dies anhand verschiedener nationaler und europäischer Initiativen nach, die zunächst von Großbritannien ausgingen und sich mittlerweile mehr oder weniger europaweit ausgebreitet haben (Vertovec 2012: 293). Dabei habe sich der inhaltliche Fokus von „‚fixed‘“ auf „‚fluid‘ […] characteristics“ (ebd.: 295), also von angeborenen Dispositionen zu veränderbaren und somit selbstgewählten Verortungen gewandelt. Diese Entwicklung warf zusammen mit der Ausdehnung des diversity-Ansatzes auf alle möglichen Unterschiede menschlichen Lebens die Frage auf, wem ein solch verwässerter Diversitätsbegriff gelte oder noch mehr: wem er eigentlich nicht gelte (ebd.: 299). Für den Diskurs um Muslime in Europa übersetzte Spielhaus diese Unsicherheit in die Frage: „Wer ist hier Muslim?“ (2011). In ihrer Dissertation widmete sie sich verschiedenen muslimischen Selbst- und Fremdverortungen in Deutschland und wählte dazu einen zweigliedrigen empirischen Ansatz. Sie befragte und beobachtete zum einen vor allem Personen des öffentlichen Lebens, die sich zu Islam in Deutschland geäußert hatten und in diesem Zuge als Muslime aufgetreten waren, jedoch auch andere Subjektpositionen einnahmen. Zum anderen rekon-

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struierte sie die Gründung und Entwicklung der SCHURA Hamburg als politisches Vertretungsorgan von Muslimen unterschiedlicher sozialer Ausprägungen. Mit diesem Forschungsdesign dekonstruiert Spielhaus die diskursive Trennung zwischen Verbands-Muslimen und autonomen, nicht-religiös organisierten Personen mit subjektivem Islambezug. Die Diversität muslimischer Positionen sieht Spielhaus im öffentlichen Diskurs und in den Medien mittlerweile gebührend wiedergegeben (Spielhaus 2011: 177). Sie sei aber auch eine Folge der antimuslimischen und anti-islamischen Stimmung, die auch Akteure, die sich vorher nicht über ihre muslimische Zugehörigkeit verortet hatten, zur Stellungnahme motiviert habe. Darin liest Spielhaus eine „Chance der Erlangung von Handlungsfähigkeit“ (Spielhaus 2011: 179). Sahen sich einige der von Spielhaus befragten Akteure dem Vorwurf ausgesetzt, keine Muslime zu sein, weil sie nicht in das gängige Bild passten, lieferte dies bisweilen den entscheidenden Anstoß, sich doch als solche zu erkennen zu geben. Die Frage „Wer ist hier Muslim?“ (ebd.) bringt also eine Verknüpfung von situativem Kontext und damit zusammenhängender Identifizierung mit religiösen oder anderen Kategorien zum Ausdruck und macht deutlich, dass die Verhandlung von Identitäten stets kontextbezogen ist. Dieser diskursive Kontext, so das Fazit der Autorin, habe in Deutschland vermehrt heterodoxe Stimmen hervorgebracht, die in Form von hybriden Positionierungen zu einem gemeinsamen islamischen Bewusstsein über die Grenzen orthodoxer Religiosität hinweg beitragen (vgl. Spielhaus 2011: 185). Aus einer anderen Perspektive befasst sich Jonas Otterbeck mit dem Problem der Repräsentation von heterodoxen muslimischen Positionen. In seiner Studie zu „Ritualization among young adult Muslims in Malmö and Copenhagen“ (2011) mit jungen Erwachsenen, die sich nur peripher als Muslime verorteten, macht er darauf aufmerksam, dass jene weniger religiösen Akteure genauso ihren Teil zur Konstruktion von Islam beitragen wie ihre streng religiösen Glaubensgeschwister. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs über Muslime kommen jedoch überproportional viele fromme Islamanhänger vor, wie Otterbeck kritisch feststellt (Otterbeck 2011: 1169). Allerdings setzt er mäßig religiöse Muslime mit nicht-organisierten Muslimen gleich und unterliegt damit selbst einer analytischen Verkürzung. In Deutschland gibt es mittlerweile mehrere Gruppen, die sich öffentlich als liberale Muslime bezeichnen und damit Widerstand gegen die übermäßig homogene Konstruktion orthodox islamischer Identität zeigen. Die Gründung eines Muslimischen Forums im April 2015 erregte zuletzt mediale Aufmerksamkeit, da sie von der Konrad-Adenauer-Stiftung nach eigenen Angaben initiiert und durch in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Medien gestaltet wird (vgl. Konrad-Adenauer-Stiftung

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2015).14 Ein weniger prominentes Beispiel für die Formierung explizit liberaler muslimischer Gruppen stellt der Liberal-Islamische Bund e.V. dar, der sich 2010 in Köln gebildet hat und nun auch in Frankfurt am Main vertreten ist (vgl. Fittkau 2015). Die einseitige Typisierung von organisierten Muslimen als orthodoxen Gläubigen ist somit nicht länger haltbar. Abgesehen davon bietet Otterbecks Ansatz fruchtbare Ideen zum analytischen Umgang mit religiösen und alltagsweltlichen Routinen und stellt eine innovative Form der Präsentation von qualitativen Daten dar, wie die tabellarische Auflistung einiger religiöser Praktiken und der dazugehörigen Antwortkategorien der befragten Jugendlichen und der Gestaltung des empirischen Materials als Graphic Novel veranschaulichen.15 In dieser Darstellung lässt sich die selektive islamische Performanz der untersuchten Akteure und die Simultaneität, mit der diese religiöse Regeln beherzigen und brechen, visualisieren (vgl. Otterbeck 2011: 1171ff.). Junge Erwachsene standen auch im Fokus der Dissertation von Nikola Tietze, die Ende der 1990er Jahre vier junge Muslime in Deutschland und Frankreich ethnographisch begleitete. Ihre Beobachtungen formuliert Tietze wie folgt: „‚Muslim sein‘ bedeutet kein feststehendes Programm und kein kodiertes Verhalten, sondern kommt in sich ständig ändernden, heterogenen, ja widersprüchlichen Religiositätsformen zum Ausdruck. Das diskontinuierliche, innovative und subjektive Verhältnis zur islamischen Tradition verweist auf deren Funktion als Subjektivierungsmodus“ (Tietze 2001: 8).

Tietze rückt das postmoderne Aushandeln von Identitäten in den Vordergrund ihres Erkenntnisinteresses und macht damit deutlich, dass Religiosität nicht mit einheitlicher Identitätskonstruktion einhergeht. Die von ihr beobachteten Akteure setzen unterschiedliche Schwerpunkte in Bezug auf ihre islamische Religiosität und entwickeln diese entlang verschiedener sozialer Einordnungsmuster, wie die Typologisierung der Autorin zeigt. Bemerkenswert sind ihre Ergebnisse auch fünfzehn Jahre später deshalb, weil noch immer eine Vorstellung von Muslimen als homogener sozialer Gruppe im öffentlichen Diskurs zirkuliert und diesen dominiert. Während die Anerkennung unterschiedlicher Lebensstile mittlerweile gesellschaftlicher Konsens geworden ist, bleibt diese Erkenntnis auf die Mitglie-

14 Unter den Gründungsmitgliedern des Forums sind Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Autorin, und Abdul-Ahmad Rashid, Journalist beim ZDF (vgl. KonradAdenauer-Stiftung 2015). 15 Das Genre der Graphic Novel zeichnet sich durch eine Kombination aus literarischer und visueller Darstellungsform aus.

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der der Mehrheitsgesellschaft beschränkt, während die Träger gesellschaftlich marginalisierter Positionen mit diesen häufig gleichgesetzt werden. Tietzes Behauptung geht über diese Feststellung hinaus, in dem sie die Funktion von Islam für junge Erwachsene in Deutschland und Frankreich in der Ausdifferenzierung von Identitätskonstruktionen lokalisiert. Die Akteure seien nicht zufälligerweise Muslime und Sportler, Studenten oder Arbeitslose, so die Autorin. Sie nutzen Islam auf unterschiedliche Weise, um mit den spezifischen gesellschaftlichen Herausforderungen, denen sie begegnen, umzugehen (vgl. Tietze 2001: 10). Auch der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch hat sich mit der Situation „Islamische[r] Jugendkulturen in Deutschland“ (2010) beschäftigt und eine Diversität der sozialen Konfigurationen von Islam festgestellt. Er illustriert in seinem Artikel, dass der gesellschaftliche Diskurs nach wie vor von der Homogenität islamischer Lebensführung ausgehe (vgl. Nordbruch 2010: 35). Nordbruch skizziert das gesamte Spektrum islamischer Jugendbewegungen und kommt zu dem Schluss, dass seine Ausdifferenzierung zwischen islamistischkonservativen Gruppierungen und popislamischen Formationen zu verzeichnen sei, was der Autor als Indiz für die „‚Einbürgerung‘ des Islam in Deutschland“ (ebd. 2010: 38) interpretiert. Während die Betrachtung von Jugendkulturen meist mit männlichen Akteuren verbunden ist, haben sich die Soziologinnen Sigrid Nökel und Nilüfer Göle in ihren Untersuchungen vor allem mit muslimischen Frauen beschäftigt. Nökel beschreibt die Alltagsroutinen der von ihr ethnographisch begleiteten Frauen als „Mikropolitiken“ (Nökel 2004: 285), die die Vereinbarkeit von islamischen und modernen europäischen Werten vielschichtig demonstrieren und praxeologisch verkörpern. In der Kombination von „Karriere plus Kopftuch“ (ebd.) sieht sie eine Strategie, die auf die „kollektive Selbstermächtigung“ (Göle 2004: 23) verweise, die auch von Nilüfer Göle im selben Band herausgearbeitet wird. Gemeinsam ist diesen Deutungen, dass sie die affirmativen Identitäten europäischer Muslime zwar als Reaktion auf die stigmatisierende Islamrezeption verstehen, jedoch den oftmals problemzentrierten Fokus islamischer Identifikationen im westlichen Diskurs verschieben. Auch das Forschungsprojekt „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle – HEYMAT“ (2013) unter der Leitung von Naika Foroutan beschäftigt sich mit den Potentialen europäischer Muslime, als Vermittler zu fungieren, um so die diskursiven Gräben zwischen Islam und Europa zu überwinden. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt kombiniert qualitative Erhebungsmethoden mit einer objektivistischen Herangehensweise, die auf Hypothesenprüfung und repräsentative Umfragen setzt. Im Rahmen des Projekts sind so für Hamburg und Deutschland umfassende Meinungsbilder entstanden, die sowohl Deutsche mit

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und ohne muslimischen Hintergrund miteinbeziehen und damit relevante Erkenntnisse über gesellschaftliche Stimmungen liefern (Foroutan et al. 2014a/b; Foroutan et al. 2015). Ein Ergebnis der Deutschlandstudie verweist auf die Ambivalenz zwischen abstrakter und konkreter Anerkennung von muslimischen Partizipationsforderungen. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass sich nicht-muslimische Deutsche zwar generell verständnisvoll für die politischen Belange von Muslimen äußern, allerdings bei Fragen der praktischen Umsetzung weniger Empathie zeigen. Ein weiteres Ergebnis aus der Umfrage lässt diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis allerdings in einem anderen Licht erscheinen. Die Forscher ermittelten auch, dass persönliche Kontakte zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen die Meinung zu Islam in positiver Weise relativiere und dadurch einseitige Pauschalisierungen abgebaut würden (Foroutan et al. 2014a: 7). In der Anlage des Forschungsprogramms, das auf der Projekthomepage abzurufen ist, liegt der Schwerpunkt dennoch vor allem auf den muslimischen Akteuren und weniger auf wechselseitigen Verortungspraktiken aller Gesellschaftsmitglieder (vgl. HEYMAT 2013). Dies stellt eine Parallele dar, die sich in den Studien über hybride islamische Identitätskonstruktionen beobachten lässt. Während viele Autoren zwar implizit gesamtgesellschaftliche Prozesse verhandeln, beziehen sich die meisten ausschließlich auf Muslime, die zwar immerhin in all ihrer Unterschiedlichkeit, jedoch nach wie vor in Abgrenzung zu Nicht-Muslimen dargestellt werden. Insofern werden zwar die Effekte von muslimfeindlichen und normativ-muslimischen Positionen auf neue hybride Identitätskonstruktionen von Muslimen in der sozialwissenschaftlichen Forschung dazu mitgedacht. Neue Identitätskonstruktionen betreffen aber nicht nur diejenigen, die sich zum Islam bekennen, sondern auch jene, die als Nicht-Gläubige mit der Religion und ihren Anhängern in Kontakt kommen. Vergemeinschaftung kann auch über religiöse Bekenntnisse hinweg gestiftet werden und Gesellschaften verändern sich sukzessive mit den Mitgliedern und ihren sozialen Interaktionen. Im folgenden Teil werde ich versuchen, dieser analytischen Reduktion, die ich im Diskursaufriss über Islam in Europa konstatiere, ein Forschungsprogramm gegenüberzustellen, dass die ganzheitliche gesellschaftliche Transformation am Beispiel konkreter Aushandlungen in den Fokus rückt.

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3 K ONZEPTUALISIERUNG

DES

F ORSCHUNGSVORHABENS

3.1 Jenseits des Werte-Diskurses Der Diskurs, den ich auf den vorherigen Seiten versucht habe, in aller Kürze darzustellen, lässt sich polemisch mit der Behauptung zusammenfassen: „Islam doesnʼt exist“ (Filali-Ansari 2004). Filali-Ansari zielt mit dieser rhetorischen Überspitzung vor allem auf die homogenisierende Verwendung des Begriffs ab, der sowohl auf die Religion als Normensystem als auch auf den sozialen Umgang der Gläubigen mit ihrer Religion bezogen werde. Tatsächlich spricht FilaliAnsari damit einen wichtigen Kritikpunkt an, der sich auch auf die Unterschiede in der Ausrichtung und Dogmatik von Islam herunterbrechen lässt. Islam als Einheit ist schon deshalb kaum zu fassen, da er mit zahlreichen verschiedenen kulturellen Prägungen einhergeht und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen operiert. Diskursiv lässt sich das angesprochene Problem illustrieren, wenn die vielfältigen Herangehensweisen, die mit dem Topos Islam in Europa verbunden sind, einer kritischen Systematisierung unterzogen werden. Ich habe versucht, dies anhand der zwei Stränge nachzuzeichnen, die der Dichotomie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, also zwischen gesellschaftlicher Mikro- und Makroebene folgen. Der erste Strang beschäftigte sich mit der öffentlichen Seite des Diskurses in Form von wechselseitiger Anerkennung und Dialog. Der zweite Strang fokussiert die widerständige Aushandlung von Identitäten, die um die Definition des Eigenen und des Fremden kreisen. Der Diskursaufriss hat gezeigt, dass diese Stränge inhaltlich eng miteinander verbunden sind, da sich die öffentlichen Debatten um die politische Anerkennung von Islam auf die Selbstverortungen der betroffenen Akteure auswirken. Dabei wurde deutlich, dass die Dichotomie zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, die sich genealogisch-diskursiv aus der historischen Frontstellung zwischen Islam und dem Westen ableiten lässt, nicht länger praktikabel ist. Die von mir ausgewählten Diskurspositionen erheben zwar keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Objektivität, zeichnen aber durchaus relevante gesellschaftliche und akademische Debatten zum Thema nach und sollen auf diese Weise einen Einblick in die aktuelle und jüngere Islamrezeption geben. Zusammengefasst kulminiert der aktuelle Diskurs um Islam in Europa in der andauernden Kontroverse um die Vereinbarkeit von vermeintlich gegensätzlichen islamischen und europäischen Werten und den daraus resultierenden Identitätskonflikten muslimischer und nicht-muslimischer Europäer. Aus dieser verstetigten Problematisierung sind allerdings in den europäischen Nationalstaaten und auf EU-Ebene politische Initiativen entstanden, die auf eine Annäherung durch Anerkennung hinarbeiten. In Deutschland stellt die

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Einberufung der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im Jahr 2006 einen solchen Schritt dar. Die DIK ist als Dialogveranstaltung konzipiert und greift so auf die Dichotomie von Muslimen und Nicht-Muslimen zu. Angesichts der Fülle sprachlicher Äußerungen zum Topos Islam in Europa, die im vorliegenden Diskursaufriss lediglich punktuell wiedergegeben werden konnten, besteht jedoch kein Defizit in der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema. So bleibt es fraglich, inwiefern der DIK-Gesprächszirkel sozialen Wandel herbeiführen kann. Denn die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Islam in Deutschland zirkuliert auch im neunten Jahr nach Gründung der DIK zwischen Islamophobie und dem Plädoyer für Religionsfreiheit und Diversität. Um jedoch etwas Neues über den wechselseitigen Wandel von Islam und Europa zu erfahren, ist es meines Erachtens notwendig, mehr auf die Art und Weise der Kommunikation und ihrer Aushandlungsakte zu achten als auf die sich wiederholenden Inhalte. Ich gehe also mit der These von Filali-Ansari konform (vgl. Filali-Ansari 2004), insofern sie die Statik und Einheitlichkeit von Islam betrifft. Dass es alltägliche soziale Herstellungsprozesse gibt, die ohne Bezug auf ein wie auch immer geartetes Verständnis von Islam nicht denkbar wären, stellt auch Filali-Ansari nicht in Abrede. Jene konkreten Islamkonfigurationen sind es, die er im Zentrum des Erkenntnisinteresses verortet sehen möchte. Empirische Studien wie die Untersuchungen „Deutschland postmigrantisch I+II“, die unter der Leitung von Foroutan vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) durchgeführt wurden, arbeiteten weit verbreitete muslimfeindliche Tendenzen mehrheitsdeutscher Gesellschaftsmitglieder heraus. Wie im vorherigen Kapitel skizziert, stehe demnach der generellen Akzeptanz von Religionsfreiheit eine einschränkende Haltung gegenüber, die immer dann zum Tragen komme, wenn Muslime diese Religionsfreiheit konkret einfordern würden. Dieses Forschungsergebnis wird jedoch relativiert, sobald die Befragten persönliche Kontakte mit Muslimen haben und es nicht um abstrakt geäußerte Meinungen zu Islam und seinen Anhängern gehe (vgl. Foroutanet al. 2014a: 7). Auch Andreas Zick betonte auf der DIK-Fachtagung über Muslimfeindlichkeit die Relevanz von sozialen Kontakten zur Prävention von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (vgl. Zick 2013: 44). Aus dieser punktuellen Zusammenschau lässt sich folgern, dass den konkreten Praktiken der wechselseitigen Aushandlung islamischer, deutscher und anderer Identitäten Vorrang gegenüber einem Werte-Diskurs gegeben werden muss, der sich im Kreis zu drehen scheint. Dabei spielen vor allem alltägliche, lokale „Mikropolitiken“ (Nökel 2004: 285) eine Rolle, die zwar vereinzelt bereits Eingang in die akademische Rezeption gefunden haben, insgesamt trotzdem eher wenig Beachtung finden (vgl. u.A. Otterbeck 2011; Schmidt 2011). Ihre wissen-

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schaftliche Wahrnehmung beschränkte sich zumeist auf die Erforschung einzelner Akteure und blieb so der Untersuchung subjektiver Verortungen verhaftet. Wenn jedoch die Dichotomisierung des Diskurses, wie ich sie oben skizziert habe, überwunden werden soll, müssen integrativere Forschungsansätze gefunden werden, die in der Lage sind, sowohl mikrosoziale als auch gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge in den Blick zu nehmen, die an der sozialen Produktion von Islam beteiligt sind. Nach Göle eignet sich diese Herangehensweise nicht „für eine glatte Erzählung in Begriffen der Interaktion, des interkulturellen Dialogs und des Zusammenlebens von Kulturen“ (Göle 2008: 59). Im Anschluss an diese grundlegende Kritik der rationalistischen, polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Islam schlägt sie eine Dekonstruktion dieses Verständnisses vor: „Es geht um einen Prozess der wechselseitigen Anverwandlung, das heißt um eine Auseinandersetzung, die sich in den Körper einschreibt, in das Gedächtnis und in den Raum. Es kann nicht der eine zum Zeitgenossen werden ohne Konflikt, ohne Anachronistisches mitzunehmen und ohne zu akzeptieren, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt“ (Göle 2008: 59).

Ohne den Begriff der Anverwandlung als solchen übernehmen zu wollen, schließt sich das Forschungsprogramm dieser Arbeit, das ich im nächsten Kapitel darlegen werde, dieser widerspruchsaffinen Grundhaltung an. 3.2 Die gemeinsame Produktion von lokalem Islam – Das Forschungsvorhaben Vor dem Hintergrund des obigen Diskursaufrisses lässt sich in kritischer Anlehnung ein konzeptionelles Forschungsvorhaben formulieren, das die diskursiven Positionen aufgreift und versucht, diese unter verändertem Fokus produktiv umzusetzen. Ich habe vor allem die „vast categories and abstract concepts“ (FilaliAnsari 2004), die in der Polarisierung von Islam und Europa münden, kritisch beleuchtet. Aus dieser Wahrnehmung hat sich die Frage entwickelt, wie die betroffenen Akteure mit dem vorherrschenden Diskurs auf der lokalen, alltäglichen Ebene umgehen und welche performativen Strategien sie entwickeln, um ihre Vorstellung von Islam und Europa zu gestalten. Die Forschungsfrage korrespondiert mit der generellen Annahme, dass unterhalb des Diskurses, in dem Islam als das Andere konstruiert und seine politische und gesellschaftliche Zugehörigkeit kontrovers diskutiert wird, konkrete Aushandlungsprozesse stattfinden, die bereits zu erstaunlich stabilen Bündnissen und Kooperationen geführt haben und

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auf diese Weise die problemzentrierte Wertedebatte dekonstruieren. Diesen pragmatischen Strategien möchte ich in der vorliegenden Arbeit meine Aufmerksamkeit widmen. Damit verschiebe ich den räumlichen Fokus von Europa als übergeordneter historisch-geographischer Einheit und den darin enthaltenen Nationalstaaten, die lange als dominante Bezugsgrößen jeglicher Identifikationsprozesse galten (vgl. Glick Schiller 2008), und richte den Blick auf die Stadt. Dabei gilt zu beachten, dass auch dieser Zuschnitt die Gefahr der Essentialisierung birgt. Stadtgesellschaften wird eine Gleichzeitigkeit sozialer Dichte und Differenz zugeschrieben, die dazu geeignet sei, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse produktiv zu gestalten (vgl. Frey 2011: 382; vgl. Nassehi 2002: 214) und konkrete Praktiken der wechselseitigen Aushandlung in besonderem Maße beobachtbar zu machen. Diese Thesen, die dem lokalistischen Fokus der Stadtforschung entspringen, geben Anlass zu einer kritischen Konfrontation mit dem empirischen Material. Ihnen soll an dieser Stelle lediglich entgegengesetzt werden, dass die Bedeutung des Nationalstaats und der supranationale europäische Kontext weiterhin bestehen bleiben. Im hier entworfenen Forschungsprogramm tritt die räumliche Verortung von Identität vor allem als „praktische Anwendung von Diskurs-Wissen“ (Reckwitz 2003: 298) in Erscheinung und offenbart dadurch ihre soziale Konstruktion. Ähnlich steht es um die Relevanz der Diskursstränge. Die lokale Produktion von Islam findet, so lautet der Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung, genau zwischen diesen diskursiven Settings statt und lässt sich nicht auf einzelne Akteure, Institutionen oder Politiken reduzieren. Sie geht sowohl mit dem Sprechen über Anerkennung als auch mit der Formierung von Widerstand einher und schafft eine situative Verbindung, die der dichotomen Ordnung von Wissen entgegensteht. Im Kontext von Islam in Europa zeigt sich diese Dichotomisierung in der Konstruktion von Muslimen und Nicht-Muslimen sowie der eindimensionalen Forschung zu Institutionalisierungsprozessen auf der einen, und subjektiven islamischen Identitätskonstruktionen auf der anderen Seite. Nachdem ich die Struktur des Diskurses nachgezeichnet und ihre problematischen Implikationen aufgezeigt habe, möchte ich mein Forschungsprogramm durch eine integrative Herangehensweise davon abgrenzen. In diesem Sinne behandeln die drei Fallstudien meiner ethnographischen Untersuchung durchaus Aspekte, die im dominanten politischen und gesellschaftlichen Diskurs eine Rolle spielen und lassen sich in die Diskursstränge um Anerkennung und die Konstruktion neuer Identitäten in Bezug auf Islam einordnen. Jedoch nähern sie sich dem Problemfeld Islam in Europa auf lokaler Ebene und stellen mit ihrem Fokus auf unterschiedliche Aushandlungskontexte die diskursive Binarität in Frage. Insgesamt verweisen die Fallstudien auf eine Simultaneität von Zugehörigkeit und Abgrenzung und

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machen deutlich, dass Ambivalenz und Widersprüche genuin mit der gesellschaftlichen Aushandlung von Identitäten verbunden sind. Ihr gleichzeitiger Rekurs auf Prozesse der Institutionalisierung sowie der Erforschung religiöser und anderer Identitäten trägt dazu bei, die bestehende Fixierung auf abstrakte Wertkonflikte, die ich im Diskurs um Islam in Europa markiert habe, zu überwinden und einen reziproken Ansatz zu verfolgen. Davon erhoffe ich mir eine präzise und integrative Analysegrundlage der sozialen Handlungsroutinen aller Beteiligten und ein besseres Verständnis von Islam als ortsbezogenem, sozialem Produkt, als dies bisher verfügbar ist (vgl. Färber et al. 2012: 64). Während ich die Hegemonie sprachlicher Ausdrucksformen kritisiere, bleibt das Dilemma meiner eigenen sprachlichen Darstellung, die sich letztlich in den bestehenden wissenschaftlichen Korpus um Islam in Europa einreiht, bestehen. Dieses Problem lässt sich auch so einfach nicht auflösen, obwohl es in der ethnologischen Forschung Versuche gibt, die eigene empirische Untersuchung performativ und damit nicht rein sprachlich darzustellen (Turner 2002). Kritischer muss eher die Tatsache reflektiert werden, dass der „Boom in der Forschung über Muslime“ (Spielhaus 2011: 189) die Aufmerksamkeit, die medial und gesellschaftlich bereits hoch ist, weiter befördert. Spielhaus gibt außerdem zu bedenken, dass die Definitionsmacht, wer Muslim sei, „kaum bei muslimischen Akteuren liegt“ (ebd.: 175). Doch sind dies tatsächlich Motive für eine akademische Abkehr vom Thema? Safet Bectovic schreibt in seinem Aufsatz „Studying Muslims and Constructing Islamic Identity“ (2011): „The issue is not whether a researcher has achieved an image of Islam that is more or less identical with the Muslims’ own image, but whether s/he is aware that this image is not constructed only by Muslims themselves but also by researchers“ (Bectovic 2011: 1122).

Legt man das konstruktivistische Paradigma zu Grunde, demzufolge soziale Wirklichkeit durch die beteiligten Akteure und ihre Handlungen hervorgebracht wird, lässt sich diese Warnung durchaus als Chance begreifen, einen angstfreieren Umgang mit Islam in Europa zu schaffen, als dies gegenwärtig in der öffentlichen Debatte der Fall ist. Analog zu Bectovic ließe sich argumentieren, dass nicht nur Forscher in der Lage sind, Islam und das, was darunter verstanden wird, mitzugestalten, sondern alle Gesellschaftsmitglieder, die damit in Berührung kommen. Allerdings muss damit vor allem auf akademischer Ebene ein selbstreflektierter Umgang einhergehen, der die Verantwortung über den eigenen Diskursbeitrag reflektiert (vgl. Bectovic 2011) und kommuniziert. Die theoretische Grundlage meiner empirischen Untersuchung entwickele ich in kritischer Anlehnung an den dominanten, universalistisch-normativen

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Diskurs über Islam in Europa als Wechselwirkung von Lokalität, Identität und Aushandlung. Die konzeptionellen Implikationen und Zusammenhänge der Begriffe werde ich im folgenden Kapitel ausführen.

III. Lokalität, Identität, Aushandlung Bestimmung des theoretischen „Vokabulars“ für die empirische Analyse

Die vorliegende Arbeit richtet sich in ihrer theoretischen Fundierung nach einem Leitsatz von Andreas Reckwitz, der besagt, dass „Sozialtheorien in unserem Kontext nicht mehr und nicht weniger denn als heuristisch-perspektivische ‚Vokabulare‘ [Rorty] [sic!] verstanden werden, mit denen wir über das Soziale reden“ (Reckwitz 2004: 41f.). Diese Positionierung zielt auf einen pragmatischen Umgang mit Theorien ab, der sich dadurch auszeichnet, dass die theoretischen Paradigmen für eine verständliche Kommunikation über empirische Beobachtungen gebraucht werden und nicht als Selbstzweck dienen. Dies setzt nichtsdestoweniger eine detaillierte und wohlinformierte Begriffsbestimmung voraus, die sich zunächst an einer offenen Suchbewegung orientiert und schließlich einer inhaltlichen Zuspitzung bedarf. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die drei Begriffe Lokalität, Identität und Aushandlung, die die Analyse strukturieren werden, zuerst getrennt voneinander zu diskutieren, um mögliche Parallelen, Überschneidungen und Ambivalenzen nicht zu übersehen. Darüber hinaus versuche ich am Ende jedes Teilkapitels das Gesagte in Bezug auf Religion zu reflektieren. Als Ausdruck und Kontext lokaler Praktiken stellt Religion ein soziales Produkt dar, an dessen gesellschaftlicher Form und Funktionalität – im Gegensatz zu ihrer substantiellen Dimension – ich insbesondere interessiert bin (Berger 1988; vgl. Winter 2008: 208). In den einzelnen Begriffskonzeptionen wird dementsprechend nach der forschungsrelevanten Dimension von Religion im jeweiligen akademischen Diskurs gefragt und eine kurze Essenz des Gesagten präsentiert. Die Gesamtstruktur des Kapitels spiegelt die von mir vorgenommene Schwerpunktsetzung der theoretischen Konzepte wider. Aushandlung steht dabei

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im Zentrum der Diskussion und damit am Ende des Kapitels, da sie den Kern der Beobachtung darstellt und die Konzepte Lokalität und Identität auf einer genuin praxeologischen Grundlage konstruiert werden. Diese Priorisierung ergibt sich aus meinem Forschungsinteresse (Teil II.3). Insgesamt findet die begriffliche Diskussion auf der Grundlage einer postmodernen Destabilisierung von Gewissheiten statt, die das Verständnis von Lokalität und Identität nachhaltig beeinflussen. Wo es keine Sicherheiten mehr über das Eigene und das Fremde gibt, treten kontroverse Aushandlungen von Raum und Zugehörigkeit an die Stelle fester Bezugsgrößen. Daraus entwickele sich, so Anthony Giddens „[…] eine globale kosmopolitische Gesellschaft. […] Sie stellt unsere herkömmlichen Lebensweisen in Frage, ganz egal, wo wir leben. Auch handelt es sich – wenigstens im Moment – nicht um die von einem kollektiven Willen gesteuerte Herausbildung einer Weltordnung. Sondern um eine anarchische, ungeregelte Entwicklung, die von einer Vielzahl von Einflüssen vorangetrieben wird. Diese Weltgesellschaft ist nicht beständig und stabil, sondern angstbeladen und von tiefgreifenden Gegensätzen gezeichnet“ (Giddens 2001: 31).

Ähnlich skizziert Markus Schroer die Kontingenzerfahrung in der Postmoderne, die mit der Platzierung verschiedener Möglichkeiten durch Globalisierung einhergehe (Schroer 2009: 131). Auch die sozialwissenschaftliche Identitätsforschung hat sich darauf verständigt, dass die „flüchtige Moderne“ (Bauman 2003) eine andere Schwerpunktsetzung in der Situierung von Subjekten notwendig macht. Der praxistheoretische Zugriff bietet schließlich die radikalste und konsequenteste Fassung des postmodernen Subjekts, indem er sich grundsätzlich von der Vorstellung eines konsistenten, per se existenten Subjekts löst. An die Stelle dieser essentialistischen Konstruktion tritt eine Vielzahl verkörperter, routinierter Praktiken, die sich in der „‚flüchtigen‘ Phase der Moderne“ (Bauman 2008) situativ manifestieren und wieder auflösen. Dabei greifen Akteure auf soziale Identitäten zurück, die als typisierende Wissensbündel bestimmte Informationen über verschiedenartig konstruierte Personengruppen bereitstellen (vgl. Scherr 1995: 30). Sie versuchen dadurch ihre Selbstverortungen, die sich aus bisweilen widersprüchlichen Mehrfachinklusionen in die funktional differenzierte Gesellschaft ergeben, zu einer geschlossenen Erzählung zu modellieren (vgl. Pott 2002: 127). In der Integration verschiedener sozialer Identitäten wie ‚Studentin‘ und ‚Tochter‘, die das postmoderne Individuum einnehmen kann, liegt die Spannung der persönlichen und kollektiven Identitätskonstruktion. Albert

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Scherr schreibt in Anlehnung an Thomas Luckmann und Ulrich Beck dazu in seinem Buch „Soziale Identitäten Jugendlicher“ (1995): „Angenommen wird, daß [sic!] es in modernen – im Unterschied zu ständisch verfaßten [sic!] Gesellschaften eine Aufgabe des Einzelnen ist, biographische Brüche sowie Widersprüche und Inkonsistenzen zwischen Handlungsbereichen in einen Sinnzusammenhang zu integrieren“ (Scherr 1995: 28).

Auf kollektive Identitäten bezogen bietet die Perspektive der Cultural Studies eine dazu passende Heuristik, die „Kultur […] als das Medium analysiert, in dem zum einen Macht sowie soziale Ungleichheit repräsentiert werden, zum andern sich die verschiedenen sozialen Gruppierungen ausdrücken und versuchen, ihre Unterschiede durch Abgrenzungsprozesse hervorzuheben und zu behaupten“ (Hörning/Winter 1999b: 10).

Mit dieser Rahmung lassen sich die Aushandlungsprozesse um den Hamburger Islam, wie er von den Akteuren verkörpert und hervorgebracht wird, als kulturelle Konfigurationen und Rekonfigurationen von Identitäten verstehen. Die Kontextualisierung, die als zentrales Merkmal der Cultural Studies gelten kann, wird in diesem Zuschnitt durch die Spannung lokaler und translokaler Bezüge gewährleistet und kann anhand konkreter Identitätspolitiken beschrieben werden. Wolfgang Kaschuba kritisiert in seinem Aufsatz „Kulturalismus. Vom Verschwinden des Sozialen“ (1995) den weiten Kulturbegriff der Cultural Studies mit dem Verweis auf die Verharmlosung sozialer Ungleichheiten durch eine Überbetonung und Inflation von kulturellen Deutungsmustern (Kaschuba 1995: 28f.). Seine Äußerung muss im Kontext der kritischen Reflektion des Konzeptes der multikulturellen Gesellschaft in der Bundesrepublik der 1990er Jahre verstanden werden, die einen homogenisierenden, ethnisierenden Impetus hatte. Während die zentrale Stoßrichtung der bisweilen sehr unterschiedlichen Strömungen der Cultural Studies auf die Lokalisierung und Rekonstruktion von Ungleichheiten abzielt, werden diese stets als verkörperte, praktizierte und in diesem Sinne kulturelle Prozesse verhandelt. Damit geht bisweilen eine Gleichsetzung von Macht und Kultur einher, was zu einer Verschleierung konkreter Machtverhältnisse führen kann (Pott 2005: 91). Um dieser Verengung zu entgehen, werde ich in Bezug auf meine empirische Forschung diskutieren, inwiefern die subversive Positionierung des cultural turn mit der Praxis von Islam in Hamburg vereinbar ist. Als alternative Konzeptualisierung ziehe ich Überlegungen des Kommunitarismus zu Rate und stelle sie den identitätspolitischen Ansät-

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zen der Cultural Studies gegenüber. Um die Dichotomisierung der von mir vorgestellten Identitätskonzepte überwinden zu können und eine Beobachtung der strukturellen Ebene der Aushandlungen zu gewährleisten, nutze ich zusätzlich Begriffe aus der Ritualforschung, die ein übergreifendes Verständnis gesellschaftlicher Transformationsprozesse anstreben.

1 L OKALITÄT 1.1 Räume und ihre Herstellung – Zum spatial turn in den Kulturwissenschaften In Teil II dieser Arbeit habe ich mein Forschungsproblem als praxisbezogenes, lokales, an konkreten Identitätspolitiken interessiertes Projekt entworfen. Um dieses Projekt nun auf eine theoretische Grundlage zu stellen, möchte ich zunächst den Begriff des Lokalen einer allgemeinen theoretischen Einordnung unterziehen und seine analytische Bedeutung für die vorliegende Arbeit ausformulieren. Der hier zu Grunde liegende Raumbegriff kann als handlungstheoretisch bezeichnet werden und beruht auf einem konstruktivistischen Verständnis von Raum als sozial ausgehandelter Bezugsgröße, deren Herstellung und Ausgestaltung situativ und relational ist (vgl. Lefèbvre [1974] 2007: 83; Werlen 2009: 370). In den letzten zwanzig Jahren hat sich in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine Hinwendung zum Raum vollzogen, die zwar kaum als einheitliche Auseinandersetzung mit dem Thema erfasst werden kann, jedoch durch den Begriff spatial turn geprägt wurde. Der Geograph Edward W. Soja brachte ihn 1989 „eher beiläufig“ (Döring und Thielmann 2008b: 7) in die Diskussion ein, als er in seinem Buch „Postmodern Geographies“ (1989) in Anlehnung an Henri Lefèbvre forderte, Raum als soziale Herstellungsleistung anzuerkennen und die daraus resultierenden Implikationen für die kritische Sozialtheorie nutzbar zu machen (Soja 1989: 39ff.). Doch erst Mitte der 1990er Jahre, so schreiben Jörg Döring und Tristan Thielmann in der Einleitung zu ihrem Sammelband „Spatial Turn“ (2008a), sei dem Konzept ernsthafte Beachtung geschenkt worden (Döring und Thielmann 2008b: 9). Die Herausgeber versammeln neben verschiedenen sozialund kulturwissenschaftlichen Beiträgen auch explizit Positionen der Humangeographie, die zwar als genuine Raumwissenschaft gilt, jedoch die räumliche Wende in den Sozial- und Kulturwissenschaften nicht uneingeschränkt positiv bewertet. Während Soja, selbst Humangeograph als Initiator und Befürworter des spatial turn auftritt, plädiert Benno Werlen, ein weiterer Vertreter des Faches

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eher umgekehrt für die Berücksichtigung praxistheoretischer Überlegungen bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Raum. Er fordert, dass die Schlüsselfrage der sozialen Raumforschung folgendermaßen lauten müsse: „Was bedeutet es, unter heutigen Gegebenheiten, die durch Globalisierung der lokalen Lebenskontexte gekennzeichnet sind, eine Geocodierung von nicht-räumlichen sozialkulturellen Wirklichkeiten zu betreiben?“ (Werlen 2008: 366). Damit grenzt er sein eigenes geographisches Verständnis von jener essentialistischen Raumdeutung ab, für die die Humangeographie lange Pate stand. Die Erinnerungen an die Anthropogeographie Friedrich Ratzels (vgl. Ratzel 1904) bewirken unter einigen im Sammelband vertretenen Geographen einen Abwehrreflex hinsichtlich der Betonung von Raum als wirkmächtiger Kategorie. Diese kritische Haltung gegenüber dem interdisziplinären spatial turn ist jedoch nicht durchgehend zu verzeichnen. Wie die Herausgeber betonen, nehmen einige der von ihnen berücksichtigten Raumforscher die Würdigung ihres Forschungsgegenstands als Einladung und Wertschätzung an. Die Neue Kulturgeographie, die sich in diesem Zuge als akademische Strömung formierte, nutzt kulturwissenschaftliche Anleihen und verbündet sich mit den Cultural Studies, deren Ansätze auch für die vorliegende Arbeit wichtige Denkanstöße geliefert haben. Der spatial turn wird als postmodernes Paradigma konstruiert und in diesem Zuge mit den Erfahrungen der Globalisierung in Verbindung gebracht, durch die Raum als feste Größe in Frage gestellt und demzufolge ständig verhandelt wird. Die folgende Diskussion des Begriffs Lokalität rekurriert auf diese Auseinandersetzungen und bezieht sowohl geographische als auch kulturwissenschaftliche Überlegungen in die theoretische Rahmung ein. 1.2 Lokalität, Globalisierung und (nationale) Grenzen als räumliche Formen Der Begriff des Lokalen wird kulturwissenschaftlich als relationales Konzept diskutiert (Berking 2006; Massey 2006; vgl. Eade 1997c). Worin lassen sich Lokalität und ihre Wechselwirkungen mit anderen räumlichen Formen erfassen? Steht das Lokale in direktem Gegensatz zum Globalen? Diese Fragen werden in der Literatur kritisch und kontrovers diskutiert und markieren damit den diskursiven Rahmen des Konzepts. In diesem Unterkapitel soll diese Rahmung vermessen und für den Untersuchungsgegenstand der hamburgisch-islamischen Identitätspraktiken fruchtbar gemacht werden. Helmut Berking stellt in dem von ihm herausgegebenen Band „Die Macht des Lokalen in einer Welt ohne Grenzen“ (2006a) die These auf, dass Lokalität diskursiv auf Globalisierung verweist und diese beiden Begriffe als Gegensatz-

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paar konstruiert sind. Er arbeitet in der Einleitung zu seinem Sammelband Beispiele heraus, die auf eine normative Wertung zwischen den Attributen lokal und global schließen lassen. Danach repräsentiere das Lokale negative und passive Eigenschaften und werde als verräumlichter Stillstand gedacht, während dem Globalen alle Möglichkeiten offen stünden. Berking kritisiert diese Dichotomie zwischen lokaler Marginalisierung und globaler Hegemonie scharf (vgl. Berking 2006b: 10f.). Auch Doreen Massey warnt vor einer verkürzenden Polarisierung zwischen Globalem und Lokalem. Sie plädiert dafür, das Lokale nicht als das Gute per se zu essentialisieren und vielmehr die wechselseitige Prägung der beiden Konzepte in den Blick zu nehmen. Demnach bringen globale Entwicklungen nicht nur lokale Manifestationen hervor, sondern diese Entwicklung verläuft auch umgekehrt. Die lokale Ebene entspricht nicht nur den Narrativen von Alltäglichkeit und Verankerung, sondern in ihr werden fluide und mobile Interaktionen praktiziert, die Globalisierung herstellen (Massey 2006: 29). John Eade hat dieser These einen Sammelband gewidmet, in dem er „globalization as a local process“ (1997a) fasst. Dabei konzentrieren sich die Beiträge des Buches auf die Frage, wie die soziologische Erforschung von Macht und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen auf die Entwicklungen von Globalisierung reagieren können. Die Antwort suchen die Autoren in lokalen Arrangements, die „the development of new social practices“ (Eade 1997c: 161) sichtbar machen und sowohl auf lokale als auch auf überlokale Grenzen hinweisen. Die in den Beiträgen von Massey, Berking und Eade anklingende wechselseitige Hervorbringung von Lokalität und Globalität kulminiert in dem Begriff Glokalisierung, der von Roland Robertson in die Diskussion eingeführt wurde (1995). Auch er widerspricht damit dem Verständnis von lokalen und globalen Prozessen als gegensätzlichen Phänomenen. Während er sein Verständnis von Globalisierung als „simultaneity and the interpenetration of what are conventionally called the global and the local“ (Robertson 1995: 30) konkretisiert, schlägt er den Begriff Glokalisierung vor, der darauf abzielt, Globalisierung als „‚invention‘ of locality“ (ebd.: 35) zu fassen. Dabei kritisiert Robertson, dass auch vor dem Auftreten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse die soziale Welt nicht aus homogenen und harmonischen, lokal abgrenzbaren Orten bestand. In dieser Kritik klingt die bereits bei Massey geäußerte Vorsicht vor der Idealisierung des Lokalen als essentialisierte Heimat an. In diesem Sinne wird Lokalität eine konstituierende, wenn auch kontroverse Rolle im Prozess der Globalisierung zugeschrieben. „What Robertson has in mind is […] more the process of institutionalization, in which there is a global creation of locality“ (Featherstone und Lash 1995: 4). Damit sind vor allem jene Initiativen gemeint, die internationale lokale Identitätspolitik prägen und somit Lokalität als politisches Machtinstrument nut-

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zen. In diesem Zusammenhang kann auch die Europäische Union (EU) als Versuch gesehen werden, die Folgen der Globalisierung zu steuern und eine europäische Lokalität zu konstruieren (vgl. Schroer 2006: 214).1 In eine ähnliche Richtung weist die Entwicklung von Corporate Social Responsiblity (CSR), also der „gesellschaftliche[n] Verantwortung von Unternehmen“ (Albers 2011: 47), die damit stadtplanerische Initiativen in ihrer lokalen Umgebung vorantreiben. Der Begriff bezieht sich auf „eine Beteiligung von Unternehmen an gesellschaftlichen Debatten und eine ordnungspolitische Mitverantwortung, die in Social Lobbying […] zum Ausdruck kommt“ (ebd.: 15). In diesem Zusammenhang wird auch von „Corporate Citizenship“ (ebd.: 47) gesprochen, was als „unternehmerische[s] Bürgerengagement“ (ebd.) übersetzt werden kann. Diese wirtschaftlichen Bestrebungen zielen sowohl auf die politische Einflussnahme als auch auf die Wertsteigerung der Unternehmen selbst ab. Während diese Strategie bereits in den 1950er Jahren in den USA aufkam und seitdem als wichtiger Faktor der dortigen Stadtplanung gelten kann, wird die Erfüllung genuin städtischer Aufgaben durch privatwirtschaftliche Akteure in Europa nach wie vor kritisch rezipiert. Das vermehrte Aufkommen von CSRStrategien wird als Indiz für wohlfahrtstaatliche Versäumnisse gesehen und daher mit der Vernachlässigung des politischen Kerngeschäfts in Verbindung gebracht (vgl. ebd.: 48). Weniger kritisch lässt sich „Corporate Citizenship“ (ebd.: 50) als „(strategisches) Bindeglied zwischen Unternehmen und Gesellschaft“ (ebd.) deuten, das besonders in sozial benachteiligten städtischen Gebieten, wo überforderte Kommunen an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit gelangen, infrastrukturelle Ressourcen bereitstellt, die anders nicht verfügbar wären (ebd.: 65f.). Dass damit eine Instrumentalisierung des Lokalen einhergeht, liegt nahe. In den Fallstudien wird es vor allem um die Frage gehen wie sich unternehmerische und städtische Identitäten mit den Verortungen der Bewohner vereinbaren lassen. Auf der Ebene subjektiver Identitäten formuliert Anthony Giddens den Zusammenhang zwischen Globalisierung und Lokalität als Pendelbewegung zwischen „Dislozierung“ (Giddens 1995: 176) und „Rückbettung“ (ebd.). Er fasst Globalisierung als eine der „Konsequenzen der Moderne“ (1995) und expliziert diese Folge, indem er die soziale Entbettung in der postmodernen, globalisierten Welt durch die subjektive „Rückbettung“ (ebd.) in selbstgewählte lokale Bezüge aufgehoben sieht. Giddens tritt damit der Vorstellung entgegen, dass die Kompression von räumlichen und zeitlichen Distanzen, die gemeinhin als Schlüssel-

1

Den europäischen Implikationen für mein städtisches Untersuchungsfeld widme ich mich in Kapitel III.2.

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moment der Globalisierung bezeichnet werde (vgl. Eade 1997b: 3), soziale Vereinzelung und Anonymisierung zur Folge habe. „Genau dieselben Prozesse, die zur Zerstörung älterer Stadtviertel und ihrer Ersetzung durch hohe aufragende Bürohäuser und Wolkenkratzer führen, gestatten oft […] die Neuschaffung der örtlichen Umgebung. […] Dieselben Verkehrsmittel, die dazu beitragen, die Verbindung zwischen Ort und Verwandtschaft zu lösen, liefern die Möglichkeit zur Rückbettung, indem sie es leicht machen, ‚nahe‘ Verwandte zu besuchen, die weit entfernt wohnen“ (Giddens 1995: 177).

In diesem Zitat werden zwei wichtige Aspekte deutlich. Zum einen beschreibt Giddens die subjektive Relevanz von Lokalität als Folge der Globalisierung und sieht darin durchaus eine Domestizierung der letzten. Auch er bezeichnet damit den Zusammenhang zwischen Globalisierung und Lokalität als Wechselwirkung, wobei das obige Zitat eine Hegemonie des Globalen andeutet. Während Massey und andere vor einer derartigen Konzeptualisierung gewarnt haben, die die lokale Ebene als Opfer und Produkt globaler Entwicklungen sieht, ficht Giddens diese Warnung nicht an, da er auf einer anderen theoretischen Ebene argumentiert. Als Gegenstand subjektiver Wahrnehmung scheint die Frage nach der politischen Implikation von lokaler Identität nachrangig zu sein. Zum andern verdeutlicht das Giddenssche Zitat die implizite Verwendung des städtischen Kontextes als Sinnbild der lokalen Ebene. Im obigen Zitat verhandelt der Autor die Frage wie sich Globalisierung lokal auswirkt ganz selbstverständlich innerhalb eines urbanen Rahmens. Damit ist er nicht allein, weshalb sich die Frage lohnt, in welcher Hinsicht Lokalität und Stadt als Synonyme begriffen werden können. In der hier besprochenen Literatur wird Lokalität stellenweise auch auf regionale und sogar kontinentale Prozesse bezogen. Aus globaler Perspektive sind auch Nationalstaaten und Staatenbünde „lokal“ (Berking 2006:12). Analytisch gesehen ist es allerdings wenig hilfreich, nationale und zum Beispiel städtische Entwicklungen als identische Sachverhalte zu behandeln. Nationalität stellt in der sozialwissenschaftlichen Forschung eine höchst relevante Bezugsgröße für lokale Belange dar, die die Auseinandersetzung mit dem Konzept Lokalität bisweilen überschattet. Wichtige soziologische Grundbegriffe wie Gesellschaft, Kultur und Identität wurden beinahe ausschließlich innerhalb nationaler Grenzen verhandelt. Andreas Wimmer und Nina Glick Schiller bezeichnen diese Fixierung in Anschluss an Anthony Smith als „methodological nationalism“ (Wimmer/Glick Schiller 2002).2 „We are designating as

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Anthony Smith hatte den Begriff bereits 1979 gebraucht (vgl. Smith 1979: 191).

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methodological nationalism the assumption that the nation/state/society is the natural social and political form of the modern world.“ (Wimmer/Glick Schiller 2002: 302). In Abgrenzung zu dieser nationalen Rahmung von Migrationsforschung schlagen die Autoren die Analyse lokaler Interaktionszusammenhänge unter Berücksichtigung translokaler und transnationaler Bezüge vor, die ihrer Ansicht nach „underresearched and under-theorized“ (Glick Schiller 2008: 2) seien. Diese Kritik wird auch von anderen ethnographisch arbeitenden Autoren bekräftigt, die sich mit dem Zusammenhang von Lokalität und Migration beschäftigen (vgl. Baumgärtner 2009: 98). Tatsächlich konzentriert sich auch die Erforschung von Islam in der Gegenwart auf nationale Kontexte (vgl. Ende/Steinbach 2005). Falls der Untersuchungsraum doch lokal oder regional gefasst ist, spielen Fragen nach der Bedeutung dieser Kontextbedingungen meist eine untergeordnete Rolle. Mittlerweile gibt es in Anschluss an Wimmer und Glick Schiller einige Versuche, den „methodologischen Nationalismus“ (Beck/ Grande 2010) insbesondere der Migrationsstudien zu überwinden, wozu auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten soll. Die Frage der Relationalität des Lokalen bleibt jedoch bestehen und lässt sich von der globalen auf die städtische Ebene herunterbrechen, was mit dem Blick auf städtische Quartiere oder Straßenzüge bis hin zu Hausgemeinschaften fortgeführt werden kann. Während in vielen Untersuchungen das Lokale im Urbanen gesucht wird, verliert Lokalität als Analysekategorie an Erklärungskraft, wenn sie mit städtischen Prozessen gleichgesetzt wird. Glick Schiller unternimmt mit ihrer Studie zu „Local and transnational pathways to immigrant incorporation“ (2008) den Versuch, die analytische Reichweite des Begriffes Lokalität zu erweitern. Wie sie kritisch anmerkt, konzentrierte sich die Migrationsforschung überwiegend auf global cities (Sassen 1991; vgl. Eade 1997c). Dagegen positioniert Glick Schiller ihre Untersuchung in sogenannten „small-scale cities“ (Glick Schiller 2008: 2). Während Glick Schiller durch die Varianz des Untersuchungsraumes eine weitere Forschungsperspektive ergänzt und damit die Diskussion von Lokalität ohne Zweifel bereichert, wird in der vorliegenden Arbeit die Größe des Ortes nicht als entscheidender Faktor für die dort stattfindenden Prozesse gewertet. Vielmehr dienen politische Bedingungen und historische Gegebenheiten als handlungsrelevante Dispositionen. Das Modell der Skalierung, das Glick Schiller vorschlägt, wirft im globalen Kontext die Frage nach der Positionierung von deutschen Metropolen auf. Hamburg ließe sich im Vergleich zu der Zahl der Einwohner internationaler Megacities wie Peking auch als beschauliche Kleinstadt einordnen, während es im bundesdeutschen Vergleich an zweiter Stelle steht und als Metropole gilt. Aus diesem Grund scheint mir die quantitative Hierarchisierung von Städten wenig fruchtbar für ein Forschungsinteresse, das sich auf die inhaltlichen

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Zuschreibungen und Herstellungsleistungen städtischer Akteure konzentriert. Anstatt askriptiv die Größe des Untersuchungsrahmens als strukturierendes Moment vorauszusetzen, fokussiere ich daher den situativen Umgang der von mir beobachteten Hamburger mit der Konstruktion ihrer Stadt. In der hier vorgenommenen Einordnung der Dimensionen von Lokalität wird deutlich, wie kontextabhängig der sprachliche Gebrauch sowie die Reichweite dieses Konzeptes sind. Es ist demnach notwendig, den Radius zu bestimmen, in welchem sich die Analyse von Lokalität bewegt, bevor sie sinnvoll angewendet werden kann. Lokalität ist kein neutrales, deskriptives Konzept. Die hier skizzierten Dimensionen deuten auf eine höchst politische Verwendung hin, in der sich gesellschaftliche Deutungskämpfe widerspiegeln. Dies qualifiziert Lokalität als analytische Fluchtlinie für die Erforschung von islamischen Aushandlungsprozessen in Hamburg. Die kritische Anmerkung von Massey, Lokalität nicht als harmloses Gegenstück zu globalen Prozessen zu sehen und ihr eine per se beheimatende Wirkung zuzuschreiben, bildet dabei die Leitlinie für eine kritische Verwendung des Begriffs (vgl. Massey 2006).

2 D IE S TADT ALS U NTERSUCHUNGSEINHEIT DES L OKALEN ? Die Frage, in welchem Verhältnis Urbanität und Lokalität stehen, wird von Armin Nassehi mit der Gleichung, Stadt sei „Lokalität auf gesellschaftlicher Basis“ (Nassehi 2002: 215) beantwortet. Damit widerspricht er der Ansicht, Stadt sei „Gesellschaft auf lokaler Basis“ (ebd.) und macht deutlich, dass für ihn die Grundlage des Lokalen aus Kommunikation besteht, die gesellschaftlich hergestellt werde. Städte werden allzu oft als einheitlich handelnde Akteure begriffen (vgl. Marcuse 2006), denen eigene Wirkmächtigkeit zukommt. Dabei werden die unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen, die Städte strukturieren, nicht berücksichtigt. Nassehi macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass Städte nicht als Städte „operieren“ (Nassehi 2002: 223) können und innerhalb ihrer Grenzen gleichzeitig die verschiedensten Prozesse ablaufen. Er konstatiert eine gesellschaftliche Aushandlung des Lokalen, die er offenbar innerhalb städtischer Grenzen verortet. Demnach verständigen sich die Bürger einer Stadt wiederholt über die Existenz derselben und stellen so Lokalität her. Städte sind eine bestimmte Form des Lokalen, jedoch nicht die einzig mögliche. Wenn Städte also keine Einheiten darstellen und erst durch gesellschaftliches Handeln hervorgebracht werden, lohnt sich ein Blick auf jene, die genuin an der Produktion von Stadt beteiligt sind: ihre Bewohner.

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Georg Simmel beschrieb bereits in den 1920er Jahren das Leben in der Großstadt als eine soziale Zumutung, die nur durch eine Mischung aus „Blasiertheit“ (Simmel 1993a: 196) und Gleichmut ertragen werden könne. Simmel beginnt seine Abhandlung mit der Feststellung, dass die Großstadt „einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben“ (Simmel 1993a: 193) darstelle. Dieser Gegensatz manifestiere sich in der Dynamik und Gleichzeitigkeit unterschiedlicher, manchmal gegenläufiger sozialer Entwicklungen, die in Städten wahrgenommen werden können (ebd.). Die ambivalente Simultaneität als besonderes Merkmal des Urbanen zu fassen, wird heute kontroverser denn je diskutiert (vgl. Keller/Ruhne 2011: 10). Simmel fährt fort mit der Konstruktion einer Analogie zwischen Großstadt und Geldwirtschaft und beschreibt die ökonomischen Wirkungsweisen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Rationalisierung der städtischen Gesellschaft herbeiführten. Seine Schilderung erinnert bemerkenswerterweise an die oben skizzierten Ausführungen zu Globalisierung und zeigen Simmels prophetischen Blick für die Entwicklung der modernen Gesellschaft und seine Wahrnehmung von Urbanität, die losgelöst von ihrer direkten physischen Umwelt und durch die Hervorbringung typischer Wirtschaftsund Bewohnerstrukturen definiert werden kann. Allein in der Festschreibung des Großstädters als blasiertem und gleichgültigem Zeitgenossen erscheint Simmels Theorie eindimensional. Während das Leben in der Großstadt ohne Zweifel die Möglichkeit bietet, seine Nachbarn jahrelang zu ignorieren (vgl. Simmel 1993a: 197), gibt es in den Metropolen des 21. Jahrhunderts zahlreiche Entwicklungen, die den Simmelschen Typus des reservierten Großstädters in Frage stellen. Neben Nachbarschaftsinitiativen und Urban Gardening-Projekten stellen auch Gated Communities urbane Vergemeinschaftungsformen dar, die die Erforschung von Lokalität in Städten zu einer so vielschichtigen Angelegenheit machen. Robert E. Park, einer der Begründer der Chicagoer Schule, widmete seine empirischen Studien bereits in den 1920er Jahren, also parallel zu Simmel, den innerstädtischen Quartiersstrukturen und entwickelte damit das Programm einer Humanökologie, die menschliches Zusammenleben in Analogie zur Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt stellt. Diese Naturalisierung menschlicher Gesellschaften ist zu Recht kritisiert worden (vgl. Eckardt 2004: 23). Park verschiebt den Blick Simmels von der Großstadt als Einheit hin zur „neighborhood“ als „smallest local unit“ (Park 1925: 7). In Anschluss an sein Forschungsprogramm hat sich ein ganzes Genre der Stadtteilethnographie entwickelt, das Lokalität vor allem auf Quartiersebene fasst (vgl. Baumgärtner 2009; Whyte [1943] 1981). In meinem empirischen Material lässt sich die strikte Begrenzung von lokalen Aushandlungen als stadtteilspezifische Sachverhalte nicht bestätigen. Die Religionsgeographin Kim Knott diskutiert in

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ihrem Aufsatz „From Locality to Location and back Again“ (2009) unter anderem die Frage, worauf sich Lokalität in der Untersuchung von Religion auf lokaler Ebene beziehen müsse. Sie stellt fest, dass eine Konzentration auf die nachbarschaftliche Ebene zu kurz greife, um religiöse Praktiken zu untersuchen, die oftmals jenseits von Stadtteilgrenzen vollzogen werden. Auch in institutioneller Hinsicht seien Religionsstrukturen meist gesamtstädtisch verflochten, was bedeute, dass ihre lokalen Bezüge eigenständige Wirkmechanismen entfalten und daher situativ unterschiedlich analysiert werden müssen (Knott 2009: 156f.). Es lässt sich somit nicht im Vorhinein theoretisch festlegen, worauf sich Lokalität in der empirischen Feldforschung bezieht und wie diese abgegrenzt ist. Auch bestehen Begriffe wie Nachbarschaft oder Stadtviertel aus gesellschaftlichen Zuschreibungen, die sich nicht auf natürliche Einheiten beziehen. Die Forschungsfragen, die Robert E. Park in Bezug auf die empirische Untersuchung lokaler Kontexte vorschlägt, sind dennoch aktuell. „What is the history of the neighborhood? What is there in the subconsciousness – in the forgotton or dimly remembered experiences – of this neighborhood which determines its sentiments and attitudes? […] What is the social ritual i.e., what things must one do, in the neighborhood in order to escape being regarded with suspicion or looked upon as peculiar?“ (Park 1925: 11f.).

Die zitierten Fragen konzipieren ein Forschungsprogramm, das zum einen auf Herkunftsnarrative als identitätspolitische Aspekte abhebt und zum anderen eine performative Perspektive einnimmt, in dem es die situativen Aushandlungspraktiken der Bewohner in den Fokus der Analyse stellt. Park positioniert seine Studie im Spannungsfeld von Stadtgeschichte und Alltagsritualen und bietet damit vor allem für die Analyse des Veddeler Aushandlungsprozesses von Kunst und Islam (Fallstudie B) eine wichtige Orientierung. Vor dem Hintergrund der Nachbarschaftsforschung prägte Park auch den Begriff Segregation (vgl. ebd. 1925: 9f.), der sich auf die Bevölkerungsstrukturen einzelner Stadtviertel bezieht und sich sowohl in der qualitativen Stadtforschung als auch in städtischen Sozialraumbeschreibungen (Dohnke et al. 2012) etabliert hat. Segregation beschreibt den Wandel eines Viertels durch den Zuzug bestimmter, als homogen konstruierter gesellschaftlicher Gruppen. Dem Konzept liegt die Sortierung der Bevölkerung nach ethnischen, ökonomischen oder anderen sozialen Kategorisierungen zu Grunde, die selbst als Produkte von Segregation und nicht als deren Ursache verstanden werden können, weswegen ihr politischer Impetus beim Gebrauch reflektiert werden sollte. Wenn in kommunalen Sozialraumanalysen von segregierten Stadtvierteln die Rede ist, kann dies einen

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stigmatisierenden Diskurs über das betreffende Viertel begünstigen und gleichzeitig die Realität der Bewohner verkennen (vgl. Pott 2002: 90). Park beschreibt die Stadt als „state of mind, a body of customs, and traditions, and of the organized attitudes and sentiments that inhere in these customs and are transmitted with this tradition“ (Park 1925: 1). In diesem Zitat wird deutlich, dass der Autor Stadt nicht nur als Produkt menschlichen Handelns konzipiert. Vielmehr wird hier eine Wechselwirkung skizziert, die sich einerseits auf die soziale Herstellungsleistung bezieht und andererseits den Aspekt der Stadt als „state of mind“ (ebd.) im Sinne eines bestimmten Wesenszugs städtischer Bewohner konstruiert. Dies schließt an Simmels Beschreibung des Großstädters an. In beiden Definitionen findet sich die Vorstellung eines bestimmten Wesens der Stadtbewohner, das jedoch aus praxeologischer Hinsicht anzuzweifeln ist. Die Logik, nach der ein städtischer Wohnkontext mit einer bestimmten Geisteshaltung einhergehe, greift auf eine askriptive, raumdeterministische Argumentation zu, die die Herstellung von Städten und Praktiken eher verschleiert als erhellt. Park und Simmel tragen trotz dieser analytischen Verkürzung zum Verständnis der historischen Entwicklung von Städten bei. Sie sehen Großstädte nicht nur als Orte der sozialen Vereinzelung, sondern auch der individuellen Loslösung aus familialen Strukturen (vgl. Lindner 2004: 121). Insofern kann Urbanität als Vorform der modernen Gesellschaft angesehen werden, da nicht mehr die ständischen Strukturen des ländlichen Lebens die Gesellschaft organisieren, sondern diese durch individuelle, funktional differenzierte Ordnungen ersetzt wurden (vgl. Häußermann 2011: 33). Aufgrund der historischen Veränderung, die durch die Industrialisierung und die damit einhergehende Rationalisierung westlicher Gesellschaften die Verstädterung weiter Bevölkerungsteile nach sich zog, bezeichnet Lindner die „Großstadt als Menschenwerkstatt und als Labor moderner Subjektivität“ (Lindner 2004: 128). Diese Einschätzung resultiert aus der Annahme, dass in Städten mehr als in der ländlichen Umgebung soziale Unterschiede aufeinandertreffen und sich daraus „ausgeklügelte Formen der symbolischen Chiffrierung von Zugehörigkeiten und Gruppenidentitäten“ (Nassehi 2002: 214) bildeten. Für die empirische Erforschung lokaler Aushandlungsprozesse stellt sich im Jahr 2015 allerdings die Frage, ob diese Annahme heute noch als stadtspezifisch bezeichnet werden kann. Zumindest lässt sich der städtische Einfluss auf umliegende ländlichere Gebiete nicht mehr leugnen. Auch in der urbanen Peripherie wohnen mittlerweile unterschiedliche soziale Gruppen, die ihr Zusammenleben sozial verhandeln und dabei weltanschauliche und andere komplexe Differenzen überwinden müssen. Soziale Homogenität ist auch dort eine Utopie. Dies weicht

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die Grenzziehung zwischen Stadt und Land auf (vgl. Keller/Ruhne 2011: 8). Vertovec gibt darauf eine vergleichbar deutliche Antwort. Mit dem Begriff „super-diversity“ (2007) konkretisiert er eine spezifische Version von städtischer Diversität, die es so nur in den urbanen Zentren des 21. Jahrhunderts gebe. Er macht dies an der Kumulation von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft fest und stellt dieser quantitativen Kategorie eine qualitative Dimension an die Seite, die sich aus der Intersektionalität alltäglicher Aushandlungsprozesse ergebe. Vertovec argumentiert, dass die Diversität rechtlicher Voraussetzungen und Erfahrungen durch geschlechtliche, altersbedingte oder andere Dispositionen der Stadtbewohner in einem Maße differieren, das die bisherige Beschaffenheit städtischer Bevölkerungsstrukturen übertreffe (Vertovec 2007: 1025). Er bezieht sich in seinem Aufsatz von 2007 auf die global city London. Sein Konzept steht allerdings seitdem Pate für empirische Untersuchungen überall auf der Welt. Für den deutschen Kontext haben Jens Schneider et al. in ihrem Buch „Generation Mix“ (2015) eine Studie vorgelegt, die von der baldigen Auflösung der sogenannten Mehrheitsgesellschaft in Städten wie Stuttgart und Frankfurt am Main ausgeht. Die These der Autoren lautet, dass Städte nur dann erfolgreich und zukunftsfähig seien, wenn sie Unterschiedlichkeit als Potential begreifen und umfassende Partizipation ermöglichen (vgl. Schneider et al. 2015). Mit dem Konzept der super-diversity werden somit Parks Ansätze der Humanökologie auf aktuelle Entwicklungen übertragen und die konkreten, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen benannt, die städtische Rahmungen von anderen räumlichen Formen abheben. Die Gleichzeitigkeit von Dichte und Differenz in Städten wird auch durch das Konzept der europäischen Stadt betont, das lange als dominantes Modell der Stadtforschung galt. Im folgenden Teil widme ich mich der Hermeneutik der europäischen Stadt, die noch immer eine fruchtbare Grundlage bietet, um das „Spannungsfeld von Gesellschaft – Orten – Steuerungen“ (Frey 2011: 409) integrativ zu beschreiben, wobei auch hier die normativen Implikationen kritisch beleuchtet werden sollen. 2.1 Stadttypologien Ebenso wie es eine Fülle von Typologien über Städte gibt, existiert qualifizierte Kritik an ihnen. Im folgenden Teil werde ich vor allem das Konzept der europäischen Stadt in den Blick nehmen, da es zumindest als historische Grundlage durchaus seine Berechtigung hat. Darüber hinaus besitzt dieses kontroverse Modell jedoch fortwährende Wirkungsmacht, die ich zum Verständnis aktueller

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städtischer Aushandlungsprozesse mit Bezug auf Islam heranziehen und diskutieren möchte. Max Weber beschrieb in seiner Abhandlung „Die nichtlegitime Herrschaft (Typologie der Städte)“ (1921) die europäische Stadt als Ort mit lokalem Markt, bürgerlicher Selbstverwaltung, eigenem Gericht und physischer Befestigung (vgl. Weber [1921] 2002: 727ff.; vgl. Siebel 2004: 11). Dies veranlasste ihn dazu, den „Geist des Kapitalismus“ (Weber [1904] 2009) hervorgehend aus der protestantischen Ethik in der europäischen Stadt zu lokalisieren. In Analogie dazu definiert Walter Siebel die europäische Stadt als „Keimzelle der westlichen Moderne“ (Siebel 2004: 11). Der Zusammenhang zwischen Urbanität und Individualität als einem Wesensmerkmal der modernen Gesellschaft liegt für die Autoren in der Sozialstruktur von Städten begründet, die nicht aus großen Familienverbünden bestehe, sondern einzelne Personen als Akteure anerkenne. Diese Basis der bürgerlichen Gesellschaft realisierte sich demnach zuerst innerhalb der europäischen Stadt und macht sie so zu einem Ort der Emanzipation. Gleichzeitig betont Siebel die „Präsenz einer vormodernen Geschichte im Alltag des Städters“ (ebd.:13) als „das erste Merkmal der europäischen Stadt“ (ebd.). Demnach illustriere die gebaute Stadt ihre eigene historische Entstehung und lasse „den Bürger der heutigen Gesellschaft sich seiner eigenen Geschichte bewusst werden“ (ebd.) Obwohl mir die Analogie Siebels zu pauschal erscheint, hat die Reflektion der Narrative über die Bedeutung der gebauten europäischen Stadt als empirische Forschungsfrage vielversprechende Aussichten. Die performative Nutzung oder eben die praktische Ignoranz von historischen Bezügen spielen für die Aushandlungsprozesse, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, durchaus eine Rolle. Während Siebel nicht unbedingt an Migranten oder deren Nachkommen zu denken scheint, wenn er von der „eigenen Geschichte“ (ebd.) europäischer Stadtbewohner spricht, liegt meines Erachtens genau hierin die Spannung. Die Aneignung der Stadt erfolgt nicht nur auf Grundlage der eigenen Herkunftsgeschichte, sondern auch anhand von alltäglichen Routinen und situativen Neudeutungen. Wie die jeweiligen Akteure ihre direkte bauliche Umwelt bewerten, kann eine Rolle für ihre eigene Situierung spielen, muss dies aber nicht zwangsläufig tun. Die für die europäische Stadt als typisch beschriebene Mischung aus sozialer Dichte und Heterogenität (vgl. Frey 2011: 382) liefert dafür lediglich einen fruchtbaren Boden. Das Modell der europäischen Stadt fungiert dabei als urbaner Idealtypus, der sowohl normativ als auch analytisch-beschreibend gebraucht wird (Frey 2011: 381). Oliver Frey diskutiert in seinem Aufsatz verschiedene andere Stadtkonzepte, die sich auf einzelne Aspekte konzentrieren, mit denen Städte aktuell konfrontiert sind. Mit Blick auf die empirischen Studien in der vorliegenden Arbeit

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bieten auch einige dieser Konzepte jeweils anregende Ansätze, wobei sie im Gegensatz zum Modell der europäischen Stadt eher als monothematisch zu bezeichnen sind. In den Beschreibungen der „segregierten Stadt“ und der „gentrifizierten Stadt“ [Hervorhebungen im Original, L.H.] wird die Krise der urbanen „Integrationskraft“ (Frey 2011: 396f.) zusammengefasst und vor dem Zerfall urbaner Kontexte gewarnt. Ein ähnlich düsteres Szenario wird in dem Bild der „Stadt als Beute“ (ebd.: 394) gezeichnet, wo urbane Räume als Objekte kapitalistischer Interessen der staatlichen Kontrolle entzogen werden. Dagegen konstatieren Ideen über die „neue“, „dritte“, „solidarische“, „soziale“ „Stadt“ (ebd.: 402) Möglichkeiten der sozialen Durchmischung und nachhaltigen Entwicklung in der europäischen Stadt des 21. Jahrhunderts. Diese ausgleichenden Bestrebungen verweisen auf die Hauptmerkmale, die das Modell der europäischen Stadt ausmachen. Sie wird als „sozialstaatlich reguliert“ (Frey/Koch 2011b: 11) beschrieben und steht somit für ein „Nebeneinander von privater und öffentlicher Hand“ (ebd.). Die Balance dieses Nebeneinanders wurde allerdings in den vergangenen dreißig Jahren neu ausgerichtet. Bereits 1983 prägte der damalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi die Idee vom „Unternehmen Hamburg“ (zitiert nach Albers 2011: 36). In einer Rede forderte er die Unternehmer der Stadt auf, in kulturelle Initiativen zu investieren, um die Stadt langfristig erfolgreich zu machen (ebd.). Der Begriff der „unternehmerischen Stadt“ (Albers 2011: 40) rekurriert auf die Krise der Industriegesellschaft, die andere Wertschöpfungsmethoden notwendig machte.3 „Kennzeichnend für das Konzept der ‚unternehmerischen Stadt‘ ist die Aktivierung von Bürgern und Unternehmen, um gesamtgesellschaftliche Leistungen zu übernehmen – ‚vom Wohlfahrtsstaat der Industriegesellschaft zur Wohlfahrtsgesellschaft der Dienstleistungsgesellschaft‘“ (Albers 2011: 345). In unterschiedlichem Ausmaß hat diese Problematik alle europäischen Städte verändert und unternehmerisches Handeln auf kommunaler Ebene etabliert. Hans-Hermann Albers verweist darauf, dass die Intention dieser Ökonomisierung von Stadtpolitik zwar kritikwürdig, der wechselseitige Nutzen für den kulturellen Bereich und die Wirtschaftsbranche allerdings nicht zu verachten seien. Letzten Endes führe der erkennbare Nutzen, der sich aus der Förderung lokaler Standortfaktoren ergebe, zu einer wachsenden Anerkennung von stadtspezifischer Lokalität, was Albers als „Urbanisierung der Ökonomie“ beschreibt (vgl. Albers 2011: 40ff.). Bereits 1987 formulierten Hart-

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David Harvey hat das Konzept im Englischen als „urban entrepreneurism“ (Harvey 1989) geprägt. Hartmut Häußermann und Walter Siebel beschreiben es bereits in ihrem 1987 erschienen Buch inhaltlich präzise und kritisch (vgl. Häußermann und Siebel 1987: 203ff.).

