Lokale Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa: »Roma« zwischen Anerkennung und Ausgrenzung 9783839438848

A study on the local politics and social conflicts resulting from migration processes from Southeastern Europe.

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German Pages 280 Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Darstellung der Fallbeispiele
3. Schlussbetrachtungen
Literaturverzeichnis
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Lokale Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa: »Roma« zwischen Anerkennung und Ausgrenzung
 9783839438848

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Lars Geiges, Tobias Neef, Julia Kopp, Robert Mueller-Stahl Lokale Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa

Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zur Geschichte politischer und gesellschaftlicher Kontroversen Herausgegeben von Franz Walter | Band 13

Lars Geiges (Dr. disc. pol.), geb. 1981, ist Journalist und Politikwissenschaftler. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und ist Redaktionsmitglied der INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft. Tobias Neef (Dipl.-Pol.), geb. 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung und forscht zum Wandel westlicher Demokratien und zu sozialen Konflikten. Julia Kopp, geb. 1986, studiert Politikwissenschaft und Geschichte an der Georg-August-Universität Göttingen. Robert Mueller-Stahl, geb. 1991, studiert Transkontinentale Europäische Geschichte in der Moderne an der Georg-August-Universität Göttingen.

Lars Geiges, Tobias Neef, Julia Kopp, Robert Mueller-Stahl

Lokale Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa »Roma« zwischen Anerkennung und Ausgrenzung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Katharina Rahlf und Dr. Robert Lorenz Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3884-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3884-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1 Einleitung | 7

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Exkurs „Armutszuwanderung“ | 10 Einblick in den Stand der Forschung | 17 Forschungsziele | 19 Vorgehen, Methode und Aufbau | 22 Lokale Konflikte – Migration im lokalen Raum | 28 Antiziganistische Stereotype und Ressentiments | 32

2 Darstellung der Fallbeispiele | 49

2.1 „Schrottimmobilien“, „Huren-Märsche“ und „Arbeiterstrich“ – Konflikte im „Ankunftsviertel“ Dortmunder Nordstadt | 49 2.2 „Nichts wird von uns bestimmt“ – Konflikte um Werkvertragsarbeit im Oldenburger Münsterland | 96 2.3 Protest, Empathie und Ausgrenzung – Konflikte in der Berliner Grunewaldstraße | 119 2.4 „Ein Stachel im Fleisch der Politik“? Ein „Vorzeigeprojekt“ in der Neuköllner Harzer Straße | 155 2.5 „Es wird ja nur noch geguckt, was habe ich von dem Menschen, wenn ich ihn hierbehalte.“ Mediendynamik und Konflikte um Delinquenz in Köln | 188 2.6 Kampf um Anerkennung – Aktionen und Politik von Roma-Selbstorganisationen | 232 3 Schlussbetrachtungen | 243 Literaturverzeichnis | 251

Wissenschaftliche Publikationen (Artikel, Bücher, Sammelbände) | 251 Medien (online und offline) und Sonstiges (Archivalien etc.) | 260

1 Einleitung

Im Duisburger Stadtteil Rheinhausen stehen im Herbst 2013 Anwohner1 und ProNRW-Aktivisten vor einem Hochhaus und protestieren gegen vermeintlich unhaltbare Zustände im Viertel – gegen Verwahrlosung, Vermüllung und steigende Kriminalität.2 In der Grunewaldstraße 87 (G87) in Berlin-Schöneberg zieht 2015 der Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke während einer Kleinstkundgebung mit dem Megafon in der Hand über kriminelle Ausländer her; ein anderer Redner mahnt, Deutschland dürfe nicht sämtliche „Faulpelze aus aller Welt“ aufnehmen, und fügt hinzu: „Wir sind nicht verantwortlich für Problembürger aus aller Welt“.3 2004 gründet der Verein Rom e. V. mit „Amaro Kher“ ein Schulprojekt für Roma Flüchtlingskinder in Köln – dort hatte zuvor rund zwanzig Jahre lang eine städtische Auseinandersetzung um das Aufkommen von Taschendiebstählen, das strafunmündigen, minderjährigen Roma angelastet worden war, stattgefunden. „Die Schlachtordnung“ titelt die Zeit im Dezember 2015 und macht damit auf die prekäre Situation der „Geisterarmee aus Osteuropa“ aufmerksam. Die Journalisten monieren in der Fleischwirtschaft ein System der Ausbeutung, wie etwa im Oldenburger Münsterland. Im Septem-

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Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht

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Vgl. Schmidt, Vera/Haake, Henning/Wolko, Marc: Aufgeheizte Stimmung bei Demos

anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. in Duisburg – Leichtverletzte bei Rangelei und Strafanzeigen, in: Der Westen, 06.10.2013, URL: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/aufgeheizte-stimmungbei-demos-in-duisburg-leichtverletzte-bei-rangelei-und-strafanzeigen-page3-id85268 43.html [eingesehen am 20.10.2016]. 3

Zit. n. Hasselmann, Jörn/Straub, Bodo: NPD-Kundgebung am berüchtigten Haus in der Grunewaldstraße, in: Der Tagesspiegel, 25.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel.de/ berlin/polizei-justiz/berlin-schoeneberg-npd-kundgebung-am-beruechtigten-haus-ingrunewaldstrasse/11967476.html [eingesehen am 20.10.2016].

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ber 2015 besetzte die Gruppe „Romano Jekipe Ano Hamburg“ eines der Wahrzeichen der Stadt Hamburg, den „Michel“, und protestierte mit der Besetzung der Kirche gegen die zunehmenden Abschiebungen von Roma. Gemein ist diesen Situationen, dass jede einzelne eine Momentaufnahme innerhalb langfristiger Verläufe lokaler Konflikte darstellt, die sich in unterschiedlichen Städten in der Bundesrepublik im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa entwickelt haben und in denen es immer wieder auch um „Roma“ geht. Die einzelnen Fälle stehen in keinem direkten Bezug zueinander; vielmehr scheint in ihnen die Bandbreite potenzieller Bereiche auf, in denen Spannungen entstehen und Konflikte ausbrechen können. Ebenso wenig besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen diesen Formen von Konflikten, die sich auf südosteuropäische Migration beziehen, und Roma. So ließe sich nun kritisieren, dass man Roma dann erst in Verbindung mit sozialen Konflikten bringe und somit dem Stigma Vorschub leiste, auch ohne dass es dafür einer Intention bedürfte. Doch besteht dieser Zusammenhang bereits in den migrationspolitischen Debatten in der Bundesrepublik sowohl auf politischer und medialer Ebene als auch in den lokalen Konflikten vor Ort und ist damit Teil der sozialen Wirklichkeit, die wiederum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung ist. Unter dem Motto „Elend dort, Angst hier – kommen jetzt die Armen aus Osteuropa?“ wurde etwa im März 2013 bei Maybrit Illner am Beispiel Duisburgs die Überforderung von Kommunen durch den Zuzug aus südosteuropäischen Ländern diskutiert. Dass neben Politikern auch die Jazz-Sängerin Dotschy Reinhardt eingeladen war, um sich in ihrer Position als deutsche Sinteza an der Diskussion über „Armutsmigranten“ aus Südosteuropa zu beteiligen, ist zunächst nicht nachvollziehbar. Auch Vertreter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma werden regelmäßig angefragt, um sich zu dieser Thematik zu äußern.4 Diese Beispiele lassen sich durchaus den medialen Reaktionen auf die Veröffentlichung eines Positionspapiers des Deutschen Städtetags5 „zu den Fragen der Zu-

4

Vgl. Rose, Romani: „Deutschland muss viel mehr Druck ausüben“, in: FAZ Online, 24.02.2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armutseinwanderung-vonroma-deutschland-muss-viel-mehr-druck-ausueben-12092026.html [eingesehen am 21.12.2016].

5

Der Deutsche Städtetag ist der Zusammenschluss von 205 unmittelbaren Mitgliedsstädten – darunter 107 kreisfreie Städte (einschließlich der Stadtstaaten) und 98 kreisangehörige Städte – und 16 Mitgliedsverbänden mit rund 3.200 mittelbaren Mitgliedsstädten und -gemeinden. Er vertritt aktiv die kommunale Selbstverwaltung und nimmt die Interessen der Städte gegenüber Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, Europäischer Union und zahlreichen Organisationen wahr.

1 E INLEITUNG

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wanderung aus Rumänien und Bulgarien“6 im Januar 2013 zuordnen (s. weiter unten). Die einzelnen Konflikte, die als Fälle in die Studie einbezogen worden sind, finden dabei in einem spezifischen Spannungsverhältnis statt: einem Spannungsverhältnis zwischen der Debatte „Armutsmigration“ und realer Migration – die selbstverständlich auch Roma umfasst – soziökonomisch schwacher Bevölkerungsgruppen (alle anderen fallen aus der Diskussion heraus) sowie der Situation in den jeweiligen Städten, Vierteln und Orten. Gerade in ohnehin prekären Stadtvierteln birgt das ein reales Konfliktpotenzial, kann Spannungen verstärken oder bereits bestehende Konflikte verschärfen. Handelt es sich also eigentlich um bestimmte soziale Gruppen, werden die Debatte und die einzelnen Diskussionen und Konflikte mit Sicherheit oftmals nicht frei von antiziganistischen Ressentiments, zumindest nur selten ohne Stereotype und Vorurteile geführt. Schnell werden soziale Fragen und Probleme kulturalisiert oder darüber hinaus Fragen von Kultur, Nationalität oder Ethnie gar in essentialistischer Weise gehandhabt. Jedoch lassen sich weder die politischen und medialen Diskussionen noch die Konflikte in den einzelnen Orten über das antiziganistische Ressentiment oder über Ausgrenzungsbestrebungen erklären. Die vorliegende Studie ist damit keine über das antiziganistische Ressentiment am Beispiel lokaler Konflikte im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa. Im Fokus stehen stattdessen die einzelnen lokalen Konflikte, die im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa entstanden sind. Ein Verständnis für ihre Abläufe, strukturelle Beschaffenheit, Entwicklungen und Muster zu gewinnen, ist ein Ziel der vorliegenden Studie. Die einzelnen Konfliktverläufe folgten dabei eigenen Dynamiken, die wiederum von ganz verschiedenen Konstitutionsbedingungen und Einflüssen abhängig sein konnten: Unterschiedliche Akteure und deren Handeln etwa, Aspekte der regionalen politischen Kultur oder auch soziale und ökonomische Strukturen prägten die einzelnen Fälle entscheidend. An diesen Konfliktverläufen nehmen zahlreiche Akteure teil, die sich passiv wie aktiv zu den neuen Entwicklungen vor Ort ins Verhältnis setzen: die alteingesessenen Bewohner der Ankunftsquartiere, die dorthin Zugewanderten selbst, Vermieter, Verwalter und Hauseigentümer, Integrationsvereine, freie Träger, Einrichtungen der Sozialverbände und Kirchen, bürgerschaftliche Initiativen, Gruppen der Selbstorganisation, Kommunenleiter, Stadtverwaltung, Lokalpolitik und Medien, Unternehmer und Arbeitgeber, Kollegen, Schwarzmarktkunden. Den6

Deutscher Städtetag: Positionspapier des Deutschen Städtetages zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien, 22.01.2013, S. 1, URL: http://www.staedtetag. de/imperia/md/content/dst/internet/fachinformationen/2013/positionspapier_zuwanderun g_2013.pdf [eingesehen am 20.10.2016].

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noch können eben auch Verknüpfungen in der aktuellen Debatte und gesellschaftliche Ressentiments Einfluss auf das Handeln von Akteuren und die Konflikte haben. Etwa die Studien zufolge weitverbreitete Ablehnung von Roma in der eigenen Nachbarschaft zu akzeptieren, muss bei den Konflikten um Immobilien durchaus berücksichtigt werden. In diesem Sinne richtete sich die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Grenzen, an denen die Thematisierung von „Roma“ als Akteursgruppe innerhalb eines Konfliktes und die Auseinandersetzung mit diesem aufhörte und ressentimentbehaftete Bilder, das gesellschaftliche Ressentiment oder Antiziganimus anfingen.

1.1 E XKURS „ARMUTSZUWANDERUNG “ Die Kommunen schlugen Alarm. Am 22. Januar 2013 veröffentlichte der Deutsche Städtetag ein Positionspapier „zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“7, das Aufsehen erregte, über das vielfach berichtet wurde und das letztlich eine anhaltende Diskussion über „Armutszuwanderung“ und „Sozialtourismus“ in Gang setzte. Man sehe es als „unsere Pflicht und Aufgabe an, auf gravierende Fehlentwicklungen hinzuweisen, die die kommunale Ebene über Gebühr belasten und keiner Lösung vor Ort zugeführt werden können“, heißt es in dem Papier, weshalb „ein koordiniertes Zusammenwirken von Bund, Ländern, europäischer Ebene und anderen relevanten Akteuren“ erforderlich sei.8 Dabei gehe es dem Deutschen Städtetag keinesfalls „um eine Abschottung Deutschlands vor Zuwanderung“, sondern um die „Gelingensbedingungen von Integration“. Der Städtetag kritisierte den EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien als verfrüht bzw. als zu stark ökonomisch motiviert – die soziale Ebene sei nicht mitbedacht worden. Dass Menschen, die in den neuen Beitrittsstaaten „teilweise unter prekärsten Bedingungen leben“, ihr Land verließen und ihre Chance im übrigen Europa suchten, geschehe zwar „aus nachvollziehbaren Gründen“;9 doch bestünden keine tragenden Strukturen für eine solche Migration, bei der die Neuzuwanderer über eklatant große Defizite in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit, Wohnen und Sprache verfügten und sich zudem durch „Schlepper“, die „Vermittlung von Wohnraum zu Wuchermieten“, die Ar-

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Deutscher Städtetag: Positionspapier, S. 1.

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Hier wie im Folgenden ebd.

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Ebd., S. 2.

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beit zu „Dumpinglöhnen“ und/oder „Prostitution“ unmittelbar bei ihrer Ankunft in sozialen Abhängigkeiten befänden.10 In der Tat stellten „Staatsangehörige der EU-2-Länder“ unter den Neuzuwanderern in Deutschland eine stark wachsende Gruppe dar. Laut einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2014 hat sich die Zahl bulgarischer Staatsangehöriger im Zeitraum von 2004 bis 2013 fast vervierfacht, ähnlich stark nahm die Zahl der rumänischen Staatsangehörigen zu.11 Demnach lebten Ende April 2014 insgesamt 159.000 Bulgarinnen und Bulgaren und 295.000 Rumäninnen und Rumänen in Deutschland.12 Dieser Anstieg setzte sich den Studien zufolge fort: Ende 2015 waren laut Statistischem Bundesamt knapp 227.000 Bulgarinnen und Bulgaren sowie 453.000 Rumäninnen und Rumänen in Deutschland gemeldet.13 Addiert man die Staatsangehörigen der beiden südosteuropäischen Länder zu „EU-2-Bürgern“ auf, stellt die bulgarischrumänische Gruppe mit insgesamt 680.000 Menschen nach den türkischen und den polnischen Staatsangehörigen die drittgrößte Gruppe der in Deutschland lebenden Ausländer dar.14 Bei der Bewältigung der zuwanderungsbedingten multiplen Problemlagen fühlten sich die Kommunen alleingelassen: Strukturen gebe es ebenso wenig wie Unterstützung durch die übergeordneten und, der Wahrnehmung des Städtetages folgend, verantwortlichen Ebenen. Im Positionspapier heißt es dazu: „Eine Armutswanderung von EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern ist in der EU schlicht ‚nicht vorgesehen‘.“15 Die Folge: Die Kommunen würden zum „Reparaturbe-

10 Ebd., S. 3. 11 Vgl. Hanganu, Elisa/Humpert, Stephan/Kohls, Martin: Zuwanderung aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien, Forschungsbericht 24, 2014, URL: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Forschungsberichte/fb2 4-rumaenien-bulgarien.pdf?__blob=publicationFile [eingesehen am 20.10.2016]. 12 Zu den verschiedenen Phasen rumänischer Migration vgl. Jobelius, Matthias/Stoiciu, Victoria: Die Mär vom „Sozialtourismus“. Zuwanderung rumänischer Staatsbürger nach Deutschland und in andere EU-Mitgliedsländer, FES-Perspektive, Januar 2014, S. 1 f., URL: http://library.fes.de/pdf-files/id-moe/10467.pdf [eingesehen am 20.10.2016]. 13 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Ausländische Bevölkerung. Ergebnisse des Ausländerzentralregisters, Fachserie 1, Reihe 2, Wiesbaden 2016, S. 37, URL: https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/ Bevoelkerung/MigrationIntegration/AuslaendBevoelkerung2010200157004.pdf? __blob=publicationFile [eingesehen am 20.10.2016]. 14 Vgl. ebd. 15 Deutscher Städtetag: Positionspapier, S. 3.

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trieb für die Regelungsdefizite der Bundesrepublik bei den EU-Beitritten“16; als die „Hauptbetroffenen europäischer Politik“17 seien die Kommunen im Stich gelassen worden. Den ohnehin schon klammen Städten entstünden durch die Bereitstellung sozialer Leistungsangebote „erhebliche Kosten“18. Doch dürfe man die Debatte nicht allein auf „finanzielle Engpässe in den Städten“ reduzieren; denn dadurch werde „ein wesentlicher Aspekt ausgeblendet: die Organisation und der Erhalt des sozialen Friedens in der Stadtgesellschaft“.19 Die Zuwanderer bräuchten Perspektiven jenseits von Sozialleistungen, zugleich habe aber auch die aufnehmende Stadtgesellschaft Erwartungen, erbrächte Integrationsleistungen, wie es in dem Papier heißt, die jedoch nicht weiter ausgeführt werden. Das Positionspapier schließt mit einem Forderungskatalog, der sich gleichermaßen an die Länder, den Bund, die EU und die Herkunftsländer richtet. Dessen Veröffentlichung Anfang 2013 sorgte für enormes mediales Echo und entfachte eine Debatte über die Ausmaße, Formen, Bedingungen und Erscheinungen einer einsetzenden „Armutszuwanderung“. Eine Vielzahl von VorOrt-Reportagen über die Stadtteile, die besonders von Zuwanderung aus Südosteuropa betroffen waren, sowie Artikel, welche die sozialen Notlagen der Neuzugewanderten in den Mittelpunkt stellten, erschienen.20 Bereits die frühe Berichterstattung über das Positionspapier des Deutschen Städtetages wirft ein Schlaglicht auf die zentralen Rahmungen des Konfliktfeldes „Armutsmigration“, die den Debattenverlauf konturierten und ihm seine spezifische Dynamik verliehen. So schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Überschrift „Gefahr für

16 Deutscher Städtetag: Positionspapier, S. 3. 17 Ebd., S. 4. 18 Ebd. 19 Ebd. 20 Vgl. hier nur beispielhaft Rosenfeld, Dagmar/Topcu, Özlem: Das umkämpfte Haus, in: Die Zeit, 14.03.2013, URL: http://www.zeit.de/2013/12/Duisburg-Roma-Zuwanderung/ [eingesehen am 20.10.2016]; Sold, Rüdiger: Auf dem Arbeiterstrich, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.03.2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ roma-in-mannheim-auf-dem-arbeiterstrich-12105116.html [eingesehen am 20.10.2016]; Kempkens, Sebastian: Alles außer küssen, in: Zeit Online, 30.01.2013, URL: http:// www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-01/prostitution-maenner-strich-roma/ [eingesehen am 20.10.2016]; Hohndorf, David/Kuch, Elena: Roma in Hamburg. Leben in der Armutsfalle, in: NDR Fernsehen, Panorama3, 29.10.2013, URL: http:// www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Roma-in-Hamburg-Leben-in-der-Armutsfalle,roma 135.html [eingesehen am 20.10.2016].

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den sozialen Frieden“21 über die öffentliche Stellungnahme des Zusammenschlusses der Kommunen und wusste zudem zu berichten: „Die meisten, die nach Deutschland kommen, sind Roma.“22 An anderer Stelle titelte Zeit Online: „Verarmte Roma, überforderte Kommunen“23. Die WAZ schrieb: „Städte fürchten Millionenkosten durch Zuwanderung“24 und fügte hinzu: „Ein Großteil der Zuwanderer aus diesen Ländern sind Roma. Sie leben in Bulgarien und Rumänien am Rande der Gesellschaft, häufig in prekären Verhältnissen.“ Die Welt wiederum berichtete, dass die deutschen Städte die „soziale Balance und de[n] soziale[n] Friede[n] […] in höchstem Maße gefährdet“25 sähen. Der Merkur aus München formulierte gar die Überschrift „Flüchtlingsflut überrollt Städte“26; bebildert wurde dieser Artikel mit einem Foto, das zwei Pferdegespanne und Kutschen zeigt, die auf einer Straße fahren, besetzt mit insgesamt drei Männern, die sich Kapuzen und dicke Jacken bis weit vor das Gesicht gezogen haben, sowie mit zwei Frauen, die bunte Kopftücher und Röcke tragen. Die Bildunterschrift: „Bettelarmes Land: Immer mehr Rumänen kommen in deutsche Städte.“27 Ferner war zu lesen, dass „Gettos“, „regelrechte Elendsquartiere“ in den betroffenen Städten heranwüchsen mit „Straßenzügen voller Armut, Kriminalität und Gewalt“.28

21 Burger, Reiner/Soldt, Rüdiger: Gefahr für den sozialen Frieden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.02.2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armutsein wanderung-gefahr-fuer-den-sozialen-frieden-12085341.html [eingesehen am 20.10.2016]. 22 Ebd. 23 Caspari, Lisa: Verarmte Roma, überforderte Kommunen, in: Zeit Online, 19.02.2013, URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-02/roma-grossstaedte-bulgarienrumaenien-staedtetag-strategie/ [eingesehen am 20.10.2016]. 24 Boldt, Gregor: Städte fürchten Millionenkosten durch Zuwanderung, in: WAZ, 14.02.2013, URL: http://www.derwesten.de/politik/staedte-fuerchten-millionenkosten-durch-zuwan derung-id7618999.html [eingesehen am 20.10.2016]. 25 Zit. n. o. V.: Zuwanderer aus Südosteuropa stellen Städte vor Herausforderung, in: Die Welt, 04.02.2013, URL: https://www.welt.de/newsticker/news3/article1133676 03/Zuwanderer-aus-Suedosteuropa-stellen-Staedte-vor-Herausforderung.html [eingesehen am 20.10.2016]. 26 Lechner, Carina/Vetter, Philipp: Flüchtlingsflut überrollt Städte, in: Merkur, 20.02.2013, URL: http://www.merkur.de/politik/staedte-klagen-ueber-armutsfluechtlinge-2761912.html [eingesehen am 20.10.2016]. 27 Ebd. 28 Hier vgl. beispielhaft Ankenbrand, Hendrik: Alarm im Getto Dortmund-Nord, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/wirt

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Mit Verweis auf den nahenden 1. Januar 2014 – den Tag, an dem auch die letzten Freizügigkeitseinschränkungen der beiden neuen EU-Mitgliedsländer Bulgarien und Rumänien aufgehoben würden – wurden die Fragen verhandelt, inwiefern die aufnehmenden Sozialsysteme durch Zuwanderung aus Südosteuropa be- bzw. überlastet würden, ob die uneingeschränkte Freizügigkeit aller EU-Mitgliedsstaaten aufrechtzuerhalten sei und wie schnell „Sozialbetrüger“ ausgewiesen werden könnten.29 Abermals war es die Welt, in der dazu zu lesen war: „Aber ein Recht auf Einwanderung in die Sozialsysteme gibt es nicht.“30 Der Begriff „Sozialtourismus“, später zum „Unwort des Jahres 2013“ gewählt, kam in Umlauf.31 Die zwischenzeitliche Klarstellung der damaligen EUJustizkommissarin Viviane Reding („Freizügigkeit steht nicht zur Debatte“32) zeigt zum einen, dass die bundesdeutsche Debatte um „Armutszuwanderung“ und „Sozialtourismus“ an dieser Stelle eine europäische Ebene erreicht hatte; und zum anderen aber auch, dass sie sich durch Wortmeldungen dieser Art kaum abschwächen ließ. Verwiesen sei hier auf eine Beschlussvorlage zur Klausurtagung der Christlich-Sozialen Union in Bayern Anfang 2014, in der es hieß: „Wer betrügt, der fliegt.“33 Bereits 2011 hatte CSU-Parteichef Horst Seehofer während

schaft/wirtschaftspolitik/armutseinwanderung-alarm-im-getto-dortmund-nord-126153 32.html [eingesehen am 20.10.2016]. 29 Vgl. dafür beispielsweise o. V.: Friedrich will EU-Sozialbetrüger schnell ausweisen, in: Zeit Online, 07.06.2013, URL: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-06/ Friedrich-Einwanderer-Armut-Bulgarien-Rumaenien/ [eingesehen am 20.10.2016]; vgl. o. V.: Friedrich will abschieben, in: die tageszeitung, 08.10.2013, URL: http:// www.taz.de/!5057610/ [eingesehen am 20.10.2016]; vgl. auch Krupa, Matthias: Sie kommen, in: Die Zeit, 27.12.2013, URL: http://www.zeit.de/2014/01/eu-freizuegig keit-armutseinwanderung/ [eingesehen am 20.10.2016]. 30 Posener, Alan: Das verführerische Recht auf Sozialhilfe, in: Die Welt, 03.12.2013, URL: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article122489339/Das-verfuehrerische-Rechtauf-Sozialhilfe.html [eingesehen am 20.10.2016]. 31 Vgl. o. V.: „Sozialtourismus“ zum „Unwort des Jahres 2013“ gewählt, in: Welt Online, 14.01.2014, URL: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte _nt/article123842563/Sozialtourismus-zum-Unwort-des-Jahres-2013-gewaehlt.html [eingesehen am 20.10.2016]. 32 Zit. n. Spasovska, Verica: Reding: „Freizügigkeit steht nicht zur Debatte“, in: Deutsche Welle, 30.09.2013, URL: http://www.dw.com/de/reding-freiz%C3%BCgigkeit-stehtnicht-zur-debatte/a-17081968/ [eingesehen am 20.10.2016]. 33 Zit. .n Roßmann, Robert: CSU plant Offensive gegen Armutsmigranten, in: Süddeutsche Zeitung, 28.12.2013, URL: http://www.sueddeutsche.de/politik/wegen-bulgarien-und-

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seiner Aschermittwochsrede angekündigt, er werde sich in der Berliner Koalition „bis zur letzten Patrone“ dagegen wehren, dass „wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bekommen“.34 Insofern handelte es sich in diesem Fall um eine bereits zuvor gesetzte politische Losung, die im Zuge der neu aufkommenden Diskussion lediglich eine Reaktivierung und Aktualisierung erfuhr. Ein gutes Jahr lang – von Anfang 2013 bis Anfang 2014 – dauerte die bundesweit geführte Debatte über „Armutszuwanderung“ an, deren zentraler Auslöser das Positionspapier des Deutschen Städtetages gewesen war. Von der Wucht der Diskussion überrascht zeigte sich auch der damalige Präsident des Städtetages selbst, Ulrich Maly, knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung des Papieres. Weiterhin kritisierte der Nürnberger Oberbürgermeister, dass in der Debatte der Eindruck entstanden sei, alle Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland kämen, seien „Armutszuwanderer“ oder „Sozialbetrüger“.35 Er sprach sich gegen Pauschalisierungen aus sowie dagegen, „irgendetwas zu skandalisieren oder apokalyptische Visionen zu formulieren“36. Nicht wegen etwaiger Sozialleistungen, sondern aus Not und wegen der Aussicht auf ein besseres Leben in Deutschland würden die Menschen aus Bulgarien und Rumänien zuwandern, betonte Maly und forderte: „Und wir müssen uns darum kümmern, dass es hier in Deutschland ein nach unseren Maßstäben und Standards menschenwürdiges Leben gibt.“37 Die Schwierigkeiten würden sich „auf etwa ein Dutzend große Städte“38 konzentrieren. Dabei hatte der Deutsche Städtetag bereits in seinem rumaenien-csu-plant-offensive-gegen-armutsmigranten-1.1852159/ [eingesehen am 20.10.2016]. 34 Zit. n. Lau, Jörg: Seehofer – bis zur letzten Patrone, in: Zeit Online Blog, 10.03.2011, URL: http://blog.zeit.de/joerglau/2011/03/10/seehofer-bis-zur-letzten-patrone-gegenzuwanderung_4714/ [eingesehen am 20.10.2016]. 35 Siehe o. V.: Deutscher Städtetag warnt vor Dramatisierung als Massenproblem, in: Zeit Online, 09.01.2014, URL: http://www.zeit.de/news/2014-01/09/kabinett-malyzuwanderungsprobleme-nicht-als-massenphaenomen-dramatisieren-09073406/

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gesehen am 20.10.2016]. 36 O. V.: Ulrich Maly im Gespräch mit Korbinian Frenzel, in: Deutschlandradio Kultur, 04.12.2013, URL: http://www.deutschlandradiokultur.de/arbeitsmigration-staedtetagwarnt-vor-apokalyptischen.1008.de.html?dram:article_id=270961/ [eingesehen am 20.10.2016]. 37 Ebd. 38 Zit. n. o. V.: Deutscher Städtetag warnt vor Dramatisierung als Massenproblem, in: Zeit Online, 09.01.2014, URL: http://www.zeit.de/news/2014-01/09/kabinett-malyzuwanderungsprobleme-nicht-als-massenphaenomen-dramatisieren-09073406/ gesehen am 20.10.2016].

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Positionspapier verdeutlicht, dass es sich bei der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien keinesfalls um „Massenmigration“ handele. Überdies hatte man darauf verwiesen, dass viele gut integrierte Südosteuropäer die Kommunen bereicherten; und man wolle auch keine pauschalen Zuschreibungen in Bezug auf neuzuwandernde Rumänen und Bulgaren vornehmen. Als Rechtfertigung hatte es zudem geheißen, nicht akzeptieren zu können, dass „die Probleme vor Ort als Projektionsfläche für rechtsextremes Gedankengut dienen“39. Doch für relativierende, mäßigende, einordnende Wortmeldungen war binnen dieses Jahres wenig Platz im Diskursraum. Dass der Städtetag mit der Platzierung und der (Über-) Betonung des Begriffes „Armutszuwanderung“ einen Deutungsraum überhaupt erst geschaffen hatte, ist dabei eo ipso zu erwähnen. Das Wort „Armutszuwanderung“40 fällt im Positionspapier 17 Mal; das Wort „Roma“ wird indes nur dreimal verwandt: zweimal innerhalb des Eigennamens „EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma bis 2020“ und einmal ohne die Begleitung von Interpunktionszeichen, jedoch in indirekter Zitation.41 Anders als Debattenteilnehmer und Kommentatoren aus Medien und Politik in ihren Reaktionen auf das öffentliche Schreiben des Städtetages hatten die Verfasser des Positionspapiers selbst keine direkten Aussagen über ethnische Zugehörigkeiten im Zuge der „Armutsmigration“ getroffen.42 Fassen wir zusammen, was die vereinfachte (und damit verkürzte) obige Skizzierung der Debatte um „Armutszuwanderung“ in ihrer Essenz zeigt. Sie eröffnet den Blick auf – in diesem Fall unmittelbar miteinander verwobene – gesellschaftlich kontroverse und polarisierende Handlungs-, Diskussions- und Erfahrungsfelder, die hier im Folgenden als Konfliktfelder bezeichnet werden.43 Dabei handelt es sich zum einen um das Konfliktfeld „Zuwanderung“, das wie-

39 Deutscher Städtetag: Positionspapier, S. 10. 40 Mitgezählt sind Variationen wie Armutsmigration, Armutsflucht und Armutswanderung. 41 Vgl. Deutscher Städtetag: Positionspapier, S. 2. 42 Wenngleich die Autoren des Positionspapiers freilich auch mit der Anführung des eigennamentlich verwandten „Roma“-Begriffes (gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst) einen Konnex herstellen. 43 Grundsätzlich wird mit dem Konfliktbegriff in den Sozialwissenschaften allgemein eine besondere Form sozialer Beziehungen bezeichnet: die „Gegensätzlichkeiten, Spannungen, Gegnerschaften, Auseinandersetzungen, Streitereien und Kämpfe unterschiedlicher Intensität zwischen verschiedenen sozialen Einheiten“. Je nach Offenheit seiner Austragung kann ein Konflikt als „manifest“ oder „latent“ bzw. als „echt“ oder „unecht“ bezeichnet werden; so etwa bei Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1994, S. 432.

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derum strukturelle und kulturelle Dimensionen beinhaltet.44 Die rechtlichpolitische Konfliktdimension umfasst den Status der Zuwanderer, des Aufenthaltstitels, des Beschäftigungsverhältnisses und der sozialen Sicherheit. Die soziale Konfliktdimension beinhaltet insbesondere Ausbildung, Wohnen, Bildung und Gesundheit, aber auch Gewalt und Kriminalität. Die kulturelle Dimension enthält Fragen nach der kulturellen Entfaltung der Zuwanderer und nach dem gesellschaftlichen Umgang mit kultureller Vielfalt. All diese Dimensionen tangierte die „Armutsmigrations“-Debatte in unterschiedlicher Ausprägung, woran die Komplexität und das hohe Maß an Anschlussfähigkeit an andere Konfliktfelder deutlich werden. Zum anderen handelt es sich um das Konfliktfeld der ethnischen Zugehörigkeit „Roma“, auf dem Phänomene der (sozialen) Zuschreibung und Diskriminierung, der Projektionen, Ressentiments und Vorurteile miteinander in Zusammenhang stehen, wechselseitige Wahrnehmungen (mit-)prägen sowie soziales Handeln und Verhalten (mit-)leiten. Diese beiden Konfliktfelder – „Zuwanderung“ und „Roma“ – verbanden sich in der Debatte um „Armutsmigration“, deren Diskurs- und Implikationskraft demensprechend stark war.

1.2 E INBLICK IN DEN S TAND DER F ORSCHUNG Die Literaturlage zu den Themen Zuwanderung bzw. Migration, die hier synonym verstanden und verwandt werden, ist nahezu unüberschaubar. Das Sujet Migration galt und gilt als „Schnittstellendisziplin“. Von der Medizin und der Psychologie über sämtliche sozialwissenschaftliche Fächer, den Wirtschaftswissenschaften hin zu den Geschichtswissenschaften, der Theologie, den Literaturwissenschaften und der Rechtswissenschaft: Überall lassen sich Arbeiten mit dem Schwerpunkt „Migration“ finden. Mit Blick auf die Erforschung von Zuwanderungskonflikten wird man zuvörderst bei Soziologen, Politologen und Historikern fündig.45 Die Literatur der Einstellungs- und Vorurteilsforschung enthält

44 Vgl. dazu Schulte, Axel: Multikulturelle Einwanderungsgesellschaften. Soziale Konflikte und Integrationspolitiken, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Ethnische Konflikte und Integrationsprozesse in Einwanderungsgesellschaften. Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 29. Oktober 1997 in Erfurt, Bonn 1998, S. 11–36, hier S. 15 f. 45 Aus politikwissenschaftlicher Perspektive vgl. Dancygier, Rafaela M.: Immigration and conflict in Europe, New York 2010 sowie Gesemann, Frank/Roth, Roland (Hrsg.): Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Migration und Integration als

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ausgeprägtes Wissen über die Entstehung, Ausprägung und Wirkmechanik von Ressentiments, Stereotypen und Bildern.46 Hier hat sich mit dem Bereich der Antiziganismusforschung analog zur Antisemitismusforschung ein eigener Forschungszweig entwickelt, der Abneigungen und Feindschaften gegenüber „den Zigeunern“ erforscht, gleichsam „Roma“-Konstruktionen dechiffriert und somit Aufschluss über mehrheitsgesellschaftliche Etiketten und Projektionen gibt.47 Deutlich übersichtlicher fällt dagegen die Darstellung der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen „Armutsmigration“ aus, was vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden zeitlichen Nähe zur Debatte durchaus verständlich ist. Hier hat der Freiburger Kulturanthropologe Max Matter bereits 2015 mit seiner Monografie „Nirgendwo erwünscht“ eine grundlegende Pionierarbeit geleistet, in der er einen Überblick über den Debattenverlauf erstellt, eine Analyse ausgewählter Zuwanderungsabläufe in deutschen Städten vorgenommen, eine ausführliche Schilderung der Lage in den Herkunftsstaaten sowie bundes- und europapolitische Roma-bezogene Integrationsstrategien kritisch dargestellt hat.48 Mit dieser forscherischen Spannweite ist Matters Studie aktuell maßgebend. Einzelarbeiten wie die von Michael Lausberg, der am Beispiel der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Dortmund und Duisburg „antiziganistische Realitäten“49 erkannt hat, fallen dahinter teils deutlich zurück, bieten jedoch aufgrund ihrer lokalen Fokussierungen erste Anhaltspunkte für die Untersuchung von Konfliktthemen, -verläufen und -teilnehmern. Insbesondere

Herausforderung von Kommunen, Wiesbaden 2009; aus historischer Perspektive vgl. Lucassen, Leo: The immigrant threat: the integration of old and new migrants in western Europe since 1850, Urbana 2005; aus soziologischer Perspektive vgl. Bade, Klaus J. (Hrsg.): Einwanderungskontinent Europa: Migration und Integration am Beginn des 21. Jahrhunderts, Beiträge der Akademie für Migration und Integration, Osnabrück 2001. 46 Vgl. beispielsweise Benz, Wolfgang: Sinti und Roma: Die unerwünschte Minderheit: Über das Vorurteil Antiziganismus, Berlin 2014. 47 Vgl. Wippermann, Wolfgang: „Wie die Zigeuner“: Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich, Berlin 1997; vgl. Engbring-Romang, Udo (Hrsg.): Aufklärung und Antiziganismus, Seeheim 2003; vgl. Baumann, Thomas (Hrsg.): Antiziganismus. Soziale und historische Dimensionen von „Zigeuner“-Stereotypen, Heidelberg 2015. 48 Vgl. Matter, Max: Nirgendwo erwünscht. Zur Armutsmigration aus Zentral- und Südosteuropa in die Länder der EU-15 unter besonderer Berücksichtigung von Angehörigen der Roma-Minderheiten, Schwalbach/Ts. 2015. 49 Vgl. Lausberg, Michael: Antiziganismus in Deutschland. Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien, Marburg 2015.

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Abschlussarbeiten wie die von Franz Leßau50 oder die Diskursanalyse von Christioph Schulz51, die ebenfalls jeweils auf die Ruhrgebietsmetropolen fokussieren, sind hier hervorzuheben. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung veröffentlichte im März 2015 einen Forschungsbericht, in dem die Mobilisierungsstrategien der extremen Rechten im Kontext von Zuwanderung aus Südosteuropa analysiert werden.52 Das Forscherteam zeigt dabei „Anknüpfungspunkte zwischen extrem rechten und etablierten Medien“ auf, geht mit der Berichterstattung der Regionalzeitung WAZ hart ins Gericht („Überlastung und Populismus“), entdeckt beim Konfliktakteur Medien strukturellen Antiziganismus und wirft am Beispiel Duisburgs ein Licht darauf, wie die extreme Rechte versucht, in zuwanderungsbedingte Konfliktlagen hinein zu agieren. Dies sind allesamt verdienstvolle Arbeiten, die einzelne Aspekte der Konflikte herausgreifen, beschreiben und erste Einblicke in deren Dynamiken und Wirkweisen verschaffen. Eine fallanalytisch angelegte akteurszentrierte Untersuchung, die Handeln und Verhalten der unterschiedlichen Konfliktteilnehmer im Verlauf rekonstruiert, analysiert und vergleicht, existiert indes bislang noch nicht. Diese Forschungslücke (in Teilen) zu schließen, ist ein Ziel der vorliegenden Studie.

1.3 F ORSCHUNGSZIELE Was genau ist also das Ziel dieser Arbeit? Welche Fragen soll der Gang der Untersuchung beantworten? Zunächst erscheint sinnvoll, sich dem ex negativo anzunähern: Was soll, kann und darf explizit nicht als Frage aufgeworfen werden?

50 Leßau, Franz: Die Zuwanderung bulgarischer und rumänischer Roma als Herausforderung für die deutschen Kommunen am Beispiel von Duisburg und Dortmund, Essen 2013, URL: https://www.fhoev.nrw.de/fileadmin/studium-lehre-mountpoint/ Praem_Thesisarbeiten/Franz_Lessau_-_Die_Zuwanderung_bulgarischer_und_rumae nischer_Roma.pdf [eingesehen am 20.10.2016]. 51 Schulz, Christoph: „Zuzug aus Osteuropa stoppen!“ Soziale Ausschließung und die öffentliche Auseinandersetzung über die Migration aus Bulgarien und Rumänien in der Dortmunder Nordstadt. Eine Diskursanalyse, unveröffentlichte Diplomarbeit an der Fakultät für Erziehungswissenschaft und Soziologie der TU Dortmund 2012. 52 Vgl. AK Antiziganismus im DISS (Hrsg.): Stimmungsmache. Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache. Analyse und Gefahreneinschätzung am Beispiel Duisburg, Duisburg 2015, URL: http://www.diss-duisburg.de/wp-content/uploads/2015/03/ DISS-Stimmungsmache-Online-Broschuere-2015.pdf [eingesehen am 20.10.2016].

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In keiner Weise versucht diese Studie, Antworten zu formulieren, die vorgeben, das Handeln und Verhalten der (konstruierten) Kollektivgruppe „Roma“ zu erklären.53 Dies ist zum einen nicht möglich, weil aus guten Gründen keine belastbaren Zahlen über ethnische Zugehörigkeiten in Deutschland existieren – wo, wann und wie „Roma“ nach Deutschland ziehen, wird schlichtweg nicht erfasst. Zudem stehen hinter der (Selbst-)Bezeichnung „Roma“ höchst heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Herkünften, Geschichten, Sprachen und Kulturen. Ein romaspezifisches Handeln und Verhalten gibt es schlichtweg nicht; dessen Behauptung wäre strukturell antiziganistisch. Und dennoch ist der Begriff „Roma“ für die vorliegende Studie relevant – insbesondere als Fremdzuschreibung. Denn Medien, Vertreter der Stadtpolitik und der Verwaltungen sowie einheimische Anwohner bezeichneten die Neuzugewanderten häufig so – meist auffällig rasch im Laufe des Zuwanderungsprozesses, oftmals leider auch ohne valides Hintergrundwissen über diese Minderheitengruppe. Wenngleich die Facetten von Zuschreibungen von Fall zu Fall und innerhalb dieser zwischen den Akteuren stark variieren, so sind es doch ebenjene Konstituierung und Integration der Chiffre „Roma“, welche die behandelten Konflikte entscheidend prägen, die ihnen eine besondere Dynamik verleihen, ihren Verlauf und Ausgang mitbestimmen und sie schließlich von andersgelagerten Migrationskonflikten abheben. Denn: Es sind Konflikte, die sich in ihrer Auslegung und in ihrem Verständnis durch die involvierten Akteure stets um „Roma“ drehen. Dieses Charakteristikum schließlich eint sie und bedingt auch ihre Aufnahme in diese Studie. Das Set von Vorstellungen, Bildern und Projektionen, das im Zuge dessen unmittelbar an die Zuschreibung „Roma“ geknüpft ist, wird in Kapitel 1.2 dieser Studie diskutiert. Dabei sind wir uns durchaus bewusst, dass eine Zusammenführung lokaler, vordergründig nicht miteinander verbundener Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa, genauer: unter dem Deckmantel eines derart ressentimentgeladenen Begriffes wie „Roma“ die Gefahr mit sich bringt, eine vorschnelle Verbindung vorauszusetzen und zu suggerieren, und damit – ob gewollt oder nicht – strukturell ebenjene Ressentiments, zumal aus einer akademischen Warte heraus, weiter zu bedienen, die ja eigentlich hinterfragt, offengelegt und auf ihre Funktionen innerhalb der Konflikte hin untersucht werden sollen. Zu einem frühen Zeitpunkt unserer Forschung sind wir auch tatsächlich mit diesem Vorwurf konfrontiert worden: In einem Interview kritisierte die Rechtsanwältin, Vorsitzende

53 Dies gilt gleichermaßen für die Gruppen „der Bulgaren“ und „der Rumänen“.

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des Bundesromaverbandes und Autorin Nizaqete Bislimi54, dass bereits die titelgebende Verbindung beider Begriffe ein diskriminierendes Potenzial berge55: „[…] ‚Konfliktbewältigung‘ indiziert für mich, dass Roma dazu tendieren, Konflikte auszutragen. Also da kommen Roma und da entsteht ausdrücklich ein Konflikt. Und das beinhaltet für mich ebenfalls ein besonderes Stigma.“56

Ein solches Verständnis von Zuwanderern als per se konflikttreibenden Akteuren liegt dieser Studie indes keineswegs zugrunde. Und dennoch nehmen die Zuwanderer – von den beteiligten Akteuren häufig als „Roma“ verstanden und verhandelt – innerhalb der Konflikte eine besondere Position und damit auch Rolle und Funktion ein. Diese Position für die einzelnen Fälle herauszuarbeiten, d. h., das Verhältnis von Anerkennung und Ausgrenzung zwischen Zuwanderern und lokalen, ansässigen Akteuren nachzuvollziehen und darzulegen, ist ein zentrales Anliegen dieser Studie. Hieran wird bereits deutlich, dass es – um nochmals von einer Negation der Forschungsziele auszugehen – kein Ziel der Untersuchung ist, Schuldfragen zu diskutieren, Überlegungen anzustellen, wer (allein) den Konflikt ausgelöst, wer Schaden verursacht, wer wann wen übervorteilt hat. Nicht die Entlarvung, sondern vielmehr das Verstehen ist Ziel dieser Studie. Denn dem Verständnis der Verfasser folgend laufen Prozesse der Zuwanderung immer konfliktär ab; es ist ihr Wesenskern, was weder verwerflich noch löblich, sondern schlichtweg zu konzedieren ist. Der niederländische Soziologe Paul Scheffer spricht von einem beidseitigen Entfremdungsprozess, den Zuwanderung auslöse, und unterstreicht damit das genuin Konflikthafte, das allen Zuwanderungsprozessen innewohne.57 Stets damit einhergehen würden Verlusterfahrungen, die gleichermaßen auf der Seite der Ankommenden wie auf der Seite der Einheimischen vorzufinden seien und die wiederum von Irrationalitäten, Zerrbildern und Projektionen gespeist seien. Insofern stehen die Rekonstruktion der konflikthaften Ereignisse und Entwicklungen sowie das Nachvollziehen des Handelns und Verhaltens der beteiligten Gruppen im Verlauf des spezifischen Konfliktfalls im Vordergrund unserer Studie – wobei Übertreibungen und Übertretungen selbstredend als solche auch benannt werden sollen. 54 Vgl. Bislimi, Nizaqete: Durch die Wand. Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin, Köln 2015. 55 Der ursprüngliche Titel des Forschungsprojektes lautete: „Zwischen Ausschluss und Teilhabe. Konfliktbewältigung im Kontext der Einwanderung von Roma“. 56 Interview Nizaqete Bislimi. 57 Vgl. Scheffer, Paul: Die Eingewanderten, München 2008.

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Darüber hinaus ist ein übergeordnetes Ziel dieser Studie, herauszufinden, wann und unter welchen Umständen es zu konflikthaften Situationen im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa bzw. im Kontext von Zuwanderung von „Roma“ kam. Welche Akteure bzw. Akteursgruppen waren beteiligt und was charakterisierte ihr Handeln im Verlauf des Konfliktes? Welche Strategien und Verhaltensweisen lassen sich dabei erkennen, welche Faktoren prägten ihre Wahrnehmungen und inwiefern wirkten sie positiv oder negativ hinsichtlich einer Befriedung, einer Einhegung des Konfliktes? Des Weiteren stellte sich aber auch die Frage, unter welchen Umständen sich ein konfliktfreies Zusammenleben entwickeln konnte, welche Bedingungen dafür gegeben waren bzw. wie diese sich aus Konfliktaushandlungen heraus entwickelten.

1.4 V ORGEHEN , M ETHODE

UND

AUFBAU

Zur Beantwortung der Forschungsfragen haben die Verfasser folgenden Forschungsgang angetreten: Zunächst identifizierten sie anhand einer Medienanalyse bestehende und (kürzlich) zurückliegende Zuwanderungskonflikte im Kontext von „Armutsmigration“. Bereits in diesem frühen Stadium der Untersuchung konnten eine Reihe forschungsrelevanter Befunde gemacht werden. Zum einen wurde deutlich, dass offenkundiger antiziganistischer Protest (Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen etc.) stets nur einen Teil der Konflikte ausmachte. Eine solitäre Verengung des Blickes allein auf diese Protestereignisse würde daher nicht ausreichen, um auf die oben aufgeworfenen Fragen adäquate Antworten entwickeln zu können. Hier musste eine Erweiterung der zunächst eigentlich anvisierten Forschungsperspektive vorgenommen werden, die sowohl die Geschehnisse vor als auch nach den antiziganistischen Protesten ausführlich einbezieht. Die Protestmomente werden durch die Betrachtung des Konfliktes in dessen Zeitverlauf erst verständlich. In einem zweiten Schritt näherten sich die Forschenden den zu untersuchenden Räumen durch teilnehmende Beobachtungen, wodurch eine erste grobe Vorstrukturierung der Konfliktorte vorgenommen werden konnte. Hier ließen sich erste Merkmale, welche die Räume charakterisierten, zusammentragen und miteinander vergleichen. Überdies wurden orientierende Experteninterviews vor Ort geführt.58 Die befragten Experten konnten, mussten aber nicht selbst zu den am

58 Vgl. Köhler, Gabriele: Methodik und Problematik einer mehrstufigen Expertenbefragung, in: Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen (Hrsg.): Analyse verbaler Daten. Über den Umgang mit qualitativen Daten, Opladen 1992, S. 318–332; Gläser, Jochen/Laudel, Grit:

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Konflikt beteiligten Akteuren gehören. In dieser Phase war zunächst von gewichtigerer Bedeutung, dass sie über spezielles Wissen (als Beteiligte, Beobachter oder gänzlich Außenstehende) verfügten, das nicht anderweitig zugänglich war. Überdies eröffneten sich durch die Experteninterviews oftmals auch die Konfliktfelder insofern, als erste – zumeist die wesentlichen – Akteure des Konfliktes erwähnt und beschrieben wurden. In dieser Arbeitsphase konnte sodann – auch und insbesondere dank der frühen „Felderfahrungen“ – damit begonnen werden, ähnliche bzw. konträre Konflikte zu recherchieren und ins Verhältnis zu setzen zu den bis dato vorläufigen Befunden aus den deutschen Städten und Kommunen. Dabei, so zeigten unsere Ergebnisse an dieser Stelle, überlagerten sich im Konfliktverlauf „gute“ wie „schlechte“ Handlungs- und Verhaltensweisen einzelner Akteure, lösten einander ab und reagierten aufeinander – was wiederum stark dafür sprach, einer ganzheitlichen konfliktanalytischen Perspektive den Vorrang zu geben gegenüber einer isolierten Betrachtung vermeintlich positiver bzw. mutmaßlich negativer Einzelmaßnahmen, die diese Wirkweisen nicht hätte verdeutlichen können. Nach einer Zwischenauswertung erfolgten, in einem dritten Schritt, Interviews und Gruppendiskussionen mit „beteiligten“ Akteuren. Gewiss standen uns nicht bei allen ausgewählten Fallbeispielen sämtliche beteiligten Akteure gleichermaßen zur Verfügung. Zum einen wurde beispielsweise Interviewanfragen abschlägig begegnet (gelegentlich), zum anderen waren Beteiligte verstorben oder verzogen (Letzteres war nicht selten der Fall, insbesondere bei den Neuzugewanderten). Auch die Konflikte selbst – und so konzipierten es die Forscher bewusst – waren teils abgeschlossen, teils dauerten sie noch an, teils lagen sie viele Jahre zurück. Das heißt, dass unsere Forschung zu einem jeweils unterschiedlichen Zeitpunkt des Konfliktverlaufes ansetzte, somit gleichermaßen in Echtzeit beobachtete, wie sie an anderer Stelle retrospektiv rekonstruierte. Insofern sind unsere Fallbetrachtungen immer auch Momentaufnahmen. Zugleich leisten sie jedoch an den jeweiligen Konfliktverlaufsstellen Tiefenanalysen, die in der Summe wiederum umfassendere Einblicke in die Gesamtstruktur der zuwanderungsbedingten Konfliktverläufe geben, die ohne diese zeitversetzten Betrachtungen nicht möglich gewesen wären. Zudem sollte die Fallauswahl möglichst viele Facetten der verschiedenen Konfliktabläufe berücksichtigen. Obgleich Zuzug zuvörderst ein urbanes, Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse, Wiesbaden 2010; Bogner, Alexander/Littig, Beate (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, Opladen 2002; Hopf, Christel: Qualitative Interviews – ein Überblick, in: Flick, Uwe/ Kardoff, Ernst v./Steinke, Ines (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek bei Hamburg 2004.

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(groß-)städtisches Phänomen ist – so auch „Armutsmigration“ im Kontext der EU-Erweiterung – wurden deshalb auch ländlichere Regionen beforscht, offenkundig gegensätzliche Fälle und vermeintlich ähnliche ausgewählt und somit für den Vergleich analysierbar gemacht. Insgesamt sechzig problemzentrierte Einzelinterviews59 sind dabei geführt sowie fünf Gruppendiskussionen abgehalten worden;60 zwölf Interviews sowie ein Gruppengespräch mit Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien komplettierten das empirische Material. Der vierte Schritt der Untersuchung bestand schließlich aus der Analyse des Datenmaterials, insbesondere der transkribierten Dokumente, der Auswertung der von den beteiligten Akteuren selbst verfassten Einlassungen (vor, während und nach dem Konflikt), was eine weitere Analyseebene eröffnete, sowie der Niederschrift der Arbeitsergebnisse, die sich in insgesamt sechs Kapitel gliedert (Kapitel 2.1 bis 2.6) – entlang der von uns untersuchten Lokalräume. Die Konflikte waren jeweils in ihren Verläufen, Dynamiken und Mustern in besonderem Maße durch ebenjene Orte geprägt, an denen sie sich entwickelten. Ob urbane oder stärker agrarisch geprägte Städte, Stadtteile oder Regionen: Ihre sozialstrukturellen Merkmale sowie ihre politische und wirtschaftliche Beschaffenheit zeigten sich als Einflussmomente. Ebenso zeitigten die politische Kultur sowie die Mentalitäten vor Ort oder auch das Verhältnis, die Nähe und Distanz zu Migration und Integration in ihrer historischen Genese Auswirkungen auf die Konflikte. Insgesamt sechs lokale Konflikte, mit jeweils unterschiedlichem Charakter, fanden Eingang in die Darstellung. Dabei handelt es sich – erstens – um die westfälische Metropole Dortmund, genauer: das Quartier der Dortmunder Nordstadt. Die dortigen Entwicklungen haben ab dem Jahr 2010 für überregionale Negativschlagzeilen gesorgt. In dem (schon seit Jahren) als „Problembezirk“ geltenden Stadtteil, in den im Vergleich zu den anderen Vierteln der Ruhrgebietsmetropole stark überdurchschnittlich viele Zuwanderer zogen und auch weiterhin ziehen, verknüpften sich zu dieser 59 Vgl. Merton, Robert K./Kendall, Patricia L.: Das fokussierte Interview, in: Christel Hopf, Christel/Weingarten, Elmar (Hrsg.): Qualitative Sozialforschung, Stuttgart 1979, S. 171–203. 60 Hier war eigentlich ein anderes Verhältnis projektiert gewesen, von dem aufgrund forschungspraktischer Neujustierungen jedoch Abstand genommen wurde. Insbesondere die extrem aufwendigen Kontaktaufnahmen und Interviewführungen mit Neuzugewanderten, die aus wissenschaftlicher Perspektive höchst ertragreich verliefen, waren Anlass für diese Entscheidung; ausschlaggebend war aber auch die mangelnde Bereitschaft seitens Verwaltungsmitarbeitern und Stadtpolitikern, an einer Gruppendiskussion teilzunehmen; diese Akteure favorisierten stark das (anonymere) Einzelinterview.

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Zeit eine Vielzahl von Debatten: um Gewalt, Drogen, Prostitution. Die parallel zunehmende „Armutsmigration“ von Bulgaren und Rumänen in die Nordstadt fiel unmittelbar in diese stark negativ geprägten Diskurslagen. Dies erschwerte die Aushandlung der sich überlagernden Konflikte immens. Die Stadt Dortmund reagierte zwar relativ spät, wodurch die Konflikte sich verschärfen konnten, verschiedene Proteste, auch rechtsextreme Agitation Raum griffen; doch zeigte ihr Vorgehen von zunächst strikten ordnungspolitischen Maßnahmen auf der einen und dem gleichzeitigen Aufbau einer umfassenden, akteursübergreifenden und langfristig angelegten netzwerkartigen Hilfestruktur auf der anderen Seite befriedende Wirkung. Die Interviews, die im Rahmen dieser Studie mit zugewanderten Roma in Dortmund geführt werden konnten, zeigen auch, dass die Neugewanderten zu bleiben gewillt sind – vor allem Kirche und Kinder geben insbesondere den weiblichen Zuwanderern Halt und Struktur. Die Stadt Dortmund hat durch den Konflikt einen Perspektivwechsel vollzogen, kalkuliert nunmehr mit anhaltendem Zuzug aus den beiden EU-Staaten und geht von einem Fortbestehen entsprechender Communities insbesondere in der Nordstadt aus. Die zweite untersuchte Region ist das Oldenburger Münsterland: ein dezidiert ländlich geprägter Raum, der in den vergangenen 15 Jahren ein hohes Maß an Migration aus den mittel- und osteuropäischen Staaten erlebt hat. Im Unterschied zu anderen Regionen war dies durch eine Transformation und einen massiven Ausbau von Wirtschaftszweigen bedingt. In erster Linie handelte es sich um „Armutsmigration“. Ein größerer Anteil der Migrierenden gehörte der Minderheit der Roma an. Die Region gilt als Zentrum der deutschen Fleischwirtschaft. Das Wachstum dieses Wirtschaftszweiges ging mit der Entstehung eines enormen Billiglohnsektors einher, der mittlerweile auch in anderen Branchen Einzug hält (beispielsweise in der Bau- und Industriewirtschaft). Die lokale Bevölkerung hat von diesem Wirtschaftswachstum stark profitiert: Das Oldenburger Münsterland zählt zu den wohlhabendsten ländlichen Regionen in der gesamten Bundesrepublik. Jedoch ist der soziostrukturelle Wandel in den Gemeinden kaum zu spüren, da die Migranten zu großen Teilen in der Peripherie versprengt und größtenteils unter prekären Bedingungen untergebracht sind. Dennoch weist die Situation in der Region ein hohes Konfliktpotenzial auf, da sich um die ausgegrenzten Migranten massive Ausbeutungsverhältnisse gebildet haben. Die Bevölkerung ignoriert ihre Anwesenheit größtenteils, während einzelne Akteure aus Kirchen, Gewerkschaften und der Sozialarbeit versuchen, die Situation der Migranten zu thematisieren. Durch die Ausgrenzung der Migranten haben sich zwei nebeneinander existierende Gemeinschaften entwickelt, die kaum Berührungspunkte aufweisen.

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In Berlin-Schöneberg – dem dritten von uns dargelegten Fallbeispiel – brach im Herbst 2014 ein auch über die Bundeshauptstadt hinaus vielbeachteter Zuwanderungskonflikt auf. Ausgangspunkt war ein Wechsel des Hauseigentümers der Grunewaldstraße 87, eines maroden Altbaus im ansonsten recht mondänen Schöneberger Akazienkiez, infolgedessen binnen weniger Wochen rund zweihundert rumänische Zuwanderer in die heruntergekommene Immobilie zogen, fortan unter prekären Bedingungen auf Matratzenlagern lebten und fernab jeglichen Rechtsschutzes horrende Mieten an den Eigentümer und dessen Handlanger zahlten. Um den aufkommenden Konflikt herum formierten sich verschiedene Akteure, die in ständiger Auseinandersetzung untereinander dessen Verlauf prägten. Die Bezirksverwaltung war früh bemüht, den Vermieter mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und als geschlossener Akteur unter Druck zu setzen und zum Verkauf des Hauses zu bewegen. Für die anfänglich ausbleibenden Erträge ihres Engagements wurde sie von einer Anwohnerinitiative massiv kritisiert. Enttäuscht ob der festen Strukturen und eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Verwaltung suchten sie die mediale Öffentlichkeit, um sich Gehör zu verschaffen und den Konflikt zu ihren Gunsten, d. h. durch den geregelten Auszug der Zuwanderer bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung ihres Kiezes, aufzulösen. Derweil entwickelte sich der Fall zu einem kontrovers diskutierten Ereignis, das auch von der NPD aufgegriffen wurde. Diese versuchte im Juni 2015, durch eine Kundgebung vor dem Haus den Zuwanderungskonflikt zu instrumentalisieren. Zwar blieb der Auftritt der extremen Rechten folgenlos und der Konflikt konnte im Juli 2015 durch die sukzessive Räumung des Hauses und fortwährende Unterbringung eines kleinen Teils der Zuwanderer vor Ort eingehegt werden. Dennoch: Entscheidend für Ausschluss und Teilhabe war, wie noch dargestellt werden wird, dass die rumänischen Zuwanderer zu keinem Zeitpunkt an den Aushandlungen beteiligt waren. Mit Berlin-Neukölln – dem vierten Fallbeispiel dieses Buches – wurde ein historisch besonders stark von Migration und Armut geprägter Stadtteil analysiert. In den vergangenen vier Dekaden wurde er immer wieder zum Zentrum von Zuwanderungskonflikten und sozialen „Brennpunkt“-Debatten. Im Zuge dessen ist um die Integrationsarbeit herum jedoch von der Lokalpolitik über die Verwaltung bis hin zu zahlreichen Trägerorganisationen ein außergewöhnlich dichtes, zugleich aber auch selbst konfliktäres Gewebe von Akteuren entstanden, das sich in einem permanenten Aushandlungsprozess befindet. Seit der EUOsterweiterung 2007 kommen nunmehr auch rumänische und bulgarische EUBürger nach Neukölln – eine Entwicklung, deren quantitatives Ausmaß dabei freilich nicht an das der weitaus größeren Migrationsbewegungen der 1970er

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und 1990er Jahre heranreicht. Waren es zu Beginn noch vorrangig „Pendelmigranten“, wurden sie von städtischer Seite seit 2010 als bleibende Gruppe wahrgenommen. Ein Wohnblock an der Harzer Straße im Neuköllner Norden hat in diesem Zusammenhang großes Aufsehen erregt. Bekannt geworden als prototypische „Schrottimmobilie“, in der rund 1.000 Rumänen unter elenden Bedingungen lebten, wurde das Haus 2011 von der Aachener Wohnungsbaugesellschaft gekauft und im Zuge eines umfangreichen Sanierungsprozesses in ein international geachtetes „Modell-Projekt“ umgewandelt. Darin wohnen heute rund 600 Menschen, nicht nur Rumänen, zu fairen, zugleich jedoch wirtschaftlich rentablen Konditionen. Zeitgleich hat die Neuköllner Bezirksverwaltung einen speziell auf rumänisch-bulgarische Zuwanderer ausgerichteten Katalog an Integrationsmaßnahmen entwickelt, indirekt in die Harzer Straße hineinwirken können und so zur Beilegung des Zuwanderungskonfliktes beigetragen. Dennoch wird deutlich: Der offenkundige Erfolg des Wohnprojektes hing maßgeblich damit zusammen, dass sein Initiator ein Träger aus der freien Wirtschaft war, der mit ungleich größeren praktischen und finanziellen Handlungsspielräumen agieren konnte. Den fünften analysierten Lokalraum bildet die rheinische Großstadt Köln. Hier hat sich ein Konflikt über einen Zeitraum von fast zwanzig Jahren vollzogen. Mittlerweile ist er erfolgreich eingehegt. In der Kölner Auseinandersetzung war das Aufkommen von Taschendiebstählen durch strafunmündige, minderjährige Roma ein wichtiges Thema. Der Bericht zeichnet die Entwicklung dieser Auseinandersetzung nach, in der die Medien als Tableau gesellschaftlicher Ressentiments und die Polizei als repressiver Akteur bedeutende Rollen spielten. Die Untersuchung zeigt, wie mediale Dynamiken den Konflikt um Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien geprägt und die Aktionen der Polizei die mediale Deutung beeinflusst haben. Ferner zeichnet er Interventionsstrategien anderer Akteure nach, die zur Eingrenzung des Konfliktes geführt haben. Die mediale Dynamik hat in großen Teilen dazu beigetragen, eine soziale Ausgrenzung der Roma aufrechtzuerhalten. Zugleich haben sich die Zuschreibungen gewandelt, die vonseiten der Medien das langanhaltende Phänomen der sogenannten KlauKids erklärten. Aus einem recht klassischen Antiziganismus, der auf parasitäre und nomadische Bilder eines vagabundierenden Volkes zurückgriff, entwickelte sich eine kulturalisierte Debatte über „Intensivtäter“, in welcher deren Ausgrenzung jedoch abermals als einzige Möglichkeit zur Problemlösung präsentiert wurde. Die Beilegung des Konfliktes basierte letztlich auf der Intervention eines Kölner Vereins, der ein Konzept erarbeitete, das die Kinder in das Schulsystem integrieren sollte. Im Zuge dessen, als die Ausgrenzung der Kinder selbst zu ei-

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nem medialen Thema wurde, veränderte sich auch die mediale Debatte über die „Klau-Kids“. In Hamburg – dem sechsten und abschließenden Fallbeispiel – protestierte die Gruppe „Romano Jekipe Ano 2015“ gegen zunehmende Abschiebungen von Roma. Den Höhepunkt ihrer Proteste bildete die Besetzung der Kirche St. Michaelis, des „Michels“, im September 2015. Sie wurde aufgrund ihrer Möglichkeiten, Kirchenasyl zu gewähren oder zumindest einen besonderen Schutzraum zu bieten, zum wichtigen Akteur innerhalb des Konfliktes. Die Forderung von Romano Jekipe Ano gegenüber Stadt und Staat lautete, den Betroffenen Asyl zu bewilligen. Daneben ging es der Gruppe um die grundlegende Anerkennung der Situation der in der Bundesrepublik lebenden Roma. Den Hintergrund bildete die Diskussion um „sichere Herkunftsländer“: Auf Bundesebene waren 2014 Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien sowie 2015 Albanien, Montenegro und der Kosovo zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt worden. Roma sind in diesen Ländern jedoch zumeist staatlicher Repression, gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Der Protest führte nicht zum gewünschten Erfolg; dennoch setzte er ein wichtiges Zeichen, indem Roma selbstermächtigt, wenn auch nur punktuell, ihre Situation in den Mittelpunkt städtischer Aufmerksamkeit rücken konnten.

1.5 L OKALE K ONFLIKTE – M IGRATION IM LOKALEN R AUM Die diesem Buch zugrundeliegende Studie setzt sich mit lokalen Konflikten, die im Zuge südosteuropäischer Migrationsprozesse entstehen, auseinander. Zwei Begriffe bedürfen in diesem Kontext zunächst der Erläuterung: zum einen jener der Lokalität, der auf eine räumliche Ebene verweist, und zum anderen der des Konfliktes um Migration. Mit „lokalen“ Konflikten sind hier zunächst Auseinandersetzungen in einem konkret abgrenzbaren Raum gemeint. Dieser Raum ist definiert durch den Bereich, in dem sich Handlungen von befragten und untersuchten Akteuren kreuzen, aufeinander Bezug nehmen und infolgedessen Konflikte entstehen und verhandelt werden. In den meisten untersuchten Fällen sind dies städtische Kontexte, in einem Fall kommt ein Konflikt hingegen im ländlichen Raum auf. Lokalität hat, in ihrer räumlichen Dimension, für diese Untersuchung jedoch eine weitere Bedeutung: Sie bezeichnet einen sozialen Raum, in dem sich ein Konflikt vollzieht. Gerade zwischen diesen beiden Ebenen, des physischen und des sozia-

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len Raumes, bestehen Wechselbeziehungen, die den Rahmen für die Analyse lokaler Konflikte liefern sollen. Im lokalen Lebensraum von Menschen spiegeln sich Elemente und Verläufe von Entwicklungen im sozialen Raum wider. Verwaiste Stadtviertel berichten von ihrem Niedergang, ebenso wie die Einrichtung von Parks und Grünflächen Aussagen über strategische Interventionen in die Dynamiken der städtischen Bewegung ermöglichen. Akteure besetzen Orte, bauen Unternehmen auf, erzeugen Sozialbeziehungen. Die lokalen physischen Räume sind von gesellschaftlichen Hierarchisierungen und Auseinandersetzungen durchdrungen, sie repräsentieren die Differenzen, die einer Gesellschaft agonale Strukturen verleihen.61 Der physische Raum ist jedoch nicht als Manifestation sozialer Ordnung zu begreifen. Vielmehr besteht zwischen physischem und sozialem Raum ein Wechselverhältnis. Die Interventionen auf physischer Ebene können Sozialstrukturen ebenso verändern wie die Kapitalsituation von Akteuren. Umgekehrt schlägt sich soziale Ordnung nicht nur in der Physis des konstruierten Raumes, die verdinglichten sozialen Raum darstellt, nieder, sondern auch in den Regeln, die einen Raum in seiner Alltäglichkeit beherrschen. Diese weisen den Akteuren und Individuen einen ihrem im sozialen Raum entsprechenden Ort im physischen Raum zu. Wer vor Ort auffällt, dort „nichts zu suchen“ hat, entscheidet sich dementsprechend weniger über die Frage, was die Person oder der Akteur konkret dort sucht, als darüber, welche Insignien und habituellen Gepflogenheiten er oder sie aufweist. Und diese Zuordnung einer Person zu einem Ort im sozialen Raum ist dem jeweiligen Subjekt im Zuge von Erfahrungen und Orientierungsprozessen „abgepresst“ worden, wie dies Pierre Bourdieu in Bezug auf die Inkorporierung männlicher Herrschaft bezeichnet.62 Soziale Räume sind in ihrer hierarchischen Struktur von Konfliktlinien und Widersprüchlichkeiten durchzogen, die ihre symbolische Ordnung herausfordern und das verinnerlichte Wechselspiel zwischen Herrschaft und Unterordnung irritieren. Dementsprechend sind die Ordnungen der Gesellschaft nicht statisch, und die Präsenz eines Menschen an einem Ort, der nicht seinem zugewiesenen Platz im sozialen Raum entspricht, ist der beständig auftretende, die gesellschaftliche Hierarchien bestätigende Ausnahmefall – reproduziert sich doch gerade in seiner 61 Vgl. auch Bourdieu, Pierre: Ortseffekte, in: Kirchberg, Volker/Göschel, Albrecht (Hrsg.): Kultur in der Stadt. Stadtsoziologische Analysen zur Kultur, Opladen 1998, S. 17–25. 62 Bourdieu, Pierre: Eine sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Irene Dölling und Margarete Steinrücke, in: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen Praxis, Frankfurt a. M. 1997, S. 218–230, hier S. 228.

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Auffälligkeit die soziale Ordnung. Konflikte um Migration sind in diesem Sinne Konflikte um die Struktur des sozialen Raums; und Migration ist ein Prozess, der diese stabilisierte Dynamik verändert. In der Bourdieu’schen Theorie sind die Positionen von Akteuren im sozialen Raum – und damit auch ihre Konfliktfähigkeit – durch die Ausstattung mit kulturellem, sozialem, ökonomischem und symbolischem Kapital bedingt.63 Die hierarchische Ordnung des sozialen Raumes und damit die prinzipielle Verfügbarkeit verschiedener Kapitale sind insbesondere durch die Verfügung über Formen symbolischen Kapitals gesichert, das als Kapital der Anerkennung gegenüber anderen Akteuren einen Status absichert. Dabei ist die Verfügung über symbolisches Kapital auf die gemeinsame Deutungswelt eines kulturellen Raumes angewiesen. Der Kulturbegriff, den Bourdieu in diesem Zusammenhang verwendet hat, ist jedoch zunächst nicht ethnisiert zu verstehen. In seinen Studien zur Funktionsweise des (französischen) Bildungssystems betont Bourdieu die Distinktionsmechanismen kultureller Hierarchie und die Mechanismen ihrer Reproduktion.64 Kultur wirkt für Bourdieu insofern als Distinktionsmerkmal der „feinen Unterschiede“, die soziale Schichtung reproduzieren und die Veränderung der sozialen Position durch die Aufstellung habitueller „Spielregeln“ und Verhaltensweisen, die einen spezifischen sozialen Raum strukturieren, erschweren. Bourdieus Arbeiten zu den Reproduktionsmechanismen des sozialen Raumes betonen den heterogenen Charakter moderner und differenzierter Gesellschaften. Aus dieser Perspektive scheint nicht sinnvoll, von Konflikten um Integration zu sprechen. Wenngleich dies die gängige Kategorie ist, die in der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Analyse der Auseinandersetzungen im Zuge von Migrationsprozessen herangezogen wird, scheint sie sowohl aufgrund ihrer normativen Implikationen65 als auch wegen ihres analytischen Potenzials von Migrationskonflikten im sozialen Raum ungeeignet zu sein. Integrationstheorien wie die Konzepte von Hartmut Esser oder Hans-Joachim Hoffman-Nowotny homogenisieren tendenziell die „aufnehmende“ Gesellschaft und zeichnen ein zu ho63 Für Näheres zur Kapitaltheorie bei Bourdieu siehe insbesondere Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik & Kultur 1, Hamburg 2005. 64 Bourdieu, Pierre: Wie die Kultur zum Bauern kommt. Über Bildung, Klassen & Erziehung, Hamburg 2001 65 Zur Kritik am Integrationsbegriff siehe auch Mecheril, Paul: Anerkennung statt Integration. Für einen Wechsel der regulativen Bezugsgröße, in: Impulse, H. 55/2007, S. 3–4 sowie Geisen, Thomas: Vergesellschaftung statt Integration. Zur Kritik des Integrations-Paradigmas, in: Mecheril, Paul/Dirim, Inci/Gomola, Mechthild/Hornberg, Sabine/Stojanov, Krasimir (Hrsg.). Spannungsverhältnisse. Assimilationsdiskurse und interkulturell-pädagogische Forschung, Münster 2010, S. 13–34.

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hes Maß an Disparität, die durch den Migrationsprozess ausgelöst sei, als Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Theoretisch handlungsleitend ist in diesen Konzepten somit eine Homogenitätsvorstellung, die auf ideologischen Annahmen über Nationalstaatlichkeit beruht.66 Demgegenüber sollen die hier untersuchten Fälle als Konflikte um Anerkennung verstanden werden. Der Begriff der Anerkennung scheint im vorliegenden Fall zielführender, weil er auf die Auseinandersetzung mit der Legitimität von Partizipation an gemeinschaftlichen Gütern und der sie bedingenden sozialen Klassifikation sozialer Gruppen rekurriert.67 Die „stillschweigende Zustimmung zu den Verhältnissen einer eingelebten Ordnung“68 sieht Bourdieu als Naturalisierung eines Ergebnisses gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, also eines willkürlichen Verhältnisses, an. Dem zugrunde liegende Klassifikationen können in Form von Nützlichkeitskriterien, normativen Ordnungen oder in Form politischer und medialer Wirklichkeitskonstruktionen artikuliert sein.69 Gerade Letztere produzieren Signifikanzen öffentlicher Anerkennung und Stigmatisierung. Im Rahmen solcher Klassifikationen wirken Stereotype und Vorurteilsstrukturen insofern normativ sinnbildend, als sie den Ausschluss von der Partizipation an kulturellen, sozialen, ökonomischen und symbolischen Gütern legitimieren. In welcher Weise solche Klassifikationen in die Auseinandersetzungen um die Anerkennung migrierter Gruppen aus Südosteuropa eingehen und unter welchen Kontextbedingungen der Konflikt unterschiedliche Verläufe nimmt, ist Gegenstand dieser Studie. Die hier untersuchten Konflikte sind in diesem Zusammenhang durch eine Eigenheit charakterisiert, die sie von anderen sozialen Konflikten abgrenzt. Dabei handelt es sich um eine starke Ungleichheit der Artikulationspositionen und Artikulationsmöglichkeiten (mit Bourdieu gesprochen: der Ausstattung mit symbolischem Kapital) zwischen der Gruppe der Migranten und anderen, in den Konflikt involvierten Akteuren. Die Kämpfe um Anerkennung müssen daher aus einer Perspektive analysiert werden, die ermöglicht, zwischen der Kommunikation über den Konflikt und dessen Akteure – also der Deutung, was hier überhaupt als Konflikt zugrunde liegt – und der sich vollziehenden Veränderung des sozialen Raumes zu unterscheiden. Folglich sollen zwei Ebenen des Konfliktes um Migrationsprozesse aus Südosteuropa untersucht werden: zum einen die soziale Ebene, auf der Verwerfungen und Widersprüchlichkeiten zwischen legiti66 Geisen: Vergesellschaftung statt Integration, S. 25 67 Sutterlüty, Ferdinand: In Sippenhaft. Negative Klassifikationen in ethnischen Konflikten, Frankfurt a. M. 2010, S. 25 f. 68 Ebd., S. 25. 69 Ebd., S. 26 f.

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mierter sozialer Ordnung (Bourdieu bezeichnet diese als doxa), hergebrachten Verständnissen und tradierten Mustern sozialen Zusammenlebens und Exklusion im sozialen Raum untersucht werden – was bedeutet, den Umgang der ansässigen Bevölkerung mit dem Phänomen der Migration wie auch die Praktiken lokaler Akteure im Umgang mit den Gruppen der Migrierten zu untersuchen. Und zum anderen werden auf der kommunikativen Ebene der Umgang mit der Migration, die Zuschreibungen und Chiffrierungen sowie die Erklärungen und Deutungen von Veränderungen im sozialen Raum untersucht. Gerade auf dieser Ebene sind ethnisierte Zuschreibungen, Stereotype und antiziganistische Vorurteile oftmals entscheidend für den Verlauf eines Konfliktes, da sie sinnbildende Strukturen vorgeben.

1.6 ANTIZIGANISTISCHE S TEREOTYPE UND R ESSENTIMENTS „Zwischen Anerkennung und Ausgrenzung“ – so der Titel, der auf das spezifische Spannungsverhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und der Bevölkerungsminderheit der Roma in Deutschland, das in seiner historischen Genese überwiegend von einer defensiven Haltung seitens der Mehrheit gegenüber der Minderheit geprägt gewesen ist, hinweist. Indes ist auch heute das Verhältnis nicht frei von Dissonanzen: Stigmatisierende Bilder und antiziganistische Ressentiments sind noch immer virulent, und Menschen, die sich als Roma bezeichnen oder als solche bezeichnet werden, sind auch heute nicht davor gefeit, Diskriminierungen ausgesetzt zu sein. Umfrageergebnisse offenbaren die weite Verbreitung ablehnender Einstellungen gegenüber Roma in der Bevölkerung, die ebenfalls eine hohe Kontinuität aufweisen. So gaben etwa sechzig Prozent der Befragten der Leipziger „Mitte“-Studie an, ein Problem damit zu haben, dass Roma in ihrer Nachbarschaft lebten. Ähnlich hoch war der Anteil derjenigen, die glaubten, dass Roma zur Kriminalität neigten.70 Im Rahmen einer Umfrage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma unter Sinti- und Roma-Familien in Deutschland im Jahr 2011 gaben 78 Prozent

70 Vgl. Decker, Oliver/Brähler, Elmar: Autoritäre Dynamiken: Ergebnisse der bisherigen „Mitte“-Studie und Fragestellungen, in: Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hrsg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Die Leipziger Mitte-Studie 2016, Gießen 2016, S. 11–22, URL: https:// www.boell.de/sites/default/files/2016-06-mitte_studie_uni_leipzig.pdf [eingesehen am 12.08.2016].

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der 309 Befragten an, schon häufiger bei der Arbeit, von Nachbarn, in Gaststätten oder an anderen Plätzen diskriminiert worden zu sein; und 46 Prozent gaben an, dass ihre Minderheitenzugehörigkeit durch die Polizei oder andere Behörden aufgenommen worden sei. Als Angehörige einer Minderheit hätten rund neunzig Prozent der Befragten bei der Berichterstattung Angst vor Vorurteilen empfunden; und rund siebzig Prozent gaben an, nach Zeitungsartikeln oder Fernsehbeiträgen von Nachbarn, Arbeitskollegen oder anderen Personen auf ihre Minderheitenzugehörigkeit angesprochen worden zu sein.71 Auch Interviewpartner berichteten immer wieder von Diskriminierungserfahrungen und der Angst vor Vorurteilen und Diskriminierung im Alltag. So sagte eine Sozialarbeiterin: „Ich weiß eigentlich gar nicht, was sie erwarten, aber auch wenn diese Menschen dem Klischee nicht entsprechen, und das haben wir durchaus, dass sie dem Klischee nicht entsprechen. Dass sie nicht kriminell sind, dass die Kinder haben, die zur Schule gehen, und zwar regelmäßig und pünktlich und äh-. Ich sehe, wenn dann eine Roma-Frau, die das ausleben möchte, einfach ihre Tracht trägt, wenn sie dann zum Elternabend geht, dass die dann schief angeguckt wird. […] Und es ist ja auch nicht Begeisterung, wenn man mit ’ner Roma-Familie in eine Arzt-Praxis geht. Meistens ist da eine abwehrende Haltung und man unterstellt Böses, dass die Leute keine Krankenversicherung haben oder dass die Karte nicht gedeckt ist.“72

Das Beispiel einer Familie, die zur Schuluntersuchung von der Interviewten begleitet worden ist, verweist auf die Entscheidung einiger Roma, ihre Minderheitenangehörigkeit zu verschweigen: „[…] da wurde der Vater gefragt: Welche Sprachen spricht das Kind? Und da die Roma eine eigene Sprache haben, die unterschiedlich ist zur rumänischen Sprache, dachte ich mir: Mensch, es muss ja eigentlich gewürdigt werden, dass das Kind schon zwei Sprachen spricht und jetzt Deutsch lernt. Und als ich das gesagt habe, sagte mir der Vater: Sag nicht, dass wir Roma sind. Sag das nicht, weil dann werden wir ganz anders angesehen, sag, dass wir aus Rumänien sind.“73

71 Vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma: Ergebnisse der Repräsentativumfrage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma über den Rassismus gegen Sinti und Roma in Deutschland v. 11.10.2011, URL: https://osteuropa.lpb-bw.de/fileadmin/osteuropa/ pdf/Zentralrat_Umfrage_Rassismus.pdf [eingesehen am 26.12.2016]. 72 Interview mit einer Streetworkerin aus Hannover. 73 Ebd.

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Dass deutsche Roma jedoch in der Bundesrepublik „ganz normal ihr Leben“74 führen, daran muss der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, immer wieder erinnern. Leben die Angehörigen der Minderheit deutscher Sinti und Roma also genauso „unauffällig wie ihre Nachbarn“75, treten sie in der deutschen Öffentlichkeit genauso wenig in Erscheinung wie jeder andere durchschnittliche Mitbürger. Dennoch gilt die gesellschaftliche Situation kaum einer anderen Minorität in Deutschland als derart prekär wie die der Bevölkerungsgruppe der Roma. Das trifft jedoch mitnichten auf die tatsächliche Lebenswelt aller Angehörigen der größten europäischen Minderheit zu, die sich äußerst heterogenen Lebensrealitäten gegenübersehen, etwa auf ganz unterschiedliche Migrationserfahrungen und Herkunftskontexte zurückblicken und auch in kultureller, politischer und insbesondere in sozioökonomischer Hinsicht ebenso stark differieren wie andere Bevölkerungsgruppen. Hinsichtlich der Ausgangsbedingungen ist die bereits angesprochene gesellschaftliche Situation der in Deutschland lebenden Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft beispielweise wohl kaum vergleichbar und steht grundsätzlich in keinem Zusammenhang mit den Lebensrealitäten und -umständen der in Deutschland asylsuchenden Roma, die zumeist aus osteuropäischen Ländern stammen und oftmals über Jahre hinweg im Zustand der sogenannten Duldung verharren. Deren formalrechtliche Situation unterscheidet sich wiederum von denjenigen, die aus Bulgarien und Rumänien in die Bundesrepublik kommen, da auf der Grundlage der EU-Richtlinie zur Arbeitnehmerfreizügigkeit seit Januar 2014 für Menschen aus diesen Staaten die Möglichkeit besteht, auch in Deutschland Arbeitsmöglichkeiten wahrzunehmen. Kurzum: Die Roma gibt es so nicht. Die Debatte um Migration aus Südosteuropa nimmt dabei im Hinblick auf stigmatisierende Bilder und antiziganistische Ressentiments eine prägende Rolle ein; denn in ihr, so Wolfgang Benz, komme eine „neue visuelle Wahrnehmung“76 hinzu: „Roma-Zuwanderer aus Südosteuropa werden als lästige Arme, als fremde Hilfsbedürftige, als ‚aggressive Bettler‘, als ungefragte Anbieter unnützer Dienstleistungen, als Sozialschmarotzer, als Eindringlinge gesehen. Sie prägen das negative Bild, nähren die Ressen74 Zit. n. Dörries, Bernd/Wiegand, Ralf: „Immer nur ein Teil der Roma im Blickfeld“. Interview mit Romani Rose, in: Süddeutsche Zeitung, 03.09.2016 URL: http://www. sueddeutsche.de/politik/interview-mit-romani-rose-immer-nur-ein-teil-der-roma-imblickfeld-1.1809511/ [eingesehen am 31.10.2016]. 75 Benz: Sinti und Roma, S. 11. 76 Ebd.

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timents des Antiziganismus, das sich an die tradierten Vorurteile und Feindbilder anschließt.“77

Tradierte Bilder und antiziganistische Ressentiments können dann darin ihre Aktualisierung finden, werden reproduziert, können aber gleichzeitig auch die Debatte und Konflikte darum beeinflussen und sich in ihnen ausdrücken. Dabei geht es nicht darum und soll auch nicht marginalisiert werden, dass asylbeantragende Roma oder auch Roma, die im Zuge der EU-Erweiterung als Arbeitssuchende in der Bundesrepublik leben, vielfach strukturell bedingten, prekären Lebens- und Einkommensverhältnissen gegenüberstehen. Der Wohn- und Arbeitsmarkt ist dann häufig nur schwierig oder gar nicht zugänglich, eine angemessene gesundheitliche Versorgung ist teilweise – etwa aufgrund fehlender Krankenversicherung – nicht gewährleistet und auch im Bereich der Bildung bestehen im Vergleich zum gesellschaftlichen Durchschnitt Defizite. Für die Kommunen im Besonderen und die unterschiedlichen politischen Ebenen im Allgemeinen kann dies durchaus Herausforderungen mit sich bringen. Hier geht es jedoch vielmehr um die in der deutschen Mehrheitsgesellschaft entstandenen und verbreiteten stigmatisierenden Bilder und um antiziganistische Ressentiments gegenüber Roma, deren Ursachen in der Mehrheitsgesellschaft – nicht aber bei real existierenden Roma – liegen. Antiziganismus Ressentiments gegenüber Roma und stigmatisierende „Roma“- bzw. „Zigeuner“Bilder sind in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit weitverbreitet. Betrachtet man die Einstellungen der deutschen Bevölkerung gegenüber Roma, so gehören diese zu derjenigen Gruppe, die – auch im Vergleich zur gesamten Gruppe der Migranten – am stärksten von Vorurteilen und Ressentiments betroffen ist:78 2016 etwa gaben 57,8 Prozent der Befragten der Leipziger „Mitte“Studie an, dass sie ein Problem damit hätten, dass Sinti und Roma in ihrer Umgebung wohnen würden79 – bereits 2011 hatten die Zustimmungswerte zu diesem Item bei 40,1 Prozent gelegen.80 Etwa die Hälfte der Befragten stimm77 Ebd. 78 Vgl. Decker/Brähler: Autoritäre Dynamiken. 79 Vgl. ebd. 80 Vgl. Heitmeyer, Wilhelm: Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt, Presseinformation zur Präsentation der Langzeituntersuchung Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Bielefeld 2011, S. 19, URL: https://www.uni-bielefeld.de/ikg/Handout_ Fassung_Montag_1212.pdf [eingesehen am 14.08.2016].

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te 2016 der Aussage zu, dass Sinti und Roma aus den Innenstädten verbannt werden sollten;81 2011 waren dies noch rund 28 Prozent der Befragten gewesen.82 58,5 Prozent der Befragten gaben 2016 an, dass Sinti und Roma ihrer Meinung nach zu Kriminalität neigen würden83 – auch hier ist seit 2011 ein eklatanter Anstieg um rund 15 Prozent zu verzeichnen.84 Studien85 aus den 1990er Jahren weisen zwar vergleichbare, teilweise sogar höhere Umfrageergebnisse auf; Stabilität und Kontinuität dieser ablehnenden Einstellungen bleiben jedoch signifikant. Das Ressentiment gegenüber Roma bezeichnet man auch als „Antiziganismus“; wobei der Begriff im wissenschaftlichen Kontext nicht völlig unumstritten ist. Antiziganismus meint im Anschluss an Markus End „eine homogenisierende und essentialisierende Wahrnehmung und Darstellung bestimmter sozialer Gruppen und Individuen unter dem Stigma ‚Zigeuner‘ oder anderer verwandter Bezeichnungen, eine damit verbundene Zuschreibung spezifischer devianter Eigenschaften an die so Stigmatisierten sowie vor diesem Hintergrund entstehende, diskriminierende soziale Strukturen und gewaltförmige Praxen“86.

Zudem sei Antiziganismus ein „historisch gewachsenes und sich selbst stabilisierendes soziales Phänomen“87. Gemeint ist damit zum einen, dass die geschichtliche Dimension antiziganistischer Ressentiments nicht nur die histori81 Vgl. Decker/Kiess/Eggers/Brähler: Die „Mitte“-Studie 2016: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf, in: Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hrsg.): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Die Leipziger Mitte-Studie 2016, Gießen 2016, S. 23–66, hier S. 49, URL: https://www. boell.de/sites/default/files/buch_mitte_studie_uni_leipzig_2016.pdf [eingesehen am 12.08.2016]. 82 Vgl. Heitmeyer: Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt, S. 19. 83 Decker/Kiess/Eggers/Brähler: Die „Mitte“-Studie 2016, S. 49, URL: https://www. boell.de/sites/default/files/buch_mitte_studie_uni_leipzig_2016.pdf [eingesehen am 12.08.2016]. 84 Heitmeyer: Deutsche Zustände, S. 19, URL: https://www.uni-bielefeld.de/ikg/Hand out_Fassung_Montag_1212.pdf [eingesehen am 14.08.2016]. 85 Vgl. The American Jewish Comittee: Einstellungen gegenüber Juden und anderen Minderheiten, New York 1994; in der von Emnid durchgeführten Umfrage gaben 68 Prozent der Befragten an, Roma und Sinti abzulehnen. 86 End, Markus: Gutachten Antiziganismus. Zum Stand der Forschung und der Gegenstrategien, Marburg 2013, S. 13. 87 Ebd.

