Ambulante Pflege und Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt [1 ed.] 9783428501090, 9783428101092

Der Autor beschreibt die unentgeltliche ambulante Pflege, ihre pflegewissenschaftliche und sozialrechtliche Erfassung un

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German Pages 348 Year 2000

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Ambulante Pflege und Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt [1 ed.]
 9783428501090, 9783428101092

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DANIEL O'SULLIVAN

Ambulante Pflege und Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 236

Ambulante Pflege und Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt

Von DanielO'Sullivan

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

O'Sullivan, Daniel:

Ambulante Pflege und Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt / von Daniel 0' Sullivan. - Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 236) Zug\.: Hamburg, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10109-X

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10109-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Für Rosemarie und William

Vorwort Diese Arbeit wurde 1996 am ehemaligen Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg begonnen. Der neue Fachbereich Rechtswissenschaft hat sie im Sommersemester 1999 als Dissertation angenommen. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Gerhard Struck, für seine intensive Betreuung und jederzeitige Bereitschaft zu Hilfe und Gespräch. Danken möchte ich auch der Zweitgutachterin dieser Arbeit, Frau Prof. Dr. Dagmar Felix, sowie Herrn Prof. Dr. Ronald Randzio und Herrn Prof. Dr. Fritz Haag für den von ihnen maßgeblich gestalteten Wahlschwerpunkt Familien- und Erbrecht und den Herren Prof. Dr. Claus Ott und Prof. Dr. Hans-Bemd Schäfer, für die ich während der Arbeit an dieser Dissertation als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Ein herzlicher Gruß geht an alle Hochschullehrer, Studenten, Absolventen und Mitarbeiter des ehemaligen Fachbereichs 17 - Rechtswissenschaft lI-reformierte Juristinnen- und Juristenausbildung (1971/1974 bis 1998) an der Universität Hamburg. Hamburg / Karlsruhe, im Sommer 2000

DanielO'Sullivan

Inhaltsverzeichnis TeD A: Einleitung und Begriffsbildung Kapitell: Betreuungsbedürftigkeit und unentgeltliche ambulante Betreuung als soziale Phänomene ................................................... .' . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Der Gegenstand der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

11. Zunehmende Aufmerksamkeit für die unentgeltliche Betreuung ..................

29

1. Vermutetes Anwachsen des Hauspflegebedarfs ................................

30

2. Befürchteter Rückgang der Bereitschaft zu unentgeltlicher Pflege .............

31

III. Die sozialrechtliche Erfassung der Pflege ........................................

31

IV. Zivilrechtliches Regelungsdefizit ................................................

32

V. Überblick über die Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

33

Kapitel 2: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung. . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

I. Betreuungsbedürftigkeit als Merkmal des Betreuungsverhältnisses ...............

34

11. Pflege- und Hilfebedürftigkeit in den Pflegewissenschaften ......................

36

1. Die grundlegende Definition der Pflegebedürftigkeit ..........................

36

2. Der zu starke Ursachenbezug in einem Teil der Pflegewissenschaften . . . . . . . . . .

37

3. Das ,,handicap" der WHO-Klassifikation als Pflegebedürftigkeit ..............

38

a) ..Impairments" als Ursache funktioneller Defizite (..disabilities") ...........

39

b) Die soziale Benachteiligung (,,handicap") als Pflegebedürftigkeit ..........

40

c) Ergebnis ...................................................................

40

4. Technische Kompensationsmöglichkeiten und persönliche Hilfe...............

41

5. Die Unterscheidung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit ..................

41

6. Ergebnis ......................................................................

42

10

Inhaltsverzeichnis

III. Pflegebedürftigkeit im Sozialrecht ...............................................

42

1. Die sozialrechtIiche Definition der Pflegebedürftigkeit ........................

43

a) Krankheiten und Behinderungen als umfassender Ausgangspunkt ..........

43

b) Die Dauerhaftigkeit der Pflegebedürftigkeit ................................

44

c) Einschränkungen bei den funktionellen Defiziten und sozialen Benachteiligungen. ........ ... ......... ...... ..... ..... .... ... ....... ....... ... ... ....

44

2. Die ,,Pflegestufe 0" und die Nachbesserungen durch das 1. SGB XI-ÄndG ....

46

3. Berücksichtigung der Kompensationsmöglichkeiten ...........................

47

4. Ergebnis ......................................................................

48

IV. Notwendigkeit eines eigenständigen zivilrechtlichen Begriffs ....................

48

1. Die rechtliche Erfassung eines sozialen Phänomens ...........................

49

a) Die sozialen Merkmale der Betreuungsbedürftigkeit .......................

49

b) Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Pflegebedürftigkeit .......

49

c) Ergebnis ...................................................................

50

2. Gründe flir den engeren Begriff im Sozialrecht ................................

51

3. Keine Notwendigkeit eines engen Begriffs im Zivilrecht ......................

52

4. Abweichungen vom pflegewissenschaftlichen Begriff .........................

52

5. Keine Betreuungsbedürftigkeit bei kompensierbaren Defiziten ................

53

V. Der Begriff der Betreuungsbedürftigkeit im Zivilrecht ...........................

53

VI. Die Betreuungsperson ...........................................................

54

VII. Das Betreuungsverhältnis ........................................................

55

VIII. Abgrenzung zur rechtlichen Betreuung im Sinne des § 1896 BGB n.F. ...........

55

IX. Weitere Eingrenzungen des Untersuchungsgegenstandes .........................

56

1. Beschränkung auf das interne Verhältnis ......................................

56

2. Abgrenzung zur entgeltlichen ambulanten Betreuung ..........................

57

3. Abgrenzung zur stationären Betreuung ........................................

57

4. Gründe für die Beschränkung auf unentgeltliche und ambulante Betreuung ....

58

X. Ergebnis .........................................................................

59

Inhaltsverzeichnis

11

Teil B: Die zivilrecbtlicbe Förderung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung Kapitel 3: Der zukünftige Bedarf an unentgeltlicber bäuslicher Betreuung und die Möglichkeiten zu seiner Befriedigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Der zukünftige Bedarf an Betreuung im allgemeinen .............................

60

l. Erfassungstechnische Schwierigkeiten ........................................

60

2. Stationär Gepflegte ...........................................................

61

3. Ambulant Betreute nach Socialdata 1980 und Schneek10th u. a. 1994 ..........

62

4. Die gegenwärtige Zahl Betreuungsbedürftiger in Deutschland .................

64

5. Bisherige Entwicklung der Betreuungsbedürftigkeit ...........................

64

a) Stabilität der Betreuungsbedürftigkeit im ganzen ...........................

65

b) Zunahme der Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne........................

65

c) Grunde für diese Entwicklungen...........................................

65

6. Betreuungsbedürftigkeit in der Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

11. Die besondere Nachfrage nach unentgeltlicher und ambulanter Betreuung........

68

III. Möglichkeit und Bereitschaft zur unentgeltlichen Betreuung .....................

69

I. Die Anzahl ambulant und unentgeltlich tätiger Betreuungskräfte ..............

69

2. Herkunft der Betreuungspersonen .............................................

70

3. Bisherige Entwicklung der unentgeltlichen und familialen Betreuung. . . . .. . . . .

73

4. Die Zukunft familialer und unentgeltlicher Betreuung .........................

73

a) Neue Strukturen in der Familie.............................................

74

b) GenerationsUbergreifende Wohngemeinschaften, ,.soziale Netzwerke" und neue Strukturen im sozialen Nahbereich ...................................

75

c) Zunahme der ..neuen Ehrenamtlichkeit" ....................................

76

d) Die Entwicklung eines ..dritten Marktes" im non-profit-Bereich ............

77

e) Die zunehmende ..freie" Zeit in der Gesellschaft ...........................

77

5. Ergebnis ......................................................................

78

IV. Endergebnis .....................................................................

78

Kapitel 4: Die Förderungswürdigkeit der unentgeltlichen Hausbetreuung .........

79

I. Bedeutung und Bewertung dieser Betreuungsform ...............................

79

11. Die Sicht der Betreuungsbedürftigen ............... . .............................

79

12

Inhaltsverzeichnis 1. Der Erhalt des sozialen Umfeldes und die Stabilität der Lebenssituation

79

2. Die persönliche Zuwendung durch unentgeltlich tätige Betreuer ....... . .......

81

3. Unterschiede in Unterbringung und medizinischer Versorgung.................

81

4. Gewalt in der häuslichen Betreuung ...........................................

82

5. Ergebnis ......................................................................

83

III. Die Bedeutung für die Betreuungspersonen ......................................

83

IV. Die Kosten der verschiedenen Betreuungsformen ................................

84

1. Die Kosten der verschiedenen Betreuungsarten im Einzelfall ..................

84

2. Die gesamten Kosten der verschiedenen Betreuungsformen ...................

85

3. Bewertung des Kostenarguments ..............................................

87

V. Endergebnis .....................................................................

87

Kapitel 5: Einzelne Maßnahmen zur Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung und ihre Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

I. Kriterien tllr einzelne Fördermaßnahmen ........................................

88

1. Der Erhalt der Freiwilligkeit der unentgeltlichen Betreuung ...................

88

a) Freiwillige und altruistische Tätigkeit ......................................

88

b) Struktur und Wirkung äußerer Anreize für eine freiwillige Betreuung ......

89

2. Berücksichtigung der Kosten einzelner Maßnahmen ...........................

90

3. Mögliche andere negative Auswirkungen......................................

91

11. Sozialpolitische und sozialrechtliche Beiträge zur Förderung .....................

91

1. Die Einrichtung eines ..Betreuungsverbundes" als sozialpolitisches Ziel

91

a) Die Aufgaben von Sozialstationen und teilstationären Einrichtungen

91

b) Die Defizite des Betreuungsverbundes in Deutschland .....................

92

c) Einzelne Schritte zur Verbesserung der öffentlichen ambulanten Betreuung.

93

2. Sozialrechtliche Maßnahmen im Bereich des Ptlegegeldes ....................

93

III. Forderungen an die zivilrechtliehe Ausgestaltung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung .......................................................................

94

1. Die unentgeltliche ambulante Betreuung als besonderes Rechtsverhältnis ......

94

a) Sinn einer Erfassung als Rechtsverhältnis ..................................

94

b) Rechtsverhältnisse als Regelung sozialer Beziehungen.....................

95

Inhaltsverzeichnis

13

c) Das relative Rechtsverhältnis als Beziehung zwischen Personen............

96

d) Relative Familienrechtsverhältnisse ........................................

96

e) Das Schuldverhältnis als wichtigstes außerfamiliales relatives Rechtsverhältnis .....................................................................

97

2. Begründung und Beendigung des Betreuungsrechtsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . .

97

3. Vergütungs- und Erstattungsansprüche des Betreuers ..........................

98

4. Aufwendungsersatzansprüche .................................................

98

a) Aufwendungsersatzansprüche für Arbeitszeit und entgangenen Lohn .......

98

b) Ein Ersatz für den Verlust an sozialer Sicherheit? ..........................

99

c) Anspruch auf Auslagenersatz ..............................................

99

5. Ansprüche gegen den Nachlaß des Betreuten.................................. 100 6. Die Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsansprüche des Betreuten................. 100 7. Schadensersatzansprüche gegen die Betreuungsperson ........................ 101 8. Rückgriffsansprüche des Betreuten, seiner Erben und Dritter .................. 102 9. Ergebnis ...................................................................... 102 IV. Die rudimentäre zivilrechtliche Erfassung der Betreuung......................... 103 I. Regelungen der herkömmlichen ehrenamtlichen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Ansätze einer zivilrechtlichen Erfassung ...................................... 103 3. Einzelne Ursachen zivilrechtlicher Regelungsdefizite ......................... 104 a) DauerschuldverhäItnisse im allgemeinen.......................... . ........ 104 b) Unentgeltliche Verträge, vor allem Dienstleistungsbeziehungen ............ 104 c) Wenige detaillierte familienrechtliche Regelungen ......................... 105 4. Gründe für die Zurückhaltung der Zivilrechtsordnung

105

V. Ergebnis ... .. .......... .. ........................................................ 105

Teil C: Die unentgeltliche ambulante Betreuung In der FamiHe Kapitel 6: Der Begriff und die rechtliche Erfassung der FamiHe .................... 106 I. Umfang und Bedeutung familialer Betreuung.................................... 106 11. Die Begriffe Familie und Familienangehörigkeit ................................. 106 1. Die Familie in Biologie und Soziologie ....................................... 107

2. Familienangehörigkeit im allgemeinen Sprachgebrauch ....................... 107 3. Der Begriff der Familie nach Art. 6 I GG ...................................... 108

14

Inhaltsverzeichnis 4. Der Familienbegriff des BGB ................................................. 108 5. Weiterentwicklung des Familienbegriffs im Zivilrecht......................... 109 6. Der Begriff der Familie in dieser Arbeit....................................... 110

III. Die rechtliche Trennung der einzelnen familialen Beziehungen .................. 110 IV. Die Erfüllung familienrechtlicher Ansprüche durch die Betreuung ............... 111 V. Die Unterscheidung zwischen Beistand und Unterhalt. . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 111

Teil D: Betreuung in der Ehe Kapitel 7: Die bisherige rec:hdiche Einordnung der ambulanten Betreuung in der Ehe ................................................................................... 112 I. Die Ehe als soziale Lebensgemeinschaft ......................................... 112 11. Die rechtliche Erfassung ehelicher Betreuungsleistungen . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Die zurückhaltende rechtliche Erfassung der ehelichen Lebensgemeinschaft ... 113 a) Die gesetzlichen Konzepte zur Regelung der Ehe .......................... 114 b) Die Ehe als privates System und Rechtsbeziehung ......................... 115 2. Die eheliche Betreuung nach Rechtsprechung und Literatur ................... 116 a) Die Rechtsprechung der Sozialgerichte ............................... , . . . . . 117 b) Die Auffassung der Zivilgerichtsbarkeit .................................... 117 c) Würdigung der unterschiedlichen Rechtsprechung ......................... 118 d) Eheliche Betreuungsansprüche in der Literatur ............................. 119 3. Vorgeschlagene rechtliche Grundlagen ehelicher Betreuung ................... 119 111. Ergebnis......................................................................... 120

Kapitel 8: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB ....... 120 I. Die übliche Herleitung eines Betreuungsanspruchs aus der ehelichen Generalklausei ........................................................................... 121 11. Betreuung als Inhalt der ehelichen Generalklausel des § 1353 I S. 2 BGB ........ 122 1. Der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft in § 1353 I S. 2 Hs.l BGB ..... 123 a) Die eheliche Lebensgemeinschaft im einzelnen ............................ 123 b) Auswirkungen der Definition der Lebensgemeinschaft für die Betreuung .. , 124

Inhaltsverzeichnis

15

2. Historische Auslegung des § 1353 I S. 2 BGB a.F. ............................. 125 3. Die Systematik des Ehepersonenrechts ........................................ 127 4. Die Veränderung und Erweiterung der Generalklausei durch das EheschlRG ... 128 5. Ergebnis ...................................................................... 128 III. Betreuung als eheliche Leistung nach einem außerrechtlichen ,,Ehebild" ......... 129 1. Unterschiede zwischen verbindlicher Ehelehre und Ehebild ................... 129 2. Das Ehebild der institutionellen (übersozialen und überindividuellen) Lehren. . 130 a) Der Inhalt der institutionellen Ehebilder . .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 130 b) Eheliche Betreuung nach den institutionellen Lehren....................... 131 c) Kritik an den institutionellen Ehebildem ................................... 131 3. Soziale Ehelehren: Betreuung als sozialadäquates Verhalten................... 132 a) Betreuungsleistungen als Teil eines sozialen Ehebildes ..................... 133 b) Das Fehlen eines allgemeinen sozialen Ehebildes .......................... 133 4. Interindividuelle Ehelehren ................................................... 134 5. Keine rechtsgeschäftliche Gestaltung der Ehe ................................. 134 a) Die Struktur sozialer Nähebeziehungen .................................... 135 b) Soziale und rechtliche Einflüsse in verschiedenen Beziehungen ............ 135 c) Regelmäßig kein rechtsgeschäftliches Handeln im sozialen Nahbereich .... 137 d) Tatsächliche Einwände gegen eine rechtsgeschäftliche Gestaltung der Ehe . 137 e) Rechtliche Einwände gegen solche Abreden ............................... 138 f) Kein Zwang zu rechtsverbindlichen autonomen Regelungen ............... 139

g) Ergebnis ................................................................... 140 6. Die faktische Gestaltung der Ehe als Grundlage ihrer rechtlichen Erfassung ... 140 7. Die rechtliche Anerkennung der faktisch gelebten Ehe durch § 1353 I S. 2 BGB 140 8. Folgen der rechtlichen ,.Anerkennung" einer Ehe.............................. 141 9. Betreuung als eheliche Leistung im Sinne von § 1353 I S. 2 BGB ............. 141 IV. Rechtliche Folgen der Einordnung der Betreuung als Beistand nach § 1353 I S. 2 BGB ............................................................................. 142 V. Besteht aus § 1353 I S. 2 BGB ein Rechtsanspruch auf Betreuung durch den Partner? ............................................................................. 142 1. Rechtsansprüche aus § 1353 I S. 2 BGB nach der faktischen Ausgestaltung der einzelnen ehelichen Lebensgemeinschaft...................................... 142 2. Denkbare Gründe für einen Betreuungsanspruch aus § 1353 I S. 2 BGB ....... 143

16

Inhaltsverzeichnis 3. Der grundsätzliche Charakter der Generalklausel als Rechtsanspruch.......... 144 a) Die Auffassungen über den Rechtspflichtcharakter der Generalklausei ..... 144 b) Die materielle Auslegung des § 1353 I S. 2 BGB ........................... 145 c) Formelle Voraussetzungen einer Rechtspflicht ............................. 146 d) Positive Durchsetzbarkeit und negative Sanktionierung der Generalklausei . 147 e) Verfassungsrechtliche Argumente gegen einen Rechtspflichtcharakter ...... 149 4. Ergebnis ...................................................................... 149

VI. Endergebnis ..................................................................... 149 VII. Überleitung: Betreuung als möglicher Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. I BGB. ISO

Kapitel 9: Die ambulante Betreuung als UnterhaltsleIstung ......................... ISO I. Betreuung als Unterhaltsleistung im allgemeinen................................. ISO

11. Die Übereinstimmung zwischen Betreuern und Unterhaltspflichtigen als Indiz für den Unterhaltscharakter der Betreuung........................................... ISO 1. Die persönliche Bindung als Unterhaltsgrundverhältnis ........................ 151 2. Die Unterhaltspflicht Familienangehöriger im deutschen Recht................ 152 a) Unterhalt in der Kernfamilie ............................................... 153 b) Unterhalt unverheirateter Partner.......... ...... ........................... 153 c) Der Dreißigste nach § 1969 I S. I BGB als Unterhalt....................... 154 d) Der Unterhalt werdender Mütter nach § 1963 und § 2141 BGB ............. ISS e) Höferechtlicher Unterhalt zwischen Geschwistern.......................... ISS f) Ergebnis.......... .......................................................... 156

3. Die Entwicklung des Unterhalts zu einem rein familienrechtlichen Institut..... 156 4. Vergleich zwischen Unterhaltspflichtigen und Betreuungskräften .............. 157 5. Würdigung dieser Parallelität.................................................. 158 1II. Betreuungsdienste als möglicher Inhalt des Unterhalts ........................... 159 1. Der Begriff des Unterhalts .................................................... 159 a) Der Begriff des Unterhalts im allgemeinen Sprachgebrauch................ 159 b) Die doppelte Bedeutung des Unterhalts im Bürgerlichen Recht............. 160 c) Unterhalt als faktische und als geschuldete Leistung ....................... 161 d) Die Begriffe Unterhalt und Lebensunterhalt außerhalb des BGB ............ 161 e) Der Begriff des Unterhalts in dieser Arbeit................................. 163

Inhaltsverzeichnis

17

2. Unterhalt als Befriedigung des Lebensbedarfs eines Menschen .............. . . 163 a) Der Lebensbedarf als Summe aller Lebensbedürfnisse ..................... 164 b) Absolute und relative Lebensbedürfnisse ........................ . .......... 164 c) Veränderungen von Lebensbedürfnissen ................ . ........ . .......... 166 d) Ergebnis ............................................... . ................... 166 3. Ist Betreuung hiernach eine Unterhaltsleistung? ............................... 166 a) Betreuungsbedürftigkeit als Teil des Lebensbedarfs ........................ 167 b) Betreuungsleistungen als Unterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168 4. Betreuung als grundsätzlicher gesetzlicher Inhalt des Unterhalts...... . ........ 168 IV. Betreuungsbedürftigkeit als unterhaltsrechtlich unerheblicher ,,regelmäßiger Sonderbedarf"? ...................................................................... 168 1. Die Entscheidung des AG Hagen zum Ausschluß der Betreuungsbedürftigkeit 169

2. Ablehnung der Figur des regelmäßigen Sonderbedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 3. Andere Wege zur Schonung unterhaltspflichtiger Kinder............. . ........ 171 4. Ergebnis ...................................................................... 171 V. Betreuung als mögliche oder geschuldete Art und Form des Unterhalts ........... 172 1. Natural- und Barunterhalt ..................................................... 172 2. Die generelle Art und Weise der Unterhaltsgewährung im Recht. . . . . . . . . . . . . .. 172 a) Die Art der Unterhaltsgewährung nach allgemeinem Sprachgebrauch ...... 173 b) Naturalunterhalt in der Rechtsgeschichte ................................... 173 c) Die Abhängigkeit der Unterhaltsart vom jeweiligen Lebensbedarf .......... 175 d) Ergebnis ................................................................... 176 3. Betreuung als Naturalunterhalt ................................................ 177 VI. Das Maß des Unterhalts generell. . ... . . . ... . . ... . . .. . . ... . . . .. . .. . . .. . . ... . .. . . .. 177 VII. Endergebnis ..................................................................... 179

Kapitel 10: Die eheliche Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB . . 179 I. Einleitung ....................................................................... 179 11. Betreuung als Inhalt des Ehegattenunterhalts nach § I 360a I BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Keine unterschiedlichen Bedarfe der Familienmitglieder ...................... 181

2. Der gesamte Lebensbedarf der Ehegatten als Familienunterhalt. . . . . . . . . . . . . . . . 181 2 O·Sullivan

18

Inhaltsverzeichnis 3. Die Betreuungsbedürftigkeit eines Ehegatten als Teil der Haushaltskosten oder als persönliches Bedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 a) Die Haushaltskosten als Nachfolger des ehelichen Aufwandes ............. 182 b) Betreuung als Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses............... 183 4. Ergebnis ...................................................................... 184

III. Naturalleistungen als primäre und geschuldete Art des Eheunterhalts ............. 184 1. Die durch die Ehe gebotene Unterhaltsform nach § I 360a 11 S. I BGB ......... 184 2. Naturalleistungen als grundsätzlich gebotene Unterhaltsform in der Ehe....... 185 3. Kein Einfluß der Vorschriften über Unterhaltsmittel auf die Unterhaltsform .... 187 4. Beispiele für Naturalleistungen im Ehegatten- und Familienunterhalt.......... 187 5. Betreuung als eheangemessene Form des Familienunterhalts an einen betreuungsbedürftigen Ehegatten .................................................... 188 IV. Das Maß des Ehegattenunterhalts ................................................ 188 I. Bestimmung des Unterhaltsmaßes durch Abrede oder faktische Gestaltung der Ehe ........................................................................... 189 2. Das Maß des Unterhalts bei der Betreuung..... . ............ . ................. 190 V. Ergebnis ......................................................................... 190

Kapitel 11: Der Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung und seine Grenzen......................................................................... 191 I. Der Rechtspflichtcharakter von Bar- und Naturalunterhalt ........................ 191

I. Negative Sanktionierungen des Unterhaltsanspruchs auf Betreuung.. . .. ... . . .. 191 a) Gleiche Rechtsqualität von Natural- und Barunterhalt zwischen Eheleuten. 192 b) Schadensersatz wegen Verletzung einer Naturalunterhaltspflicht? .......... 192 c) Der mögliche Ausschluß nachehelichen Unterhalts nach § 1579 Nr. 5 BGB

193

d) Die rechtliche Außenwirkung des Familienunterhalts ...................... 194 e) Ergebnis................................................................... 195 2. Einwände gegen einen Rechtspflichtcharakter der ehelichen Betreuung. . . . . . . . 195 a) Die Abhängigkeit des Unterhalts von der Beistandspflicht des § 1353 I S. 2 BGB ....................................................................... 195 b) Die Selbständigkeit und der Vermögensbezug des Naturalunterhalts ........ 196 3. Ergebnis...................................................................... 196 11. Gläubiger und Schuldner des ehelichen Betreuungsanspruchs .................... 197

Inhaltsverzeichnis

19

III. Allgemeine Grenzen des Betreuungsanspruchs in der Ehe ........................ 197 1. Die Regelungen über das Unterhaltsmittel der Arbeit: Geht die Haushaltsführung der Betreuung vor? ...................................................... 198

2. Die Rangordnung der beiden Inhaltsbereiche des Ehegattenunterhalts: Gehen die Haushaltskosten einer Betreuung vor? ..................................... 200 3. Ergebnis .............................................................. . ....... 201 IV. Grenzen der Betreuungsverpflichtung auf seiten des verpflichteten Ehegatten .... 20 I I. Die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten ..................................... 202 2. Die Unzumutbarkeit des Naturalunterhalts für den Verpflichteten.............. 204 a) Die Leistungsfähigkeit als Zumutbarkeitsgrenze? .......................... 204 b) Unzumutbarkeit aus Treu und Glauben..................................... 205 c) Die Rücksichtspflicht aus § 1353 I S. 2 als spezielle Regelung gegenüber § 242 BGB ................................................................ 206 d) Abwägung zwischen Unterhalts- und Rücksichtspflicht bei der Betreuung.. 207 3. Ergebnis ...................................................................... 208 V. Grenzen der Betreuung auf seiten des berechtigten Ehegatten .................... 208 I. Die Bedürftigkeit des betreuungsbedürftigen Partners als Grenze der Betreuungspflicht des Ehegatten ..................................................... 209 a) Die Bedürftigkeit des Berechtigten als Kriterium des Familienunterhalts ... 209 b) Bedürftigkeit nur im Unterhaltsbereich der persönlichen Bedürfnisse....... 210 c) Argumente gegen ein Bedürftigkeitserfordernis ............................ 211 d) Ergebnis................................................................... 212 2. Die Zumutbarkeit für den Betreuungsbedürftigen als Grenze des Betreuungsrechts seines Ehegatten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 212 a) Die Präferenzen des Berechtigten als mittelbare Grenze des Betreuungsrechts ...................................................................... 213 b) Die Rücksichtspflicht des Verpflichteten ................................... 214 3. Ergebnis ...................................................................... 214 VI. Der Anspruch auf Betreuung zwischen Ehegatten ................................ 2 I 4

Teil E: Die unentgeltliche Betreuung der Eltern und Schwiegereltern Kapitel 12: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern ..... . ............ 216

I. Allgemeines zur Betreuung der EItern ........................................... 216 2'

20

Inhaltsverzeichnis 11. Die Betreuung der Eltern als Inhalt und Maß des Verwandtenunterhalts nach § 1601 BGB ..................................................................... 217 1. Betreuung als Inhalt des Verwandtenunterhalts ................................ 217

2. Die Bedürftigkeit als Voraussetzung des Verwandten unterhalts ................ 217 3. Das Maß des Verwandtenunterhalts ........................................... 218 111. Die gesetzliche Fonn des Elternunterhalts ........................................ 219 1. Der Ausnahmecharakter des § 1612 I S. I BGB ............................... 219

2. Gesetzliche Rückausnahmen zu § 1612 I S. I BGB für den Kindesunterhalt ... 219 3. Der Grundsatz der Geldzahlungspflicht im Elternunterhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 IV. Ausnahmen vom Grundsatz der Barleistungspflicht im Elternunterhalt ........... 221 1. Die ratio des § 1612 I S. I BGB ............................................... 221

a) ..Naturalunterhalt bindet. Geldrente macht frei" ............................ 221 b) Das Fehlen eines gemeinsamen Haushalts.................................. 223 c) Die Pietät als ratio des § 1612 I S. I BGB? ................................. 224 d) Freiheit des Berechtigten bei der Verwendung der Unterhaltsmittel ......... 224 e) Schutz des Verpflichteten .................................................. 225 f) Ergebnis................................................................... 225

2. Eine Restriktion des § 16121 S. I BGB? ...................................... 225 a) Keine Heranziehung des § 1606 III S. 2 BGB .............................. 226 b) Keine unbewußte Regelungslücke für betreuungsbedürftige Unterhaltsberechtigte ................................................................... 227 c) Ergebnis................................................................... 227 3. Abänderung des Barunterhalts durch den Verpflichteten nach § 1612 I S. 2 BGB .......................................................................... 228 a) Anwendungsbereich und Rechtsfolgen des § 1612 I S. 2 BGB .............. 228 b) Die besonderen Gründe für einen Naturalunterhalt ......................... 228 c) Voraussetzungen des § 16121 S. 2 BGB .................................... 229 d) Betreuungsleistungen nach § 1612 I S. 2 BGB ............................. 230 e) Ergebnis................................................................... 230 4. Naturalunterhalt auf einseitigen Wunsch des Berechtigten ..................... 231 a) § 1612 I S. 2 zugunsten des Berechtigten? .................................. 231 b) Eine Abänderung nach § 1618a oder § 242 BGB? .......................... 232 c) Keine Frage der Fonn. sondern des Inhalts................................. 232 5. Fazit .......................................................................... 233

Inhaltsverzeichnis

21

V. Einvernehmliche Abänderung der Unterhaltsform ................................ 234 1. Vereinbarungen über Naturalleistungen an Erfüllungs Statt nach § 364 I BGB . 234

2. Zulässigkeit von Unterhaltsvereinbarungen .................................... 235 a) Der Ausschluß des Unterhalts im ganzen und die Abänderung seines Inhalts 235 b) Zulässigkeit von Vereinbarungen über die Unterhaltsform .................. 236 3. Die Unterhaltsvereinbarung als Vertrag........................................ 236 4. Der Abschluß eines Unterhaltsabänderungsvertrages zwischen Elternteil und betreuendem Kind ............................................................ 239 a) Willenserklärungen durch die faktische Naturalbetreuung .................. 239 b) Das Erklärungsbewußtsein bei einer Betreuung der Eltern .................. 240 5. Fazit.......................................................................... 241 VI. Der Rechtsanspruch auf Betreuungsleistungen aus § 1601 BGB ..... . ............ 241 VII. Betreuung der Eltern als Beistandsleistung nach § 1618a BGB ................... 241 VIII. Endergebnis ..................................................................... 243

Kapitel 13: Die unentgeltliche Betreuung durch Schwiegerkinder .................. 243 I. Betreuungsanspruche zwischen Verschwägerten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 243 I. Keine Unterhalts- oder Beistandspflichten unter Verschwägerten .............. 244 2. Kein Vertragsschluß zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkind ............ 244 3. Ergebnis ...................................................................... 245 11. Erfllllung der Unterhaltspflicht des Ehegatten.................................... 245 I. Die Abänderung der Unterhaltsform ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 2. Die Leistung durch eine andere Person ........................................ 246 a) Die Unterhaltsleistung durch Dritte oder Erfüllungsgehilfen ................ 246 b) Naturalbetreuung als höchstpersönliche Pflicht............................. 247 c) Die vertragliche Übernahme eines Unterhaltsverhältnisses nach § 414 BGB

249

d) Abreden über die Zulässigkeit einer Erfüllung durch Gehilfen .............. 250 3. Fazit.......................................................................... 251 III. Betreuungsleistungen des Schwiegerkindes als Unterhalt gegenüber dem Ehegatten? .............................................................................. 251 I. Die (Schwieger)eltern als Familienangehörige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 252

22

Inhaltsverzeichnis 2. Der Bedarf betreuungsbedürftiger Schwiegereltern als Familienunterhalt

252

a) Erhöhung der Haushaltskosten durch betreuungsbedürftige Schwiegereltern? ....................................................................... 253 b) Erhöhung der persönlichen Bedürfnisse eines Ehegatten.................... 254 c) Fazit....................................................................... 254 3. Ergebnis ...................................................................... 255 IV. Vertragliche Übernahme einer Betreuungspflicht gegenüber dem Ehegatten ...... 255

V. Endergebnis ..................................................................... 256

Teil F: Die unentgeltliche ambulante Betreuung im Rahmen der "neuen Ehrenamtlichkeit" Kapitel 14: Die unentgeltliche außerfamiliaie Betreuung als private und organisierte freiwUlige, ehrenamtliche Arbeit ..••••••••••••..••••..••...•••.•••••••.•..••.• 257 I. Unentgeltliche Betreuung außerhalb der Familie................................. 257 II. Die außerfamiliale Betreuung als ehrenamtliche Tätigkeit ........................ 257 I. Zwei Gruppen außerfamilialer Betreuung ..................................... 258 2. Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 259 3. Die private unentgeltliche Betreuung als freiwillige und ehrenamtliche Arbeit 259 III. Die Beschränkung der Arbeit auf die private ehrenamtliche Betreuung........... 261

Kapitel 15: Die rechtliche Einordnung der privaten ehrenamtlichen Betreuung im Zwei-Personen-Verhältnis ............................................................ 261 I. Die rechtliche Einordnung der außerfamilialen Betreuung........................ 261 11. Die private ehrenamtliche Betreuung als ..Gefalligkeitsverhältnis" und Rechtsverhältnis ........................................................................... 262 I. Das Gefalligkeitsverhältnis als außerrechtliche Erscheinung ................... 262 2. Betreuung als Inhalt eines Gefalligkeitsverhältnisses ...... . ................... 263 3. Die rechtliche Einordnung der Gefalligkeitsverhältnisse ....................... 264 a) Keine abstrakte Entscheidung über die Rechtsbindung ..................... 264 b) Die Anwendungsbereiche vertraglicher und gesetzlicher Schuldverhältnisse 265 c) Gefalligkeitsverhältnisse als vertragliche Schuldverhältnisse ............... 266

Inhaltsverzeichnis

23

4. Die ehrenamtliche Betreuung als enge soziale Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 III. Die Betreuung als Vertragsbeziehung und ihre Voraussetzungen .................. 267 IV. Erklärungen in der Betreuung nach dem äußeren Erscheinungsbild ............... 268 I. Ausdrückliche Erklärungen über den Betreuungsvertrag ....................... 268 2. Fehlen ausdrücklicher Erklärungen ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 3. Frühere Rahmenabreden als ein Dauerrechtsverhältnis ..Betreuung" ........... 270 4. Erklärungen durch schlüssiges Verhalten .................. . ................... 270 5. Ergebnis ...................................................................... 271 V. Die Rechtsbindung in einem Betreuungsverhältnis ............................... 271 I. Ausschluß der Rechtsbindung aufgrund objektiver Umstände. . . . . . . . . . . . . . . . .. 271 a) Obligationen nur bei Vermögensinteresse? ................................. 271 b) Keine Schuldverhältnisse in privaten Beziehungen? ........................ 272 c) Regelmäßig kein Rechtsbindungswille in privaten Beziehungen? ........... 273 d) Unverbindlichkeit bestimmter Abreden wegen ihres Inhalts....... . ........ 274 e) Ergebnis................................................................... 275 2. Tatsächliche Zweifel am ..Rechtsbindungswillen" ............................. 275 a) Schwierigkeiten bei der Ermittlung eines Rechtsbindungswillens ........... 275 b) Bestehen und Äußerung eines Rechtsbindungswillens ...................... 276 c) Ergebnis ................................................. . . . ............... 278 3. Rechtliche Zweifel am .. Rechtsbindungswillen" ............................... 279 a) Fehlende Rechtssicherheit und Gefahr der Billigkeitsrechtsprechung ....... 279 b) Die Entscheidungsmacht der Parteien über die Rechtsverbindlichkeit .. . . . .. 279 c) Ergebnis ................................................................... 280 4. Ansätze objektiver Interessenabwägung in der Rechtsprechung ................ 280 a) Darstellung ................................................................ 281 b) Stellungnahme.................................................... . ........ 282 c) Bewertung der bisher verwendeten objektiven Kriterien .................... 283 d) Neue Kriterien für Betreuungsverhältnisse ................................. 284 5. Ergebnis ...................................................................... 285 VI. Betreuung bei fehlender Willenserklärung oder Geschäftsunfähigkeit des Betreuten ............................................................................... 285 I. Abschluß bei Geschäftsunfähigkeit des Betreuungsbedürftigen ................ 285 a) Vertragsschluß durch einen rechtlichen Betreuer nach § 1896 BGB .. . . . . . .. 286 b) Schwierigkeiten des Vertragsschlusses durch rechtliche Betreuer........... 287

24

Inhaltsverzeichnis 2. Die ehrenamtliche private Betreuung als faktisches Vertragsverhältnis ......... 287 a) Faktische Verträge bei Nichtigkeit und Anfechtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. 288 b) Kein faktischer Vertrag ohne Willenserklärung ............................. 289 c) Faktische Verträge bei Geschäftsunfähigkeit des Dienstberechtigten ........ 289 d) Ergebnis ................................................................... 291 3. Die nichtvertragliche private Betreuung als Geschäftsführung ohne Auftrag ... 291 a) Kein Ausweichen in gesetzliche Schuldverhältnisse. . . . ... . . ... .. . . . ... . ... 291 b) Keine Anwendbarkeit der Geschäftsführung ohne Auftrag ................. 292 4. Fazit ................................ . .......... . .............................. 293

VII. Zwischenergebnis................................................................ 294 VIII. Der Inhalt des Betreuungsvertrages .............................................. 294 1. Die Betreuungsabrede als Unterhaltsvertrag ................................... 295 a) Voraussetzungen eines Unterhaltsvertrages ................................. 295 b) Rechtliche Würdigung des Verhaltens in dem Betreuungsverhältnis ... . .... 296 2. Die private außerfamiliale Betreuung als Werkvertrag ......................... 297 3. Ehrenamtliche Betreuung als Dienst- oder Arbeitsverhältnis ................... 297 4. Der ehrenamtliche private Betreuer als arbeitnehmerähnliche Person .......... 298 5. Auftrag ....................................................................... 299 IX. Endergebnis ..................................................................... 299

Teil G: Einzelne Ansprüche und Regelungen in der unentgeltlichen ambulanten Betreuung in Familie und neuem Ehrenamt Kapitel 16: Begründung und Beendigung des Rechtsverhältnisses Betreuung ...... 300

I. Einleitung zu Teil G ............................................................. 300 11. Begründung des Betreuungsrechtsverhältnisses und Pflicht zur Betreuung. .. . . . .. 300 III. Die Beendigung des Betreuungsverhältnisses .................................... 301 1. Die Kündigung des außerfarnilialen Betreuungsvertrages nach § 671 I Hs.2 BGB .......................................................................... 302 2. Die Beendigung der ehelichen Betreuung ..................................... 302

Inhaltsverzeichnis

25

3. Die Beendigung der Betreuung durch Kinder............... .. ................. 302 4. Die Beendigung der Betreuung durch Schwiegerkinder ........................ 303 IV. Ergebnis .................... . . . ................ . .............................. . .. 304

Kapitel 17: Anspruche der Betreuungsperson gegen den Betreuten, seine Erben und gegen Dritte ...................................................................... 304 I. Vergütungs- und Erstattungsansprüche für die Betreuung ......................... 304

11. Ansprüche auf Aufwendungsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 304 I. Aufwendungsersatzansprüche betreuender Ehegatten und Kinder .............. 305 2. Der Aufwendungsersatz der Schwiegerkinder ......................... ;....... 306 3. Aufwendungsersatzansprüche privater ehrenamtlicher Betreuer ............... 306 4. Bewertung .................................................................... 307 III. Ansprüche auf das Pflegegeld nach § 37 SGB XI ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 307 1. Keine unmittelbaren Ansprüche gegen die Pflegekasse ........................ 307 2. Ansprüche gegen den Betreuungsbedürftigen auf Weiterleitung des Pflegegeldes ............................................................................ 308 IV. Ansprüche gegen die Erben des Betreuten auf Beteiligung am Nachlaß aus § 2057a BGB .................................................................... 308 V. Schadensersatzansprüche des Betreuers gegen Dritte (§ 843 I BGB) .. . . . . . .. . . . .. 309 1. Ansprüche verletzter Ehegatten und Kinder ................................... 309 2. Keine Ansprüche von Schwiegerkindern und privaten ehrenamtlichen Betreuern ............................................................................ 310 Kapitel 18: Ansprüche des Betreuungsbedürftigen gegen die Betreuungsperson und gegen Dritte ...................................................................... 310 I. Unterhaltsansprüche des Betreuten............................................... 310

11. Schadensersatzansprüche des Betreuten und der Sozialleistungsträger (§ 116 I SGB X) .......................................................................... 311 I. Der sozialrechtliche Ausschluß der zivilrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 311 a) Sachliche Voraussetzungen des Haftungsausschlusses ...................... 311 b) Der Haftungsausschluß für Pflegepersonen (§ 2 I Nr. 17 SGB VII) ......... 312

26

Inhaltsverzeichnis c) Der Haftungsausschluß für Beschäftigte (§ 2 I Nr. I SGB VII)

313

d) Der Betreuer als ein in der Wohlfahrtspflege Tätiger (§ 2 I Nr. 9 SGB VII) . 314 e) Betreuungskräfte als wie Beschäftigte Tätige (§ 2 II S. I SGB VII) ......... 315 f) Ergebnis ................................................................... 315

2. Die Haftung des betreuenden Ehegatten nach §§ 1359,277 BGB .............. 316 3. Haftungsmilderungen für betreuende Kinder .................................. 317 a) Analogie zu § 1664 BGB LV.m. § 1619 BGB .............................. 317 b) Analogie zu § 1359 BGB .................................................. 318 4. Die Haftung des Schwiegerkindes ............................................. 319 5. Schadensersatzansprüche gegen private ehrenamtliche Betreuer ............... 319 6. Ergebnis ...................................................................... 320 III. Die Rückforderung von Zuwendungen an den Betreuer nach § 528 I BGB . . . . . . .. 320 1. Schenkungen in der unentgeltlichen ambulanten Betreuung. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 320 2. Keine Pflichtschenkung nach § 534 BGB ...................................... 321 IV. Schadensersatzansprüche des Betreuten gegen Dritte (§ 844 II BGB) ............. 321

Kapitel 19: Originäre Anspriiche Dritter gegen Betreuer oder Betreuungsbedürfti. gen .................................................................................... 322

1. Ansprüche des Sozialhilfeträgers nach § 92c BSHG gegen den Betreuer als Erben des Betreuten .................................................................... 322 1. Der Ausschluß der Erstattungspflicht nach § 92c III Nr. 2 BSHG .............. 323 2. Die Härteklausel des § 92c III Nr. 3 BSHG .................................... 324 a) Die Beschränkung auf betreuende Ehegatten und Verwandte ............... 324 b) Die Hausangehörigkeit der Pflegekraft ...... . .............................. 325 3. Ergebnis ................. . .................................................... 325 H. Unterhaltsansprüche Dritter gegen den Betreuer.................................. 325 I. Unterhaltsansprüche Dritter gegen private ehrenamtliche Betreuer. . . . ... . . .. .. 326 2. Unterhaltsverbindlichkeiten betreuender Familienangehöriger................. 326 111. Unterhaltsansprüche Dritter gegen den Betreuungsbedürftigen ................... 327

Inhaltsverzeichnis

27

Teil H: Schluß Kapitel 20: Zusammenfassung der Arbeit und rechtspolitische Folgerungen aus den Ergebnissen ...................................................................... 328 I. Zusammenfassung der al1gemeinen und rechtspolitischen Teile .................. 328

I. Begriffsbildung ............................................................... 328 2. Die Förderungswürdigkeit der unentgeltlichen ambulanten Betreuung ......... 329 3. Einzelne zivilrechtliche und andere Maßnahmen zur Förderung ............... 329 11. Die rechtliche Einordnung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung. . ... . . . .... 330 I. Betreuung in der Ehe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 330 a) Betreuung als ehelicher Beistand nach § 1353 I S. 2 Hs.2 BGB n.F. ........ 330 b) Betreuung als generel1e Unterhaltsleistung ................................. 330 c) Betreuung als geschuldeter Ehegattenunterhalt nach § I 360a 11 S. I BGB .. 331 2. Die Betreuung der Eltern...................................................... 331 3. Betreuungsleistungen an die Schwiegereltern. . . . ... . . . ... . . . ... .. . .. . . . ... . . .. 332 4. Betreuung im privaten "neuen" Ehrenamt ..................................... 332 III. Einzelne Rechtsfragen der ambulanten unentgeltlichen Betreuung................ 333 I. Begründung und Beendigung des RechtsverhäItnisses Betreuung .............. 333 2. Ansprüche des Betreuers gegen den Betreuten, seine Erben und Dritte. . . . . . . .. 333 3. Ansprüche des Betreuungsbedürftigen gegen den Betreuer und gegen Dritte... 334 4. Originäre Ansprüche Dritter gegen Betreuer oder Betreuten ................... 334 IV. Notwendige Änderungen des Zivilrechts zur Förderung der unentgeltlichen häuslichen Betreuung ................................................................ 335

Literaturverzeichnis .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 336

Sachworlverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 342

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Privat betreute Pflege- und Hilfebedürftige 1980 ...............................

63

Abb. 2: Privat betreute Pflege- und Hilfebedürftige 1991 und 1994 .................... .

63

Abb. 3: Betreuungsbedürftige und Betreuungspersonen ................................

69

Abb. 4: Familienangehörige und andere unentgeltliche Betreuer nach Socialdata .......

71

Abb. 5: Hauptpflegepersonen in Privathaushalten nach Schneekloth u. a. ...............

71

Abb. 6: Herkunft der Betreuer - Zusammenfassung ....................................

73

Abb. 7: Empfanger und Zahlungen von Hilfe zur Pflege bis 1996 ........ . .............

85

Tei I A

Einleitung und BegrifTsbildung Kapitell

Betreuungsbedürftigkeit und unentgeltliche ambulante Betreuung als soziale Phänomene I. Der Gegenstand der Arbeit

Gegenstand dieser Arbeit ist die zivilrechtliche Erfassung und Ausgestaltung der unentgeltlichen häuslichen Betreuung pflege- und hilfebedürftiger Menschen durch Familienangehörige sowie durch Nachbarn, Freunde und karitativ tätige Helfer aus dem Bereich des privaten "neuen Ehrenamts". Diese Betreuungsform ist seit einiger Zeit sozialrechtlich erfaßt. Die soziale Pflegeversicherung räumt in § 3 S. 1 und § 8 TI S. 3 SGB XII sowohl der häuslichen als auch der unentgeltlichen Betreuung einen Vorrang vor der stationären und der kommerziellen ambulanten Pflege ein. Dagegen sind die internen Betreuungsverhältnisse zivilrechtlich bislang kaum geregelt. Möglicherweise kann jedoch auch das Zivilrecht entsprechend dem rechtlichen Auftrag aus §§ 3 und 8 SGB XI durch eine angemessene rechtliche Gestaltung der Beziehungen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegekräften zu einer Förderung dieser Betreuungsform beitragen. Diese Arbeit soll daher nicht nur die einzelnen zivilrechtlichen Regelungen darstellen, die in einem unentgeltlichen Betreuungsverhältnis gelten. Sie soll auch aufzeigen, welche Anforderungen die rechtliche Regelung des Betreuungsverhältnisses erfüllen muß, um die unentgeltliche Betreuung zu fördern, und sie soll bewerten, ob das gegenwärtige Zivilrecht diesen Anforderungen entspricht. 11. Zunehmende Aufmerksamkeit für die unentgeltliche Betreuung

Pflegebedürftigkeit und unentgeltliche ambulante Betreuung stehen seit langem in der öffentlichen Diskussion? In der Fachwelt hat sich in dieser Zeit die PflegeI Elftes Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung, verkündet als Art. I Gesetz zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGB\. I 1994, S. 1014). 2 Braun I Articus, Hilfeleistungen, S. I.