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mut Häußermann und Walter Siebel ihre Bedenken in Bezug auf eine ökonomisierte und gleichzeitig kritische Kulturpolitik: „Sicher ist Kultur immer Stilisierung, Überformung und zugleich Widerstand gegen vorherrschende Formen etwa der politischen Verarbeitung von Geschichte. Aber kann dieser Widerstand in Politik korporiert werden, ohne daß [sic!] er zur bloßen Inszenierung überkommt?“ (Häußermann und Siebel 1987: 210).

In diesem Zitat findet sich eine übergreifende Reflektion des Verhältnisses von Anerkennung und Widerstand. Ohne dass die Autoren sich explizit auf Anerkennung beziehen, verweisen sie mit der obigen Frage auf das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit, das sich mit der Ambivalenz zwischen Anerkennungsforderungen und der gleichzeitigen Subversion bestehender Ordnung auseinandersetzt. In der empirischen Beobachtung städtisch islamischer Aushandlungen spielt die unternehmerische Stadt als ambivalentes Konzept eine wesentliche Rolle. Die Bereitstellung öffentlicher Räume und eine damit einhergehende Verflechtung verschiedener Lebensweisen, die von den verschiedenen Autoren als Auszeichnung der europäischen Stadt angeführt werden, erfahren in Klaus Kunzmanns Aufsatz „Die europäische Stadt in Europa und anderswo“ (2011) eine kritische Dekonstruktion. Er gibt zu bedenken, dass es in europäischen Städten schon immer auch Ausgrenzung, Armut und Rassismus gegeben habe (Kunzmann 2011: 36) und neben der vielbeschworenen urbanen Dichte die europäische Stadt auch „an lauten vorstädtischen Einfallstraßen von Autobahnknoten, Flughafenstädten und gentrifizierten Dörfern“ (2011: 38) präsent sei. Diese Aufzählung illustriert, in welchem Maße das Bild der europäischen Stadt als historisch gewachsener Altstadt die soziale und architektonische Wirklichkeit verklärt. Daran anschließend übt auch Schroer Kritik am „idealisierte[n] Bild der bürgerlichen europäischen Stadt des 18. und 19. Jahrhunderts“ (Schroer 2006: 228), das immer wieder als Maßstab für aktuelle Entwicklungen fungiere. Das Beharren auf Prinzipien der alteuropäischen Städte verhindere den (optimistischen) Blick auf die grundlegenden Unterschiede heutiger Städte (Schroer 2006: 230). Tatsächlich lassen sich sowohl Unterschiede als auch Ähnlichkeiten betonen. Auch Städte außerhalb der europäischen Grenzen (welche ebenso variabel sind) können mit den oben genannten Merkmalen beschrieben werden. In Zusammenhang mit der Diskussion um die Gleichheit respektive Differenz von Städten hat sich das Paradigma der „Eigenlogik der Städte“ (Berking/Löw 2008) entwickelt und vor allem durch seine alltagssprachliche Anschlussfähigkeit profiliert. Demnach gleichen sich Städte vor allem darin, dass jede für sich nach be-

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stimmten „Eigenlogiken“ (Löw 2008: 65) funktioniere. Martina Löw und Helmut Berking entwickelten die Theorie von der spezifischen Besonderheit jeder Stadt und buchstabierten diese anhand räumlicher und kultureller Merkmale aus. Sie schlossen damit an einen gesellschaftlichen Diskurs an, der Städten jeweils unterschiedliche Stimmungen, Moden und Mentalitäten zuschreibt und vor allem im Stadtmarketing großen Anklang findet (vgl. ebd.: 65ff.). Aufgrund dieser räumlichen Essentialisierung wird der Ansatz scharf kritisiert (Kemper/Vogelpohl 2011). Seine Tendenz, Städte als Einheiten zu fassen, widerspricht der diversen, urbanen Wirklichkeit, die die Komplexität einer einzelnen Logik weit übersteigt. Gleichzeitig lassen sich durchaus für jede Stadt bestimmte politische, geographische, historische Narrative ausmachen, die von den Bewohnern als Orientierung und Grundlage für soziale Aushandlungsprozesse genutzt werden und so zum Verständnis lokaler Identitäten unbedingt dazugehören.4 Der hier vorgenommene Überblick über theoretische Stadttypologien hat die kontroversen akademischen Debatten über die Einordnung von Städten nachgezeichnet. Die scheinbar große Aufmerksamkeit und Leidenschaft, mit der das Thema innerhalb und außerhalb des Wissenschaftsbetriebes verhandelt wird, verdeutlichen die Relevanz des Städtischen als Identitätsmarker. 2.2 Lokalität als Identitätsmarker Nachdem der Begriff Lokalität nun als analytisches Konzept aus verschiedenen Perspektiven in seiner Relationalität beleuchtet wurde, möchte ich mich einer Fluchtlinie widmen, die bis jetzt nur implizit diskutiert wurde. Lokale Verortungen werden in der vorliegenden Arbeit als identitätsstiftende Momente verstanden. Um dies zu verdeutlichen, bedarf es einer empirisch-systematischen Lokalisierung von Identität. Wie bereits geschildert, konzentrierte sich die Identitätsforschung jahrzehntelang auf nationale, ethnische oder kulturelle Bezugsrahmen (Teil III.1.2). Erst in den 1990er Jahren, nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und einer damit einsetzenden räumlich-politischen Neuordnung, erschienen vermehrt theoretische und empirische Studien, die die Existenz hybrider Identitäten postulierten und neue Räume der subjektiven Verortung entdeckten (vgl. Bronfen/Emmert 1997). In diesem Zusammenhang schreibt Eade in seiner Studie über junge Londoner mit bengalischem Hintergrund: „Their perceptions are a commentary on the development of new social practices which link their everyday lives in a par-

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Die Bestandsaufnahme Hamburgs als empirischer Untersuchungsraum dieser Arbeit erfolgt in Teil IV.1.

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ticular locality to processes taking place within and across national boundaries“ (Eade 1997c: 161). Mit diesem Fazit über seine Interviewpartner definiert Eade Lokalität als alltägliches Produkt aus konkreten Praktiken und überlokalen Bezügen und liefert eine Pointierung des hier diskutierten Lokalitätsbegriffs. Damit betont er den lokalen, städtischen Raum als Teil identitärer Aushandlungspraktiken und rüttelt an der Vorherrschaft des nationalen Bezugsrahmens. Eine weitere diskursive Fluchtlinie lässt sich anhand des obigen Zitats veranschaulichen: Die identitäre Verortung von Migranten und ihren Nachkommen richte sich stärker an städtischen und damit lokalen Begrenzungen aus als am abstrakteren Nationalstaat (Glick Schiller et al. 2006; vgl. Keller/Ruhne 2011: 13). Besonders unter Muslimen, die in Europa mehrheitlich eine Migrationsgeschichte haben, wurde diese Tendenz zuletzt intensiv erforscht und empirisch bestätigt. Eine umfassende Studie des Open Society Instituts fand anhand der Untersuchung elf europäischer Städte heraus, dass sich die dort ansässigen Muslime besonders an lokalen Zugehörigkeiten orientierten (At Home in Europe Project 2010). In der Analyse meiner empirischen Feldforschung deuten sich Motive für diese lokale Affinität an, die zumindest für den Hamburger Kontext Aufschluss über die spezifische Wechselwirkung von Lokalität und Identität geben können. Wie ich in Teil IV zeigen werde, beziehen die Akteure ihre Selbstrepräsentationen auf Narrative über die Stadt und praktizieren dadurch Vergemeinschaftung. Die Reproduktion von Hamburg als kosmopolitische Stadt, die sich in diversifizierten Kooperationen manifestiert, wirkt zumindest situativ identitätsstiftend. Auch Eades Interviewpartner in seiner Londoner Studie von 1997 bezeichneten sich als Muslime. Der Autor hebt diese Dimension ihrer Identität jedoch nicht sonderlich hervor und ordnet sie lediglich neben anderen Bezügen als eine Komponente hybrider Zugehörigkeiten ein. Dies zeigt deutlich, wie sich die sozialwissenschaftliche Konzentration auf Muslime in den letzten zwanzig Jahren verstärkt hat und gibt Anlass dazu, die Kategorien, auf denen die eigene Forschung basiert, stetig zu reflektieren. Der wissenschaftliche Diskurs trägt auch dazu bei, dass sich gesellschaftliche Zuschreibungen und Anrufungen reproduzieren und sollte daher umso mehr reflektieren, auf welchen Konstruktionen er beruht. Nichtsdestoweniger dienen die hier referierten Forschungsergebnisse als Ausgangspunkt für eine erneute empirisch fundierte Auseinandersetzung mit dem Konzept Lokalität als Instrument der subjektiven und politischen Verortung von Islam in Hamburg.

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3 D IE POSTSÄKULARE S TADT – L OKALITÄT UND R ELIGION Bis hierhin habe ich den Zusammenhang zwischen Religion und Lokalität zwar implizit mitdiskutiert, jedoch nicht systematisch eingeführt. In der vorliegenden Arbeit wird Religion als soziale Praxis betrachtet, der aufgrund ihrer identitätsstiftenden Wirkung eine wichtige gesellschaftliche Rolle zukommt. Damit dient Religion zur Vergemeinschaftung und Abgrenzung innerhalb gesellschaftlicher Aushandlungen. Ihre Rolle als spirituelle Sinngeberin und strukturierendes Element subjektiver Religiosität steht nicht im Fokus der Analyse. Aus diesem Grund widme ich mich der Kategorie Religion in dieser theoretischen Darlegung nur in Verbindung mit den drei Hauptkonzepten Lokalität, Identität und Aushandlung. Während dem wechselseitigen Einfluss von Religion und Lokalität im ausgehenden 20. Jahrhundert wenig Beachtung geschenkt wurde (vgl. Knott 2009: 154f.), lässt sich seit einigen Jahren wieder ein Aufschwung in der Erforschung lokaler Religionsausprägungen verzeichnen (vgl. Schmidt 2011). Der Begriff der „postsecular city“ (Cloke/Beaumont 2013) bringt diese Renaissance auf einen neuen Begriff. Die Autoren Paul Cloke und Justin Beaumont führen in ihrem Artikel „Geographies of postsecular rapprochement in the city“ (2013) in eine Diskussion über postsäkulare Tendenzen innerhalb städtischer Aushandlungsprozesse ein, die sie anhand von sozial engagierten, ehrenamtlichen Kooperationen zwischen religiösen und nicht-religiösen Akteuren beobachten. Dabei impliziert das Adjektiv postsäkular eine Abkehr von der urbanen Säkularisierungsthese, die annimmt, dass Urbanität zumindest in Westeuropa stagnierend auf Religion wirke. Ihr liegt der argumentative Dreischritt zu Grunde, dass Städte die „Keimzelle der westlichen Moderne“ (Siebel 2004: 11) darstellen und Modernisierung zu weniger öffentlicher Religion führe (vgl. Berger 1988: 127f.). Die Tendenz, Religion wieder ins Zentrum gesellschaftlicher Aushandlung zu rücken, wirke der andauernden Säkularisierung europäischer Städte entgegen. Cloke und Beaumont beziehen sich explizit auf die urbanen Zentren Europas, da amerikanische Städte, die sie zum Vergleich heranziehen, ihrer Meinung nach nie derlei Rückgang öffentlicher Religion ausgesetzt waren (Cloke/Beaumont 2013: 35). In ihrer Analyse stellen sie eine Verbindung zwischen den postsäkularen und grenzüberschreitenden Allianzen und den sozialen Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen her, die vor allem das Leben in Städten für einen wachsenden Bevölkerungsteil erschwert haben. Hervorgebracht durch diese Bedingungen sehen die Autoren mögliche „new intersections and crossovers between faith-motivated and other actors. Moreover it is urban centres, where these processes seem to

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congeal with the greatest intensity, energy and hope for just alternatives“ (Cloke/Beaumont 2013: 32). Im Gegensatz zum blasierten, vereinzelten Großstädter, den Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor Augen hatte, konstruieren Cloke und Beaumont die europäische Stadt als Ort der Solidarität und Fürsorge unter Fremden, die nicht einmal durch einen gemeinsamen Glauben vereint sind. Damit kehren sie das Bild der anomischen Großstadt um in „unknown real and imagined spaces of rapprochement“ (ebd.: 33). Trotz der Normativität, die sich in diesem Zitat offenbart und der damit verbundenen Gefahr, die Stadt als harmonische Lokalität zu verklären (vgl. Massey 2006), halte ich das Konzept der postsäkularen Stadt, dass die Autoren ihrer Analyse zu Grunde legen, für hilfreich, um die grenzüberschreitende Konstruktion von Islam, wie ich sie in Hamburg beobachtet habe, zu verstehen. Cloke und Beaumont konkretisieren ihr Verständnis einer spezifisch urbanen Lokalität als räumliche Dichte gleichzeitiger sozialer Prozesse und Interaktionen, die weitaus höher sei als auf dem Land und schließen sich damit Vertovecs super-diversity-These an (vgl. Cloke/Beaumont 2013: 45). Wenn die Analyse urbaner Lokalität also auf der Annahme beruht, dass es dort mannigfaltige Aushandlungsmomente zu beobachten gibt, die aufgrund ihrer Gleichzeitigkeit eine eigene Dynamik entfalten können, erscheint es notwendig, dem Lokalitätskonzept ein analytisches Verständnis wechselseitig konstruierter Identitäten an die Seite zu stellen. Die Frage nach dem Wo dieser Prozesse bringt dann automatisch die Frage nach dem Wer mit sich. Wer sind die Subjekte, die sich lokal verorten und in ihrer Interaktion soziale Wirklichkeit herstellen?

4 I DENTITÄT 4.1 Vom handelnden Subjekt zu fragmentierter Subjektivität Wie Stuart Hall in seinem Aufsatz „Kulturelle Identität und Globalisierung“ (1999) ausführt, sei für die Behauptung „dezentriert[er]“ (Hall 1999: 393) Identitäten eine ideengeschichtliche Herleitung notwendig, die eine historisch vorgelagerte, zentrierte Identität skizziere. Die Rede über fragmentierte Identitäten rekurriere tatsächlich auf das vormoderne Subjekt, das sich vor allem durch eine Begrenzung an Entscheidungs- und Wahlmöglichkeiten auszeichnete.5 Bevor der

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Ich fasse mit dem Begriff der Vormoderne die Zeit vor der Industriellen Revolution zusammen. Der Übergang von der Moderne zur Postmoderne lässt sich meines Erachtens am Ende des Ost-West-Konflikts datieren, wobei mit dem Begriff der Postmo-

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umfassende Prozess der Rationalisierung aus weitgehend „mechanisch“ (Durkheim [1893] 1988: 182) verbundenen, homogenen Gesellschaften funktional differenzierte Systeme mit individualisierten Mitgliedern machte, stand Identität weit weniger zur Disposition, als dies seither der Fall ist. Wie bereits Émile Durkheim schematisch über das Wesen vormoderner Gesellschaften konstatierte, „gehört sich das Individuum nicht selbst“ (ebd.). Erst die Arbeitsteilung verwandele diese Art von gesellschaftlichem Zusammenhalt zu „organischer Solidarität“ (ebd.: 183), die mit der Ausdifferenzierung individueller Persönlichkeiten innerhalb einer Gesellschaft einhergehe. Parallel dazu entwickelte sich die Vorstellung eines konsistenten Selbst, das sich zwischen Renaissance und Aufklärung entfaltete. Dieses Modell galt nicht als vollkommen durch gesellschaftliche Bindungen determiniert, sondern als „‚Subjekt‘ der Vernunft, des Wissens und des Handelns“ (Hall 1999: 403). Identität stellte sich als gesichertes und homogenes Modell dar, das im Gegensatz zur Gesellschaft konstruiert wurde. Es dauerte allerdings nicht lange, bis sich Zweifel an dieser harmonischen Konzeption regten. Während der Dualismus zwischen Individuum und Gesellschaft auch in der Soziologie bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts als dominantes Paradigma galt, lassen sich in den Werken aller soziologischen Klassiker Tendenzen herauslesen, die bereits in frühen Phasen der Moderne identitäre Dezentrierungen aufdecken. Interessanterweise sind sie durchweg negativ konnotiert, was ein schlagwortartiger Überblick zeigt: von Max Webers „Entzauberung der Welt“ (Weber [1917] 1992: 109) durch eine als allgegenwärtig empfundene Rationalisierung über Georg Simmels „Tragödie der Kultur“, in der „Subjektivismus und Individualität […] sich bis zum Umbrechen zugespitzt“ (Simmel [1908] 1993b: 382) haben, bis hin zu Durkheims These des „anomische[n] Selbstmord[s]“ (Durkheim [1897] 1973: 273) unter dem Einfluss des Kapitalismus. Wenngleich sich diese Konzepte aus unterschiedlichen Perspektiven den diversen Ausprägungen der modernen Gesellschaft und ihren Mitgliedern nähern, formulieren sie alle eine Infragestellung des „‚souveränen Individuums‘ (Hall 1999: 402), das doch in der mehrheitlichen Wahrnehmung „der Motor war, der das gesamte System der Moderne in Bewegung setzte“ (ebd.). Wie auch Hall in seinem Aufsatz eingesteht, ist die Erzählung einer zentrierten Identität, die erst in der Postmoderne (oder je nach begrifflichen Präferenzen in der Spätmoderne) dekonstruiert

derne vor allem eine Abkehr des Fortschrittsglaubens bezeichnet werden kann, der die Moderne prägte. Dieses chronologische Modell dient hier lediglich der Veranschaulichung verschiedener Identitätstheorien und ihrer Kontextualisierung. Es stellt nicht den eigentlichen Forschungsgegenstand dar und muss hier deshalb nicht weiter diskutiert werden.

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und dezentriert wurde, verkürzt und reduktionistisch. Er verwende sie lediglich als „Kunstgriff für das Vorhaben einer leicht zugänglichen Einleitung“ (ebd.: 401). Die oben genannten Ausführungen von Weber, Simmel und Durkheim lässt er dabei außen vor, was der Dichte seiner Argumentation sicherlich zu Gute kommt. Allerdings versperrt dies auch die Sicht auf einen entscheidenden Punkt in der narrativen Wende über die Beschaffenheit von Identität und Subjektivität. Wie sich mit den soziologischen Klassikern zeigen lässt, ist das moderne Subjekt quasi von Beginn an ambivalent und in sich widersprüchlich. In der dynamischen Fragmentierung, auch neue politische Handlungsmöglichkeiten zu erkennen und sie nicht nur als strukturellen Makel gesellschaftlicher Verhältnisse zu fassen, kann als Verdienst postmoderner, poststrukturalistischer Theorien gewertet werden. Hall bleibt diese Würdigung als wesentliche Abgrenzung zu den Theoretikern der frühen Moderne schuldig. Neben der historisch begründeten Zentriertheit der Identität entfaltet Hall in seinem Aufsatz eine weitere Dimension eines in sich geschlossenen Subjekts, das auf einer anderen als der zeitlichen Ebene konstruiert sei. Es handelt sich um territorial abgegrenzte Identitäten, die klassischerweise in die Form von Nationalstaaten gegossen wurden. In Anschluss an den „Tod des modernen Subjekts“ (ebd.: 401), den Hall mit Bezug auf René Descartes konstatiert, sagt er schließlich der Globalisierung eine destruktive Wirkung auf homogene, nationalstaatliche Identitäten nach (vgl. ebd.: 434). Wenn der scheinbar statische Begriff der Identität brüchig werde und damit in Bewegung gerate, was als feststehend galt, eröffne dies verschiedene Möglichkeiten damit umzugehen. Diese Möglichkeiten lassen sich in Anschluss an Hall als (re-)traditionalisierende und grenzüberschreitende Bestrebungen analytisch trennen. Dabei sammeln sich im Lager der (Re)Traditionalisten vor allem diejenigen, die eine Wiederherstellung vermeintlich purer Nationalismen herbeisehnen. Demgegenüber stehen jene Positionen, die dies als unmöglich und vor allem als nicht erstrebenswert ansehen und in der Verunsicherung von Essentialismen eine Chance für ihre Dekonstruktion sehen. Dem Ansatz inhärent bleibt die Erkenntnis, „that we still operate with narratives of our individual integrity“ (Bondi 1993: 98). Scherr entwickelt in seiner Studie über „Soziale Identitäten Jugendlicher“ (1995) ein gleichnamiges Konzept, das die Genese individueller Identitäten aus der Aneignung und Umwandlung sozialer Identitäten erklärt. Er schreibt: „Für solche Modelle persönlicher Identität, die als Muster bzw. Typen fungieren können, durch deren Übernahme, Variation und Umwandlung individuelle Identitäten entstehen, steht im folgenden der Begriff soziale Identitäten [im Original hervorgehoben, L.H.]“ (Scherr 1995: 29). Er konzentriert sich vor allem auf berufliche Kategorisierungen, macht jedoch mit der obigen Definition die Allge-

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meingültigkeit seines Ansatzes deutlich. Eine persönliche Identität könne sich demnach sowohl auf den Beruf als auch andere Merkmale wie die religiöse Zugehörigkeit beziehen. Entscheidend sei es, diese Ausprägungen als Angebote zu verstehen, auf die situativ unterschiedlich reagiert werden könne (ebd.: ff.). Damit bietet Scherr eine pragmatische Operationalisierung an, die das Bedürfnis nach geschlossenen Erzählungen auch innerhalb postmoderner Paradigmen nachvollziehbar macht. Inwiefern sich die beiden Ebenen der Konstruktion und Dekonstruktion von Identität wechselseitig prägen, möchte ich zunächst anhand des politischen Projekts der Identity Politics diskutieren, um danach die politiktheoretische Strömung des Kommunitarismus in meine Überlegungen miteinzubeziehen 4.1.1 Das Projekt der Identity Politics Der Begriff der Identity Politics geht auf die 1960er Jahre zurück, in denen neue soziale Bewegungen entstanden, die „eine Identität pro Bewegung“ (Hall 1999: 413) propagierten und Kategorien wie Klasse, Geschlecht oder Ethnizität, entlang derer bis dahin Marginalisierung stattfand, als Selbstermächtigungsstrategien nutzten. Damit lässt sich die Entstehung von Identitätspolitik zeitlich mit der „endgültige[n] Dezentrierung des cartesianischen Subjekts“ (ebd.: 407) gleichsetzen. In der Leerstelle vormals feststehender gesellschaftlicher Verhältnisse entstanden umkämpfte Räume, die durch verschiedene Gruppierungen mit Bedeutung aufgeladen wurden. Neben der Frauenbewegung stellt die Formierung von als schwarz bezeichneten Identitäten ein Beispiel neuer widerständiger Selbstrepräsentationen dar. Die Grundlage, auf der diese Kategorie entstehen konnte, liegt nicht in den tatsächlichen Gemeinsamkeiten der Beteiligten, sondern in der gesellschaftlichen „Anrufung“ (Althusser 1977: 89) als „‚dasselbe‘, als nicht-weiße Andere“ (Hall 1999: 433f.). Dementsprechend werden Identity Politics im akademischen Kontext der britischen Cultural Studies als radikale Oppositionspolitiken gegen gesellschaftliche Hegemonien verstanden. Dabei integrieren sie raumtheoretische Überlegungen in ihr kulturtheoretisches Programm und arbeiten so den Zusammenhang zwischen translokalen Entwicklungen und postkolonialen Organisationsformen heraus. Die Cultural Studies, die in den 1960er Jahren am Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies begründet wurden, können insofern als gleichermaßen aktionistisches und theoretisches Projekt gefasst werden, das durch sei-

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ne affirmative Haltung gegenüber antirassistischen Bündnissen nicht nur chronistisch, sondern gestalterisch wirkte (vgl. Laclau 1990).6 In der deutschsprachigen, akademischen Debatte hat der Begriff der Identitätspolitik sehr viel weniger Anwendung gefunden. Dies kann auch daran liegen, dass der Diskurs um Identität gemeinsam mit der Modellierung einer multikulturellen Gesellschaft einherging. Beiden Konzepten wird innerhalb der deutschsprachigen Rezeption eine homogenisierende Wirkung vorgeworfen, die eine Verwendung der Begriffe diskreditierte (vgl. Fürstenau/Niedrig 2007). Die Skepsis gegenüber containerhaften Identitäts- und Kulturmodellen war sicherlich angebracht, sie ist allerdings vor allem Ausdruck eines Streits um Begrifflichkeiten, der sich in der ständigen Suche nach neuen unbefleckten Termini niederschlägt. In den englischsprachigen Debatten werden Begriffe wie Selbstverortung und Positionierung, die hierzulande als Alternativen zum vermeintlich zu statischen Identitätskonzept vorgeschlagen werden (vgl. ebd.), parallel gebraucht und zur Ausdifferenzierung herangezogen. Michael Keith und Steve Pile illustrieren in ihrer Einleitung zum Sammelband „Place and the Politics of Identity“ (1993a) mit Bezug auf Laclau Identität als „freeze-frame photograph of a race-horse at full galopp. It may be a ‚true‘ representation of a moment but, by the very act of freezing, it denies the presence of movement. […] the very act of representing the ceaseless process of identity formation is based on a moment of arbitrary closure [Hervorhebung im Original, L.H.] which in the same fashion is both true and false simultaneously“ (Keith und Pile 1993c: 28).

Die plastische Beschreibung von Identität als Momentaufnahme bietet eine treffende Zusammenfassung dessen, was dem Projekt der Identity Politics zu Grunde liegt und woran es letzten Endes auch zu scheitern droht. Keith und Pile entwerfen ein poststrukturalistisch informiertes Verständnis von Identität, das sich gegen essentialisierende Festschreibungen wehrt und auf Ambivalenz und Praxis verweist. In diesem Sinne lassen sich Identitäten zwar nicht vorpraktisch konstruieren, da sie nur situativ hergestellt werden, sie seien allerdings „so konstituiert, als ob sie vor der Repräsentation existieren würden“ (Strüver/Wucherpfennig 2009: 118). Die enthaltene Ambivalenz manifestiert sich für Keith und Pile darin, dass die Fixierung einer Identität wahr und falsch zugleich sei. Laclau

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Die Serie „Phronesis“, die Ernesto Laclau und Chantal Mouffe im Verso Verlag herausgaben, machte diese Doppelstellung deutlich: „Our objective is to establish a dialogue between these theoretical developments and left-wing politics“ (Laclau 1990 im Einband).

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nimmt diese Doppeldeutigkeit zum Anlass, identitäre Konflikte als genuine Bestätigungen der zu Grunde liegenden Identitätskategorien zu behandeln. Auch er betont damit die Fähigkeit von Identitäten als ontologisch zu erscheinen, wodurch jeder Widerspruch konfirmierend wirke: „The structure of any relation of threat presupposes positing and questioning an identity at the same time“ (Laclau 1990: 27). Dies stellt den Kern der aktionistischen Identity Politics als gesellschaftspolitisches Projekt dar, in dem bestehende Hegemonien zunächst artikuliert und dann in Frage gestellt werden. Die politische Dimension des Identity Politics-Ansatzes lässt sich am Beispiel feministischer Artikulationen illustrieren, wie Liz Bondi sie in ihrem Aufsatz „Locating Identity Politics“ (1993) rekonstruiert. Bondi beschreibt die Versuche feministischer Bündnisse in den 1980er Jahren, die Sensibilität für machtvolle Wissensordnungen zu steigern, indem differenzierte Positionierungen artikuliert wurden. Diese Versuche endeten jedoch in der Beharrung auf einer politischen Position, die der Konstruktion von Identitäten als veränderbare Fragmente nicht standhalten konnte. Obwohl vor allem auf die Artikulation intersektionaler, also sich überschneidender Identitätskategorien geachtet wurde, die eine mehrschichtige Marginalisierung offenbaren konnte, trug der Feminismus damit zu einem Diskurs bei, in dem die Anerkennung von Brüchen und Unvollständigkeiten scheinbar statischen Situierungen wie „I am a white, working-class, heterosexual woman“ (Bondi 1993: 93) weichen mussten. Hierin offenbart sich die Ambivalenz des Projekts. Während die Artikulationen den Zweck der Problematisierung verschiedenster gesellschaftlicher Machtstrukturen erfüllten, reproduzierten sie die Narrative eines zentrierten Subjekts und führten damit das eigentliche Anliegen feministischer Aktivistinnen ad absurdum. Darin offenbart sich ein grundsätzliches Dilemma von Identity Politics, welches von den Akteuren detailreich und scharfsinnig analysiert wurde. Mit der politischen Aktion gingen Kompromisse einher, die die Handlungsfähigkeit der Bewegung gewährleisten sollten, sich dabei allerdings jener Kategorien bedienten, die sie eigentlich zu überwinden suchten. In ihrem Beitrag zum Sammelband „New Times. The Changing Face of Politics in the 1990s“ (1990) rekonstruiert Rosalind Brunt ihr eigenes politisches Engagement schonungslos als „hardly correct“ (Brunt 1990: 155). Aus dieser selbstkritischen Perspektive heraus gelingt ihr allerdings eine scharfsinnige Beschreibung der grundlegenden Funktion von Identity Politics, die so auch in den 1990er Jahren weiterhin ihre Berechtigung fanden. „The starting point I’d suggest for any politics of identity is the issue of ‚representation‘: both how our identities are represented in and through the culture and assigned particular categories; and also who or what politically represents us, speaks and acts on our behalf.

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They [the two senses of ‚representation‘, L.H.] help us to think how we both ‚make sense‘ of the world and get a sense of our ‚place‘ in it – a place of many and increasing identities“ (ebd.: 152).

Brunt schafft mit dieser Definition eine Verbindung zwischen der reflexiven Grundlage von Identity Politics und ihrem tatsächlichen gesellschaftspolitischen Projekt. Damit buchstabiert sie die Möglichkeiten der Überwindung des politisch-reflexiven Dilemmas aus. Mit Bezug auf Foucault plädiert Brunt für eine kritische, macht-bewusste Perspektive. Die Argumentationslogik, die Brunt hier entwirft, lautet in etwa: Die Priorisierung einzelner identitärer Sektionen, wie sie letztlich auch die Vorstellung von Intersektionalität prägt, greife zu kurz und laufe dem Bestreben zur Sensibilisierung von Machstrukturen zuwider. Demgegenüber könne nur eine dialektische Politik, die sich ihrer Situiertheit bewusst ist, Macht immer wieder neu neutralisieren. 4.1.2 Kommunitarismus als pragmatische Alternative? Während das Konzept der Identity Politics vor allem auf die Unterwanderung bestehender gesellschaftlicher Ordnung abzielt, plädiert die Theorie des Kommunitarismus für einen aktiven Schutz von marginalisierten Kollektiven. Der Politikwissenschaftler und Philosoph Charles Taylor entwickelte gemeinsam mit anderen das Modell des Kommunitarismus, das die Gruppierung von Individuen anhand ethnischer, sprachlicher und kultureller Merkmale befürwortet und ihre Eigenständigkeit schützen will. Diesem politischen Konzept wird zuweilen vorgeworfen, dass es Ungleichheiten zementiere und Identitäten askriptiv zuweise (vgl. Bauman 1999: 334ff.). Trotzdem scheint eine kurzfristig wirksame Politik auf die Strategien der Homogenisierung, die durch den Kommunitarismus zum Tragen kommen, angewiesen zu sein. Im Folgenden möchte ich diese Implikationen im Kontext meiner bisherigen theoretischen Überlegungen entfalten und mich der Frage widmen, inwiefern die Anwendung kommunitaristischer Maßnahmen das Konzept der multikulturellen Gesellschaft stützt und welche Probleme daraus resultieren können. In der konstitutiven Bedeutung, die Taylor kulturellen Praktiken für das Selbstverständnis des Subjekts zuschreibt, ähnelt der Ansatz des Kommunitarismus den Cultural Studies. Auch Taylor legt seinem Konzept ein breit gefächertes Verständnis von Kultur zu Grunde, das kulinarische Merkmale ebenso umfasst wie sprachliche Ausdrucksweisen. Sein Ansatz wird bisweilen ebenso als Praxistheorie rezipiert (vgl. Meier 2004: 55). Allerdings unterscheiden sich die weitergehenden Überlegungen Taylors stark von den politischen Implikationen der Identity Politics, die ich oben anhand der feministischen Bewegung in Großbri-

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tannien skizziert habe. Taylor erkennt zwar Kultur als identitätskonstituierendes Moment an, behandelt sie jedoch nicht als sich wiederholende Kraft zur Erschaffung der Welt, sondern konstruiert ein „stabiles Selbstbild“ (Rosa 2006: 72) aus dem Fortbestand von Traditionen und Werten, das durch die scheinbar immer gleichen kulturellen Praktiken gesichert werde. Vor diesem Hintergrund lässt sich Taylors Theorie einer Politik der Anerkennung eher als konservierendes Instrument deuten, während sich die britischen Identity Politics der Subversion und Unterwanderung bestehender Traditionen verschrieben haben. Hartmut Rosa, der den Kommunitarismus bei Taylor portraitiert hat, fasst dieses Verständnis wie folgt zusammen: „Die Sprache und die kulturellen Praktiken, in die hinein ein Individuum geboren wird, bestimmen daher die Elemente, Grenzen und Möglichkeiten seiner Identität“ (ebd.: 72). Diese Auffassung klingt zutiefst deterministisch und lässt wenig Raum für Brüche, Dezentrierungen und Hybridität. In der Konsequenz dieser essentialistischen Wendung von Identität muss Migration zu weitreichenden sozialpsychischen Problemen für die Betroffenen führen. Nach dieser Logik wurden in den 1990er Jahren vor allem für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien identitäre Konflikte konstruiert, die auf ihre kulturelle Entwurzelung und Ambivalenz abstellten (vgl. kritisch dazu Fürstenau/Niedrig 2007). Im Kontext des politischen Programms der multikulturellen Gesellschaft, wie Taylor sie anstrebt (vgl. Rosa 2006: 74), wirkt die Forderung nach kulturellem Erhalt zum Schutz des Individuums bisweilen wie das „stahlharte Gehäuse der Zugehörigkeit“ (Nassehi 1997),7 das Nassehi für die Situation der ehemaligen Arbeitsmigranten und ihrer Nachkommen in der Bundesrepublik der 1980er und 1990er Jahre formulierte. Gemeinsam mit der Verbreitung des Paradigmas der multikulturellen Gesellschaft in Deutschland entwickelte sich ein problembezogener Diskurs um die individuelle und gesellschaftliche Vereinbarkeit verschiedener kultureller Einflüsse (vgl. dazu kritisch Pott 2002: 25). Das Argument Taylors, wonach der Schutz von gesellschaftlich definierten Minderheiten zum Gelingen einer multikulturellen Gesellschaft unerlässlich sei, beinhaltet die ständige Gefahr der Instrumentalisierung kultureller Kategorien und der „Ethnisierung sozialer Konflikte“ (Kaschuba 1995: 33). Kaschuba hat mit Hall darauf hingewiesen, dass die Argumentation, nach der jede Kultur „in ‚ihrem‘ Territorium“ (ebd.: 37) bewahrenswert sei, als argumentative Munition gegen Einwanderung genutzt werde. Soziale Ungleich-

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Nassehi bedient sich hier einer Wendung von Weber, der das „stahlharte Gehäuse“ (Weber 1921:203) moderner Rationalität kritisierte und wendet es auf eine heutzutage ähnlich aussichtslos wirkende Deutungshoheit gesellschaftlicher Zuschreibungen wie Kultur und Ethnizität.

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heit wird damit als selbstverschuldet konstruiert und auf kulturelle Eigenheiten zurückgeführt. Der Diskurs um eine „deutsche Leitkultur“, der zum Ende der 1990er Jahre in Zusammenhang mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts geführt wurde, hat das destruktive Potential aufgezeigt, mit dem die Rede über schützenswerte Nationalkultur gegen die Realität von Einwanderungsgesellschaften in Stellung gebracht werden kann (vgl. Merz 2000). Gibt es trotz dieser Beispiele Argumente für die politische Anwendung von kollektiven Rechten? Taylor begründet in seinem Essay „Die Politik der Anerkennung“ (1997) die Notwendigkeit von rechtlichem Minderheitenschutz damit, „daß [sic!] die ‚blinden‘ Liberalismen selbst Spiegelungen ganz bestimmter, besonderer Kulturen sind“ (Taylor 1997: 34).8 Dieser Vorwurf wird von ihm nicht selbst erhoben, sondern lediglich nachskizziert. Er impliziert, dass das universalistische Paradigma, das im Prinzip der allgemeinen Menschenwürde genauso zum Tragen komme wie im liberalen Nationalstaat, auf die Tradition der Moderne und der Aufklärung zurückgehe und darin eine nach wie vor bestehende Hegemoniebestrebung des Westens ihren Ausdruck finde: „Es wird behauptet, der angeblich neutrale Komplex ‚differenz-blinder‘ Prinzipien, der von der Politik der allgemeinen Menschenwürde verfochten wird, spiegele in Wirklichkeit eine ganz bestimmte hegemoniale Kultur. Allein die minoritären oder unterdrückten Kulturen würden gezwungen, eine ihnen fremde Form zu übernehmen. Folglich sei die angeblich faire ‚differenz-blinde‘ Gesellschaft […] auf eine subtile, ihr selbst nicht bewußte [sic!] Weise in hohem Grade diskriminierend“ (Taylor 1997: 34).

Diese Argumentation ist auch aus der machtkritischen Perspektive der Identity Politics nachvollziehbar. In die radikalen, praxeologischen Ansätze der feministischen Kritik, die auf einem Verständnis von Macht als omnipräsentem Beziehungsgeflecht beruhen, lässt sich auch die von Taylor zitierte Kritik des Universalismus integrieren. Doch Taylor gibt sich nicht mit dem poststrukturalistischen Ansatz der Machtkritik zufrieden, sondern wirft ihm seinerseits Respektlosigkeit und Ethnozentrismus vor (Taylor 1997: 68). Nach ihm leiste eine postkoloniale, grundsätzlich wertschätzende Kulturrezeption lediglich der Verschiebung von Machtstrukturen Vorschub und sei ungeeignet, diese zu dekonstruieren. In diesem Zusammenhang stellt Kaschuba die Frage nach dem Umgang mit Interkul-

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Rosa bewertet diesen Essay als „nicht unbedingt stellvertretend für sein [Taylors, L.H.] Werk“ (Rosa 2006: 97). Für die hier verfolgte Fragestellung beleuchtet er jedoch pointiert die Implikation von Kommunitarismus für die Einwanderungsgesellschaft und wird hier deshalb ausführlich besprochen.

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turalität, diskutiert diese allerdings weniger in einem politisch-strategischen Sinne als aus forschungsethischer Sicht. Die Tatsache, dass „wir uns fremdes Denken nur in Analogie zum eigenen Denken vorstellen können“ (Kaschuba 1995: 35), bedeute, dass es nicht zielführend sei, fremdes Denken zu simulieren und darin enthaltene Ziele und Wünsche zu antizipieren. Diese Gleichung lässt sich wiederum sowohl für die Stärkung von Partikularinteressen als auch für die staatliche Neutralität nutzen. Wie ordnet Taylor die Forderung nach Anerkennung vonseiten verschiedenster Minderheiten ein? Sollen sie mit Verweis auf die Gefahr der illegitimen Vereinnahmung abgelehnt werden? Taylor reflektiert die Gefahr der Homogenisierung und gemeinschaftlichen Vereinnahmung des Individuums, die durch die Stärkung kollektiver Rechte vorangetrieben werden könne. Aus diesem Grund bezeichnet er sich selbst auch nicht zweifelsfrei als Kommunitarist (vgl. Rosa 2006: 66).9 Sein Essay „Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung“ (1997) endet mit einer Positionierung, die sich zwischen dem strikten Verfassungsuniversalismus und einer gemeinschaftsbezogenen Vereinheitlichungs- und Vereinnahmungspolitik situiert. Eine Lösung scheint Taylor im normativen gesellschaftlichen Engagement eines jeden Einzelnen zu sehen. Sein Verständnis von Gesellschaft ist geprägt durch die Vorstellung, dass Partizipation und Zugehörigkeit gegenüber funktionalen und dementsprechend austauschbaren Beziehungen dominieren (Taylor 1997: 56; vgl. Rosa 2006: 78). Damit wendet sich Taylor dezidiert gegen eine rationale, gewissermaßen marktorientierte Ausrichtung von Bürgerschaft, die lediglich dem individuellen Nutzen genüge und konstruiert eine dauerhafte, sinngebende Identifizierung des Individuums mit der politischen Struktur. Diese politische Struktur ist es allerdings auch, die Taylor verändern will, um seine Vorstellung einer guten Gesellschaft verwirklicht zu sehen. Rosa beschreibt das Bestreben nach mehr Partizipation als Kernelement der meisten kommunitaristischen Ansätze. Damit verbunden werden „Forderungen nach einer stärkeren Föderalisierung, Regionalisierung und Lokalisierung politischer Verantwortlichkeit“ (Rosa 2006: 79). In seinem Buch „Das Unbehagen an der Moderne“ ([1995] 2011) expliziert Taylor seine kommunitaristische Konzeption dahingehend, dass der Schutz kultureller Minderheiten gegen eine grundsätzliche „Fragmentierung“ (Taylor [1995] 2011: 125) der Gesamtgesellschaft ausgerichtet sei. Er schreibt:

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Dass ich ihn trotzdem als solchen darstelle, illustriert einmal mehr das Problem der Repräsentation.

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„Die Gefahr liegt […] in der Fragmentierung, also darin, daß [sic!] ein Volk immer weniger imstande ist, sich einen gemeinsamen Zweck zu setzen und diesen zu erfüllen. Zur Fragmentierung kommt es, wenn sich die Menschen in immer höherem Maße atomistisch sehen und, anders formuliert, immer weniger spüren, daß [sic!] sie durch gemeinsame Vorhaben und Loyalitäten an ihre Mitbürger gebunden sind“ (ebd.: f.).

Darin lässt sich ein Plädoyer für zivilgesellschaftliches und vor allem praktisches Engagement erkennen, das, wie ich in der Analyse der Fallstudien zeigen werde, auch aus religiöser islamischer Sicht als wesentliches Identitätsmerkmal beschrieben werden kann. Taylor führt weiter aus, dass insbesondere die politische Ermächtigung lokaler Gemeinschaften gegen die Tendenz der Vereinzelung hinwirken könne und begründet darin seine Forderung nach Schutz für kollektive Rechte (ebd.: 133). Der Nexus zwischen Lokalität, Praxis und Identitätspolitik entspricht dem theoretischen Konzept, das die Analyse der empirischen Fallstudien strukturieren wird. Der Fokus des Kommunitarismus auf ein engagiertes Miteinander reagiert mit einer konkreten Strategie auf soziale Entfremdung und fehlende Identifizierung mit politischen Institutionen. Dabei bleibt die Frage, inwiefern eine festgelegte Kollektivität den Entfaltungsmöglichkeiten jedes Einzelnen zuwiderläuft und Gemeinschaft zu einem unentrinnbaren Determinismus macht, bestehen. Dieser Kritik begegnet Rosa in seiner überzeugenden Taylor-Darstellung mit einer Überlegung, die es vermag, die Einwände der machtsensiblen Poststrukturalisten mit dem kommunitaristischen Ansatz zu versöhnen. In der idealtypischen Konstruktion einer liberalen Regierungsform, die sich vollständig auf die Gewährleistung prozeduraler Rechte beschränkt, brauche es tatsächlich keinen Schutz von gesellschaftlichen Minderheiten, so Rosa. Diesen Idealtypus gebe es allerdings in der sozialen Wirklichkeit aufgrund von praktisch manifestierten Machtstrukturen nicht. Darin besteht bei beiden hier diskutierten Theorierichtungen Konsens. Daraus schließt Rosa folgende Notwendigkeit: „Eben weil [Hervorhebung im Original, L.H.] vorherrschende Institutionen, Praktiken und Diskurse immer auch von impliziten Machtstrukturen bestimmt werden, ist es von entscheidender Bedeutung, die ihnen innewohnenden Gütervorstellungen und Selbstinterpretationen zu artikulieren und damit der demokratischen Kritik und potentiellen Revision anheimzustellen, anstatt sie unter dem Deckmantel staatlicher Neutralität unartikulierter Verselbständigung zu belassen“ (Rosa 2006: 88).

Während sich diese Forderung nach demokratischer Kritik durchaus in den Reflektionen des oben von mir vorgestellten Identity Politics-Programms wieder-

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finden lässt, bleibt fraglich, inwiefern der dezidierte Schutz von kollektiven Minderheiten diesem Ziel nützlich ist. Dies lässt sich allerdings wohl kaum theoretisch beantworten und muss deshalb an dieser Stelle offen bleiben.10 Im folgenden Abschnitt möchte ich mich nun konkreter mit der Einordnung von Religion in das politische Instrumentarium von Identity Politics und Kommunitarismus beschäftigen und dadurch die spezifische Problemstellung herausarbeiten, die sich mir angesichts der empirischen Untersuchung von IslamKonstruktionen in Hamburg dargeboten hat. 4.2 Anerkennung oder Widerstand – Religion im Spannungsfeld von Identity Politics und Kommunitarismus Die Schlagworte Anerkennung und Widerstand können als die Eckpfeiler der beiden vorgestellten Konzepte bezeichnet werden und markieren damit das Spektrum an Möglichkeiten, das gesellschaftlich marginalisierten Akteuren zur Verfügung steht, um ihre Situation zu ändern. Wie ich deutlich machte, ist die vorliegende Arbeit dem Ansatz der britischen Cultural Studies zugeneigt, was sich auch in der theoretischen Grundlegung der hier vorgestellten Begrifflichkeiten zeigt. Dem gewissermaßen monogamen kulturellen Anspruch kommunitaristischer Politik lässt sich mit Keith, Pile und Jameson erwidern: „The problem for oppositional politics is that ‚everyone „represents“ several groups all at once‘“ (Keith/Pile 1993b: 3). Für die Analyse islamischer Aushandlungsprozesse im städtischen Kontext des 21. Jahrhunderts scheinen jedoch beide vorgestellten Ansätze nützlich zu sein. Wie die Rekonstruktion der übergeordneten Diskurse in Teil II, durch die Islam in Europa hergestellt wird, gezeigt hat, berufen sich die Betroffenen sowohl auf kommunitaristische Anerkennungsforderungen als auch auf subversive Mikropolitiken. In welchem Verhältnis diese Erscheinungsformen stehen und durch welche Akteure eher kollektive Rechte eingefordert als

10 Rosa kritisiert die von Taylor konstatierte Notwendigkeit des Schutzes „von Kulturen und Lebensformen im Interesse der Individuen, aber gegen deren aktuelle Präferenzen. [Hervorhebung im Original, L.H.]“ (Rosa 1998: 481) und pointiert damit das Problem der politischen Umsetzung eines radikal kommunitaristischen Gesellschaftsmodells, das nicht Gegenstand der hiesigen Analyse sein kann. Außerdem pauschalisiert Taylor in seinem Aufsatz „Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung“ die Reaktionen auf Salman Rushdies Buch „The Satanic Verses“ (1988) als islamischwestliche Unvereinbarkeit (Taylor 1997: 66ff.) und zeigt damit selbst die Gefahr der Homogenisierung durch die Vereinnahmung von Individuen aufgrund einer Kultur oder Religion auf.

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hybride Identitäten repräsentiert werden, ist Gegenstand der empirischen Analyse der drei Fallstudien. Hier soll es zunächst einmal darum gehen, die Integrationsfähigkeit von Religion in die theoretischen Überlegungen von Kommunitarismus und Identity Politics zu diskutieren und das potentielle Spannungsfeld von Widerständigkeit und Anerkennung zu bemessen. Zu Beginn dieses Kapitels habe ich mit Hall die Würdigung des „dezentriert[en]“ (Hall 1999: 393) Subjekts als Errungenschaft der Postmoderne skizziert. Der taylorianische Kommunitarismus stellt demgegenüber gewissermaßen den Versuch der Rezentrierung des Subjekts dar, um mithilfe eines „stabile[n] Selbstbild[es]“ (Rosa 2006: 72) das Ziel gesamtgesellschaftlicher Verbundenheit zu erreichen (Taylor [1995] 2011: 126). Insofern liegt es nahe, Religion und religiöse Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft mit dem kommunitaristischen Anspruch auf kulturellen Schutz in Verbindung zu bringen. Auch Religion fungiert demnach als Grundlage für ein „stabiles Selbstbild“ (ebd.) und stellt eine ganzheitliche, idealerweise fragmentlose Weltsicht zur Verfügung. Peter L. Berger geht in seinem Buch „Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft“ (1988) sogar noch weiter. Er konstatiert: „In ihr [der Religion, L.H.] greift die Externalisierung d.h. die Selbstentäußerung des Menschen, so weit über ihn hinaus, daß [sic!] er der Wirklichkeit seine eigenen Sinnsetzungen auferlegt. […] Religion ist der kühne Versuch, das gesamte Universum auf den Menschen zu beziehen und für ihn zu beanspruchen“ (Berger 1988: 28).

Diese expansive Dimension von Religion ist es auch, die sie bisher kaum zum Gegenstand subversiver oder kommunitaristischer Politiken werden ließ. Im Gegensatz zu Studien über feministische, ethnizitäre Identitätspolitiken, hat der akademische Diskurs der Identity Politics bislang wenig zur Konzeptualisierung von Religion als radikal-politisches Moment beigetragen. Während insbesondere in Hinblick auf die Intersektionalität „verschiedener machtgeladener Kategorisierungen“ (Strüver/Wucherpfennig 2009: 120) im Sinne wechselseitiger Prägungen von Theoretikern immer auch die Religion als Kategorie genannt wird (vgl. ebd.), impliziert sie im Gegensatz zu Hautfarbe und Geschlecht eine andere Dimension. In der säkularisierten westlichen Welt beherrschen Religionen nicht mehr die gesellschaftliche Ordnung. Ihre Ethiken können als mehr oder weniger freiwillig befolgte Regelsysteme der einzelnen Gläubigen gefasst werden. Diese Freiwilligkeit scheint es zu sein, die Religion von anderen Kategorien gesellschaftlicher Diskriminierung unterscheidet. Auf die grundsätzliche Wahlfreiheit postmoderner Subjektivität macht Hall aufmerksam, wenn er schreibt: „Wir werden mit einer Reihe von Identitäten konfrontiert, die alle zu uns oder besser

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zu bestimmten Seiten von uns gehören und zwischen denen wir wählen können“ (Hall 1999: 428f.). Andererseits kann Ethnizität, wozu auch Religion gehört, als askriptive Identitätskategorie gefasst werden (vgl. Pott 2002: 24; Esser 1996: 65). Die Freiwilligkeit religiöser Zugehörigkeit ist also eine höchst kontingente Angelegenheit. Während die Vorstellung postmoderner, individueller Religiosität ein freiwilliges An- und Abstreifen religiöser Eigenschaften wahrscheinlich macht (vgl. Richter 2005: 78), entfalten gesellschaftliche Zuschreibungen über die Religionszugehörigkeit bestimmter Personen und Gruppen auf der Ebene von „Anrufungen“ (Althusser 1977: 89) ihre stetige Wirkung und machen ein freiwilliges Partizipieren oder Distanzieren für den Einzelnen kaum möglich. Darin liegt also nicht der Unterschied von Religion zu anderen Kategorien wie Hautfarbe und Geschlecht. Berger liefert einen wichtigen Hinweis darauf, inwiefern Religion von den anderen genannten Identitätsdimensionen zu differenzieren ist. Die außerweltliche Reichweite von Religion, die bereits im obigen Zitat angeklungen ist, stelle ein Instrumentarium bereit, das zur Legitimation und Stabilisierung von Machtstrukturen diene. Im Gegensatz zu innerweltlichen Überzeugungsstrategien strahle Religion eine ungleich stärkere Autorität auf die Gläubigen aus. Diese Autorität lasse sich, so Berger vor allem für machterhaltende Ansätze in Stellung bringen. Interessant ist dabei die doppelte Stoßrichtung, die Berger als entscheidendes Merkmal für die Wirkungsweise von Religion identifiziert. Er fasst sie als dialektische Kraft zwischen Individuum und Gesellschaft, die sowohl als Legitimationsgrundlage für bestehende gesellschaftliche Strukturen fungiere, als auch die „normative Richtigkeit des zu leistenden sozialen Rollenspiels“ (Berger 1988: 37) für jeden Einzelnen begründe. Diese Wechselwirkung sei umso stabiler, wenn sie auf einem religiösen Fundament stehe, so Berger: „Seine [die des Einzelnen, L.H.] Selbstidentifikation mit den Rollen wird demzufolge tiefer und stetiger. Er ist [Hervorhebung im Original, L.H.] der, als den ihn die Gesellschaft kraft einer kosmischen Wahrheit identifiziert“ (ebd.). In diesem Zusammenhang lässt sich Religion eher als konservierende Kraft, denn als subversive Aktion verstehen, was einen Hinweis darauf liefert, warum religiöse Bewegungen in politischer Distanz zu den Identity Politics zu lokalisieren sind, die sich selbst als radikal bezeichnen (vgl. Laclau 1990 im Einband). Abgesehen von dem statischen Identitätskonzept, das Berger hier zu Grunde legt, halte ich diese Logik jedoch für unzutreffend. Religion ist in der postmodernen Gesellschaft lediglich eine „Episteme“ (Foucault 1978: 124) unter vielen und bietet demnach keinerlei „kosmische“ (Berger 1988: 37) Sicherheit. Vielmehr stellt sie, wie ich in den Fallstudien zeigen werde, ein Produkt gesellschaftlicher Aushandlungs- und

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Transformationsprozesse dar. Es gibt sowohl Diskurse und Praktiken, die islamisch kodiert und eher als subversiv und widerständig zu bezeichnen sind (vgl. Teil II.2.2) als auch kommunitaristische Bestrebungen, die als Forderungen nach einer „Politik der Anerkennung“ (Taylor 1997) verstanden werden können. Meiner Ansicht nach ist diese Dichotomisierung von Makrostrukturen und Mikropolitiken in Bezug auf Islam in Europa nicht zielführend. Das bisherige Fehlen von theoretischen Ansätzen, die organisierte Islam-Vertretungen als widerständige Politiken fassen, ist in diesem Zusammenhang frappierend. Darüber hinaus lässt sich schlussfolgern, dass Kommunitarismus und Identity Politics sich nicht ausschließen, sondern komplementäre Ansätze zur Erreichung inklusiver Gesellschaften darstellen. Religion kann in beiden politischen Modellen gesellschaftlich virulent werden. Dementsprechend werde ich in der empirischen Analyse entscheiden, welchem theoretischen Paradigma die konkreten Aushandlungen der von mir beobachteten Akteure zuzuordnen sind. Dazu bedarf es einer detaillierten Dokumentation dieser Aushandlungen. Im folgenden Teil werde ich mich einem analytischen Verständnis von praktischer Aushandlung nähern, das es mir erlaubt, in der Analyse der empirischen Beobachtungen nicht nur nominell Praktiken zu erkennen, sondern differenzierte Aussagen über ihre Funktion und Wirkungsweise zu machen.

5 A USHANDLUNG 5.1 Praktiken – Zwischen Routine und Wandel Die Erforschung von Praxis nimmt in der vorliegenden Arbeit eine Doppelrolle als empirische Methodologie und theoretischer Erkenntnisrahmen ein, da sie ihren „quasi-ethnologischen Blick auf die Mikrologik des Sozialen“ (Reckwitz 2003: 298) richtet. Die ethnographische Konzentration auf praktische Aushandlungen hat meine Wahrnehmung im Feld von vornherein geprägt und meine Aufmerksamkeit auf die performativen Aspekte der Interaktionen gelenkt (vgl. Hirschauer/Amann 1997: 11). Jenseits dieser methodologischen Perspektive steht eine forschungskritische Komponente, die sich auf die Bedeutung von Praxis als Ausdruck sozialer Interaktion bezieht. Praxis kann als wichtige Ergänzung der diskursiven Fixierung eingeordnet werden, die nicht nur in Bezug auf Islam als Topos von Medien, Gesellschaft und Politik beobachtet, sondern in den Sozialwissenschaften seit Ende der 1960er Jahre als Aufschwung des Textualismus wahrgenommen werden kann (Bourdieu 1990; Reckwitz 2003: 288). In diesem Sinne fokussiere ich im folgenden Teil weder Praktiken im Allgemeinen

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noch rein sprachlich-diskursive Positionen, sondern die Praxis sozialer Aushandlung. Dazu ist es zunächst notwendig, die verschiedenen praxeologischen Ansätze und ihre Schwerpunktsetzungen zu diskutieren. Pierre Bourdieu, der als einer der prominentesten Theoretiker des sozialwissenschaftlichen Praxisbegriffs gilt (vgl. Meier 2004: 55), leitete mit seinem viel beachteten „Entwurf einer Theorie der Praxis“ (1976) zusammen mit anderen Autoren einen practical turn ein. Er konstatiert einen grundlegenden Unterschied zwischen der Logik der Theorie und der Logik der Praxis und entlarvt damit ein soziologisches Dilemma, das die eigenen theoretischen Herleitungen allzu oft mit den konkreten sozialen Aushandlungsprozessen verwechselt (vgl. Bourdieu 1976). Bourdieus Praxisbegriff fragt im Gegensatz dazu nach der sozialen Grundlage, auf der bestimmte Praktiken entstehen und dadurch andere ausstechen. Nach Meier geht es Bourdieu vor allem um die „routinisierte [sic!] Auswahl (im nicht-intentionalen Sinne) einer Praktik, jene Entscheidung für eine (Handlungs-)Strategie“ (Meier 2004: 61). Das Praxiskonzept Bourdieus kann als prominentes und sicherlich bereicherndes Beispiel einer Dekonstruktion des dominanten Theoriebegriffs angesehen werden, wird jedoch von seinem deterministischen Habitus-Modell überlagert und bleibt damit für die Untersuchung situativer Aushandlungen in Bezug auf Islam in Europa zu statisch (vgl. Bourdieu [1979] 2014: 277ff.). Bourdieus Verhältnis zu anderen Praxistheorien wird im Folgenden nochmals aufgegriffen. Karl H. Hörning beschäftigt sich in seinem Buch „Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens“ (2001) mit dem Zusammenhang zwischen Praxis und Alltag und formuliert sein Verständnis dieser beiden Konzepte folgendermaßen: „‚Alltag‘ stellt somit hier eine Kurzformel für eine theoretisch-kategoriale Entscheidung dar, die soziale Praxis des einzelnen, sein übliches, manchmal auch sperriges Tun, sein wechselseitiges Handeln mit anderen und die ständig ablaufenden Prozesse gemeinsamer Sinnkonstitution in den Mittelpunkt zu stellen“ (Hörning 2001: 32).

Damit konstruiert er Alltag als übergeordneten Rahmen, in den soziale Praxis eingebettet ist und verortet sie als akteurszentriertes Konzept (vgl. ebd. 2001: 31). Während Hörning Praxis als „übliches Tun“ versteht, spricht er ihr in einem späteren Aufsatz eine „Abwechslung zwischen Routine und Kreativität“ (Hörning 2004: 19) zu und zeigt damit zumindest implizit eine weitere Dimension auf. Er definiert soziale Praxis als „‚Ort‘ […], in dem Verstehen und Einsicht der Akteure hervorgebracht wird und in [Hervorhebungen im Original, L.H.] dem kulturelle Repertoires der Deutung und Bedeutung eingespielt werden“ (ebd.: 20).

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Hörning konstruiert soziale Praxis als Räumlichkeit gesellschaftlicher Aushandlung und konstruiert damit eine Dimension, die dynamisch und flexibel bleiben und somit nicht zu einem statischen Artefakt werden soll. Auch Reckwitz pointiert sein praxistheoretisches Verständnis in Abgrenzung zu anderen kulturtheoretischen Ansätzen: „Der Ort des Sozialen lässt sich aus praxeologischer Perspektive in der Repetitivität von wissensabhängigen performances [Hervorhebung im Original, L.H.] ausmachen“ (Reckwitz 2004: 43). In diesem Zitat werden neben der Verortung von Praxis zwei weitere wesentliche Aspekte angesprochen. Die Zusammenhänge zwischen Praxis und Routine sowie zwischen Praxis und Performativität bilden hier neben der Definition von Praxis als, im Wortsinne, lokaler Handlung die Schlüsselelemente der Praxistheorie. Eine ähnliche Schwerpunktsetzung nimmt Meier vor, wenn er die Theorie sozialer Praktiken mit der „Performativität des Handelns, verstanden als routinisierte [sic!] und repetitive körperliche Ausführung und das praktische Ausführen-Können“ (Meier 2004: 55f.) als „Genese von ‚praktischem Wissen‘“ (ebd.) definiert. Im weiteren Verlauf seiner Abhandlung problematisiert Meier die Reduktion von sozialen Praktiken auf Routinen und Wiederholungen und führt als gegenläufiges Element von Praxis „Unberechenbarkeit und Offenheit“ (ebd.: 59) ein. Er nutzt diese begriffliche Ausdifferenzierung allerdings vor allem um die Relevanz von „Wissen und Wissensordnungen“ (ebd.) zu betonen, die seiner Meinung nach in der praxisbezogenen Theoriebildung zu kurz kommen. Interessant an seiner Argumentation, die sich an den theoretischen Ausführungen von Reckwitz orientieren, ist die Unterscheidung zwischen Innovation und sozialer Praxis, die in der Frage kulminiert „ab wann es sich bei solchen Innovationen um ‚soziale Praktiken‘ im bisher verstandenen Sinne handelt“ (ebd.). Reckwitz kritisiert mit dem Aufsatz „Die Reproduktion und die Subversion sozialer Praktiken“ (2004) die anti-praxeologische Gegenüberstellung von Routiniertheit und Offenheit sozialer Praktiken, die sich aus den verschiedenen praxistheoretischen Ansätzen ergebe (Reckwitz 2004: 41). Die Kontroverse, die sich hier anhand der Argumentationslinien von Hörning, Reckwitz und Meier abzeichnet, stellt eine zentrale Frage zum Verständnis von Praxis dar. Besteht soziale Praxis ausschließlich aus Routinen und verkörpert somit Wiederholung und Beständigkeit oder sollten eher Offenheit und Innovation in der Konstitution von Praxis betont werden (vgl. ebd.: 46)? Reckwitz beobachtet in dieser Dichotomie eine theoretische Lagerbildung zwischen Bourdieu als Verfechter der Beständigkeits-These und Butler (zusammen mit anderen Autoren der Cultural Studies) als seine Gegenspielerin, die nur auf die subversive Kraft von Praxis fokussiert sei (ebd. 2004: 41). Der Praxisbegriff bei Bourdieu beruhe auf dem Konzept des Habitus (vgl. Bourdieu [1978]

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2014: 277), das eine dauerhafte Einschreibung sozialer Dispositionen in das materielle Wesen des Subjekts behaupte. Aus diesem Grund scheint eine Veränderung sozialer Praxis für Bourdieu kaum möglich zu sein (Bourdieu 1993: 129). Im Gegensatz dazu negiere Butler die Einheitlichkeit von kulturellen Codes auf deren Grundlage praktische Handlungen vollzogen werden und betone dagegen die „Möglichkeit, […] diese Wiederholung zu variieren“ (Butler 1991: 213). Sie fasse Praxis als stetig neue körperliche Hervorbringungen, denen immer auch ein ambivalentes und diverses Potential innewohne. Der Vorwurf, den Reckwitz Bourdieu und Butler in diesem Zusammenhang macht, kann als allgemeingültige Warnung vor der pauschalen Generalisierung der eigenen Beobachtungen ausgelegt werden: Reckwitz beschuldigt die Autoren einer „Generalisierung von Aussagen über die Praxis aus ganz bestimmten, letztlich kontingenten kulturellen Kontexten“ (Reckwitz 2004: 49). Aus diesen beiden Hauptthesen lässt sich mit Reckwitz nicht nur eine Polarisierung ableiten, sondern auch der Versuch einer Integration. Statt die Ansätze von Bourdieu und Butler gegeneinander in Stellung zu bringen, schlägt er vor, eine Praxistheorie zu entwickeln, die in der Lage sei, die spezifische, situative Herstellung von Praxis ernst zu nehmen, ohne der Versuchung zu erliegen, daraus eine einseitige Regel zu konstruieren. In diesem Sinne können soziale Praktiken sowohl auf Routine begründet sein und diese verfestigen als auch eine Möglichkeit der Grenzüberschreitung darstellen. Die Frage, welche Tendenz im Einzelfall überwiegt, müsse allerdings aus der empirischen Forschung abgeleitet werden. Die Kritik, mit der Praxistheoretiker gegen andere universalistische Ansätze angetreten seien, falle sonst auf sie zurück. In seinem Aufsatz „Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken“ (2003) formuliert Reckwitz aus, wie die beiden Pole Routine und Wandel soziale Praktiken strukturieren. Dabei gebühre vor allem dem Moment Aufmerksamkeit, in dem routiniertes Handeln unterbrochen werde. Reckwitz betont, dass diese Unterbrechung von Praktiken keine Ausnahme darstelle oder gar als nicht-praktisches Verhalten zu fassen sei, sondern ihnen von vornherein innewohne. Solche Momente lokalisiert Reckwitz vor allem im Aufkommen „neuer Artefakte“ (Reckwitz 2003: 295), aber auch in scheinbar identischen Wiederholungen gleicher Praktiken, die seiner Ansicht nach das „Potenzial ‚zufälliger‘ – sprunghafter oder schleichender – Verschiebungen im Bedeutungsgehalt der Praktik und ihres Wissens“ (ebd.) haben. Diese zeitliche Diskontinuität sei eingebettet in eine generelle Kontextualisierung verschiedener Praktiken, die bisweilen widersprüchlich aufeinander bezogen seien. Die Dispositionen einer Theorie sozialer Praktiken, wie Reckwitz sie vorschlägt, stellen eine Analyse der Produktion von Islam

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in Hamburg, wie ich sie im empirischen Teil dieser Arbeit vornehme, auf ein geeignetes theoretisches Fundament.11 Wie ich zeigen werde, finden die Aushandlungen der Hamburger Akteure in der Spannung von Routine und Wandel ihre Entsprechung und verlangen den Beteiligten dabei eine zuweilen widersprüchliche Flexibilität ab, die nur mit dem Fokus auf situative Aushandlungen angemessen gewürdigt werden kann. Die zentrale Frage lautet demnach, wie soziale Ordnung, in diesem Fall ein gemeinsames Verständnis von Islam, hervorgebracht und manifestiert wird (vgl. Reckwitz 2004: 44). Die Einigung der Beteiligten geschieht nämlich nicht überwiegend auf der Grundlage eines kommunikativen und diskursiven Meinungsaustauschs, sondern als Wechselspiel verkörperter und damit impliziter sozialer Praktiken (vgl. Reckwitz 2003: 290). Aus einem weiteren Grund liefert die Praxistheorie einen wertvollen Ansatzpunkt für den fruchtbaren Umgang mit dem Topos Islam in Europa. Wie in Teil II ausgeführt, scheint das Sprechen über Islam allgegenwärtig zu sein und in diesem Zuge universelle Aussagen über das Wesen und die Präsenz von Islam in Europa zu generieren. Dieser diskursgläubigen Perspektive, die letztlich in einer unendlichen, autopoietischen Schleife verharrt, kann nur entgehen, wer den Blick auf die situative, praktische und lokale Verwendung von Diskurswissen richtet und die Kontingenz und Situiertheit diskursiver Aussagen ernst nimmt. Dafür bietet die Praxistheorie ein geeignetes Rüstzeug und das Potential, diskursiven Wandel als konkrete soziale Aushandlung zu fokussieren. 5.1.1 Performativität Der Begriff der Performativität findet seit den 1970er Jahren Eingang in den sozialwissenschaftlichen Diskurs und kann damit in den Kontext eines generellen cultural turn gestellt werden (Bachmann-Medick 2006). Ursprünglich wurde er von John L. Austin in seiner „Theorie der Sprechakte“ (1972) geprägt, die sprachphilosophisch und literaturtheoretisch begründet ist (vgl. Wirth 2002). Nach Austin zeichnet sich eine performative Aussage dadurch aus, dass durch sie Wirklichkeit verändert werde und nicht, wie in rein beschreibenden Aussagen, nur über die Veränderung gesprochen werde (Austin 2002: 63). Mit performativen Aussagen werde Wirklichkeit neu konstruiert. Austin markiert damit den Unterschied zwischen Diskurs und Praxis auf sprachlicher Ebene.12 Dabei

11 Reckwitz’ konzeptionelle Dekonstruktion des Subjekts, das praxistheoretisch nur als lose gebundener Strauß heterogener Wissensstränge bestehe, soll hier hingegen nicht übernommen werden (vgl. Reckwitz 2003: 295f.). 12 Er dekonstruiert diese binäre Unterscheidung zwar später wieder, indem er sie in perlokutionäre, illokutionäre und lokutionäre Aussagen aufteilt. Diese sprachphilosophi-

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seien performative Aussagen höchst kontextabhängig, wie Erika Fischer-Lichte in ihrem Buch „Ästhetik des Performativen“ (2004) ergänzt. Ihre Gültigkeit beziehen sie aus den konkreten Entstehensbedingungen. Der formalisierte Satz eines Standesbeamten: „Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau.“ könne als Beispiel für eine performative Aussage herangezogen werden. Dieser Satz gelte allerdings erst als performativ und wirklichkeitsverändernd, wenn er in Anwesenheit eines heiratswilligen Paares ausgesprochen werde (vgl. Fischer-Lichte 2004: 32). Joannes Snoek nennt in seiner Begriffsklärung zu „Performance, Performativity, and Practice“ (2003) dagegen den Ritterschlag als beispielhaften performativen Akt, dessen wesentliches Element darin bestehe, dass ein König die Schultern eines Mannes mit einem Schwert berühre. Diese Handlungssequenz vermittele bereits ohne ein einziges gesprochenes Wort die soziale Transformation des Mannes (vgl. Snoek 2003: 80). Demzufolge besteht eine performative Handlung aus einem Akt mit wirklichkeitsveränderndem Charakter, ohne dabei auf sprachliche Aussagen angewiesen zu sein. Was kann nun der Begriff der Performativität zu einer Theorie sozialer Aushandlung beitragen? In der ethnologischen Ritualforschung, der neuen Kulturgeographie sowie den gendersensiblen Ausführungen von Butler lassen sich fruchtbare Anregungen finden, die diese Frage beantworten. Darüber hinaus soll auch der theaterwissenschaftliche Ansatz von Fischer-Lichte, der erwartungsgemäß auf Performanz als Aufführung abstellt, für die hier vorgenommene Konzeptualisierung fruchtbar gemacht werden. Anke Strüver und Claudia Wucherpfennig betonen in ihren kulturgeographisch-informierten Ausführungen zu „Performativität“ (2009) die Möglichkeit des Scheiterns performativer Aussagen und Handlungen. Diese trete immer dann auf, wenn die korrekte und vollständige Ausführung oder die personale Befugnis zu einem bestimmten performativen Akt nicht gegeben sei. Auf ein „Verunglücken“ (Strüver/Wucherpfennig 2009: 111) performativer Aussagen hatte bereits Austin mit seiner Sprechakttheorie hingewiesen. Aus identitätspolitischer Sicht lassen sich aber gerade in diesem (drohenden) Scheitern „Spielräume für Veränderung, Subversion und politische Intervention“ (ebd.) entdecken. Fischer-Lichte bezieht in ihrem Aufsatz „Grenzgänge und Tauschhandel. Auf dem Weg zu einer performativen Kultur“ (2002) den Begriff der Performativität auf die „Fähigkeit des Menschen zur kreativen Verwandlung“ (FischerLichte 2002: 295) der (sozial konstruierten) Wirklichkeit, in dem sein Handeln in Anlehnung an Austin als „wirklichkeitskonstituierend“ (ebd.) in den Fokus

schen Details sind für das hier besprochene Thema allerdings weniger relevant und brauchen nicht näher erläutert zu werden (Fischer-Lichte 2004: 33).