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sche Kontinuität des Antiziganismus umfasst, sondern auch als historisch gewachsenes Element im „Vorurteilshaushalt“ der deutschen Gesellschaft tief verankert ist und daher etwa hinsichtlich ihrer Wirkung beziehungsweise ihrer (Re-)Aktivierbarkeit betrachtet werden muss. Zum anderen sind Ressentiments immer auch mit Formen der Wahrnehmung verwoben, was in diesem Kontext bedeuten kann, dass eben nur diejenigen als „‚Zigeuner‘ wahrgenommen werden, die dem Stereotyp entsprechen“88. Die Wahrnehmung von Konflikten kann durch die Brille des Antiziganismus gedeutet werden. Ein wesentliches Element des Ressentiments, und damit auch des Antiziganismus, ist das Moment der Projektion. Der Mechanismus, der – ausgehend von den Theorien Freuds – zunächst in der Kritischen Theorie in gesellschaftstheoretische Konzeptionen überführt worden ist, lässt sich vereinfacht wie folgt beschreiben: Eigenschaften und Regungen, die im Prozess der Zivilisation verdrängt worden sind und im modernen Subjekt und damit in modernen Gesellschaft nicht zugelassen werden (aber dennoch existieren können), werden dem Objekt – in diesem Fall dem „Zigeuner“ – als „Fremdes“ zugeschrieben.89 Das „innere Ausland“, wie Freud formulierte, wird damit nach außen projiziert und fälschlicherweise mit „dem Anderen“ identifiziert, an diesem erfahrbar gemacht und schließlich abgewehrt.90 In diesem Sinne gilt, in Analogie zu Theorien und Konzepten der Antisemitismusforschung, dass „Roma als Verschiebungsobjekte“91 genutzt werden und das antiziganistische Ressentiment als „Gerücht über Roma“ verstanden werden kann. Hierfür stehen tradierte und kollektiv geteilte Stereotype und Bilder bereit. Diese „Roma-Bilder“ sind als „projektive Vorstellungen“92 über Roma oder „Zigeuner“ integraler Bestandteil des antiziganistischen Ressentiments und in ihrer Konstruktion als „persistente Fremdbilder“93 immer auch der, in diesem Fall, deutschen Gesellschaft, deutschen Kultur etc. gegenübergestellt und konstruieren die Differenz (zwischen dem „Wir“ und „den Anderen“). Sie dienen dann der „Selbstvergewisserung der Mehrheit“, zugleich stabilisieren und begründen sie

88 Ebd. 89 Vgl. dazu Maciejewski, Franz: Elemente des Antiziganismus, in: Giere, Jacqueline (Hrsg.): Die gesellschaftliche Konstruktion des „Zigeuners“. Zur Genese eines Vorurteils, Frankfurt a. M. 1996, S. 9–28, hier S. 20 ff. 90 Ebd. 91 Ebd., S. 19. 92 Hille, Almut: Identitätskonstruktionen. Die „Zigeunerin“ in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Würzburg 2005, S. 8. 93 Ebd.

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ein hierarchisches Verhältnis zwischen Minderheit und Mehrheit.94 Indem beispielsweise die prekären Lebensverhältnisse, mit denen Roma in der Öffentlichkeit in Verbindung gebracht werden, mit den zugeschriebenen Eigenschaften von Roma assoziiert werden, werden diese legitimiert und auch kulturalisiert. Konstruiert sind diese Bilder in dem Sinne, dass sie ihre Ursache in der deutschen Mehrheitsgesellschaft haben und nicht auf tatsächlich existierende Roma oder deren Lebensrealität zurückgehen. Diese Bilder implizieren und reproduzieren Merkmale, Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Mentalitäten, die Roma im essentialistischen Sinne zugeschrieben werden und welche die Mehrheitsgesellschaft ihrem Bild des Roma oder des „Zigeuners“ hinzugefügt hat. Gleichzeitig sind diese Bilder jedoch auch nicht vollkommen willkürlich entstanden, sondern historisch gewachsen und in immer wieder aktualisierter Form tradiert worden (beispielsweise das Bild des „fahrenden Volkes“); so weisen sie vermeintliche Realitätsbezüge auf und sind tief verankert im gesellschaftlichen Bewusstsein. Damit sind sie zudem einfach zu reaktivieren, allerdings auch häufig resistent gegenüber Informations- und Aufklärungskampagnen, was insbesondere die Präventionsarbeit erschwert. Allein mit einem Mehr an Informationen lassen sich antiziganistische Ressentiments jedenfalls kaum „auflösen“ oder aufklären. Im Mittelpunkt steht in erster Linie das Stigma „Zigeuner“95. Heute ist überwiegend anerkannt, dass der Begriff „Zigeuner“, der in seiner historischen Genese immer schon eine Fremdbezeichnung gewesen ist, eine Diskriminierung ausdrückt, mit der ganz unterschiedliche Gruppen gefasst werden können.96 Neben anderen Bezeichnungen wie „Landfahrer“, „fahrendes Volk“, „Heiden“ oder auch „Gypsies“, die ebenfalls zumeist in diffamierender Weise verwendet werden, kann jedoch auch die eigentliche Selbstbezeichnung „Roma“ eine Stigmatisierung zum Ausdruck bringen; hier ist der jeweilige Kontext ausschlaggebend und kann dann jeweils als Chiffre oder Code für das Ressentiment dienen. Das gilt auch für andere Begriffe. Am Beispiel Kölns hat sich gezeigt, dass auch Begriffe wie „illegal eingereiste Minderheit“ oder „Klau-Kids“ in der medialen Darstellung oder in Pressemitteilungen der Polizei mit Stigmata und diskriminierenden Bilder von Roma verbunden sind und diese reproduzieren. Auch Schlagworte wie „Armutseinwanderer“ können in Diskussionen um Migration aus Südosteuropa mit antiziganistischen Ressentiments und Bildern in Verbindung stehen. Dass damit Roma gemeint sein können, wird zudem oft genug explizit 94 Benz: Sinti und Roma, S. 23. 95 End: Gutachten Antiziganismus, S. 13. 96 Vgl. End, Markus: Stereotype Darstellungen von Sinti und Roma in den deutschen Medien, in: Mengersen, Oliver v. (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015, S. 201–231, hier S. 202.

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zum Ausdruck gebracht, etwa in folgender Aussage von Klaus Brill in der Süddeutschen Zeitung: „Es hilft nicht, um den heißen Brei herumzustreichen. Das Problem, das sich hinter der sogenannten Armutseinwanderung aus Bulgarien und Rumänien verbirgt, ist kein allgemeines, sondern ein spezifisches. Es gibt zigtausend junge Bulgaren und Rumänen, die [...] fleißig arbeiten oder studieren. [...] Diejenigen, die auffallen und die den großen deutschen Städten jetzt so viele finanzielle Probleme bereiten, sind fast ausschließlich Roma. Wer dies in falsch verstandener politischer Korrektheit nicht erkennt und nicht benennt, wird nie die Lösungen finden, mit diesem schwierigen Problem fertig zu werden.“97

In diesem Zitat wird homogenisierend über die Gruppe der Roma gesprochen, die von „Bulgaren“ und „Rumänen“ abgegrenzt wird. Während die einen – Staatsbürger – arbeiteten, verweigerten sich die anderen – Roma – der Arbeit, arbeiteten zumindest nicht „fleißig“; die Differenz wird hier zum Erkennungsmerkmal. Übergangen wird außerdem, dass keine Grundlage gesicherten Wissens über die ethnische Zugehörigkeit existiert. Ohne sie explizit zu nennen, müssen Roma, der Logik dieses Zitats zufolge, spezifische Eigenschaften oder Merkmale tragen, die sie zur Gruppe der „Armutseinwanderung“ zugehörig werden lassen. Dem angesprochenen Stigma haften oftmals Merkmale und Eigenschaften wie „fremd“, „müßiggängerisch“, „musikalisch“ und „frei“, „primitiv“, „archaisch“, „kulturlos“ oder „kriminell“, „nomadisch‘“ und „modernisierungsresistent“ an. Wolfgang Wippermann verweist auf die historische Genese des Zigeuner-Bildes, wie es seit dem 14./15. Jahrhundert tradiert worden ist. So habe man von den „schwarzen und hässlichen, diebischen, mörderischen, zauberischen und teuflischen Zigeunern“ gesprochen. Auch heute noch findet, auf der einen Seite, eine Verklärung in Form mystischer Zuschreibungen statt: Roma können dann etwa als „musisch“, „exotisch“, „magisch“ (in Bezug auf Fähigkeiten, Gesang, Kulte etc.) gelten. Diese Eigenschaften können zwar auch lobend oder bewundernd erwähnt werden, bleiben aber dennoch essentialisierende Merkmale, die zumeist den anerkannten Normen der Mehrheitsbevölkerung entgegengesetzt sind.98 Auf der anderen Seite wird ihnen spätestens zu Beginn des 17. Jahrhun-

97 Brill, Klaus: In der Rückständigkeitsfalle, in: Sueddeutsche Zeitung, 20.02.1013, zit. n. Krauß, Joachim: Nicht von ungefähr: Die Synonymsetzung von Roma mit Armutswanderung als ein Fall von Agenda-Setzung, in: Stender, Wolfram (Hrsg.): Konstellationen des Antiziganismus, Wiesbaden 2016, S. 225–337, hier S. 225. 98 Vgl. Wippermann: „Wie die Zigeuner“, S. 59.

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derts vorgeworfen, „sie würden betteln und stehlen, seien Räuber/Vieh-Diebe und Mörder“99, überdies Zauberer, Verächter der Religion. Gerade am Aspekt der Armut lässt sich zeigen, wie historisch gewachsene antiziganistische Ressentiments zu gesellschaftlichen Gewissheiten werden können: Bereits in der frühkapitalistischen Gesellschaft des beginnenden 15. Jahrhunderts hatte das Ressentiment Roma gegenüber auch einen „ökonomischen Hintergrund“100 und stand mit dem „Aufkommen eines neuartigen Bettler- und Armenproblems“101 in Verbindung, das wiederum mit der Umwälzung der Wirtschaftsweise vom Feudalismus zum Kapitalismus einherging. Einerseits konnten das staatliche Wohlfahrtssystem und die Armenpflege des Phänomens der Armut und Armen nicht Herr werden; und andererseits unterliefen die Armen, die ihre Existenz über Almosen zu sichern suchten, die den Prinzipien der protestantischen Ethik entsprechende Arbeitsmoral.102 Arme, „die unproduktiven Müßiggänger“103, wurden somit „verfemt“104 und als „Angriff auf das soziale Gefüge“105 empfunden. Traf der „vagabundierende Haß“ lange Zeit unterschiedliche soziale Randgruppen, fokussierte er im Laufe der Zeit zunehmend „Zigeuner“.106 Heute bedarf es keiner aktiven Konstruktion dieses Zusammenhangs mehr. Er ist im kollektiven Wissensschatz angelegt und lässt sich damit einfach reaktivieren. Das antiziganistische Ressentiment oder antiziganistische Inhalte werden dabei zum Teil ganz offen, in manifester Weise, artikuliert oder durch Codes und Chiffren geäußert sowie über latente Sinngehalte kommuniziert – in Form verbaler bis hin zu physischer Gewalt.

99

Wippermann: „Wie die Zigeuner“, S. 59.

100 Maciejewski: Elemente des Antiziganismus, S. 14. 101 Ebd. 102 Vgl. ebd. 103 Ebd. 104 Ebd. 105 Ebd. 106 Ebd.

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Exkurs: Roma in Deutschland im Kontext (staatlicher) Exklusion Die Zahl der in Deutschland lebenden Roma wird nach Unicef-Schätzungen momentan auf ca. 120.000 beziffert.107 Davon besäßen ca. 70.000 Roma die deutsche Staatsbürgerschaft, der überwiegende Anteil lebt seit mehreren Generationen in Deutschland. Zudem befinden sich ca. 50.000 Roma-Flüchtlinge, überwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien, in der Bundesrepublik.108 Die Zahlen basieren allerdings auf Schätzungen und sind daher kaum belastbar. So wird zum Beispiel die ethnische Zugehörigkeit in den amtlichen Datenerhebungen in Deutschland nicht erfasst. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Roma aufgrund von Diskriminierungs- und Stigmatisierungserfahrungen in Deutschland ihre Ethnie nicht angeben. Wie viele Roma sich unter den Einwanderern aus Rumänien und Bulgarien befinden, ist nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Lebenssituationen deutscher Roma ist in erster Linie darauf zu verweisen, dass hier eine ebensolche Heterogenität in sozialer, politischer und sozioökonomischer Hinsicht besteht wie innerhalb jeder anderen Bevölkerungsgruppe auch. Eine Differenz besteht jedoch im Hinblick auf grundsätzliche soziale, politische und ökonomische Zugangsvoraussetzungen in der Bundesrepublik aufgrund des jeweiligen formalen Status, der bestimmte Rahmenbedingungen festlegt: Flüchtlinge und Asylbeantragende haben, auch formalrechtlich, einen schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt; viele Roma-Familien leben seit den 1990er Jahren im Status der Duldung – wobei zahlreiche Fälle von Abschiebungen im Zuge der vergangenen Flüchtlingsströme bekannt geworden sind. Politisch begleitet wurde dies beispielsweise im Jahr 2010 von dem Rückübernahmeabkommen zwischen der Bundesrepublik und dem Kosovo.109 Auf politischer Ebene werden überdies seit den letzten Jahren umstrittene Maßnahmen getroffen, um Flüchtlings- und Migrationsströme aus den Balkanstaaten zu regulieren. Länder wie Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien wurden 2014 als „sichere Herkunftsstaaten“ kategorisiert, was die Aussicht 107 Vgl. Grienig, Gregor: Roma in Europa, URL: http://www.berlin-institut.org/onlinehandbuchdemografie/bevoelkerungsdynamik/regionale-dynamik/roma-in-europa .html [eingesehen am 02.11.2016]. 108 Vgl. ebd. 109 Vgl. Bundesgesetzblatt 2010 Teil II Nr. 9 vom 29. April 2010, URL: http://www. bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl210s025 9.pdf%27%5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl210s0259.pdf%27 %5D__1478253859256 [eingesehen am 02.11.2016]. Das deutsch-kosovarische Rückübernahmeabkommen regelt Verfahrensfragen einer Rückübernahme, aber keine Quoten etc.

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auf Asyl nahezu verunmöglicht hat; 2015 folgten Albanien, Montenegro und der Kosovo. Selbstorganisationen wie Romano Jekipe, aber auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren diese Entscheidungen massiv. Nicht nur können davon Menschen betroffen sein, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten in der Bundesrepublik leben und hier ihren neuen Lebensmittelpunkt gefunden haben. Vielmehr gelten die Lebensbedingungen auch für Roma in den Herkunftsländern als äußerst prekär; oftmals sind sie Diskriminierungen oder gar Gewalt ausgesetzt. Roma als Staatsbürgern Bulgariens und Rumäniens ist seit Januar 2014 im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit erlaubt, in die Bundesrepublik einzureisen und hier zu arbeiten. Von Sozialhilfe sind EU-Einwanderer jedoch grundsätzlich ausgeschlossen, sofern sie zuvor nicht beruflich tätig gewesen sind.110 Von politischer Seite und von NGOs wird zudem häufig darauf hingewiesen, dass viele Einwanderer über keine Krankenversicherung verfügten und damit oft gesundheitlich unzureichend versorgt seien.111 Grundsätzlich verweisen Selbstorganisationen auf strukturelle Defizite und Diskriminierungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, die für Roma meist schwer zugänglich seien.112 Auf dem Gebiet des heutigen Deutschland leben Roma (und Sinti) nachweislich seit ca. 600 Jahren.113 Damit sind sie zwar ein nicht wegzudenkender Teil der deutschen bzw. europäischen Geschichte;114 jedoch ist das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheit bis in die Gegenwart ambivalent geblieben. Zwar fanden „vielfältige Formen“115 des Zusammenlebens statt; gesellschaftlich waren Roma jedoch oft ausgeschlossen und Diskriminierungen ausgesetzt. Die Basis hierfür bildeten, historisch gesehen, insbesondere rechtliche und institutionelle Maßnahmen: So waren Roma etwa bis in die Neuzeit auf Schutzbriefe angewiesen oder konnten für „vogelfrei“ erklärt werden (s. u.). Im Kaiserreich wurden sie etwa durch die Polizei erkennungsdienstlich behandelt 110 Rechtlich ist dies seit Jahren umstritten; immer wieder gibt es dazu Urteile, die Ausnahmen konstituieren. 111 Siehe Interview mit einem Mitarbeiter der Koordinierungsstelle Zuwanderung Osteuropa in Hannover. 112 Siehe ebd. 113 Vgl. Opfermann, Ulrich Friedrich: „Zu Teutschland gezogen und geporen“. Zur frühneuzeitlichen Geschichte der Sinti in Mitteleuropa, in: Mengersen, Oliver v. (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015, S. 25–47, hier S. 27. 114 Vgl. o. V.: Einleitung, in: Mengersen, Oliver v. (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015, S. 9–14, hier S. 9. 115 Ebd.

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(s. u.). Emanzipationsbestrebungen sowie Bemühungen um gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe führten nur selten zum Erfolg. Die jüngere Geschichte der Bürgerrechtsbewegung um Romani Rose zeigt, wie schwierig sich diese auch noch in jüngster Vergangenheit gestaltet haben (s. u.). Bei Betrachtung der historischen Genese wird die Rolle des Staates und staatlicher Akteure (Behörden und Verwaltungen, Stadt- und Landesregierungen, adlige Herrscher) für das Zusammenleben von Roma und der Mehrheitsgesellschaft sichtbar. Im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit etwa wurde die jeweilige Situation der Roma, die damals als „Tataren“ oder „Pilger aus Ägypten“ bezeichnet wurden, von den jeweiligen Obrigkeiten reguliert und war von deren Duldung abhängig. Roma erhielten dann Schutz- und Geleitbriefe oder vergleichbare Formen „städtischer Toleranzakte“116, die ihnen den Aufenthalt oder die Durchreise genehmigten und sie unter den Schutz der jeweiligen Obrigkeit stellten. Sie erhielten zudem teilweise Unterstützung, etwa in Form von Geldgeschenken. Diese Aufenthaltsgenehmigungen bestimmten die Dauer und Form des Aufenthalts und waren zugleich an Voraussetzungen geknüpft, etwa an das Verbot, zu stehlen.117 Verweisen diese Schutzbriefe einerseits auf eine gewisse Akzeptanz seitens der Obrigkeit, so waren sie andererseits nicht frei von Stigmata: Die Minderheit wurde als „diebisch“118 und „hässlich“119 bezeichnet. Zum Ende des 15. Jahrhunderts konnten Roma auch als Spione für die muslimisch-türkischen Feinde verdächtigt werden; später wurde ihnen dann als „gruppenspezifische Eigenschaft“ eine „Lebensweise des ‚Müßiggangs‘, Bettelns und ‚Umherziehens‘“120 zugeschrieben, die wiederum eine „gruppentypische Eigentumsdelinquenz und allgemeine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“121 begründete. In gleicher Weise, wie die Akzeptanz der Roma auf dem Gebiet des Deutschen Reichs von den jeweiligen Obrigkeiten abhängig war, galt dies auch für Formen der Ausgrenzung: Einen Höhepunkt stellte in der Frühen Neuzeit etwa eine Erklärung des Reichstags zu Freiburg von 1498 dar, die Roma reichsweit für „vogelfrei“ erklärte und damit einen Wandel in der „Zigeunerpolitik“ markierte, die von nun an überwiegend von Abwehr und Vertreibung gekennzeichnet war.122

116 Opfermann: „Zu Teutschland lang gezogen und geporen“, S. 28. 117 Vgl. ebd. 118 Zit. n. ebd., S. 29. 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd. 122 Ebd.

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Die Minderheitenpolitik zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs wies zwar grundsätzlich Ambivalenzen auf, jedoch war die Minderheit der Roma verstärkt von staatlichen Regulierungs- und Kontrollmaßnahmen betroffen. Zwar hatten auch Roma mit der Reichsgründung 1870/71 staatsbürgerliche Rechte erhalten und waren formal gleichgestellt; in den darauffolgenden Jahren wurden jedoch auf preußischer Regierungsebene mehrere Verordnungen erlassen, die diese Rechte aufgrund der Ethnie einschränkten.123 „Zigeuner“ war zu dieser Zeit auch im politischen Diskurs der dominante Begriff, mit dem die Minderheit thematisiert und diskriminiert wurde. Als eine Folge der sich verschärfenden Politik gegenüber Roma bildete sich etwa seit 1889 ein polizeiliches Kontrollsystem heraus,124 das vor allem die systematische erkennungsdienstliche polizeiliche Erfassung von „Zigeunern“ betrieb. Mit der „Zigeunerzentrale“ der Münchner Polizeidirektion fand diese Politik sodann auch ihren institutionellen Niederschlag. Ursächlich für diese raschen, widersprüchlichen Entwicklungen waren eine Reihe gesellschaftspolitischer Entwicklungen und Konflikte, die wiederum mit umfassenden Umwälzungen auf gesellschaftlicher, staatlicher und wirtschaftlicher Ebene, den Modernisierungserscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft, zusammenhingen. Damit standen sie zwar in keiner Verbindung zur Minderheit der Roma, hatten aber für diese einschneidende Folgen. Einfluss auf die restriktive Politik hatten auf ideologischer Ebene etwa ein erstarkender Nationalismus sowie die Vorstellung, Ethnien zu „erziehen“, die sich zunehmend mit rassenideologischen Vorstellungen verbanden. Anknüpfungspunkte dafür boten beispielsweise die von dem Göttinger Historiker Heinrich Moritz Gottlieb Gellmann bereits 1783 verfasste Monografie „Die Zigeuner“. Roma, beziehungsweise in diesem Kontext „Zigeuner“, galten darin als „primitiv“; sie stünden auf „der ersten Stufe der Menschwerdung“.125 Trotz der staatlichen Ausgrenzung hatten sich große Teile der Minderheit in die Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs integriert. Im Zuge der Industrialisierung fanden viele Roma Arbeit in den Fabriken. Das Militär etwa bot Aufstiegsmöglichkeiten; viele männliche Roma, die sich in erster Linie als deutsche Staatsbürger verstanden, kämpften als Soldaten im Ersten Weltkrieg. Im Hin123 Vgl. Bonillo, Mario: Sinti und Roma im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1918, in: Mengersen, Oliver v. (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015, S. 49–70, hier S. 49. 124 Vgl. ebd. 125 Zit. n. Berger, Claudia: Heinrich Moritz Gottlieb Grellmann – Überlegungen zur Entstehung und Funktion rassistischer Deutungsmuster im Diskurs der Aufklärung, in: Danckwortt, Barbara/Querg, Thorsten/Schöningh, Claudia (Hrsg.): Historische Rassismusforschung. Ideologen – Täter – Opfer, Hamburg 1995, S. 34–69, hier S. 58.

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blick auf das politische Handeln hält Mario Bonillo allerdings fest, dass das Deutsche Reich „keine Assimilations- sondern eine Ausgrenzungspolitik“126 betrieb. Die Politik des nationalsozialistischen Deutschland gegenüber Roma bedeutete zunächst die totale Ausgrenzung und schließlich die systematische Verfolgung und Vernichtung der Minderheit in den deutschen und vom Deutschen Reich besetzten Gebieten. Schätzungen zufolge wurden insgesamt 500.000 Roma ermordet; von den zuvor im Deutschen Reich und Österreich lebenden Roma wurden ca. sechzig bis 75 Prozent Opfer des Holocaust. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches und der Gründung der Bundesrepublik lebten geschätzt – belastbare statistische Daten stehen nicht zur Verfügung – 4.000 bis 5.000 Roma (und Sinti) in der Bundesrepublik,127 die den Holocaust überlebt hatten und nach Deutschland zurückgekehrt waren.128 Das Verhältnis des deutschen Staates und der Gesellschaft gegenüber Roma war in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit, von einzelnen Erfolgsgeschichten abgesehen, vor allem durch Nicht-Anerkennung auf staatlicher und Feindseligkeit auf gesellschaftlicher Ebene geprägt. Karola Fings etwa verweist auf die Bedeutung dieser Phase, die den Angehörigen der Minderheit bis heute „schweren Schaden“ zugefügt habe, indem „Lebensmöglichkeiten verbaut“ und „Grundrechte vorenth[a]lten“ worden seien.129 Einschneidend war insbesondere die Nicht-Anerkennung der Minderheit der Roma als Opfer des Holocaust: Roma wurde nach 1945 nicht zuerkannt, während des Nationalsozialismus aus rassischen Gründen als Angehörige der Ethnie verfolgt und Opfer des Holocaust geworden zu sein. Im Runderlass E19 wurde vom Finanzministerium für die Gebiete Baden-Württembergs festgelegt, dass „Zigeuner überwiegend nicht aus rassistischen Gründen, sondern wegen ihrer kriminellen und asozialen Haltung inhaftiert worden seien“130. Damit wurden die Wiedergutmachungsbehörden angewiesen, über Entschädigungsanträge von Roma nicht unmittelbar zu entscheiden, sondern diese an das Landesamt für Kriminalerkennungsdienst in Stuttgart 126 Bonillo: Sinti und Roma im Deutschen Kaiserreich, S. 65. 127 Auf dem Gebiet der DDR lebten dagegen nur einige hundert Roma. 128 Vgl. Margalit, Gilad: Die deutsche Zigeunerpolitik nach 1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 45 (1997), H. 4, S. 557–588, hier S. 557, URL: http://www.ifzmuenchen.de/heftarchiv/1997_4_3_margalis.pdf [eingesehen am 02.11.2016]. 129 Fings, Karola: Schuldabwehr durch Schuldumkehr, in: Mengersen, Oliver v. (Hrsg.): Sinti und Roma. Eine deutsche Minderheit zwischen Diskriminierung und Emanzipation, Bonn 2015, S. 145–164, hier S. 146. 130 Zit. n. Strauß, Daniel: „da muß man wahrhaft alle Humanität ausschalten …“ Zur Nachkriegsgeschichte der Sinti und Roma in Deutschland, URL: https://www.lpbbw.de/publikationen/sinti/sinti7.htm [eingesehen am 24.10.2016].

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weiterzuleiten, das wiederum mit dem Zentralamt für Kriminalidentifizierung und Polizeistatistik in München, der sogenannten Landfahrerzentrale, sowie mit der Landfahrerpolizeistelle in Karlsruhe die Ermittlungen durchführen sollte. Viele der verantwortlichen Polizeibeamten waren zuvor unter Heinrich Himmler im Reichssicherheitshauptamt tätig und damit zum Teil auch für Deportationen verantwortlich gewesen. Romani Rose verweist auf Beispiele Überlebender, die bei ihrem Versuch, Entschädigungszahlungen zu erhalten, erkennungsdienstlich behandelt worden und auch auf ehemalige SS-Männer getroffen seien. So das Beispiel Anna Eckstein in Karlsruhe 1951, die – statt Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten – von der Kriminalpolizei vorgeladen wurde, wo sie Leo Karsten gegenüberstand – einem ehemaligen SS-Mitglied, das nunmehr als Leiter der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ des Polizeipräsidiums in Berlin fungierte.131 Anstatt Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten, wurde Ecksteins Gesuch mit der Begründung abgelehnt, sie sei aus „Sicherheitsgründen“ nach Polen „evakuiert“ worden.132 Bei diesem Beispiel handelte es sich um keinen Einzelfall. Auch der Leiter des Düsseldorfer Kriminalamtes bezeichnete 1950 die Deportation von Roma als „staatspolitische, staatserhaltende Sicherheitsmaßnahmen“133. Nicht nur wurde die NS-Verfolgung in diesem Sinne relativiert, auch bedeutete die Praxis der polizeilichen Behörden und zuständigen Länder eine „Stigmatisierung der Opfer“134. Statt ihre eigene Schuld anzuerkennen, wiesen sie die Angehörigen der Minderheit als die Schuldigen aus und kriminalisierten sie dadurch. Ressentiments gegenüber Roma – die auch in der Nachkriegszeit zunächst kontinuierlich als „Zigeuner“ bezeichnet wurden –, die bis in die Frühe Neuzeit zurückreichten, wurden damit auch innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft tradiert und auf behördlicher Ebene reproduziert. Roma seien ein „fremdes Volk“, das nicht integrierbar sei; sie seien „Kriminelle“ und ihnen wurde eine spezifische „Ortlosigkeit“ zugeschrieben – all das wurde als „Wesen der Zigeuner“ und damit als anthropologische Konstante konstruiert.135 Die rechtlichmaterielle Festschreibung dessen stellte das Urteil des Bundesgerichtshofs von 1956 dar, in dem es um die Entschädigungszahlungen ging: „Zigeuner“ hätten sich „in einem weiten Maße einer Sesshaftmachung widersetzt“ und galten

131 Vgl. Rose, Romani: Bürgerrechte für Sinti und Roma – Das Buch zum Rassismus in Deutschland, Heidelberg 1987, S. 47 ff. 132 Zit. n. ebd. 133 Zit. n. Fings: Schuldabwehr durch Schuldumkehr, S. 149. 134 Ebd., S. 150. 135 Ebd.

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daher als „asozial“.136 Außerdem hieß es dort: „Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und zu Betrügereien. Es fehlen ihnen einfach die sittlichen Antriebe zur Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist.“137 Ein Wandel in diesem Bereich erfolgte nicht aus den Institutionen der Bundesrepublik heraus. Veränderungen wurden erst erreicht durch Bestrebungen von Betroffenen, die sich politisch als Bürgerrechtsbewegung organisiert hatten. Insbesondere ein Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau brachte der Bürgerrechtsbewegung viel Aufmerksamkeit ein. Darauf aufbauend erfolgte 1982 die Gründung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma um deren damaligen und heutigen Vorsitzenden Romani Rose, in dem 16 Mitgliedsverbände organisiert sind. Bis in die 1980er Jahre sahen sich Roma in diesem Sinne sozial und politisch weitestgehend ausgegrenzt – wobei insbesondere das Verhältnis von Roma gegenüber Justiz und Polizei bis in die Gegenwart nachhaltig beeinträchtigt ist. So berichtet ein Vertreter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, dass aufgrund historischer und sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzender Praxen großes Misstrauen gegenüber der Polizei bestehe.138

136 Zit. n. ebd., S. 151. 137 Ebd. 138 Vgl. Interview mit einem Vertreter des Kultur- und Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma.

2 Darstellung der Fallbeispiele

2.1 „S CHROTTIMMOBILIEN “, „H UREN -M ÄRSCHE “ UND „ARBEITERSTRICH “ – K ONFLIKTE IM „ANKUNFTSVIERTEL “ D ORTMUNDER N ORDSTADT Hinterm Bahnhof. Wer als Dortmunder nicht selbst aus der Nordstadt kommt, für den liegt der Stadtteil mit seinen knapp 60.000 Menschen meist schlichtweg „hinterm Bahnhof“ – eine Frage der Perspektive. Zwei Wörter, eine einfache Beschreibung, die im Wortsinn eine ganze Menge über den eigenen Standpunkt verrät, über die Wahrnehmung dieses von Teilen der Dortmunder Einwohner eher als lästiges Anhängsel betrachteten Viertels mit den offenbar so vielen Problemen: den Drogen, der Gewalt, den sozialen Benachteiligungen. Zumindest kartografisch muss man sich die Dortmunder Nordstadt in der Tat als einen durch die Bahnlinien von der Innenstadt getrennten Stadtteil vorstellen. Das darunter liegende Dortmunder Zentrum erscheint kreisrund. Der Stadtgarten im Süden, das Westen- und das Ostentor sowie der Hauptbahnhof im Norden markieren die äußeren Ränder dieses kompakten Gebildes, in dem Reinoldikirche, Alter Markt, Hansaplatz und insbesondere die breite Einkaufsmeile, der Westenhellweg, Gäste – hier vor allem: Kunden – locken. Von oben besehen ordnen sich die übrigen Stadtteile wie Satelliten um diese zentrale Struktur, die vom einstigen Stadtwall, dem heutigen „City-Ring“, umschlossen ist. Man verlässt also den Hauptbahnhof „nach hinten“ – nicht „nach vorne“ in Richtung Innenstadt – und hat sodann die Nordstadt vor sich, die sich mit ihren Quartieren Hafen, Nordmarkt und Borsigplatz in drei flächenmäßig ungleiche Stücke aufteilt.1 Die Kompaktheit fällt auf. Als ein „Muster einer gründerzeitlichen Arbei-

1

Zur frühen Geschichte des Stadtteils vgl. beispielsweise Horstmann, Theo: „Eine Stadt für sich“ – zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Dortmunder Nordens im

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tervorstadt mit hochverdichteten Wohngebieten, umgeben von großflächiger (Schwer-)Industrie und wenig Grün“2, beschreibt die Stadtverwaltung in einem Projektpapier die Nordstadt, in der zehn Prozent der Einwohner Dortmunds auf einer Fläche leben, die fünf Prozent der Gesamtgröße der Großstadt entspricht. Der Frankfurter Flughafen ist größer. Verstärkt durch den Niedergang von Kohle und Stahl sei die Nordstadt „zum Synonym für sozialen und städtebaulichen Erneuerungs- und Entwicklungsbedarf geworden“3, berichtet die Stadtverwaltung weiter. Wer einen Spaziergang unternimmt, entdeckt in der Fußgängerzone entlang der Münsterstraße viele Internetcafés, Handyläden, türkisch-italienisch-arabische Schnellrestaurants, Wettbüros und Schischa-Bars. Auf dem rechteckigen Nordmarkt, der 1909 als Marktplatz und „Ort zum Flanieren und Verweilen“4 angelegt wurde, findet dienstags und freitags ein Wochenmarkt statt, auf dem ein internationales Publikum ein internationales Angebot inspiziert. Buchstäblich: Man sieht und riecht und schmeckt an diesen Tagen die Nordstadt. Ein bunter, ein agiler, ein pulsierender, ein schwieriger Stadtteil, heißt es. Statistisch besehen „ein Stadtbezirk der Extremwerte“5, wie das Rathaus mitteilt. Gut 43 Prozent der Nordstadtbewohner besitzen keinen deutschen Pass – etwa dreimal so viele wie im Dortmunder Mittel. Der Anteil der unter 18-Jährigen ist in der Stadt nirgendwo größer als hier (20,1 Prozent), der Anteil der Menschen, die 65 Jahre und älter sind, ist in Dortmund nirgendwo geringer (11,8 Prozent). Kein anderer Stadtteil ist so dicht bebaut, kein anderer Stadtteil verfügt anteilig über mehr Gewerbe- und Industrieflächen und in keinem anderen Stadtteil ist der Anteil von Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern auch nur annähernd so gering. Die Arbeitslosenquote beträgt knapp 25 Prozent, die Quote der Empfänger von SGB-II-Leistungen 38 Prozent. Beide Werte sind damit mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der gesamten Stadt. In den Medien wird die Nord-

19. Jahrhundert, in: Stadt Dortmund (Hrsg.): Nordstadtbilder. Stadterneuerung und künstlerische Medien. Eine Projektdokumentation, Essen 1989, S. 56–68. 2

O. V.: Integriertes Handlungskonzept Dortmunder Nordstadt. Stabilisierung und Aufwertung städtischer Problemgebiete, Ziel 2 (2007–2013), Dortmund Mai 2010, S. 3, URL: http://www.soziale-stadt.nrw.de/stadtteile_projekte/downloads/DO_Nordstadt_ Integr_Handlungskonzept.pdf [eingesehen am 01.09.2016].

3

Stadt Dortmund: Statistikatlas 2015, Dortmunder Stadtteile, Dortmund 2015, S. 136, URL: https://www.dortmund.de/media/p/statistik_3/statistik/veroeffentlichungen/jahres berichte/Statistikatlas_2015.pdf [eingesehen am 05.09.2016].

4

Bausch, Hermann Josef: 100 Jahre Nordmarkt, Dortmund 2009.

5

Hier wie im Folgenden siehe Stadt Dortmund: Statistikatlas 2015, S. 136.

2 D ARSTELLUNG

DER

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stadt seit Langem als „Problemviertel“6 porträtiert, das über „No-go-areas“7 verfüge – Drogen, Kriminalität, Schmutz, Alkohol, Verwahrlosung und Erzählungen vom allgemeinen Verfall dominieren die journalistischen Schilderungen aus Dortmund-Nord. Ein Stadtteil der Abgehängten und der Ausgeschlossenen, der Gescheiterten und der Delinquenten? Diese Perspektive besteht – und erscheint überaus präsent. Ein Durchschnittsstadtteil einer deutschen Großstadt ist die Dortmunder Nordstadt jedenfalls nicht. Aber genau das macht sie als Betrachtungsort interessant: als „Ankunftsstadtteil“, als Labor, in dem Zusammenleben erprobt, gesellschaftliche Konfliktlagen vorweggenommen werden, früher verhandelt werden (müssen) als andernorts, wie es Migrationsforscher von den „Arrival Cities“8 annehmen und ihnen somit gleichsam eine ganze Reihe (integrativer) Funktionen zuschreiben. Ankunftsstadteile wirken demnach als „Durchlauferhitzer für eine Vielzahl der Migranten“9, indem die Neuzuwanderer mehrheitlich nicht langfristig im Stadtteil sesshaft werden, sondern nach einer Zeit des Ankommens in andere Stadtteile ziehen. Länger ansässige Migranten bildeten dieser Analyse zufolge die „Sockelbevölkerung“, die – noch über Bande in ihre Herkunftsländer verfügend – Neuzuwanderer unterstützte, sich kümmerte, sie vor allem auch ökonomisch über ihre Netzwerke in formellen sowie informellen Strukturen einband. Der Stadtsoziologe Sebastian Kurtenbach plädiert daher dafür, das integrative Potenzial, das diese segregierten Zonen bieten, zu nutzen. Die Dortmunder Nordstadt brauche demzufolge insbesondere „eine Akzeptanz als Ankunftsgebiet“10. Auch um diese Akzeptanz(en) untereinander und füreinander wird es im Folgenden gehen, wenn am Beispiel von Zuwanderung aus Südosteuropa in der Dortmunder Nordstadt, den dabei entstandenen Konflikten und ihren Verläufen, 6

So beispielsweise die „Spiegel TV“-Dokumentation vom 27.06.2008 „Leben im Brennpunkt“, die auf dem Fernsehsender VOX zu sehen war, URL: http://www. spiegel.de/sptv/tvthema/a-560711.html [eingesehen am 05.09.2016].

7

Haneke, Alexander: Dealen im Schichtdienst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.03.2016, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/staat-und-recht/no-go-area-dortmun der-nordstadt-dealen-im-schichtdienst-14119272.html [eingesehen am 05.09.2016].

8

Geprägt wurde dieser Begriff von Saunders, Doug: Arrival City, München 2011.

9

Kurtenbach, Sebastian: Ankunftsgebiete – Segregation als Potenzial nutzen, in: ElMafaalani, Aladin/Kurtenbach, Sebastian/Strohmeier, Klaus-Peter (Hrsg.): Auf die Adresse kommt es an. Segregierte Stadtteile als Problem- und Möglichkeitsräume begreifen, Weinheim 2015, S. 304–326, hier S. 309.

10 Kurtenbach, Sebastian: Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien – warum eigentlich in die Nordstadt?, in: Nordstadtblogger, 01.01.2015, URL: http://nordstadtblogger.de/ 21620 [eingesehen am 05.09.2016].

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Handeln und Verhalten der Akteure rekonstruiert werden, Sichtweisen auf „die anderen“ nachgegangen wird.11 Die Stadt Dortmund, wie auch das Ruhrgebiet insgesamt, verfügt über eine sehr ausgeprägte Migrationsgeschichte.12 Seit dem 19. Jahrhundert ist sie gewissermaßen eine Einwanderungsregion.13 Bereits in der Frühphase der Montanindustrie kamen spezialisierte Ausländer ins Ruhrgebiet. Im Zuge der massiven Industrialisierung nach 1871, die den Ballungsraum zwischen Unna und Moers überhaupt erst hat entstehen lassen, folgten insbesondere katholische „Ruhrpolen“14 aus Preußisch-Polen als dringend benötigte Arbeitskräfte, die später im Ersten Weltkrieg als „ausländische Wanderarbeiter“ zunehmend der Zwangsarbeit unterworfen wurden.15 Im Dortmunder Norden, nahe den Fabriken und Betrieben, entstanden großflächige Arbeitersiedlungen, in denen die Neuankömmlinge in der stark expandierenden Stadt Wohnraum fanden. Krieg, Flucht, Vertreibung und Umsiedlung prägten in der Folge die Region, doch behielt das Ruhrgebiet aufgrund seiner bedeutenden rüstungsrelevanten Schwerindustrien (wirtschafts-)politische Bedeutung. 11 Eben auch wegen des besonderen Charakters als „Ankunftsstadtteil“ wurde die Dortmunder Nordstadt analysiert. Auch andere Ruhrgebietskommunen wären hierfür denkbar gewesen, ein Vergleich gleichermaßen interessant wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht darstellbar. So traten etwa in Herne, Essen, Mülheim und Gelsenkirchen u. a. ebenfalls Konflikte um „Problemhäuser“ auf. Insbesondere die Konflikte in Duisburg sorgten für (überregionale) kontroverse Debatten. Über die dortigen Vorgänge und Vorfälle sind bereits Studien entstanden: Vgl. beispielsweise Leßau: Die Zuwanderung bulgarischer und rumänischer Roma sowie Matter: Nirgendwo erwünscht, S. 137–167. 12 Insgesamt und grundsätzlich liefert einen umfassenden Überblick über die Stadthistorie sowie über das bürgerliche Selbstverständnis Guckes, Jochen: Konstruktionen bürgerlicher Identität. Städtische Selbstbilder in Freiburg, Dresden und Dortmund 1900– 1960, Paderborn 2011, S. 305–526. 13 Vgl. Peters-Schildgen, Susanne: „Schmelztiegel“ Ruhrgebiet. Die Geschichte der Zuwanderung am Beispiel Herne bis 1945, Essen 1997. 14 Vgl. McCook, Brian: Polnische Arbeitswanderer im Ruhrgebiet („Ruhrpolen“) seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, in: Bade, Klaus J./Emmer, Pieter C./Lucassen, Leo/ Oltmer, Jochen (Hrsg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Paderborn 2010, S. 870–878. 15 Zur europäischen Migration aus historischer Perspektive vgl. grundlegend Bade, Klaus J.: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2000 sowie Oltmer, Jochen: Globale Migration. Geschichte und Gegenwart, München 2012.

2 D ARSTELLUNG

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Als die junge Bundesrepublik ihre Anwerbungsabkommen u. a. mit Italien (1955), Spanien und Griechenland (beide 1960), der Türkei (1961), Marokko (1963) und Jugoslawien (1968) abschloss und die „Gastarbeiter“ so zahlreich an die Werkbänke, Hochöfen und Gruben zwischen Rhein und Ruhr zogen, waren bereits die ersten Anzeichen des Niederganges von Kohle, Eisen und Stahl im „Pott“ zu beobachten gewesen, so auch in Dortmund.16 Ein Strukturwandel setzte ein, der bis heute andauert.17 Die letzte Zeche der Stadt schloss 1987. Die Halbleiterherstellung, die IT-Branche, die Universität und der Dienstleistungssektor stellten fortan die neuen Arbeitsplätze. Die großen Migrationsströme, die in Deutschland allgemein und im Ruhrgebiet insbesondere stets von Beschäftigungslagen in den Großindustrien ausgingen, waren vorüber.18 Geblieben sind jedoch die Menschen, die Familien gründeten oder aus dem Herkunftsland nachholten. Sie haben das politische, kulturelle und gesellschaftliche Zusammenleben der Stadt ausgemacht und verändert.19 Noch heute stammen die in Dortmund lebenden Ausländer ganz überwiegend aus den einstigen „Gastarbeiter“-Ländern. Mit ca. 23.000 Personen stellen die Türken die mit Abstand größte Gruppe; es folgen diejenigen mit polnischem (knapp 8.000), griechischem, italienischem und marokkanischem Pass (jeweils unter 5.000).20 Überdies stammen nennenswerte Gruppen von Dortmundern mit ausländischem Pass aus der Ukraine, Russland bzw. der Russischen Föderation, Bosnien-Herzegowina sowie aus Rumänien und Bulgarien (jeweils unter 4.000). In ihnen bilden sich insbesondere neuere und vergleichsweise kleine Flucht- und 16 Vgl. Kopp, Julia: Vom Herz der deutschen Industrialisierung zum Kulturartefakt. Das Zechensterben im Ruhrgebiet, in: Lorenz, Robert/Walter, Franz (Hrsg.): 1964 – das Jahr, mit dem „68“ begann, Bielefeld 2014, S. 275–286, hier S. 276 ff. 17 Vgl. Borstel, Dierk: Dortmund – eine Einführung in die Stadtgeschichte, in: ders./ Fischer, Ute (Hrsg): Stadtgeschichten – Soziales Dortmund im Spiegel von Biografien, Wiesbaden 2016, S. 7–20, hier S. 9 ff. 18 Vgl. Oltmer, Jochen (Hrsg.): Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert, Berlin 2016; Herbert, Ulrich: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2011. 19 Vgl. dazu beispielhaft Caesperlein, Gerold/Gliemann, Katrin: Drehscheibe Borsigplatz. Ein Einwanderungsstadtteil im Spiegel der Lebensgeschichten alteingesessener Bewohner, Dortmund 2003. 20 Die Zahlen sind entnommen der Stadt Dortmund: Jahresbericht Bevölkerung. Dortmunder Statistik 2014, Nr. 202, Dortmund 2014, S. 13, URL: https://www.dortmund.de/ media/p/statistik_3/statistik/veroeffentlichungen/jahresberichte/bevoelkerung_1/Num mer_202_-_Jahresbericht_Bevoelkerung_-_2014.pdf [eingesehen am 07.09.2016].

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Migrationsbewegungen ab, die vor allem aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion ab den Jahren 1989 ff. entstanden sind. Ankunftsviertel und „Problembezirk“ Wenn es im Folgenden also um Migration aus Südosteuropa nach Dortmund geht, blicken wir zunächst auf ein eher junges Zuwanderungsphänomen, das mit Blick auf die Statistiken zudem vergleichsweise überschaubar erscheint – gemessen daran, was die achtbevölkerungsreichste Stadt Deutschlands in der Vergangenheit an Zuzug erfahren und an Integrationsleistungen vollbracht hat. Auch im Vergleich bundesdeutscher Großstädte „sind weder die Zahl noch der Anteil der bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen in Dortmund außergewöhnlich. Beide Werte rangieren eher im unteren Bereich“21, wie die Dortmunder Stadtverwaltung 2015 in ihrem Sachstandsbericht zur Zuwanderung zusammenfasste. Darüber hinaus konstatierte sie jedoch eine „Konzentration auf die Innenstadt-Nord“22, in der rund sechzig Prozent der Menschen aus Bulgarien und Rumänien wohnen oder wohnhaft würden. Zudem verweist sie mit fast 14.000 „Wanderungsfälle[n]“23 binnen eines Jahres auf eine besonders dynamische Zu- und Abwanderung dieser Bevölkerungsgruppe; man habe es mit außergewöhnlich vielen amtlichen An- und Abmeldungen zu tun. Blickt man auf die reinen Zugangszahlen, wird das Tempo der Migrationsbewegung deutlich: Ende 2006, also vor dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union, lebten gerade einmal 573 Staatsbürger mit bulgarischem oder rumänischem Pass in Dortmund;24 Ende 2013 waren 6.580 Bulgaren und Rumänen in der Stadt gemeldet, im Oktober 2015 waren es etwa 8.00025 – und damit vierzehnmal so viele wie knapp neun Jahre zuvor. Und die meisten von ihnen zog es, wie gesagt, in die Dortmunder Nordstadt: in das Ankunftsviertel und den „Problembezirk“ rund um den Nordmarkt.

21 Stadt Dortmund: Sachstandsbericht Zuwanderung aus Südosteuropa 2015, 17.03.2015, S. 7. 22 Ebd. 23 Ebd., S. 8. 24 Vgl. ebd. 25 Vgl. o. V.: Zuwanderung aus Südosteuropa schwächt sich ab: Aktuell leben 8000 Bulgaren und Rumänen in Dortmund, in: Nordstadtblogger, 02.12.2015, URL: http:// nordstadtblogger.de/zuwanderung-aus-suedosteuropa-schwaecht-sich-ab-aktuellleben-8000-bulgaren-und-rumaenen-dortmund/ [eingesehen am 12.09.2016].

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Während andere deutsche Großstädte häufig erst ab 2010 eine bis dahin ungekannte Dimension des Zuzugs aus Südosteuropa thematisiert haben,26 finden sich in Dortmund bereits frühere Wortmeldungen, mit denen auf besondere Problemlagen im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa aufmerksam gemacht werden sollte. Aus den von uns in Dortmund geführten Interviews wissen wir, dass als Ausgangspunkt der Veränderungen zunächst im Bild des Stadtteiles oft die Jahre ab 2007 (das Jahr der EU-Vollmitgliedschaft mit zunächst eingeschränkter Freizügigkeit) sowie das Folgejahr genannt werden. In dieser Zeit habe sich etwas langsam verändert, hieß es in diesen Gesprächspassagen häufig. Im besonderen Umfeld des „Problemviertels“ Nordstadt knüpften die von den beteiligten Akteuren – beispielsweise der Stadtverwaltung, der Lokalpolitik oder der Anwohnerschaft – identifizierten und geschilderten Problemlagen jeweils an bestehende, latente oder sich neu anbahnende soziale Konfliktsituationen an, setzten sie (erneut) in Gang oder verstärkten sie. Insofern: Den einen zu benennenden Anfangspunkt, von dem aus sich der eine soziale Konflikt im Kontext von „EU-2-Zuwanderung“ erschließen ließe, existiert in der Westfalenmetropole nicht.27 Erstmals fündig geworden sind die Autoren in einem Zeitungsartikel vom Februar 2008, erschienen unter der Überschrift „Mehr Sicherheit in der Nordstadt“28, in dem von einer Bürgerversammlung auf Einladung der Bezirksvertretung Innenstadt Nord berichtet wird. Hundert Nordstadtbewohner hätten sich seinerzeit versammelt, um sich über das Stadtentwicklungskonzept „Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung“ zu informieren und auszutauschen. Im Bericht heißt es: „Alkoholikertreffpunkte auf der Heroldwiese, illegale Arbeitsvermittlung im Bereich der Schleswiger Straße, wild gelagerter Sperrmüll, Drogen und Prostitution sind drängende Probleme, mit denen die Bewohner der Nordstadt jeden Tag zu tun haben. […] Die illegale Arbeitsvermittlung von Rumänen und Bulgaren im Bereich der Schleswiger Straße bezeichnete er [Stadtrat Wilhelm Steitz von den Grünen, Anm. d. V.] als ‚Kehrseite der Globalisierung‘, gegen deren Probleme sehr schwer anzugehen sei.“29

Stadtrat Steitz habe überdies die Bewohner aufgefordert, „die Verursacher wild abgelagerten Mülls zu melden und auch bei der Erhebung von Freier-Such26 Vgl. Matter, Max: Nirgendwo erwünscht, S. 23. 27 Vgl. dazu sowie auch im Folgenden Schulz: „Zuzug aus Osteuropa stoppen!“. 28 O. V.: Mehr Sicherheit in der Nordstadt, in: Ruhr Nachrichten, 13.02.2008, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/Mehr-Sicherheit-in-der-Nordstadt; art930,183773/ [eingesehen am 13.09.2016]. 29 Ebd.

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Verkehr Autokennzeichen zu dokumentieren“30. Mit Blick auf Diskussionen in den übergeordneten Dortmunder Stadtgremien lässt sich dieser Anfang konkreter fassen. Die stadtpolitische Beschäftigung mit dem Thema Zuwanderung aus Südosteuropa setzte hier jedenfalls im Frühjahr 2009 ein – somit später als Anwohner, Sozialarbeiter, Journalisten und Lokalpolitiker uns mitteilten, diesbezüglich erstmalig Veränderungen in der Nordstadt wahrgenommen zu haben. Im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit der Stadt wurde im April 2009 unter TOP 7.2 „Sachstandsmitteilung Prostitution Ravensberger Straße“ erstmals in einem Gremium der Stadt über spezifische Problematiken der Neuzuwanderung diskutiert. Das Protokoll31 dieser Sitzung liest sich ex post als ein Dokument, in dem bereits zwei charakteristische Grundzüge für die sich entwickelnden Konfliktverläufe in der Dortmunder Nordstadt angelegt sind. Zum einen wird darin deutlich, dass die Aushandlung und die Bearbeitung von neueren Konflikten um Zuwanderung aus Südosteuropa im Kontext eines kürzlich vorangegangenen lokalen und durchaus emotional ausgetragenen Dortmunder Streitthemas ihren Ausgang nahmen: der Legalisierung des Straßenstriches mit „Verrichtungsboxen“ an der Ravensberger Straße im Jahr 2001. Diese Verknüpfung verleiht den anschließenden Debatten, Perspektiven und Handlungen nolens volens ihren Rahmen. Zum anderen befinden sich innerhalb des bestehenden Konfliktfeldes, das durch die neue Zuwanderungskomponente reaktiviert, aktualisiert und letztlich überschrieben wurde, bereits zahlreiche Elemente, die in der Folge für sich genommen konfliktär in der Dortmunder Nordstadt verhandelt werden sollten. Dazu zählen Hinweise auf Neuzuwanderer, welche die Bereiche Gesundheit, Bildung und Wohnen tangieren, sowie Verweise auf ein vermeintlich erhöhtes Kriminalitätsvorkommen im Zuge der Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien in die Nordstadt. Zusammengefasst: Die Betonung der Besonderheiten der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien – verglichen mit vorangegangenen Zuzugsbewegungen insbesondere in Bezug auf den Gesundheitszustand sowie den geringen Bildungsstand der Ankommenden –, der Hinweis auf kriminelle Strukturen bei gleichzeitig überlasteten städtischen Ordnungskräften, die Befürwortung ordnungspolitischer auf der einen und sozialpolitischer Maßnahmen auf der anderen 30 O. V.: Mehr Sicherheit in der Nordstadt, in: Ruhr Nachrichten, 13.02.2008, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/Mehr-Sicherheit-in-der-Nordstadt; art930,183773/ [eingesehen am 13.09.2016]. 31 Vgl. Stadt Dortmund: Niederschrift über die 30. Sitzung des Ausschusses für Soziales, Familie und Gesundheit am 28.04.2009, URL: https://dosys01.digistadtdo.de/dosys/ gremniedweb1.nsf/546ac4a11b468004c1256e1d0035a1eb/a737b07024275c74c12575c 3001898dc?OpenDocument&Highlight=0,Roma [eingesehen am 13.09.2016].

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Seite, die Kenntnisnahme einer zuspitzenden, ja skandalisierenden Medienberichterstattung sowie die Thematisierung einer „Sogwirkung“ für den als Vorzeigeprojekt geltenden legalen Straßenstrich in der Nordstadt waren bereits zu diesem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt der Konfliktverläufe vorgebracht worden und somit im öffentlichen Raum bekannt. Hier sei überdies auf einen Zeitungsbericht hingewiesen, der beispielhaft illustriert, ab welch frühem Zeitpunkt die einsetzende „Nordstadtdebatte“32 begleitet wurde von einer „RomaBerichterstattung“. Bereits im Sommer 2008 berichteten die Ruhrnachrichten unter dem Titel „Blutiger Streit unter Roma-Familien“33 über ein Verfahren am Dortmunder Schwurgericht. Drei rumänische Männer wurden angeklagt, einen anderen Mann in der Nordstadt (Schlosserstraße) niedergestochen zu haben. „Die Tat passierte um kurz nach drei Uhr“34, wusste die Zeitung zu berichten, fügte ohne Quellenangaben hinzu, dass rund 15 Personen aufeinander losgegangen seien und „selbst die Frauen […] Holzlatten getragen“ hätten. Wenige Stunden nach der mutmaßlichen Tat hatte die Polizei die Angeklagten in Bayern festgenommen. „Angeblich waren sie auf dem Weg nach Rumänien“, schreiben die Ruhrnachrichten und fragen: „Waren die Männer schon auf der Flucht?“ Raunend schließt der Artikel: „Wie es heißt, fehlt ihnen auf jeden Fall jegliches Verständnis dafür, dass sich der deutsche Staat mit der Bluttat aus der Nordstadt befasst. Angeblich haben die beiden Roma-Familien die Sache schon längst selbst geregelt – und zwar in Rumänien.“ Dieser Artikel ist freilich ein besonderes offenkundiges Beispiel dafür, auf welche Weise „Roma“ (Woher nimmt der Redakteur die Angaben zur ethnischen Zugehörigkeit von Angeklagten und weshalb ist das von öffentlichem Interesse?) Rückständigkeit und eine geradezu archaische Gewalttätigkeit, die ohne jede Kontextualisierung in Differenz zur Mehrheitsgesellschaft zur Schau gestellt wird, zugeschrieben wurde. Jedoch – und dies wird im Folgenden immer wieder deutlich werden – grundiert eine allein schon quantitativ hohe Anzahl von lokalen Medienbeiträgen, die antiziganistische Bilder (re-)produzieren, den örtlichen Diskurs und damit sowohl den Verlauf als auch die Bewältigung des 32 Dieser Begriff setzte sich spätestens ab Ende 2010 im öffentlichen Stadtdiskurs durch. Vorangegangen waren Berichte und Fotostrecken wie vergleichsweise o. V.: „Die schlimmsten Ecken der Nordstadt“, in: Ruhrnachrichten, 14.05.2009, URL: http://www. ruhrnachrichten.de/bilder/dortmund/cme21125,957565/ [eingesehen am 13.09.2016]. 33 Hartwich, Jörn: Schwurgericht: Blutiger Streit unter Roma-Familien, in: Ruhrnachrichten, 28.07.2008, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/SchwurgerichtBlutiger-Streit-unter-Roma-Familien;art930,318019/ [eingesehen am 13.09.2016]. 34 Hier wie im Folgenden ebd.

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Konfliktes.35 So wurde der Begriff des „bulgarischen Arbeiterstriches“36 ebenfalls bereits Mitte 2008 in der Nordstadtdebatte eingeführt.37 Im November 2008 berichteten die Ruhrnachrichten über vermehrte Kontrollen von Ordnungsamt und Polizei und schrieben: „Die Bilanz fällt durchwachsen aus: Während die Alkoholiker-Szene in Richtung Rolandwiese verdrängt wurde, erwiesen sich die Junkies sowie die Bulgaren und Rumänen (sorgen an der Mallinckrodtstraße für Ärger) als beratungsresistent.“38 Im Mai 2009 schaltete sich der Leiter des Integrationsfachdienstes der Caritas Dortmund, Christoph Gehrmann, mit dem Hinweis in die Debatte ein, dass sich im Zuge der EU-Erweiterung Rumänen und Bulgaren „ganz legal in der Nordstadt“39 aufhielten und diese Gruppe nicht homogen sei. Die Entwicklung in der Nordstadt sehe er kritisch, denn „[d]ieses neue Phänomen bedeutet ein großes Konfliktpotenzial für das Zusammenleben im“40; mit Blick auf die veränderte Aufgabenlage des Sozialverbandes im Stadtteil fügte er hinzu: „Hier stoßen wir mit den Ansätzen der Integrationsarbeit an Grenzen und können allenfalls zu einem friedlichen Miteinander in der Stadt beitragen.“ Gehrmanns Wortmeldung ist insofern von besonderem Interesse, als er – wie andere zuvor auch41 – wiederholt die Angst der Kinder vor Migranten argumentativ gegen die unhaltbar empfundene Situation im Viertel ins Feld führt.42 Und

35 Vgl. End: Gutachten Antiziganismus, S. 15. 36 Kolle, Gaby: Nordstadtkinder beschreiben die schlimmsten Ecken, in: Ruhrnachrichten, 14.05.2009, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nord stadt~/Angst-Atlas-Nordstadtkinder-beschreiben-die-schlimmsten-Ecken;art930,5613 93/ [eingesehen am 13.09.2016]. 37 Der Begriff „Arbeiterstrich“ findet sich bereits in einem Artikel des Spiegel in Bezug auf den Berliner Schwarzarbeitsmarkt; vgl. Der Spiegel, H. 52/2006. 38 O. V.: Nordstadt-Kontrollen schreckten nicht alle Täter ab, in: Ruhrnachrichten, 06.11.2008, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/lokales/dortmund/Nordstadt-Kontrol len-schreckten-nicht-alle-Taeter-ab/ [eingesehen am 13.09.2016]. 39 Kolle, Gaby: Arbeiter-Strich birgt Konfliktpotenzial, in: Ruhrnachrichten, 26.05.2009, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/DortmunderNordstadt-Arbeiter-Strich-birgt-Konfliktpotenzial;art930,571415 [eingesehen am 13.09.2016]. 40 Hier und im Folgenden zit. n. ebd. 41 Vgl. die Diskussion um den Kinder-Atlas. 42 „Nordstadtbewohner, vor allem Kinder, jedenfalls fühlen sich unwohl mit dem ‚Phänomen‘“, heißt es da bei Kolle, Gaby: Arbeiter-Strich birgt Konfliktpotenzial, in: Ruhrnachrichten, 26.05.2009, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/

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in der Tat zeigte sich dieser diskursive Strang als wirkmächtig genug, um kollektives zivilgesellschaftliches Handeln mitauszulösen.43 Ab Juli 2009 organisierte sich die Bürgerinitiative „Nordstadteltern“ – ein Zusammenschluss engagierter Eltern, Lehrer, Betreuer und Unterstützer der Schulen, Moscheen, Kindergärten und Jugendeinrichtungen der Nordstadt. Dieses zivilgesellschaftliche Bündnis führte in den folgenden Jahren mehrere öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. So versandte die Bürgerinitiative Postkarten an Dortmunder Lokalpolitiker, auf denen Prostituierte auf dem Straßenstrich an der Ravensberger Straße, Trinker am Nordmarkt und Heroinspritzen auf einem Kinderspielplatz abgebildet waren. „Möchten Sie, dass Ihre Kinder Prostitution als Alltagserfahrung erleben? Wir auch nicht!“, waren die Postkarten mit roter Schrift überschrieben.44 Zudem veranstaltete die Bürgerinitiative im Dezember 2009 sowie im Oktober 2010 „Sternmärsche“ durch Dortmund. An diesen Demonstrationen nahmen jeweils bis zu 2.500 Menschen teil.45 Die Sprecherin der Initiative, Kirsten Gilakis, war überaus medienpräsent, gab eine Vielzahl von Interviews, in denen sie Ziele und Motive der Initiative erläuterte, dabei zum Teil soziale Probleme im Umfeld der (damals noch) legalen Straßenprostitution mit einer nationalen Zugehörigkeit verband: „Heute kann man die Schleswiger Straße nicht mal mehr entlang gehen. Kinder schon gar nicht. Da stehen die ganzen Bulgarinnen und die Alkoho-

44147-Nordstadt~/Dortmunder-Nordstadt-Arbeiter-Strich-birgt-Konfliktpotenzial; art930,571415 [eingesehen am 13.09.2016]. 43 Dass gerade im Bereich von Bildung und Erziehung bürgerschaftlicher Protest – zumeist von weiblichen Führungspersonen getragen – aufgrund bereits vorhandener Netzwerke und individuellem Ressourcenreichtum relativ rasch umfassend mobilisierungsfähig werden kann, zeigen u. a. Studien des Göttinger Instituts für Demokratieforschung; vgl. dazu Walter, Franz/Marg, Stine/Geiges, Lars/Butzlaff, Felix (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. Was motiviert die Protestbewegungen?, Reinbek bei Hamburg 2013, hier insbesondere S. 139–160 sowie S. 315. 44 Vgl. Kolle, Gaby: Drastischer Hilferuf der Nordstadt-Eltern, in: Ruhrnachrichten, 05.07.2009, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt ~/Postkarten-vom-Strassenstrich-Drastischer-Hilferuf-der-Nordstadt-Eltern;art930, 605436/ [eingesehen am 13.09.2016]. 45 Vgl. Müller, Daniel: Eltern protestieren gegen Prostitution und Drogen, in: Ruhrnachrichten, 11.12.2009, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/ Eltern-protestieren-gegen-Prostitution-und-Drogen;art930,758419/ [eingesehen am 13.09.2016].

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liker.“46 Wenige Monate später sagte Gilakis: „Mittlerweile spritzen sich Süchtige das Rauschgift ja schon auf offener Straße. Und immer mehr bulgarische Prostituierte gehen auf dem Weg zum Anschaffen über die Kinderspielplätze, ohne Unterwäsche.“47 Man habe das Gefühl, von der Stadt im Stich gelassen zu werden. Auf die Wortmeldungen und Kundgebungen der „Nordstadteltern“ reagierten Stadtpolitiker. So begrüßte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Frank Hengstenberg, die Postkartenaktion und erneuerte die Forderung seiner Partei nach der Einsetzung einer „Stadtpolizei“ für die Nordstadt („Nicht reden, sondern handeln“).48 Auch die damalige Vorsitzende der Nordstadt-SPD, Marita Hetmeier, begrüßte die Initiative.49 „Weg mit dem Straßenstrich“ – eine Forderung, die nunmehr offen während des zweiten Sternenmarsches der Nordstadteltern postuliert wurde, erhielt vermehrt (auch politischen) Zulauf. An der Demonstration im Oktober 2010 beteiligten sich etwa 4.000 Menschen.50 Allein Zusammenschlüsse des linken Bewegungsspektrums wandten sich zu diesem Zeitpunkt gegen die Sternenmärsche der Nordstadteltern. In einer gemeinsamen Protestmitteilung von „Linke[n], autonome[n] und antifaschistische[n] Gruppen aus der Dortmunder Nordstadt“ heißt es: „Die Hetze, die die ‚Nordstadteltern‘ gegen ‚Bulgarinnen‘, ‚Prostituierte‘, ‚Junkies‘ und ‚Säufer‘ verbreiten, findet nicht nur zufällig gerade bei den Dortmunder Nazis Zustimmung.“51 Nicht einzelne Personengruppen, sondern deren gesellschaftliche Ausgrenzung und Verdrängung würden zur sozialen Prekarisierung, wie sie in der Nordstadt vorzufin46 O. V.: Schöne Grüße vom Straßenstrich, in: Westfälische Rundschau, 02.07.2009, zit. n. Sozialforum Dortmund, URL: http://agora.free.de/sofodo/themen/do-spez-1/ soz-entwicklung-do/schoene-gruesse-vom-strassenstrich/ [eingesehen am 14.02.2017]. 47 Zit n. Brandt, Klaus: Protestmarsch gegen Prostitution und Drogen, in: Der Westen, 06.12.2009, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/protestmarsch-gegenprostitution-und-drogen-id2223723.html [eingesehen am 13.09.2016]. 48 Vgl. CDU-Ratsfraktion: CDU zur Nordstadtsituation, 07.07.2009, URL: http://cdudofraktion.de/2009/07/07/cdu-zur-nordstadtsituation/ [eingesehen am 13.09.2016]. 49 Siehe Interview mit Marita Hetmeier; vgl. dazu auch die eher vermittelnde Position der Dortmunder Grünen: Nordstadt ist wichtig für die gesamte Stadt, 03.07.2009, URL: http://www.gruene-do.de/meldung_ansicht+M54f348f37eb.html [eingesehen am 13.09.2016]. 50 Vgl. o. V.: Sternmarsch der Nordstadteltern, in: Ruhrnachrichten, 19.01.2010. 51 Linke, autonome und antifaschistische Gruppen aus der Dortmunder Nordstadt: Warum es SCHEISSE ist, gegen Prostituierte, Drogenkranke, Arbeitslose und Trinker zu demonstrieren!, URL: http://agora.free.de/sofodo/themen/do-spez-1/kommunale-pol/nord stadteltern-protestmarsch-gegen-prostitution-und-drogen/ [eingesehen am 13.09.2016].

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den sei, führen. Auch die Dortmunder rechtsextreme Szene hatte das Thema längst für sich erkannt und versuchte, damit zu mobilisieren. So erschien als ein Beispiel unter vielen im Juni 2009 auf dem Blog der seit 2012 verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung Nationaler Widerstand Dortmund ein Text unter dem Titel „Zigeuner-Invasion auf die Dortmunder Nordstadt“. Darin heißt es: „Ganze Straßenzüge in der Dortmunder Nordstadt werden derzeit von einer regelrechten Invasion bulgarischer Zigeuner heimgesucht. Vor allem auf der Ravensberger Straße prostituieren sich die Eingereisten oder bieten sich als billige Arbeitskräfte an, welche auf der Schleswiger Straße anzutreffen sind, wo sie unter widrigsten Umständen hausen. Laut ‚Westfälischer Rundschau‘ wird beispielsweise ein verhältnismäßig kleines Gebäude als Meldeadresse für 56 bulgarische Zigeuner verwendet.“52

„Sicherheitskonferenz“, „Task Force“ und das „Aufräumen“ in der Nordstadt Konfliktchronologisch lässt sich zum Jahresende 2010 eine Zäsur erkennen, die sich weder an den vorgebrachten Inhalten, Positionen und Strategien noch an den konfliktbeteiligten Akteuren festmachen lässt – diese blieben weitestgehend konstant und vielschichtig –, sondern vielmehr an der Beschleunigung und dem Tempo, das die Debatte in der Folgezeit bis zur vermeintlichen Einhegung aufnahm. Ab Anfang 2011 steuerte die Berichterstattung fraglos auf ihren Höhepunkt zu. Und sie tat dies parallel zu einer einsetzenden ordnungspolitischen Offensive der Stadt, die zum einen gegen die als unhaltbar geltenden Zustände rund um den Straßenstrich vorging, sich der Illegalität am „Arbeiterstrich“ annahm und zum anderen „Ekelhäuser“, „Schrottimmobilien“ und „Problemhäuser“ in der Nordstadt von der Polizei räumen ließ, da diese „auch Rückzugsgebiet für Drogenhändler und -konsumenten“53 darstellen würden. So erfährt der Leser nicht nur von „[z]ugekotete[n] Duschen, Ratten, blanke[n] Elektrokabel[n] und versperrte[n] Fluchtwege[n]“, sondern auch, dass die Kontrolleure bei Haus-

52 Zit. n. Kosan, Ümit: Interkulturelle Kommunikation in der Nachbarschaft. Analyse der Kommunikation zwischen den Nachbarn mit türkischem und deutschem Hintergrund in der Dortmunder Nordstadt, Freiburg 2012, S. 86. 53 Bandermann, Peter: Stadt räumt Ekelhäuser in der Nordstadt, in: Ruhrnachrichten, 02.02.2011, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/ Muensterstrasse-Stadt-raeumt-Ekelhaeuser-in-der-Nordstadt;art930,1175098 gesehen am 22.07.2016].

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durchsuchungen in den sogenannten Schrottimmobilien auch „immer wieder aus dem Ausland stammende Bewohner, u. a. Roma“54, anträfen. In einer im Westen veröffentlichten Reportage heißt es beispielhaft: „Hier wohnen in rund 40 Altbauten Neubürger aus Bulgarien und Rumänien, die nicht willkommen sind. Bulgarische Banden verunsichern das Ruhrgebiet. Sie operieren aus verwahrlosten Häusern der Dortmunder Nordstadt und fallen der Polizei zunehmend durch Prostitution sowie Taschen- und Ladendiebstähle im ganzen Revier auf. […] Mit den Quartieren in der Dortmunder Nordstadt hätten sich bulgarische Familien feste Wohnsitze verschafft, was die Festnahme erschwere. Es gebe durchaus Hinweise auf organisierte Kriminalität.“55

Ende Januar/Anfang Februar 2011 ließ die Stadt zwei Häuser in der Nordstadt (eines davon das Haus Mallinckrodtstraße 54) aufgrund gesundheitsgefährdender hygienischer Zustände räumen. In beiden Häusern lebten vorwiegend Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien, hieß es. Für die Stadt markierten diese Räumungen den Startpunkt der Diskussionen um „Problemhäuser“ sowie von Diskursen um Müll und Verwahrlosung, die bis dahin deutlich weniger stark verhandelt worden waren. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) hatte angekündigt, dass man in der Nordstadt „aufräumen“56 wolle. Konkrete Maßnahmen der Behörden, die zusammen mit der Polizei auf regelmäßigen „Sicherheitskonferenzen“ besprochen und festgelegt würden, sollten folgen. Die polizeilichen und ordnungsamtlichen Maßnahmen waren ein Ergebnis der eingesetzten „Task Force Nordstadt“57. Zudem erhöhte man die Polizeipräsenz. Spätestens

54 Bandermann, Peter: Stadt räumt Ekelhäuser in der Nordstadt, in: Ruhrnachrichten, 02.02.2011, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/ Muensterstrasse-Stadt-raeumt-Ekelhaeuser-in-der-Nordstadt;art930,1175098

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gesehen am 22.07.2016]. 55 Seher, Dieter: Dortmunder Nordstadt wird Bandenquartier, in: Der Westen, 18.02.2011, URL: http://www.derwesten.de/politik/dortmunder-nordstadt-wird-bandenquartier-id430 1864.html [eingesehen am 13.09.2016]. 56 Zit. n. Beushausen, Gregor: Polizei räumt Haus in der Mallinckrodtstraße, in: WAZ, 25.01.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/nordstadt-dortmund-po lizei-raeumt-haus-in-der-mallinckrodtstrasse-id4208241.html?onepage=true [eingesehen am 31.10.2016]. 57 Eine Maßnahme, die sich bewährt habe, wie Stadt und Polizei drei Jahre später mitteilten; vgl. o. V.: Kampf gegen Straßenprostitution – 1500 Anzeigen, in: Ruhrnachrichten, 16.12.2014, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-

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hier zog die Stadtführung die Themen „Problemhäuser“, Schwarzarbeiterszene und Straßenstrich zusammen und versuchte ordnungspolitisch dagegenzuhalten – worüber wiederum die Lokalpresse ausgiebig berichtete und den Ton weiter verschärfte. Diese regulatorischen Offensiven gingen einher mit dem zeitgleichen Ausund Aufbau einer städtischen „Gesamtstrategie EU-Armutszuwanderung“.58 Mit dem „Dortmunder Netzwerk EU-Armutszuwanderung“ bildete sich 2011 eine umfassende Struktur lokaler Akteursgruppen, die das Ziel verfolgten, die lokale Ordnungs- und Sicherheitspolitik sowie die Integrations- und Sozialpolitik langfristig konzeptionell miteinander zu vereinen und auf den (bei der Gründung des Netzwerks noch zu identifizierenden) Bedarf auszurichten. Zu diesem Netzwerk gehörten u. a. Vertreter von örtlichen Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Organisationen sowie Vertreter der Stadt, der Polizei, der Arbeitsagentur, des Jobcenters, der Kliniken und der Staatsanwaltschaft – insgesamt eine Struktur, die für viele Städte und Kommunen als vorbildlich gelte.59 Zugleich setzte sich die Lokalberichterstattung entlang dieser Maßnahmen fort und beschrieb die Neuzuwanderer meist als unzivilisiert und nicht integrationsfähig. Die Ruhrnachrichten titelten „Hausbesitzerin verzweifelt an rumänischen Mietern“60 und berichteten von „Müll und Dreck“61, auch von „Kot und Urin“62 und prophezeiten, dass alles noch viel schlimmer würde („Warme Tage locken Roma nach Dortmund“63). Dass sich die Debatte zum Sommer hin indes beruhigte, sich die Vorgänge um „Roma“ in der Nordstadt vermeintlich weniger konfliktär (und damit wohl auch weniger berichtenswert) ausnahmen, schließlich in der Folge auch ihre Gestalt änderten – wie weiter unten darzustellen sein wird –, hing zusammen mit dem Ratsbeschluss der Stadt Dortmund, den legalen Nordstadt~/Task-Force-Nordstadt-Kampf-gegen-Strassenprositution-Ordnungsamtzieht-Bilanz;art930,2570033/ [eingesehen am 13.09.2016]. 58 Vgl. Stadt Dortmund: Sachstandsbericht Zuwanderung aus Südosteuropa 2015, 17.03.2015, S. 57 ff. 59 Vgl. Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund. 60 Kolle, Gaby: Hausbesitzerin verzweifelt an rumänischen Mietern, in: Ruhrnachrichten, 03.03.2011, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/ Gronaustrasse-Hausbesitzerin-verzweifelt-an-rumaenischen-Mietern;art930,1206594/ [eingesehen am 13.09.2016]. 61 Ebd. 62 Ebd. 63 Maug, Rolf/Kohlstadt, Michael: Warme Tage locken Roma nach Dortmund, in: Der Westen, 11.03.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/warme-tagelocken-roma-nach-dortmund-id4410065.html [eingesehen am 13.09.2016].

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Straßenstrich an der Ravensberger Straße Mitte Mai 2011 zu schließen. Denn eben hierdurch verschwand ein konkret erfahrbarer Ort der Auseinandersetzung(en), über den Wahrnehmungen und Einstellungslagen kumulierend zum Ausdruck gebracht worden waren, aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Das Postament, auf dem bestehende Zuwanderungskonfliktlagen besprochen werden konnten (und mussten), wurde abgebaut.64 Damit hatte die Debatte buchstäblich ihren öffentlich sichtbarsten Raum der Polarisierung verloren. Der Schließung vorangegangen waren neben zahlreichen Stellungnahmen von Stadtpolitikern – vor allem CDU- und SPD-Politiker unterstützten die Schließung des Striches65 – auch mehrere Kundgebungen für und wider die legale Anschaffungsmöglichkeit entlang der Ravensberger Straße. Im März 2011 versammelten sich rund siebzig Dortmunder Prostituierte zum „Marsch der Huren“.66 Sie trugen Transparente, auf denen Losungen zu lesen waren wie „Straßenprostituierte kämpfen um ihren Arbeitsplatz“67, „Wir sind nicht kriminell“ und „Wir haben Angst um unsere Sicherheit“; zudem skandierten sie „Deutschland“68 und „Arbeiten“, um auf die in ihren Augen stattfindende Diskriminierung

64 Eine Entscheidung, für die es, wie gezeigt, gute Gründe gab, die allerdings auch auf Kritik stieß. 65 Kritik formulierte der Dortmunder Kreisverband Die LINKE; vgl. Kowalewski, Utz: „Prostitution verschwindet nicht per Ratsbeschluss!“, 24.03.2011, URL: http://www. dielinke-dortmund.de/nc/presse/aktuell/detail/zurueck/aktuell-81/artikel/linkegedenkt-roma-und-sinti-kopie-1/ [eingesehen am 13.09.2016]. 66 Vgl. Berger, Dirk: So haben die Passanten auf den Huren-Marsch in Dortmund reagiert, in: Der Westen, 24.03.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/ so-haben-die-passanten-auf-den-huren-marsch-in-dortmund-reagiert-id4462477.html [eingesehen am 13.09.2016]. 67 Siehe Fotoserie bei Gerber, Steffen: Huren-Marsch in Dortmund, in: WAZ, 24.03.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/huren-marsch-in-dort mund-id4460777.html [eingesehen am 31.10.2016]. 68 Der Ausruf „Deutschland“ kann dabei zum einen als Ruf nach Gerechtigkeit verstanden werden, aber auch als Zeichen der Ablehnung gegenüber ausländischen Prostituierten gedeutet werden. Zu diesem Zeitpunkt hätten mehr als 700 Frauen, vor allem bulgarische Romni, ein Gewerbe als Prostituierte angemeldet; auf dem einst für maximal fünfzig Frauen ausgelegten Gelände hätten bis zu 120 Frauen gleichzeitig gearbeitet, heißt es bei Schäder, Katharina: Dortmund, der Straßenstrich und das RomaProblem, in: Welt Online, 01.09.2015, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/ article13564376/Dortmund-der-Strassenstrich-und-das-Roma-Problem.html [eingesehen am 13.09.2016].

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ihrer Berufsgruppe und die avisierte vermeintliche Einschränkung ihrer Tätigkeiten aufmerksam zu machen und dagegen zu protestieren. Auch gegen den „Marsch der Huren“ formierte sich Protest. Die damalige Ratsfrau und Vorsitzende der Nordstadt SPD, Marita Hetmeier, organisierte am selben Tag eine Gruppe von Blechbläsern, die unter dem Motto „Wir blasen auch ohne Gummi“ aufspielte.69 Hetmeier begründete ihren Gegenprotest: „‚Die Damen sollten den Mumm haben, mit offenem Visier zu demonstrieren.‘ Dann werde man erkennen, dass die Mitarbeiterinnen von Kober [einer Dortmunder Prostituiertenberatungsstelle, Anm. d. V.] in eigener Sache unterwegs seien.“70 Vehement hatte Hetmeier – eine Immobilienmaklerin aus der Nordstadt – in den Wochen zuvor für die Schließung des Straßenstriches geworben, wofür sie teils heftig kritisiert worden war.71 „Auf uns rollt eine enorme Kostenlawine zu“ und man habe „keine Instrumente“ Fassen wir an dieser Stelle zusammen: Der chronologische Abriss verdeutlicht, dass Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien nach Dortmund-Nord vor allem innerhalb der Themenfelder Problemhäuser, Prostitution, Straßenstrich und Kriminalität diskutiert worden ist. Dabei ließen sich drei Phasen beobachten: In den Jahren von 2007 bis Ende 2010/Anfang 2011 entstanden im Quartier Probleme und luden sich dort Konflikte auf, die dann in der ersten Jahreshälfte 2011 stark und polarisierend in die Medien und in den politischen Raum eingingen. Daran schloss sich eine weitere Phase an, die letztlich bis heute anhält. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Integrationsbemühungen von Politik und Verwaltung

69 Vgl. Laurin, Stefan: Dortmunder Nordstadt: „Frau Hetmeier schickt Bläser auf den Straßenstrich!!“, in: Ruhrbarone, 12.05.2011, URL: http://www.ruhrbarone.de/nordstadtfrau-dr-hetmeier-schickt-blaser-auf-den-strasenstrich/ [eingesehen am 13.09.2016]. 70 O. V.: Kritik an Demo der Prostitution in Dortmund, in: Der Westen, 22.03.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/kritik-an-demo-der-prostituierten-indortmund-id4452450.html [eingesehen am 13.09.2016]. 71 Zur Kritik an Hetmeiers Nordstadtpolitik vgl. u. a. Brandt, Klaus: Hiebe für Hetmeier von Grünen und CDU, in: Der Westen, 14.12.2009, URL: http://www.derwesten.de/ staedte/dortmund/hiebe-fuer-hetmeier-von-gruenen-und-cdu-id2263129.html [eingesehen am 13.09.2016] sowie Laurin, Stefan: Nach FAZ-Bericht: So bewirbt Maklerin Marita Hetmeier das „Getto-Nordstadt“, in: Ruhrbarone, 14.10.2013, URL: http://www. ruhrbarone.de/so-bewirbt-martita-hetmeier-das-getto-nordstadt/68790/ [eingesehen am 13.09.2016].

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im Vordergrund stehen, während ordnungspolitische Erwägungen in den Hintergrund getreten sind. Vor allem die Lokalmedien haben in dieser Phase einen erkennbaren Lernprozess durchlaufen. Eine Vielzahl projektbezogener Initiativen, ein breites Hilfeangebot und ein beachtliches Reservoir zivilgesellschaftlichen Engagements sind entstanden. Doch wurde auch diese, nunmehr recht lange ruhende, Konfliktphase mehrfach von Aufgeregtheiten durchbrochen: So stellte zum Beispiel die Diskussion um die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Januar 2014 eine regelrechte Eruption dar, die wie im Zeitraffer vorangegangene Topoi aufzurufen vermochte – hier vor allem durch das Bild einer aufziehenden verschärften Situation infolge bevorstehender Einwanderungswellen.72 Nicht zuletzt hieran wird noch einmal deutlich, wie schnell (vermeintlich) vergangene und temporär eingehegte Konfliktlagen öffentlich reaktiviert werden können. Aufseiten der Dortmunder Stadtverwaltung, so teilten uns u. a. Mitarbeiter des Sozialdezernats mit, habe insbesondere in der Frühphase der Konflikte, aber letztlich auch bis heute, das Gefühl vorgeherrscht, mit den Schwierigkeiten, den sozialen Spannungen und der Aufgabe, eine geeignete Integrationsarbeit zu entwickeln, alleingelassen worden zu sein. Die Sozialdezernentin Birgit Zoerner kritisierte früh die Europäische Union und ihre Erweiterungspraxis, sah die Kommunen – vor allem ihre eigene – angesichts der Herausforderungen heillos überfordert. Nachdrücklich forderte sie Hilfen aus Brüssel, vom Bund und vom Land. Die Kommunen seien nicht am EU-Erweiterungsprozess beteiligt worden, würden aber die Folgen als erste spüren, hieß es. Auf Zoerners Vorschlag hin konstituierte sich im August 2012 eine AG Zuwanderung aus Südosteuropa im Deutschen Städtetag. Neben Dortmund gehören dieser Gruppe auch Vertreter der Städte München, Berlin, Hamburg, Köln, Duisburg, Hannover, Mannheim und Offenbach an, die ebenfalls auffällig hohe Zuwanderungszahlen aus Bulgarien und Rumänien verzeichnet haben. Die Mitglieder berichteten übereinstimmend, „dass Vorstöße, die europäische Strategie mit der in den Kommunen stattfindenden Realität zu verknüpfen, von der Bundes-, aber auch von der EU-Ebene zurückgewiesen werden“73. 72 Vgl. Hauser, Jan: Dortmund rechnet mit Millionenkosten für Roma, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.02.2013, URL: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschafts politik/armutseinwanderung-dortmund-rechnet-mit-millionenkosten-fuer-roma-12088 153.html [eingesehen am 13.09.2016]. 73 Stadt Dortmund: Handlungsrahmen Zuwanderung aus Südosteuropa erarbeitet im Rahmen des KOMM-IN-Projektes „Interkommunale Kooperation zur Entwicklung eines Handlungsrahmens ‚Zuwanderung aus Südosteuropa‘: Informationsdefizite klären – Wissen transferieren – Integriert planen“, 31.01.2013, S. 57, URL: https://

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Anfang 2016 erneuerte der Deutsche Städtetag die Kritik. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg warnte vor einem sozialen Verfall der Kommunen infolge steigender Kosten für die Sozialsysteme durch Zuwanderung aus Südosteuropa und sagte: „Auf uns rollt eine enorme Kostenlawine zu.“74 Der Wirtschaftsunion, die man prinzipiell gutheiße, müsse eben auch eine Sozialunion folgen, hieß es im Dortmunder Sozialdezernat. Kritisch sah man dort auch die Aktivitäten des Bundes, auf die Kommunen und Gemeinden zuzugehen, ihnen Hilfe zukommen zu lassen. Aus der Perspektive der Dortmunder Verwaltung nahm man die eigene Stadt als überaus aktiv wahr, als konzeptionell arbeitend; sie verfüge – auch aufgrund vergleichsweise früher Konflikte durch Zuwanderung, um die sie sich zu kümmern hatte – über eine gewisse Vorerfahrung, sei vor allem dem Bund und der EU an in der Praxis gesammeltem Wissen weit voraus. Beispielhaft wurde von einem Papier der Kommunen mit konkreten Vorschlägen berichtet, das von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe verabschiedet wurde und auch auf der Arbeits- und Sozialministerkonferenz Zustimmung fand, woraufhin ein Staatssekretärsausschuss eingerichtet wurde. Dazu sagte eine Mitarbeiterin des Sozialdezernats: „Und der hat im letzten Jahr [2014, Anm. d. V.], haben Sie wahrscheinlich mitbekommen, den Staatssekretärsbericht rausgebracht mit diesen ganzen vielen Dingen, die alle schon kannten. Also nichts Neues. Und das ist natürlich dann enttäuschend. Sie erarbeiten Lösungen, was kommt ist eine Auflistung aller vorhandenen Förderprogramme, die alle schon kennen, die schon lange im Umlauf sind.“75

So wähnte sich die Verwaltung in der Rolle derjenigen, die über Expertise, Ideen und Lösungsvorschläge verfügte, sie umzusetzen allerdings strukturell nicht in der Lage sei. Die Haushaltslagen sind in den meisten Kommunen NordrheinWestfalens ohnehin schon schlecht. Die meisten Zielkommunen der Zuwanderer – allerdings nicht die Stadt Dortmund – befinden sich bereits in der Haushaltssicherung, können folglich keine freiwilligen Leistungen erbringen.

dosys01.digistadtdo.de/dosys/gremrech.nsf/c4c77f9eab073efdc12574ac0066b9fa/ 46b0a336db65a70fc1257b8700375b55/$FILE/Anlagen_09889-13.pdf [eingesehen am 13.09.2016]. 74 Zit. n. Siems, Dorothea: Städte fürchten Sozial-Kollaps wegen EU-Ausländern, in: Die Welt, 25.01.2016, URL: https://www.welt.de/wirtschaft/article151408542/Staedtefuerchten-Sozial-Kollaps-wegen-EU-Auslaendern.html [eingesehen am 13.09.2016]. 75 Interview mit einem Mitarbeiter des Sozialdezernats Dortmund.

68 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS S ÜDOSTEUROPA „Die[se Städte, Anm. d. V.] können also keine großen Sprünge machen. Wir haben hier diese gesundheitliche Versorgung auf die Beine gestellt. Das kostet richtig Geld. Das ist richtig viel Geld, was wir da jedes Jahr reinstecken. Es ist Personal, was wir reinstecken. Im Bereich der Jugendhilfe sind Millionen, wir haben jährlich Ausgaben von 8 Millionen Euro nur für diese Zielgruppe an Kosten, die wir erfassen können. Dazu kommen natürlich noch Kosten, die wir gar nicht erfassen können, und wir haben aus der Soforthilfe des Bundes – nur um das mal gegeneinander zu stellen – einmalig knapp eine Million bekommen. Also, sollen wir jetzt sagen: ‚Toll‘?“76

Zu der Ansicht, (vor allem finanziell) keine adäquate Unterstützung seitens der für potent erachteten übergeordneten Strukturen zu erfahren, kam aus Sicht der Dortmunder Verwaltung hinzu, dass selbst unter den „betroffenen Kommunen“ – und als eine solche sah man sich – anfänglich wenig Solidarität geherrscht habe. Man habe gewusst, dass andere Städte vergleichbare Problemlagen in ihren Stadtteilen wahrgenommen hätten; insbesondere das Phänomen der „Problemhäuser“ sei in den Städten des Ruhrgebietes früh bekannt gewesen. Dortmund habe „damals Verbündete gesucht“77, zu diesem frühen Zeitpunkt aber lediglich einen einzigen Kooperationspartner gefunden: die Stadt Duisburg, mit der man einen interkommunalen Austausch in Gang gesetzt habe. Erklärt wird diese anfänglich stark ausgeprägte Zurückhaltung, die bei den Städten etwa im Jahr 2010 vorgeherrscht habe, damit, dass es sich um „ein eher unangenehmes Thema“78 handele, womit ein diffuses Unbehagen verdeutlicht wird, das städtische Verwaltungsmitarbeiter und -leitung gegenüber der Zuwanderung aus Südosteuropa in ihre Kommunen verspürten. Die Sorge, etwas falsch machen zu können, sowie die (letztlich begründete) Vorahnung, auf meinungsstarke konfliktäre Positionen zu treffen, prägte und verhinderte gemeinsame Wortmeldungen sowie den früheren Aufbau netzwerkartiger Strukturen im Verbund. „Ich konnte es auch zum Teil verstehen. Weil die gesagt haben, wenn wir so blöd sind, uns mit euch jetzt in die erste Reihe zu stellen, dann sind wir genauso in den Medien wie ihr und das wollen wir nicht. Wir kriegen es schon irgendwie geregelt. Und damals sind alle noch davon ausgegangen, wir kriegen es geregelt. Und dass es nicht funktioniert hat, hat sich dann vielleicht zwei, drei Jahre später erwiesen […]. Die meisten haben erstmal einen Vogel gezeigt und gesagt: ‚Nee, wir versuchen es erstmal alleine, sonst stehen wir

76 Interview mit einem Mitarbeiter des Sozialdezernats Dortmund. 77 Ebd. 78 Interview mit einem Mitarbeiter des Kommunalen Integrationszentrums Duisburg.