30

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

wissenschaft als eigenständige gesundheitswissenschaftliche Disziplin herausgebildet. 3 Daneben haben weite Teile der Gesellschaft und in der Folge auch die Rechtspolitik die Bedeutung dieser Erscheinungen erkannt. 4 Diese Aufmerksamkeit beruht auf zwei vermeintlichen Entwicklungen, die zusammen bei vielen Menschen Befürchtungen vor einem "Pflegenotstand" verursacht haben: 5

1. Vennutetes Anwachsen des Hauspflegebedarfs

Auf der einen Seite wird angenommen, der Bedarf an Pflege im allgemeinen und an unentgeltlichen ambulanten Pflegeleistungen im besonderen sei in der Vergangenheit stark gestiegen und werde zukünftig weiter anwachsen. Die erste Vermutung über einen allgemein steigenden Pflegebedarf wird damit begründet, daß die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland mit wachsender Geschwindigkeit zunehme. Dies zeige sich beispielsweise in einem starken Anstieg der Ausgaben für die Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff. BSHG a.F. 6 in den letzten Jahren. 7 Der wichtigste Grund für diese Entwicklung seien die steigende Lebenserwartung und die damit anwachsende Zahl alter und hochbetagter Menschen,8 weil Pflegebedürftigkeit überwiegend eine Erscheinung des höheren Alters sei.9 Für die zweite Erwartung einer stärkeren Nachfrage gerade nach unentgeltlicher häuslicher Pflege werden zwei Gründe angeführt. Einerseits nehme die Zustimmung zu dieser Betreuungsform allgemein zu. Dies zeige die Kritik, die seit einiger Zeit an stationären Einrichtungen ebenso wie an kommerziellen ambulanten Pflegediensten geübt werde. weil diese nicht den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen nach angemessener Versorgung und persönlicher Zuwendung entsprächen. 10 Andererseits seien die Kosten dieser Betreuungsformen zu hoch. Die hierfür nötigen Mittel könnten schon heute viele Betroffene nicht mehr selbst aufbringen. Auch die Solidargemeinschaft könne sie aber nicht unbegrenzt tragen. Daher müsse zukünftig verstärkt auf die Hauspflege und hier vor allem auf die unentgeltliche und familiale Betreuung zurückgegriffen werden. 11

Dassen/Buist, S. 87. Prinz, S. l. 5 Zu diesem Begriff Mohl, S. 18 f., 97 ff. 6 Bundessozialhilfegesetz vom 30. Juni 1961 (BGB\. I 1961, S. 815, 1875) bis zu den Änderungen durch Art. 18 PflegeVG. 7 Braun I Articus, Versorgung, S. 11; BT-Drs. 12/ 5262, S. 185. Grafik 2.2. 8 BT-Drs. 1215262, S. 62. 9 Schneek10th u. a., Pflegebedürftige, S. 15. 10 Poske, S. 19 f.; Jürgens, S. 12. 11 Braun I Articus, Hilfeleistungen, S. 1. 3

4

1. Kap.: Betreuungsbedürftigkeit und unentgeltliche ambulante Betreuung

31

2. Befürchteter Rückgang der Bereitschaft zu unentgeltlicher Pflege

Auf der anderen Seite wird befürchtet, daß diese steigenden Nachfrage nach unentgeltlicher ambulanter Pflege in Zukunft nicht befriedigt werden könne, weil immer weniger Betreuung durch familiale oder ehrenamtliche Kräfte geleistet werde. Der überwiegende Teil pflegebedürftiger Menschen wurde bis in das 20. Jahrhundert hinein ambulant in Familie oder Dorfgemeinschaft betreut. Unterstützung kam allenfalls aus den Kirchen und später aus karitativen Vereinen. Stationäre AItenpflegeheime entstanden in ihrer heutigen Form erst ab 1950. 12 Gleichzeitig wurde die ambulante Betreuung durch den Ausbau der Sozial stationen professionalisiert. 13 Weil aber aus diesen karitativen Einrichtungen kein funktionsfähiges Netz sozialer Dienste entstanden ist,14 haben seit den achtziger Jahren zahlreiche neue entgeltliche Pflegedienste die ambulante Betreuung zusätzlich kommerzialisiert. Aus diesen Entwicklungen wird vielfach geschlossen, die unentgeltliche Hausbetreuung verliere an Bedeutung. Als Begründung hierfür wird angeführt, daß sich die familialen Strukturen veränderten und die Bereitschaft zu privatem sozialem Engagement abnehme. 15 Viele ältere Menschen hätten keine Kinder mehr, von denen sie notwendige Pflege erhalten könnten. Dies zeigten die sinkenden Geburtenzahlen. Wegen des ansteigenden Altersdurchschnitts seien oft auch keine Ehegatten mehr vorhanden. Und auch wenn Angehörige existierten, seien sie oftmals wegen der wachsenden Anforderungen an die Pflege nicht mehr pflegefähig oder wegen ihrer abweichenden Berufs- und Lebensplanung l6 oder der loseren familiären Bindungen nicht mehr pflegewillig. 17 Daher sei ein größer werdender Anteil der Pflegebedürftigen auf professionelle und kommerzielle Fremdbetreuung angewiesen.

IH. Die sozialrechtIiche Erfassung der Pflege Diese vermuteten gegenläufigen Entwicklungen des Pflegebedarfs und der Betreuungsmöglichkeiten haben zu der Auffassung geführt, Pflegebedürftigkeit sei ein "allgemeines Lebensrisiko" geworden, das mit privater Vorsorge allein nicht mehr ausreichend abgesichert werden könne. 18 Damit wurde die Betreuung als Aufgabe des Sozialstaates erkannt. 19 Eine erste sozialrechtliche Folge dieser Er12 13

14 IS 16

17 18

19

Lind, SF 1995, S. 31, 32. Poske, S. 20, 21; Braun 1Articus, Hilfeleistungen, S. 7. Brandt, Ambulante Dienste, S. 2 f. Mohl, S. 108. Bäcker, SozSich 1995, S. 361. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 32 f. BT-Drs. 1215262, S. 61 ff. Flöhr, RsDE Bd. 17, S. 1.

32

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

kenntnis war die Einführung finanzieller Hilfen zur Pflege durch das erste BSHG im Jahre 1961. Nachdem jedoch die Sozialhilfeausgaben zur Pflege in der Folgezeit immens gestiegen waren, wurde in der politischen Diskussion eine beitragsfinanzierte sozialversicherungsrechtliche Absicherung des Pflege risikos für nötig erachtet. 20 Daher gewährten die §§ 53 bis 57 SGB Va.F. 21 ab 1989 erstmals Leistungen der Sozialversicherung für die häusliche Pflege nicht mehr nur bei der Krankenbetreuung, sondern allgemein bei schwerster Pflegebedürftigkeit. Weitergehend soll die 1995 eingeführte soziale Pflegeversicherung nicht nur alle Grade der Pflegebedürftigkeit erfassen, sondern auch dem Anwachsen der kommerziellen Pflege entgegenwirken. Daher ist in § 3 S. 1 SGB XI erstmals die unentgeltliche Betreuung durch Familienangehörige, Verwandte und Nachbarn rechtlich erfaßt und ihre Erhaltung zum gesetzlichen Ziel erklärt worden,z2 Gleichzeitig verpflichtet § 8 11 S. 3 SGB XI alle staatlichen Einheiten und Pflegeeinrichtungen, die Bereitschaft zu unentgeltlicher Betreuung zu fördern. Diese Pflegeversicherung umfaßt auch eine private Pflegepflichtversicherung für alle nicht sozial Versicherten und ist daher eine umfassende Volksversicherung.

IV. Zivilrechtliches Regelungsdefizit Angesichts dieser Entwicklungen und des sozialrechtlichen Vorrangs der unentgeltlichen ambulanten Betreuung überrascht es, daß die internen Beziehungen zwischen Betreuern und Betreuten zivilrechtlich bislang kaum erfaßt sind. Das PflegeVG enthielt nur wenige zivilrechtliche Regeln für diese Beziehung. So hat es einige Pflegepersonen in die gesetzliche Unfallversicherung aufgenommen und hierbei in § 637 V RVO a.F. 23 auch ihre Schadensersatzhaftung besonders geregelt. Diese Vorschrift findet sich heute in § 106 11 SGB VII. 24 Dies sind jedoch nur einzelne Vorschriften. Wenn die Rechtsordnung diese Pflegeform entsprechend dem gesetzlichen Auftrag umfassend fördern will, muß sie die gesamte interne Beziehung zwischen dem Pflegebedürftigen und der Pflegekraft angemessen gestalten.

Zu den ökonomischen Vorteilen dieses Absicherungsmodells Prinz, S. 152 ff. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung, verk. als Art. I Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGB\. I 1988, S. 2477). 22 Udsching, § 3, Rn. 2; BT-Drs. 1215262, S. 89 f. 23 Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGB\. S. 509) Ld.F. der Änderung durch Art. 7 Nr. 3 PfIegeVG. 24 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung, verkündet als Art. I Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (UVEG) vom 7. August 1996 (BGB\. I 1996, S. 1254). 20 21

I. Kap.: Betreuungsbedürftigkeit und unentgeltliche ambulante Betreuung

33

v. Überblick über die Arbeit Diese Arbeit soll Pflegebedürftigkeit und Pflege als soziale Erscheinungen beschreiben, rechtspolitisch würdigen und rechtlich untersuchen. Hierzu werden zunächst im folgenden Kapitel statt des üblicherweise verwandten Begriffs der Pflege die Bezeichnungen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsverhältnis entwickelt, weil sie im zivilrechtlichen Bereich das soziale Phänomen besser erfassen. Das Betreuungsverhältnis wird beschrieben. Es wird dargestellt, wann Betreuungsbedürftigkeit vorliegt, welche kompensatorischen Hilfen die Betreuungskräfte erbringen und welche Merkmale diese soziale Beziehung von anderen unterscheiden. An diese Definition wird später die zivilrechtliche Regelung anknüpfen. In Teil B wird sodann untersucht, ob diese Betreuungsform gefördert und ausgebaut werden sollte und auf welche Weise das Zivilrecht hierzu beitragen kann. Hierzu stellt Kapitel 3 mit Hilfe des vorhandenen empirischen Materials dar, wieviele Menschen betreuungsbedürftig sind, wie groß der Anteil der unentgeltlich zu Hause Betreuten ist, wieviele unentgeltlich tätige Pflegekräfte es gibt und wie sich letztlich diese Zahlen in der Vergangenheit verändert haben. Mit Hilfe dieser Daten soll prognostiziert werden, ob ein Ausbau dieser Betreuungsform möglich ist, ob also entgegen den geäußerten Befürchtungen25 in Zukunft ausreichend viele Familienangehörige und andere, karitativ oder sonst ehrenamtlich tätige Menschen zur Pflege bereit und in der Lage sein werden. Kapitel 4 behandelt die Bedeutung der unentgeltlichen ambulanten Pflege, vergleicht sie mit anderen Betreuungsformen und bewertet sie aus der Sicht der Betreuungsbedürftigen, der Pflegekräfte und der Gesellschaft. Hierbei werden nicht nur die Kosten der Pflegebedürftigkeit und die Einsparungen durch die unentgeltliche Hauspflege dargestellt, sondern vor allem die Präferenzen und Bedürfnisse der Betreuungsbedürftigen und Pflegekräfte berücksichtigt. Dieser Abschnitt untersucht also, ob eine Förderung dieser Betreuungsform sinnvoll und wünschenswert ist. Kapitel 5 stellt zunächst dar, welche Anreizwirkungen eine Maßnahme zur Förderung der Betreuung haben muß und welche sonstigen Auswirkungen berücksichtigt werden müssen. Anschließend werden einige sozialrechtliche und sozialpolitische Schritte dargestellt, die flankierend zu einer Entlastung unentgeltlich tätiger Betreuer beitragen können. Danach werden anhand der entwickelten Kriterien konkrete Forderungen an die zivilrechtlichen Regelungen in diesem Bereich erhoben. Letztlich stellt dieses Kapitel dar, warum spezielle, auf die besondere Eigenart der unentgeltlichen Pflege zugeschnittene zivilrechtliche Regeln kaum vorhanden sind und ob die Gründe des Gesetzgebers rur diese Zurückhaltung stichhaltig sind.

25

Zu diesen Befürchtungen siehe oben Kap. I 11 1.

3 O'Sullivan

34

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

Der Schwerpunkt der Arbeit findet sich in den Teilen C bis F. Dort wird untersucht, ob und wann eine Betreuung ein besonderes Rechtsverhältnis darstellt. Hierdurch soll die Beziehung grundsätzlich rechtlich erfaßt werden. Es geht also noch nicht um spezielle Regelungen innerhalb des jeweiligen Betreuungsverhältnisses. Gefragt wird vielmehr, ob und in welchen Grenzen in einer bestimmten Beziehung eine Pflicht zur Betreuung besteht, oder ob erbrachte Betreuungsleistungen wenigstens einen Rechtsanspruch des Betreuten erfüllen. Diese Teile sind nach der sozialen Beziehung zwischen Betreuungsbedürftigem und Betreuungskraft gegliedert: Angesichts des sehr hohen Anteils familienangehöriger Betreuer wird zunächst nach einer familienrechtlichen Verpflichtung zur Betreuung gesucht. Hierbei wird entsprechend der familienrechtlichen Struktur zwischen betreuenden Ehegatten, Kindern und Schwiegerkindem unterschieden. Als denkbare rechtliche Grundlagen werden vor allem die Beistandsverpflichtungen nach § 1353 I S. 2 und § 1618a BGB 26 sowie die Unterhaltsansprüche aus § 1360 S. 1 und § 1601 BGB herangezogen. Danach wird die außerfamiliale unentgeltliche Betreuung behandelt. Hier wird untersucht, ob diese Beziehungen gesetzliche oder vertragliche Schuldverhältnisse darstellen und hieraus eine Betreuungsverpflichtung besteht. Mit dieser Frage knüpft die Arbeit an die lange rechtliche Diskussion über Gefälligkeitsverhältnisse an. Anknüpfend an die rechtspolitischen Forderungen aus Kapitel 5 werden sodann in Teil G aus den rechtlichen Einordnungen der Betreuung in den Teilen C bis F einzelne zivilrechtliche Regelungen des Betreuungsverhältnisses untersucht und im Hinblick auf ihren Beitrag zur Förderung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung bewertet. Dargestellt werden unter anderem die Haftung in einem Betreuungsverhältnis, Aufwendungs- und Freistellungsansprüche des Betreuers und die Kondiktionsfestigkeit erbrachter Betreuungsleistungen. Hinzu kommen Regreßforderungen der Sozialhilfeträger und der erbrechtliche Ausgleich nach § 2057a BGB. Der letzte Teil H schließlich faßt die wesentlichen Ergebnisse zusammen und enthält einige kurze rechtspolitische Forderungen an die Zivilrechtssetzung.

Kapitel 2

Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung I. Betreuungsbedürftigkeit als Merkmal des Betreuungsverhältnisses Das Sozialrecht bezeichnet den Gegenstand dieser Arbeit als Pflege. Die Situation des Gepflegten nennt es Pflegebedürftigkeit. Die Pflegewissenschaft kennt 26

Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. August 1896 (RGB!. 1896, S. 195).

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

35

diese Bezeichnungen ebenfalls. Sie werden jedoch anders definiert und reichen inhaltlich weiter als im Sozialrecht. Außerdem erfaßt hier der zusätzliche Begriff der Hilfebedürftigkeit den angrenzenden Bereich weniger einschneidender Beeinträchtigungen. 27 Dieser Abschnitt soll darstellen, daß die Begriffe Pflege und Pflegebedürftigkeit schon im Sozialrecht zu eng gefaßt sind, weil sie hinter den pflegewissenschaftlichen Kriterien zurückbleiben. Noch weniger eignen sie sich für die zivilrechtIiche Erfassung dieser Erscheinung. Das Zivilrecht greift aus einer sozialen Erscheinung andere Merkmale heraus als andere Rechtsbereiche. Und eS verfolgt nicht die gleichen Ziele wie beispielsweise die soziale Pflegeversicherung. Es betrifft überwiegend das interne Verhältnis zwischen Pflegekraft und Gepflegtem und hat deswegen andere Interessen auszugleichen und zu schützen als das Sozialrecht. Die Pflegeversicherung dagegen regelt vor allem die Rechtsbeziehungen eines Dritten, der Pflegekasse, zum Pflegebedürftigen und zur Pflegeperson. Ebenfalls soll dargestellt werden, daß auch die pflegewissenschaftlichen Definitionen nicht ohne weiteres in das Zivilrecht übernommen werden können. Vor allem ist die dort übliche Trennung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit im Zivilrecht unnötig. Diese beiden Bezeichnungen können hier zusammengefaßt werden. Als Oberbegriff verwendet diese Arbeit das unentgeltliche ambulante Betreuungsverhältnis. 28 Hierbei beschreibt das Betreuungsverhältnis die Beziehung zwischen den beiden Beteiligten. Die eine Person befindet sich in einer besonderen Situation, der Betreuungsbedürftigkeit. Sie ist funktionell beeinträchtigt und daher sozial benachteiligt. Die andere wird dagegen nicht durch ein persönliches Merkmal beschrieben. Statt dessen wird an ihre Tätigkeit angeknüpft, nämlich die Kompensation der Nachteile des Betreuungsbedürftigen durch persönliche Unterstützung und Hilfe. Dies ist die Betreuung. 29 Das so erfaßte Betreuungsverhältnis wird letztlich als unentgeltlich und ambulant beschrieben, indem es gegen die stationäre Pflege und die Betreuung durch kommerzielle Hauspflegedienste abgegrenzt wird. Ein Betreuungsverhältnis setzt unbedingt das besondere Merkmal der Betreuungsbedürftigkeit voraus. Es ist zwar denkbar, allein an die Art der Hilfeleistung anzuknüpfen, ohne danach zu unterscheiden, ob sie für den Empfänger lediglich hilfreich oder aber für seine Lebensführung notwendig ist. Schon in diesem Falle wäre wegen des engeren sozialen Kontakts und der Unentgeltlichkeit eine eigenständige rechtliche Regelung gerechtfertigt, wie die Diskussion um die Gefälligkeitsverhältnisse zeigt. Gleichwohl ist zusätzlich die besondere Abhängigkeit des Betroffenen von der Betreuung einzubeziehen. Ihretwegen weicht die rechtliche Zu diesen Begriffen Schneek10th u. a., Pflegebedürftige, S. 17. Siehe unten Kap. 2 V. 29 Diese tatsächliche Betreuung ist nicht zu verwechseln mit der ,,rechtlichen Betreuung" nach §§ 1896 ff. BGB n.F., siehe hierzu unten Kap. 2 VIII. 27 28

3'

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

36

Erfassung dieser Beziehung möglicherweise auch von anderen unentgeltlichen Leistungsverhältnissen ab. Außerdem muß eine rechtliche Regelung in diesem Bereich von derjenigen Beziehung ausgehen, die sich in ihren sozialen Merkmalen am deutlichsten von den üblichen unterscheidet, weil hierbei auch die meisten rechtlichen Abweichungen auftreten können und der besondere Charakter der Beziehung besonders deutlich wird. Hierauf aufbauend können später diejenigen sozialen Phänomene angemessen erfaßt werden, die nur einige der besonderen Merkmale aufweisen. Hinzu kommt, daß in den meisten Fällen einer Betreuung auch Betreuungsbedürftigkeit vorliegt, denn ohne Notwendigkeit werden wenige Menschen zu einer so intensiven und belastenden Tätigkeit bereit sein. Ebenso selten werden andere in den grundlegenden Verrichtungen ihres täglichen Lebens freiwillig fremde Unterstützung annehmen. Betreuungsbedürftigkeit entspricht strukturell der Pflegebedürftigkeit, geht aber darüber hinaus. Sie bezieht auch den bloßen hauswirtschaftlicher Hilfebedarf ein. Im folgenden werden daher zunächst die pflegewissenschaftlichen und die sozialrechtlichen Definitionen beschrieben, ihre Mängel aufgezeigt und letztlich ein eigenständiger zivilrechtlicher Begriff der Betreuungsbedürftigkeit entwickelt.

u. Pflege- und Hilfebedürftigkeit in den Pflegewissenscbaften In den Pflegewissenschaften bestehen mehrere Definitionen der Pflegebedürftigkeit, verschiedene Einteilungen dieses Begriffs und unterschiedliche Abgrenzungen vom haus wirtschaftlichen Hilfebedarf.

I. Die grundlegende Definition der Pflegebedürftigkeit

Das pflegewissenschaftliche Schrifttum versteht Pflegebedürftigkeit grundsätzlich als funktionelles Defizit in der Lebensführung. Dieses Defizit wird beschrieben als eine Einschränkung in der Ausübung solcher "basalen Aktivitäten des täglichen Lebens", die zu einer "selbständigen Lebensführung" notwendig sind. 3o Hauswirtschaftlicher Hilfebedarf stellt dagegen nach dieser Auffassung eine Einbuße dar, die sich lediglich bei weniger wichtigen, haushaltsbezogenen Tätigkeiten auswirkt. Diese Definition zeigt, daß die Pflegebedürftigkeit auf verschiedenen Ebenen beschrieben werden kann. Die Beschreibung beginnt bei körperlichen, geistigen oder psychischen Einbußen, die oft als "Schaden" bezeichnet werden. 31 Diese Einbußen haben Beeinträchtigungen in den Verhaltensmöglichkeiten zur Folge, die funktionellen Defizite. Soweit der Betroffene die Defizite nicht ausgleichen kann 30 31

Schneekloth u. Igl, S. 253.

8.,

Pflegebedürftige, S. 15.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

37

und dadurch in seiner Lebensführung eingeschränkt ist, erleidet er eine soziale Benachteiligung. Er ist pflegebedürftig. Führt man diese lineare Betrachtung weiter, so folgt aus der Pflegebedürftigkeit der Pflegebedarf: Der Betroffene benötigt die Hilfe anderer, damit er die Defizite ausgleichen und sein Leben ohne Nachteile führen Die Befriedigung seines Bedarfs durch persönliche Unterstützung ist dann letztlich die Pflege. Diese Definition zeigt auch, daß die Pflegebedürftigkeit keinen naturwissenschaftlich feststehenden Begriff darstellt. Sie knüpft nicht nur an tatsächliche Merkmale bei den Betroffenen an, sondern auch an die soziale Bewertung dieser Merkmale. Sie enthält nonnative Beurteilungen. So kann nicht rein naturwissenschaftlich entschieden werden, ob ein funktionelles Defizit eine soziale Benachteiligung auslöst.

2. Der zu starke Ursachenbezug in einem Teil der Pflegewissenschaften

Obwohl nach dieser Definition die Abhängigkeit des Begriffs der Pflegebedürftigkeit von sozialen und bewertenden Elementen erkannt ist, legt ein Teil der Pflegewissenschaften seinen Schwerpunkt doch auf die jeweilige Ursache der Beeinträchtigung, den körperlichen oder sonstigen "Schaden". Entsprechend werden überwiegend jene Ursachen untersucht, während die individuellen und sozialen Bedingungen der Pflegebedürftigkeit zurückstehen. Dies zeigt sich beispielsweise in den Versuchen zur Klassifikation dieses Begriffs. Sie knüpfen meist an die verschiedenen Ursachen an und versuchen, die körperlichen, geistigen oder seelischen Einbußen, die zur Pflegebedürftigkeit führen können, in Gruppen zusammenzufassen. So unterscheiden diese Einteilungen oft zwischen Krankheiten und Behinderungen. Krankheiten seien behandlungsbedürftig, ließen aber auch eine Heilung erwarten. 32 Aus ihnen entstehe Behandlungsbedürftigkeit als eine Fonn zeitweiliger Pflegebedürftigkeit. 33 Behinderungen bezeichneten dagegen eine nicht heilbare Einbuße und führten zu dauernder Pflegebedürftigkeit. Manche Klassifikationen zählen als dritte Ursachengruppe das Alter hinzu. Alterspflegebedürftigkeit entstehe in einem späteren Lebensabschnitt mit einer gewissen Regelmäßigkeit, während Behinderung und Krankheit atypische Schäden seien. Oftmals werden andererseits Krankheiten ausgeschieden und nur Behinderungen und Alter anerkannt, wenn nämlich die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung für einen notwendigen Bestandteil der Pflegebedürftigkeit gehalten wird. 34

32 33 34

IgI, S. 337. BSGE 28,199,201. IgI, S. 251, 252 spricht von "langwährender Pflegebedürftigkeit".

38

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

Diese ursachenbezogenen Unterteilungen sind wichtig für die sozialrechtliche Erfassung der Pflegebedürftigkeit: Für Krankheiten und die damit verbundene Behandlungspflege ist die Krankenversicherung zuständig, während für die Pflegebedürftigkeit wegen Alters oder Behinderung die Pflegekassen aufkommen. 35 In der Pflegewissenschaft erleichtern sie dagegen allenfalls durch ihre Typisierung die Erstellung eines Pflegekonzepts und die Bestimmung eines Pflegeziels für den einzelnen Betroffenen. Begrifflich liegt hier Pflegebedürftigkeit jedoch unabhängig von der Art der körperlichen, geistigen oder seelischen Einbuße vor. 36 Wie die unterschiedlichen Einteilungen zeigen, führt diese Art der Beschreibung oft dazu, daß bestimmte Ursachengruppen aus der Pflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden. Dies wird dem Phänomen Pflegebedürftigkeit jedoch nicht gerecht. Insbesondere ist keine Verengung auf Alterspflegebedürftige statthaft, denn diese Erscheinung ist nicht altersgebunden. 37 In Deutschland sind beispielsweise 29,6% aller im weiteren Sinne pflegebedürftigen Menschen jünger als 65 Jahre. 38 Hinzu kommt, daß Alter und Behinderung zwar Ursache für Beeinträchtigungen sein können, aber nichts über Art und Umfang einzelner funktioneller Defizite aussagen. Zwar treten durchaus bestimmte Beeinträchtigungen eher im Alter, andere eher bei einer Behinderung auf. Dies ist jedoch keineswegs zwingend. Außerdem sind die Arten der Funktionsdefizite sehr vielfaltig, so daß sich kaum sagen läßt, ob eine bestimmte Beeinträchtigung als Ausprägung des Alters oder einer Behinderung angesehen werden kann. In beiden Fällen liegt dieselbe Art von Pflegebedürftigkeit vor. Dieser Begriff der Pflegebedürftigkeit stellt also zu stark auf die Art der Schäden und Einbußen als Ursache ab und vernachlässigt die weiteren Merkmale innerhalb der linearen Definition, vor allem die Art und die Folgen der einzelnen funktionellen Defizite und die gesellschaftlichen Bedingungen der hieraus entstehenden sozialen Nachteile bei der selbständigen Gestaltung des Lebens.

3. Das .. handicap" der WHO-Klassifikation als PflegebedüiftigJceit

Ein Ansatz, der stärker von den relativen und sozial bedingten Merkmalen der Pflegebedürftigkeit ausgeht, findet sich in der "International Classification of Impairments, Disabilities, and Handicaps" der World Health Organisation, der grundlegenden und international mittlerweile anerkannten Klassifikation von Krankheiten und Behinderungen. Dort wird die körperliche oder geistige Einbuße "impairment" und das hieraus folgende funktionelle Defizit "disability" genannt. 39 Die so3S 36

37 38

39

JÜTgens, S. 45. Igl, S. 251, 252. Igl, S. 252. Berechnung nach Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, Tab. 4.1, S. 111. WHO, Classifications, S. 27 bis 29.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

39

ziale Benachteiligung als die Folge der disabilities für die Lebensführung des Betroffenen wird als "handicap", also als Behinderung bezeichnet. 40 Dieser Begriff zeigt, daß sich die WH 0-Klassifikation grundsätzlich auf behinderte Menschen bezieht. Gleichwohl kann unter einem handicap ebenso die Pflegebedürftigkeit im Alter oder bei Krankheit verstanden werden: Zum einen reicht dieser Begriff weiter als die deutsche Bezeichnung ,,Behinderung", zum anderen beschreiben die Begriffe Krankheit, Alter und Behinderung nur die Ursachen funktioneller Defizite,41 sagen aber nichts über Inhalt und Art einzelner Beeinträchtigungen aus.

a) ,Jmpairments" als Ursache funktioneller Defizite ("disabilities") Die Klassifikation der WHO definiert die Ursache für einzelne funktionelle Defizite, das "impairment", als "any loss or abnormality of psychological, physiological, or anatomical structure or function".42 Sie versucht also nicht, qualitativ die "Schäden" des betroffenen Menschen zu beschreiben und in begrifflichen Kategorien zusammenzufassen. Statt dessen erkennt sie aus einer funktionellen Betrachtungsweise heraus jede körperliche und geistige Einbuße als mögliche Ursache für Funktionsbeeinträchtigungen an und unterscheidet allenfalls zwischen verschiedenen Schadensbereichen, wie language, hearing oder vision. 43 Der Ausgangspunkt für die Beurteilung eines Menschen als pflegebedürftig findet sich anders als in der ersten Definition somit auf der nächsten Stufe der Ursachenkette, bei den Funktionsdefiziten, die aus den impairments entstehen. Diese "disabilities" werden verstanden als "any restriction or lack of ability to perform an activity in the manner or within the range considered normal for a human being". Die WHO-Klassifikation bezieht also jede Beeinträchtigung in ihre Definition ein. Allerdings beschränkt sie die disability mit der Formulierung "considered normal" auf die Unfahigkeit zu solchen Tätigkeiten, die als üblich angesehen werden. Bereits hier berücksichtigt sie also die soziale Einflüsse, die auf der nächsten Stufe der Ursachenkette zur Pflegebedürftigkeit noch stärker den Begriff des handicap prägen. Diese Definition erfaßt vielfältige Beeinträchtigungen: Wenn beispielsweise die Einbuße eine körperliche Schädigung des Ohrs ist, können hieraus als funktionelle Defizite Schwerhörigkeit oder Taubheit, sprachliche Einschränkungen, aber auch Störungen im Gleichgewichtssinn entstehen. Ebenso kann eine Verletzung oder der Verlust einer Gliedmaße die Bewegungsfahigkeit einschränken oder den Betroffenen bei der Haushaltsführung oder Nahrungsaufnahme beeinträchtigen.44 40 41

42 43 44

Igl, S. 252 f. Siehe hierzu oben Kap. 2 II. 2. WHO, Classifications, S. 27. Igl, S. 253. Igl, S. 253, 254.

40

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

b) Die soziale Benachteiligung ("handicap") als Pflegebedürftigkeit Aus derartigen funktionellen und motorischen Beeinträchtigungen folgt sodann eine soziale Benachteiligung, die letztlich als Pflegebedürftigkeit bezeichnet werden kann. Die WHO umschreibt ein solches handicap als "a disadvantage for a given individual, resulting from an impairment or a disability, that limits or prevents the fulfilment of a role that is normal (depending on age, sex, and social and cultural factors) for that individual".4s Einen sozialen Nachteil erleidet ein Mensch demnach, wenn er wegen seiner funktionellen Einbußen solche Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann, die für eine Person aus seiner Altersklasse, seiner sozialen Schicht und seiner Lebensstellung in der jeweiligen Gesellschaft üblich sind, und der deshalb Einschränkungen und Erschwerungen in seiner Lebensführung hinnehmen muß. Dieses Merkmal zeigt die Abhängigkeit des Begriffs der Pflegebedürftigkeit von sozialen Vorstellungen und Anforderungen. Die medizinisch faßbare Ursache der funktionellen Beeinträchtigung liegt dagegen nicht im Blickfeld.46 Die WHO unterscheidet sechs Gruppen sozialer Nachteile, nämlich handicaps in der Orientierung, der physischen Unabhängigkeit, der Mobilität, der Beschäftigung, der sozialen Integration und der ökonomischen Selbstversorgung.47 Alle diese sozialen Beeinträchtigungen fußen auf einem oder mehreren funktionalen Defiziten. So kann beispielsweise eine Einschränkung in der Orientierungsfähigkeit als sozialer Nachteil auf einem geschädigten Gehör, mangelndem Sehvermögen oder auf psychischen Störungen beruhen. Diese sehr weitreichende Definition des handicap folgt dem Gesundheitsbegriff der WHO, der ebenfalls sehr weit gefaßt ist und auch die Freiheit von sozialen Beeinträchtigungen umfaßt. 48

c) Ergebnis Nach der WHO ist Pflegebedürftigkeit daher jede soziale Benachteiligung eines Menschen in bestimmten Lebensbereichen, die auf einer funktionellen Beeinträchtigung beruht. Welche körperliche, geistige oder seelische Einbuße dieses Defizit verursacht hat, spielt keine Rolle. Diese Beschreibung macht deutlich, daß Pflegebedürftigkeit kein rein natürliches Phänomen ist, sondern auch eine gesellschaftliche Bewertung enthält, denn sie liegt auch vor bei Einbußen an Verhaltensweisen, die zwar nicht notwendig, aber üblich sind und daher sozial erwartet werden.

4S

46 47 48

WHO, Classifications, S. 29. IgI, S. 254. WHO, Classifications, S. 184 ff. Schönke/SchröderlStree, § 325, Rn. 14; BT-Drs. 8/3633, S. 28.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

41

4. Technische Kompensationsmöglichkeiten und persönliche Hilfe

Nicht jedes funktionelle oder motorische Defizit muß zu einer sozialen Benachteiligung führen. Manche Beeinträchtigungen lassen sich mit technischen Hilfsmitteln oder durch kleine Veränderungen im alltäglichen Leben kompensieren. Allerdings liegen auch in diesen Fällen grundsätzlich soziale Nachteile vor. Die Kompensationsmöglichkeit mildert sie allenfalls ab. So muß zum Beispiel ein Mensch mit eingeschränkter Bewegungsfahigkeit keine Einbußen bei der Teilhabe am öffentlichen Leben erleiden, wenn er einen Rollstuhl benutzen kann. Diese Fortbewegung ist jedoch ungleich schwerer als eine unbeeinträchtigte Mobilität. Sie kann durch behindertengerechte Gestaltungen des öffentlichen Raums nur wenig erleichtert werden. Der zusätzliche Aufwand, den eine Person betreiben muß, wenn sie diese Hilfen benutzt, ist ebenfalls eine Benachteiligung. Auch bei technisch kompensierbaren Beeinträchtigungen liegt also oft Pflegebedürftigkeit vor.

5. Die Unterscheidung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit

Zumindest die WHO-Klassifikation zieht demnach den Begriff der Pflegebedürftigkeit sehr weit. Sie erfaßt auch Menschen, die lediglich in einzelnen lebensbereichen funktionell oder sogar nur sozial beeinträchtigt sind. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit enthält sie nicht. Gleichwohl ist auch pflegewissenschaftlich eine pauschale Gleichbehandlung der Gruppen nicht sinnvoll, weil jeder Pflegebedürftige ganz individuelle Pflegebedarfe entwickelt und daher oftmals unterschiedliche Kompensationsmöglichkeiten angewandt und angepaßte Pflegepläne entwickelt werden müssen. Daher wird auch pflegewissenschaftlich zwischen Pflege und hauswirtschaftlicher Hilfe graduell differenziert. Nur hilfebedürftig sind Menschen, deren funktionelle Defizite lediglich ihre sozialen Kontakte oder ihre Haushaltsführung beeinträchtigen, die aber in den körperbezogenen Bereichen der Grundpflege keiner fremden Unterstützung bedürfen. 49 Eine genauere Abgrenzung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit unterscheidet zwischen "activities of daily living" (ADL) und "instrumental activities of daily living" (iADL). Erstere sind Basisaktivitäten des täglichen Lebens, die der Existenzerhaltung dienen. 5o Hierzu gehören die Toilettenbenutzung, die Nahrungsaufnahme, Körper- und Zahnpflege, das Ankleiden und die grundsätzliche Bewegungsfcihigkeit. Die iADL umfassen demgegenüber instrumentelle Aktivitäten, die nur den Außenkontakt und die Güterversorgung betreffen. Dies sind zum einen Besorgungen, die über die bloße Existenzerhaltung hinausgehen, wie das Einkaufen, die Nahrungszubereitung und die Reinhaltung von Wasche und Haushalt, zum an49 50

Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 53. Schneek10th u. a., Pflegebedürftige, S. 25 ff.

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

42

deren sozialkommunikative Tätigkeiten wie die Behördenkorrespondenz, das Telefonieren, das Ausgehen, der sonstige Kontakt zu anderen Menschen oder die grundsätzliche Fähigkeit, sich im Straßenverkehr fortzubewegen. 51 Zwischen den beiden Gruppen steht zum Beispiel die Medikamenteneinnahme.

6. Ergebnis

Im pflegewissenschaftlichen Bereich ist am ehesten die funktionsbezogene WHO-Klassifikation geeignet, Pflegebedürftigkeit angemessen und hilfebezogen zu definieren. Alle pflegewissenschaftlichen Beschreibungen, auch die der WHO, knüpfen jedoch an bestimmte körperliche oder sonstige Einbußen an. Ebenso unterscheiden sie zwischen verschiedenen Graden von PfIege- oder Hilfebedürftigkeit. Dies ist in diesem Bereich nötig, um eine individuell abgestimmte optimale Pflege zu ermöglichen.

In. Pflegebedürftigkeit im Sozialrecht Die Pflegebedürftigkeit ist rechtlich nicht einheitlich definiert. Vor allem die verschiedenen Bereiche des Sozialrechts benutzen verschiedene Begriffe oder verstehen dieselbe Bezeichnung unterschiedlich. 52 Zwar hat das PfiegeVG in § 14 SGB XI die Pflegebedürftigkeit grundlegend bestimmt und auch das Sozialhilferecht diesem Begriff angepaßt. 53 In den anderen Zweigen der Sozialversicherung und im sozialen Entschädigungsrecht blieben aber die eigenständigen Definitionen bestehen. 54 Diese Vielfalt beruht darauf, daß die Rechtsordnung die Pflegebedürftigkeit lange Zeit nicht als eigenständige, von ihren Gründen wie Krankheit oder Behinderung unabhängige soziale Erscheinung wahrgenommen hat. Mittelbar haben zwar seit dem Beginn der Sozialgesetzgebung durch die ,,Reichssozialgesetze"55 viele Normen dieses Phänomen erfaßt, wenn sie die Folgen der jeweiligen "Versicherungsfälle" wie Krankheit, Unfall oder Mutterschaft regelten. 56 Als allgemeiner Begriff wurde jedoch allenfalls die "Hilfsbedürftigkeit" verwendet. Auch § 68 BSHG hat ab 1961 zwar die Pflegebedürftigkeit erfaßt, begrifflich aber immer an Schneek10th u. a., Pflegebedürftige, S. 26. Socialdata, S. 20 f. 53 Mrozynski, SGb 1996, S. 565. 54 BT-Drs. 1215262, S. 95. 55 Krankenversicherungsgesetz vom 15. Juni 1883, RGBI. 1883, S. 73; Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 (RGBI. 1884, S. 69); Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (RGBI. 1889, S. 97). 56 Igl, S. 251; Poske, S. 127 ff. mit einer Übersicht der verschiedenen sozialrechtlichen Anspruchsnorn1en. 51

52

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

43

einzelne Ursachen wie Krankheiten oder Behinderungen angeknüpft und für die hieraus entstehenden Folgen keinen zusammenfassenden Begriff entwickelt.

1. Die sozialrechtliche Definition der Pflegebedürftigkeit

Erstmals als eigenständige Erscheinung ohne Anknüpfung an bestimmte Ursachen wurde das Phänomen Pflegebedürftigkeit im Jahre 1988 in § 53 I SGB Va.F. erfaßt und beschrieben. Diese durch das GRG eingefügte Norm enthielt den ersten sozialversicherungsrechtlichen Anspruch auf häusliche Pflegehilfe gegen die Krankenkassen. 57 Er war jedoch nur bei Schwerpflegebedürftigkeit gegeben. Als 1994 das Pflege VG erstmals umfassende soziale Leistungen für Pflegebedürftige einführte und die §§ 53 ff. SGB V aufhob, knüpfte das neue Recht an die hier verwandte Beschreibung an, strich jedoch die Beschränkung auf "schwere" Pflegebedürftigkeit. Die Definition der Pflegebedürftigkeit des PflegeVG gilt nicht nur für die soziale Pflegeversicherung, sondern beispielsweise auch für die praktisch fast ebenso wichtige Hilfe zur Pflege aus den Kassen der Sozialhilfe träger: Nach § 14 I SGB XI und dem gleichlautend gefaßten § 68 I BSHG i.d.F. des PflegeVG58 ist pflegebedürftig, wer "wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf'. Diese Definition beschreibt die Pflegebedürftigkeit nach ihrem Grund, ihrer Dauer und ihren Folgen. Diese Merkmale werden im folgenden dargestellt.

a) Krankheiten und Behinderungen als umfassender Ausgangspunkt Als mögliche Gründe der Pflegebedürftigkeit nennen die §§ 14 I S. 1 SGB XI, 68 I S. 1 BSHG eine Behinderung oder eine körperliche, geistige oder seelische Erkrankung, jedoch nicht das Alter. 59 Diese weitaus wichtigste Ursache für Pflegebedürftigkeit fällt damit aber nicht aus dem Schutz der Pflegeversicherung heraus. Das Gesetz betrachtet das Alter nur nicht als eigenständige Ursachengruppe, weil es mit einer gewissen Abweichung von pflegewissenschaftlichen Auffassungen auch altersbedingte Einbußen als Krankheiten oder Behinderungen ansieht. 60

BT-Drs. 11/2237, S. 182 ff. Inzwischen wurde § 68 BSHG durch das Erste Gesetz zur Änderung des SGB XI und anderer Gesetze (I. SGB XI-ÄndG) vom 14. Juni 1996 (BGBI. I 1996, S. 830) erneut geändert. S9 ZU den Veränderungen des heutigen § 14 SGB XI im Gesetzgebungsverfahren siehe BT-Drs. 1215920, S. 22. 60 BT-Drs. 12/5262, S. 62. S7

S8

44

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

§ 1411 SGB XI führt einzelne Krankheiten und Behinderungen auf. Trotz des Wortlauts ist diese Aufzählung nicht abschließend. Sie soll lediglich deutlich machen, daß neben organischen auch psychische Einbußen in Betracht kommen und daß nicht-medizinische Ursachen keine Pflegebedürftigkeit in diesem Sinne begründen können. 61 Dies zeigt sich auch in § 68 III BSHG, denn dort werden unter Nr. 4 ausdrücklich auch "andere Krankheiten oder Behinderungen" genannt.

Insgesamt arbeitet diese Beschreibung der Pflegebedürftigkeit zwar mit dem System einzelner Gründe für Funktionseinbußen. Inhaltlich entspricht sie aber weitgehend der Klassifikation der WHO, weil sie zwar nach Krankheit, Behinderung und Alter unterscheidet, aber keine dieser Ursachengruppen ausschließt oder besonderen Regeln unterwirft. Insoweit geht sie über diejenigen pflegewissenschaftliche Ansichten hinaus, nach denen Krankheit von Pflegebedürftigkeit zu unterscheiden sei. 62 b) Die Dauerhaftigkeit der Pflegebedürftigkeit Jedoch führt § 14 I SGB XI ein eigenständiges Merkmal der Dauer in die Definition ein: Pflegebedürftig ist hiernach nur, wer voraussichtlich für mindestens sechs Monate beeinträchtigt ist. Diese Einschränkung findet sich grundsätzlich auch in § 68 I 1 BSHG. Sie wird hier zwar abgemildert, denn nach § 68 I S. 2 Hs.l Var.l ist ambulante und notfalls auch stationäre Pflege auch solchen Menschen zu gewähren, die weniger als sechs Monate beeinträchtigt sein werden. Allerdings ist diese Erweiterung erst nachträglich durch das 1. SGB XI-ÄndG in das BSHG aufgenommen worden. Außerdem gewährt das BSHG für eine kurzfristige Beeinträchtigung zwar Leistungen, bezieht sie aber nicht in den Begriff der Pflege bedürftigkeit ein. Statt dessen spricht es insoweit von Hilfebedürftigkeit. 63 Sozialrechtlich beginnt Pflegebedürftigkeit also erst bei einer Beeinträchtigung von mindestens sechs Monaten Dauer. Hier weicht die Definition erheblich von der pflegewissenschaftlichen Auffassung ab, denn dort wird zwar gelegentlich die langfristige Pflegebedürftigkeit als besondere Kategorie angesehen,64 der Begriff selbst wird jedoch durch zeitliche Merkmale nicht eingeschränkt. c) Einschränkungen bei den funktionellen Defiziten und sozialen Benachteiligungen Ebenfalls einschränkend ist die sozialrechtliche Erfassung der funktionellen Defizite und der sozialen Benachteiligungen, der disabilities und der daraus entste6\ 62

63 64

Udsching, § 14, Rn. 6. Vgl. oben Kap. 2 11. 2. BT-Drs. 12/5262, S. 167. IgI, S. 251 f.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

45

henden handicaps. Zwar stellen die §§ 14 I S. I SGB XI und 68 I S. I BSHG mit dem Merkmal der Verrichtungen des täglichen Lebens auf funktionelle Defizite ab, schränken diese aber gleichzeitig erheblich ein. So begrenzen sie die Pflegebedürftigkeit zeitlich auf Beeinträchtigung bei solchen Verrichtungen, die gewöhnlich und regelmäßig erforderlich sind. Damit werden zahlreiche wichtige Tätigkeiten ausgeschlossen, die nur unregelmäßig oder in größeren Zeitabständen nötig werden. Hierzu gehören so grundlegende Bedürfnisse wie das Haareschneiden. 65 Weiterhin liegt eine graduelle Einschränkung in der Formulierung, daß der Betroffene in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen muß. Hiermit werden leichtere Beeinträchtigungen nicht erfaßt, auch wenn sie ebenfalls zu merklichen sozialen Benachteiligungen führen. Ein Beispiel sind Einbußen im Bereich der sozialen Kommunikation. Die hauptsächliche Einschränkung gegenüber dem weiten Begriff der Pflegebedürftigkeit der WHO liegt jedoch in der materiellen Begrenzung durch die Definition der Verrichtungen des täglichen Lebens in § 14 IV SGB XI und § 68 V BSHG. Diese Vorschriften enthalten einen Katalog solcher Tätigkeiten, die das Sozialrecht für gewöhnlich und regelmäßig erachtet. Dieser Katalog erfaßt zwar noch recht umfassend die Basisaktivitäten der ADL, also der Existenzerhaltung und der Grundpflege, etwa die Körperpflege und die Ernährung. Aus den instrumentellen Aktivitäten der iADL finden sich dagegen in § 14 IV Nr. 4 SGB XI nur einige wenige Tätigkeiten aus dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. 66 Es fehlen vollständig die Beeinträchtigungen der Mobilität und der sozial-kommunikativen Fähigkeiten des Betroffenen, die zu einem Bedarf lediglich an sozialer Betreuung führen. 67 Hierin zeigt sich eine stark medizinisch-somatische Betrachtungsweise der Pflegebedürftigkeit, die den Bedürfnissen vieler Behinderter und psychisch Kranker nicht gerecht wird. 68 Im Bereich der Leistungen bleibt das PflegeVG sogar noch hinter diesen definitorischen Begrenzungen zurück. So liegt nach § 14 IV Nr. 4 SGB XI Pflegebedürftigkeit zwar auch dann vor, wenn der Betroffene lediglich in seiner hauswirtschaftlichen Versorgung beeinträchtigt ist. Ansprüche gegen die Pflegekasse folgen daraus jedoch nicht. Dies beruht auf den weiteren Einschränkungen bei den Anspruchsvoraussetzungen in § 15 SGB XI. Selbst die niedrigste der dort geregelten Pflegestufen läßt hauswirtschaftliche Hilfebedürftigkeit allein nicht genügen, sondern setzt einen grundpflegerischen Bedarf im Sinne des § 14 IV Nm. I bis 3 SGB XI voraus. Wenn allerdings aus anderen Gründen Pflegebedürftigkeit in diesem engen Sinne vorliegt, dann werden auch die hauswirtschaftliehe Hilfe und die unregelmäßigen Verrichtungen bei der Begutachtung des Pflegebedürftigen im ganzen be6S

66 67

68

Udsching, § 14, Rn. 13. Mrozynski, SGb 1996, S. 565, 567. Jürgens, S. 157. Jürgens, S. 100.