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gerückt werde. Dabei verweist sie auch auf die Rolle des „Geschehenlassen[s]“ (Fischer-Lichte 2012: 88) für die Hervorbringung von Wirklichkeit. Dieser Aspekt findet in den anderen hier besprochenen Theorien zu wenig Beachtung, stellt er doch eine zentrale Gelingensbedingung für performative Akte dar. Während dies zwar für viele Praktiken grundsätzlich nicht gelten muss, ist das situative Abwechseln von Handlung und Nicht-Handlung für soziale Interaktionen entscheidend. Der Aspekt des „Sich-Bestimmen Lassens“ (ebd.) spielt dementsprechend auch in der Aushandlung des Hamburger Islam eine wichtige Rolle. Dies werde ich vor allem anhand der Rolle der evangelischen Kirchengemeinde Hamburg-Horn veranschaulichen (Fallstudie C), die sie für die Umwandlung der ehemaligen Kirche in eine Moschee gespielt hat. Butler definiert den Begriff Performativität in ihrem Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) als eine „inszenierte, kontingente Konstruktion der Bedeutung“ (Butler 1991: 205) und expliziert das oben dargelegte Verständnis als wirklichkeitserschaffend in zweierlei Hinsicht. Lässt sich die „Konstruktion der Bedeutung“ (ebd.) als „wirklichkeitskonstituierend“ (Fischer-Lichte 2002: 295) im Sinne Fischer-Lichtes übersetzen, verweisen die Attribute „inszeniert“ (Butler 1991: 205) und „kontingent“ (ebd.) auf die Art und Weise, wie performative Aussagen gemacht werden und in welchem Kontext diese tatsächlich ihre Wirkung entfalten können. Austin und Fischer-Lichte haben mit ihren Beispielen der Eheschließung und der Taufe höchst formalisierte Situationen zur Erklärung von Performativität herangezogen. Während die Theorie der sozialen Praxis ihre Erkenntnisse vor allem aus der Alltagswelt schöpft, lassen sich mit der Fokussierung auf den performativen Aspekt von Praxis außeralltägliche Momente operationalisieren, die auf die ethnologische Ritualforschung verweisen. 5.1.2 Ritual und Transgression Butler bezeichnet den Einsatz von Geschlechtsidentitäten als „rituelle gesellschaftliche Inszenierungen“ (Butler 1991: 206). Diese Verbildlichung lässt sich vom Feld der Geschlechter auf andere gesellschaftliche Kategorisierungen übertragen und somit auch für die Hervorbringung islamischer Identität in Hamburg fruchtbar machen. Ein wesentlicher Aspekt der von mir beobachteten Identitätspraxis, die ich in den Fallstudien darlegen werde, besteht in der formalisierten, inszenierten und somit rituellen Dimension praktischer Aushandlung, für die bedeutsam ist, dass die beteiligten Akteure ihre Rollen kennen und wissen, was sie zu tun haben. Insbesondere die „Szene der Gastfreundschaft“ (Montandon 2003: 443), die als universelles Ritual des Umgangs mit Fremden bezeichnet wird (ebd.: f.), stellt ein hilfreiches Instrumentarium bereit, mit dem die Schlüsselszenen der Fallstudien zugänglich gemacht werden können. Aus dieser Perspektive

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bestehen Rituale vor allem aus Nachahmungen überlieferter Rollenverständnisse und früherer sozialer Abläufe (vgl. Snoek 2003: 82), was die Frage nach der Variation bestehender und der Erschaffung neuer Rituale virulent macht. Diesen Aspekt betont Stanley J. Tambiah in seinem Aufsatz „Eine performative Theorie des Rituals“ (2002), der den Performativitätsbegriff erstmals in die Ritualforschung integrierte. Ritualisiertes Handeln soll eine Distanzierung der Beteiligten von ihren Handlungen ermöglichen. Dementsprechend fasst er Rituale nicht als Ausdruck von Intentionen, sondern als „‚Simulationen‘ von Intentionen“ (Tambiah 2002: 219). Der Ritualtheoretiker Turner hingegen unterscheidet in seinem Aufsatz „Dramatisches Ritual – Rituelles Drama“ (2002) zwischen den mimetischen und poietischen Aspekten des Rituals, wobei ersterer auf die Einübung von Rollen abziele (vgl. Snoek 2003: 82) und letzterer die wirklichkeitskonstituierende Kraft des Rituals in den Vordergrund stelle (Turner 2002: 198). Worin besteht nun der theoretische Mehrwert des Ritualkonzepts für eine praxeologische Untersuchung städtisch-religiöser Aushandlungsprozesse? Tambiah stellt zwar selbst zu Beginn seines Aufsatzes klar, „daß [sic!] es in den Gesellschaften, die wir untersuchen, unmöglich ist, mit Absolutheit zwischen Ritual und Nicht-Ritual zu unterscheiden.“ (Tambiah 2002: 210). Versteht man Kultur „im Sinne eingelebter Umgangsweisen und regelmäßiger Praktiken der Gesellschaftsmitglieder“ (Hörning und Reuter 2004: 10) und vergegenwärtigt sich die Funktionen des Rituals als formale, routinierte und zeremonielle Struktur (ebd.), lässt sich jedoch ein, wenn auch nicht trennscharfer Unterschied zwischen Ritual und Nicht-Ritual erkennen: Konzentriert sich die Theorie sozialer Praxis meist auf „Alltagspraktiken“ (vgl. de Certeau 1999: 271; Hörning 2001), lassen sich Rituale in Momenten außeralltäglicher Vorkommnisse lokalisieren. Damit repräsentieren sie einen bisher wenig beachteten Teil der Theorie sozialer Praktiken. Victor Turner schreibt ihnen eine krisenbewältigende Funktion zu und präzisiert: Krisen oder „soziale Dramen“ (Turner 2002: 197) unterbrechen „den Fluß [sic!] des sozialen Lebens“ (ebd.) und initiieren das Überdenken bisheriger Werte. Als formalisierte Strukturen und kollektive Wissensbestände, die abgerufen werden können, haben sie zwar eine konservierende Dimension. Gleichzeitig leiten sie jedoch Problembewältigungen und damit Veränderung ein und wirken dementsprechend transformativ. Formal kann das Ritual in drei Phasen unterteilt werden, die in Anlehnung an Arnold von Gennep als „Trennungsriten“, „Schwellen- bzw. Umwandlungsriten“ und „(Wieder-)Angliederungsriten [Hervorhebungen im Original, L.H.]“ bezeichnet werden (Bachmann-Medick 2006: 115). Dabei gebührt vor allem der mittleren Phase der Liminalität besondere Aufmerksamkeit:

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„Faßt [sic!] man das Schwellendasein als eine Zeit und einen Ort des Rückzugs von normalen sozialen Handlungsweisen auf, kann man es als eine Zeit möglicher Überprüfung der zentralen Werte und Axiome der Kultur, in der es vorkommt, sehen“ (Turner 2000: 160).

In der Trennungsphase werden die jeweiligen Beteiligten auf ihren Wandel vorbereitet, während die Angliederungsphase die gesellschaftliche Transformation abschließe. Bachman-Medick weist darauf hin, dass die drei Phasen nicht in allen Ritualen gleichermaßen auftauchen müssen (Bachmann-Medick 2006: 115). Wie ich im Problemaufriss dieser Arbeit bereits ausgeführt habe, möchte ich für eine praxisbezogene Erforschung der Konfigurationen von Islam plädieren. In den empirischen Fallstudien wird es insbesondere darum gehen, diese lokalen Konfigurationen auf Routinen und Wandlungspotential hin zu befragen. Eine Möglichkeit der Interpretation wird die Fassung der städtischen Situationen als Übergangsrituale sein, die in Gestalt lokaler Identitätspraktiken eine soziale Neuordnung aushandeln. Daran anschließend lässt sich mit Sally F. Moore und Barbara G. Myerhoff argumentieren, dass das Ritual als „dramatic attempt to bring some particular part of life firmly and definitely into orderly control.“ (Moore und Myerhoff 1977: 3) verstanden werden kann. Die Autorinnen bezeichnen in der Einleitung ihres Sammelbandes „Secular Ritual“ (1977) das Ritual als „traditionalizing instrument“ (ebd.: 7). Diese Definition beziehe sich auf kollektive Zeremonien außerhalb der Sphäre des Religiösen – in Abgrenzung zum Durkheimschen religionsbasierten Verständnis von Ritual – die sowohl neue Traditionen hervorbringen, als auch bestehende umwandeln können (vgl. ebd.: 3ff.). Unter besonderer Berücksichtigung des formalisierten Elements von Ritualen, betonen Moore und Myerhoff die Wiederholung als Eigenschaft, wobei es auch Rituale gebe, die nur ein einziges Mal aufgeführt und dabei trotzdem wirksam werden (ebd.: 7). Die Autorinnen kommen immer wieder auf den ursprünglichen religiösen Kontext zu sprechen. In vielen Ritualen, so ihre Argumentation, lasse sich das Religiöse schlicht durch eine andere Ideologie ersetzen, die eine analoge Form der religiösen Zeremonie darstelle. Doch auch wenn eine „total explanation“ (ebd.: 12) fehle, diskreditiere dies den Status des Rituals nicht. Entscheidend für die Definition, so die einheitliche Folgerung der zitierten Autoren, sei die Funktion des Rituals als Instrument eines formalisierten, geordneten Wandels. In Abgrenzung dazu soll nun ein weiteres praxistheoretisches Konzept diskutiert werden, das jedoch einen irregulären Impetus hat und damit dem Ritual ein spontanes Handlungspotential entgegensetzt. Der Begriff der Transgression bezeichnet nicht so sehr einen Wechsel zwischen bestehenden gesellschaftlichen und kulturellen Zuständen, Symboliken

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und Ordnungen, sondern eine „Überschreitung des legalisierten oder ritualisierten Geschehens“ (Neumann/Warning 2003b: 10). Während Rituale die Funktion haben, bestimmten Gesellschaftsmitgliedern zu einem anderen sozialen Status zu verhelfen oder gleich ganze Gesellschaftsverbände geordnet zu transformieren, setze Transgression an der Dekonstruktion von legitimierten Wissensbeständen an (vgl. Fischer-Lichte 2004: 306). Darin liege ihr schöpferisches und erschütterndes Potential, das insbesondere zur Selbstermächtigung marginalisierter gesellschaftlicher Positionen beitragen könne. Doris Bachmann-Medick bezeichnet Transgression als „Leitbegriff […], der einer Kulturtheorie der Grenzziehung und Grenzüberschreitung zum Durchbruch verhelfen [könnte, L.H.], die gegen traditionelle dichotomische Wissensordnungen und gegen das ausschließlich über Vertextung zugängliche Wissen einer Kultur gerichtet ist“ (BachmannMedick 2006: 127). Sie bezieht sich in diesem Zusammenhang auch auf Butlers Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1991) als transgressives Konzept der Geschlechterkonstruktion und Dekonstruktion. Dabei werde deutlich, dass sich transgressive Praktiken durchaus etablierten und sogar ritualisierten Akten bedienen, um Wandel herbeizuführen. Butler plädiert allerdings vor allem für spontane Bündnispolitiken, die weder formal noch inhaltlich im Vorfeld der Aktion festgelegt sein können. Sie weist darauf hin, dass manifestierte Bündnisstrukturen machterhaltend und konservierend wirken und einem fluiden Verständnis von identitären Positionen zuwiderlaufen (Butler 1991: 36f.). Obwohl Butler sich mit ihren Ausführungen auf die Organisation der feministischen Kritik bezieht, lassen sich für den hier fokussierten Themenkomplex der Konstruktion und Ausgestaltung von Islam fruchtbare Schlüsse ziehen. Auch die empirischen Fallstudien (Teil V) warten mit Ad-hoc-Kooperationen und losen sozialen Verbindungen auf, die das Potential haben, binäre gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen und diese in Frage zu stellen. Gerhard Neumann und Rainer Warning unterscheiden in der Einleitung zu ihrem literaturwissenschaftlichen Sammelband „Transgressionen. Literatur als Ethnographie“ (2003a) zwischen einer „‚äußeren‘ und einer ‚inneren‘ Form der Transgression“ (Neumann/Warning 2003b: 10). Während sich ‚äußere‘ Transgressionen auf interkulturelle Erstkontakte beziehen und aus einer Metaperspektive völkerkundliche Ethnographien als zivilisatorische Grenzüberschreitungen fassen, betonen die Autoren für ‚innere‘ Transgressionen einen „PassagenCharakter“ (ebd.), der auf subversive Art und Weise herrschende Normen und Werte unterwandere. Damit heben Neumann und Warning diese Form der Transgression vom Ritual als Zustand der Liminalität ab. Während sowohl Ritual als auch Transgression in Hinblick auf Wandel und Übergang relevant werden, ziele Transgression auf das Aufbrechen etablierter Strukturen ab und weise

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dem Ritual eine ordnende, strukturerhaltende Funktion zu. Dieses Ritualverständnis findet sich auch bei Moore und Myerhoff, die sich ihrerseits auf Turner beziehen (vgl. Moore/Myerhoff 1977: 3; Turner 2000, erstmals 1969). Wie lassen sich die Konzepte Ritual und Transgression vor dem Hintergrund des Spektrums sozialer Praktiken verorten, die zu Beginn dieses Kapitels diskutiert wurden? Wenn Routine und Wandel die beiden Pole symbolisieren, innerhalb derer sich soziale Praktiken bewegen, beschreiben Ritual und Transgression jeweils anders akzentuierte Spannungsfelder von Wiederholung und Veränderung und zeigen schließlich auf, dass sich eine trennscharfe Konstruktion dieser vermeintlichen Gegensätze nicht aufrecht erhalten lässt. Wie Bachmann-Medick in ihrem Überblicksartikel zum performative turn beschreibt, fassen auch Turner, Moore und Myerhoff das Ritual als außeralltägliches, formalisiertes Handlungsprogramm, das damit sowohl Wiederholung als auch Veränderung umfasst. Dahingegen kann Transgression eher im alltäglichen Unterlaufen gelernter Normen verortet werden. Damit liegt der Gegensatz zwischen Transgression und Ritual nicht so sehr in der Unterscheidung zwischen Routine und Wandel, weil den Konzepten beide Pole inhärent sind, sondern in der Dichotomie zwischen formalisierten Handlungen und spontanen Akten der Subversion. Inwiefern diese beiden abstrakten Konzepte in ihrer idealtypischen Reinform empirisch wiederzufinden sind, soll in den einzelnen Fallanalysen untersucht werden. 5.2 Religion in der Praxis Das praxeologische Register, das ich hier anhand der Begriffe soziale Praktiken, Performativität, Ritual und Transgression dargelegt habe, thematisiert auch immer wieder das Konzept Religion. Besonders offen tritt dies in den Passagen über das Ritual zutage, worauf ich bereits mit dem Hinweis, dass Rituale zwar ursprünglich einen religiösen Impetus hatten, dies allerdings keine Grundvoraussetzung mehr ist, eingegangen bin. Der vormals religiöse Bezug von Ritualen lässt sich vor allem mit ihrer vormodernen Entstehungsgeschichte erklären, in der Religion in jede Sphäre gesellschaftlichen Lebens hineinwirkte. Die Bezeichnung „Secular Ritual“, die Moore und Myerhoff vorschlagen (1977), deutet eine Weiterentwicklung des Konzepts an und schreibt ihm gleichsam seine religiöse Herleitung ein. Eine Unterscheidung zwischen religiösen und nichtreligiösen Ritualen mag analytisch hilfreich sein, in den von mir gewählten empirischen Beispielen handelt es sich allerdings um Mischformen säkularer und religiöser Rituale. Während die Trennung dieser beiden Phänomene für die traditionelle Ritualforschung sinnvoll war, deckt die empirische Forschung der vorliegenden Arbeit die Notwendigkeit einer anderen erkenntnistheoretischen

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Grundlage auf. Nicht die Dichotomisierung von Religion und Nicht-Religion soll hier betont werden, sondern im Gegenteil ihre Aufhebung. Während sich die diskursive Unterscheidung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen gesellschaftlich und akademisch etabliert hat, habe ich demgegenüber ambivalente und gegenläufige Praktiken beobachtet, die diesen Status der Binarität unterminieren. Dies geht einher mit der Marginalisierung von Religion als Dogma, wie sie aus theologischer Sicht anzuprangern wäre. Aus praxistheoretischer Perspektive ist es allerdings sehr viel ertragreicher, die religiöse Essenz als soziale Herstellungsleistung zu fassen, anstatt diese als gegeben hinzunehmen (vgl. Cloke/Beaumont 2013: 33ff.; vgl. Fischer-Lichte 2004: 43f.). Dabei sollen die substanziellen Inhalte von Religion nicht gänzlich ignoriert werden. Vielmehr können sie zu einem besseren Verständnis darauf bezogener sozialer Praktiken beitragen. Wie die hier vorgestellten Theorien der Performativitäts- und Ritualforschung betonen, stellen Rituale die Beteiligten zunächst vor die Aufgabe, ihre Rollen erwartungsgemäß zu erfüllen (vgl. Snoek 2003: 82). Das Wissen darüber, was in den spezifischen Situationen gefordert und angebracht ist, wird praxistheoretisch zwar als verkörpertes Knowhow konzeptualisiert (vgl. Meier 2004: 55), es beruht allerdings nichtsdestoweniger auf den tradierten Regeln, die sich als religiöse Dogmen jahrhundertelang materialisiert haben. Eine derart angelegte Untersuchung über die Praxis von (religiösen) Ritualen eröffnet den Blick auf die Veränderungspotentiale und Möglichkeiten subversiven Wandels, der sozialen Praktiken inhärent ist (vgl. Butler 1991: 213). Demzufolge stellt die Ritualforschung, wie sie hier skizziert wurde, ein geeignetes methodisches Tableau zur Fassung der transreligiösen städtischen Praxis dar, die sich in den Aushandlungen der Hamburger Akteure zur Konstruktion von Islam zeigt. Religion wird insbesondere in Städten eine zunehmend wichtige Rolle zugeschrieben (vgl. Cloke/Beaumont 2013). Auf struktureller Ebene führen Anpassungsprozesse der Politik, die insbesondere Wohlfahrtsstaatlichkeit und die Inklusion von Migranten betreffen, dazu, dass „neue Möglichkeiten für progressive Koalitionen unter Beteiligung der Religiösen“ (metroZones 2011: 19) entstehen. Die Herausgeber des Sammelbandes „Urban Prayers“ (2011) stellen fest, dass sich religiöse Bewegungen ausdifferenzieren und diese mehr in städtische Politiken eingebunden sind, als dies noch vor zwanzig Jahren der Fall war (metroZones 2011: 7). Sie begründen die Beobachtbarkeit dieses Wandels in urbanen Kontexten auch mit der Zugänglichkeit und dem Innovationspotential der städtischen Settings. Die allgegenwärtige Kontingenzerfahrung, die in der vorliegenden Arbeit mit Simmel und anderen Theoretikern bereits kritisch diskutiert wurde, verhelfe auch der Etablierung neuer Religionsformen zum Erfolg. „Die alltägliche Begegnung und Konfrontation mit anderen sozialen Gruppen und kul-

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turellen wie religiösen Praktiken auf engem Raum zermürbt Traditionelles und lässt Alternativen aufscheinen“ (metroZones 2011: 20). Diese Enge, die von Stadtforschern immer wieder betont wird, lässt sich zwar nicht als rein städtisches Phänomen begreifen. Sie tritt jedoch in urbanem Raum in höherer Frequenz auf und bietet damit mehr konkrete Gelegenheiten der Vergemeinschaftung. Dies kann als günstige Voraussetzung angesehen werden, um auch gesellschaftlich kontroverse Diskurse produktiv auszuhandeln.

6 S YNTHESE – L OKALE I DENTITÄTEN

AUSHANDELN

Die Koordinaten Lokalität, Identität und Aushandlung geben den Rahmen vor, in dem die vorliegende Arbeit konzeptualisiert ist. Sie bedurften deshalb einer detaillierten Bestimmung und Dimensionalisierung. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sie jeweils zusammenhängen. Halls Verständnis von Identität liefert darauf einen Hinweis. Indem er diese als „‚dezentriert‘, ‚zerstreut‘ und fragmentiert“ (Hall 1999: 393) bezeichnet, wendet er dezidiert räumliche Begriffe an, die insbesondere auf die Bestimmung von Lokalität verweisen. Dabei ist zentral, dass Lokalität nicht etwa als homogene, unproblematische Örtlichkeit gedacht wird. Lokalität ist selbst Gegenstand von Kämpfen und Deutungskonflikten, von Einigungsprozessen und Kompromissen und erhält nur dadurch ihre Form (Massey 2006). Diese Verbindung zwischen Identität und Lokalität veranschaulicht den praxistheoretischen Impetus beider Konzepte. Halls Identitätsbegriff fußt demnach auf einem nach außen, d.h. auf gesellschaftliche Strukturen gerichteten Praxisbegriff. Während Aushandlung und Identität reziprok konstruiert sind, stellt Lokalität die Basis dar, auf der sich diese Wechselwirkung vollzieht. Dementsprechend lässt sich mit Henri Lefèbvre fragen: „Where does a relationship reside, when it is not being actualized in a highly determined situation? […] Referring vaguely to global praxis is a distinctly inadequate way of responding to these questions“ (Lefèbvre [1974] 2007: 401). Insofern sind Lokalität, Identität und Aushandlung keine trennscharfen Konzepte. Es ist kaum möglich, die Kategorien Aushandlung und Identität zu trennen oder diese in Abgrenzung zu Lokalität zu bestimmen. Ich habe es trotzdem versucht, um den einzelnen Begriffen jeweils die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie meiner Meinung nach verdienen. Damit daraus eine nützliche theoretische Grundlage werden kann, die den empirischen Analysen Tiefe und Anschlussfähigkeit verleiht, ist es notwendig, die Ausführungen in den einzelnen Kapiteln als Schlaglichter zu begreifen, die je nach Ausrichtung Lokalität, Iden-

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tität oder Aushandlung besonders in den Blick nehmen, ohne die jeweils anderen Konzepte aus den Augen zu verlieren. Der Ort des Sozialen wird in der Praxistheorie in den Praktiken selbst gesucht. Dieses Verständnis wirkt sich auf die Definition von Lokalität aus, wenn sie, wie in der vorliegenden Arbeit, relational konzeptioniert wird. Stadtteile oder gar ganze Städte wären demnach nicht mehr lokal, weil in ihnen gleichzeitig abertausend verschiedene Praktiken vollzogen werden. In Kapitel III.2 habe ich die Problematik der Dimensionierung von Lokalität ausführlich diskutiert. Mit dem Paradigma der Cultural Studies, nach dem „Praktiken und Identitäten erst den Kontext [konstituieren, L.H.], in dem sie Praktiken und Identitäten sind“ (Winter 2008: 208), lässt sich für einen über die jeweilige konkrete Praxis hinausgreifenden Begriff von Lokalität als Wissenskontext plädieren. Identitätspraktiken in Hamburg rekurrieren nicht nur, aber auch auf den städtischen Rahmen und bringen diesen hervor. Die Diskussion um Aushandlung und Identität, wie ich sie auf den vorangegangen Seiten vollzogen habe, weist auch getrennt betrachtet parallele Strukturen auf. Während sich praktische Aushandlung im Spannungsfeld von Routine und Wandel bemessen lässt und von den jeweiligen Theoretikern in diesem Zusammenhang kontrovers diskutiert wird, gestaltet sich der Diskurs um Identität und seine politische Dimension im Rahmen widerständiger und bewahrender Tendenzen. In Kapitel III.4 habe ich die beiden identitätspolitischen Konzepte besprochen, die diese Tendenzen repräsentieren. Kommunitarismus steht in diesem Zusammenhang für den Schutz und die Erhaltung bestimmter, als Einheiten gedachter Kulturen, während Identity Politics als radikales politisches Programm die „Interdependenzen“ (Strüver und Wucherpfennig 2009: 120) und die Konflikthaftigkeit von performativen Identitäten betont. Eine Gegenüberstellung offenbart die inhaltlichen Parallelen der Konzepte. Als Synthese lässt sich die folgende Aussage formulieren: Während Routinen und Rituale auf das Fortbestehen von Machtordnungen hinwirken, stellen Wandel und Transgression bestehende gesellschaftliche Kräfteverhältnisse in Frage. Die Spannung, die in dieser Aussage liegt, lässt sich allerdings erst verstehen, wenn Identitätspraxis als „ein sich ständig wiederholender Akt“ (Strüver/Wucherpfennig 2009: 119) verstanden wird, dem die Möglichkeit der Subversion stets innewohnt. In der Wiederholung manifestiert sich die implizite Anerkennung des Wiederholten, die jederzeit unterbrochen und damit umgekehrt werden kann. Dadurch werden Routine und Wandel zu zwei Seiten einer Medaille, die sich nicht widersprechen, sondern komplementär zueinander stehen. Die Ritualforschung hat dazu sehr fruchtbare Überlegungen angestellt und ein Vokabular entwickelt, das sich meines Erachtens dazu eignet, die Situation postmoderner, (trans-)lokaler Vergesellschaftungen auf den Punkt zu bringen, wie der Begriff

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der Liminalität exemplarisch zeigt: „Liminalität erweist sich in diesem Zusammenhang als ein höchst prekärer Zustand von Individuen, aber auch von ganzen Gesellschaften im Prozess ihrer Transformation, vor allem bei […] der Verarbeitung von Globalisierungserfahrungen“ (Bachmann-Medick 2006: 130). In den empirischen Fallstudien wird es nun darum gehen, die skizzierten Ambivalenzen auszubuchstabieren und das Spannungsfeld zwischen Routine und Wandel in konkreten Situationen nachzuvollziehen.

IV. Das lokale Feld

1 I SLAM IN H AMBURG –

EINE

B ESTANDSAUFNAHME

Seitdem Integration in Deutschland auf die politische Agenda gerückt ist, wird auch die Rolle von Städten in diesem Zusammenhang betont (vgl. Bommes 2011). Lokale Strukturen und Bedingungen stellen besonders für Migranten und ihre Nachkommen relevante Handlungsorientierungen dar und oftmals assoziieren sie darüber Zugehörigkeitsgefühle, die das direkte städtische Umfeld gegenüber nationalen Identifikationen hervorheben (vgl. Crul et al. 2012; Schmidt 2011; Glick Schiller et al. 2006). Auf der anderen Seite wird Städten eine flexiblere Akkommodation hinsichtlich veränderter gesellschaftlicher Bedingungen attestiert (Bukow et al. 2011), weswegen sie nicht nur im Integrationsdiskurs eine wichtige Rolle spielen, sondern auch zu relevanten Akteuren der politischen Einbindung und Anerkennung von Muslimen wurden. Dies hat vor allem praktische Gründe, stellen doch viele alltägliche Fragen, mit denen die Ausübung von Religion verbunden ist, Angelegenheiten dar, die im direkten politischen Kontext geklärt werden müssen. Dies gilt für Moscheebauten ebenso wie für die Teilnahme am Schwimmunterricht. Immer sind es städtische Einrichtungen, die auf die vergleichsweise neuen Bedürfnisse zuerst reagieren müssen. In Anlehnung an eine von Bommes geprägte Formel lässt sich also konstatieren: Islam findet vor Ort statt (Bommes 2011; vgl. auch Färber et al. 2012; Schmidt 2011). Nimmt man diese Voraussetzung ernst, lässt sich ein entsprechendes Forschungsdesign nur konkret umsetzen und muss notwendigerweise auch die lokalen Dispositionen miteinbeziehen, die die Handlungsspielräume städtischer Akteure strukturieren (vgl. Färber et al. 2012: 62). Nachdem ich also die diskursive Entwicklung von Islam in Europa in der jüngeren Vergangenheit (Teil II) nachgezeichnet habe, möchte ich nun den Ort meiner empirischen Untersuchung einer historischen und institutionellen Bestandsaufnahme unterziehen. Als Einstieg in die drei Fallstudien werde ich deshalb eine Genealogie der öffentlichen Aus-

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handlung von Islam in Hamburg darlegen, die die lokalen Narrative der Hansestadt kritisch würdigt. 1.1 Drei Fluchtlinien islamischer Präsenz in Hamburg Aus heutiger Sicht lassen sich drei Fluchtlinien markieren, die die aktuellen Aushandlungsprozesse über Islam in Hamburg prägen (vgl. Spielhaus 2011: 105). Die erste Fluchtlinie, die ich hier skizzieren möchte, bezieht sich auf die historische Präsenz von Muslimen in Hamburg, die mit der kaufmännischen Tradition und dem Narrativ über die Stadt als „Tor zur Welt“ verbunden ist. Spielhaus schreibt dazu: „Als Hafenstadt unterschied sie sich hinsichtlich der Zuwanderungsmuster von anderen deutschen Städten. So weist die muslimische Bevölkerung aufgrund vermögender Händler aus Iran, Afghanistan und Pakistan besonders große Unterschiede insbesondere im Hinblick auf Bildung und ökonomischen Status auf“ (Spielhaus 2011: 107).

Die Imam-Ali Moschee an der Außenalster verweist auf diese langjährige Präsenz schiitischer Kaufleute in der Hansestadt und erinnert auch architektonisch an die Ästhetik des persischen Raums. Als sie 1969 eröffnet wurde, diente sie Hamburger Politikern als Symbol für die Weltoffenheit ihrer Stadt (ebd.). Bereits 1957 wurde die Fazl-Omar Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde in Stellingen erbaut, die damit den ersten deutschen Moscheeneubau nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Diese beiden ersten Moscheen besetzen nicht nur repräsentative Standorte, sondern sind auch als Bauwerke sichtbar und prunkvoll. Ihre Zugehörigkeit zur „urbanen Landschaft“ (Färber et al. 2012: 76) Hamburgs ist Konsens, was sich auch am Einbezug der Imam-Ali Moschee in touristische Sightseeing-Programme der Stadt äußert. Beide stehen inmitten von Gärten in Stadtteilen, die nicht für eine heterogene, migrantische Bevölkerung bekannt sind. Die Fazl-Omar-Moschee, erbaut vom Ahmadiyya-Orden hatte „eindeutig einen Missionsauftrag“ (Mıhçıyazgan 1990: 11) und wurde sogar durch „Geldgeschenke bundesdeutscher Banken“ (ebd.) mitfinanziert.1 Diese historische Dimension passt sich in das Hamburgische Selbstbild von der weltoffenen und gleichmütigen Handelsmetropole ein. Die Mitgliedschaft im Städteverbund der Hanse, deren internationale Kooperationen jenen Kosmopolitismus befördert

1

Der Orden gilt den meisten Musliminnen weltweit als unislamisch. Ich gehe im folgenden Unterkapitel näher auf ihn ein.

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haben (vgl. Pichierri 2000: 119), den sich Hamburg nach wie vor auf die Fahnen schreibt, und die politische Stellung als Stadtstaat, kursieren als Disktinktionsmerkmale gegenüber anderen Städten in den Positionierungen öffentlicher Akteure (vgl. Scholz 2012). Sie rahmen somit auch den gegenwärtigen Diskurs um Islam in Hamburg und stellen jene Bezüge dar, auf die sich die Beteiligten berufen, wenn sie sich als „Vorreiter“ (Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012, vgl. Fallstudie A) in der Institutionalisierung von Islam präsentieren. Die zweite Fluchtlinie, die ich hier illustrieren möchte, verweist auf eine weniger glorreiche Episode der Hamburger Stadtgeschichte. Sie stellt jedoch eine unmittelbare Bedingung für die gegenwärtigen Kooperationen zwischen islamisch-städtischen Akteuren dar. Die Anschläge des 11. September 2001, die zwar auf dem Boden der USA stattfanden, jedoch den Beginn eines von George W. Bush ausgerufenen weltweiten Anti-Terror-Krieges markieren, verwiesen auch in besonderem Maße auf Hamburg, wo die Attentäter zuvor studierten und sich radikalisierten. Die mutmaßlichen Anhänger von Al-Qaida trafen sich in der Al-Quds Moschee in St. Georg regelmäßig zum Gebet und unterhielten enge Verbindungen zum damaligen Imam der Moschee. Die Männer lebten in Hamburg-Eißendorf und studierten an der Technischen Universität Harburg – über sechzehn Kilometer von der Moschee in St. Georg entfernt. Die Verstrickung von Hamburger Muslimen in die traumatischen Ereignisse von 9/11 muss für die ansässigen Sicherheitsbehörden als schockierende Verfehlung bewertet werden. Die Recherchen der deutschen und amerikanischen Sicherheitsbehörden ergaben hinterher, dass sich die Mitglieder und mutmaßlichen Beteiligten der Anschläge vor Ort kennengelernt und organisiert hatten (vgl. National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States 2004). Diese Erkenntnis deutet auf einen lokalspezifischen Prozess hin, der den Hamburger Islam in einem zweifelhaften Licht erscheinen ließ. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden rechtfertigte dies die Notwendigkeit einer umfassenden Überwachung der städtischen Moscheevereine. Mit dem Argument, man wolle nicht noch einmal zu zögerlich agieren, setzte das Landeskriminalamt in den folgenden Jahren auf strenge Kontrollen und abschreckende Maßnahmen (vgl. Carstens 2011). Die „Hamburger Terrorzelle“ (Gebauer 2009) brachte die Stadt überlokal mit den Vorbereitungen auf die Anschläge des 11. September 2001 in Verbindung, was neben der bereits erwähnten gesteigerten Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden auch Kooperationen zwischen Politik und religiösen Verbänden zur Folge hatte. Das Öffentlichwerden der Aktivitäten von Mohammad Atta und seinen Mitstreitern brachte das Thema Islam in Hamburg vor allem als Sicherheitsproblem auf die Agenda, daraus entwickelten sich jedoch Initiativen zwischen islamischen

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Verbänden und Polizei, auf die die Akteure heute mit Stolz verweisen.2 Obwohl die Repressionen nach dem 11. September 2001, die Muslime durch Rasterfahndung und die Kriminalisierung ihrer Religion erfuhren auch in Hamburg zu beobachten waren, gelang einigen religiösen Vertretern und politischen Akteuren in der Hansestadt ein produktiver Umgang mit dem Generalverdacht, der auch die aktuellen Aushandlungsprozesse und Kooperationen prägt. Diese Einigung lässt sich mit einer dritten Fluchtlinie skizzieren. Sie nimmt ihren Beginn bereits in den 1990er Jahren und wurde von Spielhaus in ihrer Dissertation „Wer ist hier Muslim?“ (2011) als empirische Fallstudie eingehend analysiert. Die Gründung des Rates muslimischer Gemeinden in Hamburg e.V. (im Folgenden SCHURA Hamburg) war zwar nicht die erste Vereinigung von Moscheevereinen auf Landesebene in Deutschland, Spielhaus bewertet sie allerdings aufgrund ihrer ethnischen und konfessionellen Vielfalt als besonders grenzüberschreitend und wegweisend für weitere Institutionalisierungsbemühungen (Spielhaus 2011: 107; 121).3 Das Gründungsmoment lässt sich wie so oft bei sozialen Aushandlungsprozessen nicht genau bestimmen. Spielhaus identifiziert anhand der von ihr geführten Interviews mit Gründungsmitgliedern zwei Anfangserzählungen. Das erste Narrativ bezieht den Ausgangspunkt einer muslimischen Vereinigung in Hamburg auf den Bosnien-Krieg und damit auf eine überlokale, solidarische Initiative. Dagegen konzentriert sich eine zweite Begründung auf konkrete partizipatorische Interessen in Hamburg und betont damit die lokal eingebundene Dimension, die vor allem auf politische Anerkennung abstellt. Norbert Müller, Jurist und Gründungsmitglied der SCHURA, explizierte diese Deutung auch in Bezug auf bereits bestehende gesellschaftliche Ressentiments gegenüber islamischen Vereinen. Eine offensive und gemeinsame Vorgehensweise sei die einzig gangbare Lösung gewesen, den Ängsten vor den damals sehr „introvertiert[en]“ (Müller zitiert in Spielhaus 2011: 120) Moscheevereinen zu begegnen. Mustafa Yoldaş, der langjährige Vorstandsvorsitzende der SCHURA, betont dabei die Rolle der politischen Parteien, die dem Einigungsprozess der Muslime offen und unterstützend gegenübergetreten seien (Yoldaş in Spielhaus 2011: 119f.). Yoldaş wiederholte diese Deutung auch im Interview mit mir, als er den Zusammenschluss der Hamburger Muslime mit der geringeren

2

Dies wurde vor allem auf der Informationsveranstaltung deutlich, die Al-Nour für die Horner Anwohner veranstaltete. Die Moscheegemeinde stellte sich ihren neuen Nachbarn vor und wurde dabei von Vertretern der Sicherheitsbehörden unterstützt (s. Fallstudie C, Feldnotizen, 21.03.2013).

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Das erste Bundesland mit einem landesweiten Gremium von islamischen Moscheevereinen war Hessen.

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„Angriffsfläche“ (Mustafa Yoldaş, Interview 11.01.2013) und der größeren politischen Wirkung erklärte. Entscheidend für das Funktionieren der SCHURA Hamburg ist das pragmatische Konzept, nach welchem die gemeinsame Arbeit lediglich auf alltagsweltliche Fragen der Umsetzung gerichtet ist und theologische Differenzen außen vor lässt. Trotz dieser Fokussierung auf ortsgebundene politische Kooperationen gestaltete sich die Einigung zwischen den drei großen konkurrierenden islamischtürkischen Verbänden DİTİB, VIKZ und IGMG schwierig und führte letzten Ende dazu, dass kurz nach der Gründung lediglich die IGMG mit ihrem Unterverband Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland (BIG) in der SCHURA organisiert ist.4 Daneben vereint die SCHURA Hamburg aktuell über 50 islambezogene Vereine und umfasst somit die große Mehrzahl muslimischer Organisationen in Hamburg (SCHURA Hamburg 2015). Auf die einzelnen Positionen von VIKZ, DİTİB und IGMG in Hamburg gehe ich im folgenden Unterkapitel näher ein. Die Skizzierung der drei von mir ausgemachten Fluchtlinien diente dazu, die öffentliche Aushandlung von Islam in Hamburg historisch und institutionell einzurahmen, was ich nun mit der Vorstellung einiger relevanter Akteure im Handlungsfeld Islam weiter differenzieren werde. 1.2 Hamburger Institutionen mit Bezug zu Islam Im Folgenden werde ich nur jene Hamburger Akteure vorstellen, die eine Rolle in meiner empirischen Untersuchung spielen: Die norddeutsche Sektion der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG), das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland (BIG) sowie ihre Unterorganisationen Muslimische Mädchen und Islamischer Jugendbund (IJB), der Regionalverband der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (DİTİB5 Nord), die Vereinigung Islamischer Kulturzentren (VIKZ), die Alevitische Gemeinde Hamburg, die Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg und die Türkische Gemeinde Hamburg (TGH).6

4

Lediglich eine DİTİB-Moschee wird aktuell unter den SCHURA Mitgliedern aufgeführt. Damit ist DİTİB Nord als Ganzes nicht in der SCHURA repräsentiert (vgl. SCHURA Hamburg 2015).

5

Das Akronym ergibt sich aus dem türkischen Namen Diyanet İşleri Türk İslam Birliği

6

Insofern ist die folgende Aufzählung keinesfalls vollständig und unterliegt selektiven,

(vgl. DİTİB 2015). durch methodologische Opportunitäten bedingten Prioritäten. Ich habe mich während

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Während Köln als die Hauptstadt islamischer Organisationen in Deutschland gilt und Berlin durch seine Größe und politische Relevanz sicher die diversifizierteste institutionelle Struktur vorzuweisen hat, besetzt auch Hamburg historisch gesehen eine besondere Position bei der Gründung von Vereinen mit Islambezug. Hier entwickelten sich vor allem Strukturen, die im Schatten der großen islamisch-türkischen Verbände stehen, welche die Landschaft islamischer Organisationen in Deutschland bestimmen. Neben der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD), die 1995 in Hamburg gegründet wurde und sich selbst einen säkularen Anstrich gibt, aber gleichzeitig den Anspruch erhebt, für liberale Muslime zu sprechen, wurde der erste Alevitische Verein Deutschlands in Hamburg eröffnet. Auch die erste deutsche Moschee der pakistanischen Ahmadiyya-Gemeinde wurde in Hamburg gebaut. Die Anfänge dieser drei sehr unterschiedlichen Vereine mögen zufällig in Hamburg zu verorten sein, doch gemeinsam passen sie sich treffend in die städtische Erzählung über Weltoffenheit und das liberale Wesen der Hanseaten ein. Als Betreiber der Centrum-Moschee und insgesamt größter Verband der Hamburger Moscheen ist das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland (BIG) der dominante lokale Akteur in Hamburg, an den verschiedene weitere Untergruppen angeschlossen sind. Darunter sind die Jugendorganisationen Islamischer Jugendbund (IJB) und die Muslimischen Mädchen, die gemeinsam 17 Jugendlokale in Norddeutschland betreiben. Das BIG gehört wiederum der IGMG an, die ein komplexes Geflecht aus verschiedenen Vereinen umfasst und aus der türkischen Milli-Görüş-Bewegung von Necmettin Erbakan hervorgegangen ist (vgl. Rosenow/Kortmann 2011: 53). Nachdem sich die Bewegung in den 1990er Jahren mehrmals gespalten hatte, konstatiert Werner Schiffauer einen Wandel der IGMG, der sich um die Jahrtausendwende vollzogen und zu offensiven politischen Bestrebungen geführt habe. Ab da, so arbeitet Schiffauer in seinem Buch „Nach dem Islamismus“ (2010) heraus, habe sich im Anschluss an den generationalen Wechsel der Führungsriege eine Hinwendung zu Europa entwickelt, die im Feld der konservativen islamisch-türkischen Organisationen zu dieser Zeit innovativ gewesen und mit der Erkenntnis einhergegangen sei, dass die Rückkehrorientierung der Elterngeneration überdacht werden müsse (Schiffauer 2010: 10ff.). Schiffauer schreibt: „Der Postislamismus der IGMG ist durch die Tatsache geprägt, dass diese islamische Organisation wie keine zweite in Deutschland juristische und politische Sachkompetenz auf-

meiner Feldforschung dennoch bemüht, ein breiteres Spektrum von Akteuren, die sich selbst öffentlich in Verbindung mit Islam verorten, zu beobachten.

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gebaut hat. Dies hängt mit der Grundsatzentscheidung zusammen, auf den Gang durch die Institutionen zu setzen und auf die Politik der direkten Aktionen weitgehend zu verzichten“ (Schiffauer 2010: 23).

Der Begriff des Postislamismus, den Schiffauer hier verwendet, verweist auf eine Abkehr vom klassischen Konzept des Islamismus, das auf die Errichtung eines islamischen Staates hinarbeitet. Die postislamische Perspektive überwindet nach Schiffauer die Trennung von Islam und Westen und erarbeitet eine Möglichkeit der gegenseitigen Durchdringung. In diesem Zusammenhang werden die universellen Menschenrechte, Demokratie und Säkularisierung von postislamischen Denkern konstruktiv aufgegriffen und in eine islamische Dogmatik integriert (ebd.: 29f.). Das obige Zitat konkretisiert die Art und Weise, wie die IGMG praktisch operiert und bietet auch für die Situation in Hamburg eine fruchtbare Analysegrundlage. Die angesprochene „Sachkompetenz“ (ebd.: 23) und die Bemühungen um rechtliche Anerkennung haben in Hamburg in Form des „Staatsvertrags“ jüngst Früchte getragen und werden, wie ich in der Fallstudie A schildern werde, vor allem dem BIG zugerechnet. Auf der anderen Seite stand das BIG als Teil von IGMG bis zum Jahr 2014 auf der Liste der vom Verfassungsschutz beobachteten Organisationen. Erst im September 2014 gab die Hamburger Behörde für Inneres und Sport bekannt, dass das Bündnis nun nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werde, da es als Vorreiter innerhalb der IGMG einen ernstzunehmenden Reformprozess durchlaufen habe (vgl. Behörde für Inneres und Sport 2014).7 Neben dem BIG, dem wie skizziert eine Führungsrolle in Hamburg zukommt, spielen DİTİB und VIKZ jeweils kleinere Rollen in der öffentlichen Aushandlung des Hamburger Islam. Der Verband islamischer Kulturzentren (VIKZ) ist der älteste in Deutschland gegründete islamische Dachverband, der 1980 aus den Islamischen Kulturzentren (IKZ) hervorging. Die IKZ hatten bereits 1979 in Nordrhein-Westfalen als damals größte muslimische Organisation in Deutschland einen Antrag auf Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts gestellt. Wie Gerdien Jonker in ihrem Buch „Eine Wellenlänge zu Gott“ (2002) schildert, wurde der Antrag zunächst wohlwollend aufgenommen (vgl. Jonker 2002: 92). Internationale politische Entwicklungen wie die Islamische Revolution in Iran und innertürkische Konflikte, die sich auf die türkischen Migranten in Deutschland übertrugen, bewirkten allerdings einen Stimmungsumschwung. Wie Jonker argumentiert, habe

7

Noch im Jahr 2002 war die Verfassungskonformität der IGMG auf Landesebene als taktisches Verhalten abgetan worden (vgl. Behörde für Inneres und Sport 2002).

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eine öffentliche Kampagne des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), in der die Anhänger der Süleyman-Bewegung in der Türkei und dem VIKZ als deutschem Pendant, einer rechtsradikalen und antisemitischen Haltung beschuldigt wurden, zu einer Stigmatisierung der Islamischen Kulturzentren und ihrer Anhänger beigetragen. Hintergrund war die Ermordung eines linksgerichteten türkischstämmigen DGB-Mitglieds, die mit dem VIKZ in Verbindung gebracht wurde. Jonker konstatiert: „Die Folge war u. a. die Verstärkung des Ressentiments gegen den ‚Islam‘, so wie es sich bis heute in den Massenmedien hält“ (Jonker 2002: 98). Der VIKZ vertritt eine mystische Strömung innerhalb des islamischen Spektrums, die an die Lehren des Sufi-Gelehrten Süleyman Hilmi Tunahan angelehnt ist, und ist „zentralistisch“ (Küçükhüseyin 2002: 25) organisiert. Er zeichnet sich mittlerweile durch eine defensive Haltung gegenüber politischer Anerkennung und Partizipation aus (vgl. Spielhaus 2011: 124f.).8 In Hamburg verfügt er über sieben Einrichtungen (vgl. VIKZ 2015) und ist damit eher ein kleinerer Dachverband, der sich in Bezug auf die städtische Ausgestaltung von Islam zurückhält, wie ich in der Fallstudie A schildern werde. In Reaktion auf die Vormachtstellung des VIKZ in Deutschland, die in Bezug auf die laizistische Ausrichtung der Türkei als oppositionelle Bewegung bezeichnet werden kann, wurde 1984 die DİTİB mit Hauptsitz in Köln gegründet. Sie ist eng mit der staatlichen türkischen Anstalt für Religionsangelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı – DIB) verbunden und sollte die Verbreitung des türkischen Staatsislam unter den in Deutschland lebenden Auswanderern garantieren (Rosenow und Kortmann 2011: 52). Sie wird vom türkischen Staat finanziell und durch die Entsendung von Imamen unterstützt. Die Kontrolle der DİTİB durch die türkische Regierung ist Gegenstand von kontroversen Selbst- und Fremdwahrnehmungen der Organisation. Während sie selbst bestreitet, „eine Dependance der türkischen Religionsbehörde“ (Küçükhüseyin 2002: 16 in der Fußnote) zu sein, wird sie von anderen türkischen Vereinen sowie in wissenschaftlichen Publikationen als solche dargestellt. Um sich von diesem Image zu lösen, hat die DİTİB seit 2007 eine Umstrukturierung ihres Verbandes in Gang gesetzt. Seitdem werden die über 900 Ortsvereine (vgl. DİTİB 2015), die meist älter sind als der Dachverband selbst, durch Regionalverbände vertreten. In der Vergangenheit vermied die DİTİB Kooperationen mit anderen in Deutschland angesiedelten islamischen Vereinen, wie die Geschichte der SCHURA Hamburg zeigt. Seit einigen Jahren lässt sich eine gegenläufige Entwicklung nachzeichnen, die mit einer aktiveren gesellschaftlichen Verortung einhergeht, die auch in

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Dies schließt an meine persönliche Erfahrung mit Vertretern des VIKZ an, die ich im folgenden Kapitel (Methodologie) darlegen werde.

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Zusammenhang mit der Aufnahme von Gesprächen mit dem Hamburger Senat stehen.9 Insgesamt wird die DİTİB mit einer laizistischen Ausrichtung in Verbindung gebracht und vertritt nach Schätzung der Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann die Hälfte der türkischstämmigen Muslime in Deutschland (Spuler-Stegemann zitiert in Küçükhüseyin 2002: 16f.). Das Verhältnis dieser drei großen muslimischen Verbände ist somit nicht nur durch eine Konkurrenzsituation vor Ort gekennzeichnet, sondern wird auch durch translokale, in diesem Fall türkische Entwicklungen geprägt. Beide Dimensionen spielen für die Ausgestaltung muslimischer Einheits- und Repräsentationsbestrebungen in Deutschland eine Rolle und beeinflussen so auch die Gestaltung der Hamburger Stadtpolitik mit. Der Austritt von VIKZ und DİTİB aus der SCHURA Hamburg behinderte die Bemühungen eines SCHURA-Zusammenschlusses auf Bundesebene. Obwohl DİTİB und IGMG seit 2007 unter dem Vorstoß der türkischen Regierung eine „Vereinheitlichung der Organisationslandschaft in Deutschland“ (Rosenow-Williams 2013: 7) anstreben, warf die SCHURA Hamburg der DİTİB bezüglich des Versuchs, die SCHURA auf Bundesebene zu institutionalisieren, eine Blockadehaltung vor (vgl. Rosenow/Kortmann 2011: 70). Inwiefern diese Rivalität in Hamburg selbst zum Tragen kommt, ist auch Gegenstand der Fallstudie über den „Staatsvertrag“. Allerdings lässt sich vermuten, dass die Akteure ihre Beziehung situativ verändern und im Falle eines gemeinsamen Interesses ihre Animositäten hintanstellen. Diese Tendenz verstärkt sich, sobald ein Zweckbündnis der großen Verbände marginalisierte Akteure in ihre Schranken verweisen kann. Einer dieser marginalisierten Akteure ist die Ahmadiyya-Gemeinde, die 1957 das erste muslimische Gotteshaus in Hamburg eröffnete. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) wird von vielen Muslimen als nichtislamisch bezeichnet und an der Pilgerfahrt nach Mekka gehindert, da ihr Begründer Mirza Ghulam Ahmad von seinen Anhängern als Prophet und Mahdi10 verehrt wird. Ungeachtet dessen hat sie seit 2013 in Hessen den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts inne, wo sie am islamischen Religionsunterricht beteiligt wird und stellt somit die erste nach eigenem Selbstverständnis islamische Organisation in Deutschland in dieser rechtlichen Position dar. Ein Jahr

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Im Zuge der Gespräche mit dem Hamburger Senat bildete sich 2007 der DİTİB -Nord Regionalverband heraus (vgl. Zekerya Altuğ, Interview 23.10.2012, Fallstudie A).

10 Arabisch für ‚der Rechtgeleitete‘. Er ist nach islamischem Glauben ein Nachkomme Mohammeds, der in der Zukunft als Messias erscheinen werde (vgl. Madelung 1986: 1230f.).

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später wurde ihr dieser Status auch in Hamburg zuerkannt (vgl. Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland 2013a/b, 2014; vgl. Heimken 2013). Die Ahmadiyya-Organisation sieht sich als Reformbewegung, wie ihrer Selbstdarstellung zu entnehmen ist: „Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist eine islamische Reformgemeinde. Sie wurde 1889 von Hazrat Mirza Ghulam Ahmad (Friede sei auf ihm) auf Gottes Geheiß in Indien gegründet“ (Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland 2013a). Nach eigenen Angaben gibt es 2500 Mitglieder in Hamburg, die überwiegend in den 1970er Jahren aus Pakistan immigrierten, da dort 1974 der Ahmadiyya-Orden für nicht muslimisch erklärt und seitdem verfolgt wurde. Der Imam der Fazl-e-Omar Moschee in Hamburg kommentiert die Situation folgendermaßen: „Das ist Unsinn, wenn wir sagen, wir sind Muslime, dann hat kein anderer Recht zu sagen, du bist kein Muslim“ (Imam der Fazl-e-Omar Moschee, Interview 15.01.2013). Er fasst damit pointiert die Problematik von kollektiver Identitätskonstruktion zusammen. Diese ist auch Gegenstand der Kontroverse um die Zugehörigkeit der Aleviten. Die Aleviten sind eine Glaubens- und Kulturgemeinschaft, deren Anhänger ursprünglich im Osten der Türkei angesiedelt waren. Seit 1961 kamen im Zuge der Arbeitsmigration viele Aleviten nach Deutschland, da ihre Religion in der Türkei nicht anerkannt wird und sie unter Repressionen zu leiden hatten. „Erst am Ende der 1980er Jahre gaben Aleviten takiye weitgehend auf. In der Türkei und in Deutschland entstand gleichzeitig eine alevitische Bewegung, die sich gegen die Diskriminierung der Aleviten zur Wehr setzte und ihre Anerkennung in Staat und Gesellschaft einforderte“ (Sökefeld 2008: 9). Sökefeld spricht hier die Strategie der takiye an, die die Verschleierung der eigenen Religiosität in feindlichem gesellschaftlichem Umfeld vorsieht (vgl. ebd.). Diese Taktik ist immer wieder vor allem unter Nicht-Muslimen Gegenstand von Misstrauen, da das Vortäuschen falscher Tatsachen oftmals als Verschwörungsabsicht ausgelegt wird. In Deutschland formierte sich die Alevitische Gemeinde ertsmals 1988 in Hamburg, als sich aus einem Netzwerk der Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätten die Alevitische Kulturgruppe bildete, die im Oktober 1989 eine Alevitische Kulturwoche an der Universität Hamburg veranstaltete (Sökefeld 2008: 23). Die Gründung der Alevitischen Bewegung in Deutschland geht demnach auf eine lokale institutionelle Einbettung zurück. Obgleich auch translokale Aspekte eine Rolle gespielt haben, wie die parallele Entwicklung in der Türkei nahelegt, ist die Alevitische Gemeinde ein Beispiel für die gemeinsame soziale Hervorbringung von Identitäten. Die Infrastruktur der Deutsch-Ausländischen Begegnungsstätten lieferte für die dort als Sozialarbeiter tätigen Akteure die Basis für ihr neuerliches alevitisches Engagement (vgl. ebd.).

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Nach eigenen Angaben hat die Alevitische Gemeinde Hamburg „weit über 30.000 Mitglieder“ (aus einem Fax von Mahmut Erdem an die Hamburger Senatskanzlei, 19.10.2006), während ihr „in der Türkei jede formelle, kollektive Anerkennung“ (Sökefeld 2005: 132) fehlt. Die offizielle Position des Alevitischen Dachverbandes in Deutschland (AABF) beschreibt die Aleviten als eigenständige Religionsgemeinschaft, die nicht zum Islam gehört. Diesem Verständnis hat sich die Religionswissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann im Jahr 2003 in einem Gutachten angeschlossen (Spuler-Stegemann 2003). Auf der Homepage der Alevitischen Gemeinde Hamburg ist währenddessen vom „nicht orthodoxen islamischen Glauben“ (Alevitische Gemeinde Hamburg 2015) die Rede, was deutlich macht, wie ambivalent das Selbstverständnis der Aleviten ist. Auch Sökefeld beschreibt diese Vielschichtigkeit in Bezug auf Islam und greift die Frage auf, inwiefern die Begriffe Kultur und Religion in diesem Zusammenhang trennscharf bleiben. Das Alevitentum entwickelte sich über Jahrhunderte in Anatolien und verfügt nicht über eine konsistente Gründungserzählung. Diese Vorraussetzung kam in den politischen Anerkennungsforderungen in Deutschland erneut in verschiedener Hinsicht zum Tragen. Die Konstruktion als „‚das Andere‘ des sunnitischen Islam“ (Sökefeld 2008: 17) rechtfertigt zwar einerseits die Eigenständigkeit als Religionsgemeinschaft, impliziert aber andererseits eine gemeinsame islamische Basis. Die Selbstbeschreibung als kulturelle Gemeinschaft stellte in diesem Zusammenhang eine weitere argumentative Schwierigkeit dar. Die Kategorie Kultur gewährte weniger politische Möglichkeiten und erscheint damit nicht mehr länger opportun. Eine ähnliche Erfahrung machte die Türkische Gemeinde Hamburg und Umgebung e.V. (TGH), die 1986 als „Bündnis türkischer Einwanderer“ (TGH 2011) gegründet wurde und mittlerweile ein Unterverband der Türkischen Gemeinde Deutschland ist. Mit ihrer nationalen Selbsbeschreibung passt sie nicht in das Muster religiöser Lobbyarbeit. Als Verein, der sich für die „Förderung der Völkerverständigung“ einsetzt, vertritt sie zwar auch Belange „unserer […] religiösen Identität“ (TGH 2015b), besitzt jedoch keinen offiziellen muslimischen Vertretungsanspruch, wie sich am Beispiel der Verhandlungen zum „Staatsvertrag“ in Hamburg gezeigt hat. Dabei wurde die TGH lediglich beratend in die Gespräche einbezogen. Aus einem Interview mit dem langjährigen Vorsitzenden Harald Winkels geht hervor, dass er seine Organisation als Korrektiv der genuin islamischen Verbände sieht und darin eine Leerstelle erkennt, in der die TGH ihren Einfluss geltend machen kann (Norbert Winkels, Interview 14.01.2013). Darüber hinaus ist die TGH in verschiedene integrationspolitische Projekte der Stadt involviert und engagiert sich gegen Diskriminierung und Rassismus. Zuletzt geriet ihre Vorstandsvorsitzende

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Nebahat Güçlü in die Kritik, weil sie, die auch Mitglied der GAL-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft und in diesem Rahmen Sprecherin für Soziales, Frauen und Migration war, eine Rede vor den türkisch-rechtsnationalistischen „Grauen Wölfen“ hielt. Aus Protest traten Teile des TGH-Vorstandes zurück und Güçlü selbst wurde aus der GAL-Fraktion ausgeschlossen (vgl. TGH 2015a; MeyerWellmann 2015).

2 E THNOGRAPHIE

ALS METHODOLOGISCHE

G RUNDLAGE

Um die Praxis lokal-islamischer Aushandlungsprozesse in Hamburg zu beleuchten und den Fokus auf die performative Inszenierung städtischer Identitäten durch die unterschiedlichen Akteure zu richten, war es notwendig, eine möglichst offen angelegte empirische Suchbewegung zu vollziehen. In einem gesellschaftlich so breit diskutierten Themenfeld wie Islam in Europa kommt es besonders darauf an, sensibel für Zwischentöne zu bleiben. Vor allem die teilnehmende Beobachtung von konkreten Aushandlungsprozessen schien dabei vielversprechend zu sein. Der ethnographische Ansatz bietet methodisch die größtmögliche Offenheit und betont dabei seine situierte Perspektive. Dies unterscheidet ihn von quantitativen und vielen qualitativ ausgerichteten Forschungsdesigns. Während subjektive Einflüsse gemeinhin als unwissenschaftlich gelten, werden sie im Rahmen ethnographischer Forschung explizit anerkannt und reflektiert. Anstatt zu verschleiern, dass Sozialforschung nicht zuletzt ein soziales Produkt ist, wird die jeweilige Selbstpositionierung und subjektive Rekonstruktion des Forschers im ethnographischen Analyseprozess als Ressource eingesetzt (Hirschauer/Amann 1997: 7ff.). Die Beobachtungen sozialer Sachverhalte fußen auf den Prinzipien der Unmittelbarkeit und Dauer, was dazu führt, dass scheinbar beiläufig erworbenes Hintergrundwissen nicht als Forschungsresiduum ignoriert oder gar ausgeblendet wird, sondern daran teilhat, dass Beobachtungsszenarien und Interaktionen von der Forscherin erst sinnvoll eingeordnet werden können (Breidenstein et al. 2013: 34). Das Bild der Ethnographie als Erkundungsmethode ausschließlich nicht-westlicher Zusammenhänge haben Stefan Hirschauer und Klaus Ammann in ihrem Buch „Die Befremdung der eigenen Kultur“ (1997) überzeugend dekonstruiert. Nach wie vor geht es der Ethnographie um Entdeckungen. Diese werden aber nicht mehr vorrangig in als fremd konstruierten Kulturen gesucht, sondern können überall gemacht werden. Hirschauer und Amman beschreiben dies als „Potential, alle möglichen Gegenstände ‚kurios‘, also zum Objekt einer ebenso empirischen wie theoretischen Neugier zu machen“ (Hirschauer/Amann 1997: 9). In dieser neueren Ausrichtung eignet sich

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der ethnographische Ansatz besonders gut für die Bearbeitung meines Forschungsprogramms. Genauer setzt die Theoretisierung und Versprachlichung von verkörpertem Wissen, die die Ethnographie kennzeichnet, dem universalistischen Islamdiskurs das Verständnis konkreter Aushandlungsprozesse entgegen. Die Ethnographie bietet das Rüstzeug dazu, die Wechselwirkungen von Diskursen und Praktiken sichtbar zu machen und dabei scheinbar widersprüchliche und vielschichtige Handlungsdimensionen zu berücksichtigen. Sie stellt allerdings keine Forschungsanleitung zur Verfügung, die wie bei anderen sozialwissenschaftlichen Methoden den Ablauf genau reglementiert.11 Diese Tatsache und die betont subjektive Erzählform der Ethnographie haben ihr den Vorwurf eingebracht, „vorwissenschaftlich“ (Hirschauer/ Amman 1997: 7) zu sein. Dem kann nur entgegnet werden: Ein Wissenschaftsbegriff, der die Präsenz von Wissenschaftlern leugnet, scheint ein Vertrauensproblem mit den eigenen Forschungssubjekten zu haben. Tatsächlich ist der Schritt von der empirischen Erhebung zur Theoriebildung in Ethnographien oftmals wenig dokumentiert (kritisch dazu Whyte [1943] 1981: 279; Breidenstein et al. 2013: 111). In Anlehnung an William F. Whytes ausführlichen Anhang zu seiner klassischen Studie „Street Corner Society“ (1943) soll die folgende Offenlegung des empirischen Prozesses und die kritische Reflektion der eigenen Positionierung den praktischen Forschungs- und theoretischen Abstraktionsprozess transparent machen (vgl. Whyte [1943] 1981: 279ff.). 2.1 Rekonstruktion des ethnographischen Forschungsprozesses 2.1.1 Skizze des ersten Feldkontakts Im Februar 2012 habe ich begonnen, für meine Forschungsarbeit Kontakte zu islamischen Akteuren in Hamburg aufzunehmen. Mit dem Vorsatz, die wechselseitigen Prägungen städtischer Akteure zu erforschen, wandte ich mich an die Centrum-Moschee, die für eine öffentlichkeitsaffine Haltung bekannt war. Mein erster Feldkontakt begann mit einer Moscheeführung in der Centrum Moschee, wobei ich als Studentin der Islamwissenschaft und Tochter eines sunnitischen Syrers schon früher muslimisch geprägte Räume kennengelernt habe. Auch habe

11 Mit dem Lehrbuch „Ethnographie. Die Praxis der Feldforschung“ (2013) haben Georg Breidenstein et.al. einen hilfreichen Versuch vorgelegt, die Methodologie der Ethnographie transparent zu machen. Die Durchführung ethnographischer Forschung anhand eines genauen Methodenplans wird aber auch hier nicht propagiert, da sie der Offenheit des Ansatzes zuwiderläuft.

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ich für meine Magisterarbeit bereits Interviews mit jungen Musliminnen aus Hamburg geführt und hatte somit nicht nur privat und akademisch, sondern auch forschungspraktisch Berührungspunkte mit dem Feld. Trotzdem kann dieser Besuch der Centrum Moschee als erste teilnehmende Beobachtung der hier skizzierten Feldforschungsphase bezeichnet werden, da ihm eine bewusste Entscheidung für neuerliche Feldforschung und eine längere Zeit der Abwesenheit vorausging. Ganz konkret war dies auch das erste Mal, dass ich die Centrum Moschee betreten habe. Jenseits meines Wissens über islamische Praktiken und moscheerelevante Begriffe schien es mir von Anfang an klar zu sein, wie die Moscheeführung ablaufen würde. Dieses erste Gefühl konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einordnen. Es machte mir vor allem Sorgen, nicht offen genug für Neuentdeckungen zu sein. Erst viel später und im Lichte der zahlreichen Beobachtungen, die ich im Rahmen der Feldforschung gemacht hatte, konnte ich den Eindruck der Redundanz abstrahieren und theoretisch einordnen, was in der Analyse und verdichtenden Diskussion der Fallstudien ausführlich dargelegt wird. Doch zunächst zurück zu den Beobachtungen, die ich im Februar 2012 in der Centrum Moschee machte: Der Moscheeführer empfing die erste Klasse einer Grundschule, die mit ihren Lehrerinnen eine Führung gebucht hatte im hauseigenen Restaurant, wo alle mit kostenlosen Getränken versorgt wurden. Der türkischstämmige Mann schien sehr routiniert im Ablauf solcher Veranstaltungen zu sein und erfüllte selbstsicher die Rolle des Gastgebers. Die Lehrerinnen, allem Anschein nach nicht sonderlich vertraut mit islamischen Einrichtungen, zeigten sich beeindruckt von der Lokalität, wo trotz der frühen Uhrzeit bereits reges Treiben herrschte. Die Köche waren damit beschäftigt, das Mittagessen vorzubereiten und in der Auslage der Theke wurden bereits frische türkische Vorspeisen drapiert, was von der Besuchergruppe lobend kommentiert wurde. Im Anschluss an den Restaurantbesuch wurde die Gruppe durch das mehrstöckige Gebäude geführt, das unter anderem einen Buchladen und verschiedene Büro- und Gruppenräume beherbergt. Schließlich ging es in den Gebetsraum der Männer, wo den Kindern und ihren Erzieherinnen die einzelnen Bestandteile des islamischen Gebetsraumes erklärt wurden. Der Moscheeführer stellte den Kindern verschiedene Fragen über Islam, die dazu zu dienen schienen, die Unwissenheit und falschen Vorannahmen der Gäste aufzudecken. Er fokussierte vor allem solche Aspekte, die einen gewissen Überraschungseffekt hatten. Nach dem Land gefragt, in welchem die meisten Muslime leben, tippten Lehrerinnen und Kinder erwartungsgemäß auf einen Staat des Vorderen Orients. Auch ich wurde in das Ratespiel mit eingebunden und als ich die richtige Antwort nannte, integrierte mich der Moscheeführer quasi als Side Kick in seine Veranstaltung. Es schien ihm zu gefallen, mit dem Fak-

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tum, dass Indonesien das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung ist, Verwunderung hervorzurufen. Implizit lautete seine Botschaft offenbar: Der Islam ist nicht so, wie ihr denkt. In der Gesprächsrunde, die den Abschluss der Führung darstellte, entspann sich ein Dialog über Islam, der merklich vom öffentlichen Diskurs geprägt war. Auf die Frage, ob vom Minarett der Moschee ein Muezzinruf ausgehe, erläuterte der Vertreter der Centrum Moschee, dass dies in deutschen Großstädten verboten sei, während einige Kleinstädte wie Rendsburg und Schleswig diese Praxis erlaubten. Auch diese Antwort überraschte die Anwesenden und versetzte den Moscheeführer in die Position eines Experten, der sich nicht nur mit Islam auskannte, sondern auch in lokalen Unterschieden der deutschen Rechtsprechung bewandert war. Mit der sachlich vorgetragenen Erklärung gab er die Position des islamischen Interessenvertreters auf und nahm die eines scheinbar neutralen, unmarkierten Sprechers ein. In diesem Zusammenhang lässt sich das Setting der Moscheeführung als Aufführung verstehen, bei der die Besucherinnen das Publikum darstellen und die Mitglieder der Moschee als Darsteller in die Rolle der Gastgeber und Experten schlüpfen. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Debatte um die Integration von (islamischen) Zuwandern und sogenannten Gastarbeitern, kann die Kulturpraktik der Moscheeführung als temporärer Rollentausch gelesen werden, der zwar die Grenzen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen aufrechterhält, aber diese zumindest zum Thema macht.12 Die Frage nach dem Ruf des Muezzin verweist noch auf eine weitere diskursive Dimension. Sie wird in bundesdeutschen Moscheebaukonflikten häufig als Streitpunkt wahrgenommen. Ähnlich wie das muslimische Kopftuch wird auch der öffentliche Gebetsruf als symbolischer Übergriff in den mehrheitlich nichtislamischen Raum rezipiert (vgl. Muckel/Tillmanns 2008: 258, s. Teil II.2.1.3). Es ist anzunehmen, dass der Lehrerin, die das Thema Gebetsruf in die Gesprächsrunde einbrachte, lediglich nichts anderes als der Muezzin-Ruf einfiel, als sie der Aufforderung nachkommen wollte, Fragen über Islam zu stellen. Dies verdeutlicht, wie sich der öffentliche Diskurs über die Sichtbarkeit und Stellung von Islam in konkrete soziale Interaktionen einschreibt. Auf diese Weise hat sich eine routinierte Form der öffentlichen Kommunikation von Muslimen und NichtMuslimen (in ihren jeweiligen Rollen) entwickelt, die sich als ritualisierte Handlungsabfolgen beobachten lassen, und gleichzeitig Gegenstand situativer Aushandlungen sind. Dieser Parallelität möchte ich mit den ethnographischen Fallstudien auf den Grund gehen.