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genauso in der Schusslinie wie ihr.‘ Keiner wollte sich so recht den Hut aufsetzen. Das ist ein großes Thema, ein ganz großes Thema. […]“79

Davon ausgehend sei den Verwaltungsspitzen zu Beginn der Beschäftigung mit dem Thema Zuzug aus Bulgarien und Rumänien klar gewesen, dass „alles, was uns nicht gelingt, uns quasi vor die Füße fällt“80. Kritik am Umgang der Stadtverwaltung mit den Entwicklungen in der Nordstadt setzte genau hier an: Zu zögerlich, zu abwartend und letztlich viel zu spät habe diese auf die entstehenden Entwicklungen in der Nordstadt reagiert. Man habe den vermehrten Zuzug im Wortsinn täglich am Nordmarkt ankommen sehen und dennoch weggeschaut, sich nicht verantwortlich gefühlt und gedacht, die Probleme im Viertel würden sich von allein lösen. Dadurch seien Konflikte überhaupt erst richtig entfacht worden. Positionen wie diese vertraten Teile der Anwohnerschaft, der Lokalpolitik sowie einige der von uns befragten Dortmunder Journalisten – freilich in unterschiedlichen Akzentuierungen. Indes: Für die Stadtverwaltung stellte sich die Lage nach eigener Einschätzung als exzeptionell dar. Man habe bisher auch „rückblickend keine vergleichbare Situation“81 erlebt. Die Nachfrage nach Sozialberatung und Hilfen sei so groß, „dass die dort tätigen Menschen und Strukturen am Limit sind“82. Angeführt wurden sodann häufig Beispiele aus den Bereichen Bildung, Wohnen und Gesundheit, in denen im Falle der Neuzuwanderer aus Rumänien und Bulgarien jeweils gleichermaßen extreme Defizite vorhanden gewesen seien. Zudem sei ab einem gewissen Zeitpunkt „auch eine Quantität erreicht, die kaum noch handelbar war“83. Man habe schlichtweg über keinerlei Instrumente verfügt. Die Menschen seien aufgrund ihrer gravierenden Bedürfnislagen „unter dem Radar“84 der bis dahin bestehenden städtischen Strukturen gelaufen. Kurzum: Dass man es mit einer bisher ungekannten Ausnahmesituation zu tun gehabt habe, ist ein besonders häufig betontes Narrativ in den von uns geführten Gesprächen wie auch in den Verlautbarungen der Stadt Dortmund. Die Lage wurde als beispiellos charakterisiert, als eine Art Ausnahmezustand. Angesichts der Zuwanderung aus Südosteuropa in den Jahren 2010 ff. machte die Stadt deutlich:

79 Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund. 80 Interview mit einem Mitarbeiter des Kommunalen Integrationszentrums Duisburg. 81 Stadt Dortmund: Handlungsrahmen Zuwanderung aus Südosteuropa, S. 6. 82 Ebd. 83 Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund. 84 Ebd.

70 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS S ÜDOSTEUROPA „Die Akteurinnen und Akteure der öffentlichen wie auch der freien Träger – allesamt Integrationsprofis mitten im Ruhrgebiet, das seit rund 150 Jahren Ziel von Zuwandernden ist – kennen rückblickend keine vergleichbare Situation. […] Eine derartige Armutszuwanderung mit vergleichbaren schwierigen Begleitbedingungen in den Zielstädten hat es bisher nicht gegeben.“85

Neben dem Verweis auf die Ausnahmesituation und den Rekurs auf das Bild des integrationserfahrenen Ruhrgebiets fällt auf, dass die Stadt den Begriff der Armutszuwanderung verwendete, ihn bereits früh im Konfliktverlauf aufgenommen und geprägt hatte. Er findet sich ebenso in offiziellen Stellungnahmen der Behörden wie auch in Interviews als feststehender Begriff, der von einem ganzen Set von Gedankenverknüpfungen unterlegt und durch Wiederholungen aufgebaut und erweitert worden ist. Erklärtes Ziel der Dortmunder Verwaltungsspitze war, mit dem Gebrauch des Begriffes insbesondere die europäische Dimension des Konfliktes, der in der Nordstadt seinen Ausdruck finde, zu unterstreichen. „Diese Armutskriterien, diese Armutsmerkmale mit nach Dortmund gebracht haben, das heißt, es war eine Problemkonstellation aus Merkmalen, die aus Armut resultieren. Und daran haben wir dann auch den Begriff Armutszuwanderung festgemacht. Es ging nicht darum zu sagen: ‚Oh Gott, jetzt kommen die armen Menschen, Leute zieht die Köpfe ein.‘ Sondern wir haben gesagt, da wird Armut quasi aus diesen EU-Staaten transferiert in die Alt-EU-Staaten und ist ein Problem der EU. Das ist ein Problem der EU-Mitgliedsstaaten. […] Das war eigentlich unsere Herangehensweise, weil wir sehr schnell gemerkt haben, wir können damit nicht umgehen. Und das war so die Feststellung auch im Netzwerk, im Netzwerk waren im Übrigen [die] Stadt Dortmund und freie Träger, das waren zu Beginn 5,6,7 Akteure. Inzwischen sind wir über 50 Aktive in diesem Netzwerk.“86

Sich selbst präsentierte man als „lernendes System“, das zwar dem Zuwanderungsschub zunächst mit den bislang entwickelnden Konzepten der eigenen Sichtweise zufolge hilflos gegenübergestanden, dann jedoch rasch gelernt habe, zu reagieren, Bedarfe zu erkennen und sowohl seine Strukturen als auch sein Handeln anzupassen. Als strategische Antwort („Es gab ja keine Blaupause.“) setzte man zunächst stark auf Sicherheit und Ordnung, was sich im Verlauf der Auseinandersetzung jedoch wandelte. Kommunikation, Integration und Partizipation gewannen ab 2011 zunehmend an Bedeutung. Der Weg hin zu einer städtischen Positionierung wird von den Verantwortungsträgern als sachlich be85 Stadt Dortmund: Handlungsrahmen Zuwanderung aus Südosteuropa, S. 6. 86 Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund.

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schrieben, analytisch, die Debatte sei nur teilweise kontrovers, stets aber rational geführt worden. Dabei liege es „in der Natur der Sache“87, dass die Hilfeseite anders als die Ordnungsseite auf bestehende Konfliktfelder schaue. Hier habe man erst die Balance finden müssen, aufgrund der „ziemlichen Präsenz der Parallelstrukturen“ insbesondere ordnungspolitisch agieren müssen. Die „mit sehr viel Geld hinterlegten“ kriminellen Strukturen steuerten die Menschen, seien intelligent, würden schnell lernen, sich sehr schnell anpassen. So wisse man von muttersprachlichen Schleppern, die Zuwanderungswillige mit falschen Versprechungen beispielsweise auf eine Arbeitsstelle oder eine Wohnung in die Nordstadt lockten, von illegalen Matratzenvermietungen in „Problemhäusern“, von Zwang und Gewalt, um Schulden einzutreiben, von selbsternannten „Kümmerern“ im Viertel, die den Neuankömmlingen „Dienstleistungen“ wie das Ausfüllen von Anträgen gegen horrendes Entgelt anböten. Vielfach miteinander verwobene, sehr bewegliche und schwer zu durchschauende Ausbeutungsstrukturen hätten sich um die Neuzuwanderer gelegt, sie oft genug eingefangen.88 „Warum ist das passiert? Weil wir nicht schnell genug reagieren konnten. Diese Strukturen hatten Zeit, sich auszubreiten, und wir mit unseren professionellen Strukturen hinkten hinterher. Inzwischen werden unsere Strukturen – und das macht und sehr stolz – bedroht von den Parallelstrukturen und wir sind damit eine Konkurrenz. Also wir haben es geschafft. Wir haben es geschafft, an die Menschen nennenswert heranzukommen. […] Also die Zuwanderer haben das schon vorher erzählt, dass sie eben angesprochen werden von wegen: ‚Geht nicht dahin‘ und: ‚Wir wissen, wo ihr wohnt‘ und: ‚Wir machen kaputt‘ und: ‚Wir machen Euch das Leben schwer‘ und so. Und inzwischen ist es eben so, dass eben auch Sozialarbeiter angesprochen werden von wegen: ‚Lasst Ihr mal hier Eure Finger hier von den Leuten. Das machen, das übernehmen wir.‘ Die werden schon bedroht, auch schon täglich, täglich bedroht, also nicht, dass die da zusammengeschlagen werden, aber es ist schon so, dass man weiß, was man da befürchten könnte. […] Wir wissen viel, aber wir können kaum etwas dagegen tun, weil da die Ordnungsseite aus unserer Sicht nicht flexibel genug mitmacht.“89

Ab Anfang 2011 positionierte sich der Leiter der Stadtverwaltung, Oberbürgermeister Ullrich Sierau, als Mann der Tat, der die Missstände erkannt habe, sie beseitigen und durchgreifen wolle. Sierau forderte ein Nachdenken über die 87 Ebd. 88 Vgl. beispielsweise Keller, Gabriela: Stehcafé Europa, in: die tageszeitung, 26.11.2013, URL: http://www.taz.de/!5054150/ [eingesehen am 13.09.2016]. 89 Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund.

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Nordstadt „ohne Tabus“90; mit einem „eisernen Besen“91 wolle die Stadt in der Nordstadt kehren. Unterstützt wurde er dabei u. a. von der Nordstadt-SPD, die ein konsequentes Vorgehen begrüßte. Die Wortwahl des „eisernen Besens“ ist in zweifacher Weise missraten: Zum einen war der Eiserne Besen eine antisemitische Zeitschrift in Österreich, die von 1921 bis 1932 erschien;92 und zum anderen kursiert eine antiziganistische Projektion, demnach die Zurschaustellung eines Besens „Zigeuner“ abschrecke.93 Bewusst oder unbewusst knüpft der „eiserne Besen“ daran an. Zugleich betonte die Stadt, dass sämtliche Handlungen im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa auf einem „Dortmunder Konsens“ beruhten, der sich entwickelt habe. Dieser beinhalte ein konsequentes Abschalten von Missständen in der Nordstadt sowie die Zusicherung von Unterstützung derjenigen Menschen, die auf Dauer in Dortmund bleiben wollten, damit sie nachhaltige Perspektiven aufbauen könnten.94 Selbstverständlich gelte das auch für Rumänen und Bulgaren. Das Rathaus verwies u. a. darauf, dass das kommunale Wohnungsunternehmen Dogewo21 sieben „Problemhäuser“ in der Nordstadt gekauft, saniert und wieder vermietet habe. Auf diese Weise seien 65 neue Wohnungen entstanden – in den Augen der Stadtverwaltung Vorzeigeprojekte, wenngleich sie nur punktuell zu bewerkstelligen seien. Zudem richtete die Stadt Dortmund zum Wintersemester 2013/14 gemeinsam mit der Dortmunder Fachhochschule einen dualen Studiengang „Soziale Arbeit“ mit dem Schwerpunkt „Migration/Armutsmigration“ ein – mit dem Ziel, „sich den eigenen Nachwuchs heran90 Volmerich/Ostrop: Oberbürgermeister im RN-Interview: Nachdenken über die Nordstadt – ohne Tabus, in: Ruhrnachrichten, 24.02.2011, URL: http://www.ruhrnach richten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/Oberbuergermeister-im-RN-InterviewSierau-Nachdenken-ueber-die-Nordstadt-ohne-Tabus;art930,1200015 [eingesehen am 15.09.2016]. 91 Bandermann, Peter: Stadt räumt Ekelhäuser in der Nordstadt, in: Ruhrnachrichten, 02.02.2011, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44147-Nordstadt~/ Muensterstrasse-Stadt-raeumt-Ekelhaeuser-in-der-Nordstadt;art930,1175098

[eingese-

hen am 13.09.2016]; vgl. auch Schulz, Christoph: „Eiserner Besen“. Instrumentalisierungen im Dortmunder Mediendiskurs, in: Quicker, Esther/Killguss, Hans-Peter (Hrsg.): Sinti und Roma zwischen Ausgrenzung und Selbstbehauptung. Stimmen und Hintergründe zur aktuellen Debatte, Köln 2013, S. 91–97, hier S. 93. 92 Vgl. Schäfer, Julia: Vermessen, gezeichnet, verlacht. Judenbilder in populären Zeitschriften 1918–1933, Frankfurt a. M. 2005, S. 45 ff. 93 Vgl. Wippermann, Wolfgang: Rassenwahn und Teufelsglaube, Berlin 2005, S. 7 ff. sowie ders.: „Wie die Zigeuner“, S. 216. 94 Vgl. Interview mit einer Mitarbeiterin des Sozialdezernats Dortmund.

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zuzüchten“, wie es im Sozialdezernat hieß. In durchaus kontrovers geführten Diskussionen habe sich in der Stadt eine Art Selbstverständnis herausgebildet, was den Integrationsumfang und die spezifische Bereitstellung von Hilfe und Unterstützung angehe. „Weil, in der Tat natürlich der Träger X eine andere Vorstellung von Teilhabe als der Träger Y [hat]. Und ein Beispiel ist die Frage der Integration in die Sozialsysteme. Das war eine Diskussion, die hochinteressant war, weil die einen gesagt haben, solange die Menschen nicht in Sozialleistungssystemen integriert sind, haben sie keine Existenzsicherung und wir können mit ihnen nichts machen. […] Dem würde ich immer zustimmen. Die Frage, wer soll das bezahlen […], wer stemmt das alles? Dann auch wieder eine Frage der Quantität; konnte natürlich keiner beantworten. Und an solchen Fragen entstanden lange Diskussionsprozesse. […] Dass Sozialleistungen reichen – so denken wir nämlich nicht. […] Müssen [wir, Anm. d. V.] nicht auch da ansetzen und fragen: Wie kriegen wir deren Integration in ein Erwerbseinkommen, also in eine Erwerbstätigkeit mit einem entsprechenden Einkommen hin? Muss es nicht Wege geben, das hinzubekommen? Was auf de[m] Weg dahin passiert, ist eine andere Frage. Aber muss das nicht unser Ziel sein, statt zu sagen: Wenn die alle in der Sozialhilfe sind, ist das alles geregelt? Das waren Diskussionsprozesse, die wichtig waren, und am Ende dieser Diskussionsprozesse stand, dass wir gesagt haben: Wir brauchen einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Und den können wir ausbauen. Wir brauchen irgendetwas, worauf wir uns verlassen können. Und das war eben die Position: Wir unterstützen alle, die bleiben wollen.“95

Nicht festgehalten wird im „Dortmunder Konsens“ indes, auf welche Weise gemessen werden soll, inwiefern und wie stark der Bleibewunsch bei den Neuzuwanderern tatsächlich ausgeprägt ist. Der Stadtverwaltung ist überdies bewusst, dass sie mit dieser Grundhaltung unter Umständen Signale in die Herkunftsregionen aussendet, die weiteren Zuzug bedeuten könnten. Auch könnten sozial benachteiligte Gruppen, die schon seit Längerem in Dortmund ansässig und auf Unterstützung angewiesen sind, in den neu hinzukommenden Hilfebedürftigen Konkurrenten sehen. Das weiß und problematisiert die Stadtverwaltung und bekundet dementsprechend auch: „Das ist so das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen.“96 Teil des Konsenses ist zudem, eine romaspezifische Integrationsarbeit abzulehnen. Bei der Umsetzung von Projekten und Initiativen gehe es allein darum, konkreten Armutsmerkmalen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Wohnen entgegenzuwirken. Nicht exklusive, sondern inklusive Projektarbeit fördere die Stadt im Verbund mit den gegründeten Netzwerken. Spezifische Be95 Ebd. 96 Ebd.

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darfe, die sich aus einer ethnischen Zugehörigkeit ergäben, sollten nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie sich auf die jeweiligen Teilhabechancen auswirkten – im Fall der Neuzuwanderer aus Südosteuropa falle darunter insbesondere die Antidiskriminierungsarbeit, die indes zuvörderst auf die Mehrheitsgesellschaft fokussiere. Zahlreiche Projekte aus dem Dortmunder Kooperationsnetzwerk Zuwanderung Südosteuropa entwickelten sich in der Nordstadt, die – bald schon EUgefördert – auch und insbesondere auf die Bedarfe der südosteuropäischen Zuwanderer abzielten, sie zumindest umschlossen. Sie alle aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Beitrages jedoch übersteigen und ist auch nicht dessen Ziel. Als Trägerorganisationen waren zumeist in der Integrationsarbeit erfahrene lokale Vereine sowie Regionalvertretungen großer Sozialverbände wie Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt beteiligt; sie verfügten über eine langjährige Expertise sowohl in der aufsuchenden als auch in der stationären Sozialarbeit (mit Migranten) in der Nordstadt. In der Tat identifizierten Mitarbeiter der Sozialeinrichtungen auf ähnliche Weise wie die Stadt Dortmund und auch Teile der Lokalpolitik einen Betreuungs- und Versorgungsbedarf, der ihnen vergleichsweise außergewöhnlich hoch erschien. Sie berichteten von Menschen, die in Mülltonnen schlafen, die Pfandflaschen sammeln und sich vom Geld einen Platz im Internetcafé leisten würden, um wenigstens einige Stunden ruhig, sicher und im Warmen schlafen zu können, deren Gesundheitszustand schlecht sei, die weder lesen noch schreiben könnten. Die Streetworker und Migrationsberater hätten bei der Kontaktaufnahme zudem das Hindernis zu überwinden, dass vielen Neuzugewanderten das soziale Hilfesystem deutscher Kommunen anfänglich unbekannt sei, was direkt in Verbindung damit stehe, dass sich die Menschen häufig bereits zum Zeitpunkt ihrer Ankunft in einem Abhängigkeitsverhältnis befänden, Schuldenhätten, mittellos seien. „Weil man das nicht kennt. Man kennt das nicht, dass es hier ein soziales Netzwerk gibt. Dass es Einrichtungen gibt, dass es hier freie Träger oder auch die Stadt gibt, die es als Aufgabe haben, sich um die Menschen zu kümmern, sie zu unterstützen. […] Und im speziellen Bezug auf Roma; wir sind ja Gatsche [Bezeichnung der Roma für die Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung, Anm. d. V]. Man hat schon seit Jahrzehnten Vorurteile, auf beiden Seiten, und man ist es nicht gewohnt. Ich hatte hier einmal eine Frau, viele leben ja unter dem Lebensexistenzminimum. Da haben wir gesagt: ‚Komm, wir machen Frühstück!‘ Wir haben ein Frühstücksangebot gemacht, da können Frauen, Kinder, Männer, jeder vorbeikommen. Die essen gemeinsam was. Wir haben rumänische Musik angehabt, lernen uns ein bisschen kennen, essen, machen erste leichte Beratung. Einfach um mal zu

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gucken, was das ist. Die Leute sind nicht direkt gekommen. Du bist dann unterwegs und merkst, dass sie wirklich nichts zu essen haben. Die sitzen da und haben tagsüber nichts zu essen oder teilen sich ein Brötchen, aber zum kostenlosen Frühstück kommen sie nicht. Oder zur Suppenküche direkt am Nordmarkt. Dann halt intensiver, als wir die Kollegen hatten, die Romanesk sprachen, dann war das ein bisschen anders. Dann kam da der Zugang. Da sagte mir damals eine Frau, ihr Mann hat ihr verboten hierher zu kommen, weil er meinte, es kann doch nicht sein, dass da jemand ist, der dir helfen möchte, und das sogar noch kostenlos. Da ist ein Haken! Normalerweise kostet eine Anmeldung bei den dubiosen Geschäftsleuten zwischen hundert und vierhundert Euro, je nachdem, wie groß die Familie ist. Der Antrag auf Kindergeld kostet mehrere hundert Euro. Quasi alles. […] Das wird von diesen dubiosen Geschäftsleuten festgelegt. Die Lage der Menschen wird ausgenutzt. Weil die Menschen nicht wissen, dass es auch unser Job ist. Dieser Frau, die hier war, habe ich gesagt: ‚Wissen Sie was, ich stell da gleich eine Rechnung aus, mit Stempel und allem drumherum. Da steht dann null Komma null Euro. [pause] Gratis. Und das kannst du deinem Mann mitnehmen. Da fing sie an zu weinen, da sie das nicht kannte.“97

Viele der Neuzugewanderten seien aus ihren Herkunftsländern zu zahlen gewohnt, auch weil man nicht gleichgestellt sei. Das Wort kostenlos kenne man daher nicht.98 Die Sozialarbeiter versuchten, durch wiederholte Kontaktaufnahmen sich und ihre Arbeit überhaupt erstmal bekannt zu machen, Vertrauen in den Communities der Zuwanderer zu finden – was insbesondere auch über den Besuch der Kirchengemeinden gelungen sei, wie uns berichtet wurde.99 Und dennoch fühlten sich die Sozialarbeiter zum Teil den kriminellen Strukturen – der „Schattenwirtschaft“, wie ein Streetworker sie nannte – unterlegen. „Wir versuchen zu sagen, wir sind kostenlos, aber am Ende des Tages kann der Typ schwarz vermitteln: Job, Matratzenlager. Kann ich nicht. Das heißt, du gehst dahin, du baust Beziehungen auf, du baust Kontakte auf, das ist auch so ein bisschen frustrierend an der Arbeit. […] Und am Ende sagst du: ‚Warum bin ich dann besser mit meinem kostenlosen Angebot [lacht], wenn ich überhaupt nichts liefern kann.‘ Anders als der Typ, den ich bezahle, der aber liefert. Dann habe ich ein Dach über dem Kopf. Egal, was es für ein Dach ist, aber erstmal ist es ein Dach über dem Kopf. Wir haben auch einen Arbeiter-

97 Interview mit einem Dortmunder Streetworker. 98 Vgl. dazu auch Völkel, Alexander: Das Wort „kostenlos“ kennen viele Roma nicht, in: Zeit Online, 26.08.2014, URL: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-08/ roma-zuwanderung-dortmund/ [eingesehen am 13.09.2016]. 99 Eine beträchtliche Minderheit der rumänischen Zuwanderer gehört der Pfingstbewegung an.

76 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS S ÜDOSTEUROPA strich, ich gehe dann für dreißig, vierzig, fünfzig Euro am Tag arbeiten. […] Frustrierend ist es, ja […] das macht dich schon ein bisschen traurig.“

Auflösen könne man die Kontaktaufnahmeschwierigkeiten allerdings über die Kinder. Zu ihnen sei rasch ein guter Zugang möglich. Die Arbeit mit ihnen trage Früchte, wie ein Sozialarbeiter meinte. Dagegen spreche jedoch auch wieder eine alltäglich erfahrbare Diskriminierung von Bulgaren und Rumänen in Dortmund. Unterschwellig könne man sie teils bei Mitarbeitern der Behörden und Ämtern feststellen, ganz offenkundig zeige sie sich oft bei der Wohnungssuche, bei der den Sozialarbeitern nur selten gelinge, Familien mit bulgarischen oder rumänischen Nachnamen zu vermitteln. Erschwerend komme hinzu, dass die Familien der Neuzugewanderten zumeist Großfamilien seien mit mehreren Kindern und daher Bedarf an einem ohnehin in Dortmund eher selten zu findenden Wohnungszuschnitt hätten. Auch wenn die Zuwanderer selbst von Diskriminierungserfahrungen in Dortmund berichteten, maßen sie ihnen kaum Gewicht zu100 – man fühle sich in der Nordstadt wohl. Ein von uns befragter Sozialarbeiter berichtete: „Die Menschen, mit denen wir zu tun haben, mit denen wir hier im Moment arbeiten, sagen selber: ‚Ist doch egal, ob du mich Roma oder Zigan oder was weiß ich nicht nennst, Gypsy, Gitano, ist alles okay, ich brauche Hilfe! Ich muss erstmal überleben, ich muss zusehen, wie ich über die Runden komme, später können wir uns unterhalten, wie ihr uns nennt. […] Sobald wir gesagt haben, was wir machen, kamen drei Fragen: ‚Kannst du mir helfen, Deutsch zu lernen?‘ ‚Kannst du mir helfen, eine Wohnung zu finden?‘ ‚Kannst du mir helfen, einen Job zu finden?‘ Über neunzig Prozent. Fünfundneunzig Prozent der Leute hat mich das gefragt – und du stehst da und kannst nichts liefern.“

Für viele Zuwanderer stelle sich die Lage wie folgt dar: Selbst die schlechtesten Unterkünfte in der Nordstadt, ein Platz im Matratzenlager der „Problemhäuser“, sei immer noch besser als das, was sie in ihren Herkunftsländern vorfänden – und das bei zugleich weniger Diskriminierung. „Wenn du auf einmal per Knopfdruck Licht anhast und du hast ein Dach über dem Kopf und es regnet nicht [rein] und es ist warm und du drehst den Hahn auf und da kommt Wasser raus – viele sagen, mehr brauchen sie nicht. Sie haben ein Level erreicht, das hätten sie nie in ihrem Leben in Rumänien oder Bulgarien erreicht. […] Dann ist es auch

100 Vgl. Interviews mit rumänischen Zuwanderern in Dortmund.

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schwierig, sie zu motivieren: ‚Komm, wir machen jetzt Integration.‘ ‚Lern mal Deutsch‘, ‚Versuch mal einen Job.‘ – ‚Mir geht es ja gut so.‘“101

Doch diese tatsächlichen Sorgen und Bedürfnisse würden häufig nicht in die Mehrheitsgesellschaft gespiegelt. Dass es sich um Armutsprobleme handele, die im Zuge der EU-Osterweiterungen nun auch Dortmund erreichten, sei kaum medial vermittelbar. Dafür gebe es keinen Markt, berichtete uns ein Sozialarbeiter und kritisierte damit eine nach seinem Dafürhalten einseitige Medienberichterstattung, die insbesondere beim Thema Zuwanderung auf Skandalisierung setze, gleichermaßen wie ein Publikum, das vor allem daran interessiert sei, seine eigenen Vorannahmen bestätigt zu bekommen. „Das ist eine Sache wie bei Don Quijote mit den Windmühlen, weil keiner eine RomaFamilie sehen will, die sauber ist, die arbeiten geht, wo die Kinder zur Schule gehen, die Steuern zahlt. Das will doch keiner sehen. […] Das verkauft sich nicht. Aber ein Titelblatt einer Boulevardzeitung mit vier Buchstaben: ‚Eine App für Rumänen oder Bulgaren, damit sie leichter Hartz IV beantragen.‘ Titelblatt! Die haben da keinen Anspruch drauf. Aber das wollen alle lesen, da wollen alle ihren Senf dazu geben. Dass die überhaupt keinen Anspruch darauf haben, das will keiner wissen.“

Tatsächlich artikulierten eine Reihe von Sozialarbeitern uns gegenüber Unmut über eine in ihren Augen nicht nur falsche, sondern obendrein als boshaft wahrgenommene Berichterstattung, die von den realen Problemen im Stadtteil weit entfernt sei. Dabei steige die Distanz, die Realitätsferne, der Journalisten mit dem Abstand ihrer Heimatredaktion zur Dortmunder Nordstadt. Die überregionalen Fernsehteams wurden zum Teil als heuschreckenhaft einfliegende Scharen betrachtet, die sich – bar jeder sozialen Beziehung zum Ort der Berichterstattung – auf die dort handelnden Akteure gestürzt hätten, nach kurzer Zeit wieder ausgeschwärmt seien, sobald sie sich am Skandalmaterial satt gefressen hätten, dabei jedoch einen beschädigten Grund zurückgelassen hätten, der lange brauche, um zu regenerieren. Im Nahbereich verhalte es sich dagegen anders: Hier hätten sich – jedoch auch erst mit der Zeit – Vertrauensbeziehungen zu Lokaljournalisten gebildet, die für belastbar gehalten werden. Doch auch die Art der Lokalberichterstattung – insbesondere zu Beginn der Konflikte in Dortmund – hatte man kritisch, ja teilweise mit starker Abneigung verfolgt. Die eigene Arbeit sah man desavouiert, von unwissenden Ortsfremden verkompliziert. Der Redaktionssitz der Ruhrnachrichten liegt in der Innenstadt auf der anderen Seite der Bahnlinie – von dort aus habe sich tatsächlich eine 101 Interview mit einem Dortmunder Streetworker.

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spezifische Perspektive auf die Vorgänge um den Nordmarkt herausgebildet, welche die Frühphase der medialen Begleitung der „Nordstadtdebatte“ geprägt habe, wie uns ein beteiligter Journalist der Ruhrnachrichten im Gespräch mitteilte. Denn zum einen seien Artikelideen zum Thema in dieser Zeit häufig in Reaktion auf Beschwerden vonseiten der Bevölkerung entstanden – beispielsweise aufgrund von Anwohnerklagen über Müll auf und nächtlichen Lärm in den Straßen oder bei sommerlichen Grillfesten auf den Begrünungen von Verkehrsinseln hätten die Journalisten mit ihren Recherchen begonnen, die dann in ganz unterschiedlichem Umfang ausgefallen seien. Zum anderen seien damals ebenfalls oft Meldungen der Polizei als Ausgangspunkt von Beiträgen zum Thema Zuwanderungskonflikte in der Nordstadt genommen worden. Folglich hätten Taschendiebstahl, Drogen und Prostitution im Zentrum der Berichterstattung gestanden. Der Vorwurf an die Medien lautete, auf eine verkürzte, ethnisierende, effekthascherische Berichterstattung gesetzt zu haben, welche die zugrundeliegenden sozialen Konfliktdimensionen unbeachtet gelassen habe. In der Tat fanden sich in den Lokalmedien Schwankungen in Bezug auf die Darstellung der Zuwanderer aus Südosteuropa: starke antiziganistische Projektionen anfänglich, eine deutlich ausgewogenere Berichterstattung in der Folge. „Problemberichterstattung“ zum Thema wurde durch „Hintergrundberichterstattung“ mehr und mehr zunächst ergänzt, später dann davon abgelöst.102 Ein Grund dafür liegt darin, dass über die Dauer des Konfliktverlaufes bei (einigen) Dortmunder Redakteuren mehr und mehr die Überzeugung Raum griff, bei der zuwanderungsbedingten Entwicklung in der Nordstadt handele es sich um ein langfristiges Thema von Bedeutung, dem man umfassende(re) journalistische Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen müsse. Das (auch persönliche) Engagement einzelner Journalisten, größere Zusammenhänge zu verstehen und bei ihrer Arbeit zu berücksichtigen, drückte sich auch an der Teilnahme an einer mehrtägigen Reise ins südbulgarische Plovdiv aus, an der neben den Medienvertretern Gaby Kolle und Peter Bandermann auch Mitarbeiter der Dortmunder Stadtverwaltung und Sozialeinrichtungen teilnahmen. Freilich entstand dabei im Februar 2011 – also zur Hochphase des Konfliktes – eine Reihe von Vor-OrtBerichten aus Plovdiv, der Stadt, aus der viele nun in Dortmund lebende Bulgaren stammten, die jeweils kritikwürdige Schwerpunktlegungen aufwiesen.103 Dass die westfälisch-südbulgarische Verbindung auf Dauer gestellt wurde, letzt102 Vgl. o. V.: Wie sich eine Roma-Familie in Dortmund ein neues Leben aufbaut, in: Ruhrnachrichten, 17.08.2014. 103 Vgl. beispielsweise o. V.: Ratschlag. „Kompromisslos gegen Roma vorgehen“, in: Ruhrnachrichten, 23.02.2011 sowie o. V.: Brennpunkt Nordstadt: RN-Reporter erleben das Elend in Plowdiw, in: Ruhrnachrichten, 23.02.2011.

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lich bis heute anhält, dürfte dem beiderseitigen Verständigungsprozess jedoch ganz überwiegend genutzt haben, wie sich auch an der postkonfliktären Berichterstattung in Dortmund erkennen lässt, in der sich Pauschalisierungen und Ethnisierungen kaum mehr finden lassen.104 Wenn der Pädagoge Christoph Schulz Parallelen zwischen der Berichterstattung der 1980er Jahre105 und der Berichterstattung um die „Wohnraum/Straßenstrich-Debatte 2011“ erkennt und ein „ernüchterndes Fazit“106 zieht, so ist dem mit einem Verweis auf den Zeitverlauf hinzuzufügen, dass hier – insbesondere für derart rigide Schlussfolgerungen – langfristiger angelegte Untersuchungseinheiten aufschlussreich wären. Wer sich im Jahr 2015 mit Dortmunder Lokalreportern unterhielt, der gewann den Eindruck, dass gerade diejenigen Journalisten, die sich mit dem Nordstadtkonflikt der Jahre 2010 ff. beschäftigt hatten, auch angesichts wechselnder thematischer Konjunkturen die Haltung entwickelten, „ihr Thema“ – Zuwanderung aus Südosteuropa – zu verteidigen. Man habe im Zuge der „Flüchtlingskrise“ die Diskussionen um Integration südosteuropäischer Zuwanderer stark vernachlässigt; wieder komme eine ohnehin benachteiligte Minderheit „unter die Räder“, wie uns ein Redakteur sagte. Dagegen gelte es anzuschreiben, was zugegebenermaßen auch aufgrund der eigenen medialen Systemzwänge schwierig sei für den einzelnen Berichterstatter, im Einzelfall aber durchaus möglich. Dass zu punktuell gearbeitet werde, warfen Medienvertreter überdies auch der Hilfeseite vor: den Vereinen und Verbänden, den Integrations- und Migrationsarbeitern aus der Nordstadt. Deren Arbeit und Alltagshandeln würden leider 104 Berichte aus Bulgarien sowie über Dortmunder Hilfe für Bulgarien erschienen auch in den Folgejahren; vgl. o. V.: Reporter-Team vor Ort. Wie Geld aus Dortmund Plovdiv in Bulgarien hilft, in: Ruhrnachrichten, 30.01.2015; o. V.: Erkenntnisse aus Plovdiv. Das Kindergeld lockt nach Dortmund, in: Ruhrnachrichten, 26.09.2014, URL: https://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44137-Dortmund~/Erkenntnissein-Plovdiv-Das-Kindergeld-lockt-nach-Dortmund;art930,2493288/ [eingesehen am 13.09.2016]. 105 Vgl. Bohn, Irina/Hamburger, Franz/Rock, Kerstin: Polizei und Presse. Eine Untersuchung zum „staatlich genährten Rassismus“ am Beispiel der Berichterstattung über Roma und Sinti, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 4, Frankfurt a. M. 1995, S. 166–183. 106 „Der Verlauf der Auseinandersetzung lässt darauf schließen, dass romafeindliche Ressentiments mithilfe eines dichten Netzes an gesellschaftlichen Institutionen, u. a. aus den Bereichen Medien, Lokalpolitik und Zivilgesellschaft, instrumentalisiert und konflikthafte Auseinandersetzungen auf dieser Basis geschürt und genutzt werden können“, schreibt Schulz: „Eiserner Besen“, S. 95.

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nur kurzfristig angelegte, projekthafte Förderungen bestimmen, wofür sie einerseits nichts könnten; dass sie aber andererseits zu wenig dafür täten, greifbare Ergebnisse, die eine langfristigere Förderungen rechtfertigen könnten, zu produzieren und zu präsentieren, sei jedoch fragwürdig. „Also meine Erwartung ist: Wenn ich – das ist jetzt meine private Meinung – wenn ich 150.000 Euro für soziale Arbeit ausgebe, dann muss ich eine Wertschöpfung über fünf Jahre erzielen, dass denen, die mit Sozialarbeitern zu tun haben und denen geholfen wird, dass die aus ihrer Drecksmisere rauskommen. Das ist eigentlich also Input–Output. Und Sozialarbeiter sagen: ‚Ja, bei uns kann man nicht so genau messen, was wir machen. Unsere Erfolge sind nicht so sichtbar.‘ Aber das bestreite ich. Ein guter Sozialarbeiter wird sagen können, was er leisten und was er nicht leisten kann. Das Geld in Dortmund ist nicht weg, es ist immer nur woanders.“107

Auch daran liege, folgt man dem Journalisten weiter, dass der Sicherheitsseite, die zumeist genaue Angaben über Schließungen, Razzien, Kontrollen und Festnahmen machen könne, ein Begründungsvorteil zukomme, während die Sozialarbeit indes ein (auch selbstverschuldetes) Legitimationsdefizit aufweise – in der Nordstadtdebatte sei das offensichtlich geworden. Zugleich präferierten auch die involvierten Politiker ordnungs- und sicherheitspolitische Maßnahmen, was der Aushandlung sozialer Fragen nicht förderlich sei. Für viele Politiker gelte die Nordstadt als „ein Schmuddelthema“108, von dem man besser die Finger lasse, weil man hier nichts gewinnen könne. Tatsächlich aber ließ sich eine Vielzahl von Stellungnahmen und Positionspapieren der Ortsverbände und Ratsfraktionen finden. Eine Trennung wird vielmehr zwischen der lokalen Ebene, der Dortmunder Stadtpolitik, und den übergeordneten Ebenen, der Landes- und Europapolitik, offenbar. Hier waren Wahrnehmungsunterschiede erkennbar, die sich eindrücklich am Beispiel des Nordstadt-Besuches des nordrhein-westfälischen Integrationsministers Guntram Schneider (SPD) im Januar 2011 darstellen lassen. Im Rahmen eines Pressetermins kommentierte Schneider – selbst wohnhaft im Kreuzviertel der Dortmunder Südstadt – Vorkommnisse in der Silvesternacht: „Wenn eine Gruppe in der Nordstadt in der Silvesternacht mit Feuerwerkskörpern auf Feuerwehr und Polizei schießt, fragt gleich jeder nach dem Migrationshintergrund. […]

107 Interview mit einem Journalisten der Ruhrnachrichten. 108 Ebd.

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Die Dortmunder Nordstadt ist genauso gefährlich wie Kirchhörde auch. […] Das Gemälde, dass das ein Ort der Bösartigkeit ist, stimmt einfach nicht.“109

An der vom damaligen Integrationsminister vorgenommenen Darstellung, der zufolge sich die Nordstadt nicht eklatant von anderen Dortmunder Stadtteilen unterscheide, vielmehr die Nordstadtbewohner stigmatisiert würden, nahmen gleich mehrere Dortmunder Kommunalpolitiker Anstoß. Schneiders Ansicht unterschied sich deutlich von der Linie seiner sozialdemokratischen Genossen in der Nordstadt, die schon seit Langem auf Defizite in der Nordstadt zum Teil in drastischer Sprache hingewiesen hatten.110 Gerade die Nordstadt-SPD war u. a. mit an den Ordnungsdezernenten gerichteten Rücktrittsaufforderungen in Erscheinung getreten und hatte in ihrer damaligen Vorsitzenden Marita Hetmeier eine ebenso meinungsstarke wie kontrovers diskutierte Führungsperson, die im Konfliktverlauf immer wieder nachdrücklich auf die von ihr wahrgenommenen Probleme durch Zuwanderung im Stadtteil hinwies.111 Auch die damalige stellvertretende Nordstadt-Bürgermeisterin Gerda Horitzky (CDU) empörte sich über Schneiders Auftritt: „Herr Schneider hätte sich lieber einmal den Straßenstrich an der Ravensbergerstraße, das Umfeld am Nordmarkt oder die Drogendealer an der Bornstraße anschauen sollen.“112 Multikulti sei „kein Lebensentwurf für die Zukunft“, die Einlassung des Ministers „Schönfärberei“, so die CDU113.

109 Zit. n. Nill, Gerald: Nordstadt in Dortmund ist nicht Liechtenstein, in: Der Westen, 13.01.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/nordstadt-in-dortmundist-nicht-liechtenstein-id4164441.html [eingesehen am 13.09.2016]. 110 Vgl. o. V.: Problembezirk: Grüne wollen inhaltliche Debatte über Nordstadt, in: Der Westen, 31.08.2010, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/gruene-wolleninhaltliche-debatte-ueber-nordstadt-id3634828.html [eingesehen am 13.09.2016]. 111 Hier nur beispielhaft. „Für die übrigen Bewohner der Nordstadt sei es aber schwer zu verkraften, dass eine Gruppe so schnell in so großer Zahl zuziehe und sich ‚der Integration vollkommen verweigere‘“, so Hetmeier beispielsweise gegenüber Schäder, Katharina: Dortmund, der Straßenstrich und das Roma-Problem, in: Welt Online, 28.08.2011, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article13564376/Dort mund-der-Strassenstrich-und-das-Roma-Problem.html [eingesehen am 13.09.2016]. 112 Zit. n. o. V.: CDU beklagt Schneider-Schönfärberei zur Nordstadt in Dortmund, in: Der Westen, 14.01.2011, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/cdubeklagt-schneider-schoenfaerberei-zur-nordstadt-in-dortmund-id4166862.html [eingesehen am 13.09.2016]. 113 Vgl. auch Interview mit einem Dortmunder CDU-Lokalpolitiker.

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So sprechen sich Christ- wie Sozialdemokraten des Stadtteils zu, über „die ganzen Dinge in der Nordstadt“114 am besten Bescheid zu wissen, weil man schlichtweg nah dran sei. Über kaum etwas können sie sich mehr echauffieren als über Expertisen von außen, Darsteller gleich welcher Parteizugehörigkeit, die „aus der kalten Hose“115 Ferndiagnosen stellten, hübsche Fotos machten und wieder verschwänden. Die von uns befragten Stadtpolitiker nehmen folglich Europa-, Bundes- und prominente Landespolitiker in ihrem Konfliktverhalten auf ähnliche Weise wahr wie Sozialarbeiter die journalistischen Edelfedern großer überregionaler Nachrichtenmagazine und (Wochen-)Zeitungen: Ihre Auftritte unterminieren ihr selbst aufgebautes Sozialkapital. Die Lokalpolitik fordert einen „Masterplan“ Überdies kennzeichnet die Stellungnahmen der Nordstadtpolitiker ihre Stoßrichtung, die zuvörderst darauf abzielt, die Stadtverwaltung in die Verantwortung für die (Neu-)Organisation des Zusammenlebens in der Nordstadt zu nehmen. Mehrfach war der Ruf nach einem ganzheitlichen Konzept für die Stadt anzutreffen. Auf der einen Seite müsse die Stadtverwaltung reagieren, einschreiten, verbieten und unterbinden; auf der anderen Seite besser fördern, gezielter unterstützen, neu bauen, ausbauen, umbauen. Auch Forderungen nach einem „Masterplan Zuwanderung“ aus Südosteuropa, der sämtliche Aspekte beinhalten und als Vorlage für das Verwaltungshandeln dienen sollte, waren zu vernehmen. Anliegen, die anhielten. So forderte die ordnungspolitische Sprecherin der CDU, Christiane Krause, noch im Juni 2013 beispielsweise: „Es muss einen Leitfaden geben, damit uns ab 01.01.2014 nicht eine Welle von Armutszuwanderung aus Südosteuropa überrollt, die [uns] vor unlösbare Probleme stellt.“116 Insgesamt aber waren und sind die Parteiortsgruppen im Dortmunder Norden überaus aktiv. Die Dortmunder Grünen forderten mehrfach und schon früh zu einer Versachlichung der Debatte auf und wiesen auf die problematischen Situationen in den Herkunftsländern hin.117 Mit Ausnahme der CDU diskutierten alle 114 Interview mit einem Dortmunder CDU-Lokalpolitiker. 115 Ebd. 116 Zit. n. Stadtratsfraktion CDU Dortmund: Erwartete Armutszuwanderung aus Südosteuropa. CDU will Handlungskonzept, 04.06.2013, URL: http://cdudo.de/2013/06/ 04/erwartete-armutswanderung-aus-sudosteuropa-cdu-will-handlungskonzept/ [eingesehen am 13.09.2016]. 117 Siehe Bündnis 90/Die Grünen Dortmund – Gemeinsame Presseerklärung von Ratsfraktion und Kreisverband: Roma in Dortmund, 29.06.2011, URL: http://www. gruene-dortmund.de/archiv2011/pe110629g.php [eingesehen am 13.09.2016].

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Parteien das Thema EU-Neuzuwanderung im Rahmen von Informationsveranstaltungen und Podien, stellten Foren des Austausches, der Teilhabe und der Vermittlung dar. Vor Ort erwiesen sie sich (für die Anwohnerschaft) als präsente Ansprechpartnerinnen. Dass sie als solche, als Problemlöserinnen, vonseiten der Anwohner allerdings nur bedingt gesehen werden, zeigen Fokusgruppen, die wir in der Dortmunder Nordstadt durchgeführt haben;118 wenngleich die Kritik an den Politikern vergleichsweise gemäßigt ausfiel.119 Man hielt der Stadtpolitik vor, nicht langfristig genug zu planen, bloß das nächste Wahlergebnis im Auge zu haben und darüber wesentliche Weichenstellungen gar nicht erst anzugehen.120 Bei Konflikten würden Verantwortlichkeiten abgestritten und von sich gewiesen („Jeder schiebt es auf jeden“), bis niemand mehr wisse, um was eigentlich gestritten werde. Mit Blick auf die „Nordstadtdebatte“ sieht man insbesondere die Stadtverwaltung in der Pflicht.121 Diese habe sich jedoch (zu) weit aus der Nordstadt zurückgezogen. „Das stinkt da nach Urin, nach Kot, nach allem. Weil da ist ja dieser Straßenstrich, hier dieser Arbeiterstrich von diesen ganzen Bulgaren und Rumänen. So, und die sind ja 24 Stunden. Und die haben ja keine Wohnung da oder sonst irgendwas. Und die nehmen jede Einfahrt oder jede Gelegenheit, da irgendwo hinzumachen oder sonst irgendwas. Also das sind ja Privathäuser. Weil ich habe mich schon öfters beim Ordnungsamt beschwert, weil ich habe gesagt: ‚Das ist doch keine Zumutung, dass da Leute langlaufen.‘ So, und da haben die gesagt, das ist aber Privatsache.“122 118 Die Fokusgruppen fanden im Sommer 2015 in der Dortmunder Nordstadt statt. An zwei Gesprächsrunden nahmen insgesamt 14 Personen teil, die sich auf unseren Aufruf, den wir als Postwurfsendung in der Nordstadt an alle Haushalte verteilen ließen, bei uns gemeldet hatten. Mehr als 300 Personen hatten sich an uns gewandt und wollten an den Fokusgruppen teilnehmen. Ausgewählt wurden die TeilnehmerInnen nicht-repräsentativ anhand ihres Alters, Geschlechts, Geburtsdatums, ihrer Berufstätigkeit sowie nach der Dauer ihrer Ansässigkeit in der Nordstadt. Ziel war die Zusammenstellung möglichst heterogener Gruppen, um dadurch möglichst viele verschiedene Wahrnehmungen und Sichtweisen zum Thema „Leben in der Nordstadt“ zu erhalten und diskutieren zu lassen. 119 Wesentlich deutlicher ausgeprägte Kritik an den Politikern findet sich beispielsweise bei Aktiven in Bürgerprotesten; vgl. Walter/Marg/Geiges/Butzlaff (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. 120 Vgl. Fokusgruppe 1. 121 Vgl. ebd. 122 Ebd.

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Man überlasse die Nordstädter sich selbst, was zwangsläufig zu Konflikten führe. Der Ruf nach verbindlichen Regeln und überwölbenden Normen, wie es sie früher noch gegeben habe, klang bei Gesprächspartnern an. In der medialen Berichterstattung erkenne man allzu häufig bloß einen „Einheitsbrei“. Ob Straßenstrich, Drogen, Kriminalität oder „Roma“-Debatte: „Letztendlich sind das eigentlich immer nur Schlagzeilen für das gleiche Problem.“123 Dabei sieht man das eigene Leben im Stadtteil positiv. Die Fokusgruppenteilnehmer gaben ganz überwiegend an, überaus gerne in der Nordstadt zu leben. Hier genießt man offenbar Freiheiten, werde nicht vorverurteilt für sein Aussehen, sein Verhalten, seine Orientierung. Man könne einfach so sein, wie man sei. Als überaus liberal und weltoffen wurde die Nordstadt beschrieben, als temporeicher Stadtteil „mit Ecken und Kanten“. Die von uns befragten Nordstadtbewohner schwärmten einerseits von dieser besonderen Nordstadtmentalität, andererseits beklagten sie sich aber auch darüber. Denn der Freiheit des Einzelnen, der Individualität und der Möglichkeit zur Selbstverwirklichung ständen auch Verwahrlosung, das Unsolidarische, Ausgrenzungen und Rivalitäten gegenüber. Laisser-faire und Verwahrlosung, so die Schilderungen in der Fokusgruppe, lägen nahe beieinander, fielen in der Dortmunder Nordstadt, einem Stadtteil der Extreme, gar ineinander. Die Erzählpassagen pendelten, ohne jedoch an der Grundüberzeugung etwas zu ändern: Man lebe gerne in der Nordstadt, auch wenn sich das Miteinander gelegentlich als schwierig erweise. An dieser Stelle – bei der Frage nach dem Zusammenleben der Nordstadtbewohner verschiedener Herkunft, diverser Kulturen und vielfältiger Überzeugungen – nahmen die von uns Befragten Differenzierungen vor: Dabei überwog die Auffassung, dass das Zusammenleben im Nahbereich zwar gelinge; sobald man allerdings die eigene Türschwelle übertrete, begännen die Probleme. „Zigeuner-Barone“, „Oberdruide“ und abgetrennte Pferdebeine Einstellungslagen gegenüber Fremden und Unbekannten seien in der Dortmunder Nordstadt nicht anders als andernorts. „Vorurteile gibt es auch hier genug“, meinte eine ältere Frau während des Gespräches. Im Zusammenhang mit Zuwanderung aus Südosteuropa sticht ein Vorgang von Anfang März 2011 ins Auge. Vor zwei Häusern, in denen Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien lebten, wurden abgetrennte Pferdebeine gefunden. Die „Huftiergebeine“, wie sie die Polizei in ihrem Bericht nannte, waren laut den Ruhrnachrichten von einer Frau dort abgelegt worden, „nachdem ihr erzählt worden war, dass das ein probates 123 Fokusgruppe 1.

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Mittel sei, um abergläubische Osteuropäer zu vertreiben oder sie einzuschüchtern. In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe man mit diesem Mittel schon einmal Erfolg gehabt, sei der Frau erzählt worden.“124 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hatte 1997 von einem ähnlichen Fall nahe Hamburg berichtet, wo ein Wirt von einem „Roßschlachter“ den gleichen Ratschlag bekommen habe: „Roßschlachter Gustav Pupke aus Neuhaus bei Cuxhaven rühmt sich, daß es sein Vater war, der den Stader Wirten den Tip gab, ‚wie sie die Zigeuner loswerden‘.“125 Gewiss, ein drastisches Beispiel für Antiziganismus, das keinesfalls in dieser Form in der von uns befragten Diskussionsgruppe vorzufinden war. Dennoch waren Erzählabschnitte präsent wie vom „Roma-Oberdruiden“126 und „ZigeunerBaron“127, der junge Mädchen verheirate und das Sagen über einen Clan habe; teils abfällig wurde gesprochen über „Zigeuner, […] die dann zum Beispiel auch relativ dreckig offensichtlich rumlaufen, […] so Nüsse oder Körner, was sie da essen“128, von „diesen bunten Frauen“129, die mit ihren Kindern die Gehwege in Beschlag nähmen. Wie man mit Müll umginge („die kennen das von zu Hause aus nicht“130), sei ihnen nur schwer zu vermitteln, da sie nicht Willens seien, ihr Verhalten zu ändern. „Und hier lernen sie das nicht. Die wollen es nicht. Ich habe selber Kontakt zu einer ganzen Zigeunersippe, dass ich [von der Polizei, Anm. d. V.] gewarnt werde: ‚Gehen Sie da nicht so oft hin.‘ Aber egal, das ist eine andere Sache. Ja, das kannst du ruhig sagen, am nächsten Tag steht der Müll wieder da, wenn ich da war, ein paar Meter weiter. Das ist jetzt, die Vermüllung kommt sehr stark von den Roma. Und ich muss sagen, viele deutsche Anwohner oder auch andere Ausländer, die schon seit Jahrzehnten bei uns wohnen, die sagen: Warum soll ich das dann machen? […] Aber heutzutage sind die Türken sogar die Leute, die jetzt in unserem Viertel wegziehen, weil zu viele Roma da sind. Die alles vermüllen, die Lärm machen, was ich auch nicht immer bestätigen kann, aber sie sind bis abends halb elf, elf auf der Straße. Die Kinder, die kleinen Dreijährigen, wuseln da auch noch rum. Dass es sehr gefährlich ist, dass man da abends mit dem Auto langfahren muss.

124 O. V.: Abgetrennte Pferdebeine sollten Bewohner vertreiben, in: Ruhrnachrichten, 08.03.2011. 125 O. V.: Tip vom Metzger, in: Der Spiegel, H. 39/1997, S. 93. 126 Fokusgruppe 2. 127 Ebd. 128 Ebd. 129 Fokusgruppe 1. 130 Fokusgruppe 2.

86 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS S ÜDOSTEUROPA Ich muss es öfters abends um halb elf. Also, Schritttempo ist manchmal noch zu schnell, weil die plötzlich auf die Straße huschen.“

Die Gesprächspassagen verblieben dabei jedoch keinesfalls bei den Problemen, welche „die Roma“ machten, und bei der Diskussion ihrer vermeintlichen Eigenheiten. Vielmehr zeichneten sich die Diskussionsverläufe immer auch aus durch Phasen der Sympathie und Solidaritätsbekundung, die von den Diskutanten für gut und wichtig befunden wurden. So wurden beispielsweise „Zigeunerkinder“ als überaus aufgeschlossen, hilfsbereit und dankbar beschrieben. Sie hätten – anders als so viele junge Leute heute – noch Respekt vor Erwachsenen und Achtung vor dem Alter, würden helfen. Das werde ihnen zu Hause so anerzogen, und das sei überaus löblich, hieß es. Überdies ließen sich bereits positive Veränderungen, ja als wünschenswert erachtete Anpassungen seit Beginn des Zuzugs aus Rumänien und Bulgarien feststellen, wie uns Gesprächsteilnehmer mitteilten. „Also, was ich weiß, ich bin vor sechseinhalb Jahren hierhingezogen, da fing das ja gerade so an, ja? Da ist mir das mal irgendwann aufgefallen, ich gehe da die Gronaustraße lang und hab erst mal so gedacht: Was kommen denn hier alle aus Paderborn hier? Weil da alle ‚PB‘ auf den Kennzeichen hatten, EU-Kennzeichen halt. Da ist mir irgendwann mal aufgefallen, das sind alle Bulgaren. Die kommen alle aus Plovdiv […]. Und das war mir das völlig neu, so als Ethnie. Aber ich finde, jetzt kann man schon wirklich im Zeitraffer fast schon beobachten, wie die sich selber auch schon so ein bisschen teilweise so anpassen, dass es da so in dieser Gemeinschaft selbst schon so eine Zellteilung gibt, dass man jetzt hier so rund um meine Straße rum, da ziehen jetzt immer mehr so – meistens sind es nur Mütter mit ihren Kindern – ein, die wirklich erkennbar darum bemüht sind, ein bisschen mehr hier so anzukommen. Zu gucken, mal so ein bisschen Ordnung da so reinzukriegen.“131

Ohnehin zeichneten sich unsere Gesprächsrunden auch immer wieder durch ein hohes Maß an Verständnis für die sozialen Lebenssituationen vieler Neuzuwanderer aus, das nicht nur punktuell, sondern selbstverständlich in die Erzählphasen eingebracht wurde und bei anderen Mitdiskutanten auf Zustimmung stieß. Dabei entstanden passagenweise recht ambivalent anmutende Gesprächsabschnitte. „T1: Mich hat die Armut, die diese Leute hatten, sehr berührt. Und wir haben dann auch versucht, nicht nur ich, sind auch noch andere, dass man den Leuten geholfen hat mit Mö131 Fokusgruppe 1.

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beln, mit Wäsche oder sonst was. Oder Dinge, die wir nicht mehr brauchen, die sind dann hier auf den Trödelmarkt gegangen und haben das zu Geld gemacht. Und wer dann also noch ein paar Klamotten, Schuhe oder was übrig hatte, das haben wir denen dahin gebracht. Dann haben sie Geld verdient. Hier ist so ein Polenmarkt, nannte der sich früher, heute sind aber alle möglichen da. Kostet nicht viel. Und so haben die sich dann so ein bisschen über Wasser gehalten. Denn die haben nicht gleich bei der Stadt Dortmund Unterstützung bekommen. Sie haben jahrelang vom Kindergeld gelebt. Deswegen ja auch drei, vier, fünf Kinder. Und wenn die hier nicht gemeldet sind, dann kriegen die auch keine Unterstützung von der Stadt. T2: Nee, nee. Ich hab gesagt, ich spreche stintisch, ich spreche romisch. Das heißt also, die Zigeunersprache ist eigentlich gleich. Also wie zum Beispiel Ruhrpott und Bayern. Da ist eigentlich nur ein anderer Slang drin. Aber weil ich sehr viel mit diesen Leuten zu tun hatte, weil ich bin KFZ-Meister und ich habe viele Autos von denen [unverständlich] repariert. Sie kennen das Problem auch. T1: Heute läuft er, morgen nicht mehr. ‚Wo gehen wir hin? Ah, wir klopfen mal bei dem ans Fenster.‘ T2: Weil die mich kennen von der Arbeit her auch. Ja, und dann habe ich das gemacht und so habe ich das dann gelernt von den Leuten. Aber im Prinzip sind das für mich, wenn ich das jetzt mal so sagen darf – unter uns natürlich –, alles arme Schweine. T1: Ja. T2: Alle. Durch die Bank. Egal, ob das Sinti, ob das Roma, ob das die sind oder das sind, das sind für mich Menschen wie du und ich auch. Aber sie bringen sich auch teilweise selber in diese Situation, wo sie jetzt sind. Die kommen hier hin aus einem Schuhkarton, irgendwo gewohnt und was weiß ich nicht noch alles, und meinen, sie müssten unsere Kultur nicht respektieren. Darum kommt auch diese Müllentsorgung da in die Ecke rein, da in die Ecke rein. Ich sehe es täglich, bei mir gegenüber ist diese Säule, wissen Sie, die ist voll jeden Tag. Ich könnte ein Buch führen.“

Ambivalent insofern, als die von uns befragten Nordstädter die sozialen (Not-) Lagen vieler Neuzuwanderer auf der einen Seite sehen und anerkennen, sich auch hilfsbereit zeigen, sie auf der anderen Seite aber auch zum Teil personalisieren und kulturalisieren, sie als gruppenbezogenen Malus, eben als selbstverschuldet darstellen. Hinzu kommt, dass man zwar anerkennt, dass es sich um „arme Schweine“ handele, aber durchaus selbst bereit ist, von den Abhängig-

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keitspositionen der neuzugewanderten Rumänen und Bulgaren zu profitieren. In unseren Gesprächsrunden wurde dieses Verhalten zwar von anderen Teilnehmern auch kritisiert; die Handlung an sich war indes in den Augen der Teilnehmer, die davon frei berichteten, nicht derart sozial geächtet, dass man sie als etwas zu Verschweigendes ansah. Vielmehr klang auch Stolz mit an, einen „Schnapper“ gemacht zu haben. T3: „[Es ist, Anm. d. V.] sehr schwierig Mitarbeiter überhaupt zu finden, die im Bau arbeiten möchten. Der [ein Verwandter der Befragten, Anm. d. V.] ging dann in türkische Cafés rein: ‚Wer möchte arbeiten? Ich brauche unbedingt fünf Kräfte, die mir morgen helfen können.‘ Aber auch auf Papier. Da ist keiner aufgestanden. Die waren alle zu bequem gewesen. T4: Ja, also es sind zum Teil Unternehmer, sind zum Teil Privatleute. Ich selber habe erst letztes Jahr die Erfahrung gemacht. Wir haben ein Haus kernsaniert und komplett umgebaut. […] Und da auch irgendwann die Zeit knapp wurde, haben wir gesagt: Okay, wo kriegen wir jetzt jemanden her? Haben es einmal über den Stadtanzeiger versucht, hat nichts gebracht. Haben es bei Ebay-Kleinanzeigen versucht, hat auch nichts gebracht. Dann habe ich gesagt: Okay, dann holen wir uns für die einfachen Sachen …, kenne ich da einen Ort … [grinst]. Und dann war dann zum Beispiel das Dach, das hing ein Stück durch hier vom Anbau. Da muss man eigentlich nichts anderes machen, als das Dach ein Stück hochbocken und dann dicke Bohlen dran nageln. Aber das dauert seine Zeit. Wenn du pro Bohle so 80 Nägel oder so reinkloppen musst, damit die vernünftig hält. Da haben wir uns dafür halt auch günstig Leute geholt. Und die machen das für … also okay, wir haben jetzt keine fünf Euro gezahlt, wir haben … T5: 8,50 Euro. Gesetzlicher Mindestlohn. T4: Nee, nee. Wir hatten … am Anfang hatte ich auch gar keine Ahnung, dass es so günstig ist. Ich dachte, okay, die stehen dann da arbeitswillig. Man kennt ja Geschichten so vom frühen Beginn des Dritten Reichs, wo Leute auch irgendwo standen: ‚Suche Arbeit gegen Essen oder Unterkunft‘. Aber ich sage: ‚Was zahlen wir denen denn? Vielleicht so …, weiß nicht, vielleicht kommen die so mit sechs, sieben Euro die Stunde mit.‘ Und dann haben wir die erst mal gefragt: Wie würde es denn aussehen? Und haben einfach mal in den Raum gerufen, so: ‚Wie wäre es denn so, ein Fünfer?‘ Und dann haben sie gesagt, so: acht. Und dann so Zahlen von eins bis zehn, die haben sie verstanden und so grob Wörter auch. Und am Ende des Tages, als wir den ersten quasi auszahlen wollten und dann angefangen haben, erstmal Portemonnaie raus und dann holte der Kollege erstmal nur einen Zehner raus. Und dann sagte er so: ‚Nicht wechseln.‘ Und da hat es erstmal

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klick gemacht. So: Stopp mal. Haben ihm den Zehner gegeben. ‚Okay?‘ ‚Oh, danke, danke!‘ Portemonnaie wieder weggesteckt.“ T3: Sparmaßnahme. T4: Also da bin ich erst mal selber vom Glauben abgefallen. T1: Das ist Ausbeutung! Da hat man doch ein schlechtes Gewissen, wenn man so was macht. T4: Ja, bei solchen Sachen dementsprechend schon. Wenn ich überlege, dass damals beim Umzug auch Leute auf der Straße angesprochen, geholfen haben. Und nur wirklich für das Kistenschleppen, was jetzt eine Stunde auf Zeit an Arbeit war, dass man denen dann einen Fünfer oder einen Zehner in die Hand gedrückt hat. Das ist in Ordnung. Aber wenn man Leute teilweise wirklich da arbeiten lässt und dann vier, fünf Stunden dabei ist und dann insgesamt ein Zehner … ist schon … T4: Angebot und Nachfrage. T6: Grenzwertig. T3: Also die Umzugsfirmen alleine sind auch Ausbeuter. Meine Nichte ist letztens umgezogen, die hat 1.100 Euro bezahlt für den Umzug nur. Das ist zwei Straßen weiter. Und die Küche kam nicht mit, Schlafzimmer hat sie nicht mitgenommen. Wohnzimmer und der Rest. Und die haben das alles mit dem Aufzug gemacht, noch nicht mal geschwitzt dabei und haben 1.100 Euro kassiert. Das finde ich auch eine Ausbeutung. T1: Ja, das ist auch nicht in Ordnung. Aber man muss sich da ja auch vorher … es gibt auch preiswertere, ganz offizielle … T4: Ja, er hätte ja auch mehr Geld verlangen können! Bin ich jetzt der Ausbeuter, weil er mir das Angebot runtersetzt?“

Hier verweisen zwei Gesprächsteilnehmer auf das Prinzip von Angebot und Nachfrage – wie oben dargestellt – sowie an anderer Stelle zudem darauf, selbst von anderen ausgebeutet zu werden. Beide Strategien dienen dazu, das eigene Handeln zu rechtfertigen, das Anheuern von Arbeitskräften auf dem „Arbeiterstrich“ als marktlogisch beziehungsweise als Notbehelf darzustellen. An dieser Stelle nahmen die Diskutanten auch eine sprachliche Differenzierung vor: Mehr-

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heitlich unterschieden sie zwischen Arbeitern („Rumänen und Bulgaren“) und Problemverursachern („Roma“ und „Zigeunern“), womit Ab- und Aufwertungsmechanismen entlang der Beurteilungsfolie „Arbeit“ deutlich werden. Wer arbeitet, gilt als Beiträger; so lässt sich dieses Phänomen vereinfacht (und damit immer auch verkürzt) zuspitzen. Im Konfliktverlauf traten einzelne nichtorganisierte Anwohner nur selten auf. Kamen sie zu Wort, dann äußerten sie mehrfach den Wunsch nach einer besseren, gerechteren Verteilung der Roma, der Ausländer, der Flüchtlinge, der Armen insgesamt über ganz Dortmund hinweg, kritisierten eine Konzentration auf die Nordstadt. Vielmehr engagierten sich Nordstadtbewohner in unterschiedlichen Initiativen, über die sie sich in den Konflikt einbrächten. Hier herrschte keinesfalls ein zivilgesellschaftliches Vakuum. Im Gegenteil: Verschiedene Vereine und Initiativen beteiligten sich an den Diskussionen, die teils schon eine mehrere Jahre zurückreichende Vergangenheit aufwiesen. Eine Vielzahl von Wortmeldungen: So teilte etwa die Mieterinteressengemeinschaft der FürstHardenberg-Siedlung (MIG) öffentlich mit, dass aufgrund des Zuzugs die traditionelle Kleingartenkultur im Stadtbezirk gefährdet sei. Ältere Menschen seien von „Roma“ belästigt worden: „Die Roma-Frauen klingeln, nehmen ihre Halstücher ab, tanzen vor den Nachbarn herum und fordern dann Geld. Die Angst geht um“132. Neben der Bürgerinitiative Nordstadteltern und Gruppen von Prostituierten, die sich wie oben beschrieben zusammentaten, nahmen sich auch kirchliche Gruppen des Themas an (Dreifaltigkeitskirche), veranstalteten Treffen und versorgten Bedürftige. Auch mehrere kleine Künstlerinitiativen entdeckten das Thema für sich. Die Onlineplattform Nordstadtblogger schrieb regelmäßig über EU-Zuwanderung, Roma und die Integrationsbemühungen im Quartier. Mehrere Eigentümer-, Mietervereine und -interessengemeinschaften traten auf den Plan, merkten u. a. bereits 2011 an, dass „Ekelhäuser“ mindestens schon seit zehn Jahren in sehr schlechtem Zustand seien – also bereits deutlich bevor verstärkter Zuzug aus Rumänien und Bulgarien nach Dortmund einsetzte. Kurzum: ein überaus aktiver wie vielschichtiger zivilgesellschaftlicher Ausschnitt, in dem sich alle erdenklichen Positionen und Projektionen entdecken lassen. Auch aufseiten der Selbstorganisation waren gegen Ende des Konfliktverlaufes Bemühungen erkennbar. Im „freundeskreis nEUbürger und roma“ schlossen sich 27 Vereine, Initiativen und Privatpersonen zusammen. Auch das Nachbarschaftsforum Nordstadt bemühte sich, selbstorganisierte Prozesse anzustoßen 132 Zit. n. o. V.: Roma-Zuzug – „Die Angst geht um“, in: Ruhrnachrichten, 02.04.2011, URL: http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/Roma-Zuzug-Die-Angst-gehtum;art2576,1239820/ [eingesehen am 13.09.2016].

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und zu fördern. Diese Strukturen waren allerdings nicht sehr stark ausgeprägt. Insofern zeigte die Untersuchung des Konfliktraumes Nordstadt auch: Bei diesem handelte es sich keineswegs um einen des zivilgesellschaftlichen Kapitals entleerten Raum. Allerdings gilt dies auch für extreme und radikale Zusammenschlüsse des rechten Spektrums, die das Thema „Roma“ für sich erkannt und zur eigenen Mobilisierung zu nutzen versucht haben.133 Dortmunds extreme Rechte ist überaus aktiv, stellt ein westdeutsches Zentrum dar: In der Neonazi-Szene gehören Dortmunder Kundgebungen zu den bedeutendsten. Mit dem 2012 verbotenen Nationalen Widerstand Dortmund (NWDO) – einer Szene bestehend aus freien Autonomen, „Hooligans gegen Salafisten“-Aktivisten, der Borussenfront u. a. Gruppierungen, die teils seit vielen Jahren aktiv sind bzw. waren – haben sich rechtsextreme Organisationsstrukturen in Dortmund seit Langem verfestigt. Mit der Partei Die Rechte (DR), der auch Siegfried Borchardt („SS-Siggi“) angehört, ist eine rechtsextreme Kraft im Dortmunder Stadtrat vertreten, die sich ebenfalls in den Konfliktverlauf der „Nordstadtdebatte“ eingeschaltet hat, sich insbesondere über ihr Online-Organ DortmundEcho äußerte. Dort erscheinen regelmäßig Berichte über „Klau-Roma“, „Trickbetrüger“ und „Zigeuner-Banden“. Als Beispiel dafür, wie man auf der Website von DortmundEcho über die Integration von Roma spricht, soll ein Bericht aus der Bezirksvertretungssitzung InnenstadtNord vom Oktober 2015 dienen, an der „SS-Siggi“ für die Partei teilgenommen hat. Borchardt schreibt: „Dem Förderantrag des PLANERLADENS e. V., einem linksalternativen Projekt, daß sich z. Zt. hauptsächlich um die ‚Integration‘ von Sinti und Roma und die Bespaßung der Zigeunerkinder kümmert, wurde, gegen die Stimme der Partei DIE RECHTE, zugestimmt. Die Fördersumme beträgt 2440 Euro und soll eventuell auf die geforderten 3000 Euro aufgestockt werden. Die Summe soll für einen Umzug verwendet werden. Ich hätte nur zugestimmt, wenn der Umzug nach Moldawien erfolgen würde und sie ihre Klientel gleich mitnehmen.“134

DR will den „Widerstand gegen die neue Überfremdungswelle“ in Bahnen lenken. Ihre Überzeugung: „Durch weitere Masseneinwanderung aus Osteuropa droht die ohnehin schon problematische Lage im Nordstadtghetto weiter anzu133 Vgl. dazu auch AK Antiziganismus im DISS (Hrsg.): Stimmungsmache. 134 Zit. n. o. V.: Innenstadt-Nord. Bericht zur 13. Bezirksvertretungssitzung mit Siegfried Borchardt, in: DortmundEcho, 29.10.2015, URL: http://www.dortmundecho.org/2015/ 10/innenstadt-nord-bericht-zur-13-bezirksvertretunssitzung-mit-siegfried-borchardt/ [eingesehen am 13.09.2016].

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schwellen.“135 Vor den Kommunalwahlen 2014 startete die Rechte den Versuch, mit Stimmungsmache gegen Rumänen und Bulgaren in Dortmund zu punkten, den Konflikt (wieder) aufzunehmen und zu aktualisieren. In ihrem Wahlprogramm hieß es: „Wir Deutschen wollen nicht zur Minderheit im eigenen Land werden. Schützt unsere Stadt vor der Invasion aus Osteuropa! Kein weiterer Zuzug aus Bulgarien und Rumänien – für die sofortige Abschiebung krimineller Ausländer!“136 Die Rechte erhielt bei der Kommunalwahl 2014 in Dortmund ein Prozent der Stimmen, die NPD 0,9 Prozent.137 Auch Hakenkreuzschmierereien an einem Gedenkstein zur Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma im Vorfeld einer Gedenkveranstaltung sorgten für Aufsehen – zeitgleich verteilten Neonazis nahe der Gedenkstätte Handzettel und verließen den Ort erst, nachdem die Polizei ihnen einen Platzverweis erteilt hatte.138 Diese Anmerkungen zu den Aktivitäten der Dortmunder rechtsextremen Szene im Konfliktverlauf müssen hier fragmentarisch bleiben; sie beanspruchen freilich keine Vollständigkeit, werfen jedoch ein Licht auf die Vielzahl der Akteure, die sich über „Roma“ beziehungsweise den Zuzug von Bulgaren und Rumänen in die Nordstadt zu Wort meldeten. Alle (von uns Befragten) äußerten sich ausführlich, auch mit dem Abstand einiger Jahre, und berichteten vom Straßen- und Arbeiterstrich, von den „Problemhäusern“, der sozialen Not, dem Zusammenleben im Quartier, den Missständen und den Vorzügen vom Leben in der Nordstadt. Mehrere Sozialarbeiter gaben Auskunft und erzählten von den gravierenden Problemen, welche die Menschen aus Südosteuropa, die bei ihnen in den Einrichtungen ankämen, oft mitbrächten. So entstand ein umfassender Korpus an Material, Stellungnahmen, Interviewtranskripten und Zeitungsartikeln 135 Zit. n. o. V.: Einwandererflut aus dem Osten befürchtet – Sozialsystem droht Kollaps, in: DortmundEcho, 18.02.2013, URL: http://www.dortmundecho.org/2013/02/ einwandererflut-aus-dem-osten-befurchtet-sozialsystem-droht-kollaps/ [eingesehen am 13.09.2016]. 136 Die Rechte – 25 Forderungen zur Kommunalwahl 2014, zit. n. o. V.: 25 kommunalpolitische Forderungen: Die RECHTE für Dortmund!, in: DortmundEcho, 23.11.2013, URL: http://www.dortmundecho.org/2013/11/25-kommunalpolitischeforderungen-die-rechte-fuer-dortmund/ [eingesehen am 14.02.2016]. 137 Vgl. o. V.: OB Sierau muss trotz Wahlsieg in Dortmund in die Stichwahl, in: Der Westen, 26.05.2014, URL: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/ob-sieraumuss-trotz-wahlsieg-in-dortmund-in-die-stichwahl-id9377268.html [eingesehen am 14.02.2017]. 138 Vgl. Geiß, Antje: Hakenkreuz überschattet Gedenken, in: Lokalkompass, 28.01.2013, URL: http://www.lokalkompass.de/dortmund-city/politik/hakenkreuz-ueberschattet-ge denken-d256870.html [eingesehen am 13.09.2016].

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zum Thema. Allein: Stimmen der Zuwanderer aus Südosteuropa, die in der Dortmunder Nordstadt leben, sind denkbar rar im Konfliktverlauf, fanden wenig Gehör – letztlich bis heute. Für die vorliegende Studie berichteten uns drei Menschen aus Rumänien, wie sie ihr Leben in Dortmund empfanden und was sie sich von der Zukunft erhofften.139 Folgt man ihren Erzählungen, so kann man zunächst feststellen, dass die von uns befragten Menschen, die zwischen 35 und 55 Jahre alt waren und zum Zeitpunkt des Gespräches zwischen zwei und sechs Jahren in der Nordstadt lebten, bereits über vergleichsweise ausgeprägte Migrationserfahrungen verfügt hatten, bevor sie nach Dortmund kamen. Sie hatten in Südamerika, Spanien, Italien und Portugal gewohnt. Teile ihrer Familien leben noch immer in Frankreich, Irland und England oder in der rumänischen Heimat. Obwohl man schon viele Jahre im Ausland lebt, wird Rumänien als Heimat betrachtet. Man sehe und fühle sich als Roma und als Rumäne zugleich – „sowohl als auch“140, hieß es, oder an anderer Stelle: „Ich bin Roma und ich bin in Rumänien geboren. Natürlich bin ich Rumänin. Und ich will, dass es in Rumänien gut wird, das will ich, das ist mein Land.“141 Doch ein Leben in Rumänien sei für sie nicht mehr vorstellbar, sei kein lebenswertes Leben, teilte man mit und beschrieb eine schlechte Arbeitssituation, unzureichende soziale Absicherung sowie Diskriminierungen. „Wir sind malträtiert in Rumänien. […] Ich denke, dass viele nach Rumänien zu[rück]gekehrt wären, aber sie sind nicht gut angesehen“, sagte uns eine Frau, die mit ihren zwei Kindern in Dortmund lebte, und schilderte uns ein Erlebnis während eines kürzeren Aufenthalts ihrer Familie in Rumänien: „Ich bin im Urlaub nach Rumänien gegangen, ich gehe ja jedes Jahr. Und ich war zwei Wochen im Krankenhaus mit dem Kleinen. Und da habe ich schon den Unterschied gesehen, den die Arzthelferinnen zwischen Zigeunern und Rumänen machen. Und den Zigeunern geben sie ein zerrissenes Bettlaken und den Rumänen geben sie ein gewaschenes. […] Es hat mir einfach nicht gefallen.“142

In dieser Passage findet sich die Selbstbezeichnung „Zigeuner“, obwohl die von uns Befragten sich als „Roma“ bezeichneten. Tatsächlich komme es ihr, so eine Befragte, nicht so sehr darauf an, welchen Begriff man verwende; es komme ihr

139 Die Interviews, inklusive Transkriptions- und Übersetzungsarbeit, führte Corina Martinas, der die Verfasser für ihre Arbeit herzlich danken. 140 Interview 3. 141 Interview 1. 142 Ebd.

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vielmehr auf den Ton an, darauf, wie man es sage.143 In Südeuropa habe man für sehr wenig Geld sehr hart gearbeitet, um durchzukommen – auf den Plantagen, in Bäckereien und Metzgereien: „Auf dem Feld bei 40 Grad. Ich hatte nicht mal Zeit, mein Gesicht zu waschen. […] Ich schlief nicht, um 4 Uhr morgens stand ich auf und kam um 4 Uhr nachmittags wieder.“ Das (Über-)Leben sei immer schwieriger geworden, weil sich die Beschäftigungsmöglichkeiten verringert hätten. Den Weg nach Dortmund habe man eingeschlagen, weil man sich in der Nordstadt ein besseres Leben erhofft, zudem über Angehörige verfügt habe, die einen ersten Orientierungspunkt geboten hätten, bei denen man Hilfe beim Ankommen vermutet und (meistens auch) gefunden habe. Dennoch habe sich die Ankunft in Dortmund als überaus schwierig dargestellt: Zum einen, folgt man den Schilderungen der von uns Befragten, habe dies an der bereits hohen Anzahl Arbeitsloser in der Nordstadt gelegen. „Es gibt tatsächlich viele arme Leute, viele, viele. Zum Beispiel Rumänen gibt es einen Haufen, die haben keine Möglichkeit, die Mieten zu zahlen, die haben viele Probleme mit den Mieten jetzt, mit dem Strom … Außerordentlich schwer, die haben Probleme mit Lügen, denn es kommen andere und lügen sie an, das ist und so, und es ist nicht so.“144

Eine (reguläre) Arbeit sei folglich auch in der Nordstadt kaum zu finden. Zudem seien Neuankömmlinge oft bei dubiosen „Vermittlern“ gelandet, die ebenfalls Rumänisch sprächen und gegen Geld ihre „Dienstleistungen“ für Behördengänge anböten. „Sie konnten auch Deutsch und sagten: ‚Ich bringe dich hin, wenn du mir den Tag bezahlst.‘ Es ist etwas Normales, gut, niemand geht gerne hin. Ich wusste nicht, dass es Vereine gibt, ohne Geld.“145 Dass Sozialeinrichtungen bestehen, die Bedürftigen unentgeltliche Lebenshilfe anbieten, war unserer Interviewpartnerin nicht bekannt – und so gehe es vielen ihrer Landsleute, berichtete sie. Dort allerdings – beispielsweise bei der Caritas oder der Diakonie – sei man auf Menschen getroffen, die wirklich hätten helfen wollen – ehrlich, anständig, ohne Hintergedanken. Sicherheit und eine Fürsorge, die man schätze, die man in dieser Form bislang andernorts nicht erfahren habe und für die man dankbar sei: „Es gefällt mir, dass sie hier den Leuten helfen, weißt du, die Deutschen. Ich glaube, sonst wären nicht so viele hierhergekommen.“146 Daher auch: Die von uns Befragten gaben an, sich in der Dortmunder Nordstadt wohlzufühlen. Diese sei sauberer als beispielsweise Orte in Italien: „Dort 143 Vgl. ebd. 144 Interview 2. 145 Interview 1. 146 Ebd.

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werfen die Leute Sachen einfach so auf die Straßen […], hier haben sie es ordentlich“147. Man verbringe Zeit im Park, lerne die deutsche Sprache, lebe insgesamt mit den anderen Nordstadtbewohnern friedlich zusammen und – verglichen mit den Erfahrungen aus anderen Ländern – werde weitestgehend respektiert. Auch wenn es schwierig sei, eine Arbeit zu bekommen, man sich mit Gelegenheitsjobs und Schwarzarbeit durchschlagen müsse, wolle man bleiben – insbesondere wegen der Kinder, die schon jetzt besser Deutsch sprächen als ihre Eltern. Für sie habe man Pläne: einen Schulabschluss, eine Ausbildung, einen vernünftigen Beruf. „Sollen sie sich quälen so wie wir? Ich glaube, dass sie etwas weiterkommen sollten. […] Ich will nicht, dass meine Kinder das durchmachen müssen in ihrem Leben, was ich durchgemacht habe. Ich war so weit, dass ich alles gemacht habe, was ich nur konnte. Ich war so weit, ich habe Zeitungen auf der Straße verkauft, oder Taschentücher an Tischen auf Terrassen.“148

Auch wenn man sich nicht sicher ist, selbst noch einen signifikanten sozialen Aufstieg vollziehen zu können, gingen unsere Gesprächsteilnehmer davon aus, in Dortmund wenigstens ihren Kindern den Weg in eine andere, bessere, geordnete Zukunft bieten zu können. So sind es die Kinder, die den Tagesablauf vieler Eltern strukturieren: der Weg zur Schule, das Abholen am Mittag, die Hausaufgaben am Nachmittag, bei denen die Eltern nicht selten selbst noch etwas mitlernen, wie sie berichteten.149 Das stiftet Sinn, gibt ihnen Halt und Hoffnung zugleich. Überdies empfanden unsere Interviewpartner ihre Kirchen (rumänischorthodox sowie Pfingstgemeinde) als Orte der Ruhe und der Stabilität, den Kirchgang beschrieben sie als sozialen Fixpunkt ihres Wochenablaufes. Ist also die Zeit der Konflikte um Zuwanderung aus Südosteuropa in der Dortmunder Nordstadt bald vorbei? Wir wissen es nicht. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass zumindest teils hysterisch geführte Debatten wie 2010/11 wohl der Vergangenheit angehören, sich auf diese Weise vermutlich nicht wiederholen werden – zumal sich die Umgebungsbedingungen ohnehin gewandelt haben. Über die Dauer sind die Konflikte zwar nicht ausgeräumt, aber doch eingehegt worden; sie sind damit bearbeitbar geworden, was prozesshaft erfolgt. Doch lösen sich Vorstellungen und Projektionen über „das Fremde“ nur sehr langsam auf oder lassen sich – anders gesagt – rasch in einem neuerlichen Konflikt reaktivieren. Den Umgang damit zu lernen, auch diese Spannung zu akzeptieren und 147 Interview 3. 148 Interview 1. 149 Vgl. Interview 3.

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auszutarieren, wäre das Ziel. Ob die beteiligten Akteure in Dortmund in diesem Punkt dazugelernt haben, können freilich erst künftige oder ähnliche sich anbahnende Konflikte beweisen.

2.2 „N ICHTS WIRD VON UNS BESTIMMT “ – K ONFLIKTE UM W ERKVERTRAGSARBEIT IM O LDENBURGER M ÜNSTERLAND „Arbaide, dän häs du wat“150 lautet ein Sprichwort im Oldenburger Münsterland – und es steht für die Geschichte einer Region, die sich vom Armenhaus Norddeutschlands zur am stärksten prosperierenden Region Niedersachsens hochgewirtschaftet hat. Die Geschichte des wirtschaftlichen Erfolgs der katholischen Enklave im evangelischen Umfeld ist zugleich die Geschichte eines „politischsozialen Milieus der Behütung und Bewahrung“151, in dem habituelle Ordnungen und Traditionen gepflegt und reproduziert werden. Der wirtschaftliche Aufstieg der Region ist untrennbar verbunden mit der Etablierung von Eiern und Fleisch als alltäglichem Konsumprodukt. Hatten die Deutschen in den 1960er Jahren noch durchschnittlich knapp 53 Kilogramm pro Jahr und Einwohner verbraucht, so waren es 1990 schon über neunzig Kilogramm.152 Zugleich hat sich Deutschland vom Importeur zum Exporteur von Fleisch entwickelt; insbesondere in der Schweinefleisch- und Geflügelproduktion lässt sich ein enormer Anstieg verzeichnen, der in den 1990er Jahren einsetzte und in den 2000er Jahren voll zum Tragen kam. In der Geflügelproduktion stieg die Produktionsmenge zwischen 1990 (573.000 Tonnen) und 2013 (1.695.000 Tonnen) um fast 200 Prozent;153 ein etwas geringeres Wachstum verzeichnete die Schweinefleischproduktion, die im selben Zeitraum von ca. 3,5 Mio. Tonnen auf fünf Mio. Tonnen stieg.154

150 „Arbeite, dann hast du was“. 151 Gelhaus, Hubert: Das politisch-soziale Milieu in Südoldenburg 1803–1936, Oldenburg 2001, S. 465 152 Den Verbrauchszahlen entspricht 2013 ein Konsumanteil von 69 Prozent, da Knochen und Innereien größtenteils nicht verwertet werden. 153 Vgl. Westphal, Vera/Bundschuh, Ralf: Eier und Geflügel, in: Landesanstalt für Entwicklung der Landwirtschaft und der ländlichen Räume/Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (Hrsg.): Agrarmärkte 2014, Schwäbisch Gmünd/München 2014, S. 268, URL: https://www.lfl.bayern.de/mam/cms07/publikationen/daten/schriften reihe/agrarmaerkte-2014_lfl-schriftenreihe-3-2014.pdf [eingesehen am 31.10.2016]. 154 Vgl. ebd., S. 180.

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Dabei fand insbesondere im Bereich der Weiterverarbeitung ein enormer Konzentrationsprozess statt: 2013 schlachteten die zehn größten Unternehmen im Bereich Schweinefleisch 75 Prozent aller in Deutschland zerlegten Tiere; die Top 4 kamen auf 59 Prozent,155 zugleich sank im Zeitraum zwischen 1993 und 2013 die Anzahl der meldepflichtigen Schlachtbetriebe bundesweit von ca. 340 auf etwa 120.156 In der Geflügelschlachtung ist zwischen 1990 und 2013 ein Anstieg von 250 Prozent zu verzeichnen, der insbesondere mit dem Aufstieg der PHW-Gruppe LOHMANN & CO. AG zur führenden bundesweiten Unternehmensgruppe im Bereich der Geflügelschlachtung und -züchtung einhergegangen ist. Diese Entwicklung kam insbesondere dem Land Niedersachsen zugute – es hat sich an die Spitze der bundesweiten Fleischproduktion gesetzt. Im Bereich der Schweinefleischproduktion ist Niedersachsen deutschlandweit führend, in der Rindfleischproduktion belegt es den zweiten Platz; am deutlichsten ist der Vorsprung jedoch in der Geflügelfleischproduktion: 54 Prozent der deutschen Geflügelproduktion und -schlachtung für Eier und Fleisch sind im Raum Niedersachsen/Hamburg/Bremen angesiedelt.157 Insbesondere in diesem Bereich gilt das, was in der Tendenz für die Transformation des gesamten Feldes der Fleischproduktion gilt. Der Konzentrationsprozess der Branche umfasst nicht nur die Schlachtung, sondern die gesamte Produktionskette; und das Oldenburger Münsterland sowie die angrenzenden Landkreise können zweifelsohne als deren Herz angesehen werden. Nirgendwo in Deutschland wird so viel Fleisch produziert wie hier, und nirgendwo sonst wird so viel geschlachtet. Das Oldenburger Münsterland ist mit dem Erfolg der Ware Fleisch groß geworden. Der Wohlstand der Landkreise Vechta und Cloppenburg, in denen ca. 290.000 Menschen leben, baut auf dem Wachstum der Fleischbranche auf, die auch den Aufbau weiterer Zulieferbetriebe begünstigt hat: Die Verpackungsmittelproduktion und die Futtermittelgewinnung, die Züchtung von Ferkeln, Legehennen und Fleischgeflügel oder auch die Weiterverarbeitung der Waren sind mittlerweile weitere wirtschaftliche Standbeine der Region. Daneben spielt dort auch die Obst- und Gemüseproduktion eine bedeutende Rolle. Der wirtschaftliche Aufstieg des Oldenburger Münsterlandes reicht bis in die 1960er Jahre zurück; einen besonderen Boom erfuhr die Region jedoch erst ab den frühen 1990er Jahren. Zwischen 2000 und 2014 alleine stieg der Industrieumsatz der Region um 115,56 Prozent an, während der bundesweite Anstieg le155 Vgl. ebd., S. 183. 156 Vgl. Efken, Josef et al.: Stellungnahme zur aktuellen Situation der Fleischerzeugung und Fleischwirtschaft in Deutschland. Thünen working paper 42, Braunschweig 2015. 157 Vgl. Westphal/Bundschuh: Eier und Geflügel, S. 277.

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diglich 34,7 Prozent betrug;158 zeitgleich stieg das Bruttoinlandsprodukt um 62,19 Prozent an, der Bundesdurchschnitt lag bei 30,23 Prozent.159 Stolz verweist das „Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland“ darauf, auf einem Prozent der deutschen Agrarfläche 10,8 Prozent der deutschen Mastschweine, 16,7 Prozent der Legehennen, 19,5 Prozent der Masthähnchen sowie 28,2 Prozent der Mastputen zu erzeugen.160 Das Wachstum der Branche – das betonen mehrere Interviewpartner – ist dabei eng an Migrationsprozesse und sektorale Öffnungen des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus Ost- und Südosteuropa gebunden, die als Werkvertrags- oder Leiharbeiter eingesetzt werden. Das Phänomen der Werkverträge in der deutschen Fleischverarbeitung Ab den auslaufenden 1980er Jahren schloss die Bundesregierung verschiedene bilaterale „Vereinbarungen über die Entsendung von Arbeitnehmern auf der Grundlage von Werkverträgen“ ab. Diese Kontingentregelungen strukturierten bis 2004 das Maß an Arbeitskräften, die als Werkvertragsarbeiter zunächst zu den in Deutschland vorherrschenden Konditionen tarifgemäß eingesetzt werden durften. Ab 2004 änderte sich dies: Im Zuge der Öffnung für die neuen EUMitgliedsstaaten wurde osteuropäischen Subunternehmen ermöglicht, über Werkverträge Dienstleistungen anzubieten, die von Beschäftigten zu den Arbeits- und Sozialbedingungen ihres Herkunftslandes verrichtet wurden.161 Solche Werkvertragsarbeiter sind für Unternehmen als Arbeitnehmer besonders attraktiv, da in der Regel keine größeren Arbeits- oder Gesundheitsrisiken abgesichert werden müssen. Das Wachstum der Fleischbranche im Oldenburger Münsterland fand ohne größere Entlassungen des Stammpersonals statt, obwohl dieses mittlerweile in den meisten größeren Betrieben nur noch zehn bis dreißig Prozent der Beleg-

158 URL: http://www.om23.de/fakten/industrie/industrieumsatz/ [eingesehen am 21.02.2017]. 159 URL: http://www.om23.de/fakten/bruttosozialprodukt/bruttoinlandsprodukt/ [eingesehen am 21.02.2017]. 160 Vgl. die Zahlen unter URL: http://www.aef-om.de/zahlen-a-daten/daten-om [eingesehen am 30.10.2016]. 161 Vgl. Czommer, Lars/Worthmann, Georg: Von der Baustelle in den Schlachthof – Zur Übertragbarkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf die deutsche Fleischbranche. IAT-Report 2005-03, S. 1–3, URL: http://www.iaq.uni-due.de/iat-report/ 2005/report2005-03.pdf [eingesehen am 31.10.2016]

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schaft ausmachte.162 Das bedeutet ferner, dass der Mehrbedarf an Arbeitskräften im Zuge des Wachstums der Branche in großen Teilen durch Arbeitskräfte aus den MOE-Staaten163 gedeckt wurde. In der gesamten Region hat sich ein System etabliert, nach dem mittlerweile nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie vorgegangen wird. Subunternehmen bieten den fleischverarbeitenden Unternehmen beispielsweise die Schlachtung und Zerlegung von Tieren als Dienstleistung an, die dann im verarbeitenden Unternehmen selbst durchgeführt wird. So werden Teile der Produktionskette an Unternehmen ausgelagert, die diese dann mit ihren eigenen Arbeitskräften verrichten, dabei jedoch das Inventar und die Maschinen des Auftraggebers nutzen. In der deutschen Fleischbranche wird auf dieses Mittel der Kostensenkung in einem Maße zurückgegriffen, das sich vermutlich in keiner anderen Branche findet. Für das Oldenburger Münsterland und die angrenzenden Regionen schätzt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) den Anteil an Werkvertragsarbeitern auf etwa 20.000 Menschen allein in der Fleischwirtschaft.164 Gerade die Schlachtindustrie, so die Soziologen Ulrich Brinkmann und Oliver Nachtwey, „ist mittlerweile in einen Arbeitsmarkt integriert, der von mitunter dauerhafter Arbeitsmigration geprägt ist“165. Diese Praxis führte zunächst zu enormen Gewinnspannen, die sich im spektakulären Wachstum einzelner Unternehmen der Branche niederschlugen. Im Zuge der Etablierung der Werkvertragspraxis als gängiger und fester Bestandteil der Unternehmensführung mittlerer bis großer fleischverarbeitender Unternehmen hat sich dieser Effekt jedoch inzwischen relativiert. Stille Migration Die ausgeprägten Migrationsbewegungen, die sich insbesondere in den vergangenen 15 Jahren abgespielt haben, liefen und laufen weitestgehend abseits der öffentlichen Wahrnehmung ab. Ein großer Teil der Arbeitnehmer, die im Rahmen von Werkverträgen eingesetzt werden, ist weder ordnungsgemäß registriert noch in der Region wohnhaft. Vornehmlich handelt es sich bei den Migranten um Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und, Informationen der „Beratungsstelle für mobile Beschäftigte Oldenburg“ zufolge, primär um rumänische und 162 Vgl. Brinkmann, Ulrich/Nachtwey, Oliver: Prekäre Demokratie? Zu den Auswirkungen atypischer Beschäftigung auf die betriebliche Mitbestimmung, in: Industrielle Beziehungen, H. 1/2004, S. 78–98, hier S. 91. 163 Mittel- und Ost-Europäische Staaten. 164 Vgl. Interview mit einem Gewerkschafter der NGG am 05.08.2015. 165 Brinkmann/Nachtwey: Prekäre Demokratie?, S. 91.