46

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

fÜcksichtigt,69 so daß die hierfür nötige Hilfe auf das wöchentlich berechnete Kontingent der Pflegestufen nach § 15 SGB XI anzurechnen ist. 7o Hauswirtschaftlicher Hilfebedarf allein ist jedoch kein Anspruchsgrund. 71 Alle diese Einschränkungen bei den funktionellen Beeinträchtigungen gegenüber der WHO-Klassifikation zeigen, daß die Pflegeversicherung nicht von den sozialen Nachteilen des Betroffenen ausgeht und ihm hierfür bedarfsgerecht Hilfe anbietet, sondern einer ursachenbezogenen Betrachtungsweise der Pflegebedürftigkeit folgt.

2. Die "Pflegestufe 0" und die Nachbesserungen durch das 1. SGB X1-ÄndG Dieser restriktive Ansatz mit seinen zahlreichen Beschränkungen war nicht nur in der neuen Pflegeversicherung enthalten. Ihm wurde auch die Definition der Pflegebedürftigkeit in § 68 I BSHG angepaßt. Zwar war Hilfe zur Pflege zuvor ebenfalls nicht bei bloßer hauswirtschaftlicher Hilfebedürftigkeit gewährt worden. 72 Jedoch hatten die §§ 68 ff. BSHG a.F. eine bedarfsdeckende Hilfe zur Pflege für solche Menschen vorgesehen, die in Mobilität und Kommunikation eingeschränkt waren. Dies waren vor allem psychisch Kranke. Gerade sie bedürfen einer Betreuung, die auf soziale und kulturelle Beschäftigung und Anregung ausgerichtet ist. Nach der Neuregelung stand diesen Betroffenen weder gegen die Pflegekassen noch gegen die Träger der Sozialhilfe ein Anspruch zu.73 Sie fielen aus den sozialen Netz heraus. 74 Dieses Manko war eine zwangsläufige Folge der Konzeption des neuen Pflegerechts, weil dieses nicht von dem sozialhilferechtlichen Konzept der individuellen Bedarfsdeckung ausging, sondern nur eine Grundsicherung anstrebte. 75 Menschen mit psychischen oder sozialen Beeinträchtigungen befanden sich in der ,,Pflegestufe 0".76 Obwohl diese Abkehr von der vollen Bedarfsdeckung eigentlich nicht beabsichtigt war,77 bedurfte es massiver Proteste der Behindertenverbände und des Bundesrates, bis mit dem 1. SGB XI-ÄndG die Regelungen der sozialen Hilfe zur Pflege nachgebessert und in § 68 I S. 2 Hs.1 BSHG n.F. auch für eine Betreuungsbedürftigkeit der "Stufe 0" soziale Leistungen wieder vorgesehen wurden. Auf eine Ein69 70 71

72 73 74

7S 76 77

BT-Drs. 12/5262, S. 96. Udsching, § 14, Rn. 13. Mrozynski, SGb 1996, S. 565. Mrozynski, SGb 1996, S. 565, 567. Schellhorn, § 68, Rn. 47, 49. AK "Psychosoziale Vernetzung", S. 2. BT-Drs. 1215262, S. 168. Zu diesem Begriff Jürgens, S. 54. BT-Drs. 1215262, S. 168.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

47

beziehung in die soziale Pflegeversicherung warten die Betroffenen jedoch nach wie vor. Nicht verändert wurden die weiteren restriktiven Kriterien der §§ 14, 15 SGB XI. So besteht weiterhin kein Anspruch, wenn nur hauswirtschaftliche Hilfe oder Unterstützung bei unregelmäßigen oder seltenen Verrichtungen nötig ist. 78 Der enge Begriff der Pflegebedürftigkeit wurde also nicht aufgegeben, denn die zusätzlichen Vorschriften in § 68 BSHG n.E verwenden den Begriff der Hilfebedürftigkeit, obwohl pflegewissenschaftlich betrachtet Pflegebedürftigkeit vorliegt.

3. Berücksichtigung der Kompensationsmöglichkeiten

Die pflegewissenschaftliche Beschreibung stuft auch einen Menschen, der seine funktionellen Beeinträchtigungen mit technischen Hilfsmitteln abmildern kann, als pflegebedürftig ein, auch wenn er keiner persönlichen Betreuung bedarf. Im PflegeVG findet sich diese Abgrenzung nicht. Vielmehr reicht der Begriff hier teilweise weiter, teilweise bleibt er hinter den Pflegewissenschaften zurück. Einerseits ist mit dem in §§ 14 I SGB XI, 68 I 1 BSHG verlangten Hilfebedarf nur die persönliche Hilfe gemeint. Soweit die Beeinträchtigung durch ein technisches Hilfsmittel wie eine Gehhilfe oder ein behindertengerechtes Besteck vollständig ausgeglichen werden kann, liegt keine Pflegebedürftigkeit vor. 79 Wenn jedoch auf diese Weise nur eine Abmilderung möglich ist, so schließt die technische Kompensationsmöglichkeit die Pflegebedürftigkeit nicht aus. Dies zeigt sich darin, daß die Pflegekasse nach § 40 SGB XI in diesen Fällen als Sachleistungen Pflegehilfsmittel und technische Hilfen gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 15 SGB XI vorliegen. Dies soll die Pflege erleichtern, die Beschwerden des Pflegebedürftigen lindern und ihm eine selbständige Lebensführung ermöglichen. Die soziale Pflegeversicherung geht demnach davon aus, daß technische Hilfen manche Defizite vollständig ausgleichen können. Dies ist allerdings nur selten richtig. Zu ihnen gehört das Beispiel des Trockenrasierers, wenn eine Naßrasur nicht mehr möglich ist. 8o Andere Hilfsmittel wie Gehhilfen oder behindertengerechte Bestecke dagegen sind schwer zu beschaffen und regelmäßig teurer als vergleichbare Normalprodukte. Sie mildem die Benachteiligung also nur ab. Indem die Pflegeversicherung diese Hilfen nur dann übernimmt, wenn nach § 15 SGB XI ein Leistungsanspruch besteht, bleibt sie hinter der pflegewissenschaftlich nötigen Versorgung zurück.

78 79

80

BT-Drs. 12/5262, S. 96. Udsching, § 14, Rn. 13. Udsching, § 14, Rn. 13.

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

48

4. Ergebnis

Das Sozialrecht definiert die Pflegebedürftigkeit strukturell als linearen Begriff. Ebenso läßt sich aus einer Gegenüberstellung von § 14 SGB XI und § 68 BSHG eine Abstufung zwischen Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne und einer milderen Fonn, der Hilfebedürftigkeit, entnehmen. Dieser zweite Begriff wird zwar nicht ausdrücklich verwendet, inhaltlich ist aber beispielsweise der hauswirtschaftliehe Hilfebedarf als Teil der Pflegebedürftigkeit in § 14 IV Nr. 4 SGB XI teilweise erfaßt. Grundsätzlich entspricht die sozialrechtliche Definition der pflegewissenschaftlichen Auffassung. Sie berücksichtigt jedoch nicht die individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Pflegebedürftigkeit. Dies betrifft vor allem Dauer und Schwere der Beeinträchtigung. Ebenso sind manche psychische und körperliche Einbußen entweder überhaupt nicht in die Definition in § 14 11 SGB XI, § 68 I 1 BSHG einbezogen oder den Kategorien der Pflege- und Hilfebedürftigkeit nicht entsprechend ihrem wirklichen Gewicht zugeordnet. Viele soziale und kommunikative Nachteile sind daher nicht erfaßt. Auch die Nachbesserung des § 68 I S. 2 BSHG durch das 1. SGB XI-ÄndG mit den begrenzten Leistungsansprüchen gegen die Sozialhilfeträger hat diese Einschränkungen nicht aufgehoben. Das Pflege VG hält demnach an einer ursachenbezogenen Betrachtung der Pflegebedürftigkeit fest und beschränkt sich dabei zusätzlich auf somatische Einbußen. Es geht nicht von der sozialen Beeinträchtigung unabhängig von ihrem Grund aus. SI Zwar knüpfen zumindest die sozialhilferechtlichen Leistungen des nachgebesserten § 68 I BSHG insgesamt wieder an den tatsächlichen Bedarf und nicht an den fonnalen pflegeversicherungsrechtlichen Grad der Pflegebedürftigkeit an. 82 An den Einschränkungen dieses Begriffs durch das PflegeVG ändert dies jedoch nichts.

IV. Notwendigkeit eines eigenständigen zivilrechtlichen Begriffs Im Sozialrecht wird die Pflegebedürftigkeit nach alledem sehr eng definiert. Dies gilt auch dann, wenn man nicht auf die wirklichen Leistungsansprüche nach § 15 SGB XI abstellt, sondern von der immerhin etwas weiter reichenden Definition des Begriffs in § 14 SGB XI ausgeht oder sogar die Fälle bloßer Hilfebedürftigkeit im Sinne des nachgebesserten § 68 I S. 2 BSHG einbezieht. Im folgenden wird untersucht, warum dieser Begriff rur das Zivilrecht zu eng gefaßt ist und warum auch die pflegewissenschaftlichen Auffassung in diesem Bereich nur teilweise berücksichtigt werden können. Es wird dargelegt, daß im Zivilrecht ein eigenständiger, weiter reichender Begriff nötig ist. 81

82

Schellhorn, § 68, Rn. 50. Schellhorn, § 68, Rn. 50.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

49

1. Die rechtliche Erfassung eines sozialen Phänomens Die Rechtsordnung verfolgt mit der Regelung sozialer Erscheinungen bestimmte Ziele. Wenn das Zivilrecht entsprechend dem Auftrag in §§ 3, 8 SGB XI die unentgeltliche ambulante Betreuung fördern soll, so muß es möglichst umfassend alle derartigen Beziehungen einbeziehen, die in gleicher Weise ·förderungswürdig sind. Es muß bei seiner Regelung daher von den charakteristischen sozialen Merkmalen der geregelten Erscheinung ausgehen. Diese Anforderung entspricht dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsprinzip: Sollen bestimmte Personengruppen von einem staatlichen Eingriff betroffen oder einem Leistungsanspruch ausgeschlossen sein, so müssen sie nach Art. 3 I GG 83 im Vergleich zu den erfaßten Normadressaten unterscheidende Merkmale von solchem Gewicht aufweisen, daß die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. 84 Auch das Zivilrecht ist an diese Kriterien gebunden. 8s

a) Die sozialen Merkmale der Betreuungsbedürftigkeit Die besonderen Merkmale der Pflegebedürftigkeit, an die eine zivilrechtliche Regelung anknüpfen sollte, liegen nicht in der Ursache oder im Grad der Beeinträchtigungen. Für den Betroffenen ist es unerheblich, aus welchen Gründen er bestimmte sozial notwendige oder übliche Tatigkeiten nicht mehr ausüben kann und daher benachteiligt ist. Charakteristisch sind vielmehr die soziale Benachteiligung und die persönliche Hilfe durch einen anderen, mit der die Nachteile ausgeglichen werden sollen. Entsprechend dem pflegewissenschaftlichen Ansatz muß demnach die Pflegebedürftigkeit auch im Zivilrecht von den Folgen einer funktionellen Einbuße, der sozialen Benachteiligung, her betrachtet werden. Einschränkungen nach bestimmten Einbußen oder einzelnen Ursachen sollten nicht vorkommen.

b) Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Pflegebedürftigkeit Ein zusätzlicher Grund für eine weite Definition der Pflegebedürftigkeit, die später im Einzelfall eingeschränkt werden kann, liegt in der Unbestimmtheit dieses Begriffs. Pflegebedürftigkeit hängt nicht nur von individuell verschiedenen Beeinträchtigungen ab, sondern auch von unterschiedlichen gesellschaftlichen Anforderungen. Sie erfaßt nicht nur solche Verrichtungen des täglichen Lebens, die zur Erhaltung der personalen Existenz objektiv unverzichtbar sind. Daneben betrifft sie auch Einbußen bei solchen Tatigkeiten, die aufgrund einer sozialen Bewertung üblich sind. Dem entspricht die WHO-Definition des handicap, nach der die maßstabgebende Rolle des Menschen von sozialen und kulturellen Faktoren abhängt.86 83 84 85

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 (BGB!. 1949, S. 1). BVerfGE 71,364,384. BGHZ 128,210,216.

4 O'Sullivan

50

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

Eine solche Rolle ist für einen Menschen nur dann "nonnal" im Sinne der Klassifikation, wenn es gesellschaftliche Erwartungen gibt, sie einzunehmen. Pflegebedürftigkeit hat also zwingende und variable individuelle und soziale Voraussetzungen: Einige funktionelle Defizite müssen unabhängig von gesellschaftlichen Anforderungen und individuellen Merkmalen als Nachteile aufgefaßt werden. Sie führen zu einer absoluten Pflegebedürftigkeit. Es sind dies zum Beispiel Beeinträchtigungen in der Nahrungsaufnahme und der Körperpflege, die nach der WHO zu einem "physical independence handicap" führen. 87 Diese Tätigkeiten der Existenzerhaltung sind objektiv notwendig. Zwar sind auch hier Abstufungen denkbar. So kann sich ein Mensch, der keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen kann, grundsätzlich flüssig ernähren. Wenn er hierbei aber seinen Körper mangelhaft versorgt oder die Nahrung nur mit Mühe oder unter Schmerzen aufnehmen kann, beruht dies nicht auf sozialen Anforderungen. Auch hier ist die Pflegebedürftigkeit absolut. In anderen, nicht elementaren Bereichen der Lebensführung folgt die Pflegebedürftigkeit hingegen aus sozialen Anforderungen: Kann ein Mensch kein Besteck mehr benutzen, aber seine Nahrung noch mit den Händen oder unmittelbar mit dem Mund aufnehmen, wird er nur dann als pflegebedürftig eingestuft und möglicherweise gefüttert, wenn es üblich ist und sozial erwartet wird, mit Besteck zu essen. In einer Gesellschaft mit anderen Konventionen bei der Nahrungsaufnahme fiele dieses Verhalten dagegen nicht einmal auf. Eine Person mit einem Mobilitätsdefizit, die nicht mehr selbst einkaufen kann, ist hinsichtlich der Warenversorgung nicht als benachteiligt einzustufen, wenn es in ihrer Gesellschaft üblich ist, telefonisch einzukaufen und sich die Waren liefern zu lassen. Ihr Defizit kann aber in ihrer Gesellschaft andere Nachteile verursachen, beispielsweise bei der sozialen Kommunikation. Ebenso bestimmen das Alter und andere persönliche Merkmale, welche Anforderungen an die Lebensführung des Betroffenen gestellt werden: Auch Kleinkinder sind hilflos. Da eine eigene Lebensführung von ihnen aber nicht erwartet wird, bezeichnet niemand Kleinkinder im Sinne eines Defizits als pflegebedürftig oder - deutlicher noch - als Pflegefall. 88 Es zeigt sich also, daß viele Beeinträchtigungen, vor allem im hauswirtschaftlichen und sozialkommunikativen Bereich, nur aufgrund gesellschaftlicher Anforderungen zu einer relativen Pflegebedürftigkeit führen.

c) Ergebnis Wenn demnach grundSätzlich von einem weiten Begriff der Betreuungsbedürftigkeit ausgegangen werden soll, so könnten doch bestimmte Gründe für eine enge86 87

88

Siehe oben Kap. 2 11 3 b. WHO, Classifications, S. 188 ff. Socialdata, S. 23.

2. Kap.: Oer Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

51

re Definition sprechen. Insbesondere ist zu fragen, ob die Gründe für die Zurückhaltung der sozialen Pflegeversicherung auch im Zivilrecht erheblich sind.

2. Gründe für den engeren Begriff im Sozialrecht

Das Hauptziel der Pflegeversicherung ist es, das Risiko der Pflegebedürftigkeit durch eine Grundsicherung abzudecken. 89 Eine folgenorientierte Definition der Pflegebedürftigkeit würde diesen Begriff unbestimmt machen. Die Anknüpfung an einzelne, qualitativ bestimmbare Einbußen wie Krankheiten und Behinderungen macht die Normen des PflegeVG handhabbar undjustitiabel. Bei einer funktionellen Betrachtungsweise müßten die Pflegekassen, der amtsärztliche Dienst und letztlich die Sozialgerichte bei der Feststellung von Pflegebedürftigkeit und der Einstufung in die Pflegestufen nach § 15 SGB XI entweder alle gesellschaftlichen Anforderungen an das Leben des Betroffenen und seine individuellen Merkmale ermitteln oder sich auf leicht feststellbare Beeinträchtigungen aus dem Bereich der absoluten Pflegebedürftigkeit beschränken.90 Der erste Weg wäre faktisch nicht gangbar, der zweite widerspräche dem Ziel des PflegeVG, die Situation der Pflegebedürftigen zu verbessern. Auch die Beschränkung der Pflegebedürftigkeit auf mindestens sechs Monate andauernde Beeinträchtigungen ist sozialrechtlich notwendig, um die Zuständigkeitsbereiche von Kranken- und Pflegekassen abzugrenzen. 91 Diese Grenzziehung folgt zwar eigentlich der Art der pflegerischen Leistung: Die Krankenkasse gewährt Behandlungspflege, während die Pflegeversicherung Grundpflege und hauswirtschaftliche Hilfe sicherstellen soll.92 Soweit jedoch ein Versicherter wegen einer Krankheit pflegebedürftig ist, besteht nach §§ 27 I Nr. 4, 37 I S. 1 SGB V auch gegen die Krankenkassen ein Anspruch auf häusliche Pflege, der nicht auf Behandlungspflege beschränkt ist, sondern nach § 37 I S. 2 SGB V auch grundpflegerische Leistungen umfassen kann. Außerdem können die Krankenkassen nach § 37 11 S. 2 SGB V durch Satzung noch weitergehende Grundpflege gewähren. Das PflegeVG hat diese Ansprüche nach § 13 11 SGB XI nicht aufgehoben und damit die Abgrenzung nach den Pflegeformen nicht vollständig durchgehalten, weil sich bei Kranken Behandlungs- und Grundpflege kaum trennen lassen. Statt dessen hat es jene zeitliche Grenze aufgenommen, um die Zuständigkeit der beiden Versicherungszweige abzugrenzen. Letztlich dienen alle Begrenzungen des Begriffs der Pflegebedürftigkeit ebenso wie die Beschränkung auf einen erheblichen oder höheren Hilfebedarf nach § 14 I SGB XI dazu, die Kosten niedrig zu halten. 93 Dies ist nötig, weil die Pflegekassen 89 90 91 92

BT-Ors. 12/5262, S. 61 f. BT-Ors. 12/5262, S. 95. BT-Ors. 12/5262, S. 63. Jürgens, S. 45.

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

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im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungen nach § 55 I SGB XI mit einem festen Beitrag der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Höhe von zur Zeit je 1,7% des Bruttoeinkommens auskommen müssen und ihn eigenständig nicht anheben können.

3. Keine Notwendigkeit eines engen Begriffs im Zivilrecht Im Zivilrecht sind diese Erwägungen für eine restriktive Auffassung dagegen nicht erheblich. Einen zivilrechtlichen Leistungsanspruch, der von einer Pflegebedürftigkeit oder ihrem Grad abhängt, gibt es nicht. Die Unterhaltsansprüche nach §§ 1360 ff., 1579 ff., 1601 ff. BGB, die diesen Bereich möglicherweise abdecken, knüpfen an einen solchen Begriff nicht an. Wie es § 1602 I BGB zeigt, verlangen sie lediglich ganz abstrakt, daß sich der Anspruchsteller selbst nicht unterhalten kann. Etwaige Unterhaltsansprüche eines Pflegebedürftigen sind also unabhängig von einer zivilrechtlichen Definition der Pflegebedürftigkeit. Auch für die einzelnen Rechtsfragen innerhalb eines Betreuungsverhältnisses kommt es nicht grundsätzlich auf Art und Grad der Beeinträchtigungen an. Jede soziale Benachteiligung macht den Betroffenen mit unterschiedlicher Intensität von fremder Hilfe abhängig. Daraus rechtfertigt sich eine besondere rechtliche Ausgestaltung. 94 Auch die Belastung der Pflegeperson hängt nicht notwendigerweise von dem Grad der Beeinträchtigungen ab, sondern in erster Linie vom Umfang der tatsächlich übernommenen Hilfe. Maßstab muß hier die Betreuung und nicht die Betreuungsbedürftigkeit sein. Somit kann im Zivilrecht ein weiterer Begriff als im Sozialrecht zugrundegelegt werden.

4. Abweichungen vom pflegewissenschaftlichen Begriff Andererseits kann auch der pflegewissenschaftliche Begriff nicht ohne Einschränkungen ins Zivilrecht übernommen werden. So berücksichtigt zum Beispiel die Klassifikation der WHO nicht ausreichend, daß Pflegebedürftigkeit in verschiedenen Gesellschaften auch unterschiedlich zu definieren ist. Sie reicht daher gelegentlich zu weit. Zählte man beispielsweise den Begriff des "economic self-sufficiency handicap,,9s hinzu, so würde hiervon auch die Arbeitslosigkeit erfaßt. Ein Arbeitsloser ist aber nicht funktionell, sondern ökonomisch beeinträchtigt. Er bedarf oft persönlicher Hilfe, aber nicht bei den Verrichtungen seines täglichen Lebens. Auch die Unterscheidung zwischen Pflege im engeren Sinne, der Grundpflege, und bloß haus wirtschaftlicher Hilfe ist nur pflegewissenschaftlich wichtig, weil 93 94

9S

BT-Drs. 1215262, S. 95. Siehe hierzu oben Kap. 2 I. WHO, Classifications, S. 256.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

53

hiernach unterschiedliche Pflegekonzepte entwickelt werden können. Im Zivilrecht kommt es dagegen allein darauf an, daß eine Person bei bestimmten Verrichtungen des täglichen Lebens der persönlichen Unterstützung durch einen anderen bedarf. Differenzierungen nach inhaltlichen oder graduellen Merkmalen sind hier unnötig.

5. Keine Betreuungsbedürftigkeit bei kompensierbaren Defiziten

Letztlich können im Zivilrecht solche Personen nicht als betreuungsbedürftig angesehen werden, die ihre funktionellen Beeinträchtigungen vollständig selbst durch technische Hilfen kompensieren können. Hier ist also der sozialrechtlichen Auffassung zu folgen, während diese Menschen pflegewissenschaftlich zumindest eingeschränkt als pflegebedürftig anzusehen sind. Der Grund für diese Einschränkung liegt in den Regelungszielen des Zivilrechts. Er betrifft die rechtliche Beziehung zwischen Personen, dem Betreuungsbedürftigen und der Betreuungskraft. Betreuungsbedürftigkeit setzt also die Abhängigkeit von persönlicher Hilfe voraus.

V. Der Begriff der Betreuungsbedürftigkeit im Zivilrecht Betreuungsbedürftigkeit im zivilrechtlichen Sinne erfaßt alle Formen von Pflegebedürftigkeit einschließlich sozial-kommunikativer Defizite sowie jede Hilfebedürftigkeit im hauswirtschaftlichen Bereich. Sie unterscheidet nicht nach den Ursachen der Einbuße. Anders als im Sozialrecht kennt sie keine zeitliche Grenze, sondern bezieht auch Beeinträchtigungen unter sechs Monaten Dauer ein. Betreuungsbedürftig ist danach, wer aufgrund funktioneller Defizite solche Verrichtungen des täglichen Lebens nicht mehr eigenständig ausführen kann, die zur Existenzerhaltung notwendig sind oder in unserer Gesellschaft üblich sind und erwartet werden, der ferner diese Beeinträchtigungen nicht durch technische Hilfsmittel kompensieren kann und daher soziale Einschränkungen erleidet und der letztlich zum Ausgleich dieser Nachteile der persönlichen Hilfe anderer Menschen bedarf. Hierbei sind Beeinträchtigungen in lebenswichtigen Verrichtungen als absolute, Einschränkungen in lediglich sozial erwarteten Tätigkeiten als relative Betreuungsbedürftigkeit anzusehen. Erfaßt sind daher nicht nur die Befriedigung unmittelbarer körperlicher Bedürfnisse wie die Nahrungsaufnahme, das Ankleiden oder die Körperpflege, sondern auch alle kommunikativen, sozialen und hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wie die Aufrechterhaltung von Außenkontakten, die geistige Beschäftigung, die Führung des Haushalts und die Erhaltung der eigenen Wohnung. Ob ein Mensch in diesem Sinne betreuungsbedürftig ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Allgemeine Aussagen sind nur eingeschränkt möglich. So kann eine absolute Betreuungsbedürftigkeit objektiv bestimmt werden. Sie ent-

54

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

spricht der Grundpflegebedürftigkeit im Sozialrecht nach § 14 I LY.m. IV Nm. 1 bis 3 SGB XI. Relative Betreuungsbedürftigkeit hängt dagegen von der Stellung und Lebenssituation des Betroffenen und den sozialen Anforderungen in seinem Lebensumfeld ab. Hier können objektiv nur einige Beeinträchtigungen als Betreuungsbedürftigkeit eingestuft werden, weil manche soziale Anforderungen unabhängig von der jeweiligen Lebensstellung einheitlich sind. In unserer Gesellschaft gehört dazu beispielsweise der kommunikative Kontakt mit öffentlichen Stellen, um die eigenen Rechte wahrzunehmen. In anderen Gemeinschaften ist dies nicht notwendig.

VI. Die Betreuungsperson Die Betreuungsbedürftigkeit war eines der beiden Merkmale eines Betreuungsverhältnisses. 96 Sie betrifft den Betreuten. Auf der anderen Seite der Beziehung steht die Betreuungskraft. Sie ist diejenige Person, die solche persönlichen Hilfestellungen erbringt, die notwendig sind, soziale Benachteiligungen, die aus vorhandenen funktionellen Defiziten entstehen, zu verhindern oder abzumildern. Für diesen Menschen kennt das Sozialrecht den entsprechenden Begriff der Pflegeperson. Nach der ursprünglichen Fassung des § 19 SGB XI gehörte hierzu nur, wer einen im Sinne des § 14 SGB XI Pflegebedürftigen nicht erwerbs mäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegt. Das 1. SGB XI-ÄndG hat inzwischen auf definitorischer Ebene in dem neuen § 19 S. 1 SGB XI die zeitliche Beschränkung auf mindestens 14 Wochenstunden beseitigt. An diese Grenze ist nunmehr nach S. 2 nur noch der Anspruch der Pflegeperson auf Leistungen zur eigenen sozialen Absicherung nach § 44 I S. 1 SGB XI geknüpft. Gleichwohl enthält die sozialrechtliche Definition der Pflegeperson wegen der Anknüpfung an die Pflegebedürftigkeit des Betreuten alle dort bereits genannten Einschränkungen. Auch die vorhandenen zivilrechtlichen Normen über Pflegepersonen knüpfen an diesen sozialrechtlichen Begriff an. So erfaßt der Haftungsausschluß nach § 106 11 SGB VII lediglich Pflegepersonen nach § 19 SGB XI. Entsprechend dem Ziel des Zivilrechts, die inneren Beziehungen innerhalb eines Betreuungsverhältnisses zu regeln, muß hier weitergehend als im Sozialrecht jed,e Person als Betreuungskraft angesehen werden, die persönliche Leistungen an einen Betreuungsbedürftigen erbringt.

96

Siehe oben Kap. 2 I.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

55

VII. Das Betreuungsverhältnis Aus diesen beiden Anknüpfungspunkten ergibt sich das Betreuungsverhältnis. Es ist die Beziehung zwischen dem Betreuungsbedürftigen und seiner Betreuungskraft. Auch wenn das Zivilrecht nicht auf den Grad oder die Dauer der Funktionseinbußen des Betreuten abstellt, so ergibt sich eine graduelle und zeitliche Einschränkung doch, denn eine besondere rechtliche Ausgestaltung ist erst dann gerechtfertigt, wenn der Betreuer Leistungen von einer gewissen Dauer oder Intensität erbringt. Eine einmalige leichte Hilfe ohne einen engeren sozialen Kontakt kann den allgemeinen Regeln unterstellt werden. Eine ähnliche Grenze wird auch zwischen Gefälligkeitsverhältnissen und sog. "Gefälligkeiten des täglichen Lebens" gezogen. 97 Unerheblich ist dagegen die Art der Betreuung. Sie kann in einer Grundpflege, sozialer Zuwendung oder hauswirtschaftlicher Hilfe liegen. Außerdem liegt diese Untergrenze eines Betreuungsverhältnis erheblich niedriger als im Sozialrecht, weil auch die gelegentliche Hilfe durchaus regelungsrelevante Rechtsfragen aufwerfen kann. So liegt bei einer nur einmaligen Dienstleistung durch einen unvorbereiteten und nicht eingearbeiteten Betreuer eine Schädigung des Gepflegten und damit eine Haftung der Pflegeperson näher als in einem langfristigen Verhältnis, in dem der Pfleger nach und nach Erfahrung sammelt und zunehmend professioneller arbeitet. Inhaltlich können in einem Betreuungsverhältnis entsprechend der Vielfältigkeit der Beeinträchtigungen zahlreiche unterstützende oder übernehmende Tätigkeiten vorkommen, angefangen bei der Körperpflege, der Nahrungsaufnahme wie zum Beispiel durch Füttern, der Aufrechterhaltung sozialer Kontakte durch Gespräche, Begleitung bei Ausgängen oder Ausfahrten beispielsweise im Rollstuhl oder der Hilfe bei Kontakten mit Behörden und bei der Vermögensverwaltung.

Vill. Abgrenzung zur rechtlichen Betreuung im Sinne des § 1896 BGB n.F. Manche Tätigkeiten der tatsächlichen Betreuung erfordern auch rechtliche Handlungen des Betreuers. So ist bei Vertragsschlüssen für den Betreuten nach § 164 I S. 1 BGB Vertretungsmacht notwendig. Hierzu muß die Betreuungsperson von dem Betreuten bevollmächtigt oder als ,,rechtlicher Betreuet' im Sinne der §§ 1896 ff. BGB eingesetzt sein. Eine rechtliche Betreuung war bislang außerdem generell nötig, wenn für den Betreuten über höchstpersönliche Erklärungen wie zum Beispiel die Einwilligung in eine ärztliche Behandlung entschieden werden sollte, weil solche Erklärungen keine Rechtsgeschäfte sind und daher nach bisheri'TI

Kallmeyer, S. 127.

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

56

ger Auffassung nicht von einem lediglich Bevollmächtigten abgegeben werden konnten. 98 Diese Einschränkung hat inzwischen das Betreuungsrechtsänderungsgesetz99 beseitigt: Nach §§ 1904 II, 1906 V BGB n.F. kann nunmehr eine höchstpersönliche Einwilligung auch aufgrund einer speziellen Vollmacht abgegeben werden. Wegen ihrer Unterschiede zur Vollmacht nach §§ 166 II, 167 BGB wird sie allerdings als "Ennächtigung" bezeichnet. 100 Diese Neuregelungen sollen die Autonomie eines Betreuungsbedürftigen stärken. Die Betreuung im Sinne dieser Arbeit ist eine tatsächliche Erscheinung. Besondere rechtliche Regelungen rechtfertigen sich aus der engen sozialen Beziehung und nicht aus dem rechtlichen Band zwischen dem Betreuungsbedürftigen und seiner Pflegeperson. Die Betreuung im Sinne der §§ 1896 ff. BGB ist davon zu unterscheiden. Sie betrifft die Rechtsfürsorge für den Betroffenen, nicht aber tatsächliche Hilfeleistungen. 101 Dies hat der Gesetzgeber selbst deutlich gemacht, indem er mit dem BtÄndG das Rechtsinstitut in ,,rechtliche Betreuung" umbenannt hat. 102

IX. Weitere Eingrenzungen des Untersuchungsgegenstandes

Die weiteren Merkmale des in dieser Arbeit beschriebenen Phänomens sind keine definitorischen Begrenzungen des Betreuungsverhältnisses, sondern folgen aus der Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes:

1. Beschränkung auf das interne Verhältnis

So beschränkt sich die Arbeit auf das innere Verhältnis zwischen Betreutem und Betreuer. Sie behandelt jedoch nicht nur das Zivilrecht. Auch sozialrechtliche Fragen, etwa nach den Regreßansprüchen der Sozialleistungsträger gegen den Betreuer, werden behandelt, weil sie das innere Verhältnis zu dem Gepflegten berühren. Der Schwerpunkt liegt jedoch gleichwohl auf zivilrechtlichem Gebiet. Andere sozialrechtliche Fragen etwa nach einer Einstufung Pflegebedürftiger oder ihren Ansprüchen gegen die Pflegekasse und den Träger der Sozialhilfe bleiben ausgespart.

Uhlenbruck, MedR 1992, S. 134, 139. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts sowie weiterer Vorschriften (BtÄndG) vom 25. Juni 1998 (BGBL I 1998, S. 1580). 100 Palandt/Diederichsen, § 1904, Rn. 7. 101 Dodegge, NJW 1998, S. 3073, 3076. 102 BT-Drs. 13/10331, S. 26. 98

99

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

57

2. Abgrenzung zur entgeltlichen ambulanten Betreuung

Weiterhin behandelt die Arbeit nur die unentgeltliche Pflege. Entgeltlichkeit liegt allerdings nicht schon dann vor, wenn der Pfleger irgendeine Leistung für seine Tätigkeit erhält. Eine Anerkennung etwa, die nicht den Wert der Betreuung erreicht und nur im Hinblick auf bereits erbrachte Betreuung gegeben wird, ist keine Vergütung, sondern eine remuneratorische Schenkung. I03 Allerdings ist eine Betreuung im Sinne dieser Arbeit dann als entgeltlich anzusehen, wenn sie im Hinblick auf eine versprochene Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis erbracht wird. Zwar begründet eine solche Zusage des Betreuten nur eine unverbindliche Aussicht des Betreuers,l04 die ihm durch eine a!:>weichende Verfügung von Todes wegen jederzeit wieder entzogen werden kann. Bindend wird sie nur, wenn der Betreute beispielsweise einen Erbvertrag mit dem Betreuer schließt. In beiden Fällen sind zwar die weiteren Leistungen des Betreuers nicht synallagmatisch nach §§ 320 ff. BGB. Auch ein Erbvertrag ist kein gegenseitiger Vertrag in diesem Sinne, weil der Erblasser vertragsmäßig nur erbrechtlich verfügt und sich nicht schuldrechtlich bindet. lOS Allenfalls besteht neben dem Erbvertrag eine gegenseitige schuldrechtliche Verpflichtung beider Parteien. Diese kann beispielsweise in einem Dienstvertrag liegen, denn § 611 I Hs.2 BGB erfaßt jede Vergütungsart, auch eine vertragsmäßige und daher bindende Erbeinsetzung. 106 Entgeltlichkeit kann jedoch auch außerhalb einer synallagmatischen Verknüpfung vorliegen. 107 Hierzu gehören die Fälle, in denen der Betreuer seine Leistungen im Hinblick auf die spätere Gegenleilltung des Betreuten erbringt. Dadurch verändert sich seine Motivation. Seine Tätigkeit ist nicht mehr als rein uneigennützig anzusehen. Dagegen führt es nicht zur Entgeltlichkeit, wenn der Betreuer in seiner Arbeit ideelle Befriedigung findet. Dieser Nutzen läßt sich schwer als "Gegenleistung" des Pflegebedürftigen auffassen, außerdem kann er kaum bewertet und dem Aufwand der Betreuungsperson gegenübergestellt werden. 108

3. Abgrenzung zur stationären Betreuung

Die weitere Eingrenzung auf die ambulante Betreuung ergibt sich nicht zwingend aus der Struktur der Betreuungsverhältnisse, weil die Übergänge zur stationären Pflege fließend sind. So ist aus sozialrechtlicher Sicht auch in einer vollstatio103

104 lOS 106 107 108

1. a).

OLG Hamm, NJW-RR 1995,567,568. Palandt/Edenhofer, § 1922, Rn. 3. MK/Musielak, vor § 2274, Rn. 21, 29. So auch Schaub, S. 408 allgemein zu erbrechtlichen "Gegenleistungen". BGH, FamRZ 1982, 143. Zu altruistischem Handeln und ideellem Nutzen des Betreuers siehe unten Kap. 5 I.

58

Teil A: Einleitung und Begriffsbildung

nären Einrichtung eine ambulante Pflege denkbar, wenn der Pflegebedürftige dort einen persönlichen Bereich im Sinne eines eigenen Haushalts besitzt. 109 Gleichwohl ist eine Abgrenzung beider Formen wegen der Beschränkung dieser Arbeit auf unentgeltliche Betreuungsverhältnisse nötig, denn im stationären Bereich werden unentgeltliche Pflegeleistungen nur selten erbracht. So ersetzen sogar die karitativen Einrichtungen die früheren ehrenamtlichen Kräfte beispielsweise durch Zivildienstleistende, die ihre Arbeit nicht im eigentlichen Sinne unentgeltlich leisten. Betreuungskräfte aus der Familie - ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit - finden sich im stationären Bereich ebenfalls nicht. Dagegen wird im halbstationären Bereich häufiger unentgeltlich betreut. So verlangen die Tagespflegestätten der Kirchen und anderer karitativer Einrichtungen oft nur eine Aufwandsentschädigung für die tatsächlichen Kosten der Betreuung über den Tag. Überwiegend entgeltlich arbeiten aber die Einrichtungen der Kurzzeitpflege, in denen Betreute zeitweise untergebracht werden können, wenn zum Beispiel die familienangehörigen Betreuungskräfte einen Urlaub benötigen. Ambulant im Sinne dieser Arbeit ist eine Betreuungsleistung, die in einem privaten Haushalt erbracht wird. Unerheblich ist, ob es sich um den eigenen Haushalt des Betreuungsbedürftigen handelt oder die Betreuungsperson den Betreuten bei sich aufnimmt. Diese Unterscheidung war zwar sozialrechtlich erheblich, weil ein Leistungsanspruch auf häusliche Pflege nach §§ 53 I ff. SGB V a.F. nur bei einer Betreuung im eigenen Haushalt gegeben war. 110 Heute hingegen gewährt die soziale Pflegeversicherung Leistungen auch für die Pflege in einem fremden Haushalt. 4. Gründejürdie Beschränkung au/unentgeltliche und ambulante Betreuung

Die Beschränkung auf die unentgeltliche und die ambulante Betreuung hat zwei Gründe. Zum einen soll gerade dieser Bereich erhalten und gefördert werden. Dies ergibt sich nicht nur aus dem gesetzlichen Vorrang dieser Betreuungsform nach § 3 SGB XI, sondern wird im nächsten Teil noch genauer begründet. Zum anderen ist sie zivilrechtlich kaum geregelt. Die entgeltliche Betreuung dagegen wird durch das Vertragsrecht angemessen erfaßt: Ein bezahlter privater Pfleger leistet aufgrund eines Dienst- oder Arbeitsvertrages. llI Ein entgeltlicher Pflegedienst schließt meist einen gemischten Dienst- und Werkvertrag ab. ll2 Für diese Beziehungen enthält das Zivilrecht umfassende und angemessene Regelungen bereit. Beispielsweise sind die Angestellten eines Pflegedienstes bei einer Schadenser109 110 111

112

LSG München, SGb 1997,424. BSG, SozR 3-2500 § 55 SGB V, Nr. 2, S. 4, 5. So auch beiläufig LG Köln, WuM 1986,376,377. BGH, NJW 1991, 1540.

2. Kap.: Der Begriff der unentgeltlichen ambulanten Betreuung

59

satzhaftung gegenüber dem Betreuten durch den arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch gegen ihren Arbeitgeber l13 geschützt. Das Pflegeuntemehmen haftet dagegen aus §§ 635, 278 S. 2 BGB. X. Ergebnis Ein unentgeltliches ambulantes Betreuungsverhältnis im Sinne dieser Arbeit ist die nicht kommerzielle Betreuung eines Betreuungsbedürftigen durch eine Betreuungsperson in einem privaten Haushalt. Dieses Verhältnis ist geprägt durch eine besonders enge soziale Beziehung, durch eine Abhängigkeit des Betreuten von den Hilfeleistungen, die verschieden stark ausgeprägt sein, aber einen hohen Grad erreichen kann, und letztlich durch die erhebliche Intensität und Dauer der Betreuungsleistungen, die eine spürbare Belastung des Betreuers bedeuten. Als soziales Phänomen insgesamt ist sie gekennzeichnet durch eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung.

113

Siehe hierzu Schaub, § 52 VII 2, S. 313 f.

Te i I B

Die zivilrechtliche Förderung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung Kapitel 3

Der zukünftige Bedarf an unentgeltlicher häuslicher Betreuung und die Möglichkeiten zu seiner Befriedigung Dieses Kapitel untersucht mit Hilfe des vorhandenen empirischen Materials, welcher Bedarf in Zukunft an unentgeltlicher ambulanter Betreuung bestehen wird und ob dieser Bedarf befriedigt werden kann. Es soll zunächst darstellen, welchen Umfang und welche Bedeutung die unentgeltliche ambulante Betreuung in Deutschland gegenwärtig hat, wie sie sich in der Vergangenheit entwickelt hat und welcher Bedarf an Betreuung allgemein und besonders an dieser Betreuungsform zukünftig bestehen wird. Anschließend untersucht sie, ob in Zukunft genügend Menschen bereit und in der Lage sein werden, unentgeltliche Betreuungsleistungen zu erbringen und den Bedarf so zu befriedigen. 1

I. Der zukünftige Bedarf an Betreuung im allgemeinen Über den Umfang der Betreuungsbedürftigkeit sind im Zusammenhang mit der rechtspolitischen Diskussion der siebziger und achtziger Jahre über die soziale Absicherung dieses Risikos einige empirische Studien vorgelegt worden. Auch aus den statistischen Daten über die Sozialleistungen für die Pflege lassen sich Aussagen über die Zahl der Betreuungsbedürfiigen herleiten. Und da die älteren Studien inzwischen fast dreißig Jahre alt sind, können auch vorsichtige Aussagen über die bisherige Entwicklung getroffen werden. Mit ihrer Hilfen kann sodann möglicherweise der künftige Umfang der Betreuungsbedürftigkeit abgeschätzt werden. 1. Eifassungstechnische Schwierigkeiten Sowohl die empirischen als auch die statistischen Untersuchungen in diesem Bereich leiden jedoch an erheblichen erfassungstechnischen Schwierigkeiten. 2 I

Zur Fragestellung siehe auch oben Kap. I V.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

61

Eine statistische Auswertung der Sozialleistungen, zum Beispiel der Erwerbsunfähigkeitsrenten oder der Hilfe zur Pflege, führt zu ungenauen Ergebnissen, weil diese Leistungen nicht an den Begriff der Betreuungsbedürftigkeit geknüpft sind. Auf der einen Seite bleiben sie dahinter zurück, weil sie erst ab einem hohen Grad an Beeinträchtigung gewährt werden. Auf der anderen reichen sie aber weiter, da manche Empfänger sind zwar behindert oder erwerbsbeschränkt, aber wegen einer Möglichkeit zur Kompensation ihrer Defizite nicht betreuungsbedürftig sind. 3 Empirische Erhebungen über die Betreuungsbedürftigkeit zeigen ebenfalls kein realistisches Bild. Untersuchungen über die Zahl der Bewohner in stationären Pflegeeinrichtungen erfassen einerseits überproportional viele Schwerpflegebedürftige, weil erst erhebliche Beeinträchtigungen zum Wechsel in ein Pflegeheim zwingen. Sie berücksichtigen andererseits nicht die Bewohner anderer Altenhilfeeinrichtungen, obwohl auch diese oft betreuungsbedürftig sind. Die Untersuchungen über die ambulante Betreuung wiederum arbeiten meist mit Befragungen der Betroffenen, ihrer Angehörigen oder ihrer Betreuungspersonen.4 Hierbei können sie nur Stichproben erheben und müssen ihre Ergebnisse hochrechnen, weil nach wie vor ein großer Teil dieser Betreuung familienintern erbracht wird und daher kaum an die Öffentlichkeit gelangt. Außerdem verstehen die Befragten die verwendeten Begriffe oft unterschiedlich. Deswegen benutzen viele Studien weite Bezeichnungen 5 oder geben den Befragten mehrere Kategorien wie ,,Pflege-" und "Hilfebedürftigkeit" vor. 6 Die Antworten sind oft entsprechend ungenau. Genauere Daten werden erst die Pflege statistiken erbringen, die nach § 109 I S. I, n S. I SGB XI aufgrund einer Rechtsverordnung der Bundesregierung erhoben werden sollen. Sie können nach § 109 I S. 2 Nr. 5 die Anzahl der Pflegebedürftigen und nach § 109 n S. 2 Nr. I SGB XI auch die Ursachen der Pflegebedürftigkeit ermitteln. Entgegen § 109 V SGB XI liegen diese Erhebungen jedoch noch nicht vor. 7 2. Stationär Gepflegte Etwas ältere Daten zur Zahl der stationär versorgten Menschen in Deutschland bietet die Volkszählung des Jahres 1987. Bei dieser Erhebung wurde der Anteil der Heimbewohner an bestimmten Altersklassen ermittelt. Hiernach waren damals in der alten Bundesrepublik 371.400 Menschen in einem Alter von mehr als 65 Jahren stationär untergebracht. 8 Der Anteil der Heimbewohner stieg hierbei von 0,9% 2 3 4

S 6 7 8

Socialdata, S. 21. Socialdata, S. 18. Vgl. die Untersuchungsmethoden der Socialdata-Studie, S. 25 ff. Socialdata, S. 20, 22. Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 14. Schriftliche Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums vom 25. Februar 1999. Statistisches Jahrbuch 1990, Tab. 3.10, S. 54.