12 Dieser Aspekt wird in den einzelnen Fallstudien umfassender diskutiert.

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2.1.2 Forschungsprogramm und Entstehung der Fallstudien Um von meinem vagen Gefühl der Vorhersehbarkeit interkultureller Islamveranstaltungen zu einem analytischen Verständnis öffentlicher Redundanzen und impliziter Regeln zu gelangen, war es nötig, verschiedenen hamburgisch-islamischen Aufführungen beizuwohnen. Aus der Forschungsfrage, wie die Akteure in wechselseitigen Aushandlungsprozessen einen konkreten Hamburger Islam konstruieren, entwickelte sich das Modell dreier unterschiedlicher Settings. Inhaltlich stellt das Sample drei wichtige Stränge des europäischen Islamdiskurses dar. In der Fallstudie A wird die formale Anerkennung von Islam thematisiert. Die Fallstudie B greift die Frage nach der Kompatibilität muslimscher Kleidungspraktiken im öffentlichen Raum auf und die Fallstudie C verhandelt die interreligiöse Verständigung von Islam und Christentum. Die Auswahl der Fallstudien begründet sich demnach in dem Versuch, problematische Aspekte der diskursiven Aushandlung von Islam in Europa innerhalb lokaler städtischer Praxen wiederzufinden und darzustellen. Dieses Ziel hat sich während der empirischen Feldforschung und der gleichzeitigen Beschäftigung mit dem medialen und wissenschaftlichen Diskurs herauskristallisiert und damit auch die Entscheidung für diese und gegen andere Forschungssettings beeinflusst. Die Unterschiedlichkeit der Fallstudien eröffnet eine weite Spanne von sozialen Situationen, in denen sich Akteure islamisch positionieren und bildet so die Bandbreite der diversen städtischen Realität ab. Wie oben bereits angedeutet, besteht mein Anspruch nicht in der Darstellung vollständiger Repräsentativität, sondern darin, soziale Praktiken als identitätspolitische Aushandlungsprozesse theoretisch fruchtbar zu machen. Erst die längere und wiederholte Präsenz im Forschungsfeld gab mir einen Einblick darüber, wie genau die Einschreibung des europäischen Islamdiskurses in die Interaktionen von Hamburger Akteuren abläuft und in welchen Handlungssequenzen Wiederholung oder Wandel zu beobachten sind. Anders als in der klassischen Vorgehensweise der Ethnographie fand die Feldforschung für zwei der drei Studien nicht innerhalb eines festen Rahmens mit den immer gleichen Mitgliedern statt. Die Fallstudien A und C sind ohne die für die Ethnographie so charakteristische intersubjektive Nähe von Forscherin und Erforschten entstanden. Dies liegt vor allem im Forschungsinteresse begründet, das gerade die Wechselwirkung von institutionalisierten Strukturen und den situativen Kooperationen städtischer Akteure mit Bezug zu Islam fokussiert. Die Bildung temporärer, sozialer Bündnisse, in Gestalt von Verträgen (Fallstudie A), Kunstprojekten (Fallstudie B) oder interreligiösem Dialog (Fallstudie C) können als Kernthemen der Ethnographie gelten, die sich der Entdeckung kultureller Praktiken verschrieben hat. Die Dynamisierung sozialer Beziehungen führt bisweilen dazu, dass sich der ethnographische Beobachtungsmodus von permanenter An-

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wesenheit im Feld hin zur Teilnahme an punktuellen Ereignissen verschiebt. In bestimmten sozialen Feldern entspricht diese Vorgehensweise eher der sozialen Wirklichkeit als die methodisch geforderte Langzeitpräsenz. Um den unterschiedlichen Settings der Fallstudien Rechnung zu tragen, sollen diese im Folgenden einzeln vorgestellt werden. Im Anschluss daran werde ich den Auswertungsprozess der gesammelten Daten resümieren, der zwar bereits während der Feldphase begann, hier jedoch zum besseren Verständnis als eigener Schritt dargelegt wird. Die Fallstudie A: „Eine Hausordnung für den Islam – Der ‚Staatsvertrag‘ zwischen dem Hamburger Senat und den Islamischen Verbänden“ Das Setting der Fallstudie A unterscheidet sich insofern von den beiden anderen, als ich von den Verhandlungen der Vertragspartner erst nach ihrem Ende aus der Presse erfuhr. Die empirische Forschung über die Entstehung des Vertrags ist also retrospektiv verlaufen. Für die Erhebungstechnik der teilnehmenden Beobachtung bedeutet das, dass der Gegenstand der Beobachtung nicht die Entstehung des Vertrags selbst sein kann, sondern die daran anschließende öffentliche Aushandlung seiner Bedeutung. Damit eröffnet sich neben der Untersuchung des Inhalts der Verträge die Möglichkeit, die wechselseitigen Zuschreibungen der Akteure als performative Wirklichkeitskonstruktionen zu deuten. Im Rahmen der Fallstudie „Eine Hausordnung für den Islam – Der ‚Staatsvertrag‘ zwischen dem Hamburger Senat und den Islamischen Verbänden“ habe ich 13 Interviews geführt, die als offene Experteninterviews konzipiert waren. Das bedeutet, dass ich die betreffenden Personen als Vertragsbeteiligte adressierte und mir einige wenige Leitfragen überlegte, mit denen ich unser Gespräch strukturieren wollte. Wie Scherr expliziert, stellen „offene Interviews“ (Scherr 1995: 25 in der Fußnote) eine „Sonderform von Alltagsgesprächen“ dar, die eine „situativ akzeptable Auseinandersetzung mit den gestellten Fragen“ (ebd.) gewährleisten sollen. Auf diese Weise dienten mir die Interviews zum einen als sprachliche Positionierungen. Zum anderen nutzte ich die Interviewsituationen zur Beobachtung der Alltagspraktiken der Akteure. Dabei interessierte mich von der Bürodekoration über die Frage, ob mir meine Gesprächspartner die Hand zum Gruß gaben, alles, was ich beobachten konnte (vgl. Breidenstein et al. 2013: 115). Ich befragte Vertreter der beteiligten islamischen und alevitischen Verbände sowie zwei männliche und mehrere weibliche Mitglieder der AhmadiyyaGemeinde, die nicht an den Verträgen beteiligt war, und den ehemaligen Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Hamburg (TGH), die als beratende Kraft in die Verhandlungen miteinbezogen worden war. Um die Perspektive des Senats

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zu analysieren, wandte ich mich an einen Mitarbeiter der Senatskanzlei, der als Kirchenrechtler die Verhandlungen von Anfang an begleitet hatte und mir den Verlauf sehr detailliert skizzierte. Auch bekam ich die Gelegenheit, Ole von Beust einige Fragen zu stellen, der als Erster Bürgermeister im Jahr 2006 den politischen Anstoß für die Verträge gegeben hatte. Die einzige Person, die nach wiederholten Versuchen nicht für ein Gespräch bereit war, war der Vorsitzende des VIKZ (Verein Islamischer Kulturzentren) Murat Pirildar.13 Die Orte, an denen die Interviews geführt wurden, unterschieden sich sehr. Ich überließ meinen Interviewpartnern die Wahl der Lokalität und diese entschieden sich entweder für einen Geschäftsraum, über den sie als Mitglieder eines religiösen Verbandes verfügten oder für ihr Büro, in dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgingen. Einige meiner Gesprächspartner ließen sich auch von mir abholen, um dann gemeinsam in eine nahegelegene Gaststätte zu gehen. In jedem Fall nahmen die Interviewten die Rolle des Gastgebers an, der Speisen und Getränke anbot oder über Dritte anbieten ließ. Generell können die Akteure, die ich im Feld des „Staatsvertrags“ traf, als selbstbewusst auftretende Personen beschrieben werden, die sich ihrer Version der Geschichte sicher waren und in mir unter anderem ein Sprachrohr für ihre Interessen zu sehen schienen. Das Büro des hauptamtlichen Verbandsvorsitzenden der DİTİB-Nord ist Teil der Merkez Mescid-i Aksa Camii, einer Moschee in Hamburg-Hamm, auf deren Grundstück auch ein Lebensmittelgeschäft, ein Friseur und ein Reisebüro liegen. Mustafa Yoldaş, der die Vertragsverhandlungen als Vorsitzender der SCHURA begonnen hatte, interviewte ich im Wartezimmer seiner allgemeinmedizinischen Praxis in Hamburg-Altona. Er bot mir Tee und Baklava an und erklärte mir schmunzelnd, nachdem ich zögerte, dass man bei einem Türken immer etwas trinken müsse. Daniel Abdin, der in Anschluss an Yoldaş Vorstandsvorsitzender der SCHURA war, unterschrieb den Vertrag mit dem Senat. Zum Interview traf ich Daniel Abdin in einem Café auf dem Steindamm in Hamburg-St. Georg, wo er mich zum Tee einlud. Mehmet Erdem, ein Jurist aus dem Vorstand der Alevitischen Gemeinde Hamburg und ehemaliges Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, nahm mich in ein populäres Hamburger Restaurant mit, das mediterrane Speisen anbietet, und erzählte mir stolz, dass der Besitzer Alevit sei. Er bestellte mehrere Vorspeisen und bat mich eindringlich, mitzuessen.

13 Der VIKZ ist einer der drei islamischen Verbände, die in Hamburg in den Vertrag involviert sind.

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Neben den Interviews und den teilnehmenden Beobachtungen habe ich verschiedene schriftliche Quellen, darunter die Verträge selbst sowie Protokolle von Bürgerschaftssitzungen und die Rechtsgutachten über die beteiligten Verbände inhaltsanalytisch ausgewertet. Darüber hinaus dienten mir die schriftlichen Kopien von persönlichen Korrespondenzen der Akteure als empirische Quellen. Dieses breit gefächerte Datenmaterial ermöglichte es, den Aushandlungsprozess über den offiziellen Islam in Hamburg als gemeinsamen performativen Akt der beteiligten Akteure zu untersuchen. Die Fallstudie B: „Kunst und Islam auf der Veddel – Corporate Citizenship und andere Identitäten“ Nachdem ich Kontakte in die Centrum Moschee geknüpft hatte, verwies mich ein Mitarbeiter, der für die Jugendarbeit des Dachverbandes Bündnis islamischer Gemeinden in Norddeutschland (BIG) zuständig war, auf das Islamische Jugendlokal Veddel, dessen Mitglieder er gut kannte. Er riet mir sofort und ohne Umschweife, mich an die Mädchengruppe des Lokals zu halten, gab mir aber auch die Handynummer des männlichen Jugendlokalleiters. Tatsächlich nahmen mich die Mädchen, die zwischen neun und fünf Jahren jünger waren als ich, sofort wie eine Freundin auf. Am Ende meines ersten Besuchs machten wir ein Gruppenfoto und verabschiedeten uns mit Küsschen. Ab da kam ich für anderthalb Jahre regelmäßig zu ihren Treffen am Mittwochabend und sah sie auch zu Veranstaltungen außerhalb des Lokals. Die Jungen dagegen standen mir zwar höflich Rede und Antwort, als ich zur verabredeten Zeit im Jugendlokal erschien. Sie siezten mich jedoch zu Beginn, bis ich sie ausdrücklich aufforderte, mich zu duzen, was unsere ungleiche Position hinsichtlich Geschlecht und Alter deutlich machte. Anders als die Mädchen hatten sie keine regelmäßigen Gruppentreffen, sondern verbrachten eher unregelmäßig Zeit im Lokal. Diese Umstände machten es schwer, teilnehmende Beobachtungen, wie ich sie geplant hatte, durchzuführen. Ich kam zu den verabredeten Interviews ins Lokal und verließ es sofort danach wieder. Die im Lokal herrschende Geschlechtertrennung trug ihr übriges dazu bei, dass ich als Fremdkörper wahrgenommen wurde und mich auch selbst so wahrnahm. Trotzdem haben die insgesamt vier Interviews, die ich mit den Jungen führte, wichtige Aspekte über die Entstehung des Jugendlokals und des Alltags dort beleuchtet. Die Jungen waren, mit einer Ausnahme, seit Eröffnung des Jugendlokals dort aktiv und hatten es selbst renoviert, nachdem die Islamische Gemeinde das Gebäude gekauft hatte. Dies stellte für sie eine identitätsstiftende Erfahrung dar, die von den Mädchen nicht geteilt wurde.

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Die Jugendlichen waren gemeinsam für die Instandhaltung und Sauberkeit im Lokal verantwortlich, was bisweilen zu Konflikten zwischen Mädchen und Jungen führte. Da ich die Perspektive der Mädchen intensiv mitbekam, halfen mir auch die wenigen Eindrücke aus dem Alltag der Jungen, die Vorwürfe der Mädchen besser einordnen und relativieren zu können. Der Datenkorpus über die Veddel enthält somit unter anderem 12 aufgezeichnete und transkribierte Interviews, die zwischen zwanzig Minuten und anderthalb Stunden dauern. Darunter sind vier Gespräche mit den Jungen aus dem Lokal, fünf Interviews mit den Mädchen und jeweils ein Interview mit dem Vertreter von ProQuartier, der Quartierskünstlerin und dem Leiter des Hauses der Jugend Veddel.14 Die Interviews fanden in den jeweiligen Räumlichkeiten der Gesprächspartner statt. Die aufgezeichneten Gespräche mit den Mädchen, die ich hier als Interviews zähle, sind ihrer Struktur nach an das „episodische Interview“ (Flick 2009: 245) angelehnt. Ich forderte die Mitglieder des Jugendlokals auf, den Eintritt ins Lokal zu schildern und mir zu erzählen, wie es dazu kam. Daraus entwickelten sich biographische Erzählungen, die durch Nachfragen ergänzt wurden. Auch die Quartierskünstlerin befragte ich auf diese Weise nach dem Weg, der sie auf die Veddel gebracht hatte. Mit ihr führte ich mehrere Gespräche und wir tauschten uns auch nach der Feldphase mehrfach aus. Die Gespräche mit dem Leiter des Haus der Jugend Veddel und dem Mitarbeiter von ProQuartier führte ich zu Beginn meiner Feldforschung auf der Veddel. Zu diesem Zeitpunkt erhoffte ich mir von diesen beiden Gesprächspartnern eine Metaerzählung über den Alltag auf der Elbinsel aus Sicht von ausschließlich beruflich involvierten Experten. Ihr Engagement im Stadtteil und ihre Haltung dem islamischen Jugendlokal gegenüber ließ sie jedoch selbst als Akteure im Aushandlungsprozess des Hamburger Islam in Erscheinung treten. Während der Mitarbeiter von ProQuartier bereits mehrere Kooperationen mit den Mitgliedern des Jugendlokals durchgeführt hatte und aus seiner beruflichen Position als Quartiersmanager heraus die Motivation zog, mit allen Kräften des Quartiers zusammen zu arbeiten, vertrat der Leiter des Haus der Jugend die Position eines islamkritischen Sozialarbeiters, die er mit der strukturellen Benachteiligung muslimischer Mädchen begründete. Auch diese Haltung lässt sich aus seinem Standpunkt als säkulare Konkurrenz des islamischen Jugendlokals verstehen. Die Gespräche mit den beiden verdeutlichten mir,

14 ProQuartier ist ein Tochterunternehmen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft SAGA GWG. Es organisiert seit 2006 regelmäßig Stipendien für Quartierskünstler auf der Veddel. Das Haus der Jugend ist eine städtische Jugendeinrichtung. In der Fallstudie B werden alle Akteure ausführlich vorgestellt.

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dass Experteninterviews keineswegs neutrale Positionen darstellen, sondern stets das situierte Wissen der Akteure wiedergeben. Darüber hinaus basiert die Analyse auf Notizen und Gedächtnisprotokollen meiner über zwanzig Feldbesuche sowie Flyern, Buttons und anderen Gegenständen, die die Mädchen gestalteten, Medienberichten, offiziellen Schriftstücken wie dem Auslobungstext für das Stipendium des Quartierskünstlers und dem Künstlermagazin, mit dem die Quartierskünstlerin ihr Fotoprojekt dokumentierte. Während alle Beteiligten der Feldforschung als Personen öffentlichen Lebens gelten können und daher nicht anonymisiert wurden, habe ich die Namen der Jugendlichen geändert. Die jungen Muslime, die sich im Jugendlokal engagierten, zeichneten sich durch ein hohes Sendungsbewusstsein aus. Keiner von ihnen versuchte mich je von einer Konversion zu überzeugen,15 doch der Wunsch, den lokalen öffentlichen Raum der Veddel zu gestalten und nach den eigenen Vorstellungen zu prägen, war in vielen Äußerungen zu erkennen. Das BIG unterhält insgesamt 17 Jugendlokale, deren Leiter einmal im Monat in die Centrum Moschee kommen, um dort anstehende Veranstaltungen und Aktivitäten zu besprechen. Das Konzept des Islamischen Jugendlokals beinhaltet explizit die Durchführung öffentlicher und nicht-öffentlicher Aktivitäten für junge Muslime. Darunter fallen Modenschauen für wohltätige Zwecke genauso wie die Teilnahme am Hamburger „Dreck weg“-Tag und Kooperationen mit anderen Institutionen aus dem Stadtteil. Aus den Erzählungen der Jugendleiterin geht hervor, dass die Organisation und Beteiligung an sozialen Events von der Dachorganisation belohnt wird, während das Ausbleiben als sinnvoll angesehener Tätigkeiten im schlimmsten Fall zur Schließung des Jugendlokals führen könnte. Vor diesem Hintergrund stellt die Teilnahme am Quartierskunstprojekt, die im Mittelpunkt der Fallstudie B steht, weniger eine spontane Aktion der Mädchen als eine Reaktion auf an sie herangetragene Erwartungen dar. Hier deutet sich bereits an, dass diese Erwartungen vonseiten der Mehrheitsgesellschaft und von der islamischen Institution, der sie angehören, konvergieren, was gegen die diskursive Dichotomisierung von Muslimen und Nicht-Muslimen spricht. Die Fallstudie C: „‚Außen Kirche, innen Moschee‘ – Zur interreligiösen Umwandlung eines Gotteshauses“ Die Fallstudie über die Umwandlung der ehemaligen evangelisch-lutherischen Kapernaumkirche in Horn entwickelte sich aus einem Interview zum „Staatsvertrag“. Auf der Suche nach einem materiellen Beispiel für den Diskurs über die

15 In einer anderen Institution des BIG kam dies einmal vor.

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öffentliche Sichtbarkeit von Islam brachte mich der Senatsmitarbeiter auf den Kauf der ehemaligen Kirche durch das Islamische Zentrum Al-Nour. Den Vorstandsvorsitzenden des Zentrums Daniel Abdin kannte ich bereits als SCHURAVertreter und Unterzeichner des Vertrags. Als ich ihn zum zweiten Mal traf, um mehr über den Kauf des entwidmeten Gotteshauses zu erfahren, war die Nachricht zwar bereits auf der Homepage der Al-Nour Gemeinde zu sehen, aber medial noch nicht verbreitet worden. Abdin bat mich nachdrücklich, meine Informationen nicht an die Presse weiterzugeben und schien ernsthaft besorgt, dass ich es doch tun würde. Einige Tage nach unserem Interview erschien der erste Bericht über ihn und den Kauf des Baus in der Hamburger Morgenpost, woraufhin eine regelrechte Flut öffentlicher und medialer Stellungnahmen begann, die ich als schriftliche Quellen im Diskurs um die islamische Aneignung der ehemals evangelischen Kirche nutzte. Die Begleitung des Umwandlungsvorhabens von Anfang an ermöglichte es mir, nicht nur auf Interviews und schriftliche Quellen zurückzugreifen, sondern am Bauprozess beobachtend teilzunehmen. Dazu gehörte auch, dass ich die Baustelle regelmäßig fotografierte, um den Bauprozess zu dokumentieren und Momentaufnahmen einzufangen. Nach den ersten Veranstaltungen, auf denen ich das Islamische Zentrum Al-Nour beobachtet hatte, kannte ich den Vorstand und jüngere Mitglieder, die dort regelmäßig erschienen. Es waren hauptsächlich Männer, die mich stets freundlich grüßten und mit mir ein paar Worte wechselten. Darüber hinaus fand ich es schwierig, näher Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Während die meisten von ihnen mit den Hornern, die auf die Baustelle kamen, plauderten und herzliche Umgangsformen pflegten, schienen sie mir gegenüber eher verschlossen. Ihr Vorsitzender Daniel Abdin behandelte mich zwar wie eine Vertraute, bei den restlichen Mitgliedern spürte ich aber bis zuletzt eine gewisse Unsicherheit meinen Absichten gegenüber. Die Rolle der Beobachterin ist im Feld stets mit Irritationen verbunden, die durch Tätigkeiten wie das Aufschreiben von Notizen noch verstärkt werden. Diese Irritationen spiegeln sich in den Handlungen der Beobachteten wider und erzeugen soziale Interaktionen, die meine spezifische Rolle als teilnehmende Beobachterin adressierten. So kann es passieren, dass die „Beobachtungslizenz“ (Breidenstein et al. 2013: 43), die Ethnographen im Feld erwerben, von einigen Beteiligten in Frage gestellt wird. Eine Lösung für dieses Problem scheint mir lediglich in der wiederholten Transparenzmachung des Forschungsvorhabens zu liegen. Generell zeigt der Vergleich zwischen dem Jugendlokal und der Baustelle, dass die Zugangsbedingungen in verschiedene soziale Settings für Ethnographen schlicht nicht immer die gleichen sein können (ebd.: 50).

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Zunächst veranstaltete das Islamische Zentrum Al-Nour einen Informationsabend in einer Horner Schule, um sich den Fragen der Anwohner zu stellen und die eigene Sicht zu präsentieren. Dies war der Auftakt der regelmäßigen öffentlichen Veranstaltungen, die das Bauvorhaben begleiteten. Anhand dieser Datenlage, die sich zum einen aus dem medialen Diskurs um den Umbau und zum andern aus den beobachtbaren Interaktionen der Akteure vor Ort ergab, lassen sich die wechselseitigen Prägungen von Diskurs und Praxis sowie ihre Diskrepanzen verdeutlichen. Im Gegensatz zu den anderen beiden Studien erschien es im Setting der interreligiösen Baustelle aufgrund der detaillierten öffentlich zugänglichen Äußerungen der Akteure nicht sinnvoll, weitere Interviews zu führen. Dies hatte vor allem praktische Gründe. Die Vertreter der christlichen Kirchen sowie Lokalpolitiker aller Parteien hatten früh ihre Positionierungen eingenommen und kundgetan und ich erwartete nicht, dass sie diese mir gegenüber revidieren würden. Allerdings erwiesen sich diese offiziellen Positionen im städtischen Alltag als nicht praktikabel. Hatten besonders die überregionalen Oberhäupter der christlichen Kirchen ihren Missmut über die islamische Umnutzung kommuniziert, fanden sich ihre lokalen Vertreter anderthalb Jahre später zum OpferfestEmpfang im November 2014 auf der damaligen Baustelle ein und schlugen durchweg versöhnliche Töne an. Wie in der Analyse der Fallstudie C ausgeführt wird, bringt Islam als populäre europäische Religion auch die bisherigen christlichen Positionierungen ins Wanken, die anhand konkreter Situationen wie dem Fall der Hamburger Kapernaumkirche neu ausgehandelt werden müssen. 2.1.3 Forschungsprogramm: Daten und Auswertung während der Feldphase und danach Meine explorativ angelegte Feldforschung verfolgte das Ziel, Beispiele für die praktische Aushandlung von Islam in Hamburg ausfindig zu machen. In der Auswahl und Entwicklung meiner Fallstudien habe ich mich an dem Prinzip des „Theoretical Sampling“ (Glaser/Strauss 1967: 67) orientiert, dessen Ziel darin besteht, aufgrund der bereits erhobenen Daten und der theoretischen Informationen über das Feld, die nächste relevante Untersuchungseinheit zu konzipieren. Zunächst machte ich mich auf die Suche nach einer städtisch-muslimischen Kooperation. Da ich davon ausging, dass der Kern dieser Untersuchung im Ausloten subjektiver Zugehörigkeiten bestehen würde, schien das Setting des Veddeler Jugendlokals (Fallstudie B) anfangs der richtige Ort dafür zu sein. Die Beobachtungen der Alltagspraxis der Mitglieder deuteten jedoch immer wieder darauf hin, dass ihre Zugehörigkeitskonstruktionen von strukturellen Problemen geprägt sind, die ich im Jugendlokal allein nicht einfangen konnte. Parallel dazu beschäftigte ich mich mit der akademischen und politischen Debatte über Islam in Euro-

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pa und stellte fest, dass nicht nur die Kategorie Zugehörigkeit eine Rolle spielt. Es offenbarte sich gewissermaßen die andere Seite der Medaille in Form von Fragen nach der rechtlichen und gesellschaftlichen Integration von Islam. Dementsprechend begann ich nach Fallbeispielen für diese Fluchtlinie des Diskurses zu suchen und wurde mithilfe des Schneeballsystems fündig, indem ich den Akteuren, die ich bereits kannte, von meinem Vorhaben berichtete. Dabei ist insofern Vorsicht geboten, als das Schneeballsystem den Kreis der hinzugezogenen Akteure nicht übermäßig begrenzen sollte (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 180). In der hier vorgestellten Feldforschung wurde diesem Problem mit der expliziten Suche nach Gruppen und Akteuren entgegengewirkt, die aufgrund ihrer marginalisierten Position aus der offiziellen Konstruktion des Hamburger Islam ausgeschlossen sind. Allerdings stößt ein solches Forschungsprogramm in Hinblick auf nicht-institutionalisierte und nicht-öffentlich organisierte Akteure an seine Grenzen. Die unterschiedlichen Settings der Fallstudien, die sich auch in den Daten zeigen, korrespondieren mit den jeweiligen gesellschaftlichen Bereichen, in denen sie entstanden sind. Die Fallstudie über den „Staatsvertrag“ unterscheidet sich von den beiden anderen Studien aufgrund ihrer politischen Relevanz und der damit verbundenen schwierigeren Erhebungssituation. Während die Fallstudien B und C auf öffentlich zugänglichen oder privaten Situationen beruhen, spielte sich die Praxis des „Staatsvertrags“ zu einem beträchtlichen Teil hinter verschlossenen Türen ab und begann lange vor meinem ersten Feldkontakt. Wie ich bereits in der Skizzierung der einzelnen Settings geschildert habe, spiegeln sich diese Unterschiede im Feld auch in den Daten wider. Darüber hinaus verdeutlichen sie meine eigene Entwicklung im Feld. Während ich die meisten Interviews zum „Staatsvertrag“ eher zu Beginn meiner Feldforschung führte, nahm ich von der Interviewmethode im Laufe der Zeit mehr und mehr Abstand und verzichtete in der Forschung über die neue Al-Nour Moschee mit einer Ausnahme komplett darauf. Dieser „Methodenopportunismus“ (Breidenstein et al. 2013: 34) korrespondiert also nicht nur mit der flexiblen Anpassung an die Handlungspraktiken der Akteure, sondern dokumentiert auch meinen eigenen Lernprozess als ethnographische Forscherin. Je länger ich mich im Feld aufhielt, umso kritischer wurde ich gegenüber den sprachlichen Selbstdarstellungen meiner Gesprächspartner. Insbesondere die Trennung zwischen Experteninterviews und anderen biographischen Interviewformen begann ich zu hinterfragen. Es bestand zwar ein Unterschied zwischen den Gesprächen, die ich als Interviews mit den jungen Frauen auf der Veddel führte und jenen mit den Vertragspartnern. Dieser äußerte sich allerdings im Auftreten der Interviewpartner, die im ersten Fall eher unsicher oder (selbst-)ironisch waren, während die Vertreter des Senats

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und der Religionsgemeinschaften mir gegenüber ihre Ernsthaftigkeit und Professionalität herausstellten. In diesem Verhalten kamen sie ihrer Rolle als Experten, denen ein „Sonderwissen“ (Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 131) über ein bestimmtes Thema zugeschrieben wird, durchaus nach. Die Deutungsmacht, die eine Expertin rollengemäß beansprucht, schien mir jedoch als unreflektiertes Faktum in der Erforschung lokaler Identitätspolitiken problematisch zu sein. Schließlich stellten die Experten genauso wie alle anderen Personen im Feld für mich letztlich Akteure dar, die „an der Etablierung und Durchsetzung von Deutungen aktiv beteiligt“ (ebd.: 133) sind. Als solches erschien die Trennung zwischen Experten und Nicht-Experten nicht länger gerechtfertigt zu sein. Diese Erkenntnis, die sich beim Transkribieren und Lesen der Interviews manifestierte, lässt sich als Beobachtung zweiter Ordnung benennen. Erst in der Distanz zum Feld und ohne die Zwänge der teilnehmenden Beobachtung erschloss sich mir die Problematik des Interviews politischer Akteure. Die Rolle der Forscherin im Gespräch mit etwaigen Untersuchungsobjekten entspricht nicht der einer kritischen Journalistin, sondern vielmehr der einer interessierten Außenseiterin. Es geht im Interview weniger darum, den Standpunkt des Gesprächspartners in Frage zu stellen, als darum, ihn dazu zu bringen, diesen Standpunkt ausführlich darzulegen (vgl. Klinkhammer 2000: 115). In dieser Position trat ich unweigerlich als wohl gestimmtes Publikum auf, das stets aufmunternd nickte und wurde so zur Komplizin der jeweiligen Darstellung. Folglich versuchte ich stattdessen, verstärkt auf die non-verbale, materielle und performative Positionierung der Akteure zu achten und diese zu dokumentieren. Während ich mir also von Beginn an Gedanken über die analytische Fassung meiner Feldforschung machte und neben Feldnotizen stets auch Interpretationen stichpunktartig ausprobierte, begann ich mit der systematischen Auswertung meiner Daten nach zwei Jahren im Feld. An diesem Punkt waren die teilnehmenden Beobachtungen im Veddeler Jugendlokal und zum „Staatsvertrag“ beendet, während die „Dialog auf der Baustelle“-Veranstaltungen noch bevorstanden. Die verschiedenen Daten, die schließlich den Datenkorpus bildeten, bestehend aus Feldnotizen, Interviewtranskripten, Medienberichten und offiziellen Texten wie dem Vertragstext und den Protokollen von Bürgerschaftssitzungen habe ich mit dem Kodierverfahren der Grounded Theory analysiert, das die Autoren „The Constant Comparative Method of Qualitative Analysis“ (Glaser/ Strauss 1967: 101ff.) nennen. Die Auswertung mithilfe dieses stufenweisen Vorgehens eignet sich für alle Textgattungen und trägt im Sinne des „Theoretical Samplings“ (ebd.) dazu bei, einen zirkulären Forschungsprozess zu gewährleisten. Ich begann damit, die einzelnen Sequenzen des Datenmaterials zu lesen und mit Codes zu versehen. Die ersten Codes wurden ständig mit neueren Beispielen

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aus dem Datenmaterial verglichen und so als Kategorien expliziert. Nachdem der gesamte Datenkorpus auf diese Weise strukturiert wurde, machte ich mich daran, Verbindungen und Details der gebildeten Kategorien herauszuarbeiten. Auf der Grundlage dieser Kategorien und dazugehöriger Memos, die als theoretische Überlegungen während des Kodierens geschrieben wurden, setzte ich schließlich Schwerpunkte und bildete Schlüsselkategorien. Diese Schlüsselkategorien strukturierten die weitere Analyse und die Präsentation der Forschungsergebnisse (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2010: 205). Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Deutungskämpfe um Islam in Europa kristallisierten sich Routine und Ritual als Analysekategorien für die Untersuchung lokaler Aushandlungsprozesse heraus, die dann weiter differenziert wurden (vgl. Glaser/Strauss 1967: 113; Breidenstein et al. 2013: 113). 2.2 Fazit der Felderfahrungen Wie schon der erste Feldbesuch in der Centrum Moschee gezeigt hatte, fand meine Vorsicht, niemanden pauschal auf eine Religionszugehörigkeit oder eine andere gesellschaftliche Rolle festlegen zu wollen, im Feld keine Entsprechung. Selbst Grundschüler kannten ihre Konfession und wurden auch ganz selbstverständlich danach gefragt. Als konfessionslose Frau mit islamisch-katholischem Familienhintergrund hatte ich zuweilen meine Schwierigkeiten, mich in diese Strukturen einzuordnen. Ohne dass ich meinen Gesprächspartnern im Feld davon erzählte, schienen sie meine Unentschlossenheit zu antizipieren. Anders als Spielhaus in ihrer Dissertation berichtet (Spielhaus 2011: 73), hielt mich niemand für eine Muslimin. Auf die Frage, woher mein Nachname stammt, antwortete ich stets mit der Auskunft über die nationale Herkunft meines Vaters und die Fragenden beließen es bei dieser Information. Die Dichotomie zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen fungiert nach wie vor als stabile Selbstzuschreibung der Akteure. Die türkischstämmigen „Muslimischen Mädchen Veddel“ fühlten sich der Kategorie „arabisch“ nicht zugehörig, auch wenn dies die Sprache ihres Propheten war, die sie zumindest ansatzweise beherrschten. Mein Lebensstil als nicht-verheiratete Mutter mit deutschstämmigem Lebenspartner wog für sie schwerer, als etwaige Herkunftskonstruktionen. Besonders deutlich wurde diese Zuordnung, als wir über Namen für mein damals ungeborenes Kind sprachen und sie sich einen Spaß daraus machten, die typischen deutschen Vornamen durchzugehen. Sie entschieden sich schließlich für Hans und als ich einwandte, ich würde auch einen türkischen Namen in Betracht ziehen, fanden sie die Vorstellung, das Kind Hans-Ali zu nennen äußerst erheiternd. Für den Rest der Schwangerschaft behielten sie diesen Namen bei. Während wir Konsuminteres-

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sen teilten und uns insbesondere über Mode vergemeinschafteten, stellte die Familienplanung eine nicht verhandelbare Komponente ihrer Subjektkonstruktionen dar, die darüber entschied, wer als (gute) Muslimin galt und wer nicht. Für die Mädchen stand fest, dass sie einen Mann heiraten würden, der wie sie türkische Vorfahren hat. Eine multiethnische Ehe kam für sie nicht in Frage. Im Gegensatz zu Daniel Abdin, Vorsitzender von Al-Nour und libanesischstämmiger Deutscher, der mich häufig nach meiner Familie in Syrien fragte, ignorierten die „Muslimischen Mädchen Veddel“ meinen Migrationshintergrund, wobei sie diesen Begriff grundsätzlich nicht verwendeten. Mit Attributen wie „türkischstämmig“ statt „türkisch“, die zumindest den Versuch unternehmen, essentialistische Festschreibungen zu verhindern, konnten die Mädchen nichts anfangen (vgl. Pott 2002: 165ff.). Ihre statische Verortung, die sich auch im Spott über einen bikulturellen Vornamen äußerte, verhinderte in Fragen der ethnischen oder religiösen Identitätskonstruktion eine hybride Position, die sie in ihrer Alltagspraxis durchaus einnahmen, was sich unter anderem in ihren Konsuminteressen zeigte. Dieses Wechselspiel aus Hybridität und Essentialisierung veranschaulicht die Ambivalenzen sozialer Prozesse, die in den folgenden empirischen Analysen im Vordergrund stehen werden. Als Einstieg in die Dissertation wurden die Diskurse skizziert, die das Sprechen über Islam in Europa bestimmen. Meine Kritik an diesen Diskursen zielt nicht nur auf ihre sprachliche Fixierung und die Vernachlässigung von alltäglichen Praktiken ab. Sie nimmt auch die unterkomplexe Konstruktion von Wirklichkeit in den Blick, die diskret voneinander abgrenzbaren Kategorien und Gruppierungen verhaftet bleibt. Dem soll hier eine größtmögliche Offenheit in Hinblick auf die kontroversen Allianzen sozialer Akteure entgegengesetzt werden. In der Feldforschung zeigte sich immer wieder, dass nicht nur als Muslime auftretende Akteure Islam in der Hansestadt gestalten. Vielmehr wird er von einer Vielzahl von Beteiligten mit den unterschiedlichsten Absichten und gegenläufigen Interessen hervorgebracht. Die Fallanalysen rekonstruieren diese lokalen Identitätspolitiken als dichte Beschreibungen der vielschichtigen sozialen Wirklichkeit. In der Abbildung „Hamburg“ sind auf der nachfolgenden Seite die wichtigsten Orte meiner Feldforschung sowie die berühmtesten religiösen Symbole der Stadt kartographisch verdichtet und als wissenschaftliche Regionalisierung (vgl. Werlen: 2007) visuell darge stellt worden. Die Karte ist in ihrer Pointierung Ausdruck meiner subjektiven Hamburg-Repräsentation.

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Abbildung: „Hamburg“

Illustration: Irmgard Missall (2015).

V. Fallstudien

1 F ALLSTUDIE A: E INE H AUSORDNUNG FÜR DEN H AMBURGER I SLAM – D ER „S TAATSVERTRAG “ ZWISCHEN DEM H AMBURGER S ENAT UND DREI ISLAMISCHEN V ERBÄNDEN Als im August 2012 die Nachricht eines Staatsvertrags1 mit Islamvertretern in Hamburg die Runde machte, hatten die Vertragspartner bereits über ein halbes Jahrzehnt Verhandlungszeit hinter sich. Herausgekommen ist eine Grundlagenvereinbarung, wie sie in ähnlicher Form bereits für andere Religionsgemeinschaften in Hamburg besteht. Was ist das Besondere an diesem Vertrag? Was macht ihn zu „einem Meilenstein“ (VIKZ 2012)? Eine gemeinsame Erklärung von Verbänden und Stadt darüber, was Islam in Hamburg sein solle und was nicht, ist zu diesem Zeitpunkt einmalig in Deutschland und wird deshalb von den Beteiligten als bedeutender Schritt in Richtung institutioneller Anerkennung von Islam bezeichnet. Die Einigung lässt sich als ‚Hausordnung für den Islam‘ fassen, da sie Regeln aufstellt und Pflichten formuliert, die in einem begrenzten Raum gelten sollen. Sie schreibt Islam und Hamburg somit wechselseitig fest. Wie ich darlegen werde, erkennt der „Staatsvertrag“ weniger etwas bereits Vorhandenes an. Er schafft vielmehr einen neuen, einheitlichen, bürokratisierten Hamburger Islam, der von höchster, demokratisch-formaler Ebene abgesegnet wurde und betreibt so städtisch-religiöse Identitätsproduktion.

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Der offizielle Titel lautete: Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB- Landesverband Hamburg, SCHURA-Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren. Ich kürze ihn als Staatsvertrag ab.

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Die Fallstudie A widmet sich zunächst den Vertragsverhandlungen als Prozess der Identitätsaushandlung. In diesem Teil werden die Entstehungsnarrative der Akteure skizziert und ihre jeweilige Position in der Stadt vorgestellt. Dann werden die Bedingungen und Streitpunkte, die den Verhandlungsweg geprägt haben, ausgeführt. Im zweiten Teil der Studie steht der „Staatsvertrag“ als materielle Manifestation der Anerkennung im Fokus des Interesses. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf der Verhandlung von Lokalität als genuinem Teil der Hamburger Identitätskonstruktion. Der Diskussion des Vertragsinhalts schließt sich eine Analyse der Unterzeichnungszeremonie im Rathaus als performative Aussage an. Darin deute ich die Vertragsunterzeichnung als Übergangsritual und setze sie mit dem Beginn der Verhandlungen in Bezug, um die transgressiven Momente dieser beiden formalisierten Anlässe herauszuarbeiten. 1.1 Vertragsverhandlungen als Identitätsarbeit 1.1.1 Zur (Be-)Deutung des „Staatsvertrags“ Zunächst einmal scheint es sinnvoll zu sein, die rechtliche Bedeutung des Wortes zu diskutieren, da es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt. Die Juristen, die an den Hamburger Verhandlungen beteiligt waren, haben jeweils unterschiedliche Argumente für oder gegen die Verwendung des Begriffs angeführt. „Aber de jure ist es ein Staatsvertrag. Also auch wenn sie den Vertrag mit der evangelischen Kirche nehmen, steht da auch Vereinbarung drüber, genau das gleiche wie mit den Muslimen. Also als Staatsvertrag tituliert ist allein der Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt und dem Vatikan. Ein Staatsvertrag ist eine Vereinbarung zwischen einem Bundesland und einer Religionsgemeinschaft, in dem in umfassender Weise alle wesentlichen Fragen, Angelegenheiten, die im gegenseitigen Verhältnis eine Rolle spielen, geregelt werden“ (Norbert Müller, Interview 21.01.2013).

Im Gegensatz zu diesem praxisbezogenen Verständnis eines „Staatsvertrags“ beruft sich der Justiziar des Planungsstabs im Hamburger Senat auf eine historische Ableitung und bringt eine weitere Differenzierung mit ins Spiel: „Staatsvertrag im ursprünglichen Sinne passt natürlich sowieso nicht. Wir haben das in der Hamburger Verfassung in Artikel 43 und dort ist es definitiv anders gemeint. Da ist nämlich gemeint, ein sich Vereinbaren über Herrschaftsgewalt und das können nur Staaten. […] Es wird aber noch schwieriger bei Verträgen mit privatrechtlich organisierten Subjekten, mit denen wir es hier erstmals zu tun haben, bei den Kirchen hatten wir es zu tun mit öffentlich rechtlichen Religionsgemeinschaften, bei denen so das rechtliche Dogma ist,

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dass die auch Hoheitsgewalt ausüben, in einem gewissen Maß. Das tun private gar nicht mehr“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012).

Der Jurist aus dem Hamburger Senat spricht in diesem Zitat den Status der Körperschaft öffentlichen Rechts an, den zu diesem Zeitpunkt noch keine islamische Organisation in Deutschland erlangt hatte, um den sich allerdings einige von ihnen teilweise seit Jahrzehnten bemühen. Die Zuerkennung dieses „rätselhafte[n] Ehrentitel[s]“ (Smend 1951: 9) bedeutet rechtlich gesehen die Gleichstellung mit den anderen monotheistischen Religionen und erscheint deshalb als höchste Form der Anerkennung. Die Bezeichnung der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Hamburger Senat und den islamischen Verbänden als „Staatsvertrag“ verweist demnach auf den Wunsch, diesen Status zu erreichen oder zumindest eine vergleichbare Wirkung herbeizuführen. Ahmet Yazıcı aus dem BIG-Vorstand betonte im Interview, dass die Vertreter der islamischen Verbände durchaus wüssten, dass sie den Kirchen noch nicht gleichgestellt seien und verwies auf die Schlussbestimmung des Vertrags, die nach Ablauf von zehn Jahren eine Neubewertung der Verhältnisse vorsieht (vgl. Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013; Staatsvertrag § 13, Absatz 3). Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass mittlerweile auch in der wissenschaftlichen Literatur die Bezeichnung für Verträge mit islamischen Vereinen übernommen wird (vgl. Spielhaus/Herzog 2015: 20). Auch medial hat sich die Verwendung eingebürgert. Die Zeitungsartikel, die zum Thema erschienen, sprechen unisono von einem „Staatsvertrag“ (vgl. Klemm 2013). Während sich der Hamburger Senat mit öffentlichen Gegendarstellungen zurückgehalten hat, um keine Konflikte zu schüren, haben die islamischen Verbände in diesem Punkt ihre Deutungsmacht behauptet. 1.1.2 Anstoß und Entstehungsmythen Über den Anstoß der Verhandlungen zwischen Senat und islamischen Gemeinden gibt es widersprüchliche Erzählungen. Eine davon besteht in der Schilderung eines Iftar2-Empfangs in der Centrum Moschee im Jahr 2006, bei dem der Imam den anwesenden Bürgermeister Ole von Beust um die Aufnahme von Gesprächen gebeten habe. Von Beust reagierte auf die Anfrage sehr aufgeschlossen. So spontan diese Reaktion für Außenstehende gewirkt haben mag, widersprechen sowohl von Beust als auch der Vorstand der Centrum Moschee der Vorstellung, die Idee eines Vertrags habe an diesem Abend erst ihren Anfang genommen.

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Arabisch für ‚Brechen des Fastens‘; erste Mahlzeit nach Sonnenuntergang im Fastenmonat Ramadan (Wehr 1976: 643).

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Dass sich diese Version der Geschichte trotzdem durchgesetzt hat, verweist auf die Art und Weise öffentlicher Identitätskonstruktionen. Wie ich zeigen möchte, stellen islamische Feierlichkeiten eine Schlüsselszene der performativen Aushandlung von Islam dar. Der ehemalige Bürgermeister erklärt im Interview, er habe seit dem 11. September 2001 die formale Anerkennung von Islam auf seiner politischen Agenda gehabt und ohne besonderes „Aha-Erlebnis“ (Ole von Beust, Interview 14.03. 2013) auf die Verhandlungen hingewirkt. Tatsächlich steht bereits die Gründung der SCHURA Hamburg im Jahr 1999 in Zusammenhang mit einem möglichen Vertrag zwischen Hamburger Muslimen und Senat. Färber et al. führen die Bemühungen der Hamburger Muslime, ein einheitliches Vertretungsorgan zu schaffen, auf die Aussicht zurück, im Gegenzug mit Vertragsverhandlungen belohnt zu werden (vgl. Färber et al. 2012: 70). Dass es dann vor allem von Beusts persönliche Schwerpunktsetzung war, die Gespräche anzuschieben, lässt sich an den sieben Jahren erkennen, die zwischen der Gründung der SCHURA und dem Beginn der Verhandlungen vergingen. In dieser Zeit war von Beust auf die Koalition mit der rechtslastigen Schill-Partei angewiesen gewesen. Für diesen Zeitraum bezeichnet ein Gründungsmitglied der SCHURA den „Kontakt zum Senat selbst null“ (Norbert Müller, Interview 21.01.2013). Doch auch innerhalb der CDU gibt es bis zur Ratifizierung Bedenken gegen den „Staatsvertrag“. Ole von Beust war 2006 Regierungschef einer CDU-Alleinregierung und setzte die Gespräche gegen die Widerstände seiner Partei als Teil einer neu ausgerichteten Integrationspolitik auf die Agenda. Auf Seiten der Muslime gibt es zumindest Konsens darüber, dass das BIG (Bündnis islamischer Gemeinden in Norddeutschland) die leitende Kraft bei Anstoß und Verlauf der Vertragsverhandlungen war. Wie bereits in Kapitel IV.1 geschildert, ist das BIG der größte Akteur unter den islamischen Verbänden Hamburgs und wurde bis 2014 als Teil der IGMG vom Verfassungsschutz beobachtet. Die vielschichtige Rolle des BIG zeigt sich auch während der Verhandlungszeit. Nach eigenen Angaben und der anderer islamischer Verbände, sind es BIGFunktionäre, die sich überhaupt erst für eine politische Anerkennung in Form von Verträgen eingesetzt haben. „2006 haben wir uns dann entschlossen, uns vorzuwagen und zu sagen: Hier leben so viele Muslime, dass das auch geregelt werden muss in Zusammenarbeit mit dem Staat“ (Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013). Der Vorsitzende der Centrum Moschee betont die intensive und breit gefächerte Vorarbeit, die dem Iftar-Empfang vorausging. „Um eine gesellschaftliche Akzeptanz“ (ebd.) zu fördern, wurden im Vorfeld inoffizielle Gespräche mit politischen Akteuren und anderen Religionsgemeinschaften geführt.

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Ähnlich wie von Beust versuchen auch die BIG-Vertreter den Vertrag von Anfang an für sich zu reklamieren und den Erfolg auf die eigene Initiative zurückzuführen. 1.1.3 „Ein Vertrag für alle Verbände“? Vorstellung der betroffenen Gruppierungen Nachdem die generelle Bereitschaft für Gespräche zwischen dem Senat und der SCHURA Hamburg geklärt ist, stellt sich die Frage, welche islamischen Vereinigungen noch mit dabei sein sollen. Vor einem identitätspolitischen Hintergrund werden damit Machtkonstellationen und die Selbstverortung der betroffenen Akteure verhandelt. Es geht also auch darum: Wer darf mitmachen und welche (trans)lokalen Gründe gibt es dafür? Wer wird aus dem offiziellen Komitee zur Konzeption eines lokalen Hamburger Islam ausgeschlossen? Zunächst ist der Anstoß für die Verhandlungen im Jahr 2006 eingebettet in eine Phase deutsch-islamischer Anerkennungsinitiativen. Die Deutsche Islam Konferenz beginnt im selben Jahr ihre Arbeit und sorgt damit dafür, dass die Frage der institutionellen Anerkennung von Islam auf die bundespolitische Agenda rückt. Ein Jahr zuvor unterzeichnete Hamburg mit der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche einen Grundlagenvertrag (vgl. Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen EvangelischLutherischen Kirche 2005). Vergleichbare Vereinbarungen mit dem Heiligen Stuhl und der Jüdischen Gemeinde folgten 2006 und 2007 (vgl. Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Freien und Hansestadt Hamburg 2006; Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Jüdischen Gemeinde Hamburg 2007). Während dieser juristische Prozess in anderen Bundesländern bereits vor Jahrhunderten abgeschlossen worden war, hat Hamburg lange auf die Festschreibung der staatlich-religiösen Beziehungen verzichtet. Diese „Äquidistanz zu den Religionen“ (Ole von Beust, Interview 14.03.2013), die historisch gesehen wenig stichhaltig, jedoch fester Bestandteil des städtischen Narrativs ist, wird von den Beteiligten als Grund für die Vorreiterrolle im islamischen Institutionalisierungsprozess genannt. Die erste Bedingung des Senats besteht in der Forderung nach Einheitlichkeit, was bereits auf den Versuch hinweist, einen homogenen Hamburger Islam zu konstruieren. Gleichzeitig stellt die Frage der Einheit den Knackpunkt im Verhältnis islamischer Einrichtungen zum deutschen Staat dar (vgl. Spielhaus 2011: 128). Lange wurde die fragmentierte Struktur islamisch-deutscher Organisationen als Hindernis für Kooperationen mit dem Staat ins Feld geführt. Auch in Hamburg sind offizielle Gespräche mit dem Senat an die Forderung nach einem einheitlichen Gesprächskreis gekoppelt. Immerhin akzeptiert die Hambur-

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ger Regierung schließlich drei Verbände am Verhandlungstisch, da der Versuch, in der SCHURA Hamburg alle großen islamischen Organisationen zu vereinen, an den Türkei-politischen Querelen zwischen BIG, DİTİB und VIKZ scheiterte (vgl. Teil IV.1). Jedoch entpuppt sich die Forderung nach einem Vertrag für alle islamischen Verbände auch als selektiv auslegbar. Dies lässt sich anhand von zwei Dimensionen zeigen. Zum einen besteht zwischen Senat und islamischen Vertretern Uneinigkeit darüber, ob der Vertrag stellvertretend für alle Muslime in Hamburg geschlossen wird oder ob er nur diejenigen repräsentiert, die sich den jeweiligen Verbänden zugehörig fühlen. Um den Rahmen der Moscheegemeinden zu erweitern, führt der Senat begleitende Gespräche mit der Türkischen Gemeinde Hamburg und Umgebung (TGH), die für sich beansprucht, liberale und nicht-organisierte Muslime zu repräsentieren (Harald Winkels, Interview 14.01.2013). Jedoch muss die Legitimation der TGH genauso in Frage gestellt werden wie die der islamischen Verbände. Nicht zuletzt der Türkei-Bezug im Namen macht sie als universelle Sprecherin nicht-organisierter Muslime in Hamburg ungeeignet. Zum anderen zeigt sich auch in der Definition islamischer Gemeinden in Hamburg Interpretationsspielraum. Neben der SCHURA sind noch DİTİB und VIKZ am Vertrag beteiligt. Einen eigenen Vertrag hat die Alevitische Gemeinde bekommen, die sich offiziell als nicht-muslimisch bezeichnet. Die AhmadiyyaGemeinde wiederum ist nicht an den Verhandlungen beteiligt, da sie von anderen Muslimen nicht als Teil der muslimischen Gemeinschaft der Gläubigen anerkannt wird. Diese zwei Dimensionen, die Frage der Repräsentation sowie die selektive Beteiligung der verschiedenen Gruppierungen veranschaulichen, wie durch die Aushandlung des „Staatsvertrags“ eine spezifische hamburgischislamische Identität konzipiert wird. Im Folgenden soll dies näher beleuchtet werden. Die Frage der Repräsentation spielt für die Beziehung zwischen islamischen Organisationen und staatlichen Institutionen eine wichtige Rolle. Im Bestreben, die Position von Muslimen in Hamburg zu stärken und gleichzeitig die Sprecherschaft dieses Kollektivs zu übernehmen, werden islamische Verbände jedoch mit der Kritik konfrontiert, der Islam kenne keine Institution und könne somit auch keine legitimen gesamtreligiösen Vertreter hervorbringen. So beschreibt Jürgen Schween aus dem Planungsstab des Hamburger Senats eine entsprechende Stellungnahme der Verbandsvertreter kritisch: „[…] als die muslimischen Verbände unisono auf eine Frage die völlig falsche Antwort gegeben haben: […] Wen vertreten Sie denn? Ja, alle. […] bedeutet umgekehrt aber auch, dass man Leute für sich vereinnahmt, was natürlich irgendwann die Gefahr nach sich

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zieht, dass sie jemandem sagen können, wenn du nicht machst, was wir wollen, wir haben immerhin nen Vertrag mit der Stadt und so, bist du kein guter Muslim“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012).

Von islamischen Akteuren wird hingegen postuliert, dass Demokratie nur über die Abgabe von Stimmen bzw. die Organisation von Mehrheiten funktioniere. Wer sich nicht beteilige, nehme eben am Diskurs auch nicht teil (vgl. Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013). Dieser Vergleich verweist ähnlich wie die Bedenken des Senatsmitarbeiters auf ein containerhaftes Verständnis von Identität. Hybride Zugehörigkeitsformen, die sich situativ ändern und durchaus auch widersprüchliche Positionen vereinen können, werden hier nicht mitgedacht. Die Möglichkeit, dass jemand ohne Wunsch nach Vergemeinschaftung dem Islam angehört und die Verträge gleichsam kritisch und freudig aufnimmt, ist für die Unterzeichner des Vertrags offenbar nicht relevant. Die Komplexität und Ambivalenz einer solch hybriden Position übersteigt schlicht das Fassungsvermögen politischer Bündnisse. Die Stadt beruft sich darauf, dass sie nicht mit Einzelpersonen verhandeln könne und die Verbände stellen die große Anzahl von Gläubigen heraus, die sie in ihren Institutionen erreichen, wobei die Zahl der Muslime in Hamburg, die von den Verbänden mit 130.000 beziffert wird, lediglich auf der Erhebung von ethnischen oder nationalen Kategorien basiert. Das Problem der Repräsentation derjenigen, die sich nicht eindeutig positionieren wollen, besteht nicht im Islam allein. Zugunsten einer machtaffinen, vereinheitlichenden Identitätspolitik werden aber auch hier heterodoxe Positionen marginalisiert. Ähnlich stellt sich die Auswahl der teilnehmenden Verbände dar. Wie bereits skizziert, ist das BIG am Anstoß für die Gespräche mit dem Senat wesentlich beteiligt. Als Dachorganisation des BIG und Hauptansprechpartner für die Stadt ist somit die SCHURA Hamburg die erste feststehende Gesprächspartnerin des Senats. Wer soll noch an den Verhandlungen teilnehmen? Ein Jurist der SCHURA erzählt mir im Interview, er vermute, die Auswahl der beteiligten Verbände sei angelehnt an die Zusammensetzung der DIK, die ein Jahr zuvor ihre Arbeit aufgenommen hatte. Dort, wie auch später in Hamburg werden VIKZ und DİTİB als Verhandlungspartner nominiert. Bemerkenswert ist dies insofern, als der VIKZ auf der Bühne der politischen Partizipation eher zurückhaltend auftritt und in Hamburg auch in Bezug auf seine Verbreitung eine geringe Reichweite besitzt (vgl. Teil IV.1). Über das Engagement des Verbandes für den Vertrag heißt es, der Beitrag des VIKZ sei „überschaubar“ (Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013) geblieben. Als ältester muslimischer Verband Deutschlands, der über das drittgrößte Netzwerk an Mitgliedsgemeinden in Deutschland verfügt, soll er in Ham-

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burg offenbar nicht übergangen werden. Dies zeigt, wie translokale Aspekte in die konkrete politische Ausgestaltung einfließen. Der dritte, an den Verhandlungen mit der Stadt beteiligte Verband ist DİTİB. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. hatte ursprünglich lediglich einen Hauptsitz in Köln. Mahmut Erdem, Rechtsanwalt der Alevitischen Gemeinde, erzählt im Interview, dass DİTİB zu Beginn der Verhandlungen einen Vertreter schickte, der kein Deutsch sprach und mehrmals hinausging, um mit der staatlichen Behörde in der Türkei zu telefonieren. Kritik und Spott sind jedoch nicht das einzige Ergebnis dieser Umstände. In der DİTİB selbst entwickelt sich ein Bewusstsein dafür, dass die eigenen Strukturen den politischen Entwicklungen hinterherhinken. Die Vertragsverhandlungen mit dem Senat veranlassen DİTİB dazu, einen Regionalverband für Hamburg und Norddeutschland zu gründen. „Dann hat man gesagt, man ist mittlerweile hier sozialisiert und deswegen braucht man auch Strukturen, die dann hier gefestigt sind“ (Zekerya Altuğ, Interview 23.10.2012). Diese Entwicklung deutet auf eine „zunehmende Ausrichtung der DITIB [sic!] auf ihre deutsche Umwelt hin“ (Rosenow-Williams 2013: 3) und geht auf einen umfassenden Wandel zurück, der seit 2009 die Schaffung von Regionalstrukturen und die Diversifizierung des Tätigkeitsprofils der Organisation bewirkt hat. Rosenow-Williams, die sich mit den Veränderungen von islamischen Verbänden in Deutschland beschäftigt hat, erklärt dies mit dem Interesse an politischer und rechtlicher Anerkennung, das sich in den vergangenen Jahren auch aufgrund der fehlenden Rückkehrmotivation ausgebildet habe. Sie beschreibt dies allerdings als einen wechselseitigen Prozess, der auch durch die Forderungen der Bundesregierung, die der DİTİB eine Loslösung von der türkischen Religionsbehörde abverlangte, gefördert worden sei. Insofern kann der Hamburger „Staatsvertrag“ durchaus als Katalysator dieser Entwicklungen gedeutet werden und stellt damit eine Neuerung in der gesellschaftlichen Aushandlung von Islam dar, die allerdings ohne die passenden Kontextbedingungen nicht denkbar gewesen wäre. Für DİTİB ist dies schließlich nicht die erste Gelegenheit, sich lokal zu verorten. Während der Gründungsphase der SCHURA Hamburg stand sie schon einmal vor der Entscheidung, an in Deutschland geschaffenen Strukturen mitzuwirken und entschied damals, dass die gleichzeitige Zugehörigkeit zu einem in Deutschland gegründeten Dachverband und dem türkischen Staat als problematisch einzustufen sei. Als Konsequenz beteiligte sich DİTİB letztlich nicht in der SCHURA Hamburg, obwohl sie das Projekt in der Gründungsphase partiell unterstützte (vgl. Spielhaus 2011: 123ff.). Die Aussicht auf einen offiziellen Vertrag mit der Stadt scheint Grund genug zu sein, erneut über die lokale Einbettung nachzudenken und neue Strukturen zu schaffen. Der Regionalverband verfügt nun über einen Vorstandsvorsit-

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zenden, der dort hauptberuflich beschäftigt ist und 34 Moscheegemeinden vereint. Die Entwicklung der DİTİB veranschaulicht die Prozesshaftigkeit von Identitätspolitik und zeigt, was die staatliche Anerkennung bewirken kann, wenn das Setting stimmt. Lokale Strukturen, die letztendlich Zugehörigkeiten und Positionierungen widerspiegeln, benötigen neben bereitwilligen Akteuren auch Zeit und Gelegenheiten. Insgesamt bringt der „Staatsvertrag“ für die beteiligten islamischen Verbände durchaus Neuerungen mit sich. Entgegen dem Bekunden der Beteiligten, der Vertrag schaffe kaum substantielle Neuerungen (vgl. Daniel Abdin, Interview 22.10.2012), haben sich im Zuge der jahrelangen Verhandlungen entscheidende strukturelle Veränderungen auf Organisationsebene vollzogen, die in der jeweiligen rechtlichen Anerkennung als Religionsgemeinschaft münden. Neben diesen drei als „relevant“ eingestuften islamischen Verbänden gibt es in Hamburg noch eine weitere größere Gruppe von Muslimen, die jedoch nicht an den Verhandlungen beteiligt wird: die Ahmadiyya-Gemeinde. In ihrer Fazl-eOmar Moschee beteten in den 1960er Jahren aus Mangel an Alternativen nicht nur die wenigen Anhänger der Gruppe, sondern auch Araber, Perser und konvertierte Deutsche. Die Entstehung neuer Moscheen und die Ausdifferenzierung der verschiedenen islamischen und ethnischen Gemeinden in Deutschland machten diesen Pragmatismus obsolet. Doch auch heute pflegt die Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg nach eigenen Angaben regen Kontakt mit den anderen Religionsgemeinschaften, auch den islamischen. Diese Beziehungen seien jedoch informeller Natur. Translokale Abhängigkeiten der anderen Hamburger Muslime seien der Grund für die mangelnde offizielle Anerkennung der AhmadiyyaBewegung, (Imam der Fazl-e-Omar Moschee, Interview 15.01.2013). Diese Selbstdarstellung bindet das Machtgefüge zwischen lokalen Beziehungen und translokalen Einflüssen an die hier fokussierte Identitätspolitik von Stadt und religiösen Verbänden. Der Stellenwert sozialer Interaktionen vor Ort wird zugunsten von Verbindungen der Verbände mit islamisch geprägten Staaten abgewertet. Die Ahmadiyya-Gemeinde erfährt nach Angaben ihres Pressesprechers erst im Jahr 2012 vom „Staatsvertrag“ mit islamischen Verbänden, also zu dem Zeitpunkt als die Hamburger Öffentlichkeit darüber in Kenntnis gesetzt wird. Doch ihr Vertreter spielt die Nicht-Beteiligung herunter. Die drei Verbände hatten nach dem Vertrag gefragt und deshalb seien auch nur sie in die Verhandlungen involviert, so die Erklärung. Daraufhin seien auch mit der Ahmadiyya-Gemeinde Verhandlungen angestoßen worden. „Man muss auch dazu sagen, was in diesen Verträgen drin steht, ist für uns eigentlich selbstverständlich“ (Fazal Ahmad, Interview 30.01.2013). Mit dem Verweis auf die etablierte Grundgesetztreue der Ahmadiyya-Anhänger wertet er die Bedeutung der Vertragsinhalte ab und stellt

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die Integrationsleistungen der eigenen Bewegung heraus. Seit 2013 ist sie die einzige islamische Organisation in Deutschland, die den Status der Körperschaft öffentlichen Rechts innehat (Staatsanzeiger Hessen 2013). In Hessen ist sie zusammen mit DİTİB ab dem Schuljahr 2013/2014 an der Mitgestaltung des Religionsunterrichts beteiligt (Pressestelle der Ahmadiyya Muslim Jamaat in Deutschland 2013). Auch die DIK hat sie ab 2014 in ihren Kreis aufgenommen (DIK 2015). Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus bemerkenswert, dass die Ahmadiyya-Gemeinde vom Hamburger Senat nicht an den Verhandlungen beteiligt ist. Es zeigt, dass die Konstruktion eines vereinheitlichten Hamburger Islam durch den „Staatsvertrag“ nur auf exklusionistischer Grundlage realisiert werden kann. Der Versuch, die Hamburger Muslime unter einem Vertrag zu vereinen, ist hier dem Machtanspruch der großen Verbände gewichen. Immerhin hat der Hamburger Senat die AMJ im Jahr 2014 zur Körperschaft öffentlichen Rechts ernannt und so ihren Status in Hamburg gegenüber den anderen Verbänden aufgewertet. Abgesehen von den Verbänden, die sich selbst dem Islam zuordnen, ist für die Geschichte des islamischen „Staatsvertrags“ in Hamburg noch eine weitere Gruppe von Bedeutung: die Alevitische Gemeinde Hamburg. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich offiziell nicht als islamische Gemeinde positioniert. Das ist insofern kontrovers, als die Alevitische Gemeinde Deutschland an der DIK teilnimmt und die Frage nach der Zugehörigkeit zum Islam „ein großes Problem für die Selbstidentifizierung von Aleviten in Deutschland dar[stellt]“ (Sökefeld 2005: 128). In Hamburg hat die Alevitische Gemeinde dieses Problem nun scheinbar gelöst, in dem sie auf einen eigenen Vertrag mit dem Senat besteht. Den Aleviten wird vom Hamburger Senat eine Sonderrolle zugestanden, die sich auch aus der historischen Marginalisierung der Glaubensgemeinschaft in der Türkei erklären lässt. Während die Aleviten auf Bundesebene trotzdem mit Muslimen in der DIK kooperieren, gibt ihnen der Hamburger Senat mehr Freiheit zur Identitätskonstruktion (vgl. Süddeutsche Zeitung 2014). Diese Diskrepanz zwischen Bund und Stadtstaat deutet darauf hin, dass lokale Aushandlungsprozesse differenzierter ausgestaltet werden können, als dies auf der überregionalen Ebene realisiert wird. Die Betonung städtischer Lokalität als Katalysator für superdiversity (Vertovec 2007) findet in diesem Beispiel Bestätigung. Der zuständige Justiziar des Senats zeichnet diese Episode der Verhandlungen mit folgenden Worten nach: „Die muslimischen Verbände haben damals gesagt, naja wenn die Aleviten meinen, dass sie zu uns gehören, können sie dabei sein, haben aber natürlich gewusst, dass die Aleviten

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das so nicht sehen und die Aleviten haben erwartungsgemäß gesagt, sie sehen das nicht so und sie seien etwas eigenes“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012).

Das Zitat zeichnet die Logik von Identitätspolitik nach und zeigt, dass es den Vertretern der Religionsgemeinschaften nicht nur um politische Einbindung, sondern auch um die Besetzung eigener Positionen geht. Der Fall der Alevitischen Gemeinde illustriert auch, wie transnationale Bezüge die Positionierungen von Akteuren in Deutschland beeinflussen können. Martin Sökefeld hat diese Situation der Aleviten in Hamburg als ambivalenten Kampf um Anerkennung beschrieben. Die Ambivalenz beziehe sich, so Sökefeld, auf das Streben nach Abgrenzung von der türkischen Mehrheitsbevölkerung und den Versuch, als unmarkierter Teil der deutschen Mehrheitsbevölkerung gesehen zu werden. Nach Sökefeld brachten die Hamburger Aleviten diese Spannung mit der Aussage: „Wir sind auch da!“ auf den Punkt (Sökefeld 2003: 243). In der Abgrenzung von der Türkei und ihrer vereinheitlichenden Politik, nach der alle Türken sunnitische Muslime seien, sind die Aleviten sich treu geblieben. Der Versuch, sich in Hamburg von einer Einordnung innerhalb des islamischen Spektrums abzugrenzen, rekurriert wohl auch auf die Bestrebung als „Nichtfremde“ in Deutschland anerkannt zu werden. Doch die Gleichzeitigkeit des Vertragsabschlusses bringt die Aleviten zwangsläufig mit den Hamburger Muslimen in Verbindung und positioniert sie als eigenständige Religionsgemeinschaft mit einem gesellschaftlichen Minderheitenstatus. In Anschluss an die Logik des Rituals, die von Theoretikern wie BachmannMedick und Turner nachgezeichnet wurde, lässt sich die Phase der Sondierungen über die Frage der Teilnehmer an den Verhandlungen als Trennungsritus verstehen (vgl. Bachmann-Medick 2006: 115). Auf die rituelle Bedeutung der einzelnen Verhandlungsphasen komme ich in Kapitel 1.3 dieser Fallstudie ausführlicher zu sprechen.

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1.1.4 „Gespräche über die Möglichkeiten einer Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Muslimischen Gemeinschaft“3 – Verlauf der Verhandlungen Als Teil des gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses über Islam in Hamburg steht hier nicht nur das Ergebnis der Verhandlungen im Fokus, sondern auch ihr Verlauf. Die Rekonstruktion der Gespräche als routinierte und gleichzeitig innovative soziale Praktiken offenbart eine weitere Perspektive auf die Identitätspolitik der Akteure, die bei einer alleinigen Betrachtung des Vertragswerks verborgen bliebe. Der Diskurs der verschiedenen Akteure miteinander und übereinander illustriert sowohl die jeweiligen Selbstpositionierungen als auch die Absichten, die mit dem Vertrag verbunden werden. Vor diesem Hintergrund widmen sich die beiden folgenden Unterkapitel der Chronologie der fünfjährigen Verhandlungszeit. Überwiegende Einigkeit besteht bei den Befragten über die wesentliche Rolle, die das BIG gespielt habe. Der stellvertretende Vorsitzende der Centrum Moschee (der größten BIG Moschee) Ahmet Yazıcı stellt seine Organisation im Interview als bestorganisierten islamischen Verband innerhalb der SCHURA dar und schreibt auch die weitergehenden Entwicklungen im Verhandlungsprozess dem BIG zu. „Er [Ole von Beust, L.H.] hat gesagt: Wir brauchen die Muslime als Gemeinschaft. Es geht nicht, dass wir mit zig Gemeinschaften und Vereinen einen Vertrag machen. Das war für uns der Auftrag […] In dieser Gemengelage haben wir dann als SCHURA die DİTİB und VIKZ an einen Tisch gebeten“ (Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013).

In diesem Zitat wird deutlich, wie der Aushandlungsprozess zwischen Stadt und Verbänden einen vereinheitlichten Hamburger Islam konstruiert. Dieser wird bereits durch die Forderung des Senates nach „Gemeinschaft“ (ebd.) forciert und spiegelt sich auch im offiziellen Betreff wider, der „die Muslimische Gemeinschaft“ in Hamburg adressiert.4 Obwohl das Hauptmotiv dieser Bedingung organisatorischer Natur sein kann, hat es doch einen entscheidenden Einfluss auf den weiteren Verlauf der Verhandlungen und vor allem der Teilnehmer. Für die SCHURA und allen voran für das BIG enthält diese Aufforderung die Lizenz

3

Nach Angaben von Jürgen Schween, Justiziar des Planungsstabs im Senat, war dies der Betreff unter dem die Verhandlungen im Rathaus geführt wurden (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012).

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Vgl. die Überschrift dieses Kapitels.

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zum Handeln. Ihnen ist es nun vorbehalten, andere Verbände in den offiziellen Kreis einzuladen. Das Argument, dass mit diesen drei Verbänden die Mehrzahl der organisierten Muslime in Hamburg abgedeckt sei, vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass mit der Ahmadiyya-Gemeinde eine relativ große, bekannte und alteingesessene Organisation außen vor gelassen wird. Wie es dazu kommt, dass für die Alevitische Gemeinde eine Ausnahme gemacht wird, schildert der Justiziar des Planungsstabs im Senat, Jürgen Schween: „[…] wir haben da Muslime, wir haben auch irgendwie Aleviten, die wir nicht ganz vergessen dürfen. Natürlich auch vor einem integrationspolitischen Hintergrund nicht vergessen dürfen, weil äh Aleviten, […] ich sag mal, integrationsfreudig sind […] wir haben die Gemeinschaften, um die es so ging oder die sich selber gemeldet haben, die von uns was wollten, gefragt: Gehören sie zusammen oder nicht?“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012).

Hier klingt an, dass der Senat lediglich auf Anfragen reagiert hat und nicht selbst auf die Verbände zugegangen ist. Dementsprechend relevant in diesem Zusammenhang scheinen die Netzwerke der Religionsgemeinschaften zu sein. Abgesehen davon, dass der Vertrag mit der Alevitischen Gemeinde gewissermaßen eine Belohnung für deren Integrationsleistungen ist, hat die Gemeinde einen Rechtsanwalt in ihrem Vorstand, der früher einmal der Hamburger Bürgerschaft angehörte und nach eigenen Angaben noch immer gute Kontakte zum Rathaus unterhält (Mahmut Erdem, Interview 20.11.2012). Nachdem die Entscheidung der Aleviten gefallen ist, gibt es zunächst noch einige gemeinsame Treffen zwischen ihnen, den Islamverbänden und Senatsvertretern zur Klärung relevanter Themen. Danach werden drei Gesprächskreise eröffnet: mit Vertretern der islamischen Verbände, mit der Alevitischen Gemeinde sowie der Türkischen Gemeinde Hamburg, die jedoch nur als „laizistisches Korrektiv“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012) zu Rate gezogen wird. Dass das Ziel dieser Verhandlungen lange Zeit offen bleibt und sich der Senat nicht von vornherein auf Verträge festlegt, deutet die Umschreibung „Gespräche über die Möglichkeiten einer Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Muslimischen Gemeinschaft“ an, die Jürgen Schween als Betreffzeile während der Verhandlungszeit wählt. Auch Ahmet Yazıcı betont: „Also man darf den Staatsvertrag jetzt nicht so behandeln, als ob sich irgendwer hingestellt hätte und gesagt hätte: So jetzt machen wir mal nen Vertrag“ (Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013). Dazu passt, dass die Öffentlichkeit erst nach Abschluss der Verhandlungen über die Entwicklung informiert wird. Für die identitätsstiftende Wirkung der Verträge ist es allen Beteiligten

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wichtig, die Verhandlungen als echten Aushandlungsprozess mit offenem Ende zu präsentieren. Wenngleich es auch Spannungen und Kontroversen im Aushandlungsprozess gibt, wird der Modus der Verhandlungen von den Gesprächspartnern überwiegend gelobt. Die Religionsvertreter zeichnen ein positives Bild von der Verhandlungsatmosphäre, in der sie sich ernst genommen fühlen und fachkundig empfangen werden. „Das Thema wurde in Hamburg als Chefsache geführt“ (Zekerya Altuğ, Interview 23.10.2012). Altuğ vergleicht die Hamburger Verhandlungen mit der Bremer Situation, die er wegen der Beschränkung auf das Justizministerium als problematisch ansieht (ebd.). Obwohl die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine zügige Einigung also gegeben sind, dauert es fast sechs Jahre bis der Vertrag von den Beteiligten unterzeichnet werden kann. Die politische Führung wechselt zwischen 2006 und 2012 in Hamburg von einer CDU-Alleinregierung über eine schwarz-grüne Koalition hin zu absoluter Mehrheit und Führung durch die SPD. Der bürokratische und logistische Aufwand dieser Regierungswechsel kostet Zeit. Darüber hinaus bricht mit dem Rücktritt von Beusts auch die Unterstützung einiger CDUMitglieder für die Weiterführung der Verhandlungen ein. „Damals war ne Situation, wo man versucht hat, die Sache abzuschließen ohne einen Staatsvertrag, also uns angeboten wurde: Wir machen hier einen Abschluss, irgendeine Vereinbarung […] Und da haben wir gesagt: Nö, also entweder Staatsvertrag oder wir stehen jetzt hier auf und gehen raus und es ist gescheitert“ (Norbert Müller, Interview 21.01.2013).