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bulgarische Staatsbürger, die häufig schon in ihrem Herkunftsland sozial und ökonomisch marginalisiert gewesen sind. Eine Interviewpartnerin von der mobilen Beratungsstelle schätzte den Anteil der Roma unter den bulgarischen Arbeitnehmern auf ca. siebzig Prozent. Untergebracht werden sie unseren Interviews zufolge vornehmlich an den Rändern kleinerer Gemeinden des Oldenburger Münsterlandes und der angrenzenden Landkreise, im ländlichen Gebiet teilweise auch auf Campingplätzen. Regelmäßig kritisieren Gewerkschaften die Intransparenz dieses Sektors: Der Branche wird vorgeworfen, dass durch die Nutzung von Subunternehmen häufig arbeitsrechtliche Standards unterwandert und Löhne nicht ordnungsgemäß ausbezahlt würden. Mittlerweile haben führende Unternehmen der Branche eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, die Subunternehmen wiederum zu verpflichten, ihre Mitarbeiter im deutschen Sozial- und Krankenversicherungssystem anzumelden. Damit gerät das Feld der Fleischwirtschaft langsam in Bewegung; nicht zuletzt, weil es in den vergangenen Jahren immer wieder mediale Berichte über die Situation in der Fleischbranche, die mitunter heftige Missbräuche von Arbeitnehmer anprangern, gegeben hat.166 Auch ist mittlerweile mit Unterstützung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums eine Beratungsstelle in Oldenburg gegründet worden, die in der Region in Werkverträgen Arbeitenden Beratungsleistungen und Hilfestellungen anbietet. Jedoch existieren keine eindeutigen und verlässlichen Daten über die Anzahl von Arbeitskräften, die im Rahmen von Werkverträgen oder Saisonarbeiten in der Region eingesetzt werden. Denn mittlerweile hat sich das System der Werkverträge und Leiharbeiter über den Bereich der Schlachtereien hinaus ausgeweitet. Sowohl im Rahmen der weiteren Produktionskette der Fleischerzeugung und -verarbeitung als auch in der Zuliefererindustrie wird auf Arbeitskräfte, die von Subunternehmen zur Verfügung gestellt werden, zurückgegriffen, sodass die oben angegebenen 20.000 Arbeiter lediglich als Schätzung für einen Teilbereich der Produktionskette gelten können. Da die mit Werkverträgen operierenden Unternehmen keinerlei Daten über die Mitarbeiter der Subunternehmen erheben und Letztere sich nicht oder allenfalls über Tochterfirmen in Deutschland registrieren, gibt es auch über deren Anzahl keine genaueren Angaben. Im Rahmen der Erhebungen zur Situation im Oldenburger Münsterland war für die Verfasser zunächst wichtig, einen ungefähren Überblick über die Situation vor Ort zu erhalten. Nach ersten Reisen in die Region und ersten Interviews 166 Vgl. etwa Kunze, Anne: Die Schlachtordnung, in: Die Zeit, H. 51/2014, URL: http://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutungarbeiter/ [eingesehen am 30.10.2016]; vgl. auch die Reportage „Die Fleisch-Mafia“ von Michael Nieberg, die am 11.09.2015 im NDR ausgestrahlt wurde.

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zeigte sich ein paradoxes Bild: Obwohl die Region innerhalb der letzten zwanzig Jahre einen massiven Zuwachs aufgrund von Zuwanderung erfahren hat, sind diese Migrationsprozesse trotz der prekären Verhältnisse, innerhalb derer sie stattfinden, sowohl lokalmedial als auch politisch allenfalls randständige Themen. Nach Literaturrecherchen zur Sozialstruktur und Geschichte der Region sowie zur ökonomischen Bedeutung und politischen Vernetzung regionaler Unternehmen der Fleischbranche in der Lokal-, Landes- und Bundespolitik167 sowie Gesprächen mit Menschen, die sich politisch für die Belange der Werkvertragsarbeiter einsetzten, konnte die Hypothese formuliert werden, dass es sich um einen verdrängten sozialen Konflikt handelt. Verdrängung soll hier nicht psychoanalytisch als internalisierter Vorgang verstanden werden, sondern vielmehr als Verdrängung aus der öffentlichen Debatte durch die Negation eines sozialen Konfliktes. Das Thema anzusprechen, wird lokal vermieden; auch versuchen lokale Akteure aus Politik und Wirtschaft mit Interventionen, eine Debatte über die Situation von Werkvertragsarbeiter zu unterbinden. Die Möglichkeit zur Verdrängung leitet sich u. a. aus der Struktur des sozialen Feldes ab, das von einer starken Konzentration von symbolischem, kulturellem und ökonomischem Kapital bei einzelnen Akteuren geprägt ist. Erklärungsbedürftig ist demnach nicht nur, wie mit der Exklusion der Migranten umgegangen wird, sondern auch, welche Narrative über Migration, Konflikt und Gemeinschaft eigentlich in der Region existieren, die diese Struktur des sozialen Feldes stabilisieren.168 Dementsprechend wurden weitere Interviews mit Lokalpolitikern dreier Parteien, Mitarbeitern von Rechtsberatungen, einem Vertreter der katholischen Kirche sowie eine Gruppendiskussion mit Anwohnern des Landkreises Vechta geführt. Schlussendlich sprachen wir, ebenfalls in Form von Interviews, mit unlängst zugewanderten Roma, die in einem angrenzenden Landkreis lebten, um weitere Informationen über deren Selbstbild und Verhältnis zur lokalen Gesellschaft, ihre Vorstellungen und Lebenspläne zu erhalten.

167 Hier wäre insbesondere „Die Vernetzung der Agrarindustrie und Agrarpolitik in Deutschland“ von Veikko Heintz im Auftrag der Bundesfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN hervorzuheben. 168 Zur Theorie des sozialen Raums vgl. Bourdieu, Pierre: Sozialer Raum und „Klassen“: Leçon sur la leçon, Frankfurt a. M. 1991 sowie zu symbolischem Kapital und der Reproduktion von Machtverhältnissen Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Pierre: Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt. Kulturelle Reproduktion und soziale Reproduktion, Frankfurt a. M. 1973.

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Gesättigte Gesellschaft und intakte Institutionen – die Dominanz des Konservativen Milieus Die Städte Cloppenburg und Vechta sind im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs gut situiert. In den vergangenen Jahren wurde eine Vielzahl von Bauprojekten durchgeführt, die den Lebensstandard der Anwohner gehoben haben; und dennoch ist die Stadt Vechta beinahe schuldenfrei. Die Arbeitslosenquote liegt seit fast zehn Jahren bei unter fünf Prozent – nicht zuletzt dank der Unternehmen aus der Fleischbranche, die diesen Wohlstand (mit-)produzieren. Die Intensität der wirtschaftlichen Nutzung der Region lässt sich an den Bestandszahlen des Wirtschaftsdatenblattes des Landkreises Vechta nachzeichnen. So wurden zum Stichtag 31. Dezember 2014 im Landkreis fast 14 Mio. Hühner, 1,5 Mio. Schweine und fast eine halbe Million Puten gehalten. Hinzu kamen eine Vielzahl von Rindern, Enten und Gänsen.169 Die Region des Oldenburger Münsterlandes scheint dabei ein Paradebeispiel eines intakten, gelebten Konservatismus zu sein. Hier funktionieren die Institutionen traditioneller Gemeinschaftsstiftung noch in einem Maße, wie es in wohl keiner zweiten norddeutschen Region der Fall ist. Die Region prosperiert wirtschaftlich, in den Gemeinden werden althergebrachte Traditionen ebenso wie das Vereinswesen gepflegt und insbesondere der katholischen Kirche kommt nach wie vor eine verhältnismäßig große Bedeutung zu. Im Gegensatz zu anderen ländlichen Räumen sind die Landkreise weder durch Landflucht noch durch Überalterung gekennzeichnet, im Gegenteil: Beide Landkreise haben überdurchschnittlich hohe Geburtenraten; Vechta weist sogar die höchste in der gesamten Bundesrepublik auf. Die Landkreise Vechta und Cloppenburg lassen sich als katholische Enklave im norddeutschen Raum bezeichnen. Dieser Umstand hat große Auswirkungen auf die Zusammensetzung des politischen Feldes in der Region. Zunächst scheint der katholischen Kirche eine weitaus größere Bedeutung zuzukommen, als dies in anderen Teilen Norddeutschlands der Fall ist. Die Verbundenheit der Region mit der Kirche wurde einstimmig von allen Interviewten, denen wir diese Frage gestellt hatten, betont. Sie zeigt sich auch in der Struktur des lokalen Parteiensystems: In Vechta wurde der erste CDU-Kreisverband Nachkriegsdeutschlands gegründet, und seit dem Kriegsende regiert dort, ebenso wie Cloppenburg, die Christlich Demokratische Union. Die Stabilität der lokalen CDU speist sich aus

169 Vgl. Wirtschaftsdatenblatt des Landkreises Vechta, URL: https://www.landkreisvechta.de/fileadmin/dokumente/pdf/arbeit_und_wirtschaft/wirtschaftsstandort/Zahle n_Daten_Fakten-Stand_2015_3.pdf [eingesehen am 31.10.2016].

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ihrer Verbundenheit mit der Kirche und ihrer traditionellen Verwurzelung in der Region. Parteieliten komme nach Aussage eines CDU-Politikers in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung zu: „Also es gibt auf jeden Fall diesen extremen Zusammenhang zwischen der katholischen Kirche und der Vormachtstellung der CDU. Das ist auf jeden Fall hier zu beobachten. Und auch wenn Sie das beobachten auf den Gemeindefesten in den Kirchenvorständen, die Kirchgänger, das ist mit der Parteielite identisch.“170

Zur traditionellen Verbindung der CDU mit der katholischen Kirche kommt für die lokale Machstellung der Partei ein zweiter wichtiger Faktor hinzu: Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Region war die Nähe zu lokalen Unternehmen von besonderer Bedeutung. Dieses Verhältnis zwischen Parteien und Wirtschaft ist in der Region allgemein bekannt, jedoch kein Grund zur Kritik. Vielmehr wird es als ein ambivalentes Verhältnis, das sich summa summarum zum Vorteil der gesamten Region entwickelt habe, gedeutet. In der in einer ländlichen Gemeinde des Landkreises Vechta durchgeführten Gruppendiskussion wurde das Thema mehrfach angesprochen. Hier wurde das Gewicht von Parteieliten, die zugleich als Unternehmer in der Region aktiv sind, zwar als grundsätzlich zwiespältig, letzten Endes aber für den Standort als positiv bewertet: „T1: Ich habe das Gefühl, die Politik, die ist schon sehr stark an den Interessen der Wirtschaft angelehnt. Also man hat auch das Gefühl, dass die ganzen Anträge sehr, sehr schnell durchgehen, was auch positiv ist. Aber man hat auch in einigen Bereichen natürlich … in Visbek beispielsweise ist der … also von dem Paul Wesjohann der Bruder, der Erich, ist dort auch mit drin. Ich weiß gar nicht, was genau. Stadtrat oder … Auf jeden Fall hat er dort auch in der Politik … T2: Der Kreistag. T1: Ja, genau. Das sind natürlich auch Leute, die dann diese Posten mit einnehmen, um auch ihre Interessen zu vertreten. Und das muss ja auch gar nicht unbedingt schlecht sein. Klar, bei einigen Entscheidungen könnte man dann denken: Hmm, wie … wieso wurde die denn so getroffen? Hat das damit vielleicht was zu tun? Ja, jedenfalls es ist schon verwoben, also mit der Politik und der Wirtschaft. Das stimmt. Aber es hat auch durchaus positive Aspekte, beispielsweise ja im Bereich der Bildung. […]

170 Interview mit einem Lokalpolitiker der CDU.

104 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA T3: Also ich würde schon sagen, dass das eigentlich auch eine Tradition schon ist so in der Art und Weise. Und das, wenn die … also die Firmen wieder Menschen einstellen, dann sorgt die Politik wieder dafür, dass es hier wieder Bauplätze gibt, damit diese Menschen auch bleiben. Weil, wer ein Haus irgendwo hier baut, der bleibt hier auch, ja? Und dann achten die Firmen vielleicht auch ein bisschen mehr da drauf, auch Menschen aus der Region zu bekommen. Also bevor ich mir einen Manager aus Hamburg hole, der nach ’nem Jahr wieder zurückzieht, versuche ich natürlich, jemanden hier aus der Region zu kriegen. Und wenn ich dem auch noch zumindest die theoretische Möglichkeit eines Bauplatzes gebe, die dann auch noch immer sehr günstig sind hier in der Region, dadurch festigt sich das natürlich. Dadurch wächst das Ganze und dadurch bleibt die Wirtschaft auch immer am Laufen. T4: Und das ist auch gut so, dass man auch noch Industrielle … meinetwegen in der Politik hat, zum Beispiel im Kreistag oder im Gemeinderat. T5: Nicht nur Beamte. [Zustimmendes Gelächter in der Runde] T4: So. Und die Politik wird auch ja nicht meinetwegen in den Sitzungen gemacht, sondern vor den Sitzungen und nach den Sitzungen. So, und wenn [Verein] spielt. T5: Und wenn [Verein] spielt, genau.“171

In dieser Sequenz wird überdies deutlich: Nachdem der erste Teilnehmer negative Züge der Nähe von Politik und Wirtschaft in der Region angesprochen hat, hebt er umgehend deren positive Aspekte hervor. Ein ähnliches Verhalten legten Diskussionsteilnehmer an verschiedenen Stellen an den Tag, wenn es um Fragen der Gemeinschaft und der regionalen Identität ging. Die Diskussion war in hohem Maße durch die Betonung positiver Aspekte des Zusammenlebens geprägt. Kritische Aussagen wurden durchaus geduldet, jedoch in den meisten Fällen von den Kritikübenden selbst sogleich relativiert. In der Tat ist die Lokalpolitik des Oldenburger Münsterlandes durch die hier beschriebene Nähe zwischen lokalen wirtschaftlichen Eliten und Politikern geprägt. In den Interviews wurde verschiedentlich auf familiäre Nähe verwiesen. Ebenso häufig gibt es explizite persönliche Doppelfunktionen: So war der Grün171 Die Gruppendiskussion mit Anwohnern im Landkreis Vechta wurde am 04.07.2016 durchgeführt. Hierfür wurden acht Personen geschlechterparitätisch ausgewählt. Die Teilnehmer waren zwischen 24 und 68 Jahre alt, ihre Namen wurden in den zitierten Sequenzen geändert. Bezugnahmen, welche die Herkunft erkennen lassen könnten, wurden anonymisiert.

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der der PHW-Gruppe, Paul-Heinz Wesjohann, zwanzig Jahre lang zeitgleich Fraktionsvorsitzender der CDU im Kreistag der Stadt Vechta; sein Bruder und Gründer der EW Group, Erich Wesjohann, ist seit Langem Fraktionsvorsitzender der CDU in der Gemeinde Visbek. Die lokale CDU hat den Wandel zur Programmpartei, den die Bundespartei im Zuge der 1970er Jahre erfahren hat, weitestgehend an sich vorüberziehen lassen.172 Honoratioren sind in der Region noch von großer Bedeutung, lokal verwurzelt und entstammen häufig traditionsreichen Familien.173 Die so entstehenden Netzwerke zwischen ökonomischem und politischem Feld gehen weit über die lokale Ebene hinaus. Mit dem Bundestagsabgeordneten Franz-Josef Holzenkamp (CDU) vertritt einer der einflussreichsten Agrarpolitiker die Region im Bundestag. Holzenkamp ist Präsident des niedersächsischen Bauernverbandes, Vizepräsident des Niedersächsischen Landvolkes, hat eine Vielzahl von Nebentätigkeiten in verschiedenen landwirtschaftlich orientierten Unternehmen inne (u. a. verschiedene Tätigkeiten bei der LVM Versicherung, den Vorsitz des Aufsichtsrates der AGRAVIS AG) und sitzt im Agrarausschuss des Bundestages.174 Der Landtagsabgeordnete Stephan Siemer (CDU) kommt aus einer der angesehensten Familien Vechtas175 und ist mit zahlreichen Unternehmensbeteiligungen der regionalen Wirtschaft verbunden. Der wirtschaftliche Aufschwung, den die Region in den vergangenen dreißig Jahren erfahren hat, ist für das Gemeinschaftsverständnis von großer Bedeutung, und den lokalen wirtschaftlichen Eliten wird dementsprechend große Hochachtung zuteil. In der durchgeführten Gruppendiskussion äußerte sich das zunächst in einem von allen Gesprächsteilnehmern geteilten Allgemeinwissen über die Erfolgsgeschichten lokaler Unternehmer: „T2: Ja, das ist so typisch ländlich und es ist wichtig, was man machen kann, was man machen will, was fehlt im Dorf, was ... und ja. So ist der Josef Meerpohl auch angefangen. 172 Vgl. dazu grundsätzlich Walter, Franz/Werwath, Christian/D’Antonio, Oliver: Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, BadenBaden 2011. 173 Zum Wandel der CDU siehe auch Walter, Franz: Zerbröselnde Erfolgsgeschichte. Eine parteihistorische Einleitung, in: Schlieben, Michael: Politische Führung in der Opposition. Die CDU nach 1998, Wiesbaden 2007, S. 9–35. 174 Vgl. Heintz, Veikko: Die Vernetzung der Agrarindustrie und Agrarpolitik in Deutschland. Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 2013, URL: http://www.paktev.de/mediapool/107/1071834/data/PDF_S/Die_ Vernetzung_der_Agrarindustrie_und_Agrarpolitik_in_Deutschland.pdf [eingesehen am 31.10.2016]. 175 Interview mit einem Lokalpolitiker der CDU.

106 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA Er war beim Geflügelhof Kathmann Calveslage. Da fing das an. Da kam David DeWitt aus Amerika. Dem gehörte damals Big Dutchman und [der] suchte Vertretung in Deutschland. Und der Josef Meerpohl, ein Bauernsohn, war zufällig in der Kneipe zum Frühschoppen. Da war David DeWitt und fragte, ob die jemanden wüssten in Deutschland oder hier in dieser Gegend, der eine Vertretung, so hat Josef das mal erzählt, machen will. Und dann hat der Bauernsohn Josef Meerpohl gesagt: ‚Ja, das will ich wohl machen.‘ Dann ist der angefangen, einen Hühnerstall abzupeppen. Dann hat er eine Zigarettenschachtel genommen, hat mit seinen Füßen die Maße genommen, einmal rum, auf die Zigarettenschachtel geschrieben. Und so ist Josef Meerpohl angefangen. Ich weiß nicht wann, 1960 oder so. Und jetzt hat er eine Weltfirma. Er hat dann irgendwann Big Dutchman in Amerika aufgekauft. Und … weil DeWitt hatte keinen Nachfolger. Ja. Und so kam denn … das war ein Rad ohne Ende, die ganzen Stallungen: Huhn, Schwein. Die Kraftfutterwerke. [Behlermühle], wurde immer größer dank Agrar. […] T4: Oder hier in Neuenkirchen Thamann + Leiber. [unverst.] oder wie heißt der? T7: Bröring ist ja eigentlich der größte in Deutschland. T2: Wer? T7: Bröring in Dinklage. Das ist so ’ne Industrie … T4: Oder wenn Sie zum Beispiel jetzt Lebensmittelindustrie an den [Name] denken, der ist jetzt 82. Und der hat mit 25 … hat der sein Werk gegründet. Der hat über 1.000 Beschäftigte alleine in Deutschland. Der hatte ja Kartoffelsalate und wie sie alle heißen. T2: Geflügel und Schwein … T4: Schwein, ja. Der ist … Den ersten Kartoffelsalat hat er in der Badewanne angerührt, noch mit … hier … T6: Mit den Händen. T4: Ja. In der Badewanne. Und dann verkauft. Interviewer 1: Kennt man sich hier? T2: Ja, so fing das an.

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T4: Bitte? Interviewer 1: Also Sie kennen sich? Sie kennen auch die Geschichten von … [die Runde bejaht das], also die Erfolgsgeschichten? T4: Das ist auf dem Lande so. Man hat sich getroffen früher beim Frühschoppen [lacht]. […] T5: Aber solche Geschichten kennt man. Kennen auch die jüngeren Leute. T6: Die werden ja auch weitererzählt, ne? Der eine erzählt das dem anderen.“

Die kursierenden Erfolgsgeschichten zeugen von der Anerkennung, die den Vorreitern des regionalen Wohlstands zuteilwird. Dieser Anerkennung entspricht auch die Schwierigkeit, Kritik an den bestehenden Verhältnissen und Figurationen der lokalen Sozialordnung zu artikulieren. Die Situation der Arbeiter wurde zwar durchaus als problematisch aufgefasst; jedoch wurde das Thema ohne Einbezug der lokalen Unternehmen verhandelt. Als Ursachen für die Entstehung des Systems der Werkvertragsarbeit wurde zum einen ein Preisdiktat durch Discounter vermutet, zum anderen wurde die Verantwortung für die Arbeitsverhältnisse der Werkvertragsarbeiter bei den Subunternehmen verortet: „Subunternehmer finde ich schlecht. Also für mich ist das mehr oder weniger auch moderner Sklavenhandel, weil die Subunternehmer selber dann im Ausland sitzen. Diese Betriebe sind im Ausland als Hauptsitz angemeldet“, erklärte eine Diskussionsteilnehmerin. Die Entstehung eines Arbeitsmarktes für Werkvertragsarbeiter wurde damit größtenteils auf externe Akteure und einen systemisch bedingten Preisdruck (Discounter, Subunternehmen, Kunden) zurückgeführt. Lediglich in einer Sequenz kam es zu Diskussionen über die kollektive Verantwortung für die Situation der Werkvertragsarbeiter. Sie bezog sich auf das Verhalten eines Geistlichen aus der Region, der sich in Predigten dem Thema gewidmet hatte, und ergab sich aus einer Diskussion über die Subunternehmen, in der die Situation von Werkvertragsarbeitern mit dem Begriff „Versklavung“ umschrieben worden war: „T2: Aber deswegen muss man sie ja nicht so versklaven, ne? Das muss man nicht! T7: Das ist ja auch, versklaven sie ja teilweise, nur um die Arbeitsspitzen auszugleichen. Das muss man auch so sehen. Also …

108 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA T2: Ja, das ist die andere Seite der Medaille. […] T2: Ja. Und Subunternehmer führen die Sozialabgaben nicht ab. Das geht nicht! T4: Und wenn ich dieses Bild sehe [hält das Bild des Geistlichen hoch], wenn ich dieses Bild sehe, da steht der [Name des Geistlichen] drauf und dann ist der andere [weiterer Name] und den anderen kenne ich jetzt nicht. […] Der meinetwegen, der kommt übrigens aus … ich glaube aus [Ort] oder aus [Ort]. […] Wenn ich den reden höre, dass er den Mindestlohn anprangert und diese … diese Leiharbeit und so weiter, diese verfluchte. Dann soll er erst mal beim Offizialat anfangen. Dort war nämlich … [Es folgte eine kurze Erläuterung von Missständen in lokalen katholischen Einrichtungen, in denen Mitarbeitern kein Weihnachtsgeld ausgezahlt worden sei.] Und dann prangert er, dieser [Name des Geistlichen], der prangert dann diese Leiharbeiter an. So. Dann sollte er erst mal beigehen im eigenen Haus, […] dann soll er erst mal im eigenen Haus beigehen und die Gehälter auszahlen. […] T3: Da möchte ich jetzt mal was zu sagen. Wir machen uns die Sache gerade sehr einfach, glaube ich. In erster Linie ist er erst mal Priester. Und er prangert einfach Missstände an. Und das ist sein Job als Priester! Und wenn wir immer nur sagen, der soll sich erst mal um das kümmern, dann dürfen wir alle, keiner darf mehr irgendetwas sagen. Weil jeder versucht, sich in seinem Bereich so einzusortieren, dass er möglichst wenig kaputtmacht. So. Und wenn er sieht, was dort abläuft, finde ich das extrem wichtig, dass er den Mund weiterhin aufmacht. Und ich werde ihn auch weiterhin in dem Bereich unterstützen. Muss ich ganz ehrlich sagen.“

Nur indirekt wurde in der letzten Antwort eines Teilnehmers ein Bezug zu kollektiver Verantwortung für die Situation der Werkvertragsarbeiter hergestellt. Der in der Sequenz angesprochene Geistliche hatte die regionalen Unternehmen und die regionale Politik für den Missbrauch von Arbeitskräften mitverantwortlich gemacht. In der Passage tritt auch die Verteidigungshaltung hervor, die von einem Diskussionsteilnehmer hinsichtlich der lokalen Unternehmen eingenommen wurde. Die Werkvertragsarbeiter erschienen in den Diskussionen primär als Menschen, die saisonal oder temporär in der Region Geld verdienen wollten, um anschließend in ihren Herkunftsländern mit diesem Geld gut zu leben. Häufiger wurde dabei erwähnt, dass wenig bis gar kein Kontakt zu ihnen bestehe. Diese Distanz wurde zum einen damit begründet, dass die Menschen sich nur für einige Monate in der Region aufhielten; zum anderen wurden Sprachbarrieren und

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eine lokale Trennung durch die Unterbringung außerhalb der Orte genannt, die eine Kontaktaufnahme verhindern würden. Auch wurde die kulturelle Differenz zu den aus Rumänien und Bulgarien stammenden Menschen als Erklärung für die Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme angeführt. Allerdings wurde berichtet, dass man den Werkvertragsarbeitern im Gottesdienst begegne, wo sich die beiden Gruppen – Arbeiter und lokale Bevölkerung – allerdings getrennt voneinander gruppierten. Ein Kontakt finde nicht statt. „T4: Nee, nee. Meinetwegen, wir gehen meinetwegen aus der Kirche und die gehen dann gleichzeitig auch aus der Kirche, dann stehen die meinetwegen unter sich und die kommen nicht auf uns zu. Beziehungsweise wir gehen da nicht hin. So, das liegt aber, was er schon sagte, das lag dann halt an der Sprache.“

Demgegenüber betonten die Teilnehmer die prinzipielle Offenheit ihrer Region für Menschen aus anderen Kulturkreisen. Am Beispiel von Flüchtlingen wurde mehrfach hervorgehoben, dass Integration gerade aufgrund der wirtschaftlichen Situation und des ausgeprägten gemeinschaftlichen Zusammenhaltes in der Region besonders gut funktioniere. „Fremdenhass“ sei in der Region nur marginal ausgeprägt, was auch auf die gute wirtschaftliche Situation der Region zurückgeführt wird. „Und des Weiteren ist es so, wenn man es einfach schafft, Menschen irgendwie jetzt unsere Leute, die wir da haben, wenn die ihren ehrenamtlichen Deutschunterricht haben, wir haben alle, die arbeiten dürfen, denen haben wir auch einfach zack eben einen Arbeitsplatz vermittelt. Ne? Die arbeiten bei [Kunststoffunternehmen], bei [weiteres Kunststoffunternehmen], bei [Hersteller von Mastställen], die arbeiten überall. Und die Firmen wiederum sagen: Können wir da noch mehr von haben, weil auf die können wir uns verlassen.“

Insbesondere in dieser Sequenz betonten die Diskussionsteilnehmer den positiven Bezug zur Region und die Bedeutung des Wohlstands für die Funktion des Zusammenlebens. Eine funktionierende Nachbarschaft, Traditionen und Zusammengehörigkeit waren in der gesamten Gruppendiskussion wichtige Themen, über die viel diskutiert wurde. Insgesamt zeichneten die Teilnehmer das Bild einer in hohem Maße durch Kohäsion gekennzeichneten Gemeinschaft. Vereinzelt wurde zwar eine damit einhergehende soziale Kontrolle kritisiert, die regionale Verbundenheit der Anwohner jedoch insgesamt positiv bewertet. Gemeinschaft, so wurde mehrmals betont, funktioniere in der Region als integratives Moment, das prinzipiell niemanden ausschließe.

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„Sozial, menschlich fragwürdig“ Der Umgang mit dem Thema der Migration von Werkvertragsarbeitern mutet im Zuge der Gemeinschaftsnarrationen etwas paradox an. Zum einen scheint eine große Unsicherheit zu herrschen, wer da überhaupt aus welchen Gründen heraus Arbeit verrichtet. Auf die kritische Berichterstattung zum Thema wurde nur in einer Sequenz eingegangen, in der ein Teilnehmer einer Zeitung unterstellte, ein Foto von einem Werkvertragsarbeiter in einer aus Holz und Plastikfolien gezimmerten Hütte gefälscht zu haben. Zum anderen wurde deutlich, dass die Teilnehmer der Gruppendiskussion bemüht waren, das Thema von der eigenen Gemeinschaft fernzuhalten. Weder zu den lokalen Unternehmern, denen man Hochachtung entgegenbrachte, noch zu der eigenen betont positiv dargestellten Gemeinschaft wurde eine Verbindung hergestellt. Diese Abwehrhaltung erläuterte ein Vertreter der katholischen Kirche im Interview mentalitätsgeschichtlich: „Diese Region hält sich ja doch einiges dafür zugute, dass sie eigentlich von früher her jedenfalls eine stark kirchlich geprägte ist. Und da würde man ja doch erstmal erwarten, dass da doch ein gewisser Sinn für Solidarität ist auch für Migranten. […] Es hat möglicherweise damit zu tun, dass die Leute hier ganz stark – das kenne ich aus meiner Jugendzeit noch so dies, ‚wir‘, also … so ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl, weil es tatsächlich eine arme Gegend war, wie das Emsland auch, so wirklich strukturschwach. Sandboden, Moor, Wasser. Im 19. Jahrhundert große Migrationswellen, Wirtschaftsflüchtlinge, nach Brasilien, wenn man so will, nach Nordamerika, große Auswanderungswellen. Und dann sicherlich, aus verschiedenen [Gründen], ein gewisser Wagemut, Innovationskraft, auch die A1 [Bundesautobahn von der Ostsee bis Saarbrücken, die durch das Oldenburger Land verläuft, Anm. d. V.] war wichtig […]. Und sicherlich auch irgendwo ein gewisser Fleiß der Leute. Ist auch eine Mentalitätssache. […] Also, das gab es, das hat lange gehalten, bis in unsere Tage hinein. Dieses: Wir in Südoldenburg, oder: Wir Oldenburger haben was gemacht. Sich das eben von außen nicht so leicht infrage stellen zu lassen wollen. Möglicherweise gibt es einen blinden Flecken da, der vielleicht damit zu tun hat, dass man das irgendwie noch weiß oder ein bisschen im Unterbewussten, dass tatsächlich früher von hier aus auch Leute als Saisonarbeiter nach Holland gegangen sind, nach dem Motto ‚Uns hat auch keiner was geschenkt‘.“176

In Interviews mit einem Vertreter der NGG, einer Mitarbeiterin der „Beratungsstelle für mobile Beschäftigte“ sowie zwei Mitgliedern des „Netzwerks für Menschenwürde in der Arbeitswelt“ wurde die Exklusion der mittel- und osteuropäischen Arbeiter aus der regionalen Bevölkerung als Machtmittel dargestellt, über 176 Interview mit einem katholischen Geistlichen.

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das zum einen Konflikte vermieden und zum anderen teilweise eine Unterwanderung von arbeitsrechtlichen Standards ermöglicht werde. Hinsichtlich dieser Unterwanderung arbeitsrechtlicher Normen betonten alle Interviewten eine sehr breite Vielfalt von Verfahrensweisen. Zwischen Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen gebe es große Unterschiede: So erstrecke sich die Bandbreite der Agitationsweisen der Unternehmen von systematischem Rechtsbruch bis hin zu ordnungsgemäßem Umgang bei voller Zahlung von Sozialabgaben für versicherte Mitarbeiter. Die Beratungsstelle schilderte die Situation vor allem als „unübersichtlich“: „Interviewer: Wie viele solche Firmen, schätzen Sie, gibt es? Diese Dienstleistungsgesellschaften? […] Mitarbeiterin: Kann ich Ihnen nicht sagen. Also [es] sind viele. Und wir stellen fest, dass auch eine Person mehrere Firmen hat, ne? Ich glaube, der eine, der kam aus Rumänien, der hatte bis … ich glaube 14 Firmen gehabt. Also so kann ich Ihnen nicht sagen, aber Festeinstellungen haben wir sehr wenig. Also es läuft alles über Werkvertrag oder Zeitarbeitsfirmen. Ne? [Firma 1], [Firma 2] … Obwohl [Firma 2] letztes Jahr hat vierzig Personen übernommen, also fest eingestellt. Und wo es ohne Werkvertrag läuft, ist Firma [Firma 3] in [Ort]. Da ist jetzt nur noch eine Zeitarbeitsfirma, aber sonst alle sind fest eingestellt, aber sie bekommen auch nicht viel. […] Aber mit diesen dubiosen Firmen wie [Subunternehmen] oder was weiß ich da alle anderen, die es gibt, auch rumänische, slowakische. […] Es ist einfach ein großes Chaos. Ich habe auch damals versucht, so das bisschen zu skandalisieren und an die Öffentlichkeit zu bringen. Aber ist nichts daraus geworden, weil da sind irgendwelche mafiösen Strukturen.“177

Jedoch wurde übereinstimmend auch eine weitgehende Abwehrhaltung der Schlachtereien gegenüber den Versuchen, rechtliche Standards durch eine Veränderung des Systems oder durch die Gewährung von Einblicken für Beratungsstellen oder Gewerkschaften zu sichern, beschrieben. So wurde verschiedentlich von repressiven Maßnahmen gegenüber Werkvertragsarbeitern im Falle von Kontaktaufnahmen mit Gewerkschaftern und Mitarbeitern der Beratungsstellen berichtet. Die Migranten aus den MOE-Staaten in der Region stammen mehrheitlich aus den sozial schwächeren Schichten ihrer Herkunftsländer. Häufig scheint es sich bei ihnen um Menschen zu handeln, die schon in ihrem Heimatland gesellschaftliche Exklusion erlebt haben. Entsprechend der Herkunftsländer ist der Anteil an Roma unter den Migranten deutlich höher als der Anteil der Roma an 177 Interview mit einer Mitarbeiterin der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte.

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der Bevölkerung des Herkunftslandes. Dies gilt insbesondere für die aus Bulgarien und Rumänien stammenden Migranten. Ein niedriger Bildungsgrad wird nach Einschätzung des Gewerkschaftsvertreters, der im Rahmen dieser Studie interviewt worden ist, von Subunternehmern gezielt gesucht. In den Interviews wurde ferner betont, dass sich unter den Subunternehmen vielfach Strukturen gebildet hätten, welche die gesellschaftliche Abschottung der Arbeiter ausnutzten, indem sie Löhne nicht vollständig auszahlen würden; vielfach komme es zu massiven Überstunden, die nicht entlohnt würden. Ferner werde, seit der Einführung eines Tariflohns in der Branche, häufig über „Mieten“ für Arbeitsmaterial, Unterbringung und Transportpauschalen direkt ein Teil des Lohns einbehalten. Gleichwohl verzeichneten die Interviewpartner der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte durch die Einführung der Tariflöhne eine Verbesserung der Situation der Arbeiter, da diese so zumindest die Möglichkeit hätten, Lohn einzuklagen. Die Unterbringung der Arbeiter fällt sehr unterschiedlich aus. Während einige nach mehreren Jahren eigene Wohnungen haben beziehen können, leben die meisten noch immer größtenteils in der Peripherie der Ortschaften. Verschiedentlich wurde von leer stehenden Bauernhöfen, ehemaligen Kasernengebäuden und Campingplätzen berichtet. In einigen Fällen wurden Häuser aufgrund der Überbelegung geschlossen. So berichtete der interviewte Mitarbeiter der CDU Vechta, dass der Landkreis Vechta Kriterien für menschenwürdiges Wohnen entwickelt und anhand dieser Kriterien einige Unterkünfte geschlossen habe. Zugleich räumte der Interviewte jedoch ein, dass sich damit das Problem nur in andere Bereiche verlagert habe. Und tatsächlich befinden sich zahlreiche Unterkünfte mittlerweile in angrenzenden Landkreisen. Zu den Besitzverhältnissen der Immobilien konnte der Interviewte indes nur wenig mitteilen: „Weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Also das ist auch ein Geflecht, was sich nicht unbedingt aufklären lässt. Was auch gar nicht Ziel des Landkreises war, weil der Landkreis ja sozusagen nur zuständig war im Bereich untere Baubehörde, Bauordnungsamt, Baupolizei – wenn man so plakativ sagen will. Also sozusagen für die Überwachung und Einhaltung der Bauordnung, Brandschutz etc., da war das jetzt gar nicht Ziel oder nicht Aufgabe, das herauszufinden, wer da jetzt der Eigentümer ist und was da das Geflecht ist. Für die Werkvertragsarbeit an sich ist der Zoll zuständig. Und ja … und das weiß ich ehrlich gesagt gar nicht. Das ist eine relativ komplizierte … Also in der Medienberichterstattung, die ich auch relativ präzise verfolgt habe, hieß es, dass es immer sehr undurchsichtige Konglomerate waren, die dann über die Firmen … Es waren … viele Vermieter waren gleich, die dann auch in Verbindung standen mit großen Betrieben. Alles nichts Illegales, aber alles schon so ein bisschen fragwürdig. Sozial, menschlich fragwürdig.“

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Während der Gewerkschaftsvertreter die Systematik in der Beschaffung von Arbeitskräften betonte und mehrfach davon sprach, dass diese in den Herkunftsländern gezielt mit falschen Versprechungen rekrutiert würden, schilderte die Mitarbeiterin der Beratungsstelle für mobile Beschäftigte den zusätzlichen Effekt einer eigenständigen Migrationsdynamik: „Die werden ja … vor Ort angeworben oder durch Freunde halt. Vor Ort natürlich werden Versprechungen gemacht wie: ‚Du kommst nach Deutschland, du bekommst 1,3/1,2/1,4 was weiß ich, netto, Unterkunft ist kostenlos, Transport ist kostenlos.‘ Und wenn sie hier sind, stellt sich ganz anderes heraus. Sie müssen für die Unterkunft bezahlen, sie müssen für Transport bezahlen, sie verdienen keine 1.200 Euro netto. Aber wenn man da is? Manche Leute nehmen Kredite in Bulgarien auf, um hierherzukommen. Und dann nutzen sie halt die Gelegenheit, dass sie mindestens … keine Ahnung, ein paar Monate arbeiten, damit sie die Kredite abbezahlen. Natürlich ist das … Aber sie werden vor Ort, wie gesagt, angeworben mit falschen Versprechungen. Es gibt auch Internetseiten. Die Firmen selbst werben Leute an.“

Aufgrund der massiven Armut, die in Teilen der rumänischen und bulgarischen Bevölkerung herrsche, komme es häufig zu familiärem Nachzug und dazu, dass auch innerhalb von Familien- und Freundeskreisen aktiv für Subunternehmen rekrutiert werde. Diese Beobachtungen decken sich mit denen, die bei zwei Besuchen eines Campingplatzes, auf dem größtenteils bulgarische Roma untergebracht waren, gemacht wurden. Mit acht Personen, die auf dem Platz lebten, wurden Interviews geführt. Zudem fanden zwei Platzbegehungen statt.178 Der Campingplatz lag außerhalb einer Kleinstadt in einem benachbarten Landkreis Vechtas. Bis ins Frühjahr 2016 hatten dort nach Aussage von Anwohnern noch 300 bis 400 Menschen gelebt, die größtenteils aus Bulgarien stammten. Es stellte sich heraus, dass der Großteil der Campingplatzbewohner aus einer Kleinstadt im Nordwesten Bulgariens stammte. Die meisten der Interviewten hatten dort vom Sammeln und Verkauf von Pilzen, Beeren oder Brennholz in der Region gelebt. Mehrheitlich wurde berichtet, dass sie nur die ersten Schuljahre absolviert hätten. Über den gesamten Platz verteilt gab es eine Reihe von Bekanntschaften und Verwandtschaftsverhältnissen, über die sich herumgesprochen habe, dass im niedersächsischen Nordosten Arbeitskräfte gesucht würden. Ein Teil der Interviewpartner habe bis zum vorangegangenen Monat bei einem Unternehmen in der Geflügelbranche gearbeitet, das jedoch nach einem Brand die Mehrzahl der Werkvertragsarbeiter entlassen habe. Andere arbeiteten bei einem 178 Die erste Platzbegehung fand am 09.03.2016 statt, die zweite mitsamt der Durchführung der Interviews am 29.04.2016.

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Unternehmen, das Plastikprodukte herstelle, wiederum andere seien in der Produktion von Wohncontainern tätig. Drei der Interviewten hätten noch keine Arbeit in Deutschland gefunden, hofften aber darauf, dass sich bald irgendwo etwas ergeben würde. Dem Campingplatz war einige Wochen zuvor aus baurechtlichen Gründen die Lizenz entzogen worden, weshalb mittlerweile ein Großteil der ehemaligen Anwohner den Platz verlassen habe. Einige seien in Wohnungen oder bei Bekannten untergekommen, andere zurück nach Bulgarien gereist. Der Campingplatz erschien in den Interviews als eine Art eigener Kosmos, in dem sich das soziale Leben der Anwohner abspielte. Kontakte zur lokalen Bevölkerung hätten nicht bestanden und die Anwohner hätten ihn nach eigenen Aussagen nur verlassen, um Einkäufe zu erledigen oder zur Arbeit zu fahren. Um diese isolierte Situation des Platzes herum habe sich jedoch eine ganze Ökonomie entwickelt. Es habe Arbeitsvermittler gegeben, die für eine Gebühr in Höhe von 500 Euro Jobs angeboten hätten; Unterkunftsvermittler, die gegen ein Entgelt Wohnungen und Wohnplätze organisiert hätten; Fahrten in die nächste Stadt seien von Bewohnern, die über ein Auto verfügten, gegen Bares angeboten worden. Hinzu seien Gebühren des Campingplatzbesitzers gekommen. Auf dem Platz standen etwa siebzig größtenteils heruntergewirtschaftete defekte Wohnwagen, in denen die Anwohner mit jeweils vier bis sieben Personen wohnten. Die Grundmiete betrug 100 Euro pro Person; hinzu kamen pauschal dreißig Euro pro Person für die Nutzung von Gemeinschaftsbädern und Toiletten, 100 Euro Stromkosten pro Wagen sowie Abschläge für den Verbrauch von Gas. Für jedes Kind wurden zusätzlich fünfzig Euro veranschlagt. In Fällen, in denen komplette Berechnungen mit den Interviewten durchgeführt werden konnten, kamen so monatlich 700 bis 1.000 Euro pro Wohnwagen zusammen. Das Leben auf dem Campingplatz wurde als eine Art Zweckgemeinschaft beschrieben. Zwar existierten Verwandtschaftsbeziehungen, jedoch schienen diese aufgrund der persönlichen Probleme in den Hintergrund zu treten. Die individuellen Probleme und Schwierigkeiten im nahen Umfeld waren offenkundig zu groß, als dass tragfähige Solidarbande beispielsweise zu anderen Familien hätten entwickelt werden können. Den Interviewten war durchaus bewusst, dass sie sich in einem fast absoluten Abhängigkeitsverhältnis von den vorhandenen Strukturen befanden. Vielfach wurde das Gefühl vermittelt, dass die eigene Situation nicht aus eigener Kraft veränderbar sei: „Interviewerin: Inwieweit glaubt ihr, dass ihr das, was euch im Leben passiert, bestimmen könnt? Inwieweit hängt alles von euren Handlungen ab?

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D.: Nichts wird von uns bestimmt. A.: Das ist aber normal im Leben. Das ist alles normal. Interviewerin: D., du hast gesagt, dass dein Schicksal nicht in deinen Händen liegt und dass ihr einfach mit der Strömung mitschwimmt. D.: Ja, genau. A.: Jetzt haben wir nichts, in der Zukunft wird sich aber unsere Situation verbessern. D.: Heute sind wir arbeitslos, aber morgen wird hoffentlich jemand vorbeikommen und fragen, ob wir arbeiten wollen. Wir warten darauf. A. zu D.: Bald wirst du auf der Bushaltestelle warten! (Scherzhaft gemeint) D.: Warum? A.: Na ja, wir werden vom Campingplatz rausgeschmissen. D.: Zumindest haben wir ein Dach über den Kopf noch. A.: Ja, noch 15 Tage.“179

Mit dem Entschluss, nach Deutschland zu migrieren, sei die Vorstellung verbunden gewesen, der prekären Situation zu entfliehen, in der sich die Interviewten in Bulgarien befunden hätten, wie die Interviews deutlich machten. Die Ausgangslage wurde jedoch durch eine andere Form der Prekarität ersetzt, die offenbar durch die vage Hoffnung erträglich gemacht wurde, durch glückliche Umstände eine Möglichkeit zum sozialen und ökonomischen Aufstieg zu erhalten. Die Hoffnung darauf, eventuell wie andere Migranten ebenfalls eine Wohnung und eine sichere Arbeitsstelle zu bekommen, war scheinbar weitverbreitet und disziplinierte die Menschen. Mehrfach wurde wiederholt, dass man sich für die nächsten Jahre gerne in der Region niederlassen und die Kinder nachholen würde, Pläne habe, Geld zu verdienen, um in Bulgarien ein Haus zu bauen oder ein Geschäft zu eröffnen. Konkrete Möglichkeiten, die eigene Situation aus eigener Kraft zu verändern, sahen die Interviewten jedoch nicht.

179 Namen geändert.

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„Jeder hat hier seinen Polen auf dem Hof, mindestens einen.“ Wie oben dargestellt, hat das Oldenburger Münsterland in den vergangenen zwanzig Jahren einen beispiellosen Wandel erfahren. Die positiven Effekte für die Region sind deutlich zu erkennen: Große Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten zeugen davon, dass diese Region trotz ihrer ländlichen Struktur in den letzten Jahren ihren Wohlstand massiv ausgebaut hat. Jedoch hat sich im sozialen Raum der Region eine tiefgreifende Transformation abgespielt, die weniger offenkundig ist. Die soziale Stratifikation der ländlichen Region hat sich stark verändert, da eine neue Unterschicht entstanden ist, die Züge eines modernen Pauperismus trägt. Zugleich haben sich Machtkonzentrationen im sozialen Raum ergeben: Das, was Pierre Bourdieu als „symbolische Gewalt“ bezeichnet, hat sich bei einzelnen Akteuren in der Region in hohem Maße konzentriert: die Macht, andere zu bewegen, die eigene Deutung der jeweiligen Situation zu übernehmen.180 Diese Stellung kommt weniger einzelnen Personen denn einem Netz aus Betrieben mit gegenseitigen Beteiligungen und traditionell in der Region verankerten Eliten zu. Erleichtert wurde diese Transformation, weil die Effekte für die alteingesessene Bevölkerung mehrheitlich positiv ausfielen. In der Gruppendiskussion wurde zwar durchaus Kritik laut, dass sich auch negative Einflüsse des regionalen Wandels gezeigt hätten – zum Beispiel Umweltschäden oder auch mit Blick auf die Werkvertragsarbeit die Empfindung sozialer Ungerechtigkeit. Aber kollektiv wurden diese Kritiken stets wieder durch den Verweis auf die überwiegend positiven Effekte eingefangen. Diese Interpretation entspricht auch der Schilderung des interviewten CDU-Mitglieds, das auf die Frage, wie denn ein solch umfassender Transformationsprozess nicht zum Thema werden kann, antwortete: „Ah ja, genau. Weil … Genau, ich habe das Gefühl, es haben einfach extrem viele Leute, extrem viele Gruppen haben von diesem Wachstum profitiert. Es gab unglaublich viele Jobs, es haben sich neue Industrien gebildet, das Mietniveau ist angestiegen. Jeder, der von seiner Oma oder von seiner Mutter oder was ein Häuschen geerbt hat, konnte das entweder sehr gut verkaufen oder ist selber eingezogen oder konnte es super vermieten. Die ganze Region hat vom Wachstum profitiert. Und es ist ja oft so, wenn irgendwie jeder profitiert, dann fragt keiner so richtig nach, ob jetzt irgendwer darunter leidet. Und dann irgendwo vielleicht, dass sich irgendwann so ein Wohlstandsniveau eingestellt hat, wo die Leute dann … wo man dann wieder an diesen Punkt kommt, darüber nachzudenken: Bezahlt eigentlich irgendwer dafür, dass es mir so gut geht? […] Und so hat einfach … jahrzehntelang hat jeder profitiert.“ 180 Vgl. Bourdieu, Pierre: Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M. 2005, S. 202 ff.

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Somit hat es einen massiven Normalisierungsprozess der neuen Armut gegeben. Berichten der Aktivisten des „Netzwerks für Menschenwürde in der Arbeitswelt“ zufolge greifen immer mehr Menschen in der Region auf die „günstigen“ Arbeitskräfte aus dem Osten zurück. Im Zuge der Etablierung eines ZweiKlassen-Arbeitsmarktes hat insbesondere im Bereich der Fleischproduktion ein Preisverfall eingesetzt, der auch den kleineren Betrieben kaum andere Möglichkeiten lässt, als auf die Angebote von Subunternehmen zurückzugreifen, um angesichts der Konkurrenz zu bestehen. Die Unsichtbarkeit der Migranten, ihre Ausgrenzung aus dem kulturellen und sozialen Leben der Gemeinschaft, ist letztlich ein wichtiges Element der Aufrechterhaltung des regionalen Selbstverständnisses einer funktionierenden, werteverbundenen Gemeinschaft. Dementsprechend umschreibt auch eine interviewte Aktivistin des Netzwerks die Abwehrhaltung ihrer Nachbarn bezüglich der Situation der Werkvertragsarbeiter: „Die diskutieren nicht darüber mit mir. Die reden nicht darüber. Und wenn ich da mal was sage, kommen sie sofort mit einem anderen Thema. Weil, das wird der Punkt sein, jeder von denen, auf jedem Bauernhof hier, wir sind einer der wenigen Nicht-Bauern hier, gibt es Ausländer, die da arbeiten. Man kann das hier bestellen bei uns im Nebendorf. Da gibt’s jemanden, der verleiht Polen. Oder ich weiß es nicht, vielleicht sind es jetzt auch andere Leute. Jeder hat hier seinen Polen auf dem Hof, mindestens einen.“181

Die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung braucht daher auch keine direkten Anweisungen. Wie schon in Bezug auf den Geistlichen in der obigen Passage der Gruppendiskussion zu erkennen gewesen ist, verfallen Anwohner gegenüber kritischen Aussagen über die Erfolgsgeschichte ihrer Region häufig in eine automatische Abwehrhaltung. Über Ausbeutung wird eher gesprochen, indem man sie aus der eigenen Gemeinschaft externalisiert. Dennoch: Jede soziale Ordnung ist ein dynamisches Gefüge, und es lassen sich durchaus Entwicklungen in der Region erkennen. Oben genannte Aktivistin beschrieb einen Mentalitätswandel, der sich in der Region bemerkbar mache. Mittlerweile seien verschiedene kirchliche, parteiliche und gewerkschaftliche Gruppen in dem oben genannten Netzwerk zusammengeschlossen, um sich für eine Verbesserung der Rechtsstellung der Werkvertragsarbeiter einzusetzen. Auch der Vertreter der katholischen Kirche berichtete, dass sich in den vergangenen Jahren vonseiten der Medien eine erhöhte Offenheit für die Thematik gezeigt habe. Auch die Bemühungen der Vechtaer Lokalpolitik, die Wohnsituation der Arbeiter in den Griff zu bekommen, zeugen von diesem Wandel. Der Druck auf die Unternehmen hat mittlerweile zumindest zu einer freiwilligen Selbstver181 Interview mit einer Aktivistin des Netzwerks für Menschenwürde in der Arbeitswelt.

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pflichtung geführt.182 Eine spürbare Veränderung durch die Einführung von Mindestlohn und Tariflöhnen diagnostizierte überdies auch die Interviewpartnerin der Beratungsstelle: Vereinzelt, so betonte sie, suchten auch Unternehmen aufgrund eines allmählich wachsenden Drucks der Öffentlichkeit nach Lösungen, die ihnen ermöglichten, ohne große Mehrkosten zumindest die Subunternehmer als Zwischenverdiener auszuschalten. Denn perspektivisch wird die Migration in die Region – darauf deuten auch die Studienergebnisse hin – anhalten, und sie wird den sozialen Raum weiterhin verändern. Zu bedeutsam ist die Rolle, welche die Migranten mittlerweile im Produktionsprozess einnehmen. Die Erfahrungen und Erkenntnisse der Migrationsforschung zeigen, dass Migration „soziale Bewegung im Wortsinn“ ist: Sie transformiert soziale Räume nachhaltig, indem sie eine autonome, eigene Dynamik entwickelt, die sich auch im Oldenburger Münsterland entfaltet.183 Effekte dieser Transformation ließen sich bereits in Form eines ersten „wilden Streiks“ im Jahr 2014 beobachten. Die Interviewpartnerin der Beratungsstelle erzählte von einer Aktion, mit der 150 Werftmitarbeiter nahe Oldenburg eine entfristete Einstellung direkt bei der Werft erreicht hätten.184 Doch die sozialen Konflikte zwischen der alteingesessenen Bevölkerung und den Migranten können auch zunehmen. Der Wohnraum in der Region ist knapp, Mieten sind teuer und trotz des Wohlstands verfügt längst nicht jeder alteingesessene Bürger über einen solide bezahlten Job. Gerade bei den kleinen Bauernhöfen, die sich nur noch mithilfe der billigen Arbeitskräfte über Wasser halten, kann die Regulation des Arbeitsmarktes auf Gegenwehr stoßen. Und auch vonseiten der Profiteure von Ökonomien der Ausgrenzung ist mit weiterer Gegenwehr zu rechnen.

182 Siehe „Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft – Selbstverpflichtung der Unternehmen für attraktivere Arbeitsbedingungen“, unterzeichnet am 21. September 2015, URL: http://agrartotal.eu/news/fleischindustrie-follow-up.html [eingesehen am 28.10.2016]. 183 Vgl. dazu Mezzadra, Sandro: Kapitalismus, Migrationen, Soziale Kämpfe. Vorbemerkungen zu einer Theorie der Autonomie der Migration, in: Pieper et al. (Hrsg.): Empire und die biopolitische Wende: Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri, Frankfurt a. M. 2007, S. 179–193. 184 Prinz, Stefan: Werkvertragsarbeiter streiken auf der Meyer Werft, in: Neue Osnabrücker Zeitung, 06.03.2014, URL: http://www.noz.de/lokales/papenburg/artikel/456819/ werkvertragsarbeiter-streiken-auf-der-meyer-werft/ [eingesehen am 28.10.2016].

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2.3 P ROTEST , E MPATHIE UND AUSGRENZUNG – K ONFLIKTE IN DER B ERLINER G RUNEWALDSTRASSE Auf den ersten Blick mag verwundern, dass diese Studie abseits prominenterer „Problemviertel“ ihren Weg in den Norden Schönebergs findet. Schließlich unterscheidet sich die Gegend, zumal in ihren Abschnitten zwischen Kleistpark und Eisenacher Straße, doch deutlich von den anderen Fallbeispielen dieser Studie. Stehen bei diesen die Auseinandersetzungen um die Zuwanderung aus Südosteuropa ungeachtet aller spezifischen Eigenheiten häufig im größeren Kontext weit zurückreichender Konflikthistorien in sozioökonomisch benachteiligten Regionen, zeichnet sich der mondäne Akazienkiez, durch den auch die hier untersuchte Grunewaldstraße verläuft, zuerst einmal durch das Gegenteil aus: Nicht Armut, Ausgrenzung und Verfall prägen ihn, sondern vielmehr Wohlstand, Bürgerlichkeit und Beschaulichkeit. Dabei stellen Schöneberg und Neukölln mit Blick auf die Sozialgeschichte der (West-)Berliner Nachkriegszeit keineswegs nur durchweg gegensätzliche Pole dar. Vielmehr weisen sie zuweilen bedeutende Parallelen auf: So teilen beide Bezirke einen recht hohen Anteil an Bewohnern mit Migrationshintergrund, der auf die Anwerbung der sogenannten Gastarbeiter und ihrer Familien ab den 1960er Jahren und umso mehr auf die Zuzugssperre für die anfänglichen Fixpunkte Wedding und Kreuzberg in den frühen 1970er Jahren zurückzuführen ist.185 Von hier aus zogen die trotz entsprechender Gehaltsbescheide auf dem Berliner Wohnungsmarkt strukturell depriviligierten Einwanderer in die nördlichen Quartiere von Neukölln und Schöneberg und sorgten nach der massiven Abwanderung der West-Berliner Bevölkerung dadurch für eine langfristige Stabilisierung der Einwohnerzahlen.186 Fortan nahmen die Stadtteile jedoch (wieder) vollkommen unterschiedliche Entwicklungen. Während sich Neukölln vom Arbeiter- zum Armutsstadtteil wandelte und besonders in den Nachwendejahren mit dem Stigma eines „sozialen Brennpunktviertels“ behaftet war – und dies in Teilen bis heute ist –, blieb Schöneberg als administratives Zentrum und Fixpunkt unterschiedlichster sub-

185 Vgl. Kapphahn, Andreas: Migration und Stadtentwicklung. Die Entstehung ethnischer Konzentration und ihre Auswirkungen, in: Gesemann, Frank (Hrsg.): Migration und Integration in Berlin. Wissenschaftliche Analysen und politische Perspektiven, Opladen 2001, S. 89–108, hier S. 93. 186 Vgl. Stöver, Bernd: Geschichte Berlins, München 2010, S. 102–104.

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kultureller Bewegungen West-Berlins sozioökonomisch in weiten Teilen bessergestellt. Der hohe Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund im Bezirk tut dem keinen Abbruch, im Gegenteil. Wie stark die (ehemaligen) Zuwandererfamilien die soziale Konstitution und Zusammensetzung Schönebergs stabilisieren, geht etwa aus einer 2014 vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg durchgeführten Untersuchung zu „Soziale[r] Lage, Herkunftsgruppen und Kernindikatoren in den […] lebensweltlich orientierten Räumen“187 hervor. Über fünf Jahre hinweg hatte der Bezirk hierfür den sozialen Status, die Herkunft, die Kitabesuchsdauer, Sprachdefizite und die körperliche Gesundheit von Kindern bei der Einschulung erhoben. Die Ergebnisse dieser Studie stellen dabei einen akkuraten Querschnitt der Schöneberger Bevölkerung dar – sind doch Verteilungen und Verschiebungen im Schulwesen häufig ein genauer Seismograf für die soziale Verfasstheit einer Region. Mehr als achtzig Prozent der Schülerinnen und Schüler kommen aus den mittleren und oberen Schichten;188 knapp die Hälfte der Eingeschulten haben eine nicht-deutsche Herkunft.189 Gerade die Schulkinder mit osteuropäischem Hintergrund – sie machen knapp 14 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus – kommen jedoch mehrheitlich, genauer: zu über achtzig Prozent aus den mittleren und oberen Schichten.190 Schöneberg ist also alles andere als ein sozialer „Problembezirk“. Vielmehr wird er von einer breiten Mittelschicht geprägt, die durch Zuwanderungsbewegungen grundsätzlich nicht gefährdet, sondern bestärkt worden ist. Ein Gang durch den Akazienkiez vermag diesen ersten Eindruck aus der Vogelperspektive augenblicklich nur zu bestätigen: kleinere Cafés, Boutiquen, Buchläden, einfache und gehobene Restaurants unterschiedlichster Provenienz. Über ihnen reihen sich nicht selten die Balkone weitläufiger Altbauwohnungen aus der Berliner Gründerzeit aneinander, umrahmt von detailverliebten Stuckfassaden. Viel ist hier nicht los an einem gewöhnlichen Wochentag; gerade genug, so scheint es, um die Lokalitäten am Laufen zu halten. Ansonsten ist es ruhig, gemächlich. Lärm, Hektik und Betrieb der Hauptstadt verschwinden nahezu vollends in den Seitenstraßen des Kiezes. Kurzum: eine gut situierte Gegend, ein 187 Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg: Soziale Lage, Herkunftsgruppen und Kernindikatoren in den in den [sic!] lebensweltlich orientierten Räumen (LOR). Auswertung aus den Einschulungsuntersuchungen Tempelhof-Schöneberg 2009–2014, Berlin 2015. 188 Vgl. Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg: Soziale Lage, Herkunftsgruppen und Kernindikatoren, S. 13. 189 Vgl. ebd., S. 16. 190 Vgl. ebd., S. 7.

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Kiez, der in all seiner sichtbaren Multikulturalität doch vor allem homogen wirkt. Tiefgreifende soziale Konflikte, wie sie besonders in Großstädten aus der permanenten Konfrontation divergenter Lebenslagen und -formen auf engstem Raum entstehen können, scheinen hier kaum vorstellbar. Und doch ist die Schöneberger Grunewaldstraße zwischen Herbst 2014 und Sommer 2015 zum Schauplatz eines ebensolchen Zuwanderungskonfliktes geworden. In diesen kaum mehr als neun Monaten entspann sich um das Haus mit der Nummer 87 eine aufreibende und facettenreiche Auseinandersetzung, in deren Zentrum ein Phänomen stand, das im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa seit mehreren Jahren insbesondere in urbanen Räumen zunehmend beobachtet werden kann: das Aufkommen von Wohnraumkonflikten im Kontext sogenannter Problemhäuser und Schrottimmobilien.191 So veröffentlichte der Berliner Senat im Jahr 2015 einen Bericht, der von ca. dreißig stadtbekannten und zu jener Zeit akuten Fällen allein in der Hauptstadt ausging.192 Die Dunkelziffer dürfte hier jedoch weitaus höher liegen; schließlich lagen der Auflistung Angaben aus kaum mehr als der Hälfte der Berliner Stadtteile zugrunde. Ein halbes Jahr später ging zudem allein das Neuköllner Bezirksamt bereits von rund fünfzig bezirksinternen Fällen aus.193 Auch im Untersuchungszeitraum dieser Studie wurden immer wieder Fälle publik, in denen einzelne, zumeist leer stehende und unbewohnte Häuser in Berlin zum Austragungsort von Migrationskonflikten wurden. Die Scharnweberstraße 111 in Berlin-Reinickendorf etwa – ein heruntergekommenes Haus, in das im Frühjahr 2013 zahlreiche rumänische Familien gezogen waren – entfachte für rund anderthalb Jahre ein großes mediales und politisches Aufsehen, bis sie von der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft „Gewobag“ übernommen und saniert wurde. Mithilfe der Trägerorganisation „Phinove e. V.“ wurde schließlich die „Bunte 111“ in ein vielbeachtetes „bewohnbares Kunstobjekt“194 umgewandelt. Seitdem gilt sie als berlinweites Vorzeigeprojekt für die Integration prekarisier191 Zu mehreren solcher Konflikte vorrangig in Duisburg vgl. etwa Matter: Nirgendwo erwünscht, S. 136–170. 192 Vgl. Kolat, Dilek: Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma, Rote Nummern: 1142 C, 02.09.2015, URL: http://www.parlament-berlin.de/ados/17/Haupt/vorgang/ h17-1142.C-v.pdf [eingesehen am 15.08.2016]. 193 Vgl. Bezirksamt Neukölln: Neukölln macht Schrottimmobilien zur Chefsache, Pressemitteilung vom 28.08.2015, URL: https://www.berlin.de/ba-neukoelln/aktuelles/ pressemitteilungen/pressemitteilung.358720.php [eingesehen am 15.08.2016]. 194 Biermann, Til: Haus für Roma-Familien wird Modellprojekt, in: B. Z. Online, 20.10.2014, URL: http://www.bz-berlin.de/berlin/reinickendorf/haus-fuer-romafamilien-wird-modellprojekt/ [eingesehen am 12.09.2016].

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ter Zuwanderer aus Südosteuropa.195 Zuletzt sind neben „Problemhäusern“ und „Schrottimmobilien“ auch offene, zumeist übersehene oder wenig zugängliche Räume, die von Zuwanderergruppen als Zelt- und Wohnplätze genutzt werden, in den Blick der politisch-medialen Öffentlichkeit geraten.196 Wenngleich also die Grunewaldstraße 87 in diesem Sinne „nur“ ein Fall unter vielen war, ein beinahe beliebiges Beispiel einer in Großstädten auch über Berlin hinaus etablierten Erscheinung im Zuge von Migrationsbewegungen insbesondere aus Rumänien und Bulgarien, unterschied sie sich doch beträchtlich von juristisch vordergründig vergleichbaren Fällen. Was sie dabei deutlich aus dem nebulösen Feld anderer „Problemimmobilien“ heraushob, war einerseits die oben genannte sozialräumliche Differenz zu einem Großteil vergleichbarer Fälle, andererseits aber auch die räumliche und zeitliche Dichte des Konfliktes. Eben hierin, in der Intensität des Verlaufs und der Ereignisse, zugleich aber auch in der ausgiebigen politischen und medialen Diskussion – im Umfang der frei verfügbaren Quellendokumente also, ergänzt um die Interviews, die wir mit involvierten Akteuren aus der Anwohnerschaft, Sprachvermittlung und Sozialarbeit, Lokalpolitik und dem Journalismus geführt haben – liegt eine besondere Chance zum Verständnis des Falles und, darüber hinaus, eines Phänomens, das die Zuwanderung aus Südosteuropa seit Jahren begleitet und in ihrer öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion prägt. Wie unter einem Brennglas ließen sich hier Handeln und Verhalten der beteiligten Akteure erfassen und aus der Forschungsperspektive in ihrem zeitlichen Verlauf bis zur vermeintlichen Einhegung des Konfliktes begleiten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich der Fall in der Grunewaldstraße durch eine grundsätzliche Transparenz auszeichnen würde. Im Gegenteil: Insbesondere in Bezug auf die Zuwanderer war er von einer Ungewissheit getragen, die an manchen Stellen auch in der Retrospektive nicht gänzlich aufgelöst werden kann. Dennoch zeichneten sich hierin nicht einfach die analytischen Grenzen der Fallrekonstruktion ab; vielmehr waren es gerade die undeutlichen und ver195 Vgl. Briest, Robert: Bunte 111 Roma-Integration in Reinickendorf, in: Berliner Zeitung Online, 21.10.2014, URL: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/bunte-111roma-integration-in-reinickendorf-414142 [eingesehen am 12.09.2016]. 196 Verwiesen sei hier nur auf zwei jüngere Beispiele: Biermann, Til: Rund 100 Roma hausen unter der Brücke beim Hauptbahnhof, in: B. Z. Online, 18.04.2016, URL: http://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/rund-100-roma-hausen-unter-der-bruecke-beimhauptbahnhof/ [eingesehen am 12.09.2016] und Hildebrandt, Antje: „Keine Arbeit. Kein Geld. Alles Scheiße“, in: welt.de, 26.04.2016, URL: https://www.welt.de/ vermischtes/article154748598/Keine-Arbeit-Kein-Geld-Alles-Scheisse.html [eingesehen am 12.09.2016].

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schwommenen Aspekte des Konfliktes, die ihm seine Dynamik verliehen. Sie erst ermöglichten eine grundlegende Wahrnehmungsoffenheit der Akteure und, unmittelbar damit verbunden, auch des Konfliktverlaufs selbst. Die Betonung der teilweisen Undurchschaubarkeit ist insofern auch kein Ausweis einer intellektuellen Resignation vor der Komplexität der Geschehnisse in der Grunewaldstraße, sondern ein Schritt zu ihrem Verständnis. Um nachzuvollziehen, wie die involvierten Personen, Gruppen und Institutionen einander und die Ereignisse betrachteten und einordneten, welche Erklärungen sie entwickelten, wie sie agierten, auftraten und sich letztlich selbst darüber konstituierten, muss eine gewisse Handlungs- und Verständnisoffenheit als Fundament des Falles vorausgesetzt werden. Kurzum: Es waren Unklarheit und Unsicherheit, aus denen heraus divergierende Perspektiven, Erklärungsmuster und Handlungsstrategien überhaupt erst entstanden. Am Anfang stand demnach auch kein präzise identifizierbarer auslösender Moment, ein festes Datum, von dem aus sich der Konflikt Bahn gebrochen hätte, sondern zunächst eine langanhaltende Phase der Stagnation. Über Jahrzehnte war die 1889 erbaute Gründerzeitimmobilie an der Grunewaldstraße nicht in Stand gehalten und saniert worden. Folglich befand sich der denkmalgeschützte Bau in einem desolaten Zustand: Die stuckbesetzte Fassade war sukzessive im Verfall begriffen; die hinteren Gebäudekomplexe des Mietshauses – Quergebäude, Hinterhaus und Gartenhaus – waren über viele Wohnungen und Stockwerke hinweg unbewohnbar; ruinöse sanitäre Anlagen, Toiletten nur auf halber Etage, unzureichende Strom- und Wasserleitungen, teilweise sogar Löcher im Boden bedingten, dass ein Großteil der hinteren Wohnungen über viele Jahre leer standen.197 Zugleich besaßen die ansässigen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem ebenfalls, wenn auch nicht gleichermaßen, sanierungsbedürftigen Vorderhaus Mietverträge, die nicht selten einige Dekaden zurückreichten und dementsprechend weit unter dem Berliner, geschweige denn dem Schöneberger Mietspiegel lagen.198 Man zahlte vergleichsweise wenig, wohnte zentral in einem gut angebundenen und ansehnlichen Kiez. Insofern handelte es sich gleich um eine doppelte Stagnation: einerseits der Instandhaltung, andererseits der Mietpreisentwicklung, welche die G87 über viele Jahre kennzeichnete und von dem ansonsten wohlhabend bürgerlichen Kiez abhob. Das heruntergekommene Haus mit 197 Vgl. Gennies, Sidney: Monströse Zustände in der Grunewaldstraße 87 – eine Spurensuche, in: Der Tagesspiegel, 21.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel.de/themen/ reportage/das-horrorhaus-von-berlin-monstroese-zustaende-in-der-grunewaldstrasse87-eine-spurensuche/11945880.html [eingesehen am 29.08.2016]. 198 Vgl. ebd.

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seiner kleinen, rein mietpreislich jedoch begünstigten Bewohnerschaft stellte nunmehr einen langjährigen Status quo dar, vor dessen Hintergrund die anschließenden konfliktären Entwicklungen überhaupt erst einsetzen konnten. Ausgangspunkt war ein Eigentümerwechsel. Ein genauer Zeitpunkt hierfür lässt sich nur ungefähr rekonstruieren: Zwischen 2011 und 2014, die medialen Angaben gehen hier recht weit auseinander, fand der Verkauf statt.199 Entscheidend ist jedoch nicht das Datum des Vermieterwechsels, sondern die mit einem zeitlichen Vorlauf oder direkt im Anschluss an den Kauf, jedenfalls ab Herbst 2014 eintretenden Veränderungen im Haus selbst. Denn im Zuge weniger Wochen, vielleicht einiger Monate, zogen nach und nach immer mehr Menschen südosteuropäischer Herkunft in die leer stehenden Wohnungen der hinteren Gebäudeteile. Die meisten von ihnen kamen, wie sich später herausstellte, aus Rumänien.200 Waren es zu Beginn noch weniger als zwanzig gewesen, stieg die Zahl der neuen Mieter bald auf rund zweihundert an. Weit mehr also, als es die ohnehin überwiegend kaum nutzbaren Wohnungen vorsahen. Wer sie waren, woher sie kamen, an wen und wie viel Miete sie bezahlten: All das blieb zunächst völlig unklar. Gewiss schien nur, dass die plötzliche Überbelegung durch die Zuwanderer die Anwohnerschaft der Grunewaldstraße nachdrücklich in Aufregung versetzte. Zwar gab es durchaus, so zumindest betonten es die Altmieter selbst, einen anfänglichen nachbarschaftlichen Kontaktaufbau – man half den Neuankömmlingen beim Einzug, diese wiederum bedankten sich mit selbstgebackenen Keksen;201 zu einer der zugezogenen Familien entstand gar eine anhaltende Beziehung.202 Bald jedoch bestimmten mehrheitlich Unsicherheit, Irritation und Besorgnis das Verhältnis der Anwohner zu ihren zu-

199 Vgl. exemplarisch Spiegel TV Magazin: Das Horrorhaus von Berlin-Schöneberg, 22.06.2015, URL: http://www.spiegel.de/video/spiegel-tv-ueber-das-horrorhaus-vonberlin-schoeneberg-video-1587192.html [eingesehen am 29.08.2016]. 200 Vgl Amaro Foro e. V.: Pressemitteilung von Amaro Foro e. V. zur Situation der rumänischen Familien in der Grunewaldstraße. „Nicht die Mieter sind das Problem“, Pressemitteilung vom 27.05.2015, URL: http://www.amaroforo.de/pm-nicht-diemieter-sind-das-problem/ [eingesehen am 05.09.2016]. 201 Vgl. Gennies, Sidney: Monströse Zustände in der Grunewaldstraße 87 – eine Spurensuche, in: Der Tagesspiegel, 21.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel.de/ themen/reportage/das-horrorhaus-von-berlin-monstroese-zustaende-in-der-grune waldstrasse-87-eine-spurensuche/11945880.html [eingesehen am 29.08.2016]. 202 Vgl. Baurmann, Jana Gioia: Ihr kriegt uns hier nicht raus, in: Zeit Online, 12.07.2015, URL: http://www.zeit.de/2015/26/roma-haus-berlin-grunewaldstrasse/ [eingesehen am 08.09.2015].

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gezogenen Nachbarn. In der Folge trat nun auch die Polizei als Akteur in der Grunewaldstraße auf. Zum ersten Mal wurde sie gerufen, als Mitte November 2014 Schüsse auf das Haus abgegeben wurden.203 Von nun an war sie immer häufiger im und um das Haus im Einsatz, vornehmlich zum „Schutz der Altmieter (gegen die neuen Mieter)“204, wie Bezirksstadträtin Sibyll Klotz in der Beantwortung einer „Großen Anfrage“ an die Bezirksverordnetenversammlung mitteilte. Kurz darauf entstand sogar eine fallspezifische Ermittlungseinheit.205 Dabei wandten sich die Anwohner der G87, abgesehen von einigen Diebstahlmeldungen aus den umliegenden Geschäften oder Ordnungswidrigkeiten wie Lärmbelästigungen, in den wenigsten Fällen als Geschädigte an die Polizei. Viele Notrufe der Altmieter wurden aus der Position verängstigter oder verärgerter Beobachter und Leidtragender eines aus ihrer Sicht unerträglichen Zustandes heraus abgesetzt.206 Häufig beruhten sie auf kaum mehr als einer ängstlichen Vermutung. Dennoch: In den folgenden Wochen und Monaten nahmen die gemeldeten Anliegen und Delikte massiv zu. Täglich, über den gesamten Zeitraum des Konfliktes insgesamt rund zwei- bis dreihundert Mal, war die Polizei nunmehr vor Ort, um Anrufen wegen Hausfriedensbruches, Sachbeschädigung, Bedrohung, Körperverletzung, häuslicher Gewalt oder Ruhestörung nachzugehen.207 Doch keine der Meldungen, ob provisorisch oder substanziell, mündete in einem Verfahren – meist aus Mangel an belastbaren Aussagen versandeten die Anzeigen und wurden bald wieder fallen gelassen.208 Indes: Auch die anwohnerschaftlichen Sichtweisen changierten nicht einfach zwischen Sorge um das eigene Wohl und Ärger über eine als monolithisch wahrgenommene Gruppe von quasi über Nacht zugewanderten Neumietern. Im 203 Vgl. Klotz, Sibyll: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87 – Was haben Bezirksamt und Polizei bisher gemacht?, 48. Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin am 15.07.2015, S. 2 f., URL: http://www.gruenets.de/wp-content/uploads/2015/07/Antwort-grAnfrage-Grunewaldstra%C3%9Fe-87Fraktion-Gr%C3%BCne.pdf [eingesehen am 15.08.2016]. 204 Ebd., S. 3. 205 Vgl. Leiß, Birgit: Grunewaldstraße 87. Fertig mit den Nerven, in: Berliner Mieterverein e. V. Magazin, 04.03.2015, URL: http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/ online/mm0315/031508a.htm [eingesehen am 31.08.2016]. 206 Vgl. Baurmann, Jana Gioia: Ihr kriegt uns hier nicht raus, in: Zeit Online, 12.07.2015, URL: http://www.zeit.de/2015/26/roma-haus-berlin-grunewaldstrasse/ [eingesehen am 08.09.2015]. 207 Stadträtin Sibyll Klotz spricht gar von ca. 350 gemeldeten Straftaten; vgl. ebd., S. 2. 208 Vgl. ebd., S. 3.

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Zuge des Beobachtens, des Kontaktes und der Konfrontation in den Innenhöfen sowie vor dem Haus entwickelten sie nach und nach ein neuartiges Bild des Konfliktes. Darin standen die Zuwanderer zwar weiterhin in engem Zusammenhang mit zahlreichen Problemen wie Gewalt, Lärm oder Verschmutzung; aber sie wurden als Gemeinschaft nicht mehr im eigentlichen Sinne verantwortlich für die Zustände gemacht. Stattdessen zeichnete sich für die beteiligten Akteure – neben der Anwohnerschaft auch die Polizei und sukzessive die Verwaltung – schnell ab, dass die hinzugezogenen Neumieter nicht einfach als Auslöser nachbarschaftlicher Konflikte auszumachen waren, sondern sich vielmehr in weitreichenden und undurchschaubaren Ausbeutungs- und Abhängigkeitsbeziehungen befanden, an deren Ende der neue Eigentümer des Hauses vermutet wurde. Von der Abwesenheit jeglichen Rechtsschutzes war bald die Rede, von kriminellen Hausmeistergestalten, die unter Gewaltandrohung horrende Mietsummen für die häufig kaum betretbaren Wohnungen verlangt hätten, von semilegalen Arbeitsfeldern, schließlich und vor allem von einer gezielten und sämtliche Hausbewohner betreffenden Entmietungsstrategie sowie einer anschließend geplanten Luxussanierung.209 Dieses Bild wurde ab Mitte Februar auch von der Presse aufgenommen. In einem groß angelegten Artikel beschrieb zuerst die B. Z. das „Leben im Dreck“210 in der Grunewaldstraße. Hiervon ausgehend fand das Haus bald Eingang in die Berichterstattung zahlreicher lokaler und überregionaler Zeitungen. Auch Rundfunk und Fernsehen berichteten in den Monaten bis August 2015 ausgiebig über die Zustände, Hintergründe und Entwicklungen um das Berliner „Horrorhaus“211 – so lautete der von der B. Z. eingeführte Begriff, der bald zur entscheidenden Referenz, ja zum Synonym für die Grunewaldstraße 87 wurde.212 Der bis dahin zwar polizeibekannte, letztlich aber vor allem lokal ausgetragene 209 Vgl. allgemein zu diesem berlinweit beobachteten Phänomen der Armutsausbeutung im Kontext von Schrottimmobilien Leiß, Birgit: Die Schikanen der neuen Investoren … bis der letzte Mieter geht, in: Berliner Mieterverein/Magazin, 02.09.2015, URL: http://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm0915/091514.htm [eingesehen am 15.08.2016]. 210 Backes, Julia: Leben im Dreck: Das ist das Horror-Haus von Schöneberg, in: B. Z., 12.02.2015, URL: http://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/das-ist-dashorror-haus-von-schoeneberg/ [eingesehen am 24.08.2016]. 211 Ebd. 212 Vgl. exemplarisch Gennies, Sidney: Monströse Zustände in der Grunewaldstraße 87 – eine Spurensuche, in: Der Tagesspiegel, 21.06.2015, URL: http://www.tages spiegel.de/themen/reportage/das-horrorhaus-von-berlin-monstroese-zustaende-in-dergrunewaldstrasse-87-eine-spurensuche/11945880.html [eingesehen am 29.08.2016].

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Konflikt geriet dadurch binnen weniger Wochen und Monate zu einem öffentlichen Ereignis, das berlin- und bald sogar bundesweit große mediale Beachtung fand. Zeitgleich zur aufkommenden Berichterstattung begannen nun auch Stadtund Bezirksverwaltung – vorerst in Gestalt von Ordnungsamt und Gesundheitsamt, später auch des Bezirksamts, Jugendamts, Sozialamts, Schulamts und der Wohnungsaufsicht –, in den Konflikt einzugreifen.213 Um die unterschiedlichen Ämter und Akteure zu koordinieren und aufeinander abzustimmen, richtete die Bezirksverwaltung ab Mitte März aus eigener Initiative einen „Runden Tisch“ ein, an dem auch die Polizei und der Verein Amaro Foro214, ein Jugendverband mit Vermittlungs- und Beratungsaufgaben für Zuwanderer aus Südosteuropa, teilnahmen. Ein derartiger Zusammenschluss besaß, wie die Bezirksstadträtin und Initiatorin der Arbeitsgemeinschaft, Sibyll Klotz, im Interview erläuterte, im gemeinhin recht statisch separierten Wesen der Berliner Bürokratie einen durchaus außergewöhnlichen Charakter: „[D]as ist ein inneres Gesetz von Verwaltung. Die ist nicht auf die Welt gekommen, um abteilungsübergreifend zusammenzuarbeiten. Also das ist, gehört nicht zu ihrem Selbstverständnis. Sondern die haben Gesetze, und die sind da oben, und dann ist das hierarchisch organisiert, und das hat auch sein Gutes, weil man nämlich genau weiß, wer da eigentlich verantwortlich ist. Aber manche Dinge erfordern eigentlich ’ne Zusammenarbeit und ’ne Abstimmung. Und das muss jemand in die Hand nehmen. Das muss man immer extra anregen, ja. So und das habe ich gemacht.“215

Ziel des Zusammenschlusses war Sibyll Klotz zufolge, „[m]öglichst viel Präsenz [zu] zeigen“, mit allen verfügbaren rechtlichen und finanziellen Mitteln den „Druck auf den Eigentümer [zu] erhöhen“ und „[l]eere Wohnungen [zu] verschließen und deren erneute Belegung [zu] verhindern“.216 Unterdessen blieben auch die Anwohner über den stetigen Kontakt zu Presse, Funk und Fernsehen hinaus nicht untätig. Zwei Monate nach der ersten Sitzung des „Runden Tisches“ beriefen auch sie in einer nahegelegenen Pizzeria ein „Nachbarschaftstreffen“

213 Vgl. Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 3–7. 214 Amaro Foro e. V. versteht sich selbst als „Jugendverband von Roma und NichtRoma mit dem Ziel, jungen Menschen durch Empowerment, Mobilisierung, Selbstorganisation und Partizipation Raum zu schaffen, um aktive Bürger_innen zu werden“, URL: http://www.amaroforo.de/ [eingesehen am 24.08.2016]. 215 Interview mit Sibyll Klotz. 216 Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 5 f.

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ein.217 Aus dieser Versammlung ging eine Anwohnerinitiative hervor, die fortan mit viel Engagement und Verve, einem Rechtsanwalt und breiter Medienpräsenz versuchte, dem Eigentümer entgegenzutreten und zugleich Verwaltung und Politik auf die von ihr wahrgenommene Problemlage anzusprechen. Auch die Zuwanderer, die bis dahin zwar im Zentrum zahlreicher Diskussionen gestanden hatten, ohne jedoch selbst an ihnen teilzunehmen, wandten sich ab Ende Mai 2015 an die von Senat und Bezirksverwaltung mit der Beratung der Neumieter beauftragte Trägerorganisation Amaro Foro, um auf die erpresserischen Hintergründe ihrer Wohnsituation aufmerksam zu machen.218 Die verschiedenen Formierungs- und Koordinationsprozesse verliefen dabei keineswegs nur parallel; durchaus überschnitten und trafen sie sich punktuell. So etwa bei einer vom „Stadtteilverein Schöneberg e. V.“, einer Trägerorganisation zur Förderung des sozialen Lebens im Kiez, organisierten Versammlung im Juni 2015, bei der von der Bezirksstadträtin über Polizei und Ämter bis zu den Anwohnern des Hauses alle Beteiligten des Konfliktes anwesend waren. Die als Dialogforum konzipierte Veranstaltung mündete jedoch nicht in einer Allianz gegen den akteursübergreifend als verantwortlich identifizierten Eigentümer, sondern kehrte sich geradezu in ihr Gegenteil um: Indem die Anwohnerinitiative deutlich ihren Unmut ob der vermeintlichen Untätigkeit der Verwaltungsspitze kundtat, wurde das gegenseitige Verhältnis nachhaltig belastet. Somit sind es jene wenigen, jedoch essenziellen Zusammentreffen, an denen die Vielschichtigkeit und Komplexität des Konfliktes trennscharf hervortritt. Auf sie wird im Folgenden noch einzugehen sein. Keine zehn Tage später trat ein zusätzlicher Akteur in der Grunewaldstraße auf, der den Konflikt um eine neue Dimension erweiterte. Wenngleich die G87 in den Wochen und Monaten zuvor medial ausgiebig und kontrovers diskutiert worden war, war sie bislang kaum in den Fokus einzelner Parteien gerückt. Vielmehr fand die Auseinandersetzung vor Ort vorrangig auf einer juristischen und bürokratischen Ebene statt. Entscheidend für ihren Ausgang schien letztlich das gesetzlich festgelegte Verhältnis von Eigentümerrechten und städtischen Interventionsmöglichkeiten der Verwaltungsapparate. Für parteispezifische Vereinnahmungen und Positionierungen bot das skandalumwobene „Horrorhaus“ 217 Vgl. Nowak, Peter: Besorgte Bürger bleiben unter sich, in: taz.de, 23.05.2015, URL: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F23%2F a0230&cHash=8aec5de053901e8152750cd8b41a7b9d [eingesehen am 24.08.2016]. 218 Zum Auftrag an Amaro Foro vgl. Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 4; vgl. Amaro Foro e. V.: „Familien mit Kleinkindern schlafen draußen“, Pressemitteilung vom 05.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/pressemitteilung/ [eingesehen am 24.08.2061].

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bis dahin offenbar wenig Raum. Das änderte sich jedoch Ende Juni, als die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) zu einer Kundgebung in der Grunewaldstraße aufrief.219 Zwar fanden sich am Vormittag des 25. Juni 2015 gerade einmal acht Teilnehmer ein, die sich bald einer kurzfristig mobilisierten Gruppe von Gegendemonstranten gegenübersahen.220 Dennoch: Der kurzweilige Auftritt der NPD war Ausdruck einer öffentlichen Politisierung des Konfliktes, die besonders in der unmittelbaren Nachbarschaft als solche registriert wurde. Zudem gibt er Hinweise darauf, wie sich rechtsextreme Akteure durchaus spontan – denn die Versammlung war nur zwei Tage zuvor angemeldet worden221 – bemühen, sich innerhalb lokaler Konfliktvorgänge mit antiziganistischen Positionen Gehör zu verschaffen, und damit versuchen, eine weitere Zuspitzung der Auseinandersetzung zu bewirken.222 In Abgrenzung hierzu hingen einige Tage später mehrere Banner von den Balkonen des anliegenden Hauses; mit großen Buchstaben bekundeten die Anwohner ihre Verbundenheit mit den zugezogenen Neumietern: „Gegen Entmietung, Bereicherung an Armut & Fremdenhass. Anwohner für Respekt, Toleranz und Solidarität“.223 219 Vgl. Statzkowski, Andreas: Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 18. August 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. August 2015) und Antwort, Drucksache 17/16801, URL: https://s3.kleine-anfragen.de/ ka-prod/be/17/16801.pdf [eingesehen am 09.09.2016]. 220 Vgl. ebd.; Hasselmann, Jörn/Straub, Bodo: NPD-Kundgebung am berüchtigten Haus in Grunewaldstraße, in: Der Tagesspiegel, 25.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel. de/berlin/polizei-justiz/berlin-schoeneberg-npd-kundgebung-am-beruechtigten-hausin-grunewaldstrasse/11967476.html [eingesehen am 24.08.2015]; Schmalz, Alexander: NPD-Hetze in Schöneberg: Brauner Spuk vor dem Raus-Ekel-Haus, in: Berliner Kurier, 25.06.2015, URL: http://www.berliner-kurier.de/berlin/kiez---stadt/npdhetze-in-schoeneberg-brauner-spuk-vor-dem-raus-ekel-haus-1662564

[eingesehen

am 24.08.2015]. 221 Vgl. Statzkowski: Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Tom Schreiber (SPD) vom 18. August 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 18. August 2015) und Antwort, Drucksache 17/16801, URL: https://s3.kleine-anfragen.de/ka-prod/be/17/ 16801.pdf [eingesehen am 09.09.2016]. 222 Im selben Kontext steht wohl auch ein Videobeitrag von DS-TV, dem Nachrichtenkanal der NPD, über das Haus, in dem auch eine Altmieterin, jedoch wohl nicht aus überzeugter Übereinstimmung mit dem Sender, sondern eher aus Unwissenheit, ausgiebig zu Wort kommt; vgl.: DS-TV 13-15: Zu Besuch im Berliner „Horror-Haus“, URL: https://www.youtube.com/watch?v=VK0XlOYI_k4/ [eingesehen am 24.08.2016]. 223 Vgl. Loy, Thomas/Hasselmann, Jörn: Solidarität unter Nachbarn, in: Der Tagesspiegel, 05.07.2016, URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/problemhaus-in-berlin-schoene

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An der kurzen Abfolge der Veranstaltungen, Bündnisse, Debatten und Ereignisse wird bereits deutlich, dass sich der Konflikt in dieser Phase immer mehr zuspitzte und verschärfte. Im Alltag der Grunewaldstraße drückte sich dies in einer nunmehr täglichen Präsenz von Polizisten, Bezirksbeamten und Medienvertretern aus. Einzig der Hauseigentümer war vor Ort kaum anzutreffen. Auch darüber hinaus blieb er fernab der Öffentlichkeit und äußerte sich lange Zeit zu keinem der gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Mit einer Ausnahme: In einer Reportage von Spiegel TV gelang zwei Reportern, den Vermieter auf offener Straße zu interviewen und ihm Mietverträge der zugewanderten Neumieter vorzulegen. Sichtlich überrascht von der plötzlichen Konfrontation sah er sich gezwungen, zumindest seine Unterschrift unter den horrenden Mietsummen zu bestätigen.224 Ganz treffend ist das Bild eines so weit wie möglich aus dem Verborgenen via Hausmeister und Handlanger agierenden Vermieters jedoch nicht. So sehr er auch bemüht war, jegliche Aufmerksamkeit zu vermeiden, stand er doch in regem Kontakt mit der Bezirksverwaltung. Immer wieder, insgesamt fast siebzig Mal, ließ er auf konkrete Anordnungen von Bau- und Wohnungsaufsicht hin punktuelle Schäden im Haus beheben.225 Zu einer spürbaren und nachhaltigen Verbesserung der Lebensbedingungen oder gar zu einer Entspannung der Situation trugen diese sporadischen Maßnahmen jedoch kaum bei. Bedeutender für den Fortgang des Konfliktes waren vielmehr der sukzessive Auszug der Zuwanderer und die anschließenden Verriegelungen der Wohnungen, die der Eigentümer in Absprache mit der Bezirksverwaltung veranlasste. Wenngleich er durchaus als Profiteur der chaotischen Zustände galt, tat er dies, so vermutete zumindest Bezirksstadträtin Sibyll Klotz, weil auch ihm die Kontrolle zu entgleiten drohte: „Wir können nichts versiegeln. Sondern wir können denen sagen, macht das mal. Und der hat das dann auch teilweise gemacht. Ich glaube, dem ist das dann auch über den Kopf gewachsen. Ich glaube, der hat das, was er da, was da passiert ist, das hat der, glaube ich, auch komplett so nicht, nicht vorausgesehen.“226

berg-solidaritaet-unter-nachbarn/11994830.html [eingesehen am 24.08.2016] (das Zitat ist der dortigen Fotografie von Kristina Hasselmann entnommen). 224 Vgl. Schlesier, Vanessa/Meyer-Heuer, Claas: Das „Horrorhaus“ von Berlin – Leben zwischen Dreck und Urin, Spiegel-TV-Beitrag vom 20.06.2015, URL: http://www. spiegel.tv/filme/horrorhaus-von-berlin-schoeneberg/ [eingesehen am 24.08.2016]. 225 Vgl. Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 6 f. 226 Interview mit Sibyll Klotz.