62

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

bei den 65- bis 69jährigen Männern, bis zu 13,4% bei den Frauen über 80 Jahren. 9 Diese Menschen waren jedoch nicht durchgängig pflegebedürftig, weil die Erhebung auch Seniorenstifte und Altenwohnanlagen erfaßte. In solchen Einrichtungen leben noch viele selbständige Ältere. Andererseits erwägen die meisten Menschen einen Wechsel in ein Heim erst, wenn bereits Betreuungsbedarf besteht, ihnen zum Beispiel der Haushalt zu mühselig geworden sind. Daher erscheint eine Zahl von 350.000 stationär versorgten Betreuungsbedürftigen im Jahre 1987 realistisch. Eine Studie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 1992 hat dann genaue Daten über Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen ermittelt und kam hierbei auf eine Zahl von 361.489 Menschen, 10 Diese Untersuchung war umfassend, denn sie erfaßte neben den Beziehern von Pflegegeld nach § 68 ff. BSHG und § 26c Bundesversorgungsgesetzll auch die sogenannten Selbstzahler. Die erste Erhebung über stationär Gepflegte in Gesamtdeutschland ergab 450.000 Menschen. 12 In der Folgezeit wurden Zahlen bis zu 500.000 13 geschätzt. Der jüngste Altenbericht des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahre 1998 hat 661.000 Heimbewohner im Seniorenalter ermittelt. 14 Hieraus kann aus denselben Gründen wie bei den Daten der Volkszählung 1987 auf eine Zahl von 550.000 stationär untergebrachte Betreuungsbedürftige geschlossen werden.

3. Ambulant Betreute nach Socialdata 1980 und Schneekloth u. a. 1994

Noch stärker als bei der stationären Betreuung stößt es auf erfassungstechnische Schwierigkeiten, die Zahl der ambulant versorgten Betreuungsbedürftigen zu ermitteln. Daher liegen für diesen Bereich nur wenige empirische Untersuchungen vor, von denen im folgenden die zwei wichtigsten dargestellt werden. Am ältesten, aber immer noch grundlegend ist eine Studie des "Socialdata"-1nstituts für empirische SoziaLJorschung aus dem Jahre 1980, die erstmals flächendeckend die Zahl der in privaten Haushalten untergebrachten Betreuungsbedürftigen in der damaligen Bundesrepublik untersuchte. Sie legte einen umfassenden Begriff der "Hilfebedürftigkeit" zugrunde, der sowohl Pflegebedürftigkeit im engen Sinne als auch bloße kommunikative oder hauswirtschaftliche Einschränkungen umfaßte. 15 Die Studie erfaßte also die gesamte Betreuungsbedürftigkeit, wie sie diese Arbeit behandelt. Intern strukturierte Socialdata die Betroffenen in vier Schwarz, SF 1995, S. 243. Krug/Reh, Pflegebedürftige in Heimen, Tab. 12, S. 26. 11 Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges (BVG) i.d.F. vom 27. Juni 1960 (BGB!. I 1960, S. 453). 12 Garg, S. 11; Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 17. 13 Mohl, S. 102. 14 Bundesregierung, Zweiter Altenbericht, Übersicht IV /1, S. 94. I~ Socialdata, S. 36 f. 9

10

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

63

Grade von Hilfebedürftigkeit, denen sie die Buchstaben Abis D gab. Diese Stufen werden im folgenden auf die heute übliche Unterscheidung zwischen Pflege- und Hilfebedürftigkeit verteilt, wobei die Grenze etwa zwischen den Stufen Bund C verläuft. 16

A

B

C

D

gesamt

Pflegebedürftige

210,0

420,0

-

-

630,0

Hilfebedürftige

-

-

935,0

965,0

1900,0

Gruppen nach Socialdata: Angaben in 1000

Summe (Betreuungsbedürftige insgesamt)

2530,0

Abb. 1: Privat betreute Pflege- und Hilfebedürftige 1980

Die Gesamtzahl von insgesamt 2,53 Millionen Betreuungsbedürftigen im Jahre 1980 entspricht 4,1% der damaligen Wohnbevölkerung. Eine neuere Studie von Schneekloth u. a. aus dem Jahre 1996 enthält, für alte und neue Länder, Daten über die Betreuungsbedürftigkeit im Erhebungszeitraum 1991 und eine darauffußende Hochrechnung für 1994: 17 Hilfe- und Pflegebedürftige absolut und in % der Bevölkerung

Pflegebedürftige absolut %

Hilfebedürftige % absolut 2,5

alte Länder 1991

894.000

1,4

alte Länder 1994

973.000

1,5

Veränderung

1.534.000

2,3

+ 79.000

neue Länder 1991

229.000

1,4

3,4

neue Länder 1994

232.000

1,5

537.000

3,3

Veränderung

+ 3.000

Bundesrepublik gesamt 1991

1.123.000

1,4

2.100.000

2,5

Bundesrepublik gesamt 1994

1.205.000

1,5

2.071.000

2,5

Veränderungen

+ 82.000

- 29.000

Abb. 2: Privat betreute Pflege- und Hilfebedürftige 1991 und 1994 Socialdata, S. 36 f. Schneek10th u. a., Pflegebedürftige, S. 11, 17. Der Anteil von 2,7% Hilfebedürftigen 1991 ist auf 2,5 % korrigiert. 16 17

64

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Zählt man die Pflege- und die Hilfebedürftigen nach dieser Untersuchung zusammen, so wurden 1994 in Deutschland insgesamt 3.276.000 Menschen ambulant betreut. Dies entspricht 4,02% der Bevölkerung. Ein Vergleich der beiden Studien zeigt trotz der vierzehn Jahre zwischen den Erhebungen bei der Gesamtzahl der ambulant Betreuten eine große Übereinstimmung: Nach der Socialdata-Studie gehörten in den alten Bundesländern 1980 insgesamt 2.530.000 Menschen zu dieser Gruppe.18 Rechnet man die von Schneekloth u. a. für ganz Deutschland 1994 ermittelten 3.275.000 Betroffenen auf die alten Länder herunter, so ergibt sich eine ähnliche Zahl von 2.507.000. Unterschiede zeigen sich hingegen, wenn statt aller Betreuungsbedürftigen die im engeren Sinne Pflegebedürftigen ermittelt werden: Während im Jahre 1980 nach Socialdata 1,9 Mio Menschen hilfe-, aber nur 630.000 pflegebedürftig waren, nennen Schneekloth u. a. für 1994 in den alten Ländern 973.000 Pflege- und 1,53 Millionen Hilfebedürftige. Diese Differenz beruht allerdings teilweise auf den unterschiedlichen Einteilungen, denn die vier Kategorien von Hilflosigkeit aus der Socialdata-Studie lassen sich nicht vollständig auf die heute üblichen Gruppen verteilen.

4. Die gegenwärtige Zahl Betreuungsbedürftiger in Deutschland Für die ambulant Betreuten ergeben somit die beiden Studien übereinstimmend eine Zahl von etwa 3,275 Millionen Menschen. Im stationären Bereich ist gegenüber den für 1992 genannten 450.000 Menschen eine leichte Steigerung um 5% anzusetzen. Diese Erhöhung der letzten fundierten Zahlen erscheint gerechtfertigt, um die neueren Schätzungen von bis zu 500.000 Betroffenen 19 sowie den Anstieg der Zahl der Pflegeplätze in den vergangenen Jahren zu berücksichtigen. Es ergeben sich für 1994 etwa 472.500 stationär Betreute. Insgesamt leben in der Bundesrepublik etwa 3.747.500 Menschen mit Pflege- oder hauswirtschaftlichem Hilfebedarf.

5. Bisherige Entwicklung der Betreuungsbedürftigkeit Aussagen über Veränderungen dieser Zahl in der Vergangenheit sind nur für die alten Bundesländer möglich, denn aus der DDR liegen wenige Daten vor. Und für den Zeitraum seit der Wiedervereinigung sind noch keine sicheren Aussagen möglich, weil er zu kurz war und weil die Bevölkerungszahlen in den neuen Ländern wegen der anfangs sehr hohen Binnenwanderung nach dem Westen der Bundesrepublik stark abgenommen haben. 18 19

Berechnung nach Socialdata, S. 39. Mohl, S. 102.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

6S

a) Stabilität der Betreuungsbedürftigkeit im ganzen Bei der ambulanten Betreuung zeigt sich, daß die Gesamtzahl aller Betroffenen zwischen den Erhebungen sehr stabil geblieben ist. Sie liegt für 1980 und 1994 bei 2,53 bzw. 2,51 Millionen. Demgegenüber ist bei der stationären Betreuung der starke Anstieg von 0,37 bzw. 0,36 Millionen 1987 und 1991 auf inzwischen 0,5 bis 0,55 Millionen bemerkenswert. Die Gesamtzahl aller Betreuungsbedürftigen in den alten Ländern hat sich also seit den achtziger Jahren bis heute von etwa 2,9 auf rund 3,1 Millionen erhöht. Im ganzen ist dies ein Anstieg um 6,8%. Relativ ist die Zahl der Betreuungsbedürftigen allerdings nahezu stabil geblieben: Ihr Anteil an der Wohnbevölkerung lag sowohl 1980 wie 1994 bei 3,7 bis 3,8 %, weil die Bevölkerung in Gesamtdeutschland in dieser Zeit recht stark von 78,4 auf 81,8 Millionen, also um 4,3% angewachsen ist. Diese Entwicklung beruht auf der in den achtziger Jahren leicht gestiegenen Geburtenrate und vor allem der Immigration in dieser Zeit. 2o Entgegen den häufig geäußerten Erwartungen hat die Betreuungsbedürftigkeit im ganzen bislang also nur absolut, aber nicht relativ zugenommen.

b) Zunahme der Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne Dagegen wächst die Zahl der im engeren Sinne Pflegebedürftigen, die also nicht nur hauswirtschaftliche Unterstützung, sondern auch grundpflegerische Hilfe benötigen, merklich an. Hierauf deutet nicht nur der überproportionale Anstieg der stationär Versorgten hin, die zu einem größeren Anteil schwerer beeinträchtigt sind als andere. Auch ein Vergleich einer Studie aus dem Jahre 198921 mit den Ergebnissen von Schneekloth u. a. zeigt, daß diese Zahl in den alten Bundesländern von rund 926.000 im Jahre 1989 auf 973.000 1994 gestiegen ist. Und für das gesamte Bundesgebiet errechnen Schneekloth u. a. aus den 1991 ermittelten 1.123.000 Pflegebedürftigen in den nur drei Jahren bis 1994 eine Steigerung auf 1.204.000 Menschen.

c) Gründe für diese Entwicklungen Die Stabilität der Betreuungsbedürftigkeit im ganzen in den letzten 15 oder 20 Jahren beruht überwiegend auf der Stagnation des Anteils der über 65jährigen Menschen an der Bevölkerung. Diese Altersklasse ist überwiegend von Betreuungsbedürftigkeit betroffen. Ihr Umfang ist von seinem Höchststand von 12,3 Millionen im Jahre 1979 zunächst bis auf 11,2 Millionen Menschen 1984 gesunken 20 21

Zu den Erwartungen für die Zukunft Sommer, WuS 1994, S. 497, SOO. F1öhr, RsDE Bd. 17, S. I.

S O'Sullivan

66

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

und hat erst 1993 wieder der Stand von 1979 erreicht. Inzwischen liegt er bei 12,8 Millionen Menschen?2 Der Anteil dieser Altersklasse ist trotz der leichten absoluten Steigerung stabil geblieben, weil auch die Gesamtbevölkerung recht stark angewachsen ist. Die über 65jährigen stellten 1980 15,52% und 1994 15,68% der Bevölkerung. 23 Auch haben die medizinischen und rehabilitativen Entwicklungen einen Teil des Anstiegs der Betreuungsbedürftigkeit in dieser Zeit ausgeglichen. Solche Fortschritte können trotz grundsätzlich vorhandener funktioneller Beeinträchtigungen Betreuungsbedürftigkeit abwenden. Als Beispiele seien die Gelenkchirurgie und die Herstellung von Gelenkprothesen genannt. Früher führten schwerere Schäden an einem Hüftgelenk zu erheblichen Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit. Oftmals war eine Fortbewegung nur im Rollstuhl oder an Krücken möglich. Wenn heute besser angepaßte künstliche Hüftgelenke eingesetzt werden können, bleibt die Bewegungsfähigkeit des Patienten erhalten. Wenn keine anderen Nachteile vorhanden sind, ist dieser Mensch anders als früher nicht als betreuungsbedürftig anzusehen. Möglicherweise verbirgt also die stabile Zahl der Betreuungsbedürftigen in den letzten 15 Jahren doch einen Anstieg solcher Beeinträchtigungen, die ohne technische oder medizinische Kompensation zu Betreuungsbedürftigkeit führen würden. Ein Indiz für diese Vermutung ist der Anstieg der Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne. Er deutet darauf hin, daß funktionelle Einschränkungen in den Verrichtungen des täglichen Lebens oftmals zunächst kompensiert werden können, dann aber kumulieren und sehr plötzlich zum Ausfall gleich mehrerer Tatigkeitsfelder führen.

6. Betreuungsbedürftigkeit in der Zukunft Auch für die Zukunft wird nach wie vor eine starke Zunahme der Betreuungsbedürftigkeit vorausgesagt.24 Es spricht einiges dafür, daß sich diese Prognosen im Gegensatz zur Vergangenheit nunmehr bewahrheiten werden: Im Gegensatz zu den achtziger und frühen neunziger Jahren wird die Zahl älterer Menschen in Zukunft überproportional zunehmen. Die Zahl der über 65jährigen in Deutschland ist im Jahre 1996 auf über 12,8 Millionen gestiegen 2S und hat damit den höchsten Stand in der Geschichte erreicht. Ebenso stark gewachsen ist die Zahl der Menschen, die heute zwischen 40 und 60 Jahre alt sind. Daher wird geschätzt, daß im Jahre 2040 zwischen 23,6 und 25,4 Millionen Menschen über 60 Jahre alt sein werden - gegenüber 16,5 Millionen 1992.26 Hierbei wird die Zahl 22

23 24 2S

Statistisches Jahrbuch 1998, Tab. 3.11, S. 61. Statistisches Jahrbuch 1998, Tab. 3.9., S. 58. Schwarz, SF 1995, S. 243. Statistisches Jahrbuch 1998, Tab. 3.9., S. 58.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

67

der Hochbetagten über 80 Jahren besonders stark anwachsen. So wird erwartet, daß statt der 1,53 Millionen Menschen zwischen 80 und 84 Jahren 1990 im Jahre 2050 in Deutschland 2,43 Millionen Menschen dieser Altersklasse leben werden. 27 Ob dieser Zuwachs der Menschen, die überproportional von Betreuungsbedürftigkeit betroffen sind, auch zu einem Anstieg der funktionellen Defizite führt, läßt sich nur vermuten. Geistige altersbedingte Krankheiten und Behinderungen wie die verschiedenen Formen der Demenz werden mit der Zahl älterer Menschen ansteigen, solange sie medizinisch kaum behandelbar bleiben. Dagegen ist bei den medizinischen, chirurgischen und rehabilitativen Kompensationen für physische funktionelle Einbußen eine weitere Verbesserung denkbar. Allerdings wird ebenso vermutet, daß auch in diesem Bereich keine größeren Fortschritte mehr zu erwarten sind, weil die technisch-medizinische Entwicklung an ihre Grenzen stoße. Weiterhin ist wegen des gerade bei älteren Menschen sinkenden Einkommensniveaus und der starken Belastung der öffentlichen Kassen und der BeitragszahIer ein weiterer Leistungsabbau bei Kranken- und Pflegeversicherung zu erwarten. Schon die Einführung der Pflegeversicherung hat für viele Betroffene eine schlechtere Situation als nach den §§ 68 ff. BSHG a.F. verursacht. 28 Außerdem könnte sich eine bereits geführte öffentliche Diskussion negativ auf die medizinische Versorgung älterer Menschen auswirken. Bereits heute wird gefragt, ob bestimmte kostspielige medizinische Maßnahmen, selbst wenn sie möglich sind, weiterhin immer und bei allen Menschen angewandt werden sollten. 29 In der Gesundheitsfürsorge wird zunehmend der Gesichtspunkt der Effektivität benutzt. So wird als mögliches Kriterium für die Entscheidung über eine Operation oder ein teures technisches Hilfsmittel ein Produkt aus erwarteter Lebensverlängerung und der Lebensqualität nach dem medizinischen Eingriff, das "qualitätsangepaßte Lebensjahr,,3o vorgeschlagen. Zwar verursachen die älteren Menschen mit 5 bis 11 % des Ausgabenanstiegs der Krankenkassen in Wirklichkeit keinen überproportional hohen Anteil an den Gesundheitskosten. 31 Gleichwohl ist zu befürchten, daß manche Menschen in Zukunft von aufwendigeren medizinischen oder rehabilitativen Maßnahmen ausgeschlossen werden. Dies könnte wegen ihrer geringeren statistischen Restlebenserwartung und der oft vorhandenen Begleiterkrankungen eher ältere als jüngere Menschen treffen. Unbehandelte und unkompensierte Beeinträchtigungen führen aber zu zusätzlichem Pflegebedarf. Neben dieser möglichen Verschlechterung bei der Versorgung ist auch zu vermuten, daß schon die Art und Intensität funktioneller Einbußen und damit der qua26

27 28 29

30

31



Sommer, WuS 1994, S. 497, 501. Schwarz, SF 1995, S. 243. Zur ,,Pflegestufe 0" siehe oben Kap. 2 III 2. Frieling-Sonnenberg, SF 1995, S. 29; Mohl, S. 67 ff. Mohl, S. 73. Frieling-Sonnenberg, SF 1995, S. 29.

68

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

litative Umfang der Betreuungsbedürftigkeit anwachsen werden. Gründe sind die zunehmenden ökologischen Belastungen und das allgemein sinkende Gesundheitsniveau in der Bevölkerung. Ein Indiz ftir diese Entwicklung ist der stärkere Anstieg der Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne in der Vergangenheit. Alle diese Erwägungen sprechen daftir, daß die Betreuungsbedürftigkeit und vor allem die Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne in Zukunft erheblich zunehmen werden. Damit wird auch allgemein der Bedarf an Betreuungsleistungen wachsen.

D. Die besondere Nachfrage nach unentgeltlicher und ambulanter Betreuung Außerdem wird über diesen allgemein höheren Bedarf an Betreuung hinaus gerade die Nachfrage nach unentgeltlichen ambulanten Leistungen zunehmen. Diese Prognose beruht auf zwei Gründen: Zum einen werden die Betroffenen selbst und die Solidargemeinschaft die steigenden Kosten einer entgeltlichen Betreuung weniger als bislang tragen können. Auch in Zukunft werden die Aufwendungen der stationären und der kommerziellen ambulanten Pflege schneller steigen als die allgemeinen lebenshaltungskosten. 32 Daher wird die kostengünstigere unentgeltliche Betreuung durch Familienangehörige und ehrenamtliche Kräfte aus dem karitativen Bereich an Bedeutung gewinnen. 33 Zum anderen lehnt ein wachsender Teil der Bevölkerung eine hochtechnisierte medizinische Versorgung oder Pflege ab. 34 Immer mehr Menschen ordnen durch ein ,.patiententestament" frühzeitig an, daß sie nicht in einem Krankenhaus maschinell am Leben gehalten werden möchten. 35 Ebenso steigt die Abneigung gegen eine stationäre Intensivpflege. Die meisten Menschen möchten im Alter in ihrer eigenen Wohnung und dem bekannten Lebensumfeld betreut werden. 36 Dies zeigt sich in dem Anwachsen der kommerziellen ambulanten Pflegedienste in den letzten Jahren. Nach einer Schätzung der AOK hat ihre Zahl zwischen 1995 und 1998 von 4000 auf 11.500 zugenommen. 37 Auch einem entgeltlichen Dienst ziehen aber viele Betroffene die Betreuung durch Angehörige oder Bekannte vor, weil ihnen über die bloße Versorgung hinaus soziale Kontakte und persönliche Zuwendung wichtig sind.

32 Siehe zur bisherigen Entwicklung der Pflegegelder nach § 68 BSHG unten Abb. 7, Kap. 4 IV 2. 33 So auch mit negativer Bewertung Frieling-Sonnenberg, SF 1995, S. 29, 30. 34 Mohl, S. 148, 149. 3~ Uhlenbruck, MedR 1992, S. 134. 36 JUrgens, S. 12. 37 Exitus durch Vernachlässigung, Der Spiegel Nr. 2/99 vom 11. Januar 1999, S. 88.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

69

m. Möglichkeit und Bereitschaft zur unentgeltlichen Betreuung Um diesen steigenden Bedarf zu befriedigen, müssen ausreichend viele Menschen bereit sein, ihre Angehörigen oder Nachbarn zu betreuen oder sich ehrenamtlich in karitativen Organisationen zur Betreuung zu engagieren. Ob dies möglich und zu erwarten ist, kann wiederum nur durch eine Prognose ermittelt werden. Auch sie muß von der gegenwärtigen Anzahl, Herkunft, Belastung und Bereitschaft der unentgeltlich tätigen Betreuungskräfte ausgehen: J. Die Anzahl ambulant und unentgeltlich tätiger Betreuungskräjte

Die Anzahl der unentgeltlich und ambulant tätigen Betreuer kann annährungsweise nach Schneekloth u. a. ermittelt werden. Diese Studie hat auch untersucht, wieviele Bedürftige von einer Hauptpflegeperson und wieviele von mehreren Helfern betreut werden. Allerdings sind die folgenden Daten allenfalls Mindestwerte. So sind an den Betreuungsverhältnissen mit einer Hauptpflegeperson oft weitere Helfer beteiligt, auch wenn die Hauptlast dieser Betreuung auf einer Person ruht: 38 Privat betreute Pflege- und Hilfebedürftige und ihre Betreuungskräfte

Anteil in %

Pflegebedürftige ohne priv. Betreuung Pflegebedürftige mit 1 Hauptpfleger Pflegebedürftige mit 2 Pflegern Pflegebedürftige mit 3 Pflegern Anzahl der Pflegebedürftigen Anzahl der Pflegekräfte Summe: An Pflegeverhältnissen Beteiligte

9% 77% 10% 4%

Hilfebedürftige ohne priv. Betreuung Hilfebedürftige mit 1 Hauptbetreuer Hilfebedürftige mit 2 Betreuern Hilfebedürftige mit 3 Betreuern Anzahl der Hilfebedürftigen Anzahl der Betreuer insgesamt Summe: An Hilfeverhältnissen Beteiligte

23% 57% 12% 8%

Pflege- und Hilfebedürftige gesamt Pflegekräfte und Helfer gesamt Anzahl aller Beteiligten

Anzahl der Anzahl der Betreuten Betreuer 108.360 0 927.080 927.080 120.400 240.800 48.160 144.480 1.204.000 1.312.360 2.516.360 476.330 0 1.180.470 1.180.470 248.520 497.040 165.680 497.040 2.071.000 2.174.550 4.245.550 3.275.000 3.486.910 6.761.910

Abb. 3: Betreuungsbedürftige und Betreuungspersonen 38 Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, Tab. 5.1, S. 133; Abschn. 5.1.3, S. 134 ff. Die dort zusammengefaßten Betreuungsverhältnisse mit ,,mehreren Pflegepersonen" sind hier getrennt.

70

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Insgesamt werden die 3,3 Millionen Betreuungsbedürftigen in der Bundesrepublik somit von rund 3,5 Millionen Menschen versorgt. Dies ergibt zusammen 6,8 Millionen an der ambulanten Betreuung Beteiligte. Damit liegt die Zahl der Betreuungskräfte höher als diejenige der Betreuten. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich bei den kommerziellen Pflegediensten. Dort beruht es vor allem auf der hohen Zahl geringfügig Beschäftigter. Wegen ihrer geringen Arbeitszeit ergibt sich hier sowohl absolut als auch relativ auf den einzelnen Kunden bezogen eine hohe Zahl an Betreuern. 2. Herkunft der Betreuungspersonen

Welche Personen diese zahlreichen Betreuungskräfte sind und in welcher Beziehung sie zum Betreuungsbedürftigen stehen, läßt sich mithilfe der vorhandenen empirischen Daten nur schätzen, denn viele Betreuungsverhältnisse bestehen im familieninternen Bereich, in Nachbarschaften oder im Bekanntenkreis und dringen deswegen in ihrem ganzen Ausmaß kaum an die Öffentlichkeit. Die erste genauere Untersuchung der Herkunft unentgeltlich tätiger Betreuer ist wiederum die Socialdata-Studie. 39 Sie fragte nach der Familienzugehörigkeit des Betreuers und unterschied dabei zwischen hausangehörigen und haushaltsfremden Betreuern. Leider sind ihre Ergebnisse wenig brauchbar, denn die Gesamtzahlen liegen über 1()()%, weil sie von den Betreuten und nicht von der Zahl der Betreuer ausging, so daß Mehrfachnennungen möglich waren. In der auf Seite 71 folgenden Tabelle wurden die Mehrfachnennungen beseitigt und die Werte auf diese Weise bereinigt. Es ergibt sich, daß 83,3% aller Betreuungskräfte Familienangehörige des Betreuten waren 40 Auch zur Herkunft der Betreuungskräfte ergeben sich neuere Daten aus der Studie von Schneekloth. 41 Sie untersuchte die Herkunft der jeweiligen Hauptpflegeperson, von der 77% der 1,204 Mio Pflege- und 57% der weiteren 2,071 Mio Hilfebedürftigen, die in Deutschland in Privathaushalten leben, versorgt werden. Hiernach sind 92,8% aller Betreuungskräfte Familienangehörige. Bei den nur Hilfebedürftigen sind weniger Angehörige beteiligt. Dies beruht darauf, daß diese Menschen lediglich in einzelnen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten oder im sozialkommunikativen Bereich eingeschränkt sind. Die Hilfeleistungen, die hier nötig werden, sind nicht allzu belastend und werden daher häufiger von Nachbarn und Freunden übernommen. Dagegen wird die zeitintensive und anstrengende Pflegetätigkeit im engeren Sinne häufiger in der Familie geleistet, weil hierzu nur sehr wenige Menschen aus der Nachbarschaft oder dem Bekanntenkreis bereit sind. 42

39

«l 41

42

Socialdata, S. 67 f. Socialdata, S. 68 und eigene Berechnungen. Schneeldoth u. a., Pflegebedürftige, Tabelle 5.2., S. 134. Braun I Articus, Hilfeleistungen. S. 3711.

71

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung Verhältnis des Betreuers zum Betreuten

Betreuer im Betreuer von Haushalt (65,2%) außen (34,8%)

Gesamtzahl (100%)

Ehepartner

44,27%

0

28,88%

Kinder

26,72%

29,25%

27,60%

Eltern

9,16%

0

5,98%

Geschwister

1,53%

4,76%

2,65%

andere Verwandte

15,26%

23,81 %

18,23%

Familie gesamt

96,94%

57,82%

83,34%

Freunde, Nachbarn etc.

31,97%

andere Nichtangehörige

8,16%

Nichtangehörige gesamt

1,53%

40,14%

14,95%

keine Angaben

1,53%

2,04%

1,70%

100%

100%

100%

Abb. 4: Familienangehörige und andere unentgeltliche Betreuer nach Socialdata

Verhältnis des Betreuers zum Betreuten

PfIegebededürfti- Hilfebededürftige gesamt (100%) (63,2%) ge (36,8%)

Partner (weiblich)

24%

23%

23,4%

Partner (männlich)

13%

20%

17,3%

Mutter

14%

4%

7,7%

Vater

0

0

0%

26%

23%

24,1%

3%

6%

4,9%

(80%)

(76%)

(77,4%)

Schwiegertochter

9%

6%

7,1%

andere Verwandte

7%

9%

8,3%

Angehörige insgesamt

96%

91%

92,8%

Freunde I Nachbarn etc

4%

7%

5,9%

2%

1,3%

4%

9%

7,2%

100%

100%

100%

Tochter Sohn Unterhaltspflichtige gesamt

andere Nichtangehörige gesamt

Abb. 5: Hauptpflegepersonen in Privathaushalten nach Schneekloth u. a.

72

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Die Ergebnisse dieser beiden Studien lassen sich wegen der unterschiedlichen Einteilungen nur bedingt vergleichen. Zum einen findet sich die Unterscheidung der Socialdata-Untersuchung zwischen hausangehörigen und von außen kommenden Betreuern bei Schneekloth u. a. nicht wieder. Außerdem unterscheidet Socialdata nicht durchgängig zwischen unentgeltlichen und bezahlten Betreuern. Bei der Beziehung zwischen Betreuten und Betreuungskräften wurden zwar die berufsmäßigen Helfer ausgeschieden,43 an anderer Stelle jedoch sind in einigen der dargestellten Gruppen bezahlte Helfer und - sicherlich unentgeltlich tätige - Hausangehörige vermischt. 44 Trotz dieser Unterschiede liegen die beiden Gesamtergebnisse von 83,4 und 92,8% familienangehöriger Betreuer recht nahe beieinander. Dagegen ergibt eine Studie des Bundesfamilienministeriums über das Modellprojekt ,,Ambulante Dienste für Pflegebedürftige" erheblich niedrigere Zahlen familienangehöriger Betreuungskräfte.4s Diejenigen Pflegebedürftigen, die über die an dem Projekt teilnehmenden 16 Sozialstationen erfaßt wurden, wurden privat nur zu 58,1 % von der Familie betreut. 46 Hierbei war die Hauptpflegeperson zu 21,4% der Ehegatte und zu 25,7% ein Kind oder SChwiegerkind.47 Andere Verwandte waren nur selten an der Pflege beteiligt. Ein Grund für diese erhebliche Abweichung ist, daß das Modellprojekt nur die Patienten von Sozialstationen erfaßte. Professionelle Hilfe nehmen viele Betreuungsbedürftige nach wie vor nur dann in Anspruch, wenn pflegebereite Angehörige oder Nachbarn nicht vorhanden sind. Außerdem hatten die Studien unterschiedliche Bezugsgrößen: Socialdata und Schneekloth u. a. gingen von denjenigen Betreuungsbedürftigen aus, die überhaupt eine Hauptpflegeperson haben. Brandt u. a. legten dagegen alle Pflege- und Hilfebedürftigen zugrunde und erfaßten dabei 11,7%, die überhaupt keine private Betreuung erhielten. Nimmt man diese Gruppe heraus, so nähern sich die jeweiligen Ergebnisse an. Dies sei letztlich durch einen Vergleich der bereinigten Angaben von Brandt u. a. mit den beiden anderen Studien dargestellt:

43 44

45

46 47

Socialdata, S. 68, Tabelle 2. Socialdata, S. 67. Brandt, Ambulante Dienste, S. 2 f. Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 29. Brandt u. a., Ambulante Dienste, Tabelle 2.5., S. 288.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung Beziehung des Betreuers zum Betreuten

Brandt bereinigt

Partnerin I Partner

32,8%

Tochter I Schwiegertochter

39,4%

Sohn I Schwiegersohn

6,6%

Enkelin I Enkel

2,1%

Eltern

1,4%

73

Schneekloth

Socialdata

Sonstige Angehörige

6,8%

Angehörige insgesamt

89,1%

92,8%

83,34%

Nichtangehörige gesamt

10,9%

7,2%

14,95%

Abb. 6: Herkunft der Betreuer - Zusammenfassung

Nach allen drei Studien stammen also 85 bis 90% der unentgeltlichen Betreuungskräfte, das sind 2,98 bis 3,15 Millionen Menschen, aus dem Kreise der Familienangehörigen. Hierbei handelt es bei jüngeren Betreuten meist um die Eltern, bei älteren um die Kinder. Zu einem etwa gleichen Grad kommt vor allem im mittleren Alter der Ehegatte hinzu. Die restlichen 350.000 bis 520.000 Betreuer sind dagegen Nachbarn, Bekannte oder ehrenamtliche Kräfte karitativer Einrichtungen.

3. Bisherige Entwicklung der unentgeltlichen undfamilialen Betreuung

Ebenso wie die Entwicklung der Betreuungsbedürftigkeit in der Vergangenheit nicht den Befürchtungen entsprach, widerspricht auch dieses Ergebnis der oft geäußerten Vermutung, die familieninterne und die ehrenamtliche Betreuung gingen wegen der sinkenden Kinderzahl, einer Auflösung familialer Strukturen und allgemein nachlassenden privaten Engagements zurück. Vielmehr ist die Zahl vor allem der familienangehörigen Betreuungskräfte nach wie vor hoch. Wegen der Vielfalt dieses Bereichs und der Schwierigkeiten bei seiner Erfassung wird sich zwar nicht sagen lassen, daß die Ergebnisse von Socialdata 1980 (83 %) und Schneekloth u. a. 1994 (93 %) einen realen Anstieg der Zahl der Familienbetreuer auswiesen. Eine Stabilität läßt sich hieraus aber ableiten.

4. Die Zukunft familialer und unentgeltlicher Betreuung

Entsprechend dieser bisherigen Entwicklung, die von den meisten geäußerten Erwartungen abweicht, soll hier die Prognose gewagt werden, daß auch in Zukunft ausreichend viele und womöglich sogar mehr Menschen als bislang zu unentgeltli-

74

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

ehen Betreuungsleistungen in ihren Familien und im karitativen, ehrenamtlichen Bereich bereit und in der Lage sein werden. Diese Erwartung stützt sich auf mehrere Entwicklungen im familialen, sozialen und beruflichen Bereich:

a) Neue Strukturen in der Familie Zunächst greift die Aussage zu kurz, es bestehe ein gesellschaftlicher Trend zur Auflösung familialer Strukturen. Zwar sind einige der oft genannten Entwicklungen richtig. Beispielsweise geht die Zahl der Kinder zurück, so daß weniger betreuungsbedürftige ältere Menschen überhaupt noch Familienpflege erhalten können. Während beispielsweise die Frauen der Geburtsjahrgänge 1931 bis 1935 nur zu 10% kinderlos sind, strebt dieser Anteil inzwischen auf 30% ZU.48 Die durchschnittliche Kinderzahl eines Ehepaares ist entsprechend von knapp unter 4 zur Jahrhundertwende auf 1,6 im Jahre 1980 gesunken.49 Ebenso hat die Familie viele ihrer früheren Aufgaben in Produktion, Erziehung und eben Betreuung an überfamiliäre Institutionen verloren. so Heute wohnen nur noch eine oder allenfalls zwei Generationen unter einem Dach. Das "Ganze Haus", in dem alle Generationen zusammenlebten und gemeinsam produzierten und konsumierten,SI existiert nicht mehr. Auch die lebenslange Verbindung in einer Ehe geht zurück. Sie weicht nichtehelichen Partnerschaften, die tatsächlich oft zeitlich beschränkt sind oder wegen ihrer leichteren Auflösbarkeit unter dem Druck einer beginnenden Betreuungsbedürftigkeit des einen Partners eher auseinanderbrechen. In der Folge dieser Entwicklung verliert auch die Kleinfamilie herkömmlicher Prägung, also die Gemeinschaft zweier Eltern mit ihren Kindern, an Bedeutung. In den größeren Städten weicht die Mehrzahl der Lebensgemeinschaften mit Kindern bereits von diesem Bild ab. Häufiger sind die sogenannten "unvollständigen" Familien, denen mindestens ein Elternteil fehlt. Diese Entwicklung trägt jedoch nicht die Schlußfolgerung, die Familie als soziales Netzwerk löse sich auf und sei zur Betreuung der Alten nicht mehr in der Lage, denn sie geht von falschen Voraussetzungen aus und übersieht, daß diese Entwicklungen nur die eine Seite der Veränderungen des Phänomens Familie darstellen. So ist es zweifelhaft, daß die Gemeinschaft des "Ganzen Hauses" wirklich in größerem Ausmaß bestanden hat und ihre älteren Mitglieder klaglos mitversorgt hat. s2 Außerdem werden Partnerschaft, Elternschaft und Familie trotz der zunehmenden Pluralität bei der Gestaltung enger Lebensbeziehungen auch heute noch bejaht und sogar stärker befürwortet. Sie werden aber immer stärker verinnerSchwarz, SF 1995, S. 243, 244. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145. S. 33. so Derleder, KJ 1997, S. 277.280. 51 Zum Begriff des "Ganzen Hauses" Schwägler. S. 8. 52 Schwägler. S. 37 f.; 141 ff.

48

49

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

75

licht. 53 Der äußere Rahmen wird nicht mehr für wichtig gehalten, zum Beispiel die Eheschließung selbst. Dies zeigt sich in der Zunahme nichtehelicher Partnerschaften mit Kindern. Auch solche Lebensgemeinschaften können dauerhaft und eine tragfahige Grundlage für Betreuungsleistungen im Alter sein. Ebenso beweist die ansteigende Zahl der Halbfamilien, die aus nur einem Elternteil mit Kindern bestehen, nicht den Niedergang familialer Beziehungen. Häufiger als früher leben die Eltern getrennt, sei es, daß sie geschieden sind, sei es, daß sie nicht verheiratet sind und nie einen gemeinsamen Haushalt geführt haben. Über die soziale Integration und die Anzahl und den Umfang der Außenkontakte der Halbfamilien sagt dies nichts aus. In den familialen Strukturen der Gesellschaft zeigt sich demnach tatsächlich ein Umbruch. Er betrifft jedoch nur die äußeren Formen des Zusammenlebens und des Lebens im Alter. Die sozialen Beziehungen, die Grundlage für Betreuung sein können, gehen nicht zurück, sondern verändern sich nur. Familien beschreiben sich und ihr Zusammenleben nicht mehr nach überkommenen und in der ganzen Gesellschaft geteilten Auffassungen. Hierin zeigt sich der "ständige Wandel sozialer Institutionen".54 Statt dessen entsteht eine Vielzahl unterschiedlicher Gemeinschaften, die aber gleichwohl eng und stabil sind. Sie können die Betreuungsbedürftigkeit eines Beteiligten tragen und sind dazu nach wie vor zu großen Teilen bereit. ss

b) Generationsübergreifende Wohngemeinschaften, "soziale Netzwerke" und neue Strukturen im sozialen Nahbereich Neben diesen "neuen" Familien bilden sich außerdem ebenfalls neue, komplexe soziale Beziehungsgeflechte im sozialen Nahbereich, also in Nachbarschaft, Hausgemeinschaft bis hin zum Stadtteil. Sie bestehen zumeist aus persönlichen Kontakten, gehen aber auch in den teilweise organisierten Bereich über. Gerade an diesen neu entstehenden "sozialen Netzwerken" sind Ältere überproportional beteiligt.s6 So entstehen seit einigen Jahren organisiert und planmäßig Wohngemeinschaften mit und ohne ,.Familienkern".s7 In ihnen bestehen auch ohne familiale Bindung enge soziale Beziehungen. Viele davon fassen ganz bewußt mehrere Generationen unter einem Dach zusammen, um allen Mitgliedern und vor allem den Kindern ein Leben in einer differenzierten und komplexen sozialen Struktur zu ermöglichen. Noch häufiger, aber nicht ganz so weitgehend sind die Modelle, in denen mehrere Generationen in einem Gebäude zusammenziehen, ohne dabei ihren eigenen HausGemhuber / Coester-Waltjen, § 1 I 4, S. 3 f. Schwenzer, S. 25 f. ss Fuchs, GesWes 1998, S. 392 ff. 56 Bundesregierung, Zweiter AItenbericht, BT-Drs. 13/9750, S. 186 ff. 57 Zu diesem Begriff Porst, ZfS 1984, S. 165, 168.

S3

54

76

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

halt aufzugeben. Beide Fonnen zusammen stellen inzwischen rund 2% aller Haushalte. s8 Eines der Ziele solcher Wohnfonnen ist die gegenseitige Hilfe der Bewohner bei gleichzeitig weitgehend privatem Leben. s9 So sollen beispielsweise die älteren Bewohner die jüngeren Familien bei der Erziehung und der Aufsicht der Kinder unterstützen und dann später von diesen betreut werden. Damit wäre es gelungen, bislang familiale Austauschleistungen über die Familiengrenzen hinweg zu übertragen. Daneben bestehen nach wie vor losere soziale Beziehungsgeflechte, die auch bei weitester Auslegung nicht mehr als Familie bezeichnet werden können, die aber künftig trotzdem eine Grundlage für Unterstützung, Hilfe und möglicherweise auch Betreuungsleistungen verschiedenen Grades und unterschiedlicher Intensität bilden können. Nachbarschaftshilfe ist ein Beispiel dafür, die zunehmenden ehrenamtlichen Strukturen im sozialen Bereich wie die Tauschringe in den Stadtteilen ein weiteres. Diese sozialen Netzwerke sind ein Zeichen für das große Bedürfnis nach Sicherheit. Sie zeigen, daß viele Menschen nach wie vor zur Unterstützung älterer Angehöriger und anderer Menschen bereit sind. Sie leitet der Wunsch, im eigenen Seniorenalter selbst gut versorgt zu werden. 60 Daher wird diese Bereitschaft weiterbestehen und noch zunehmen. 61

c) Zunahme der ,,neuen Ehrenamtlichkeit" Das Anwachsen infonneller sozialer Netze ist Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung des privaten Engagements. Ehrenamtliche Arbeit nimmt ZU. 62 Dies hat jüngst auch eine Untersuchung des Bundesfamilienministeriums festgestellt. 63 Diese Studie hat zwar die soziale Hilfe und damit den Gegenstand dieser Arbeit ausgeklammert, der erhebliche Zuwachs bei den untersuchten Ehrenämtern jedoch läßt auch für diesen Bereich eine Zunahme vennuten. Privates unentgeltliches Engagement wird jedoch zu weiten Teilen nicht mehr als "soziales" oder "politisches" Ehrenamt in festen Strukturen, Vereinen, karitativen Einrichtungen oder Parteien geleistet. Statt dessen gewinnt eine infonnellere Tätigkeit in Bürgerinitiativen, Nachbarschaftsgemeinschaften und anderen, oft kurzfristigen und wenig organisierten Verbindungen an Bedeutung.64 Diese loseren Strukturen werden als S8 S9 60 61

62 63 64

Porst, ZfS 1984, S. 165, 170. Bundesregierung, Ehrenamtliche Tätigkeit, BT-Drs. 13/5674, S. 11. Rinne/Wagner, SF 1995, S. 288, 289 f. Fuchs, GesWes 1998, S. 392 ff. Thiersch, S. 9 f. Bundesregierung, Ehrenamtliche Tätigkeit, BT-Drs. 13/5674, S. 5 ff. Bundesfamilienministerium, Bürger für Bürger, S. 2.

3. Kap.: Der zukünftige Bedarf und seine mögliche Befriedigung

77

"thematisches Ehrenamt" oder allgemein als "neue Ehrenamtlichkeit" bezeichnet. 65 Beispiele hierfür aus dem sozialen Ehrenamt sind die mobilen sozialen Hilfen wie die "Tafeln" und die Obdachlosenbusse, die Tauschringe, die Nachbarschaftshilfen, die informelle Pflege und Betreuung durch die "Freundeskreise" einzelner Pflegeheime oder der Besuchs- und Betreuungsdienst der "grünen Damen" im Krankenhausbereich.

d) Die Entwicklung eines "dritten Marktes" im non-profit-Bereich Dieses Wachstum ehrenamtlicher und sozialer Arbeit wird bereits als "dritter Markt" für Arbeits- und Dienstleistungen, als ,,non-profit-Sektor", bezeichnet. 66 Nach diesen Diensten hatte schon immer ein Bedürfnis bestanden, das aber in den monetär strukturierten Segmenten des Marktes nicht befriedigt werden konnte, weil den Nachfragern die nötige Zahlungsfähigkeit fehlte. Heute werden diese Leistungen oft von solchen Menschen angeboten, die nicht auf einen Geldverdienst angewiesen sind, weil ihr Lebensunterhalt durch eine Rente oder andere Leistungen gesichert ist, und die vielmehr in ihrer Arbeit Selbstbestätigung suchen. In anderen Ländern ist diese Entwicklung bereits weiter vorangeschritten. Ein gutes Beispiel hierfur bilden die USA mit ihrer langen Tradition des "social sponsoring" und des "volunteering", also der freiwilligen sozialen Arbeit in Stiftungen und karitativen Einrichtungen. 67 In Deutschland ist mit der Gründung der Bundesstiftung ,,Bürger für Bürger" ein erster Schritt zur Organisation dieses dritten, sozialen Marktes getan. 68 Dieses starke Anwachsen informeller Tätigkeiten im ehrenamtlichen und sozialen Bereich zeugt von der immer noch vorhandenen und anwachsenden Bereitschaft vieler Menschen, solche Aufgaben zu übernehmen. 69 Es widerlegt die oft geäußerte Vermutung über zunehmenden privaten Egoismus.'o Auch die unentgeltliche Betreuung wird daher weiterhin auf ehrenamtliche Kräfte bauen können.

e) Die zunehmende "freie" Zeit in der Gesellschaft Ein Grund für diese Entwicklung, die in vielen westlichen Industrieländern zu verzeichnen ist, liegt in der zunehmenden "freien" Zeit vieler Menschen. Nicht nur die wöchentliche Arbeitszeit sinkt. Ebenso geht die beruflich organisierte Erwerbs65 66 67

68

69 70

Heinze/ SlrÜnck, Mitbestimmung 1998, S. 43,44. Dem Kapitalismus geht die Arbeit aus, Vorwärts 7 - 8 / 1997, S. 12, 13. Paulwitz, S. 195. Bundesfamilienministerium, Bürger für Bürger, S. 2. Heinze/SlrÜnck, Mitbestimmung 1998, S. 43, 44. Rinne/Wagner, SF 1995, S. 288, 289.

78

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

arbeit allgemein zurück, zum Beispiel durch den früheren Beginn des Ruhestandes. 71 Menschen, die vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, suchen oft eine neue Aufgabe, sind aber wegen ihrer Rente nicht auf einen Geldverdienst angewiesen. Sie wenden sich den ehrenamtlichen und karitativen Bereichen zu. Diese Entwicklung zeigt sich in der hohen Zahl ehrenamtlich tätiger Rentnerinnen und Rentner, die erst ab einem Alter von 70 Jahren krankheitsbedingt wieder absinkt. 72 Zu diesen sozialen Aufgaben gehört oft auch Familienarbeit. 73 Oftmals wird eine Betreuung übernommen, denn wenn Menschen mit 55 oder 60 aus dem Erwerbsleben ausscheiden, sind ihre Eltern meist zwischen 80 und 85 Jahren alt, befinden sich also in einem Alter, in dem Betreuungsbedürftigkeit verstärkt auftritt.