Dieses Machtwort bewirkt, dass die Senatsvertreter eine gutachterliche Feststellung anordneten, die klären soll, ob die islamischen Verbände Religionsgemeinschaften seien. Nach vierjährigen Verhandlungen will das Rathaus nicht mit leeren Händen dastehen, doch eine rechtliche Absicherung des Vorhabens scheint nun notwendig. Die Verbände werden juristisch sowie religionswissenschaftlich in unabhängigen Gutachten der Universitäten Erlangen und Bremen als Religionsgemeinschaften bestätigt (Klinkhammer und de Wall 2012). Bis die Gutachten fertig sind, werden die Verhandlungen ausgesetzt. „Da standen die Verträge, die ganze Geschichte auch auf der Kippe“ (Norbert Müller, Interview 21.01. 2013). Diese Situation stellt in doppelter Hinsicht ein wichtiges Moment in der Dramaturgie der Verhandlungen dar. Die Aussetzung und Prüfung der Legitimität der Verbände durch externe Gutachter dient als translokales und transformatives Element in der städtischen Routine und offenbart den performativen Aspekt der Gespräche zur Hervorbringung eines Hamburger Islam. Die lokale Identitätspolitik, die sich in den Gesprächen ausdrückt, wird unterbrochen, um im Dis-

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kurs über die rechtliche Anerkennung von Islam in Europa anschlussfähig zu bleiben und lotet auf dieser Grundlage die Rollen der Gesprächspartner neu aus. Die Statusverschiebung der Verbände zur Religionsgemeinschaft, deren praktische Umsetzung durch das religionswissenschaftliche Gutachten belegt wird, stellt zunächst die lokal etablierten Rollen der Beteiligten in Frage. Die überregionalen Verbände VIKZ und DİTİB sind nun in ganz Deutschland als Religionsgemeinschaften anerkannt. Ebenso muss die Alevitische Gemeinschaft diesen Nachweis nicht mehr erbringen, weil sie bereits 2003 in Nordrhein-Westfalen als Religionsgemeinschaft akzeptiert worden ist. Gegenüber den anderen Kandidaten ist die Ernennung der SCHURA Hamburg zur Religionsgemeinschaft aus Sicht des Hamburger Senats die unsicherste Entscheidung aufgrund ihrer hybriden und vergleichsweise jungen Struktur, während ihre lokale Position als besonders bedeutsam einzustufen ist. Diese Situation lässt sich aufgrund der Fraglichkeit des Verhandlungsfortgangs ritualtheoretisch als Liminalität beschreiben. Dieser Schwebezustand stellt das transformative Moment des Rituals dar, in dem gerade die Möglichkeit des Scheiterns die Beteiligten dazu ermächtigt, die letztliche Aushandlung als geglückt zu bezeichnen (vgl. Bachmann-Medick 2006: 115; vgl. Strüver/Wucherpfennig 2009: 111). Wie umkämpft dieser Erfolg ist, zeigt sich auch an einer Personalie, die die Verhandlungen abermals ins Straucheln bringt. Mustafa Yoldaş, Vorstandsvorsitzender der SCHURA und Mitglied des BIG, nimmt bis 2010 an den Gesprächen mit dem Senat teil. Gleichzeitig engagiert er sich bei der IHH (Internationale Humanitäre Hilfsorganisation). Diese wird im Juli 2010 wegen einer Kooperation mit der HAMAS verboten. Dass ihm daraufhin aus dem Hamburger Rathaus geraten wird, seine Verhandlungsposition für die SCHURA abzugeben, verärgert ihn nach eigenen Angaben. „Das hat sich natürlich bei den ängstlichen Politikern, die wir hier in Hamburg haben dahingehend niedergeschlagen, dass sie gesagt haben: Ja, wenn morgen im Hamburger Abendblatt steht, der Senat verhandelt mit jemandem, dessen Verein verboten worden ist, dann ist unsere politische Karriere zu Ende“ (Mustafa Yoldaş, Interview 11.01.2013).

Yoldaş, der sich nach eigenen Angaben bereits vor dem Beginn der offiziellen Verhandlungen für die Anerkennung von Islam in Hamburg einsetzte, wird durch Daniel Abdin ersetzt, der sowohl Mitglied der SCHURA und der SPD ist. Als Vorsitzender des Islamischen Zentrums Al-Nour, das im gleichen Jahr die ehemalige Kapernaumkirche in Horn kauft, um sie in eine Moschee umzuwandeln (s. Fallstudie C), nutzt Abdin die Situation zur eigenen Profilierung und

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spielt seitdem eine herausgehobene Rolle unter den städtisch-islamischen Akteuren. Dieses Auswechseln und Lavieren der Vertreter deutet zum einen auf das Machtbewusstsein aller Beteiligten hin und verweist zum anderen wiederum auf die translokale, diskursive Ebene, auf der Islam und Muslime noch immer als Sicherheitsproblem firmieren. Die Disqualifizierung eines langjährigen Beteiligten der Verhandlungen wegen der Mitgliedschaft in einer später verbotenen Organisation zeigt, wie empfindlich das Verhältnis zwischen Senat und islamischen Verbänden in Hamburg ist und illustriert die prekäre Balance des islamischhamburgischen Aushandlungsprozesses. Hierin liegt der Kern der wechselseitigen Identitätspolitik der von mir beobachteten Akteure. Die Bereitschaft, sich auf die Verhandlungen einzulassen, kann als innovatives Engagement aller Beteiligten bewertet werden. Flankiert werden die Bemühungen allerdings durch immer wiederkehrende Momente der Verunsicherung, die sich mit Bezug auf den dominanten Diskurs um Islam in Europa in die konkreten Interaktionen einschreiben. Nachdem die Verträge von den Vertragspartnern aus Senat und Verbänden unterzeichnet sind, legt die Regierung sie der Hamburger Bürgerschaft5 zur Abstimmung vor. Diese berät beinahe ein halbes Jahr darüber, „damit Missverständnisse gar nicht erst entstehen“, wie Barbara Duden, erste Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erklärt (Duden zitiert in Klemm 2013). Diese Äußerung verweist auf eine weit verbreitete Vorsicht in der politischen Kooperation mit islamischen Einrichtungen. Die Debatte in der Hamburger Bürgerschaft, die im Folgenden nachgezeichnet wird, spiegelt dies vor dem Hintergrund zwischenparteilicher Grabenkämpfe wider. Zunächst äußert sich Kazim Abaci (SPD) zum Senatsantrag, der die Ratifizierung der Verträge mit Aleviten und Muslimen vorsieht. Er verweist auf das überparteiliche Wesen der Verhandlungen und bezieht sich damit indirekt auf die CDU-Fraktion, die nach dem Rücktritt Ole von Beusts teilweise ihre Unterstützung für das Vertragsprojekt verweigert. Der Kern seines Redebeitrags behandelt das mehrheitsgesellschaftliche „Vorurteil“ (Abaci zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012), nach dem demokratische „Werte […] den Muslimen und Aleviten nicht selbstverständlich“ seien (ebd.). Am Ende betont er die Bedeutung der Verträge für die durch Vielfalt gekennzeichnete Hamburger Gesellschaft. Dahingegen greift der nachfolgende Redner, Dietrich Wersich (CDU) das Integrationskonzept auf, das weniger auf die Anerkennung von Diversität als auf die Durchsetzung einer Leitkultur abzielt, und äußert Ver-

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Die Bürgerschaft ist das Landesparlament Hamburgs.

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ständnis für „die Sorgen […], die sich die Menschen in der Stadt machen.“ (Wersich zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012). Darüber hinaus erinnert er daran, dass sich viele Muslime in Hamburg „durch diese Institutionen [SCHURA Hamburg, DİTİB und VIKZ, Erläuterungen L.H.] nicht vertreten fühlen“ (ebd.) und greift damit den Aspekt der Repräsentation auf, der auch in der vorliegenden Analyse diskutiert wird. Sowohl Antje Möller (Die Grünen) als auch Anna-Elisabeth von Treuenfels (FDP) verweisen in ihren Redezeiten auf das bereits vorhandene soziale Miteinander zwischen Anhängern verschiedener Religionsgemeinschaften und anderen Hamburger Bürgern. Sie kommen jedoch zu einem unterschiedlichen Schluss: Während die Fraktion der GRÜNEN die Verträge mit Muslimen und Aleviten ausdrücklich unterstützt, spricht sich von Treuenfels im Namen ihrer Partei dagegen aus und kritisiert den Ausschluss der Bürgerschaft aus den Verhandlungen. Außerdem gibt sie zu bedenken, dass kopftuchtragende Musliminnen einen Artikel des Vertrags als „Grundlage für politische Ansprüche“ (von Treuenfels zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012) nutzen könnten (vgl. Kapitel V.1.2). Christiane Schneider (Die Linke) lobt die „Vorreiterrolle Hamburgs“ (Schneider zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012), die nicht nur nach Deutschland und Europa ausstrahle, sondern auch die „Trennung zwischen Kirche und Staat“ (ebd.) in mehrheitlich islamischen Ländern voranbringen könne. Am Ende der Debatte überweist die Hamburger Bürgerschaft die Verträge an den Verfassungs- und Bezirksausschuss. Im Juni 2013 werden sie schließlich von der Bürgerschaft unterzeichnet. Die lange Phase der Vertragsverhandlungen und der anschließenden Beratungszeit, die sich das Hamburger Abgeordnetenhaus für die Entscheidung nimmt, macht Hamburg trotz des frühesten Verhandlungsbeginns zum zweiten Bundesland mit einem solchen Vertrag. Bremen hat einige Monate vorher eine ähnliche Vereinbarung mit drei islamischen Verbänden, jedoch noch nicht mit der Alevitischen Gemeinde besiegelt (Bremische Bürgerschaft 2013). 1.1.5 Über Schwimmunterricht und finanzielle Unterstützung – Inhaltliche Differenzen im Aushandlungsprozess Wie oben beschrieben, wird das Klima bei den Verhandlungen von allen Beteiligten gelobt. Dass es trotzdem Uneinigkeiten und inhaltliche, zum Teil unüberbrückbare Differenzen gab, ist sicher kein Einzelfall, wenn sich Lobbygruppen und Staatsvertreter treffen. Die Themen selbst sind es, die mehr über das Verhältnis der Verhandlungspartner verraten. Bei den Gesprächen werden die rele-

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vanten Schlagworte des mehrheitsgesellschaftlichen Diskurses über Islam und Muslime in Deutschland abgearbeitet. Es wird über die Möglichkeiten des Muezzinrufs, das Tragen von Kopftüchern, die Teilnahme am Schwimmunterricht und die Förderung von Moscheeneubauten gesprochen. Zusammengefasst geht es bei diesen Themen um die Sichtbarkeit von Islam im öffentlichen Raum und um die Frage, inwiefern der Staat diese Sichtbarkeit fördern oder begrenzen soll. Dies lässt sich an zwei Beispielen zeigen. Die Islamvertreter haben sich nach eigenen Angaben von einem „Staatsvertrag“ vor allem finanzielle Unterstützung durch denselben erhofft. Da es monetäre Zuwendungen in Hamburg für keine Religionsgemeinschaft (außer aus historischen Gründen für die Jüdische Gemeinde Hamburg) gibt, schlägt der Senat diese Bitte von vornherein aus. Die Finanzierung von Moscheebauten und die Ausbildung von Imamen und Religionslehrern stellt allerdings eine entscheidende Bedingung für die Ausübung von Religionsfreiheit dar. Norbert Müller (SCHURA) bringt die Forderung nach in Deutschland ausgebildeten Imamen, die vor allem vonseiten der Politik vorgetragen wird, in Zusammenhang mit den steigenden Kosten der Moscheevereine und begründet damit das Recht der Muslime auf staatliche Förderung (Norbert Müller, Interview 21.01.2013). Auch der Hamburger Senat weiß um die finanziellen und infrastrukturellen Probleme islamischer Organisationen. Die Kombination aus gesellschaftlicher Ablehnung von Moscheebauprojekten und dem fehlenden Budget vieler Moscheevereine führe nach wie vor in vielen Fällen dazu, dass Moscheen provisorisch und prekär untergebracht seien (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012). Die Frage nach der Finanzierung überschreitet allerdings offensichtlich die Grenze des städtischen Entgegenkommens. So unbedarft die Errichtung der ersten Moscheen von deutschen Unternehmen unterstützt wurde (vgl. Mıhçıyazgan 1990: 11), so undenkbar erscheint dies heutzutage. Eine zweite, für die Analyse des Aushandlungsprozesses beispielhafte Kontroverse bezieht sich auf die Teilnahme von Mädchen am schulischen Schwimmunterricht. Die immer wiederkehrenden Debatten darüber, ob muslimische Mädchen am geschlechterübergreifenden Schwimmunterricht teilnehmen müssen oder nicht, stehen symbolhaft für die Konflikte, die zwischen Teilen der Mehrheitsgesellschaft und einigen Muslimen ausgetragen werden. Bei den Verhandlungen in Hamburg versucht der Senat den Verbänden eine offizielle Aufforderung an die Eltern zu entlocken, ihre Töchter zum Schwimmunterricht zu schicken. Auch die TGH, mit denen das Rathaus Begleitgespräche führt, spricht sich dafür aus. In ihrer Rolle als Vertreterin liberaler Muslime greift sie das Thema Schwimmunterricht auf, um dem Senat die „fundamentalistische“ (Harald Winkels, Interview 14.01.2013) Haltung einiger Verbände vor Augen zu führen. Die

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islamischen Vertreter weisen die Verantwortung für das elterliche Schwimmverbot mit der Begründung von sich, dies sei ein „elternrechtliches Thema“ (Zekerya Altuğ, Interview 23.10.2012). Mehr als ein Bekenntnis zum gemeinsamen Schwimmunterricht könnten die Religionsgemeinschaften nicht leisten. Die Haltung zu dieser Frage markiert offenbar die Grenze der verbandlichen Sprecherschaft. Während die islamischen Religionsgemeinschaften ihre Legitimität damit untermauern, die Mehrzahl der Muslime in Hamburg zu vertreten, berufen sie sich in diesem kritischen Punkt auf ihren eingeschränkten Kompetenzbereich. In beiden Fällen rücken die Gesprächspartner nicht von ihrem Standpunkt ab, weil ihnen dazu letztendlich die Kompetenz fehlt. Es ist darüber hinaus anzunehmen, dass die kontroversen Punkte nicht um jeden Preis geklärt werden sollen, da für alle Beteiligten ein Zustandekommen des Vertrags die höhere Priorität hat. Wie von den Akteuren mehrfach betont, stellen weniger die inhaltlichen Regelungen den Verdienst der Verhandlungen dar, als die Tatsache, dass durch den Vertrag die religiösen Verhältnisse in der Hansestadt neu sortiert werden. Insofern bleibt abzuwarten, welche weiteren Errungenschaften in Zukunft auf der Basis der rechtlichen Anerkennung erreicht werden können. Dagegen deutet ein Beitrag der Islamwissenschaftlerin Rita Breuer an, wie der „Staatsvertrag“ auch für die Profilierung islamkritischer Positionen instrumentalisiert werden kann. Breuer konstatiert, dass der Vertrag vor allem in Bezug auf die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen „fatal“ (Breuer 2012) sei und jede Wirkung auf das Problem der Geschlechterungerechtigkeit verfehle. Sie stützt ihre Argumentation auf die binäre Trennung zwischen der „relativ fortschrittlichen alevitischen Gemeinde sowie eher traditionellen bis islamistischen“ (ebd.) islamischen Verbänden und kritisiert sogar die Entscheidung der Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer, die die Verbände als Religionsgemeinschaften einstufte. Hier scheint deutlich die diskursive Lagerbildung durch, der sich Breuer offensichtlich anschließt, wenn sie Klinkhammer als „für ihre Islamfreundlichkeit bekannte Autorin“ (ebd.) bezeichnet, so, als sei Islamfreundlichkeit per se verwerflich. Am Beitrag von Breuer, der in der feministischen Frauenzeitschrift EMMA erschienen ist, lässt sich zeigen, dass der problembehaftete Islamdiskurs Schnittmengen zwischen Boulevardpresse, feministischen Medien und akademischen Fachdebatten eröffnet. Breuer nimmt den Vertrag zwischen Hamburger Senat und islamischen Verbänden zum Anlass, ihre universelle Islamkritik zu positionieren sowie sich mit wenig zielführenden Forderungen nach einem „Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst“ (ebd.) zu profilieren und treibt damit die diskursive Polarisierung von Islam und Europa, wie sie in Kapitel II skizziert wurde, weiter voran.

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Nachdem in diesem Kapitel der Aushandlungsprozess und die Begleitumstände der Verträge rekonstruiert wurden, beschäftigt sich der folgende Teil mit der performativen Bedeutungsproduktion, die die beteiligten Akteure mit Bezug auf die Verträge betreiben. 1.2 Vertragswerk als Identitätsmanifest 1.2.1 Vertragstexte im Vergleich Um die Relevanz und Stoßrichtung des „Staatsvertrags“ zwischen den islamischen Verbänden und der Vertretung der Hansestadt Hamburg beurteilen zu können, bietet sich der Vergleich des islamischen-hamburgischen Vertrags mit den jeweiligen Vereinbarungen der Alevitischen Gemeinde und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche an. Dabei scheint ein schrittweises Vorgehen sinnvoll zu sein: Zunächst werden die neuen Verträge mit dem Text der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bezug gesetzt, um dann in einigen relevanten Punkten untereinander verglichen zu werden. Da es in dieser empirischen Studie vor allem um den Akt des Aushandelns geht, werden die Vertragstexte in Hinblick auf ihre rechtlichen Inhalte lediglich grob skizziert und vor allem daraufhin überprüft, welchen Platz sie den Religionsgemeinschaften in der Stadt zuweisen. Auf den ersten Blick ähneln sich die Verträge inhaltlich und sprachlich sehr. Der juristische Vertreter der Alevitischen Gemeinde sagt im Interview ausdrücklich, dass sich der Vertrag seiner Gemeinde an dem der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche orientiere (Mahmut Erdem, Interview 20.11.2012). Alle Verträge enthalten eine Präambel, in der das gegenseitige Verhältnis erläutert wird, sowie Artikel zur Glaubensfreiheit und Rechtsstellung, Bildungs- und Hochschulwesen, Bestattungswesen, Seelsorge, Feiertagsrecht, Rundfunk, Freundschaftsklausel und Schlussbestimmung. Der Vertrag der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche verfügt darüber hinaus in einzelnen Artikeln über Körperschaftsrechte, kirchliches Eigentum und Denkmalpflege, Gebühren und Kirchensteuerrecht, Meldewesen und Datenschutz, Sammlungswesen, Aufgaben kirchlich-diakonischer Einrichtungen und Kirchengerichte. Diese zusätzlichen Artikel zeigen bereits, dass die drei Verträge erhebliche Unterschiede aufweisen. Einer der wichtigsten Unterschiede besteht im Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts, den die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche innehat und den die islamischen Religionsgemeinschaften anstreben. Er positioniert eine Gemeinschaft im öffentlichen Interesse und gibt ihr gesamtgesellschaftliche Relevanz (vgl. Spielhaus/Herzog 2015: 19). Der hamburgisch-islamische Vertrag enthält eine Zukunftsklausel, die die Neubetrachtung der Verhält-

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nisse in zehn Jahren vorsieht, wenn in Hinsicht auf die SCHURA Hamburg die notwendige Bedingung der Dauer hinreichend gewährleistet sein könnte, um dem Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts zu genügen (vgl. Jürgen Schween, Interview 22.11.2012). Vor diesem Hintergrund lässt sich schwerlich von einer Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften sprechen. Auch die Präambeln der Verträge verdeutlichen die unterschiedlichen Ausgangslage. Während die gemeinsame Erklärung von Senat und Nordelbischer Evangelisch-Lutherischer Kirche „gewachsene Beziehungen“, die „kirchliche Mitverantwortung des öffentlichen Lebens“ und die „gemeinsamen Aufgaben zum Wohle der Menschen in Hamburg“ (Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche 2006) betonen und so die Gleichberechtigung und lange Tradition der Beziehungen hervorheben, demonstrieren die einleitenden Sätze des hamburgisch-islamischen Vertrags ein Verhältnis, das noch nicht vollständig austariert ist. Dabei wird Islam noch immer als migrantische Religion gefasst, wie die Formulierung „Religion […] als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen“ (Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB- Landesverband Hamburg, SCHURA-Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren 2012) zeigt. Geht es beim hamburgisch-evangelischen Vertrag um die Gestaltung des „öffentliche[n] Leben[s]“ insgesamt, beschränkt sich die Bedeutung des Vertrags mit Muslimen der Präambel zufolge auf die „Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens“ als „Bestandteil des religiösen Lebens“ (ebd.). In dieser Gegenüberstellung wird die ungleiche Position der Verträge und damit auch der Stellung der Religionsgemeinschaften sichtbar. Mit dem Bekenntnis, die Distanz zur Mehrheitsgesellschaft überbrücken zu wollen, wird die Fremdheit der „Bürgerinnen und Bürger islamischen Glaubens“ (ebd.) gleichsam festgeschrieben und der Eindruck erweckt, Islam und Alevitentum seien noch immer neuartige Erscheinungen in der hamburgischen Gesellschaft. Während der „Staatsvertrag“ und die rechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft geeignete Instrumente sind, die Existenz der islamischen Gemeinschaft als gesellschaftliche Minderheit zu schützen, bleibt es fraglich, ob sie „Muslime und islamische Religionsgemeinschaften“ (Daniel Abdin zitiert in SCHURA Hamburg 2013) grundsätzlich in die Lage versetzen, „die deutsche Gesellschaft gleichberechtigt mit[zu]gestalten“ (ebd.), wie es von Abdin formuliert wird. An diesem Anspruch zeigt sich, dass die lokale Aushandlungslogik von Islam in Hamburg nur schwerlich in die theoretischen Modelle von Kommunitarismus und Identity Politics (s. Teil III) eingeordnet werden können. Die beteiligten Akteure verweisen praktisch

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und diskursiv auf die Spannung zwischen Inklusion und Abgrenzung und erschaffen so eine ambivalente hamburgisch-islamische Identität. Wesentliche Aspekte des diskursiven Verhandlungsprozesses, die in den vorigen Kapiteln diskutiert wurden, sind auch Gegenstand der beiden Verträge mit Muslimen und Aleviten und werden nun einer komparativen Analyse unterzogen. Dies gilt für die Repräsentation der Gläubigen und somit den Geltungsbereich der Verträge, die Positionierungen der Religionsvertreter in Hinsicht auf körperpolitische Fragen sowie den Erwerb der Körperschaftsrechte und die Mitgestaltung des Religionsunterrichts. Der Vertrag der Alevitischen Gemeinde enthält einen Artikel über den Geltungsbereich, in dem die Mitgliedsgemeinden aufgezählt und eine Geltung des Vertrags für andere Gemeinden implizit ausgeschlossen wird (Vertrag der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. 2012). Dieser Artikel fehlt im Vertrag der islamischen Verbände. Angesichts der oben beschriebenen Unklarheiten über die Reichweite eines Vertrags mit Religionsgemeinschaften auf einzelne Gläubige, wirkt das Fehlen dieser Klausel wie die Manifestation eines Repräsentationsanspruchs. Eine weitere Stelle im Vertrag der Muslime weicht die Begrenzung der Bestimmungen auf die unterzeichnenden Verbände auf. Artikel 3 befasst sich mit islamischen Feiertagen und versieht diese „mit den Rechten aus §3 des Feiertagsgesetzes für islamische Religionsangehörige“ (Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA-Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren 2012). Diese Formulierung zeigt, dass eine Differenzierung zwischen Mitgliedern der Religionsgemeinschaften und unabhängigen Gläubigen derselben Religion schwer möglich ist und der Vertrag durchaus Auswirkungen auf alle Hamburger Muslime haben kann. Mehr noch wird damit sein Anspruch verdeutlicht, einen einheitlichen Hamburger Islam zu konstruieren, der sogar in die Arbeitszeitregelungen einzelner Personen hineinreicht. Ein weiterer Punkt, der auf das Verhältnis und die Positionierung von Aleviten und Muslimen in Hamburg rekurriert, liegt in der Körperpolitik. Die Alevitische Gemeinde zeichnet sich durch gemischtgeschlechtliche religiöse Rituale aus und verzichtet auf das Tragen des Kopftuchs. Damit hat sie sich den Ruf erarbeitet, „integrationsfreudig“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012) zu sein. Dazu passend enthält Artikel 2 ihres Vertrags eine Protokollerklärung mit dem Hinweis darauf, „dass Frauen und Männer nach alevitischer Lehre auch im Gemeindeleben gleichberechtigt sind“ (Vertrag der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. 2012). Im Vertrag der islamischen Verbände stellt die Protokollerklärung zum Artikel 2 „Gemeinsame

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Wertegrundlagen“ fest, dass „Frauen und Mädchen […] nicht wegen einer ihrer religiösen Überzeugung entsprechenden Bekleidung in ihrer Berufsausübung ungerechtfertigt beschränkt“ (Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA-Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren 2012) werden dürfen. In diesem Vergleich wird die unterschiedliche Schwerpunktsetzung der Verträge deutlich. Der Gleichbehandlung der Geschlechter im alevitischen Vertrag steht die Gleichbehandlung von kopftuchtragenden Musliminnen und Nicht-Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber. Dies muss nicht unbedingt dem geringen Stellenwert von Geschlechtergerechtigkeit auf Seiten der Muslime geschuldet sein, sondern illustriert vor allem deren Bestreben, der Debatte um das muslimische Kopftuch, wie sie seit Jahren in Europa geführt wird, eine offizielle „Kopftucherlaubnis“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012) entgegenzusetzen. Beide Artikel äußern das Bekenntnis zur Gleichberechtigung der Geschlechter, jedoch spricht sich nur die Vereinbarung der Aleviten gegen psychische und physische Gewalt aus. Das letzte Thema, das in die Analyse der Vertragstexte einfließen soll, wird sowohl von Mahmut Erdem, dem alevitischen Vertreter, als auch von den islamischen Verhandlungspartnern als besonders relevant eingeschätzt: „Unsere Priorität war der Erziehungsbereich“ (Mahmut Erdem, Interview 20.11.2012). Konkret geht es um die Mitgestaltung des Religionsunterrichts, der in Hamburg bis dato als ein Religionsunterricht für alle unter evangelischer Verantwortung firmiert. Um das zu ändern, müssen die islamischen Verbände zunächst als Religionsgemeinschaften anerkannt werden, was im Zuge der Vertragsverhandlungen geschieht (vgl. Kapitel V.1.1.4). Nun wird mit der Gründung einer interreligiösen Kommission ein Aushandlungsprozess angestoßen, in dem die Frage geklärt werden muss: „Wer darf in welchem Grade diesen Unterricht beeinflussen? […] Und das ist das eigentlich Neue daran, dass man versuchen will, Wege zu finden da zu einer gleichberechtigten Mitsprache zu kommen“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012). Entgegen der von den Beteiligten häufig wiederholten Phrase, der „Staatsvertrag“ habe lediglich symbolische Funktion und bringe kaum Neuerungen, konnte anhand der hier dargestellten Analyse gezeigt werden, dass sowohl die Änderung des Feiertagsgesetzes als auch der Anstoß zur Reform des Religionsunterrichts spürbaren und dauerhaften Wandel mit sich bringt, der nicht nur die beteiligten Verbände betrifft, sondern gesamtgesellschaftliche Auswirkungen hat. Gleichzeitig relativiert sich die Behauptung, Hamburg habe in der Institutionalisierung von Islam eine „Vorreiterrolle“ (Schneider zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012) inne, auf die die Beteiligten so stolz ver-

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weisen. Andere Bundesländer haben zeitgleich ähnliche Anstrengungen mit vergleichbaren Ergebnissen in der Anerkennung von Islam unternommen (vgl. Spielhaus/Herzog 2015). Diese gemeinsame Erzählung über das besondere Verhältnis von Islam und Hamburg ist weniger objektive Zustandsbeschreibung als vielmehr Teil einer lokalen Erzählung, die die städtische Identität mitprägt. Während sich die Verträge in den Diskurs um Islam als Migrantenreligion in Europa einordnen lassen, verweist die Positionierung als „Vorreiter“ auf eine gemeinsame lokale Bedeutungsproduktion, die sich vom universellen Islamdiskurs abzugrenzen versucht. 1.2.2 Hamburg erzählen Zur Konstruktion einer lokalen Identität, wie sie mittels der vertraglichen Einigung von Islamvertretern und Hamburger Senat lanciert wird, ist die symbolische Aufladung des Kontexts nützlich. In diesem Sinne wird in den Vertragsgesprächen nicht nur die Frage verhandelt, wie Islam in Hamburg sein soll, sondern auch: Was unterscheidet diesen Islam aufgrund seiner Verortung in Hamburg von anderen? Wie prägen die bereits mobilisierten Hamburger Identitäten seine Konzeption? Diese Fragen beziehen sich auf bestimmte Vorstellungen über Hamburg als imaginierte Einheit. Die manifestierten Hamburg-Narrative entfalten allein durch ihre große Verbreitung Wirkmächtigkeit, auch wenn sie vielfach in Frage gestellt werden können. Die dominante Konstruktion Hamburgs nutzt Kosmopolitismus, Weltoffenheit, Unternehmergeist und Distanz zwischen Staat und Kirche als konzeptuelle Bausteine. Diese Charakterzüge werden von den Beteiligten des „Staatsvertrags“ als Grundlagen ihres Hamburg-Bildes geschildert und in Zusammenhang mit der als früh wahrgenommenen politischen Einbindung von Islam gesetzt. In den Äußerungen der Verhandlungspartner wird Hamburg stets als Stadt bezeichnet. Die Funktionen und politischen Spielräume, die dem Bundesland Hamburg eigen sind, kommen lediglich zur Sprache, wenn sie im Vergleich zu Flächenstaaten als engere Verbindungen von Kompetenzen und Infrastruktur und kürzeren Wegen verräumlicht werden. Die Zuschreibung, Hamburg sei weltoffen und kosmopolitisch, hat die Stadt ihrem Hafen und der damit verbundenen Zirkulation Ankommender und Abreisender zu verdanken. In den Äußerungen der Interviewpartner werden zwei, theoretisch eher gegensätzliche Konzepte, häufig miteinander verwoben: Vielfalt und Integration. „Integration ist ja keine Bringschuld der Minderheit, sondern es müssen beide Seiten aufeinander zugehen und das wurde uns jetzt signalisiert durch den Senat, dass wir doch uns

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in der Mitte der Gesellschaft befinden. Wir sind eine Bereicherung für die Gesellschaft mit unserer Vielfältigkeit. […] Hamburg war schon immer vielfältig“ (Daniel Abdin, Interview 22.10.2012).

Obwohl der SCHURA-Vertreter am Integrationsparadigma Kritik übt, indem er einseitige Forderungen an Muslime zurückweist, bedient er sich weiterhin des Begriffs. Außerdem reproduziert er die Idee, Muslime und Nicht-Muslime in Hamburg würden zwei monolithische Blöcke bilden, die sich aufeinander zu bewegen müssen. In dieser Äußerung findet sich die Argumentationslogik des Multikulturalismus-Diskurses wieder, der in Deutschland in den 1980er Jahren gegen Fremdenfeindlichkeit geführt wurde. In der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung wurde das Konzept jedoch für seine Zementierung der vermeintlichen Andersartigkeit von Migranten kritisiert (vgl. Nassehi 1997). Die Nennung von gesellschaftlicher „Bereicherung“ durch Muslime rekurriert auf eine weitere Logik, die gesellschaftliche Teilhabe nach humankapitalistischen Kriterien beurteilt. Das Modell der unternehmerischen Stadt kombiniert wirtschaftliche und kulturelle Potentiale in einer Stadt und adressiert sie als weiche Standortfaktoren. In diesem Zusammenhang verschmelzen die Konzepte Integration und Diversität zu rationalistischen Indikatoren städtischer Attraktivität. Einig sind sich die Gesprächspartner in der Betonung ihrer individuellen Zugehörigkeit zu Hamburg und Norddeutschland. Ohne danach gefragt worden zu sein, bekunden die islamischen Vertreter ihre tiefe Verwurzelung mit Stadt und Region. Abdin betont sogar, sein Herz schlage „ausschließlich hanseatisch“ (Daniel Abdin, Interview 22.10.2012). Die Offensivität, mit der meine Interviewpartner ihre Verbundenheit zu Hamburg kundtun, wirkt wie der Versuch, den eigenen Repräsentationsanspruch zu legitimieren. Auch vonseiten der Hamburger Politiker wird der Stolz auf die Verträge mit dem Stolz auf die eigene Stadt verflochten (vgl. Christiane Schneider zitiert in Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg 2012). Wenn, wie zu vermuten ist, politisches Kalkül zumindest ein Aspekt dieser konzertierten Betonung von Lokalität darstellt, unterstreicht dies die identitätspolitische Bedeutung des Lokalen für alle Akteure. Die lokale Verbundenheit stellt eine Gemeinsamkeit dar und wird somit zur genuinen Grundlage des Aushandlungsprozesses. Nur weil die Beteiligten sich in Hamburg verorten, verhandeln sie gemeinsam über Islam. Darüber hinaus lässt sich der Hamburg-Bezug als legitimierendes Instrument ausspielen und balanciert so die Dominanz des problembehafteten Islamdiskurses gegenüber den situativen Praktiken der Akteure aus. Die Aneignung Hamburgs verschafft Abgrenzung, wo translokale Bezüge die konkrete Praxis des Hamburger Islam dis-

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kreditieren könnten. Dadurch wird das Lokale zum Schlüsselmotiv der hier untersuchten Politiken. 1.2.3 Für die Muslime, für den Islam, für Hamburg? – Diskursive Einordnung des „Staatsvertrags“ Was bedeutet der Vertrag nun für die Entwicklungen der Institutionalisierung und Subjektivität, die den überlokalen Islamdiskurs strukturieren? Die Kontroverse der beiden Bundespräsidenten Wulff und Gauck (vgl. Gauck zitiert in Steffen 2012; Wulff 2010) um die Zugehörigkeit von Islam respektive von Muslimen zu Deutschland zeigt, dass hier eine diskursive Trennung zwischen Religion und Religionsanhängern vollzogen wird, die strukturellen gesellschaftlichen Wandel thematisiert. Gaucks Argumentation lässt sich auf die Formel bringen, dass die Aufnahme von Muslimen in eine nicht-muslimische deutsche Mehrheitsgesellschaft möglich sei, ohne dass sich die Mehrheitsgesellschaft essentiell verändere. Eine Religion als Ganzes erschüttere hingegen bestehende Kräfteverhältnisse, soll sie einen gleichberechtigten Platz im gesellschaftlichen Glaubenskanon einnehmen. Der „Staatsvertrag“ zeigt jedoch, dass die analytische Trennung von Islam und Muslimen der Realität nicht gerecht wird, indem er den Zusammenhang dieser beiden Elemente verdeutlicht. Er wirkt sich nicht nur wesentlich auf die Religion als soziale Institution aus, weil er eine lokale Dependance erschafft, sondern auch auf die Gläubigen, weil sie von den Regelungen direkt betroffen sind. Die beteiligten Akteure benennen Islam und Muslime als Adressaten des Vertrags. Es handelt sich dabei nicht um eine sprachliche Unschärfe, wie ich zuerst annahm, sondern um ein bewusstes Vereinen von Struktur und Handelnden. Im Diskurs der Vertragsbeteiligten zeigt sich jedoch, dass es eine Wertung zwischen diesen beiden Ebenen gibt. Die Institutionalisierung von Islam steht mittlerweile mehr im Fokus des Interesses als die Gewährleistung subjektiver Religionsausübung und Identitätskonstruktion (vgl. Jürgen Schween, Interview 22.11.2012). In der Analyse der Stellungnahmen zur Bedeutung des Vertrags lässt sich erkennen, dass die Unterscheidung zwischen Islam und Muslimen als Markierung für die Relevanz des Vertrags genutzt wird. Die TGH, die sich als Stimme der liberalen Muslime positioniert, betont die „Wertschätzung […] gegenüber Muslimen als Teil dieser Gesellschaft“ (Harald Winkels, Interview 14.01.2013) und spielt damit eine institutionalisierende Funktion herunter. Ähnlich wie im Streit um die Begrifflichkeit „Staatsvertrag“ kristallisieren sich mehrere Lager im Verhandlungsprozess heraus. Die Vertreter der Religionsgemeinschaften versuchen ihre Übereinkunft mit der Stadt als Schritt zur Gleichbehandlung mit den christlichen Kirchen und der Jüdischen Gemeinde zu präsentieren und ihm eine höchst

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mögliche Relevanz sowohl für den einzelnen Gläubigen als auch für Islam als Institution zuzuschreiben. „Und da zirkuliert die ganze Debatte, also sind die Muslime als Individuen mit ihrer privaten Religionsausübung Bürger dieses Landes oder akzeptierter Bestandteil? Oder die Religion mit ihren Ritualen, mit ihren Bauwerken mit ihren ja auch Religionsgemeinschaften? Sind das anerkannte Akteure? Und da hat der Staatsvertrag einen Pflock eingeschlagen und das ist die Hauptrelevanz des ganzen Unterfangens“ (Norbert Müller, Interview 21.01.2013).

Diejenigen Akteure, die im Vertragsdiskurs eine eigenständige Position neben den islamischen Verbänden einnehmen wollen, marginalisieren die Errungenschaften des Vertrags. Dies gilt für den Sprecher der Alevitischen Gemeinde, der das Erreichte nur für die Aleviten akzeptabel findet, „weil Aleviten erstmals öffentlich wahrgenommen werden“ (Mahmut Erdem, Interview 20.11.2012). Der Ahmadiyya-Vertreter und der Vorstandsvorsitzende der TGH unterstellen ein schwieriges Verhältnis der islamischen Vertragspartner zum deutschen Grundgesetz und distanzieren sich und ihre Organisationen von diesen Strömungen, weshalb sie die meisten Punkte des Vertrags als Selbstverständlichkeiten abtun. In den Äußerungen meiner Interviewpartner wird deutlich, dass das statische Integrationskonzept nach wie vor Wirkungsmacht besitzt und als Modell zur Systematisierung, Gruppierung und Hierarchisierung gesellschaftlicher Minderheiten dient. Obwohl einige religiöse Akteure durchaus kritische Anmerkungen zum Thema machen, scheint es trotzdem einen unausgesprochenen Wettbewerb zwischen den Religionsgemeinschaften zu geben, wer am besten „integriert“ sei. Dabei wird vor allem die SCHURA von der Alevitischen Gemeinde, der TGH und dem Senat als „relativ fragiles Konstrukt“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012) angesehen, weil sie so unterschiedliche Vereine unter ihrem Dach vereint. Dieser Vorwurf ist allerdings höchst paradox, war das doch von Anfang an das Ziel der SCHURA, welches sich aus den Forderungen des Senats ergeben hat (vgl. Färber et al. 2012: 70 in der Fußnote). Die Aleviten behaupten, sich „am schnellsten integriert“ (Mahmut Erdem, Interview 20.11.2012) zu haben und Jürgen Schween aus dem Hamburger Senat bestätigt, dass der Vertrag mit der Alevitischen Gemeinde vor allem als Honorierung „vor einem integrationspolitischen Hintergrund“ zu verstehen sei, während der Vertrag mit den Muslimen bezwecken solle, „dass man dadurch Dinge stützt, die dann in eine bestimmte Richtung gehen“ (Jürgen Schween, Interview 22.11.2012). Der Versuch des Senats, die Verbände durch den Vertrag zu kontrollieren ist nicht überraschend, geht es in politischen Vereinbarungen doch allzu oft um die gegenseitige

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Zähmung von Machtbestrebungen. Besonders vor dem Hintergrund der Terroranschläge des 11. September 2001, die unter anderem von Muslimen in Hamburg vorbereitet wurden, liegt es nahe, dass die Hamburger Behörden mehr Kontrolle auf islamische Verbände ausüben wollen. Dem „Staatsvertrag“ zwischen der Hansestadt Hamburg und drei islamischen Verbänden geht eine lange Verhandlungsphase voraus, die über den bloßen Sicherheitsaspekt hinausweist. Obwohl das Bundesland als Erstes mit entsprechenden Gesprächen begonnen hat, wird es von der Bremer Initiative überholt. Kurz danach folgen andere Bundesländer. Dies zeigt, dass die Akteure die Notwendigkeit zur Annäherung antizipiert haben und den gegenseitigen Aushandlungsprozess ernst nehmen. Neben den geschilderten Inhalten des Vertrags besteht die praktische Aushandlung vor allem in der Systematisierung, Ordnung und Vereinheitlichung von Hamburger Muslimen. In europäischen Großstädten wie Hamburg leben heute Muslime mit den verschiedensten Identitätskonstruktionen auf engem Raum zusammen. Dass sie sich über diese sozialen, religiösen, sprachlichen Grenzen hinweg zu einem Kollektiv zu formieren versuchen, ist für die islamischen Akteure nach eigenem Bekunden keine Selbstverständlichkeit (vgl. Spielhaus 2011: 105). Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch in dieser Formierung neue Ausschlussmechanismen zum Tragen kommen, wie sie weiter oben mit der Situation der Ahmadiyya-Gemeinde beschrieben wurden, die zunächst keine größere Rolle gespielt hatten. Als die Arbeitsmigration in den 1950er Jahren begann, reichte der eher unspezifische Bezug auf Islam als Moment der Vergemeinschaftung aus. Erst später begann eine Ausdifferenzierung der verschiedenen islamischen Strömungen, die sich auch in der Errichtung regionalbezogener Moscheevereine widerspiegelt (ebd.). Vor diesem Hintergrund manifestiert sich im „Staatsvertrag“ eine Bündelung islamischer Strömungen, die auch mithilfe von Exklusion eine islamische Identität für Hamburg konstruiert. Die Behauptung, es gebe (bereits) einen Islam, der sich singulär fassen lasse, habe ich in Teil II diskursiv nachgezeichnet und mithilfe kritischer Literatur dekonstruiert (vgl. Filali-Ansari 2004; Roy 2006). Empirisch lassen sich demgegenüber aber durchaus Versuche beobachten, die Fragmentierung des Gegenstands Islam zu überwinden und auf eine religiöse Einheit hinzuarbeiten. Die diskursive Beschwörung des einen Islam trägt also Früchte, allerdings mit einer entscheidenden Ergänzung: Die Einheit besteht nicht universell und unabhängig von Zeit und Raum. Sie ist lokal eingebunden und bezieht aus dieser Situiertheit ihre Legitimation, die stets umkämpftes Produkt des sozialen Machtgefüges bleibt. Der essentialistischen Kritik, es gebe „keine Körperschaft, die die Muslime vertritt oder auch nur Teile davon, sondern da spricht jede Gruppe für sich“ (Harald Winkels, Interview 14.01.2013), können die beteiligten Verbände nun das

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Siegel offizieller „Ansprechpartner des Staates“ (Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013) entgegen halten. Sie haben gewissermaßen den Nachweis erbracht, dass sich auch religiöse Dogmen unter den konkreten Bedingungen gesellschaftlicher Aushandlung weiterentwickeln können. In diesem Zusammenhang muss der Vertrag auch als politisches Instrument der Kontrolle und der Selbstführung des „muslimische[n] Subjekt[s]“ (Tezcan 2012) angesehen werden. Während Tezcan die DIK zu Recht als Technik zur „Sicherstellung der Berechenbarkeit, der Kompatibilität einer Bevölkerungsgruppe“ (Tezcan 2012: 165) beschreibt und seine Kritik damit auf die bundesdeutsche Islampolitik lenkt, erscheint das Auftreten der von mir beobachteten Akteure in den Hamburger Verhandlungen als konzertierte Aktion und wechselseitige Identitätspolitik. In Anlehnung an Talal Asad lässt sich konstatierend fragen: „People are never only agents in their own history. The interesting question in each case is: In what degree, and in what way are they agents or patients?“ (Asad 1993: 4). Im konkreten Fall stellen die „muslimischen Subjekte“ (Tezcan 2012: 165) in Hamburg nicht nur Produkte des Islamdiskurses dar, sondern gestalten diesen, sicherlich nicht gleichberechtigt, aber doch selbstbewusster werdend, mit. Sie haben die Adressierung als Muslime offenbar nicht nur übernommen, sondern zu einem Mittel der Selbstermächtigung gewendet. Der Verlauf der Gespräche zeigte, dass alle Beteiligten Kompromisse eingegangen sind und ihre Positionierungen neu justiert haben. Damit dienen der „Staatsvertrag“ und seine rituelle Inszenierung vor allem der Dokumentation dieses wechselseitigen Einigungsprozesses. 1.3 Die Vertragsunterzeichnung – Ein ritualisierter Grund zum Feiern Die Performativität des „Staatsvertrags“ zwischen dem Hamburger Senat und den islamischen Religionsgemeinschaften lässt sich auf zwei Ebenen beobachten. Auf der Ebene des Vertragstexts wird eine performative Aussage gemacht, die gemäß Austins Definition Wirklichkeit konstruiert (Austin 2002: 63). Auf der Ebene der Aushandlungspraxis lässt sich die feierliche Unterzeichnung der Verträge als Wiederangliederungsritus deuten, in dem die gesellschaftliche Transformation abschließend inszeniert wird (vgl. Bachmann-Medick 2006: 115). Auf beide Ebenen möchte ich nun näher eingehen, um den Nutzen der Ritualtheorie für die von mir untersuchten Vertragsverhandlungen zu demonstrieren. Ein Vertrag enthält nicht unbedingt die performative Aussage, die er materiell darstellt. Im Falle der Verträge zwischen den islamischen Verbänden und

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dem Hamburger Senat deutet die Präambel den performativen Zweck zumindest an. Darin heißt es: die Vertragspartner schließen den Vertrag „mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den islamischen Religionsgemeinschaften partnerschaftlich weiterzuentwickeln“ (Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DİTİB-Landesverband Hamburg, dem SCHURA-Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren). Hierdurch wird ein neues Verhältnis zwischen der Vertretung der Stadt Hamburg und Vertretern der islamischen Verbände geschaffen, das einen Wandel beider Vertragspartner mit sich bringt. Der Gegenstand, über den sich die Akteure verständigen, ist doppeldeutig. Zum einen schreiben sie durch den Vertrag das Konstrukt Islam offiziell in die Stadt Hamburg ein und geben ihm eine neue Gestalt. Ich bezeichne den Vertrag als ‚Hausordnung für den Hamburger Islam‘, weil er ihn sowohl räumlich als auch inhaltlich in einen festen Rahmen gießt und Handlungsvorlagen liefert, die bestimmen, wie Islam in Hamburg gesellschaftlich und politisch ausgestaltet werden soll. Zum andern verweist der Vertrag auf seine Verfasser. Eine Hausordnung wird normalerweise vom Hausbesitzer oder der Hausverwaltung geschrieben. Versteht man den Vertrag also als Hausordnung, verkörpert er die Positionierung der Akteure als rechtmäßige Administratoren des Hamburger Islam. In dieser Zuweisung liegt die performative Aussage des Vertrags. Auf der Ebene der konkreten Aushandlung gibt der Vertrag den Beteiligten die Gelegenheit, ihr gegenseitiges Verhältnis feierlich zu bekräftigen. Der Abschluss der Vertragsverhandlungen, der mit der Unterzeichnung durch die Beteiligten markiert werden kann, weist über die konkrete Situation hinaus. Am Abend des 13.11.2012 finden sich die Vorstandsmitglieder der islamischen Verbände und der Alevitischen Gemeinde im Hamburger Rathaus ein, um dem Vertragsbeschluss beizuwohnen, der auch von der Presse dokumentiert wird. Auf den veröffentlichten Medienfotos wird vor allem der Moment der Unterzeichnung festgehalten, bei dem Olaf Scholz, der amtierende Bürgermeister in einer Reihe mit den Vertretern der Verbände sitzt. Jeder von ihnen hält einen Stift in der Hand und signiert das Papier vor sich. Diese symbolisch aufgeladene Situation, die auch von den Pressevertretern als Schlüsselszene eingeschätzt wird, verbildlicht das neue Verhältnis der Vertragspartner. Eine Einladung ins Rathaus an den Tisch des Bürgermeisters stellt die materielle Anerkennung der Religionsvertreter dar. Der gemeinsame, simultane Akt des Unterzeichnens soll ihre Gleichrangigkeit mit dem Senat unterstreichen. Diese Zeremonie ermöglicht buchstäblich die Einschreibung der Akteure auf der politischen Bühne Hamburgs. Am Abend der Unterzeichnung treten die Fragen nach der inhaltlichen Relevanz des Vertrags und seiner rechtlichen Stellung als „Staatsvertrag“ in den

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Hintergrund. Der jahrelange Aushandlungsprozess, in dem die Akteure routiniert Identitätspolitik betrieben haben, wird für den rituellen Moment des Vertragsabschlusses ausgesetzt. Insofern kann die Situation im Rathaus als Angliederungsritus betrachtet werden, der in Anschluss an das Phasenmodell des Rituals sowohl auf die Sondierungen der Teilnehmer vor Beginn der Verhandlungen verweist als auch auf die Spannungen und Möglichkeiten des Scheiterns während der Verhandlungen. Die Phase vor Beginn der Verhandlungen stellt dementsprechend einen Trennungsritus dar, in dem zunächst die teilnehmenden Islamvertreter von jenen getrennt werden, die nicht an den Verhandlungen teilnehmen dürfen. Die mittlere Phase mitsamt ihrer Verunsicherungen über den personellen und rechtlichen Status der Beteiligten habe ich bereits in Kapitel V.1.1.4 als Schwellenphase beschrieben (vgl. Bachmann-Medick 2006: 115). Die Vertragsunterzeichnung stellt dann ein „traditionalizing instrument“ (Moore/Myerhoff 1977: 7) dar, das nicht nur die Aussage des Vertrags performativ bestätigt, sondern die Beziehung der Akteure historisch auflädt. Während Islam in Europa als neue, migrantische Religion konstruiert wird (vgl. Teil II.1), ist die Einschreibung der Akteure in das Zentrum der Macht in Hamburg ein symbolischer Akt der Gründung einer (neuen) Tradition. An dieser Stelle wird die Unterscheidung zwischen Ritual und Nicht-Ritual unscharf. Sogar in dem höchst formalisierten Moment der Vertragsunterzeichnung lässt sich eine transgressive Wirkung erkennen, die auf den lokalen und situativen Hintergrund der spezifischen Ritualsituation rekurriert. Die Vertragsunterzeichnung im Rathaus stellt eigentlich ein säkulares Ritual (vgl. Moore/Myerhoff 1977) par excellence dar. Während der Hamburger Senat auch Verträge mit anderen Akteuren an dieser Stelle besiegelt, hebt sich die oben beschriebene Szene von nicht-religiösen Vereinbarungen insofern ab, als die Einigung der Verbandsvertreter und des Hamburger Bürgermeisters eine Beziehung zwischen der Sphäre der Religion und der Sphäre der Politik erschafft, in der Islam erstmals offiziell verhandelt wird. In diesem konstituierenden Moment wird aus dem universellen Ritual der Vertragsunterzeichnung ein spezifischer Akt der Transgression, in dem Religion politisch verfasst wird. In umgekehrter Richtung lässt sich diese Entwicklung auch am Beginn der Vertragsverhandlungen beobachten. Die Erzählung über die Initiierung der Gespräche wird von den Beteiligten mit einem Iftar-Empfang verwoben, der als religiöse Angelegenheit gilt. Es hat sich eingebürgert, dass zu den großen islamischen Festlichkeiten Lokalpolitiker geladen werden und daran teilhaben. Mit dem öffentlichen Beschluss über die Aufnahme von Gesprächen, den Ole von Beust in der Centrum Moschee bekräftigt, nimmt der religiöse Anlass eine politische Gestalt an. Es ist nicht unüblich, dass Moscheevorsteher in ihren Predigten Wünsche und Sorgen gegenüber Politikern äußern. Dass diese umgehend darauf

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reagieren, lässt aber den Schluss zu, dass die beiden Sphären Politik und Religion längst nicht so klar voneinander getrennt sind, wie dies in der säkularwestlichen Narrative über die Hamburger Gesellschaft erscheint.

2 F ALLSTUDIE B: K UNST UND I SLAM AUF DER V EDDEL – C ORPORATE C ITIZENSHIP UND ANDERE I DENTITÄTEN Das Vorhaben, ethnographische Feldforschung in einem sozial benachteiligten, innenstadtnahen Quartier durchzuführen, erinnert an das Genre der „GhettoEthnographie“ der 1960er und 70er Jahre, das sich damals vor allem mit „rassifizierte[n] Slums“ (Lindner 2004: 171) amerikanischer Städte beschäftigte und wegen seiner romantisierenden, differenzzentrierten Ausrichtung kritisiert wurde (ebd.: ff.). Anders, aber gleichfalls negativ konnotiert, ist die Segregation von Muslimen in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre mit den Begriffen „Parallelgesellschaft“ und „Ghetto“ diskutiert worden (vgl. Heitmeyer 1997: 192; kritisch dazu Pott 2002: 71f.; Tsianos 2015: 23f.). Norbert Gestring beschreibt den Diskurs folgendermaßen: „Dabei werden die Begriffe als Topoi verwendet, die nicht hinterfragt werden können, denn dass Ghettos schlecht sind, weiß jeder und dass Parallelgesellschaften, zumal muslimische, verhindert werden müssen, bedarf auch keiner weiteren Begründung“ (Gestring 2011: 169). Als Elbinsel mit einheitlicher, renovierungsbedürftiger Bebauung galt die Veddel tatsächlich einige Jahre als Quartier, das nur von jenen bewohnt wird, die keine andere Wahl haben. Als „Ghetto“ kann es besonders vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht bezeichnet werden (vgl. ebd.) und auch abgesehen davon stehen hier nicht wie so oft in klassischen Ghetto-Ethnographien kriminelle, quartiersspezifische Subkulturen im Fokus, sondern städtisch-unternehmerische und religiöse Bestrebungen, die Lebensqualität auf der Veddel zu verbessern. In diesem Sinne kann diese Fallstudie als Anti-Ghetto-Ethnographie gefasst werden. Das Image eines Stadtteils setzt sich aus den Narrativen zusammen, die innerhalb des Viertels, innerstädtisch und überregional, kursieren. Diese Positionierungen können gleichzeitig fluide und behäbig sein. Mancherorts wandeln Gentrifizierungsprozesse das Gesicht eines Quartiers innerhalb weniger Jahre, anderswo bleiben die Kategorien soziale Benachteiligung und Segregation über Jahrzehnte mit einem Viertel verbunden. Auf der Veddel gibt es seit einigen Jahren Versuche, den öffentlichen Raum umzudeuten und die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern. Während wirtschaftspolitische Motive und die Nähe zum Hamburger Hafen der stadtplanerischen Entwicklung der Veddel immer wieder im Wege stehen, versuchen Akteure auf verschiedenen städtischen Ebe-

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nen die Situation der Veddel zu verändern. Dazu zählt unter anderem das Projekt „Quartierskunst Veddel“, das der kommunale Wohnungsbaukonzern SiedlungsAktiengesellschaft Hamburg und die Gesellschaft Wohnen und Bauen mbH (SAGA GWG) mit seinem Tochterunternehmen ProQuartier seit 2007 etabliert hat.6 Die Fallstudie über die Veddel ist zweigeteilt. Der erste Teil skizziert das Setting, stellt verschiedene Initiativen des Wandels vor und widmet sich schließlich dem dezidierten Untersuchungsgegenstand des Falls, der kommunalgewerblich finanzierten Quartierskunst auf der Veddel. Der zweite Teil der Feldstudie analysiert die Positionierungen der „Muslimischen Mädchen Veddel“7 sowie der Quartierskünstlerin von 2011-2013 und zeichnet die Probleme des Aushandelns und Anerkennens zwischen ihnen nach. Schließlich wird das Motiv des städtischen Imagewandels den subjektiven Zugehörigkeitskonstruktionen der Veddelerinnen gegenübergestellt und vor dem Hintergrund eines finalen Festakts der Quartierskunst als grenzüberschreitende respektive grenzerhaltende Identitätspolitik diskutiert. Der folgende erste Teil des Kapitels soll einen Eindruck davon vermitteln, welche Position die Veddel innerhalb Hamburgs einnimmt und wie es dazu kam. 2.1 Ein Dorf „im Herzen Hamburgs“ 8 – Lokalisierung der Veddel Aus dem Jahr 2010 liegt für die Veddel zusammen mit den Stadtteilen Kleiner Grasbrook und Steinwerder eine Sozialraumbeschreibung des Fachamts Sozialraummanagement im Bezirksamt Hamburg-Mitte vor. Sie dient dazu, stadtplanungsrelevante Daten und Bedingungen in den Quartieren zu dokumentieren und Handlungsfelder aufzuzeigen. Dieses Instrument wird seit einigen Jahren in Städten verwendet, um sozialräumliche Steuerungsmaßnahmen zu implementieren. Problematisch werden Sozialraumanalysen allerdings dann, wenn sie als objektive Raumdarstellungen gelten. In jedem Fall tragen sie einen Teil dazu bei, dass bestimmte städtische Gegenden als (Problem-)Quartiere festgelegt werden, und sich ein stigmatisierender Diskurs entfalten kann. Dabei wird übersehen, dass Sozialraumanalysen als „Regionalisierungen“ (Werlen 2007: 197) der jeweiligen Autoren und Wissenschaftler nicht unbedingt die Lebenswelt der Be-

6

Seit 1999 werden die beiden bis dahin unabhängigen Wohnungsunternehmen SAGA

7

Dies ist ihre Eigenbezeichnung, die sie vor allem in Abgrenzung zu anderen muslimi-

und GWG unter einem Dach geführt (SAGA GWG 2013a). schen Jugendgruppen in Hamburg benutzen. 8

Zitat von Jürgen Hensen, Leiter des Haus der Jugend Veddel (Interview 19.07. 2012).

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wohner widerspiegeln und schwerlich die Heterogenität innerhalb städtischer Gebiete abbilden können. Vor diesem Hintergrund dient die kommunale Sozialraumbeschreibung über die Veddel hier als empirische Quelle, die es kritisch zu hinterfragen gilt (vgl. Pott 2002: 71f.). Nicht alle Hamburger Stadtteile sind Gegenstand von kommunal in Auftrag gegebenen Sozialraumbeschreibungen. Diese kann also als Indiz dafür gelten, dass die Veddel im Vorfeld der Studie als hilfsbedürftiges Quartier angesehen wurde. Tatsächlich heißt es auch im Abschnitt 4.1.4 „Stadtteilleben und Image“, hamburgweit werde die Veddel eher als „Problemgebiet“ (Fachamt Sozialraummanagement 2010: 35) wahrgenommen, obwohl die Kriminalitätsrate nicht übermäßig hoch sei. Die Veddeler selbst verfügen zwar über ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, teilen aber gleichzeitig die problemzentrierte Meinung über ihr Quartier, so die Einschätzung des Berichts. Letztere speist sich auch aus den üblichen Kennwerten sozialer Benachteiligung: Die Veddel hatte 2010 das geringste Pro-Kopf-Einkommen Hamburgs und eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote. Darüber hinaus leben auf der Veddel hauptsächlich Menschen mit Migrationshintergrund oder ausländischem Pass (ebd.: 23). Auch dies bedeutet im Deutschland des 21. Jahrhunderts statistisch gesehen immer noch einen sozialen Nachteil. Wie kam es zu dieser benachteiligten Lage? Um der dominanten Wahrnehmung der Veddel als „Problemgebiet“ auf den Grund zu gehen, lohnt sich ein Blick in zeitgeschichtliche Quellen zur Entstehung der Veddel als Stadtteil Hamburgs. 2.1.1 Historische Entstehung und öffentliche Wahrnehmung der Veddel Das Wohnquartier Veddel entstand im Zuge der Erweiterung des Hamburger Hafens und der Erschließung neuer Verkehrswege in der Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde bereits „1894 zum Stadtteil erhoben“ (Uhlmann 2008: 78).9 Zunächst wurden Häuser für Hafenarbeiter und Familien gebaut, die mangels Wohnraum die Innenstadt verlassen mussten. Neben Einfamilienhäusern, die mit Vorgärten und Hinterhöfen kostspielig und damit zunächst ein Distinktionsmerkmal waren, wuchs die Anzahl der ärmlicheren, überbelegten Unterkünfte schnell (vgl. Thal 2012: 11ff., vgl. Uhlmann 2008: 64).10 Die großzügigere Slo-

9

Die Stadtteile in Hamburg werden zwar verwaltungstechnisch als Einheiten behandelt, haben jedoch keine eigene politische Vertretung.

10 Dieter Thal produziert in seiner bildreichen Dokumentation über die Veddel eine bisweilen fremdenfeindliche Sicht auf den Wandel des Stadtteils und seine Bewohner.

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mansiedlung musste Ende der 1920er Jahre den weitaus schmuckloseren Schumacher-Bauten weichen, die viel günstigen Wohnraum für die wachsende Anzahl an Hafenarbeitern bieten sollten. Die unmittelbare Nachbarschaft der Veddel zum Hamburger Hafen wurde nicht nur für die Ansiedlung von Arbeitern genutzt, sondern verwandelte die Veddel ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Transitraum für Auswanderer nach Amerika. Als die Zahl derer, die über die Hansestadt emigrierten, weiter anstieg, konnte der Reeder Alfred Ballin, Direktor der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) den Hamburger Senat vom Bau einer „Auswandererstadt“ auf der Veddel überzeugen. Die Ballinstadt, wie sie seitdem heißt, wurde am Südufer des Müggenburger Zollhafens errichtet und brachte es mit ihrer professionalisierten Infrastruktur – es gab zwei Kirchen und eine Synagoge sowie umfassende sanitäre Anlagen – zu überregionaler Berühmtheit. Neben Deutschen nutzten auch Osteuropäer und Russen den Hamburger Hafen zur transatlantischen Überfahrt und machten ihn so zu einem der „bedeutendsten Auswandererhäfen der Welt“ (Uhlmann 2008: 68). Die Elbinsel eignete sich wegen ihrer geographischen Lage am (damaligen) südlichen Ende der Stadt besonders gut für die temporäre Aufnahme der Reisenden, da diese, ohne mit der Innenstadt in Berührung zu kommen, verschifft werden konnten. Neben den Emigranten nutzten auch Hafenarbeiter und Schiffsleute, die aus aller Welt in Hamburg Station machten, die damals zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten zur Deckung ihrer täglichen Bedürfnisse. Diese kosmopolitische Atmosphäre schürte allerdings zusammen mit dem niedrigen sozialen Status der meisten Veddeler eine gewisse Feindseligkeit der restlichen Hamburger. Die Veddel wurde mitsamt ihren Bewohnern und Besuchern schnell zu einem Ort der Fremdheit konstruiert, wie Zeitungsberichte aus dieser Zeit belegen (vgl. Hase 1925). Die diskursive Abwertung der Veddel vollzog sich anhand zweier Dimensionen, die sich komplementär ergänzen: Auf der sozialen Ebene wurden vor allem ethnisierende und rassifizierende Merkmale reproduziert, indem Eigenschaften, die man den Hafenleuten aus aller Welt zuschrieb, auf die Veddel und ihre Bewohner übertragen wurden. Darüber hinaus wurde die geographische Trennung der Veddel vom Hamburger Festland durch die Elbe als soziale Trennung manifestiert. Obwohl seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Straßenbahn über die Elbbrücke fuhr und der Weg von der Innenstadt auch zu Fuß durchaus zu bewältigen war, wurde die Entfernung zwischen Hamburg und der kleinen Elbinsel diskursiv hervorgehoben, wie der Hamburgische

Der Zuzug „ausländischer Mitbürger“ wird hier in Zusammenhang mit dem Niedergang des Viertels ab den 1960er Jahren gestellt (vgl. Thal 2013: 8). Nichtsdestoweniger dient mir sein Buch als nützliche Veranschaulichung der Veddeler Geschichte.

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Correspondent von 1925 überliefert: „[…] Wo wohnen Sie? Auf der V-e-d-d-e-l-! – Wie kommen Sie denn dahin, wann sind Sie zuhause?“ (Hase 1925). Bis in die 1950er Jahre hinein lag die Veddel im wahrsten Sinne des Wortes direkt vor den Toren Hamburgs, da die Veddeler Brückenstraße auf die Portale der Norderelbbrücke zuführte. Wie alte Fotos zeigen, schuf die Sicht auf die Symbole des Hamburger Stadtwappens eine gleichsam großstädtische und prachtvolle Atmosphäre (vgl. Thal 2012: 23). Während der heutige Blick auf die Brücken und die Norderelbe durch Verkehrswege und Hafengebäude versperrt ist, war die Veddel bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein ikonographisch mit der Elbe und ihren Brücken verbunden (vgl. Uhlmann 2008: 70). In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts wandelte sich die demographische Struktur der Veddel deutlich. Die Wohnungen waren zwar günstig, jedoch kleiner und weniger komfortabel im Vergleich zu anderen Hamburger Gebieten und so zogen jene, die es sich leisten konnten, weg. Zurück blieben Rentner und meist türkische Neuankömmlinge. Die Bewohner konnten nicht verhindern, dass die Veddel über Jahre vom Rest Hamburgs „vergessen“ (vgl. Thal 2013: 7; Uhlmann 2013: 78) wurde. 2.1.2 Aktuelle Entwicklungen auf den Elbinseln Tatsächlich endet die Stadt Hamburg in der subjektiven Geographie der meisten Bewohner nach wie vor am Nordufer der Elbe. Die Elbinseln, die von Norderund Süderelbe umgeben sind, stellen somit ein räumliches Hybrid dar. Sie gehören nicht zu Harburg südlich der Elbe, sind aber auch nicht Teil des nördlichen Festlands. Hinzu kommt, dass die Veddel durch Autobahn, Zollhafen und Bahnstrecke begrenzt ist und so der Inselcharakter des dicht besiedelten kleinen Quartiers weiter verstärkt wird. Während die infrastrukturelle Anbindung durch die Hamburger S-Bahn die Fahrt von der Veddel zum Hamburger Hauptbahnhof und ins Zentrum der Stadt innerhalb von fünf Minuten ermöglicht, liegt die Veddel in der kollektiven Kartographie Hamburgs trotzdem in der Peripherie. Der Leiter des Veddeler „Haus der Jugend“, Jürgen Hensen, bezeichnete die Lage des Viertels im Interview ironisch als „im Herzen Hamburgs“ (Jürgen Hensen, Interview 19.07.2012) gelegen und verwies auf die Diskrepanz zwischen der Position auf der Stadtkarte und der gesellschaftlichen Verortung der Veddel.11 Leerstehende Gewerbeflächen und verfallende Wohngebäude verdeutlichten allerdings um die Jahrtausendwende eher die „Isolation aufgrund der städtebaulichen Insellage“ (Fachamt Sozialraummanagement 2010: 37). Diese Lage erzeug-

11 Vgl. Abbildung „Hamburg“, IV.2.1, S. 140.

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te eine dörfliche Atmosphäre, die sich auch dadurch manifestierte, dass sich die Veddeler untereinander fast alle kannten (vgl. Kapitel 2.1.1 dieser Fallstudie). Aus der Sozialraumbeschreibung des Bezirksamts geht hervor, dass die Veddel einen vergleichsweise hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen aufzuweisen hat und weniger ältere Menschen als im restlichen Bezirk Hamburg-Mitte auf der Elbinsel leben (ebd.: 12ff.). Darüber hinaus ermittelte das Fachamt mithilfe des Mikrozensus von 2005, dass „auf der Veddel fast alle Menschen entweder einen ausländischen Pass haben oder von ihrer Herkunft her zu Personen mit Migrationshintergrund gezählt werden“, wobei 39 Prozent der Ausländer einen türkischen Pass hatten (ebd.: 10). Architektonisch ist das Viertel insofern bemerkenswert, als die Wohnhäuser Teil der „ersten kommunalen Kleinwohnungs-Bauprojekte in Hamburg“ (ebd.: 7) sind und hauptsächlich von der SAGA GWG verwaltet werden. In der Sozialraumbeschreibung des Bezirksamts heißt es dazu: „insbesondere auch durch die nachhaltigen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen der SAGA GWG“ habe sich die Veddel wieder „positiv entwickelt“ (ebd.: 36). In dieser Schilderung deutet sich ein Motiv für den vorherigen Niedergang des Quartiers an: Die Wohnungen waren zwar günstig, jedoch jahrzehntelang nicht renoviert worden und in einem sehr schlechten Zustand, der durch den Verkehrslärm der Bahnlinie und des Straßenverkehrs noch verstärkt wurde. Die Folge war ein hoher Leerstand von Wohnungen und Gewerbeflächen, der wirtschaftlich offenbar so gravierend wurde, dass die SAGA GWG sich gezwungen sah, dem entgegenzuwirken. Bereits seit den 1980er Jahren war die Veddel Gegenstand stadtplanerischen Handelns, das sich jedoch stets auf einzelne Projekte begrenzte und auch immer wieder durch wirtschaftspolitische Interessen durchkreuzt wurde, die den Ausbau des Hamburger Hafens auf Kosten der Verkehrsberuhigung der Elbinsel vorantrieben.12 Ab 1999 wurden im Zuge der „aktiven Stadtteilentwicklung“ (ebd.: 35) größere Veränderungen wie die umgebaute Uferpromenade und die neue Nutzung des Müggenburger Zollhafens sowie der Umbau der ehemaligen Polizeisporthalle zum Stadtteilzentrum realisiert. Um den Leerstand der Wohnungen und Gewerbeflächen zu verkleinern, entwickelte der Senat gemeinsam mit SAGA GWG und der Hamburgischen Wohnungsbaukreditanstalt im Jahr 2004 ein Förderprogramm für studentisches Wohnen auf der Veddel und Wilhelmsburg, das seitdem weitergeführt wird. Die Idee aus dem Mangel an günstigem Wohnraum in Hamburg eine Tugend für den bisher weniger attraktiven Süden Hamburgs zu machen, war Teil des Leitspruchs „Sprung über die Elbe“, den

12 Diese Entwicklung schilderte der Quartierplaner Uetzmann im Interview (vgl. Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012).

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sich der Senat auch in Hinblick auf die Internationale Bauausstellung (IBA) gegeben hatte. Demzufolge sollten sich die Elbinseln durch kleinere Initiativen und Großprojekte wie die IBA ihren Platz im „Herzen Hamburgs“ zurückerobern. Auch historische Bezüge, die bis dahin wenig gewürdigt wurden, sollten dieser Strategie nutzen. Das Museum „BallinStadt“ öffnete im Juli 2007 seine Türen auf dem Gelände der Auswandererhallen, es thematisiert die Elbinsel als historischen Ort der Amerika-Migration. Im Zuge der Museumseröffnung wurde eine weitere Verkehrslinie auf die Veddel geschaffen: Die „Maritime Circle Line“ fährt von den Landungsbrücken St. Pauli zum Museum „BallinStadt“, das auf dem Gelände der ehemaligen Auswandererhallen auf der Südseite des Müggenburger Zollhafens gelegen und damit kaum in den Stadtteil eingebunden ist. Anders steht es um Projekte, die weniger auf Touristen als auf die Beteiligung der Veddeler selbst setzen. In den letzten Jahren sind einige sehr unterschiedliche Initiativen auf der Veddel entstanden, die sich gezielt mit der Lebenswirklichkeit der Bewohner beschäftigen und auch materiell im Quartier verwurzelt sind. Darunter befindet sich der Verein „Veddel aktiv“, dessen Geschäftsstelle in der Mitte der Veddeler Brückenstraße an der Ecke zum Immanuelstieg liegt. Der Verein wurde bereits Mitte der 1980er Jahre gegründet und war zwischen 2002 und 2007 aktiv an der städtischen Quartiersentwicklung beteiligt. „Veddel aktiv“ ist „anerkannter freier Träger der Jugendhilfe“ (Veddel aktiv 2015) und bündelt verschiedene soziale und kulturelle Angebote im Stadtteil, um eine möglichst große Reichweite zu erzielen. Seit Juli 2012 organisiert der Verein auch das „Netzwerk Sozialräumliche Angebote und Hilfen“ für die Veddel, in dem sich kommunale Akteure und zivilgesellschaftliche Initiativen zusammengeschlossen haben (ebd.). Die Geschäftsstelle dient gleichzeitig als Stadtteilladen, der von Anwohnern für verschiedene Tätigkeiten genutzt werden kann. Auf der gleichen Straße etwas weiter hinten befindet sich das Ausbildungsatelier von „Made auf Veddel“, wo „Haute Couture“ von Veddelerinnen mit Migrationshintergrund entsteht. Das Projekt wurde von der Modedesignerin Sibilla Pavenstedt im Jahr 2008 ins Leben gerufen und sowohl von der IBA als auch vom Bundesprogramm „Stärken vor Ort“ gefördert. Es richtet sich an Migrantinnen mit praktischen Kenntnissen der Handarbeit, die in der Ausbildung im Bereich Mode und Design neue berufliche Perspektiven finden und zur Selbstermächtigung angeleitet werden sollen. „Made auf Veddel“ hat auch zuletzt wieder mediale Aufmerksamkeit erhalten (Pfannkuch 2014), weil es die Ästhetik traditioneller, vor allem türkischer Handarbeit mit aktuellem Modedesign verbindet und so herkunftsspezifische Traditionen als Ressourcen anerkennt, ohne sie kulturalistisch festzuschreiben. Die berufliche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund hat sich auch die gemeinnützige Gesellschaft „Bildung

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und Integration Hamburg Süd“ zum Ziel gesetzt (Bildung und Integration Hamburg Süd 2013). Neben mehreren Büros in Harburg und Wilhelmsburg unterhält sie auch eine Anlaufstelle auf der Veddel, wo Kurse und Beratung für Erwachsene und Jugendliche angeboten werden. „New Hamburg“, ein neues Theaterformat, das auf der Veddel seit 2014 realisiert wird, ist in der Immanuelkirche untergebracht. Der Kirchenvorstand der kontinuierlich kleiner werdenden evangelischen Gemeinde auf der Veddel hat das Projekt zusammen mit dem Deutschen Schauspielhaus Hamburg ins Leben gerufen, um wieder eine breite öffentliche Nutzung des Kirchenraums zu ermöglichen. Unterschiedliche Akteure arbeiten dort nun zusammen, um ein „Stadttheater im wörtlichen Sinne zu kreieren“ (New Hamburg 2014) und die Diversität der Veddel narrativ und performativ darzustellen. Diese Auswahl an Projekten und Initiativen zeigt, wie vielfältig in den letzten Jahren versucht wurde, nicht nur die Lebenssituation der Veddeler zu verbessern, sondern auch einen Imagewandel auf der Elbinsel herbeizuführen. In diesem Zusammenhang steht auch die Internationale Bauausstellung (IBA 2016) auf den Elbinseln, wobei die Auswirkungen auf die Veddel überschaubar blieben. In Wilhelmsburg machte sich die IBA durch zahlreiche Bau- und Umbauprojekte bemerkbar, die von Bewohnern und anderen Akteuren des Stadtteils zwar teilweise kritisiert, aber immerhin bemerkt wurden (vgl. Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012). Die Situation auf der Veddel war eine andere: Die kleinere der beiden Elbinseln liegt näher an der Norderelbe und stellte somit die erste Anlaufstelle der IBA dar. Als Eingangsbereich zur Bauausstellung wurde das IBA-Dock konzipiert. Es besteht aus einem schwimmenden Gebäude am Ufer des Müggenburger Zollhafens, das über eine Ziehbrücke zu erreichen ist und ein Café mit Terrasse sowie Modellbauten und Informationsmaterial des Geländes der Bauausstellung beherbergt. Durch den schmalen Zugang wirkt das Dock jedoch alles andere als barrierefrei. Von den Veddeler Bewohnern, die ich fragte, hat niemand, mit Ausnahme der Quartierskünstlerin, das schwimmende Haus betreten. Angesichts des großen marketingtechnischen Aufwands, den die IBA im Vorfeld und während des Präsentationsjahres 2013 betrieb, ist es bemerkenswert, wie wenig sie von durchaus lokal-engagierten Veddeler Akteuren wahrgenommen wurde. Nicht nur am Beispiel der IBA lassen sich die unterschiedlichen Entwicklungen der Inselquartiere Veddel und Wilhelmsburg skizzieren. Wilhelmsburg verfügt mit seinem Reiherstiegviertel über einige Straßenzüge mit begehrten, vergleichsweise günstigen Altbauwohnungen und zieht so Wohnungssuchende aus ganz Hamburg an. Auch das alljährliche Musik- und Kunstfestival MS Dockville führt jeden Sommer Tausende Besucher durch das Viertel.