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Um die Frage des Auszugs und dessen unmittelbare Folgen für die Zuwanderer entspann sich die vorerst letzte große Debatte der G87. Denn obwohl in der Überbelegung der hinteren Gebäudeteile eine für alle Beteiligten erkennbare Ursache der Probleme lag und ein geregelter Auszug aus den häufig ohnehin unbewohnbaren Wohnungen auch für die Zuwanderer selbst zwingend notwendig erschien, war ungeklärt, unter welchen Umständen sie ihre Wohnungen tatsächlich verlassen und was mit ihnen fortan geschehen würde. In diesem Zusammenhang wies Amaro Foro wiederholt darauf hin, dass mehrere Familien gänzlich ihr Obdach verloren hätten, nachdem sie durch den Vermieter unter Gewaltandrohung zum Verlassen der Wohnungen gezwungen worden seien.227 Zugleich wandte sich der Jugendverband dabei mit der Aufforderung, den Familien eine ihnen gesetzlich zustehende vorübergehende Unterkunft zu gewährleisten, an die Bezirksverwaltung.228 Und in der Tat war ungewiss, wo der Großteil der Zuwanderer nach den Räumungen ihrer Wohnungen verblieben. Im Juli meldete die Bezirksverwaltung, für zwölf Familien und insgesamt 57 Personen aus dem Haus vorläufige Unterkünfte in Hostels und Ferienwohnungen gefunden zu haben.229 Was mit den übrigen nunmehr ehemaligen Bewohnern aus den Hinterhäusern geschah, blieb unklar.230 Eine Familie, so meldete das Bezirksamt für Soziales, Fachbereich soziale Dienste, sei in einen anderen Bezirk gezogen, eine weitere habe Berlin verlassen. Und weiter: „Zu den übrigen Personen kann keine Aussage über deren Verbleib getroffen werden.“231

227 Vgl. Amaro Foro e. V.: „Familien mit Kleinkindern schlafen draußen“, Pressemitteilung vom 05.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/pressemitteilung [eingesehen am 24.08.2016]; vgl. weiterhin Amaro Foro e. V.: Offener Brief zu der Situation in der Grunewaldstraße 87 vom 16.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/offenerbrief-zu-der-situation-der-grunewaldstra%C3%9Fe-87/ [eingesehen am 24.08.2016]. 228 Vgl. ebd. 229 Vgl. Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 11. 230 Einzelne Stellungnahmen und Berichte deuten darauf hin, dass einige Familien obdachlos geworden sind; vgl. hierzu Quartiersrat Schöneberger Norden: Offener Brief des Quartiersrats: Wohnungsräumungen ohne Gerichtsverfahren im Wohnhaus Grunewaldstraße 87, Schöneberg, 26.06.2015, URL: http://schoeneberger-norden. de/Offener-Brief-QR-Raeumungen-Grunewald-87.4288.0.html

[eingesehen

am

24.08.2016]. 231 Lütke Daltrup, Engelbert: Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Katrin Lompscher (LINKE) vom 27. Juli 2015 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 28. Juli 2015) und Antwort, Drucksache 17/16710, S. 1, URL: http://www.linksfraktion-berlin.de/ uploads/media/S17-16710.pdf [eingesehen am 09.09.2015].

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Jedenfalls: Mit ihrem Auszug gerieten die Zuwanderer aus dem Blickfeld aller Akteure – mit Ausnahme von Amaro Foro, die in ihrer Beratungsfunktion auch über den Fall hinaus tätig blieben. In der Öffentlichkeit war der Konflikt vor Ort ungeachtet der Ungewissheit über den Verbleib der Zuwanderer in Auflösung begriffen. Die hinteren Gebäudeteile standen spätestens ab Juli 2015 gänzlich leer. Verblieben waren einzig die Altmieter und eine zugezogene Familie. Sie wohnten weiterhin zu unveränderten Konditionen im Vorderhaus. Die Anwohnerinitiative blieb bestehen, widmete sich fortan jedoch anderen, weniger kontroversen Themen und Projekten.232 Auch die Bezirksstadträtin Sibyll Klotz konnte mit der Beantwortung der oben genannten „Großen Anfrage“233 in der Bezirksverordnetenversammlung die „Akte G87“ vorläufig schließen. Polizei, Ämter und Medien waren kaum mehr in der Grunewaldstraße anzutreffen. Ferner kündigte der Eigentümer an, grundlegende Sanierungsarbeiten vorzunehmen, die den „Bedarfen der ‚Altmieter‘“ entgegenkommen sollten.234 Bereits im August deutete kaum mehr etwas darauf hin, dass die G87 bis vor Kurzem der Austragungsort eines lautstark geführten Zuwanderungskonfliktes gewesen war. An dieser Stelle schließt die chronologische Betrachtung des Konfliktvorganges – freilich ohne dass damit sämtliche Fragen geklärt sind. Insbesondere in Bezug auf die Zuwanderer blieb vieles im Vagen. Ihre genaue Herkunft und der Weg bis in die Grunewaldstraße, interne Strukturen, vor allem aber ihre Perspektiven auf den Konflikt, schließlich ihr Weggang: All dies blieb, abgesehen von einigen Hinweisen durch Amaro Foro, offen. Wie eingangs erwähnt, war es jedoch ebenjene Unwissenheit über die Hintergründe, Sichtweisen und Lebensumstände der zugewanderten Neumieter, die den Konflikt um die Grunewaldstraße entscheidend mitprägte. Sie musste von allen Beteiligten am Konfliktfall G87 auf dem Weg hin zu einem Verständnis überwunden werden: Der lokale Konflikt wurde ausgelöst durch die Zustände, die mit dem Einzug der Zuwanderer hervorgerufen worden waren. Für diese Zustände also mussten alle Beteiligten (ihre) Erklärungen formulieren, auf Grundlage derer sich schließlich Lösungsstrategien schlüssig begründen ließen. Um den Konflikt in der Grunewaldstraße

232 So forderten die „Nachbarn-G87“ fortan etwa die Einrichtung einer Tempo-30-Zone in der Grunewaldstraße: Nachbarn-G87: Unterschriftenliste zum Einwohnerantrag/ zu den Einwohneranträgen, Berlin, den 30.06.2015. 233 Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87. 234 Klotz, Sibyll: Mündliche Anfrage der BV Preußker, 48. Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg von Berlin am 15.07.2015, S. 2, URL: http://www.gruene-ts.de/wp-content/uploads/2015/07/AntwortmAnfr_Grunewaldstra%C3%9Fe-87-1.pdf [eingesehen am 24.08.2015].

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zu begreifen, ist also notwendig, nachzuvollziehen, wie er von den involvierten Akteuren verstanden und gedeutet wurde. Die breiteste meinungsbildende öffentliche Plattform hierfür waren die Medien, die ab Februar 2015 auf den Konflikt aufmerksam wurden und in der nun einsetzenden Berichterstattung insbesondere die Lokalverwaltung und die Anwohner des Hauses als maßgebliche Referenzen anführten. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, in welcher Kürze und vor allem Eindeutigkeit sich auch über ein breites Spektrum an Zeitungen, Fernsehkanälen und Radiosendern ein grundlegendes Narrativ herauskristallisierte, über das der Konflikt beschrieben, geordnet und bewertet werden konnte. Dies ist auf den ersten Blick umso erstaunlicher, als die Berliner Presselandschaft eine deutschlandweit einzigartige Dichte und Diversität aufweist.235 Und in keiner Sparte tritt das so deutlich hervor wie in der lokalen Berichterstattung. Dabei kann Berlin auf eine lange Geschichte der medialen Selbstbespiegelung zurückblicken:236 Bereits um die Jahrhundertwende erschienen in der „Pressestadt par excellence“237 mehr Zeitungen als etwa in London. Viele von ihnen, zum Beispiel die B Z am Mittag oder die Morgenpost, waren dabei redaktionell besonders auf das schnelllebige Treiben der Hauptstadt fixiert. In zum Teil mehrmals täglich erscheinenden Ausgaben versuchten sie, sich in ihren Geschichten über das unübersichtliche und pulsierende Leben in der rasanten Metropole gegenseitig zu übertreffen.238 Daran hat sich bis heute wenig geändert. Die Dynamik aus medialer Konzentration und Konkurrenz bestimmt nach wie vor die Berliner Berichterstattung. Sie ermöglicht, dass sich um einzelne Orte, Konflikte oder Ereignisse in kürzester Zeit eine stadtweite, wenn nicht sogar bundesweite Debatte entfacht – so auch im Falle der Grunewaldstraße. Ausgangspunkt war der oben genannte Artikel in der B. Z. Mit zahlreichen Bildern verwahrloster Treppenaufgänge und Hinterhöfe unterlegt, wurde hier das „Leben im Dreck“ im „Horrorhaus von Schöneberg“239 beschrieben, das die Bewohner und vor allem die Altmieter – denn nur sie kamen hier zu Wort – seit 235 Vgl. Schneider, Marius: Aus Berlin für Berlin. Strategien des Lokaljournalismus, in: Althaus, Marco et al. (Hrsg.): Medien, Macht und Metropolen. Politische Kommunikation im Alltag, Frankfurt a. M. 2012, S. 83–94, vor allem S. 87–89. 236 Vgl. hierzu allgemein Mendelssohn, Peter de: Zeitungsstadt Berlin, Frankfurt a. M. u. a. 1982. 237 Large, David Clay: Berlin. Biographie einer Stadt, München 2002, S. 99. 238 Vgl. ebd., S. 97–102. 239 Backes, Julia: Leben im Dreck: Das ist das Horror-Haus von Schöneberg, in: B. Z., 12.02.2015, URL: http://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/das-ist-dashorror-haus-von-schoeneberg/ [eingesehen am 24.08.2016].

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dem Einzug der Zuwanderer erleiden und erdulden müssten. Bereits der einleitende Satz nahm vieles von dem vorweg, was in den folgenden Wochen und Monaten in häufig nur marginalen Abweichungen über das Haus zu lesen, zu hören und zu sehen sein sollte: „Das Treppenhaus ist eine Müllhalde, das Licht funktioniert schon lange nicht mehr, durch die kaputten Fensterscheiben weht ein eisiger Wind, es stinkt nach Urin und hinter einer aufgebrochenen Tür schreit ein Baby.“240 Der Grund wird klar benannt: „Immer mehr Roma-Familien ziehen ein. […] Nachts kommen ganze Karawanen mit Matratzen an.“241 Doch so plakativ der Artikel in der Beschreibung der Zustände im Haus auch war, so wenig trug er zur Aufklärung ihrer Hintergründe bei. Zwar deutete sich in den Worten eines porträtierten Altmieters bereits an, dass der Zuzug der Neumieter – ob sie Roma waren, war unbekannt, wurde aber in der Berichterstattung gemeinhin angenommen, wenn nicht gar vorausgesetzt – in einem größeren Zusammenhang stehen könnte: „Die finden nichts anderes und werden missbraucht, um uns Alt-Mieter rauszuekeln.“242 Vorerst blieb es jedoch bei dieser beinahe beiläufigen Bemerkung. Das änderte sich jedoch in den anschließenden Berichten maßgeblich. Während einerseits die mit den Neumietern eingekehrten Zustände in der G87 im Selbstverständnis und Duktus unverblümter Tatsachenberichte ausführlich beschrieben wurden, vollzogen viele Artikel und Fernsehbeiträge zum Ende hin eine argumentative Wende: Der Hauseigentümer rückte in den Fokus und wurde als Drahtzieher und Verantwortlicher des lokalen Konfliktes ausgemacht. Die narrative Struktur eines Großteils der Berichte folgte einem Dreischritt: Am Beginn stand ein scheinbar vergessenes Haus, in dem die langjährige Belegschaft zu vorzeitlichen Mietpreisen wohnte; dann, ab Herbst 2014, zogen die Zuwanderer ins Haus, der Konflikt begann sich Bahn zu brechen und eskalierte bald. Es waren jene Abschnitte, die den größten Raum einnahmen und in denen von Müllbergen und Ratten243 bis hin zu Hühnerschlachtungen244, Clan-Strukturen 240 Backes, Julia: Leben im Dreck: Das ist das Horror-Haus von Schöneberg, in: B. Z., 12.02.2015, URL: http://www.bz-berlin.de/berlin/tempelhof-schoeneberg/das-ist-dashorror-haus-von-schoeneberg/ [eingesehen am 24.08.2016]. 241 Zit. n. ebd. 242 Zit. n. ebd. 243 Vgl. Küpper, Mechthild: Im Schöneberger „Horrorhaus“, in: faz.net, 24.07.2015, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/skrupellose-vermieter-in-berlin-bringenroma-unter-unmenschlichen-bedingungen-unter-13717492.html [eingesehen am 28.08.2016]. 244 Vgl. Schmiemann, Brigitte: Hühnerläuse im Schöneberger „Horrorhaus“, in: Berliner Morgenpost, 17.07.2015, URL: http://www.morgenpost.de/bezirke/tempelhof-

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und kriminellen Machenschaften245 kein Thema unbesetzt blieb, das nicht auch schon an anderer Stelle mit der Zuwanderung von Roma in Zusammenhang gebracht worden wäre. Zugleich wurden die auf die Zuwanderer zurückgeführten Zustände im und um das Haus in den Kontext einer kruden Entmietungspraxis seitens des Eigentümers gestellt, der somit als letztendlich Verantwortlicher identifiziert wurde. Als Beispiel dafür sei eine umfangreiche Reportage des Tagesspiegel angeführt. Diese setzte nach einer kurzen Herleitung der „ehemals stolze[n] Immobilie“ in „jene[r] Nacht im September 2014“ ein, in der „ein paar Kleinbusse“ vor das Haus gefahren seien.246 „Neue Mieter, alle Roma.“ Was nun folgte, waren ausführliche Beschreibungen desolater, durch die Zuwanderer verursachte Zustände im Haus – wieder einmal erzählt aus der Perspektive eines alteingesessenen Anwohners: „Das Haus hat sich verändert, hat ihn verändert. Es ist seine persönliche Hölle geworden und die aller, die dort leben. […] Er betritt den Hof. Läuft vorbei an uringetränkten Matratzen neben den Mülltonnen. Es ist noch einer der besseren Tage, einer, an dem sich noch erahnen lässt, wie schön es hier einst war, weil der Gestank noch erträglich ist. [...] Seit Januar schläft Drazen Dedus nur noch mit Oropax. Wenn er überhaupt schläft. Damit er die Schreie nicht hört. Von den Männern, die sich prügeln. Von den Frauen, wenn ihre Männer sie schlagen. Von den Kindern.“ Unmissverständlich wird hier deutlich, was wenige Absätze später als nüchterne Feststellung zur Sprache kommt: „[D]ie Neumieter sorgen dafür, dass das Haus in kürzester Zeit wieder unbewohnbar wird.“ So weit, so eindeutig. An dieser Stelle jedoch schwenkt der Fokus der Erzählung von den Neumietern über zwielichtige Hausmeisterfiguren, die als Handlanger des Eigentümers dargestellt werden, hin zur Schlussfolgerung: „Jemand benutzt die Roma, um die Altmieter aus dem Haus zu vertreiben. Um es sanieren und teuer verkaufen zu können. So lautet der Verdacht. Das Monster, das haben die Bestandsmieter schnell erkannt, hat nicht die Gestalt der Roma. Es lauert im Hintergrund.“ Diese narrative Rahmung der Zustände vor Ort – und somit auch der Zuwanderer – durch den aus dem Off heraus agierenden Vermieter durchzog einen Großteil der Berichterstattung. Sie war es schließlich auch, die eine Journalistin schoeneberg/article205480293/Huehnerlaeuse-im-Schoeneberger-Horrorhaus.html [eingesehen am 28.08.2016]. 245 Vgl. Gennies, Sidney: Monströse Zustände in der Grunewaldstraße 87 – eine Spurensuche, in: Der Tagesspiegel, 21.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel.de/themen/ reportage/das-horrorhaus-von-berlin-monstroese-zustaende-in-der-grunewaldstrasse87-eine-spurensuche/11945880.html [eingesehen am 29.08.2016]. 246 Hier und im folgenden Teil des Absatzes ebd.

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einer großen deutschen Tageszeitung in der Rückschau ein durchaus positives Resümee zu ihrem Metier ziehen ließ: „Also ich kann mich nicht erinnern an grauenhafte Ausrutscher. Es war allen klar, dass diese Roma eingesetzt werden. Dass mit denen, dass die benutzt werden, dass die viel zu viel Miete zahlen, viel zu schutzlos sind, also ganz schlechte Verträge haben und dass selbst, wenn die da nachts gehen und das Licht im Treppenhaus jede Nacht kaputt machen, dass die sozusagen im Auftrag handeln. Und dass man jetzt nicht schimpfen muss auf die. Ich kann mich nicht erinnern, dass da, dass es da so richtig antiziganistische Exzesse gegeben hätte, oder? Nein, glaube nicht.“247

Zu einem gegenteiligen Urteil über den medialen Umgang mit dem Konflikt vor Ort kam indes Amaro Foro in seiner abseits der Beratungstätigkeit jährlich herausgegeben „Dokumentation von antiziganistischen Vorfällen in Berlin“248. Der von der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS) finanzierte Bericht beinhaltet neben einer exemplarischen Aufführung alltäglicher Diskriminierungserfahrungen von Zuwanderern aus Südosteuropa auch ein „Qualitatives Medien-Monitoring“. Hierin untersuchten und kommentierten die Autorinnen eine Auswahl von Artikeln zu lokalen Zuwanderungskonflikten auf die in ihnen transportierten antiziganistischen Vorannahmen, Stereotype und Bilder. Von zwei Ausnahmen abgesehen, sind sämtliche der aufgeführten und anschließend kommentierten Zeitungsausschnitte der Berichterstattung um die Grunewaldstraße 87 entnommen.249 „[I]n einem Großteil der Artikel [wird] davon ausgegangen“, heißt es im Resümee der Untersuchung, „dass es so etwas wie einen Automatismus gibt, dass also mit Roma automatisch auch Lärm, Müll, Vandalismus und Kriminalität einziehen.“ Und weiter: „Diese Logik bleibt paradoxerweise auch dort erhalten, wo darauf hingewiesen wird, dass der Vermieter für die Zustände im Haus verantwortlich ist. In diesen Fällen folgt die Darstellung häufig der Logik, dass Roma quasi ein optimales Mittel seien, um ein Haus unbewohnbar zu machen und andere Mieter_innen rauszuekeln.“250

247 Interview mit einer Berliner Journalistin. 248 Botescu, Diana/Wierich, Andrea: Dokumentation von antiziganistischen Vorfällen in Berlin 2015 und Medienmonitoring 2015 zur Reproduktion antiziganistischer Stereotype, Berlin 2015/16, URL: http://amaroforo.de/dokumentation-von-antiziganistischenvorf%C3%A4llen-berlin-und-medienmonitoring-2015/ [eingesehen am 30.08.2016]. 249 Vgl. ebd., S. 22–39. 250 Ebd., S. 38.

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Nun ließe sich diesem Vorwurf der vorurteilsbehafteten Pauschalisierung, noch einmal in den Worten einer Berliner Korrespondentin einer großen deutschen Tageszeitung, entgegenhalten: „Tja, aber ich meine (kurze Pause) so war es aber. Man hat Roma eingesetzt und ich nehme an, relativ gezielt, relativ gezielt und hat diese Kombination hergestellt. Das war aber in der Berichterstattung klar, dass das nicht jetzt Leute sind, die in eigener Mission unterwegs sind. Sondern dass die wirklich so Figuren sind, die benutzt werden.“251

In dieser Passage treten die Rollen, die Vermieter und Zuwanderer in einem grundlegenden und übergreifenden Verständnis des Konfliktes einnehmen, noch einmal besonders deutlich hervor. Die zum Teil weitreichenden Abhängigkeitsverhältnisse anerkennend, ist doch bemerkenswert, in welcher Weise hier über den Konflikt und die Zuwanderer gesprochen wurde. Durch die argumentative Zuspitzung auf den strippenziehenden Eigentümer geraten die Zuwanderer zu kaum mehr selbstbestimmten und zugleich berechenbaren Bauernopfern eines größeren Kalküls, zu „Figuren“ eben, über die man durch die Hervorhebung ihres Dilemmas nicht mehr viel zu erfahren brauchte, um ihr Verhalten zu erklären. Kurzum: Sie sind eben, wie sie sind: arm, unkultiviert, hilflos und ausgeliefert. Und weil die Umstände im Haus verheerend waren, offenbarte sich das umso deutlicher. Das wusste der Vermieter und bald wussten es auch Anwohner und Medien. Was bei dieser Gewissheit jedoch besonders hervorstach, war die Umgangsform mit der grundlegenden (eigenen) Unwissenheit über die Zuwanderer bzw. „die Roma“. Schließlich ermöglichte diese Erzählung, die Zustände im und um das Haus in aller Schonungslosigkeit zu schildern und anschließend in ein Erklärungsmodell einzuordnen, das auf Hintergründe, Migrationsgeschichten, Motivationen und Lebenslagen der Zuwanderer weitestgehend verzichtete. Somit konnten die rumänischen Neumieter über den gesamten Zeitraum hinweg unbekannte Fremde bleiben und eben dadurch als unmittelbare Verursacher des Konfliktes benannt und zugleich entschuldigt werden. Indes: Auch unter den beteiligten Akteuren gab es Gruppen, die dieser Perspektive auf den Konflikt nicht nur widersprachen, sondern auch aktiv gegen sie angingen. An erster Stelle ist hier abermals Amaro Foro zu nennen: Der Jugendverband kommentierte das Geschehen nicht nur nach dessen Abschluss, sondern war über den gesamten Frühling und Sommer 2015 bemüht, den Verlauf und die Wahrnehmung des Konfliktes um die G87 aktiv mitzugestalten, sich als Interes-

251 Interview mit einer Berliner Journalistin.

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senvertretung der Zuwanderer Gehör zu verschaffen sowie vor Ort als Sozialberater tätig zu sein. Die offizielle Funktion, mit der Amaro Foro Anfang 2015 im Konflikt auftrat, war eine „Beratung der Neumieter“252. Zu diesem Zweck war der Verein von der Senats- und Bezirksverwaltung gefördert worden. Konkret schloss dieser Auftrag etwa die Sprachvermittlung zwischen Zuwanderern und Verwaltung, Vertragsprüfung und Durchsetzung von Mietrecht, Ortsbesichtigungen sowie eine sozialrechtliche Beratung der Neumieter ein.253 Der Verein stand somit in der Konstellation der Konfliktakteure an der Schnittstelle zwischen Zuwanderern und Verwaltung. Schon bald nahm Amaro Foro für die Zuwanderer die Rolle einer essenziellen Anlaufstelle ein. Der Verein wandte sich an den Jugendverband, um auf „unzumutbare Wohnbedingungen“254, „ihre Angst vor Schlägertrupps“ oder „illegale Entmietungsmethoden aufmerksam zu machen“255. Zugleich stand Amaro Foro in engem Austausch mit der Bezirksverwaltung, um diese über die Entwicklungen im Haus sowie über Sorgen, Nöte und Perspektiven der Zuwanderer zu informieren. Abschließend bewertete Sibyll Klotz in ihrer Beantwortung der „Großen Anfrage“ vom 15. Juli 2015 die Beratungs- und Vermittlungstätigkeiten von Amaro Foro „immer da, wo es um die konkrete Umsetzung, die konkrete Begleitung der Betroffenen geht“, als „grundsätzlich sehr positiv“.256 Darüber hinaus wurde die Arbeit von Amaro Foro jedoch zuweilen durchaus ambivalent aufgefasst, da der Verein – so lautete zumindest eine ebenfalls von der Bezirksstadträtin Sibyll Klotz formulierte Kritik – die vorgesehene ausschließliche Beratungsfunktion zuweilen überstiegen habe. Und in der Tat sah sich Amaro Foro nicht einfach als „rein sozialarbeiterisches Projekt“. Der Verband – das jedenfalls betonte ein Mitarbeiter – verstehe sich ebenso sehr als „Vertreter der Community“, dessen „Auftraggeber […] unsere Klienten und nicht die Verwaltungen“ seien.257 Der Verein nahm in seiner generellen Tätigkeit

252 Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 14. 253 Vgl. ebd., S. 14 ff. 254 Hier und folgend Nowak, Peter: Unschönes Schöneberg, in: Jungle World, Nr. 23, 04.06.2015, URL: http://jungle-world.com/artikel/2015/23/52068.html [eingesehen am 31.08.2016]. 255 Nowak, Peter: „Alles ist kaputt“. Mieter in der Grunewaldstraße erheben Vorwürfe gegen Hauseigentümer, in: neues-deutschland.de, 30.05.2015, URL: https://www. neues-deutschland.de/artikel/972744.alles-ist-kaputt.html [eingesehen am 31.08.2016]. 256 Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 15. 257 Interview mit einem Mitarbeiter von Amaro Foro.

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somit eine doppelte Funktion ein: einerseits als Dienstleister und Informant der Verwaltung, andererseits als Vertreter und Sprachrohr der Zuwanderer. Diese „Brückenfunktion“258 barg starkes Konfliktpotenzial – dort nämlich, wo die von Amaro Foro artikulierten Interessen der Migranten mit denen der Verwaltung kollidierten. Hier offenbarte sich ein strukturelles Spannungsfeld, in dem sich der Jugendverband in seiner Arbeit bewegte. Einerseits war Amaro Foro permanent von der Gewährung punktueller Fördermittel aus dem Senat oder der Bezirksverwaltung abhängig; ebenso war der Verband durch seine sprachlichen Kompetenzen und langjährige Erfahrung in der Sozialarbeit ein essenzieller Kooperationspartner für Politik und Verwaltung. Andererseits gehörte jedoch zum Selbstverständniss von Amaro Foro, sich als unmittelbare Vertretung der Zuwanderer zuweilen gegen die Lokalpolitik zu stellen, sie öffentlich zu kritisieren oder womöglich gar juristisch gegen sie vorzugehen. In diesem Kontext sorgte, mit Blick auf die Grunewaldstraße, etwa die Bereitstellung von Wohnraum durch die Verwaltung immer wieder für Spannungen. Der von uns interviewte Mitarbeiter von Amaro Foro erläuterte hierzu, dass sie in dem Verband „eigentlich [...] versuchen [...], die Menschen in die Regeldienste zu bringen. Und die Verwaltungen haben aber nicht immer diese Interessen. [...] Weil wir sagen: ‚Das müssen Sie als Verwaltung jetzt aber machen.‘ Und die sagen: ‚Nein, das brauchen wir aber nicht.‘ Zum Beispiel in Berlin gibt es die Verordnung ‚ASOG‘ [Allgemeines Sicherheitsund Ordnungsgesetz, Anm. d. V.] für die Unterbringung von Obdachlosen. Und da streiten wir immer mit den Sozialämtern.“259

Ebenso verhielt es sich auch im Fall der Grunewaldstraße 87. Als beispielsweise bekannt wurde, dass einige der zugewanderten Familien obdachlos geworden waren, forderte Amaro Foro in mehreren Pressemitteilungen und offenen Briefen, schließlich auch über einen Rechtsanwalt „umgehend eine sichere Unterbringung für die Familien“260. Diese öffentlichen Stellungnahmen in einem ohnehin angespannten Klima erschienen der Verwaltungsführung als unangebrach-

258 Ebd. 259 Interview mit einem Mitarbeiter von Amaro Foro. 260 Amaro Foro e. V.: „Familien mit Kleinkindern schlafen draußen“, Pressemitteilung vom 05.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/pressemitteilung [eingesehen am 24.08.2061]; vgl. außerdem Jakupov, Merddjan: Offener Brief zur Situation in der Grunewaldstraße 87, 16.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/offener-brief-zuder-situation-der-grunewaldstra%C3%9Fe-87/ [eingesehen am 31.08.2016].

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te, im Tonfall geradezu anmaßende Kritik. So erinnerte sich die Bezirksstadträtin Sibyll Klotz an die Zusammenarbeit mit dem Jugendverband: „Und trotzdem gab es immer mal den einen oder anderen Fall, wo es, wo ich finde, dass eine bestimmte Distanz, die man trotz allem braucht, gerade in so einer Situation, wo diese professionelle Distanz einfach nicht mehr vorhanden war [bei Amaro Foro, Anm. d. V.]. Und, und das ist viel schwieriger, noch, wo Erwartungshaltungen artikuliert wurden in einer, an eine Versorgung mit Wohnraum und mit Transferleistungen, die ich gar nicht befriedigen kann, weil sie nicht, weil mir dafür gesetzliche Grundlagen fehlen, ja. Also ich kann vonseiten des Sozialamtes nicht alle nach dem ASOG unterbringen und die Unterkunftskosten übernehmen. Das kann ich nicht. Dafür fehlen mir gesetzliche Grundlagen. Man könnte auch darüber diskutieren, ob das eigentlich richtig ist, ja. Aber das ist dann eine Diskussion.“261

Über den rechtlichen Rahmen hinaus sei zudem auch praktisch kaum möglich gewesen, alle zugewanderten Neumieter in einen ohnehin überlasteten Wohnungsmarkt zu integrieren: „Wir haben ja ein Riesenproblem insgesamt mit der Unterbringung von wohnungslosen Menschen in Berlin. Diese Systeme sind ja komplett zusammengebrochen. Und alle haben immer nur die Flüchtlinge i[m] Blick. Aber wir haben ja noch mal eine andere Gruppe, nämlich die Wohnungslosen. Und die konkurrieren miteinander und im Moment verlieren die Wohnungslosen, so. Und das ist eine ganz schlimme Situation, weil wir einfach nicht wissen, wie die Leute unterzubringen sind.“262

Statt eine vollständige Unterbringung der Zuwanderer über das ASOG, die aufgrund der akuten infrastrukturellen Notlagen, knapper Haushaltskassen und schließlich eines impliziten Konfliktpotenzials unter sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen in Berlin schlichtweg nicht möglich gewesen wäre, einzuleiten, zog es die Verwaltungsspitze vor, die Finanzierung von Rückreisen in die Herkunftsländer als legitimen Lösungsansatz zu erwägen. So hieß es nochmals in der von Sibyll Klotz beantworteten „Großen Anfrage“ der Bezirksverordnetenversammlung: „Die Heimreise ist Teil des Selbsthilfepotentiales der Betroffenen, das vor einer ordnungsbehördlichen Unterbringung auszuschöpfen ist. Menschen nach dem ASOG auf unbestimmte Zeit unterzubringen[,] ist nicht möglich. Das Sozialamt hat hier auch keinen Ermessensspielraum.“263 261 Interview mit Sibyll Klotz. 262 Ebd. 263 Klotz: Große Anfrage: Grunewaldstraße 87, S. 10.

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Wie kaum anders zu erwarten war, wurde gerade dieser von der Bezirksverwaltung propagierte Vorschlag – wenngleich er im Fall der Grunewaldstraße 87 nur eine Erwägung blieb – von Amaro Foro als Ausweis einer strukturellen Passivität und Ignoranz der Bürokratie gedeutet. In direkter Replik auf die „Große Anfrage“ argumentierte der Jugendverband in einem „Offenen Brief“: „Abgesehen davon, dass die einzelnen Menschen in der Sozialen Wohnhilfe detailliert erklärt haben, warum eine Rückreise für sie keine Option darstellt, verstößt diese Argumentation gegen EU-Recht. Die Familien sind freizügigkeitsberechtigt und halten sich als EU-Bürger rechtmäßig in Deutschland auf. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg kann sich seiner Verantwortung daher nicht durch das Bezahlen von Rückfahrtickets nach Rumänien entziehen.“264

Was in dieser gegenseitigen Herausstellung von Rechten und Pflichten, Handlungsspielräumen und deren Grenzen nunmehr hervorscheint, sind zwei grundlegend verschiedene Sichtweisen auf Migration und Integration von Zuwanderern aus Südosteuropa. Während Amaro Foro als Grundlage für eine später zu erfolgende Integration in die Stadtgesellschaft zunächst gleiche und auf Dauer gestellte rechtliche Aufenthalts- und Sozialbedingungen für alle Neuzuwanderer, gleichsam als condicio sine qua non, einforderte, betonte die Verwaltungsspitze, dass einer der Aufnahmegesellschaft entsprechenden umfassenden staatlichen Unterstützung zunächst eine Feststellung der prinzipiellen Integrationsbereitschaft und -fähigkeit vorangehen müsse. Unabhängig von ihren juristischen und pragmatischen Handlungsräumen sei es im Fall der Grunewaldstraße 87 keineswegs erklärter Wunsch der Verwaltungsführung, alle Zuwanderer in den Sozialleistungskreislauf aufzunehmen: „Deren Ziel [Amaro Foro, Anm. d. V.] ist es, diesen Personenkreis komplett in die Transferleistungssysteme reinzubringen. Während ich eher denke, man muss gucken, dass diejenigen, die wollen, die bleiben wollen, die arbeiten wollen, die sich integrieren wollen, die ihre Kinder zur Schule schicken wollen und und und … dass die eine Unterstützung kriegen. Aber diese Differenzierung würde ich schon gerne vornehmen wollen. Politisch. Aber als Verwaltung kann ich die überhaupt nicht vornehmen. Sondern da habe ich Gesetze, ja. Und wenn einem das nicht passt, muss man Gesetze ändern. So ist das nun mal.“265

264 Amaro Foro e. V.: Offener Brief zu der Situation in der Grunewaldstraße 87 vom 16.07.2015, URL: http://www.amaroforo.de/offener-brief-zu-der-situation-der-grune waldstra%C3%9Fe-87 [eingesehen am 24.08.2016]. 265 Interview mit Sibyll Klotz.

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Demgegenüber begründete der Mitarbeiter von Amaro Foro aus diametral entgegengesetzter Warte heraus stellvertretend für den Jugendverband, dass der so häufig geforderte Wille zu Teilhabe und Bildung nicht an erster Stelle eines gelungenen Integrationsprozesses stehen könne: „Ich werde nicht einen Sprachkurs anfangen, wenn ich nicht weiß, wo ich heute schlafen gehe, wo ich schlafen gehen muss. Wie soll ich mir die Bücher kaufen? Wie soll ich mir die Fahrtkosten besorgen? Wie soll ich mich überhaupt konzentrieren zu lernen? Ich finde, sobald man eine sichere Wohnung hat oder Unterkunft zumindest und irgendwie heute nicht hungrig ist, erst danach soll man anfangen zu denken, ok, jetzt habe ich das und das, jetzt fang ich an, mal die Sprache zu lernen. Und dann später fang ich mal an, vielleicht später fang ich mal an, einen Beruf zu lernen, Jugendliche gerade […].“266

Ebenjene grundlegend verschiedenen, aus der Sozialarbeit und der Bürokratie erwachsenen Perspektiven auf Fragen der Zuwanderung und Integration bestimmten die jeweiligen Haltungen und Positionen im Ringen um Deutungshoheiten und Handlungskompetenzen in der Grunewaldstraße. Sie standen sich, wenn auch auf unterschiedlicher Höhe – schließlich ist Amaro Foro ein von der Verwaltung geförderter Träger –, konträr gegenüber. Die aus ihnen hervorgehenden Konflikte sind dabei nicht grundsätzlich aufzulösen, sondern müssen, wie im Fall der G87, von Mal zu Mal neu ausgetragen und verhandelt werden. Doch damit nicht genug. In dieses an sich schon komplexe und angespannte Konfliktgebilde trat ab Mitte Mai 2015 eine weitere Gruppe ein: die Anwohner. Anders als die bereits etablierten Akteure – Eigentümer, Verwaltung, Amaro Foro, schließlich auch die Medien – begannen sie mit ihrer Formierung erst im Angesicht der eskalierenden Zustände in ihrer Nachbarschaft. Der Ausgangspunkt für die neu entstehende Gemeinschaft war dabei eine offene Versammlung der Anwohnerschaft in einer Pizzeria gleich neben der G87. Was am Abend des 21. Mai 2015, einem Donnerstag, stattfand, war ein erstes Zusammenkommen und Kennenlernen. Willkommen war die gesamte Nachbarschaft. Nur „Rassisten“, das war schon auf der Einladung fett markiert worden, sollten von vornherein ausgeschlossen werden.267 Die Versammlung war gut besucht; rund dreißig Anwesende zählten die Zeitungen am Tag darauf. Eine Vertreterin der Bezirksverwaltung war anwesend, ebenso eine Sozialarbeiterin.268 Euphorisch erinnerte 266 Interview mit einem Mitarbeiter von Amaro Foro. 267 Vgl. Nowak, Peter: Besorgte Bürger bleiben unter sich, in: taz.de, 20.05.2015, URL: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F23%2F a0230&cHash=8aec5de053901e8152750cd8b41a7b9d [eingesehen am 09.08.2015]. 268 Vgl. ebd.

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sich ein Mitglied der später aus dem Treffen hervorgegangenen Anwohnerinitiative an die aus seiner Sicht beflügelnde Atmosphäre der Veranstaltung: „T1: […] als es losging, der Laden war rappelvoll und dann [ist] Steffen [einer der Initiatoren der Versammlung, Anm. d. V.] […] aufgestanden und hat gesprochen. Und dann war irgendwie gleich klar, […] wie alle anderen gesprochen haben, die was wussten, es sind keine Ideologen im Raum. Es sind auch keine Linksideologen im Raum. Also es sind einfach Nachbarn, die die Schnauze voll haben, was hier in der Straße abgeht und dass keiner hilft. Und das fand ich total angenehm.“269

Gänzlich im Widerspruch hierzu stand die Darstellung eines selbsterklärten „anti-nationalen“270 Berliner Journalisten. Ungeachtet der betonten Abgrenzung gegen rechts vernahm er in der von einzelnen Teilnehmern geäußerten Sorge um die eigene Sicherheit, in dem Aufruf zu mehr Polizeinotrufen und schließlich in der Aufregung über unangebrachte „Gutmenschenallüren“271 vonseiten der Verwaltungsvertreterin und Sozialarbeiterin gar einen „Hauch von Pegida“272. Gewiss scheint an dieser Stelle zumindest, dass dieses erste Treffen in der Pizzeria bereits für viel Gesprächsstoff sorgte. In diesem noch losen und informellen Rahmen zeichneten sich gerade in der aufkommenden Debatte zwischen der Verwaltungsseite, der Sozialarbeit und einigen Anwohnern bereits die Konturen eines fortan immer deutlicher hervortretenden Konfliktnetzwerkes ab. Denn wenngleich es für einen Teil der Besucher eine einmalige Begegnung war, blieb ein kleinerer Kreis aus der Nachbarschaft auch über das Treffen hinaus bestehen. Schon bald bekam der bis dahin noch recht lose und informelle Zusammenschluss eine institutionalisierte Grundierung. Als Anwohnerinitiative „Nachbarn-G87“ traf sich die nun immer fester verbundene Gruppe wöchentlich, um mögliche Formen und Strategien der Involvierung in das Geschehen zu diskutieren. Die Initiative setzte sich aus knapp zehn Mitgliedern zusammen – wobei die Zahl der Aktiven punktuell nach dem individuellen Ermessensspielraum variierte. Dennoch: Die Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement im Konflikt um das Haus war ausgesprochen hoch. Das war umso bemerkenswerter, als nur 269 Fokusgruppe G87. 270 Interview mit einem Berliner Journalisten. 271 Zit. n. Nowak, Peter: Besorgte Bürger bleiben unter sich, in: taz.de, 20.05.2015, URL: http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F05%2F23%2Fa0 230&cHash=8aec5de053901e8152750cd8b41a7b9d [eingesehen am 09.08.2015]. 272 Nowak, Peter: Unschönes Schöneberg, in: Jungle World, Nr. 23, 04.06.2015, URL: http://jungle-world.com/artikel/2015/23/52068.html [eingesehen am 09.09.2016].

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eine einzige Aktivistin als langjährige Mieterin im besagten Haus ganz unmittelbar vom Ausgang der Ereignisse betroffen war. Die weiteren Mitglieder waren in den umliegenden Häusern wohnhaft: einige schon seit mehreren Jahrzehnten im Akazienkiez, andere erst seit wenigen Jahren. Das Altersverhältnis war breit gefächert und reichte vom Studierenden bis zur Rentnerin; der Großteil befand sich jedoch im berufstätigen Alter. In der Bürgerinitiative beteiligt waren geringfügig mehr Frauen als Männer. Das Bildungsniveau der Mitglieder war überdurchschnittlich hoch. Fast alle besaßen einen akademischen Abschluss, einige waren nach wie vor an der Universität beschäftigt, arbeiteten in der Verwaltung, als Kunsthistorikerin oder Archäologin. Untereinander bekannt oder gar befreundet waren Initiativmitglieder nichtsdestotrotz kaum. Das änderte sich erst, als die Zuwanderer kamen, genauer: an einem Tag im Mai, als sich die südosteuropäischen Neumieter nach einer angedrohten Räumung in voller Aufregung auf der Straße versammelten. In einem Gruppengespräch mit der Initiative berichtete ein Mitglied unter deutlicher Zustimmung der Anwesenden über das Ereignis, das in der Rückschau als konstituierender Moment festgelegt wird: „T2: Weißt du, wo es den ganzen Tag nicht aufgehört hat, dass […] hier über hundert Leute auf der Straße gestanden haben. Und da haben wirklich die Nachbarn untereinander, die sich vom Sehen kannten, haben gesagt: ‚Sag mal, weißt du, was da jetzt passiert? Was ist denn das jetzt alles? Da muss man doch mal was rauskriegen, man muss sich zusammenfinden.‘ Und da haben wir dann Zettel verteilt und die erste Nachbarschaftsversammlung gemacht, um uns Nachbarn kennenzulernen und zu gucken, wie wir damit umgehen, mit dem Problem, was einfach zu offensichtlich dann im Kiez war.“273

Was die Anwohner zusammenbrachte, war also das individuelle Erlebnis einer Eskalation im unmittelbaren Umfeld. Noch fernab einer gemeinsamen Position, Zielsetzung und Agenda rief dieses Ereignis in der Nachbarschaft der G87, und insbesondere bei den Mitgliedern der gleichnamigen Initiative, das Gefühl hervor, selbst tätig werden zu müssen. Verstärkt wurde dieser Impuls durch eine massive Diskrepanz, welche die Anwohner zwischen ihrem eigenen, als ungefiltert wahrgenommenen Blick auf den Konflikt und der bürokratischen, distanzierten und desinteressierten Perspektive, die sie bei anderen Verantwortungsträgern wähnten, ausmachten. Hieraus erst erwuchs aus Sicht der Initiative die Notwendigkeit eigenen Handelns:

273 Fokusgruppe G87.

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„T1: Und wir hatten hier so ein schönes Schild immer für die Unterschriftensammlungen: ‚Lasst unsere Kieze nie wieder im Stich‘. Das trifft es sehr gut […]. Und die Bezirke, die haben sehr lahmarschig Dienst nach Vorschrift gemacht.“274

Insbesondere gegen die als untätig und zugleich prahlerisch empfundene Bezirksstadträtin Sibyll Klotz richteten sich Kritik und Zorn der Anwohnerinitiative. Klotz habe, so eine der Teilnehmerinnen, „einfach nicht den Mumm […], da irgendwie Stellung zu beziehen oder irgend’ne Lösung zu finden“275. Und weiter: „T1: Sie hätte, wenn sie selbst Angst gehabt hat oder nicht genug Personal, um das Wohnungsaufsichtsgesetz auszureizen, dann hätte sie beim Senat sagen müssen: ‚Hier Leute, helft mir!‘276 T2: Sie hat ja behauptet, sie hätte es ausgereizt. Das ist ja auch das Problem. Sie hat sich ja mal hingestellt und hat gesagt, es wäre nichts anderes mehr möglich. Und das ist schlichtweg gelogen!“277

Vor diesem Hintergrund erschien auch der gescheiterte Versuch der Bezirksstadträtin, die Grunewaldstraße 87 zu einem „Gefährlichen Ort“ erklären zu lassen, wodurch Polizei und Ämter größere Handlungskompetenzen im Haus bekommen hätten, im Nachhinein nicht als lobenswerte Initiative, sondern als geradezu symptomatischer Ausdruck ihrer grundsätzlich inkonsequenten Grundhaltung: „T3: [D]a warst du [zu einem der Teilnehmer, Anm. d. V.] aber auch da, als wir in der Sitzung oben im Schöneberger Rathaus waren, ne? Dass das abgelehnt wurde, als Gefahrgrundstück zu benennen. Aber gleichzeitig hat sie aufgeführt, was alles gemacht worden ist, außerdem Schussbeschädigungen entfernt. Da habe ich mir gesagt: Aber Gefahr besteht keine, ne? Und das war ein totaler Widerspruch! Die ganze Frau ist ein totaler Widerspruch.“278

274 Ebd. Eine Fotografie des Slogans ist einzusehen unter Potseblog: Schöneberger Unterschriften dringend gebraucht, 01.07.2015, URL: http://potseblog.de/2015/07/01/ schoeneberger-unterschriften-dringend-gebraucht/ [eingesehen am 06.09.2016]. 275 Fokusgruppe G87. 276 Ebd. 277 Ebd. 278 Ebd.

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Was vonseiten der Initiativmitglieder hier als individueller Widerspruch der Bezirksstadträtin aufgefasst wurde, war in einem weiteren Sinne weniger an die Person Sibyll Klotz gebunden, sondern vielmehr Ausdruck eines tiefen Dilemmas, in dem sich die Berliner Verwaltung in der Handhabung von Zuwanderungskonflikten grundsätzlich befand. Denn in der Tat waren ihr im Umgang mit sogenannten Problemhäusern nur bedingte rechtliche Einflussmöglichkeiten geboten, sofern das Haus nicht als ausgewiesene Gefahrenzone deklariert wurde oder eine akute Kindswohlgefährdung vorlag. Doch selbst in dem Rahmen, in dem der Verwaltung etwa über die Wohnungsaufsicht erlaubt war, in das private Eigentum des Vermieters einzugreifen, waren ihr nicht selten interne finanzielle oder infrastrukturelle Restriktionen auferlegt. Allzu deutlich wurde dieser Zwiespalt, in welchem sich die Verwaltungsspitze permanent bewegte, noch einmal in der lautstark diskutierten Debatte um die Unterbringung der Zuwanderer nach ihrem Auszug. Der Vorwurf, keine geregelten Räumungen für die zweifelsohne überbelegten Wohnungen zu verfügen und anschließend adäquate Unterkünfte bereitzustellen, erschien Sibyll Klotz vor diesem Hintergrund als anmaßende Forderung: „So, ist ja nicht so einfach, ein Haus zu räumen. Wohin? Soll ich Leute auf die Straße räumen? Hab ich nicht gemacht. Also ich habe von Anfang an abgelehnt, Leute, […] also Schwangere, Säuglinge, Frauen mit Kindern zu räumen. Das mach ich nicht, hab ich gesagt. So. Manche haben das verlangt. Aber andere haben dann gesagt: Räumen? Natürlich müssen Sie denen dann ’ne Wohnung zur Verfügung stellen. Ich hab keine Wohnungen […]. Ich bin ja kein Wohnungsunternehmen.“279

Trotz der Initiativen, die von der Verwaltung ausgegangen sind, kann diese Herausstellung von juristischen, finanziellen und strukturellen Engpässen bei der Befriedung des Konfliktes als durchaus symptomatisch für das Selbstverständnis der Verwaltung und die Rolle, die sie während der Auseinandersetzung einnahm, betrachtet werden. Denn obwohl, oder besser: gerade weil Zuwanderungskonflikte bis dahin so selten aufgetreten waren, sah sich die Verwaltungsspitze im Fall der G87 als eingeschränkt und mittellos. Sie verfügte kaum über rechtliche Handlungsoptionen; und für die wenigen, die ihr zur Verfügung standen, fehlten ihr das Geld und die Ressourcen. Um dem entgegenzuwirken, regte die grüne Bezirksstadträtin Sibyll Klotz über ihre Partei auf Landesebene eine Reform des Wohnungsaufsichtsgesetzes an, die einerseits der Verwaltung schon im Fall einer diagnostizierten „Verwahrlosung“ im Haus mehr Interventionsmöglichkeiten geben, andererseits aber auch die Verfügungsberechtigten, d. h. in der Regel den 279 Interview mit Sibyll Klotz.

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Eigentümer selbst, verstärkt an den hierdurch entstehenden Kosten beteiligen sollte. Der Entwurf war stark an den kurz zuvor reformierten Wohnungsaufsichtsgesetzen aus Bremen und Nordrhein-Westfalen orientiert.280 Am 16. Juni 2015 reichte die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen den Entwurf im Abgeordnetenhaus ein. Ein Erfolg war ihm jedoch nicht beschieden. Schon bald übertönte der Widerhall gegen den Entwurf seine Fürsprecher: So hieß es in einer Stellungnahme des Senats vom 25. August 2015, dass die vorgeschlagene Reformierung des Gesetzes für die Verwaltung nur unnötige Komplikationen bedeute. Überdies würde der bestehende Gesetzestext – das habe sowohl eine Umfrage unter den Bezirken als auch ein „Erfahrungsaustausch“ innerhalb der Senatsverwaltung ergeben – genügen.281 Rund ein Jahr später wurde der Entwurf dann durch SPD und CDU bei Enthaltung der LINKE abgelehnt.282 Doch zurück in die Grunewaldstraße, im Juni 2015, zur Hochzeit des Konfliktes: Die Betonung bürokratischer Handlungsgrenzen stieß, wie bereits erwähnt, bei den Mitgliedern der Initiative auf wenig Anklang. Indes blieb es keineswegs bei einem stillschweigenden Unverständnis. Der wachsende Unmut entlud sich besonders deutlich auf der oben genannten konfliktträchtigen Versammlung des Stadtteilvereins Schöneberg e. V.: „T4: Ich weiß noch, dass wir hier standen, und ich habe gesagt: ‚Wir gehen zusammen hin, ja? Und wir stehen auch am Anfang der Veranstaltung alle auf, einfach um zu zeigen, wir sprechen hier als eine Gruppe‘. Und das hat auch funktioniert. Und dann ist M1 [Name anonymisiert, Anm. d. V.] nach vorne, da gab es irgendwie so eine kleine Bühne und davor hat er dann gesprochen. Nämlich genau in dem Moment, als Frau Klotz von den Grünen anfangen wollte, das Ruder so an sich zu reißen. Und darauf hatten wir wirklich keine Lust. Also die wollte sich da eher präsentieren als große Retterin. Diesen Eindruck hatten wir. Und diesen Eindruck habe ich eigentlich bis heute.“283

280 Vgl. o. V.: Stellungnahme zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über Gesetz zur Änderung des Wohnungsaufsichtsgesetzes – Berlin braucht ein wirksames Instrument gegen Geschäfte mit Immobilienverfall und Überbelegung, Drucksache Nummer 17/2344, S. 1. 281 Vgl. ebd., S. 3–5. 282 Vgl. Abgeordnetenhaus Berlin: Plenarprotokoll, 84. Sitzung, 23.06.2016, S. 8669, URL: http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/PlenarPr/p17-084wp.pdf#page=57 [eingesehen am 13.09.2016]. 283 Fokusgruppe G87.

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An dieser Stelle ließe sich nunmehr vermuten, dass die Anwohner in ihrer scharfen Kritik an der Verwaltungsspitze ganz mit Amaro Foro übereinstimmen würden. Schließlich hatte der Jugendverband bei mehreren Gelegenheiten Sibyll Klotz ebenfalls mangelndes Engagement etwa in der Frage der Unterbringung der Zuwanderer vorgehalten. Doch weit gefehlt: In der Gruppendiskussion unter den Anwohnern war es erneut die durch den Stadtteilverein Schöneberg initiierte Veranstaltung, die zur Illustration der Differenzen herangezogen wurde. Im Gestus einer „Autonomen-Demo“284, so erinnerte sich eine der Teilnehmerinnen, habe Amaro Foro versucht, die Versammlung für seine Partikularinteressen zu okkupieren: „T2: Vor allem das ging halt auch immer wieder – ich sag mal nur – um das Thema ‚Wohnen für die Roma‘, was natürlich problematisch ist hier in dem Haus, keine Frage. […] Aber das war ja auch nur ein Aspekt von den Problemen […]. Sicherlich auch ein großer Aspekt darunter, aber war ja auch nicht Thema der Veranstaltung. Sondern generell die Situation aufzulösen. Und immer, wenn die irgendwo da waren, hat sich auch ein Kreis gedreht, dass es sozusagen am Thema vorbeigegangen ist, was sie jetzt wollten. Dass sie halt ausschließlich mit den Pro-Roma-Forderungen beschäftigt waren, die sicherlich richtig waren, aber eben nicht so in der Sache von der Versammlung, sondern halt hier ein Kiezproblem.“285

Während die Bürgerinitiative sich selbst folglich als einen sachorientiert arbeitenden, pragmatisch wie unideologisch agierenden Zusammenschluss unmittelbar Betroffener betrachtete, sah man in Amaro Foro das genaue Gegenteil: einen dogmatischen Verband von linken Junglobbyisten, die sich lautstark mit reflexhaft vorgebrachten Vorwürfen und emotional geführten Anklagen inszenierten und profilierten. Wie weit sich die Anwohner schließlich von Amaro Foro entfernt wähnten, wird abermals mit Blick auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen deutlich. Mit Blick auf das erste Anwohnertreffen in der Pizzeria nahe der G87 hieß es hierzu: „T1: Und obwohl […] mindestens zehn andere Leute gesprochen haben, wo ganz klar war, hier geht es überhaupt nicht um Ideologien und Ausländerfeindlichkeit, haben die ihre vorgefertigten Reden losgelassen. Und die eine Frau, die Sozialarbeiterin, hat erzählt, was für tolle Menschen da wohnen. Und sie unterrichtet die Kinder von diesen … von den

284 Fokusgruppe G87. 285 Ebd.

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Roma. Und das ist so eine wundervolle, erfüllende Aufgabe. Und das war so unpassend!“286

Diese perspektivische Zuspitzung auf die Zuwanderer, so lautete jedenfalls die Kritik der Anwohnerinitiative, habe keinen Raum mehr gelassen, um den Konflikt in seiner Gänze zu begreifen – d. h. auch nicht, um die Anwohner ebenso als Betroffene zu betrachten. Und in der Tat schien Amaro Foro die Nachbarschaft ganz im Gegensatz zu deren Selbstwahrnehmung weniger als Opfer denn als Teil des Problems wahrzunehmen. So ließ der Jugendverband in einer Pressemitteilung verlauten: „Durch Mitarbeiter_innen von Amaro Foro e. V. wurden in den vergangenen Wochen und werden auch weiterhin rassistische Äußerungen im Umfeld des Hauses in angemessener Weise als rassistisch eingeordnet und als inakzeptabel bewertet.“287 Gerade weil aus diesem Kommentar nicht deutlich hervorging, gegen wen genau sich die Vorwürfe richteten, empfand die Anwohnerinitiative sie als haltlosen Generalverdacht, ja als wüsten Affront. Kaum ein Thema versetzte sie mehr in Aufregung als die immer wieder suggerierte Nähe zur rechten und rassistischen Gedankenwelt. Besonders deutlich wurde dies im Kontext einer NPDKundgebung. Die umgehende Mobilisierung einer Gegendemonstration war für die Initiative sowohl Ausweis ihrer politischen Selbstverortung als auch, daraus hervorgehend, ihrer Flexibilität und Tatkraft: „T3: [A]m nächsten Tag bekam ich dann eine WhatsApp […]: ‚T3 [Name anonymisiert, Anm. d. V.], kannst du kommen? Um zehn ist eine NPD-Demo hier. Kein Mensch hat was gewusst. Wir sind in der Kita und schreiben – ich hab direkt eine Gegendemo angemeldet – wir schreiben Plakate‘. Ich meine Chefin angerufen, gesagt: ‚Ich reiche heute einen Tag Urlaub ein. Ich muss zur Kita, Plakate schreiben.‘ […] T5: Also dreißig Minuten brauchten wir, bis das organisiert war. T3: Genau. Das war sensationell! Aber da habe ich so einen Schock. Und da habe ich gedacht: Jetzt kommen die auch noch. Und dann haben wir wieder schnell den Ruf dessen wieder drauf. Aber das hat gut geklappt.“288 286 Ebd. 287 Amaro Foro e. V.: Pressemitteilung von Amaro Foro e. V. zur Situation der rumänischen Familien in der Grunewaldstraße. „Nicht die Mieter sind das Problem“, Pressemitteilung vom 27.05.2015, URL: http://www.amaroforo.de/pm-nicht-die-mietersind-das-problem/ [eingesehen am 05.09.2016]. 288 Fokusgruppe G87.

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In alledem – in der harschen Kritik an der als gleichgültig wahrgenommenen Verwaltungsspitze, in der deutlichen Ablehnung einer vorrangig auf die Zuwanderer zugeschnittenen Perspektive von Amaro Foro und in der dezidierten Abgrenzung von rechten Vereinnahmungsversuchen – spiegelte sich die eigene Standortbestimmung der Anwohnerinitiative im Konflikt wider: Ihre Mitglieder verstanden sich – jeweils im Gegensatz zu den anderen Akteuren – als unmittelbar vor Ort betroffen und damit bestmöglich informiert, als analytisch differenziert und zugleich ideologisch unvoreingenommen. Schon während des ersten gemeinsamen Treffens in der Pizzeria, wie sich ein Mitglied der Initiative erinnerte, habe sich ein solches Selbstverständnis unter den Beteiligten wie von selbst eingestellt: „T6: Und wir waren echt erleichtert, als wir gemerkt haben: Okay, wir bekommen jetzt Unterstützung von der Nachbarschaft. Wir waren aber auch ein Stück … Also wir haben das an dem Tag ein Stück weit ganz heimlich auch belächelt, weil wir uns dachten, wir sind schon viel, viel weiter. Also so vom Gefühl her, vom Bewusstsein für die Situation …“289

Fortan stellten für die Anwohner insbesondere die Medien eine essenzielle Plattform zur ausgiebigen Präsentation ihrer Positionen und Sichtweisen dar. Mehr noch als von der Bezirksstadträtin wurde die Berichterstattung über den Konflikt von keinem Akteur so sehr getragen wie von den Mitgliedern der „NachbarnG87“. In kürzester Zeit bildeten und pflegten die Aktiven der Initiative Kontakte zu (von ihnen geschätzten) Journalisten, kommunizierten und präsentierten die Gruppe selbst und deren Anliegen im Rahmen eigener Öffentlichkeitsarbeit.290 Dementsprechend wurde das Bewusstsein der Anwohner, den Konflikt in seiner Gänze und Vielschichtigkeit zu begreifen und wiederzugeben, in diesem Zusammenhang besonders betont: „T6: Und [wir] haben nämlich immer wieder betont: Also wir möchten eine differenzierte Berichterstattung. Weil, es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern die Realität stellt sich wesentlich komplexer dar. Und da gibt es dann auch mehrere betroffene Parteien, das sind nicht nur die Altmieter und die Roma … oder nicht nur die Altmieter, sondern auch die Roma.“291 289 Fokusgruppe G87. 290 Für Bürgerinitiativen ist diese Entwicklung hin zum Aufbau eigener Netzwerke durchaus typisch; vgl. hierzu Walter/Marg/Geiges/Butzlaff (Hrsg.): Die neue Macht der Bürger. 291 Fokusgruppe G87.

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Was hier bereits anklingt, ohne jedoch zugleich aufgelöst zu werden, ist die Frage nach der Perspektive der Anwohner auf die zugewanderten Neumieter. Sie führt zum Kern des Selbstverständnisses der Initiative. Denn erst an ihr zeichnete sich ab, welche Implikationen der per se noch recht allgemeine Aufruf zur Differenzierung in sich trug, wie die Anwohner den Konflikt über die Differenzen zu Verwaltung und Jugendverband hinaus tatsächlich verstanden. Gerade zu Beginn und punktuell auch weit darüber hinaus, so betonten die Anwohner mehrfach, sei die Sichtweise auf ihre hinzugezogenen Nachbarn von Interesse und Anteilnahme geprägt gewesen. Insbesondere zu einer Familie habe eine der Bewohnerinnen der G87 eine anhaltende Beziehung entwickelt: „T5: Die junge Frau war schwanger, wo sie zu uns ins Haus gekommen [ist]. Und ich habe sie … Teile durch die Schwangerschaft begleitet, ihr Adressen rausgesucht, da wo sie zum Arzt muss. Bin auch mit ihr zum Arzt gegangen ein paar Mal. […] Und dann hat sie da die kleine T5 geboren, die nach mir benannt wurde, ich soll die Patentante werden.“292

Auch in ihrem öffentlichen Auftreten, etwa auf dem im Anschluss an die Kundgebung der NPD aufgehängten Banner, bekundeten die Anwohner immer wieder ihre empathische und zugleich differenzierte Wahrnehmung der rumänischen Neumieter. Im Kampf gegen den Eigentümer wähnte man sich auf einer Seite mit den Zuwanderern. Schließlich würden alle Mieter, die alteingesessenen wie auch die neu hinzugekommenen, von einer Befriedung des Konfliktes, d. h. im Sinne der Initiative von einer Entmachtung, ja Enteignung des Vermieters und einer gleichzeitigen Aufteilung und Entspannung der Wohnsituation im Haus profitieren. Besonders deutlich ging das aus einem offenen, von knapp 150 Anwohnern unterzeichneten Schreiben der Initiative an den Regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller (SPD) hervor. Als Verfasser des Schreibens wurden hier die „Be/-Anwohner der G87 und der Nachbarschaft“ genannt, wodurch nicht zuletzt der Anspruch der Initiative hervorgehoben wurde, nicht als segregierte Gruppe, sondern als legitimes Sprachrohr der unmittelbaren Kiezgemeinschaft zu agieren. So hieß es in dem Brief: „Ausgestattet mit einem hohen Maß an krimineller Energie überlässt der Eigentümer einen großen Teil seiner Wohnungen an Roma und ihre Familien zu horrenden Wuchermieten. Um eines vorweg zu stellen: Unter den Roma sind auch Familien, die gerne in Ruhe und Frieden hier leben möchten. Besonders ihnen möchten wir als engagierte Zivilgesellschaft mit ganzer Kraft und bei Wunsch helfen. Als Bewohner und Nachbarn sehen wir uns angesichts der anhaltend unerträglichen Situation veranlasst, Sie als unseren Regierenden 292 Ebd.

152 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA Bürgermeisten [sic!] zu bitten, selbst zur Wiederherstellung des Friedens im Kiez tätig zu werden und uns zu unterstützen.“293

Und dennoch, trotz aller räumlichen Nähe, geteilten Interessen und vereinzelten, aber intensiven Kontakte blieben die rumänischen Zuwanderer stets auch Fremde. Man machte Beobachtungen im und vor dem Haus, verknüpfte sie, schloss daraus auf Dynamiken und Hierarchien in der Gruppe. Eine Beziehung und ein Austausch entstanden jedoch, von den genannten Ausnahmen abgesehen, kaum. Dessen waren sich auch die Mitglieder der Initiative bewusst: „T4: Es ist zigfach passiert, dass hier ein großer Mercedes gehalten hat, habe ich auch fotografiert, das Nummernschild, die Leute sind nicht mal ausgestiegen, da gab’s einen Fahrer, der hat den Chef gefahren, ja? Dann ist jemand zum Auto hin, das war irgendwie so ’n Bote und der hat die Nachricht ins Haus überbracht. […]“294 „T2: Wir haben alle keine Ahnung, wie die jetzt genau da angebunden sind, aber es ist sehr offensichtlich, dass irgendeine Abhängigkeit besteht, die sie auch nicht ohne Weiteres auflösen können.“295

Diese Distanz mag in Anbetracht der vorhandenen Sprachbarrieren und der darüber hinaus chaotischen Zustände im Haus auch nicht weiter verwundern. Bemerkenswert ist jedoch, welche Beziehung die Mitglieder der Initiative über den Konflikt untereinander aufbauten. Einstimmig und voller Euphorie berichteten sie, wie nach Jahren der unmittelbaren Nachbarschaft erst die Auseinandersetzung um die G87 die Herausbildung einer geschlossenen Kiezgemeinschaft ermöglicht habe: „T2: Und jetzt mit der ganzen Aktion in der 87 hat man halt festgestellt: So, Mensch, die Leute sehen jetzt nicht nur sympathisch aus, wenn sie auf der Straße vorbeilaufen, sondern man hat sie halt kennengelernt. Und wir haben jetzt halt wirklich so ein kleines Mikrokiezleben und ständig winkt, grüßt, Hallo sagt. […]“296

293 Be-/Anwohnerschaft in der G87 und der Nachbarschaft: Offener Brief der Be-/Anwohnerschaft in der G87 und der Nachbarschaft an den Regierenden Bürgermeister von Berlin, vom 24.06.2015, URL: http://www.tagesspiegel.de/downloads/1199530 4/2/anwohnerbrief-grunewald-87.pdf [eingesehen am 12.09.2016]. 294 Fokusgruppe G87. 295 Ebd. 296 Fokusgruppe G87.

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„T5: Wir haben uns schon alle hier gesehen […]. Man sieht sich, man nickt, wie man sagt. Aber durch die Aktion, dass wir die Roma und Sinti hatten im Haus, [sind] wir zusammengewachsen, würde ich sagen.“297

Hatte man zuvor noch aneinander vorbeigelebt und sich allenfalls im Vorübergehen flüchtig gegrüßt, war im Zuge des Konfliktes ein engagiertes Kollektiv entstanden, das sich fortan selbst zum Ziel setzte, den Kiez als zivilgesellschaftliche Hüter und Vertreter so zu bewahren, wie seine Zugehörigen ihn wahrnahmen und schätzten: ethnisch und sozial ausgewogen, freundlich, bunt, nicht vollständig gentrifiziert. Dementsprechend groß war die Begeisterung über das eigene durch den Konflikt neu entdeckte Umfeld: „T6: „[…] ich liebe Schöneberg, den Bezirk an sich. Zum einen natürlich, weil ich hier groß geworden bin und weil es vertraut ist, aber ich habe immer gesagt, ich liebe Schöneberg dafür, weil es sozial gemischt ist. […] Ja. Genau. Und ich liebe einfach diese Mischung hier. Also man fühlt sich wohl. Und das habe ich immer. […] T3: Also das kann ich bestätigen. Allein, wenn man draußen sitzt. Das ist oft, je nachdem, so zum Wochenende auch ein bisschen Kino. Ob das dann wirklich die Dame mit Kopftuch ist, also egal welcher Abstammung. Oder der Freak, tätowiert bis zum Bein hoch. Und die Gutbürgerlichen. Hier wohnen sie eigentlich alle.“298

Es war also die durch die rumänischen Migranten hervorgerufene Situation, die bei den Anwohnern ein übergreifendes und bis dahin unentdecktes Gemeinschaftsgefühl erweckte, das es aus Sicht der Aktivisten zu erhalten galt und für das es sich zu kämpfen lohnte. Die Zuwanderer zählten dabei, von einer Familie aus dem Vorderhaus der G87 abgesehen, nicht zu dieser Gemeinschaft. Wenngleich sich das nachbarschaftliche Engagement nicht gegen sie richtete – sogar ganz im Gegenteil: gegen den Eigentümer –, waren sie es, durch die, aber nicht mit denen die neu entdeckte Kiezgemeinschaft heranwuchs. Nirgendwo trat das so plastisch hervor wie im Schlusswort eines der Initiativmitglieder: „T4: Also, ich finde es gerade echt toll, wie es hier ist in diesem kleinen Kosmos. Und kann nur sagen, ich bin dankbar, dass diese Roma hier waren, ja? Sonst würde ich immer noch durch die Straße laufen und keinen von euch kennen.“299

297 Ebd. 298 Ebd. 299 Ebd.

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Der Konflikt, so ließe sich an dieser Stelle argumentieren, nahm somit einen positiven Ausgang: Unabhängig von seinen gezwungenen oder freiwilligen Hintergründen entspannte sich die Situation in der G87 durch den rapiden Auszug der Zuwanderer. Für immerhin knapp sechzig der zugewanderten Zwischenmieter wurde eine vorübergehende Unterkunft bereitgestellt. Der Vermieter scheiterte mit seiner mutmaßlichen Entmietungsstrategie offenbar am massiven politischen, bürokratischen und medialen Druck. Die bestehenden Mietparteien konnten weiterhin zu den bestehenden Konditionen im Haus wohnen, während der Vermieter dringend notwendige, zugleich aber moderate Sanierungsarbeiten ankündigte. Ist die Grunewaldstraße 87 somit ein gelungenes Beispiel der Befriedung von Zuwanderungskonflikten? Wohl kaum. Denn was sich in der neu entstehenden Kiezgemeinschaft, an deren Konstruktion die Zuwanderer zweifelsohne einen großen Anteil trugen, ohne jedoch selbst an ihr teilzuhaben, zuspitzte, war eine spezifische Dynamik von Ausschluss und Teilhabe, die seit dessen Entstehung den gesamten Konflikt strukturierte. Zwar stellte sich keiner der involvierten Akteure offen gegen die Zuwanderer; bedeutsamer ist jedoch, dass die Aushandlungsprozesse hin zu einer Lösung über die Zuwanderer hinweg abliefen, dass sie selbst eben nicht an ihnen beteiligt waren. Sicherlich stellte Amaro Foro als selbsterklärte Vertreterorganisation ein wichtiges Bindeglied zwischen den rumänischen Migranten und den lokalen Akteuren im Konflikt dar, eine Vertreterorganisation, die – neben ihren Beratungsdiensten – von einigen Zuwanderern auch ganz konkret als solche gebraucht wurde. Dennoch: Als Akteur hatten die Zuwanderer keine eigene, keine übergreifende Stimme. Die Gründe hierfür dürften mannigfach sein: sprachliche Barrieren, materielle Notlagen, schließlich auch die Angst vor dem Vermieter auf der einen Seite, Befremdung, Irritation, sicherlich auch Überforderung auf der anderen Seite. Umso nachdenklicher stimmt jedoch, dass diese Barrieren über den gesamten betrachteten Zeitraum nicht abgebaut und aufgelöst werden konnten. Die Unwissenheit über die Zuwanderer, in der all dies zusammenkam, wurde zu einer Konstante des Konfliktes, die bis zu ihrem Aus- und Wegzug nicht aufgebrochen und überwunden wurde. Ihr Weg in die Grunewaldstraße, ihr Verhalten, ihre Lebenslagen, schließlich ihr Verständnis als Gruppe und vor allem ihre Wahrnehmung des Konfliktes blieben ebenso unklar wie die Umstände ihres Weggangs. Gewiss veränderten und differenzierten sich mit der Zeit die Wahrnehmungen und Vorstellungen der Akteure um sie herum; hier und da entstanden Kontakte, nach und nach setzten sich einzelne Beobachtungen und Informationen als Wissen fest. Aber die Grenzen zwischen der ansässigen Bevölkerung, den etablierten Strukturen und den

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außen vor bleibenden Zuwanderern – das wird gerade durch die Enge des Raumes und die Dichte der Ereignisse allzu deutlich – blieben bestehen.

2.4 „E IN S TACHEL IM F LEISCH DER P OLITIK “? E IN „V ORZEIGEPROJEKT “ IN DER N EUKÖLLNER H ARZER S TRASSE Berlin-Neukölln. Wie kaum ein zweiter Ort in der Bundesrepublik ist der Bezirk im Südosten der Hauptstadt in den vergangenen rund drei Dekaden in das Zentrum aufreibender Debatten um Für und Wider von Zuwanderung und Gesellschaftswandel geworden. Er ist zu einer Metapher avanciert, zuweilen gar zu einem Kampfbegriff sowohl für die Advokaten progressiv-multikultureller Gesellschaftsentwürfe als auch für deren unmittelbare Kritiker. Dabei gilt Neukölln stets, jedenfalls in seiner Wahrnehmung von außerhalb, als soziales Laboratorium, als Symbol und Seismograf urbaner Umwälzungen und soziokultureller Lebensraumexperimente. Hier, so konnte und kann man immer noch vielerorts hören und lesen, ließe sich für den aufmerksamen Beobachter ablesen, wohin sich die Gesellschaft bewege – und vor allem: wohin sie abzudriften drohe.300 Insbesondere der Neuköllner Norden geriet seit den 1990er Jahren immer wieder in den Fokus einer bundesdeutschen Öffentlichkeit. In ihm „beginnt das Elend ja erst“301, vermerkte der Schriftsteller, Publizist und Wahl-Neuköllner Jürgen Kiontke in einem Porträt seines Kiezes – wenn auch nicht ohne leises Augenzwinkern. Weit weniger ironisch schlossen hingegen die Autorinnen und Autoren einer von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung herausgegebenen Studie zur „Sozialstrukturentwicklung“ aus einem bezirksinternen Quartiersvergleich, dass der Norden Neuköllns vor allen Dingen durch seine „Konzentration sozialer Probleme“ und fortwährend durch seinen „‚besondere[n] Entwicklungs-

300 Vgl. Lanz, Stephan: Berlin aufgemischt: abendländisch – multikulturell – kosmopolitisch? Die politische Konstruktion einer Einwanderungsgesellschaft, Bielefeld 2007, vor allem S. 245–251. 301 Kiontke, Jürgen: Zehn Minuten Hermannplatz, in: Diehl, Verena Sarah/ Sundermeier, Jörg/Labisch, Werner (Hrsg.): Neuköllnbuch, Berlin 2003, S. 5–18, hier S. 10.

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bedarf‘“302 bestimmt sei – beides Ausdrücke, die, wie noch zu zeigen sein wird, lange Kontinuitätslinien in der Geschichte des Neuköllner Nordens aufweisen. Die Studie erschien im Dezember 2011. Ihre Veröffentlichung fiel damit gerade in jene Zeit, in der auch die ersten Meldungen aus der Harzer Straße am nordöstlichen Rand Neuköllns zu vernehmen waren. In den nun folgenden Monaten wurde der Gebäudekomplex mit den Nummern 65–67 zum Inbegriff einer „Schrottimmobilie“. Rund tausend größtenteils aus Rumänien stammende Zuwanderer (über-)lebten in ihr auf Matratzenlagern unter menschenunwürdigen Umständen, teilweise ohne Strom, Wasser oder Heizung, umgeben von Müllbergen. Binnen weniger Jahre jedoch wandelte sich die verschriene und mit Schrecken betrachtete Immobilie in ein international geachtetes Vorzeigeprojekt für gelungene Roma-Integrationsarbeit, maßgeblich auf das bis dahin einmalige Wirken einer katholischen Wohnungsbaugesellschaft und insbesondere ihres Berliner Vertreters hin. Dieser Konflikt rund um die Harzer Straße steht im Zentrum der folgenden Überlegungen. Er soll durch die involvierten Akteure – von der besagten Wohnungsbaugesellschaft über die Stadtpolitik und Bezirksverwaltung bis hin zu den aktiven Trägerorganisationen und NGOs –, schließlich aber durch die Zuwanderer selbst rekonstruiert werden. Ihre Perspektiven, Handlungsstrategien und Aktivitäten sollen, basierend auf Einzel- und Experteninterviews mit den Akteuren sowie einem Realgruppengespräch mit einer Runde nach Neukölln zugezogener Migrantinnen aus Rumänien und Bulgarien, ergänzt um eine Analyse der umfassenden medialen Berichterstattung, nachvollzogen, gegenübergestellt und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Ein solcher multiperspektivischer Ansatz gibt dabei nicht nur Aufschluss über geteilte und unterschiedliche Wahrnehmungsmuster und Zielsetzungen der einzelnen Akteure. Darüber hinaus ermöglicht er, die Dynamik des Konfliktes nachzuvollziehen, indem die Divergenzen und Spannungen, Abgrenzungen und Allianzen, kurzum: die Beziehungen der Akteure untereinander, herausgestellt werden. Indes entstand dieses Feld der Migration nicht erst aus dem Konflikt um die Harzer Straße. Vielmehr ist der Sozialraum Nord-Neukölln einerseits wie kaum ein zweiter Ort in der Bundesrepublik durch Zuwanderung, andererseits aber auch durch eine geradezu beispiellose Dichte an Akteuren um die Zuwanderung herum geprägt. Insofern gilt es in einem ersten Schritt, die Geschichte der Neuköllner Migration im „langen 20. Jahrhundert“ entlang ihrer entscheidenden Entwicklungen, Verschiebungen und Brüche nachzuzeichnen. Denn erst aus ei302 TOPOS Stadtforschung: Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln, Berlin 2011, S. 3, URL: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/fileadmin/content-media/Bilder _2013/Dateien_2013/NNK_2011_Enda.pdf [eingesehen am 29.10.2016].

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nem Verständnis der Genese des spezifischen (Nord-)Neuköllner Umgangs mit Migrationsphänomenen heraus lassen sich die Positionen verstehen, welche die Akteure – seien es die Verwaltung, Stadtpolitik, die Zuwanderer oder die Aachener Wohnungsbaugesellschaft – innerhalb dieses Netzwerkes innehaben und die ihre Handlungsspielräume determinieren. Dabei soll die Perspektive nicht bloß auf die Entstehung von Akteurs-Strukturen beschränkt bleiben. Entscheidend hiermit verbunden ist, den Raum und die Gegend um die Harzer Straße in ihrer historischen Entstehungen und ihren Entwicklungen zu begreifen. Denn erst dies ermöglicht eine Erklärung, wieso gerade die Harzer Straße zum Epizentrum eines brisanten Zuwanderungskonfliktes werden konnte. Allein, ein Blick auf den Berliner Stadtplan genügt hierzu freilich noch nicht. Innerhalb des S-Bahn-Rings, nicht weit entfernt von Spreeufer und Treptower Park, liegt die Harzer Straße, so scheint es, mitten in einem Gebiet, das in den vergangenen Jahren vor allem bei Wohneigentumsaspiranten beliebt geworden ist. Durchquert man die Straße jedoch, eröffnet sich dem flanierenden Betrachter eine gänzlich andere Perspektive:303 Schlichte, zumeist vierstöckige Wohnhäuser mit graubraunen Fassaden prägen das Bild der Straße. Während der Sommerferien, wenn es auch um die Harzer Straße 65–67 und die unmittelbar angrenzende Hans-Fallada-Schule ruhiger wird, ist hier kaum ein Mensch zu sehen. Was bleibt, sind ein Kiosk, eine Alt-Berliner Eckkneipe und ein islamisches Gemeindehaus. Zusammen geben sie ein akkurates Abbild der Anwohnerschaft ab – setzt diese sich doch mehrheitlich aus jüngeren Familien mit Migrationshintergrund und alteingesessenen Mietern zusammen, viele von ihnen mittlerweile im Rentenalter.304 Das unübersichtliche, geschäftige und lebhafte Neukölln etwa der Karl-Marx-Straße, in deren Umkreis Kahvehane305 – geschlossene Cafés, die der ersten Generation türkischer Einwanderer seit den späten 1960er Jahren als restaurative Fixpunkte gedient haben – und eine neuhinzugekommene KaffeehausBoheme nebeneinander existieren: All dies ist von der Harzer Straße augenscheinlich weit entfernt.

303 Zum Flanieren als Methode in den Sozialwissenschaften vgl. Butzlaff, Felix/ Mueller-Stahl, Robert: Drei Clowns in Berlin. Flaneure in Großstadt und Gesellschaft, in: INDES. Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, H. 2/2015, S. 70–79. 304 Vgl. TOPOS Stadtforschung: Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln, Berlin 2011, S. 8–10, URL: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/fileadmin/contentmedia/Bilder_2013/Dateien_2013/NNK_2011_Enda.pdf [eingesehen am 29.10.2016]. 305 Vgl. Kleilein, Doris: Alltag und Ausnahme – Kahvehane, anatolische Kaffeehäuser in Kreuzberg und Neukölln, in: Informationen zur Raumentwicklung, H. 5/2013, S. 403–405.

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Und dennoch ist sie auch in ihrer wahrgenommenen Abgeschiedenheit und – zumindest während der Sommermonate – geradezu dörflichen Ruhe und Regungslosigkeit Bestandteil und Ausdruck eines umfassenden Transformationsprozesses, den der Bezirk Neukölln seit nunmehr bald drei Dekaden durchläuft, dessen historische Wurzeln jedoch noch weitaus tiefer reichen. In ihrer räumlichen Gestalt, in der einfachen und funktional-kleinbürgerlichen Architektur, vor allem aber in der Abwesenheit jeglichen geschäftlichen oder sonstigen Treibens markiert die Harzer Straße einen Endpunkt der urbanen Gegensätzlichkeiten, die im Neuköllner Norden in solch verdichteter Form zusammenlaufen und dem Bezirk seine Bedeutung und Faszination verleihen. Zurück blieben diejenigen, die keine Aussicht auf einen Aufstieg hatten Die Genese des heutigen Neuköllns und vor allem seiner nördlichen Quartiere ist aufs Engste verwoben mit der Industrialisierung und dem explosionsartigen Wachstum Berlins nach der Ernennung zur Reichshauptstadt im Jahr 1871. Lebten in jenen Jahren noch kaum mehr als 10.000 Menschen in der eigenständigen Gemeinde Rixdorf, hatte sich deren Einwohnerzahl um die Jahrhundertwende verzehnfacht; am Vorabend des Ersten Weltkrieges zählte das Viertel bereits rund 250.000 Einwohner. Es waren vornehmlich Arbeiterfamilien, aus den ländlichen Gebieten Ostpreußens, die auf den „Zug nach Neukölln“306 aufsprangen und fortan die in kürzester Zeit hochgezogenen, äußerst beengten und kaum sanitären Mindestvorstellungen entsprechenden Mietskasernen bewohnten.307 Die häufig entsetzlichen individuellen Lebensumstände wurden zwar in einem umfassenden Netz an Milieustrukturen, etwa in den vielerorts gegründeten Arbeitersport- oder Gesangsvereinen, aufgefangen. Dennoch blieb Rixdorf auch nach seiner symbolischen Namensänderung in Neukölln im Jahr 1912, seiner Eingemeindung nach Groß-Berlin 1920 und zahlreicher Reformvorhaben in den Folgejahren weiterhin ein sozialer Brennpunkt, ohne dass dieses Wort damals

306 Hartmann, Rainer/Hörsch, Barbara/Neujahr, Joachim: Neukölln – Ein Bezirk ohne Ausländer?, in: Schmiechen-Ackermann, Detlef/Stiepani, Ute/Toelle, Claudia (Hrsg.): Alltag und Politik in einem Berliner Arbeiterbezirk. Neukölln von 1945 bis 1989, Bielefeld 1998, S. 329–356. 307 Zur sozialstrukturellen Entwicklung Neuköllns im frühen 20. Jahrhundert vgl. allgemein Federspeil, Ruth: Soziale Mobilität im Berlin des zwanzigsten Jahrhunderts. Frauen und Männer in Berlin-Neukölln 1905–1957, Berlin u. a. 1999, vor allem S. 37–88.

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existiert hätte.308 Neukölln galt als dreckig, laut, verrucht und gefährlich. Eindringlich beschrieb der West-Berliner Journalist, Schriftsteller und Flaneur Franz Hessel seine Aversion gegen die Neuköllner Elendsquartiere in den späten 1920er Jahren: „Um seiner selbst willen Neukölln aufzusuchen, dazu kann man eigentlich niemandem raten. Vielleicht entsteht hinter den Riesengerüsten, die zur Zeit den Hermannsplatz […] überragen, schöne neue Architektur. Aber das eigentliche Neukölln ist eine der Vorstädte […]. Es findet sich zwischen Hermannstraße und Bergstraße [der heutigen Karl-MarxStraße, Anm. d. V.] auch eine Gegend, wo das Elend sichtbarer wird […], wo abends arbeitsmüdes Volk aus überstopften Trambahnen steigt. […] Eine traurige Gegend.“309

So ungern Hessel Neukölln auch aufsuchte, spiegelt sich in seinen Beobachtungen doch das Bild eines armen und abgehängten, verlassenen und zugleich übervölkerten Bezirkes, das sich seit der Jahrhundertwende konstituierte und Neukölln ungeachtet aller noch folgenden fundamentalen Veränderungen und Umbrüche bis heute prägt. Dabei begann sich die Geschichte Neuköllns in der Nachkriegszeit zuerst einmal radikal umzukehren: War das „rote Neukölln“, bevor es von den Nationalsozialisten zerschlagen wurde, ein verarmter, aber milieubehafteter und äußerst dicht besiedelter Bezirk gewesen, nahm es in der Nachkriegszeit zuerst einmal eine neuartige Gestalt an. Bedingt durch die politisch angespannte und ungewisse Situation WestBerlins setzte unter den einheimischen Bewohnern ebenso wie unter den ansässigen Unternehmen eine massive Fluktuationsbewegung ein, von der insbesondere die ehemaligen Arbeiterquartiere betroffen waren. Zwar konnte der Bevölkerungsschwund West-Berlins in den 1950er Jahren noch durch eine beträchtliche Anzahl von Flüchtlingen aus der DDR nahezu abgefedert werden. Bis zum Ende der 1950er Jahre hatten rund 1,5 Millionen DDR-Bürger die Grenze nach West-Berlin überquert; etwa 200.000 von ihnen blieben fortan dauerhaft im westlichen Teil der Stadt.310 Nach dem Mauerbau im August 1961 kam jedoch auch dieses ausgleichende Moment an sein abruptes Ende. Die Tendenz schien fortan eindeutig: Wer es sich leisten konnte, entfloh der West-Berliner Isolation 308 Vgl. hierzu Kessinger, Bernd: Neukölln. Die Geschichte eines Berliner Stadtbezirkes, Berlin 2015, vor allem S. 22–56. 309 Hessel, Franz: Spazieren in Berlin, Berlin 2011, S. 157. 310 Vgl. Gesemann, Frank: Berlin – Einwanderungsstadt ‚under construction‘? Von der Beauftragtenpolitik zur strategischen Steuerung, in: ders./Roth, Roland (Hrsg.): Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Migration und Integration als Herausforderung von Kommunen, Wiesbaden 2009, S. 305–327, hier S. 306 f.

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ungeachtet aller politisch initiierten Anreize von Steuerbegünstigungen bis hin zur Wehrdienstbefreiung durch eine Übersiedlung in die wirtschaftlich prosperierende Bundesrepublik oder verließ zumindest die heruntergekommenen Arbeiter- und Altbauviertel in Richtung der strukturell besser gestellten Randbezirke. Zurück blieben all jene, die keine Aussicht auf eine bessere Anstellung und einen ökonomischen Aufstieg hatten. Neben den Kreuzberger und Weddinger Armutsquartieren traten diese Entwicklungslinien gerade in den nördlichen Abschnitten Neuköllns besonders deutlich hervor. Innerhalb dieser Viertel entstanden schließlich Gegenden und Lebenswelten, in denen sich die Übersehenen und Abgehängten zwischen Leerstand, Arbeitslosigkeit und Stagnation wiederfanden. Dabei folgte die Entkernung und Auflösung der einstigen Arbeiterhochburg Nord-Neukölln nicht bloß den Mechanismen einer allgegenwärtigen Sozialstrukturverschiebung West-Berlins. Vielmehr war es die spezifische geografische Lage, die den Verfall des Neuköllner Nordens und insbesondere seiner Randgebiete zusätzlich mitbedingte. An kaum einem Ort – hier ist ein Blick auf den Stadtplan, wenn auch den historischen, nunmehr doch von großem Wert – waren die unmittelbaren persönlichen, sozialen und ökonomischen Konsequenzen der deutsch-deutschen Grenze deutlicher zu spüren als in jenen Straßenzügen um die Harzer Straße.311 Hier zog sich die Mauer quer durch eine historisch gewachsene Wohnsiedlung, die bis hierhin Neukölln und Treptow gleichermaßen angehört hatte, fortan jedoch in zwei Staatsgebiete gespalten war. Zwischen Landwehrkanal und Bochéstraße verlief die Grenze gar mitten durch die Harzer Straße selbst.312 Ihre abseitige Lage, die bis hierhin kaum mehr als in Relation zu umtriebig-pulsierenden Fixpunkten wie der Karl-Marx-Straße auszumachen war, wurde von nun an für fast vierzig Jahre und – obgleich in anders gelagerter und subtilerer Art und Weise – auch darüber hinaus zu ihrem essenziellen Bestimmungsmerkmal.

311 Vgl. Poulain, Corinne: Vom Ort der Abgrenzung zum Ort der Annäherung. Das ehemalige Grenzgebiet zwischen Neukölln und Treptow, in: Schmiechen-Ackermann, Detlef/Stiepani, Ute/Toelle, Claudia (Hrsg.): Alltag und Politik in einem Berliner Arbeiterbezirk. Neukölln von 1945 bis 1989, Bielefeld 1998, S. 311–327. 312 Eine ausführliche, auf Interviews mit Ostberliner Anwohnern und Fotografien basierende Darstellung der unmittelbaren Ereignisse und Konsequenzen des Mauerbaus an der Grenze von Neukölln und Treptow findet sich bei Keil, Dirk: Nichts blieb, wie es war. Vierundsiebzig Tage im Jahr 1961, in: Blask, Falk (Hrsg.): Geteilte Nachbarschaft. Erkundungen im ehemaligen Grenzgebiet Treptow und Neukölln (Reihe: Berliner Blätter, H. 20/1999), Berlin 1999, S. 61–81.