5. Ergebnis Die oft geäußerte Vermutung über eine Erosion der familieninternen und sonstigen unentgeltlichen Betreuung läßt sich nicht bestätigen. Auch in Zukunft wird es vielen und eventuell mehr Menschen als heute möglich sein, unentgeltliche ambulante Betreuungsleistungen zu erbringen. Der Anstieg des ehrenamtlichen Engagements zeigt, daß hierzu grundsätzlich auch die notwendige Bereitschaft besteht. Es ist allerdings notwendig, daß die Rechtsordnung und die Solidargemeinschaft diese Entwicklungen erkennen und fördern. Es sind rechtliche und sozialpolitische Konzepte notwendig, um die zahlreichen Menschen, die in der Erwerbswirtschaft nicht mehr benötigt werden, in sozialen Tätigkeiten wie der Betreuung neue Aufgaben finden und dort auch am Sozialprodukt teilhaben können, das trotz des Rückgangs herkömmlicher Erwerbstätigkeit anwächst. Denkbar wäre eine Finanzierung im Dreiecksverhältnis, in dem also der ehrenamtlich Tätige seine Vergütung nicht von dem Empfänger seiner Leistungen bezieht, sondern von der Solidargemeinschaft.

IV. Endergebnis Der zukünftige, höhere Bedarf an unentgeltlicher ambulanter Betreuung kann in der Familie und durch ehrenamtliche soziale Arbeit grundSätzlich befriedigt werden.

11 12

13

Heinze/Strunck, Mitbestimmung 1998, S. 43. Bundesregierung, Ehrenamtliche Tatigkeit, BT-Drs. 13/5674, S. 8. Bundesregierung, Zweiter Altenbericht, BT-Drs. 13/9750, S. 189.

4. Kap.: Förderungswürdigkeit der Betreuung

79

Kapitel 4

Die Förderungswürdigkeit der unentgeltlichen Hausbetreuung I. Bedeutung und Bewertung dieser Betreuungsform Welche wichtige Bedeutung die unentgeltliche Hausbetreuung im ganzen hat, zeigt schon die Zahl von 6,8 Millionen Menschen, die in Deutschland betreuungsbedürftig sind oder als Betreuungskräfte arbeiten. 74 Außerdem wird diese Betreuungsform in Zukunft verstärkt nachgefragt werden. Dieser Bedarf kann grundsätzlich auch befriedigt werden. Daher ist zu untersuchen, ob die Rechtsordnung diese Betreuungsform fördern sollte. Hierzu sollen ihre Vor- und Nachteile für die Beteiligten, aber auch für die Gesellschaft im ganzen dargelegt werden.

ll. Die Sicht der Betreuungsbedürftigen Aus der Sicht der Betreuungsbedürftigen sprechen die überwiegenden Gründe sowohl für eine ambulante häusliche Betreuung als auch für ihre Unentgeltlichkeit:

1. Der Erhalt des sozialen Umfeldes und die Stabilität der Lebenssituation

Rund 80% der Menschen in Deutschland möchten im Alter und bei eigener Pflegebedürftigkeit so lang wie möglich im eigenen Haushalt bleiben.75 Diese Ansicht verändert sich auch nicht, wenn bereits Betreuungsbedürftigkeit vorliegt. So halten 59% der Pflegebedürftigen eine stationäre Unterbringung für höchst unwahrscheinlich oder schließen sie sogar aus, weitere 11 % halten sie für "nicht sehr wahrscheinlich" bzw. wollen sie verhindern?6 Nur 4% der Menschen wollen im Alter bewußt in eine Wohneinrichtung ziehen, weil sie diese Lebensform für angemessen halten. 77 Alle anderen fassen eine planmäßige Übersiedlung nicht ins Auge, obwohl eine längere Planung und ein frühes Kennenlernen der Einrichtung sinnvoll sind. 78 Vor einer stationären Betreuung schrecken viele Betroffene zurück, weil sie befürchten, in einem Heim ihre Selbständigkeit zu verlieren und ein fremdbestimmtes Leben führen zu müssen. Sie möchten statt dessen in ihrem gewohnten Lebens74

7~ 76 77 78

Siehe hierzu oben Kap. 3 III 1. Lind, SF 1995, S. 31, 33. Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 162. Lind, SF 1995, S. 31, 33. Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 129 f.

80

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

umfeld verbleiben und die sozialen Kontakte zur Familie, zum Freundeskreis und zur Nachbarschaft aufrechterhalten. 79 Ist noch ein Ehegatte vorhanden, so wird oft zu Recht befürchtet, daß die Lebensgemeinschaft auseinandergerissen wird, weil nur die stationäre Pflege eines Partners finanziert werden kann. 8o In stationären Einrichtungen sind verhältnismäßig oft Hospitalisierungserscheinungen zu verzeichnen. Oft nimmt der Grad der funktionellen Beeinträchtigungen, der zu dem Einzug in das Heim geführt hat, dort noch zu. Eine aktivierende Pflege, die Pflegebedürftigkeit wieder abmildert oder gar beseitigt, findet oft nicht statt. Wenige Heimbetreute können wieder ein selbstbestimmtes Leben aufnehmen. Der Heimaufenthalt dauert oft bis zum Tode. Daher ist beispielsweise die Verweildauer in einem Pflegeheim mit sechs Jahren hoch. 81 Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Zum Teil liegt eine self-fulfilling proficiency vor, denn wenn ein Betroffener eine stationäre Betreuung als endgültige "Aufgabe" des eigenständigen Lebens ansieht und daher lange verdrängt, dann gibt er sich oft tatsächlich auf, wenn eine stationäre Unterbringung nicht mehr zu vermeiden ist. Neben diesen subjektiven Gründen spricht einiges dafür, daß die Betreuung in vielen stationären Einrichtungen auch objektiv "lieblos" abgespult wird, also wegen des Drucks der Wirtschaftlichkeit auf die medizinisch notwendigen Verrichtungen und Hilfestellungen beschränkt wird, die sozialpsychologische Betreuung aber zu kurz kommt. 82 Hinzu kommen gelegentlich Freiheitseinschränkungen, die meist durch eine Überlastung des Personals bedingt sind. Hierzu gehören die Verabreichung beruhigender Medikamente und die Fixierung unruhiger Patienten im Bett. 83 Auch wenn solche Maßnahmen die Ausnahme sind, so zeigen sie doch, daß manche stationäre Einrichtung keine ausreichende psychologische und kommunikative Betreuung leisten kann. Diese Entwicklung hat sich seit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung noch verschärft. 84 Die häusliche Betreuung dagegen erhält den Betroffenen das soziale Umfeld. Auch die Kontakte und Beziehungen zu Familie, Nachbarschaft und Bekanntenkreis bleiben sehr viel eher erhalten, auch wenn der Betreuungsbedürftige zum Beispiel seine eigene Wohnung nicht mehr oft verlassen kann. Diese Betreuungsform kann daher eine Verkümmerung sozialer und kommunikativer Fähigkeiten des Betreuten verhindern. Vor allem kommt es nicht so oft wie in stationären Einrichtungen zu einer Selbstaufgabe. Dadurch wird oft auch der Verlauf der Betreuungsbedürftigkeit abgemildert oder sogar umgekehrt.

79 80 8\

82 83 84

JÜfgens, S. 12; Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. V und S. 5 f. Frieling-Sonnenberg, SF 1995, S. 29. Krug/Reh, Pflegebedürftige in Heimen, S. 36. AK Psychosoziale Vemetzung, S. 3. Bienwald, § 1906 BGB, Rn. 76. AK Psychosoziale Vemetzung, S. I, 3.

4. Kap.: Förderungswürdigkeit der Betreuung

81

2. Die persönliche Zuwendung durch unentgeltlich tätige Betreuer Neben dem Erhalt der sozialen Lebenssituation liegt ein weiterer positiver Effekt der häuslichen und vor allem der unentgeltlichen Betreuung darin, daß hier erheblich weniger verschiedene Personen betreuen, daß sie dies längere Zeit tun und daß zwischen ihnen und dem Betreuten oft eine persönliche Beziehung besteht. Eine solche Bindung an wenige feste Bezugspersonen stabilisiert die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten des Betreuten und erhält ein Gefühl der Geborgenheit. Hierzu muß der Betreuer nicht unbedingt ein Familienangehöriger oder Nachbar sein. Auch karitative Pflegedienste setzen öfter dieselben Kräfte ein,85 denn sie betreuen meist nur einen überschaubaren Kreis und können anders als kommerzielle Dienste beispielsweise Zivildienstleistende beschäftigen. Ein Grund liegt aber auch darin, daß die Personaldecke im ehrenamtlichen Bereich zwar stabil, aber oft eher dünn ist. Diese Vorteile einer persönlichen Beziehung fehlen nicht nur im stationären Bereich, sondern auch bei den ambulanten kommerziellen Pflegediensten, weil hier das eingesetzte Personal oft nur geringfügig beschäftig ist und daher häufig wechselt. Sie sind also eine besondere Folge gerade der Unentgeltlichkeit der Betreuung.

3. Unterschiede in Unterbringung und medizinischer Versorgung Als Vorteil der stationären Betreuung in einem Alten- und Pflegeheim wird häufig die dort bessere medizinische Versorgung genannt. Teurere Geräte, zum Beispiel Lifte zum Heben eines bewegungsunfahigen Patienten, lassen sich in einer stationären Einrichtung eher finanzieren, weil sie bei mehreren Patienten eingesetzt werden können. Allerdings ist gerade in Deutschland die Ausstattung der Pflegeheime mit solchen Hilfen sehr ungenügend. 86 Außerdem werden aufwendigere Pflegehilfsmittel oft erst notwendig, wenn die Pflegebedürftigkeit einen Grad erreicht hat, in dem eine häusliche Pflege sowieso nicht mehr verantwortbar ist. Und auch generell hat sich die altersmedizinische Versorgung durch die gestiegene Zahl niedergelassener Fachärzte für Gerontologie auch im ambulanten Bereich verbessert. 87 Auch die Qualität des Wohnens ist nicht eindeutig im stationären oder im ambulanten Bereich als besser einzustufen. Einerseits leben ältere Menschen häufiger als der Rest der Bevölkerung in kleinen, unkomfortablen Wohnungen. 29% der rund 8 Millionen "Altenhaushalte" in Deutschland weisen Ausstattungsmängel auf, fast 5 % verfügen über kein eigenes Wc. 88 Gelegentlich scheitert deswegen 8~

86 87

88

Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 139 ff. Lind, SF 1995, S. 31, 34 f. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 154, 155. Bundesregierung, Zweiter Altenbericht, BT-Drs. 13/9750, S. 103.

6 O'Sullivan

82

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

der Einsatz technischer Pflegehilfen, oftmals sogar die eines pflegegerechten Bettes. Andererseits ist auch in vielen Senioreneinrichtungen die Wohnqualität unzumutbar.89 Dies beruht allerdings meist nicht auf Ausstattungsmängeln, sondern bereits auf der Bauweise mit oft kleinen, wenig ansprechenden Zimmern. Dagegen hat sich die private Wohnsituation älterer Menschen in den letzten Jahren verbessert.90 Für einen behindertengerechten Umbau der eigenen Wohnung gewähren die Pflegekassen nach § 40 IV SGB XI einen Zuschuß, der allerdings mit höchstens 5000,- DM je Maßnahme bei weitem zu niedrig ausfällt. Auch die medizinische Versorgung und die Wohnqualität sprechen also nicht ausschließlich für eine stationäre und gegen eine ambulante Betreuung.

4. Gewalt in der häuslichen Betreuung

Häusliche Betreuung birgt die Gefahr der Mißhandlung und Vernachlässigung der Patienten. Dieses Problem wird in Deutschland bislang kaum diskutiert. 91 Ältere Menschen sind verhältnismäßig oft Opfer körperlicher oder psychischer Gewalt aus dem sozialen Nahbereich. 92 1991 wurden in Deutschland 340.000 Menschen über 60 Jahren mißbraucht und weitere 370.000 vernachlässigt.93 Hierbei sind Pflegebedürftige besonders gefahrdet. Mißhandlungen Älterer sind keine spezielle Erscheinung einer bestimmten Betreuungsform. Gewalt und Vernachlässigung gibt es auch in Heimen und bei der Versorgung durch kommerzielle Pflegedienste. 94 Möglicherweise ist sie jedoch in der Familienbetreuung häufiger zu verzeichnen. Hierfür sprechen die fehlende Öffentlichkeit und die starke Tabuisierung familialer Gewalt in unserer Gesellschaft, wie sie sich bei der Diskussion um die Kindesrnißhandlung zeigt. Auch sind familienangehörige Betreuer oft einer stärkeren Belastung ausgesetzt als kommerzielle und professionelle Pflegekräfte und fühlen sich in der Betreuung gefangen. Gewalt gegen Ältere und Betreuungsbedürftige ist eine erhebliche Gefahr häuslicher Betreuung. Sie kann aber verhindert werden und spricht nicht grundsätzlich gegen die Betreuung in den Familien. Vor allem müssen die Betreuer ausreichend unterstützt und entlastet werden, zum Beispiel durch die Sozialstationen oder andere Teile eines ,,Betreuungsverbundes,,.95 Die so eingebundenen professionellen Helfer müssen auf die Betreuungsverhältnisse zugehen und dürfen nicht warten, bis ihre Unterstützung abgefordert wird. Eine solche Zusammenarbeit zwischen fa89

90 91 92

93 94

9S

Lind, SF 1995, S. 31,33. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 155. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 23, Nr. 69. Szymczak, SozSich 1997, S. 57. Szymczak, SozSich 1997, S. 57, 59. Mohl, S. 134, 140; Szymczak, SozSich 1997, S. 57, 59. Zum sozialen Betreuungsverbund siehe unten Kap. 5 11.

4. Kap.: Förderungswürdigkeit der Betreuung

83

milienangehörigen Betreuern und Kräften von außen brächte nicht nur eine Entlastung, sondern auch eine gewisse Kontrolle des alltäglichen Lebens in der Familie. 5. Ergebnis

Aus der Sicht der Betreuungsbedürftigen sprechen die überwiegenden Gründe für die ambulante Pflege durch Angehörige oder andere unentgeltlich tätige Kräfte. Die Nachteile dieser Betreuungsform können und müssen durch sozialpolitische Begleitmaßnahmen gemildert und beseitigt werden.

ill. Die Bedeutung für die Betreuungspersonen

Für die Betreuer bedeutet ihre Tätigkeit oft eine sehr starke Belastung. Private Betreuung ruht auf zu wenigen Schultern. Aus einem Vergleich der 3,5 Mio Betreuer und der 3,3 Mio Betreuungsbedürftigen96 ergibt sich, daß jeder Betreute durchschnittlich 1,06 Helfer hat. Meistens erbringt also eine einzige Hilfsperson die gesamte Arbeit. Hinzu kommt die hohe Intensität der Betreuung. Zwar ist nur ein Teil der Betreuungsbedürftigen im engeren Sinne pflegebedürftig. Daher müssen überwiegend nur einzelne unterstützende Leistungen oder hauswirtschaftliche Hilfen erbracht werden. Oft umfaßt die Betreuung jedoch auch die Grundpflege eines schwer oder schwerst Pflegebedürftigen. Diese hohe Belastung wird nur selten durch Sozialstationen abgemildert. 97 Oft dauert ein Betreuungsverhältnis außerdem sehr lang. Manche Angehörige durchlaufen eine regelrechte ,,Betreuungskarriere", etwa die Ehefrau, die zunächst ihre eigenen Eltern, dann ihre Schwiegereltern und letztlich ihren Ehemann pflegt. Oft muß auch die Erwerbstätigkeit aufgeben werden. Die hohe Zahl unentgeltlich tätiger Betreuer zeigt jedoch, daß viele Menschen trotz dieser Belastungen zur Betreuung bereit sind. 98 Dies hat mehrere Gründe. So ist es denkbar, daß eine Person durch ihre uneigennützige Tätigkeit einen innerlichen, psychischen Nutzen erlangt. Gemeint ist in etwa die Befriedigung des eigenen Gewissens, wenn sie sich aus ihrer Erziehung und Sozialisation heraus zu derartigen Hilfsleistungen verpflichtet fühlt. Auch sehen manche Personen, die nicht mehr im Erwerbsleben stehen, die Pflegetätigkeit als Selbstbestätigung an und beziehen daraus eine innere Zufriedenheit. Diese Erwägungen treffen gleichermaßen auf die familieninterne wie auf eine ehrenamtliche soziale Tätigkeit zu. Ein weiterer Grund für eine positive Einstellung auch des Pflegers zu seiner Tätigkeit liegt möglicherweise auf rechtlicher Ebene, wenn er durch seine Tätigkeit 96

Siehe oben Kap. 3 1II. 1.

m Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 149 ff., 164. 98

6*

Fuchs, GesWes 1998, S. 392 ff.

84

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Verbindlichkeiten erfüllt. Möglicherweise ist es einem unterhaltspflichtigen Pfleger recht, Naturalleistungen erbringen zu können, anstatt für den meist sehr viel teureren Heimaufenthalt des Pflegebedürftigen aufkommen zu müssen. Im Ergebnis ist die starke Belastung der Betreuer nicht zu verkennen. Eine ergänzende professionelle Hilfe aus dem ,,Betreuungsverbund" kann sie jedoch abmildern. Außerdem sind viele Betreuer auch aus eigenem Interesse zu ihrer Tätigkeit bereit.

IV. Die Kosten der verschiedenen Betreuungsfonnen Die Kosten der verschiedenen Betreuungsformen müssen vor allem aus gesellschaftlicher Sicht bewertet werden, weil der Sozialstaat über die Pflegeversicherung, aber auch über die sozialhilferechtliche Hilfe zur Pflege diese Aufwendungen ganz oder teilweise übernimmt. Aber auch für die Betreuungsbedürftigen und ihre Angehörigen ist diese Frage erheblich, denn da die soziale Pflegeversicherung nur eine Grundsicherung sicherstellt, bleiben viele Betreuungsbedürftige auf den Unterhalt ihrer Angehörigen oder die regreßfähige Sozialhilfe angewiesen.

1. Die Kosten der verschiedenen Betreuungsarten im Einzelfall

Für eine stationäre Betreuung müssen erhebliche finanzielle Mittel aufgewandt werden. So kostet die bloße Grundversorgung in einer Einrichtung 3000,- bis 3500,- DM im Monat. 99 Die höchste Pflegestufe erfordert bis zu DM 6000,_.100 Dagegen verursacht eine ambulante Pflege erheblich geringere Kosten. So wandten ambulant Betreute für ihre Grundversorgung schon 1991/1994 nur 527,bis 739,- DM auf. 101 In diesen Durchschnittswert sind allerdings entgeltliche und unentgeltliche Leistungen eingeflossen, weil im ambulanten Bereich auch ehrenamtlich gearbeitet wird. 102 Außerdem ist die ambulante Versorgung meist nicht so umfangreich wie in einem Heim. Daher können diese Werte kaum verglichen werden. Allgemein läßt sich aber sagen, daß eine unentgeltliche Betreuung für den Betreuten wenige Kosten verursacht, weil er für die mittelbaren Einbußen des Betreuers, zum Beispiel seinen Verdienstausfall, nicht aufkommen muß.

Schneek10th u. a.,Pflegebedürftige, S. 192. BT-Drs. 12/5262, S. 66; Berechnung nach Garg, S. 19. 101 Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 198. 102 Udsching, § 3. Rn. 2; BT-Drs. 12/5262, S. 90.

99

100

4. Kap.: Förderungswtirdigkeit der Betreuung

85

2. Die gesamten Kosten der verschiedenen Betreuungs/ormen

Die hohen Kosten der stationären und der kommerziellen ambulanten Betreuung führen dazu, daß wenige Betreuungsbedürftige in der Lage sind, den gesamten Aufwand allein zu tragen. So konnten bereits 1992 nur 32% der 361.489 stationär untergebrachten Pflegebedürftigen ihren Heimaufenthalt vollständig selbst finanzieren. 103 Für alle anderen mußten ganz oder teilweise Sozialleistungsträger einspringen. Auch 14% der ambulant Gepflegten und 6% der Hilfebedürftigen bezogen schon vor der Einführung der sozialen Pflegeversicherung öffentliche Leistungen. 104 Pflegebedürftige konnten soziale Leistungen bis 1995 weitgehend nur als Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG a.F. erhalten. Die weiteren Ansprüche aus § 26c BVG und § 558 RVO waren unbedeutend. Auch die Hilfe der Krankenversicherung für Schwerpflegebedürftige nach §§ 53 ff. SGB Va.F. ab 1988 betraf nur einen kleinen Personenkreis. Daher können die sozialen Kosten der Pflegebedürftigkeit bis zur Einführung der Pflegeversicherung annährungsweise nach den Ausgaben der Hilfe zur Pflege nach dem BSHG und der Zahl ihrer Empfänger ermittelt werden: lOS

20,------------------------------------------1--------~

1970 bis 1991: alte Bundesrepublik

ab 1991: Gesamtdeutschland

15

10

5 8:

Pflegegeldempfllnger in 100.000 Personen

o+---~-+--~--~-+--~--~-+--~--~r-----~

Imlml~

Imlm1~lml~lmlml~lml~l~

Abbildung 7: Empfänger und Zahlungen von Hilfe zur Pflege bis 1996

Krug/Reh, Pflegebedürftige in Heimen, S. 26. Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 200. lOS Berechnet aus: Statistische Jahrbücher 1972, Tab. XIX E 1, S. 392; 1977, Tab. 18.10, S. 377; 1985, Tab. 18.10, S. 411; 1989, Tab. 19.10, S. 413; 1993, Tab. 19.10, S. 513; 1995, Tab. 19.13, S. 475; 1997, Tab. 19.13.5, S. 480; 1998, Tab. 19.14.4, 19.14.5, S. 464 f. 103

104

86

Teil B: Oie rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Die Leistungen der Hilfe zur Pflege betrugen 1970 etwa 1,107 Mrd. DM. In der Folgezeit stiegen sie stetig an. Auch die Ansprüche für Schwerpflegebedürftige nach §§ 53 ff. SGB V a.F. ab 1988 hatten keinen signifikanten Einfluß auf diese Entwicklung. Ihren Höchststand erreichten die Ausgaben 1994 mit 17,7 Mrd. DM. 106 Erst durch die soziale Pflegeversicherung sind sie wie erwartet lO7 zurückgegangen. Schon 1995 lagen sie nur noch bei 17,4 Mrd. DM,108 obwohl die Pflegekassen die vollen Leistungen auch für die häusliche Pflege erst 1996 übernahmen. 1996 dann sind die sozialhilferechtIichen Leistungen für die Pflege auf 13,887 Mrd. DM gesunken. 109 Zusätzlich betrugen im selben Jahr die Ausgaben der neuen sozialen Pflegeversicherung insgesamt 21,38 Mrd. DM. 11O Die Zahl der Hilfeempfänger lag 1970 bei 260.000 und stieg in der alten Bundesrepublik bis 1991 auf 543.000 an. Sie lag 1996 nur noch bei 426.000 Menschen. 1I1 Wahrend also von 1970 bis zu den Höchstständen 1992 bis 1994 die Leistungen um das Sechzehnfache stiegen, hat sich die Zahl der Empfanger nur verdoppelt. Gestiegen sind demnach die Kosten des einzelnen Pflegefalles. Die hohen Pflegegeldleistungen nach § 68 ff. BSHG a.F. dienten überwiegend der stationären Pflege, obwohl auch die ambulante Pflege schon immer pflegegeldberechtigt war und nach § 3a BSHG sogar einen gewissen Vorrang genoß. Erst seit Beginn der öffentlichen Diskussion um die Absicherung des Pflegerisikos wurden auch für die ambulante Pflege verstärkt Ansprüche nach dem BSHG geltend gemacht. So erklärt sich der Anstieg der Pflegegeldempfanger Mitte der achtziger Jahre. Auch seit Einführung der sozialen Pflegeversicherung wird der überwiegende Teil der Sozialhilfe zur Pflege für die stationäre Betreuung erbracht. Die Sozialhilfeabhängigkeit stationär Gepflegter hat sich also kaum verringert. 112 Diese Unterschiede bei den Aufwendungen für die verschiedenen Betreuungsformen zeigen, wie erheblich preiswerter die unentgeltliche Hausbetreuung für die öffentliche Hand ist. Wegen dieser unterschiedlichen Kostenniveaus hat die soziale Pflegeversicherung die Leistungen für die drei Betreuungsformen der Höhe nach gestaffelt. Für die unentgeltliche häusliche Betreuung steht lediglich das Pflegegeld nach § 37 I S. 3 SGB XI zur Verfügung, das erheblich unter den Leistungen für vollstationäre Pflege nach § 43 n S. 1 SGB XI, aber auch unter dem Wert der Sachleistungen für die kommerzielle ambulante Pflege nach § 36 m SGB XI liegt. Der Gesetzgeber 106 107

108 109

110 111 112

Statistisches Jahrbuch 1997, Tab. 19.13.5, S. 480. BT-Drs. 12/5262, S. 61 f. Statistisches Jahrbuch 1997, Tab. 19.13.5, S. 480. Statistisches Jahrbuch 1998, Tab. 19.14.5, S. 465. Bundesarbeitsministerium, Bericht, Tab. 4.1, S. 37. Statistisches Jahrbuch 1998, Tab. 19.14.4, S. 464. Rothgang/Vogler, WO 1998, S. 157,161.

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

87

wollte mit dem Pflegegeld dem Empfanger nur ermöglichen, seinen pflegenden Angehörigen, Freunden oder Nachbarn für ihre Opferbereitschaft eine Anerkennung zu gewähren. 113 Der unentgeltliche Charakter dieser Dienstleistungen sollte erhalten bleiben.

3. Bewertung des Kostenarguments

Die unentgeltliche ambulante Betreuung ist demnach nicht nur für den Betreuungsbedürftigen selbst die preisgünstigste Betreuungsform. Sie entlastet auch die Pflegekassen und die Sozialhilfeträger erheblich. Dem stehen die Belastungen und mittelbaren EinbuBen der unentgeltlich tätigen Betreuer gegenüber. 114 Ein Teil der Einsparungen kann jedoch als Entschädigung an die Betreuer geleitet werden und ihre Belastung so abmildern. Einen ersten, aber erweiterungsbedürftigen l1S Schritt in diese Richtung stellt das Pflegegeld nach § 37 SGB XI dar. Auch die Kostenbelastung spricht also für eine Stärkung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung.

v. Endergebnis Nach alledem ist ein Ausbau der unentgeltlichen ambulanten Betreuung wünschenswert. Er ist nötig, denn angesichts der in Zukunft ansteigenden Zahl Betreuungsbedürftiger wären die Kosten einer stationären oder auch nur einer ambulanten Versorgung durch kommerzielle Pflegedienste für die Sozialkassen hoch. Und er ist auch möglich, weil mit dem Rückgang der Erwerbsarbeit ausreichend freie Zeit und eine wachsende Bereitschaft zu ehrenamtlicher und sozialer Arbeit entstehen. Kapitel 5

Einzelne Maßnahmen zur Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung und ihre Bewertung Diese Förderung bedarf mehrerer unterschiedlicher Maßnahmen. Im folgenden wird zunächst untersucht, welchen Kriterien sie genügen müssen, um erfolgreich zu sein. Sodann werden beispielhaft einige sozialpolitische und sozialrechtliehe Schritte dargestellt. Zuletzt wird herausgearbeitet, wie das Zivilrecht zu dieser Förderung beitragen kann und warum eine ausdrückliche zivilrechtliche Regelung für diesen Bereich nicht vorhanden ist. BT-Drs. 12/5262, S. 112 f. Frieling-Sonnenberg, SF 1995, S. 29. m Siehe zur Frage einer Erhöhung des Pflegegeldes im einzelnen unten Kap. 5 11 2.

113

114

88

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

I. Kriterien für einzelne Fördermaßnahmen Alle sozialpolitischen, sozialrechtlichenund zivilrechtlichen Maßnahmen müssen einerseits einen Anreiz vermitteln, eine Betreuung zu übernehmen und weiterzuführen, andererseits dürfen sie aber die Vorteile der Unentgeltlichkeit nicht zerstören. Es müssen also die Anreizwirkung und die weiteren Vorteile mit den nachteiligen Auswirkungen abgewogen werden. Allerdings darf nicht jede Maßnahme nur allein betrachtet werden, denn in vielen Fällen wird eine positive Auswirkung auch vom Zusammenspiel mehrerer Maßnahmen auf unterschiedlichem Gebiet abhängen. 1. Der Erhalt der Freiwilligkeit der unentgeltlichen Betreuung

Eine Betreuung ist positiv zu bewerten, wenn sie eine persönliche Beziehung enthält und der Betreuer auf die individuellen Bedürfnisse des Betreuten eingeht. Dies setzt voraus, daß er die Betreuung freiwillig leistet und positiv bewertet. Wenn er sich zu der Arbeit gezwungen fühlt oder sie als nachteilhaft empfindet, wird er sich bewußt oder unbewußt auf die notwendigsten Hilfen beschränken. In diesem Bereich ist auch eine Ursache der Mißhandlung von Pflegebedürftigen zu sehen. 116 Freiwilligkeit und positive Einstellung müssen während der Betreuung weiterbestehen. Zwar verursacht in einem schon bestehenden Betreuungsverhältnis die starke Abhängigkeit des Betreuten von weiteren Leistungen einen psychischen Zwang. Freiwilligkeit liegt jedoch auch noch vor, wenn sich der Betreuer nicht allein aufgrund dieses Zwanges zur Betreuung entschließt.

a) Freiwillige und altruistische Tätigkeit Freiwillige und unentgeltliche Tätigkeit ist nicht unbedingt uneigennützig. Schon eine äußerlich vollständig altruistische Tätigkeit kann aus einem inneren Wunsch nach Beschäftigung oder Selbstbestätigung entstehen. 117 Diese Erwägungen spielen oft eine Rolle, wenn Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden und eine andere Aufgabe suchen. Auch die Dankbarkeit für die eigene Erziehung durch die jetzt betreuungsbedürftigen Eltern gehört dazu. Nicht mehr altruistisch, aber immer noch freiwillig ist eine Betreuung, die in der Hoffnung auf entsprechende Gegenleistungen erbracht wird. Bei der Pflege ist dies oft die Erwartung einer späteren Zuwendung von Todes wegen. Ebenso ist es denkbar, daß der Betreuer bereits als Erbe eingesetzt ist und seine spätere Erbschaft entlasten und erhalten möchte. 116

117

Siehe hierzu oben Kap. 4 11 4. Paulwitz, S. 195 f.

5. Kap.: Einzelne Fördermaßnahmen und ihre Bewertung

89

In anderen Fällen folgt die Betreuung dagegen aus einem inneren, unterschiedlich starken psychischen Zwang. Hierzu gehören moralische Verpflichtungen oder religiöse Bindungen, zum Beispiel das christliche Gebot der Elternehrung. 118 Manche Angehörige fühlen sich auch zur Betreuung verpflichtet, weil die Familie oder das soziale Umfeld diese Tätigkeit ausdrücklich oder stillschweigend erwarten. In einigen Bereichen der Gesellschaft wie in ländlichen Dorfgemeinschaften besteht sogar noch eine soziale Erwartung zur Betreuung, die von Nachbarn und anderen Nichtverwandten ausgeht. Auch aus inneren Gründen kann sich der Betreuer gezwungen fühlen. Möglicherweise verlangt sein Gewissen aufgrund seiner Sozialisierung die Betreuung oder er verspürt für frühere Zuwendungen des Betreuten Dankbarkeit. In allen diesen Fällen kann die Arbeit nur dann als freiwillige angesehen werden, wenn der innere Zwang nicht so stark ist, daß eine bewußte Entscheidung unmöglich wird.

Die unentgeltliche Betreuung muß freiwillig sein. Sie kann jedoch aus eigennützigen Motiven heraus geschehen. Oftmals entspringt sie sogar einem rationalen Kalkül über ihren Nutzen und ihre Nachteile. b) Struktur und Wirkung äußerer Anreize für eine freiwillige Betreuung Unabhängig von ihrer Eigennützigkeit kann die freiwillige Betreuung von außen beeinflußt und gesteuert werden. Auch altruistisches Verhalten ist äußeren Anreizen zugänglich. 119 Dies gilt auch innerhalb der Familie und ähnlicher sozialer Nähebeziehungen. Hier herrschen gleiche oder ähnliche Anreize wie in den monetär geprägten Segmenten des Marktes. 120 Allerdings können sie schwieriger beobachtet werden, weil es einen offenen Markt für familiäre Güter nicht gibt. Auch das Zivilrecht berücksichtigt vor allem das marktkonforme System des synallagmatischen Leistungsaustausches. Daneben bestehen aber erheblich subtilere Austauschbeziehungen in Familie und sozialem Nahbereich, 121 die das Zivilrecht kaum zur Kenntnis nimmt. Die äußeren Anreize zur Betreuung dürfen nur nicht den Grad psychischen Zwanges erreichen. Die Freiwilligkeit muß gewahrt bleiben. Eine durchsetzbare Pflicht zur Betreuung ist daher abzulehnen. Dies entspricht der rechtlichen Wertung des Vollstreckungsverbots in § 888 m ZP0 122 n.F. 123 Rechtsordnung und SoBibel; Ex. 20, 12; Dt. 5, 16. Becker, S. 317, 320 ff. 120 Becker, S. 7 ff. 121 Struck, FuR 1996, S. 119, 121. 122 Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877 (RGBl. 1877, S. 83) Ld.F. der Neubek. vom 12. September 1950 (BGBl. 1950, S. 533). 123 Der frühere § 888 11 ZPO wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I 1997, S. 3039) zu § 888 III. 118 119

90

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

lidargemeinschaft können lediglich mit äußeren Anreizen eine bereits vorhandene Bereitschaft fOrdern. Hierdurch bleibt die Freiwilligkeit der Tätigkeit meist unberührt. 124 Die Anreize müssen die negativen Folgen der Tätigkeit für die Betreuungsperson ausschließen oder ausgleichen, denn erhebliche Nachteile, die noch über die bloße Belastung durch die Tätigkeit hinausgehen, können eine vorhandene Betreuungsbereitschaft zerstören. Auch positive Anreize sind sinnvoll, etwa eine Honorierung oder sonstige Anerkennung der freiwilligen Arbeit. Eine Vergütung darf hieraus aber nicht entstehen, weil dies zu einer weiteren Kommerzialisierung der ambulanten Betreuung führen und ihre Unentgeltlichkeit zerstören würde.

2. Berücksichtigung der Kosten einzelner Maßnahmen Wenn eine sozialpolitische oder rechtliche Maßnahme in diesem Sinne positive Anreize für die unentgeltliche Betreuung setzt, muß dieser Erfolg vor allem mit der finanziellen Belastung des Betreuungsbedürftigen abgewogen werden. Ihn würde nicht nur ein Vergütungsanspruch des Betreuers belasten. Auch durch Ansprüche auf Aufwendungsersatz, einen Freistellungsanspruch, eine Haftungsmilderung oder andere Vorteile des Betreuers erlitte der Betreute direkte oder mittelbare Einbußen. Diese finanzielle Belastung kann ihm die Solidargemeinschaft abnehmen. Dies muß nicht durch direkte Leistungen geschehen. Häufiger werden die Sozialleistungsträger nur mittelbar belastet. Die Kosten für einen Gesundheitsschaden des Betreuten beispielsweise tragen die Krankenkassen. Sie nutzen jedoch ihre Regreßmöglichkeiten nach § 116 I SGB X nicht aus. Ihre Einnahmen aus dieser Quelle betrugen 1970 nur 0,62 % ihrer Gesamtausgaben. 125 Diese faktische Freistellung des Betreuers würde durch eine zivilrechtliche Haftungsmilderung festgeschrieben, denn die Leistungspflicht der Krankenkassen bliebe bestehen. Allerdings dürfen auch die gesellschaftlichen Kosten der unentgeltlichen Betreuung nicht zu stark ansteigen. Auch rein zivilrechtliche Schritte wie eine Haftungsmilderung haben wie gezeigt oft finanzielle Auswirkungen für die öffentliche Hand. Es müssen also die optimalen Förderungen gewählt werden. Angesichts der erheblichen Einsparungen der unentgeltlichen ambulanten im Vergleich zu den anderen Betreuungsformen steht der Rechtsordnung jedoch ein großer Spielraum zur Verfügung, diese Betreuungsform zu fOrdern und gleichzeitig ihre Vorteilhaftigkeit zu erhalten. Es ist lediglich darauf zu achten, daß die Aufwendungen für die Fördermaßnahmen nicht höher anwachsen als die Einsparungen durch die unentgeltliche Betreuung.

124 125

Zum rationalen Kalkül in Ehe und Familie siehe Becker, S. 214 ff. Wagner, JZ 1991, S. 175, 179.

5. Kap.: Einzelne Fördetmaßnahmen und ihre Bewertung

91

3. Mögliche andere negative Auswirkungen

Neben den Kosten müssen auch andere negative Auswirkungen einer Maßnahme in eine folgenorientierte rechtspolitische Diskussion über die Förderung der unentgeltlichen Betreuung eingestellt werden. So könnte beispielsweise eine Haftungsmilderung für den Betreuer das Sorgfaltsniveau seiner Tatigkeit absenken und dadurch zusätzliche Schäden auf Seiten des Betreuten verursachen. 126

11. Sozialpolitische und sozialrechtliche Beiträge zur Förderung Stärker als das Zivilrecht können Sozialrecht und Sozialpolitik die unentgeltliche Hausbetreuung fOrdern. Aus diesen Bereichen soll im folgenden je eine Maßnahme dargestellt werden, die einen engen Bezug zur unentgeltlichen Hausbetreuung hat. 1. Die Einrichtung eines .. Betreuungsverbundes" als sozialpolitisches Ziel

Sozialpolitisch sind die Errichtung und der Ausbau eines ,,Betreuungsverbundes" nötig. 127 Dies ist ein funktionstüchtiges Netz professioneller sozialer Einrichtungen zur Unterstützung und Ergänzung der unentgeltlichen oder familialen Betreuung. Bausteine eines solchen Verbundes sind vor allem ortsnahe Sozial- und Diakoniestationen und ausreichend viele teilstationäre Einrichtungen für die Tagesbetreuung und die Kurzzeitpflege nach § 8 TI S. 2 Hs.2 i.V.m. §§ 41, 42 SGB XI. a) Die Aufgaben von Sozialstationen und teilstationären Einrichtungen Aufgabe der Sozialstationen ist die ergänzende und unterstützende Betreuung in den Familien und den anderen Betreuungsverhältnissen. Eine zusätzliche professionelle Betreuung würde die erheblichen körperlichen und psychischen Belastungen der Betreuungspersonen durch die langwierige und intensive Arbeit abmildern und gleichzeitig eine gewisse Kontrolle der Betreuungsverhältnisse ermöglichen. Daneben sollten die Sozialstationen leichtere Betreuungsverhältnisse auch vollständig übernehmen. Auf diese Weise könnten auch solche Betreuungsbedürftigen, die nicht auf Angehörige oder andere private Helfer zurückgreifen können, in ihrem bisherigen Haushalt verbleiben. Hierzu müssen die Stationen eng mit Ärzten und anderen Einrichtungen wie den Essensdiensten zusammenarbeiten. 128 126 127

Zum Zusammenhang zwischen Sorgfalts- und Schadensniveau Schäfer/On, S. 102 ff. Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 176 ff.

92

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Neben der bloßen Unterstützung ist es oft nötig, ein Betreuungsverhältnis teilweise oder zeitweise ganz zu übernehmen. Daher sollten auch die halbstationären Einrichtungen für Kurzzeit- und Tagesbetreuung ausgebaut werden. Die Zeit einer Tagesbetreuung kann der ambulante Betreuer nutzen, um seinen eigenen Haushalt zu versorgen, aber auch, um sich zu erholen. Auch kann die halbstationäre Einrichtung einzelne Betreuungsleistungen erbringen, die ambulant nicht möglich sind, beispielsweise das Spritzen oder eine andere medikamentöse Behandlung. Eine Kurzzeitbetreuung dagegen ermöglicht dem Betreuer beispielsweise einen Urlaub oder eine Kur, aber auch die Gesundung bei einer eigenen Erkrankung. Beide Betreuungsarten sind in § 41 und § 42 SGB XI inzwischen anerkannt und werden von den Pflegekassen finanziert. Die Kurzzeitbetreuung konkurriert insoweit mit der häuslichen Pflege bei Verhinderung nach § 39 SGB XI.

b) Die Defizite des Betreuungsverbundes in Deutschland Sozialstationen und teilstationäre Betreuungseinrichtungen sind Teil eines Netzes öffentlicher Einrichtungen zur Versorgung der Bevölkerung mit nichtkommerzieHen ambulanten sozialen Dienstleistungen. Zu ihm gehören auch die Kindertagesstätten nach §§ 22 ff. SGB VIII I29 , Fördereinrichtungen für Behinderte oder die überbetrieblichen Ausbildungsstätten der Berufsf6rderungswerke nach §§ 60, 235 ff. SGB m 13o. Dieses Netz sozialer ambulanter Einrichtungen war in den alten Bundesländern lange Zeit wenig ausgebaut. In der staatlichen Sozialpolitik stand die Geldleistung im Vordergrund, während beispielsweise die DDR stärker auf ambulante Einrichtungen setzte. Erst die Pflegeversicherung hat die Förderung ambulanter Dienste in § 8 n S. 1,2 SGB XI zum rechtlichen Ziel erklärt. 131 In Westdeutschland waren in der Betreuung zunächst nur die Diakoniestationen der Kirchen und einige gemeinnützige Vereine tätig. Erst in den sechziger Jahren begann der Aufbau kommunaler Sozialstationen. Zwar wurde alsbald eine rechnerisch flächendeckende Versorgung erreicht. Jedoch war der Verteilung ungleichmäßig, vor allem in ländlichen Gebieten verblieben viele Aufgaben bei kirchlichen und privaten Trägem. J32 Hinzu kam eine ,,Identitätskrise" der staatlichen Sozialstationen. Ursachen hierfür waren Differenzen mit den Diakoniestationen und eine lange Auseinandersetzung zwischen den Anhängern großer "Sozialzentren" und dezentraler Kleineinrichtungen. J33 AuBrandt u. a., Ambulante Dienste, S. 178. Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe, verkündet als Art. I Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (KJHG) vom 26. Juni 1990 (BGBI. I 1990, S. 1163). 130 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung, verkündet als Art. 1 Gesetz zur Reform der Arbeitsförderung (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBI. 11997, S. 594). 131 BT-Drs. 1215262, S. 92. 132 Brandt, Ambulante Dienste, S. 1 f. 128

129

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

93

ßerdem beschränkten sich viele Stationen wegen des Ausschlusses der Pflegebedürftigkeit aus der Sozialversicherung auf Kranken-und Behandlungspflege. All dies hat den quantitativen und qualitativen Ausbau der öffentlichen ambulanten Pflege verhindert. Dies zeigt auch der Erfolg der kommerziellen Pflegedienste seit den achtziger Jahren. 134 Entsprechend dem defizitären Angebot war lange Zeit auch die Nachfrage nach öffentlicher ambulanter Pflege niedrig. In der Bevölkerung herrschte oft Unkenntnis über Aufgaben und Angebote der Sozialstationen und der anderen Einrichtungen zur Betreuung. Außerdem scheuten manche Betroffene, Angehörige und Nachbarn davor zurück, öffentliche und soziale Hilfe anzufordern.

c) Einzelne Schritte zur Verbesserung der öffentlichen ambulanten Betreuung Sozialstationen und Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege müssen also ihr Angebot quantitativ und qualitativ den Bedürfnissen der Betreuungsbedürftigen und ihrer Hilfskräfte anpassen. Beispielsweise wäre es für sie sinnvoll, die Pflegekurse für Angehörige und andere ehrenamtliche Pflegekräfte anzubieten, die nach § 45 I, n Hs.2 SGB XI die Pflegekassen finanzieren, aber nicht selbst durchführen müssen. Außerdem können sie sich verstärkt in der Vertretung verhinderter unentgeltlicher Pflegepersonen engagieren. Die Kosten hierfür übernehmen nach § 39 SGB XI die Pflegekassen. Hierdurch kann eine stationäre Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI vermieden werden. Letztlich müssen die Sozialstationen ihre Tätigkeit öffentlicher machen und stärker dafür werben. So könnten sie entsprechend dem gesetzlichen Auftrag aus § 7 n S. 1 SGB XI über die Angebote der Sozialversicherung unterrichten.

2. Sozialrechtliche Maßnahmen im Bereich des Pflegegeldes

Sozialrechtlich erscheint vor allem eine Erhöhung der Pflegeleistungen positiv. Die Leistungen der Pflegeversicherung sind nicht dynamisiert, sondern müssen nach § 30 SGB XI durch Rechtsverordnung dem Anstieg der Lebenshaltungskosten angepaßt werden. Jeder Verzicht auf diese Anpassung bedeutet einen realen Leistungsabbau. 13s Dagegen haben die Pflegekassen hohe Rücklagen bilden können. Zwar würde eine Ausweitung der Leistungen bald zu steigenden Beiträgen führen und ist daher abzulehnen. 136 Mit einem Teil der Rücklagen können aber die 133 134 135 136

Brandt, Ambulante Dienste, S. 2. Siehe hierzu oben Kap. I 11. 2. Rothgang/Vogler, WD 1998, S. 157, 161. Rothgang/Vogler, WD 1998, S. 157, 161.

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Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetteuung

Sätze der bereits vorhandenen Leistungen angepaßt werden. Allerdings darf beispielsweise eine Erhöhung des Pflegegeldes nach § 37 I S. 3 SGB XI nicht zu einer Vergütung fUhren, weil hierdurch die Unentgeltlichkeit der Betreuung beseitigt würde.

UI. Forderungen an die zivil rechtliche Ausgestaltung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung Auch die zivilrechtliehe Ausgestaltung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung muß durch eine entsprechende Anreizstruktur den Betreuer zu weiterer freiwilliger Arbeit bewegen und gleichzeitig die Unentgeltlichkeit seiner Tätigkeit erhalten.