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Die Veddel, so scheint es, bleibt von diesem Aufwertungsprozess bis jetzt noch weitgehend unberührt, obwohl es durchaus bemerkenswerte Projekte gibt, die auf einen Wandel des öffentlichen Raumes und der Lebensumstände im Quartier hinarbeiten. 2.1.3 Quartiersmanagement auf der Veddel Über die Hälfte der Wohnungen auf der Veddel gehört der kommunalen Wohnungsgesellschaft SAGA GWG und somit teilweise der Stadt Hamburg (Interview Jürgen Hensen, 19.07.2012). Insofern ist die Veddel ein besonders städtisches Quartier. Überall im Viertel treffen die Bewohner auf zumindest partiellkommunale Initiativen und Einrichtungen. Anders als in Gegenden mit überwiegend privatem oder rein gewerblichem Wohnungsbestand haben es die Veddeler bei administrativen Angelegenheiten mit Akteuren zu tun, die sich die „Förderung des sozialen Ausgleichs in den Quartieren zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität“ (SAGA GWG 2013a: 21) auf die Fahnen geschrieben haben. Gleichzeitig verfolgt auch SAGA GWG letzten Endes wirtschaftliche Interessen, was sich am Geschäftsbericht des Unternehmens ablesen lässt (ebd.). Insofern stellt sich die Frage, was städtisch bedeutet, wenn die öffentliche Hand Stadtentwicklungsprojekte an teils gewerbliche Akteure wie die SAGA GWG und ihr Tochterunternehmen ProQuartier delegiert. Albers gibt in seinem Buch „Corporate Urban Responsibility“ (2011) zu bedenken, dass die Interessen lokaler Unternehmen nicht unbedingt von gesellschaftspolitischen Bestrebungen abweichen müssen (vgl. Albers 2011: 41f.). Im Falle des Wohnungsunternehmens liegt dies besonders nah. Bereits seit Ende der 1990er Jahre gibt es ein Büro von ProQuartier auf der Veddel. ProQuartier wurde gegründet, um „die Wohnqualität zu verbessern […] und Stadtteilidentitäten [zu] prägen“ (ProQuartier 2014). Obwohl die Quartiersentwickler durch die SAGA GWG kontrolliert werden, haben sie auf der Veddel nach Angaben des langjährigen Mitarbeiters Dieter Uetzmann „relativ freie Hand“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012). Er beschreibt die Aufgabe des Unternehmens und die Beziehung zur SAGA GWG wie folgt: „Geschäftsstellen können uns eigentlich anfordern und sagen: Wir haben dort Probleme in dem Stadtteil, wir brauchen dort Unterstützung […] und wir beschäftigen uns im weitesten Sinne mit […] dem Thema: Wie kriegen wir wieder ne kulturelle Belebung hin und wie schaffen wir es eigentlich im Grunde genommen, diesen Stadtteil wieder in Gang zu setzen“ (ebd.).

Bei den ausbildungsspezifischen Projekten für Jugendliche und der kostenlosen Bereitstellung von Gewerbe- und Freizeitflächen liege der Fokus vor allem auf

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der Beteiligung der Bewohner. Erst gesellschaftliche Teilhabe sorge für die nötige Identifikation mit dem Stadtteil, die diesen vor dem Niedergang bewahren solle (ebd.). Nach Einschätzung der Sozialraumbeschreibung des Fachamts Sozialraummanagement fällt diese Strategie auf fruchtbaren Boden bei den Veddelern, da unter ihnen „eine hohe ehrenamtliche Beteiligungsbereitschaft“ bestehe (Fachamt Sozialraummanagement 2010: 37). Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Interessen der SAGA GWG kann die Arbeit von ProQuartier auch als Corporate-Social-Responsibility-Strategie gedeutet werden. Wie in Kapitel III.2 ausgeführt, fördern Unternehmen systematisch lokale Projekte und präsentieren sich damit als zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für eine bessere Lebensqualität in städtischen Gebieten einsetzen. Die Funktion der SAGA GWG als teils kommunales Wohnungsunternehmen stellt dabei einen Sonderfall dar, da von öffentlichen Unternehmen per se erwartet wird, dass sie im Sinne der Allgemeinheit handeln. Insofern haben Firmen wie SAGA GWG oftmals eine doppelte Verpflichtung als „gute Bürger“ (Sandberg 2011: 13) und Teil aktiver Stadtentwicklungspolitik tätig zu werden und sind damit für unternehmerisch-bürgerschaftliches Engagement besonders geeignet. SAGA GWG profitiert nicht wie andere Unternehmen nur indirekt von der Aufwertung städtischer Quartiere, sondern ist unmittelbar auf die Belebung von Nachbarschaften und eine damit verbundene Verhinderung von Wohnungsleerstand angewiesen. Auf diese Weise werden wirtschaftliche und politische Interessen miteinander verwoben und die politische Verantwortung des gewählten Hamburger Senats an ein wirtschaftlich orientiertes Unternehmen abgegeben. Diese Aktivierung von Wirtschaftsressourcen für kommunale Zwecke haben Stadtforscher als Konzept der „unternehmerischen Stadt“ (Harvey 1989: 4; vgl. Albers 2011: 40) beschrieben und mit dem Wandel des Wohlfahrtsstaats in Verbindung gebracht. Das governance-Konzept, das diesen Wandel analytisch fasst, verweist auf die Wechselseitigkeit von städtischen, kulturellen und unternehmerischen Praktiken. Darin manifestiert sich der Versuch, gemeinsam eine städtische Identität zu prägen. Für meine Fragestellung ist interessant, wie sich die Konstruktion von Islam in Hamburg in die diskursiven Parameter des städtischen Wettbewerbs einschreibt und welche Akteure daran teilhaben. Als bekanntes Hamburger Unternehmen kann die SAGA GWG in ihrer Unterstützung von sozialen Projekten wie „Begleitung in Ausbildung“ auch auf die Hilfe von anderen Firmen hoffen, wie Uetzmann erklärt: „Wir sind SAGA GWG, das ist einfach n Riesenunternehmen und wenn wir uns an andere Hamburger Unternehmen wenden, […] dann krieg ich bei denen ein Gespräch in der Personalabteilung“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012). Das Verhältnis zwischen ProQuartier und der Verwaltung der Stadt Hamburg gestaltet sich bis-

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weilen schwierig, da die Schwerpunktsetzungen der beiden Institutionen nicht kongruent sind. Während Uetzmann versucht, auf das Bezirksamt HamburgMitte Druck auszuüben und die Veddel für eine weitere Periode zum Stadtentwicklungsgebiet zu nominieren (ebd.), unterliegt die Verteilung von Förderressourcen stadtplanerisch vielschichtigen Prioritäten. 2.1.4 Religiöses Engagement – Die IGMG auf der Veddel Der organisierte Islam auf der Veddel ist Teil des Bündnisses Islamischer Gemeinden in Norddeutschland (BIG) und gehört damit zu Milli Görüş (IGMG) und SCHURA Hamburg.13 Neben den hauptsächlich türkischstämmigen Mitgliedern dieser Gemeinde, die über eine Moschee (Vatan Camii auf der Veddeler Brückenstraße) und ein Islamisches Jugendlokal am Sieldeich verfügen, gibt es auf der Veddel einige albanische Muslime und Aleviten, jedoch keine entsprechenden religiösen Anlaufstellen. Im Jahr 2015 ist der Islam als einzige Religion auf der Veddel als solche verortet.14 Dabei ist vor allem das Sendungsbewusstsein der jüngeren Muslime, die das Jugendlokal in der ehemaligen Poststelle am Sieldeich betreiben, bemerkenswert. Die Jugendarbeit der IGMG ist nach Geschlechtern getrennt und in die Unterorganisationen Islamischer Jugendbund (IJB) für die Jungen und der weiblichen Abteilung „Muslimische Mädchen“ aufgeteilt. Nach Angaben des damaligen Vorsitzenden des IJB gibt es die institutionalisierte Struktur der „Muslimischen Mädchen“ erst seit 2008. Nach seinen Angaben existierten auch vorher Freizeitangebote für Mädchen. Der Zweck der Jugendarbeit bestehe darin, die Jugendlichen an die Gemeinde zu binden und lokale Zugehörigkeit zu fördern. Die Jugendgruppen der einzelnen Moscheegemeinden würden daher auch in Konkurrenz miteinander stehen, wer die besten Ideen und Aktivitäten vorzuweisen habe (Mehmet Karaoğlu, Interview 14.03.2012). Das Bündnis erhofft sich dadurch den zukünftigen Fortbestand seiner Moscheegemeinden und eine enge Bindung der heranwachsenden Mitglieder an die Dachorganisation IGMG. Die Veranstaltungen der Jugendlichen bestehen zum einen aus religiöser Unterweisung und zum andern aus Freizeitaktivitäten ohne islamischen Bezug. Nicht alle Jugendgruppen des BIG verfügen über einen festen Standort und müssen teilweise auf Moscheeräume oder private Wohnungen zurückgreifen. Dass die Jugendlichen auf der Veddel ein eigenes Gebäude haben, das nicht an die Moschee angrenzt, ist Teil einer Strategie der IGMG, die „den Jugendlichen auf Bundes-, Regional-, Landes- und Lokalebene mehr Auto-

13 Nähere Informationen zu den einzelnen islamischen Organisationen in Teil IV.1.2 14 Wie in Kapitel V.2.1.2 beschrieben, ist die evangelisch-lutherische Immanuelkirche zu einem kulturellen Begegnungsort umgewandelt worden.

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nomie […] gewähren und damit die Mitbestimmung und Aktivierung der Jugendlichen […] erhöhen“ (Dantschke 2007: 1) soll. Tatsächlich nehmen die jungen Muslime ihre eigene Lokalität als etwas Besonderes wahr. Von den männlichen Mitgliedern haben viele die Eröffnung des Lokals bereits miterlebt und waren aktiv am Umbau beteiligt. Das ehemalige Postgebäude wurde 2006 von der Moscheegemeinde gekauft und den Jugendlichen zur Verfügung gestellt. Fatih, ein Student der Informations- und Elektrotechnik, erinnert sich an die Anfänge: „[…] hat aber auch Spaß gemacht, hier diese Arbeiten mit drei, vier, fünf Jugendlichen. Das war was Besonderes. Wir allein sollten dieses Gebäude umformen“ (Fatih, Interview 29.04.2012). Neben der praktischen Arbeit am Haus, die offenbar identitätsstiftende Wirkung auf die Jugendlichen hatte, betont ein anderes Mitglied auch die Bedeutung des Lokals in Abgrenzung zu den älteren Muslimen. „Wir wollten immer einen Platz haben, wo wir hingehen können, der nur für uns Jugendliche ist“ (Orhan, Interview 21.06.2012). Die Mitglieder der Jungengruppe bezogen ihr Engagement auf ihren eigenen Lebenslauf, in dem standardmäßig Erfahrungen mit Drogen und Kleindelikten vorkamen. Als junge Erwachsene fühlten sie sich nun geläutert und religiös verpflichtet, Jüngeren zu helfen und sie wieder auf den rechten Weg zu bringen: „In unserm Glauben ist das […] was Gutes, wenn man anderen hilft, […] wenn man denen den Islam erklärt. Und ich sitze heute auch nur hier, weil mir irgendwann mal jemand irgendwas vom Islam erzählt hat“ (Fatih, Interview 29.04.2012). Schiffauer beschreibt das Prinzip des „ağabey, einem ‚älteren Bruder‘, dem man sich anvertrauen kann und dem man mit einer Mischung von Liebe (sevgi) und Achtung (saygı) gegenübertritt“ (Schiffauer 2010: 168), als „bedeutsam“ (ebd.) für die Jugendarbeit der IGMG. Dahinter verbirgt sich ein genealogisches Erziehungsprinzip, das als komplementäre Ergänzung zu den Eltern konstruiert ist. In diesem Zusammenhang ist auch das Projekt „Veddeler Kiezläufer“ entstanden, das ein ehemaliger islamischer Jugendleiter gemeinsam mit ProQuartier und dem Haus der Jugend Veddel 2010 ins Leben gerufen hat. Die vom Institut für Konfliktforschung und Mediation (IKM) geschulten jungen Veddeler fungieren als Ansprechpartner für Jugendliche und andere Anwohner auf den Straßen der Veddel. Als Vertrauenspersonen sollen sie Streit schlichten und ein niedrigschwelliges soziales Angebot für Kinder und Jugendliche mit Drogen- und anderen Problemen darstellen. Das Projekt erhielt bis 2012 finanzielle Unterstützung durch die EU-Fördermittel „Stärken vor Ort“ und wurde dann durch Hamburger Unternehmen unterstützt. Seit Anfang 2015 wird es vom Verein Veddel aktiv getragen und seitdem weiter institutionalisiert (Veddel aktiv 2015). Dieser Überblick konzentrierte sich vor allem auf die Aktivitäten und das Engagement von ProQuartier und der Islamischen Gemeinde Veddel, die inner-

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halb der Ökonomie der Stadtteilentwicklung ähnliche gemeinschaftsfördernde Ziele verfolgen. Sowohl das Konzept der IGMG-Jugendarbeit als auch die Aufgaben von ProQuartier lassen sich als kommunitaristisches Programm fassen, dessen Ziel in der Erschaffung einer korporierten lokalen Identität besteht. Diese Deutung dient zur Kontextualisierung des Quartierskunstprojekts, das im Fokus der Fallstudie steht. 2.1.5 Imagearbeit: Kunstförderung und die Visualisierung von Islam In den 1990er Jahren galt die Veddel als „No-Go-Area“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012) in Hamburg, was das Selbstverständnis der Veddeler teilweise bis heute prägt.15 Gewalt und Drogenkriminalität brachten das Quartier immer wieder in die lokalen und überregionalen Medien. Dazu kam um die Jahrtausendwende eine problemzentrierte Debatte um islamische Parallelgesellschaften auf, in der die Veddel als Negativbeispiel fungierte. „Bei Veddel ist immer die erste Assoziation gewesen der Imam, der also dann ganz radikal aufgetreten ist, damals in diesem Fernsehbericht“ (ebd.). „Damals“ bezieht sich auf das Jahr 2003, als es in einer Reportage der ARD zum Eklat zwischen der Direktorin der Schule Slomanstieg auf der Veddel und dem Imam der Vatan Camii in der Veddeler Brückenstraße kam (ARD 2003), nachdem es etwa fünf Jahre lang gar keinen Kontakt zwischen den beiden Institutionen auf der Veddel gegeben hatte. „Es gab 2003 oder 2004 gab es ein Fernsehfeature in der ARD Freitagabends, wo der Inhalt eigentlich son bisschen war: das hieß ‚Nix deutsch-eine Schule kämpft‘, da gings irgendwie um die Fragestellung, dass nun Mädchen islamischen Glaubensbekenntnisses mit zum Schwimmunterricht wollten und die Eltern waren dagegen oder einige Eltern waren dagegen und daraus machte der NDR eine Riesengeschichte, im Prinzip passte in diese ganze Debatte damals Kopftuchverbot und solche Sachen da mit rein und äh das spiegelte eigentlich nicht so die Realität dieses Stadtteils wider, hat aber natürlich irrsinnige Auswirkungen gehabt […] dieser Fernsehbericht, der handelte von ner Schulleiterin in der Schule Slomanstieg, die dann in der Moschee war und dort mit dem damaligen Imam und dem damaligen Vorsitzenden darüber gesprochen hat, ob nicht die Mädchen mit zum Schwimmunterricht dürften und die haben die dann richtig runtergekanzelt. Das klingt also richtig übel, wenn man das so sieht. Die sind aber nicht mehr da, muss man deutlich sagen. Das ist ne ganz andere Generation von Leuten dort und seitdem hat die Schulleite-

15 Dies wurde vor allem in den Interviews, die ich mit den Veddeler Jugendlichen führte, deutlich.

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rin jeglichen Kontakt zur islamischen Gemeinde aufgegeben“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07. 2012).

Die mediale Auseinandersetzung über die Frage, ob muslimische Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen oder nicht, prägte nach Angaben des Quartiersmanagers das innerstädtische Bild der Veddel als „No-Go-Area“ (ebd.). Zehn Jahre später gibt es einen anderen Imam auf der Veddel und eine Quartierskünstlerin, deren Arbeit explizit die Sichtbarkeit des Islam aufgreift und auf künstlerische Weise in den öffentlichen Raum einschreibt. Der Imagewandel der Veddel vollzieht sich also auch anhand lokal-islamischer Identitätspolitik. Die Idee, auf der Veddel einen Quartierskünstler zu beschäftigen, kam Uetzmann im Jahr 2006 aufgrund von leerstehenden Räumen, die nach dem Ausbau der ehemaligen Polizeisporthalle zu einem Stadtteilzentrum für Sport und Kultur noch keine Verwendung hatten. Sowohl der Vorstand der SAGA GWG und der dazugehörigen Stiftung Nachbarschaft als auch das BezirksamtMitte nahmen den Vorschlag positiv auf und drängten auf eine schnelle Umsetzung (ebd.). In Anlehnung an das Konzept des Stadtschreibers, das in einigen mittelgroßen Städten etabliert wurde, werden der Quartierskünstlerin Wohnung und Atelier kostenlos zur Verfügung gestellt und ein Stipendium gezahlt. „Die Ausloberin erwartet, dass der/die Preisträger/in sich mit dem Stadtteil Veddel beschäftigt, dieses künstlerisch reflektiert und die BewohnerInnen in dem künstlerischen Prozess aktiv anspricht und einbindet“ (SAGA GWG Stiftung Nachbarschaft 2011). Hier deutet sich bereits eine erzieherische Komponente des Stipendiums an, wenn von der Künstlerin die Ansprache an die Veddeler erwartet wird. Rahel Bruns, die Quartierskünstlerin der Periode von 2011 bis 2013 beschreibt ihr Projekt im Interview wie folgt: „Ich habe mich beworben mit der Idee, Gruppenfotos zu sammeln von Leuten, die um die vorletzte Jahrhundertwende, also bis vor 150 Jahren oder was, hier über die Veddel ausgewandert sind. […] und zu sammeln, also auch hier irgendwie in den Archiven an der Schule und so, die zu sammeln, aber eben auch selbst auf Gruppen zuzugehen und Fotos zu machen und diese beiden Arten von Fotos in schwarz-weiß und sehr klein runter zu kopieren und die einzelnen Köpfchen auszuschneiden, und zwar wirklich so in 3-5 mm Größe, eigentlich son bisschen kleiner als Konfetti und die dann zu mischen und im Grunde genommen Fotos von Auswanderern und von tatsächlich hauptsächlich Einwanderern oder Nachkommen von Einwanderern hier auf der Veddel, von den Leuten, die aktuell hier leben, die zu mischen und gemeinsam über unterschiedlichste Kanäle wieder in die Welt hinaus zu schicken“ (Rahel Bruns, Interview 11.03.2013).

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Visuell sind die alten und neuen Fotos in dieser Größe kaum zu unterscheiden, da die Frauen der Jahrhundertwende genauso wie viele Veddelerinnen des 21. Jahrhunderts meistens Kopftuch tragen. Die Künstlerin schrieb später in einer Mail, die Parallele des Kopftuchs zwischen ehemaligen und gegenwärtigen Veddeler Bewohnerinnen habe sie aus verschiedenen ästhetischen Gründen spannend gefunden. Einer davon bestand darin, „dabei Bedeutung und Überhöhung (auch die von außen in der aktuellen Debatte) religiöser Symbole zu hinterfragen. Bzw. nicht einmal zu hinterfragen, sondern durch das Mischen Frauen mit Kopftuch damals und heute die Fragen und Relativierungen ganz von selbst kommen zu lassen“ (aus einer persönlichen Mail von Rahel Bruns, 26.09.2014).

Die Jury, die sich für dieses Projekt entschied, bestand aus einem Vertreter der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, einem Mitglied des Bundes Bildender Künstler Hamburg (BBK), einer Vertreterin der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HfBK), vier Vertretern aus dem Stadtteil, einem Vertreter der örtlichen SAGA GWG Geschäftsstelle und einem Vertreter der Stiftung Nachbarschaft (vgl. SAGA GWG Stiftung Nachbarschaft 2011). In der Zusammensetzung der Jury sieht Uetzmann ein wichtiges identitätsstiftendes Moment: „Wir haben in die Jury immer mit rein geholt die Kulturbehörde, die Hochschule für bildende Kunst und Stadtteilvertreter, also so paritätisch die Hälfte Stadtteilvertreter, die Hälfte Fachleute besetzt und das prägt das Image sehr stark mit“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012). Neben der medialen Aufmerksamkeit, die das Projekt alle zwei Jahre errege und hamburgweit bekannt gemacht habe, „bewirkt das was im Stadtteil selber, weil Leute plötzlich mit was konfrontiert werden, was sie sonst gar nicht kennen“ (ebd.). Die Äußerungen des Quartiersmanagers zusammen mit den oben zitierten Anforderungen aus dem Auslobungstext verdeutlichen eine bestimmte Vorstellung der Veddeler Bewohner, die eine ähnlich stigmatisierende Wirkung entfaltet wie die Problematisierung eines Quartiers durch das Instrument der Sozialraumbeschreibung. Dies zeigt die allgegenwärtige Präsenz ethnisierender Diskursmomente, vor denen auch gut gemeinte Kulturprogramme nicht gefeit sind. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für das Quartierskunst-Projekt von 2011 bemerkenswert, das muslimische Bekleidungspraktiken mit hamburgischer Geschichte verbindet und daraus eine eigene Ästhetik entwickelt. Für die mehrheitlich türkischstämmigen Veddeler ist das Kopftuch oftmals ein bekanntes Alltagskleidungsstück. Die Fremdheit (des Kopftuchs), die vom Quartiersmanager im obigen Zitat als identitätsstiftendes Moment genannt wird, verweist hier ungewollt auf die Hamburger Mehrheitsgesellschaft und wendet den erzieherischen Anspruch der Quartierskunst

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auf die Förderer selbst an. Im Sinne einer Wechselseitigkeit von Identitätskonstruktionen lässt sich am Quartierskunst-Projekt beispielhaft zeigen, wie Islam in städtische Imagearbeit inkorporiert wird. 2.2 Kunst und „dass man damit Geld verdienen kann“16 – Rekonstruktion des künstlerisch-islamischen Aushandlungsprozesses Am Abend des 24. Oktober 2013 wurde die Quartierskünstlerin Rahel Bruns offiziell mit einer großen Finissage ihres Projektes „Facing Veddel“ verabschiedet. Vor dem Atelier war ein Pavillon aufgebaut, es wurden Häppchen und Getränke von schwarz gekleideten Kellnern gereicht und die Bausenatorin Jutta Blankau war gekommen, um eine Rede zu halten. Als ich mit Vertreterinnen der „Muslimischen Mädchen Veddel“ im Atelier ankam, fragte eine von ihnen leise: „Wie lange müssen wir denn bleiben?“ (Feldnotizen 24.10.2013). Ihr anfängliches Unbehagen verschwand jedoch mehr und mehr, als wir von der Künstlerin herzlich begrüßt wurden und diese in ihrer Dankesrede explizit die Mädchen aus dem islamischen Jugendlokal erwähnte, die durch ihre Freundschaft und tatkräftige Unterstützung beim Gelingen des Projektes maßgeblich mitgeholfen hatten. Diese Szene symbolisiert den schwierigen Prozess des wechselseitigen Anerkennens und Aushandelns, der sich zwischen der Künstlerin und den „Muslimischen Mädchen“ in den anderthalb Jahren ihres Kontakts entwickelte. 2.2.1 „Berührungsängste“17 auf dem „Zahnstocher“18 – Verortung der Akteure auf der Veddel Bevor ich mich dem Aushandlungsprozess zwischen der Künstlerin und den Veddeler Musliminnen widme, stelle ich ihre jeweilige Verortung im Stadtteil getrennt voneinander vor und schildere ihre teils ambivalenten, teils übereinstimmenden Konstruktionen des Quartiers. Die Ausführungen entstammen der Anfangsphase meiner Feldforschung auf der Veddel, bevor die Künstlerin die Mädchen kennengelernt hatte, und beziehen auch meine Beobachtungen der Jungengruppe mit ein, die sich nicht am Kunstprojekt beteiligte.

16 Dies ist ein Zitat von Selma als Reaktion auf den Besuch in Rahel Bruns Atelier (Feldnotizen 24.10.2012). 17 Zitat von Rahel Bruns, Interview 11.03.2013. 18 Zitat von Gülden, Interview 17.06.2012.

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Die Quartierskünstlerin Rahel Bruns Die mediale Aufmerksamkeit, die der Quartierskünstlerin vor allem zu Beginn des Stipendiums zuteil wird, unterstreicht ihren Status als Fremdkörper im Quartier: „Wenn sie mit ihrer quartiersbezogenen Arbeit beginnt, wird sie den Veddelern den Blick ins Atelier verwehren. Doch mit ihnen darüber reden wird sie, auf ihren Streifzügen durchs Quartier. Vor Verständigungsproblemen im Stadtteil mit einem Migrantenanteil von mehr als 70 Prozent hat sie keine Angst. ‚Dank meines Studiums‘, sagt Rahel Bruns, ‚spreche ich außer Englisch und Spanisch auch Arabisch und ein bisschen Persisch‘“ (Ulrich 2011).

In diesem Zeitungsartikel aus dem Hamburger Abendblatt wird die Position der Quartierskünstlerin in mehrfacher Hinsicht als Außenseiterin auf der Veddel konzipiert. Vor ihrem mehrheitsdeutschen Hintergrund wird die akademische, mehrsprachige Bildung als Kommunikationsmittel konstruiert, um den Veddelern das vermeintlich unzugängliche Medium Kunst nahe zu bringen. Hierin deutet sich das ethnozentrische Potential des Stipendiums an, das auf einen gesellschaftlichen Diskurs rekurriert, in dem Migrationshintergrund und vergleichbar geringe formale Bildung als Zugangsbarrieren zu Hochkultur firmieren. Die medialen Deutungsversuche verunsichern die Quartierskünstlerin nach eigenen Angaben: „meine Situation hier hab ich auch völlig falsch eingeschätzt. Also dass man wirklich, also am Anfang wurde ja massiv auch mit Presse das Ding in allen möglichen-, das lief sogar aufm Infoscreen in der U-Bahn, also mit Foto von mir und die neue Quartierskünstlerin (Lachen) und das hat dann bei mir erst mal so ne latente Paranoia ausgelöst (Rahel Bruns, Interview 11.03.13).

Rahels Position verändert sich im Laufe ihrer Anfangszeit als Quartierskünstlerin. Glaubte sie vor ihrer Bewerbung noch wegen ihres islamwissenschaftlichen Studiums an „eine Chance, die viele andere nicht haben“ (ebd.), wandelt sich dieses Selbstbewusstsein zu Beginn ihrer Zeit auf der Veddel deutlich. Die physische Lage des Ateliers, umgeben von Wohnhäusern und der frequentierten Sporthalle, verstärken die „Paranoia“ und das Gefühl, selbst Beobachtungsobjekt zu sein. Künstlerisch verdichtet Rahel Bruns diese Situation des Beobachtens und Beobachtet-Werdens in der Aufstellung eines überlebensgroßen Hochsitzes, wie er in Wäldern für Jäger zu finden ist, in ihrem Atelier. Der Hochsitz verbild-

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licht die gleichzeitig beobachtende und entfremdete Situiertheit der Künstlerin in ihrer Anfangszeit auf der Veddel. „Also ich hatte irgendwie viel Respekt und wahrscheinlich auch trotz Islamwissenschaftsstudium und vielen Reisen nach Syrien und Ägypten und sonst wohin hatte ich doch irgendwie ziemliche Berührungsängste, das fand ich- hatte ich so nicht gedacht. Kam auch natürlich aus manchen Begegnungen hier, […] auch so, wie die Frauen sich verändern, sobald da einer der Männer dazu kommt. Also so die sehr, offensichtlich sehr religiösen muslimischen Frauen, sehr junge Frauen mit ihren zwei, drei Kindern“ (ebd.).

Rahels Positionierung ist ambivalent, da sie einerseits mit der gezielten visuellen Diffusion von Bildern eine Anerkennung von Islam anstößt und andererseits eigene Vorbehalte gegen Geschlechterrollen, die als islamisch gelten, formuliert. Auch ihre Rolle als Stipendiatin von ProQuartier stellt sie vor widersprüchliche Herausforderungen und macht sie, ihrem eigenen Empfinden nach, zur Erfüllungsgehilfin mangelhafter Sozialpolitik. Während die Künstlerin ProQuartier als ehrlichen Makler der Veddeler Bewohner einschätzt, erklärt sie sich ihre temporäre Zerrissenheit mit dem Ungleichgewicht politischer Anstrengungen. Vor dem Hintergrund, dass fundamentale Bedingungen zur Verbesserung der Lebensqualität auf der Veddel fehlen, schätzt sie ihr persönliches Veränderungspotential als gering ein und sieht sich nicht allein im Stande, „die großen Fehler der Politik wett [zu] machen“ (ebd.). Damit rekurriert sie sowohl auf stadtteilspezifische Missstände als auch auf eine von ihr wahrgenommene mangelnde „Integrationspolitik“ (ebd.) des Bundes. Die „Muslimischen Mädchen Veddel“ Das ehemalige Postamt, das 2007 zum islamischen Jugendlokal umfunktioniert wurde, nutzen Mädchen und Jungen gleichermaßen, wobei auf eine strikte Geschlechtertrennung geachtet wird, die nur in Ausnahmefällen oder durch externe Besucher aufgeweicht wird. In meinem Fall gaben mir die Jungen zwar bereitwillig Auskunft, allerdings war es nicht denkbar, dass ich ohne festen Termin einfach so mit ihnen im Lokal Zeit verbrachte. Ganz anders entwickelte sich mein Verhältnis zu den Mädchen, die mich sofort in ihre Gruppe aufnahmen und sehr offen und freundschaftlich mit mir umgingen. Bei einem meiner ersten Besuche im islamischen Jugendlokal auf der Veddel zeigt mir Selma19 stolz einen Ansteckbutton mit dem Logo der Gruppe, das aussieht wie eine geschlossene, violette Tulpenblüte. Auf der Brosche steht „Veddel

19 Die Namen der Mitglieder des Jugendlokals sind anonymisiert.

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Liya gençliği“ geschrieben, der Name ihres Mädchenlokals. Das habe sonst keine andere der 17 BIG-Mädchengruppen in Hamburg und Umgebung, betont sie. Selma ist die Leiterin der Gruppe, die sich mittwochabends am Sieldeich trifft. Insgesamt kommen bis zu 18 junge Frauen im Alter von 17 bis 22 Jahren an diesen Abenden ins Jugendlokal, wobei einige immer da sind und andere nur sehr selten. Wie die meisten der Mädchen wuchs Selma auf der Veddel auf und war in der dortigen Moschee sozialisiert worden. Obwohl sie einige Jahre mit ihrer Familie außerhalb Hamburgs gelebt hatte und nun in Harburg wohnt, engagiert sie sich weiterhin im Veddeler Jugendlokal. Ihr Tatendrang und Ideenreichtum sind unter den anderen Mädchen berüchtigt und als Leiterin nimmt sie immer wieder die Rolle ein, die anderen zu motivieren und für Disziplin zu sorgen. Die Aktivitäten der Mädchengruppe beschränken sich nicht nur auf religiöse Vorträge, zu denen sie meist weibliche islamische Gelehrte einladen oder selbst ein Referat halten. Selma legt sehr viel Wert auf Wohltätigkeit, weil dies im Islam als besonders gottgefällig gilt (vgl. Fatih, Interview 29.04.2012). Die sozialen Aktivitäten der BIG-Jugendlokale werden von der Dachorganisation, dem Islamischen Jugendbund, vorgegeben und koordiniert. Für die Durchführung und Ausgestaltung der Spenden- und Hilfsaktionen sind die Gruppen selbst verantwortlich und werden je nach Einsatz und Ideenreichtum dafür belohnt und ausgezeichnet. Einmal organisierten die „Muslimischen Mädchen Veddel“ eine Modenschau für wohltätige Zwecke und bekamen dafür von der Centrum Moschee eine Ehrung, „weil wir so ne gute Idee hatten, weil wir waren die einzigen, die so was gemacht haben“ (Selma, Interview 30.05.2012). Die Adressaten dieser Aktionen sind meist bedürftige Muslime aus aller Welt. Doch auch lokales Engagement wird von der Jugendorganisation des Bündnisses forciert. Die jungen Erwachsenen kümmern sich als „große Geschwister“ um die Jüngeren der Gemeinde und stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Jede Mentorin ist für ein oder zwei Jugendliche verantwortlich. Darüber hinaus geben einige der Mädchen am Wochenende den Kleineren Islamunterricht. Die Aufgaben und Ämter der einzelnen Gruppenmitglieder werden alle paar Monate neu verteilt. Kunst und Kreativität spielen im ehrenamtlichen Engagement der jungen Musliminnen eine instrumentelle Rolle: in der Arbeit mit Kindern dienen sie der Veranschaulichung und dem Ausdruck von Gottes Schöpfung. Auch für die Konzeption neuer Projekte und Ideen für das Lokal wird Kreativität von den Mädchen als positive Bewertungskategorie genutzt. Regelmäßig veranstalten sie „Kreativwettbewerbe“ für die Jüngeren zu einem islambezogenen Thema und zeichnen die besten Ergebnisse (meistens Bilder oder Gedichte) mit einem Preis aus. In dieser Prozedur deutet sich ein leistungsbezogenes Verständnis von Kunst und Kreativität an, das mit

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der Ästhetik und Wirkungsweise aktueller bildender Kunst kollidiert. Es rekurriert auch auf die Bildungsbiographien der „Muslimischen Mädchen“, die überwiegend pädagogisch-künstlerische Gebiete umfassen. Interessant sind die Werdegänge der jungen Frauen auch in der Hinsicht, dass die meisten mindestens einen Schulwechsel nach dem Übergang auf eine weiterführende Schule hinter sich haben und ihre Hochschulzugangsberechtigungen über den zweiten Bildungsweg erreichten. Nicht für alle ist ein Studium erstrebenswert, aber die Frage nach dem richtigen Berufsziel und den späteren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt sind vieldiskutierte Themen im Veddeler Jugendlokal. Dies rekurriert auf das Ziel der IGMG, beruflich eingebundene junge Muslime auszubilden, die ihre Integration auch auf dem Arbeitsmarkt unter Beweis stellen können (vgl. Schiffauer 2010: 335ff.). Neben den Pflichtübungen, zu denen Selma die anderen oftmals geduldig überreden muss, gehören auch zweckungebundene Freizeitveranstaltungen zum Repertoire. Getreu dem Motto „Spaß muss auch sein“ (Selma, Interview 30.05.2012) finden im Jugendlokal immer wieder Themenabende ohne direkten Bildungsauftrag statt. Diese Aktivitäten lassen sich als Kontrastprogramm zu der strikten Konzeption der IGMG-Jugendarbeit deuten, die die Leistungsfähigkeit und Funktionalität der Jugendlichen bezweckt (vgl. Schiffauer 2010: 335). An einem meiner Abende im Jugendlokal veranstalten die Mädchen einen „Indischen Abend“ mit Verkleidung, indischem Tanz, Musik und Essen (Feldnotizen, 16.01.2013). Als körperliche Ausdrucksform spielt Tanz eine wichtige Rolle in der Freizeitgestaltung der Mädchen. Wenn es kein festes Programm gibt, dreht irgendwann am Abend immer jemand die Musikanlage auf und sofort fangen zwei oder drei der Mädchen an zu tanzen, wobei die Bewegungen sowohl an türkische Gruppentänze erinnern als auch an arabischen Bauchtanz. In diesem Aufdrehen der Musik liegt eine widerständige Nuance, die deutlich wird, als eines Abends eine Abla20 während der Tanzeinlage unvorhergesehen ins Jugendlokal kommt. Die Musik wird sofort leise gedreht und die eben noch Tanzenden scheinen sich zu schämen und bleiben wie angewurzelt stehen (Feldnotizen, 30.05.2012). Diese Szene belegt die subversive Implikation, die mit dem Anspruch „Spaß“ haben zu wollen, verbunden ist. Bevor sie unterbrochen werden, bewegen die Mädchen sich selbstbewusst und routiniert zur Musik. Auch bei anderen Gelegenheiten fällt mir ihre selbstsichere Körpersprache auf, die sich vor allem in der Rolle als Gastgeberin zeigt. Auch die Schüchternen unter ihnen blühen förmlich auf, wenn sie mir Tee oder Süßigkeiten anbieten konnten. Das performative Gastgeben fällt ihnen nicht nur im Jugendlokal leicht:

20 Türkisch für ‚ältere Schwester‘, wie mir die Mädchen aus dem Jugendlokal erklärten.

192 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND Nach dem Interview zeigt mir Selma das ganze Jugendlokal. Die untere Etage habe ich vorher noch nicht betreten. Es ist nicht gerade gemütlich, weil das Kellergeschoss keine Fenster besitzt und irgendwie auch immer noch Kellercharme versprüht. Die Wände sind zum Teil bemalt und mit selbstgebastelten Plakaten beklebt. Hier finden die Islameinführungskurse für Kinder statt, die unter anderem auch Selma betreut. Sie zeigt mir die Räume nicht ganz ohne Stolz und scheint die Atmosphäre und Ausstattung der Etage als angenehm zu empfinden. Danach besuchen wir die Veddeler Moschee. Sie scheint sich auch hier wie zu Hause zu fühlen. Im Hauptgebetsraum öffnet sie die Fenster weit, weil sie die Luft unangenehm findet. Danach gehen wir in den angrenzenden Basar, wo sie uns Gummizeug kauft und wir den Hodscha der Moschee treffen (Feldnotizen, 30.05.2012).

Die demonstrative Leichtigkeit, mit der die Mädchen sich im Jugendlokal und der Moschee bewegen, steht im Kontrast zu ihren subjektiven Verortungen auf der Veddel, die zumindest partiell als prekär empfunden werden. Gülden spitzt die Enge der Veddel rhetorisch zu und nennt sie einen „Zahnstocher“ (Gülden, Interview 17.06.2012), von dem jederzeit herunterfallen könne, wer sich sozial unverträglich verhalte. Damit spielt sie auf den hohen Grad sozialer Kontrolle an, der unter den Bewohnern der Veddel ihrer Meinung nach herrsche. Auch Filiz formuliert eine Ambivalenz hinsichtlich der mangelnden Anonymität auf der Veddel: „Also es gibt eine Sache, was ich hier gut aber auch schlecht finde, und zwar, dass es hier klein ist und hier jeder jeden kennt. Einerseits ist das gut, man fühlt sich wohl, aber andererseits ist das so: Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, nicht nervig aber so, keine Ahnung. Man denkt die ganze Zeit so, ja die Leute hier kennen dich, die beobachten dich hier auf Schritt und Tritt“ (Filiz, Interview 06.06.2012).

Ein wiederkehrendes Motiv in den Äußerungen der Mädchen stellen die „Blicke“ von anderen dar, die als performative, weil non-verbale Kommunikation gedeutet werden. Sie stehen symbolisch für ein Gefühl der Fremdheit, das zwischen absichtlicher Abgrenzung und Ausgeschlossenheit changiert. Park fasst diese Balance als lokalspezifisches Ritual. Er fragt: „What is the social ritual i.e., what things must one do, in the neighborhood in order to escape being regarded with suspicion or looked upon as peculiar“ (Park 1925: 11f.)? Während Selma und Emel als Kopftuchträgerinnen und stets mit langen Mänteln bekleidet nach eigenen Angaben eher woanders als auf der Veddel auffallen, verzichten Filiz und Gülden aus unterschiedlichen Gründen auf eine sichtbare islamische Zugehörigkeit im Alltag und bieten so ihren Nachbarn mehr Interpretationsmöglichkeiten und Gesprächsstoff. Das Motiv der Blicke korrespondiert mit der Wahr-

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nehmung der Veddel als Dorf, in dem „face-to-face-Beziehungen“ (Lindner 2004: 161) eine ambivalente Position einnehmen. Das Unbehagen, das sich scheinbar aus den Beobachtungen durch andere nährt, illustriert die Unsicherheit über den eigenen sozialen Status. Fast alle Mädchen verbringen einen Großteil ihrer Zeit in anderen Teilen der Stadt, wie sie selbst betonen. Sei es, weil der Ort ihrer Ausbildungsstätten es verlangt oder weil es woanders bessere Einkaufsmöglichkeiten gibt, steht die Veddel nicht im Zentrum ihrer alltäglichen Aktivitäten. Darüber hinaus verlassen die Mädchen die Stadt mindestens einmal im Jahr für eine gemeinsame Reise mit der Gruppe. Im Jahr 2012 waren sie zusammen in Bosnien – ein Jahr später lautet das Reiseziel Istanbul. Der Urlaub der „Muslimischen Mädchen“ steht somit im Zeichen des Islam und der panislamischen Vergemeinschaftung. Im Gegensatz zu den aktuellen Verortungen auf der Veddel werden die Kindheitserinnerungen von allen Mädchen idealisiert. „Alles Türken hier, die Kinder haben draußen gespielt, keiner hat äh drauf geachtet, wir waren frei halt, also es war sicher“ (Selma, Interview 30.05.2012). Die Kindheit auf der Veddel wird als Gegensatz zu den heutigen Verhältnissen konstruiert. Die durch Freundschaften und Familienbeziehungen gekennzeichnete dörfliche Atmosphäre des Aufwachsens verkehrt sich im jungen Erwachsenenalter zur ernüchternden Entfremdung mit einst Altvertrautem. Dabei spielen Begegnungen mit Bekannten ebenso eine Rolle wie der Zuzug von Fremden, die von den Mädchen als Albaner und Bulgaren kategorisiert werden. Vor diesem Hintergrund begründen die „Muslimischen Mädchen“ ihre Motivation zum religiös-sozialen Engagement. „Weil hier hat man keine Möglichkeiten, wenn du was willst, musst du immer raus, musst du immer wegfahren. Wir haben hier nichts und deshalb können sich die Leute auch nicht vom Verstand her und vom Denken her nicht erweitern. Also hier sind die Menschen noch n bisschen zurück“ (Gülden, Interview mit 17.06.2012).

Dem nach wie vor niedrigen Bildungsniveau der Veddeler setzen die jungen Erwachsenen ihre religiös geprägte, aber durchaus an weltlichen Maßstäben geschulte Bildung entgegen und versuchen so, gesellschaftlichen Aufstieg und sozialen Wandel auf der Veddel herbeizuführen. In dieser Hinsicht ziehen sie mit ProQuartier, das mithilfe verschiedener Initiativen einen Imagewandel auf der Veddel bewirken möchte, an einem Strang. Die islamische Ethik verlangt von den Gläubigen Opferbereitschaft und Unterstützung von Hilfsbedürftigen und fördert so auch bei den Mitgliedern des Jugendlokals die Bereitschaft, einen Teil ihrer Freizeit mit sozialen Aktivitäten zu verbringen. Konkret herausgebildet und geschärft hat sich diese Bereitschaft al-

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lerdings durch die eigenen Erfahrungen, die nun an nachfolgende Generationen weitergegeben werden sollen, was als interdependente Jugendarbeit verstanden werden kann. Diesem Ansatz liegt ein genealogisches Erziehungsprinzip zu Grunde, das die ganzheitliche Ideologie von Milli Görüş und BIG illustriert, nach der die Organisation die Mitglieder möglichst „von der Geburt bis zum Tod“ (Selma, Interview 30.05.12) begleiten soll. Damit verbunden wird auch ein raumbezogener Machtanspruch deutlich. Im Interview mit einem jungen Mann aus dem Jugendlokal kommt dies zum Ausdruck, als er mir seine Motivation erklärt: „also die Kinder, die jetzt unsere Zukunft sozusagen sind, […] für diese Altersgruppe bin ich dann eher orientiert, weil die werden dann irgendwann 18 sein und die sollen dann irgendwann für unsere Kinder sorgen. Das soll halt, wir sorgen dann dafür, dass wir für Kinder von andern sorgen und damit die später auch für unsere Kinder das machen können, damit die auch dafür sorgen, dass unsere Kinder nicht auf schlimme Wege gehen, sondern auf den guten Weg. Für die die große Bruder-Rolle spielen. Das soll halt so sein. Wir passen auf den auf und der auf den und das geht die ganze Zeit so weiter“ (Mehmet, Interview 21.04.2012).

Raum und Zeit werden hier wie selbstverständlich als Einheit konstruiert und konstatieren so die Präsenz des Jugendlokals jetzt und in Zukunft. Darin manifestiert sich die auf Dauer angelegte Bemühung, die Veddel nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und eine Instrumentalisierung von Lokalität, die sich die Notwendigkeit konkreter Vergemeinschaftung zunutze macht. Auch hier zeigt sich die Übereinstimmung mit den stadtplanerischen Konzepten von ProQuartier, die darauf abzielen, Bewohner langfristig an ihr Viertel zu binden. Gegenseitiges Anerkennen und Widerstände im öffentlichen Raum Das Portrait der Hauptakteure dieser ethnographischen Analyse sollte einen Einblick darüber geben, wie sich die Musliminnen und die Künstlerin den öffentlichen Raum der Veddel vor ihrem Aufeinandertreffen aneignen und welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben. Dabei können zwei Aspekte ihrer Positionierungen als besonders aufschlussreich für die weitere Analyse identifiziert werden: gegenseitiges (An-)erkennen und Widerstände im öffentlichen Raum. In den Annäherungen an die Akteure haben sich diese beiden Motive als zentrale Reibungspunkte der Identitätskonstruktion herausgebildet. Die Alltagspraktiken der Frauen kreisen demnach um Fragen nach ihrem gesellschaftlichen Anschluss und der eigenen sozialen Position. Während die Mädchen aus dem Jugendlokal mit Rückgriff auf Religion versuchen, den öffentlichen Raum zu verändern und

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selbst einen „guten Weg“ zu gehen, reflektiert die Stipendiatin Rahel Bruns ihre Verortung auf der Veddel vor dem Hintergrund ihres künstlerischen Schaffens und ihrer Anerkennung durch städtische Institutionen. Beide beschäftigen sich in hohem Maße mit dem Bild, das sich andere von ihnen machen und stellen sich auf verschiedenen Ebenen immer wieder die Frage, für wen sie gehalten werden. Diese Suchbewegungen nach Anerkennung und der Möglichkeit des Wandels lassen sich bei den Akteuren parallel nachzeichnen. In den folgenden Ausführungen geht es nun darum, diese Parallelen miteinander zu konfrontieren und der dialogischen Beziehung zwischen den Akteuren auf den Grund zu gehen. Die Quartierskünstlerin macht sich eine visuelle Ausprägung von Islam künstlerisch zu Eigen, um den gesellschaftlichen Diskurs darüber zu verändern. Gleichzeitig bleibt ihre eigene Meinung dazu ambivalent. In diesen Dispositionen kündigt sich ein Spannungsverhältnis an, das sich auch in den Begegnungen der Akteure niederschlägt. 2.2.2 Chronologie der Begegnungen zwischen der Quartierskünstlerin Rahel Bruns und den „Muslimischen Mädchen Veddel“ Rahel trifft im Sommer 2012 beim Stadtteilfest den Moscheevorsteher mit seiner Frau Gülay, einer Abla, die sich nach wie vor um die Belange der Mädchen kümmert, und Selma, die zu der Zeit die Gruppe der Mädchen leitet. Sofort verabreden sich die Frauen und Rahel verspricht, auch die Moschee auf der Veddeler Brückenstraße zu besuchen. Diese erste Begegnung bedeutet vor allem Rahel viel, wie sie im Interview betont. „[…] als ich die kennengelernt hab, war ich natürlich sehr glücklich, weil ich wochenlang schon irgendwie an Punkten so war und mich nicht so richtig getraut hab, auf die zuzugehen“ (Rahel Bruns, Interview 11.03.2013). Einige Wochen später besucht Rahel Selma und die anderen Mädchen im Jugendlokal, wo sie darüber sprechen, „wer sie sind“ (ebd.). Ende September lädt Rahel die „Muslimischen Mädchen“ dann zu sich ins Atelier ein, zeigt ihre Arbeiten und erzählt von ihrem Vorhaben, die Mädchen zu fotografieren. Die Reaktionen sind interessiert bis ablehnend. Vor allem Gülay und Funda können nichts mit dieser Art von Kunst anfangen, das drückt sich in der Art ihrer Fragen aus (Feldnotizen, 26.09.2012). Die anderen Mädchen wirken offener für Rahels Idee. Aber auch sie fragen sich hinterher, wie man denn damit Geld verdienen kann (Feldnotizen, 24.10.2012). Selma hat als Gruppenleiterin außerdem Bedenken.

196 | A NERKENNUNG UND W IDERSTAND Sie finde das ja alles ganz toll und nett, aber sie wisse nicht, ob die Mädchen vom gençlik da als Gruppe so mitmachen sollen. Ich frage: „Ob es zu euch passt?“ Sie bejaht das. Aber später sagt sie, dass die meisten Mädels der Idee sehr positiv gegenüberstehen und gern mitmachen wollen (Feldnotizen, 31.10.2012).

Im Dezember bringe ich bei einem meiner Besuche im Lokal Flyer für Rahels aktuelle Ausstellung mit, die sie mir extra für die Mädchen mitgegeben hat. Zeynep fragt mich fast empört: „Warst du bei Rahel?“ als ich die Einladungen für die Vernissage auf den Tisch lege. Ich frage sie, ob sie nochmal etwas von ihr gehört hat, was sie verneint „obwohl sie meine E-Mailadresse und meine Handynummer hat“. Es klingt ein bisschen enttäuscht (Feldnotizen, 12.12.2012).

Doch auch die Mädchen kommen Rahels Einladung nicht nach. Als im März eine zweite Vernissage ansteht, sprechen sie zwar kurz darüber hinzugehen, tun es aber letzten Endes nicht, weil es gerade erhebliche Probleme innerhalb der Gruppe gibt, die ihre Aufmerksamkeit einnehmen. Rahel ist enttäuscht über das scheinbare Desinteresse der Mädchen. Auch weil ihr Stipendium bald abläuft und ihre Zeit auf der Veddel zu Ende geht, ergreift sie dann im Frühjahr die Initiative. Kurz vor ihrer Reise nach Istanbul werden die „Muslimischen Mädchen“ von Rahel fotografiert und mit „Köpfchen“ ausgestattet. Die „Köpfchen“ sollten an ihrem neuen Platz im öffentlichen Raum fotografiert und die Fotos an Rahel zurückgeschickt werden, was auch den konzeptionellen Einbezug der Fotografierten gewährleistet. Die Idee, die Veddeler zu künstlerischen Hilfskräften zu machen, habe sehr lange „ganz richtig lausig schlecht funktioniert“ (Rahel Bruns, Interview 11.03.2013). Erst die „Muslimischen Mädchen“ machen sich mit Fleiß daran, ihre Ergebnisse zu dokumentieren. Emel erzählt also, dass sie am Anfang noch sehr zögerlich waren mit dem Aufkleben der Köpfe und sich immer umgesehen haben, ob jemand sie beobachtet. Aber dann irgendwann sei es ihnen egal gewesen und es hätte ja auch niemanden gestört. Dann haben sie mit Uhu eine Fläche beklebt und die Köpfe hinterher darauf gestreut. Es hat Spaß gemacht und sie haben wirklich überall geklebt, wo sie hingekommen sind, vor dem TopkapıPalast z.B. (Feldnotizen, 13.08.2013).

Ende Juli findet vor dem Auswanderermuseum auf der Veddel das Iftar aller Mädchen- und Frauengruppen des BIG statt. Dort treffe ich Rahel wieder, wo sie das Engagement der Mädchen erstmals lobend herausstellt.

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Ansonsten ist dieses Fastenbrechen für uns, die nicht gefastet haben, eine seltsame Veranstaltung. Rahel sagt: „Ich fühl mich hier ein bisschen ausgeschlossen. Es ist leider immer das gleiche“ (Feldnotizen, 31.07.2013).

Im Oktober 2013 beschließt Rahel ihre Zeit auf der Veddel mit einer großen Abschlussausstellung. Auf der Veranstaltung fühlen sich Eda und Selma zuerst sichtlich unwohl. Eda fragt: „Wie lange müssen wir denn bleiben?“, als sei dies eine Pflichtveranstaltung für sie. Sie schieben mich vor, als wir hineingehen. Als wir Rahel finden und begrüßen, ist sie sehr herzlich zu uns und die Stimmung lockert sich ein bisschen auf. Selma und Eda suchen ihre Gesichter auf den Bildern, die an der Wand befestigt sind und finden sie auch. Sehr bald erregen die beiden die Aufmerksamkeit der Presse. Rahel bedankt sich in ihrer Rede gesondert für die Anwesenheit und Freundschaft der ‚Muslimischen Mädchen‘ und ich glaube, das macht sie stolz. Außerdem lobt sie die Mitarbeit der Musliminnen und ihre eifrige Kleberei in Istanbul. Diese Fotos seien mit die wichtigsten im ganzen Katalog und Projekt (Feldnotizen, 24.10.2013).

Über Rahels Verabschiedung resümiert Selma: „Ja, also wenn wir das organisiert hätten, hätte das anders ausgesehen.“ Aber mit Rahel habe sie sich sehr gut verstanden und das Projekt habe sie „so geil“ gefunden. Dann erzählt sie nochmal, wie viel Spaß sie in Istanbul hatten, die Köpfe aufzukleben (Feldnotizen, 12.11.2013).

Die Chronologie der Begegnungen erzählt vor allem von den Unsicherheiten der Akteure über die Anerkennung durch die jeweils anderen. Nicht persönliche Animositäten, sondern gesellschaftliche Zuschreibungen, die die Akteure gegenseitig aufeinander projizieren, verhindern wiederholt die Annäherung der „Muslimischen Mädchen“ mit der Quartierskünstlerin. Interessant dabei ist die Spiegelung dieses Fremdheitsgefühls. Auf beiden Seiten stellt sich wiederholt ein Gefühl der Zurückweisung und der Ausgeschlossenheit ein. Diesen wechselseitigen Zuschreibungen geht die Analyse im folgenden Kapitel auf den Grund.

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2.2.3 Die überraschend(e) Andere – Vergemeinschaftungsmomente und wechselseitige Konstruktionen Die Portraits der Akteure legen den Blick auf zwei wesentliche Kategorien der Identitätskonstruktion frei: Anerkennung und Widerstand. Durch die Chronologie der Begegnungen der Akteure können diese Motive nochmals ausdifferenziert werden. Der künstlerische Kooperationsprozess zwischen „Muslimischen Mädchen“ und Quartierskünstlerin kann anhand von drei Dimensionen für die Untersuchung konkreter Aushandlungsprozesse mit Islambezug fruchtbar gemacht werden: die Imagination der Anderen, die performative Vergemeinschaftung und die ortsbezogene Situierung der Akteure. Die imaginierte Andere Die Annahme, zwischen den Akteuren stehen vor allem gesellschaftlichdiskursiv produzierte Versionen des jeweils anderen, die die persönliche Annäherung und Vergemeinschaftung immer wieder behindern, liegt auch deshalb nahe, weil sich die Akteure wechselseitig überrascht zeigen. Sowohl Rahel als auch Gülay stellen die (Welt-)Offenheit der jeweils anderen heraus. Die Tatsache, dass dieses Merkmal als besonders erwähnenswert angesehen wird, deutet daraufhin, dass es in den Vorstellungen über die Andere(n) nicht erwartet wird. Rahel hat am Anfang erhebliche „Berührungsängste“ (Rahel Bruns, Interview 11.03.13), wie sie selbst sagt, die im Laufe der Zeit zwar weniger werden, ihr jedoch als changierendes Gefühl zwischen Inklusion und Exklusion erhalten bleiben. Dies wird bei dem großen Fastenbrechen vor dem Auswanderermuseum durch ihre Äußerung „Ich fühl mich hier ein bisschen ausgeschlossen. Es ist leider immer das gleiche“ (Feldnotizen, 31.07.2013) deutlich. Im Interview führt die Künstlerin diese Emotionen auf Vorurteile gegenüber dem Islam zurück. Für ein anderes Kunstprojekt hatte sie regelmäßig die beiden Boulevardzeitungen „Bild“ und „Hamburger Morgenpost“ gelesen, die ihrer Meinung nach, höchst islamophobe Positionen vertreten. Obwohl ihr die Lektüre zuwider war, konnte sie sich nicht vollkommen von den dort präsentierten Äußerungen distanzieren. In diesem Zusammenhang zeigt sich die Wirkungsmacht medialer Diskurse, durch die gesellschaftliche Positionen produziert und manifestiert werden. Rahels Selbstreflektion kann als Auflehnung gegen diese Wirkungsmacht verstanden werden, die jedoch immer wieder neu positioniert werden muss, um der allgegenwärtigen Festschreibung von Muslimen als Fremde entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund und den einzelnen Erfahrungen, die sie auch mit jungen Müttern muslimischen Glaubens auf der Veddel gemacht hatte, stellt sich die Offenheit der „Muslimischen Mädchen Veddel“ als Überraschung dar, die auf dem

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einfachen Prinzip beruht, dass jemand in der sozialen Wirklichkeit anders ist, als in der eigenen Vorstellung. Für die „Muslimischen Mädchen“ stehen nach der Bekanntschaft mit Rahel zuallererst materielle Fragen im Fokus, wie sich aus der Verwunderung über diese Art des Broterwerbs schließen lässt (Feldnotizen, 24.10.2012). Als alleinerziehende Mutter Anfang dreißig, die sich mit ihren Kunstprojekten und anderen Tätigkeiten finanziert, widerspricht Rahel so ziemlich allem, was den Mädchen im Leben wichtig ist. Für sie stehen Ehe und Berufsausbildung an oberster Stelle und beide haben vor allem einen Zweck zu erfüllen: finanzielle Sicherheit. Während meiner Zeit im Jugendlokal vergeht kein Tag, an dem nicht über eines dieser Themen gesprochen wird. In ihren Diskussionen wird Bildung immer wieder als wichtig betont, jedoch stets eng verbunden mit einem Beruf, der sich finanziell lohnt und ein geregeltes Einkommen verspricht. Besonders Berufe im pädagogischen Bereich sind bei den Mädchen populär, wobei auch die Frage nach der Kompatibilität mit ihrer Religion eine wichtige Rolle spielt. Während einige der Mädchen durchaus kreative Ambitionen haben, die sie entweder in ihre pädagogische Arbeit einfließen lassen oder in der Freizeit ausleben, scheint es für sie nicht angebracht zu sein, einen künstlerischen Beruf zu erlernen, da dies als Widerspruch zum Imperativ der finanziellen Sicherheit konstruiert wird. Da die meisten der Mädchen noch in der Ausbildung sind, jobben viele von ihnen zusätzlich. Diese mehrgleisige berufliche und private Situation, wozu auch die Tätigkeit im Jugendlokal gehört, endet (meistens) mit der Hochzeit, die häufig mit 22 Jahren vollzogen wird. Mit dem Eintritt in die Sphäre der Erwachsenen soll die Ausbildung möglichst abgeschlossen und ein Beruf ergriffen worden sein. Die außereheliche Zeugung eines Kindes trifft bei den Mädchen auf Unverständnis. Insofern wird Rahels Lebensentwurf, als freischaffende Künstlerin tätig, unverheiratet und alleinerziehend, von den Mädchen nur als bemitleidenswert oder befremdlich rezipiert. Vor diesem Hintergrund liegt auch aus der Perspektive der Musliminnen die Verwunderung darüber nahe, dass Rahel eine „weltoffene, ganz herzliche und liebe“ (Gülay zitiert in SAGA GWG 2013b) sei. Die Annäherung zwischen den Akteuren gestaltet sich, wie die Chronologie zeigt, schwierig. Die alltäglichen Routinen unterscheiden sich zu stark, um zufällige Treffen wahrscheinlich zu machen. Die Veranstaltungen, zu denen Rahel die Gruppe wiederholt einlädt, entsprechen nicht dem, was die Mädchen während ihrer Freizeit machen wollen. Das Jugendlokal zu verlassen und in das Atelier zu gehen, um dort mit unbekannten Menschen konfrontiert zu werden, stellt für die Mädchen eine Barriere dar, die auf eine Abgrenzung gegenüber dem sozialen Milieu der Künstlerin hinweist. Dies zeichnet sich auch in den gegensätzlichen Kunstverständnissen der Akteure ab. Dem akademisch geprägten, konzeptionel-

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len Kunstbegriff in Rahels Atelier stehen die verschulten, religiös-motivierten Kreativwettbewerbe einerseits und die folkloristischen, spaßig-spontanen Tanzeinlagen im Jugendlokal andererseits gegenüber. Während sich die meisten Mädchen für das Foto-Projekt von Rahel interessieren, stellt für sie der Besuch im Atelier eine Situation dar, der sie lieber entgehen wollen. Auf der anderen Seite scheint das Jugendlokal auch für Rahel nicht barrierefrei zu sein. Ihrer Ankündigung, die Mädchen im Lokal fotografieren zu wollen, kommt sie wochenlang nicht nach, woraufhin sich bereits eine gewisse Enttäuschung bei einigen Mädchen ausbreitet. Dies zeigt sich an Zeyneps Reaktion, die sich beinahe bei mir darüber beschwert, dass Rahel sich nicht mehr bei ihr gemeldet habe. Das Atelier und das Jugendlokal stehen somit symbolhaft für unterschiedliche soziale Räume, in denen zuweilen gegensätzliche Lebensentwürfe ihren Ausdruck finden. Es ist allerdings weniger ein Zeichen der Verurteilung dieser Entwürfe, als ein Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit, das die Akteure anleitet. Im Prozess des Kennenlernens schwanken sie zwischen den gesellschaftlich vorgeprägten Bildern der jeweils anderen und den subjektiven Einschätzungen, die jenseits von religiösen und moralischen Normen vor allem durch Sympathie und Interesse geprägt sind. Temporäre Vergemeinschaftung und ambivalente Ortsbezogenheit Erst der konkrete Einbezug in das Projekt, der im Frühjahr 2013 realisiert wird, als Rahel die Mädchen fotografiert und ihnen „Köpfchen“ mit auf die Reise nach Istanbul gibt, löst die Spannung zwischen den Akteuren situativ auf und schafft Vergemeinschaftung. Die anfängliche Skepsis gegenüber dem Projekt und die Sorge, eine Teilnahme sei nicht angemessen für die „Muslimischen Mädchen Veddel“ als Gruppe, weichen schlicht dem Spaß an der subversiven Aneignung des öffentlichen, meist historischen Raums. Die Mädchen kleben die Bilder in Istanbul vor allem an belebten Plätzen und in der Nähe von Sehenswürdigkeiten auf, die sie auf ihrer Reise besuchen, darunter auch die bekannten Moscheen der Stadt. Auf diese Weise sind zahlreiche Fotos entstanden, die neben den winzigen „Köpfchen“ türkisch-islamische Symbole abbilden. Mit der Auswahl der Orte und der Perspektivierung der Fotos haben sich die „Muslimischen Mädchen“ unverkennbar in das Kunstprojekt von Rahel eingeschrieben. Dies wird auch anhand der Veröffentlichung sichtbar, die Rahel in Form eines Magazins am Ende ihrer Zeit auf der Veddel herausgegeben hat, wo die Fotos der Mädchen, ihre Gesichter sowie von ihnen geschossene Fotos prominent vertreten sind (vgl. Bruns 2013). Die narrative Rekonstruktion des Projekts durch Emel deutet an, wie hingebungsvoll sie sich in ihrem gemeinsamen Urlaub in der Türkei der Kunst widmen. Es reicht ihnen nicht, ein paar Fotos zu machen, um ihr Verspre-

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chen einzuhalten – das anfängliche Zögern weicht dem künstlerischen Gestaltungswillen. Die Begeisterung, mit der die Mädchen den Auftrag Bilder im öffentlichen Raum anzubringen ausführen, steht im Kontrast zu dem Desinteresse und der Zurückhaltung, die sie im Atelier der Künstlerin an den Tag legen. Zieht man die Chronologie der Begegnungen und die vorherigen Positionierungen der Mädchen zum Verständnis dieser Sinneswandlung heran, ergibt sich eine gleichermaßen raumbezogene, wie performative Erklärung. Es wird deutlich, dass nicht Kunst an sich neu und unzugänglich für die Veddelerinnen ist, wie sowohl Rahel als auch Uetzmann von ProQuartier im Vorfeld annahmen. Kreativität und künstlerische Betätigung spielen im Jugendlokal eine zentrale Rolle. Auch gehört der performative Einsatz des eigenen Körpers mit zum Repertoire der „Muslimischen Mädchen“, die über gemeinsamen Tanz Subjektivität und Vergemeinschaftung erschaffen. Vielmehr stellt die rezeptiv-theoretische Auseinandersetzung mit Kunst zusammen mit dem gesellschaftlichen Kontext, in dem sie meist stattfindet, eine Barriere dar. Während der performative, körperliche Einsatz im öffentlichen Raum Istanbuls nach einigem Zögern von den Musliminnen mit Spaß erbracht wird, bleibt die formalkulturelle Ebene, auf der sich die Aushandlung der Akteure auf der Veddel vollzieht, bis zum Ende ein Hemmnis. Es scheint, dass die Veddel, gerade weil sie den Mädchen in hohem Maße bekannt ist und sich biographische sowie soziale Bezüge an jeder Ecke auftun, als bereits besetzter Raum gilt. Neue Praktiken der Aneignung lassen sich für die Mädchen hier nur schwer realisieren. In den oben dargestellten Portraits wird deutlich, dass die meisten von ihnen zwar auf der Veddel zu Hause sind, sich dort aber, außer im Jugendlokal kaum aufhalten. Sei es aus pragmatischen Gründen der Alltagsgestaltung, oder sei es, weil das „Dorf“ Veddel seine Bewohnerinnen einengt und die ständige gegenseitige Beobachtung der Nachbarn das Quartier zu einem „Zahnstocher“ macht, von dem herunterfällt, wer sich auffällig verhält (Gülden, Interview 17.06.2012). Während die Mädchen durch ihre sozio-religiöse Tätigkeit nach einem Wandel auf der Veddel streben, verharren sie dort selbst in ihren seit der Kindheit eingeübten Rollen. Erst der Ortswechsel bewirkt einen temporären Wandel der Subjektpositionen und eine situative Identifikation mit dem Kunstprojekt von Rahel.

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2.3 Unternehmerische Rituale und die Grenzen von Corporate Citizenship Der Lokalsender Hamburg 1 produziert zweimal monatlich Sendungen, die als SAGA TV ausgestrahlt und auf der unternehmenseigenen Website veröffentlicht werden (vgl. SAGA GWG 2013b).21 In der Sendung über die Verabschiedung von Rahel Bruns als Quartierskünstlerin auf der Veddel hebt der Moderator hervor, welche Funktionen das Stipendium erfüllt habe: Die Veddeler seien mit aktueller Kunst in Berührung gekommen, die Künstlerin habe die Menschen erreicht und die Veddel sei in ein positives Licht gerückt worden. Die Bilanz von SAGA GWG fällt also sowohl auf der zwischenmenschlichen Ebene als auch in Zusammenhang mit dem Stadtteilimage euphorisch aus. Im Sinne der aktivierenden Stadtteilpolitik, die SAGA GWG und der Hamburger Senat verfolgen, hat die Quartierskünstlerin ihr Ziel erreicht. Die grenzerhaltende Logik dieser Politik wird allerdings anhand einer Frage des Hamburg 1-Moderators deutlich: „Welche ausgeklügelten Taktiken haben Sie denn entwickelt, um die Veddeler zur Kunst zu bringen?“ (SAGA GWG 2013b). Darin schwingt die Annahme mit, die meisten Bewohner der Elbinsel seien grundsätzlich bildungsfern und nicht an aktueller Kunst interessiert. Wie im ersten Teil dieses Kapitels skizziert wurde, sind besonders die muslimischen Akteure auf der Veddel in vielfältigen Projekten im öffentlichen Raum tätig und arbeiten eng mit ProQuartier zusammen, um die Veddel nach ihren Vorstellungen einer guten Gesellschaft zu wandeln. Auch andere Projekte wie „Made auf Veddel“ und „New Hamburg“ (s. Kapitel V.2.1.2) zeigen das Selbstermächtigungspotential der Veddeler Bewohner. Vor diesem Hintergrund mutet die Frage des Moderators, die an die künstlerische Früherziehung von Kindern erinnert, überheblich an und verkennt die Vielschichtigkeit subjektiver Positionierungen. Mit der edukatorischen Implikation seiner Frage straft der Moderator die offizielle Intention des Projekts, nämlich zum Empowerment der Veddeler beizutragen, Lügen. Auch die Abschiedsveranstaltung für die Quartierskünstlerin offenbart die bestehende Diskrepanz zwischen unternehmerischem Engagement und anderen Veddeler Identitäten. Die Finissage für Rahel Bruns verstärkt durch ihre Art, Festlichkeit zu inszenieren, das Gefühl der gesellschaftlichen Ausgeschlossenheit der „Muslimischen Mädchen“. Die Dekoration des Ateliers mit Tischdecken und Pavillon und die Anwesenheit von schwarz gekleideten Kellnern, Politikern und SAGA GWG-Vorstand schüchtern die Mädchen sichtlich ein. Der Ablauf dieser Veranstaltung, bei dem

21 Das betreffende Video lässt sich online leider nicht korrekt abspielen. Ich erhielt den Film auf Anfrage von der Pressestelle der SAGA GWG.