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Das Vakuum, das nunmehr entlang der Grenze und im gesamten Neuköllner Norden entstanden war, begannen ab Mitte der 1960er Jahre die sogenannten Gastarbeiter313 auszufüllen. Sie wurden in weiten Teilen der Bundesrepublik von Unternehmen angeworben, um die im Zuge des Wirtschaftswachstums steigende Nachfrage zu bedienen. So auch in West-Berlin; wenngleich die Einwanderung hin zu den Förderbändern und Fabrikhallen der verbliebenen Elektro- und Konsumgüterindustrie im Vergleich zum Rest der Republik mit etwas Verzögerung einsetzte. Und in der Tat veränderte sich die Bevölkerungsstruktur im Westteil Berlins durch den breiten Zuzug nachhaltig: Zwischen 1960 und 1969 stieg die Zahl der gemeldeten Ausländer von 22.000 auf 90.000. Fünf Jahre später, kurz nach dem Anwerbestopp vom November 1973, waren es bereits 190.000314 – ein Großteil von ihnen war in der West-Berliner Elektro-, Metall- und Konsumgüterindustrie tätig.315 Politisch wie wirtschaftlich wurde die Zuwanderung der späten 1960er und frühen 1970er Jahre auf Basis wirtschaftlicher Ertragskalkulationen wohlwollend begrüßt. Unzählige Kosten-Nutzen-Rechnungen wurden angestellt, die in ihrer Tendenz allesamt belegten, dass sich die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt unter den Vorzeichen einer beständig wachsenden Wirtschaftskraft positiv rechnen würde. Die Prämisse schien eindeutig: Gastarbeit lohnt sich. So verkündete 1971 der Arbeitsminister Walter Arendt (SPD) überzeugt die Planbarkeit einer Zuwanderungspolitik, die sich voll und ganz an den ökonomischen Konjunkturverläufen orientiere: „In welchem Maße noch über den derzeitigen Beschäftigungsstand hinaus Ausländer gebraucht werden, ist von der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt abhängig. Insofern könne man nicht von einer ‚Obergrenze‘ für die Beschäftigung von Ausländern sprechen.“316 Außerhalb des Arbeitsplatzes wurden jedoch aller statistischen Erfolgsbescheinigungen zum Trotz rasch die analytischen und praktischen Blindflecken einer „ausschließlich arbeitsmarktpolitisch motiviert[en] Ausländerpolitik“317 deutlich. Insbesondere die Wohnverhältnisse der „Gastarbeiter“ entwickelten sich zu einem, wenn nicht gar zu dem zentralen Konfliktfeld der Gastarbeiter313 Hatte der Begriff „Gastarbeiter“ in der Frühphase seines Aufkommens in WestBerlin neben italienischen oder griechischen Zuwanderern ebenso auch westdeutsche Arbeitssuchende beinhaltet, wurde er zu Beginn der 1970er Jahre mehr und mehr zu einem Synonym vor allem für die türkischstämmigen Arbeitnehmer; vgl. Hartmann/Hörsch/Neujahr: Neukölln, S. 334. 314 Vgl. Kapphahn: Migration und Stadtentwicklung, S. 91–94. 315 Vgl. Gesemann: Berlin, S. 307. 316 Zit. n. Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 225. 317 Hartmann/Hörsch/Neujahr: Neukölln, S. 337.

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Migration. In der Anfangsphase der Zuwanderung waren ihre Unterkünfte kaum mit weitreichender Umsicht bedacht worden, da Bundes- und Länderregierungen davon ausgegangen waren, dass die Arbeitnehmer nach wenigen Jahren in ihre Heimatländer zurückkehren würden – was zu Beginn auch durchaus der Fall war –, um durch neue Gastarbeiter ausgetauscht zu werden. Das „Rotationsprinzip“ wurde so zum Schlüsselbegriff einer Zuwanderungspolitik ohne Inklusionsanspruch und, wie sich alsbald herausstellen sollte, zur Chiffre einer folgenschweren Fehlkalkulation.318 Die Arbeiterbezirke zwischen dem Wedding und Kreuzberg – Fixpunkte einer Migrationsbewegung Schon in den frühen 1970er Jahren wurde deutlich, dass die „Gastarbeiter“ keineswegs „rotieren“ und in letzter Instanz in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden. Schließlich hatten nicht nur die Unternehmen ein handfestes Interesse daran, die mittlerweile angelernten und betrieblich integrierten Mitarbeiter zu behalten; auch die zugewanderten Arbeitnehmer selbst begannen nach mehreren Jahren des Aufenthaltes in der Bundesrepublik und der Aussicht auf fortlaufende, wenn auch nicht selten harte, schmutzige und gesellschaftlich kaum honorierte Beschäftigungen den Nachzug ihrer Familien einer Rückkehr vorzuziehen. Damit kam auch der bis dahin vor allem unter kostenrationalen Gesichtspunkten verhandelten Unterbringungsfrage eine neue Qualität und Bedeutung zu. Nirgendwo trat dies so deutlich hervor wie in der sozialstrukturellen Entwicklung West-Berlins. Am Beginn der Zuwanderung waren jeweils in unmittelbarer Nähe zum Betrieb Wohnheime errichtet worden, in denen die Gastarbeiter auf engstem Raum und zu verhältnismäßig hohen Mieten wohnten. Zwar wurden die lagerartigen Quartiere durch quer über die Stadt verteilte Bauten der „ArbeitnehmerWohnheimbau GmbH“ (ARWO) ergänzt.319 Dennoch: Der für die Zuwanderer bereitgestellte Wohnraum war zu knapp. Zudem entsprachen die Konditionen der Wohnheime trotz späterer Reformvorhaben nicht den hohen Mietpreisen. Zwar hätte ihr Arbeitslohn punktuell auch den Umzug in eine der bessergestellten Stadtrandgegenden erlaubt; in West-Berlin entstand jedoch ein nach Kriterien der Herkunft und Hautfarbe segregierter Wohnungsmarkt, auf dem die zu-

318 Vgl. Hartmann/Hörsch/Neujahr: Neukölln, S. 341. 319 Vgl. ebd., S. 336 f.

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meist türkischen Zuwanderer schlichtweg keine Chancen auf eine Wohnortwahl hatten.320 Als vierte und schließlich finale Möglichkeit blieben den Gastarbeitern nur mehr die früheren Arbeiterbezirke zwischen dem Wedding und Kreuzberg mit ihren heruntergekommenen Altbauten. Wenngleich die sanitären Ausstattungen der nicht selten baufälligen Häuserblocks unzureichend bis kaum vorhanden waren, boten die großflächigen Altbauwohnungen neben recht günstigen Mieten zumindest ausreichend Platz für nachkommende Familienmitglieder – und wurden so zu Fixpunkten einer Migrationsbewegung, die das Erscheinungsbild der Bezirke bis heute entscheidend mitgestaltet hat.321 Um sie herum entwickelten sich lautstarke Diskussionen über das Für und Wider dauerhafter Zuwanderung. Ein „lebhaftes Hin- und Herrechnen, ob die Ausländerbeschäftigung unter diesen Bedingungen [...] noch lohnend sei“322, setzte ein. Gleichzeitig löste sich die politische und mediale Debatte jedoch von einer rein wirtschaftszentrierten Perspektive auf die „Gastarbeiter“ und nahm stattdessen zunehmend die sozialen Implikationen ihres Zuzugs in den Blick. Im Kern der nun aufkommenden Diskussionsbeiträge, Modellvorschläge und Konzepte ging es dabei stets um die Formen, Möglichkeiten, Konsequenzen und Nutzen von „Integration“. Sie avancierte in den 1970er Jahren zum „Zauberwort“323 der Migrationspolitik. Mit besonderer Besorgnis wurden dabei die besagten West-Berliner Innenstadtbezirke betrachtet, in denen binnen weniger Jahre „ethnische Kolonien“324 entstanden: weitestgehend isolierte, in ihrer Außenwahrnehmung gar hermetisch abgeschlossene Räume, in denen die Zuwanderer unter prekären Lebensumständen wohnten. In dem im Jahr 1972 vom Senat vorgelegten „Abschlußbericht zur Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer“ wurde in diesem Zusammenhang gar vor einem „drohenden Zusammenbruch der Infrastruktur dieser Stadtteile und der damit verbundenen Gefährdung der ausländischen und der deutschen Bevölkerung sowie der allgemeinen Sicherheit“325 gewarnt. 320 Vgl. Kapphahn: Migration und Stadtentwicklung, S. 92 321 Vgl. Hartmann/Hörsch/Neujahr: Neukölln, S. 341. 322 Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, S. 226 f. 323 Vgl. Hartmann/Hörsch/Neujahr: Neukölln, S. 342 f. 324 Häußermann, Hartmut: Marginalisierung als Folge sozialräumlichen Wandels in der Großstadt, in: Gesemann, Frank (Hrsg.): Migration und Integration in Berlin. Wissenschaftliche Analysen und politische Perspektiven, Opladen 2001, S. 63–85, hier S. 77–79. 325 Der Regierende Bürgermeister von Berlin (Hrsg.): Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien. Abschlußbericht, vorgelegt vom Planungsteam und Planungsausschuß, Berlin 1972, S. 28.

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Dabei lag der Bildung von punktuellen Ballungsräumen türkischer und jugoslawischer Arbeitsmigranten in den zentral gelegenen Armutsstadtteilen abseits aller sozialreformerischen Mahnungen und Interventionsvorschläge ein handfestes wohnungsmarktpolitisches Kalkül zugrunde. Um die unhaltbaren Gebäude schließlich abreißen und neu errichten zu können, wie es die Lokalpolitik seit den frühen 1960er Jahren vorsah, musste die Stadt sie zunächst von den Eigentümern erwerben und für die Mieter angemessene Ersatzwohnungen stellen – ein Prozess, der seit seiner Initiierung vor allem von Langsamkeit und Langwierigkeit gezeichnet war. Die häufig nur kurzweilige Vermietung der Altbauwohnungen an die Arbeitsmigranten führte nunmehr nicht nur zu einer schnellen Profitsteigerung der ansonsten leer stehenden Wohnungen. Sie beschleunigte nicht selten auch den Aus- und Umzug der alteingesessenen (zumeist deutschen) Bewohner. Die Zuwanderer wurden so zu „Nomaden der Sanierung“326. Das in den vergangenen Jahren gerade im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa vernommene Phänomen der gezielten Ausbeutung benachteiligter Migranten in sogenannten Schrottimmobilien, die mit einer gezielten Entmietung der ansässigen Bewohnerschaft einhergeht, nahm mit Blick auf West-Berlin und dessen zentrale Armutsquartiere in ebenjenen Jahren seinen Ausgang.327 Nur kurze Zeit, nachdem der Wedding und Kreuzberg als Zentren jener konzentrierten Zuzugsdynamiken entstanden und breit diskutiert worden waren, geriet auch Neukölln, genauer: sein nördlicher Teil, in den Fokus der Migrationsbewegung. Grund dafür war eine Zuzugssperre für Ausländer in den erstgenannten Bezirken aus dem Jahr 1975, mit der die Stadt der weiteren Bildung dieser „ethnischen Kolonien“ rasch entgegenwirken wollte.328 Arbeitslosigkeit kam – Aufsteiger und Profiteure zogen weg Mit den 1980er Jahren bahnte sich in Neukölln und darüber hinaus auch in WestBerlin eine neue Phase der Integrationspolitik an, die durch eine vielfältige Ausdifferenzierung in einzelne und voneinander separierte Bereiche der Kommunalpolitik gekennzeichnet ist. Um ebendieser Zerstreuung der Integrationspolitik oder, um der Sprache der Zeit zu folgen: der Ausländerpolitik, entgegenzuwirken, richtete die Stadt 1981 zur Koordination und Absprache der einzelnen Politikfelder die Stelle einer Ausländerbeauftragten ein – eine Position, die von diesem Zeitpunkt bis 2003 äußerst prominent von Barbara John (CDU) ausgefüllt 326 Kapphahn: Migration und Stadtentwicklung, S. 93. 327 Zum aktuellen Vorkommen vgl. etwa den Beitrag zur Grunewaldstraße in BerlinSchöneberg in diesem Buch. 328 Vgl. Kapphahn: Migration und Stadtentwicklung, S. 93.

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wurde. Maßgeblich auf ihr Engagement ist zurückzuführen, dass neben der Ausdifferenzierung der Integrationspolitik in den 1980er Jahren eine übergreifende Stärkung der bis dahin äußerst raren Migrantenselbstorganisationen stattfand.329 Wenngleich längst nicht alle der in jenen Jahren entstandenen Organisationen noch heute existieren, ist doch das breite Netz an Selbsthilfevereinen in Berlin und insbesondere im Norden Neuköllns auf die Entwicklungen dieser Jahre zurückzuführen. So betonte auch eine Interviewpartnerin aus der Berliner Stadtpolitik die Bedeutung und Tradition der Selbstorganisationen für die Aufrechterhaltung ganzer Quartiere: „[E]s gab damals schon Migrantenselbstorganisationen, die eine Menge aufgefangen haben. […] Denn Neukölln wäre uns längst um die Ohren geflogen, also schon um die 90er wäre es uns um die Ohren geflogen, wenn Sie sich die statistischen Daten angucken an Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug hieß es ja damals […].“330

Gewiss können Selbstorganisationen zuweilen auch in ihr (kommunal-)politisch intendiertes Gegenteil umschlagen und anstelle eines integrations- und teilhabebefördernden einen segregierenden Effekt auf die Gemeinschaft der Zuwanderer haben.331 Dennoch ist ihre Bedeutung für das gesellschaftliche Zusammenleben in Neukölln wohl kaum zu unterschätzen. Wie wichtig ein breit gefächertes Netz an Hilfe- und Beratungsangeboten aus Sicht der Zuwandernden gerade in einer ersten Ankunfts- und Orientierungsphase in einer (noch) fremden Stadt sein kann, wird deutlich innerhalb einer angeleiteten Gruppendiskussion, die wir mit neun Teilnehmerinnen eines Deutschkurses einer freien Neuköllner Trägerorganisation geführt haben. Die Mitglieder der Lerngruppe kamen größtenteils aus Bulgarien. Während ihre individuellen Migrationsgeschichten – abgesehen von einem initialen Moment der persönlichen und familiären Perspektivlosigkeit – in ihrem Ablauf häufig grundverschieden waren, so einte sie doch ungeachtet aller bestehenden informellen Beziehungen durchgehend ein starkes Moment der Überforderung ob des gänzlich neuen Umfelds. So erinnert sich eine Teilnehmerin an ihre anfängliche Orientierungslosigkeit:

329 Vgl. ebd., S. 309–311. 330 Interview mit einer Berliner Politikerin. 331 Zu einer kritischen Diskussion der Selbstorganisationen in Berlin vgl. Fijalkowski, Jürgen: Die ambivalente Funktion der Selbstorganisationen ethnischer Minderheiten. Das Beispiel Berlin, in: Gesemann, Frank (Hrsg.): Migration und Integration in Berlin. Wissenschaftliche Analysen und politische Perspektiven, Opladen 2001, S. 163–182.

166 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA „T3: [I]ch hatte eine Freundin, ich hatte sie zehn Jahre nicht gesehen. Am Telefon sagte sie mir: ‚Komm nach Berlin.‘ Ich bin dann mit meinem eigenen Auto nach Berlin gekommen, habe mich verirrt. Ich habe den Weg nicht gefunden. Sie gab mir die Adresse, aber ich habe mich nun mal verirrt. Dann hat ihre Schwester mich aufgesammelt. Drei, vier Stunden habe ich in einem Park gewartet. […] Ich bin also in ihrer Wohnung geblieben, einen Monat. Einen Monat habe ich mir überlegt, wie ich am besten eine Wohnung zur Miete suche und meine Kinder herbringe. Das war mein Ziel. Zum Glück hatte ich Geld in der Tasche. […] Die Lage wäre schlimmer geworden, aber ich bin mit Geld gekommen.“332

Konnten persönliche Netzwerke und eine finanzielle Absicherung die Lasten der Ankunft in Berlin-Neukölln in diesem Fall noch abfedern, ist es darüber hinaus gerade das aufwändige Verwaltungssystem, von dem die Zuwanderer anfangs überfordert sind. Gerade in dieser Hinsicht werden häufig offizielle Beratungsund Hilfsangebote unentbehrlich. Eine weitere Teilnehmerin erklärt hierzu: „T5: Hier gibt es auch Orte, um Hilfe zu erhalten. Aber bis man diese gefunden hat, solche Orte, da geht man erst durch eine sehr schwierige Zeit. […] Ich musste auch zum Sozialamt, es gibt sehr viel Bürokratie. Viele Briefe. Wir verstehen nicht, was sie schreiben, was sie wollen. Wir dürfen die Fristen nicht verstreichen lassen.“333

Umso deutlicher wird die Bedeutung der Sozialhilfeträger und Beratungsstellen in der Beziehung zwischen den Teilnehmerinnen des Gespräches und der Leiterin des Vereins, der zugleich die Moderation des Gesprächs oblag. Während einer Diskussion über das Zusammenleben in Neukölln ergreift eine der Teilnehmerinnen die Gelegenheit, um sich – unter großer Zustimmung aller Beteiligten – bei der Leiterin des Vereins für deren umfassende Unterstützungsleistungen zu bedanken: „T2: [I]ch möchte auch noch sagen, wir sind mit [dem Verein, Anm. d. V.] sehr zufrieden. […] Sie kümmert sich sehr um unsere Kinder. Gibt Deutschkurse, lehrt. Seit fünf Jahren bin ich mit [dem Verein, Anm. d. V.] zusammen, bin eine echte Nachbarin. Ich habe hier auch Reinigungsarbeiten erledigt. […] Sie hat ihnen Deutsch beigebracht […]. Du [zur Moderatorin, Anm. d. V.] hilfst uns bei all diesen Sachen. Ganz oft musste ich beispielsweise zum Arzt. Sie hat mich zum Arzt gebracht, hat für mich übersetzt. In Sachen Arbeit

332 Gruppengespräch Neuköllner Trägerorganisation. 333 Ebd.

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steht sie immer hinter uns, macht ständig irgendwelche Sachen. Jetzt gerade sucht sie mit mir für meine Enkel eine Schule. Sie steht für uns ein.“334

Sicherlich kann die Funktion der Vereinsführerin als Moderatorin des Gespräches die Formulierung dieses Komplimentes mitbedingt haben. Dennoch zeigt diese Passage nur allzu deutlich die Dimensionen einer sozialberatenden Tätigkeit, die diverse Aufgabenfelder der Migrationsarbeit beinhaltet und mehrere Generationen von Zuwandererfamilien einschließt. Als solche kann sie, wie aus dem Zitat hervorgeht, zu einer essenziellen Achse in der Bewältigung des Alltags und darüber hinaus in der Integration von Zuwanderern werden. Dabei ist die aktive Inanspruchnahme von und Teilnahme an den Beratungs- und Betreuungsangeboten des Vereins vonseiten der Zuwanderer nicht etwa ein Indiz für die Grenzen migrantischer Eigenorganisation in einem fremden Umfeld, sondern im Gegenteil Ausdruck einer erstarkten Selbstständigkeit und Teilhabe. Sozialarbeit, die in solch großem Ausmaß auf einzelne Zuwanderer eingehen kann, ist gerade in Neukölln nötig und möglich, da sich hier seit den 1980er Jahren ein regelrechtes Dickicht an häufig kleinen Trägerorganisationen gebildet hat, das in dieser Form andernorts kaum zu finden ist. Die Herausstellung derartiger Kontinuitätslinien von den 1980er Jahren bis in die Gegenwart hinein darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Neuköllner und Berliner Sozialarbeit seit ihrem Aufkommen ungeachtet aller Bedeutung, die ihr sowohl von den Migrantinnen und Migranten als auch von der (Kommunal-)Politik zugeschrieben wurde, stets von monetären Engpässen, kurzweiligen Finanzierungsplänen und ständigem Druck neuer Fördermittelakquise bestimmt gewesen ist. Die Konsequenzen der stetigen Prekarisierung, in der sich die Zuwanderer selbst wie auch ihre Vertreterorganisationen befunden hatten, traten nach der Wende allzu deutlich hervor: In ganz Berlin setzte ein Prozess der Deindustrialisierung ein, der „historisch kaum Vergleiche kennt“335. Jeder zweite industrielle Arbeitsplatz in Berlin ging infolge wirtschaftlicher Umstrukturierungen und dem Ende der bis dahin existenziellen Subventionen für Berlin verloren. Vor allem die unqualifizierten Migranten der zentralen Innenstadtbezirke wie Neukölln verloren in diesem Zuge ihre jahrzehntelange Anstellung. In Neukölln stieg die

334 Ebd. 335 Hunger, Uwe/Thränhardt, Dietrich: Die Berliner Integrationspolitik im Vergleich der Bundesländer, in: Gesemann, Frank (Hrsg.): Migration und Integration in Berlin. Wissenschaftliche Analysen und politische Perspektiven, Opladen 2001, S. 109–125, hier S. 112.

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Arbeitslosigkeit zeitweise auf gut 22 Prozent an.336 Die türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger – viele von ihnen lebten bereits in zweiter oder dritter Generation in West-Berlin und waren im Laufe der 1990er Jahre auf Initiative der Ausländerbeauftragten eingebürgert worden – begannen, der drohenden sozialen Abstiegsspirale durch die Gründung von Gewerben fortan entgegenzuwirken. Nichtsdestoweniger bescherten die nunmehr eröffneten Geschäfte, Unternehmen, Restaurantbetriebe usw. in einem Großteil der Fälle ihren Eigentümern nur knapp das Existenzminimum, während sie zugleich derart umfangreiche finanzielle und zeitliche Ressourcen beanspruchten, dass nicht selten die Mitarbeit der Familienmitglieder, auch der jüngeren, erforderlich war.337 Schließlich vermochten auch sie kaum etwas daran zu ändern, dass sich in Neukölln in den 1990er Jahren eine „selektive Mobilität“338 verstärkte, die – wenn auch unter veränderten Rahmenbedingungen – an die Entwicklungen der frühen Jahren in der Bundesrepublik anknüpfte. Die Aufsteiger, Gewinner und Profiteure der wirtschaftlichen Transformationsprozesse hin zu einer (schrittweisen) postindustriellen Dienstleistungsgesellschaft zogen mehrheitlich weg aus Neukölln. Zurück blieben wiederum die Arbeitslosen und die von stetiger Armut Bedrohten, ergänzt durch neu hinzukommende Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien, die nicht selten mit einem dauerhaften Duldungsstatus am Rand der Gesellschaft verweilten.339 So entstand im Norden Neuköllns ein „Milieu der Benachteiligung“340. Seit der Jahrtausendwende wurde ebenjene Gegend, deren nordöstliche Grenze auch nach dem Fall der Mauer die Harzer Straße markierte, (abermals) zur Chiffre eines sozialen Brennpunkts schlechthin, zum Symbol für den vielzitierten sozialen Sprengstoff, der aus einer Melange aus Armut, Fremdheit, und kultureller Segregation entstehe. Populär wurden in diesem Kontext insbesondere die kontrovers diskutierten Thesen des damaligen Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky (SPD).341 Indes blieben die Debatten um den Neuköllner Norden keineswegs ausschließlich an dessen Person gebunden. Vielmehr waren es immer wieder Orte und Ereignisse, die aus den Neuköllner Randgebieten heraus ein breites öffentliches Echo hervorriefen. So entfachte beispielsweise im März 2006 ein öffentlicher „Brandbrief“ an den Berliner Bildungssenator Klaus 336 Vgl. Bericht der Ausländerbeauftragten, Berlin 1993, S. 15. 337 Vgl. Gesemann: Berlin, S. 313 f. 338 Häußermann: Marginalisierung, S. 67–69. 339 Eine in diesem Kontext außergewöhnliche Aufstiegsbiografie ist der Rechtsanwältin und Aktivistin Nizaqete Bislimi gelungen; vgl. Bislimi: Durch die Wand. 340 Vgl. Gesemann: Berlin, S. 319. 341 Siehe Buschkowsky, Heinz: Neukölln ist überall, Berlin 2012.

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Böger (SPD), verfasst vom Kollegium der Rütli-Oberschule – gut zehn Gehminuten von der Harzer Straße entfernt –, eine intensive Diskussion über Gewalt an Schulen und die Grenzen der Integration im deutschen Bildungssystem.342 Parallel zu den immer wieder aufkommenden Abstiegsdiskursen um das nördliche Ende Neuköllns ist der Bezirk seit einigen Jahren von einem, auf den ersten Blick völlig konträren, Strukturwandel ergriffen: der Gentrifizierung. Ausgehend von umliegenden Bezirken wie Kreuzberg, Mitte oder Prenzlauer Berg lässt sich auch in vielen Quartieren Neuköllns ein struktureller Anstieg der Miet- und vor allem Eigentumspreise feststellen, der schließlich zum Hinweisgeber einer nachhaltigen Bevölkerungsstrukturverschiebung wird. So jedenfalls kann man es vielerorts lesen.343 All dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die erwähnten Gentrifizierungsanzeichen im Norden Neuköllns keineswegs zu einem umfassenden und allgegenwärtigen Sozialstrukturwandel geführt haben. Nicht nur handelt es sich hierbei um einen jungen Prozess. So stellten etwa die Herausgeber des „Neuköllnbuch“, einer zeitgenössischen Sammlung pointierter Beobachtungen aus dem Bezirk, in ihrem Vorwort noch 2003 fest, dass in Neukölln – anders als in Kreuzberg oder Mitte – „keine Gentrifikation“344 existiere. Auch gegenwärtig ist diese, trotz aller sichtbaren Tendenzen, (noch) kein flächendeckendes Phänomen. So gelangt auch die eingangs erwähnte Studie zur „Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln“ aus dem Jahr 2011 zu dem Schluss, dass sich die „soziale Situation […] in den vergangenen Jahren nur geringfügig verändert“345 habe. Mit Blick auf die Migrationsentwicklung Neuköllns verlaufen die Gentrifizierungs- und Zuwanderungsbewegungen vielmehr nebeneinander. Wenngleich nicht selten ein und dieselbe Gegend von ihnen eingenommen wird, sind sie doch sichtlich getrennt voneinander. Umso deutlicher wird diese lebensweltliche Segregation, wie eine Neuköllner Sozialarbeiterin im Interview erläutert, aus Perspektive der Zuwanderer selbst:

342 Vgl. zuletzt hierzu Lehmann, Anna: Radikal reformiert. Zehn Jahre nach dem RütliSchul-Aufruf, in: taz.de, 06.05.2016, URL: http://www.taz.de/!5302125/ [eingesehen am 28.10.2016]. 343 Vgl. exemplarisch Erik, Peter: „Unser Block“ wird aufgeteilt, in: taz.de, 16.06.2016, URL: http://www.taz.de/!5310664/ [zuletzt eingesehen am 31.10.2016]. 344 Diehl, Verena Sarah/Sundermeier, Jörg/Labisch, Werner: Vorwort, in: dies. (Hrsg.): Neuköllnbuch, Berlin 2003, S. 1–2, hier S. 2. 345 TOPOS Stadtforschung: Sozialstrukturentwicklung in Nord-Neukölln, Berlin 2011, S. 52, URL: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/fileadmin/con tent-media/Bilder_2013/Dateien_2013/NNK_2011_Enda.pdf [eingesehen am 29.10.2016].

170 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA „Unsere Zielgruppe [Zuwanderer aus Südosteuropa, Anm. d. V.] kriegt das [Gentrifizierung, Anm. d. V.] gar nicht mit. Das […] sieht man nur, wenn man hier arbeitet, wenn man mit anderen Bezirken in Berlin vergleichen kann. Unsere Leute kommen manchmal gar nicht aus dem Bezirk raus.“346

Diese Feststellung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zuwanderer die Konsequenzen dieser eintretenden Gentrifizierung früher und deutlicher als andere Bevölkerungsgruppen erleben. So berichten auch die Teilnehmerinnen des Gruppengespräches einhellig, dass die Wohnungssuche im Gegensatz etwa zur Einschulung der Kinder das eklatanteste Problem nach der Ankunft in Neukölln dargestellt habe.347 Zum ansteigenden Mietspiegel kommt erschwerend das Fortbestehen eines Wohnungsmarkes hinzu, der strukturell entlang ethnischer und kultureller Grenzen aufgeteilt ist: „T2: Vor sieben Jahren bin ich nach Berlin gekommen. Ich bin sehr glücklich in Berlin. Es gibt ein Problem mit der Wohnsituation. Wohnen ist sehr schwierig. Sie wollen uns Bulgaren nicht so gerne eine Wohnung geben.“348

Dabei erstreckt sich das Konfliktfeld „Wohnen“ nicht einfach entlang einer Dichotomie des „Habens“ oder „Nichthabens“. Vielmehr öffnet dieser weitreichende Ausschluss von Zuwanderern aus Südosteuropa auf dem Berliner Wohnungsmarkt Raum für diverse Zwischenbereiche – wie etwa die Harzer Straße bis zum Sommer 2011 –, in denen die Zuwanderer auf engstem Raum unter prekärsten Bedingungen wohnen. Die Konflikte und Konsequenzen, die aus einem solchen Umfeld heraus gerade für arbeitssuchende oder mit familiären Aufgaben ausgelastete Frauen entstehen können, beschreibt dieselbe Teilnehmerin anhand ihrer eigenen Lebenssituation: „T2: Ich komme mit ihm [ihrem Mann, Anm. d. V.] nicht zurecht, ich habe keine Ruhe. Ich möchte für mich selber eine Wohnung, sodass ich alleine bin. Mich stört mein Mann. Kommt er, läuft immer der Fernseher, die ganze Nacht geht er drinnen herum. Nun ich bin

346 Interview mit Sozialarbeiterin 1. 347 Vgl. hierzu auch Amaro Drom e. V.: Zielgruppenspezifische Unterstützungsbedarfe der Roma-Communities im Flughafenkiez. Auswertung der aktivierenden Befragung unter Bewohnergruppen mit Roma-Hintergrund und der Expertengespräche mit Bildungs- und Nachbarschaftseinrichtungen in den Quartiersmanagementgebieten Flughafenstraße und Donaustraße Nord, Berlin o. J., vor allem S. 23 f. 348 Gruppengespräch Neuköllner Trägerorganisation.

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krank im Kopf. Ich habe eine Nervenkrankheit. Und dann fühle ich mich gestört. Ich möchte eine Wohnung.“349

Dennoch waren es gerade die oben genannten informellen und formellen Migrationsstrukturen, bestehende Kontakte und schließlich auch die Aussicht, wenn überhaupt, so dann im Neuköllner Norden eine Perspektive auf eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu haben, die den Stadtteil nach der EU-Erweiterung 2007 zu einem Ziel für Zuwanderer aus Südosteuropa werden ließen. Dabei stand und steht der quantitative Umfang der Zuwanderung kaum in messbarer Relation zu den Migrationsbewegungen der 1970er oder auch der 1990er Jahre, von denen die Sozialstruktur des Bezirkes so entscheidend geprägt worden ist. Noch 2011 waren gerade einmal 4.000 Rumänen und Bulgaren in Neukölln gemeldet350 – eine Zahl, die im ethnisch weit gefächerten Neuköllner Norden mit seinen insgesamt rund 330.000 Einwohnern, von denen 42 Prozent, in der Gegend rund um die Harzer Straße gar knapp über fünfzig Prozent einen Migrationshintergrund aufweisen351, für sich genommen kaum aufsehenerregend erscheinen musste. Zudem waren es zu Beginn hauptsächlich Saison- und Wanderarbeiter, die im Rahmen der EU-Freizügigkeit übergangsweise nach Neukölln kamen und oft auch wieder gingen. Von „Pendelmigranten“ zu „Bleibenden“ Ein erster Konfliktraum, der im Zusammenhang mit der Einwanderung ab 2008 entstand, war die Neuköllner High-Deck-Siedlung, in der die Arbeitsmigranten für die Monate ihres Aufenthalts in massiv überbelegten Wohnungen unter hygienisch unhaltbaren Zuständen lebten. Der vorübergehende Wanderarbeitsstatus der Migranten bedingte jedoch, dass den Konflikten vonseiten der Verwaltung keine größere Bedeutung beigemessen wurde. Probleme wurden vor Ort und, das ist entscheidend, zugunsten der als dauerhaft hierbleibend eingestuften Bewohnerschaft gelöst – ohne dass aus ihnen jedoch strukturelle Konsequenzen für den Umgang mit der Zuwanderung aus Südosteuropa gezogen worden wären. So 349 Ebd. 350 Vgl. Bezirksamt Neukölln von Berlin. Abteilung für Bildung, Schule, Kultur und Sport: 4. Roma-Statusbericht. Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit den Zuzügen von EU-Unionsbürgern aus Südosteuropa, Berlin 2014, S. 8. 351 Vgl. Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Statistischer Bericht. A I 5 – hj 2/14, Einwohnerinnen und Einwohner im Land Berlin am 31. Dezember 2014, S. 37–42, URL: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/publikationen/stat_berichte/2015/SB_A01 -05-00_2014h02_BE.pdf [eingesehen am 30.10.2016].

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heißt es in einem knappen erläuternden Rückblick aus dem drei Jahre später erschienenen ersten „Roma-Statusbericht“, von dem weiter unten noch die Rede sein wird: „Da es hier nur zwei große Vermieter und ein engagiertes Quartiersmanagement gibt, konnten die Schwierigkeiten für den sozialen Frieden in der Region mit den Familien, die dauerhaft hier bleiben wollten, einvernehmlich gelöst werden.“352 Sie als langfristig bleibende Zuwanderungsgruppe wahrzunehmen, begannen Bezirkspolitik und -verwaltung überhaupt erst seit 2010. So erinnert sich Franziska Giffey, Bürgermeisterin von Neukölln (SPD) und zu jenem Zeitpunkt als Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport eine tragende Figur der Neuköllner Integrationspolitik, an ihre erste Konfrontation mit dem „Thema Zuwanderung aus Südosteuropa“: „Das ist ja erst später dazugekommen […]. Aber wir haben dann ab 2008/09 gemerkt, da kommt Zuwanderung, da machen sich Leute auf den Weg. Und am Anfang war das so ein Phänomen ‚Pendelmigration‘. […] Und dann hat sich das gewandelt Richtung 2010 hin, dass die Leute wirklich geblieben sind. Ja? Dass man nicht mehr von Pendelmigration sprechen konnte, sondern dass sich gezielt auf den Weg gemacht wurde, um in Deutschland zu bleiben als EU-Bürgerin, EU-Bürger, ja auch das Recht dafür wahrzunehmen.“353

Als unmittelbar vor Ort agierende Akteure waren die lokal ansässigen Selbsthilfe- und Beratungsorganisationen zwar noch früher auf die Zuwanderung aufmerksam und darauf sensibilisiert worden. So beschreibt ein Mitarbeiter der Neuköllner Sozialhilfeorganisation „Aspe e. V.“ die schrittweise Fokussierung des Vereins auf seine neue Zielgruppe: „‚Aspe‘ ist ein Kinder- und Jugendhilfeträger. Und der ist seit [19]96 hier in Neukölln. […] Das war in erster Linie ein deutscher Träger, [der] dann wirklich nur als Familienhelfer tätig war […]. Haben dann natürlich gemerkt, Neukölln: bunter Bezirk. […] Haben [uns] dann erweitert und haben dann Menschen mit Migrationshintergrund eingestellt, die hier schon seit Generationen sind oder sogar hier geboren sind […]. Wir haben uns seit 2008 wirklich auf Menschen aus Südosteuropa […] spezialisiert, insbesondere auf Roma.“354

352 Vgl. Bezirksamt Neukölln von Berlin. Abteilung für Bildung, Schule, Kultur und Sport: Roma-Statusbericht, Berlin 2011, S. 4. 353 Interview mit Franziska Giffey. 354 Interview Sozialarbeiter 2.

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Dennoch: Als umfassendes und zugleich spezifisches Aufgabengebiet der Migrations-, Sozial- und vor allem Integrationspolitik wurde die Zuwanderung aus Südosteuropa in Neukölln vor 2010 politisch, geschweige denn öffentlich kaum registriert. Dem Neuköllner „Roma-Statusbericht“ zufolge war die Arbeit vielmehr „punktuell“ fixiert. Schließlich sei „die zunehmende Zuzugswelle von Bleibewilligen in der ersten Phase nicht erkannt“ worden, da „ein Großteil jedoch nicht angemeldet war und auch wieder weiter wanderte“.355 Mit Beginn des neuen Jahrzehnts veränderte sich jedoch die Wahrnehmung der Zuwanderung beinahe über Nacht deutlich. War sie bis dahin noch ein kommunalpolitisches Randthema im ohnehin spannungsgeladenen Neuköllner Norden gewesen, nahm sie fortan einen zunehmend prominenteren Platz in der Berichterstattung, der Lokal- und Stadtpolitik sowie in der Verwaltungsarbeit ein. In ebenjene Zeit des politischen Gewahrwerdens eines neuen Kapitels der Neuköllner Migrationsgeschichte fielen auch die Geschehnisse um die Harzer Straße. Beide Entwicklungen sind aufs Engste miteinander verknüpft. Genauer: Die Harzer Straße wurde zum Präzedenzfall, aus dem heraus ein bis dahin weitestgehend verborgenes Konfliktfeld eine öffentlich sichtbare Gestalt annahm – und der zugleich zu einem Ausnahme- und Modellprojekt avancierte, der einen weitreichenden öffentlichen und verwaltungspolitischen Wahrnehmungswandel nach sich zog. Überbelegt und runtergekommen – „Schickt die Zigeuner nach Hause“ Die Genese der Harzer Straße als Anlaufstelle einer spezifischen Migrationsbewegung aus Südosteuropa selbst nahm dabei nicht erst im Frühjahr 2011 ihren Ausgang. Sie reicht zurück bis in die Jahre 2007 ff. Nachdem die Häuser mit den Nummern 65–67 infolge zweier Brände und nur geringfügiger Sanierungsarbeiten fast vollständig leer gestanden hatten, wurden sie zum Endpunkt einer sukzessiven Migrationsbewegung aus Rumänien nach Deutschland, genauer: aus Fântânele, einem Dorf an der östlichen Grenze des Landes, rund dreißig Kilometer von Bukarest entfernt.356 Fernab eines rechtlich geregelten und abgesicherten Verhältnisses zwischen Eigentümer und zugewanderter Einwohnerschaft nahm das Haus bald den Charakter eines rechtslosen Raumes an – in dem ein Großteil der rund tausend Bewohner gemeinsam mit Verwandten oder Nachzüglern aus derselben Gemeinde in überbelegten und heruntergekommenen Wohnungen leb-

355 Bezirksamt Neukölln von Berlin: Roma-Statusbericht, S. 4. 356 Vgl. Gezer, Özlem: Paradies Neukölln, in: Der Spiegel, H. 14/2012, S. 42–44.

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te und dafür zum Teil horrende Mietpreise in bar an dubiose Mittelsmänner bezahlte. Auch Konflikte mit der umliegenden Nachbarschaft blieben nicht aus. Zahlreiche zuweilen zeternde Beschwerden, ja „Hassmails“ erreichten Franziska Giffey mit der Aufforderung, „die Zigeuner endlich nach Hause [zu] schicken“.357 Auch diesen Fall begleiteten Reizthemen wie Müll, Ordnung oder Sauberkeit, welche die Harzer Straße in der Wahrnehmung eines Teiles der Anwohnerschaft zu einem „soziale[n] Brennpunkt“358 machten. So jedenfalls war es in der Rückschau an vielen Stellen nachzulesen.359 Die Meldungen von sich aneinanderreihenden Konflikten, Beschwerden und Auseinandersetzungen drangen jedoch vorerst nicht bis zu den Schaltstellen der Kommunalpolitik vor. Wie eine höhere Mitarbeiterin der Verwaltung im Interview erklärte, habe der Grund für die anfängliche Passivität der Bezirksleitung in der ausgebliebenen Informationsweitergabe durch die bereits involvierten Akteure gelegen: „Die Gesellschaft hat uns immer angekreidet, dass wir da sehr lange zugeguckt haben. Das war nicht unbedingt so, sondern wir haben das offiziell in unseren Kanälen erst am ersten April [2011, Anm. d. V.] erfahren. Es war wirklich so, dass die Zivilgesellschaft uns an dieser Stelle überhaupt keine Rückmeldung gegeben hat, dass diese Überfüllung innerhalb von neun Monaten oder einem Jahr so eine dramatische Situation da war. Das ist ein Randgebiet von Neukölln. Wir haben einfach keine Meldungen gehabt. [...] Wir fanden es besonders schwierig, dass es eigentlich einen Träger gab, der mit den Personen in Kontakt ist und keine Meldung gemacht hat.“360

In dieser knappen Erwähnung einer der Vermutung nach absichtlich unterlassenen Informationsweitergabe klingen bereits mehrere Seiten der komplexen Beziehung von Politik, Verwaltung und Sozialhilfeträgern an. Dieser Beziehungskomplex gleicht einem permanenten Balanceakt, der von gegenseitigen Abhängigkeiten getragen ist. So auch in diesem Fall: Die Verwaltung war auf die lokale Kenntnis und Expertise der Selbsthilfeorganisationen und Beratungsstellen angewiesen. Es ist ebendieser strukturelle Vorteil, den die Trägerorganisation 357 Haak, Julia: Roma in Berlin. Ein Zuhause für Fremde, in: Berliner Zeitung, 01.09.2012, URL: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/roma-in-berlin-ein-zuhausefuer-fremde-5813584 [eingesehen am 31.10.2016]. 358 Gezer: Paradies Neukölln, S. 43. 359 Vgl. o. V.: Das Roma-Dorf und sein Bürgermeister, in: ZITTY.de, 26.06.2012, URL: http://www.zitty.de/das-roma-dorf-und-sein-burgermeister/ [eingesehen am 31.10.2016]. 360 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin.

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gegenüber ihren Förderern innehat und von dem sie, so jedenfalls ließe sich vermuten, in diesem Fall durch die Unterbindung eines Informationsflusses Gebrauch gemacht haben könnte. Ihre abwartende Haltung lässt sich mit einem permanenten Dilemma erklären, in welchem sich die Trägerorganisationen insbesondere in ihrem Umgang mit sogenannten Schrottimmobilien befinden. Aus einem anderen Kontext heraus erläutert eine in Neukölln tätige Sozialarbeiterin die inneren Konflikte, die aus dem Anspruch der bestmöglichen Vertretung der Zuwanderer entstehen können: „Ich bin nicht dankbar. Aber manchmal ist das eigentlich eine der wenigen Möglichkeiten irgendwo zu wohnen, sind diese Schrottimmobilien. Ja? Und das ist natürlich nicht toll von den Leuten, denen diese Häuser gehören, dass sie das machen. Weil das ist natürlich völlig unmöglich, ja? Also es ist kriminell. Auf der anderen Seite: Eine Politik, die sich dann darauf spezialisiert, das alles zu zerstören, diese Untergrundorganisationen, […] statt sich darauf zu konzentrieren, ordentlichen Wohnraum zu beschaffen, ist einfach irgendwie hinterhältig, finde ich.“361

Diese Haltung erwuchs wiederum aus Perspektive der Verwaltung aus einem falschen Selbstverständnis der Sozialarbeit. Statt an der Schnittstelle zwischen Verwaltung und Straße zu agieren, verstünden sich die Trägerorganisationen als vollständige Vertreterinnen und Fürsprecherinnen ihrer Klientel. Insbesondere mit Blick auf die Selbstorganisationen berge dieses Selbstverständnis großes Konfliktpotenzial: „Wir haben NGOs, das [sind] einfach […] Sozialträger, und [eine] Roma-Selbstorganisation ist ein Lobbyistenunternehmen. Möglicherweise mit einem anderen Auftrag für sich als ein Verein, als ich das mit meinen Steuergeldern befördern möchte.“362

Diese kurze Episode vermag bereits einen Einblick zu geben in die Komplikationen des gesamtstädtischen Umgangs mit Zuwanderungskonflikten wie jenem in der Harzer Straße. Wenngleich sich insbesondere Neukölln durch eine geradezu einzigartige und historisch gewachsene Dichte an Vereinen und Institutionen in der Integrationsarbeit auszeichnet, ist es doch ebenjene Vielzahl und Interdependenz der Akteure, die sich im Falle von internen Interessensdivergenzen in eine strukturelle Trägheit des gesamten Systems übersetzen kann. Doch zurück zur Harzer Straße: Wie die bereits zitierte Verwaltungsmitarbeiterin berichtet, waren es aus städtischer Sicht (abermals) die Schulen, in die361 Interview mit Sozialarbeiterin 2. 362 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin.

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sem Fall: die unmittelbar angrenzende Hans-Fallada-Schule, die gleichsam als Seismograf der Veränderung fungierten und die Verwaltung über die Entwicklungen in der Harzer Straße in Kenntnis setzten: „Der Schulleiter war so der Erste, der anfing: ‚Mensch, ich hab hier so viele Kinder.‘ Der kam […] so im Februar [2011, Anm. d. V.]. Dann trudelte es auf einmal ein.“363 Ab Juni 2011 begann die Verwaltung, sich dem Fall in der Harzer Straße anzunehmen. Um dem Eigentümer der Immobilie als möglichst geschlossener Akteur gegenübertreten und ihn im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten sowie angesichts der chronisch ausgereizten Berliner Haushaltskassen dennoch wirkmächtig unter Druck setzen zu können, wurde von der Verwaltungsspitze die „Arbeitsgemeinschaft Harzer Straße“ einberufen, in der die nunmehr involvierten Ämter versuchten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Beteiligt waren Bürgeramt, Ordnungsamt, Bau- und Wohnungsaufsicht, Gesundheitsaufsicht, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, schließlich auch die polizeiliche „Arbeitsgemeinschaft für Migration und Integration“. Nach der konstituierenden Sitzung sei, wie die Verwaltungsangestellte erläuterte, als vorläufiges Ziel formuliert worden, „[…] dieses ganze Gebäude auf den Kopf [zu] stellen und so richtig Druck [zu] machen. Wir hatten einen Katalog von – ich weiß nicht – 100 Mängeln […]. Es war kurz vor der Wasserabsperrung. […] Wir konnten keine Enteignung durchführen, aber wir wollten halt eine ganz große Drohmannschaft aufbauen und gucken, wo finden wir am meisten Sachen, wo wir ihn in Geld treiben können, in Bußgelder. Das war der Punkt, den wir schaffen wollten.“364

Zeitgleich mit dem Beschluss der „AG Harzer Straße“ gerieten die Harzer Straße und ihre Bewohnerschaft nach und nach in einen regelrechten Strudel medialer Berichterstattung. Als erstes thematisierte die B. Z. die Zustände im Haus. In der klassischen Manier des Boulevards berichtete sie über die „Müllkinder von Neukölln“365 und druckte sogleich Fotos von Kindern ab, die umgeben von Abfallhaufen und Ratten in den Innenhöfen der Harzer Straße spielten. Diese Szenen füllten in den darauffolgenden Wochen und Monaten in unzähligen Variationen,

363 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin. 364 Ebd. 365 O. V.: Die Müllkinder von Neukölln, in: B. Z., 28.05.2011,URL: http://www.bzberlin.de/artikel-archiv/die-muellkinder-von-neukoelln/ [eingesehen am 31.10.2016].

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jedoch immer wieder mit dem Dreiklang „Roma“, Ratten und Müll, die Zeitungen und Bildschirme der Bundesrepublik.366 Er kam, sah und packte an – Benjamin Marx, der „Kümmerer“ und „Patron“ An dieser Stelle nahmen die Entwicklungen an der Harzer Straße jedoch eine nachgerade einzigartige Wendung. Entscheidend für die nun einsetzenden Veränderungen war ein Eigentümerwechsel. Im Herbst 2011 erwarb die Aachener Wohnungsbaugesellschaft, ein der katholischen Kirche zugeordneter und auf dem Berliner Wohnungsmarkt bis dahin recht unbekannter Akteur, die Gebäude. In der Person von Benjamin Marx, ihrem Berliner Vertreter, bekam sie bald ein geradezu ikonisches Gesicht – Marx wurde zur erklärten Schlüsselfigur des Konfliktes. Mit seinem Eintritt in den Konflikt änderten sich nicht nur die Umstände in dem Haus und um es herum; mit ihm wandelte sich auch die öffentliche Wahrnehmung des Falles grundlegend. Um Marx etablierte sich ein geradezu cäsarisches Narrativ des selbstbewussten und kompetenten Machers, der von außen kam, erkannte, agierte und schließlich aus eigener Initiative heraus das Konfliktfeld Harzer Straße in ein international geachtetes Integrationsprojekt verwandelte. Dabei seien es, wie Marx in einem Interview rekapitulierte, die eben skizzierten Bilder der elendigen Lebensumstände in den Innenhöfen der Harzer Straße 65–67 und der in Anbetracht des Zustandes niedrige Erwerbspreis der Immobilie  gewesen, die ihn – einen katholisch geprägten und wirtschaftlich kalkulierenden Geschäftsmann – zum Kauf des Gebäudekomplexes bewogen hätten: „[D]as Haus war mir 2011 angeboten worden von einem Makler. Ich habe das Exposé gelesen und war etwas erstaunt über den Kaufpreis, weil der nicht unbedingt den Marktforderungen entsprach, sondern günstiger war. Bin dann also hingefahren und habe mir das alles angesehen […]. Bin durch den Innenhof gegangen, der total vermüllt und verdreckt war, wo dann zwei Mädchen spielten. Das ist so mein klassisches Bild vor Augen, wo dann die Ratten daneben nach Futter suchten. Und dann bin ich hier vorne wieder rausgegangen […] und hab mir eine Zigarette angemacht und […] hab gesagt: ‚Ja, das machen wir.‘“367

366 Vgl. exemplarisch Spiegel TV Magazin: Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße Berlin, 16.09.2011, URL: https://www.youtube. com/watch?v=7laiPDU4NnY [eingesehen am 31.10.2016]. 367 Interview mit Benjamin Marx.

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Unmittelbar nachdem die Immobilie der Aachener Wohnungsbaugesellschaft, d. h. in die Verantwortung von Benjamin Marx, übergegangen war, leitete Marx einen umfassenden Sanierungs- und, mit Blick auf die Bewohnerschaft, einen durchgreifenden Ordnungsprozess ein. Grundlegende Schäden am Haus, offene Leitungen, kaputte Fenster, defekte Türen, marode Treppenhäuser, Schimmel, zerschlagene Fußböden, ramponierte Briefkästen: Sämtliche offenkundigen Mängel und längst überfällige Reparaturarbeiten am Haus und in den Wohnungen wurden durch die Initiative der Wohnungsbaugesellschaft und nicht selten unter der vertraglich geregelten Mithilfe der rumänischen Anwohnerschaft über die folgenden Monate hinweg behoben. Gleichzeitig ließ Marx das „Symbolthema Müll“368 wenn nicht aus der Welt, so doch zumindest aus dem Diskursraum um die Harzer Straße schaffen. In mehreren Sondertransporten wurden die überfüllten Container und Innenhöfe systematisch geleert und gereinigt. In einem zweiten Schritt wandte sich Marx, und durch ihn die Aachener Wohnungsbaugesellschaft, der bürokratischen Ebene zu. Bestehende Mietverträge wurden überprüft und neu aufgesetzt, mit einem je nach Wohnungsstandard variierenden, niedrigen aber noch immer rentablen Quadratmeterpreis.369 Schließlich wurden bestehende Matratzenlager und überbelegte Wohnungen aufgelöst. Von den einstmals rund tausend Bewohnern der Gebäude blieben am Ende der kahlschlagartigen Neuorganisation etwa 600 in ihren nunmehr grundsanierten und intakten Wohnungen, mit einem gültigen Mietvertrag und einer internen Infrastruktur, die von Ärzten über einen Sozialhilfeträger bis zu einem Aufenthalts- und Veranstaltungsraum, ja sogar einer kleinen Kapelle reicht.370 Gerade dieser Prozess der rabiaten Aneignung eines bis dahin als rechtsfrei erscheinenden Raumes war für Marx in der direkten Auseinandersetzung mit den Bewohnern von großen Komplikationen geprägt. An seinem Ende stand jedoch nicht nur die Nivellierung eines „sozialen Brennpunktes“ und gleichsam die „Revitalisierung einer Wohnanlage“371 – wie Marx die Arbeit in bewusster Vermeidung jedweder Hinwendungen zu ethnisierenden Kategorien der Einwohnerschaft nannte. Zugleich etablierte Marx für sich eine spezifische Rolle, die er auch über die grundlegende Sanierung und Ordnung der Wohngemeinschaft im Haus einnahm: 368 Schaaf, Julia: Die Roma von Neukölln, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.01.2014. 369 Vgl. Küpper, Mechthild: „Sie sind alle Europäer“: Interview mit Benjamin Marx, in: faz.net, 07.08.2014, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/benjamin-marxueber-seine-mustersiedlungen-fuer-roma-13083091.html [eingesehen am 30.10.2016]. 370 Vgl. Voigts, Hanning: Den Roma eine Chance, in: Frankfurter Rundschau, 06.02.2014. 371 Interview mit Benjamin Marx.

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„Und dann hat unsere Verwaltung konservativ klassisch, westdeutsch geprägt alle Mieter angeschrieben: ‚Wir sind neuer Eigentümer, bitte überweist die Miete da und da hin.‘ Und da war eben null Resonanz. Weil erstens die Leute den Brief nicht aufgemacht haben. Zweitens, wenn sie ihn aufgemacht hätten, hätten sie die Briefe nicht verstanden. Und daraufhin habe ich dann gesagt: ‚Okay, wir müssen vor Ort gehen.‘ […] Und dann haben wir da so kleine Plakate gemacht, die auch ein Kind übersetzen konnte, und haben dann eingeladen zu einer Mietersprechstunde. Und da hier jeder Quadratmeter belegt war, es gab nichts Freies, haben wir dann im Innenhof ein Zelt aufgestellt, ein Bierzelt. Haben ein paar Biergarnituren reingestellt und haben dann mit Dolmetschern dann die ersten Sprechstunden gemacht. Die Leute haben uns sofort das Geld gebracht […]. Also ich bin hier nie weggefahren, ohne etliche tausend Euro Geld in der Tasche zu haben. Und die haben dann auch angefangen Mängel zu benennen und […] die haben wir dann eben auch alle repariert.“372

In seiner zumindest in der Anfangszeit permanenten Präsenz vor Ort übertraf Marx die gewöhnlichen Tätigkeiten eines Hauseigentümers bei Weitem. Vielmehr trat er abwechselnd und überlappend in Erscheinung als Hausverwalter und -inhaber, Arbeitgeber, Mediator, Sozialberater, Beschützer, Vermittler von Ordnung und Rechtsstaatlichkeit, in der Vergabe der Wohnungen etwa gar als eine Instanz, die über mitunter existenzielle Fragen zu befinden hatte, abschließend sogar als preisgekrönter Europapolitiker, dessen Arbeitsgebiet von der Harzer Straße bis ins rumänische Fântânele, Heimatort vieler Hausbewohner, reichte.373 Sein über jegliche Zweifel, Einflüsse und Konflikte erhabener Status spiegelte sich dabei auch in seiner Erscheinung wider: Mit Seidenschal, Hut und beständiger Zigarette glich er einer begeisterten Journalistin zufolge dem französischen Schauspieler und Sänger „Maurice Chevalier“374. Marx fand schließlich auch eine permanente räumliche Manifestation in zwei von ihm in Auftrag gegebenen Wandgemälden, die eine der Außenfassaden und eine gigantische Rückwand zierten. Ihre Motive sind dabei unmittelbar mit der Person und Biografie von Benjamin Marx verknüpft. Während letzteres Werk eine Szene der biblischen Bergpredigt darstellt, ist an der Wand zur Straße hin ein künstlerisches Konterfei Arnold Fortuins abgebildet – eines römisch-katholischen Pastors, der sich während der NS-Zeit aktiv gegen die Verfolgung von Sinti und Roma eingesetzt hatte und später Mentor des noch jungen Benjamin Marx war. 372 Ebd. 373 Vgl. Küpper, Mechthild: „Sie sind alle Europäer“: Interview mit Benjamin Marx, in: faz.net, 07.08.2014, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/benjamin-marxueber-seine-mustersiedlungen-fuer-roma-13083091.html [eingesehen am 30.10.2016]. 374 Interview mit der Hauptstadtkorrespondentin einer renommierten Tageszeitung.

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In Medien und Öffentlichkeit fanden Marx und sein Wohnprojekt eine an Lob und Anerkennung beispiellose Aufmerksamkeit. Berichte über den „legendäre[n] Projektinitiator“375, „Kümmerer“376 und rettenden „Patron“377 reihten sich aneinander. Das Haus, ehemals als „Schrottimmobilie“ verschrien, galt nunmehr als „Modell-“, „Vorzeige-“ und „Vorbildprojekt“378 einer gelungenen, ganzheitlichen und obendrein auch noch wirtschaftlich rentablen Integrationsarbeit. Um die Person Benjamin Marx etablierte sich die Erzählung eines Unternehmers, der sich aus eigener Initiative heraus eines umfassenden und komplexen Zuwanderungskonfliktes annahm und im Zuge dessen jegliche Grenzen überwand – seien sie nun finanzieller, kultureller, sozialer oder bürokratischer Art. Denn in der Tat erschienen Stadt, Politik, Verwaltung und Ämter in diesem Narrativ bestenfalls als zuschauende Akteure, für Marx selber mehr noch als lästiges Hemmnis. Von zahlreichen Anekdoten wusste Marx zu berichten; in ihrer Tendenz zeichneten sie allesamt das gleiche Bild eines rostigen und sperrigen Verwaltungsapparats, der den Macher Marx mehr behinderte, denn ihm zu helfen. Exemplarisch sei eine Episode der frühen Sanierungsarbeiten erwähnt: „Ich kam von der Hans-Fallada-Schule und hier von der Treptower Straße kamen ca. 25 Leute mit irgendwelchen Ordnern unter dem Arm. Wir trafen uns vorne vor der 65 und da baute sich jemand vor mir auf, der hatte – für Neukölln ungewöhnlicherweise – 375 John, Barbara: Ein Zwischenruf zur Wohnungspolitik. Roma in der Harzer Straße, in: Der Tagesspiegel, 09.09.2012, URL: http://www.tagesspiegel.de/meinung/ein zwischenrufzur-wohnungspolitik-roma-in-der-harzer-strasse/7111558.html

[einge-

sehen am: 16.10.2016]. 376 O. V.: Das Roma-Dorf und sein Bürgermeister, in: ZITTY.de, 26.06.2012, URL: http:// www.zitty.de/das-roma-dorf-und-sein-burgermeister/ [eingesehen am 31.10.2016]. 377 Haak, Julia: Ein Zuhause für Fremde, in: Berliner Zeitung, 01.09.2012, URL: http://www.berliner-zeitung.de/berlin/roma-in-berlin-ein-zuhause-fuer-fremde5813584/ [eingesehen am 31.10.2016]. Eine skeptisch pointierte Beschreibung der Funktion des „Patrons“ Benjamin Marx findet sich in Eva Ruth Wemmes ausgezeichnetem Buch über ihre Tätigkeit als Sozialarbeiterin für Roma in Neukölln: Meine 7000 Nachbarn, Berlin 2015, vor allem S. 162 f. 378 Vgl. o. V.: Das Roma-Dorf und sein Bürgermeister, in: ZITTY.de, 26.06.2012, URL: http://www.zitty.de/das-roma-dorf-und-sein-burgermeister/ [zuletzt eingesehen am 31.10.2016]; Loy, Thomas: Ein vorbildliches Zuhause, in: tagesspiegel.de, 23.12.2012, URL: http://www.tagesspiegel.de/berlin/integration-ein-vorbildlicheszuhause/7557886.html [zuletzt eingesehen am 31.10.2016]; Voigts, Hanning: Den Roma eine Chance, in: Frankfurter Rundschau, 06.02.2014.

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einen Anzug angehabt und ein weißes Hemd und Krawatte und hat mir dann erzählt, er wäre der Kandidat XY. Damals war gerade Wahl gewesen hier. Und da habe ich zu ihm gesagt, könne er sich sparen, ich wäre in Berlin nicht wahlberechtigt, was sie denn von mir wollten. Und ich bin dann mit ihm in den Innenhof gegangen und es war eigentlich eine sehr aggressive Stimmung. Also die Herrschaften sind erschienen, um dem neuen Eigentümer zu erzählen, was er denn alles zu machen hätte. Und dann habe ich dann vor dieser Mannschaft dann, da war Polizei, da war Migration, Integration und keine Ahnung, es war alles vertreten, habe ich denen dann erzählt, wer die ‚Aachener‘ ist, was wir hier machen wollen. Und die haben mich dann angeguckt und haben gesagt: ‚Na ja, lass den mal reden, das wird sowieso nichts.‘“379

Aus Sicht der Verwaltung hingegen erschien anfängliche Vorsicht gegenüber Benjamin Marx und dessen ambitioniertes Sanierungsvorhaben, zumal in einem derart brisanten Fall, durchaus angebracht. So erklärte sich eine involvierte Mitarbeiterin der Verwaltung: „Da waren wir am Anfang auch wirklich skeptisch. Ich sag einmal, man kann viel erzählen, wir wollten erst einmal sehen, was kommt da. Die ‚Aachener‘ war für uns auch keine Wohnungsbaugesellschaft, die groß in Berlin bekannt war, als Ruf oder so. Wenn die jetzt nochmal was kaufen würden, würde jeder jetzt wissen: ‚Ah, hmhm.‘ Das konnte in dem Sinne noch keiner und wir waren da sehr skeptisch. […] Über die ersten Zusammenkünfte berichtet Herr Marx meistens erstmal nicht so freundlich über das Bezirksamt, ist aber einfach dem geschuldet, dass wir eine völlig desolate Immobilie haben und wir sehr skeptisch waren.“380

Wie grundverscheiden die Herangehensweisen und Handlungsräume von Verwaltung und freier Wirtschaft im Falle der Harzer Straße waren, verdeutlicht eine Szene aus der zweiten Sitzung der noch in ihrer Konstituierung begriffenen „AG Harzer Straße“, zu der Benjamin Marx als (unerwarteter) Teilnehmer hinzutrat: „Wir konnten keine Enteignung durchführen, aber wir wollten halt eine ganz große Drohmannschaft aufbauen und gucken, wo finden wir am meisten Sachen, wo wir ihn in Geld treiben können, in Bußgelder. Das war der Punkt, den wir schaffen wollten. Als wir uns so vorbereitet haben, war in der zweiten Sitzung plötzlich Herr Marx, der sagt: ‚Ich hab es gekauft. Ich habe schon eine Liste von 100 Mängeln bekommen, ich werde das machen, nächste Woche wird schon ein Teil davon erledigt sein.‘ Und dann ging es los. Dazu muss 379 Interview mit Benjamin Marx. 380 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin.

182 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA man sagen, jemand aus der Wohnungswirtschaft, zumal nicht Sozialwohnungsbau, sondern wirklich freie Wohnungswirtschaft, kann natürlich total anders agieren.“381

Und dennoch blieben die Neuköllner Verwaltung und Lokalpolitik im Falle der Harzer Straße auch nach dem Abbau anfänglicher Zweifel keineswegs tatenlos. Vielmehr entwickelte sich die Harzer Straße für sie ebenso sehr zu einem Präzedenzfall, der in der Wahrnehmung und Handhabung von Zuwanderungskonflikten einen umfangreichen Wandlungsprozess in Gang setzte. Über den Sommer 2011 hinweg begann die Verwaltung, die jüngere Migration aus Südosteuropa in ihrem Bezirk auf die Agenda zu setzen und für sich handhabbar zu machen. Konkret bedeutete dies, dass die „AG Harzer Straße“ bald wieder ad acta gelegt wurde und an ihrer Stelle nunmehr die „Arbeitsgemeinschaft Roma“ mit einem vorrangigen Fokus auf den besonders frequentierten Neuköllner Norden gegründet wurde. Es dauerte nicht lange, bis die Arbeitsgemeinschaft ihre erste Publikation vorlegte und damit berlinweit für großes Aufsehen sorgte. Im September 2011 erschien der „Roma-Statusbericht“382: Er war vor allem eine Darstellung des bezirksinternen Status quo der Zuwanderung aus Südosteuropa, in dem EU-rechtliche Grundlagen, Problemfelder und Konfliktherde in der Integration der Migranten sowie bestehende Projekte, Beratungsstellen und Lösungsvorschläge aufgeführt waren: „Ziel ist es, gebündelt Auskunft über die auftretenden Schwierigkeiten durch die verstärkten Zuzüge von Rumänen und Bulgaren nach Neukölln zu geben.“383 Dreh- und Angelpunkt der medialen wie auch bezirksinternen Diskussionen, welche die Veröffentlichung nach sich zog, waren dabei weniger inhaltliche Passagen als vielmehr die grundsätzliche Herangehensweise der Bezirksverwaltung. Linke Zeitungen und Organisationen, unter ihnen auch unmittelbar an der Integrationsarbeit beteiligte Sozialhilfeträger, sahen in der Herausstellung des ethnisches Status durch den Bericht – der ohnehin rechtlich nicht zu erfassen sei – die Kulturalisierung sozialer Konflikte und damit die systematische Vertauschung eines Ursache-Wirkung-Prinzips. So erklärte ein Mitarbeiter einer Neuköllner Trägerorganisation: „[D]as ist auch ein bisschen unsere Kritik am Bezirk Neukölln. Dass eben diese Sondersachen sehr beliebt sind, zum Beispiel ist Neukölln der einzige Bezirk, der diesen ‚RomaStatusbericht‘ erstellt. Und das ist aus unserer Sicht einfach ein totales Tabu. Ich meine, da

381 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin. 382 Bezirksamt Neukölln von Berlin: Roma-Statusbericht. 383 Ebd., S. 3.

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fragen wir uns, wo ist der ‚Kurden-Statusbericht‘, oder wo ist der ‚Albaner-Statusbericht‘?“384

Die Verwaltungsspitze hingegen, wohl gewappnet gegen dergleichen Diskriminierungsvorwürfe, verteidigte die Idee und den Wert des Berichtes aus dessen praktischer Relevanz heraus: „Man hatte pressemedial die Aufmerksamkeit, was die freie Trägergemeinschaft nicht immer gut fand, weil wieder Stereotypen damit bedient werden: Andersrum sag ich auch immer, ich muss ja über die […] Dinge, die geschehen, auch berichten, sonst kann ich nichts ändern. Wenn ich nicht schreibe, dass wir überfüllte Häuser haben, dass wir da Müll- und Lärmprobleme haben, werde ich nicht dahin kommen, dass man an Lösungen arbeiten kann, weil ich die Probleme ja nie wahrheitsgemäß beschrieben habe.“385

Kurzum: Ob es sich bei Zuwanderern um Roma, Kurden oder Albaner handele, mache eben doch einen Unterschied. So jedenfalls lehre es der (bürokratische) Alltag: „[A]m Anfang war es wichtig, dass wir […], ich nenne es mal Spezialprojekte, haben, weil wir zwischen den Migranten unterscheiden mussten. Wir haben ja viele Integrationsprojekte und Unterstützungsprojekte, wir merkten aber, wenn wir einfach nur etwas öffnen, kommt die andere Gruppe noch längst nicht rein. Nur weil man zu diesem Instrument XY sagt: Das Angebot ist für alle offen. Natürlich können Rumänen, Bulgaren dahin kommen. Das hat einfach nicht geklappt. Also sind wir eigentlich dahin gekommen, erstmal über Spezialangebote, die dann erstmal homogen für diese Gruppe waren, zu arbeiten. Um die Möglichkeit zu finden, im nächsten Schritt Mischung zu erzielen.“386

Ungeachtet der konstant fortbestehenden Kritik an dieser sich selbst legitimierenden Argumentation war hierin doch einer der Leitgedanken des entstehenden bezirklichen Umgangs mit dem Phänomen Zuwanderung aus Südosteuropa formuliert. Über die folgenden Jahre hinweg lag er auch den drei weiteren, sukzessive umfangreicheren „Roma-Statusberichten“ zugrunde. Ihre Wirkung in Politik und Öffentlichkeit verfehlten sie gerade deshalb keineswegs. Nicht nur wurden zwei der Berichte ins Englische übersetzt, was ihren europaweiten Ausnahmecharakter unterstrich; darüber hinaus trugen sie maßgeblich dazu bei, eine bezirksübergreifende Debatte über den Umgang mit rumänisch-bulgarischer Mig384 Interview mit Sozialarbeiter 1. 385 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin. 386 Ebd.

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ration zu entfachen – und diese als in besonderem Maße betroffener, aber auch erfahrener Stadtteil zugleich maßgeblich mitzugestalten. Gewiss hatte es berlinweit auch schon vor dem Engagement des Neuköllner Verwaltungsapparates vereinzelte Beratungsstellen für Zuwanderer aus Südosteuropa gegeben, etwa die seit 2010 bestehende „Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sowie Roma“387. Dennoch: Bereits in der namentlichen Herausstellung der Pendelmigration, hinter der die Anfügung von „Roma“ ebenso unspezifisch wie ungelenk anmutete, wurde deutlich, dass sie vonseiten ihrer Förderer nicht mit einem ganzheitlichen Integrationsgedanken bedacht worden war. In den „Richtlinien der Regierungspolitik“, welche die neu gewählte Regierung unter Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zum Jahresbeginn 2012 dem Senat vorlegte, hieß es hierzu noch knapp: „Der Senat wird zusammen mit den Bezirken Angebote für Roma koordinieren und Wege zu ihrer Einbeziehung finden.“388 Bereits ein halbes Jahr später beschloss der Senat jedoch eine „Berliner Strategie zur Einbeziehung von ausländischen Roma“389. Diese enthielt einen „Überblick über die vom Senat initiierten Maßnahmen“ auf den Gebieten der „gesundheitlichen Versorgung“, der „Stärkung der Roma-Community“ und der „Arbeitsmarktorientierung“. Darüber hinaus war die Stadtpolitik sichtlich bemüht, einerseits einer humanitären Unterstützungsverpflichtung gegenüber den in „ihren Herkunftsländern oftmals […] stark durch Diskriminierung und prekäre Lebensverhältnisse“ geprägten Zuwanderern nachzukommen, andererseits sich aber auch zu einer Minimierung der „zusätzlichen Anreize zur Armutszuwanderung“390 zu positionieren. Damit trug das Berliner Strategiepapier nicht nur in dieser grundlegenden Position die Handschrift einer in den 1970er Jahren entstandenen Haltung gegenüber Zuwanderungsbewegungen. Die hierin zutage tretende „Doppelstrategie einer restriktiven Zuwanderungs- und einer liberaleren Integrationspolitik“ ist, wie der Soziologe Frank Gesemann bemerkt hat, Ausdruck eines „institutionalisierte[n] Dauerkonflikt[es]“,391 in dem sich Stadtpolitik und Verwaltung seit jeher befinden. Ein (vermeintlicher) Ausweg aus diesem Dilemma wurde und wird dabei immer wieder in der integrationspolitischen Fo387 Für eine Auflistung ihrer Arbeitsfelder vgl. Bezirksamt Neukölln von Berlin: 4. RomaStatusbericht, S. 26. 388 Der Regierende Bürgermeister: Vorlage – zur Beschlussfassung – über Billigung der Richtlinien der Regierungspolitik, 03.01.2012, Drucksache 17/0077, S. 8. 389 Der Senat von Berlin. SenArbIntFrau – III B: über: Berliner Strategie zur Einbeziehung von ausländischen Roma, 07.08.2012, Drucksache 17/0440. 390 Ebd., S. 2. 391 Gesemann: Berlin, S. 308.

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kussierung auf Kinder und Jugendliche und hierbei insbesondere deren Eingliederung in das Bildungssystem gesucht. In der Fokussierung auf „junge Roma“ in Berlin spiegelte sich dieser Ansatz auch allzu deutlich im Berliner Strategiepapier wider. Ganz konkret ging aus ihm auch eine „Lenkungsgruppe Roma“ hervor, für die der „Rat der Bürgermeister“ neben einzelnen Abteilungen der Senatsverwaltung Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Tempelhof-Schöneberg auch Neukölln benannt hatte.392 Diese Lenkungsgruppe zeichnete nunmehr maßgeblich verantwortlich für den „Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma“393, der wiederum ein Jahr später, im Juli 2013, beschlossen wurde. Er enthielt konkrete Vorschläge und Handlungsanweisungen, wie die Stadt in einem ständigen Kommunikations- und Austauschprozess zwischen Senat, Bezirksverwaltungen, Ämtern und NGOs den Problemen im Bereich von gesundheitlicher Versorgung, Wohnraum sowie Bildung und Jugendarbeit begegnen könne. Vor allem auf dem Gebiet der Integration junger Zuwanderer in und über den Schulalltag enthielt der „Aktionsplan Roma“ einige durchaus weitreichende Maßnahmen. Durch die Implementierung von „Lerngruppe[n] für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse“394 – so der verwaltungstechnische Ausdruck für „Willkommensklassen“ – wurde ein Klassenmodell in den Berliner Bildungsbetrieb aufgenommen, das in den kommenden Jahren deutschlandweit und über den Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa hinaus Anwendung fand. Gewiss zeigten die Willkommensklassen wieder einmal die strukturellen Wahrnehmungsdifferenzen zwischen Verwaltung und Selbstorganisationen, insbesondere in Neukölln. Während die Verwaltung die pragmatische Notwendigkeit des neuartigen Klassentyps herausstellte, betonte Amaro Foro e. V. in einer öffentlichen Stellungnahme, trotz einer grundsätzlich begrüßenden Haltung des Aktionsplans, die potenzielle „Gefahr der Segregation und Sonderbehandlung“395. Die Willkommensklassen sind jedoch noch aus einer zweiten Warte von Interesse für das Verständnis der Neuköllner Integrationspolitik. Schließlich waren sie noch vor ihrer Integration in den offiziellen „Aktionsplan Roma“ ein spezifi392 Vgl. ebd. 393 Der Senat von Berlin. SenArbIntFrau – III B: Berliner Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma, 19.07.2013, Drucksache 17/1094, URL: http://www.parlamentberlin.de/ados/17/IIIPlen/vorgang/d17-1094.pdf [eingesehen am 31.10.2016]. 394 Ebd., S. 8. 395 Amaro Foro e. V.: Pressemitteilung vom 07.08.2013. Amaro Foro e. V. über den Berliner „Aktionsplan Roma“, URL: http://www.amaroforo.de/pressemitteilung%C3%BCber-berliner-aktionsplan-zur-einbeziehung-ausl%C3%A4ndischer-roma/ [eingesehen am 29.10.2016].

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sches Neuköllner Modellprojekt gewesen. Ihre erstmalige Anwendung fanden sie, wie die damalige Bildungsstadträtin und heutige Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey erläutert, in der direkten Auseinandersetzung mit dem Konflikt in der Harzer Straße: „[W]ir haben gesagt, wir müssen die [neu zugewanderten Schulkinder, Anm. d. V.] irgendwie vorbereiten. Ja? Auf die normale Klasse. Und dann gab’s nichts und dann hieß es: ‚Ja, wir können temporäre besondere Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse machen.‘ […] Und dann haben wir gesagt, wir nennen das Willkommensklassen und haben das dann gemacht. Und [wir] haben eine Sommerschule gemacht, haben die ersten Willkommensklassen gehabt. Das war in Neukölln, das war mit den rumänischen Kindern in der Harzer Straße.“396

Ausführlich erinnert sich eine Mitarbeiterin der Verwaltung an den kuriosen Beginn einer auf Zuwanderer aus Südosteuropa ausgerichteten Bildungspolitik: „Ich hab im Sommer 2012 die erste Sommerschule gemacht. Das war ein absoluter Modellversuch. Ich habe das innerhalb von zwei Wochen organisiert. Ich habe Menschen per Telefon angeheuert. (Lacht) Das war eine ganz verrückte Zeit. Das war aber irgendwie möglich, kann ich mir heute gar nicht mehr vorstellen. Das ist schon alles so ausgetreten jetzt, das ist alles schon so reguliert in den Bereichen.“397

Was in dieser Episode anklingt, ist eine für Verwaltungen, zumal die Berliner, dem Vernehmen nach recht ungewöhnliche Aufbruchsstimmung. Sicherlich mag eine nachträgliche Selbststilisierung der eigenen Rolle die Erinnerung an diese konstituierende Phase ein wenig verzerren. Und dennoch: Auch so gibt sie Auskunft über einen weitreichenden Aneignungs- und Institutionalisierungsprozess der Verwaltung, der in der Harzer Straße seinen Ausgang genommen und von hier aus über den Bezirk bis in die Stadt- und Bundespolitik hineingewirkt hat. Zugleich zeichnen sich hierin jedoch genauso auch die Grenzen des kommunalen Umgangs mit Zuwanderungskonflikten ab. Denn so umfassend und wirkmächtig die Initiativen der Verwaltung in dieser Hinsicht erscheinen mögen, so sehr waren sie im Prozess ihrer Entstehung doch von Trägheit, Langatmigkeit, unauflöslichen Meinungsdivergenzen, halbgaren Kompromissen und nicht zuletzt von finanziellen Engpässen geprägt. Die so häufig betonte Stärkung der „Community“ und ihrer organisierten Vertreter hat schließlich wenig daran ändern können, dass sich die Sozialhilfeträger auch im traditionsreichen Neukölln 396 Interview mit Franziska Giffey. 397 Interview mit einer Verwaltungsmitarbeiterin.

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von Fördermittelantrag zu Kostenbewilligung, von halber Stelle zur nächsten Kurzzeitfinanzierung hangeln mussten (und müssen). Vor dem Hintergrund der Neuköllner Migrationsgeschichte ist umso bedeutender, dass der Bezirk in den letzten fast vierzig Jahren immer wieder, und so auch in diesem Fall, als Vorreiter und Avantgarde kommunaler Integrationspolitik hervortrat. Kaum ein Stadtteil Berlins, wenn nicht gar Deutschlands ist deutlicher durch die Zuwanderung zumeist geringqualifizierter Arbeitskräfte geprägt. Eben hierdurch konnte, ja musste sich innerhalb eines begrenzten monetären Rahmens ein dichtes Gewebe an Migrations- und Verwaltungsstrukturen entwickeln, das ermöglichte, auf neu aufkommende Konfliktfelder vergleichsweise schnell und umgreifend zu reagieren. Mit Blick auf die Harzer Straße schien jedoch etwas ganz anderes ausschlaggebend für den Erfolg des Wohnprojektes zu sein. Während der Fall für die Verwaltung gleichsam zum Auftakt und Vorbild einer umfassenden Integrationspolitik avancierte, in der man sich in der eigenen Arbeit orientieren wollte und in die man, wenn auch nur auf indirekte Weise, über die Etablierung von Willkommensklassen und die Finanzierung ansässiger Sozialhilfeträger hineinwirkte, wurde die Harzer Straße öffentlich doch primär als steingewordene Manifestation städtischen Versagens, als ein der Stadt vorgeführtes und sie gleichsam vorführendes Projekt erinnert. Niemand brachte diese durch die gesamte Medienlandschaft grassierende Haltung so deutlich zu Papier wie die ehemalige Ausländerbeauftragte Barbara John. In einem „Zwischenruf zur Wohnungspolitik“ im Tagesspiegel bemerkte sie: „Die Baufirma setzt mit ihrem Engagement Maßstäbe, wie arme, bildungsferne Osteuropäer, insbesondere Roma, überhaupt eine klitzekleine Chance bekommen, eines Tages in Berlin auf eigenen Füßen stehen zu können. Wäre nämlich der inzwischen legendäre Projektinitiator Benjamin Marx nicht gekommen, würden die Familien noch immer in den vermüllten, rattenverseuchten Häusern vegetieren, die der überschuldete Eigentümer schließlich den Kölnern günstig verkaufen musste. […] Was aber wird aus den vielen heruntergekommenen Häusern, in denen noch viele Arbeitssuchende aus Osteuropa hausen? Eifern jetzt die berlineigenen Wohnungsbaugesellschaften nach? Schaffen sie auf Anweisung des Senats bezahlbare Wohnungen mit umfassender sozialer Betreuung für Armutsmigranten? Wohl kaum. Politische Zwänge und Abwägungen hindern sie daran.“398 398 John, Barbara: Ein Zwischenruf zur Wohnungspolitik. Roma in der Harzer Straße, in: Der Tagesspiegel, 09.09.2012, URL: http://www.tagesspiegel.de/meinung/ein zwischenrufzur-wohnungspolitik-roma-in-der-harzer-strasse/7111558.html sehen am 16.10.2016].

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Lob und Anerkennung – das macht John unmissverständlich deutlich – gebührten allein Benjamin Marx und seiner Aachener Wohnungsbaugesellschaft. Auch wenn sie in der Härte ihres Urteils den trotz aller Konflikte und Beschuldigungen doch kooperativen Charakter des Wohnprojektes in der Harzer Straße übersieht, wirft ihr Beitrag ein interessantes Schlaglicht auf den tatsächlichen Modellcharakter der Harzer Straße. Denn in der Tat besaß Benjamin Marx als Vertreter der Aachener Wohnungsbaugesellschaft einen Handlungsspielraum, der denjenigen kommunaler Akteure bei Weitem überstieg und den er in seiner Arbeit und Selbstinszenierung vollkommen auszuschöpfen schien. Die Harzer Straße offenbarte insofern sowohl die ganzheitlichen Möglichkeiten der Konfliktbewältigung im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa als auch ihre Grenzen. Sie war, kurzum, eben doch mehr Leuchtturm- als Modellprojekt.

2.5 „E S

WIRD JA NUR NOCH GEGUCKT , WAS HABE ICH VON DEM M ENSCHEN , WENN ICH IHN HIERBEHALTE .“ M EDIENDYNAMIK UND K ONFLIKTE UM D ELINQUENZ IN K ÖLN

Zwischen 1980 und 1994 immigrierten ca. 250.000 Roma in die Bundesrepublik.399 Der Großteil von ihnen stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien; nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kam ein weiterer großer Teil aus Rumänien und Bulgarien hinzu. Diese Migrationsprozesse bildeten die Grundlage der politischen Auseinandersetzungen, die 1993 in den sogenannten Asylkompromiss mündeten: die umfassendste Einschränkung des Asylgesetzes, seit das Grundrecht auf Asyl in das Grundgesetz aufgenommen worden war. Schon seit den späten 1970er Jahren fanden sich in Bundestagsdebatten eine ganze Reihe von Begriffen, die fortan als Signifikanten eines neuen Bedrohungsszenarios zum Einsatz kamen: „Scheinasylanten“, „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Flüchtlingswelle“ sind nur die prominentesten unter ihnen. In diesem Kontext bundesweiter Auseinandersetzungen spielten sich die lokalen Konflikte um die geflüchteten Roma ab, die sich ab 1986 in Köln niederließen. Der Kölner Konflikt setzte im Herbst 1986 ein, im Zuge der Ankunft einer Vielzahl von Roma-Familien am Rande der Stadt; die Reaktionen der Stadtver-

399 Vgl. Fings, Karola/Glocksin, Günther/Jonuz, Elizabeta: Im Teufelskreis von Diskriminierung, Verelendung und Vertreibung, in: Schopf, Roland (Hrsg.): Sinti, Roma und wir Anderen. Beiträge zu problembesetzten Beziehungen, Hamburg 1994, S. 109–152, hier S. 110 f.

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waltung in den ersten Monaten sind vermutlich auf das kollektive Gedächtnis der Verwaltung zurückzuführen. Bereits knapp zehn Jahre zuvor waren 109 Roma nach Köln eingereist, die aus den Niederlanden abgeschoben worden waren. Weil sie staatenlos waren, verweigerte ihnen die Stadt Köln die Arbeitserlaubnis und erteilte zunächst nur einmonatige Duldungen mit der Einschränkung, dass die Familien Köln nicht verlassen durften. Fünf Monate dauerten die Auseinandersetzungen mit der Stadt Köln an, ehe die Familien schließlich die Stadt wieder verließen. Innerhalb dieser fünf Monate zahlte die Stadt den 109 Personen, von denen mehrere zwischenzeitlich aus ausländerrechtlichen Gründen verhaftet wurden, insgesamt 108.000 Mark an Sozialgeldern aus.400 Entsprechend verarmt reisten die Roma schließlich nach mehrmonatigen Protesten ab.401 Dieser Umgang mit Roma ist nicht als Spezifikum der Stadt Köln im Umgang mit Roma in den 1970er Jahren zu betrachten, sondern war – darauf verweist Wolfgang Feuerhelm in seiner Studie aus dem Jahr 1987402 – paradigmatisch für den Umgang von Verwaltung und Polizei mit „Zigeunern“ in den 1970er Jahren. Wenngleich sich in den 1970er Jahren die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in der Bundesrepublik etablierte, zeigten die erlernten Handlungsmuster der Kölner Verwaltung gegenüber „Zigeunern“ eine Beharrlichkeit, die bis in die 1980er Jahre reichte. Denn auch zehn Jahre später war die Strategie, die Gruppen zum Weiterziehen zu bewegen, zunächst deutlich erkennbar. Nur hatten sich inzwischen die politischen Rahmenbedingungen geändert. Zur Rekonstruktion eines Konfliktes, der sich über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinzog, wurden Gespräche mit Zeitzeugen, Mitarbeitern der städtischen Verwaltung und Mitgliedern des Rom e. V. geführt. Ferner wurde eine mediale Diskursanalyse eines zentralen Konfliktstrangs, der die gesamten zwanzig Jahre durchzieht, vorgenommen. Denn die Debatte über die sogenannten Klau-Kids war sowohl für die Entwicklung des Konflikts in den 1980er Jahren als auch für dessen Beilegung fast zwanzig Jahre später von entscheidender Bedeutung. Dementsprechend kommt im Folgenden der medialen Berichterstattung und den Strategien der Kölner Polizei im Zuge der Konfliktentwicklung erhöhte Be400 Vgl. Rakelmann, Georgia A.: Zigeunerpolitik als Medienereignis. Sozialpolitik mit Zigeunern in der Bundesrepublik, in: Gronemeyer, Reimer (Hrsg.): Eigensinn und Hilfe: Zigeuner in der Sozialpolitik heutiger Leistungsgesellschaften, Giessen 1983, S. 349–465, hier S. 460. 401 Vgl. Seibert, Wolfgang: Nach Auschwitz wird alles besser. Die Roma und Sinti in Deutschland, Hamburg 1984, S. 15 ff. 402 Siehe Feuerhelm, Wolfgang: Polizei und „Zigeuner“. Strategien, Handlungsmuster und Alltagstheorien im Umgang mit Sinti und Roma, Stuttgart 1987.

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achtung zu. Ihnen vorangestellt ist eine knappe Konfliktchronologie, die bis ins Jahr 2013 hinein Agitationen verschiedener Akteure, die in den Konflikt hineingewirkt haben, skizziert. In einem weiteren Schritt folgt die Beschreibung von Aktivitäten seitens städtischer Verwaltungseinrichtungen und des Rom e. V. als weitere Akteure in dem Konflikt. Der Fall zeigt recht deutlich die Relevanz und den Wandel antiziganistischer Deutungsmuster in Konflikten um Roma. Konfliktchronologie Zwischen Herbst und Winter 1986 landeten über hundert Familien, mehrheitlich aus dem ehemaligen Jugoslawien, in Köln. Zunächst schlugen sie am Butzweilerhof, auf einem Brachgelände im Nordwesten der Stadt, ein Lager auf; ein zweites entstand in Köln-Dellbrück. Die Familien befanden sich in einer prekären Situation: Teilweise waren ihre Wohnwagen defekt, der Winter brach ein. Das Kölner Sozialamt verweigerte zunächst die Bewilligung von Sozialhilfe nach §120 Abs. 2 BSHG;403 auch Anträge auf die Erteilung von Arbeitserlaubnissen und Gewerbescheinen wurden abgelehnt.404 Ab Februar 1987 kam es in der lokalen Presse vermehrt zu Berichten über Taschendiebstähle von Kindern und Jugendlichen. Die Artikel betonten die Herkunft der Kinder von den beiden Plätzen. Die Debatte über die „Klau-Kids“ erreichte ihren Höhepunkt im April 1987. Parallel dazu kam es im Umfeld des Butzweilerhofes zu Übergriffen auf Bewohner des Platzes. Die Stimmung in der Stadt war aufgebracht und das Verhalten der zuständigen Behörden geriet unter Beschuss. Der Landesverband der deutschen Sinti und Roma distanzierte sich in einem Zeitungsbericht von „Diebstählen und Betteleien“.405 Vonseiten der Polizei wurde medial und über die Staatsanwaltschaft Druck auf das Jugendamt ausgeübt, um die straffällig gewordenen Kinder aus ihren Familien zu holen und in Heimen geschlossen unterzubringen, was letztlich durch den Leiter des Jugendamtes auch veranlasst wurde406 – ein Beschluss, der kurze Zeit später vom Landgericht kassiert wurde. Weder für den Umgang 403 Vgl. Sobeck, Silvia/Jochum, Paul: Überlegungen zur Lösung des Problems der aus Osteuropa stammenden, sich zurzeit in Köln aufhaltenden Zigeuner. (Sie selbst nennen sich Roma – die Presse ist inzwischen zur Bezeichnung „Landfahrer“ übergegangen), Reinheim 1988, S. 15. 404 Vgl. o. V.: Chronik einer Inszenierung, in: StadtRevue, H. 7/1987, S. 24–26, hier S. 24. 405 Vgl. Wysocki, Cordula v.: Wenn Kinder die Tricks der Taschendiebe lernen, in: Kölnische Rundschau, 24.03.1987. 406 Vgl. Interview Polizist Köln, in: o. V.: Chronik einer Inszenierung, S. 24.

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mit den tatverdächtigen Kindern noch mit den Familien am Butzweilerhof schienen kohärente Konzepte vorzuliegen.407 Daraufhin schlossen sich Anwohner zusammen, um „eine Art Überlebenshil408 fe“ zu leisten. Daraus entstand die „Kölner Roma-Initiative“, die sich in der Folge für die Gewährung von Bleiberecht für Roma einsetzte und 1987 eine erfolgreiche Beschwerde beim Presserat wegen der Berichterstattung in den Kölner Lokalmedien einreichte. In der Auseinandersetzung mit der Stadt wurde im Juni 1988 eine befristete Aufenthaltserlaubnis für hundert Roma und deren Unterbringung in Wohnungen erreicht, die an die Übernahme sogenannter Patenschaften für die Familien durch Unterstützer gekoppelt wurde.409 Den Familien sollte ein gestaffeltes Bleiberecht gewährt werden, das in ein unbefristetes Bleiberecht münden würde, sofern keine „Hinderungsgründe“ bestünden.410 In einem Großteil der Fälle war dieses „Kölner Modell“ zunächst erfolgreich.411 Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre gab es eine Vielzahl von Solidaritätsaktionen mit den Kölner Roma aus der linken und autonomen Szene. Es kam zu Besetzungen und Protestaktionen, bei denen die Aktivisten immer wieder eine Kontinuität zwischen der nationalsozialistischen Verfolgung der Roma und dem gegenwärtigen Vorgehen von Polizei und Behörden monierten. Zugleich baute ein bürgerliches Lager von Unterstützungsgruppen Verbindungen zu regionalen Kirchen auf, die Kirchenasyl gewährten. Schon 1988 zeigten die politischen Aktivitäten erste Erfolge: Auf städtischer Ebene wurden verschiedene Einrichtungen geschaffen, die – dem migrationspolitischen Verständnis der auslaufenden 1980er Jahre und den Empfehlungen einer ethnisierten Expertise entsprechend – versuchten, spezifische, einer als gesondert betrachteten Kultur der Roma entsprechende Angebote zu schaffen.412 Auch erfolgte nach einem neuerlichen Anstieg der Zahl von Taschendiebstählen 407 Vgl. Sobeck/Paul: Überlegungen, S. 15 f. 408 Interview 1, Rom e. V. 409 Vgl. Fings/Glocksin/Jonuz: Im Teufelskreis von Diskriminierung, Verelendung und Vertreibung, S. 110 f. 410 Vgl. Interview 1, Rom e. V. 411 Vgl. Kölner Roma-Initiativen (Hrsg.): Das Kölner Datentausch-Modell. Sondererfassung der Roma durch die „Zentrale Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten“ der Stadt Köln: Modell für die bundesweite Einrichtung neuer „Landfahrer-Zentralen“?, Köln 1990. 412 Näheres zur Differenzierung von Roma in der sozialen Arbeit anhand ethnischer Kriterien bei Bommes, Michael/Koch, Ute: Die Organisation von Hilfe – kein politisches Programm zur Gleichstellung, in: Merten, Roland/Scherr, Albert (Hrsg.): Inklusion und Exklusion in der sozialen Arbeit, Wiesbaden 2004, S. 75–96, hier S. 84.