1. Die unentgeltliche ambulante Betreuung als besonderes Rechtsverhältnis

Die grundlegende Frage dieser Arbeit richtet sich darauf, ob die unentgeltliche ambulante Betreuung ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis zwischen Betreuungsperson und Betreutem darstellt. Im folgenden wird zunächst dargelegt, warum die Betreuung in dieser Art als Sonderrechtsbeziehung eingestuft werden sollte und in welcher Weise dieses Rechtsverhältnis begründet und beendet werden sollte. Danach werden einzelne wünschenswerte zivilrechtliehe Regelungen dargestellt, die zur Förderung der unentgeltlichen Betreuung beitragen können.

a) Sinn einer Erfassung als Rechtsverhältnis Die Einordnung der unentgeltlichen ambulanten Betreuung als Rechtsverhältnis ermöglicht es, den Leistungen beider Seiten, vor allem der Betreuung selbst, einen Rechtsgrund zu geben. Ebenso kann das ganze Betreuungsverhältnis rechtlich in angemessener Form ausgestaltet werden, wenn es eine Rechtsbeziehung ist. Eine besondere Regelung über eine mildere Haftung des Betreuers zum Beispiel würde auch die deliktische Schadensersatzpflicht aus § 823 BGB erfassen. Eine solche spezielle Ausgestaltung des Betreuungsverhältnisses ist wegen der engen und langfristigen Beziehung, wegen der Schädigungsgefahren und letztlich wegen des erheblichen Interesses der Gesellschaft 137 an dieser Betreuungsform nötig. Die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 823 ff., 812 ff. BGB tragen dem besonderen Charakter des unentgeltlichen ambulanten Betreuungsverhältnisses nicht Rechnung. 137

IV. 2.

Siehe zu den geseIlschaftlichen Kosten der kommerzieIlen Betreuung oben Kap. 4

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

95

b) Rechtsverhältnisse als Regelung sozialer Beziehungen Rechtsverhältnisse sind von anderen Beziehungen abzugrenzen. Diese können biologischer Art sein wie die Elternschaft oder aus einer rein gesellschaftlichen Sphäre stammen wie Freundschaft oder Partnerschaft. Auch in diesen Verhältnissen können moralische oder sittliche Regeln bestehen. Zum Rechtsverhältnis werden sie aber nur, wenn sie das Recht als rechtlich erheblich anerkennt und ausgestaltet. Ein Rechtsverhältnis knüpft also an eine außerrechtliche Beziehung an. Beispielsweise regelt das Nachbarrechtsverhältnis der §§ 906 bis 924 BGB die soziale Nachbarschaftsbeziehung. Das rechtliche Eltern-Kind-Verhältni& muß wegen Art. 6 11 S. 1 GG weitgehend die biologische Elternschaft widerspiegeln. 138 Abkopplungen wie beispielsweise die nicht biologisch begründeten Vaterschaftsanordnungen nach § 1592 Nm. 1 und 2 BGB n.F. sind nur ausnahmsweise zulässig. Und letztlich kann das Recht auch bestimmte Verhaltensweisen, mit denen Menschen in einen engeren sozialen Kontakt treten, zum Anlaß einer Regelung nehmen. Hierzu gehören alle vertraglichen, aber auch viele gesetzliche Schuldverhältnisse. Weiterhin liegt ein Rechtsverhältnis jedoch nur dann vor, wenn das Recht eine solche außerrechtliche Beziehung oder Handlung nicht nur deskriptiv zur Kenntnis nimmt, sondern dieses Lebensverhältnis außerdem einer normativen Regelung unterwirft. 139 Dies klingt in der alten Definition des Rechtsverhältnisses als eines ,,rechtlich geregelten Lebensverhältnisses" an. 140 Eine außerrechtliche Beziehung wird dann normativerfaßt, wenn das Recht einem Beteiligten subjektive Rechte gewährt oder seine Interessen sonst rechtlich schützt und den anderen Beteiligten entsprechend einer Pflicht oder einer anderen rechtlichen Gebundenheit unterwirft. 141 Ein Rechtsverhältnis muß also nicht unbedingt vollwertige Rechte und Pflichten enthalten. Sieht es Rechtsansprüche im Sinne von § 194 I BGB vor, so ist es als Schuldverhältnis nach § 241 BGB anzusehen oder wie das Unterhaltsverhältnis einem Schuldverhältnis zumindest ähnlich. Neben der primären Leistungspflicht können jedoch auch Neben- und Schutzpflichten bestehen. Außerdem sind Rechtsverhältnisse ohne jede Hauptleistungspflicht anerkannt, die lediglich Schutzpflichten enthalten. 142 Beispiele sind die Haftung aus culpa in contrahendo, einige Formen der positiven Forderungsverletzung und der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Und letztlich muß ein Rechtsverhältnis überhaupt keine Ansprüche enthalten und kann sich statt dessen auf weniger weitreichende Rechtswirkungen beschränken. 143 Ein Beispiel hierfür ist die 138 139

140 141 142 143

BVerfGE 92, 158, 177. Medicus, AT, Rn. 55. Zu dieser Definition kritisch Medicus, AT, Rn. 54, 56. Larenz/Wolf, § 13, Rn. I. Palandt/Heinrichs, vor § 241, Rn. 8. Medicus, AT, Rn. 59.

96

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

Pflichtteilsberechtigung nach § 2303 BGB. Sie ist ein Rechtsverhältnis zwischen dem noch lebenden Erblasser und dem Berechtigten, beschränkt sich aber auf den Schutz einer bloßen Erwerbsaussicht. Ein weiteres ist die Bevollmächtigung nach §§ 166 11, 167 BGB, die unabhängig von dem zugrundeliegenden Auftrag oder Dienstvertrag ein eigenständiges Rechtsverhältnis darstellt. Ein Rechtsverhältnis liegt also dann vor, wenn eine soziale oder sonstige außerrechtliche Beziehung von der Rechtsordnung anerkannt und mit Rechtswirkungen gleich welcher Intensität ausgestattet ist.

c) Das relative Rechtsverhältnis als Beziehung zwischen Personen Das Zivilrecht verwendet den Begriff des Rechtsverhältnisses in dieser Allgemeinheit nicht. Statt dessen regelt es einzelne Formen solcher Beziehungen, zum Beispiel das Schuldverhältnis. Aus den speziellen Vorschriften lassen sich aber einige Grundlagen entnehmen. So können Rechtsverhältnisse nur zwischen Rechtssubjekten, also Personen bestehen. Gelegentlich wird auch das Verhältnis einer Person zu einem Rechtsobjekt wie einer Sache, also ein absolutes Recht wie das Eigentum, als Rechtsverhältnis bezeichnet. Gerade das ungestörte Eigentum zeigt aber, daß hier allenfalls ein "latentes Rechtsverhältnis" vorliegt,l44 denn eine Rechtswirkung zeitigt ein absolutes Recht nur gegenüber anderen Personen, wenn diese den Berechtigten stören. 14S Rechtsverhältnisse in diesem - engeren - Sinne sind also relativ.

d) Relative Familienrechtsverhältnisse Zu den relativen Rechtsverhältnissen gehören die familienrechtlichen Beziehungen. Entsprechend dem überaus hohen Anteil familienangehöriger Betreuer werden in dieser Arbeit zunächst sie untersucht. Sie sind besonders komplexe Rechtsbeziehungen, weil sie sich nicht auf einzelne Rechtsansprüche beschränken, sondern die soziale Beziehung zum jeweiligen Angehörigen vollständig umfassen. Allerdings ist die Regelungsintensität unterschiedlich. So kennt die Schwägerschaft kaum konkrete Regelungen, dagegen sind Ehe und Verwandtschaft sehr detailliert erfaßt. Innerhalb des jeweiligen familialen Gesamtrechtsverhältnisses sind im Familienrecht einzelne, besonders wichtige Fragen der Beziehung als eigenständige, aber eingegliederte Rechtsverhältnisse geregelt. Zwischen Eltern und Kindern sind dies der Unterhalt und die elterliche Sorge. In der Ehe stehen neben den personenrechtlichen Vorschriften der §§ 1353 ff. BGB wiederum der Unterhalt nach 144 145

Larenz/Wolf, § 13, Rn. 13. Medicus, AT, Rn. 54.

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

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§§ 1360 ff., 1361 und 1569 ff. BGB und das Güterrecht als eigenständige Regelungsbereiche.

e) Das Schuldverhältnis als wichtigstes außerfamiliales relatives Rechtsverhältnis Außerhalb des Familienrechts ist das Schuldverhältnis das wichtigste relative Rechtsverhältnis. Es verpflichtet einen oder beide Beteiligte nach § 241 BGB zur Erbringung einer Leistung. Allerdings muß nicht jedes Schuldverhältnis einen solchen primären Leistungsanspruch enthalten. Schon unter den gesetzlichen Schuldverhältnissen findet sich in der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB eine Rechtsbeziehung ohne Hauptleistungspflicht, denn der Geschäftsführer ist weder zur Übernahme noch zur Fortführung seiner Arbeit verpflichtet. 146 Außerdem sind heute einige vertragliche Schuldverhältnisse anerkannt, die lediglich Schutz-, Aufklärungs- oder andere Fürsorgepflichten enthalten. Diese Pflichten werden in vollständigen Schuldverhältnissen als Nebenpflichten bezeichnet. Sie können aber auch die einzige Verbindlichkeit in einem Schuldverhältnis sein. Dies widerspricht nicht dem § 241 BGB, denn sie können auch als Hauptpflichten angesehen werden, wenn dem Schuldverhältnis ein originärer Leistungsanspruch fehlt. Und sogar wenn überhaupt kein Rechtsanspruch besteht, kann ein Schuldverhältnis vorliegen. Ein Beispiel ist die vertragliche Rechtsgrundabrede. 147 Auch wenn ein primärer Leistungsanspruch nicht Teil eines Betreuungsverhältnisses sein sollte, so kann eine solche Beziehung demnach gleichwohl als Schuldverhältnis eingeordnet werden. Entsprechend wird im sechsten Teil der Arbeit untersucht werden, ob die außerfamiliale Betreuung ein solches Schuld- oder sonstiges Rechtsverhältnis darstellt.

2. Begründung und Beendigung des Betreuungsrechtsverhältnisses

Sowohl bei Beginn wie auch am Ende der Betreuung muß vor allem die Freiwilligkeit des Entschlusses gewahrt werden. Wenn also die Betreuung ein Rechtsverhältnis darstellt, so sollte es keine rechtsverbindliche Verpflichtung zu dieser Tätigkeit und damit keinen Rechtsanspruch des Betreuten auf weitere Betreuungsleistungen enthalten, soweit sich der Betreuer nicht ausdrücklich zu seiner Tätigkeit verpflichtet hat. Selbst trotz des Vollstreckungsverbots nach § 888 m ZPO n.P. würde ein solcher Zwang den freiwilligen Charakter der unentgeltlichen Betreuung zerstören. Zumindest müssen die Begründung und die Beendigung dieses Rechtsverhältnisses von der Willkür beider Beteiligter abhängen. Insbesondere muß es jedem unentgeltlich tätigen Betreuer möglich sein, seine Tätigkeit sofort oder zumin146

147

Palandt/Sprau, § 677, Rn. 16. Willoweit, Gefälligkeit I, JuS 1984, S. 909, 913.

7 O'Sullivan

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Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

dest sehr kurzfristig und ohne besonderen Grund aufzugeben. Für den Betreuten ist es jedoch wichtig, daß seine Betreuung und vor allem die Grund- und Behandlungspflege jederzeit sichergestellt sind. Der Betreuer müßte also verpflichtet sein, die Betreuung auch nach Ende seiner freiwilligen Bereitschaft dazu zumindest solange fortzuführen, bis eine anderweitige Versorgung sichergestellt ist. Wenn er seine Betreuung also beispielsweise an einem Wochenende aufgeben möchte, sollte von ihm verlangt werden können, von seinem Entschluß die Sozialstation oder einen anderen Dienst des öffentlichen Betreuungsverbundes zu unterrichten und weiterzuarbeiten, bis dieser die Betreuung am nächsten Werktag übernehmen kann. 3. Vergütungs- und Erstattungsansprüche des Betreuers

Wegen des zweiten Ziels, die Unentgeltlichkeit der Betreuung zu erhalten, muß ein Vergütungs anspruch des Betreuers ausscheiden. Eine vollwertige Entlohnung hätte zwar umfassende positive Anreize zur Übernahme einer Betreuung. Er würde jedoch ebenso wie eine Erhöhung des Pflegegeldes nach § 37 I S. 3 SGB XI auf einen vergütungsgleichen Pflegelohn die Vorteile der unentgeltlichen Betreuung zerstören. Außerdem stellt die entgeltliche Betreuung in aller Regel einen Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB dar 148 und ist daher ausreichend und angemessen geregelt. Demnach ist auch jeder andere Erstattungsanspruch auf den ..Wert" der Tätigkeit abzulehnen. Dem Betreuer sollten also beispielsweise keine Kondiktionsansprüche wie eine condictio ob rem gegen den Pflegebedürftigen zustehen.

4. AuJwendungsersatzansprüche

Dagegen führt ein Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die dem Betreuer durch seine freiwillige Tätigkeit entstehen, nicht zur Entgeltlichkeit der Arbeit. Er kann aber dazu beitragen, daß der Betreuer nicht durch zusätzliche Kosten belastet und so von der Betreuung abgeschreckt wird. Um die Grenze zwischen Aufwendungsersatz und Vergütung nicht zu verwischen und den unentgeltlichen Charakter der Betreuung zu erhalten, muß dieser Anspruch jedoch auf solche Einbußen beschränkt bleiben, die über die Belastung durch die Arbeit selbst hinausgehen.

a) Aufwendungsersatzansprüche rlir Arbeitszeit und entgangenen Lohn Dem Betreuer sollten deswegen zunächst keine Aufwendungsersatzansprüche für seine Arbeit selbst oder für die aufgewendete Arbeitszeit zustehen. Ebenso 148

LG Köln, WuM 1986,376,377.

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

99

sollte er weder für abstrakt noch rur konkret entgangenen Erwerbslohn Ersatz verlangen können. Zwar erleidet er vor allem dann erhebliche materielle Einbußen, wenn er wegen der Betreuung eine tatsächlich ausgeübte Erwerbsarbeit aufgeben oder einschränken muß. Ein Anspruch auf Ersatz dieses entgangenen Lohns unterschiede sich jedoch kaum von einer Vergütung rur die Betreuung selbst. Außerdem würden die Betreuer ungleich behandelt, je nachdem, ob sie vor der Betreuung erwerbstätig waren oder nicht. Dies wäre kaum zu rechtfertigen, weil es ein freiwilliger Entschluß jedes Betreuers ist, auch eine Erwerbsarbeit aufzugeben.

b) Ein Ersatz für den Verlust an sozialer Sicherheit? Besonders wichtig für die Pflegeperson ist ein Ersatz für den Ausfall an sozialer Sicherheit. Insbesondere erwirbt ein unentgeltlich tätiger Betreuer keine Rentenanwartschaften. Eine ansonsten ordnungsgemäße Erwerbsbiografie wird durch die Betreuung mit schwerwiegenden Folgen im Alter unterbrochen. Ebenso ist auch die Absicherung gegen Krankheit und Unfall rur viele Betreuer eine wichtige Frage. Diese Einbußen des Betreuers an sozialer Sicherheit könnte zwar ein zivilrechtlicher Ersatzanspruch ausgleichen. Er würde aber oft den Betreuten stark belasten. Es ist sinnvoller, diesen Ausgleich der Solidargemeinschaft aufzuerlegen und die Belastung auf diese Weise weiter zu streuen. Eine sozialrechtliche Lösung könnte dem Betreuer Anwartschaften oder eine andere Teilhabe an den Sozialversicherungssystemen einräumen, auch wenn er keine oder nur einen Teil der an sich nötigen Beiträge zahlt. Als einen ersten Schritt in diese Richtung hat die Pflegeversicherung Pflegekräfte nach § 44 SGB XI in die gesetzlichen Rentenversicherung eingebunden und die Beiträge hierfür der Pflegekasse des Betreuten auferlegt. 149 In ähnlicher Weise ist der Betreuer nach § 2 I Nr. 17 SGB VII in der Unfallversicherung abgesichert. ISO Nur ein eigenständiger Krankenversicherungsschutz fehlt bislang. Ein privatrechtlicher Ausgleichsanspruch des Betreuten für seine Einbußen an sozialrechtlichen Anwartschaften ist jedenfalls abzulehnen.

c) Anspruch auf Auslagenersatz Jedoch sollte der Betreuer über seine Arbeitskraft und den damit verbundenen Verzicht auf ein anderweit mögliches Erwerbseinkommen hinaus keine realen finanziellen Aufwendungen erbringen müssen. Oft erwirbt er für den Betreuten Geräte, Pflegematerialien, Medikamente oder ähnliches, weil dies notwendig ist oder 149

ISO

BUttner. FamRZ 1995. S. 193. 195. JUrgens. S. 124; BUttner. FamRZ 1995. S. 193. 195.

100

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

der Gepflegte einen entsprechenden Wunsch äußert. Die Kosten hierfür übernehmen die Sozialleistungsträger nur in Grenzen, bei Pflegehilfsmitteln zum Beispiel nach § 40 SGB XI. Diese Aufwendungen müßte der Pflegebedürftige jedoch in jedem Fall erbringen. Sie hängen also nicht von der Betreuung ab. Daher sollten dem Betreuer solche notwendigen oder erbetenen baren Auslagen ersetzt werden. Gleiches gilt für mittelbare Aufwendungen, die für die Betreuung notwendig sind. Fahrtkosten sind hierfür ein Beispiel. Dagegen sollten ..Sowieso-Aufwendungen", die dem Betreuer in jedem Falle entstanden wären, nicht ersetzt werden. Einen eigenen Haushalt etwa müßte auch ein erwerbstätiger Betreuer führen. Diese Kosten sind nicht durch die Betreuung bedingt. Anders ist es zu beurteilen, wenn die unentgeltliche Betreuung über die Zeit einer Erwerbsarbeit hinausgeht und der Betreuer seinen eigenen Haushalt daher nicht ohne Hilfe weiterführen kann. Hier nimmt der Betreuer den Betreuten allerdings häufig in den eigenen Haushalt auf. ISI Tut er dies nicht, sollte seine zusätzlichen Haushaltsaufwendungen ausgeglichen werden. 5. Ansprüche gegen den Nachlaß des Betreuten

Nach dem Tode des Betreuten geht es nicht mehr um den Erhalt der unentgeltlichen Betreuung. Aus einer Gerechtigkeitserwägung heraus sollte ein Betreuer aus dem Nachlaß einen Ausgleich verlangen können, vor allem, wenn sich die anderen Erben nicht an der Betreuung beteiligt haben und der Nachlaß werthaltig ist.

6. Die Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsansprüche des Betreuten

Auch wenn der Betreuer freiwillig leistet, so ist es für ihn doch wichtig, daß er damit eine etwa bestehende Unterhaltsverpflichtung erfüllt. Betreuungsbedürftige sind oft auch nach § 1602 BGB unterhaltsrechtlich bedürftig. Der Betreuer als Angehöriger ist dann möglicherweise unterhaltspflichtig. Wenn er noch zu Barunterhalt verpflichtet ist, wird er die Betreuung oft abbrechen und wegen seiner unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten gelegentlich auch aufgeben müssen. Zwar wird der Betreute seinen Unterhaltsanspruch selbst in der Regel nicht einklagen. Wenn er jedoch trotz der Betreuung noch Hilfe zur Pflege bezieht, könnte der Sozialhilfeträger den Betreuer nach § 91 I BSHG in Regreß nehmen. Dies ist nur zu verhindern, wenn die Betreuung einen etwaigen Unterhaltsanspruch erfüllt.

m Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 130,131 ff.

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

101

7. Schadensersarzansprüche gegen die Betreuungsperson

Unabhängig davon, ob eine Betreuung als besonders Rechtsverhältnis einzustufen ist, kann dem Betreuten nach §§ 823 ff. BGB ein Schadensersatzanspruch gegen den Betreuer entstehen. So können Pflegefehler zu Körperschäden wie dem Dekubitus, dem Wundliegen, führen. 152 Auch Schadensersatz wird der Betreute zwar selbst selten verlangen. Muß er jedoch ärztlich oder medizinisch behandelt werden, so geht der Schadensersatzanspruch nach § 116 I S. 1 SGB X auf den Träger der Krankenversicherung über. Die Krankenkasse ist sodann verpflichtet, die Betreuungskraft in Regreß zu nehmen, denn ein Regreßanspruch gehört nach § 20 I SGB IV zu ihren Einnahmen,I53 die sie wie jeder Sozialversicherungsträger nach § 76 I, 11 SGB IV rechtzeitig und vollständig erheben muß. 154 Bei der Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs sind die Sozialversicherungsträger keinen zivilrechtlichen Beschränkungen unterworfen. 155 Diese Schadensersatzhaftung erfaßt alle Rechtsgütereinbußen und greift bei jedem Grad von Verschulden ein. Sie könnte einen Betreuer von seiner Arbeit abhalten, denn vor allem Personenschäden kommen in der Pflege verhältnismäßig häufig vor, weil die Betreuer unter psychischem Druck und physischer Belastung stehen. Andererseits ist das Haftungsrecht ein Steuerungsinstrument, das zur Aufwendung der optimalen Sorgfalt anhalten SOll.156 Diese Funktion ist in der unentgeltlichen Betreuung allerdings eingeschränkt. Die Haftung wird selten durchgesetzt, auch die Sozialleistungsträger nutzen ihre Regreßmöglichkeiten kaum. 157 Daher beziehen wenige Betreuer die abstrakte Gefahr einer Haftung in ihr Kalkül ein. Gleichwohl könnte ein vollständiger Ausschluß jeder Haftung den Betreuer zu unsorgfältigem Verhalten veranlassen und auf diese Weise schwerwiegendere Einbußen des Betreuten verursachen. Die Haftung sollte daher nur gemildert werden. Fraglich ist aber, ob nur vorsätzliches oder auch grob fahrlässiges Handeln zur Haftung führen sollte. Auch grobe Fahrlässigkeit wird im Zivilrecht grundsätzlich objektiv bestimmt, allerdings werden subjektive Merkmale berücksichtigt.158 Dieser Maßstab ist auf den allgemeinen Verkehr zugeschnitten. In einer engen sozialen Beziehung wie der Betreuung, vor allem wenn die Betreuungsperson ein Laie ist, läßt sicb jedoch eine Schädigung oft nicht vermeiden, selbst wenn sie nach objektiven Maßstäben grob fahrlässig verursacht ist. Dekubitus zum Beispiel entsteht mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Dem Betreuer ist regelmäßig bekannt, daß längeIS2

,.Exitus durch Vernachlässigung", Der Spiegel Nr. 2/99 vom 11. Januar 1999, S. 88,

89. IS3

1S4 ISS

IS6 IS7 ISS

KK I Seewald, § 20 SGB IV, Rn. 5. KK/Maier, § 76 SGB IV, Rn. 3. BGH, VersR 1984, 1152, 1153 zu einer Berufsgenossenschaft. Schäfer/Ott, S. 98,129. Wagner,IZ 1991, S. 175, 179. Palandt/Heinrichs, § 277, Rn. 2.

102

Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

res Liegen hierzu beiträgt. Gleichwohl ist es ihm oft nicht möglich, den Patienten so regelmäßig zu wenden und dabei in immer verschiedene Liegepositionen zu bringen, um das Wundliegen zu verhindern. Eine solche Schädigung sollte keine Haftung begründen, weil die Betreuung ansonsten womöglich im ganzen unterbliebe. Dazu sollte grundsätzlich auch die Haftung für grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden.

8. Rückgrijfsansprüche des Betreuten, seiner Erben und Dritter

Letztlich sind noch die möglichen Erstattungsanspruche gegen den Betreuer anzusprechen. Hier ist zwischen der Rückforderung einer Leistung durch den Betreuten und originären Anspruchen Dritter zu unterscheiden. So ist es denkbar, daß der Betreute seinem Betreuer aus Dank etwas schenkt und später er selbst oder über § 90 I BSHG der Sozialhilfeträger diese Zuwendung nach § 528 I S. 1 i.V.m. §§ 818, 819 BGB zuruckfordert. Ein solcher Anspruch sollte grundsätzlich ausgeschlossen sein, soweit die Betreuung wertmäßig der Zuwendung entspricht, weil der Betreuer nach der rechtlichen Wertung des § 37 SGB XI eine Anerkennung für seine Arbeit verdient. Daneben können dem Sozialhilfeträger nicht nur übergegangene Unterhalts- und übergeleitete Rückforderungsanspruche zustehen. Der Betreuer kann sich nach dem Tode des Betreuten auch einem Erstattungsanspruch nach § 92a 11 S. 1 oder § 92c I S. 1 BSHG ausgesetzt sehen, wenn er zum Erben des Betreuten berufen ist. Auch wenn hierfür nur der Nachlaß haftet, sollten diese Anspruche aus denselben Grunden ausgeschlossen sein wie die weitere Barunterhaltspflicht nach § 91 I BSHG.

9. Ergebnis

Im Vergleich zu den sozialrechtlichen und sozialpolitischen Maßnahmen ist das Zivilrecht nur zu kleinen Beiträgen zur Förderung der ehrenamtlichen und familieninternen Betreuung in der Lage. Vor allem kann es kaum Anreize für die Übernahme einer unentgeltlichen Tätigkeit durch diejenigen setzen, die dazu nicht von sich aus bereit sind. Wer nur aufgrund einer angemessenen Gegenleistung pflegen will, wird dies nur tun, wenn ihm der Betreuungsbedürftige eine Vergütung gewährt oder die Solidargemeinschaft unmittelbar einen sozialen Pflegelohn finanziert. Das Zivilrecht kann aber dazu beitragen, bereits bestehende unentgeltliche Betreuungsverhältnisse zu erhalten oder die vorhandene Bereitschaft zur Betreuung zu fördern. Seine Regelungen müssen denjenigen, der freiwillig zu pflegen bereit ist, in diesem Entschluß stärken. Sie dürfen aber nicht die Vorteile der unentgeltli-

5. Kap.: Einzelne Fördermaßnahmen und ihre Bewertung

103

chen Betreuung zerstören. Auf diese besonderen Bedingungen und Anforderungen muß jede zivilrechtliche Regelung zugeschnitten sein.

IV. Die rudimentäre zivilrechtliche Erfassung der Betreuung Eine solche umfassende und auf die Besonderheiten der unentgeltlichen Betreuung zugeschnittene zivilrechtliche Regelung ist jedoch nicht vorhanden. Anders als das Sozialrecht nimmt das Zivilrecht die Betreuung bislang nicht als eigenständige und regelungsbedürftige soziale Erscheinung wahr.

1. Regelungen der herkömmlichen ehrenamtlichen Arbeit

Im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit ist lediglich die formelle, öffentlich wirkende Tätigkeit geregelt. So unterfällt die Arbeit in gemeinnützigen Vereinen dem Vereinsrecht des BGB. Staatliche Ehrenämter wie die Tätigkeit als Schöffe oder Kommunalpolitiker unterliegen öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Von diesen "herkömmlichen" Ehrenämtern muß die unentgeltliche Pflege abgegrenzt werden. So unterscheiden viele statistische Untersuchungen zu diesem Thema schon formell zwischen Ehrenamt und sozialer Hilfe. Ersteres wird als "Wahrnehmung von Aufgaben in Institutionen, Verbänden, Vereinen, als Schöffen oder Schiedsleute, im Elternbeirat oder in der freiwilligen Feuerwehr" definiert, letztere dagegen als ,,Betreuung und Pflege von Personen im Rahmen z. B. von Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen" aufgefaßt. IS9 Aber auch inhaltlich bestehen Unterschiede. Private Betreuung wird aus der Familie oder aus informellen sozialen Strukturen heraus geleistet. 160 Solche unentgeltlichen Tätigkeiten werden gelegentlich als "neue Ehrenamtlichkeit" bezeichnet. 161 Sie sind jedoch rechtlich kaum erfaßt. 2. Ansätze einer zivi/rechtlichen Erfassung

Immerhin hat die Sozialgesetzgebung der letzten Jahre einige zivilrechtliche Fragen dieser Rechtsverhältnisse erfaßt. So hat das PflegeVG zumindest die von der Pflegeversicherung erfaßten Pflegepersonen in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen und hierbei auch die Schadensersatzansprüche innerhalb eines Betreuungsverhältnisses eingeschränkt. 162 Diese Regelungen betreffen jedoch nur einen Randbereich. Im allgemeinen Zivilrecht erscheinen Betreu159

160 161 162

Bundesregierung, Ehrenamtliche Tätigkeit, BT-Drs. 13/5674, S. 5. Siehe oben Kap. 3 III. 4. b). Heinzel Strünck, Mitbestimmung 1998, S. 43. Siehe hierzu oben Kap. 1 IV. und im einzelnen unten Kap. 18 11. 1.

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Teil B: Die rechtliche Förderung der unentgeltlichen Hausbetreuung

ungsverhältnisse nicht. So fehlt für diese Rechtsbeziehungen vor allem eine umfassende rechtliche Grundlage, wie die gesetzliche Typisierung eines unentgeltlichen Pflegevertrages.

3. Einzelne Ursachen zivi/rechtlicher Regelungsdefizite Diese fehlende Erfassung beruht darauf, daß sich im Bereich der unentgeltlichen Betreuung mehrere Regelungsbereiche schneiden, in denen das Zivilrecht traditionell besonders zurückhaltend ist.

a) Dauerschuldverhältnisse im allgemeinen So enthält das BGB für Dauerschuldverhältnisse im Vergleich zu einmaligen Vertragsbeziehungen wenige Regelungen bereit. Auch die Vorschriften des Allgemeinen Schuldrechts über Unmöglichkeit und Verzug sind auf einmalige Austauschbeziehungen wie den Kauf zugeschnitten. 163 Diese Defizite zeigen sich besonders im Arbeitsrecht. Dieses besonders wichtige Dienstleistungsverhältnis ist weitgehend außerhalb des BGB geregelt. Die Kodifikation im BGB hingegen ist auf freie Dienstverträge zugeschnitten und erfaßt auch diese nur sehr bruchstückhaft, während sie für Arbeitsverträge ursprünglich nur die §§ 618,619 enthielt. Ein weiteres Beispiel ist die Miete, die zwar bereits im BGB 1900 ausführlich geregelt war, aber die besonderen Regelungsbedürfnisse der Wohnraummiete nicht erfaßte. Deswegen sind - in diesem Falle überwiegend innerhalb des BGB - im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche zusätzliche Vorschriften des "sozialen WOhnungsmietrechts" hinzugekommen.

b) Unentgeltliche Verträge, vor allem Dienstleistungsbeziehungen Ebenso enthält das Zivilrecht wenige Regelungen für unentgeltliche Leistungen. Schenkung und Leihe sind auf die Überlassung von Gegenständen beschränkt. Vergütungslose Dienste sind dagegen nahezu nicht erfaßt. Eine Tätigkeit kann nicht Objekt einer Schenkung sein, denn die bloße Arbeitskraft stellt keinen Teil desVermögens im Sinne von § 516 I BGB dar. IM Es bleibt das Auftragsrecht nach §§ 662 ff. BGB, das allerdings inhaltlich, vor allem im Bereich der Haftung, nicht auf langfristige, arbeitnehmerähnliche Tätigkeiten wie die unentgeltliche Pflege zugeschnitten ist, sondern eher auf vermögensbezogene Geschäftsbesorgungen. 165 Palandt/Heinrichs, Einl. vor § 241, Rn. 21. MK/Kollhosser, § 516, Rn.n 2, 3; gleiches gilt nach BGHZ 127,48,51 für die ehebezogene Zuwendung. 16S Palandtl Sprau, § 662, Rn. 5 LV.m. § 677, Rn. 2. 163

164

5. Kap.: Einzelne Fördennaßnahmen und ihre Bewertung

105

c) Wenige detaillierte familienrechtliche Regelungen Die stärkste Zurückhaltung des Gesetzes zeigt sich im Familienrecht. Für das Zusammenleben der Ehegatten ebenso wie das Verhältnis von Kindern und Eltern enthielt das BGB nie besonders viele personenbezogene Regelungen. Und im Eherecht haben die Reformgesetze die wenigen Vorschriften über die eheliche Lebensgemeinschaft inzwischen weitgehend aufgehoben. 166

4. Gründe für die Zurückhaltung der Zivilrechtsordnung

Demnach sind vor allem gefälligkeitshalber erbrachte Dienste außerhalb des öffentlichen Bereichs, also vor allem in der Familie und anderen sozialen Nähebeziehungen, zivilrechtlieh kaum geregelt. Sie unterliegen den unmodifizierten allgemeinen Vorschriften wie §§ 823 ff. BGB. Diese Zurückhaltung hat mehrere Gründe: Das BGB beruht auf den sozialen Ansichten der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. 167 Der Blick seiner Verfasser richtete sich überwiegend auf die Wirtschaft. 168 Karitative Arbeit wurde nicht geregelt, obwohl es sie in den Kirchen und den Selbsthilfeorganisationen, den Wohnbau- und den Konsumgenossenschaften der Arbeiterschaft bereits in großem Umfange gab. Auch die Familie sollte von jedem äußeren und rechtlichen Einfluß frei bleiben. Sie wurde als intimer, abgeschotteter Lebenskreis angesehen. 169 Das Familienrecht regelte vor allem vermögensrechtliche Fragen wie die Verwaltung der Vermögen des Kindes 170 und der Ehefrau durch den Mann nach §§ 1363 ff., 1650 ff. BGB a.F. Auch die Pflicht zur Mitarbeit im Unternehmen des Ehemannes und des Vaters nach § 1356 II und § 1617 BGB a.F betraf den Erwerb. Pflegeleistungen erbrachten damals wie heute überwiegend Frauen. In der bürgerlichen Familie mußten jedoch nur die Angelegenheiten des Mannes rechtlich geregelt werden, weil er als ,,Familienoberhaupt" fungierte. 171 V. Ergebnis Es ist also zu untersuchen, ob das Zivilrecht trotz dieses Fehlens ausdrücklicher Normen die unentgeltliche ambulante Betreuung angemessen erfaßt und die notwendigen Regelungen bereithält. 166 167 168 169 170 171

Siehe hierzu unten Kap. 6. Schwenzer, S. 35. Larenz I Wolf, § 2, Rn. 39 ff. Huffmann, S. 50. Dölle, Familienrecht, Bd. 2, S. 139. Dölle, Familienrecht, Bd. 1, S. 411.

Te i I C

Die unentgeltliche ambulante Betreuung in der Familie Kapitel 6

Der Begriff und die rechtliche Erfassung der Familie I. Umfang und Bedeutung familialer Betreuung Den größten Anteil der unentgeltlichen Hausbetreuung erbringen Familienangehörige. Sie stellen zwischen 90 und 95 % der Betreuer. Etwa 38 % sind Ehegatten, weitere 35% Kinder und 5% Schwiegerkinder der Betreuungsbedürftigen. 1 Geschwister und andere Seitenverwandte sind dagegen selten beteiligt. Der Kreis der familienzugehörigen Betreuungspersonen deckt sich demnach in etwa mit den nach bürgerlichem Recht Unterhaltspflichtigen. Lediglich die Schwiegertöchter, die einen verhältnismäßig hohen Anteil der Betreuung erbringen, schulden keinen Unterhalt, während die unterhaltspflichtigen Enkel nur sehr selten betreuen. Wegen des hohen Anteils Angehöriger gegenüber den nichtfamilialen Betreuern sollen zunächst die familieninternen Betreuungsverhältnisse dargestellt werden:

ll. Die Begriffe Familie und Familienangehörigkeit Die vorhandenen Untersuchungen zur unentgeltlichen Betreuung beschreiben auch die Beziehung des Betreuers zum Betreuten. Sie verwenden jedoch nicht den Begriff des Familienangehörigen, sondern schlüsseln ihn nach Ehegatten, anderen Lebenspartnern, Kindern, Geschwistern, Schwiegerkindern und Enkeln auf. 2 Zunächst muß daher ermittelt werden, welche Personen zur Familie gehören und daher in die Gruppe familienangehöriger Betreuungskräfte eingeordnet werden können.

1 2

Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, S. 134 ff.; Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 288. Zur Herkunft der Betreuer siehe oben Abb. 4 bis 6, Kap. 3 III. 2.

6. Kap.: Begriff und rechtliche Erfassung der Familie

107

1. Die Familie in Biologie und Soziologie Die Familie ist Forschungsgegenstand zahlreicher Wissenschaften. Alle Disziplinen definieren diesen Begriff auf unterschiedliche Weise. Das Familienrecht knüpft vor allem an die Biologie und die Soziologie an. Humanbiologisch besteht eine Familie aus den voneinander abstammenden Vorfahren und Nachkommen. 3 Es zählen also Eltern, Kinder und Enkel dazu, aber nicht die Ehegatten selbst. Auf diese Kriterien gründet sich nach § 1589 BGB die Verwandtschaft. Die Soziologie stellt dagegen auf die sozialen Beziehungen und Interaktionen der Beteiligten ab und beschreibt die Familie als ..soziales Netzwerk".4 Hierbei steht die Kernfamilie im Vordergrund. Eine engere Auffassung hält die Erziehung als besondere Form der Interaktion für wesentlich und beschränkt daher die Kernfamilie auf zusammenlebende Eltern und Kinder. S Ein umfassenderer Ansatz stellt dagegen auf einen gemeinsamen Haushalt ab und erfaßt so auch größere Gruppen verwandter und nichtverwandter Hausangehöriger als Kernfamilien. 6

2. Familienangehörigkeit im allgemeinen Sprachgebrauch Auch der allgemeine Sprachgebrauch verwendet den Begriff der Familie mit verschiedenen Bedeutungen und unterschiedlicher Reichweite. Zunächst werden als Familie Eltern und ihre Kinder angesehen.' Bei ihnen fragt die soziale Anschauung nicht, ob sie zusammenleben. So zählen auch Kinder nach dem Verlassen des Elternhauses zu den Familienangehörigen ihrer Eltern. Oft werden auch weiter entferntere Verwandte und Geschwister dazugezählt. Hier richtet sich das gesellschaftliche Verständnis nach der biologischen Abstammung. Ebenfalls ohne Rücksicht auf das Zusammenleben werden adoptierte Kinder zur Familie gezählt. Pflegekinder gehören dagegen nur dann dazu, wenn sie bei ihren Pflegeeltern leben oder längere Zeit gelebt haben. Da in diesen Fällen keine biologische Abstammung vorliegt, scheint hier die persönliche Bindung die soziale Auffassung zu prägen. Bei anderen Personen kommt zu der biologischen, rechtlichen oder sozialen Verbindung noch das Zusammenleben als weiteres Kriterium hinzu. So werden Eheleute nicht mehr als Familie bezeichnet, wenn sie sich trennen. Ebenso zählen entferntere Verwandte und Verschwägerte nur dann zur Familie, wenn sie in demselben Haushalt leben. 8 Bei nichtehelichen Partnerschaften ist ein einheitlicher 3 4 S 6

7

Huffmann, S. 6. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 14. Huffmann, S. 9, 10. Bundesregierung, Vierter Familienbericht, BT-Drs. 10/6145, S. 15. Haibach, S. 17.

108

Teil C: Die unentgeltliche ambulante Betreuung in der Familie

Sprachgebrauch noch nicht festzustellen. Zunehmend werden auch sie als Familien angesehen, allerdings nur, wenn sie zusammenleben und gemeinsame Kinder betreuen. 9 3. Der Begriff der Familie nach Art. 61 GG Die grundlegende Rechtsnorm für die Familie ist das Schutzgebot an den Staat in Art. 6 I GG. Eine einheitliche Auffassung über die Auslegung des Familienbegriffs in dieser Vorschrift besteht nicht. Zum Teil wird auf die bürgerlichrechtlichen Regelungen über Ehe, Verwandtschaft und Schwägerschaft verwiesen. 1O Zunehmend wird aber auch die zum Teil abweichende soziale Auffassung von der Familie zugrundegelegt. Diese stärkere Einbeziehung der sozialen Wirklichkeit zeigt sich besonders bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Zwar wird eine solche Partnerschaft allein noch nicht als Ehe oder Familie im Sinne von Art. 6 I GG anerkannt, sondern allenfalls in den Schutz der Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG einbezogen. 11 Auch wenn sie gemeinsame Kinder erzieht, wird hierin noch keine einheitliche Familie gesehen. Immerhin erkennt das BVerfG aber auch in diesen Beziehungen das Verhältnis eines Elternteils zu seinem bei ihm lebenden Kind als Familie an. 12 Mit dieser Bildung zweier "Teilfamilien" in derselben Lebensgemeinschaft werden zwar soziale Zusammenhänge rechtlich zerrissen. Immerhin genießt danach aber auch die nichteheliche Partnerschaft einen gewissen grundrechtlichen Schutz aus Art. 6 I GG.

4. Der Familienbegriff des BGB Das ursprüngliche BGB hat den Begriff der Familie wenig verwandt. Der historische Gesetzgeber sah die Familie nicht als rechtliche Einheit an, sondern stellte allein auf die einzelne familiäre Beziehung ab. 13 Daneben benutzte er häufiger den alten Begriff der Hausgemeinschaft. 14 Familienangehörige wurden im ursprünglichen Gesetzestext nur selten erwähnt, zum Beispiel in der Regelung über den Dreißigsten in § 1969 I S. 1 BGB. 1S Jedoch ist das gesamte Vierte Buch des BGB als Familienrecht benannt. Seine drei Abschnitte regeln die Ehe, die Verwandtschaft und die Vormundschaft. Die Einbeziehung der Vormundschaft ließ sich allerdings schon 1900 nur noch historisch durch die Reichweite der früheren Munt erklären. 16 Haibach, S. 17. Huffinann, S. 241, 242. 10 BVerfGE 6,55,82; Jarass/Pieroth, Art. 6, Rn. 4. 11 BVerfGE 87, 234, 267. 12 BVerfGE 45, 104, 123; 79, 203, 211. 13 BFH, NJW 1962,415. 14 LUderitz, § 3 I 3, Rn. 52. IS Huffmann, S. 236 f.

8 9

6. Kap.: Begriff und rechtliche Erfassung der Familie

109

Zur Familie gehörten auch damals nur Ehegatten, Verwandte und Verschwägerte. Diese Beziehungen erfaßt das BGB abstrakt und überindividuell. Es knüpft die Ehe an den Rechtsakt der Heirat, die Verwandtschaft an biologische und die Schwägerschaft an soziale Merkmale. Es machte den Rechtsbegriff der Familie jedoch generell nicht vom Zusammenleben oder einer persönlichen Bindung abhängig. Heute erscheinen die übergreifenden Begriffe Familie und Familienangehöriger auch im BGB häufiger. Die neueren Vorschriften des sozialen Mietrechts wie beispielsweise § 556a I S. I und § 569a 11 verwenden sie bereits regelmäßig. 17 Allerdings fehlt immer noch eine allgemeine Definition. Auch im Zivilrecht wird daher oft § 11 StGB herangezogen. 18 Hiernach gehören zu den "Angehörigen" die Ehegatten, Verwandte in gerader Linie, Seitenverwandte ersten Grades, eng Verschwägerte und Verlobte. Dieser strafrechtliche Begriff deckt sich zwar nicht völlig mit der sozialen Auffassung, weil er beispielsweise nichteheliche Partner ausschließt. Gleichwohl bietet er auch im Zivilrecht einen ersten Anhaltspunkt.

5. Weiterentwicklung des Familienbegriffs im Zivilrecht

Im Zivilrecht ist allerdings eine Tendenz festzustellen, den Familienbegriff entsprechend der sozialen Anschauung zu benutzen und daher zu erweitern. Beispielsweise werden auch Pflegekinder während ihres Zusammenlebens mit ihren Pflegeeltern als Familienangehörige angesehen. Dies zeigt sich in dem stärkeren Schutz, den diese Beziehung nach § 1630 III und § 1632 IV BGB n.F. genießt. Auch nichteheliche Partner genießen den Schutz einzelner Normen, die an die Familie anknüpfen. So können sie analog § 569a 11 S. 1 BGB wie die dort genannten Familienangehörigen in einen Mietvertrag eintreten, wenn sie gemeinsam mit ihrem verstorbenen Partner zusammen in der Wohnung gelebt haben. 19 Ebenso stehen sie beim dinglichen Wohnrecht nach § 1093 11 BGB Familienangehörigen gleich. 20 Nur in eine Mietwohnung kann ein Partner nach wie vor nicht als Angehöriger nach § 535 BGB, sondern nur als Untermieter im Sinne von § 549 BGB aufgenommen werden? I Außerhalb des Wohnungsrechts werden nichteheliche Partner vor allem beim Dreißigsten den Familienangehörigen gleichgestellt: Nach dem Tode ihres Partners steht ihnen der Anspruch aus § 1969 I S. I BGB gegen den Erben ZU. 22 Diese Beispiele zeigen zwar, daß bislang immer nur einzelne Schutzvorschriften für die Familie bei gleicher Interessenlage auf nichteheliche 16 17

18 19 20

21 22

Gernhuber/Coester-Waltjen, § I III I, S. 7 f. Huffmann, S. 169, 171 ff. BayObLG, FamRZ 1983, 277. BGHZ 121,116,121 ff.; BVerfGE 82, 6, IHf. AG Ahrensburg, MDR 1980, 936. BGHZ 92,213,214 ff.; AG Nürnberg, WuM 1993,609. OLG Düsseldorf, FamRZ 1983,274,275.

110

Teil C: Die unentgeltliche ambulante Betreuung in der Familie

Partner angewendet werden. Gleichwohl zeigt sich auch hierin eine Erweiterung des Familienbegriffs. Im Gegensatz zur statusbezogenen Ansicht des historischen Gesetzgebers stellen heutige Gesetzgebung und Rechtsprechung mit dem Begriff der Familie stärker auf die faktische Lebensgemeinschaft als auf biologische oder formalrechtliche Bindungen ab. Sie nähern sich damit der sozialen Anschauung an. 23

6. Der Begriff der Familie in dieser Arbeit

In dieser Arbeit wird entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Tendenz im Zivilrecht ein weiter Begriff der Familienangehörigkeit zugrundegelegt. Er umfaßt Eltern und Kinder ohne Rücksicht auf einen gemeinsamen Haushalt und zusammenlebende Ehegatten. Auch nichteheliche Partnerschaften werden unabhängig von gemeinsamen Kindern hinzugezählt, weil es bei der Regelung des faktischen sozialen Phänomens einer Betreuung keinen Grund für eine Unterscheidung zwischen Ehegatten und nichtehelichen Partnern gibt.

m. Die rechtliche Trennung der einzelnen familialen Beziehungen Das BGB sieht die Familie nicht als rechtliche Einheit an, sondern lediglich als "soziale Gruppe".24 Daher trennt es die Rechtsbeziehungen zwischen verschiedenen Familienangehörigen und regelt sie eigenständig. 25 Es unterscheidet sorgfaItig zwischen der Ehe (§§ 1303 ff.), der Verwandtschaft im allgemeinen (§§ 1589 ff.), dem Kindschaftsverhältnis (§§ 1616 ff.) und der Schwägerschaft (§ 1590 BGB). Selbst in der Kernfamilie bleiben die Rechtsbeziehungen der Ehegatten von denen zu ihren Kindern getrennt. Hiergegen spricht auch nicht der einheitliche Familienunterhalt nach §§ 1360, 1360a BGB. Er dient zwar den Interessen der Kleinfamilie. 26 Die Unterhaltsansprüche von Ehegatten und Kindern bleiben jedoch unabhängig. Sie werden lediglich zur Erleichterung des Familienlebens zu einer faktischen "Erfüllungseinheit" zusammengefaßt. 27 Wegen dieser strengen Trennung der Rechtsbeziehungen zwischen Familienangehörigen wird auch die Familienbetreuung entsprechend der familialen Beziehung zwischen Betreuer und Betreutem jeweils unterschiedlich zu beurteilen sein. Daher sollen die Beziehungen der Ehegatten, zwischen Eltern und Kindern und zwischen den anderen Familienangehörigen getrennt untersucht werden. 23 24 25 26

rT

Schwenzer, S. 222 ff.; Huffmann, S. 281 f. Ramm, § 111 I, S. 6. BFH, NJW 1962,415,416. Göppinger/Wax/Kindermann, Rn. 1055; a.A. Börner, S. 33 ff. Palandt/Diederichsen, § 1360, Rn. 2.