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zunächst förmliche Reden gehalten und dann Pressefotos gemacht werden, basiert auf einem Zeremoniell, das nicht dazu geeignet scheint, Zugangsbarrieren zu überwinden. In seiner formalisierten Struktur, die jedem Teilnehmer eine bestimmte Rolle zuweist, lässt es sich als Ritual fassen, das auf nicht-eingeweihte Beobachter, wie die „Muslimischen Mädchen Veddel“, die vorher offenbar noch nicht an derartigen Veranstaltungen teilgenommen haben, befremdlich wirkt. Die Reglementierung des Ablaufs, die bis in die einzelnen Ansprachen hineinreicht, wird nur durch Rahels kritisch-ironische Dankesrede unterbrochen, in der sie betont, dass sie wohl den Sinn und Zweck des Stipendiums etwas anders ausgelegt habe, als der Vorstand von SAGA GWG (Feldnotizen, 24.10.2013). Es ist verwunderlich, wie wenig die Organisatoren die eigens deklarierte Strategie der Beteiligung der Anwohner beherzigen.22 Selmas Resümee: „Ja, also wenn wir das organisiert hätten, hätte das anders ausgesehen“ (Feldnotizen, 12.11.2013) bringt ihre fortdauernde Position außerhalb dieser offiziellen Inszenierung der Veddel zum Ausdruck und spielt auf das Knowhow der Mädchen in Bezug auf Praktiken der Gastfreundschaft an. Darin zeigen sich alle Mädchen selbstsicher und professionell. Nicht nur innerhalb des Jugendlokals, sondern auch auf öffentlichen Veranstaltungen wie Stadtteilfesten fiel mir die Selbstverständlichkeit auf, mit der die jungen Frauen auch ihnen fremde Personen bewirten (Feldnotizen 12.05.2012). Während die Mädchen im performativen Teil des Projekts aufgehen, bleibt ihnen die Ebene, auf der das Kunstprojekt öffentlich ritualisiert wird, bis zum Ende fremd. Auch hier zeigt sich die Wirkmächtigkeit von diskursiv-hergestellten Positionen, die sich die Akteure gegenseitig zuschreiben. Die öffentlichen Veranstaltungen, die Rahel Bruns selbst während ihrer Zeit als Quartierskünstlerin organisiert, sind weit weniger formell und haben mit dem Zeremoniell unternehmerischer Festlichkeit nichts gemein. Doch erst die Einladung zur Finissage nahmen die Mädchen schließlich wahr und sehen sich in ihren Erwartungen an mehrheitsdeutsche Riten der Festlichkeit bestätigt. Die Kritik an der Prioritätensetzung des Hamburger Senats und einer damit einhergehenden Vernachlässigung der Veddel über Jahrzehnte wird in unterschiedlicher Deutlichkeit von allen hier portraitierten Personen geäußert. Dass die Steuerung politischer Aufgaben teilweise an das kommunale Wohnungsbauunternehmen SAGA GWG abgegeben wird und dies letztlich eine Ökonomisie-

22 Es gibt hier durchaus Gegenbeispiele, wie die Eröffnungsfeier von „New Hamburg“, der Dependance des Schauspielhauses auf der Veddel, im Mai 2014 zeigte. Sie war als Stadtteilfest angelegt, bei dem Bewohner selbst am Programm und der Bereitstellung von Essen und Getränken beteiligt waren.

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rung von Quartierspolitik darstellt, wird einzig von Rahel ausgesprochen. Die Widersprüchlichkeit unternehmerischer Kulturpolitik analysieren auch Häußermann und Siebel: „Kulturpolitik gerät notwendig in Aporien, wo sie zu initiieren versucht, was nur aus sozialen Bewegungen heraus entstehen kann, neues Sprechen, anderes Sehen, Überraschung, Kritik und Widerstand. Städtische Kulturpolitik enthält strukturell eine Affinität zum Etablierten, zur professionellen institutionalisierten ‚Einrichtungskultur‘“ (Häußermann und Siebel 1987: 211).

ProQuartier ist nicht genuin städtisch, sondern handelt in Abstimmung mit dem Mutterkonzern unternehmerisch. Während die Mitarbeiter von ProQuartier durchaus hehre Ziele verfolgen mögen, betreibt das Unternehmen SAGA GWG den Imagewandel auf der Veddel aus ökonomischen Gesichtspunkten und sorgt sich am Ende, wie die Finissage gezeigt hat, mehr um ein medienwirksames Event, als um die Befindlichkeiten der Bewohner. Die Art, wie sich die „Muslimischen Mädchen“ das Kunstprojekt letztendlich performativ aneignen, offenbart auch eine ambivalente Positionierung in Bezug auf ihre Dachorganisation, der IGMG. Während die Agenda der IGMG als aktivierende Jugendarbeit beschrieben wird, die in ähnlicher Weise auf CSRund Corporate Citizenship-Strategien beruht wie die städtische Quartierspolitik, beinhaltet die Teilnahme der Mädchen am Fotoprojekt auch ein widerständiges Moment (vgl. Schiffauer 2010: 335). Im Interview betont Selma mir gegenüber: „Spaß muss auch sein“ (Selma, Interview 30.05.2012) und grenzt diesen von den übrigen Pflichtveranstaltungen, die die Mädchen absolvieren müssen, um das Jugendlokal nutzen zu dürfen, ab. Dieser hedonistische „Spaß“, den die Mädchen auch beim Kleben der „Köpfchen“ haben, lässt sich als Subversion der offiziellen IGMG-Ziele deuten. Darin zeigt sich auch, dass die korporatistische Politik durch institutionalisierte Hamburger Akteure, wie BIG und SAGA GWG, der Alltagskultur der Angesprochenen zumindest partiell entgegensteht. Abgesehen von jenen Veddelern, die die Präsenz einer Stadtteilkünstlerin gar nicht zur Kenntnis genommen haben, beleuchtet die ethnographische Erkundung der Veddel und seiner öffentlich engagierten Akteure das große Potential, das in den situativen Allianzen zwischen Mitgliedern der Islamischen Gemeinde und anderen Akteuren wie dem ProQuartier Mitarbeiter Dieter Uetzmann sowie der Quartierskünstlerin Rahel Bruns steckt. Das Streben nach besseren Lebensumständen und der Aneignung des öffentlichen Raumes vereint die Veddeler Akteure genauso wie die Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungen. Allerdings wird in der Analyse auch

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deutlich, dass Corporate Citizenship und die bisweilen widersprüchlichen Positionierungen der von mir portraitierten Akteurinnen selten deckungsgleich sind. Während die Einbindung von Kunst und Islam zu Imagezwecken gesellschaftliche Anerkennung derselben implizieren, entziehen sich die subjektiven Identitäten der Veddeler zumeist dieser unternehmerischen Logik und führen vor, dass Lokalität nicht nur als unschuldige Heimat wirksam wird (vgl. Massey 2006: 29), sondern auch in Form sozialer Kontrolle und subjektiv empfundener Begrenzungen. Die Ethnographie des Veddeler Quartierskunstprojekts hat den Zusammenhang zwischen aktivierender Stadtpolitik, die zur Förderung weicher Standortfaktoren mittlerweile auch islamische Ästhetik und Engagement nutzt und der subjektiven Verortungen junger Frauen auf der Veddel in seiner Ambivalenz und Komplexität sichtbar gemacht. Dass am „Unternehmen Hamburg“ (von Dohnanyi, zitiert nach Albers 2011: 36) auch die islamische Zivilgesellschaft der IGMG beteiligt wird, zeugt von einer pragmatischen Identitätspolitik, die auf lose Bündnisse und Kooperationen zum Zweck städtischer Lebensqualität setzt. Zur Transgression bestehender diskursiver Dichotomien bleiben diese Praktiken jedoch zu sehr ihren routinierten Logiken verhaftet.

3 F ALLSTUDIE C: „A USSEN K IRCHE , INNEN M OSCHEE “? Z UR TRANSRELIGIÖSEN U MWANDLUNG EINES G OTTESHAUSES Seit der Jahrtausendwende hat das Thema Moscheebau vermehrt Eingang in den öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs gefunden. Als Teil der meist problembehafteten Debatte um die Stellung und Sichtbarkeit von Islam in Deutschland ging die Errichtung von entsprechenden Gotteshäusern häufig mit Konflikten einher. Vor diesem Hintergrund steht die Umwandlung der ehemaligen evangelischen Kapernaumkirche in Hamburg-Horn in eine Moschee in einem gesellschaftlich und medial viel beachteten Kontext. Durch die Übernahme eines ursprünglich christlichen Gebetshauses wird dem Diskursfeld des Moscheebaukonflikts eine neue Dimension hinzugefügt. Wurde die Eröffnung von Moscheen innerhalb deutscher Städte und Gemeinden, die auf eine Abkehr des improvisierten Arrangements bisheriger islamischer Gebetsräume in Gewerbegebieten und sonstigen urbanen Nischen rekurriert, bereits als wachsender Geltungsanspruch wahrgenommen, der „ernst zu nehmende Ängste“ (Kandel 2008: 3) verursache, bietet die islamische Aneignung einer ehemals christlichen Kirche neuen Spielraum für gesellschaftliche Konflikte.

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Nachdem auch in Hamburg die Empörung über das islamische Bauvorhaben medial, kirchlich und parteipolitisch überwogen hatte, bewerten Hamburger Lokalpolitiker das Projekt ein halbes Jahr nach dem Kauf der entwidmeten Kirche durch die Al-Nour Gemeinde als positives Signal der gesellschaftlichen Verständigung. Dies offenbart zumindest lokal eine diskursive Umdeutung, die in der sichtbaren islamischen Präsenz nicht per se eine soziale Bedrohung sieht, sondern beginnt, islamische Identitätspolitiken in städtisch-lokale Arrangements einzusortieren und diese praktisch nutzbar zu machen. Ich möchte in der folgenden Studie der Frage auf den Grund gehen, wie diese Umdeutung praktisch vonstatten geht und welche Bedingungen für den konfliktlosen Verlauf derselben gesorgt haben. In der Fallstudie C steht die diskursiv gefestigte Beziehung zwischen Islam und Christentum im Zentrum des von mir beobachteten Aushandlungsprozesses. Zunächst gerät sie als konfrontative Gegenüberstellung der Religionen in den Äußerungen der Religionsvertreter in Bezug auf die Umwandlung der ehemaligen Kirche in den Blickpunkt meiner empirischen Forschung. Dabei stehen die Konstruktionen von Raum und Religionsrecht im Fokus des Interesses. In Form eines institutionalisierten interreligiösen Dialogs stellt die islamisch-christliche Beziehung dann das Kernstück der ethnographischen Beobachtung dar und präsentiert sich anders als in den öffentlichen Positionierungen der Kirchenvorstände pragmatisch und kooperativ. Darüber hinaus beeinflussen frühere Debatten um „moscheebezogene Konflikte“ (Schmitt 2003: 13) die Rezeption des islamischen Umwandlungsprojekts in Hamburg. Um den Verlauf des öffentlichen Diskurses nachzuvollziehen, wird dieser mit den Erkenntnissen empirischer Forschung zum Thema kontrastiert. Dabei wird sichtbar, dass die Hamburger Akteure mit dem relevanten Knowhow ausgestattet sind, das den Beteiligten früherer Moscheekonflikte fehlte. Dieses praktische Wissen hat den konsensorientierten Verlauf des Umwandlungsprozesses unterstützt. Nachdem in Kapitel V.3.2 der Diskurs zur geplanten Moscheeeröffnung in der ehemaligen Kapernaumkirche im Rahmen seiner historischen und topographischen Gegebenheiten beleuchtet wird, konzentriert sich der zweite Teil der Fallstudie auf die performative Aushandlung einer grenzüberschreitenden Identitätspraxis, die sich auf den öffentlichen Veranstaltungen des „Dialogs auf der Baustelle“ zeigt. Die Reinszenierung als Gotteshaus verläuft demzufolge entlang interreligiöser Identitätsproduktionen, die sich durch die sozialen Praktiken der Beteiligten herausbildet und so zu einer gemeinsamen Aneignung und Umkodierung des ehemals verlassenen Gebäudes führt.

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3.1 Topographisch-historische und diskursive Einbettung 3.1.1 St. Georg und die Konjunktur islamischer Gotteshäuser Wie bereits in Kapitel IV.1 geschildert, gibt es in Hamburg mit dem Stadtteil St. Georg ein Zentrum islamischen Lebens, wo sich auf engstem Raum über ein Dutzend Moscheen angesiedelt haben (vgl. Färber et al. 2012: 70). Gleichzeitig ist St. Georg bekannt für seine Gay-Community, die aus dem schmuddeligen Bahnhofsviertel eine angesagte Wohn- und Ausgehgegend gemacht hat. Zwischen diesen unterschiedlichen Quartiersnutzern gibt es seit Jahren immer wieder Spannungen, in denen „die lokalen Kämpfe um urbane Repräsentation wie auch Ambivalenzen von Sichtbarkeit […] deutlich“ (Färber et al. 2012: 72) werden. In diesem Zusammenhang wurde bereits eine politische Initiative zur besseren gegenseitigen Verständigung ins Leben gerufen, die allerdings keinen langen Bestand hatte (vgl. Irler 2007). Durch seine unmittelbare Nähe zum Hauptbahnhof ist St. Georg aber nicht nur Zentrum des homosexuellen und des islamischen Lebens in Hamburg. Es ist auch regelmäßig Austragungsort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und politischer Demonstrationen, in die die Gebetsstätten bisweilen ungewollt hineingezogen werden (vgl. Welt Online 2014). Im Interview bezeichnet Daniel Abdin St. Georg als „vollgefüllt mit Moscheen“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013). Er habe bereits vor zehn Jahren ein Konzept erarbeitet, das den Bau einer großen Moschee vorsieht, in der „diese ganzen Hinterhofmoscheen fusionieren und wo die Stadt auch profitieren würde“ (ebd.). Jahrelang hat der Al-Nour Vorstand nach einer neuen Unterkunft gesucht und war mehrmals an der Erteilung der Nutzungserlaubnis als Gotteshaus gescheitert. Der Kauf einer entwidmeten Kirche erscheint vor diesem Hintergrund als pragmatische Lösung, da sich die Frage der Nutzungserlaubnis als Gotteshaus erledigt. Nichtsdestoweniger betont das Islamische Zentrum, es sei nicht ihr Ziel gewesen, eine Kirche in eine Moschee umzuwandeln (Islamisches Zentrum Al-Nour 2013). Die ehemalige Kapernaumkirche bietet zwar auch nicht allen Gläubigen Platz, die zu den Hauptgebetszeiten die Al-Nour Moschee in St. Georg frequentieren und dort teilweise auf der Straße beten. Doch sie erfüllt eine andere Funktion, die dem oben beschriebenen Plan von Abdin entspricht: Als repräsentatives Bauwerk stellt sie ein Gegenbild der Hinterhof- und Garagenmoscheen St. Georgs dar. Da die Gemeindevorsteher beide Lokalitäten behalten wollen, stellt auch die räumliche Trennung vom konzentrierten Moscheeverbund nahe dem Hauptbahnhof kein Problem für die Gemeinde dar. Vielmehr lässt sich

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die zusätzliche Verortung in einem bürgerlichen Wohnviertel als Annäherung an die Hamburger Mehrheitsgesellschaft konstruieren. Wie der Vorstandsvorsitzende Abdin in einem Gespräch mir gegenüber erklärt, wolle er den nicht-muslimischen Deutschen zeigen, dass Muslime auch Wert auf Ordnung legen. „Die Deutschen denken, Muslime säßen gern in improvisierten Kellerräumen“ (Feldnotizen, 27.09.2014). Bereits 1990 schrieb Mıhçıyazgan, dass die gehäufte Ansammlung von Moscheen in Gewerbegebieten mit der Bereitschaft der Behörden zusammenhänge, dort eher Nutzungserlaubnisse auszustellen (vgl. Mıhçıyazgan 1990: 15). Diese Praxis hat sich über die folgenden Jahrzehnte als gangbarer Weg erwiesen und damit de facto die Freiheit der Religionsausübung für Muslime wesentlich erschwert. Damit einher gingen zahlreiche Privatleute, die sich gegen einen Verkauf ihrer Immobilien an Moscheegemeinden entschieden und so die Prekarisierung islamischer Versammlungsmöglichkeiten vorantrieben. Auf der anderen Seite beschreibt Mıhçıyazgan die vorherrschende Intention der von ihr interviewten Gemeindevorsteher, ihren Gottesdienst möglichst ungestört und ohne zu stören abhalten zu wollen (ebd.). Dieses Motiv lässt sich mittlerweile nicht mehr pauschal bestätigen. Vor allem die SCHURA Hamburg versucht mit verschiedenen Mitteln, die Sensibilität in Bezug auf das Thema Gebetsräume für Muslime zu verstärken und gab dazu gemeinsam mit DİTİB und VIKZ eine Studie in Auftrag (Koch und Reinig 2013). Die Ergebnisse wurden im Rahmen der Evangelischen Akademiewoche 2014 präsentiert, was deutlich macht, dass dieses Thema auch auf der interreligiösen Ebene als relevant angesehen wird. Im Vertrag zwischen den islamischen Verbänden und dem Hamburger Senat wurde eine Klausel aufgenommen, die die Errichtung islamischer Gotteshäuser explizit fördern soll (vgl. Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DİTİB-Landesverband Hamburg, SCHURA-Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren 2012: Artikel 9). Daniel Abdin freut es besonders, dass der Tag der Vertragsunterzeichnung auf das Datum seines Notartermins zum Kauf der ehemaligen Kirche fiel. „Mitte Oktober haben wir die Kirche durch Zufall gefunden. Und dann habe ich wie ein Bullterrier gebissen (Lachen) […] Ich wollte den 13. [11.2012, L.H.] zu einem historischen Tag machen. Dann hab ich gesagt, nach den Verhandlungen, ich möchte halt gerne den Vertrag am 13. unterschreiben. Somit habe ich am Mittag den Staatsvertrag mit der Stadt Hamburg unterschrieben und spät Nachmittag beim Notar den Kaufvertrag für die Kirche. […] Als wir an dem Nachmittag zusammen saßen beim Notar, sagte er [der Verkäufer der Kirche]: Komisch, heute sprechen alle vom Staatsvertrag, und ich sitze hier

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mit demjenigen, der das unterschrieben hat. Also es hat gepasst. Dafür war der Staatsvertrag genial. Es hat dem ganzen ein bisschen Dynamik verliehen, aber auch der Kauf der Kirche an dem Tag, gibt dem Staatsvertrag eine Würze, also dass es wirklich was bewirkt hat“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013).

Obwohl der Zusammenhang zwischen dem Kauf der Kirche und dem Abschluss des „Staatsvertrags“ von Abdin bewusst herbeigeführt wurde, ist eine diskursive Wechselwirkung durchaus wahrscheinlich. Die breite Berichterstattung über den Verkauf der ehemaligen Kirche, die sich in erster Linie auf die Hamburger Lokalpresse beschränkt,23 ist vor allem auf die Medien- und Öffentlichkeitsaffinität der betreffenden Moscheegemeinde und ihres Vorstandes Abdin zurückzuführen, markiert jedoch auch eine Veränderung in der medialen Rezeption des öffentlichen Hamburger Islam. Das vierteljährlich erscheinende Stadtmagazin Stadtlichh [sic!], das sonst eher auf popkulturelle Themen setzt, brachte im September 2013 sogar eine Titelgeschichte heraus, die mit einem speziellen Layout, das an arabische Kalligraphie erinnert und unter dem Titel „Hamburgs Moscheen verlassen die Hinterhöfe“ (Antoniadis 2013) einen Wandel islamischer Sichtbarkeit konstatiert (vgl. Stadtlichh 2013). 3.1.2 Raumkonstruktion und Religionsrecht – Von „predigenden Steinen“ und „unwürdigen“ Tiefgaragen24 In den kursierenden Narrativen über Hamburg wird die Stadt als kirchenfern dargestellt (vgl. Ahmet Yazıcı, Interview 28.01.2013; Ole von Beust, Interview 14.03.2013). Die Akteure meiner Feldforschung äußern Stolz darüber, dass sich ihre Stadt durch eine „Äquidistanz“ (Ole von Beust, Interview 14.03.2013) den Religionen gegenüber auszeichne. Dass Hamburg durchaus eine christlich geprägte „Skyline“ (Berlin: 2006; vgl. Haider 2013) hat, in der Kirchen in ihrer Sichtbarkeit und Repräsentanz die vorhandenen Moscheen bei Weitem überragen, bleibt dabei unerwähnt. Neben dem Hamburger Michel, der aufgrund seiner exponierten Lage am Hafenrand besonders sichtbar ist, ragen im Stadtgebiet verteilt weitere Kirchtürme aus den umstehenden Häuserreihen hervor. Schroer schreibt mit Bezug auf Simmel: „Die Kirche bedarf keines Territoriums um ihre Wirkung zu entfalten. Sie repräsentiert sich vielmehr in architektonischen Gebäuden“ (Schroer 2006: 67). Diese Deutung könnte erklären, warum

23 Daneben gab es auch Beiträge in überregionalen Zeitungen und der New York Times (Coburn 2015). 24 Beide Attribute sind In-Vivo-Codes der Diskursteilnehmer und werden im Text belegt und erläutert.

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die Oberhäupter der christlichen Kirchen über die geplante Umwandlung der ehemaligen Kapernaumkirche in Hamburg-Horn so bestürzt waren. Der Hamburger Weihbischof kritisierte das Projekt in einem Interview im Lokalsender Hamburg 1 deutlich. „Das Symbol, eine christliche Kirche wird eine Moschee, das Kreuz verschwindet und wir tauschen einfach die Religionen aus in einem Kirchenraum, das ist nicht gut“ (Jaschke zitiert in Hamburg 1 2013). Der Präsident des EKD-Kirchenamtes in Hannover, Hans Ulrich Anke, argumentierte in ähnlicher Weise: Die ursprüngliche Funktion und Bestimmung einer christlichen Kirche könne man „nicht einfach abschalten und den Raum fürs Predigen anderer Gottesbilder zur Verfügung stellen“ (Anke zitiert in Evangelischer Pressedienst 2013). Doch wie passt sich dieses räumlich-repräsentative Paradigma in das evangelisch-lutherische Rechtsinstrument der Entwidmung ein? Der Theologe Arnulf von Scheliha bezeichnet die skizzierten Reaktionen der protestantischen Führung als „theologisch abwegig“ (von Scheliha 2013) und kritisiert die darin geäußerte Haltung der evangelischen Kirche, deren Toleranzbegriff zwar theoretisch ausgefeilt, in der bundesdeutschen Praxis jedoch unterentwickelt sei. Daraus leitet er eine Erklärung dafür ab, „warum sich religiöse Minderheiten noch immer nicht akzeptiert und in Deutschland beheimatet fühlen“ (ebd.). Tatsächlich ist in Großbritannien die Umnutzung ehemaliger Kirchengebäude schon länger an der Tagesordnung (vgl. Powell und De la Hey: 1987), während diese Entwicklung für die evangelische Kirche in Deutschland trotz der Möglichkeit der Entwidmung eine neue Erfahrung zu sein scheint. Das Instrument der Entwidmung steht im Falle der Auflösung von Kirchengemeinden und in Vorbereitung auf neue Nutzungen, den Verkauf oder die Vermietung der Gebäude zur Verfügung. Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche regelte erst im Jahr 2007 den Umgang mit überschüssigen Kirchengebäuden in einer Rechtsverordnung. Darin wird die Nachnutzung durch islamische Religionsgemeinschaften im Gegensatz zur Aneignung durch die Jüdische Gemeinde nicht gestattet (Gesetz- und Verordnungsblatt der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche 2007). Die Kapernaumkirche in HamburgHorn wurde 2002 entwidmet und zwei Jahre später an einen Investor verkauft, der auf dem dazugehörigen Grundstück ein Altenheim errichtete. Die Kirche selbst sollte in eine Kindertagesstätte umgewandelt werden, was jedoch nie in die Tat umgesetzt wurde. Da das Gebäude unter Denkmalschutz steht, darf es nicht abgerissen oder äußerlich verändert werden. Der Investor bot es erneut zum Verkauf an und fand schließlich Ende 2012 im Islamischen Zentrum AlNour einen Käufer. Die betreffende Rechtsverordnung führt kirchenintern offenbar zu Kontroversen, wie ein Interview der Tageszeitung mit dem Hamburger

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Präses Andreas Tietze belegt (Tietze zitiert in Ludwig 2013). Für Tietze ist der Fall Kapernaum Grund genug, das Verbot entwidmete Kirchen an Muslime zu verkaufen, neu zu diskutieren (ebd.). Tatsächlich muten die Regelungen von Entwidmung und späterer Nutzung ehemaliger Kirchengebäude widersprüchlich an. Während die Entwidmung lediglich eines Antrags und der Prüfung durch den Kirchenvorstand bedarf, bleibt es unverständlich, dass die Nachnutzung innerhalb solch strenger ideologischer Regeln überprüft werden soll. Der Verweis des EKD-Kirchenamtspräsidenten Hans Ulrich Anke darauf, dass „bei Kirchen auch die Steine predigen“ (Anke zitiert in Evangelischer Pressedienst 2013), zeigt auf, wie wenig die Praxis der Entwidmung durch kirchliche Würdenträger verinnerlicht wurde. Die vorgebrachte Rücksicht auf die Gefühle der Gläubigen, auf die sich der Pressesprecher der EKD beruft, weist in dieselbe Richtung: „aber für die Menschen ist ein Kirchengebäude eben doch emotional mit ihrer eigenen christlichen Biographiegeschichte verknüpft und da gibt es einfach Probleme und deswegen sind wir der Auffassung, man sollte das […] eher vermeiden“ (Marwick im ZDF 2013). Marwick bezeichnet die Profanisierung von ehemaligen Gotteshäusern als „weniger strittig“ (ebd.). Der Auffassung, christlich geprägte Anwohner könnten mit einer weltlich umgewandelten Kirche, dem Verfall oder sogar Abriss eines ehemaligen Kirchengebäudes besser umgehen als mit der islamischen Umwandlung, stehen die Äußerungen von Anwohnern entgegen, die sich im Falle Kapernaum besonders für eine religiöse Weiternutzung ausgesprochen haben (vgl. ZDF 2014). Während die Frage unter christlichen Laien also kontrovers ist, nutzt ein großer Teil der evangelischen Führung die Emotionen ihrer Anhänger offenbar für identitätspolitische Zwecke und vermittelt den Eindruck einer andauernden Frontstellung zwischen Christentum und Islam. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen religiösem Recht und gesellschaftlichem Anspruch lässt sich in der Beanstandung des Islamischen Zentrums Al-Nour ausmachen, dass die Unterbringung einer Gebetsstätte in einer ehemaligen Tiefgarage unwürdig sei, worin ihr die Führung der evangelischen Kirche genauso wie die politischen Parteien in Hamburg zustimmen (vgl. Brück 2013; Lorenz 2013). Montgomery Watt und Alford T. Welch belegen in ihrem Standardwerk „Der Islam“, dass die moscheeräumliche „Würde“ eine soziale Kategorie ist, die einer islamrechtlichen Grundlage entbehrt. Die Moschee sei eine „einzigartige muslimische Institution“ (Watt/Welch 1980: 289) und unterscheide „sich von ihren jüdischen und christlichen Gegenstücken“ (ebd.), so die Autoren. Während die wörtliche Herleitung aus dem Arabischen wie so oft mehrdeutig ist, gilt als gesichert, dass die erste Moschee im Hof von Mohammeds Wohnhaus in Medina durch den performativen Akt des gemeinsamen Gebets an diesem Ort hervorgebracht wurde. Eine Variante der Übersetzung von Moschee leitet sich vom arabi-

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schen Verb für sich niederwerfen (vgl. Wehr 1976: 361) ab und hebt den situativen, körperlichen Aspekt des Betens in den Vordergrund. Der Überlieferung nach sah Mohammed die ganze Welt als Gebetsort an. In diesem Sinne wird die erste Moschee im dazugehörigen Artikel der islamwissenschaftlichen Encyclopedia of Islam von Johannes Pedersen als „very simple“ und ohne den Charakter eines „sacred edifice“ (Pedersen 1990: 646) beschrieben. „It was really only a courtyard with a wall around it“ (ebd.). Die nachfolgenden Moscheen orientierten sich an der Beschaffenheit des medinensischen Innenhofs und ahmten dort vorhandene Attribute wie ein Sonnendach und einen Palmenstumpf nach. Da sich die Betenden nach Mekka wenden sollen, wurde immer auch eine Mauer in Richtung des Kaaba-Standortes gebaut. Die hier skizzierte historische Kontextualisierung des Begriffs und der Funktion von Moscheen belegt die Verortung des Islamischen Zentrums in der Hamburger Gesellschaft. Offenbar bildet nicht die islamische Ethik den Maßstab für die Kategorien würdig respektive unwürdig, sondern der interreligiöse Vergleich mit anderen Gotteshäusern in Hamburg sowie der baurechtliche Aspekt, nachdem die Nutzung der Tiefgarage durch über 500 Gläubige lediglich geduldet wird. Nach Angaben des Vorstands soll die Räumlichkeit allerdings auch nach dem Bezug der ehemaligen Kapernaumkirche weiterhin für religiöse und kulturelle Zwecke durch das Islamische Zentrum genutzt werden (Feldnotizen, 20.08.2015). Dies zeigt, dass die Unwürdigkeit der Tiefgarage situativ unterschiedlich genutzt und wenn nötig, pragmatisch übersehen werden kann. Die Ausführungen zur sozio-religiösen Konstruktion von Gebetshäusern im Christentum und im Islam verdeutlichen die Argumentationslogiken der Religionsvertreter im Hamburg des 21. Jahrhunderts. Sowohl der Verweis auf „Steine“, die „predigen“ (Anke, zitiert in Evangelischer Pressedienst 2013) als auch der Bezug auf die Tiefgarage, der die „nötige Würde“ (Daniel Abdin, zitiert in Islamisches Zentrum Al-Nour 2013a) fehle, müssen in ihren sozialen Kontext eingeordnet werden und sind religionsrechtlich gesehen irrelevant. Auch der Wunsch nach Sichtbarkeit, den die Debatte um repräsentative Moscheen begleitet und der vom Vorstand des Islamischen Zentrums übernommen wurde (vgl. ZDF 2014), rekurriert auf den aktuellen Zeitgeist, der in Kontrast zu den Bemühungen früherer Moscheebetreiber steht (vgl. Mıhçıyazgan 1990:15). Überdies entpuppt er sich hier als Paradoxon. Der denkmalgeschützte Status des Kapernaumbaus lässt an der äußeren Fassade nur marginale Änderungen zu, was die Moscheegemeinde Al-Nour zu dem Wahlspruch „Außen Kirche, innen Moschee“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013) veranlasste. Dieses Label wurde von den politischen Akteuren sowie der evangelischen Kirchengemeinde Horn gelobt (vgl. Brück 2013), läuft der Sichtbarkeitsforderung der Muslime jedoch

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streng genommen zuwider und deutet auf die weiterhin „minorisierenden Logiken“ (Schaffer 2008: 161) visueller Repräsentation hin. Inwiefern das Islamische Zentrum Al-Nour trotzdem die Aneignung der ehemaligen Kirche bewerkstelligt, werde ich im dritten Kapitel dieser Fallstudie diskutieren. Die hier beschriebenen Symboliken spiegeln das dominante Verständnis räumlich-religiöser Repräsentation wider. In diesem Zusammenhang stehen die Argumente der beteiligten religiösen Akteure aus Christentum und Islam symbolisch vor allem für eines: raumdeterministische Identitätspolitik. Dies wird umso deutlicher, als die Akteure selbst auf verräumlichte Identitätskonzepte verweisen, wenn sie den Ort des Gebets zur Identifikationsquelle erheben. Vonseiten des islamischen Zentrums ist in diversen öffentlichen Erklärungen die Relevanz eines würdigen Gotteshauses für die lokale Integration der Gläubigen hervorgehoben worden. Gleichzeitig haben auch die Vertreter der evangelischen Kirche mit der identitätsstiftenden Wirkung des Gotteshauses argumentiert. Persönliche Erinnerungen an die Kapernaumkirche wurden geltend gemacht, um den Schaden einer Umwandlung zu unterstreichen (vgl. Lehming 2013). Die Tatsache, dass die Kirche seit über zehn Jahren nicht mehr als Gotteshaus fungiert und aufgrund von mangelnder Instandhaltung sogar zusehends verfiel, übergingen die Kirchenvertreter dabei. Christliche wie islamische Sprecher legten ihren Argumentationen ein Raumverständnis zu Grunde, das die Aushandlung und Produktion von Raum durch soziale Handlungen einerseits für ihre repräsentativen Ansprüche instrumentalisierte und andererseits im Dienste eines Raumdeterminismus ignorierte (vgl. Schroer 2006: 61). Die Nachzeichnung des lokalen, öffentlichen Diskurses zum Umwandlungsprojekt im folgenden Teil illustriert dagegen, dass dem Verkauf der Kapernaumkirche an das Islamische Zentrum AlNour auch ein grenzüberschreitender Impetus eingeschrieben werden kann. 3.2 Die Kapernaumkirche im Stadtteil Horn und im öffentlichen Diskurs um Moscheebaukonflikte Horn liegt im Osten des Bezirks Hamburg-Mitte und ist ein relativ grüner, wenn auch verkehrlich beanspruchter Stadtteil. Die Bundesautobahn 24 nach Berlin sowie die Bundesstraße 5 begrenzen Horn im Süden und Norden, im Osten liegt die Horner Galopprennbahn mit der dazugehörigen großen Grünfläche, die als Naherholungsgebiet genutzt wird. Horns Bebauung besteht überwiegend aus Mietskasernen und Rotklinkerhäusern der 1950er Jahre. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes leben in Horn im Hamburger Vergleich mehr Migranten und deren Nachkommen mit und ohne deutschen Pass und die Horner verdienten im Jahr 2007 durchschnittlich ein Drittel weniger als andere Hamburger. Der

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Anteil der Kinder und Jugendlichen liegt etwas unter dem Hamburger Durchschnitt, während die Zahl der Senioren im Vergleich zu anderen Stadtteilen des Bezirks Mitte zwei Prozent höher ist (Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2011:42). Die ehemalige Kapernaumkirche liegt an der Sievekingsallee, einer viel befahrenen Ausfallstraße und ist nur fünf Minuten von der U-Bahnhaltestelle Horner Rennbahn und einem dort errichteten, schmucklosen Einkaufszentrum entfernt. Sie wurde 1958 gebaut und gehörte zunächst zur Kirchengemeinde Martinskirche Horn, bis sie im Jahr 1960 selbständig wurde (Paasch 2010: 7). Durch ihren hohen Turm kann die entwidmete Kirche als Orientierungsmerkmal im Stadtteil angesehen werden. Bis zum Beginn der Umbauarbeiten hatten sich Obdachlose im Schutz des Kirchengebäudes niedergelassen. Zusammen mit dem baulichen Verfall hatten Anwohner diese Situation als „Schandfleck“ (Anwohnerin zitiert in Hamburg 1 2013) bezeichnet. Nachdem Abdin, der Vorsitzende des Islamischen Zentrums Al-Nour, im Februar 2013 öffentlich bekannt gegeben hat, dass seine Gemeinde in die entwidmete Horner Kapernaumkirche einziehen werde, ist das öffentliche Interesse groß und reicht weit über Hamburg hinaus. Die überregionalen Vertreter der evangelischen Kirche empören sich beinahe einstimmig über diesen „Dammbruch“, der als „kein angezeigter Weg“ (Evangelischer Pressedienst 2013) gescholten und durch den Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider, beinahe entschuldigend als „Missgeschick“ (Schneider, zitiert in Lehming 2013) bezeichnet wird. Auch die katholische Kirche verurteilt die Umwandlung (Pinzke 2013). Auf der Stadtteilebene bleibt die evangelische Kirche von Anfang an gelassen. Die Pastoren der Gemeinden Horn und St. Georg enthalten sich der Kritik und auch die Bezirksvertreter der politischen Parteien in Hamburg sprechen dem Projekt mit Ausnahme der CDU nach anfänglicher Skepsis ihr Wohlwollen aus, was aus der Niederschrift der Bezirksversammlung vom 21.02.2013 hervorgeht (Bezirksversammlung Hamburg-Mitte 2013). Im März 2013 lädt das Islamische Zentrum Al-Nour die Horner Anwohner zu einer Informationsveranstaltung, auf der das Bauvorhaben und konkrete Fragen dazu besprochen werden sollen. Es gibt Getränke und Kekse und die Leute von Al-Nour haben sich ganz offensichtlich vorgenommen, gute Stimmung zu verbreiten. Der Großteil der Anwesenden besteht aber doch aus Anwohnern, denen man eine gewisse Grundempörtheit anmerkt, obwohl durchaus zwischendurch über die Scherze der Vortragenden (z.B. von Daniel Abdin) gelacht wird. Eine Stunde lang kommen Engagierte

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von Al-Nour, Vertreter der evangelischen Kirche und der Polizei sowie eine Vertreterin vom Netzwerk gegen Rassismus zu Wort und alle singen ein Loblied auf Al-Nour (Feldnotizen vom 21.03.2013).

Trotz der erfolgreichen Bemühungen durch die Moscheegemeinde, glaubwürdige öffentliche Akteure als Leumund zu gewinnen, bleibt die Stimmung an diesem Abend skeptisch. Die Anwesenden sorgen sich zum einen um lokale Belange wie die Belastung durch die Umbaumaßnahmen und die spätere Parkplatzsituation und zum anderen um das Verhältnis zwischen Christentum und Islam. Diese zweite Dimension äußert sich in Fragen nach dem Verbleib des Kreuzes und kritischen Anmerkungen zu islamischer Ethik. Zumindest, was die visuelle Umwandlung betrifft, kommt das Islamische Zentrum Al-Nour dem Wunsch der Horner entgegen, keinen Halbmond auf die ehemalige Kirche zu setzen. Der Forderung nach einem neutralen Zeichen wird durch das Anbringen der arabischen Kalligraphie Allah25 Rechnung getragen. Einige Tage nach der Informationsveranstaltung soll eine Kundgebung gegen die Umwandlung stattfinden, die ein Mitglied der nationalistischen „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ angemeldet hat. Zu der Aktion erscheint nur ein Dutzend Protestierer, das sich vor den über 600 Gegendemonstranten in Polizeibusse retten muss. Die Kundgebung wird abgesagt (Bromberg/Gaertner 2013). Die Ankündigung der islamfeindlichen Aktion hatte im Vorfeld bereits zu einer Resolution der Bezirksversammlung geführt (vgl. Schmidt 2013) und eine von zahlreichen prominenten Hamburgern getragene Kampagne mobilisiert, die sich gegen die Instrumentalisierung der Kirchenumwandlung für rechtsgerichtete Zwecke wandte. Ein anhaltender Konflikt um die Umwandlung der früheren Kirche zur Moschee bleibt aus, was im Vergleich mit den Konflikten um weit weniger symbolträchtige Vorhaben der jüngeren Vergangenheit in Deutschland überraschend ist und einer näheren Untersuchung bedarf. Das grundsätzliche Konfliktpotential schlägt sich auch in der deutschsprachigen, sozialwissenschaftlichen Forschung zu Moscheebauten nieder, die, wenn sie nicht deskriptiver oder typologisierender Natur ist (vgl. dazu Färber/Spielhaus 2010), als Konfliktforschung zusammengefasst werden kann. In der betreffenden Literatur wird explizit auch der Versuch unternommen, Empfehlungen zur Schlichtung und Vermeidung zukünftiger Konflikte zu geben. Um das Projekt in Hamburg-Horn kontextuell einzubetten, lohnt sich ein Blick auf die vorhandenen Forschungsergebnis-

25 Arabisch für ‚Gott, Gottheit‘ (Wehr 1976: 21).

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se. Exemplarisch sollen hier die zentralen Thesen aus der Dissertation von Schmitt nachskizziert werden.26 Der Sozialgeograph Thomas Schmitt beschäftigte sich bereits vor 2001 mit dem Thema „Moscheen in Deutschland“ und arbeitete drei wesentliche Dimensionen von darauf bezogenen Konflikten heraus: Er unterscheidet „raumbezogene“, „religionsbezogene“ und „ethnisch-kulturelle Aspekte“ (Schmitt 2003: 347), wobei diese auf drei Ebenen untersucht werden; der Ebene der „Motive“, der „Diskurse“ sowie in Bezug auf die „sachlichen [Hervorhebungen im Original, L.H.] Fragen des Konflikts“ (ebd.). Die Kategorien lassen sich nicht gänzlich voneinander trennen, wie der Autor selbst einräumt. Als raumbezogenes Problem identifiziert er unter anderem die Veränderung des städtischen Kontexts durch eine neue Moschee, die von Anwohnern häufig mit dem Ruf des Muezzins in Verbindung gebracht wurde (vgl. ebd.: 348), was alle drei Ebenen der Analyse betrifft. Eng damit zusammen hängt auch die ethnisch-kulturelle Dimension, die sich in der Übertragung kulturalistisch-rassistischer Vorbehalte gegenüber den meist türkischstämmigen Muslimen aus den Fallbeispielen Schmitts darstellt. Damit einher geht die Hysterie um „Orientalisierung“ oder „Türkisierung“ (ebd.), wie Schmitt schreibt. Elf Jahre nach seiner Veröffentlichung wird dasselbe Phänomen als Islamisierung verhandelt. Schmitt unternimmt in seiner Analyse eine Trennung zwischen den Motiven „(christlich-) deutscher“ (ebd.: 351) und „türkisch-muslimischer“ Akteure, obwohl die Bestrebungen der Muslime, wie er selbst konstatiert, auch von Teilen der Mehrheitsgesellschaft „authentisch“ (ebd.) vertreten wurden. Die Dichotomie zwischen muslimischen Moscheebauern und nicht-muslimischen Gegnern lässt sich somit nicht nachvollziehen und weist auf eine Essentialisierung von Muslimen und Nicht-Muslimen hin. Dem möchte ich in meiner Analyse ein Verständnis entgegen setzen, das soziale Aushandlungsprozesse in den Fokus rückt und Subjektpositionen als situativ und veränderlich begreift. Schließlich widmet sich Schmitt der „gesellschaftlich integrierende[n] Wirkung repräsentativer Moscheebauten in Stadtgesellschaften“ (ebd.: 361) und gibt Handlungsempfehlungen zu künftigen Moscheebauprojekten, die er mit den Schlagworten „Begegnung, Vernetzung, Einbeziehung und Dialog [Hervorhebung im Original, L.H.]“ (ebd.: 362) umschreibt. Das Urteil des Autors in Bezug auf die Rolle der politischen Parteien in Moscheebaukonflikten belegt den Wandel, der sich seit der Veröffentlichung seiner Studie vollzogen hat: „Angesichts

26 Eine weitere Monographie zum Thema stammt von Jörg Hüttermann aus dem Jahr 2006 und ist ähnlich konflikttheoretisch angelegt, weshalb sie hier nicht weiter besprochen wird.

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der oben beschriebenen Unkenntnis und Ignoranz der lokalen politischen Parteigliederungen in Bezug auf legitime Interessen der muslimischen Seite“ (ebd.: 365) müssen die Bundesverbände der Parteien für die Fluktuation von Wissen sorgen, so das Urteil des Sozialgeographen. Im Gegensatz zu seiner Einschätzung bin ich im Rahmen meiner Feldforschung überwiegend gut informierten Lokalpolitikern begegnet. Darüber hinaus scheinen die oben skizzierten Handlungsempfehlungen von den direkt beteiligten Akteuren bereits antizipiert worden zu sein. Während die Führungsriege der evangelischen und katholischen Kirche auf ihrem Standpunkt beharrt, der die Umwandlung verurteilt und die CDU sich solidarisch dazu positioniert, haben Vertreter der Grünen, der Linken, der SPD, der Piraten genauso wie lokale Kirchenvertreter schnell erkannt, dass sich das Bauvorhaben als Symbol für die lokale Integration von Islam in die als vielfältig konstruierte Stadtgesellschaft und als Zeichen des interreligiösen Dialogs eignet. Dies schlägt sich auch in einem „Aufruf gegen Rechts“ nieder, der nicht nur von politischen Vertretern unterstützt wird, sondern breite Zustimmung aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft erfährt (vgl. Schmidt 2013). Die daraufhin verabschiedete Resolution der Hamburger Bürgerschaft richtet sich nicht nur gegen dezidiert nationalistische Kräfte, sondern auch gegen „populistische Kommentare aus der Politik und Kirche“ (ebd.). Die gemeinsame Opposition führt schon kurz nach der Bekanntgabe des Umwandlungsprojekts dazu, dass öffentliche Kritik daran verstummt. Auch das mediale Echo auf den Kauf der ehemaligen Kapernaumkirche durch die Moscheegemeinde Al-Nour, das anfangs tendenziell kritisch war, klingt nun überwiegend positiv. Das Islamische Zentrum Al-Nour betreibt auf seiner Internetseite professionelle Öffentlichkeitsarbeit, die die Aktivitäten der Moscheegemeinde öffentlich zugänglich und transparent machen soll. In der Selbstbeschreibung der Gemeinde werden Attribute wie „kulturelle Vielfalt“ und „weltoffene[r] Charakter“ (Islamisches Zentrum Al-Nour 2015) als eigene Tugenden angepriesen und die „Erhaltung einer islamischen Identität; Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft; Dialog mit Institutionen und Mitbürgern“ als Ziele konkretisiert (ebd.). Diese Positionen scheinen auf die Funktionalität mit der mehrheitsdeutschen hamburgischen Gesellschaft ausgerichtet zu sein, in der Al-Nour eine durchaus selbstbewusste Rolle spielen möchte, wobei „die Erhaltung einer islamischen Identität“ als kommunitaristische Formel der Identitätspolitik zu verstehen ist, die weniger die soziale Herstellung von (religiösen) Identitäten berücksichtigt, als ihren dauerhaften Bestand betont. Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständnisses und repräsentiert durch den medienaffinen Vorstandsvorsitzenden Abdin bemüht sich die Al-Nour Gemeinde von Anfang an, das Umwandlungsprojekt als Zeichen des Dialogs zu

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konstruieren und von früheren konfliktträchtigen Moscheegründungen abzugrenzen. „Die bisherigen Moscheebauprojekte haben die Gesellschaft gespalten. Dieses hier schweißt die Gesellschaft zusammen“ (Daniel Abdin im ZDF 2014). Damit nähern sich die öffentlichen Sprecher im Diskurs um die Moscheebildung an die Empfehlungen von Schmitt an, Moscheebauprojekte durch „Begegnung, Vernetzung, Einbeziehung und Dialog“ (Schmitt 2003: 362) so transparent und nachvollziehbar wie möglich zu gestalten. Obwohl Abdin nach eigenem Bekunden keinerlei Beratung durch wissenschaftliche Erkenntnisse oder öffentliche Foren wie der im Oktober 2008 stattfindenden Podiumsdiskussion „Im Schatten des Minaretts. Moscheebaukonflikte in Deutschland“ (2008) der Friedrich-EbertStiftung in Anspruch genommen hat, erscheint deutlich, wie er zusammen mit seiner Moscheegemeinde aus vergangenen Konflikten gelernt hat.27 Dieses praktische Knowhow, das Abdin als „selbstverständlich“ (Feldnotizen, 20.08.2015) bezeichnet, demonstriert seine Verortung in der Hamburger Stadtgesellschaft und die Anschlussfähigkeit an lokale Identitätskonstruktionen. Diese werden auch in symbolische Praktiken wie dem gemeinsamen Pflanzen eines Apfelbaumes mit Nachbarn und Mitgliedern der Kirchengemeinde Horn auf dem Grundstück der zukünftigen Moschee übersetzt (vgl. Hamburger Wochenblatt 2013). Die Deutung des Umwandlungsvorhabens als einzigartiges interreligiöses Dialogprojekt bringen dem Islamischen Zentrum Al-Nour gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde zu Hamburg-Horn den Sozialpreis 2013 ein, der von der Sozial- und Diakoniestation Langenhorn jährlich verliehen wird (Sozialund Diakoniestation Langenhorn 2014). Mit dem Preisgeld organisieren die Religionsgemeinschaften die Veranstaltungsreihe „Dialog auf der Baustelle“. Noch im Sommer 2015 erhalten die beiden Religionsgemeinden einen weiteren Preis für ihr Engagement. Das evangelische Magazin chrismon verleiht ihnen einen Sonderpreis für Interreligiösen Dialog, mit dem die Jury ihre besondere Begeisterung über den „Dialog auf der Baustelle“ zum Ausdruck brachte (chrismon Gemeinde 2015). Diese Würdigungen belegen zusammen mit der hamburgischen Kampagne gegen die rechtspopulistische Instrumentalisierung des Projekts eine breite gesellschaftliche Akzeptanz islamischer Anerkennungsbestrebungen und veranschaulichen, wie städtische Identitätspolitik auf die vergemeinschaftende Wirkung interreligiöser Initiativen zurückgreift. Im folgenden Teil meiner Ausführungen steht die teilnehmende Beobachtung der Veranstaltungen im Vordergrund. Die öffentliche Inszenesetzung der Baustelle ergänzt die bereits skizzierten, medial transportierten Diskurspositionen

27 Auf der Veranstaltung war auch Schmitt anwesend, der dort die Thesen seiner Dissertation vortrug (vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung 2008).

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und führt darüber hinaus, indem sie die Ambivalenzen sichtbar macht, die im performativen Aushandlungsprozess entstehen. 3.3 Inszenierung eines Gotteshauses – Teilnehmende Beobachtung der Umwidmung 3.3.1 Dialog und Transgression Im Kapitel V.3.1.2 zu Raumkonstruktion und Religionsrecht habe ich mich den Motiven der Symbol-Produktion der religiösen Akteure genähert, indem ich die öffentlich zirkulierten Aussagen, die sie in Bezug auf das ehemalige respektive zukünftige Gotteshaus gemacht haben, zu dekonstruieren versuchte. Stand bisher also ausschließlich sprachliche Kommunikation im Zentrum der Ausführungen, möchte ich nun die „Symbole gewissermaßen in Bewegung einfangen“ (Turner 1989: 33). Die Beobachtungen, die ich während meiner Feldforschung im entwidmeten Gotteshaus in Horn gemacht habe, deuten darauf hin, dass der performativen Dimension sozialer Praktiken genauso viel Bedeutung beigemessen werden muss wie der sprachlichen Kommunikation, die freilich weiterhin relevant bleibt. Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus in diesem Teil auf der handlungsbezogenen Inszenierung des Kapernaumbaus als Transformationsraum, in dem sich sowohl die evangelische Kirchengemeinde Hamburg-Horn als auch das Islamische Zentrum Al-Nour die Räumlichkeiten aneignen. Damit kann dem sprachlichen Symbolismus, der die Kirchenumwandlung als interreligiösen Durch- respektive Dammbruch stilisierte, eine Analyse konkreter, verkörperter Identitätspolitiken gegenübergestellt werden, die Raum für Zwischentöne lässt und „den pragmatischen Prozess der Symbolisierung selbst zu erfassen“ (Bachmann-Medick 2006: 113) vermag. Empirische Grundlage dieser Analyse sind die öffentlichen „Dialog auf der Baustelle“-Veranstaltungen, bei denen die beiden Religionsgemeinschaften ihr Verhältnis situativ aushandeln und ihre jeweiligen Rollen neu bemessen. Als die Sozial- und Diakoniestation Langenhorn der evangelischen Kirchengemeinde Horn und dem Islamischen Zentrum Al-Nour im Januar 2014 den mit 2500 € dotierten Sozialpreis ihrer Stiftung verlieh, soll die bauliche Umwandlung der entwidmeten Kirche in die neue Al-Nour Moschee längst abgeschlossen sein, so der ursprüngliche Plan. Das temporäre Ausbleiben von Baugenehmigungen verzögert den Baubeginn bis Januar 2014. Der im selben Monat verliehene Sozialpreis würdigt „das Engagement […], welches das friedliche Zusammenleben von unterschiedlichen Kulturen fördern soll“ (von Brocke 2014) und deutet die interreligiöse Zusammenarbeit als „Abbild dieser bunten Stadt“ (ebd.). Damit reproduziert der geschäftsführende Vorstand der Diakoniestation in seiner Neu-

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jahrsansprache einmal mehr die Erzählung über Hamburg als „Tor zur Welt“, in dem sich „unterschiedliche Kulturen“ (ebd.) treffen. Der emeritierte Pastor Sattler expliziert in der Laudatio die mit dem Preis verbundene Erwartung: „Er ist so etwas ein Angeld [sic!] auf die Zukunft und mit der Auflage verbunden, das Preisgeld im Laufe dieses Jahres unmittelbar und gemeinsam für Vorhaben zu verwenden, die der interkulturellen Zusammenarbeit oder dem interreligiösen Austausch gewidmet sind“ (Sattler 2014).

Damit schiebt der Sozialpreis die öffentliche Inszenierung der Baustelle als interreligiösen Begegnungsort an. Da die Bauarbeiten aufgrund der steigenden Kosten und begrenzten Spendenmittel über ein Jahr dauern und nur Stück für Stück erledigt werden, bleiben Zeit und Raum für Zwischennutzungen. Die Aufteilung der vier Veranstaltungen des „Dialogs auf der Baustelle“ in zwei „islamisch“ organisierte und zwei „christlich“ organisierte Termine scheinen zunächst die etablierten Grenzziehungen zwischen den Religionen zu manifestieren und auf bekannte Strukturen des Interreligiösen Dialogs zurückzugreifen. Auch die Betitelung der Treffen als Dialog verweist auf eine binär getrennte Struktur zwischen zwei Akteursgruppen. In der teilnehmenden Beobachtung der Zusammenkünfte offenbaren sich jedoch transgressive Momente, die zum einen die Reinszenierung der evangelischen Kirchengemeinde Horn in den entwidmeten Räumen mit sich bringen und zum andern die Konstruktion der neuen AlNour Moschee als hamburgisch-islamisches Wahrzeichen legitimieren. Der Begriff Transgression bezieht sich, wie in Kapitel III.5.1.2 näher ausgeführt, auf den gleichzeitigen Erhalt und die Überschreitung von Grenzen und dient mir wegen der Infragestellung „dichotomische[r] Wissensordnungen“ (BachmannMedick 2006: 126) als „Leitbegriff“ (ebd.) für die Analyse. Die evangelischentwidmete, zukünftige Moschee in Hamburg-Horn stellt an sich ein grenzüberschreitendes Artefakt dar, wie die Rekonstruktion des Diskurses zu ihrer Umwandlung gezeigt hat. Im Gegensatz zu den ritualisierten Gesprächskreisen interreligiöser Begegnung können die gemeinsamen Veranstaltungen der Kirchengemeinde Horn und der Al-Nour Moschee, die dort parallel zur baulichen Veränderung stattfinden, als performative Akte der Umwandlung beschrieben werden, die somit eine Transgression bestehender Ordnung realisieren. Diese Lesart werde ich anhand von drei Dimensionen, die ich als situative Identitätskonstruktionen auf den Veranstaltungen beobachtet habe, herausarbeiten. Die Dimensionen beziehen sich auf die Positionierungen der beiden Religionsgemeinden und der Anwohner. Im folgenden Teil befasse ich mich mit der ambivalenten Verortung der religiösen Vertreter in den Räumen der ehemaligen Kapernaumkirche als

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Gast und Gastgeberin zugleich. Danach beschäftige ich mich mit den Einschreibungen der Besucher in den „Dialog auf der Baustelle“ anhand der Bedeutung des Kulinarischen und schließlich mit dem Spannungsfeld zwischen Anteilnahme und Abgrenzung. Zunächst soll das Wesen und die Abfolge der Veranstaltungen kurz skizziert werden. Die jeweils zweistündigen Veranstaltungen des „Dialogs auf der Baustelle“ sind stets für Samstagnachmittag 15-17 Uhr terminiert und finden zwischen Juni und November 2014 statt. Während der gesamten Zeit ist das Grundstück mit einem Bauzaun umrahmt, der direkt an die Vorgärten des danebenliegenden Altersheims angrenzt. Zu den regelmäßig erscheinenden Gästen zählen zu einem großen Teil auch die unmittelbaren Nachbarn aus der Seniorenresidenz. Daneben kommen eine Reihe interessierter Horner, die persönliche Erinnerungen mit der Kapernaumkirche verbinden oder am architektonischen Prozess interessiert sind, sowie Engagierte der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Horn. Die Kirchengemeinde ist mit der Pastorin Susanne Juhl und dem Pastor Burkhard Kiersch sowie einigen Männern vertreten, die sich um das Buffet kümmern. Vonseiten des Islamischen Zentrums Al-Nour sind ein Kreis von Vorstandsmitgliedern, der Imam und jüngere Aktivisten der Gemeinde anwesend, die meistens ihre Kinder mitbringen. Die Veranstaltungen beginnen mit der Begrüßung der Gäste durch die Pastorin Juhl und den Vorstandsvorsitzenden Abdin. Beide halten jeweils kurze Reden, in denen Neuigkeiten zum Bauprozess, Ankündigungen weiterer Veranstaltungen und vor allem die Freude über die guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften und Anwohner vorgebracht werden. Nach der Begrüßung wird das Buffet eröffnet, worauf ich weiter unten näher eingehen werde. Der dritte und letzte Programmpunkt der Veranstaltungen variiert. Im August, als die amerikanische Generalkonsulin eingeladen ist, findet nach dem Essen eine interreligiöse Podiumsdiskussion statt. Die anderen Veranstaltungen enden formloser mit Gesprächen zwischen Besuchern und Religionsvertretern. Zu den beiden letzten Veranstaltungen hat die Al-Nour Gemeinde einen Kalligraphen eingeladen, der Interessierten ihren Vornamen auf Karten malt. 3.3.2 Statusunsicherheiten bei Gast und Gastgeberin Die organisatorische Aufteilung der Dialogveranstaltungen in „christlich“ und „islamisch“ deutet ein Paradoxon an, auf das ich weiter oben bereits hingewiesen habe. Die Vertreter der Religionsgemeinschaften werden dadurch gleichsam Gäste ihrer eigenen Veranstaltung und Gastgeber, die diesen Status stets teilen und damit verteidigen müssen.

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Dies führt bisweilen dazu, dass der Vorstandsvorsitzende der Al-Nour Moschee seine Enttäuschung über das Ausbleiben von Besuchern beim dritten „Dialog auf der Baustelle“ auf die mangelnde PR der evangelischen Kirche schiebt und den Vorwurf äußert, die Kirchengemeinde habe niemandem Bescheid gesagt. Außerdem kritisiert er, dass kein warmes Gericht angeboten wird (Feldnotizen 27.09.2014). Tatsächlich hat die Kirchengemeinde Horn in ihrem vierteljährlich erscheinenden Gemeindebrief einen Bericht des ersten Dialogs auf der Baustelle mit der Bekanntgabe der weiteren Termine gedruckt (Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde zu Hamburg-Horn 2014), in dem sie die „kulinarischen Köstlichkeiten“ (ebd.) des Islamischen Zentrums lobt. Darüber hinaus bleibt der Artikel jedoch neutral gegenüber der Entwicklung der ehemaligen Kapernaumkirche. Diese nüchterne Zurückhaltung verweist auf die widersprüchliche Position der Kirchengemeinde in Zusammenhang mit der zukünftigen Moschee. Die temporäre Wiederkehr an eine ursprüngliche Wirkungsstätte, die wegen mangelndem Interesse vonseiten der Bevölkerung aufgegeben wurde, hinterlässt wie in Kapitel V.3.1.2 beleuchtet, einerseits eine repräsentative Leerstelle für die Kirche. Die Bitte an die Horner, dieses geschmähte Gebäude nun doch wieder zu besuchen, mag den Kirchenvertretern nicht leicht gefallen sein. Andererseits bietet sich so auch die Möglichkeit der Reinszenierung für die Protestanten, die auf ihre fortdauernde Präsenz im Stadtteil aufmerksam machen können. So liegen bei den Dialog-Veranstaltungen neben Flyern zum interreligiösen Dialog und Faltblättern über Islam auch der Gemeindebrief der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde zu Hamburg-Horn und ein Spendenaufruf zum Erhalt ihrer Martinskirche aus, in dem das 1886 eingeweihte Gebäude als „Wahrzeichen für den Stadtteil Horn“ tituliert wird. Damit verdeutlichen die Horner Christen ihren Status als traditionsreichste Religionsgemeinschaft im Stadtteil. Jenseits dieser paradoxen Lage der evangelischen Kirchengemeinde, Gast im (ehemals) eigenen Haus zu sein, hat sie vor allem in Bezug auf das Islamische Zentrum Al-Nour eine legitimierende Rolle inne. Sie steht buchstäblich Pate für das Unterfangen der Moscheegemeinde, sich die ehemalige Kirche anzueignen. Die Anwesenheit und Mitorganisation der alteingesessenen Protestanten auf den Dialogveranstaltungen macht diese für Horner Besucher barrierefrei und garantiert eine vertraute Atmosphäre. Dies zeigt sich an den herzlichen Begrüßungen der Anwohner, die den Gemeindevorstand Kiersch mit „unser Pastor“ ansprachen (Feldnotizen, 01.11.2014). In eben diesem Gespräch fällt sogleich jedoch auch die Frage: „Und wo ist der Chef?“, darauf ein anderer scherzend: „Welcher Chef, der Pastor ist doch immer der Chef“ (ebd.). Stattdessen wird Daniel Abdin, der Vorstand der islamischen Gemeinde, gesucht. Der Pastor nimmt diese Degradierung mit dem gebotenen Gleichmut auf und verweist darauf, dass er selbst gerade erst

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vom Kaffeeholen gekommen sei (ebd.). Durch „das Sich-Bestimmen-Lassen, das Geschehenlassen“ (Fischer-Lichte 2012: 88) legitimiert die evangelische Kirchengemeinde nicht nur die Errichtung der Al-Nour Moschee in der entwidmeten Kirche, sie bringt diese mit hervor. Wie Fischer-Lichte zurecht betont, sind es nicht nur die aktiven Züge von Inszenierung und Performanz, die „an der Hervorbringung sozialer, religiöser, ästhetischer Wirklichkeiten“ (ebd.) teilhaben, vielmehr kommt es auf das Zusammenspiel von aktivem Handeln und passivem Bezeugen an. Erst das gemeinsame Auftreten der beiden religiösen Gemeinschaften eröffnet dem Islamischen Zentrum Al-Nour eine besondere Möglichkeit, sich zu präsentieren und gegenüber der evangelischen Kirche zu kontrastieren. Um diesen kompetitiven Aspekt des „Dialogs auf der Baustelle“ zu veranschaulichen, soll im folgenden Teil das Buffet einer näheren Betrachtung unterzogen werden. 3.3.3 „Liebe geht durch den Magen“28 – Die kulinarische Dimension Die christlich-islamische Teilung der Veranstaltungen, die ich weiter oben als paradox und essentialistisch skizziert habe, findet ihren Ausdruck und schließlich auch ihre Berechtigung in der Verköstigung der Besucher. Obwohl es sich bei den Nachmittagsveranstaltungen keineswegs um klassische Essenszeiten handelt, fährt die islamische Gemeinde bei ihren Terminen ein opulentes Buffet arabisch-türkischer Prägung auf, das die Kategorien Vorspeise und Hauptspeise abdeckt. Die Besucher danken es ihr, indem sie sich nach der Begrüßung beinahe geschlossen in Reih und Glied anstellen, um die reich gefüllten Teller in Empfang zu nehmen und dann mit Genuss zu verspeisen, was einen guten Teil der insgesamt für die Veranstaltung angesetzten Zeit in Anspruch nimmt. Das gemeinsame Essen wird so zur Hauptaktivität, was sich vor allem darin bestätigt, dass viele Besucher danach die Baustelle verlassen. Vor allem beim zweiten Termin lichtet sich das Feld der Besucher nach dem Essen, obwohl noch eine interreligiöse Podiumsdiskussion stattfindet. Diese Schwerpunktsetzung ist auf öffentlichen Veranstaltungen mit kostenlosem Essen sicher nicht ungewöhnlich. In diesem Falle wird sie vom Islamischen Zentrum Al-Nour sogar strategisch forciert. Wie mir Abdin in einem Gespräch erläutert, „geht Liebe bekanntlich durch den Magen“ (Feldnotizen, 20.08.2015). Das großzügige kulinarische Angebot soll zum einen dazu dienen, die Sympathien der Anwohner zu gewinnen. Zum andern reproduziert die islamische Gemeinde damit auch ein weitverbreitetes

28 Ein Zitat von Daniel Abdin (Feldnotizen, 20.08.2015), das ich im folgenden Text näher erläutern werde.

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Klischee über islamisch-arabische Gastfreundschaft, das eng mit dem Narrativ über die aufwendige orientalische Küche verbunden ist. Die Strategie des Islamischen Zentrums in Horn knüpft also an das multikulturalistische Paradigma an, das in Deutschland in den 1980er Jahren virulent wurde. Nachdem die als „Gastarbeiter“ angesehenen Arbeitsmigranten offenkundig vorhatten, zu bleiben, entwickelte sich ein öffentlicher Diskurs um die Vorzüge einer multikulturellen Gesellschaft, in der die verschiedenen Kulturen harmonisch nebeneinander existieren und Migranten die mehrheitsdeutsche Gesellschaft vor allem durch ihre mutmaßlich exotischen Sitten und Gebräuche bereichern sollten. Diese später zu recht als kultureller Essentialismus geschmähte Denktradition hat Spuren hinterlassen, die sich quer durch fast alle gesellschaftlichen Teilbereiche nachverfolgen lassen. Eine davon verweist auf den Umgang mit allochthonen, kulinarischen Praktiken. Kulinarische Vielfalt gilt in der westlichen Welt schon lange als erstrebenswert und die Anzahl und Ausdifferenzierung von migrantischen Gaststätten in Deutschland zeigt, dass das soziale Feld des Essens als weitgehend unproblematische Domäne gilt. Es kann als ein Bereich markiert werden, in dem nicht-deutsche Herkunft für gleichermaßen harmlos und interessant gehalten wird. Vor diesem Hintergrund setzt das Islamische Zentrum Al-Nour bei den „Dialog auf der Baustelle“-Veranstaltungen auf die Wirkung ihres frisch zubereiteten, reichhaltigen Buffets und stellt damit die auf den Veranstaltungen der evangelisch-lutherischen Kirche kredenzten Kleinigkeiten in den Schatten. Die Kirchengemeinde Hamburg-Horn organisiert zu ihren Terminen mehrere Bleche Zuckerkuchen und halbe belegte Brötchen. Dazu gibt es neben kalten Getränken Kaffee, Tee und Kekse in Tierform für die anwesenden Kinder. Wie mir Abdin erzählt, überzieht das Islamische Zentrum das Budget, das sich aus dem Preisgeld ergibt, und zahlt die überschüssigen Kosten bei den von ihm gestalteten Terminen aus der eigenen Tasche (Feldnotizen, 20.08.2015). Doch nicht nur Menge und Vielfalt unterscheiden sich. Auch die Art, wie die Speisen dargeboten werden, deutet auf eine Differenz in der Prioritätensetzung des Essens hin. Die Protestanten besorgen noch Nachschub an Kaffee und Kuchen, der dann für alle sichtbar ausgepackt und auf das im Vorraum aufgebaute Buffet drapiert wird, als das Essen bereits begonnen hat. Dahingegen scheint die Organisation des Essens bei der Al-Nour Moschee bereits zu Beginn der Veranstaltungen abgeschlossen zu sein. Die jungen Gemeindemitglieder sind nur damit beschäftigt, den reibungslosen Ablauf am Buffet zu beaufsichtigen, wohingegen die evangelische Gemeinde auch mal den Kirchenvorstand zum Kaffeeholen schickt. Diese Unterschiede verdeutlichen eine patrimoniale Rollenverteilung innerhalb der islamischen Gemeinde, in der ranghohe Mitglieder von dienstleistenden Tätigkei-

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ten ausgenommen sind. Doch darüber hinaus verweisen sie auf eine ausgeklügelte Arbeitsteilung in der Disziplin des Gastgebens, durch die sich die Einzelnen ganz auf ihre spezielle Aufgabe konzentrieren können. Abdin präsentiert sich gemeinsam mit dem Imam der Gemeinde und einigen anderen älteren Mitgliedern als Ansprechpartner für die Horner und ist stets von mindestens zwei Besuchern umringt. Dabei wird er nicht müde zu betonen, dass die neue Al-Nour Moschee Anlaufstelle für alle Horner werden solle. Die Performanz des Bewirtens, wie sie sich auf den Dialogveranstaltungen beobachten lässt, passt sich in ein Pathos der Gastfreundschaft ein, das die AlNour Gemeinde zu ihrem Markenzeichen macht. So wird die überschwängliche Präsenz, mit der Al-Nour die Horner empfängt, in einem Gästebuch-Eintrag als „tolle Willkommenskultur“ (Feldnotizen, 30.08.2014) gedankt. Die Wirkung dieser Inszenierung kann sich wie bereits angedeutet nur entfalten, weil die Vertreter der evangelischen Kirchengemeinde als Mittler fungieren und eine nüchterne Kontrastfolie bieten, vor der die Al-Nour Moschee als neuartig schillernde, kulturelle Einrichtung Horns glänzt. 3.3.4 Innen Anteilnahme, außen Abgrenzung Während die Stimmung unter den Besuchern des „Dialogs auf der Baustelle“ überwiegend wohlwollend ist und die Akteure routiniert ihre Freude über das gute Verhältnis äußern, weist eine Anekdote, die der islamische Vorstandsvorsitzende selbst im Rahmen seiner Begrüßungsrede am 27.09.14 schildert, auf die Grenzen nachbarschaftlicher Freundlichkeit hin. Die Rede von Daniel ist blumig wie immer, allerdings mit einer ziemlichen Spitze gegen die Nachbarn von Kapernaum. Erst fragt er, ob Nachbarn da sind. Als sich dann einige melden, erzählt er, dass bei der letzten Veranstaltung für die Mitglieder von Al-Nour jemand aus der Nachbarschaft die Polizei gerufen habe, als die Muslime ein paar Fleischspieße grillten. Daniel sagt: „Ich warne Sie nur schon mal vor, dass nächsten Samstag wieder eine solche Veranstaltung stattfindet.“ Er würde der Polizei auch schon mal pro forma Bescheid sagen, dass, falls jemand anruft, sie gar nicht zu kommen braucht (Feldnotizen, 27.09.2014).