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im Jahr 1988 die Initiierung eines neuen Projektes, mit dem das Jugendamt versuchte, einen anderen Weg einzuschlagen und über von der Polizei überbrachte Kinder in einem offenen Projekt die Identität der Eltern festzustellen, um auch familienpädagogisch arbeiten zu können. Die Kölner Polizei, so berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Ende 1988, überwachte die Maßnahmen systematisch, um dem Jugendamt eine Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht nachzuweisen.413 1991 berichtete die Kölnische Rundschau über den Erfolg des Projektes und über Pläne, es aufgrund des außerordentlichen Erfolges wieder einzustellen.414 1988 wurde aus der „Kölner Roma-Initiative“ heraus der Rom e. V. gegründet. 1990 kam es zu einer Reihe von öffentlichen Aktionen. Unter anderem wurde der Kölner Dom von 400 Roma besetzt, um das Bleiberecht einzufordern; auch fand im Januar 1990 ein mehrwöchiger „Bettelmarsch“ durch mehrere nordrhein-westfälische Städte statt, an dem sich 1.700 Roma beteiligten, um eine Gruppenregelung ihres Status zu erreichen. Der Marsch wurde abgebrochen, als der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD) denjenigen Antragstellern aus den Balkanstaaten, die sich bereits vor dem 12. Januar 1990 in NRW aufgehalten hatten, ein Bleiberecht versprach.415 Die Landesregierung handelte stattdessen jedoch mit der mazedonischen Regierung ein „ReIntegrationsprogramm“ aus, das die Rückführung von 1.400 Roma und den Bau von Unterkünften in der Region um die Stadt Skopje beinhaltete. Im Sommer 1991 errichteten Roma und deutsche Aktivisten vor dem Düsseldorfer Landtag ein Protestcamp, um gegen die Rückführungen und die in ihren Augen widerrechtliche Verwendung von Daten zu protestieren; denn die Informationen stammten aus der 1988 im Zuge der Duldungsvergabe an einzelne Roma gegründeten „Zentralen Anlauf- und Beratungsstelle für ethnische Minderheiten“ sowie aus Interviews, die in Erwartung des Erhalts eines Bleiberechts aufgrund von Schnoors Zusage geführt worden waren.416 Zu Beginn der 1990er Jahre entstanden weitere Flüchtlingsunterkünfte insbesondere in den rechtsrheinischen Stadtteilen Kölns, in denen diejenigen Roma, die Anträge auf Asyl gestellt hatten, untergebracht wurden. Flüchtlinge aus der 413 Vgl. o. V.: Dicke Knüppel, in: Der Spiegel, H. 48/1988, S. 90–93. 414 Vgl. o. V.: Weniger Straftaten der Roma – Kinder, in: Kölnische Rundschau, 20.03.1991. 415 Vgl. Fings/Glocksin/Jonuz: Im Teufelskreis von Diskriminierung, Verelendung und Vertreibung, S. 111 f. Aufgrund starken Drucks sowohl aus der Opposition als auch aus dem eigenen Kabinett zog Schnoor am 04.12.1990 den Erlass jedoch zurück. 416 Näheres hierzu in: Fings/Glocksin/Jonuz: Im Teufelskreis von Diskriminierung, Verelendung und Vertreibung.

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Balkanregion wurden hier in der Regel gemeinsam untergebracht. In den beginnenden 1990er Jahren wurden die sozialpädagogischen Betreuungsmaßnahmen weitestgehend eingestellt. Das personelle und finanzielle Engagement der Kommune wurde zurückgefahren und die „Semantik moralischer Schuld“417, die gerade aufgrund der Ausgrenzung der Roma aus der Kölner Gesellschaft zu Versuchen einer aktiven Integrationspolitik geführt hatte, büßte ihr Mobilisierungspotenzial ein. In den 1990er Jahren stiegen im Zuge der Jugoslawien-Kriege die Zahlen der nach Köln migrierenden Roma abermals an. Insbesondere für die neu migrierten Roma, jedoch auch für Teile derer, die in den 1980er Jahren einen zeitweiligen Aufenthaltstitel erhalten hatten, wurden in den folgenden Jahren im Regelfall lediglich Duldungen für mehrere Monate erteilt. 1995 kam es zu einer Razzia in einer Flüchtlingsunterkunft in Köln Poll, in der Roma untergebracht waren. Grund für die Razzia war der Fund eines noch lebenden Neugeborenen in einem nahegelegenen Park. Der behandelnde Arzt hatte festgestellt, dass das Kind eventuell Eltern aus dem südeuropäischen Raum haben könnte, da es eine leicht dunklere Pigmentierung als die meisten deutschen Kinder aufgewiesen habe. 150 Polizisten umstellten um neun Uhr morgens die Unterkunft, drangen entgegen der Bitte der Heimleitung ohne Vorwarnung in die Zimmer ein und holten die Frauen aus den Betten. Im Zuge der Razzia wurden 39 Frauen von Polizeiärzten Blutproben entnommen, drei Frauen wurden aufgrund einer Zeugenaussage gynäkologisch untersucht – ergebnislos. Die Mutter des Kindes wurde nicht ermittelt und infolgedessen erstattete der Rom e. V. Strafanzeige gegen die zuständigen Staatsanwälte sowie die Kölner Polizei wegen Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung.418 1997 wurde bei der Kripo Köln die Ermittlungskommission (EK) „Tasna“419 mit zwischenzeitlich bis zu 35 Mitarbeitern eingerichtet. Sie sollte den Taschendiebstahl im Innenstadtbereich eingrenzen und war dabei dezidiert auf von Roma begangene Delikte ausgerichtet.420 Ende 2002 kam es zu einer umfassenden Abschiebeaktion durch die neue Chefin der Ausländerbehörde: 22 von 85 Roma, 417 Koch, Ute: Herstellung und Reproduktion sozialer Grenzen. Roma in einer westdeutschen Großstadt, Wiesbaden 2005, S. 236 418 Vgl. o. V.: Völlig verängstigt, in: Der Spiegel, H. 18/1995, S. 66–67; Voell, Norbert: Dunkle Haut, in: Die Zeit, H. 23/1995, URL: http://www.zeit.de/1995/23/Dunkle _Haut [eingesehen am 25.10.2016]. 419 Serbokroatisch für „Tasche“. 420 Vgl. Polizeibericht der Pressestelle der Polizei Köln vom 04.05.2004 (einsehbar im Archiv des Rom e. V.). Im Bericht wird von einer „illegal eingereisten ethnischen Minderheit“ gesprochen – eine Chiffre, welche die Kölner Polizei während dieses Zeitraums regelmäßig in Presseberichten zur Benennung von Roma gebrauchte.

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für die ein Ausreisebescheid erteilt worden war, wurden nach teilweise mehr als zehnjähriger Duldung abgeschoben. Betroffen waren auch Familien sogenannter Klau-Kids. Ab 2002 folgte, dem rasanten Anstieg der Deliktzahlen entsprechend, eine erneute Berichterstattungswelle über „Klau-Kids“. Der Rom e. V. kritisierte infolge der Veröffentlichung eines im Stile eines Fahndungsbilds aufgemachten Artikels mit Echtbildern von Kindern im Kontext der Berichterstattung über „Klau-Kids“ im Kölner Express die mediale Berichterstattung. Auch um den Umgang der Polizei, insbesondere der EK „Tasna“, mit den Kindern kam es zu öffentlichen Auseinandersetzungen, als 2003 bekannt wurde, dass Ermittler der EK „Tasna“ Kinder, die an der Domplatte aufgegriffen worden waren, infolge eines Verhörs körperlich untersucht und protokolliert hatten. Die Kinder mussten u. a. ihre Unterwäsche auf Kniehöhe herunterlassen und Lichtbilder von verschmutzter Unterwäsche wurden zu Protokoll gegeben. Infolge der Veröffentlichung dieser Praktiken warf der Rom e. V. der EK „Tasna“ vor, weiterhin an diesen Praktiken festzuhalten.421 Die Berichterstattung über „Klau-Kids“, die sich zuspitzenden Verlautbarungen von Hilflosigkeit seitens der EK „Tasna“ in den Medien, die Kontroverse über die zweifelhaften Praktiken der Ermittlungskommission sowie die Forderungen der städtischen Opposition aus SPD und FDP nach einem Eingreifen des Jugendamtes und der Unterbringung der straffällig gewordenen Kinder in geschlossenen Heimen422 setzten die Kölner Regierungskoalition aus CDU und Grünen unter Handlungsdruck. Einige Monate zuvor hatten Mitarbeiter des Rom e. V. in Frankfurt das Projekt „Schaworalle“ besucht, woraufhin sich der Verein entschied, in Köln ein ähnliches Projekt anzustreben.423 Das Kölner Projekt bestand aus einer gesonderten schulischen und familienpädagogischen Einrichtung für Roma und erhielt den Namen „Amaro Kher“ („Unser Haus“ auf Romanes). Es nahm seine Arbeit im Sommer 2004 auf und war Bestandteil einer weitergehenden Initiative der Kölner Stadtverwaltung, die in der Koordination von Jugendamt, Ordnungsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft ein umfassendes Handlungskonzept erstellen wollte.424 Im Zuge dieser Debatte fand auf Landesebene eine Diskussion über eine Reform der Schulpflicht statt; diese zielte auf die Ausweitung der Schulpflicht auf Menschen, die sich in Verfahren um die Anerkennung ihres Asylan421 Vgl. Presseerklärung des Rom e. V. vom 29.10.2003 (einsehbar im Archiv des Rom e. V). 422 Vgl. Pieper, Kirsten: Kontroverse um Kölner „Klau-Kids“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 13.11.2003. 423 Vgl. Interview 1, Rom e. V. 424 Vgl. o. V.: „Klaukids“ in Köln. CDU und Grüne für besonnenes Handeln“, in: Rathaus Ratlos, H. 11/2003, S. 5.

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trags befanden oder über einen Duldungsstatus verfügten. Sie mündete schließlich in einer Reform des Schulgesetzes, die Mitte Februar 2005 beschlossen wurde. Der Rom e. V. etablierte sich in den Folgejahren als wichtiger Akteur in Fragen des Umgangs mit Roma in Köln. Er leistete Kulturarbeit, baute seine Sozialberatung aus, betreute Kinder und suchte die Kooperation und Kontroverse mit städtischen Stellen. Mediale Konfliktlinie: Die Debatte über „Klau-Kids“ in Köln Die Debatte über die „Klau-Kids“ in den Kölner Lokalmedien erstreckt sich über einen langen Zeitraum. Sie bildet die zentrale Linie eines lokalen Konfliktes, der sich um die Chiffre „Roma“ entwickelt hat. Für die folgende Analyse wurden in Bezug auf die von Kindern und Jugendlichen verübten Taschendiebstähle insbesondere die Lokalzeitungen Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau und Kölner Express ausgewertet; vereinzelt wurde noch auf Artikel aus der BildZeitung, der kurzzeitig erschienenen Zeitschrift Ja – die Zeitungsillustrierte sowie aus dem Magazin Der Spiegel zurückgegriffen. Für den Zeitraum von 1987 bis 2006 wurde eine qualitative Medienanalyse durchgeführt. Bei der Konstitution städtischer Identitäten, darauf verweist Gabriela B. Christmann, kommt den Lokalmedien eine wichtige Funktion zu – sind diese doch der Austragungsort für Diskurse, die ebendiese Identität betreffen.425 Die besondere Bedeutung der Lokalmedien für die Aushandlung einer städtischen Identität macht sie ferner zum Austragungsort für Konflikte um Zugehörigkeit und Fragen der Außenwirkung der Stadt – zwei Elemente, die als essenziell für die kollektive Identitätsbildung angesehen werden können. Die Rekonstruktion der medialen Konfliktlinie ist wesentlich für den Kölner Konflikt, da die Interaktion zwischen anderen Akteuren des Konfliktes und den Lokalmedien als einer eigenständig agierenden Instanz maßgeblich den Konfliktverlauf beeinflusst hat. Die Medien haben somit sowohl als Artikulationsraum als auch als Akteur im Konflikt dessen Dynamiken in hohem Maße geprägt. Die Kommunikation über den Konflikt ist primär im medialen Raum angesiedelt; dieser ist, bedingt durch die Struktur des medialen Feldes, zugleich ein Artikulationsraum geteilter Meinungen und Annahmen wie auch Katalysator von Positionen, die weitere Akteure vertreten. Dementsprechend strukturiert die Gatekeeper-Funktion der Medien 425 Vgl. Christmann, Gabriela B.: Stadtdiskurse und städtische Identität am Beispiel von Dresden: eine wissenssoziologische Diskursanalyse, in: Rehberg, Karl-Siegbert/ Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Hrsg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München, Teilbd. 1 und 2, Frankfurt a. M. 2006, S. 599–614.

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in hohem Maße das Konfliktfeld vor: Wer zu Wort kommt, wie Aussagen interpretiert und rezipiert werden, welche Bilder von Akteuren und sozialen Gruppen produziert werden, welcher Rahmen für die Konstruktion der grundlegenden Strukturen des Konfliktes vermittelt wird: All das sind Fragen der öffentlichen Kommunikation, in der Medien eine zentrale Rolle spielen. Im Folgenden soll in verschiedenen Konfliktphasen ebendiese Konstruktionsmacht der Medien analysiert werden. Phase I: 1987–1989: „Die Schwierigkeit, die Wahrheit zu sagen …“ Die Berichterstattung über Taschendiebstahl durch „Landfahrerkinder“ begann im Frühjahr 1987. Zunächst erwähnt in kleineren Artikeln, die den Ablauf schilderten und Tatverdächtige sowie den Umgang der Polizei mit dem Phänomen der nicht straffähigen, da meist noch zu jungen Täter beschrieben, kam dem Phänomen schnell eine erhöhte mediale Aufmerksamkeit zu. In dieser Phase, die in der Forschung zu medialen Skandalen als „Latenzphase“426 bezeichnet wird, wurden die grundlegenden Linien der Auseinandersetzung festgelegt und die zentralen Akteure vorgestellt. In den ersten größeren Artikeln bildeten sich schnell frühe Narrative um das Phänomen, die übereinstimmend in allen drei Lokalzeitungen dargestellt wurden: Die Kinder gehörten zu Familien, die auf dem Ossendorfer Platz oder in Dellbrück lebten; sie wurden wiederkehrend aufgegriffen, die Polizei übergab sie einem lokalen Kinderheim, das sie schon nach kurzer Zeit wieder verließen. Die Polizei war dem Phänomen gegenüber machtlos, da die Kinder zu jung waren, um für ihre Taten belangt zu werden. In den frühen Artikeln wurde zusätzlich auf Aussagen von Vertretern lokaler und bundesweiter Verbände der Sinti und Roma verwiesen, die jeweils als konsensuell mit den Aussagen der Polizei dargestellt wurden und die Abgrenzung gegenüber den Straftaten und -tätern betonten: „Hugo Franz, Vorsitzender des Landesverbandes der Sinti und Roma: ‚Wenn diese Straftaten nicht aufhören, dann müssen die Behörden andere Wege finden. Dann müssen die Kinder von Amts wegen erzogen werden.‘“427 Zur Beschreibung der Kinder und ihrer Familien wurde zunächst primär auf die Chiffre „Landfahrer“ zurückgegriffen. Im Rekurs auf die

426 Kolb, Steffen: Mediale Thematisierung in Zyklen. Theoretischer Entwurf und empirische Anwendung, Köln 2005. 427 Wysocki, Cordula v.: „Wenn Kinder die Tricks der Taschendiebe lernen“, in: Kölnische Rundschau, 24.03.1987.

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Aussagen der Polizei wurden stellenweise Begriffe wie „mobile ethnische Minderheit“ – im Text immer in Anführungszeichen geschrieben – gebraucht. Ab Ende März 1987 steigerte sich dann die Dynamik der Berichterstattung. Zentrale Geschehnisse in diesem Zeitraum waren eine Razzia bei einem Ehepaar, das nicht zu den auf den beiden Plätzen campierenden Familien gehörte und dem Hehlerei angelastet wurde, die Festnahme zweier Personen, denen die Entführung von Kindern vorgeworfen wurde, sowie der Beginn einer lokalpolitischen Debatte über den Umgang mit den straffällig gewordenen Kindern. Des Weiteren wurde ein starker Anstieg der Delikt-Raten im Bereich der Taschendiebstähle verzeichnet. Eine Erzählung, die für die kommenden Jahre mit kleinen Modifikationen zentral wurde, verfestigte sich und wurde mit minimalen Variationen immer wieder in den Artikeln wiederholt: Die straffällig gewordenen „Landfahrerkinder“ wurden von der Polizei aufgegriffen, waren jedoch zu jung, um verhaftet zu werden. Sie gaben die Taten freimütig zu, wurden nach einem kurzen Aufenthalt auf der Wache in einem Kinderheim abgegeben, welches sie jedoch nach kurzer Zeit schon wieder verließen. Die Polizei war diesem Phänomen gegenüber machtlos, führte einen „Kampf gegen Windmühlen“, wie eine immer wiederkehrende Beschreibung lautete. Hinter den Diebstählen steckten „Hintermänner“, was in der Regel anhand der festgenommenen Hehler und des Inhaftierten, dem Kindesentführung vorgeworfen worden war, dargelegt wurde. Diese mediale „Etablierungsphase“ war davon geprägt, dass insbesondere die Art, wie die Akteure dargestellt wurden, sowie die Chiffrierung der Roma sich veränderten. Die Beschreibungen betonten zunehmend die Andersartigkeit und vermeintlichen charakterlichen Spezifika der Familien und der Kinder sowie die Intentionalität der Handlungen und die moralische Abwertung des Verhaltens. In engem Rekurs auf Aussagen der Polizei wurden Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fällen dargestellt. Den Diebstählen wurde eine Systematik zugesprochen, die von organisierten Strukturen ausging. Grundsätzliche Elemente dieser Darstellungen waren zum einen „Hintermänner“, welche die Kinder systematisch ausbeuteten und zum Diebstahl bewogen, sowie die Kinder, die als Opfer krimineller Strukturen angesehen wurden. Die Struktur der Familien wurde angezweifelt: Nach der Festnahme eines Erwachsenen, dem Kindesentführung vorgeworfen worden war, wurde häufiger die Elternschaft infrage gestellt. Dem Phänomen wurden schnell parasitäre Züge zugesprochen, womit die Etablierung des Begriffes „Zigeuner“ einherging, der sukzessive den des „Landfahrers“ ersetzte. Paradigmatisch für diese Entwicklung steht ein Artikel der Bild am Sonntag, der Anfang Mai 1987 erschien. Unter der Überschrift „Vorsicht, Kinderban-

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den!“428 berichtete er über die Situation in Köln, zog Parallelen zu ähnlichen Erscheinungen in Hamburg und zeichnete das Bild eines Ausnahmezustandes: „Was sind das für Kinder, wo kommen sie her, wie sind sie so geworden? Uns Deutschen fällt die Antwort ein bisschen schwerer als unseren Nachbarn. Es gab nun mal das Dritte Reich, Zigeuner wurden verfolgt. Trotzdem: Jeder deutsche Polizist spricht spontan von Landfahrerkindern, wenn es um Kinderbanden geht. Die Schwierigkeit, die Wahrheit zu sagen, treibt merkwürdige Blüten im Behördendeutsch. Da heißen die Landfahrer jetzt: mobile ethnische Minderheit. Wir beobachten die ‚mobile ethnische Minderheit‘ bei der Arbeit. Köln ist ein gutes Beispiel, weil jetzt im Frühling jeder Tourist unbedingt den Dom sehen will. Das zieht die ‚mobile ethnische Minderheit‘ an wie Zuckerwasser die Wespen. An 30 (!) Stellen in der Stadt lagern sie: Mit Zelten, Wohnwagen, Luxuslimousinen. Die Stadt hat sogar schon Häuser zur Verfügung stellen müssen; aber die sind nicht so beliebt. Man lebt lieber unter freiem Himmel.“429

Dieser Artikel ist charakteristisch für das Erstarken eines Antiziganismus in Köln, der sich des Bildes der Befreiung durch einen Tabubruch bediente. Der dezidierte Hinweis, dass der Begriff „Zigeuner“ einem vermeintlichen Tabu unterworfen sei, suggerierte hier zugleich eine mit diesem Begriff zusammenhängende, tieferliegende Wahrheit. Der genauere Blick auf die Bilder, die in der Sequenz zur Darstellung der Problemlage genutzt wurden, zeigt, wie althergebrachte antiziganistische Vorurteile und Metaphern durch die Rhetorik der Enttabuisierung wieder aktiviert wurden. Dem Verweis auf das vermeintliche Tabu folgte die Beschreibung des „Zigeuners“ als Parasit („Das zieht die ‚mobile ethnische Minderheit‘ an wie Zuckerwasser die Wespen“), die nicht wie andere Menschen leben oder wohnen, sondern „lagern“ würden – was auch ihrem Naturell entspreche: „Man lebt lieber unter freiem Himmel.“ Dem Parasiten stellte der Artikel den anfälligen Wirt gegenüber: zu gutmütig, zu gehemmt, zu gewissenhaft seien deutsche Gesellschaft und Behörden, um sich dieses Angriffs erwehren zu können. Insbesondere in den Monaten März bis Juni 1987 gab es in der Berichterstattung eine Vielzahl von Beispielen für solch eine Differenzziehung, die zum einen über den Begriff des „Zigeuners“ oder seine Äquivalente („mobile ethnische Minderheit“, „Landfahrer“), über Darstellungen konstitutiver Andersartigkeit sowie damit einhergehender Andeutungen parasitären Verhaltens und zum anderen über Formen der kulturellen Abwertung erfolgte. So tauchten in den Texten 428 Klein, Dieter/Nayhauss, Dirk v.: Vorsicht, Kinderbanden!, in: Bild am Sonntag, 03.05.1987. 429 Ebd.

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vermehrt Begriffe wie „Zigeunerjunge“, „Zigeunersippe“, „Sippenchefs“ auf, im Express fand sich im Mai 1987 sogar der Begriff des „Zigeunerproblems“ zur Umschreibung der Problematik.430 Kulturfremdheit wurde in Bezug auf das Verbrechen betont; etwa, wenn der Akt des Diebstahls von Reportern beobachtet wurde und die Nutzung einer deutschen Tageszeitung für dessen Durchführung mit den Worten kommentiert wurde: „Das Kind hält eine Zeitung in der Hand – nicht zum Lesen (dafür kann es viel zu wenig Deutsch).“431 Auch fand sich eine häufige Betonung von Gewalttätigkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Kindern: Sie wurden als „dressiert wie Hunde“432 beschrieben, häufig wurde Wert auf die Darstellung des Diebstahls als professionalisiertes „Handwerk“ oder als „Arbeit“ der Kinder gelegt. Ebensolche Betonung fand auch die Aussage, dass die Kinder und deren Eltern „ohne festen Wohnsitz“433 seien oder ein Dasein „in einem Dschungel aus Campingbussen, Wohnwagen und Zelten“434 fristeten. Der Begriff der „Sippe“ wurde gehäuft verwendet, um die vermeintlich familiären Steuerungssysteme des Taschendiebstahls und das Walten der „Sippenchefs“ als Hintermänner zu beschreiben, die gezielt Sozialbetrug begingen und die Kinder zum Diebstahl zwängen. Mehrfach wurde in Artikeln kolportiert, dass in der Nähe von Belgrad ein Haus existiere, „gegen das Dallas eine Hundehütte ist“435. Auch den Kindern wurden häufig parasitäre Züge zugesprochen: So stahlen sie nicht, sondern machten „Beute“, als sie zwei Touristen „anfielen“.436 „Kriminelle Kinder werden immer mehr zur Plage“437, lautete ein Untertitel im April 1987. In diesen Darstellungen nahm zwar die Kölner Boulevardpresse eine besonders exponierte Rolle ein. Dennoch fanden sich Aspekte all dieser Darstellungsweisen in jeder der untersuchten Kölner Tageszeitungen. So entstand in der Berichterstattung ein Geflecht aus Ermittlungsergebnissen der Polizei, Annahmen, Gerüchten und rassistischen Stereotypen, das sich als Deutungsmuster für mehr als zehn Jahre verfestigen sollte und die Agitation sowohl der Politik als auch der Verwaltung in den kommenden Jahren prägte. 430 Brücher, Joachim/Schmidt, Detlev: „Kinderbanden: Nach Röntgen-Test in den Klingelpütz, in: Express, 14.05.1987. 431 Sevenich, Peter: Beute in Blitzesschnelle, in: Kölner Stadt-Anzeiger, Ostern 1987. 432 O. V.: „Diebeskinder dressiert wie Hunde!“, in: Express, 03.05.1987. 433 Wysocki, Cordula v.: „Wenn Kinder die Tricks der Taschendiebe lernen“, in: Kölnische Rundschau, 24.03.1987. 434 O. V.: „Die kleinen Diebe von Köln“, in: Ja – die Zeitungsillustrierte, 05.05.1987. 435 Ebd. 436 O. V.: „Kinder wieder als Diebe unterwegs“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 05.05.1987. 437 Brüser, Wolfgang: Die Schule der Diebe, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 15.04.1987.

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Denn die fortdauernde Berichterstattung rief Politik und Verwaltung auf den Plan. Diese bekamen in der Berichterstattung allerdings zunächst eine deutlich randständigere Position als die Aussagen der Polizei, auf die sich die Berichterstattung im Wesentlichen stützte. Die Medien übernahmen den Vorwurf der Untätigkeit, den zunächst die Staatsanwaltschaft gegen das Kölner Jugendamt gerichtet hatte. Dem folgte eine mediale Debatte über die Möglichkeiten und rechtlichen Grenzen einer geschlossenen Unterbringung der wiederholt straffällig gewordenen Kinder, in der die Staatsanwaltschaft dem Jugendamt mit einer Klage wegen Verletzung des § 170d StGB drohte. In dieser Diskussion wurden zwar auch vereinzelt die Kölner Parteien mit ihren Positionierungen erwähnt; jedoch richtete sich der mediale Blick primär auf die Auseinandersetzungen zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei und Jugendamt. Die Klimax438 der medialen Auseinandersetzung wurde Mitte Mai erreicht, als das Jugendamt trotz massiver rechtlicher Bedenken die Verwahrung der mehrfach straffällig gewordenen Kinder in ausbruchssicheren Räumen in einem Kölner Kinderheim anordnete. Während die Berichterstattung über die „Zigeunerlager“439 und „Landfahrerplätze“440, über Kultur und Unkultur441 ihrer Bewohner fortgeführt wurde, ruhte die mediale Aufmerksamkeit für die Taschendiebstähle durch Kinder weitgehend. In den Jahren 1988/89 flammte die Berichterstattung im Zuge eines neuerlichen Anstieges der Taschendiebstähle und des erneuten Aufgreifens von Kindern durch die Polizei nochmals auf, und die Erzählung der Phase 1987 wurde im Wesentlichen wiederholt – lediglich mit dem Unterschied, dass nun der Begriff „Zigeuner“ vermieden wurde. An seine Stelle waren „Roma“ und „Landfahrer“ als Chiffren getreten. Die Formulierungen wurden in diesem Zusammenhang zurückhaltender. Die Berichterstattung öffnete sich im Zuge der Konstitution eines „Runden Tisches“ aus Polizei, Staatsanwaltschaft und städtischen Behörden im Frühjahr 1989. Vermehrt wurden auch Aussagen weiterer Akteure (städtische Verwaltung, Oberbürgermeister, Parteien, Roma-Initiative) in die Berichterstattung einbezogen. Allerdings galt weiterhin, was Bohn et al. für den Zeitraum August 1986 bis August 1987 in Bezug auf die Kölner Berichterstattung herausgearbeitet hatten: Diese basierte in auffälligem Maße auf polizeilichen Meldungen.442 Charakteris438 Kolb: Mediale Thematisierung in Zyklen, S. 301. 439 Schmitz, Karl-Heinz: Stadt will Zigeunerlager direkt am Fühlinger See, in: Kölnische Rundschau, 16.10.1987. 440 O. V.: „Harte Polemik um Landfahrerplätze“, in: Kölnische Rundschau, 22.05.1988. 441 O. V.: „Landfahrer schlagen sich um Lebensmittel-Spenden“, in: Kölnische Rundschau, 23.12.1987. 442 Vgl. Bohn/Hamburger/Rock: Polizei und Presse.

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tisch für diese Phase der Berichterstattung war eine sehr homogene Perspektive der Artikel in den Kölner Lokalzeitungen und der lokalen Boulevardpresse. Durchweg fußten sie primär auf Polizeiberichten und Aussagen von Mitarbeitern der Polizei. Anderen Akteuren kam wenig bis gar kein Raum zu. In einzelnen Fällen wurden auch die Kriminalitätsopfer in den Artikel integriert. Die Chiffre „Roma“ und ihre Vorgänger in der Debatte füllten sich letztlich auf Grundlage der Berichte über Delinquenz, der Aussagen empörter Anwohner und Opfer von Taschendiebstählen und deren Subsumption unter „Allgemeinwissen“ über Kultur und Sozialleben der „Zigeuner“. Bezugnehmend auf Ermittlungsstände der Polizei wurde nicht von Tatverdächtigen oder „vermeintlichen Hintermännern“, sondern von Tätern und Hintermännern gesprochen. Auffällig war des Weiteren, wie die Perspektive der Artikel von derjenigen in überregionalen Zeitungen abwich. Letztere waren in Teilen bemüht, die Multiperspektivität der Auseinandersetzung wiederzugeben, führten ausführlichere Interviews mit anderen Konfliktakteuren, schienen mit der lokalen Debatte zu fremdeln. In Köln setzte sich einzig die Stadtzeitung StadtRevue, als Blatt der linken Szene, eine Gegenberichterstattung zum Ziel, bei der sie insbesondere auf Informationen von Aktivisten und Hilfsorganisationen auf dem Ossendorfer Platz zurückgriff. Phase II: 1997–2002: „Die Klau-Kids von Köln“ In den 1990er Jahren wurde es ruhiger um das Thema. Vereinzelte Berichte gab es im Zuge steigender Deliktzahlen zwischen 1996 und 1997; anlassbezogen griffen Journalisten auch in den späten 1990er Jahren das Thema auf. Die Artikel rezipierten die Zusammenhänge, die schon in der ersten Berichterstattungsphase dargestellt worden waren. Statt von „Landfahrern“, „Zigeunern“ oder „Roma“ wurde nun von „Kriegsflüchtlingen aus Bosnien“443 oder „Kindern aus Rumänien und Ex-Jugoslawien“444 gesprochen. Generell war die Berichterstattung in diesen Jahren jedoch sehr sporadisch. Zu einer prägnanten Steigerung der medialen Aufmerksamkeit kam es nochmals ab dem Sommer 2001. Im Zuge deutlich zunehmender Deliktzahlen sprachen die Medien von einer „neuen Qualität“445. Referenz für die damit verbundenen Artikel war die 1997 gegründete Ermitt443 Schlagehan, W./Wozelka, I.: „Abgeführt in Handschellen“, in: Kölner Express, 09.11.1999. 444 Lüdeking, Jobst/Käsmacher, Peter: „Kleine Diebe: Zum Klauen gezwungen“, in: Kölner Express, 10.12.1997. 445 Spilcker, Axel: „Mutter und Kinder nach Köln verschleppt.“ Interview mit Winrich Granitzka, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 29.06.2001.

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lungskommission „Tasna“ der Kölner Kriminalpolizei. Als Täter wurde, ähnlich wie schon bei der Chiffre der „mobilen ethnischen Minderheit“, unter Verweis auf Aussagen der Ermittler von einem „bekannten Personenkreis aus dem ehemaligen Jugoslawien“446 gesprochen – und diese Beschreibung wurde wiederum in Anführungszeichen gesetzt –; an anderer Stelle war von „Flüchtlingskindern aus dem ehemaligen Jugoslawien“ oder „[i]llegalen Flüchtlingen“ die Rede. Des Weiteren etablierte sich in dieser Zeit der Begriff „Klau-Kids“ oder „Klaukinder“ als zentrale Chiffre für straffällige Kinder aus dem ehemaligen Jugoslawien oder Rumänien. Seltener war von kriminellen „Sippen“ die Rede, dafür wurde häufig auf das „kriminelle Umfeld“ verwiesen, aus dem die Kinder zu „entfernen“ seien.447 Das Jahr 2002 schien eine Zäsur in der Debatte darzustellen. Am 22. August 2002 erschien der Kölner Express mit der Schlagzeile „Die Klau-Kids von Köln“. „Sie haben hunderte von Menschen überfallen und beklaut. Und sie laufen frei herum“, hieß es auf der Titelseite weiter. Sowohl auf dem Titel als auch im Innenteil der Ausgabe waren 53 Fotos von Kindern abgedruckt; insgesamt umfassten die Artikel fast drei komplette Seiten. Die Fotos stammten aus einem Nachrichtenblatt des BKA, das eigentlich nur für den internen Gebrauch gedacht gewesen war. Die Kinder und Jugendlichen auf den Bildern waren nicht unkenntlich gemacht. Im Artikel wurden den „schlimmsten Dieben“ insgesamt 100.000 Diebstähle zur Last gelegt.448 Der Artikel löste einen Eklat aus und am 1. September 2002 reagierte der Herausgeber der drei Lokalzeitungen, Alfred Neven DuMont, in einem Artikel im Express: Darin distanzierte er sich von der Art der Berichterstattung und entschuldigte sich beim „Volk der Roma, das wundervolle Menschen hervorgebracht hat“449. Zwar glich die Berichterstattung über die Straftaten weiterhin dem grundsätzlichen Schema der ersten Berichterstattungsphase: Kinder begehen Straftaten, sind jedoch zu jung, um belangt zu werden, und wissen, dass sie nichts zu befürchten haben; sie wurden für einen neuerlichen rasanten Anstieg der Deliktzahlen verantwortlich gemacht; und der EK „Tasna“ wurde in den Artikeln viel Platz eingeräumt, ebenso fand sich darin der „Kampf“ der Polizei „gegen Windmühlen“ wieder. 446 O. V.: „‚EK Tasna‘: Jugendliche Taschendiebe gefasst“, in: Kölnische Rundschau, 12.07.2001. 447 Merting, Chris/Käsmacher, Peter: „Erste Klau-Kids im Heim“, in: Kölner Express, 30.08.2002. 448 Siehe Merting, Chris/Käsmacher, Peter: „Die Klau-Kids von Köln“ sowie dies.: „Die schlimmsten Diebe von Köln“, in: Express, 22.08.2002. 449 Neven DuMont, Alfred: „Wir müssen aufmerksam bleiben“, in: Express, 01.09.2002.

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Jedoch waren auch Veränderungen zu bemerken: Die Begriffe „Hintermänner“ und „Sippe“ tauchten seltener auf; stattdessen wurden verstärkt die Eltern als Ursache des Problems dargestellt und auf die rechtlichen Probleme um den geforderten Sorgerechtsentzug verwiesen. Ab Ende 2002 ließ die Berichterstattung vermehrt weitere Akteure neben der Polizei zu Wort kommen. Damit erhöhte sich die Kontroversität der Berichterstattung spürbar. Im Dezember 2002 erschienen beispielsweise auf einer Seite des Kölner Stadt-Anzeiger zwei Artikel, die beide vom selben Autor stammten. Der eine enthielt den bekannten Inhalt: Ausgangsszene des Berichtes war die Ankunft eines „Klau-Kids“ auf einer Polizeiwache. Dem folgte der bekannte Bericht über die Probleme der EK „Tasna“, die Versuche, den Eltern der Kinder eine Verletzung ihrer Fürsorgepflicht nachzuweisen. Die Darlegungen der Polizei blieben im Artikel unkommentiert; mehrfach wurde der Leiter der EK mit Aussagen zitiert, welche die Intensität des Problems unterstrichen. Der Artikel endete mit der Darstellung des Zuhauses des am Anfang eingeführten Kindes als ärmliche, kleine Flüchtlingsunterkunft und mit einem Verweis auf die Schwierigkeiten der Polizei, die von ihr proklamierte Initiation der Taschendiebstähle durch die Eltern nachzuweisen.450 In einem sich anschließenden Interview kamen Anna Dal Molin und Kurt Holl vom Rom e. V. zu Wort, die einen gänzlich anderen Rahmen für die Deutung des Phänomens boten: Sie sprachen von sozialem Ausschluss, von der Stigmatisierung einer Gruppe aufgrund der Taten Einzelner, davon, dass ihrer Meinung nach die straffälligen Kinder mit dem erbeuteten Geld nach einer Kompensation für mangelnde Anerkennung strebten; sie stellten einen Zusammenhang her zwischen der unsicheren Situation der Familien und den kriminellen Karrieren der Kinder und endeten mit einer Forderung Holls: „Mit Abschiebung wird man der Situation nicht Herr. Wir haben kein ethnisches, sondern ein soziales Problem. Die Kommunen geben den Familien kein Bleiberecht, verweigern ihnen die Arbeit und stecken sie in Baracken. Das ist mutlos, fantasielos und aggressiv. […] In Frankfurt gibt es ein bundesweites Modellprojekt für Romakinder, an dem Roma mitarbeiten, die das Vertrauen der Familien haben: die Schaworalle, ein Kindergarten mit Schulprogramm. Die Schaworalle hat eine präventive Funktion und will Einzelne aus der schlimmen Situation herausholen. Eine solche Schule wäre auch für Köln wünschenswert.“451

450 Vgl. Stinauer, Tim: Katz-und-Maus-Spiel im großen Gedränge, in: Kölner StadtAnzeiger, 04.12.2002. 451 Stinauer. Tim: „Mit Abschiebung wird man der Situation nicht Herr“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 04.12.2002.

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Phase III: 2003–2006: „Täter und Opfer zugleich“ 2003 wurde eine weitere Klimax der Debatte erreicht. Ausgelöst durch die erneute Forderung der Kölner Stadtratsopposition aus SPD und FDP nach geschlossener Unterbringung der „Intensivtäter“ unter den Kindern und Jugendlichen, erschienen alleine von September 2003 bis Januar 2004 über vierzig Artikel zur Debatte. Die ersten Artikel im Frühjahr 2003 griffen die Forderung der lokalen FDP auf, der sich im weiteren Verlauf die SPD anschloss. „Arrest für junge Kriminelle“452 hieß es im Kölner Stadt-Anzeiger, „Heime für kriminelle Kinder gefordert“453 hatte die Schlagzeile drei Wochen zuvor in der Kölnischen Rundschau gelautet. Im August 2003 wurde berichtet, dass FDP und SPD mit dem damaligen Polizeipräsidenten Klaus Steffenhagen einen Vorschlag zur Einführung geschlossener Heime in Köln diskutiert hätten. Die Trennung von den Familien wurde als konsensuelle Lösung des Problems zwischen den beiden Parteien und Steffenhagen dargestellt und der Vorsitzende der Kölner FDP mit den Worten zitiert: „Die Kinder und Jugendlichen müssen aus dem Familienclan herausgeholt werden.“454 Auch im Kölner Stadt-Anzeiger wurde Steffenhagens Forderung aufgegriffen, zunächst am 15. August 2003. In dem Artikel wurden „unerlaubt eingereiste Flüchtlinge“ sowohl für die rasant gestiegenen Deliktzahlen als auch für den Großteil aller Taschendiebstähle verantwortlich gemacht: „Für neun von zehn Taten machen die Ermittler unerlaubt eingereiste Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien verantwortlich, mehr als die Hälfte der Delikte würden von Kindern und Jugendlichen begangen.“455 In verschiedenen Artikeln im Sommer und Herbst 2003 kamen im Zusammenhang mit den Straftaten erneut die Begriffe „Sippe“ oder die diesen Begriff ersetzende Chiffre „Clan“ auf. Den familiären Strukturen wurde die Urheberschaft der Kriminalität zugesprochen – stets mit Verweis auf Aussagen der Polizei. Jedoch gab es parallel zu diesen Artikeln weitere Berichte, die auch anderen Akteuren Raum gaben: Sozialarbeiter, Mitglieder des Rom e. V. und Wissenschaftler warnten vor rassistischen Dynamiken, stellten die Effizienz der geschlossenen Verwahrung und Trennung von Familien infrage und forderten Alternativen. Im November 2003 verdichtete sich die Berichterstattung immens: 452 Schminke, Clemens: „Arrest für junge Kriminelle“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 18.04.2003. 453 Moeck, Thorsten: Heime für kriminelle Kinder gefordert, in: Kölnische Rundschau, 27.03.2003. 454 Taab, Daniel: Taschendiebe sollen ins Heim, in: Kölnische Rundschau, 13.08.2003. 455 Damm, Andreas: Täglich 34 Taschendiebstähle, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 14.08.2003.

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sowohl zu einzelnen Straftaten und Straftätern als auch zu Bewegungen in der Auseinandersetzung zwischen den Akteuren. Auffällig an den Berichten war, dass die Autoren selbst nur selten die Herkunft der Kinder thematisierten. Dort jedoch, wo von Straftaten die Rede war, wurde häufig auf Aussagen der Polizei verwiesen, die von „einer illegal eingereisten ethnischen Minderheit“ oder unerlaubt bzw. „illegal eingereisten Flüchtlingen“ sprach. In der Kontroverse wurde konsensuell davon ausgegangen, dass die Kinder „Täter und Opfer zugleich“ seien. Diese Aussage fand sich regelmäßig in Bezug auf die Debatte über geschlossene Unterbringung – sowohl in befürwortenden als auch in problematisierenden Artikeln. Die Betonung der Schuldzuweisung an die Eltern, die Debatte über Sinn und Unsinn von geschlossener Unterbringung und eine Auffächerung der Perspektiven, aus denen das Thema betrachtet wurde, kennzeichneten diese Phase. Am 18. Dezember 2003 berichteten die Kölnische Rundschau und der Kölner Stadt-Anzeiger über eine Razzia, bei der die Kölner Ausländerbehörde in 24 Flüchtlingsunterkünften nach 91 Personen gesucht hatte, für die Ausweisungsbeschlüsse vorlagen. In den folgenden Monaten ließ sich schließlich eine Wende in der Berichterstattung nachzeichnen: Die Berichterstattung befasste sich mehrheitlich mit den Problemlösungsstrategien, die von der regierenden Koalition aus CDU und Grünen erarbeitet worden waren. Sie beschrieben ein ganzes Arsenal repressiver und sozialpädagogischer Maßnahmen, die von der Koalition beschlossen wurden. Dabei verschob sich der Blick auf die betroffenen Familien merklich. Wenngleich weiterhin in verschiedenen Artikeln das Bild der hinter den Straftaten stehenden Eltern beschrieben wurde, so wurde nun in anderen Artikeln deutlich mehr über die Situation der Familien berichtet und die soziale Ebene des Problems trat in der Berichterstattung eindrücklicher hervor. Verschiedene Berichte befassten sich mit sozialpädagogischen Projekten, die in Köln innerhalb der vergangenen Monate eingerichtet wurden. Auffällig an diesen Artikeln war, dass sie die Probleme von Menschen, die lange Zeit im Duldungsstatus gelebt hatten und gesellschaftlich marginalisiert waren, fokussierten. Die Differenz zwischen der Kölner Gesellschaft und den Roma, die in den Artikeln der vorangegangenen Jahre primär als die zwischen Opfer und Täter oder Wirt und Parasiten dargestellt worden war, wandelte sich zu einer Beziehung zwischen Helfenden und Hilflosen, und die Kriminalität geriet zu einem Randaspekt der Darstellung. So etwa im Kölner Stadt-Anzeiger vom Januar 2004: „Eine Schule von innen hatte niemand von ihnen zuvor gesehen, sich in einer Reihe aufzustellen oder einen Kreis zu bilden war für die meisten eine große Schwierigkeit, und

206 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA Buchstaben, Zahlen oder Bücher waren weitgehend unbekannt. […] Die meisten Kinder stammen aus Familien, die aus dem ehemaligen Jugoslawien gekommen sind und sich zum Volk der Roma zählen. In dem Merkenicher Heim haben sie eine Heimat gefunden: rund 170 Menschen, darunter viele Bürgerkriegsflüchtlinge, Vertriebene oder einfach rastlos nach ‚Heimat‘ Suchende. Ihr Status ist in der Regel ungeklärt, die meisten hoffen auf Asyl, doch nahezu alle werden von den Behörden lediglich ‚geduldet‘. Eine Schulpflicht für Kinder gibt es nicht, die Ausweisung kann jeden Tag mit der Post kommen. ‚Die Familien sind gesellschaftlich nicht integriert. Manche fallen auch durch Kleinkriminalität auf‘, sagt Diplompädagogin Nicole Hansen, die gemeinsam mit einer Kollegin den Unterricht der ‚Roma-Schule‘ leitet. […] Kleinkriminalität – um das Thema kommt niemand herum, der sich derzeit in Köln mit Roma-Flüchtlingen beschäftigt.“456

Parallel dazu erfolgte die Berichterstattung über angekündigte neue, repressive Maßnahmen gegenüber Flüchtlingen. In diesem Debattenstrang fand der Begriff des „Intensivtäters“ gehäufte Verwendung, der medial insbesondere in Bezug auf Gewaltdelikte jugendlicher Migranten und Kinder migrierter Eltern Anwendung findet. Auch in Köln gab es zu Beginn der 2000er Jahre einen prominenten Fall, der den Begriff mit diesem Frame versah.457 In den meisten Artikeln fand er sich unter Verweis auf Aussagen der Polizei, die den Anstieg von Delikten im Bereich Taschendiebstähle auf das Agieren von „Intensivtätern“ unter den geflüchteten Roma zurückführte. Im Gegensatz zu den Debatten über gewalttätige Intensivtäter wurde in diesem Fall jedoch dem „Clan“ Intentionalität in Bezug auf die Handlungen der Kinder unterstellt: „Der Polizeipräsident betonte, dass man es auf beiden Kriminalitätsfeldern [Taschendiebstahl und Einbrüche, Anm. d. V.] weit überproportional mit einer Gruppe von Intensivtätern zu tun habe, die als angebliche Flüchtlinge nach Köln einreisen und sich mit einem Duldungsstatus aufhalten. Steffenhagen lobte in diesem Zusammenhang die Kooperation mit der Stadt, die er im November mit Oberbürgermeister Fritz Schramma vereinbart habe. Künftig will die Polizei alle Flüchtlinge durchleuchten, ehe die Stadt eine Duldung erteile, hieß es. Zugleich wehrte sich der Polizeipräsident gegen die Kritik aus der Politik, insbesondere der Kölner Grünen und einzelner Unterstützergruppen. Den Kritikern müsse 456 Müller-Hildebrand, H.: Voller Wissbegierde und Lerneifer, in: Kölner StadtAnzeiger, 23.01.2004. 457 Der „Fall Murat“ wurde bundesweit bekannt. Dabei handelte es sich um einen Jungen, der mehrmals mit Gewalt- und Diebstahlsdelikten aufgefallen war. Zur Funktion des Begriffs „Intensivtäter“ in den Medien siehe auch Walter, Michael: Mehrfach- und Intensivtäter: Kriminologische Tatsache oder Erfindung der Medien?, in: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, H. 2/2003, S. 159–163.

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gesagt werden, dass Köln nunmehr seit 17 Jahren unter dem Problem leide. Alle Anstrengungen hätten nicht zu einem Rückgang geführt. Wer die Dinge so belassen will, wie sie lange Zeit waren, der nimmt in Kauf, dass Köln Anziehungspunkt für kriminelle Familienclans bleibt und dass Kinder und Jugendliche von gewissenlosen Erwachsenen zu Straftaten angehalten werden.‘458

Die Berichterstattung der verschiedenen Lokalmedien im Jahr 2004 war von dieser Bipolarität geprägt, die sich nicht zwischen verschiedenen Zeitungen abspielte, sondern innerhalb der Redaktionen. Auffällig war dabei die Konstruktion zweier fast komplett voneinander getrennter Topoi: Während die einen Artikel auf der Differenz zwischen (Intensiv-)Täter und Opfer aufgebaut waren, bezogen sich die anderen auf das Verhältnis zwischen Helfendem und Hilflosem. Eine Berührung dieser beiden Konstruktionen und der aus ihnen resultierenden Figuren fand in den Artikeln nur selten statt. Mit zunehmender Konkretisierung des Projektes, das 2005 als „Amaro Kher“ initiiert wurde, rückte die Berichterstattung über die Delinquenz von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien jedoch spürbar in den Hintergrund. Als der Umbau der Räumlichkeiten für das Projekt stagnierte, richtete sich im Herbst 2005 der Kölner Stadt-Anzeiger sogar mit einem „Appell ans Handwerk“ an die Öffentlichkeit, um das Projekt endlich starten zu können.459 Des Weiteren ist auffällig, dass die Berichterstattung über Taschendiebstähle in den Kölner Zeitungen im Hinblick auf minderjährige Taschendiebe seit 2005 weitestgehend auf die Nennung von Merkmalen, die als Chiffren einer mutmaßlichen ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit funktionieren, verzichtet. Gleichwohl hat sich in den vergangenen Jahren eine verschobene Ethnisierung gezeigt: Dargestellt werden nun verstärkt adulte, männliche Taschendiebe aus nordafrikanischen Ländern. Zum Thema „Roma“ hat sich die Berichterstattung in Köln insgesamt, insbesondere jedoch im Kölner Stadt-Anzeiger gewandelt. In Letzterem erschienen in den Jahren nach 2005 vermehrt auch Artikel, die sich mit der gesellschaftlichen Situation von Roma in Deutschland und anderen europäischen Staaten kritisch auseinandersetzten. Beispielsweise erschien unter der Überschrift „Zuwanderung: Die Wahrheit über Roma-Auswanderer“ im Dezember 2013 ein Artikel, der sich den gängigsten Vorurteilen gegen Roma widmete, u. a. dem verbreiteten Klischee, demnach Roma „von Schleppern zum Betteln und stehlen nach Deutschland und Westeuropa gebracht“ würden. Der Arti458 Spilcker, Axel: Kinder und Jugendliche brutal wie nie, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 30.01.2004. 459 Vgl. Walden, Ulrike: Widerstand auf dem Rücken der Kinder, in: Kölner StadtAnzeiger, 30.09.2005.

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kel betonte, dass lediglich in zwei Fällen, die es europaweit gegeben habe, eine Anklage wegen solcher Netzwerke Bestand gehabt habe.460 Die „Klau-Kids-Berichterstattung“ – ein Kurzfazit Die Analyse der Berichterstattung in den Kölner Zeitungen zum Thema „KlauKids“ hat einige Charakteristika gezeigt, die im Folgenden kurz resümiert werden sollen. Zunächst sticht die weitreichende Einstimmigkeit in den Zeitungen ins Auge: Über einen langen Zeitraum hinweg liefen die Deutungen des Themas in der Berichterstattung nicht nur medienübergreifend synchron, auch zeigte sich über die Zeit hinweg ein sehr einheitliches Deutungsmuster. Dies auf die Herkunft der lokalen Zeitungen aus derselben Mediengruppe zurückzuführen, wäre verkürzt – wenngleich die Struktur des medialen Feldes in Köln sicherlich ein Faktor ist, der zur Erklärung der Synchronität in der Berichterstattung heranzuziehen ist. Ferner ist hierbei jedoch zu beachten, dass die Kölnische Rundschau erst 1999 von der DuMont-Mediengruppe übernommen wurde. Ein Grund für die Kohärenz in der Berichterstattung liegt sicherlich in der hohen Konsensfähigkeit bestimmter Annahmen, die über die Chiffre „Zigeuner“ und in den Folgejahren über die sie ablösenden Chiffren in weiten Teilen der bundesdeutschen Bevölkerung existierten und noch immer existieren. Zugleich zeigt sich jedoch in der Dynamik der Berichterstattung ein heftiger Abwehrreflex gegenüber dem Phänomen der Taschendiebstähle in Köln. Die Berichterstattung der frühen 2000er Jahre suggerierte in einer Vielzahl von Artikeln, dass das Phänomen des Taschendiebstahls in Köln komplett oder zum größten Teil auf die Kinder und Jugendlichen zurückzuführen sei.461 Die Zahlen verleihen einem ohnehin schon verbreiteten Bild der Roma Faktizität und externalisieren zugleich die Problematik auf eine Personengruppe, die durch ihre be460 Vgl. Mappes-Niedieck, Norbert: Zuwanderung: Die Wahrheit über Roma-Auswanderer, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 26.02.2013. 461 So wurden mehrfach Zahlen kolportiert, die Faktizität produzieren sollten; beispielsweise im Express, 09.11.1999, in dem für das Vorjahr den Kindern exakt 5.666 Straftaten zugerechnet wurden – was der Zahl sämtlicher erfasster Taschendiebstähle in Köln 1998 entsprach (Schlagehan, W./Wozelka, I.: „Abgeführt in Handschellen“, in: Kölner Express, 09.11.1999); in der Kölnischen Rundschau vom 24.03.2004 hieß es, unter Verweis auf Aussagen des damaligen Polizeipräsidenten: „1993 gab es 8248 Diebstähle; 2003 waren es knapp 12.300. 90 Prozent aller Taschendiebstähle gehen auf das Konto einer ethnischen Minderheit. Wir sind die Hauptstadt der Taschendiebe.“ (Taab, Daniel: Leben ohne Straftaten, in: Kölnische Rundschau, 24.03.2004.)

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tonte „Illegalität“ von vornherein einem Ort außerhalb der Gesellschaft zugeordnet wird. Das Bild des „Intensivtäters“, das mit den beginnenden 2000er Jahren verstärkt in den Lokalmedien rezipiert wurde, bedient gleichsam dieses Bedürfnis nach Externalisierung. Dem Intensivtäter wird eine eigenartige Resistenz zugesprochen; diese wird im Kontext der Debatte über Roma in Köln jedoch nicht, wie in anderen Fällen, pathologisch auf das Individuum zurückgeführt, sondern immer wieder in den Kontext der kulturellen Eigenarten dieser Gruppe gestellt. Dem britisch-amerikanischen Kriminologen David Garland zufolge ist diese „criminology of the Other“462 kennzeichnend für eine neue gesellschaftliche Kategorie von Menschen, die keinen integrationsrelevanten Hintergrund haben, also Formen globaler Prekarität repräsentieren, die in unserer Gesellschaft als Risiko empfunden werden. Gerade in diesem Zusammenhang bietet die Kulturalisierung von Kriminalität ein Deutungsmuster an, das von gesellschaftlicher Verantwortung entbindet. Zugleich findet in der Berichterstattung über das Projekt „Amaro Kher“ eine Art stille Wende vom kulturalisierten Täterdiskurs hin zu einem Diskurs über die sozialen Grundlagen von Teilhabe statt. Polizei als Akteur im Konflikt Die Kölner Polizei und Staatsanwaltschaft hatten im Konfliktverlauf eine zentrale Rolle inne. Nicht nur kam ihnen in der medialen Berichterstattung und der Vorgabe von diskursiven Deutungsmustern eine wichtige Funktion zu; auch gingen von ihnen verschiedene, groß angelegte Interventionen in den Konflikt aus. Die Mehrzahl davon stand in Zusammenhang mit erhöhten Deliktzahlen im Bereich Taschendiebstahl. In den Jahren 1987, 1993, 1996 und 2001 war hier plötzlich eine massive Zunahme der Deliktzahlen zu verzeichnen; die Jahre 2002 bis 2005 zeigten einen generellen Hochstand, der in den Folgejahren wieder absank. Zu größeren Interventionen der Polizei kam es insbesondere in den Jahren 1987, 1988 und 1989, 1995 und 2003 sowie 2004 in Form von Razzien – wobei die Razzia von 1995 nicht im Zusammenhang mit Diebstahlsvorwürfen stand und bei der Razzia im Jahr 2004 nur ein indirekter Zusammenhang zu erkennen ist. Des Weiteren wurden 1997 zwei Ermittlungskommissionen eingesetzt: die EK „Tasna“ und die EK „RUM“, die dem Anstieg der Delikte begegnen sollten. Die Peaks in der medialen Berichterstattung in den Jahren 1987 bis 1988 und 2001 bis 2004 gingen mit einem drastischen Anstieg der Deliktzahlen einher, während Anstiege zu anderen Zeitpunkten medial von anderen The-

462 Garland, David: The Culture of Control. Crime and social Order in Contemporary Society, Oxford 2001.

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men überdeckt zu werden schienen oder zumindest nicht einer eindeutigen Ursache zugeordnet wurden. An den Interventionen fiel zunächst auf, dass mehrmals Aktionen mit zum Teil großem Aufwand vonstattengingen. Auch zielten diese mitunter darauf ab, andere städtische Akteure zu Handlungen zu bewegen oder Druck auf sie auszuüben. Letzteres war insbesondere 1987 und in den Jahren 2001 bis 2004 der Fall, als Polizei und Staatsanwaltschaft mehrfach das Jugendamt unter Druck setzten, minderjährige Mehrfachstraftäter in geschlossenen Einrichtungen unterzubringen. In anderen Fällen wurden Maßnahmen ergriffen, die unter Aspekten der Verhältnismäßigkeit fragwürdig waren: So etwa im Fall eines 1995 gefundenen Neugeborenen oder als die Polizei im Rahmen der Ermittlungen der EK „Tasna“ systematisch Daten als Beleg der Vernachlässigung durch die Eltern sammelte. Im Folgenden sollen die Problemwahrnehmungsweise und die daraus abgeleiteten Aktivitäten untersucht werden. Ferner werden das zugrundeliegende „Roma“-Bild, das Verhältnis zu den Medien und die Handlungslogiken in Bezug auf den Konflikt dargestellt. Phase I: „Ich versuche jetzt mal was, was wahrscheinlich noch keiner mit Ihnen versucht hat.“ Als 1987 die Deliktzahlen im Bereich der Taschendiebstähle im Vergleich zum Vorjahr drastisch anstiegen, erhöhte sich bei den zuständigen Polizeidienststellen der Handlungsdruck. Im Interview beschrieb ein ehemaliger Polizist die Situation folgendermaßen: „P: Also: Ja. Die Schutzpolizei, also die einzelnen Wachen der Schutzpolizei gerade im Innenstadtbereich hatten täglich zu tun mit der Aufnahme von Diebstahlsdelikten, Trickdiebstahlsdelikten. Ich sag mal, in der Hälfte der Fälle konnten die Geschädigten den kindlichen, jugendlichen Täter festhalten. Was macht die Polizei richtigerweise? Sie nimmt die Anzeige auf. Und das Diebesgut findet sie nicht mehr, weil die natürlich mit vier, fünf unterwegs sind und immer weitergeben, überhaupt keine Frage. Und: ‚Wie heißt du, wo kommst du her, wo wohnst du?‘ Bringt das Kind zum Jugendamt. Und das Jugendamt sagt: ‚Okay, da müssen wir mal gucken, was passiert.‘ Und es dauert keine halbe Stunde, und da kommt eine Zigeunerfamilie. Ich sage jetzt mal Zigeuner, weil ich kannte den Unterschied zwischen Roma und Sinti nicht und den kann ich Ihnen auch heute nicht [nennen], ist mir auch egal. Kommt eine Zigeunerfamilie und sagt: ‚Mein Kind ist hier.‘ ‚Na, wie heißt das Kind?‘ Und dann gibt es noch ein paar Verständigungsschwierigkeiten. Und dann wird das Kind gezeigt und die: ‚Ja, das ist mein Kind.‘ So. Und das Kind wird der Familie übergeben. Die angeblichen Personalien des Kindes hat die Polizei natürlich auf-

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geschrieben, aber kann sie natürlich nicht überprüfen. Wir hatten eine exponentielle Zunahme dieser Delikte im Innenstadtbereich, aber wir hatten auch eine exponentielle Zunahme von sogenannten Tageswohnungseinbrüchen. Und zwar in ganz Köln, wieder in diesen Regionalkommissariaten. Also ich sage mal, das ist angefangen mit zehn Delikten am Tag und war hinterher bei sechzig, siebzig Delikten am Tag. Und dann stellte sich raus, was ich überhaupt nicht wusste, würde mich auch nicht interessieren: In Köln-Nord gab es einen Riesenplatz, da war ein Riesenzigeunerlager. Was man damals so genannt hat. Ich bin auch heute noch der festen Überzeugung, dass Ihnen kein Polizeibeamter den Unterschied zwischen Roma und Sinti nennen kann, aber ist auch eigentlich völlig egal. Interviewer: Was heißt: ein Lager? P: Ja, also ich weiß nicht mehr, so rund dreißig, vierzig Wohnwagen. Mindestens dieselbe Anzahl von Fahrzeugen, Zugfahrzeugen und ja … ein Treiben in diesem Lager, wie man sich das vorstellt, wie Zigeuner leben. Also durchaus nicht unsympathisch. Wenn die da ihren Hammel braten, dann braten die ihren Hammel. Und die ganzen Familien hängen irgendwie miteinander zusammen. Und die Kinder, also auch die ganz kleinen, die laufen alle quer da über den Platz und dann … Das war eben so. Also ich hab ja … auch heute habe ich damit noch kein Problem. Also das … ich finde das im Gegenteil belustigend, dass es so was heute in unseren Strukturen – ich weiß nicht, ob es so was heute noch gibt, aber damals gab es das eben –, das es so was gibt. War überhaupt nicht mein Problem. Wir wollten ja nur wissen … oder ich habe gesagt, ich möchte wissen, wo kommen die denn her? Kommen die aus anderen Städten oder was? Nee, die kommen wahrscheinlich … wahrscheinlich … wahrscheinlich kommen die aus dem Norden da, vom Zigeunerplatz. Den kannte auch jeder. Ich weiß nicht, der hat bestimmt schon ein Dreivierteljahr vorher bestanden und wurde eben immer größer. Also man hat richtig Zuzug bemerkt. […] Und die Presse hat eigentlich täglich darüber berichtet. Viele Leute sind auch direkt an die Presse rangegangen als Geschädigte. Das waren ja teilweise ja Gäste dieser Stadt. Teilweise auch anderer Nation. Da ist teilweise die Botschaft an die Presse gegangen. Also wenn hier Amerikaner abgezockt worden sind und die haben ihre Kreditkarten weggehabt, also das hat richtig Theater gegeben. Die sind an die Presse rangegangen und … Na, also das Ganze wurde eben ja politisch auch zu einem Problem. Aber politisch weniger für die Polizei in Köln als politisch für das Land Nordrhein-Westfalen, dass es in NordrheinWestfalen so was gibt. […] Hab ich gesagt: ‚Okay, dann müssen wir das Ganze systematisieren. Ich möchte gerne erstens, dass wir eine Sonderkommission aufbauen in meinem Bereich. Und dass diese Sonderkommission erst mal nichts anderes macht, als nur festzustellen, wie viel Straftaten haben wir am Tag, welche Art von Straftaten sind das, welchen

212 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA Personen können diese Straftaten zugeordnet werden und was ist jeweils passiert, nachdem die Polizei die dem Jugendamt überstellt hat?‘ […] Und ich habe dann gesagt: ‚Wenn das was mit dem Zigeunerplatz zu tun hat, dann müssen wir den Zigeunerplatz verstehen.‘ Und dann haben wir mal einen Tag diesen Zigeunerplatz observiert und haben versucht, die Fahrzeugbewegungen zu verstehen. […] Das Erste, was wir da gemacht haben, ist … oder was ich gemacht habe, ist die Presse einzuladen und der Presse zu sagen, wir sind an dem Thema dran und bitte versteht, mir ist das völlig egal, welcher Nationalität, Herkunft oder sonst was diese Täter sind. Ich habe zwei Eindrücke. Erstens: Das sind keine Kinder, die rumvagabundieren und irgendwo Straftaten begehen, sondern der Eindruck ist eher, dass die gezielt in Bereiche gebracht werden, um da Straftaten zu begehen, und da auch gezielt wieder abgeholt werden. Zweitens: Aus den ganzen Tatbegehungen haben wir drei wesentliche Präventionsaspekte abzuleiten. Erstens, zweitens, drittens […]. Und der Presse gesagt: ‚Wir sind dran.‘“463

Auf einer grundsätzlichen Ebene beschreibt der Interviewte hier zunächst einen systematischen Ablauf: Feststellung eines Phänomens, Systematisierung, Observierung einer Lokalität, an der gefasste Straftäter und -täterinnen leben. Darauf folgt die Kommunikation mit der Presse über Hypothesen zu den Zusammenhängen. Hinzu kommt die Schilderung von Eindrücken über das Leben der Gruppe, der er die Straftäter zuordnet. Er schildert ein Bild, das insbesondere in den 1980er Jahren noch weitverbreitet gewesen ist: das des selbst gewählten Lebensstils der „mobilen ethnischen Minderheit“, das schon die Zeitungsberichte durchzog. Diesem steht er durchaus sympathisch gegenüber. Ferner äußert er den Hinweis, dass die Frage der Begrifflichkeit „Zigeuner“ irrelevant sei, da der Umstand, dass es sich um Zigeuner handele, nicht handlungsweisend gewesen sei. Hervorzuheben ist weiterhin, dass im Verlauf des Interviews die Strukturen des Platzes nicht genauer erläutert werden. Der Platz wird eher als eine Einheit beschrieben, die Ausgangspunkt eines kollektiven Handelns sei. In diesem Zusammenhang sei auf eine Veröffentlichung in der Zeitschrift Kriminalistik hingewiesen, die sich mit demselben Phänomen auseinandergesetzt hat. Der Platz selbst wurde hierin ebenfalls nicht thematisiert, jedoch das Zusammenleben der Menschen auf ihm: „Hatte sich die Polizei anfangs noch die Mühe gemacht, die zu den Kindern gehörenden Erwachsenen (vielleicht sogar Eltern oder Erziehungsberechtigten) auf den Lagerplätzen zu ermitteln und ihnen die Kinder wieder zuzuführen, gelang es schon nach wenigen Wo-

463 Interview mit ehemaligem Kölner Polizisten.

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chen nicht mehr, weil durch den ständigen Zustrom weiterer Sippen mit den ihnen eigenen ‚Verschleierungstaktiken‘ eine ‚Zuordnung‘ einfach nicht möglich war.“464

Auch hier findet sich die Darstellung einer funktionalen Einheit aus Platzbewohnern, denen sich die Polizei gegenüber gesehen habe. Eines wird in beiden Passagen deutlich: Der Lagerplatz hatte eine konkrete Bedeutung in der Konstruktion der Zusammenhänge, die schlussendlich als Problem definiert wurden. Er wurde als Schaltstelle betrachtet, von der aus Operationen geplant und durchgeführt wurden. Am Beispiel des Artikels lässt sich noch hinzufügen, dass der Begriff der „Sippen“ mit den ihnen eigenen „Verschleierungstaktiken“ zwar nicht weiter ausgeführt worden ist, aber auf eine Systematik vonseiten der Platzbewohner im Umgang mit der Polizei verweist. Der vom Interviewten beschriebene Druck der Presse führte in der Folge dazu, dass die Kölner Polizei eine mehrgliedrige Offensive startete. Diese umfasste eine offensive Pressepolitik, den Aufbau von Druck auf das Jugendamt durch Androhung einer Klage wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht nach § 170d StGB sowie eine großangelegte Razzia auf einem der Lagerplätze: „Ja. Und dann habe ich gesagt: Okay. Der Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Wir machen in der Schrittfolge genau diese drei Dinge: Erstens, ich lasse die Bombe hochgehen, erstatte eine Strafanzeige gegen den Leiter des Jugendamtes wegen Vernachlässigung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Zweitens: Wir werden morgens um sechs Uhr das gesamte Zigeunerlager mit zwei Hundertschaften besetzen. Und werden alle Erwachsenen … also erst mal alles durchsuchen. […] Und wir werden die ganzen Kinder in einen Bus packen, dem Jugendamt vor die Füße stellen und sagen: Jetzt könnt Ihr euch überlegen, was Ihr mit den Kindern macht. Lasst Ihr die noch einmal laufen, geht es heftig weiter. So der Schlachtplan. Und jetzt kommt die Pressearbeit. […] Also ich habe die Presse eingeladen und habe der Presse gesagt: ‚Ich versuche jetzt mal was, was wahrscheinlich noch keiner mit Ihnen versucht hat. Ich werde Ihnen sagen, erstens, was ich gemacht habe, und zweitens, was ich morgen früh um sechs Uhr tue. Wenn davon irgendwas morgen in der Presse steht, ist meine Zusammenarbeit mit der Presse beendet. Aber ich stehe dazu, dass ich es gesagt habe. Und was ich erwarte ist: Ihr akzeptiert eine offene Medienpolitik und kapiert, dass wir nichts zu verheimlichen haben.‘ […] Also lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe die Presse informiert und hab gesagt: ‚Morgen früh werden zwei Hundertschaften […] um sechs Uhr diesen Platz räumen. Und Ihr habt die Möglichkeit, während der gesamten Maßnahme, aber nicht auf dem Platz, sondern um den Platz rum, dabei zu sein und zu sehen, was wir tun. Wir haben überhaupt nichts zu verheimlichen. Könnt ihr machen.‘ Weil 464 Stüllenberg, Klaus: Wenn Kinder zu Serientätern werden, in: Kriminalistik, H. 11/1987, S. 626–627.

214 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA die beste Möglichkeit, dass hinterher keine Scheiße geschrieben wird, ist: Die sind dabei.“465

An diesen Passagen wird deutlich, welche Bedeutung der Pressearbeit im Rahmen der polizeilichen Arbeit zukam. Infolge dieser gesonderten Behandlung dominierte die polizeiliche Perspektive auf den Konflikt die Berichterstattung und mündete, darauf weisen Bohn et al. hin, in einer „Übererfüllung“466 der Kommunikationsanforderungen durch die Polizei. Andeutungen wurden zu Tatsachen, indirekt formulierte Bewertungen überspitzt, Differenzierungen geglättet und damit ein Bild geschaffen, das die im Abschnitt zur medialen Berichterstattung geschilderten parasitären Züge trug. Die Nähe von Polizei und Presse schlug sich auch in der retrospektiven Wahrnehmung der Berichterstattung nieder: Auf die Frage, welche Bedeutung dem Umstand zukomme, dass es sich bei den Straftätern um Roma handele, nimmt der Interviewte auch in Bezug auf die Berichterstattung der Lokalpresse eine Verteidigungshaltung ein: „Also das hat keine Rolle gespielt. Und die Medien haben das auch so nicht beschrieben. […] Aber das wurde nie so in den Sachzusammenhang gestellt: Die klauen ja nur. Also dieses Bild, was man hat, Zigeuner …. also ziehende Gauner. Was im Übrigen, was ich gelernt habe, eine völlig falsche Übersetzung ist. Also das hat mit ziehenden Gaunern überhaupt nichts zu tun. Das haben wir uns hier in unseren Breiten ausgedacht. Aber das hat auch die Presse, finde ich, super hingekriegt und hat uns eben auch abgekauft und vertraut, dass es für uns einfach nur ein Kriminalitätsphänomen war. Also wir hatten insofern, bis auf diese eine Geschichte da, diesen verlängerten politischen Arm der Sinti und Roma, wir hatten keinen Konflikt mit dieser Volksgruppe. Und auch das Jugendamt nicht. Die waren einfach nur hilflos. Die konnten oder wollten die Kinder nicht unterbringen. Stramme SPD-Linie: Kinder werden nicht geschlossen untergebracht. […] Und ich glaube, also ich finde jedenfalls, das ist ein Beispiel dafür, dass es gelingt, ein Phänomen offen zu benennen und zu zeigen, wie man mit einem Phänomen umgeht, ohne dass auch nur die Vermutung besteht, dass man mit diesem Phänomen anders umgeht, weil es eben Ausländer sind oder wie auch immer man die nennen will, als wenn es Deutsche wären.“467

Im Zuge der Razzia 1987 wurden mehrere Eltern der straffällig gewordenen Kinder verhaftet, mehrere Väter wurden nach Angaben eines ehemaligen Mitarbeiters der Kölner Staatsanwaltschaft im folgenden Verfahren verurteilt.468 Die 465 Interview mit ehemaligem Kölner Polizisten. 466 Bohn/Hamburger/Rock: Polizei und Presse, S. 180. 467 Interview mit ehemaligem Kölner Polizisten. 468 Interview mit ehemaligem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft.

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Polizei wertete den Verlauf des Konfliktes im Jahr 1987 offenbar als Erfolg: Man hatte sich gegen das Jugendamt durchgesetzt, die Presse hatte fast durchweg positiv über die Polizeiarbeit berichtet und es war zu einer Reihe von Verfahren gegen Eltern von Straftätern gekommen. „Ich hoffe, dass diese Veröffentlichung dazu beiträgt, Kollegen in anderen Behörden Mut zu machen, bei entsprechender Problemsituation entschlossen vorzugehen und sich dabei der Unterstützung der Justiz zu vergewissern. […] Eine Vielzahl von Haftbefehlen gegen die ‚Hintermänner‘ und Hehler haben dazu beigetragen, die Gesamtsituation zu entspannen. Jedenfalls in Köln. Und jedenfalls einstweilen […].“469

So endet der Bericht in der Zeitschrift Kriminalistik; und auch der Interviewte beschreibt die positive Rezeption des Vorgehens innerhalb der Polizei: „Ich denke, ich habe bestimmt hundert Vorträge gehalten zu diesen ganzen Prozessen, die natürlich in sich stimmig sein müssen. Sie können nicht das eine tun und das andere lassen. Am Ende müssen Sie alles tun. Was zu großen Beifallsstürmen geführt hat, also innerhalb der Polizei. Was aber in der Umsetzung in den folgenden fünf Jahren, das habe ich ja so ein bisschen begleitet, nicht zu den von mir angestrebten Ergebnissen geführt hat. Weil: Das hat sich keiner getraut.“470

Diese ersten Aktivitäten im Konflikt stellten in vielerlei Hinsicht die Weichen für dessen weiteren Verlauf. Für die Zusammenhänge, welche die Arbeit der Polizei und die mediale Deutung des Phänomens auf viele Jahre hinaus geprägt haben, wurden Deutungsmuster etabliert: der Anspruch, „Hintermänner“ dingfest zu machen; die Annahme einer Kausalität der Straftaten, die innerhalb der Strukturen von „Lagerplatz“, „Familie“ oder „Sippe“ zu suchen sei; die Notwendigkeit, die Kinder aus ihren Sozial- und Familienstrukturen zu entfernen, um die Wiederholung von Taten zu verhindern. Den Rekursraum für diese Deutungsmuster bildeten die Chiffre des „Zigeuners“ und ihre Folgechiffren insofern, als eine Spezifizität der „Gruppe als Straftäter“471 konzeptualisiert wurde. Ebenso wichtig schien jedoch das institutionelle Erlernen eines Umgangs mit dem Gegenstand: die Einrichtung von Sonderkommissionen, die Etablierung mehr oder minder regelmäßiger Razzien auf den Lagerplätzen und später auch in Flüchtlingsunterkünften, um auf ansteigende Fallzahlen und das vermehrte Auftreten von Kindern der Flüchtlingsfamilien als Täter zu reagieren, sowie die Zielrich469 Stüllenberg: Wenn Kinder zu Serientätern werden. 470 Interview mit ehemaligem Kölner Polizisten. 471 Ebd.

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tung einer Entfernung der Kinder aus ihrem sozialen Umfeld. Im Mai 1988 richtete die Kölner Polizei eine weitere Sonderkommission ein, die in den Folgejahren die Lagerplätze kontrollieren sollte. Diese zweite Kommission fiel vor allem insofern auf, als sie Mitarbeiter des mittlerweile entstandenen Sozialprojektes überwachte und über deren Aktivitäten akribisch Buch führte. Phase 2: „Eine Vereinfachung der Abschiebepraxis für diese speziellen Täter …“ Nachdem in den Folgejahren die Deliktzahlen im Bereich Taschendiebstahl fast kontinuierlich angestiegen waren, wurden 1997 bei der Kölner Kriminalpolizei zwei Ermittlungskommissionen eingerichtet, die einem weiteren Anstieg entgegenwirken sollten: die EK „RUM“ und die EK „Tasna“. Während Erstere aufgrund von Informationen aus Strafverfahren wegen bandenmäßig organisierter Kriminalität eingerichtet wurde, war Letztere aufgrund des stetigen Anstiegs der Deliktzahlen in der PKS gegründet worden, um Taschendiebstähle, „die durch Kinder und Jugendliche einer ethnischen Minderheit begangen werden“, aufzuklären.472 Die EK „RUM“ befasste sich mit einem vermuteten kriminellen Netzwerk, das zwar über Köln hinaus operiere, jedoch im Raum Köln/Bonn seinen logistischen Schwerpunkt habe. Tatsächlich deckte die Ermittlungskommission im Laufe der Jahre 1997/98 ein Netzwerk auf, das sich von den Städten Köln und Bonn bis in die rumänische Botschaft in Berlin erstreckte und entführte Kinder zu Diebstählen nötigte. Dieses Netzwerk bestand aus deutschen und rumänischen Staatsangehörigen und wurde aufgrund verschiedener Aussagen der von der Polizei aufgegriffenen Kinder enthüllt. In einer Fallbeschreibung in der Zeitschrift Der Kriminalist schilderte einer der beteiligten Kommissare die Aussagen derjenigen Kinder, die auf massive Nötigung unter Drohungen und Anwendung von Gewalt verwiesen hätten. Das Netzwerk, das nach Aussage des Autors seit mindestens acht Jahren bestehe, habe sich in Berlin sowie im Raum Köln/Bonn/Leverkusen konspirative Wohnungen angeeignet.473 1998 wurde die EK „RUM“ aufgelöst. Infolge der Ermittlungen kam es zur Verurteilung von drei Personen in Deutschland, denen eine bandenmäßige Täterschaft nachgewiesen werden konnte.474 Die EK „Tasna“ wurde im Sommer des-

472 Vgl. Ogrodowski, Jürgen/Hausin, Ralf/Brunke, Peter: Bekämpfung des Taschendiebstahls in Köln, in: Der Kriminalist, H. 2/2003, S. 50–56, hier S. 50. 473 Vgl. Salzmann, Arno: Nur Taschendiebstahl?, in: Der Kriminalist, H. 8/1998, S. 294–298. 474 Interview mit ehemaligem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft.

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selben Jahres eingesetzt und existierte in dieser Form bis ins Jahr 2004. Ihre Initiierung erfolgte nicht aufgrund konkreter Ermittlungsergebnisse, sondern vor dem Hintergrund gestiegener Deliktzahlen und erhöhter Tatverdächtigenzahlen von Kindern und Jugendlichen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die dezidiert auf diese Gruppe begrenzten Ermittlungen wurden mit deren hohem Anteil an den Tatverdächtigen begründet, der eine „täterorientiert[e]“475 Ermittlung rechtfertige. Die Ermittlungen zielten in diesem Fall jedoch nicht ausschließlich auf straffällig gewordene Kinder, sondern gleichermaßen auf deren Eltern ab. Die Zielsetzung der EK wurde folgendermaßen definiert: „1 Senkung der Fallzahlen 2 Einleiten von Verfahren nach § 171 StGB (der § 171 ersetzt seit 1998 der § 170 d StGB – Anmerkung des Autors) 3 Aufdecken von Organisationsstrukturen“476.

Hinzu kam die Kommunikation mit der Öffentlichkeit: „Regelmäßige Presseveröffentlichungen mit Präventionshinweisen, insbesondere massive Aufklärungsaktionen […] führen regelmäßig zu einer erhöhten Sensibilisierung der Bevölkerung und letztendlich zu einer Erhöhung des Sicherheitsgefühls des Bürgers.“477

Die Arbeit der EK zielte somit von Anfang an darauf ab, bereits seit Jahren vermutete Zusammenhänge nachzuweisen. Kriminelle Familienstrukturen der Roma-Familien sollten aufgedeckt werden mit dem Ziel, die Kinder aus ihren Familien zu entfernen und in geschlossenen Heimen unterzubringen. Zur Erreichung dieser Ziele sammelte die EK zunächst systematisch Daten über die Wiederholungstäter. Anklagen sollten als Sammelverfahren gegen die Eltern eingeleitet werden. Zu diesem Zweck kooperierte die EK mit dem Ausländeramt, Jugendamt und Schulamt. Des Weiteren führten die Ermittler eine neue erkennungsdienstliche Systematik ein, die sie nicht nur auf Kinder, die bei Taten erwischt wurden, anwendeten. Zunächst wurden Kinder, die bei Vorbereitungshandlungen oder Straftaten aufgegriffen worden waren, zur Dienststelle gebracht und befragt. Nach der Befragung erfolgte eine Dokumentation möglicher Anzeichen der Verwahrlosung: zum einen bei der Übergabe der Kinder an ihre Eltern durch eine Dokumentation der Wohnsituation, zum anderen durch die Samm475 Ogrodowski/Hausin/Brunke: Bekämpfung des Taschendiebstahls, S. 50. Täterorientierte Ermittlungen versuchen, die Taten über die Persönlichkeitsstruktur eines Intensivtäters aufzuklären. 476 Ogrodowski/Hausin/Brunke: Bekämpfung des Taschendiebstahls, S. 51. 477 Ebd., S. 52.

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lung körperlicher Anzeichen, wofür im Zuge der körperlichen Durchsuchung nach Beute systematisch Dokumentationen angelegt wurden: „Bei der körperlichen Durchsuchung kann sehr genau festgestellt werden, ob das Kind z. B. einen übelriechenden Körpergeruch absondert oder ob anhand erkennbarer Verschmutzungen am ganzen Körper ein Mindestmaß an regelmäßiger Hygiene nicht gegeben ist. Die gemachten Feststellungen werden in Vermerkform in das Verfahren eingebunden. […] Oftmals kann festgestellt werden, dass die Kinder, die über einen längeren Zeitraum immer wieder derselben Dienststelle zugeführt wurden, stets dieselben Kleidungsstücke trugen. Diese sind dann auch dementsprechend verschlissen und verschmutzt. Dies gilt insbesondere für die Unterwäsche der Kinder, wobei in Einzelfällen beobachtet werden konnte, dass die Kinder keine Unterwäsche trugen. Bei extremen Verschmutzungen bietet eine fotographische Dokumentation mit entsprechendem Vermerk einen klaren Nachweis der Verwahrlosung der Kinder.“478

Diese Dokumentation wurde um Berichte über eventuell vorangegangene Verfahren gegen die Eltern wegen eigener Täterschaft oder wegen Verletzung der Fürsorgepflicht ergänzt, um eine Datensammlung über Familienstrukturen anzulegen, die dem Nachweis der Gefährdung des Kindeswohls dienen sollte. In der Auswertung der nunmehr sechsjährigen Arbeit der EK zogen die Polizeibeamten ein gemischtes Fazit. Für sich selbst nahmen sie eine „Senkung der Fallzahlen“ im Bereich des Taschendiebstahls in Anspruch479 sowie die Eröffnung von 37 Verfahren gegen die Eltern. Ferner verwiesen sie auf insgesamt sieben Verurteilungen von Jugendlichen, die Erwirkung von mehrerer Untersuchungshaftbefehle gegen Erwachsene sowie die gerichtliche Verwarnung eines Elternpaares zu einer Geldstrafe in Höhe von 800 Mark nach § 59 StGB ff. Durch die erhöhte Präsenz von Beamten in Zivil und in Uniform im Rahmen ihrer Arbeit sei außerdem eine Reduzierung der Fallzahlen in der Kölner Innenstadt um über fünfzig Prozent erreicht worden.480 Das ursprünglich angestrebte Ziel, Strukturen organisierter Kriminalität aufzudecken, konnte die EK jedoch nicht erreichen. Diesbezüglich spricht der Bericht eine deutliche Sprache:

478 Ogrodowski/Hausin/Brunke: Bekämpfung des Taschendiebstahls, S. 54. 479 Hierzu ist anzumerken, dass die Fallzahlen im Bereich der Taschendiebstähle in der Kölner Polizeistatistik lediglich in den Jahren 1998 und 1999 eine Senkung aufwiesen. Zwischen 1999 und 2003 ist ein Anstieg um 136 Prozent zu verzeichnen, für den Zeitraum 1996 bis 2003 immer noch ein Anstieg von 49 Prozent. 480 Vgl. Ogrodowski/Hausin/Brunke: Bekämpfung des Taschendiebstahls, S. 55.

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„Es konnten keine Organisationsstrukturen erkannt werden[,] wie sie z. B. bei rumänischen Taschendieben vorliegen dürften. Vergleichbare Strukturen innerhalb dieser ethnischen Minderheit dürften nach hiesiger Einschätzung tatsächlich gar nicht existieren. Es ist zwar sehr wahrscheinlich, dass die Kinder von den Eltern zum Taschendiebstahl angehalten werden, dies erfolgt aber ohne Zwang und auch ohne Strafen, wenn die Kinder nach Hause kommen. Diese Erkenntnis kann als gesichert gelten, da sich trotz der Vielzahl von Fällen kein einziger Hinweis auf körperliche Züchtigung oder ähnliche Ausformungen ergeben hat. Das sogenannte ‚Abrichten‘ zum Taschendieb, das gerade bei rumänischen Tätergruppen bekannt wurde, kann bei dieser Tätergruppe ausgeschlossen werden. Hier hat sich gezeigt, dass die älteren Kinder ihre Geschwister anlernen. […] Durch einige wenige Aussagen konnte allerdings belegt werden, dass die Eltern an der Beute partizipieren. Sonstige Hehler oder konspirative Konten wurden nicht festgestellt. Nachweislich geben die Kinder etwa die Hälfte der Beute für sich selbst aus, regelmäßig für Essen, Kino, Kleidung etc., aber auch für Taxifahrten und Hotels. Auf die sich aufdrängende Frage, wo die restliche Beute verbleibt, können hier zum Teil nur Vermutungen angeführt werden. Fakt ist, dass die Familien seit Jahren in ärmlichsten Verhältnissen leben. Hier ist nicht bekannt geworden, dass diese Familien in ihrer Heimat oder sonst in Mitteleuropa einen gehobenen Lebensstandard erreicht haben bzw. einen solchen während ihres Aufenthalts in Deutschland überhaupt angestrebt haben. […] Die Polizeien im gesamten Bundesgebiet ermitteln seit Jahrzehnten immer wieder gegen diese Täterklientel. Nach hiesigem Erkenntnisstand wurden bis heute keinerlei Beweise erbracht, die kriminelle Vereinigung oder ähnliche Bandenstrukturen im Bereich des Taschendiebstahls durch Angehörige dieser hier in Rede stehenden ethnischen Minderheit belegen.“481

Der gesamte Bericht ist für den Kölner Konfliktverlauf aufschlussreich. Zunächst stand am Ende einer sechsjährigen Ermittlungsarbeit die Erkenntnis, dass konsensuelle Annahmen über „Hintermänner“, kriminelle „Sippen“ und die steuernde Funktion der Eltern durch Zwang zum Diebstahl nicht stimmten. Ferner betonte er dennoch die Notwendigkeit der Exklusion der straffällig gewordenen Kinder und Jugendlichen als Maßnahme zur Reduktion der Deliktzahlen. Dieses Ziel sollte über zwei Wege erreicht werden: Zum einen wurde über öffentlichkeitswirksame Kommunikation versucht, den Druck auf Behörden zu erhöhen; zum anderen betrieb die EK eine systematische Sammlung von Daten, um in einem zweiten Schritt die Kinder aus ihren Familien in die geschlossene Unterbringung zu übergeben. Wenngleich die Polizei sich nicht alleine in der Rolle der Konfliktlöserin sah, durchdrang diese Logik der sozialen Exklusion ihre Annahmen darüber, welcher Horizont an Lösungsmöglichkeiten überhaupt existierte: 481 Ebd.

220 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA „Alle Mitarbeiter mussten letztendlich feststellen, dass die Polizei das Problem allein nicht abschließend lösen kann. Es sind alle Ordnungsbehörden der Städte gefordert, aber auch der Gesetzgeber sollte wegen der allgemein steigenden Jugendkriminalität für Intensivtäter (wieder) andere Maßnahmen ergreifen. Insbesondere sollten die rechtlichen Voraussetzungen für die Unterbringung in geschlossenen Heimen, die es tatsächlich gibt, erleichtert werden. Gerade dieser Punkt ist seit einiger Zeit in der öffentlichen Diskussion. Eine Vereinfachung der Abschiebepraxis für diese speziellen Täter würde vermutlich unterstützend wirken. […] Kriminalpolitisch wird derzeit auch innerhalb der Polizei über das ‚New Yorker Modell‘482 diskutiert, um der in einigen Deliktbereichen steigenden (Jugend-)Kriminalität Herr zu werden.“483

Der Bericht der EK „Tasna“ stand am Ende einer langen Episode polizeilicher Ermittlungen und Interventionen, die darauf abzielten, dem über Jahre angestiegenen Taschendiebstahl in Köln Herr zu werden. In den Folgejahren fand eine Umstrukturierung der Polizeiarbeit zwecks Bekämpfung von Taschendiebstahlsdelikten statt, die u. a. darauf zurückzuführen ist, dass schon seit 2004, aber insbesondere seit 2005 ein drastischer Rückgang der Tatverdächtigenzahl nichtdeutscher minderjähriger Jugendlicher im Kölner Raum verzeichnet wurde.484 In den Deliktzahlen schlug sich dieser Rückgang zunächst nicht nieder. Sie waren im Jahr 2004 (12.097) fast genauso hoch wie im Vorjahr (12.265) und sanken auch im nächsten Jahr nur geringfügig (11.780). Dennoch fielen die Deliktzahlen in den Folgejahren auf das punktuelle Tief von 7.002 im Jahr 2010 – um in den folgenden Jahren wieder auf einen vorläufigen Höchststand von 14.059 im Jahr 2014 anzusteigen. Die polizeilichen und medialen Deutungen von Zusammenhängen zwischen sozialen und insbesondere ethnischen Gruppen und Delikten sollten allerdings mit Vorsicht genossen werden: Die Aufklärungsquote im Bereich des Taschendiebstahls war bundesweit sehr gering und lag in den Jahren der EK „Tasna“ zwischen 8,8 Prozent (1997) und 4,9 Prozent (2004) – eine solche Aufklärungsquote kann jedoch keine Grundlage für Kausalitätsaussagen hinsichtlich sozialer Gruppen bilden. Auch vor diesem Hintergrund waren Medienberichte, die – unter Verweis auf Aussagen der Polizei – zwei Drittel, achtzig Prozent oder gar neunzig Prozent der Delikte der Gruppe der „Klau-Kids“ zuordneten, äußerst fragwürdig. 482 Zur Kontroverse im deutschsprachigen Raum siehe beispielsweise Dreher, Gunther/ Feltes, Thomas (Hrsg.): Das Modell New York: Kriminalprävention durch ‚Zero Tolerance‘?, Holzkirchen 1997. 483 Ogrodowski/Hausin/Brunke: Bekämpfung des Taschendiebstahls, S. 56. 484 Waren 2003 noch 1.091 Tatverdächtige ermittelt worden, so sank deren Zahl 2004 auf 814 und 2005 schließlich auf 436.

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Diese Feststellung soll freilich nicht im Widerspruch zu den Aussagen der Kölner Polizei gesehen werden, denen zufolge in einem Zeitraum vermehrt bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen beim Diebstahl erwischt worden seien. Sie verweist jedoch auf eine spezifische Bedeutung, die der Gruppe der Roma vonseiten der Polizei zugesprochen worden ist und auf die im Folgenden eingegangen wird. Sie betrifft zum einen den Deutungsrahmen, in dem die straffälligen Kinder verortet wurden. Nach Ansicht der Autoren der EK „Tasna“ konnte dem Phänomen der „Intensivtäter“ nur begegnet werden, indem andere Institutionen diese aus der Gesellschaft ausgrenzen und so weitere Taten verhindern würden. Um dieses Ziel zu erreichen, griff die EK „Tasna“ mit dem Ermittlungsziel des Nachweises der Vernachlässigung der Fürsorgepflicht in einen Kompetenzbereich ein, der vornehmlich dem Jugendamt oblag.485 Hiermit folgte sie den Strategien, die 1987 innerhalb der Kölner Polizei zumindest als kurzfristiger Erfolg verbucht worden waren, und knüpfte zugleich an Diskussionen an, die seit den späten 1990er Jahren bundesweit virulent gewesen waren. Die Debatte um „Intensivtäter“ wurde in Kriminologie, Kriminalistik und Öffentlichkeit insbesondere seit Ende der 1990er Jahre intensiv geführt. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass sich ein relativ großer Teil verübter Delikte auf einen kleinen Kreis Tatverdächtiger zurückführen ließ; wobei jedoch bisher weder eine kohärente Definition noch eine Abgrenzung von anderen, ebenfalls Phänomene wiederholter Straffälligkeit beschreibenden Kategoriebildungen, wie dem Mehrfach- oder dem Wiederholungstäter, gelungen ist. Der Begriff des „Intensivtäters“ wird jedoch häufiger in Bezug auf Jugendliche benutzt und hat sich in der medialen Berichterstattung als eine Art Signalwort etabliert, das auf Fälle von Delinquenz, die gesonderten Maßnahmen zu unterwerfen sind, verweist.486 Das Aufkommen des Begriffs in der medialen Berichterstattung ist auf das Labeling durch die Polizei zurückzuführen – verwiesen doch die Journalisten regelmäßig auf teilweise wörtliche Zitate. Die Berichte der beiden dargestellten 485 Der Bund Deutscher Kriminalbeamter spricht in diesem Zusammenhang von einem „Spannungsfeld zwischen Strafverfolgung und Jugendhilfegedanke. […] Das Jugendamt hat unbestreitbar das Recht, statt oder neben den im SGB VIII normierten Jugendhilfemaßnahmen auch eine Strafanzeige zu erstatten. Eine Anzeigepflicht an die Strafverfolgungsbehörden besteht jedoch nur dann, wenn keine andere Jugendhilfemaßnahme ebenso geeignet ist, die Kindeswohlgefährdung abzuwenden wie eine Strafanzeige. So liegt es letztlich auch bei Vorliegen der Voraussetzungen immer noch im Ermessen des Jugendamtes, ob Mitteilungen an die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft gemacht werden.“ (Bund Deutscher Kriminalbeamter (Hrsg.): Kindesmisshandlung, Berlin 2010, S. 94.) 486 Vgl. Walter: Mehrfach- und Intensivtäter.