6. Kap.: Begriff und rechtliche Erfassung der Familie

111

IV. Die Erfüllung familienrechtlicher Ansprüche durch die Betreuung Bei einer außerrechtlichen Betrachtung betreut ein Ehegatte oder ein Verwandter den anderen wegen der ehelichen oder verwandtschaftlichen Bindung. Intensive und langfristige Dienste wird auch ein Angehöriger nur dann erbringen, wenn ihm der Empfänger persönlich und sozial nahesteht. Parallel zu dieser sozialen Beziehung besteht jedoch auch die familienrechtliche, die sie in das Recht überführt. Die folgenden Untersuchungen betreffen die rechtliche Grundlage der Betreuungsleistungen in der jeweiligen familialen Beziehung. Sie behandeln also noch keine speziellen Regelungen wie den Haftungsmaßstab oder e~nen Anspruch auf Aufwendungsersatz. Statt dessen geht es um die Frage, ob die Betreuung in der jeweiligen familialen Beziehung geschuldet ist, einen familienrechtlichen Anspruch erfüllt, ohne geschuldet zu sein, oder in dem familialen Rechtsverhältnis wenigstens ihren rechtlichen Grund findet. Ein Rechtsanspruch auf und eine entsprechende Rechtspflicht zur Betreuung scheinen dem Ziel dieser Arbeit zu widersprechen, die freiwillige Betreuung zu fördern. Ein rechtlicher Zwang hätte in der Tat negative Folgen und ist daher abzulehnen. Er wäre analog § 888 m Var.3 ZPO n.P. aber auch nicht vollstreckbar, weil er auf unvertretbare persönliche Dienstleistungen gerichtet ist. Sinn dieser Frage ist vielmehr die Entlastung des Betreuers. Wenn er mit seiner Tätigkeit einen Anspruch erfüllt, beispielsweise seine Unterhaltsverpflichtung, so muß er keine weiteren Leistungen erbringen. Auch weitere positive rechtliche Regelungen können von der Erfüllung eines Rechtsanspruchs abhängen. Hier sei zunächst auf die Haftungsmilderung unter Ehegatten nach § 1359 BGB hingewiesen, die nur bei der Erfüllung einer eherechtlichen Pflicht eingreift. Ebenso hängt von dieser Frage ab, ob der Betreute die Leistungen endgültig "behalten" darf oder wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet ist, ihren Wert zurückzugewähren.

V. Die Unterscheidung zwischen Beistand und Unterhalt Die beiden großen Komplexe des Familienrechts in den beiden ersten Abschnitten des Vierten Buches, das Ehe- und das Verwandtschaftsrecht, unterscheiden beide zwischen personenbezogenen Beistandsverpflichtungen wie § 1353 I S. 2 und § 1618a BGB und der Unterhaltspflicht nach §§ 1360 ff. und §§ 1601 ff. BGB. Diese Unterscheidung wird daher den folgenden Untersuchungen zugrundegelegt.

Teil D

Betreuung in der Ehe Kapitel 7

Die bisherige rechtliche Einordnung der ambulanten Betreuung in der Ehe I. Die Ehe als soziale Lebensgemeinschaft Die Ehe ist eine soziale Beziehung. Wenn ein Ehepartner betreuungsbedürftig wird und der andere die notwendige Betreuung übernimmt, so tut er dies nicht aus rechtlichen Gründen, sondern um seines Ehepartners und seiner persönlichen Bindung willen. Dies entspricht der Auffassung, die unsere Gesellschaft von der Ehe hat und nach der die meisten Ehen auch tatsächlich geführt werden. 1 Zunächst ist die Ehe eine intensive, intime persönliche Beziehung zweier Menschen. Diese Intimität bestimmt immer stärker die Definition der Ehe, seitdem diese und die Familie ihre sozialen Aufgaben in der Güterproduktion vollständig und in der Kindererziehung teilweise verloren haben. 2 Unsere Gesellschaft folgt überwiegend dem Ideal der Liebesheirat. 3 In dieser so engen Gemeinschaft entstehen innere Vorstellungen über die Gestaltung der Beziehung und das Verhalten des anderen. So hegen die meisten Ehegatten zumindest die Hoffnung, von dem anderen Partner betreut und versorgt zu werden, wenn dies nötig wird. In zweiter Linie ist die Ehe eine soziale Erscheinung, die durch bestimmte außerrechtliche, gesellschaftliche und moralische Vorstellungen und Anforderungen geprägt wird. Zu diesem sozialen ,,Bild" der Ehe gehört für viele Menschen auch die moralische Verpflichtung zur Betreuung des Partners. Trotz dieser starken Prägung durch außerrechtliche Einflüsse ist die Ehe auch eine Rechtsbeziehung. Das Recht gestaltet die Ehe jedoch nicht abweichend von der außerrechtIichen Auffassung aus, sondern versucht nachzuzeichnen, wie eine Ehe auch sozial verstanden wird. So wird das tatsächliche Zusammenleben der Partner in einem gemeinsamen Haushalt in der grundlegenden eherechtlichen Ge1

2 3

Hübner, S. 663, 670. Huffmann, S. 15. Müller-Freienfels, S. 33; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 1 14, S. 3 f.

7. Kap.: Die bisherige rechtliche Einordnung der ehelichen Betreuung

113

neralklausel des § 1353 I S. 2 Hs.l BGB erfaßt und sogar als Verpflichtung beschrieben. Ebenso nimmt das Eherecht die innere Erwartung auf Beistand durch den anderen Partner und die entsprechende moralische Verpflichtung auf. Diese rechtliche Beistandsverpflichtung wurde schon bislang aus der ehelichen Generalklausei entnommen. 4 Das neue EheschließungsrechtsgesetzS hat sodann in § 1353 I S. 2 Hs.2 BGB n.F. ausdrücklich festgeschrieben, daß Ehegatten füreinander Verantwortung und Beistand tragen. Betreuung gehört zu den ErWartungen der Ehegatten selbst wie auch zu dem vorherrschenden sozialen Bild der Ehe. Es stellt sich jedoch die Frage, ob sie auch von Rechts wegen "zur Ehe gehört", also in der Ehe ihren rechtlichen Grund findet und ob in einer Ehe sogar ein Rechtsanspruch auf solche Leistungen besteht.

u. Die rechtliche Erfassung ehelicher Betreuungsleistungen Das Eherecht enthält keine ausdrückliche Regelung über Betreuungsleistungen. Die Pflege in der Ehe wird nicht als spezielle Erscheinung wahrgenommen. Möglicherweise gehört sie aber gleichwohl zur rechtlichen Beziehung der Ehe hinzu.

1. Die zurückhaltende rechtliche Erfassung der ehelichen Lebensgemeinschaft

Frühere Formen des bürgerlichen Eherechts enthielten auch für die eheliche Lebensgemeinschaft mehrere konkrete Rechte und Pflichten. Hierzu gehörte die Pflicht der Frau zur Mitarbeit im Unternehmen des Mannes nach § 1356 11 BGB a.F. Später sollten dagegen die persönliche Bindung und das intime Zusammenleben zweier Ehegatten nicht mehr mit gesetzlichen Vorgaben erfaßt werden. Daher haben das Gleichberechtigungsgesetz6 und das Erste Ehere!ormgeseti das Recht weitgehend aus dem inneren Bereich der Ehe zurückgezogen. Diese Reformgesetze haben die alten und teilweise verfassungswidrigen Vorgaben für das Zusammenleben der Ehegatten aufgehoben, aber darauf verzichtet, sie durch wirklichkeitsnahe und dem Grundsatz der Gleichberechtigung verpflichtete konkrete Neuregelungen zu ersetzen. Statt dessen haben sie den Ehegatten überlassen, ihre Ehe selbst zu gestalten. 8 4 BSG, 11 RAr 39/97 v. 6. November 1998 (juris), insoweit in MDR 1998,727 nicht enthalten; OLG Düsseldorf, FamRZ 1990, 160. S Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts (EheschlRG) vom 4. Mai 1998 (BGBI. I 1998, S. 833). 6 Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (GIBerG) vom 18. Juni 1957 (BGBI. 11957, S. 609). 7 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (I. EheRG) vom 14. Juni 1976 (BGBI. 11976, S. 1421).

8 O'Sullivan

114

Teil D: Betreuung in der Ehe

a) Die gesetzlichen Konzepte zur Regelung der Ehe Dieser Rückzug des Staates aus der Reglementierung des inneren ehelichen Lebens verlief in mehreren Schritten. Das ursprüngliche Eherecht des BGB war noch davon ausgegangen, von außen ein aUgemeinverbindliches Ehebild setzen zu können. Es folgte bei der Regelung der Ehe einem Konzept der Heteronomie. 9 Das GlBerG hat den Ehegatten dann ermöglicht, ihr gemeinsames Eheleben und ihre persönlichen Beziehungen selbst zu gestalten. Ein Beispiel ist die Regelung der Haushaltsführung nach § 1356 I S. 1 BGB a.F. Der Gesetzgeber war aber immer noch der Auffassung, daß zwischen den Ehegatten Rechtsbeziehungen bestehen, auch wenn diese autonom gesetzt waren. 1O Deswegen wurde in der Folgezeit zur Haushaltsführung vertreten, die Ehegatten seien bei der inhaltlichen Gestaltung zwar frei, irgendeine verbindliche Regelung sei aber rechtlich geschuldet. 11 Heute dringt im Eherecht ein drittes Konzept vor, das der Privatheit. Hiernach können die inneren, persönlichen Beziehungen der Ehegatten nicht rechtlich erfaßt werden. Sie sind keine Rechtsbeziehungen, auch keine autonom gesetzten. 12 Der Gesetzgeber hat sich dieser Auffassung in den neuesten eherechtlichen Reformgesetzen angenähert. So hat er die Ehegatten durch das Familiennamensrechtsgesetz 13 in § 1355 I S. 3 BGB n.F. von dem Zwang eines gemeinsamen Ehenamens befreit. Die Aufgabe einer heteronomen, einheitlichen Gestaltung so verschiedener persönlicher Beziehungen wie zwischen Ehegatten entspricht einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft. Sie ist auch konsequent, denn niemals konnte das Recht sicherstellen, daß die Ehen in ihrem täglichen Leben gesetzlichen Vorgaben folgten. Eine Folge ist jedoch auch, daß kein rechtliches Leitbild der Ehe mehr vorhanden ist, das auf die Gestaltung des ehelichen Lebens prägend wirken könnte. Durch die Aufgabe heteronomer Konzepte im Gefolge einer zunehmenden gesellschaftlichen Pluralität wird diese Pluralität also wiederum gefördert. Eine völlige Zersplitterung bei der Gestaltung einer so wichtigen rechtlichen Beziehung wie der Ehe hat jedoch auch Nachteile. Spätestens bei einem Scheitern einer solchen Beziehung muß das Recht wegen der nun entstehenden Konflikte die Ausgestaltung der früheren Beziehung zur Kenntnis nehmen. Angesichts der Fülle möglicher Lebensgemeinschaften muß es hierbei jedoch typisieren und pauschalieren. Auch die autonomen Konzepte der Ehe haben Nachteile. So ist es ihr Ziel, mit der Aufhebung der konkreten Vorschriften über das eheliche Leben unter andeMK/Wacke, § 1353, Rn. 15. Struck, FuR 1996, S. 118, 119. 10 Struck, FuR 1996, S. 118, 120. 11 Palandtl Diederichsen, § 1356, Rn. 1. 12 Struck, FuR 1996, S. 118. 13 Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts (FamNarnRG) vom 16. Dezember 1993 (BGBI. I 1993, S. 2054 ff.). 8

9

7. Kap.: Die bisherige rechtliche Einordnung der ehelichen Betreuung

115

rem die Gleichberechtigung zu fördern. 14 Es ist jedoch keineswegs sicher, daß die Ehegatten bei einem Zwang zur rechtlichen Regelung ihrer Ehe der Gleichberechtigung besser genügen. Zu stark sind in der Gesellschaft bestimmte Vorstellungen über die eheliche Rollenverteilung verankert. Viele Ehepartner verzichten auch bewußt oder unbewußt darauf, selbst verbindliche Normen für ihr Zusammenleben zu vereinbaren. In einer Ehe stehen persönliche Beziehung und Gefühle im Vordergrund. Die Partner sind sich sicher, daß es nicht zu Konflikten kommen wird und eine Regelung daher entbehrlich ist. Hier wäre sogar ein heteronomes Konzept, das nur für den Konfliktfall Geltung verlangte, besser geeignet als der letztlich ebenfalls heteronome Zwang an die Ehegatten, ihr Leben selbst zu verrechtlichen.

b) Die Ehe als privates System und Rechtsbeziehung Somit erscheint der Ansatz richtig, daß die Ehe eine private Beziehung ist, für deren Inhalt keine äußeren Vorgaben und auch kein Zwang zur autonomen Regelung bestehen. Gleichwohl ist sie kein rechtsfreier Raum.

In jeder Ehe finden faktisch Zusammenleben, Arbeit und Austausch statt, ohne daß hierüber ausdrücklich gesprochen oder gar verhandelt wird. 1S Wegen der starken sozialen Prägung der Ehe 16 unterliegen die Ehegatten gegenseitig bestimmten Vorstellungen, Hoffnungen und Erwartungen. Spätestens im Konfliktfall muß das Recht darüber entscheiden, ob es diese Erwartungen schützen und für die gegenseitigen Leistungen einen Ausgleich schaffen will. Hierbei muß es sich jedoch auf grundlegende Entscheidungen beschränken oder an die spezielle Ausgestaltung jeder einzelnen Ehe anknüpfen, weil die außerrechtlichen Vorstellungen über die Ehe in unserer Gesellschaft höchst unterschiedlich sind. Außerdem tritt das private System Ehe in Kontakt mit der Gesellschaft. Außenstehende Dritte sind durch die eheliche Beziehung betroffen oder greifen in die Ehe ein. So kann sich die Frage nach einem Rechtsanspruch auf Pflege und Betreuung in einer Ehe innerhalb einer Schadensersatzforderung eines Ehegatten nach §§ 844, 845 BGB gegen einen dritten Schädiger stellen, der für den Tod des betreuenden Ehegatten verantwortlich ist. Ein weiteres Beispiel sind Regreßforderungen von Versicherungen oder Trägem von Sozialleistungen nach §§ 90 ff. BSHG, 115 ff. SGB X. gegen einen Partner, wenn sie dem anderen gegenüber leistungspflichtig sind. Aus diesen Gründen muß das Recht die inneren Beziehungen in der Ehe erfassen. Es kann und darf zwar keine rechtlichen Vorgaben für das Eheleben aufstellen.

14

15 16

8'

LUderitz, § 1 IV 2, Rn. 28. Struck, FuR 1996, S. 118,122. Müller-Freienfels, S. 26.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Es muß aber die Gestaltung der Gemeinschaft zur Kenntnis nehmen und dort, wo Konflikte oder Außenkontakte vorhanden sind, angemessene Regeln bereithalten. Daher ist die interne, private Lebensgemeinschaft der Ehegatten nach wie vor eine Rechtsbeziehung. Dies wird auch im neuen EheschIRG deutlich. Dieses Gesetz hat eine neue materiellrechtliche Vorschrift für das eheliche Zusammenleben in das Familienrecht eingefügt: § 1353 I S. 2 Hs.2 BGB n.F. sieht jetzt ausdrücklich eine Verantwortung der Ehegatten füreinander vor. Hierhinter scheint wieder ein heteronomes Konzept zu stehen, weil den Ehepartnern von außen bestimmte, einheitliche Pflichten auferlegt werden. Dies würde die Freiräume einschränken, die das Eherecht seit dem GIBerG enthält, und wäre daher als Rückschritt aufzufassen. 17 Allerdings ist diese Erweiterung des § 1353 I S. 2 BGB ähnlich unbestimmt wie die Generalklausel im ganzen. Es ist nicht zu erwarten, daß Rechtsprechung und Literatur die neue Vorschrift als Grundlage für konkrete Regelungen des persönlichen Verhaltens in einer Ehe heranziehen werden. Die Erweiterung dient allerdings als Grundlage für die neuen Vorschriften über die Aufhebbarkeit der sog. Scheinehe l8 in §§ 1310 S. 2,131411 Nr. 5 BGB n.F. 19 Eine abstrakte Verpflichtung zu Beistand und Unterstützung gehört aber nach wie vor zum allgemeinen sozialen Bild der Ehe. Auch ohne konkrete rechtliche Pflichten für die Lebensgemeinschaft ist die Ehe ein Rechtsverhältnis, weil und soweit das Recht sie erfaßt und Regelungen für den Konfliktfall oder die äußeren Wirkungen dieser Gemeinschaft enthält.

2. Die eheliche Betreuung nach Rechtsprechung und Literatur

Daher kann auch zwischen Ehegatten grundsätzlich ein Anspruch auf Betreuung bestehen oder eine faktisch erbrachte Betreuungsleistung auch ohne Rechtsanspruch eine Leistung im Rechtssinne sein, die in der Ehe ihren Rechtsgrund findet. Ob die Betreuung des Ehegatten eine eherechtliehe Leistung darstellt, einen Rechtsanspruch erfüllt oder in einer Ehe sogar geschuldet ist, wird in Literatur und Rechtsprechung selten behandelt. Die geringe Zahl an Judikaten beruht darauf, daß Betreuung faktisch weder eingeklagt noch Schadensersatz für ihre Nichterbringung gefordert wird. Hiervor besteht eine moralische Schranke. Außerdem können Betreuungsdienste analog § 888 III Var. 3 ZPO nicht durch Vollstreckung erzwungen werden. Allerdings nimmt die Rechtsprechung zum ehelichen Betreuungsanspruch gelegentlich inzident im Rahmen anderer Streitgegenstände Stellung. Viele Judikate zu dieser Frage stammen aus der Sozialgerichtsbarkeit, weil die unentgeltliche Betreuung des Ehegatten in der Unfallversicherung, bei der Einschränkung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 III SGB V und neuerdings auch für Fragen der 17 18 19

Struck, FuR 1996, S. 118, 122. Bosch, NJW 1998, S. 2004, 2005. Siehe hierzu im einzelnen unten Kap. 8 11.

7. Kap.: Die bisherige rechtliche Einordnung der ehelichen Betreuung

117

sozialen Pflegeversicherung nach §§ 37 bis 39 SGB XI eine rechtserhebliche Rolle spielt. a) Die Rechtsprechung der Sozialgerichte Inhaltlich bejahen die Sozialgerichte meist eine Pflicht zur Betreuung des Ehepartners und damit einen Anspruch auf diese Betreuungsleistungen: So hat das lSG Mainz zwischen Ehegatten eine "unbegrenzte unterhaltsrechtliche Pflegeverpflichtung" angenommen, die auch die belastende und zeitintensive Hilfe bei einer Heimdialyse des nierenkranken Ehepartners umfasse. 2o Mit dieser Begründung hat das Gericht dem dialyseabhängigen Ehemann einen krankenversicherungsrechtlichen Anspruch auf Pflegegeldzahlungen für die Arbeit seiner Ehefrau verweigert. Auch das BSG billigt einem Ehegatten die "berechtigte Erwartung" zu, durch eine Heirat seinen Bedarf an Pflege sichergestellt zu sehen. 21 Lediglich das SG Berlin ist der Auffassung, daß die für eine Heimdialyse nötige Mithilfe unter Ehegatten nicht mehr geschuldet sei. 22 Auch nach dieser Entscheidung besteht aber grundsätzlich ein ehelicher Anspruch auf Betreuung, der lediglich im Einzelfall durch die Unzumutbarkeit der notwendigen Leistungen beschränkt werde. Eine solche Begrenzung der geschuldeten Betreuung erkennen auch andere Sozialgerichte an. Allerdings ist die Rechtsprechung hier nicht einheitlich. Betreuungsleistungen werden oft sehr weitgehend für zumutbar gehalten. So hat das BSG Unzumutbarkeit erst dort angenommen, wo ein Beistand leistender Ehegatte selbst in Lebensgefahr geraten wäre. 23 Allerdings bezog sich diese Entscheidung nicht auf eine längerfristige Betreuung, sondern auf eine Rettungsaktion für den in Lebensgefahr geratenen Ehegatten und einen hieran anschließenden unfallversicherungsrechtlichen Entschädigungsanspruch nach § 537 Nr. 5a RVO a.F. Die Sozialgerichte gehen somit davon aus, daß unter Ehegatten eine sehr weitreichende Pflicht zur Betreuung bestehe. 24 Auch zu einer Begrenzung des Maßes der konkret geschuldeten Betreuung sind sie nur teilweise bereit.

b) Die Auffassung der Zivilgerichtsbarkeit Die Zivilgerichtsbarkeit hat sich unmittelbar mit einem ehelichen Betreuungsanspruch nur in älteren Judikaten beschäftigt. Dies beruht auf der Abschaffung des Schuldprinzips im Scheidungsrecht. Seitdem sind eheliche Pflichten im unmittelbaren Verhältnis der Ehegatten kaum noch Gegenstand eines Zivilprozesses. AllenLSG Mainz, Die Leistungen 1976, 90 ff. BSGE52, 176, 177. 22 SG Berlin, Die Leistungen 1973, 156, 158. n BSGE 5, 262, 265. 24 Poske, S. 190. 20 21

118

Teil D: Betreuung in der Ehe

falls bei der Frage eines Unterhaltsausschlusses nach § 1579 Nr. 6 BGB werden sie noch behandelt. 2S Ansonsten ist eine eheliche Betreuungspflicht heute nur noch inzident erheblich, zum Beispiel im Rahmen des § 844 TI BGB bei Schadensersatzprozessen wegen der Tötung eines Ehegatten. Eine generelle und weitgehend uneingeschränkte konkrete Hilfeverpflichtung bei einer Krankheit oder Betreuungsbedürftigkeit des anderen Ehegatten wird nur in den älteren Entscheidungen angenommen. So hat der RGH im Jahre 1967 in Anlehnung an die Rechtsprechung des RG entschieden, ein Ehegatte sei verpflichtet, seinen alkoholkranken Partner nach Kräften zu unterstützen und zu betreuen und sich nicht von ihm abzuwenden, um zur Gesundung beizutragen. 26 Die jüngeren Judikate vertreten zwar nach wie vor das grundsätzliche Bestehen einer ehelichen Betreuungspflicht. So sah der RGH die unentgeltlichen Pflegeleistungen einer Ehefrau an ihren kriegsblinden Mann als Ausprägung ihrer Unterhaltsverpflichtung an und sprach dem Mann daher nach der Tötung der Frau gegen den Schädiger einen Schadensersatzanspruch aus § 844 TI BGB zu, der auch die Aufwendungen für die entgehende Pflege und Betreuung umfaßte. 27 Meistens werden die Betreuungsansprüche der Ehegatten jedoch wie in der Sozialgerichtsbarkeit auf zumutbare Leistungen beschränkt. 28 Die Zumutbarkeitsgrenze wird niedriger gesetzt als dort. Daher wird die Pflege des anderen Ehegatten oft als überobligatorisch angesehen. So sollen die umfassenden Betreuungsleistungen einer Ehefrau an ihren schwerstbehinderten Ehemann ..weit" über den geschuldeten ehelichen Beistand und Unterhalt hinausgehen. 29 Diese Beschränkung betonen die Zivilgerichte tendenziell immer stärker, so daß heute eine intensivere und längerfristige Betreuung überwiegend als familienrechtlich unzumutbar eingestuft wird. 3O Sie stellt hiernach nur eine freiwillige und keine geschuldete Leistung dar.

c) Würdigung der unterschiedlichen Rechtsprechung Insgesamt ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Dies beruht auf den unterschiedlichen Regelungszielen der Rechtsbereiche. Das Sozialrecht hat auch die Aufgabe, die Sozialkassen vor zu hohen Belastungen zu schützen. 31 Es neigt daher eher zur Bejahung einer Betreuungspflicht, weil auf diese Weise der regelmäßig subsidiäre Sozialleistungsanspruch ausgeschlossen werden kann. Das Zivilrecht MK/Richter, § 1579, Rn. 33 ff. BGH, FamRZ 1967,324,325 ff.; BGH, FamRZ 1995,537,539. 27 BGH, FamRZ 1993,411,413. 28 OLG Stuttgart, FarnRZ 1994, 1407, 1409; OLG Köln, 25 WF 55196 v. 3. Mai 1996 (juris). 29 BGH, FamRZ 1995,537,539. 30 Poske, S. 190. 31 Zu diesen unterschiedlichen Ansätzen siehe oben Kap. 2 IV. 2. 25

26

7. Kap.: Die bisherige rechtliche Einordnung der ehelichen Betreuung

119

entscheidet dagegen meistens zwischen dem Schutz und der Belastung Privater. So wird ein Unterhaltsanspruch bei der Totung des betreuenden Ehegatten eher bejaht, weil dies dem Betreuungsbedürftigen Schadensersatzansprüche nach §§ 844 ff. BGB erhält. In einem Unterhaltsprozeß gegen einen Dritten dagegen werden die Leistungen des Ehegatten eher als überobligatorisch eingestuft. Der Betreute ist dann weiterhin bedürftig, so daß ihm der Unterhaltsanspruch zusteht. 32 Insgesamt ist festzustellen, daß die Rechtsprechung trotz der Unterschiede im einzelnen grundsätzlich an einer persönlichen Betreuungspflicht unter Ehegatten festhält, diese aber tendenziell auf zumutbare Leistungen beschränkt. 33

d) Eheliche Betreuungsansprüche in der Literatur Auch in der Literatur wird ein Betreuungsanspruch der Ehegatten vertreten. Zur Begründung wird allerdings meist nur eine allgemeine eheliche Beistandspflicht herangezogen, ohne daß dargelegt würde, welche konkreten einzelnen Ehepflichten hieraus entstehen. Ansonsten werden die bereits genannten Judikate zitiert und mit einem Hinweis darauf eine Pflicht zur Unterstützung bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit bejaht. 34 Demgegenüber legt Poske dar, daß eine erzwingbare Beistands- und Betreuungspflicht zwischen Ehegatten allenfalls zu einem Scheitern der Ehe fUhrt und daher von dem eigentlich ehefreundlichen Familienrecht abgelehnt oder zumindest stark begrenzt werden müsse. 35

3. Vorgeschlagene rechtliche Grundlagen ehelicher Betreuung

Entsprechend dem Fehlen einer ausdrücklichen Vorschrift über die eheliche Betreuung und der Zurückhaltung des Gesetzgebers bei der Regelung der persönlichen Beziehungen zwischen Ehegatten besteht keine Einigkeit über die rechtliche Grundlage der Betreuung und eines möglichen Anspruchs. Soweit Rechtsprechung und Literatur einen Anspruch bejahen, verweisen sie zu seiner Begründung meist auf die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft aus § 1353 I S. 2 BGB. 36 Gelegentlich wird auch die in § 1360 S. 1 BGB normierte Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, als Grundlage flir Betreuungsleistungen herangezogen. 37 Der BGH nahm in einer Entscheidung sogar eine anscheinend einheitliche ,,BeiSo das Ergebnis des BGH in: FamRZ 1995,537 ff. Poske, S. 192. 34 Gernhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 3, S. 174; MK/Wacke, § 1353, Rn. 22. 3~ Poske, S. 193 f. 36 Gernhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 3, S. 173 ff.; MK/Wacke, § 1353, Rn. 27; einschränkend Palandt/Diederichsen, § 1353, Rn. 10 unter Hinweis auf BGH, FamRZ 1995, 537,539. 37 BGH, FarnRZ 1993,411,412; Poske, S. 192. 32

33

120

Teil D: Betreuung in der Ehe

stands- und Unterhaltspflicht gemäß §§ 1353, 1360 BGB" an und sah hierin die rechtliche Grundlage für die Betreuung, auch wenn die Leistungen der Ehefrau im Einzelfall über das geschuldete Maß hinausgingen und daher "überobligatorisch" waren. 38 Überwiegend wird die Unterhaltspflicht allerdings nur als zusätzliche Begründung herangezogen und die Betreuung grundSätzlich auf § 1353 I S. 2 BGB gestützt. Dieser Vorzug beruht darauf, daß § 1353 I S. 2 BGB als Generalklausel des Eherechts angesehen wird. 39 Ähnlich wie § 242 BGB im Schuldrecht soll die Norm pflichtenbegründend und im Zusammenspiel mit der Mißbrauchsschranke des § 135311 BGB auch pflichtenbegrenzend wirken. 40 Auch die offenere Struktur der Generalklausel und ihre unbestimmtere Formulierung ermöglichen es eher als die vermögensbezogene Unterhaltspflicht, persönliche Verhaltenspflichten der Ehegatten wie die zur Betreuung zu verankern. Und letztlich wird § 1360 BGB vielfach nur als besondere Ausprägung der eherechtlichen Generalklausei angesehen. 41

rn.Ergebnis Betreuung in der Ehe könnte rechtlich also eine Ausprägung einer ehelichen Beistandsverpflichtung nach § 1353 I S. 2 BGB oder eine Unterhaltsleistung im Sinne von § 1360 S. 1 BGB darstellen.

Kapitel 8

Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB Entsprechend dem Vorzug des § 1353 I S. 2 BGB in der Diskussion um eine Betreuungsverpflichtung in der Ehe soll zunächst diese Vorschrift untersucht werden. Dabei wird zunächst dargestellt, auf welche Weise in Rechtsprechung und Literatur Betreuungsansprüche aus dieser Norm hergeleitet werden. Danach wird die Arbeit zwischen zwei Fragen trennen. Zunächst wird untersucht, ob Betreuung unabhängig von einem Anspruch überhaupt eine eheliche Beistandsleistung im Sinne der Generalklausel darstellt und daher in den Rahmen des § 1353 I S. 2 BGB einBGH, FamRZ 1995, S. 537, 539. MK/Wacke, § 1353, Rn. 12; Pawlowski, Bürgerliche Ehe, S. 42 f. 40 Ramm, § 1411 I, S. 122 f.; MK/Wacke, § 1353, Rn. 12; PalandtlDiederichsen, § 1353, Rn. 3. 41 MK/Wacke, § 1360, Rn. 1. 38 39

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

121

zuordnen ist. Nur wenn diese erste Frage bejaht werden kann, sind Betreuungsdienste überhaupt durch die besonderen Vorschriften des Eherechts erfaßt, nur dann unterfallen sie auch in der Ehe nicht den allgemeinen Vorschriften des Schuld- und Deliktsrechts. Erst im Anschluß daran wird dargestellt, ob die Generalklausel einen Rechtsanspruch auf Betreuungsleistungen begründet oder lediglich eine außerrechtliche Verpflichtung zur Kenntnis nimmt.

I. Die übliche Herleitung eines Betreuungsanspruchs aus der ehelichen GeneraIklausel Trotz des unbestimmten Wortlauts leiten Rechtsprechung und Literatur aus § 1353 I S. 2 BGB nach wie vor konkrete Leistungsansprüche der Eheleute ab. Begründet wird dies mit dem Charakter der Vorschrift als ehelicher GeneraIklausel. § 1353 I S. 2 BGB präge das gesamte Ehepersonenrecht. Die Vorschrift könne daher im Gegensatz zur verrnögensrechtlichen Unterhaltspflicht des § 1360 BGB auch persönliche Leistungen umfassen. 42 Allerdings bezieht sich auch die Generalklausel oft auf den verrnögensrechtlichen Bereich. So soll ein Ehepartner aus § 1353 I S. 2 BGB verpflichtet sein, an den Steuererklärungen des anderen mitzuwirken, damit dieser steuerliche Vorteile nutzen kann, wie sie sich etwa wegen des Ehegattensplittings bei einer gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer ergeben. 43 Ebenfalls als verrnögensrechtlich und sogar schon im Übergang zum Unterhaltsrecht einzuordnen ist der Anspruch auf Mitarbeit im Unternehmen des anderen Ehegatten. Er war bis zum 1. EheRG in § 1356 TI BGB a.F. normiert und wird seitdem teilweise aus der Generalklausel hergeleitet. 44 Gelegentlich wird er aber auch in § 1360 S. 1 BGB verankert.45 Persönliche Verhaltensanforderungen werden seit der Aufhebung der letzten konkreten Ehepflichten auch aus der Generalklausel zurückhaltender abgeleitet und nur sehr abstrakt beschrieben. Meistens beschränken sie sich auf die grundsätzliche Gestaltung des ehelichen Lebens. Bejaht wird eine Pflicht zur häuslichen Gemeinschaft, weil diese nach § 1567 I BGB in der Regel für die eheliche Lebensgemeinschaft notwendig sei.46 Im Bereich der Intimsphäre47 werden Pflichten da-

42

13.

Gemhuber/Coester-Waltjen, § 18 V I, S. 173; Palandt/Diederichsen, § 1353, Rn.n 4,

43 OLG Harnm, FarnRZ 1994, 893; OLG Karlsruhe, FarnRZ 1994, 894; LG Berlin, FamRZ 1992,436,437. 44 Palandt/Diederichsen, § 1353, Rn. 10, § 1356, Rn. 6. BSG, siehe oben Fn. 4 in Teil D. 46 RGZ 53, 337, 340; BGH, FarnRZ 1990,492,495. 47 Eine ,,Pflicht zur Geschlechtsgemeinschaft" noch bejahend BGH, NIW 1967, 1078, 1079; in neuerer Zeit wieder KG, FamRZ 1992,571,572.

4'

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Teil D: Betreuung in der Ehe

gegen heute weitgehend als mit dem Persönlichkeitsrecht der Ehegatten unvereinbar abgelehnt. 48 Daneben wurde auch schon vor der Änderung durch das EheschlRG in § 1353 I S. 2 a.F. BGB eine abstrakte Pflicht zu gegenseitigem ehelichem Beistand gesehen. 49 Aus dieser allgemeinen Verpflichtung als dogmatischer Grundlage werden sodann einzelne konkrete Rechtsansprüche der Ehegatten auf Hilfeleistungen, Unterstützung oder anderes Verhalten hergeleitet, die zum Teil recht weitgehend sind. So wird vertreten, Ehegatten müßten einander vor Verletzung und Tod schützen,50 einen Selbstmord des anderen verhindern 51 und dem krank oder süchtig gewordenen Partner bei der Gesundung unterstützen. 52 Letztlich wird aus dieser Pflicht sogar eine strafrechtliche Garantenstellung des Ehegatten nach § 13 I StGB hergeleitet. 53 Alle diese konkreten Beistandspflichten sind überwiegend personenbezogen. Sollte daher in einer Ehe ein Rechtsanspruch auf Betreuungsleistungen bestehen, so könnte dieser inhaltlich aus einer Beistandsverpflichtung nach § 1353 I S. 2 BGB hergeleitet werden, weil auch er ein persönliches Verhalten des Partners betrifft.

n. Betreuung als Inhalt der ehelichen Generalklausei des § 1353 I S. 2 BGB

§ 1353 I S. 2 BGB stellt die grundlegende inhaltliche Regel über die Gestaltung einer ehelichen Beziehung dar. Dies ergibt sich nicht nur aus der zentralen Stellung und dem Charakter dieser Vorschrift als Generalklausel des Eherechts und dem nahezu völligen Fehlen anderer Vorschriften über die Gestaltung des ehelichen Lebens. Der Gesetzgeber hat ihre zentrale Bedeutung auch jüngst im EheschlRG bestätigt. Mit diesem Gesetz wurde nicht nur das Eheschließungsrecht wieder in das BGB eingefügt. Auch das Recht der Eheaufhebung wurde neu gefaßt und verschärft. So ist nach § 131411 Nr. 5 BGB n.F. eine Ehe nunmehr aufhebbar, wenn die Ehegatten bei der Heirat nicht die Absicht hatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, also eine sog. "Scheinehe" schließen wollten. Ist diese Absicht schon bei der Heirat erkennbar, so muß der Standesbeamte nach § 1310 I S. 2 HS.2 BGB n.F. die Eheschließung verweigern. Und die Aufhebung der gleichwohl geschlossenen Ehe kann und muß nach § 1316 I Nr. 1, III BGB n.F. auch die zuGemhuber/Coester-Waltjen. § 18 V 7. S. 176 f.; MK/Wacke. § 1353. Rn. 30, 31. BGHZ 127.48,55; BGH, FamRZ 1995,537.538; Gemhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 3, S. 174, MK/Wacke, § 1353, Rn. 22. so RGSt 71, 187, 189. 51 BGHSt 32,367,373. 52 BGH, FamRZ 1967. 324, 327. 53 BGHSt 2, 150, 153 f. 48 49

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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ständige Verwaltungsbehörde begehren. Somit kann eine Ehe grundsätzlich gegen den Willen der Partner verhindert und sogar aufgelöst werden. Zusammen mit dieser Neuregelung hat das EheschlRG auch die Generalklausel um eine ausdrückliche Verantwortung der Eheleute füreinander erweitert. Hierin wollte der Gesetzgeber auch die bislang schon angenommenen Beistandsverpflichtungen bejahen und festschreiben. ~4 Demnach ist § 1353 I S. 2 BGB die grundlegende Vorschrift über die Gestaltung des ehelichen Lebens. Um festzustellen, ob die eheliche Betreuung in dieser Norm ihre Grundlage findet, muß sie ausgelegt werden. 1. Der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft in § 1353 I S. 2 Hs.1 BGB § 1353 I S. 2 HS.l BGB verpflichtet die Ehegatten zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Dieser Begriff enthält drei Elemente. Grundsätzlich erfaßt die eheliche Lebensgemeinschaft das gesamte Leben der Partner. Damit ist nicht in erster Linie die zeitliche Dauer gemeint, denn daß eine Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird, ist seit dem 1. EheRG in § 1353 I S. 1 BGB n.F. eigenständig festgeschrieben. § 1353 I S. 2 BGB zielt eher auf den Inhalt der Beziehung ab:

a) Die eheliche Lebensgemeinschaft im einzelnen Das Bürgerliche Recht kennt zunächst einfache Gemeinschaften, so die schlichte Rechtsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB und die bürgerlichrechtlichen und handelsrechtlichen Gesellschaften, die nach § 709 BGB ebenfalls "gemeinschaftliches" Zusammenwirken der Gesellschafter voraussetzen. In diesen Gemeinschaften sind die Beteiligten allerdings nur in einzelnen Bereichen miteinander verbunden. Eine Lebensgemeinschaft geht darüber hinaus. Sie setzt voraus, daß die Partner in besonders engem kommunikativem Kontakt stehen und zumindest zu großen Teilen ihr Leben gemeinsam führen. Solche Lebensgemeinschaften können vielfältig sein. Auch das Verhältnis von Eltern zu ihren hausangehörigen Kindern gehört dazu. § 1353 I S. 2 BGB erfaßt von allen diesen Lebensgemeinschaften nur die ehelichen. Damit enthält die Norm einige Beschränkungen. Zunächst erfaßt sie nur verschiedengeschlechtliche Zweierbeziehungen. 55 Diese Beziehungen müssen keine Geschlechtsgemeinschaften sein,56 wie die rechtliche Anerkennung "platoni~

Bosch, NJW 1998, S. 2004, 2005.

ss BVerfGE 62, 323, 325 ff. 56

Müller-Freienfels, S. 2.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

scher" Ehen zeigt. Zur "ehelichen" wird diese Lebensgemeinschaft eines Mannes und einer Frau sodann nur durch den förmlichen Akt der Eheschließung und die damit verbundene rechtliche Anerkennung. Dagegen besteht das formale Band der Ehe zunächst weiter, auch wenn die eheliche Lebensgemeinschaft durch eine Trennung im Sinne der §§ 1361 ff. und 1567 I BGB aufgehoben ist. Zwischen ehelichen und nichtehelichen Lebensgemeinschaften besteht daher kein materieller Unterschied. Trotzdem genießt nur die formell getraute eheliche Lebensgemeinschaft den Schutz einer Ehe nach Art. 6 I GG. 57 Bezieht man in diese Auslegung auch § 1567 I BGB ein, so scheint das Gesetz außerdem einen gemeinsamen Hausstand der Eheleute vorauszusetzen. 58 Dieses Merkmal ist aber nicht zwingend. Die eheliche Lebensgemeinschaft erlischt nach § 1567 I S. 1 BGB nur dann durch eine Trennung, wenn mindestens ein Ehegatte die Lebensgemeinschaft ablehnt. Manchmal leben Ehegatten nur faktisch getrennt, so daß die eheliche Lebensgemeinschaft weiterbesteht. Oft genannte Beispiele hierfür sind die "Hotelehe" unter Künstlern59 oder ein Ehe, deren einer Partner für längere Zeit weitab oder im Ausland arbeitet. Eine eheliche Lebensgemeinschaft ist also die durch den Rechtsakt der Heirat formell anerkannte persönliche und kommunikative, weite Teile des Lebens und der Persönlichkeit erfassende Beziehung eines Mannes und einer Frau.60

b) Auswirkungen der Definition der Lebensgemeinschaft für die Betreuung . Aus diesem Begriff ist jedoch noch nichts über Betreuungsleistungen in einer Ehe gesagt, denn auch eine nichteheliche oder andere Lebensgemeinschaft kann Beistand, Betreuung und Hilfe für den anderen Partner umfassen. Allerdings ergeben sich aus dem Wortlaut der ehelichen Generalklausel einige Hinweise auf das Bestehen oder die Grenzen einer Betreuungsverpflichtung in einer Ehe. So wird in § 1353 I S. 2 BGB nicht etwa die Ehe selbst als Lebensgemeinschaft definiert, sondern lediglich eine Verpflichtung zu ihrer Herstellung begründet. Das Recht setzt Ehe und eheliche Lebensgemeinschaft also nicht gleich. Hierdurch wird zweierlei deutlich: Zunächst umfaßt die Ehe nicht das gesamte Leben, sondern läßt einen privaten, höchstpersönlichen Lebensbereich unangetastet, in dem auch ein Ehegatte sein Leben autonom gestalten kann. 61 Sollten in einer Ehe Beistand und Betreuung ge57 58 59

60 61

BVerfG, FamRZ 1993,781. MK/Wacke, § 1353, Rn. 25; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 16 III 3, S. 150. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 5, S. 175. BVerfGE 10, 59, 66; BVerfGE 53, 224, 245. Ramm, § 1411 2, S. 123.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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schuldet sein, so fände diese Verpflichtung hier am Persönlichkeitsrecht des Partners aus Artt. 2 I, 1 I GG ihre Grenze. Außerdem besteht eine Ehe fonnell unabhängig von einer faktischen Gemeinschaft. Dies zeigt sich auch bei einer Trennung der Partner. 62 Nicht alle rechtlichen Verhaltensanforderungen an die Ehegatten müssen daher durch die Lebensgemeinschaft bedingt sein. Diese Unterscheidung zeigt sich zum Beispiel im Unterhaltsrecht. Während in der bestehenden Lebensgemeinschaft Familienunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB erbracht werden muß, wandelt sich diese Verpflichtung nach einer Auflösung der Gemeinschaft in den Trennungsunterhalt nach § 1361 BGB. Betreuung kann in aller Regel nur innerhalb des Zusammenlebens erbracht werden. Eine Verpflichtung hierzu müßte also an die Lebensgemeinschaft anknüpfen und könnte nicht schon allein wegen der fonnellen Ehe begründet sein. Indem das Eherecht allein auf die abstrakte Lebensgemeinschaft abstellt, verlangt es keine persönliche Bindung der Ehegatten. Dagegen setzt eine Ehe nach heutiger sozialer Auffassung zumindest bei ihrer Begründung Liebe und Zuneigung voraus. 63 Mit dieser Einschränkung gegenüber einem weithin vorhandenen gesellschaftlichen Ehebild erkennt das einfache Recht an, was von Verfassungs wegen zum Schutze des Persönlichkeitsrechts der Ehegatten gewährleistet sein muß: Daß es keine Pflicht zu einer inneren Einstellung wie Liebe geben kann, sondern daß auch in diesem Bereich allenfalls äußeres Verhalten geschuldet sein kann. Hierzu gehört das Gebot, den Partner nicht respektlos zu behandeln. 64 Betreuungsleistungen können zwar prinzipiell ohne persönliche Beziehung erbracht werden. Sie beschränken sich aber dann auf die bloße Versorgung. Die Zuwendung, die als besonders wichtiges Merkmal der unentgeltlichen ambulanten Betreuung beschrieben wurde, fehlt. Dies spricht dagegen, daß Betreuung aus einer eherechtlichen Vorschrift heraus geschuldet sein kann oder auch nur eine eherechtliche Leistung darstellt. Beistands- und Betreuungsleistungen setzen eine positive Beziehung und in aller Regel auch ein Zusammenleben der Partner in einem gemeinsamen Haushalt voraus. Beides ist nicht Wesensmerkmal der ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Wortlautinterpretation schließt es daher zwar nicht aus, sie spricht aber eher dagegen, daß Betreuungsleistungen zum Inhalt der ehelichen Lebensgemeinschaft gehören. 2. Historische Auslegung des § 13531 S. 2 BGB a.F. Möglicherweise gehören Beistand und Betreuung aber nach den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers des BGB und der Refonngesetze zu den Merkmalen der ehelichen Lebensgemeinschaft. 62

63 64

Siehe soeben Kap. 8 11 I a. Siehe oben Kap. 7 I. MK/Wacke, § 1353, Rn. 17; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 4, S. 175.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Das ursprüngliche BGB sollte mit seinen Regelungen und Verpflichtungen des Eherechts ein bestimmtes Ehebild festschreiben. Es war dies die großbürgerliche Ehe, in der die Frau dem Mann weitgehend untergeordnet war und ihre Lebensaufgabe darin bestand, ihrem Mann einen angenehmen Haushalt für den "Rückzug ins Private" zu bereiten. Dieses Bild zeigt sich in den §§ 1354 ff. BGB a.F. über die ehelichen Verpflichtungen der Ehefrau und den Vorrang des Mannes in allen Fragen des Zusammenlebens, aber auch in der verhältnismäßig selbständigen Stellung der Frau bei der ,,Leitung" des Hauswesens nach § 1356 I BGB a.F., die nach außen durch die Schlüsselgewalt alter Form nach § 1357 I BGB a.F. abgesichert war. Eine ausdrückliche Aussage über Beistands- und Betreuungsleistungen in der Ehe enthielt auch das ursprüngliche BGB nicht, jedoch waren die gesetzlichen Regelungen nicht abschließend gemeint. Gerade mithilfe der Generalklausel65 sollten weitere Aussagen über die Ehe und zusätzliche Rechtsansprüche der Ehepartner gegeneinander hergeleitet und die bereits normierten der Zeit angepaßt werden. 66 Diese Aufgabe blieb der Rechtsprechung überlassen. Entsprechend haben dann auch die Zivilgerichte in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sehr weitreichend Beistand und Pflegeleistungen für den betreuungsbedürftigen Partner als ehebezogene Leistungen eingestuft und entsprechende Rechtsansprüche bejaht. 67 Schon um 1900 entsprach dieses Ehebild in weiten Teilen der Bevölkerung nicht den tatsächlich gelebten Ehen. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg war das Fehlen einer einheitlichen gesellschaftlichen Vorstellung über die Ehe nicht mehr zu übersehen. Der Gesetzgeber der fünfziger Jahre sah diese Entwicklung als negativ an und versuchte, ihr mit dem GIBerG entgegenzusteuern. Noch deutlicher als im ursprünglichen Gesetzestext wurde durch dieses ,,Reformgesetz" ein konkretes Ehebild, nämlich das der "Hausfrauenehe" festgeschrieben. Sein erster Entwurf aus dem Jahre 1952 sah in § 1354 S. 1 BGB-E vor, daß die Ehegatten "einander Treue und Beistand schulden".68 Zum Gesetz ist diese Entwurfsvorschrift dann nicht geworden, weil man der Ansicht war, bereits aus der Generalklausel ergebe sich, daß Beistand und Betreuungsleistungen zum "Wesen der Ehe" gehörten. Das 1. EheRG hat dann 1976 die Rechtslage erheblich, aber nicht konsequent verändert. Einerseits hat es die eheliche Generalklausel bestehen lassen und § 1353 I in seiner grundsätzlichen Bedeutung sogar noch gestärkt, indem es in § 1353 I S. 1 BGB n.F. die lebenslange Dauer der Ehe, die bis dahin für selbstverständlich gehalten worden war, erstmals gesetzlich festschrieb. Andererseits hat es auf eine Normierung einzelner Vorschriften über das eheliche Leben, die im Rechtsausschuß des Bundestages angeregt worden waren, ausdrücklich verzichtet. Es wurde befürchtet, eine solche Festschreibung könne die Weiterentwicklung des Ehebildes hemmen. Statt dessen wurde es wiederum der Rechtsprechung überlas65 66 67

68

Die Generalklausei befand sich allerdings vor dem 1. EheRG in § 1353 I S. 1 BGB a.F. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 104 f. Siehe oben Kap. 7 II. 2. a). Ramm, § 14 II 3, S. 124 f.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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sen, nunmehr aus der Generalklausel die angemessenen Regelungen für die Ehe zu entwickeln und dabei auch über die Ehebezogenheit einzelner Leistungen und Dienste zu entscheiden. 69 Diese ihr zugedachte Aufgabe konnte die Rechtsprechung in der Folgezeit jedoch nicht erfüllen. Eine wirklichkeitsnahe, an der tatsächlichen Lebensgestaltung orientierte Ausgestaltung der Ehe war nicht mehr möglich,70 denn wegen des völligen Fehlens inhaltlicher Vorschriften über die Ehe fehlte ein Vergleichsmaßstab für die richterliche Herleitung eines Ehebildes aus der Generalklausel. 71 Eine unveränderte Fortschreibung der alten, auf der Verschuldensscheidung beruhenden Ansichten hätte dagegen das Eherecht versteinern lassen. 72 Trotz dieser Entwicklung hatte der Gesetzgeber des 1. EheRG nicht daran gezweifelt, daß auch weiterhin Beistand und Unterstützung der Ehepartner füreinander zum verbindlichen Ehebild gehörten. Diese Ansicht bestätigte das Sorgerechtsgesetz im Jahre 1979.73 Unter ausdrücklichem Hinweis auf einen entsprechenden ehelichen Anspruch, der in der Generalklausel enthalten sei,74 hat es in § 1618a BGB auch zwischen Eltern und Kindern eine Pflicht zu Beistand und Rücksicht gesetzlich festgeschrieben. Es ergibt sich damit, daß der Gesetzgeber sowohl des BGB als auch der späteren Reformgesetze immer davon ausgegangen ist, zu den Merkmalen der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1353 I S. 2 BGB gehöre auch, daß die Ehegatten einander Beistand leisteten, wenn dies nötig sei. Hiernach wäre die Betreuung des anderen Partners eine typische, ehebezogene Leistung.