Das Rufen der Polizei impliziert die Möglichkeit, Kritik zu üben, ohne persönlich involviert zu sein. Die Polizei stellt in diesem Fall eine überparteiliche Instanz dar, die den informellen Dialog und die Annäherung zwischen alteingesessenen Hornern und der neuen islamischen Gemeinde durch formal-rechtliche Kriterien untergräbt. Das scheinbare Verstummen der Kritiker des Moscheeprojektes in Horn offenbart sich in dieser Episode als Trugschluss und zeigt die

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Diskrepanz zwischen öffentlichem Diskurs und verschwiegenem Ärger auf. Das Islamische Zentrum Al-Nour hat die Diskurshoheit über ihr Moscheeprojekt mithilfe der überwiegenden Mehrheit der politischen Parteien und der evangelischen Kirchengemeinde Hamburg-Horn erlangt und kritische, öffentliche Äußerungen minimiert. Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es trotzdem Vorbehalte gegenüber der islamischen Nutzung von Kapernaum gibt, auch wenn diese kaum mehr Eingang in die öffentliche Deutungsweise finden. Bemerkenswert ist, dass das Rufen der Polizei in direktem Zusammenhang mit dem sozialen Akt des gemeinsamen Essens steht, der bei den Dialogveranstaltungen ein wesentliches Moment der Vergemeinschaftung darstellt. Das Zubereiten von Essen unter freiem Himmel bewirkt eine gewisse Geruchsbelästigung im direkt angrenzenden öffentlichen Raum. Es gehört streng genommen nicht zu den Kernaufgaben eines Gotteshauses, sich um das leibliche Wohl seiner Mitglieder zu kümmern. Da die kulinarische Dimension jedoch eine wichtige Komponente der Identitätspolitik von Al-Nour in Horn ist, kann der Polizeiruf als Opposition gegen die performative islamisch-hornersche Identitätsbildung verstanden werden. Dass dies in Abwesenheit der Horner Anwohner geschieht, die dem Umwandlungsprojekt positiv gegenüberstehen – auf der betreffenden Veranstaltung sind ausschließlich Mitglieder des Islamischen Zentrums anwesend – zeigt einmal mehr, dass die diskursive Macht über die Deutungshoheit im Herbst 2014 bei den Befürwortern des Umwandlungsprojektes liegt. Die Kritiker scheinen kein Interesse an der Auseinandersetzung mit ihren alteingesessenen Nachbarn zu haben. Um diese trotzdem gegeneinander in Stellung zu bringen, erzählt Abdin den Anwesenden die Episode mit der Polizei. Allerdings verursacht der Ton der Erzählung einen Moment der Abgrenzung zwischen autochthonen Hornern und dem Vorstand der islamischen Gemeinde. Während Abdin darauf setzt, dass die Nachbarn sich untereinander austauschen und so weitere Beschwerden aus der Welt geschafft seien, hinterlässt seine Schilderung das Gefühl einer Anklage gegen die Anwesenden. Auch der Verweis auf seinen eigenen Einfluss bei der Polizei, der er nun schon im voraus Bescheid gesagt habe, wirkt konfrontativ. Diese Situation markiert einen Bruch in der harmonischen Atmosphäre des Dialogs, der jedoch nur temporär für Unbehagen sorgt. Die gemeinsame (Re)Konstruktion des Kapernaumbaus als Gotteshaus hat die Beziehung der Akteure bereits ausreichend stabilisiert. Die Vorfreude auf ein lebendiges religiöses Gemeindeleben in den Räumen von Kapernaum überwiegt unter den Besuchern des Dialogs merklich. Besonders deutlich wird dies auf der letzten Veranstaltung im November 2014. Die Baustelle würde danach bis zur Eröffnung der Al-Nour Moschee nicht mehr öffentlich zu betreten sein. Im Innenraum, der zu diesem Zeitpunkt lediglich über einen Betonboden verfügt, höre ich ein Gespräch zwi-

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schen zwei Hornern und einem Mitglied der Al-Nour Gemeinde mit an. Eine der Frauen bemerkt: „Also ist das jetzt das letzte Mal, dass wir den Boden hier mit Schuhen betreten, das nächste Mal dann auf Socken.“ Die andere Besucherin resümiert daraufhin: „Wir sind ja so froh, dass hier wieder Leben ist. Zehn Jahre ist hier nix passiert und wir haben uns geärgert“ (Feldnotizen, 01.11.2014). Die Anteilnahme am Umbau der ehemaligen Kirche zur Moschee fußt, wie der letzte Kommentar andeutet, vor allem auf dem vorherigen Ärger über den Verfall des Gebäudes. Die Wiederbelebung der Kirche als soziale Institution des Viertels, die durch die gemeinsamen Anstrengungen der beiden Religionsgemeinden erreicht wird, lässt sich mit dem Konzept der „postsecular city“ (vgl. Cloke und Beaumont 2013) als pragmatische interreligiöse Initiative deuten. Die Honorierungen dieses Engagements durch den Sozialpreis der Diakoniestation Langenhorn und den Sonderpreis der Zeitschrift chrismon illustrieren die gesellschaftliche Anerkennung des Projekts, die zusammen mit den überwiegend wohlwollenden politischen Positionierungen auf einen politischen Wandel in der Anerkennung von Islam rekurrieren. Die Vorfreude auf die Eröffnung und die performative Beschreibung des Gefühls, die neue Moschee das erste Mal auf Socken zu betreten, verweisen außerdem auf eine eigenständige subjektive Verbindung der Frauen mit dem Gebetshaus, die sich aus der neuen Beziehung zur islamischen Gemeinde entwickelt hat. Die kurze Unterhaltung versinnbildlicht den Aushandlungsprozess zwischen Hornern und dem Islamischen Zentrum Al-Nour, in dem sich eine neue lokale Identität über die gemeinsame räumliche (Wieder-)Aneignung der entwidmeten Kirche konfiguriert. 3.4 Essen und Sauberkeit – Integration auf der Baustelle Die historische, topographische und diskursive Einordnung des Falls der ehemaligen Kapernaumkirche, die nach ihrer Entwidmung und einer mehrjährigen Phase der Nicht-Nutzung zur neuen Al-Nour Moschee umgewandelt werden soll, bemisst die Möglichkeiten und Grenzen der Sichtbarkeit und Anerkennung von Islam im öffentlichen Raum. Die überwiegend wohlwollende lokale Haltung zum Umwandlungsprojekt, die sich in Hamburg verhältnismäßig schnell herausgebildet hat, steht in Kontrast zu den Verläufen vieler früherer Moscheebauprojekte. Dies kann zum einen durch die Kenntnis und Erfahrung der Akteure im Sinne eines institutionellen Lernens heraus verstanden werden. Handlungsempfehlungen aus konflikttheoretischen Studien rieten zu Transparenz und Dialog. Strategien, die die Beteiligten in Hamburg nach eigenen Aussagen intuitiv angewendet haben (Feldnotizen, 20.08.2015). In einem weiteren Kontext kann die

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diskursive Harmonie auch mit der zunehmenden öffentlichen Akzeptanz sichtbarer Moscheen erklärt werden, die sich medial und interreligiös dokumentieren lässt (vgl. Antoniadis 2013; Koch/Reinig 2013). In Hamburg entfalten sich allerdings darüber hinaus gesellschaftliche Überlagerungen, die den Fortgang der Umwandlung prägen und entscheidend dazu beitragen, dass sich im Gegensatz zu den Verläufen anderer Moscheeprojekte in Deutschland kein Konflikt entwickelt: Zunächst versuchten rechtsradikale Akteure das Umwandlungsprojekt zu populistischen Zwecken zu nutzen. Ihre Initiative hat die gesellschaftliche Solidarisierung mit dem Projekt des Islamischen Zentrums vorangetrieben. Die Mobilisierung rechtsgerichteter Gruppierungen macht eine Opposition gegen das Vorhaben illegitim und lässt Kritiker weitgehend verstummen. Anwohner, Lokalpolitiker und die beiden involvierten Religionsgemeinschaften schreiben dem Umbauprojekt geradezu euphorisch gesellschaftlich integrierende Wirkungen zu und machen es so für eine inklusive Identitätspolitik nutzbar, die Islam als Teil der Narrative über die kosmopolitische Hamburger Stadtgesellschaft konstruiert. Im Gästebuch der Al-Nour Gemeinde steht der Satz: „Danke für Euren Tatendrang und Mut und dass die Kirche weiter Gotteshaus bleibt“ (Feldnotizen, 30.08.2014). Genauso verdeutlicht die von den Anwesenden auf der DialogVeranstaltung geäußerte Freude über die neue Nutzung des Gebäudes, dass die von den institutionalisierten christlichen Akteuren vorgebrachten Argumente gegen eine Moscheeeröffnung weniger der sozialen Wirklichkeit im Stadtteil entsprechen als auf symbolisch religiösen Machterhalt abzielen. Der Hamburger Propst und Präsident des Evangelischen Kirchbautages Johann Hinrich Claussen wies im Interview mit dem Hamburger Abendblatt auf jene Personen hin, die zwar nicht religiös aktiv seien, aber von der islamischen Nutzung ehemaliger christlicher Kirchen irritiert würden. „Vor allem diese Menschen sehen in den entwidmeten Gotteshäusern noch immer heilige Räume“ (Claussen zitiert in Hasse 2013). Diese Argumentationslogik offenbart ein statisches Identitätsverständnis, in dem der Wandel kollektiver Zugehörigkeiten nicht mitgedacht wird und die Möglichkeit der performativen Grenzüberschreitung vollkommen außer Acht gelassen wird. Als Konsequenz schlägt Claussen den Abriss entwidmeter Kirchengebäude vor (ebd.) und manifestiert damit seine unbewegliche Position. Wie die teilnehmenden Beobachtungen im Feld gezeigt haben, können sich einige Anwohner und Mitglieder der evangelischen Kirche durchaus mit der Umwandlung identifizieren. Einige Nachbarn beteiligen sich auch finanziell am Umbau, der allein durch Spenden getragen wird. Dass es nicht nur Zustimmung für die neue Moschee in der alten Kirche gibt, deutet sich in der Anekdote über das Grillfest der Al-Nour Mitglieder an, bei dem ein Nachbar die Polizei alarmierte. Hier zeigt sich auch die Schwäche einer rein auf öffentliche Äußerungen

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konzentrierten Diskursanalyse, die mithilfe von teilnehmenden Beobachtungen korrigiert werden kann. Das zivilgesellschaftliche Engagement der islamischen Gemeinde, das über die von mir fokussierten Veranstaltungen auf der Baustelle hinausgeht, verweist auf eine grundsätzliche gesellschaftliche Verantwortung, die die Muslime in Horn übernehmen. Ihre Präsenz auf Stadtteilfesten noch vor ihrem Einzug in die ehemalige Kapernaumkirche zeigt, dass sich die Beteiligung am Stadtteilleben nicht nur auf das eigene Kerngeschäft beschränkt, sondern mit einem umfassenden Verständnis lokaler, bürgerschaftlicher Verortung einhergeht. Diese Grundhaltung lässt sich in Zusammenhang mit der Steuerung des Images von Al-Nour in den lokalen und überregionalen Medien, die der Vorstand auf professionelle Weise betreibt, als korporative Identitätspolitik deuten. Mit dem Gemeinschaftssinn der Muslime, der religiös begründet wird, verbindet der Vorsitzende Abdin die Bemühung, zu zeigen, „dass der Islam nicht so ist, wie er in den Medien dargestellt wird“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013). Abdin versucht mit seiner offensiven Medienarbeit, die Deutung von Islam im öffentlichen Diskurs zu verändern und verweist auf die Diskrepanz zwischen medialer Darstellung und religiösem Alltag. Der praktische Nutzen seiner Moscheegemeinde für den Stadtteil Horn, den er nicht nur konkret erfahrbar macht, sondern auch medial zu vermarkten weiß, vermag tatsächlich das dominante Islambild auf lokaler Ebene zu verändern. Der tatsächliche Profit, den die Hamburger Stadtgesellschaft aus dem Engagement von Al-Nour erhält, besteht in der Wiederbelebung des Horner Kapernaumviertels. Damit erfüllen die Muslime eine städtische Aufgabe, die zuvor jahrelang für politische und gesellschaftliche Unstimmigkeiten gesorgt hatte und beweisen ihre Zugehörigkeit zur Hamburger Mehrheitsgesellschaft. Der schlechte Zustand von Kapernaum wurde öffentlich durchweg als Ärgernis wahrgenommen. Der erste Käufer, der ursprünglich eine Kindertagesstätte in der ehemaligen Kirche einrichten wollte, kümmerte sich nicht um die weitere Instandhaltung. Nachdem Regenrinnen gestohlen und Fenster eingeschlagen worden waren, verwitterte das Haus zunehmend und drohte auch zum Sicherheitsproblem zu werden. Wie durch zwei Anfragen der Fraktionen Die Linke (Die Linke 2008) und CDU (CDU 2011) an den Bezirksausschuss dokumentiert ist, wurde das Grundstück in den acht Jahren seines Leerstandes zum politischen Streitpunkt. Als denkmalgeschütztes Gebäude war die Vernachlässigung nicht nur dem Eigentümer anzulasten, sondern stellte auch das zuständige Denkmalschutzamt unter Zugzwang. Schließlich siedelten sich Obdachlose auf dem Grundstück an und nutzten das Vordach als Regenschutz. Doch auch die irregulären neuen Bewohner waren keine willkommenen Zwischennutzer. Die Fernsehberichte, die zum Thema ausgestrahlt wurden, differenzierten nicht zwischen

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der bereits früher bestehenden Verwahrlosung des Grundstücks und der provisorischen Aneignung der Obdachlosen (vgl. Hamburg 1 2013). Während einige Anwohner die Situation als „Schandfleck“ (ebd.) kommentierten, sorgten sich andere um den zukünftigen Verbleib der Obdachlosen, was sich in der Frage eines Horners auf der ersten Informationsveranstaltung der Al-Nour Gemeinde andeutet (Feldnotizen, 21.03.2013). Daniel Abdin antwortet darauf pflichtbewusst, man werde eine Lösung für sie finden. Im Interview äußert er sich zwiegespalten: „Es ist Winter, es ist kalt. Man kann denen Alternativen anbieten, aber ob sie das wollen, das weiß ich nicht. Und ich wollte die nicht einfach irgendwo in die Kälte verscheuchen. Das tut mir in der Seele leid. Ich weiß halt, dass die Nachbarn die loswerden wollen. Ich wollte einen Monat warten, dann ist es etwas wärmer. Jetzt kann ich ihrem Wunsch nachgehen und die Leute des Platzes verweisen“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013).

Wohnungslose sind in vielerlei Hinsicht von gesellschaftlicher Exklusion betroffen. Auch in die hier untersuchte Kirchenumwandlung wurden sie nicht miteinbezogen oder als Beteiligte anerkannt. Abdin verweist auf die religiöse Verantwortung gegenüber Notleidenden und äußert sein Mitgefühl mit ihrem Schicksal. Gleichzeitig ist er bestrebt, die Horner Nachbarn zufrieden zu stellen, um seine eigene Position nicht zu diskreditieren. Da die Präsenz der Obdachlosen auf dem leerstehenden Gelände auf Dauer nicht gewollt ist, nutzen sie der Verhandlungsposition der islamischen Gemeinde indirekt und lassen sie als kleineres Übel erscheinen. Vor dem Hintergrund, dass die ehemalige Kapernaumkirche zunehmend dem Verfall ausgesetzt war und jahrelang nicht regulär genutzt wurde, kann sich das islamische Zentrum Al-Nour als Retter des denkmalgeschützten Baus darstellen und so seine gesellschaftlichen Integration in die deutsche Mehrheitsgesellschaft sichtbar machen. Damit dient die Wiederinstandsetzung eines ehemals wichtigen architektonischen Bauwerks in Horn der islamischen Gemeinde auch als Nachweis über vermeintlich typisch deutsche Eigenschaften wie Ordnungsliebe und Sauberkeit. Diese Positionierung betont die Gleichheit zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, während die Dimension des Essens, die ich auf den Dialogveranstaltungen als Vergemeinschaftungsinstrument analysierte, das Anderssein der Akteure inszeniert. Die dialektische Identitätspolitik, bestehend aus Strategien der Gleichmachung und des Andersseins, rekurriert auf das Konzept der Transgression, dass das situative Austarieren von Grenzen zum Schlüsselmoment sozialer Interaktion macht. Die teilnehmende Beobachtung verdeutlicht einmal mehr, das soziale Vergemeinschaftung entlang konkreter, lokaler Bündnisse verläuft, die in der Praxis ideologische Trennungen

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überwinden können. Die Mikroanalyse der Veranstaltungen ermöglicht es, die soziale Inszenierung eines Gotteshauses auf der Baustelle einer entwidmeten Kirche als Prozess der performativen Identitätsbildung nachzuvollziehen, der die konstruierten Grenzen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen gleichsam manifestiert und situativ überschreitet (vgl. Bachmann-Medick 2006: 127). Vor diesem Hintergrund erscheint das Label „Außen Kirche, innen Moschee“, mit dem Abdin das Projekt versehen hat, unpräzise. Seine grenzerhaltende Implikation, die auf der räumlichen Trennung von innen und außen beruht, entspricht der dominanten Dichotomie zwischen Islam und Christentum und wird den transgressiven Aushandlungen während der Umwandlungsphase in Horn nicht gerecht. Damit steht die sprachliche Überwindung binärer Wissensordnungen noch aus.

VI. Verdichtung und Diskussion der Forschungsergebnisse

1 I SLAM LOKALISIEREN – ZUM N UTZEN RAUMTHEORETISCHER K ATEGORIEN FÜR DIE A NALYSE SOZIALER A USHANDLUNGSPROZESSE Ich habe meine Untersuchung mit der Überlegung begonnen, dass in dem diskursiven Produkt Islam in Europa die Grenzziehung zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen als essentielle Unterscheidung konstruiert wird. Um die praktische Herstellung dieser Grenze und die Möglichkeiten ihrer Dekonstruktion auszuloten, machte ich mich auf die Suche nach konkreten Aushandlungsprozessen und entwickelte drei Fallstudien, die hamburgische Ausprägungen von Islam lokalisieren. Um die identitätspolitische Dimension des „Staatsvertrags“ zwischen drei islamischen Verbänden und der Stadt Hamburg zu veranschaulichen, habe ich ihn als ‚Hausordnung für den Hamburger Islam‘ bezeichnet. Damit möchte ich seine konstitutive Kraft und die lokalspezifische Machtkonstellation, die ihn hervorgebracht hat, betonen. Die gegenseitige Anerkennung der beteiligten Akteure als legitime Verwalter dieser Ordnung manifestiert Grenzmarkierungen gegenüber heterodoxen islamischen Strömungen und wird als Übergangsritual praktiziert, das Hamburg und Islam gleichermaßen verändert. Auf der Veddel habe ich die Diskrepanz zwischen dem Stadtteilimage und anderen kollektiven Identitäten beleuchtet und dabei ambivalente Verortungen der Akteure beobachtet, in denen die Lokalität des Quartiers gleichzeitig produktiv angeeignet und als Begrenzung empfunden wird. Die Analyse der Aufwertungsstrategien durch das kommunale Wohnungsbauunternehmen SAGA GWG offenbart einen widersprüchlichen Umgang mit der Alltagskultur der Bewohner, die mal unternehmerisch genutzt, mal ethnisiert und mal völlig übergangen wird.

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Während darin die implizite Normalisierung islamischer Sichtbarkeit stattfindet, bleiben die sozialen, ethnischen, religiösen Grenzziehungen zwischen den Akteuren weiterhin wirksam und werden nur in Form von temporären Bündnissen situativ aufgehoben. Im Stadtteil Horn hat die Begleitung des Moscheebauprojekts in den Räumen der ehemaligen Kapernaumkirche transgressive Wirkungen dokumentiert, die sich sowohl auf die Stadtteilebene als auch auf den medialen Diskurs beziehen. Das grenzüberschreitende Potential der Initiative zeigt einen pragmatischen Weg auf, den islamischen Wunsch nach Sichtbarkeit und Repräsentation mit dem Konzept der Vielfalt und Toleranz zu vereinbaren. Die ehemalige evangelische Kirche wird nach ihrer Entwidmung und einem jahrelang dauernden Leerstand in eine Moschee umgebaut und als Symbol interreligiöser Verständigung in Szene gesetzt. Diese performative Aushandlung erfolgt maßgeblich mithilfe der evangelischen Kirchengemeinde Horn und engagierten Nachbarn aus dem Viertel und demonstriert so die grenzüberschreitende Hervorbringung von Islam im lokalen Kontext. Kennzeichnend für die drei Fallstudien sind sowohl die Synthese von Anerkennung und Widerstand als auch die Aneignung von Islam innerhalb nichtmuslimischer Positionierungen. Im gesellschaftlichen Diskurs bildet die Trennung zwischen Islam und Europa eine relevante Fluchtlinie. Anhand der Genealogie, Beständigkeit und Ausdifferenzierung dieser Fluchtlinien habe ich gezeigt, dass die Konstruktion von Islam als das Andere Europas identitätspolitische Funktionen erfüllt und daher stetig diskursiv reproduziert wird (vgl. Said [1978] 2003; Tezcan 2012). Die soziologische Forschung hat nicht nur in Bezug auf Islam Anerkennung und Widerstand als voneinander unabhängige Konzepte konstruiert (vgl. Honneth 2003; Bader 2007). Die Dichotomie zwischen der Anerkennung von Islam in Europa und seiner Funktion als „Subjektivierungsmodus“ (Tietze 2001: 8) reproduziert diese Konzeption. Die vorliegende Arbeit untersucht, wie Akteure auf der lokalen Ebene gleichzeitig mit dem dominanten Islamdiskurs und mit der Notwendigkeit, „möglichst undramatisch miteinander auszukommen“ (Nassehi in Zielcke 2015) umgehen. In den drei Fallstudien haben sich die Konzepte Lokalität, Identität und Aushandlung als theoretische Koordinaten erwiesen, im Rahmen derer sich die empirischen Ergebnisse einordnen lassen. Die Frage, wie soziale Ordnung von den Akteuren hergestellt und durch welche konkreten Praktiken eine gemeinsame städtisch-religiöse Identität realisiert wird, lässt sich vor allem anhand der analytischen Verräumlichung beantworten. Lokalität wirkt nicht als externer Faktor, sondern als immer wieder neu hergestellte Ordnung auf die Positionierungen der Akteure ein.

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Auf der Ebene der Aushandlung thematisieren die von mir beobachteten Prozesse Routinen und Wandel gleichermaßen. Während die Praxistheoretiker noch darüber streiten, ob Praxis genuin mit Wiederholung verbunden sein muss, hat die Performanzforschung darauf längst eine Antwort gefunden, die sich ritualtheoretisch und transgressionslogisch fruchtbar machen lässt (1.1 und 1.2). Die empirische Analyse hat gezeigt, dass beide Ansätze Wiederholung und Veränderung markieren, jedoch jeweils unterschiedlich darauf zugreifen. Zum Zweck einer theoretischen Weiterentwicklung diskutiere ich die Konzepte Ritual und Transgression vergleichend (1.3). Auf der Grundlage dieser praxeologischen Überlegungen habe ich eine situative Verschränkung von Identität und Lokalität beobachtet, aus der sich eine synthetische Verdichtung der Fallstudien generieren lässt (2). Der Ausblick skizziert mögliche Entwicklungen der politisch-gesellschaftlichen Einbindung von Religion (3) in aktuelle Vergesellschaftungsprozesse. 1.1 Ritual und Scheitern Das Konzept des Rituals als formalisierte, symbolisch aufgeladene Routine, die ordnend und traditionalisierend wirkt, begleitete meine Feldforschung von Anfang an (Moore/Myerhoff 1977: 7). Das Zusammenspiel aus inszenierten und formalisierten Aufführungen in Bezug zu Islam in Europa, fiel mir bereits bei meinem ersten Feldkontakt in der Centrum Moschee auf (vgl. IV.2.1.1). Besonders der traditionalisierende Aspekt erscheint in Zusammenhang mit der Konstruktion einer hamburgisch-islamischen Identität relevant. Dies wird in der Fallstudie zum „Staatsvertrag“ zwischen dem Hamburger Senat und drei islamischen Verbänden deutlich, wenn die Beteiligten zur Vertragsunterzeichnung im Rathaus erscheinen und durch den formalisierten Akt der gemeinsamen Unterschrift das Verhältnis zwischen Hamburg und Islam erstmals in der Geschichte der Stadt zu einem juristischen Tatbestand machen. Dieser Ritus der Angliederung lässt sich weniger formalisiert auch in den anderen beiden Fallstudien markieren (vgl. Bachmann-Medick 2006: 115). Dort fungieren die Zeremonien der Begrüßung, Verabschiedung und der Bewirtung als rituelle Formen des gesellschaftlichen Wandels und der Vergemeinschaftung. Die Möglichkeit des Scheiterns und der Infragestellung bestehender Werte, die dem Ritual innewohnt (vgl. Turner 2000: 160; Bachmann-Medick 2006: 115), ist allen Fallstudien inhärent: Sei es die Überprüfung der rechtlichen und religionswissenschaftlichen Eignung der islamischen Verbände während der Verhandlungen zum „Staatsvertrag“, die andauernde Infragestellung des gegenseitigen Verhältnisses durch die Akteure auf der Veddel oder die Verstimmung

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zwischen Al-Nour Gemeinde und Horner Anwohnern durch die Alarmierung der Polizei. Darin liegt die Spannung eines jeden Rituals, das einerseits auf der Nachahmung früherer Darstellungen beruht und andererseits als spezifische soziale Interaktion einen offenen Ausgang hat (vgl. Strüver/Wucherpfennig 2009: 111; Snoek 2003: 82). Das Wissen um die eigene soziale Position stellt in allen Fällen einen prekären Balanceakt dar. Die Verinnerlichung der eigenen Rolle, die das Gelingen eines Rituals gewährleistet, lässt sich bei den Akteuren der Fallstudien nicht durchgehend beobachten. Dies verdeutlicht, dass der Ritualbegriff zwar situativ auf die Aushandlung von Islam in Hamburg anzuwenden ist, allerdings nicht durchgehend passt. Es erfordert eine analytische Erweiterung des Konzepts, um die wechselseitige Identitätsproduktion der Hamburger Akteure zu verstehen. Das verwundert auch aus Sicht der Ritualforschung nicht, die eine eindeutige Unterscheidung zwischen Ritual und Nicht-Ritual in modernen Gesellschaften kaum für möglich hält (vgl. Tambiah 2002: 210). Trotzdem ist die Hermeneutik des Rituals keineswegs überflüssig geworden. Die Fallstudien zeigen eindrücklich, dass die Orientierung an alteingesessenen Ordnungsstrukturen besonders in Zeiten des Wandels notwendig und hilfreich sein kann. Erst durch den Bezug auf Traditionen kann sich ein praktisches Wissen entwickeln, das bestehende Gesetzmäßigkeiten in Frage stellt und neue Deutungen entfaltet. 1.2 Transgression – Unterbrechung – Grenzüberschreitung Die Aushandlungsprozesse der Hamburger Akteure in Bezug auf Islam habe ich jeweils als verdichtete Chronologien erzählt, um den Wandel sichtbar zu machen, den sie ausdrücken und gleichzeitig die Routinen zu beleuchten, die darin reproduziert werden. Dass alle Fallstudien Wandel thematisieren, sei es formalisierter Wandel wie im Falle des „Staatsvertrags“, politisch-zivilgesellschaftlicher Wandel in der Quartiersentwicklung der Veddel oder architektonisch-symbolischer Wandel in der Studie über Kapernaum, ist der Konzeptualisierung des Forschungsgegenstands geschuldet. Um die Dichotomie zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen aufzubrechen, habe ich mein Augenmerk auf alltägliche städtische Situationen gerichtet und bin sozialen Routinen begegnet, die früher oder später von Unterbrechungen und Grenzüberschreitungen gekennzeichnet waren. In Anlehnung an die Performanzforschung habe ich sie als Transgressionen gefasst, da sie sowohl grenzerhaltend als auch grenzverschiebend wirkten. Der Begriff erscheint deshalb nützlich, da er besonders auf marginalisierte Praktiken abzielt, die dominante Wissensordnungen und identitätspolitische Trennlinien in Frage stellen. Nach Butler entstehen Transgressionen vor allem in losen Bündnissen (vgl. Butler 1991: 36f.), wie zum Beispiel der Kooperation zwischen jun-

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gen Musliminnen und der Quartierskünstlerin auf der Veddel. Auch das Moment der punktuellen Vergemeinschaftung, das sich nach Abschluss des Kunstprojekts wieder auflöste, lässt sich als Gegenentwurf zu der normativen Verfestigung im Diskurs um Islam in Europa verstehen. Die Fallstudie zur Veddel zeigt exemplarisch, wie ein pragmatischer Gegenentwurf zum Streit um die Kompatibilität von islamischen und europäischen Werten aussehen kann. Nicht kultureller Relativismus, der Konflikte negiert, leitet die Aushandlung der Akteure an, sondern eine tolerante Haltung, die Kooperation trotz unterschiedlicher Werte möglich macht. Dabei symbolisiert das Medium Kunst die Logik der Praxis, indem es nicht mit vorsituativem Wissen operiert, sondern selbst das Knowhow bereitstellt, durch das es hervorgebracht wird (vgl. Rahel Bruns in SAGA GWG 2013b). 1.3 Routinen und Wandel des Hamburger Islam Die drei Fallstudien haben in ihren unterschiedlichen Settings eine Gemeinsamkeit akzentuiert, die zur praxeologischen Theoriebildung beitragen kann. In Anlehnung an die Kritik der praxistheoretischen Zweiteilung zwischen Routine und Wandel als einander ausschließende dominante Konzepte von Praxis, lassen sich in der Analyse der Aushandlung des Hamburger Islam beide Kategorien als zentral herausarbeiten (vgl. Reckwitz 2004: 41). Die Ansätze der Performanzforschung, die ich mithilfe der Hermeneutik von Ritual und Transgression auf die Fallstudien angewendet habe, entwickeln eine grenzzentrierte Kulturtheorie, die in der Betonung von Gleichzeitigkeit und Ambivalenz kulminiert. Die dogmatischen Frontstellungen, die ich in der normativen Debatte um die Vereinbarkeit ‚islamischer‘ und ‚europäischer‘ Werte nachgezeichnet habe (s. Teil II), werden im städtischen Alltag sehr viel flexibler verhandelt. Dieser Pragmatismus nimmt den routinierten Zuschreibungen von Islam und Hamburg die Statik und schafft das Potential für Verschiebungen und Dekonstruktion, in dem die Akteure Grenzen ausloten und durchkreuzen. Aus dem Gegensatz Islam und Hamburg – als konstruierter Teil Deutschlands und Europas – wird dabei die spezifische Figur Islam in Hamburg, auf die sich die Akteure, weiterhin unter Rückgriff auf Abgrenzungen und Ausschlüsse, einigen. Diese spezifische Figur wird durch die konkrete Anordnung von Wiederholung und Wandel in den Praktiken der Akteure stabilisiert, was keineswegs unstrittig oder latent geschieht. Die allgegenwärtige Frage nach der legitimen Repräsentation von Hamburg und Islam, wie sie in allen Fallstudien virulent ist, verweist auf die gleichzeitige Annahme und Dekonstruktion bestehender Wissensordnungen und belegt damit ihre Prekarität. Das transgressive Moment der Interaktionen besteht in der „Über-

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schreitung des legalisierten oder ritualisierten Geschehens“ (Neumann/Warning 2003: 10) und zeigt sich zum Beispiel in der muslimischen Aneignung der ehemaligen Kapernaumkirche, aber auch in der Partizipation der Horner Bürger daran. Dabei bedienen sich die Beteiligten durchaus etablierter und ritualisierter Akte und kombinieren sie mit Ad-hoc-Kooperationen und losen sozialen Verbindungen, die die binären gesellschaftlichen Strukturen temporär aufbrechen. Während sich also beide Konzepte, Ritual und Transgression, für die Beschreibung lokaler Identitätspolitiken eignen, stellen sie unterschiedliche Stellschrauben für die Analyse bereit. Der „Passagen-Charakter“ der Transgression (ebd.) scheint dabei gegenüber dem Schwellenzustand des Rituals einen entscheidenden Vorteil zu haben. Im Bild der Passage lässt sich Gesellschaft als dynamischer Prozess der sozialen Aushandlung fassen, während die Liminalität des Rituals die Statik eines vorherigen und eines späteren Gesellschaftszustands voraussetzt. In diesem Punkt ist meines Erachtens das Konzept der Transgression für die Analyse postmoderner Zusammenhänge besser geeignet. In Bezug auf einen anderen Aspekt entfaltet das Instrumentarium der Ritualforschung eine besondere Deutungskraft. Wie in Teil III.5.1.2 ausgeführt, sprechen Moore und Myerhoff nicht zufällig vom säkularen Ritual als Weiterentwicklung klassischer Rituale. Die Beobachtung des Hamburger Islam als Ausgestaltung einer lokalen Identitätspraxis entspricht weder der Konzeption eines religiösen Rituals noch trifft der Begriff „secular ritual“ (Moore/Myerhoff 1977) darauf zu. Es handelt sich bei den Szenen der Anerkennung, Sichtbarmachung und Zurückweisung von Islam in Hamburg, die ich in den Fallstudien beschrieben habe, um rituelle Mischformen, die die Zweiteilung von Religion und Nicht-Religion als soziale Einheiten in Frage stellen und dabei trotzdem stabilisierend wirken. Exemplarisch lässt sich hierfür der Iftar-Empfang nennen, bei dem Muslime im Ramadan das Fasten brechen. Dieser Anlass stellt in den Fallstudien einen Moment des Wandels dar, wie die öffentliche Zusage von Beusts zeigt, der bei einem Iftar-Empfang in der Centrum Moschee dem Beginn von Vertragsverhandlungen zustimmte (vgl. Fallstudie A). Ähnliches lässt sich in Uetzmanns Schilderung über den ersten Iftar in der Veddeler Sporthalle erkennen: „Also ich hab gedacht, als der Imam das erste Mal in der Sporthalle das Iftar dann angesungen hat, da hab ich gedacht: Jetzt sind wir angekommen“ (Dieter Uetzmann, Interview 11.07.2012). Uetzmanns Positionierung als nicht-muslimischer Quartiersmanager steht für die vielschichtigen Möglichkeiten subjektiver Verortung im Feld. Seine Äußerung symbolisiert ein professionelles Interesse am quartiersbezogenen Zusammenhalt, das allerdings in der persönlichen Aneignung des islamischen Rituals darüber hinaus weist. Uetzmann überschreitet die Grenzen zwischen Muslimen und Nicht-

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Muslimen, indem er sich selbst in die Gemeinschaft der Fastenbrechenden einreiht. In diesem Sinne kann das Zeremoniell des Fastenbrechens, das gemeinsam mit Nicht-Muslimen begangen wird, als Versuch gewertet werden, ein neues, grenzüberschreitendes Ritual zu schaffen, das jedoch nicht zwangsläufig gelingen muss. Der Iftar auf der Veddel, wo sich Hunderte muslimischer Frauen auf der Wiese vor dem Museum „BallinStadt“ trafen, kann als Beispiel für ein verunglücktes Ritual angeführt werden, da die Quartierskünstlerin sich „leider“ trotz allem „ausgeschlossen“ (Feldnotizen, 31.07.2013) fühlt (vgl. Fallstudie C).

2 I SLAM UND DIE VIELFÄLTIGE H AMBURGER S TADTGESELLSCHAFT – EINE SYNTHETISCHE V ERDICHTUNG DER F ALLSTUDIEN Die Einbettung der rituellen und transgressiven Praktiken erfolgt innerhalb lokaler, identitätspolitischer Kontexte und ergibt sich aus den Bezügen, die die Akteure selbst herstellen, sowie Analogien und Brüchen, die sich in Zusammenhang mit dem Diskurs um Islam in Europa herausbilden. Diese Rahmung ist in besonderer Weise dazu geeignet, zu zeigen, dass Islam „urban und stadtspezifisch“ (Färber et al. 2012: 73) ist und gleichzeitig als Gegenstand eines universellen Werte-Diskurses auf normative Anforderungen reagiert und durch sie strukturiert wird. So schwingen in den Positionierungen der Akteure mindestens implizit Bezüge mit, die sich auf einen universell konstruierten Islam beziehen und diesen bestätigen oder negieren. Die beobachteten Aushandlungen stellen Widerstandsstrategien gegenüber der pauschalen Problematisierung von Islam dar und lassen sich als alternative Anerkennungsforderungen verstehen. Anerkennung und Widerstand stellen keine linearen Prozesse dar und beziehen sich situativ aufeinander, was ich nun fallübergreifend nachskizziere. Die Feststellung, eine Erscheinung sei stadtspezifisch, wird alltagsweltlich beinahe inflationär gebraucht und stößt innerhalb der Stadtforschung auf ein geteiltes Echo. Berking und Löw, die mit ihrer Theorie der „Eigenlogik der Städte“ (2008) eine konzeptionelle Rahmung dieses Allgemeinplatzes vorgelegt haben, wurden vonseiten sozialgeographischer Autoren scharf kritisiert (vgl. Kemper/ Vogelpohl 2011). Auch die Fixierung des Islamdiskurses in Europa, die ich in Teil II zwar kritisch diskutiert, jedoch grundsätzlich übernommen habe, ist sozialgeographisch problematisch und empirisch fragwürdig. Sie reproduziert eine Vorstellung von Europa als „Behälterraum [Hervorhebung im Original, L.H.]“ (Pott 2002: 73), die eine räumliche Prägung des Diskurses impliziert. Die Fallstudien haben zwar die Hauptthemen des Topos Islam in Europa aufgegriffen,

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jedoch beziehen sich die Akteure in ihren Positionierungen nicht auf das Konstrukt Europa, sondern zumeist auf globale Fluchtlinien. Vor diesem empirischen Hintergrund muss auch die akademische Auseinandersetzung, die Islam und Europa aus politischen, historischen und gesellschaftlichen Gründen aneinander bindet, kritisch hinterfragt und in Bezug auf ihre Vorannahmen überdacht werden. In der vorliegenden Arbeit ließ sich die Kategorie Raum analytisch fruchtbar machen, ohne sie im Sinne einer geodeterministischen Interpretation zu essentialisieren. Dazu wurden die Attribute, die über Hamburg kursieren und als typisch für die Stadt gelten, konsequent als Narrative gedeutet und ihre soziale Herstellung berücksichtigt. Die Erzählungen stellen keine Repräsentationen einer objektiv beobachtbaren Wirklichkeit Hamburgs dar, sondern sind Kategorisierungen der jeweiligen Akteure, die gelernt haben, ihre Äußerungen innerhalb eines lokalspezifischen Deutungssystems zu positionieren (vgl. Thrift 1997: 126). Hamburg ist nicht per se kosmopolitisch und weltoffen. Auch der Hamburger Hafen macht die Stadt nicht unbedingt weltoffener als jede andere Stadt. Die Fluktuation von Waren und Menschen, die mit dem wirtschaftlich wichtigen Umschlagplatz des Hafens verbunden ist, bietet lediglich eine Projektionsfläche an, auf die der Stadt ein weltgewandtes Image eingeschrieben werden kann. Der Status als Stadtstaat und die historische Zugehörigkeit zur Hanse legitimieren den zurückhaltenden Stolz, den die Bewohner gegenüber ihrer gebauten Umgebung hegen und wie selbstverständlich kollektiv auf sich selbst übertragen. Trotz der Unterschiede in den Settings der Fallstudien begegnete mir immer wieder die Gleichung über Hamburg als „Tor zur Welt“. Vom ehemaligen Bürgermeister von Beust bis hin zu einem Mitglied des islamischen Jugendlokals auf der Veddel eigneten sich die Akteure diese Erzählung an. Der Bezug auf Hamburg als vielfältige, inklusive Stadt wurde als Begründung für die spezifische Islampolitik der Akteure angeführt und als Legitimation für eigene Repräsentationsansprüche nutzbar gemacht. Die Einschreibung der Akteure in die dominante Narrative über Hamburg als weltoffene und kosmopolitische Stadt lässt sie als genuiner Teil Hamburgs erscheinen und konstatiert so ihre wechselseitige Hervorbringung. Die Verknüpfung von Migration und Islam auf der Veddel veranschaulicht, wie die Erzählung über Hamburg als „Tor zur Welt“ in die lokale Islamkonstruktion hineinwirkt. Die Fallstudie B thematisiert den Einfluss der historischen Fluchtlinie der Migration über die Elbinsel auf aktuelle Identitätskonstruktionen und illustriert, dass solche historischen Raumbezüge sowohl anschlussfähig bleiben als auch unterbrochen werden können. Die „Muslimischen Mädchen Veddel“ wurden als visuell sichtbare Islam-Vertreterinnen in das historisch infor-

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mierte Kunstprojekt einbezogen. Ihre Positionierungen zeigen, welche widersprüchlichen Folgen eine solche Vereinnahmung mit sich bringen kann. Die Migrationsgeschichte der Veddelerinnen wurde mithilfe eines visuell-performativen Kulturvergleichs mit der transatlantischen Migration hunderttausender Europäer am Ende des 19. Jahrhunderts gekreuzt und künstlerisch dargestellt. Das künstlerische Konzept erzeugte zunächst Unverständnis bei den jungen Musliminnen, der sich später punktuell in ihrer performativen Beteiligung am Projekt auflöste. Die Fallstudie B stellt mit ihrem situativen Bündnis lokaler Vergemeinschaftung ein Beispiel für die Gleichzeitigkeit von Anerkennung und Widerstand dar. Der Widerstand der Akteure beschränkt sich jedoch nicht auf die Zurückweisung des dominanten Islamdiskurses, sondern ist auch gegen eine Politik der Anerkennung gerichtet, die sich in der Corporate Citizen-Strategie der SAGA GWG manifestiert und von den Betroffenen als unzutreffend wahrgenommen wird. Die Untersuchung der „Hausordnung für den Hamburger Islam“ (Fallstudie A) pointiert die vergemeinschaftende Verortung über die verräumlichte Identität Hamburgs. Die Verhandlungen zum „Staatsvertrag“ begründeten sich mit dem Versuch, das Verhältnis zwischen Hamburg und Islam weiterzuentwickeln. Dies geht aus den Anfangserzählungen der Beteiligten hervor. Obwohl die Anstrengungen scheinbar vor allem auf eine rechtliche Besserstellung von Islam als Religion und eine effektivere Steuerung durch die Hamburger Regierung gerichtet waren, bezogen sich die Bemühungen nicht nur vonseiten der Hamburger Politiker, sondern auch von den beteiligten Islam-Vertretern genuin auf die Verbesserung der städtischen Ordnung. Der Initiator der Verhandlungen, Ole von Beust, begründete sein damaliges Vorhaben mit dem Wunsch, die „Konfliktstellung“ (Ole von Beust, Interview 14.03.2013) zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Hamburgern zu lösen. In diesem Sinne konstituiert sich mit dem Vertrag ein Islam-Modell, das zur besseren Verständigung islamischer und nicht-islamischer Ausdrucksformen in Hamburg beitragen soll und dabei konkrete Grenzziehungen vornimmt. Die Betonung der Lokalität Hamburgs verweist also nicht nur auf eine unschuldige Beheimatung, die die Vergemeinschaftung der Akteure bewerkstelligt, sondern stellt sich auch als Instrument zur Durchsetzung eines bestimmten identitätspolitischen Gesellschaftsmodells dar, das seinen Status durch die Abgrenzung von divergenten Elementen zu behaupten versucht. Die Hausordnung für den Hamburger Islam, die im „Staatsvertrag“ zum Ausdruck kommt, präsentiert sich selbst als grenzüberschreitend, weil sie, wie auch schon die Gründung der SCHURA Hamburg, ethnische und konfessionelle Unterschiede zu Gunsten politischer Repräsentation nivelliert. Die Bekundungen über die Einheit der Hamburger Muslime wirken eher wie ein politisches Pro-

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gramm als eine Zustandsbeschreibung. In Anschluss an Laclau lässt sich die Organisierung und Einigung der Hamburger Akteure, die in den „Staatsvertrag“ mündete, als Hegemonisierung eines bestimmten Islam-Modells fassen, was ich mit der Betitelung als ‚Hausordnung‘ veranschaulicht habe. Laclau erklärt in Bezug auf konzeptionelle Begriffe wie Demokratie (oder analog dazu Islam), diese seien „floating signifiers“ (Laclau 1990: 28). „To ‚hegemonize‘ a content would therefore amount to fixing [Hervorhebung im Original, L.H.] its meaning around a nodal point“ (ebd.). Mit der buchstäblichen Festschreibung von Islam in die städtische Ordnung demonstrieren die Beteiligten ihren doppelten Machtanspruch, der in der wechselseitigen Einschreibung von Religion und Lokalität besteht. Wie sich in den Fallstudien gezeigt hat, lässt sich Lokalität als Schlüsselkategorie für die Institutionalisierung von Islam mobilisieren. Die von mir beobachteten Akteure bedienen sich dabei eines Stadtkonzepts, das auf der Rationalisierung städtischer Diversität beruht. 2.1 Islam und die unternehmerische Stadt Im III. Teil habe ich das Modell der unternehmerischen Stadt als Weiterentwicklung der Hermeneutik der europäischen Stadt skizziert, die neben der sozialräumlichen Dichte und der Heterogenität der Stadtbewohner eine sozialstaatliche Regulierung zum Hauptmerkmal europäischer Städte erklärt. Das politische Programm der unternehmerischen Stadt, das in Hamburg seit den 1980er Jahren mehr oder weniger dominierend ist (vgl. Albers 2011: 36), reagiert auf die Krise des Sozialstaats, indem wohlfahrtsstaatliche Aufgaben auf private Akteure übertragen werden. Dabei waren zunächst freilich nur Unternehmen aufgefordert, ihre traditionelle Rolle als Mäzenen und gute Bürger für die Belange der Stadt einzusetzen. Was hat das mit Islam zu tun? Die religiös begründete Wohltätigkeit, die muslimischen Einrichtungen inhärent ist, schlägt sich oftmals – nicht immer – in städtischen und quartiersspezifischen Initiativen nieder. Hierin besteht ein lange ungenutztes Potential, da islamische Organisationen, die außer den Spenden ihrer Mitglieder häufig kaum Einnahmen haben, von staatlicher Seite als Bittsteller eingestuft werden (vgl. Fallstudie A, Kapitel V.1.1.5). Dem finanziellen Defizit zum Trotz verfügen viele der Religionsgemeinschaften über sozial engagierte Mitglieder und Ehrenamtliche. In diesem Bereich sind sie deshalb ökonomisch wertvoll, da ihre Infrastruktur und ihre Netzwerke oftmals lange gewachsen sind. In den Fallstudien B und C lässt sich die Funktionalität islamischer Vereine mit dem Konzept der unternehmerischen Stadt in seinen unterschiedlichen Fa-

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cetten veranschaulichen. Auf der Veddel stellt der Einbezug muslimisch konnotierter Ästhetik in ein kommunal gefördertes Quartierskunstprojekt lediglich eines unter mehreren islamisch-städtischen Kooperationen dar. Die muslimische Gemeinde Veddel passt sich damit in ein dichtes Geflecht aus zivilgesellschaftlichen Initiativen auf der Elbinsel ein und spielt dennoch eine besondere Rolle als einzige explizit religiöse Gruppierung im Quartier. Dass sich diese Sonderrolle in einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Stadtteil ausdrückt, ist sicher der historischen Geographie der Veddel geschuldet. Es zeigt aber auch, dass Islam als Attribut eines positiven Stadtteilimages anerkannt und genutzt wird. Lässt man die subjektiven Ambivalenzen, die sich aus dem Projekt für die Beteiligten ergeben haben, einmal außen vor, veranschaulicht die Fallstudie ‚Kunst und Islam auf der Veddel‘, wie sich Islam mit städtischer Identitätspolitik konfigurieren lässt. Es zeigt sich, dass weniger normative als vielmehr rationale und kulturelle Aspekte die Bündnisse zwischen Religionsgemeinschaften und Quartiersmanagern strukturieren. In diesem Sinne lässt sich Islam doppelt vermarkten. Er initiiert ehrenamtliches Engagement in marginalisierten Quartieren wie der Veddel und bietet darüber hinaus eine kulturalistische Projektionsfläche, die dem Unternehmen Hamburg eine weitere weltoffene Note verleiht. Die Fallstudie C offenbart eine ähnliche Logik. Die Aufwertung des heruntergekommenen Kapernaumbaus durch das Islamische Zentrum Al-Nour wirkt sich positiv auf das gesamte Viertel und die lokale Verortung seiner Bewohner aus. Das Engagement der Gemeinde lässt sich sowohl als quartiersspezifische Anstrengung deuten als auch in Zusammenhang mit interreligiösem Dialog verstehen. Als solcher werden die Bemühungen des Islamischen Zentrums gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde Horn mehrfach ausgezeichnet, was die breite gesellschaftliche Anerkennung des Projekts unterstreicht. Die Fallstudie „Außen Kirche, innen Moschee“ akzentuiert in besonderem Maße den Aspekt des Gastgebens und Bewirtens, der eng mit der differenzzentrierten Kulturtechnik des Essens verbunden ist. Im Aushandlungsprozess zwischen dem Islamischen Zentrum und den Horner Anwohnern stellt die Verköstigung durch die Moscheegemeinde ein strategisch genutztes Instrument der Vergemeinschaftung dar. Indem die neuen Besitzer der Kirche für die Aufwertung der direkten Umgebung sorgen und gleichzeitig einen kosmopolitischen Akzent setzen, rekurrieren sie auf die Konzeption der unternehmerischen Stadt und machen interkulturelle Verständigung zu einem verwertbaren Aspekt. Durch den „Staatsvertrag“ wird diese funktionale Beziehung zwischen Islam und Hamburg professionalisiert. Der Vertrag fungiert als Katalysator, der den Prozess der Institutionalisierung des Hamburger Islam voranbringen soll. Im Falle des Kaufs der Kapernaumkirche, der in direktem Anschluss an die feierliche Unterzeichnung des

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„Staatsvertrags“ vonstatten ging, scheint sich dies zu bestätigen. Der „Staatsvertrag“ ist aber auch Ausdruck einer Entwicklung, die mit der Gründung der SCHURA von Anfang an auf eine rechtliche Anerkennung der Stadt ausgerichtet war (vgl. Spielhaus 2011: 128). Die Aktivitäten der SCHURA kongruieren mit der oben skizzierten Selbstpositionierung Hamburgs als weltoffene, multikulturell geprägte Stadt, die sich unternehmerisch vermarktet und dabei auf eine engagierte Zivilgesellschaft zurückgreift. 2.2 Muslimische Gastfreundschaft als Beitrag zur unternehmerischen Stadt Das Prinzip des Gastgebens wird in den empirischen Fallstudien in mehrfacher Hinsicht relevant. Zunächst bildet es als allgegenwärtiges Ritual in vielen Situationen den Rahmen der Aushandlung. Montandon schreibt in seiner ritualtheoretischen Abhandlung über die „Szene der Gastfreundschaft“ (2003): „Die Relevanz einer so wichtigen – für die Bildung einer sozialen Bindung und Gesellschaftlichkeit paradigmatischen – Handlung wie des Empfanges des Anderen ist in vielen verschiedenen Kulturen zu beobachten“ (Montandon 2003: 444). Dementsprechend kommen öffentliche Veranstaltungen, besonders im interkulturellen Bereich, schwerlich ohne eines der wesentlichen Merkmale der Gastfreundschaft aus: der kulinarischen Verköstigung. Diese Feststellung führt allerdings nicht weit genug. Im Kontext städtisch islamischer Identitätsbildung spielen Gastfreundschaft und gemeinsames Essen eine wesentliche Rolle in der Einordnung und Anerkennung der Anderen. Dies ist insofern paradox, als dass zu Gast sein immer auch Fremdsein impliziert. Montandon schreibt über den Gast, dass er „[…] nicht alle Rechte besitzt und Außenseiter in dem Haus bleibt, das ihn empfängt“ (ebd.: 454). Diese Beschreibung führt direkt zum Kern des europäischen Islamdiskurses, der vieles von seiner Virulenz aus der Entwicklung schöpft, dass Muslime in Europa ihren Gaststatus aufgegeben haben. Das Ritual der Gastfreundschaft, das ich in den Fallstudien vor allem als muslimisch konnotierte Kulturtechnik beobachtete, verweist also auf die symbolische Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse und wirkt doch grenzerhaltend. Die Bedeutung, die Muslime der Gastfreundschaft zuschreiben, hebt sie scheinbar bewusst von Nicht-Muslimen ab. Montandon schreibt: „Die westlichen Gesellschaften legen heute eine konventionelle Verachtung der rituellen Frage der Umgangsformen an den Tag“ (ebd.: 455). Die demonstrative Gastlichkeit, die ich auf öffentlichen Veranstaltungen islamischer Akteure wahrnahm, grenzt sich deutlich davon ab und reproduziert damit die Dichotomisierung islamischer und westlicher Praktiken. Doch damit nicht genug: Mithilfe dieser Abgrenzung gelingt den

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Akteuren die punktuelle Vergemeinschaftung. Im Gästebuch des Islamischen Zentrums Al-Nour, das während der Dialog-Veranstaltungen auf der Baustelle auslag, schrieb ein Horner Anwohner: „Danke für Euren Mut, eure Gastfreundschaft und eure tolle Willkommenskultur!“ (Feldnotizen, 30.08.2014). In dieser Würdigung drückt sich die anerkennende Überraschung aus, die letztlich dazu geführt hat, dass die Horner sich mit der Umwandlung von Kapernaum identifizierten und das Projekt zu ihrem Eigenen machten. Montandon beschreibt die Gastfreundschaft als per se religiöse Angelegenheit (Montandon 2003: 444), da Gäste in verschiedenen narrativen Traditionen als Vertreter von Gottheiten konstruiert werden. Tatsächlich gibt die islamische Ethik die Bewirtung und Aufnahme Fremder als wichtiges religiöses Gebot vor. Wohltätigkeit und Gemeinnutz werden im Sinne gottgefälliger Tugenden von Muslimen als Motivation für ihr soziales Engagement betont, wobei dieser Zusammenhang sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal in Bezug auf Islam darstellt (vgl. Aslan et al. 2015: 123ff.). Die Aushandlung des Hamburger Islam verquickt diese ethische Praxis jedoch mit den Erfordernissen der unternehmerischen Stadt und ermöglicht dadurch ihre spezifische produktive Wechselwirkung. Die Instrumentalisierung von Gastfreundschaft zeigt sich auch in der Position der Gastgeberin, die durch ihren Auftritt ein „schmeichelhaftes Bild ihrer selbst“ (Montandon 2003: 449) abgeben könne. In diesem Sinne lässt sich der Auftritt des Islamischen Zentrums Al-Nour als strategisches Mittel deuten, mit dessen Hilfe die Gemeinde ihre Funktionalität innerhalb der Horner Nachbarschaft demonstriert. Die opulente Bewirtung der Anwohner auf den „Dialog auf der Baustelle“-Veranstaltungen dient somit einem doppelten Zweck: Die Großzügigkeit, mit der das Islamische Zentrum Al-Nour seine Gäste empfangen hat, ermöglicht ihm eine positive Selbstdarstellung, die durch das im Gegensatz dazu bescheidene Auftreten der evangelischen Kirchengemeinde Horn weiter verstärkt wird. Dieser bewusst eingesetzte Kulturalismus nutzt nicht nur im Falle von Kapernaum als Selbstermächtigungsstrategie. Der Gemeinschaftssinn und die Solidarität, auf denen islamisches Engagement fußen, passen sich in die alltäglichen Anforderungen urbanen Zusammenlebens ein wie ein fehlendes Puzzleteil. Insofern ist das Ritual des Gastgebens im Zusammenhang mit städtisch islamischen Aushandlungen als transgressive Kulturpraxis zu fassen, die den Spagat zwischen Differenz und Teilhabe meistert. Diese Praxis wirkt nicht nur grenzüberschreitend im Sinne der Dichotomie zwischen Muslimen und NichtMuslimen, sondern auch in einem geschlechtssensiblen und generationenübergreifenden Kontext. Die Fallstudien zeigen, dass islamische Identitätspolitik männlich dominiert ist. Die institutionalisierten Akteure, die ich während meiner Feldforschung traf, sind überwiegend Männer mittleren Alters. Die Frauen blei-

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ben markierte Akteurinnen, die nicht als universelle Ansprechpartnerinnen agieren, sondern lediglich über Frauen-Themen sprechen.1 Die Sphäre der Bewirtung und Verköstigung ist innerhalb der „Szene der Gastfreundschaft“ weiblich besetzt, wohingegen ich in muslimisch geprägten Settings keine geschlechtliche Trennung beobachtete (vgl. Montandon 2003: 451). Die Praxis der Dienstleistung markiert hier eher einen niedrigen gesellschaftlichen Status, der meistens mit einem jungen Lebensalter einhergeht. Diese Aufgabenteilung beginnt bereits im Kindesalter. Ich erlebte Mädchen im Veddeler Jugendlokal, die zu schüchtern waren, um mich anzusprechen, mir aber selbstsicher und sehr gekonnt Tee und Kekse reichten. Das Empfangen von Gästen ist ihnen von klein auf beigebracht worden, es stellt eine selbstverständliche Routine dar, die Sicherheit verspricht. Im Moment des performativen Gastgebens liegt somit auch ein Potential der Transgression von Geschlechterrollen. Wenn Gastfreundschaft Teil der Hamburger Identität wird, ermöglicht dies auch die Anerkennung und Würdigung eines bisher marginalisierten Knowhows junger Muslime, gleich welchen Geschlechts. Wie Nökel empirisch beobachtet hat, entwickeln Musliminnen „spezifische Öffentlichkeitspolitiken“ (Nökel 2004: 285), mit denen sie ihre Autonomie demonstrieren. Diese „Selbsttechniken“ (ebd.) seien jedoch nur schwerlich in den dominanten rationalistischen Diskurs einzuordnen. Knapp fünfzehn Jahre nach Nökels Analyse sind weibliche „Mikropolitiken“ (ebd.) in Zusammenhang mit Islam nach wie vor gesellschaftlich marginalisiert, wie der männliche Überschuss an islamischen Repräsentanten in Hamburg andeutet. Trotzdem bietet sich mit der Ökonomisierung islamischer Gastfreundschaft eine Möglichkeit, die gekonnten „Selbsttechniken“ (Nökel 1999: 130) von Musliminnen ins öffentliche Licht zu rücken und in diesem Zuge sichtbar zu machen, dass sich ihre Fähigkeiten weder auf die Zubereitung und Verteilung von Speisen und Getränken beschränken noch ausschließlich weiblich sind.

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Dies beobachtete ich vor allem, wenn es um politische Prozesse der offiziellen Anerkennung und Institutionalisierung ging. In informellen Kontexten sprachen Frauen mit mir über alle möglichen Themen. Abgesehen davon stellt die Benachteiligung von Frauen in gesellschaftlichen Hierarchien kein genuin islamisches Problem dar, sondern lässt sich noch immer auch in mehrheitsdeutschen Kontexten nachweisen (vgl. Hark zitiert in Thurm 2015).

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3 F AZIT – H AMBURGER I SLAM ZWISCHEN A NERKENNUNG UND W IDERSTAND Die theoretischen Überlegungen, die die Analyse der Fallstudien informieren, bedienen sich des Kommunitarismus nach Taylor ebenso wie der multiplen Identity-Politics-Ansätze, die sich aus den britischen Cultural Studies entwickelt haben und unter anderem von Butler für die feministische Theorie fruchtbar gemacht wurden. Aus dem Eindruck, dass weder das eine noch das andere Konzept die lokalen Erscheinungen islamisch-städtischer Identitätsverhandlungen vollständig zu erklären vermag, habe ich bereits in Teil III versucht, die Ansätze miteinander zu verbinden und möchte dies nun im Lichte der empirischen Ergebnisse wiederholen. Die multikulturelle Gesellschaft, auf die sich die Theorie des Kommunitarismus bezieht, hat in ihrer Konzeption entscheidende Schwächen, die an anderer Stelle bereits ausführlich besprochen wurden (s. Teil III.4.1.2). Am eindrücklichsten brachte dies Nassehi mit der Formulierung eines „stahlharte[n] Gehäuse[s] der Zugehörigkeit“ (Nassehi 1997; vgl. Bauman 1999: 334) auf den Punkt. Gegen dieses Gehäuse rufen die Identity Politics zum Widerstand auf. Doch auch Widerstand ist nicht per se reflektiert, wie Nigel Thrift zu bedenken gibt: „This kind of thinking about resistance with its implicit David versus Goliath romanticism has one very distinct disadvantage: everything has to be forced into the dichotomy of resistance and submission and all of the paradoxical effects which cannot be understood in this way remain hidden […]“ (Thrift 1997: 124).

In diesem Sinne plädiere ich für eine konzeptionelle Kombination aus Anerkennung und Widerstand, die sich situativ konfigurieren lässt. Was an Thrifts Zitat besonders für den hier verfolgten Ansatz bedeutend ist, ist die Kritik an der Dichotomie von Wissensordnungen. Das Sample der hier vorgestellten Fallstudien stellt einen Versuch dar, diese Binarität operativ zu überwinden, was dadurch deutlich wird, dass die Beteiligten sich alle Möglichkeiten der Aushandlung offenhalten. Einmal stützen sie ihre Argumentationen und Alltagspraktiken auf eine widerständige Rhetorik, wie Abdins Äußerung „Ich will zeigen, dass Islam nicht so ist, wie er in den Medien dargestellt wird“ (Daniel Abdin, Interview 29.01.2013) andeutet. Ein anderes Mal einigen sie sich auf die Anerkennung und Manifestation von schützenswerten kulturellen Artefakten, wie sich am „Staatsvertrag“ veranschaulichen lässt. Entscheidend ist also nicht, welches der Konzepte gesellschaftlicher Ordnung dominiert, sondern wann, wie und von wem jeweils darauf Bezug genommen wird. Aus diesen differenzierten Beobachtun-

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gen lässt sich der Zusammenhang zwischen situativen Identitätskonstruktionen und politischer Anerkennung besser verstehen. Während die meisten Studien über Islam in Europa entweder die Prozesse der Institutionalisierung und Anerkennung in den Blick nehmen oder sich auf die subjektive Religiosität und die vergemeinschaftenden Momente von Religion konzentrieren, habe ich versucht, diese Trennung zu überwinden und mit der Auswahl dreier so unterschiedlicher Settings eine Momentaufnahme von Islam in Hamburg zu skizzieren, die die spezifische Situiertheit von lokalen Praktiken und ihren diskursiven Bezügen deutlich macht. Die Studien thematisieren jeweils virulente Aspekte des pauschalen europäischen Islamdiskurses, in dem die rechtliche Anerkennung (Fallstudie A), die Alltagskultur (Fallstudie B) und die bauliche Sichtbarkeit (Fallstudie C) von Islam verhandelt wird, und verknüpfen sie mit lokalen Deutungssets. In dieser Verbindung manifestiert sich der Wunsch nach politischer Anerkennung und Sichtbarkeit ebenso wie sich neue subjektive und kollektive Praktiken beobachten lassen, die den institutionalisierten Repräsentationen widersprechen. Auf die Frage, wie diese beiden Komplexe aufeinander bezogen sind, geben die Konzepte des Kommunitarismus und der Identity Politics jeweils normative Antworten. Wie Taylor konstatiert, wird die eigene Identität in der Auseinandersetzung mit Anderen ausgehandelt und geschärft (Taylor 1997: 24). Damit begründet er die Bedeutung fester kultureller Zugehörigkeiten, die Individuen gerade in hybriden Gesellschaften Halt geben. In umgekehrter Richtung, quasi als bottom-up-Ansatz stellen die Identity Politics diese haltgebenden Ethnisierungen konzeptionell in Frage. Empirisch zu beobachten sind beide Prozesse. Ohne Umschweife wechseln die Akteure die Paradigmen und dekonstruierten damit die sozialwissenschaftliche Dichotomie zwischen Partikularismus und Universalismus. Dementsprechend demonstrieren die Fallstudien das gekonnte Spiel mit den Grenzen und erschaffen eine Collage multipler Erklärungsansätze, die nicht auf die Beliebigkeit der Handlungsbezüge verweist, sondern im Gegenteil eine gemeinsame Handlungsgrundlage betont. Sie besteht in der wechselseitigen Konstruktion von Hamburg als Lokalität und Islam als lokal verorteter Religion. Die Fallstudien veranschaulichen den Versuch, städtisch islamisches Engagement für die Verbesserung subjektiver Lebensqualität und der lokalen Imagepflege zu nutzen. Dem liegt eine wertrationale Agenda zu Grunde, die die Akteure aus verschiedenen Motivationen heraus verfolgen. In diesem Sinne sind Anerkennung und Widerstand komplementäre Elemente des städtischen Alltags, der in der Stadtforschung als Gleichzeitigkeit von Dichte und Differenz spezifiziert wird (vgl. Simmel 1993). Vor diesem Hintergrund profiliert sich Hamburg als vielfältige, weltoffene und gastfreundliche Metropole und positioniert dieses Bild als touristische Attraktivität. Bereits 1987 brachten Häußermann und Siebel

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diese Entwicklung mit dem Satz „Die Stadt richtet sich her für den Touristen“ (Häußermann/Siebel 1987: 215) auf den Punkt. Subkulturelle Akteure und Bewohner kritisieren diesen Fokus mit dem Argument, die propagierte Vielfalt sei lediglich Teil einer marketingwirksamen Imagekampagne und marginalisiere andere kulturelle Initiativen, die sich nicht in das Paradigma des Konsums und der Wirtschaftlichkeit einordnen lassen. Diese Argumentation entstammt einer grundlegenden Kritik der Ökonomisierung öffentlicher Räume (vgl. Rödel 2001; vgl. Häußermann/Siebel 1987: 203ff.). In Hinblick auf diese stadtpolitische Fluchtlinie haben die Fallstudien gezeigt, dass Islam in Hamburg ein Teil zivilgesellschaftlicher Normalität geworden ist. Islamische Organisationen präsentieren ihre religiösen, ehrenamtlichen Aktivitäten implizit als Corporate-Social-Responsibility-Strategien und fügen sich damit in die Logik der unternehmerischen Stadt ein. Die Einordnung von Muslimen als zivilgesellschaftliche Akteure und die Professionalisierung ihres bürgerschaftlichen Engagements erfüllen einen performativen Zweck. Sie stellen ihre Funktionalität mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft praktisch unter Beweis und tragen dazu bei, dass der pauschale Diskurs um Islam in Europa durch andere Erzählungen ergänzt wird. In diesem Sinne lassen sich die Initiativen des „Staatsvertrags“, der Kirchenumwandlung und der Quartierskunst als kommunitaristische Strategien deuten, in denen Islam als Ausdruck einer religiösen Minderheit in die gesellschaftliche Ordnung einbezogen wird. Islamische Anerkennungsforderungen machen Islam zu einem politischen Gegenstand, der flexibel verhandelt werden kann. Dies zeigt sich in den unterschiedlichen Anerkennungsformen im bundesdeutschen Vergleich (Spielhaus/Herzog 2015), aber ebenso im Hamburger Kontext, wo der Ruf nach würdigen Moscheen weniger innerhalb der islamischen Ethik zu verorten ist als in der dominanten städtischen Wahrnehmung dessen, was als würdig angesehen wird. Der politische Pragmatismus spiegelt sich auch im Verzicht auf das Symbol des Halbmonds auf der umgewidmeten Kapernaumkirche, der eine vollständige islamische Aneignung der ehemaligen Kirche zu Gunsten einer interreligiösen architektonischen Symbolfindung aufgibt. Zusammen mit den ritualisierten Festlichkeiten, die den Hamburger Islam performativ hervorbringen, lassen sich diese öffentlichen Aushandlungsprozesse als lokale islamische Identitätspolitik fassen, bei der Partikularinteressen mit kommunalen governance-Konzepten Hand in Hand gehen. Die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen, die sich mit der Ankunft hunderttausender Flüchtlinge in Deutschland stellen, machen die Tugenden der islamischen Zivilgesellschaft weiter sichtbar und werden diese möglicherweise verändern. Abdins neuestes Projekt besteht in der Gründung eines nicht-religiös konnotierten gemeinnützigen Vereins zur Organisation von Flüchtlingsinitiati-

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ven in Hamburg.2 Darin deutet sich für die Zukunft eine Entwicklung an, die die weitere Grenzüberschreitung zwischen religiösem und städtischem Engagement vorantreibt. In Bezug auf die oben erwähnte stadtpolitische Fluchtlinie, die den Konflikt zwischen unternehmerischen und subversiven Stadtkonzepten aufzeigt, lässt sich auch innerhalb islamischer Handlungszusammenhänge Widerstand ausmachen. Die gesellschaftliche Anerkennung und Nutzbarmachung von Muslimen verläuft nicht konfliktfrei. Besonders die Studie über die Veddel, in der die Positionierungen junger muslimischer Jugendlokalmitglieder mit der Corporate Identity des kommunalen Quartiersmanagment konfrontiert werden, verdeutlicht die Diskrepanz zwischen Stadtteilimages und den kollektiven Identitäten Heranwachsender. Sie illustriert aber auch das Potential einer solchen Konfrontation und zeigt, dass weder Quartiersidentitäten noch subjektive Positionierungen statisch gedacht werden dürfen und sich beides in der konkreten Begegnung situativ verändert. Der Einbezug islamischer Ästhetik in das neue Veddeler Image ist der Präsenz und Sichtbarkeit muslimischer Ausdrucksformen auf der Elbinsel geschuldet. Doch diese Grenzüberschreitungen laufen keineswegs konfliktfrei ab. Auch der persönliche Kontakt bietet Raum für Missverständnisse, Zwischentöne und soziale Abgrenzung, wie in der Fallstudie über die Veddel deutlich wird. Das Anliegen, eine Ethnographie verschiedener islamischer Repräsentationen in Hamburg als lokale islamische Identitätspolitik zu fassen, ist zwangsläufig Auslassungen und Verengungen unterworfen. Das Spektrum der Fälle lässt trotzdem eine Momentaufnahme des Hamburger Islam erkennen, die die Wechselseitigkeit von Anerkennung und Widerstand illustriert. Der Versuch, die subjektiven und institutionalisierten Positionierungen innerhalb der Fallstudien zu synthetisieren, veranschaulicht vor allem die Fähigkeit der Beteiligten, Unvereinbarkeiten zu akzeptieren und trotzdem Bündnisse zu schließen und miteinander zu kooperieren. Während die Gefahr des Scheiterns der prekären Arrangements die Fallstudien prägt, zeigen sich in ihnen dennoch Wege, pragmatisch und produktiv weiterzumachen. Dieses Potential vereint die Fallstudien und rekurriert auf ein Merkmal, das akademisch und alltagsweltlich mit Urbanität verbunden wird: die Fähigkeit, Dichte und Differenz zu vereinbaren. Während der „Besonderheit des Städtischen“ (Keller/Ruhne 2011) eine Vielzahl an Veröffentlichungen gewidmet ist, bleibt die sozialgeographische Forschung zu Recht kritisch gegenüber dieser allzu überschwänglichen Betonung (vgl. Kemp-

2

Er erzählte mir davon bei unserem jüngsten Treffen im August 2015 (Feldnotizen, 20.08.2015).

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er/Vogelpohl 2011). Die Aushandlungsprozesse, die ich in der vorliegenden Arbeit nachgezeichnet habe, deuten darauf hin, dass Lokalität überall konstruiert werden kann, wo Menschen sozial interagieren. Erneut lässt sich darin der Nutzen des ethnographischen Ansatzes illustrieren, der in der Lage ist, alles für „kurios“ (Hirschauer/Ammann 1997: 9) zu halten, ohne damit bereits askriptive Merkmale wie städtisch oder islamisch zu verbinden. Nichtsdestoweniger zeigen die Fallstudien, dass der alltägliche Umgang mit „super-diversity“ (Vertovec 2007) einen Pragmatismus ermöglicht, der schließlich auch die Blaupause für eine Neudeutung des normativen Islamdiskurses darstellt. Soziales Miteinander führt nicht zwangsläufig, wie häufig implizit gefordert wird, zur vollkommenen Einigkeit oder Einheitlichkeit der Wertesysteme aller Gesellschaftsmitglieder. Tatsächlich lässt es sich über lose Bündnisse, widersprüchliche Subjektpositionen und situative Kooperationen gestalten. Um dies zu verstehen, ist es allerdings notwendig, die binäre Konstruktion von Allianzen aufzugeben. Die Dichotomie zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, die sich auch im Staunen über die politische Zusammenarbeit von Angehörigen unterschiedlicher Ethnien und Konfessionen in den Aufständen des Arabischen Frühlings niederschlägt (vgl. Steinke 2015), reproduziert einen Gegensatz zwischen Islam und Nicht-Islam, der den zu beobachtenden kooperativen Praktiken nicht gerecht wird. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die pauschale Konstruktion von Muslimen als gesellschaftlich Marginalisierte nicht aufrechterhalten. Die Hamburger Islam-Akteure verorten sich sowohl am Rand als auch im Zentrum der Gesellschaft. Einige streben die islamische Institutionalisierung an und erhoffen sich über die politische Anerkennung einen Paradigmenwechsel in der Rezeption von Islam, andere widersetzen sich dieser Vereinnahmung und verfolgen subversive Strategien und „Mikropolitiken“ (Nökel 2004: 285), die ebenfalls zu einem Wandel der gesellschaftlichen Ordnung beitragen sollen. Die Trennlinien dieser Positionen verlaufen demnach nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, sondern zwischen anerkannten Akteuren, die mit Islam Politik machen, und anderen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen, ökonomischen, konfessionellen Differenz marginalisiert werden. Doch auch diese Grenzziehung ist keineswegs unveränderlich, sondern Gegenstand sozialer Aushandlungs- und Veränderungsprozesse. Islam in Hamburg formiert sich im Spannungsfeld von Anerkennung und Widerstand jeden Tag neu.

Literatur- und Quellenverzeichnis

P RIMÄRQUELLEN (E IGENE I NTERVIEWS

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F ELDNOTIZEN )

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Feldnotizen (Fallstudie C), 30.08.2014. Feldnotizen (Fallstudie C), 27.09.2014. Feldnotizen (Fallstudie C), 01.11.2014. Filiz. Mitglied „Muslimische Mädchen Veddel“. Interview, 06.06.2012 Gülden. Mitglied „Muslimische Mädchen Veddel“. Interview, 17.06.2012. Hensen, Jürgen. Leiter des Haus der Jugend Veddel. Interview, 19.07. 2012. Imam der Fazl-e-Omar Moschee Hamburg. Interview, 15.01.2013. Karaoğlu, Mehmet. Vorsitzender des Islamischen Jugendbundes. Interview, 14.03.2012. Mohammed. Islamisches Jugendlokal Veddel. Interview, 21.04.2012. Müller, Norbert. Vorstandsmitglied SCHURA Hamburg. Interview, 21.01.2013. Orhan. Islamisches Jugendlokal Veddel. Interview, 21.06.2012. Schween, Jürgen. Mitglied Planungsstab Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Interview, 22.11.2012. Selma. Mitglied „Muslimische Mädchen Veddel“. Interview, 30.05.2012. Uetzmann, Dieter. Mitarbeiter ProQuartier Veddel. Interview, 11.07. 2012. Yazıcı, Ahmet. Zweiter Vorsitzender BIG Norddeutschland. Interview, 28.01.2013. Yoldaş, Mustafa. Vorsitzender SCHURA Hamburg. Interview, 11.01.2013. Winkels, Norbert. 1. Vorsitzender Türkische Gemeinde Hamburg und Umgebung (1991-2012). Interview, 14.01.2013.

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Verzeichnis der Abkürzungen

AABF AMJ BIG DGB DIK DİB DİTİB IGMG IKZ IJ TGD TGH VIKZ ZMaD

Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu Ahmadiyya Muslim Jamaat Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Islam Konferenz Diyanet İşleri Başkanlığı Diyanet İşleri Türk İslam Birliği Islamische Gemeinschaft Milli Görüş Islamische Kulturzentren Islamischer Jugendbund Türkische Gemeinde in Deutschland Türkische Gemeinde Hamburg Vereinigung Islamischer Kulturzentren Zentralrat der Marokkaner in Deutschland

Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1

Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de