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Ermittlungskommissionen lassen Rückschlüsse auf den polizeilichen Blick auf den Konflikt zu, der massiv in dessen Dynamik hineinwirkte. Im einen Fall konnte tatsächlich ein kriminelles Netzwerk nachgewiesen werden – bei dem es sich jedoch weder um die Kinder der geflüchteten Roma-Familien noch um „Hintermänner“, die im Kontext der Familien zu suchen waren, handelte. Im Interview wies ein ehemaliger Kölner Staatsanwalt darauf hin, dass für die Taten des Netzwerks insbesondere Kinder beschafft worden seien, die nicht dem klassischen Bild des „Klau-Kids“ entsprochen hätten: „Kinder mit blonden Haaren, damit die auf den Märkten oder so nicht auffielen“487. Die Informationen, mit deren Hilfe das Netzwerk aufgedeckt wurde, entstammten Ermittlungen, die nicht im Bereich des Taschendiebstahls angesiedelt waren.488 Im zweiten Fall wurde zwar mit ähnlichen Annahmen operiert, jedoch traten diese in kulturalisierter Form auf. Die Handlungen der Polizei stützten sich auf Annahmen über eine spezifische Funktionsweise von Familienstrukturen, die immer wieder mit dem Begriff des „Clans“ oder der „Sippe“ umschrieben wurde. Diese Vermutungen schlugen sich innerhalb der Ermittlungskommission in dem Auftrag nieder, Organisationsstrukturen unter „den Roma“ zu ermitteln, die hinter dem Phänomen der kriminellen Kinder steckten. Der Begriff selbst wurde jedoch an keiner Stelle spezifiziert. Während im Interview mit einem ehemaligen Polizeimitarbeiter, der 1987 bei der Kölner Polizei tätig gewesen war, noch komplett auf den Begriff verzichtet wurde, fand er sich sowohl in der Berichterstattung als auch in den Polizeiberichten sowie im Interview mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Kölner Staatsanwaltschaft gehäuft wieder. Letzterer umschrieb im Hinblick auf seine Arbeit im Bereich organisierter Kriminalität mit dem Begriff zunächst geschlossene Familienstrukturen, in die nur schwer Einblick zu erlangen sei. In Bezug auf seine frühere Arbeit bezeichnete er damit eine spezifische Form eines familiären Netzwerks, das kriminelle Aktivitäten verfolge. Bei näherem Nachfragen wurde der Begriff jedoch merklich unschärfer: „Interviewer: Wie kommt man denn an solche Strukturen? Also wie kommen Sie … wie erkennen Sie Clanstrukturen zum Beispiel, wie haben Sie das in der Arbeit gemacht? S.: Ja, das kann ich Ihnen sagen. Wenn da also jetzt zum Beispiel Anrufe kommen bei den Geschädigten oder sonst was, ne? Dann guckt man, dass man die rückwirkenden Verbindungsdaten bekommt und dann kann man sehen: Also da sind drei oder vier Telefongespräche, die sind meistens aus dem Ausland, ne? Also die … der oder diejenige, die die 487 Interview mit ehemaligem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft. 488 Vgl. Salzmann: Nur Taschendiebstahl?, S. 294.

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alte Frau anruft, das ist meistens aus dem Ausland, ja? Und dann ruft später einer aus Deutschland an, aus der gleichen Stadt. Da wird also … Das Gespräch läuft so: ‚Hier, hallo, ich bin’s. Kennst du mich nicht?‘ ‚Ja, wer denn?‘ ‚Ja, kennst du meinen …?‘ ‚Ach, du Josef oder Adolf‘. Ne? Man nimmt immer altertümliche Namen raus, wenn man das weiß. Also Adolf nennt heute keiner mehr seinen Sohn. Interviewer: Ja, ja. S.: Ne? Und dann kommt … Gespräch gemacht, Bank oder Sparkasse gehen und so weiter. Und zehn Minuten später der gleiche Anrufer: ‚Ja, hör mal zu. Ich kann leider nicht, ich bin verhindert. Ich schicke einen Freund vorbei.‘ Und dann sagt die Oma: ‚Ja, wie soll ich den erkennen?‘ ‚Ja, der sieht so und so aus und der hat das und das an und wir machen ein Kennwort‘ oder sonst was, ne? Und dann ruft [der] aus dem Ausland den sogenannten Abholer über Handy an. Und teilweise ruft dann der Abholer auch noch die Oma an: ‚Ich komme gleich‘ und sonst was. Dann hat man schon mal die Daten und so weiter. Wenn man die festhält und so weiter, sieht man, da ist einer, der ständig da anruft und so weiter. Dann weiß man, da ist also derjenige … ist der Mittelpunkt. Und derjenige, der da anruft, der hat meistens vier, fünf, sechs, zehn Leute, die abholen. Ne? Also als … Bei der Frau [Name] war das zum Beispiel so, die grassierten die Städte nacheinander an. Die waren in Hamburg, dann waren die in Hannover, dann waren die in Frankfurt, dann in München, dann in Stuttgart, dann in Köln und so weiter. Ne? Und wenn man drei, vier Strukturen … dann hat man das natürlich. So kann man die ermitteln. Interviewer: Aber sind das dann Familien? S.: Das sind Familienclans meistens. Ja. Interviewer: Das heißt, die Leute, die in Deutschland agieren, die gehören zu einer Familie? S.: Die gehören zu … zu einem Clan. Interviewer: Und meinen Sie, dass … S.: Einem größeren Clan. Ne? Also das können hundert Leute sein oder sonst was. Das können auch Weitverwandte … sein. Manchmal hat man dann auch Leute, die keine Roma sind. Denen man Geld gibt. ‚Du kannst dir gerade was verdienen. Kannst mir einen Gefallen tun?‘“

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In der Berichterstattung und auch in den Interviews blieben die Begriffe „Sippe“ oder „Clan“ unspezifisch; sie schlossen, wenn überhaupt, eher bestimmte Formen sozialer Organisation aus, als dass sie eine bestimmte Form festgelegt hätten. Das Diffuse an ihnen schien jedoch gerade ihre Stärke in Erklärungsmustern auszumachen. In den Debatten über Roma nahmen sie als politische Begriffe eine wichtige Funktion ein, umschrieben die Differenz zwischen „unserer“ Gesellschaftsform und derjenigen der „anderen“, die mit Assoziationen belegt war und daher eben nicht weiter ausgeführt werden musste. Diese Differenzziehung wurde noch unterstrichen, indem die Begriffe „Clan“ und „Sippe“ zugleich vormoderne, archaische Assoziationen bedienten. Sie füllten gewissermaßen eine Lücke in Erklärungsmustern, produzierten jedoch zugleich eine kulturelle Differenz, die mit einer prinzipiellen Verdächtigung belegt war, weil dem Begriff kriminelle Konnotationen innewohnten. Auch diese Begriffe waren, wie der des „Intensivtäters“, Begriffe, die eine strukturelle Differenzierung zwischen Gesellschaft und Delinquenz erzeugten. Schlussendlich fanden sich über den gesamten Konfliktverlauf hinweg verschiedene Maßnahmen, die in ihrer Intensität nicht nur unverhältnismäßig erschienen, sondern auch mit Annahmen über spezifische, andersartige Eigenschaften der Gruppe der Roma verbunden waren. Auch zielten diese Maßnahmen häufig auf die Entität der Gruppe der Roma und nicht auf einzelne, konkret verdächtigte Personen ab. Dieses Bild eines kriminellen Kollektivs wurde auch medial immer wieder durch die Polizei reproduziert. An den Peaks der Kölner Debatte wurde, wie zuvor dargestellt, mit Bezug auf die durch Kinder ausgeübte Kriminalität medial regelmäßig die Äußerung eines „Kampfs gegen Windmühlen“ zitiert. Das Zusammenspiel aus Sondermaßnahmen, einem sie begründenden spezifischen Bild der Gruppe der Roma sowie Annahmen über das kollektive Wesen, die auf eine unbestimmte Übermacht verwiesen, beschrieb bereits 1986 der Rechtssoziologe Wolfgang Feuerhelm in einer polizeipsychologischen Studie über das Verhältnis von Polizei und „Zigeunern“. Feuerhelm hatte in Interviews in starker Häufung eine „Haltung des prinzipiellen Verdachts“ vorgefunden, die auf alltagstheoretischen Annahmen beruhe und sich in polizeilichen Handlungsstrategien niederschlage. Diese speise sich, so Feuerhelm, sowohl aus der charakterlichen Zuschreibung von Kriminalität als auch aus Annahmen über gruppeninterne Solidarität und korrespondiere „mit der Einstellung, dass die Ermittlungsarbeit bei Sinti und Roma meist erfolglos ist. Die Äußerung ‚die Zigeuner sind uns über‘ scheint hier eine typische Haltung zu markieren. Die unterstellte Erfolglosigkeit hat zur Folge, dass das unerreichbare Ziel der polizeilichen Arbeit nunmehr in anderer Weise definiert wird. Einen regelmäßigen Erfolg scheint

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es darzustellen, die ‚Zigeuner‘ durch eigene Maßnahmen zu sanktionieren und zu disziplinieren.“489

In verschiedenen Zusammenhängen legte die Polizei Verhaltensmuster an den Tag, die entweder solchen Sanktionierungsweisen in Form gesonderter Härte entsprachen oder besondere Eingriffe in die Grundrechte mit Spezifika der Ethnie begründeten – 1995 etwa, als die Polizei im Kontext der Suche nach der Mutter eines im Park aufgefundenen Neugeborenen eine Flüchtlingsunterkunft umstellte und sämtliche Frauen im gebärfähigen Alter zu einer Blutuntersuchung abholte. Der leitende Staatsanwalt hatte laut Spiegel den Einsatz mit „den Besonderheiten dieser ethnischen Minderheit“ begründet: „Die gehen uns nämlich alle laufen.“490 Auch Kollektivrazzien wie im Jahr 1990 mit einem Großaufgebot an Polizisten wohnte ein „abschreckendes“ Moment inne. Sie zielten nicht auf einzelne, konkrete Verdächtige, sondern auf das gesamte Kollektiv ab. Selbst unter der Vorannahme, dass kriminelle Familienstrukturen vorlägen, scheinen sie unverhältnismäßig, da Verwandtschaftsbeziehungen nicht im Vorfeld eruiert wurden, sondern aufgrund eines prinzipiellen Verdachtes agiert wurde. Auch in der zweiten Hochphase des Konfliktes wurden Sondermaßnahmen sowohl in der Ermittlung als auch in der Strafverfolgung eingesetzt und eingefordert. Die ergriffenen Maßnahmen der EK „Tasna“, um den Eltern die Verletzung der Fürsorgepflicht nachzuweisen, können als ein solcher Fall betrachtet werden. Wie zuvor aufgeführt, wurden Leibesvisitationen vorgenommen, um Hinweise auf eine Vernachlässigung der Kinder zu sammeln, die im Verfahren gegen die Eltern genutzt werden sollten. In Vermerken notierten Mitarbeiter der EK körperliche Zeichen der Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen. Einer Zwölfjährigen wurde „ein beißender und ekelerregender Geruch“ attestiert, als sie ihre Hose auszog. „Dieser Geruch intensivierte sich, als sie ihre Unterhose herunterzog. Diese war stark mit Urin, Kot und Ausfluss verschmutzt“491, so der Bericht; ihm angehängt waren Fotos der verdreckten Unterwäsche. Ein Rechtsgutachten im Auftrag des Rom e. V. betonte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der in diesem Zusammenhang gebrochen worden sei, und kam zu dem Schluss, dass die Maßnahmen – da sie keine gerichtlich verwendbaren Beweismittel erzeugt hätten – wohl eher auf die Abschreckung von weiteren Taten ausgerichtet gewesen seien.492 489 Feuerhelm: Polizei und „Zigeuner“, S. 295. 490 Zit. n. o. V.: Völlig verängstigt, S. 66. 491 Protokoll der EK „Tasna“ vom 25.10.2000 (einsehbar im Archiv des Rom e. V.). 492 Vgl. Schön, Reinhard/Reinecke, Eckhard: Rechtliche Stellungnahme vom 20.11.2003 (einsehbar im Archiv des Rom e. V.).

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Noch 2004 äußerte sich das Polizeipräsidium Köln zum Thema der institutionenübergreifenden Aktivitäten in Bezug auf Straftaten, die von Roma-Familien ausgegangen seien. In der Mitteilung wurde ein ganzes Bündel an Maßnahmen vorgestellt, die Sozialhilfebetrug unterbinden, unerlaubte Einreise verhindern und Straftaten reduzieren sollten. In diesem Zusammenhang kritisierte die Pressemitteilung die Handlungsvorschriften des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), bei dem nicht der Sühne-, sondern der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehe. Das Gesetz wurde als nicht hinreichend dargestellt, da es „für Intensivtäter dieser Qualität nicht geschaffen wurde“493. Die „Haltung des prinzipiellen Verdachts“ war in den Kölner Fällen besonders virulent, weil sich im Laufe der Jahre immer wieder Beweise anzusammeln schienen, dass prinzipielle Verdächtigungen berechtigt seien. Für die Nötigung zum Diebstahl in den 1980er Jahren gab es Belege und Verurteilungen, wie sich ja auch tatsächlich massive Hochphasen von Taschendiebstählen durch Kinder aus einzelnen Familien verzeichnen ließen. Mit anderen Worten: Es fanden sich immer wieder Bestätigungen für die Annahme, dass mit den Roma ein spezifisches Gefahrenpotenzial verbunden sei. Täterorientierte Polizeiarbeit nimmt, um Verbrechen aufzuklären, die Motivation für das Begehen von Straftaten, Strategien und Lerneffekte sowie die Verbreitung krimineller Praktiken ins Visier. Und sie versucht, das Problem aus dieser Perspektive zu lösen. So entstand ein Blick auf das Phänomen kindlicher Kriminalität, der, wie sich im Folgenden zeigen wird, ein komplementäres Gegenstück zur Sichtweise der Akteure aus sozialen Bewegungen in der Stadt bildete: hier Kriminalität als intendiertes und kulturell verankertes Verhalten, dort Kriminalität als Ergebnis gesellschaftlicher Ausgrenzung. Städtische Verwaltung und Rom e. V. als Konfliktakteure Der Rom e. V. ist aus den Auseinandersetzungen um Roma in den 1980er Jahren hervorgegangen. Die Transformation des Vereins von einem Akteur der Kölner linken Szene hin zu einem sozial orientierten, im bürgerlichen Milieu anerkannten und mit städtischen Institutionen kooperierenden Verein ging mit einer Strategieänderung in der Bearbeitung des Konfliktes einher. Für die Klau-Kids-Debatte lassen sich in der Agitation des Rom e. V. zwei Etappen aufzeigen. In den 1980er und frühen 1990er Jahren war der Verein nicht nur in der Kölner linken Szene, sondern auch mit den Kölner Grünen eng vernetzt. Mehrere Vereinsmitglieder waren zugleich in der Partei aktiv. Schon zu Beginn des Kon493 Pressestelle der Polizei Köln: Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Köln, 04.05.2004.

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fliktes kritisierten die Grünen in Stadtratssitzungen das Verhalten der Stadt, die den an den Lagerplätzen wohnenden Personen nur spärliche Hilfe angeboten habe. Am 7. Mai 1987 beispielsweise, in der ersten Hochphase des Konfliktes, diagnostizierte der grüne Abgeordnete Dieter Göbel eine „pogromartige“ Stimmung in der Stadt, die mittlerweile zu gehäuften Übergriffen seitens der deutschen Bevölkerung geführt habe. Auch die Polizei betreibe durch eine Schikane der Platzbewohner Stimmungsmache, die sich weiterhin in den Äußerungen des Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins Bocklemünd-Mengenich niederschlage, der den Platz als die „größte Kloake Kölns“ bezeichnet habe. Göbel warf der Stadt eine gezielte Politik der Ausgrenzung vor, die sich sowohl in der Vorenthaltung menschengerechter Unterbringung als auch in der Verweigerung von Wandergewerbescheinen und Aufenthaltserlaubnissen niederschlage. Letztere führe dazu, dass die Kinder klauen müssten, um die Familien zu ernähren. In den Reden, welche die Grünen bei der Sitzung hielten, wurde mehrfach eine historische Ebene geöffnet, die seitens des links-alternativen Milieus bis weit in die 1990er Jahre zur Rahmung des Konfliktes eingesetzt wurde. In einer Rede warf etwa das Stadtratsmitglied Linke der Kölner CDU vor, mit ihrer Forderung nach einer gesonderten ausländerrechtlichen Überprüfung der Platzbewohner und der geschlossenen Unterbringung ihrer Kinder „[…] zwei Instrumente wieder einzuführen, die in Preußen und im dritten Reich [sic!] zu den Hauptmitteln der Diskriminierung und der Unterdrückung von Minderheiten gehörten: 1. Die datenmäßige Erfassung von bestimmten gesellschaftlichen Minderheiten. Im Faschismus dienten die sogenannten Zigeunerkarteien zur Ausrottung der Roma und Sinti. […] Zu Punkt 2, der Wiedereinführung der geschlossenen Heime. Es war ein großer Schritt in Richtung einer humaneren Jugendpolitik, als in der Bundesrepublik die geschlossenen Heime abgeschafft wurden […]. Wir werden es nicht zulassen, dass kleinkarierte Lokalpolitiker, die auf der Welle des sogenannten gesunden Volksempfindens reiten, die Rückkehr zu den Kinderknästen organisieren.“494

Einige Minuten zuvor hatte der Redner noch angekündigt, „Herrn Blömers Vorschläge zur Endlösung der Kölner Judenfrage – der Kölner Roma-Frage […]“ zu analysieren. „Ich habe mich eben versprochen, weil die Vorschläge eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen.“495 Die Rede war von heftigen Tumulten begleitet. Die Referenz des Umgangs mit Sinti und Roma im Nationalsozialismus war in diesen Jahren die wichtigste Klammer, die vonseiten linker und antirassistischer 494 35. Öffentliche Sitzung des Rates der Stadt Köln vom 07.05.1987, Ratsprotokolle des Jahres 1987, S. 167–168 (einsehbar im Archiv des Rom e. V). 495 Ebd., S. 167.

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Gruppen, des Rom e. V., der Grünen, aber auch des Bundesverbands der Sinti und Roma im Konflikt angebracht wurde. In zahlreichen Aktionen thematisierte der Rom e. V. in den kommenden Jahren diese historische Dimension des Konfliktes. Er insistierte auf der historischen Verantwortung, die der deutsche Staat gegenüber den Roma habe, thematisierte in Ausstellungen, auf Kongressen, bei Protestaktionen und Besetzungen die noch ausstehende Aufarbeitung des Porajmos496. Die Institutionalisierung des Vereins setzte sich zunächst auch im Rahmen der historischen Aufarbeitung fort. Anfang der 1990er Jahre erhielt der Verein eine größere finanzielle Förderung zum Aufbau eines Archivs der Geschichte der Roma. Erste ABM-Stellen wurden geschaffen, ebenso eine Sozialberatung eingerichtet, die noch bis heute Bestand hat. Bis in die beginnenden 2000er Jahre lag hierauf auch der primäre Fokus des Vereins: Öffentlichkeitsarbeit, historische Arbeit und Sozialberatung für geflüchtete Roma. In den beginnenden 2000er Jahren fand schließlich ein Strategiewandel im Umgang mit anderen Konfliktakteuren statt. Nachdem der Kölner Express im August 2002 die Titelschlagzeile „Die schlimmsten KlauKids von Köln“ veröffentlicht hatte, sah der Verein dringenden Handlungsbedarf und versuchte, sich der Situation der Kinder selbst anzunehmen: „Ja, und dann 2002 war die Lage ein bisschen anders eben. Und dann haben wir Frankfurt besucht. Frankfurt hat ein Projekt ‚Schaworalle‘ heißt das. Und als wir dann da waren, das war irgendwie, das verstehen die Leute heute gar nicht mehr, die sagen, das ist hier ein Ghetto und so, ne? Und das stigmatisiert unsere Kinder. Es gibt ja so ’ne Kritik auch von Romaseite. Aber es war genau andersherum: Wir haben nur diese Ghettos mit den Flüchtlingsheimen gesehen. Die waren alle dermaßen marode, kaputt, unhygienisch, überbelegt. Und als wir nach Frankfurt kamen, die hatten gerade einen abgebrannten Kindergarten neu aufgebaut. Und die Kinder waren alle verlegt worden, aufgeteilt auf andere Kindergärten, so dass dieser Raum freistand. Ich habe das Konzept mit meiner Freundin für ‚Amaro Kher‘ geschrieben und ‚Amen Ushta‘ und so. Und als wir das Konzept geschrieben hatten, mussten wir ja durch die Parteien tingeln und das vorstellen, da wir im Rat eine Mehrheit haben wollten. Und das musste ich dann machen. Und dann habe ich mir die Grünen gespart, da habe ich nur mit telefoniert, weil ich dachte: Meine Leute, das muss dann schon so gehen, ne? Bei der ‚Linken‘ war ich und dann sagte so ein alter Mann: ‚Ja, das ist ja wirklich toll, was Ihr da vorhabt und natürlich habt Ihr unseren Segen. Aber Fräuleinchen‘, sagte der, ‚Fräuleinchen, ihr müsst zur FDP gehen.‘ Da musst du jetzt hin. Und da wollte ich natürlich überhaupt nicht hin, bin ich auch nicht. Und bei der CDU war ich und dann sagte die Frau, die hatte sich aber Verstärkung geholt, alleine konnte sie die496 Porajmos bezeichnet den Völkermord an europäischen Roma im Nationalsozialismus.

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ses Gespräch gar nicht machen, die sagte dann: ‚Ja, Sie wissen ja, wir wollen Sie nicht hier haben, aber Sie kommen ja immer wieder. Und da muss man ja was machen.‘ Das zu den Parteien. SPD fand das auch in Ordnung, was wir gemacht haben.“497

Der Verein stellte das Vorbild „Schaworalle“ den Medien vor, parallel dazu fand innerhalb der schwarz-grünen Koalition unter Oberbürgermeister Fritz Schramma eine Auseinandersetzung darüber statt, wie die Koalition sich angesichts der Stimmungslage innerhalb der Stadt zu positionieren habe. In dieser Auseinandersetzung wurden sozialpädagogische, familienpädagogische, aber auch repressive Maßnahmen erarbeitet, mit deren Hilfe man versuchte, das Problem in den Griff zu bekommen. Als klassisches Beispiel eines politischen Kompromisses zielte dieses Maßnahmenset sowohl auf die Abschiebung mehrerer Familien als auch auf einen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik ab. Eine Mitarbeiterin der Kölner Ausländerbehörde betonte den Signalcharakter der Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung: „Aber wenn man das so auf die sachliche Ebene zurückführt: Wir haben uns also regelmäßig angeguckt, wer hat welche Straftaten begangen. Wir haben also auch da so ein bisschen unser Klientel differenziert betrachtet und haben uns angeguckt: Diese Person muss gehen, diese Person muss gehen, weil eben auch da nicht die Einsichtsfähigkeit da war oder auch die Bereitschaft da war. Das hat schon stattgefunden. Und es hat auch dann auch schon mal die ein oder andere Sammelaktion der Rückführung gegeben, wenn ich dann Pässe bekam, auch von diesen Personen, um deutlich zu machen: Wer sich nicht an die Spielregeln hält und wo es möglich ist, die schieben wir auch ab. Das musste auch sein! Das musste einmal für die Bevölkerung sein. Einmal auch um zu sagen: Guckt, wir schieben ja nicht die artige Roma-Frau ab, die sich mit ihren Kindern auf den Weg gemacht hat, sondern wir schieben die Leute ab, die ganz bewusst die Spielregeln nicht einhalten, ne?“498

Diese Zweigliedrigkeit – einerseits durch Abschiebungen „schwierige“ Fälle auch nach außen kommuniziert aus der Gesellschaft zu entfernen und andererseits Perspektiven für solche Familien zu schaffen, die nicht in dieses Raster fielen – wurde zur neuen Politik der Kölner Ausländerbehörden. Das System der Kettenduldungen, unter denen eine Vielzahl von Roma-Familien litt – und dies bis heute noch tut –, sollte beendet und die „Verfestigung“ eines Teils der Kölner Roma zum Ziel der neuen Politik der Ausländerbehörde erklärt werden:

497 Interview 1, Rom e. V. 498 Interview mit einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Köln.

230 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA „Aber wir haben uns dann angeguckt: Wen können wir verfestigen und wen nicht? Und wie können wir also auch mit denen perspektivisch arbeiten. Wir haben auch mal so ein Profiling aufgelegt, so ’n Fähigkeits- oder Qualifikationsprofiling, um zu gucken, wo können die arbeiten und wo können wir die hintun. Und wie ist das mit deren Zuverlässigkeit. Und dadurch konnten wir in der ersten Bleiberechtsregelung unter Nutzung aller gesetzlichen Möglichkeiten auch 60 Prozent verfestigen. Das war natürlich eine große Anzahl. Also über 2.000 haben wir damals verfestigt über einen bestimmten Zeitraum. Und das funktioniert auch, […] da gab es ganz unterschiedliche Kriterien. Haben die sich schon um Erwerbstätigkeit bemüht, haben die die Kinder in die Kita geschickt, haben die die Kinder in die Schule geschickt, waren die pünktlich bei den Terminen, haben die auch die Dinge beigebracht, die wir brauchen, haben die sich auch um eine Passbeschaffung gekümmert – also solche Dinge. Ne? Oder inwieweit haben die sich zurückgelehnt und gesagt: ‚Mir ist das egal, hier geht es mir einfach besser‘?“499

Mit der Eröffnung des Projektes „Amaro Kher“ schloss die Phase der Transformation des Konfliktes in Köln ab. „Amaro Kher“ ist dabei durchaus ambivalent zu betrachten: Als Projekt, das Roma getrennt von deutschen Kindern aufzieht, hat es zur Segregation dieser Kinder beigetragen; zugleich ist jedoch anzumerken, dass eine gezielte Arbeit mit Roma-Kindern schon sinnvoll erschien, weil im zeithistorischen Kontext der frühen 2000er Jahre allein die Chiffre „Roma“ für die Kinder als heftiges Stigma galt, das zu großen Problemen für die Kinder im alltäglichen Schulbetrieb führte. Hinzu kam, dass sich das Projekt bemühen musste, solchen Kindern eine nachholende Schulbildung zu ermöglichen, die häufig seit Jahren keine Schule besucht hatten. Das Projekt zielte darauf ab, Kinder von der Straße zu holen und damit die Exklusionseffekte der vergangenen Jahre zumindest abzumildern. Zugleich war der Verein bemüht, gegenüber der Öffentlichkeit die soziale Ebene der Auseinandersetzung und Devianz von Kindern als ein Problem misslungener Integrationspolitik zu kommunizieren. Konfliktverlauf und Konfliktdynamiken Der Kölner Fall kann als Auseinandersetzung auf zwei Ebenen betrachtet werden. Zunächst auf einer kommunikativen Ebene: Hier ist auffällig, dass die Polizei in hohem Maße in der Lage war, den Konflikt zu „framen“, also den Interpretationsrahmen dafür zu bestimmen, welche Zusammenhänge als ursächlich für das Phänomen „Klau-Kids“ angesehen wurden. Als Akteur erhielt die Polizei damit eine große Deutungsmacht und schaffte es in den Hochphasen der Ausei-

499 Interview mit einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde Köln.

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nandersetzung immer wieder, ihre Forderungen in der politischen Debatte über den Umgang mit den geflüchteten Roma unterzubringen. Nichtsdestoweniger gab es schon zwischen den beiden Hochphasen 1987 und 2001 bis 2004 bedeutende Unterschiede: Waren die Medienberichte in den 1980er Jahren noch von einem direkt zu diagnostizierenden Bild des „Zigeuners“, das sich typischer Stereotype bediente, geprägt, weist die zweite Hochphase des Konfliktes in der Berichterstattung eine „Criminology of the other“500 auf. Diese konstatierte nicht direkt „zigeunerische“ Charakteristiken, spielte nicht so sehr mit den klassischen Elementen des Parasitären oder Nomadischen. Vielmehr arbeitete sie mit dem faktischen, devianten Verhalten, das als Auswuchs einer anti-sozialen Kultur interpretiert wurde, die essenzielle Werte der deutschen Gesellschaft ablehne. Dieser Logik nach wird die statistische Häufung zur faktischen, kulturellen Differenz. Dort, wo der Vergleich zwischen zwei als kulturell unterschiedlich definierten Gruppen Andersartigkeit in Bezug auf kriminelles Verhalten zeigt, wird diese Differenz auf die Kultur zurückgeführt. Der Kriminologe Arno Pilgram sieht diese „Verfremdungskriminologie“ schon seit den 1990er Jahren auf dem Vormarsch, und – damit einhergehend – die Tendenz, nicht Resozialisierung, sondern Kontrolle kriminellen Potenzials durch Verwahrung und Abschiebung bei solchen Straftätern anzuwenden, die als „nicht integrationsrelevant“ eingestuft werden.501 Pilgrams Diagnose könnte mit Blick auf den Kölner Fall treffender nicht sein. Gerade in der Machtposition, welche die Kölner Polizei in Bezug auf die Konfliktdeutung und -bearbeitung einnahm, zeigte sich eine offensichtliche Unfähigkeit anderer Akteure, über weite Teile der Debatte andere Positionen auch nur einzubringen. Diese Interpretation des Phänomens der „Klau-Kids“ als kulturelles Problem war dadurch über einen langen Zeitraum hinweg deutungsmächtig. Der Strategiewandel des Rom e. V. war letztlich ein bedeutender Faktor, dass diese Deutung überhaupt infrage gestellt wurde. Der Verein begann, Kooperationen in sozialen Milieus zu suchen, die seinen Mitgliedern eigentlich fremd waren. Die Suche nach Unterstützung bei konservativen Parteien war in diesen Jahren kein Einzelfall; der Verein begann, sich dem bürgerlichen Milieu zu öffnen, und durchlief dabei selbst einen Wandel von einer politischen zu einer sozialen Organisation:

500 Garland: The Culture of Control. 501 Vgl. Pilgram, Arno: Gefährliche „Fremde und „Eigene“, Kulturalisierung und Naturalisierung in Kriminalitätsdiskursen, in: Böllinger, Lorenz et al. (Hrsg.): Gefährliche Menschenbilder. Biowissenschaften, Gesellschaft und Kriminalität, BadenBaden 2010, S. 344–355.

232 | L OKALE KONFLIKTE UM ZUWANDERUNG AUS SÜDOSTEUROPA „Da ist das alles ein bisschen braver geworden, was unseren hier [Name], der gerade zitiert wurde, schon auch aufregt, weil er eigentlich lieber immer noch Stachel im Fleisch sein will und irgendwas besetzen und so. Ne? Dann hätte man das nicht so machen dürfen. Das hier raubt meine ehrenamtlichen Kräfte total. Also ich habe im Augenblick einen Halbtagsjob, ne?“502

Der Erfolg seitens des Vereins bestand insbesondere darin, dass Perspektiven zur Lösung des Konfliktes erschlossen werden konnten – wenngleich diese durchaus Kompromisse gegenüber anderen Akteuren bedeuteten. Der Verein fand sich im Zuge der selbst angestoßenen Entwicklungen in der paradoxen Lage wieder, dass das von ihm erstrebte Projekt in der Öffentlichkeit, zusammen mit repressiven Maßnahmen, als Bestandteil einer einheitlichen Konfliktlösungsoffensive vorgestellt wurde.

2.6 K AMPF UM ANERKENNUNG – AKTIONEN UND P OLITIK VON R OMA-S ELBSTORGANISATIONEN Am 17. September 2015 besetzte die Gruppe „Romano Jekipe Ano – Vereinigte Roma Hamburg“ gegen 17 Uhr die Hamburger Sankt-Michaelis-Kirche. Die Gruppe, ca. vierzig Personen, forderte den sofortigen Stopp der drohenden Abschiebungen derjenigen, die an der Besetzung beteiligt waren, und ein Bleiberecht für deren Familien. Romano Jekipe Ano Hamburg ist ein Zusammenschluss überwiegend aus Roma und einigen Nicht-Roma, die in Hamburg leben, und Mitglied im Bundes Roma Verband e. V. Die zunehmenden Abschiebungen und Abschiebungsandrohungen gegenüber Angehörigen der Minderheit hatten die Gründung der Gruppe und ihr politisches Engagement veranlasst: „Einige Roma und Nicht-Roma aus Hamburg haben jetzt die Nase voll. In Hamburg hat sich ein Zusammenschluss gegründet, um Proteste zu planen: ROMANO JEKIPE ANO HAMBURG Vereinigte Roma Hamburg“503. Politisch setzt sich die Gruppierung gegen die Änderung der Einstufung der Westbalkanstaaten in „sichere Herkunftsländer“ ein. Im Fokus der Medien stand oftmals der Mitgründer und Sprecher der Gruppe, Isen Asanovski, der aus Mazedonien stammt und dem Anfang 2016 selbst die Abschiebung drohte.

502 Interview 1, Rom e. V. 503 Romano Jekipe Ano Hamburg, URL: https://www.blogger.com/profile/139980315 89563002553/ [eingesehen am 28.10.2016].

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Asanovski und andere versuchten im Vorfeld der Proteste immer wieder, Roma in Stadtteilen wie Wilhelmsburg, Stellingen oder Billstedt – dort also, wo die Hamburger Flüchtlingsunterkünfte angesiedelt sind und die Armut tendenziell höher ist – ausfindig zu machen und zu organisieren.504 Die Hürden des Protests waren dabei durchaus hoch: Im Gegensatz etwa zu Bürgern der gesellschaftlichen Mitte, die selbstbewusst ihre Interessen auch in der Öffentlichkeit vertreten, dies vielleicht sogar als ihr „gutes Recht“ betrachten und auf finanzielle, soziale und teilweise politische Ressourcen zurückgreifen können, handelte es sich hierbei um Menschen mit völlig anderen soziopolitischen Voraussetzungen. Weder verfügten sie über einen gesicherten Aufenthaltsstatus noch über starke soziale, politische und sozioökonomische Ressourcen. Die Selbstorganisation der Betroffenen war in diesem Sinne keine „Selbstverständlichkeit“505: Einige Mitglieder der Gruppe hatten kaum deutsche Sprachkenntnisse und konnten nicht schreiben, ein Internetzugang zur Vernetzung und Kommunikation stand vielen nicht zur Verfügung. Zudem dominieren im Alltag prekärer Lebenssituationen zumeist drängendere Bedürfnisse, als sich politisch zu engagieren. Insbesondere dann, wenn die Angst hinzukommt, dass sich das Engagement negativ auf die eigene Situation auswirken könnte – etwa indem man aus der bürokratischen Anonymität heraustritt, sichtbar wird und als „unbequem“ gilt. Auf gewachsene Organisationsstrukturen innerhalb einer RomaCommunity konnte die Gruppe zu Beginn jedenfalls nicht zurückgreifen. Unterstützung erhielt sie allerdings schon im Vorfeld von dem bundesweiten RomaNetzwerk „Alle bleiben!“ sowie dem Flüchtlingsrat Hamburg und dem linken Netzwerk „Recht auf Stadt – never mind the papers“. Der Besetzung der Kirche vorausgegangen waren bereits mehrere Monate vergeblichen Protests: Zunächst hatten wenige, dann immer mehr und schließlich, im Juli 2015, rund hundert Roma täglich vor der Hamburger Ausländerbehörde für ihre Asylanerkennung und damit für ihr Bleiberecht demonstriert.506 Die Parole lautete „Eins, Zwei, Drei, Vier, alle Roma bleiben hier“; sie begleitete auch einen großen Demonstrationszug Mitte Juli 2015 durch das Hamburger Schanzenviertel. Daneben organisierte und mobilisierte die Gruppe regelmäßig Protestaktionen am Hamburger Flughafen, um gegen Sammelabschiebungen zu demonstrieren. Die Protestierenden versuchten, sich mit den Demonstrationen am Flughafen, in der Hamburger Öffentlichkeit sowie vor der Hamburger Ausländerbehörde gegen Abschiebungen, die auch ihnen drohten, zu wehren und 504 Vgl. Baeck, Jean-Philipp: Keinen Schritt zurück, in: taz.de, 17.07.2015, URL: http:// www.taz.de/!5211739/ [eingesehen am 04.10.2016]. 505 Ebd. 506 Vgl. ebd.

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generell auf die Situation der Roma aufmerksam zu machen. Zwar folgten den Protesten teilweise rund 500 Menschen – politische Resonanz konnte die Gruppe allerdings nicht erzeugen. Im Mittelpunkt des Protests von Romano Jekipe Ano stand die Forderung nach einem „sofortigen Abschiebestopp in den Balkan sowie ein Bleiberecht für ihre Familien“507. Sie kritisierten die gesetzliche Situation um die „sicheren Herkunftsstaaten“ und wollten mit ihrem Protest erreichen, dass die Grundlage für eine potenzielle Anerkennung von Asylanträgen von Roma (wieder-)hergestellt würde. Aus Perspektive der Protestierenden bedeutete dies jedoch nicht nur, die rechtliche Voraussetzung zu schaffen, um de facto in Deutschland bleiben zu können, wie ihr Sprecher Isen Asanovski formulierte. Es bedeutete auch, die Situation der Roma in den jeweiligen Ländern anzuerkennen und Hilfe zu leisten. Im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der Gruppe formuliert Romano Jekipe Ano die Ursachen ihres politischen Engagements wie folgt: „Viele kommen aus Staaten, die die Bundesregierung für per Gesetz sicher erklärt hat: Mazedonien, Bosnien, Serbien. Oder aus dem Kosovo, das für sicher gehalten wird. Dabei ist es für Roma in diesen Ländern nicht sicher. Im Gegenteil. So sind denn Fluchtgründe oft eine Mischung aus Rassismus und gesellschaftlichen Strukturen, in denen der Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung oder zur Gesundheitsversorgung versperrt ist. Zusammengenommen machen diese das Leben, manches Mal das Überleben schwer.“508

Ein Vertreter von „Alle bleiben!“, Romano Schmidt, erklärte: „Die sogenannten ‚sicheren Herkunftsländer‘ sind nicht sicher für uns Roma. Es herrscht ein gefährlicher Mix aus Rassismus aus den Bevölkerungsmehrheiten und den staatlichen Institutionen. Der Zugang zu Arbeitsplätzen, Bildung und zur Gesundheitsversorgung ist weitestgehend versperrt. Es trifft also genau das zu, was im Asylverfahrensgesetz unter §3a und §3b als strukturelle Diskriminierung beschrieben ist“509.

507 O. V.: Romano Jekipe Ano Hamburg erhält Schutzraum vor Abschiebung und fordert weiterhin ein Bleiberecht, in: Homepage Romano Jekipe Ano Hamburg, 21.09.2015, URL: http://romas-in-hamburg.blogspot.de/ [eingesehen am 16.10.2016]. 508 Romano Jekipe Ano Hamburg, URL: https://www.blogger.com/profile/139980315 89563002553 [eingesehen am 28.10.2016]. 509 Zit. n. o. V.: Romano Jekipe Ano Hamburg erhält Schutzraum vor Abschiebung und fordert weiterhin ein Bleiberecht, in: Homepage Romano Jekipe Ano Hamburg, 21.09.2015, URL: http://romas-in-hamburg.blogspot.de/ [eingesehen am 16.10.2016].

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Zumindest sollten, so Romano Jekipe Ano, die konkreten Einzelfallprüfungen vollzogen werden, im Rahmen derer noch immer Asyl für Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ gewährleistet werden könne. Diese Prüfungen, so die Kritik Romano Jekipes, fänden in der behördlichen Praxis jedoch kaum Anwendung – insbesondere nicht mit der dafür erforderlichen Sorgfalt. Darüber hinaus bezog sich Romano Jekipe Ano auch auf die spezifische Verantwortung Deutschlands als Nachfolgestaat des NS-Regimes gegenüber der Minderheit der Roma, die während des Nationalsozialismus der systematischen Verfolgung und Vernichtung in Deutschland sowie insbesondere in den südost- und osteuropäischen Staaten ausgesetzt war. „Nicht zuletzt nach der Gedenkveranstaltung für unsere ermordeten Roma in Neuengamme ist klar, dass Deutschland nicht so tun darf, als seien wir ein Problem, dass [sic!] es loswerden muss“510, heißt es auf der Website des Bündnisses „alle bleiben!“ im Zusammenhang mit der Besetzung des „Michel“. Dem Gedenken an die Vergangenheit sollte also ein Handeln in der Gegenwart folgen. Nahezu für alle Selbstorganisationen bildet dieser Aspekt einen wichtigen historischen Bezugspunkt für ihre heutige politische Arbeit. Einerseits, um geschehenes Unrecht und die weitreichenden Folgen für die Minderheit auch heute noch aufzuarbeiten; zum Teil aber auch um politischen Forderungen mehr Gewicht zu verleihen. Im Hinblick auf den jeweiligen Umgang mit und die jeweilige Bezugnahme auf die deutschen Verbrechen der Vergangenheit verfolgen die Selbstorganisationen jedoch zum Teil unterschiedliche Ansätze. Im Rahmen der Proteste gegen Abschiebungen in Berlin im Frühjahr 2016, an denen Romano Jekipe Ano ebenfalls maßgeblich beteiligt war, wurde dieser Aspekt beispielsweise mit der Besetzung des „Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Roma und Sinti“ zum symbolträchtigen Bestandteil des Protests. Aus Perspektive des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma war diese Form der politischen Inanspruchnahme jedoch illegitim: „Das Mahnmal ist ein Ort des würdigen Gedenkens an die über 500.000 ermordeten Sinti und Roma im NSbesetzten Europa. Dieser Ort soll und darf nicht für politische Protestaktionen missbraucht werden“511, so der Vorsitzende Romani Rose in einer Stellungnahme, in der eine Differenz in der Ausrichtung zwischen dem Zentralrat und ande510 O. V.: Der Michel ist besetzt!, in: Website „alle bleiben!“, 17.09.2015, URL: http:// www.alle-bleiben.info/der-michel-ist-besetzt/ [eingesehen am 02.11.2016]. 511 Zit. n. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma: Zentralrat lehnt politische Protestaktionen am Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin ab, Pressemitteilung vom 23.05.2016, URL: http://zentralrat.sintiundroma.de/zentralrat-lehntpolitische-protestaktionen-am-denkmal-fuer-die-ermordeten-sinti-und-romaeuropas-in-berlin-ab/ [eingesehen am 02.11.2016].

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ren, durchaus aktionistisch orientierten, selbstorganisierten Gruppen deutlich wird. Ihnen allen gemein ist, ein vergleichsweise junges Phänomen zu sein. Zweifelsohne spielt der Zentralrat eine exponierte Rolle. Gründete sich beispielsweise der Zentralrat der Juden in Deutschland rasch nach der Rückkehr Überlebender des Holocaust bereits 1950 – u. a., um auf die Durchführung von Entschädigungsverfahren nach dem Nationalsozialismus einzuwirken und sich gegen Antisemitismus einzusetzen –, konnte sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma erst 1982 konstituieren; wobei er noch in den 1980er Jahren mit grundlegenden Problemen konfrontiert war: Sinti und Roma, die Opfer des Holocaust geworden waren, wurden bis in die 1980er Jahre zumeist nicht als Opfer anerkannt und Entschädigungsleistungen blieben ihnen in der Mehrzahl der Fälle versagt.512 Stattdessen wurden antiziganistische Ressentiments oftmals weder politisch noch öffentlich verurteilt, wodurch bis heute die Sensibilisierung für feindliche Einstellungen gegenüber Roma sowie für Stigmatisierungen und Diskriminierungen der Minderheit verhältnismäßig niedrig ausfällt. Beispielsweise hat der Zentralrat immer wieder darauf verwiesen, dass der Begriff „Zigeuner“ eine Diskriminierung darstelle, und sich dafür eingesetzt, stattdessen die Selbstbezeichnung „Sinti“ oder „Roma“ zu verwenden.513 Dass der Begriff aufgrund seiner historischen Dimension immer auch eine Diskriminierung und Stigmatisierung impliziert, findet allerdings erst seit den vergangenen Jahren Anerkennung; erst langsam hat sich der Gebrauch der Selbstbezeichnung Roma (und Sinti) durchsetzen können. Dazu haben die Selbstorganisationen in entscheidender Weise beigetragen, setzen sie sich doch für die öffentliche Ächtung von Antiziganismus ein. Ein Bewusstsein auf politischer und öffentlicher Ebene für feindliche Einstellungen und Ressentiments sowie Diskriminierung und Ausgrenzungen von Roma zu schaffen, bildet einen der Schwerpunkte der meisten Selbstorganisationen. Obwohl sie alle mit derselben gesellschaftspolitischen Situation in der Bundesrepublik konfrontiert sind, vertreten sie nicht durchweg identische Positionen, etwa in politischen Fragen, und setzen in ihrer Arbeit durchaus verschiedene Schwerpunkte.

512 Vgl. End, Markus/Herold, Kathrin/Rabel, Yvonne: Antiziganistische Zustände – eine Einleitung. Virulenzen des Antiziganismus und Defizite in der Kritik, in: dies. (Hrsg.): Antiziganistische Zustände. Zur Kritik eines allgegenwärtigen Ressentiments, Münster 2009, S. 10–22, hier S. 11 f. 513 Vgl. Zentralrat Deutscher Sinti und Roma: Zentralrat rügt neuen Rassismus gegen Sinti und Roma, 21.03.2011, URL: http://zentralrat.sintiundroma.de/zentralrat-rueghtneuen-rassismus-gegen-sinti-und-roma-2/ [zuletzt eingesehen am 02.11.2016].

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Die zentrale Organisation hinsichtlich der Größe sowie der politischen Anerkennung und Bekanntheit ist wohl der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma mit Sitz in Heidelberg; seit 2015 hat er auch eine Vertretung in Berlin. Er ist die bürgerrechtliche und politische Interessenvertretung Deutscher Sinti und Roma.514 Vorsitzender ist seit der Gründung des Vereins im Jahr 1982 Romani Rose. Der Zentralrat ist in den Bereichen Antidiskriminierungsarbeit, Minderheitenrechte, Entschädigung und NS-Verfahren, Erinnerungsarbeit, Kulturelle Teilhabe und Internationale Arbeit tätig.515 Angegliedert an den Zentralrat ist das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Der Bundes Roma Verband e. V. wurde als Verbund regionaler Organisationen im September 2012 gegründet. Vorsitzende ist die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi, die in den Debatten um Roma in Deutschland und in der medialen Berichterstattung äußerst präsent ist. Ziel der Arbeit beider Organisationen ist grundsätzlich ein „gleichberechtigtes, würdiges Leben von Roma in Deutschland“516. Die Konstruktion der Roma-Minderheit sowie die Beurteilung ihrer Beziehung zur deutschen Gesellschaft können durchaus divergieren und unterschiedliche thematische Schwerpunktsetzungen mitbegründen. Während sich der Zentralrat im Hinblick auf die Identifikationsaspekte stärker als spezifische Interessenvertretung deutscher Sinti und Roma, die sich auch mit der Situation von Roma im Ausland beschäftigt, betrachtet, sieht sich der Bundes Roma Verband stärker in einen kollektiven Zusammenhang aller Roma eingebettet: „Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien haben viele Roma gezwungen, zu fliehen. In den Ländern, in denen wir Schutz suchen und uns ein Leben aufbauen wollen, erfahren wir täglich Diskriminierungen, auch in der Bundesrepublik. Obwohl viele von uns hier geboren wurden und aufgewachsen sind, leben viele immer noch mit einer Duldung, d. h. ohne sicheren Aufenthaltsstatus.“517

Die Tätigkeitsfelder und Aktionsformen der unterschiedlichen Selbstorganisationen hängen von dem jeweiligen Profil des Vereins oder der Organisation ab, können aber von Schwerpunkten im kulturellen Bereich über politische Arbeit und Bildungsarbeit bis hin zu konkreten Formen sozialer Arbeit, also Informa514 Vgl. Website des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma: Wer wir sind, URL: http:// zentralrat.sintiundroma.de/zentralrat/wer-wir-sind/ [eingesehen am 02.11.2016]. 515 Vgl. Homepage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, URL: http://zentralrat. sintiundroma.de/ [eingesehen am 03.11.2016]. 516 Website des Bundes Roma Verbandes, URL: http://www.bundesromaverband.de/uberuns/ [eingesehen am 03.11.2016]. 517 Ebd.

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tions-, Beratungs- und Hilfeleistungen, reichen. Thematische Zentren bilden zumeist die Felder Diskriminierung und Rassismus, der Bereich Asyl und die Gewährung von Schutz für aus ihrer Heimat geflohene Roma, Roma im internationalen Kontext sowie die Geschichte der Roma in Deutschland und Europa – wobei der Fokus auf der Verfolgung zur Zeit des Nationalsozialismus liegt. In den vergangenen Jahren richteten sich die Perspektive und die politische Arbeit vieler Selbstorganisationen auf die Abschiebungsproblematik, von der insbesondere Roma aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens und des Balkans betroffen waren und es bis heute sind. Dabei kam es vermehrt zu Protesten vonseiten der Selbstorganisationen gegen Abschiebungen von Roma. Zentral waren dabei die Hamburger Proteste im Herbst 2015, die Besetzung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in Berlin im Frühjahr 2016 sowie die Proteste der vergangenen Monate in Regensburg, während denen auch der Regensburger Dom besetzt wurde. Die Proteste standen dabei von Beginn an im Zusammenhang mit der Diskussion um die sogenannten sicheren Herkunftsstaaten. Ansteigende Flüchtlingszahlen stellen seit 2010 eine zunehmende finanzielle und organisatorische Herausforderung für Kommunen und Länder da, woraufhin diese Druck auf die Bundesebene ausübten, die Flüchtlingszahlen zu senken und die Kommunen dadurch zu entlasten. Nach deutschem Asylrecht gelten solche Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“, in denen nach Annahme des deutschen Gesetzgebers keine politische Verfolgung stattfindet. In diesen Fällen wird regelmäßig der Grund für Asyl nicht anerkannt und infolgedessen werden Asylanträge der Menschen aus besagten Ländern abgelehnt. Nur unter besonderen Umständen, die von den Antragstellenden nachgewiesen werden müssen, ist ein positiver Bescheid des Asylantrags dann noch möglich. Der Bundestag beschloss, die Flüchtlingssituation u. a. darüber zu regulieren, einige Herkunftsstaaten von Asylsuchenden zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären, um Ablehnungen der Asylanträge zu beschleunigen. Davon betroffen waren jedoch nicht nur neue Asylbeantragende, sondern auch die bereits seit vielen Jahren in Duldung lebenden Menschen. 2014 wurden zunächst Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt; 2015 folgten sodann Albanien, Montenegro und der Kosovo. Asylanträge von Menschen aus diesen Staaten – unabhängig davon, wie lange sie bereits in der Bundesrepublik leben – haben damit kaum mehr Aussicht auf Erfolg. Die Situation der Minderheit der Roma in den jeweiligen Ländern war ein kontrovers diskutierter Bestandteil der Debatte auf Bundesebene, den insbesondere Kritiker und Gegner des Gesetzes betonten, da bekannt

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sei, dass die Minderheit dort potenziell durchaus politischer Verfolgung ausgesetzt und somit ihr sicheres (Über-)Leben nicht garantiert sei. Doch zurück zu den Protesten in Hamburg: Adressaten der Aktionen und vor allem der Kritik waren hier die politischen Verantwortlichen in der Ausländerbehörde, die Hamburger Bürgerschaft und die Justiz: Allesamt würden sie ihre Augen vor der Situation der Roma verschließen und die „bekannten Fakten [über die Situation für Roma in den ‚sicheren Herkunftsstaaten‘, Anm. d. V.] ignorieren“518; die „Erzählungen werden nicht geglaubt“519 und „Asylanträge […] als offensichtlich unbegründet abgelehnt“520. Aufseiten der städtischen Politik war Hamburgs Erster Bürgermeister, Olaf Scholz (SPD), eine zentrale Figur, die von den protestierenden Roma zwar adressiert, jedoch primär von Unterstützergruppen kritisiert wurde. Unter anderem seine Forderung, Flüchtlinge aus Balkanstaaten – „Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive“521, so Scholz – in gesonderten Unterkünften unterzubringen, stieß nicht nur bei sympathisierenden Gruppen aus dem linken Spektrum auf harsche Kritik; auch Vertretern der Diakonie galt dieser Vorstoß eher als „Abschreckung von Flüchtlingen“522 denn als taugliche verwaltungspolitische Maßnahme, um Entscheidungen über Asylanträge zu beschleunigen. Denn „die Dauer der Verfahren und des dazugehörigen Rechtsweges sind völlig unabhängig von der jeweiligen Unterbringung“523, so der zuständige Fachbereichsleiter bei der Diakonie. Scholz’ Aussagen standen dabei nicht im Widerspruch zur politischen Haltung der Stadt Hamburg, die ebenfalls eine effizientere Bearbeitung und damit die schnellere Abschiebung von nicht-asylberechtigten Flüchtlingen anstrebte. Balkan-Flüchtlinge stellten dabei, so Hamburgs damaliger Innensenator Michael Neumann (SPD), mit rund fünfzig Prozent eine der größten Flüchtlingsgruppen in Hamburg dar.524 Mit dem Gesetz über die Anerkennung von BosnienHerzegowina, Serbien und Mazedonien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten war 2014 auf Bundesebene die gesetzliche Grundlage für eine beschleunigte Ab518 Romano Jekipe Ano Hamburg, URL: https://www.blogger.com/profile/139980315 89563002553/ [eingesehen am 28.10.2016]. 519 Ebd. 520 Ebd. 521 Zit. n. Laufer, Benjamin: Scholz will Sonderlager für Balkanflüchtlinge, in: Hinz&Kunz, 29.07.2015, URL: https://www.hinzundkunzt.de/scholz-will-sonderlagerfuer-balkanfluechtlinge/ [eingesehen am 16.10.2016]. 522 Ebd. 523 Zit. n. ebd. 524 Vgl. Appen, Kai v.: Brüder im Geiste der Abschiebung, in: taz.de, 20.07.2015, URL: http://www.taz.de/!5216454/ [eingesehen am 15.10.2016].

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lehnung von Asylanträgen geschaffen worden – denn damit war dem Grund für Asyl das Fundament entzogen worden. Diese Politik wurde konsequent fortgesetzt: 2015 folgten Albanien, Montenegro und der Kosovo. In Hamburg hatte die städtische Ausländerbehörde 2015 zwanzig neue Mitarbeiter eingestellt, um die Bearbeitung der Asylanträge zu beschleunigen.525 Neumann konstatierte, die Stadt fahre „eine sehr konsequente Linie, gerade was die Balkanländer angeht“526. Die Proteste reagierten damit also auch auf eine Verschärfung der Hamburger Politik, die den Betroffenen die Grundlage entzogen hatte, ihr Leben auch zukünftig in der Bundesrepublik fortsetzen zu können. In diesem Klima betrachtete Romano Jekipe Ano die Besetzung der Sankt-Michaelis-Kirche als „letztes Mittel“527, um sich und andere vor der Abschiebung in die Balkanstaaten zu schützen. Die Proteste im „Michel“ begannen am Donnerstagnachmittag des 17. September 2015. Rund vierzig Personen, hauptsächlich Roma, zogen mit bunten Transparenten und Megafonen in die Kirche ein. Man wolle die Kirche besetzen, um gegen Abschiebung und für ein Bleiberecht der Roma zu demonstrieren. Der Anlass dafür, dass zu diesem Zeitpunkt aus dem Protest auf der Straße eine Besetzung wurde, war den Angaben des Sprechers Isen Asanovski zufolge, dass rund zwanzig Familien einen Abschiebebescheid für die kommenden Wochen erhalten hätten und nach Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und in den Kosovo zurückkehren müssten.528 Bereits am Vortag seien 14 Personen abgeschoben worden.529 Ein Protestierender kommentierte: „Deutschland ist gut für uns, wir wollen nicht zurück“530. Die Kirche war aufgrund ihrer Möglichkeit, Kirchenasyl zu erteilen, zur letzten Hilfe, zum Zentrum des Protests und zu einem wichtigen Akteur innerhalb des Konfliktes geworden. Kirchenasyl, das auf Kanonisches Recht von 1179 zu525 Vgl. o. V.: Maßnahme für schnellere Abschiebungen, in: Hamburg 1, 13.07.2015, URL: http://www.hamburg1.de/nachrichten/25326/Massnahme_fuer_schnellere_Ab schiebungen.html [eingesehen am 02.11.2016]. 526 Zit. n. Appen, Kai v.: Brüder im Geiste der Abschiebung, in: taz.de, 20.07.2015, URL: http://www.taz.de/!5216454/ [eingesehen am 15.10.2016]. 527 Zit. n. o. V.: Romano Jekipe Ano Hamburg erhält Schutzraum vor Abschiebung und fordert weiterhin ein Bleiberecht, in: Homepage Romano Jekipe Ano Hamburg, 21.09.2015, URL: http://romas-in-hamburg.blogspot.de/ [eingesehen am 16.10.2016]. 528 Vgl. Kalla, Fabio: Der organisierte Hilferuf, in: taz.de, 18.09.2016, URL: http:// www.taz.de/!5233923/ [eingesehen am 15.10.2016]. 529 Vgl. ebd. 530 Zit. n. ebd.

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rückgeht, war 1983 kurzzeitig aus der katholischen Rechtssammlung entfernt, als Reaktion auf das restriktivere Asyl- und Ausländerrecht in den 1980er Jahren jedoch wieder reaktiviert worden.531 Der Kirche steht damit ein Instrument zur Verfügung, mit dem sie Menschen vor „Abschiebungen in Gefahrensituationen“532 bewahren kann. Nach mehrstündigen Verhandlungen zwischen Roma und dem Pastor Alexander Röder hatte man sich darauf geeinigt, dass die Roma die Nacht im Gemeindehaus verbringen und tagsüber in die Kirche zurückkehren würden. Die Verhandlungen habe man nächsten Tag fortsetzen wollen. Röder hielt an diesem Abend jedoch fest, dass es sich nicht um Kirchenasyl handele, sondern um humanitäre Hilfe. Noch am selben Abend fanden sich Menschen ein, die ihre Unterstützung anbieten und ihre Solidarität ausdrücken wollten; sie leisteten praktische Hilfe, indem sie Lebensmittel und Hygieneartikel bereitstellten, oder stärkten die Interessen der Roma mit ihrer eigenen Expertise; so etwa Norman Paech, ehemaliger Professor für Verfassungs- und Völkerrecht der Universität Hamburg, der die Gruppe rechtlich beriet und ihrem Interesse auch öffentlich und juristisch Gewicht verlieh. So verwies Paech auf Gutachten, die er zu drei Balkanstaaten angefertigt habe, denen zufolge der Beschluss der Bundesregierung zu den „sicheren Herkunftsstaaten“ für Roma verfassungswidrig sei.533 Auch der Hamburger Flüchtlingsrat bekräftigte, dass Roma in den Balkanstaaten unter Rassismus seitens der Bevölkerung litten und staatlichen Repressionen ausgesetzt seien.534 Zwar führten auch die folgenden Gespräche zwischen Roma und Vertretern der Sankt-Michaelis-Kirche insofern zu keinem Erfolg, als die Kirche den Betroffenen nach wie vor kein volles Kirchenasyl gewährte. Aber die Roma konnten sich weiterhin in ihren Räumen aufhalten und die Nächte im anliegenden Gemeindehaus verbringen. In den folgenden Tagen setzten die Besetzer die Gespräche mit der Kirche fort, die trotz des verwehrten Kirchenasyls durchaus gewillt war, Hilfe in anderer Form zu leisten. Der Protest und die Forderungen der Roma im „Michel“ erhielten viel Aufmerksamkeit von der Hamburger Stadtbevölkerung und darüber hinaus. Die Rolle der Kirche blieb während der Besetzung durch die Gruppe der Roma auch in den darauffolgenden Tagen und Wochen ambivalent; letztlich wurde sie aber zu einer wichtigen Stütze für die Schicksale der betroffenen Ro531 Vgl. Morgenstern, Matthias: Kirchenasyl in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2003, S. 119. 532 Website der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, URL: http://www.kirchenasyl.de/erstinformation/ [eingesehen am 02.11.2016]. 533 Vgl. ebd. 534 Vgl. ebd.

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ma, auch über das Ende der Besetzung des „Michels“ am 12. Oktober 2015 hinaus. Zwar erhielten die von der Abschiebung bedrohten Roma kein Kirchenasyl, jedoch leistete die Kirche mit ihrer Gewährung von Unterkunft humanitäre Hilfe. Kirchenvertreter versuchten die Gruppe in unterschiedlicher Weise zu unterstützen: So erhielt sie am Wochenende der Besetzung die Möglichkeit, sich während der Sonntagsmesse zumindest für drei Minuten mit einem Redebeitrag an die Kirchengemeinde zu wenden. Zudem boten sich Kirchenvertreter an, die Verhandlungen mit der Stadt zu begleiten sowie bei einer Wiederaufnahme der Einzelfallprüfungen die Verfahren prüfend zu beobachten. Insbesondere mit dem Ende der Besetzung wurde deutlich, welche Relevanz die Beteiligung der Kirche auch für den Verlauf der individuellen Fälle hatte. Sie brachte die Roma-Familien in kirchlichen Einrichtungen unter, wo sie vor dem Zugriff des Staats bis zum Abschluss der, zum Teil neuerlichen, Einzelfallprüfungen geschützt blieben. Vor der Abschiebung bewahrt wurden viele der Roma dennoch nicht. So berichtete etwa das Hamburger Abendblatt im April 2016 über Fälle von Familien, die sich an den Protesten beteiligt hätten und in der Kirche untergekommen seien, nun aber doch vor der Abschiebung ständen. Eine grundlegende Änderung der politischen und rechtlichen Situation für Roma, die sich als asylbeantragende Flüchtlinge aus den betroffenen Balkanstaaten in Deutschland aufhielten, konnte Romano Jekipe Ano Hamburg mit den Protesten in Hamburg folglich nicht herbeiführen. Auch die ähnlich motivierten Proteste in Berlin wie in Regensburg haben in dieser Hinsicht bislang nicht zum Erfolg geführt. Dennoch hat der Protest mehr als nur symbolischen Wert: Zum einen handelte es sich um Proteste selbstorganisierter Roma, die unmittelbar von politischem Handeln betroffen waren oder sein konnten. Innerhalb der Debatte um „sichere Herkunftsländer“ und um ihre eigene Zukunft traten sie als Akteure auf, ohne dass sie Mitglieder bereits organisierter Vereine oder Organisationen waren. Ihre Stimme und Perspektive bleiben sonst oftmals ungehört oder unberücksichtigt. In diesem Sinne stellt der Protest auch ein Moment der Selbstermächtigung dar; wobei hinzuzufügen ist, dass sich kein übergreifendes Solidarband hin zu anderen Roma-Gruppen und -Vereinen entwickelte. Grundsätzlich beförderten die Proteste zudem die Diskussion und erzeugten eine vermehrte öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik generell sowie für individuelle Schicksale. Mit der Besetzung des „Michels“ wurde die prekäre Situation von Roma aus den Balkanstaaten, die sich als Flüchtlinge in Deutschland aufhielten, als Politikum sichtbar. Romano Jekipe Ano und die beteiligten Roma-Familien verlegten diese Situation und die Auseinandersetzung mit denjenigen Roma, die von Abschiebungen betroffen waren, von den Rändern der Stadt ins städtische Zentrum. Man könnte daher sagen: Ihr Protest ist erfolgreich gescheitert.

3 Schlussbetrachtungen

In dieser Studie ging es um lokale Konflikte, die im Kontext von Migrationsprozessen aus Südosteuropa entstanden waren, in denen immer auch Roma oder besser: „Roma“ thematisiert worden sind. Denn zumeist handelte es sich um Fremdbezeichnungen seitens Behörden oder Politik, Anwohnern oder Medien – was überwiegend aus dem Raunen über diejenigen, die beispielsweise neu in die Nachbarschaft gezogen waren, gewachsen war. Im Vordergrund standen die einzelnen Konfliktverläufe. Sie gaben Auskunft über die spezifischen Beschaffenheiten und die Dynamiken der untersuchten Fallbeispiele sowie über zentrale Merkmale zuwanderungsbedingter (antiziganistischer) Konfliktlagen. Überdies lieferten sie zusammenfassend wichtige Erkenntnisse über das jeweilige Akteurshandeln im Konflikt(-verlauf). Die einzelnen Konflikte folgten dabei ganz unterschiedlichen Verläufen und Dynamiken. Die Konflikte in den prekären Vierteln des Ruhrgebiets oder auch in Neukölln etwa zeichnen sich dadurch aus, dass die auszuhandelnde Materie – hier: der Zuzug aus Südosteuropa unter besonderer Berücksichtigung der RomaMinderheit – sich nicht oder nur sehr schwer von anderen Konflikten, zu denen der vermeintlich neue Zuwanderungskonflikt hinzugekommen ist, separiert bearbeiten lässt. Eine Isolation der neu hinzugekommenen Streit- und Konfliktthemen bei anschließender Aushandlung ist daher kaum möglich, ohne vergangene, teils unbearbeitete, latent schwelende Konfliktbereiche zu berühren, wodurch altes Konfliktpotenzial neu entfacht wird, sich auf diese Weise aufaddiert und mit dem neuen überlagert. Die Konflikte verschränkten sich ineinander, statt für sich diskutiert und darüber eingehegt werden zu können. Die Konfliktbearbeitung wurde folglich deutlich erschwert. Paradigmatisch dafür stehen die Konflikte infolge von „Armutsmigration“ in den vermeintlich sozial benachteiligten Vierteln des Ruhrgebiets. Wie das Dortmunder Fallbeispiel zeigt, traf das (neue) Thema der Zuwanderung aus Südosteuropa im Stadtviertel Nordstadt bereits auf einen teils seit Jahrzehnten eingeübten

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Problemdiskurs auf der einen sowie auf längst real gewordene, ausgeprägte soziale Schieflagen aufgrund vielfach vorhandener Exklusions- und Benachteiligungsphänomene im Quartier auf der anderen Seite. Der lokale Rahmen, in dem sich der Konflikt vollzog, war also von Anbeginn durch schwelende Konfliktlagen gekennzeichnet: Armut, Gewalt, Drogenmissbrauch und sozialer Abstieg prägten die Debatte schon vor den Auseinandersetzungen im Zuge neuer Migrationsprozesse. Hinsichtlich ihrer Dynamik zeichneten sich diese Konflikte folglich auch dadurch aus, dass das Erregungsniveau, die Dramatik in der Rhetorik, auch die Ablehnungen und Anfeindungen relativ hoch waren, dass bereits eine Grundaufgeregtheit bestanden hatte, an die angeschlossen wurde. Auch in Berlin Neukölln, das weiten Teilen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit als „Problembezirk“ schlechthin gilt, konnten wir vergleichbare Stimmungslagen und Voraktivierungen unter den beteiligten Akteuren identifizieren. Diese Voraktivierung bezüglich migrantischer Zuzüge ins Viertel und die damit verbundenen Entwicklungen sind überaus ambivalent zu bewerten, wie der Gang der Untersuchung verdeutlicht hat. Sie sind nämlich Stärke und Schwäche zugleich. Einerseits ermöglichen sie überhaupt erst eine vergleichsweise frühe Konfliktbewältigung– eben weil aufseiten der Akteure ein Plus an Konflikterfahrung, eine gewachsene Sensorik, eine besondere Sensibilität für Neuentwicklungen vorliegen. Denn der Konfliktfall ist hier Normallfall, ein Stück Alltag. Folglich ereigneten sich diese Konflikte eher in Stadtteilen, die bereits über eine vergleichsweise beachtlich ausgebaute Integrations- und Sozialhilfeinfrastruktur verfügten, wodurch eine höhere Responsivität gegeben war. Andererseits aber sorgt das hohe Maß an Voraktivierung der Akteure für eine gewisse Ununterscheidbarkeit der Konfliktlagen. Alles wird mit allem verrührt. Nicht die Differenzierung und die Analyse der verschiedenen, sich verknäulenden Konfliktstränge, die der gezielten Bewältigung vorangestellt werden sollten, stehen im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern die permanente Geschäftigkeit, der Dauerbetrieb, die mutative Problemlösungsfindung nach Aktualität, jeweils im Bemühen um Schadensbegrenzung – was auch, aber nicht nur aus Überarbeitung resultiert. Denn (sozial) gearbeitet wird in diesen Bezirken und Stadtteilen im Dauerbetrieb; wobei nur selten die entsprechenden Stellen auch finanziell auf Dauer gestellt sind, sodass Variationen immer gleicher Projektanträge in Reihe formuliert werden müssen. Der vielfach verkoppelte Konflikt ist aufgrund seiner offenen sozialen Fragen – seines Ortes, den oftmals Strukturschwächen und soziale Benachteiligung prägen – folglich auch ein Konflikt, in den sich Gruppierungen der extremen Rechten einzuschalten bemühen. Die Behebung der oben genannten

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rahmengebenden sozialen Bedingungen wäre sodann zugleich ein Mittel zur Bekämpfung rechter Mobilisierungsanstrengungen. Bewältigungsstrategien können aus dieser Perspektive darin bestehen, die einzelnen Konflikte frühzeitig voneinander zu trennen. Die Dortmunder Stadtverwaltung entschied sich seinerzeit – wenn auch im Konfliktverlauf (zu) spät – für eine schrittweise Bearbeitung: Auf kurzfristige ordnungspolitische Maßnahmen im Stadtteil folgten mittel- und langfristig angelegte integrative Maßnahmen, die von einer Netzwerkstruktur (Stadt, freie Träger, Vereine, kirchliche Gruppen etc.) initiiert und getragen wurden – und werden – und die Integration der Zuwanderer dauerhaft ermöglichen sollten. In anderen Fällen schienen die Konflikte gleichsam aus dem Nichts aufzubrechen. Weite Teile der beteiligten Akteure reagierten überrascht. Die Neuzugewanderten erscheinen – und werden auf diese Weise nicht nur von den Medien porträtiert – als Elemente, die innerhalb einer gewachsenen Szenerie zunächst die Rolle von Störern einnehmen: Sie irritieren, verwundern, fallen auf; sie verblüffen, erregen Aufsehen, werfen Fragen auf und machen es durch ihr (plötzliches) Erscheinen notwendig, dass sich eine ganze Nachbarschaft (plötzlich) zu ihnen in ein Verhältnis zu setzen hat. Dementsprechend dynamisch verläuft der Konflikt. Der Zuzug, der sich zumeist auf wenige Häuserblöcke konzentriert, erfolgt rasch, teils buchstäblich über Nacht, wird organisiert; denn auch in diesem Konflikt befinden sich die Neuzugewanderten ganz überwiegend bereits im Moment ihrer Ankunft in einem Geflecht diverser Ausbeutungsstrukturen. Die in dieser Studie analysierten Vorgänge in der Grunewaldstraße 87 in BerlinSchöneberg können daher zuvörderst als ein solcher „plötzlicher Konflikt“ betrachtet werden. Charakteristisch ist überdies, dass es sich hierbei um bürgerlich saturierte Nachbarschaften handelt, in denen der Konflikt aufbricht, die sozial vergleichsweise weniger stark durchmischt und – in den Worten eines G87-Anwohners – „natürlich gewachsen“ sind. Mehr als die kommunalen Hilfestrukturen reagieren und agieren hier bürgerschaftliche Initiativen, die durchaus offensiv und ressourcenstark aufbegehren und ihren Unmut verkünden, aber auch als soziale Erstversorger im Kiez auftreten. Eine Einhegung dieser „plötzlichen Konflikte“ erscheint schwierig. Oftmals steht Verdrängung am Ende des Konfliktes: Sperrungen, Räumungen und unbekannter Fortzug. Abrupt endet der lokale Konflikt, ohne dass Teilhabe durch integrative Maßnahmen überhaupt ansetzen könnte. Strukturähnlich zeigen sich Konflikte, die man als „verdrängte Konflikte“ bezeichnen könnte. Sie wurden im vorliegenden Fall ebenfalls in eher bürgerlichen Regionen ausgetragen und sind ebenfalls geprägt von dem Verhältnis der einheimischen Bevölkerung zu den Neuzuwanderern; wenngleich – anders als

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bei den eher spontanen Konflikten, wo ein sehr enges und intensives Auseinandersetzungsverhältnis dieser beiden Gruppen kurzzeitig entsteht und besteht – bei solchen Konflikten ein (bewusstes) Nichtverhältnis vorliegt. Räumliche Trennung, Wohlstand und eigene intakte, rundheraus positiv wahrgenommene Lebenswelten, die wie Refugien überdauern, sind mitursächlich für die Verdrängungsleistungen ganzer Anwohnerschaften, wie sie diese Studie insbesondere für das Oldenburger Land herausarbeiten konnte. Dergleichen Konflikte sind beinahe unsichtbar, schaffen es nur selten in die (überregionalen) Schlagzeilen, sind leise und (vielleicht gerade deshalb?) von besonders ausbeuterischem Charakter. Hier gilt zuvörderst, diese Konflikte benennbar und fassbar zu machen, sie in ihrer (ausbeuterischen) Struktur nachzuzeichnen, publik zu machen, um auf diese Weise auch die unmittelbaren Anwohnerschaften zu bewegen, sich zu ihren Mitbürgern zu verhalten. Der Weg über Arbeitervertretungen und aufsuchende Sozialarbeit, die in der Peripherie ungleich schwächer aufgestellt sind als in den Großstädten und Ballungszentren, erscheint erfolgversprechend. Denn nur auf diese Weise wird ein Konflikt bearbeitbar. Darüber hinaus gab es auch Fälle, in denen der jeweilige Konflikt befriedet oder (vermeintlich) befriedet wurde. Hierbei handelt es sich um vormalige Konfliktlagen, die durch Aktionen und Handlungen gleich welchen Akteurs eingehegt oder verdrängt wurden. Sie – auch nach dem Abschluss der eigentlichen Konflikte – zu begleiten und zu rahmen, ist von Bedeutung. Die Auseinandersetzung – insbesondere, wenn es im Zuge der Roma-Zuwanderung darum geht, Projektionen entgegenzuwirken – muss langfristig ausfallen. Vor allem das viel gelobte Wohnprojekt an der Harzer Straße in Berlin zeigt, dass Vorurteile gegenüber Roma – unabhängig davon, dass aus der einstigen „Schrottimmobilie“ längst eine schmucke Wohnanlage geworden ist – fortbestehen, folglich reaktivierbar sind. Auch im Kölner Fall lässt sich eine solche vermeintliche Befriedung diagnostizieren. Nachdem in den 1980er Jahren zunächst die Polizei ein „Problem“ für „gelöst“ erklärt hatte, zeigte sich im Laufe der Zeit eine Resistenz des Konfliktes, die Bestand hatte – gerade weil eine Ebene des Konfliktes über lange Zeiträume gänzlich unbearbeitet blieb. Erst im Zuge einer erfolgreichen Thematisierung sozialer Probleme der Betroffenen konnte eine erneute Befriedung des Konfliktes erreicht werden – jedoch nur um den Preis eines stillen Kompromisses: Das Hinnehmen der Abschiebungen durch den Rom e. V. war eine der Voraussetzungen dafür, dass ein Kompromiss entstehen konnte und verhärtete Konfliktlinien aufgebrochen wurden. Der Kölner Fall ist vielleicht auch ein Paradebeispiel eines solchen Konfliktes, da er die pragmatischen Lerneffekte eines

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Scheiterns zeigt: Die in die Konfliktlösung involvierten Akteure suchten Kompromisse und gegenseitige Anerkennung; und trotz offensichtlicher Interessendivergenzen konnte sich eine Deutung des Konfliktes etablieren, die dessen soziale Ebene hervorhob. Die weitere Begleitung des Konfliktverlaufs zeigt sich hier nicht nur in den fortwährenden Aktivitäten des Rom e. V., sondern ebenso in der Neupositionierung der Akteure zueinander. In den Interviews mit Ämtern und Verein wurde eine deutlich verbesserte Kommunikationskultur beschrieben. So unterschiedlich die Verläufe und Konflikte waren, einen sie doch auf der strukturellen Ebene einige Aspekte, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Zunächst besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der prekären sozialen und ökonomischen Situation der vom Konflikt Betroffenen und der Art, wie der Konflikt artikuliert wird. In Berlin, Köln und Dortmund manifestierten sich Konflikte an Punkten, an denen diese Prekarität für andere Gruppen im lokalen Raum zu Belastungssituationen führte. Die Auseinandersetzung fand somit zunächst nicht als Forderung nach Anerkennung statt, sondern auf eine Weise, die Carsten Keller als „Respektabilitätskonflikt“ bezeichnet. In einer solchen Konfliktkonstellation „[…] stehen sich soziale und ethnische Gruppen in einem Konflikt gegenüber, bei dem die einen unter Rekurs auf (angebliche) Mehrheitsrechte den anderen die Legitimität ihres Status absprechen. In diesen hier als Respektabilitätskämpfe bezeichneten Konflikten werden den abgewerteten Gruppen soziale Rechte, Aufenthaltsrechte oder moralische Integrität, oft jedoch mehrere dieser drei Komponenten eines formalen Status abgesprochen. Ihr formaler Status wird insofern einem Informalisierungsdruck ausgesetzt.“1

Diese Konflikte unterscheiden sich insbesondere von anderen Auseinandersetzungen um Migrationsprozesse, indem sie nicht als Auseinandersetzung zwischen der migrierten Gruppe und dem Staat, sondern zwischen lokalen Gruppen entstehen und diese sich im Zuge des Konfliktverlaufes deutlicher voneinander abgrenzen, als dies vorher der Fall gewesen ist. Gerade in den Wohnraumkonflikten (hier: Dortmund und Berlin) trat dieser Effekt zutage; und insbesondere in den Fällen, in denen sich die Auseinandersetzungen in ohnehin prekären Stadtteilen vollzogen, entwickelte sich eine Dynamik der Abgrenzung der Stadtteilbewohner von den als „irrespektabel“ Deklarierten, die zunächst die Ausgrenzung der betroffenen Gruppen noch verstärkte. So gewannen Konflikte dort zusätzlich an Dynamik, wo Aspekte eines ohnehin latenten Statuskonfliktes in-

1

Keller, Carsten: Ungleichheit und Konflikt: zur Relevanz staatlicher Legitimation in mikrosozialen Statuskämpfen, in: Leviathan, H. 4/2011, S. 567–582, hier S. 573.

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nerhalb der bundesrepublikanischen Gesellschaft die Linie der Auseinandersetzung kreuzten.2 Die Abgrenzung von den Insignien sozialer Prekarität fand in den untersuchten Fällen auf unterschiedlichem Wege statt. Während im Oldenburger Münsterland die physische, räumliche Trennung vor allem genutzt wird, um Konfliktpotenziale zu reduzieren, und der ländliche Raum die Möglichkeit bietet, Menschen im wahrsten Sinne des Wortes außerhalb der Gesellschaft unterzubringen, sind die Voraussetzungen im urbanen Raum andere. Hier erschwert das Zusammenleben auf engstem Raum die Abgrenzung. Diese wird somit zu einer Frage der Rhetorik und der habituellen Grenzziehung. Artikuliert wurden diese Auseinandersetzungen dementsprechend über eine Grammatik des „Asozialen“, die auf ein Fundament antiziganistischer Vorurteile zurückgreift und sich häufig in der Forderung nach einer „harten Hand“ niederschlägt. In den meisten Fällen greifen die Medien zunächst diese „lokalen“ Kontextualisierungen auf und verstärken über die Zurschaustellung der Auswüchse von Armut und Ausgrenzung das Phänomen der Abgrenzung. Begriffe wie „Arbeiterstrich“ und „Horrorhaus“ oder die Herausstellung von Zeichen sozialer Verwahrlosung rufen nach Intervention, ohne jedoch die Ursachen der Zustände zu thematisieren beziehungsweise indem sie die vorgefundenen Situationen personifizieren. Auch politisch brach sich an verschiedenen Stellen der untersuchten Konflikte eine solche Problemrezeption Bahn. Die Frühphasen der Konflikte in Köln, Berlin, Duisburg und Dortmund sind von dieser medialen Zurschaustellung des Abnormen und seiner besonderen Qualität geprägt. Sie zeigten ein Bild des Elends, das mit der Chiffre „Roma“ oder auch der generellen Migration aus Südosteuropa verbunden wird. Durch diese Konstruktion einer „fiktiven Ethnizität“3, die durch den Fokus auf den Mangel der Betroffenen grundiert ist, wird die Situation der Betroffenen externalisiert und zunächst zu einem von außen in die Gesellschaft getragenen Problem. Das wirkmächtige Bild des eindringenden Elends überdeckt die Umstände, die es eigentlich produzieren. In verschiedenen Spielweisen fanden sich in den untersuchten Konflikten Aspekte einer Kulturalisierung von Armut, die auch immer manichäistische Züge trug – etwa im Kölner Fall, in dem der Polizeipräsident bei einer Pressekonferenz behauptete, dass neunzig Prozent aller Taschen2

Zur These wachsender Konflikte in den unteren sozialen Lagen siehe Dörre, Klaus: Génération précaire – ein europäisches Phänomen?, in: Busch, Michael/Jeskow, Jan/ Stutz, Rüdiger (Hrsg.): Zwischen Prekarisierung und Protest. Die Lebenslagen und Generationsbilder von Jugendlichen in Ost und West, Bielefeld 2009, S. 39–73.

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Balibar, Etienne: Sind wir Bürger Europas? Politische Integration, soziale Ausgrenzung und die Zukunft des Nationalen, Hamburg 2003, S. 27

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diebstähle auf das Konto einer ethnischen Minderheit gingen, oder aber in den „Arbeiterstrich“-Debatten, die geflissentlich das Problem ohne Diskussion über die Nachfrage nach billiger Arbeitskraft verhandelten. So wird der Umstand verdeckt, dass die sozialen Probleme der betroffenen Gruppen nicht aus einem persönlichen Mangel geboren, sondern Ergebnis gesellschaftlicher Ausgrenzung sind. Diese Kulturalisierung von Devianz strukturiert die Debatten über Migration vor – und zwar in wirkmächtiger Weise. Die Verbindung zwischen Migration und verschiedenen Formen von Devianz, so der Kriminologe Dario Melossi, hat sich mittlerweile nicht nur in der öffentlichen Debatte, sondern auch in der institutionellen Arbeit und der empirischen Sozialforschung niedergeschlagen. Damit erlangt sie den Status dessen, was Durkheim einen „sozialen Tatbestand“ nennt: Unabhängig seiner Ursachen entfaltet der Zusammenhang seine eigene Wirkmächtigkeit.4 Aus dieser empirischen Perspektive werden verschiedene Devianzformen zum Teil eines erlernten, kulturellen Musters erklärt und, ihrer sozialen Ausgangsbedingungen entledigt, zu einem Problem des Strafvollzugs. In keinem Konflikt trat dieser Aspekt so deutlich zutage wie in den Auseinandersetzungen um Taschendiebstähle in Köln. An die vorliegenden Erhebungen schließt demgegenüber ein Perspektivwechsel an, der die Frage aufwirft, wie Ökonomien der Ausgrenzung funktionieren. Diese lassen sich nicht nur in den Fällen offensichtlicher Unterschichtung durch Ausgrenzung, wie sie im Oldenburger Münsterland vorgefunden wurde, zeigen. Vielmehr war eine Vielzahl von Ausbeutungsverhältnissen um die ausgegrenzten Gruppen herum zu finden. Neben den bekannten medial diskutierten Fällen von Prostitution und prekarisierter Arbeit sind es auch die Abhängigkeiten, die durch Ausgrenzung entstehen und in Märkte umgewandelt werden. In allen Fällen, in denen ein hohes Maß an sozialer, informeller Ausgrenzung mit formeller Ausgrenzung einherging, bildeten sich solche Strukturen. Überteuerte Mieten für schlechten Wohnraum, Vermittlungsgebühren für informelle Arbeitsvermittlung, Hehlerei als Pendant zum Taschendiebstahl oder die finanziell zu begleichenden Angebote von Unterstützung beim Ausfüllen von Anträgen in Behörden: All das sind Beispiele solcher Ökonomien der Ausgrenzung. All diese Fälle – unabhängig davon, wo sie im Graubereich zwischen gesetzlicher Legalität und Illegalität zu verorten sind – stellen sich als abhängig vom Ausgrenzungsverhältnis dar. Die Frage nach den Ökonomien der Ausgrenzung ist also ferner die Frage nach der jeweiligen Gegenseite, die diese ungleichen Tauschverhältnisse erst ermöglicht. Dennoch sind den Konfliktverläufen insbesondere in Dortmund, 4

Melossi, Dario: „In a peaceful life.“ Migration and the crime of modernity in Europe/ Italy, in: Punishment & Society, H. 4/2003, S. 371–398, hier S. 379.

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Köln und Berlin auch Entwicklungen eingeschrieben, die darauf hindeuten, dass sich im Zuge der Konflikte auch Widersprüche zeigten; und in den meisten Fällen kam es – sei es durch Einrichtungen der sozialen Arbeit, sei es durch Vereine und Selbstorganisationen – an verschiedenen Punkten zur Thematisierung von Widersprüchen, die den sozialen Raum kennzeichneten und hierarchisierten. Gewiss am deutlichsten – freilich vor einem speziellen, nämlich asylrechtlichen Hintergrund – traten die Kämpfe um Anerkennung in den Hamburger Auseinandersetzungen zutage. Lässt sich aus zurückliegenden Konflikten, wie den in dieser Studie dargestellten Fällen, lernen? Wir wissen es (noch) nicht. Sicherlich wäre interessant zu beobachten, wie sich die hier betrachteten Lokalräume (nach den Konfliktaushandlungen) weiterentwickeln, die beteiligten Akteure auf neuerlich aufkommende Auseinandersetzungen im Kontext von Zuwanderung im Allgemeinen sowie von „Roma“ im Speziellen reagieren. Zu untersuchen, wie sich Lernprozesse durch Konflikte vollziehen, wäre freilich ein lohnenswertes Vorhaben. Ob es nachhaltige Lernprozesse überhaupt gibt, sie sich sodann bei den Akteuren im Aushandlungsverfahren feststellen ließen, ist offen. Die Autorinnen und Autoren dieses Buches würden es jedenfalls sehr begrüßen.

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M EDIEN ( ONLINE UND (ARCHIVALIEN ETC .)

OFFLINE ) UND

S ONSTIGES

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76/Dortmund-der-Strassenstrich-und-das-Roma-Problem.html [eingesehen am 13.09.2016]. —: Dortmund, der Straßenstrich und das Roma-Problem, in: Welt Online, 01.09.2015, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article13564376/ Dortmund-der-Strassenstrich-und-das-Roma-Problem.html [eingesehen am 13.09.2016]. Schlagehan, W./Wozelka, I.: „Abgeführt in Handschellen“, in: Kölner Express, 09.11.1999. Schlesier, Vanessa/Meyer-Heuer, Claas: Das „Horrorhaus“ von Berlin – Leben zwischen Dreck und Urin, Spiegel TV-Beitrag vom 20.06.2015, URL: http://www.spiegel.tv/filme/horrorhaus-von-berlin-schoeneberg/ [eingesehen am 24.08.2016]. Schmalz, Alexander: NPD-Hetze in Schöneberg: Brauner Spuk vor dem RausEkel-Haus, in: Berliner Kurier, 25.06.2015, URL: http://www.berlinerkurier.de/berlin/kiez---stadt/npd-hetze-in-schoeneberg-brauner-spuk-vordem-raus-ekel-haus-1662564 [eingesehen am 24.08.2015]. Schmidt, Vera/Haake, Henning/Wolko, Marc: Aufgeheizte Stimmung bei Demos in Duisburg – Leichtverletzte bei Rangelei und Strafanzeigen, in: Der Westen, 06.10.2013, URL: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/auf geheizte-stimmung-bei-demos-in-duisburg-leichtverletzte-bei-rangelei-undstrafanzeigen-page3-id8526843.html [eingesehen am 20.10.2016]. Schmiemann, Brigitte: Hühnerläuse im Schöneberger „Horrorhaus“, in: Berliner Morgenpost, 17.07.2015, URL: http://www.morgenpost.de/bezirke/tempel hof-schoeneberg/article205480293/Huehnerlaeuse-im-SchoenebergerHorrorhaus.html [eingesehen am 28.08.2016]. Schmidt, Vera/Haake, Henning/Wolko, Marc: Aufgeheizte Stimmung bei Demos in Duisburg – Leichtverletzte bei Rangelei und Strafanzeigen, in: Der Westen, 06.10.2013, URL: http://www.derwesten.de/staedte/duisburg/aufge heizte-stimmung-bei-demos-in-duisburg-leichtverletzte-bei-rangelei-undstrafanzeigen-page3-id8526843.html [eingesehen am 20.10.2016]. Schminke, Clemens: „Arrest für junge Kriminelle“, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 18.04.2003. Schmitz, Karl-Heinz: Stadt will Zigeunerlager direkt am Fühlinger See, in: Kölnische Rundschau, 16.10.1987. Schön, Reinhard/Reinecke, Eckhard: Rechtliche Stellungnahme vom 20.11.2003 (einsehbar im Archiv des Rom e. V.). Seher, Dieter: Dortmunder Nordstadt wird Bandenquartier, in: Der Westen, 18.02.2011, URL: http://www.derwesten.de/politik/dortmunder-nordstadtwird-bandenquartier-id4301864.html [eingesehen am 13.09.2016].

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Soziologie Uwe Becker Die Inklusionslüge Behinderung im flexiblen Kapitalismus 2015, 216 S., kart., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3056-5 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3056-9 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3056-5

Gabriele Winker Care Revolution Schritte in eine solidarische Gesellschaft 2015, 208 S., kart., 11,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3040-4 E-Book: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3040-8 EPUB: 10,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3040-4

Johannes Angermuller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger, Felicitas Macgilchrist, Martin Reisigl, Juliette Wedl, Daniel Wrana, Alexander Ziem (Hg.) Diskursforschung Ein interdisziplinäres Handbuch (2 Bde.) 2014, 1264 S., kart., 2 Bde. im Schuber, zahlr. Abb. 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-2722-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-2722-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Soziologie Silke Helfrich, Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.) Commons Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat 2014, 528 S., kart., 24,80 € (DE), ISBN 978-3-8376-2835-7 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich E-Book: ISBN 978-3-8394-2835-1

Carlo Bordoni Interregnum Beyond Liquid Modernity März 2016, 136 p., 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3515-7 E-Book: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3515-1 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3515-7

Kijan Espahangizi, Sabine Hess, Juliane Karakayali, Bernd Kasparek, Simona Pagano, Mathias Rodatz, Vassilis S. Tsianos (Hg.)

movements. Journal für kritische Migrationsund Grenzregimeforschung Jg. 2, Heft 1/2016: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft September 2016, 272 S., kart. 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8376-3570-6 als Open-Access-Publikation kostenlos erhältlich: www.movements-journal.org

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