3. Die Systematik des Ehepersonenrechts

Eine systematische Untersuchung des § 1353 I S. 2 BGB geht über den Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft hinaus. Es ist also zu fragen, ob aufgrund anderer eherechtlicher Normen Betreuung als ehebewgene Leistung anzusehen ist. Wegen des Fehlens konkreter anderer Vorschriften können sich lediglich aus dem Zusammenhang des Eherechts Hinweise auf diese Frage ergeben. Immerhin weist die deutliche Trennung zwischen der familialen Unterhaltspflicht in § 1360 BGB und der ehelichen Lebensgemeinschaft darauf hin, daß die Generalklausel über die vermögensrechtliche Beziehung hinaus auch das persönliche Verhalten der Ehegatten erfaßt. Somit scheiden persönliche Leistungen wie die Betreuung des Partners aus der Rechtsbeziehung der Ehe zumindest nicht aus. BT-Drs. 7/650, S. 95; 7/4361, S. 7. MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. 71 BT-Drs. 7/4361,S. 7. 72 MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. 73 Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Elterlichen Sorge (SorgeRG) vom 18. Juli 1979 (BGBl. I 1979, S. 1061 ff.). 74 BT-Drs. 8/2788, S. 43. 69 70

128

Teil D: Betreuung in der Ehe

Ein weiterer Hinweis ergibt sich aus dem grundlegenden Charakter des § 1353 I S. 2 BGB. Die Vorschrift gilt für alle Ehen und ist nicht abdingbar. Da aber alle Ehen verschieden sind, lassen sich aus der Generalklausel nur sehr allgemeine und grundsätzliche Aussagen ableiten. 75 Danach gehört allenfalls abstrakter Beistand zur Ehe, nicht jedoch eine konkrete Betreuung. Dies wird bestätigt durch einen Vergleich mit der Parallelvorschrift im Kindschaftsrecht: Auch § 1618a BGB nennt nur allgemein Beistand und Rücksicht. Konkrete Aussagen enthält die Norm nicht. Betreuungsleistungen soll sie daher nicht umfassen?6 Die systematische Auslegung der Generalklausel spricht also weder dafür noch dagegen, daß Betreuung als Teil des ehelichen Beistandes eine eheliche Leistung darstellt und in § 1353 I S. 2 BGB eine rechtliche Grundlage findet.

4. Die Veränderung und Erweiterung der Generalklausel durch das EheschlRG

Im Jahre 1998 hat das EheschlRG die Generalklausel des Eherechts um einen zweiten Halbsatz erweitert und den Ehegatten "Verantwortung füreinander" auferlegt. 77 Eine ähnliche Vorschrift hatte schon der erste Entwurf des GIBerG in § 1354 S. 1 BGB-E vorgesehen. 78 Hiermit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß seiner Auffassung nach schon immer der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft auch gegenseitigen Beistand umfaßte. Eine inhaltliche Veränderung der Generalklausel hat er nicht beabsichtigt. 79 Allerdings wurde nicht etwa wie in § 1618a BGB ausdrücklich der Begriff des Beistandes in das Gesetz aufgenommen. Unter gegenseitiger Verantwortung sind jedoch auch Hilfe und Beistand zu verstehen. Ob allerdings konkret auch Betreuungsleistungen dazugehören, kann auch aus dieser neuen Vorschrift nicht mit Sicherheit entnommen werden, weil sie hierzu zu unbestimmt ist. 5. Ergebnis

Der Gesetzgeber des Eherechts ging immer davon aus, daß zur Ehe auch gegenseitiger Beistand gehöre, und hat diese Auffassung jüngst bestätigt. Betreuungsdienste am betreuungsbedürftigen Partner sind eine solche Beistandsleistung. Es spricht demnach sehr viel dafür, daß sie eine ehebezogene Leistung darstellen. Genauere Aussagen über den Inhalt und vor allem die Reichweite des ehelichen Beistandes fehlen jedoch. Daher ergibt sich aus der Auslegung der Generalklausel 15 16 TI

18 19

Siehe oben Kap. 8 I. Siehe hierzu die Beispiele bei MK/Hinz, § 1618a, Rn. 7. Bosch, NJW 1998, S. 2004, 2005. Ramm, § 1411 3, S. 124 f. Bosch, NJW 1998, S. 2004. 2005 f.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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nicht ausreichend deutlich, daß Betreuung als eheliche Leistung anzusehen ist. Um diese Frage zu klären, muß auf die außerrechtlichen Grundlagen der Ehe zurückgegriffen werden, soweit sie § 1353 I S. 2 BGB rechtlich übernimmt und festschreibt.

In. Betreuung als eheliche Leistung nach einem außerrechtlichen "Ehebild" Immer schon wurden Aussagen über die Gestaltung des ehelichen Lebens nicht aus dem Gesetz, sondern aus bestimmten Überzeugungen über den Inhalt das Phänomens Ehe, einem Ehebild, hergeleitet. 80 Ein solches Bild wurde dann oft als ,,Ehelehre,,81 angesehen und für rechtlich verbindlich erklärt. 82 Gelegentlich wurden sogar einzelne Verhaltensweisen aus einer solchen Ehelehre in den Rang von Rechtspflichten erhoben. 83 1. Unterschiede zwischen verbindlicher Ehe/ehre und Ehebild Zwar darf eine außerrechtliche Ehelehre nicht als rechtsverbindlich angesehen werden, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich soziale oder moralische Ansichten für rechtlich verpflichtend erklärt. 84 Und auch eine solche heteronome gesetzliche Regelung würde der Privatheit der ehelichen Beziehung nicht gerecht. Außerrechtliche Ehebilder jedoch existieren. Das Eherecht, das zumindest die eheliche Lebensgemeinschaft nicht konkret beschreibt und gestaltet, knüpft an diese Bilder an. 85 Die unbestimmten gesetzlichen Normen können daher möglicherweise mit Hilfe der außerrechtlichen Normen und Vorstellungen über die eheliche Lebensgemeinschaft gefüllt werden. Auch auf diesem Wege könnte das Recht entscheiden, welche Leistungen in einer Ehe beständig sind und welche Erwartungen eines Ehegatten geschützt werden. So könnte es seine Aufgabe erftillen, für den Konfliktfall und für die Außenkontakte der Ehe eine angemessene Regelung bereitzustellen. Einige der vorhandenen außerrechtlichen Ansichten über den Inhalt der Ehe und der ehelichen Lebensgemeinschaft sollen im folgenden dargestellt werden. Es wird jeweils beschrieben, ob und inwieweit nach dem jeweiligen Ehebild die Pflege und Versorgung des betreuungsbedürftigen Partners zum Inhalt der ehelicheri Lebensgemeinschaft gehört. Letztlich werden diese Ehebilder kritisch gewürdigt. 80

81 82

83 84

8S

Lüderitz, § 12 I, Rn. 194. Zu diesem BegrlffGemhuber/Coester-WaItjen, § 3 Nr. 3, S. 25 ff. Siehe zur Ansicht des historischen Gesetzgebers des BGB oben Kap. 8 11. 2. BGH, NJW 1967, 1078, 1079; BGHSt 6, 46, 53 ff. Lüderitz, § 12 I I, Rn. 195. Hübner, S. 663, 670.

9 O'Sullivan

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Teil D: Betreuung in der Ehe

2. Das Ehebild der institutionellen (übersozialen und überindividuellen) Lehren

Einige ältere Ehelehren sehen die Ehe als eine dem Recht, aber auch der Gesellschaft vorgegebene ,,Institution" mit einem bestimmten, feststehenden "Wesen" an, aus dem auch konkrete Aussagen über ihren Inhalt getroffen werden können. Diese Lehren verwehren zum Teil sogar dem Gesetzgeber, die Ehe abweichend von dem für richtig gehaltenen Ehebild zu regeln. Sie sind streng heteronom.

a) Der Inhalt der institutionellen Ehebilder Diese institutionellen Vorstellungen knüpfen an verschiedene außerrechtliche Erwägungen an. Ältere christliche Ansichten sahen in der Ehe eine religiös geprägte Gemeinschaft,86 die Protestanten eine göttlich gestiftete Lebensgemeinschaft und die katholische Kirche sogar ein Sakrament. 87 Spätere institutionelle Anschauungen bezogen sich dagegen nicht mehr auf religiöse, sondern auf sittlichmoralische Erwägungen. Auch der historische Gesetzgeber des BGB meinte, es gebe ein "sittliches Wesen" der Ehe und eine "eheliche Gesinnung", aus denen sich die Gestaltung des ehelichen Lebens und einzelne Verpflichtungen der Ehegatten herleiten ließen. 88 Noch heute wird die Ehe gelegentlich als eine "von Sittengesetzen und Naturgegebenheiten vorgegebene Verhaltensform" angesehen. 89 So nennt sie das BVerfG bis heute eine "verweltlichte bürgerlich-rechtliche" Institution, die zwar säkularisiert sei und daher nicht mehr auf religiöse Gesichtspunkte zurückgeführt werden könne, die aber gleichwohl eine vorgefundene überkommene Lebensform darstelle. 90 Allen institutionellen Ansichten ist gemein, daß sie ein feststehendes und einheitliches Ehebild haben und daher mit großer Bestimmtheit zu konkreten Aussagen über die rechtliche Ausgestaltung des ehelichen Lebens kommen. Sie gehen nicht von der faktischen Gestaltung dieses Lebensbereichs und den vielfältigen Lebensformen des menschlichen Zusammenlebens aus. Reale Abweichungen von dem zugrundegelegten Ehebild werden als Fehlentwicklungen eingestuft. 91 Aus diesem Grunde halten diese Lehren auch den Gesetzgeber für gebunden.

86 87

88 89 90 91

Hübner, S. 663. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 562. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 104. Hübner, S. 663. BVerfGE 31, 58, 82 f.; BVerfGE 36,146,163. Hübner, S. 663, 664, 670.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

131

b) Eheliche Betreuung nach den institutionellen Lehren Die institutionellen Ehelehren beschreiben selten konkrete Verhaltensweisen und Verpflichtungen der Partner, die aus dem jeweiligen Ehebild entständen. Sie gehen davon aus, daß der Inhalt der Ehe feststehe und allgemein bekannt sei. Tendenziell verfolgen sie eine Bewahrung überlieferter Bilder und Rangordnungen in der Ehe. 92 Insbesondere die "Hausfrauenehe" wurde oft als einzig zulässiges Ehebild aufgefaßt. Daß auch der Gesetzgeber lange Zeit einem institutionellen Eheverständnis folgte, zeigen die Bemühungen des GleichBerG 1957, verfassungswidrigerweise das Bild der Hausfrauenehe festzuschreiben. Wenn die institutionellen Lehren konkrete Aussagen über das eheliche Leben treffen, sehen sie durchgehend auch Beistand und Betreuung als eheliche Leistung an, weil dies dem sittlichen Wesen der Ehe als einer lebenslangen engen Lebensgemeinschaft entspreche. 93

c) Kritik an den institutionellen Ehebildern An allen diesen Lehren, die aus überindividuellen und sogar übersozialen Erwägungen ein feststehendes "Wesen der Ehe" herzuleiten versuchen, ist sicher richtig, daß die Ehe kein reines Rechtsinstitut darstellt, sondern sehr stark an außerrechtliehen Erscheinungen anknüpft. 94 Das soziale Phänomen der Ehe besteht mit mehr oder weniger Abweichungen in jeder Gesellschaft ohne Rücksicht auf ihre Anerkennung oder Ausgestaltung durch die jeweilige Rechtsordnung. 95 Gleichwohl hat "die Ehe" kein feststehendes, der Gesellschaft vorgegebenes Bild:

Zunächst gibt es in unserer Gesellschaft keinen Konsens über ein religiös begründetes Ehebild. Zwar ist unsere Gesellschaft jahrhundertelang durch das Christentum geprägt worden und hat zu weiten Teilen auch das christliche Eheverständnis aufgenommen. Eine Ehe kennen aber auch andere Religionen. Außerdem ist der starke Einfluß der Kirchen in unserer Gesellschaft sehr stark zurückgegangen. Daher hat auch das Recht die Ehe bereits im vorigen Jahrhundert von religiösen Vorstellungen gelöst. Dies zeigt sich spätestens in der Einführung der obligatorischen Zivilehe durch das Reichspersonenstandsgesetz96• Auch das BGB ging von einer säkularen Ehe aus, hat aber immerhin eventuelle religiöse Einbindungen der Ehe in § 1588 zur Kenntnis genommen. 97 Unter dem Grundgesetz ist die bürgerliche Ehe das einzige zulässige gesetzliche Ehemodell, denn seine religiöse Gernhuber, § 3 Nr. 3, S. 26. So für die allgemeine Beistandspflicht BGHSt 2, S. 150, 153 f. 94 Hübner, S. 663, 670 f. 9S Gernhuber/Coester-Waltjen, § 1 I I, S. 1. 96 Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung (RPStG) vom 6. Februar 1875, RGBl. 1875, S. 23. 97 Siehe hierzu Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 4, Kommissionsbericht, S. 1206. 92

93

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Neutralität verbietet dem Staat, ein Rechtsinstitut wie die Ehe, das er allen Menschen ohne Rücksicht auf ihre religiösen Überzeugungen als einzige rechtliche Lebensgemeinschaft anbietet, auf religiöse Grundlagen zu stellen. Ebenso ergibt sich ein feststehendes rechtliches "Wesen der Ehe" auch nicht aus moralischen Anforderungen. Sicherlich ist diese Lebensbeziehung auch sittlich geprägt.98 Moralische und sittliche Vorgaben sind jedoch keine übersoziale Erscheinung, sondern entstehen in einer Gesellschaft und in Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Regelungen. In unserer Gesellschaft prägen sie die Ehe deswegen besonders stark, weil sie eine enge Lebensgemeinschaft ist, in der die Partner voneinander abhängig sind und einander vertrauen. Besteht diese enge Verbindung der Ehe nicht, so bestehen auch nur schwächere moralische Anforderungen. Das Recht erkennt jedoch auch Ehen ohne persönliche Bindung an. Daher knüpft es überhaupt nicht an moralische Ansichten an. Hieraus ergibt sich bereits, daß die Ehe eine soziale Erscheinung ist. Sie kann nur in einem menschengemachten Normensystem bestehen. Vollständig außerhalb einer menschlichen Gesellschaft ist sie nicht vorstellbar. Daher wandelt sie sich mit den sozialen Ansichten. In unterschiedlichen Zeiten und Gesellschaften waren Ehen immer sehr unterschiedlich ausgestaltet. Nach alledem knüpft das Eherecht nicht an überindividuelle und übersoziale Erwägungen an, um die Ehe zu beschreiben.

3. Soziale Ehelehren: Betreuung als sozialadäquates Verhalten

Im Gegensatz zu den institutionellen Lehren leiten einige soziale Ehebilder den Inhalt der ehelichen Lebensgemeinschaft zwar nicht aus übersozialen, aber immerhin aus überindividuellen Erwägungen her. Sie nehmen also die gesellschaftliche Bedingtheit der Ehe zur Kenntnis. Nach dieser maßgeblich von Gemhuber entwikkelten Beschreibung ist die Ehe eine rechtlich geregelte soziale Verhaltensform. Das Recht knüpft hiernach an das üblicherweise vorhandene soziale Bild der Ehe, an die in der Gesellschaft vorherrschenden "sozialen Standards" an. 99 Nach dieser Auffassung darf sich ein Ehegatte grundsätzlich auf das soziale Bild der Ehe verlassen. 100 Als Vorteil dieser Anknüpfung an die sozialen Umstände und das übliche Ehebild wird angeführt, daß der Ehe unabhängig von übersozialen und sogar metaphysischen Aussagen ein rechtlicher Inhalt gegeben werden könne. 101 Ebenso hänge die rechtliche Erfassung der Ehe nicht von einer Vereinbarung der Ehegatten ab. Gemhuber/Coester-Waltjen, § 1 14, S. 3 f. Gemhuber/Coester-Waltjen, § 3 Nr. 6, S. 27 ff. 100 Gemhuber/Coester-Waltjen, § 3 Nr. 4, S. 27. 101 MK/Wacke, § 1353, Rn. 2; Pawlowski, Bürgerliche Ehe, S. 3.

98

99

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

133

Dies sei sinnvoll, weil eine solche Abrede meistens fehle, die Ehe aber auch in diesen Fällen weder als rechtsfreier Raum angesehen werden noch allein den allgemeinen Regelungen unterstellt werden könne. Und letztlich stelle diese Lehre sicher, daß sich das Eherecht entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen wandle. 102

a) Betreuungsleistungen als Teil eines sozialen Ehebildes Folgt man dieser Ansicht und richtet die Regelung der Ehe an den allgemein üblichen sozialen Erwartungen aus, gehören Betreuungsleistungen dann zum rechtlichen Bild der Ehe und sind womöglich sogar geschuldet, wenn in der Gesellschaft eine solche Auffassung besteht. 103 Die hohe Zahl an Ehegatten unter den Betreuungspersonen 104 zeigt in der Tat, daß die Betreuung durch den Partner Teil des sozialen Ehebildes ist und in weiten Teilen der Gesellschaft als eheliche Leistung erwartet oder zumindest angesehen wird. Entsprechend kann grundSätzlich sogar eine eheliche Pflicht zur Betreuung angenommen werden, wenn die §§ 1353 ff. BGB das gesellschaftliche Bild der Ehe aufnehmen und der rechtlichen Regelung zugrundelegen. lOS

b) Das Fehlen eines allgemeinen sozialen Ehebildes Auch in der Gesellschaft gibt es jedoch kein feststehendes, allgemein anerkanntes Bild "der Ehe". Die Liebesheirat, wie sie heute als Ideal angesehen wird, hat sich erst seit dem 19. Jahrhundert entwickelt. Noch bis in unser Jahrhundert hinein wurden Ehen häufiger aus wirtschaftlichen Erwägungen geschlossen. Und vor allem werden in verschiedenen gesellschaftlichen Schichten unterschiedlich ausgestaltete Ehen geführt, denn auch in derselben Gesellschaft herrschen nie überall die gleichen sittlichen oder moralischen Vorstellungen. 106 Eine "traditionelle" Hausfrauenehe läßt sich nicht mit einer Ehe vergleichen, deren Partner gleichberechtigt ein gemeinsames Unternehmen leiten, aber gleichwohl Gütertrennung vereinbart haben. Diese Entwicklung führt von einem einheitlichen Bild der Ehe fort. 107 Das Recht kann jedoch nicht eine unbegrenzte Zahl unterschiedlicher Ehebilder aufnehmen. Anders als beispielsweise § 1356 TI BGB a.F., der auf die Verhältnisse in der Schicht der Ehegatten abstellte, enthalten die §§ 1353 ff. BGB auch keine Hinweise darauf, welches der vielen gelebten Ehemodelle dem Gesetz zu\02 103

104

lOS

106 101

Gemhuber/Coester-Waltjen, § 3 Nr. 6, S. 28. Hübner, S. 663 f. Siehe oben Kap. 6 I. Gemhuber/Coester-Waltjen, § 18 V 3, S. 174; § 21 I 11, S. 232 f. Müller-Freienfels, S. 43 ff., 46. Anders jedoch Gemhuber/Coester-Waltjen, § 1 I 1, S. 1 f.

134

Teil D: Betreuung in der Ehe

grunde liegt. Und auch wenn es an einige oder eines der vorhandenen Ehebilder anknüpfte, so liefe das Recht Gefahr, ähnlich den institutionellen Ansätze ein bestimmtes Modell für verbindlich zu erklären, die anders gelebten Ehen zu mißachten und den sozialen Wandel zu übersehen. Außerdem sind diese ohnehin schon unterschiedlichen sozialen Ehebilder einem stetigen und immer schnelleren Wandel unterworfen. Dies beruht auf der zunehmenden Privatheit dieser Beziehung. Die Beteiligten gestalten sie nach ihren eigenen Vorstellungen und lassen sich immer weniger von äußeren Vorbildern lenken. Somit ergibt sich, daß das Recht auch nicht objektiv an bestimmte, feststehende soziale Vorstellungen über die Ehe anknüpft.

4. Interindividuelle Ehelehren

Nach den interindividuellen Ehelehren dagegen liegt der gesetzlichen Regelung überhaupt kein bestimmtes, über die einzelne Ehe hinausgehendes Bild zugrunde. Sie gehen davon aus, daß die Ehegatten ihre Ehe selbst gestalten können. Das Eherecht erkenne die Ausgestaltung der jeweiligen Ehe an, enthalte aber keine inhaltlichen Vorgaben. Ansonsten setze es rechtlich lediglich einen äußeren Rahmen. Zwingendem Recht seien die Ehegatten daher nur in ihren äußeren Rechtsbeziehungen zum Staat oder zu Dritten ausgesetzt. 108 Den inneren Bereich ihres Zusammenlebens könnten sie dagegen selbst und ohne äußere Vorgaben gestalten. 109 Diese Lehren vertreten inhaltlich unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Eheleute den offenen Rahmen ihrer Ehe ausfüllen. Einige sehen in der autonomen Gestaltung einen Vertrag llO oder einen ebenfalls rechtsverbindlichen Beschluß der Eheleute,lll andere sehen schon in dem faktischen Verhalten der Partner in der tatsächlich gelebten Ehe das nötige rechtlich relevante Verhalten. 112 In der Folge wird auch unterschiedlich beurteilt, ob eine solche ausdrückliche oder faktische "Vereinbarung" nur im gegenseitigen Einvernehmen oder unter bestimmten Umständen auch einseitig wieder beseitigt werden kann. 113

5. Keine rechtsgeschäftliehe Gestaltung der Ehe

Nach den erstgenannten individuellen Ansichten, die von einer rechtsgeschäftlichen Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausgehen, ist eine Betreu108

109 110

Pawlowski, Studium, S. 296, 299. Pawlowski, Die Ehe im staatlichen Recht, S. 644. Kurr, FamRZ 1978, S. 2, 4.

112

MK/Wacke, § 1356, Rn. 9 zum "gegenseitigen Einvernehmen" nach § 1356 I BGB. Lipp, S. 87,94 ff.

113

MK/Wacke, § 1356, Rn. 9. geslattet eine einseitige Lossagung bei wichtigem Grund.

111

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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ung als eheliche Leistung anzusehen, wenn die Ehegatten dies rechtsgeschäftlieh oder sonst verbindlich vereinbart haben. Dies setzt voraus, daß beide Partner ausdrückliche oder konkludente Erklärungen abgegeben haben, die von dem rur Willenserklärungen notwendigen Erklärungsbewußtsein und einem ausreichenden Rechtsbindungswillen getragen sind.

a) Die Struktur sozialer Nähebeziehungen Die Ehe ist eine der engsten sozialen Beziehungen in unserer Gesellschaft. Es ist zweifelhaft, daß in einem solchen sozialen Näheverhältnis rechtsgeschäftliche Abreden vorkommen. Denkbar ist auch, daß diese Beziehungen völlig anders als rechtsgeschäftlich gestaltet werden und daß die Verhaltensweisen der Beteiligten mit den herkömmlichen Kriterien rechtsgeschäftlichen Handeins nicht zu erfassen sind. 114 Enge Nähebeziehungen wie die Ehe, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, aber auch eine bloße Freundschaft und in geringerem Maße sogar ein Nachbarschaftsverhältnis, sind erheblich stärker von sozialen Ansichten und Anforderungen und von individuellen Verhaltensweisen geprägt als beispielsweise ein einmaliger geschäftlicher Kontakt. Diese persönliche Bindung beruht zum Teil auf der langen Dauer dieser Beziehungen. Hinzu kommt die besondere Intensität der Beziehung. Sie ist verschieden stark. So umfassen Lebensgemeinschaften wie die Ehe oder die Familie fast alle Lebensbereiche. 115 Die Intensität nimmt ab in bereichsbezogenen Beziehungen wie einer Freundschaft und wird am schwächsten innerhalb eines losen persönlichen Kontakts.

b) Soziale und rechtliche Einflüsse in verschiedenen Beziehungen Diese Beziehungen sind immer sozial begründet und auch ihre Ausgestaltung folgt weitgehend außerrechtlichen Einflüssen. Ein paralleles rechtliches Band steht im Hintergrund. Daneben gibt es auch Verbindungen, die das Recht begründet oder zumindest stärker prägt, die aber gleichwohl soziale Elemente enthalten. Es handelt sich meist um geschäftliche Beziehungen. So erkennt das Recht zum Beispiel im kaufmännischen Verkehr nach § 346 HGB außerrechtliche Handelsbräuche und damit die sozialen Ansichten in diesem Gesellschaftssegment an. Ein Beispiel für ein Rechtsverhältnis, das verhältnismäßig oft auch eine persönliche Beziehung um faßt, ist eine Wohnungsmiete. Hier können bedingt durch die längere Dauer der Bindung persönliche Kontakte zwischen Mieter und Vermieter entstehen. Die rechtliche Bindung steht jedoch im Vordergrund. Das Recht nimmt 114

Struck, FuR 1996, S. 118, 121.

m Zum Begriff der Lebensgemeinschaft siehe oben Kap. 8 11. 1.

Teil D: Betreuung in der Ehe

136

auch nur sehr eingeschränkt die soziale Verbindung zur Kenntnis. So sind bei der Wohnraummiete Belästigungen durch den Mieter ein Kündigungsgrund, auch wenn sie nicht den Grad einer Beleidigung im Rechtssinne des § 185 StGB erreiehen. 116 Dagegen ist das Arbeitsverhältnis stärker sozial geprägt. Hier bestehen gesellschaftliche Verhaltensanforderungen vor allem im Verhältnis zu Kollegen und unmittelbaren Vorgesetzten. Das Recht hat diese soziale Bindung früher auch sehr weitgehend übernommen. Das Arbeitsverhältnis wurde lange Zeit als "personenrechtlicher Vertrag" angesehen, der ohne weiteres außerrechtliche Verpflichtungen umfasse. 117 Diese einfache Übernahme sozialer Verpflichtungen geht allerdings zurück. Das Arbeitsverhältnis "verrechtlicht".118 Vorhanden sind beispielsweise noch die sozial begründeten Fürsorgepflichten des Arbeitgebers aus §§ 611, 242 BGBY9 Ehe, Verwandtschaft und Freundschaft, zum Teil auch Nachbarschaft sind dagegen ganz überwiegend soziale Beziehungen. Sie werden auch kaum als Rechtsverhältnisse verstanden. Die Beteiligten richten ihr Verhalten bewußt oder unbewußt nach den sozialen Anforderungen aus. Das Recht nimmt diese Beziehungen nur zur Kenntnis, begründet sie jedoch nicht. Es kann bei ihrer Gestaltung auch nicht allzu weit von den gesellschaftlichen Anschauungen abweichen, will es nicht seine Akzeptanz und seine Geltungskraft bei den Normunterworfenen verlieren. Deswegen sind viele dieser Beziehungen rechtlich auch gar nicht oder nur sehr schwach erfaßt. Freundschaft ist rechtlich irrelevant. Das Nachbarschaftsverhältnis dagegen wird geregelt, allerdings nur in bestimmten Fällen. So betreffen die §§ 906, 907 ff. BGB und die Nachbarrechte der Länder benachbarte Grundeigentümer. Mitmieter innerhalb desselben Hauses sind zu gegenseitiger Rücksicht verpflichtet, allerdings rechtlich gegenüber dem Vermieter. 120 Für Ehe und Verwandtschaft letztlich bestehen einige rechtliche Regelungen, obwohl auch sie zunächst sozial oder biologisch begründete Beziehungen sind. 121 Auch hier knüpft das Recht jedoch an die außerrechtlichen Vorgaben an. Eine Ehe etwa kann nach §§ 1564, 1565 I S. 1 BGB durch Scheidung auch rechtlich aufgelöst werden, wenn die zugrundeliegende soziale Beziehung "gescheitert" ist.

116 117

118 119

120 121

Sterne1, Rn. IV 117. RGZ 106,272,275. Schaub, § 29 I 3, S. 129 f. BAGE 26, 219, 232. Sterne1, Rn. 11 152. Siehe oben Kap. 6 11 1.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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c) Regelmäßig kein rechtsgeschäftliches Handeln im sozialen Nahbereich Schon die starke Prägung enger persönlicher Beziehungen durch außerrechtliche Anforderungen und Ansichten spricht dagegen, daß in ihnen regelmäßig formelle, womöglich ausdrückliche und rechtsverbindlich gemeinte Abreden vorkommen, die den Kriterien von Rechtsgeschäften entsprechen. Die Beteiligten handeln aufgrund der sozialen Einflüsse häufig unbewußt. Ihre Beziehung ist auf der kommunikativen Ebene sehr informell gestaltet. Sie unterliegen sozialen und individuellen inneren Erwartungen an das Verhalten des anderen, die selten ausdrücklich ausgesprochen werden. Entsprechend werden Verhaltensweisen gezeigt, und entsprechend der Reaktion des anderen wird dieses Verhalten aufrechterhalten oder aufgegeben. Vor allem in ehelichen Beziehungen mischen sich "Konflikte, Konsense und Nicht-Engagement". 122 Ausdrückliche Absprachen kommen kaum vor. Und auch wenn eine Seite eine bewußte Gestaltung oder Änderung der Beziehung wünscht, weil das Verhältnis zum Beispiel als belastet empfunden wird, so besteht eine erhebliche Scheu davor, dieses Bedürfnis auszusprechen und den Wunsch nach einer Abrede zu thematisieren. Es wird oft befürchtet, daß die andere Seite dieses Ansinnen als unangemessen auffaßt und die Beziehung noch stärker belastet wird und womöglich zerbricht. Gerade in einer Ehe, die nach sozialer Auffassung oder auch nach der Ansicht der Partner eine Liebesbeziehung sein soll, sprechen die Partner eher selten offen über die Gestaltung ihrer Lebensgemeinschaft. Demnach kommen in einer sozialen Nähebeziehung wie vor allem einer Ehe ausdrückliche Abreden generell selten vor. Solche Verbindungen werden nicht formell gestaltet, sondern durch das faktische Verhalten beider Seiten, das sich nach und nach einander anpaßt, je nachdem wie die Reaktion des anderen auf eine gezeigte Verhaltensweise ausfällt. 123 Auch wenn Abreden getroffen werden, bleiben sie meist auf informeller, sozialer Ebene. Nahezu regelmäßig fehlt den Beteiligten bei einer solchen Absprache das für eine Willenserklärung nötige Erklärungsbewußtsein. Vor allem gehen sie nicht davon aus, sich rechtlich zu binden, allenfalls wird durch eine Absprache eine soziale Verpflichtung begründet oder bekräftigt.

d) Tatsächliche Einwände gegen eine rechtsgeschäftliche Gestaltung der Ehe Entsprechend dieser informellen Struktur sozialer Nähebeziehungen fassen auch die Eheleute selbst die Gestaltung ihrer Lebensgemeinschaft meist nicht als Rechtsgeschäft auf. Ein Ehepaar kann sein Zusammenleben auch vollständig einer 122 123

Struck, FuR 1996, S. 118, 121. Fenn, S. 53 f.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

rechtlichen Gestaltung entziehen, sei es bewußt, sei es, weil es die Lebensgemeinschaft faktisch gestaltet, ohne dabei die Kriterien rechtsgeschäftlichen Handeins zu erfüllen. Daß in einer Ehe rechtsgeschäftlich gehandelt werden kann, wissen und akzeptieren die meisten Menschen nur für die vermögensrechtliche Seite, beispielsweise für einen Ehevertrag nach §§ 1408 ff. BGB. Selbst diese Abreden sind jedoch selten. Dies zeigt, wie fern die Vorstellung liegt, die Ehe sei als rein rechtliche Beziehung aufzufassen, die durch Rechtsgeschäfte der Ehegatten gestaltet werde.

e) Rechtliche Einwände gegen solche Abreden Auch rechtlich läßt sich eine Auffassung, die Ehe sei eine von Verträgen oder anderen Rechtsgeschäften geprägte rechtliche Beziehung, nicht vertreten. Eine solche Ansicht verkennt die Besonderheiten des Familienrechts. Anders als im Schuld- oder Erbrecht sind Verträge und andere Rechtsgeschäfte hier nicht das erste und grundsätzliche Mittel zur Gestaltung, weil überwiegend nicht vermögens-, sondern personenrechtliche Beziehungen betroffen sind. Zwar führt die bloße Existenz des Familienrechts noch nicht zu einer vollständigen Unabhängigkeit dieses Rechtsgebiets vom sonstigen Zivilrecht. Vielmehr unterliegt auch das Familienrecht den Regeln des Allgemeinen Teils des BGB und damit den Vorschriften über Verträge und Vertragsschlüsse. 124 Auch das Familienrecht kennt daher grundsätzlich die Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Regelung einzelner Fragen durch die Eheleute. Beispiele sind die Eheverträge nach §§ 1408 ff. BGB und die Unterhaltsvereinbarungen nach § 1585c BGB. Ebenso werden auch einzelne Grundsätze des Schuldrechts im Familienrecht angewandt, beispielsweise im Unterhaltsrecht nach § 1613 I BGB der Schuldnerverzug. Grundsätzlich jedoch ist das Familienrecht als abschließende spezielle Regelung dieses sozialen Bereichs anzusehen. 125 Seine Normen tragen dem besonderen Charakter von Ehe und Familie Rechnung. Sie erkennen an, daß die Ehe eine besondere, soziale Beziehung ist, die weitgehend eigenständigen Regeln folgt. Die Anknüpfungen an das Schuld- und Vertragsrecht sind aus familienrechtlicher Sicht Ausnahmen. Bei den Eheverträgen und den Unterhaltsvereinbarungen sind sie gerechtfertigt, weil es dort um vermögensrechtliche Abreden geht. Der innere, personenbezogene Bereich der Ehe, vor allem also die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft nach §§ 1353 ff. BGB, unterliegt dagegen keinen vertraglichen oder sonst rechtsgeschäftlichen Kriterien. Dies zeigt sich beispielsweise in § 1356 I BGB. Hiernach regeln die Ehegatten die Haushaltsftihrung im gegenseitigen Einvernehmen. Diese Regelung ist kein Rechtsgeschäft, sondern

124 12S

Pa1andt/Diederichsen, vor § 1297, Rn. 2. BGH, NJW 1956,1149,1150; BGH, FarnRZ 1990,367,368 m. w. N.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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eine Abrede eigener, familienrechtlicher Art. Zwar wird ihr oft auch vertragsrechtlicher Charakter beigemessen. 126 Gegen diese Ansicht spricht aber schon die Abweichung im Wortlaut beispielsweise gegenüber den §§ 145 ff. BGß. Auch ist der Begriff des Vertrages innerhalb des Familienrechts auf die Eheverträge nach §§ 1408 ff. BGB beschränkt, schon Unterhaltsabreden zwischen geschiedenen Ehegatten werden nach § 1585c BGB lediglich als Vereinbarungen bezeichnet. 127 Mit dieser Zurückhaltung gegenüber allgemeinen vertrags- und schuldrechtlichen Regelungen erkennt das Familienrecht an, daß Ehegatten einander nicht als Vertragspartner gegenüberstehen und ihre Beziehung auch nicht so auffassen, sondern daß die Ehe ein von sozialen Einflüssen, Erwartungen und informellen Verhaltensweisen ganz unterschiedlicher Art geprägtes System darstellt. 128

f) Kein Zwang zu rechtsverbindlichen autonomen Regelungen

Ein weiterer Einwand gegen die Ansichten, die eheliche Lebensgemeinschaft sei rechtsge'schäftlich gestaltet, liegt darin, daß sie die Ehegatten zu rechtsgeschäftlichen Abreden zwingen. Zwar soll beispielsweise § 1356 I BGB nach diesen Meinungen nur eine "Sollvorschrift" sein. Den Ehegatten obliege nur irgendeine Abrede über die Haushaltsführung, inhaltliche Vorgaben enthalte die Norm nicht. 129 Es handelt sich also um ein autonomes Ehebild. Auch die Verpflichtung, sich überhaupt einigen zu müssen, ist jedoch eine heteronome Vorgabe. Dieser Zwang widerspricht nicht nur dem Ziel des heutigen Eherechts, das die internen Beziehungen zwischen den Eheleuten von rechtlichen Zwängen freihalten will. 130 Auch der Wortlaut des § 1356 I BGB steht gegen einen Zwang zu rechtsgeschäftlicher Einigung, denn die Vorschrift formuliert ein faktisches Geschehen ohne jede normative Forderung. Und letztlich versagen diese Ansichten, wenn ein Ehepaar eine solche rechtliche Regelung bewußt oder unbewußt nicht trifft. Der bei § 1356 I BGB oft genannte Hinweis, ohne Regelung seien beide Ehegatten verpflichtet, den Haushalt nicht "verkommen" zu lassen,l3l ist wenig aussagekräftig und läßt sich auch nicht überzeugend begründen.

126 127 128 129 130 131

Kurr, FamRZ 1978, S. 2, 4; Pawlowski, Bürgerliche Ehe, S. 38 f. Zur Zulässigkeit und Reichweite von Unterhaltsverträgen siehe unten Kap. 12 V. 2. Struck, FuR 1996, S. 118, 121. MK/'Nacke, § 1356, Rn. 7. BT-Drs. 7/650, S. 95 ff. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 2011, S. 215.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

g) Ergebnis Aus diesen tatsächlichen und rechtlichen Argumenten ergibt sich, daß die Ehegatten ihre Lebensgemeinschaft im persönlichen Bereich nicht durch Vertrag oder ein anderes Rechtsgeschäft regeln.

6. Die faktische Gestaltung der Ehe als Grundlage ihrer rechtlichen Erfassung Eine Rechtsordnung, die das informelle System des Zusammenlebens und die persönliche Beziehung in einer Ehe rechtlich erfassen will, um im Außenverhältnis und für den Konfliktfall innerhalb der Ehe angemessen reagieren zu können, muß jede Ehe so nehmen, wie sie faktisch gestaltet ist. Wenn sie den Ehen ein Leitbild vorschriebe oder den rechtlichen Schutz an einen bestimmten Ehetypus anknüpfte, so würden viele Ehegatten benachteiligt, die ihre Lebensgemeinschaft abweichend von diesem Leitbild gestaltet haben. Auch dies wäre ein mittelbarer äußerer Zwang, der mit den Leitideen des heutigen Eherechts nicht zu vereinbaren ist. Somit kann nur jener Auffassung gefolgt werden, nach der das Eherecht allein an die faktische und reale Gestaltung des Zusammenlebens anknüpft und seinen Schutz jeder Ehe zukommen läßt, gleich wie sie gelebt wird. 132

7. Die rechtliche Anerkennung der faktisch gelebten Ehe durch § 1353 I S. 2 BGB Somit ordnet § 1353 I S. 2 BGB kein heteronomes inhaltliches Ehebild an. Zwar sind die Ehegatten als Teil der Gesellschaft von sozialen Erwartungen und moralischen Verpflichtungen über ein bestimmtes Bild der Ehe geprägt. Das Recht übernimmt diese sozialen und moralischen Ansichten jedoch nicht. 133 Ebenso verpflichtet die Generalklausel die Eheleute auch nicht zu einer autonomen, aber bewußten und rechtsverbindlichen Gestaltung ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft. 134 Das Recht erkennt vielmehr jede eheliche Lebensgemeinschaft als Ehe im Sinne von § 1353 I S. 2 BGB an, unabhängig von ihrer Ausgestaltung und ohne Rücksicht darauf, ob die Lebensgemeinschaft durch einen gemeinsamen bewußten Akt der Eheleute gestaltet wurde oder sich faktisch entwickelt hat. \3S Jede der so beschriebenen Ehen wird von Art. 6 I GG geschützt. 132 133 134

135

So vor allem Lipp, S. 94, 95. LUderitz, § 12 I 1, Rn. 195. Struck, FuR 1996, S. 118. Lipp, S. 95.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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Diese Anerkennung setzt zweierlei voraus. Zum einen kann auf den formellen Akt der Eheschließung nicht verzichtet werden. Allerdings werden auch "hinkende Ehen" erfaßt. 136 Zum anderen muß eine Lebensgemeinschaft bestehen. Eine Ehe, die von Beginn an nur auf dem Papier besteht, deren Partner überhaupt keine Beziehung führen und sich womöglich nicht einmal verständigen können, eine "Scheinehe" also, wird nicht als Rechtsbeziehung anerkannt. Daher erklärt das neue EheschlRG Ehen, die nicht auf eine Lebensgemeinschaft abzielen, in § 1314 11 Nr. 5 BGB n.F. für aufhebbar, schließt diese Rechtsfolge aber in § 1315 I S. 1 Nr.5 BGB n.F. aus, wenn sich faktisch gleichwohl eine Lebensgemeinschaft gebildet hat. l37 8. Folgen der rechtlichen "Anerkennung" einer Ehe

Die Rechtswirkungen und Rechtsfolgen, die das Recht für die Ehe bereithält, dienen daher dem Schutz jeder faktisch gelebten Ehe. Ebenso schützen sie die Interessen Dritter, die mit der Ehe im Rechtsverkehr vertraglich, deliktisch oder in irgendeiner anderen Weise in Berührung kommen. Das Eherecht regelt also im Verhältnis der Partner allein den Konfliktfall und die daraus entstehenden gegenseitigen Ansprüche. Hinzu kommen die Außenbeziehungen der Partner zu DrittenYs In welcher einzelnen Rechtsfolge oder sonstigen rechtlichen Regelung nun die Anerkennung der faktischen ehelichen Lebensgemeinschaft besteht, kann nicht allgemeingültig entschieden werden. In verschiedenen Konstellationen können verschiedene Regelungen nötig sein. Der unterschiedliche Ausgleich des Zugewinns nach § 1371 BGB beim Tode eines Partners und nach §§ 1372 ff. BGB bei einer Auflösung der Ehe aus anderen Gründen ist hierfür ein Beispiel.

9. Betreuung als eheliche Leistung im Sinne von § 1353 1 S. 2 BGB

Für die Frage nach der rechtlichen Erfassung ehelicher Betreuung heißt dies: Da es kein festes rechtliches Bild der Ehe gibt, gehören auch solche Leistungen nicht "von Rechts wegen" zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Wenn jedoch in einer Ehe faktisch betreut wird, also ein Ehegatte seinen betreuungsbedürftigen Partner versorgt und pflegt, erkennt § 1353 I S. 2 BGB diese Tätigkeit als Teil der ehelichen Lebensgemeinschaft an. Will man die Betreuung materiell in eine Gruppe ehelicher Leistungen einordnen, so gehört sie zum Beistand nach § 1353 I S. 2 Hs.2 BGB. BVerfGE 62, S. 323, 330. Bosch, NJW 1998, S. 2004, 2005. 138 So auch Lüderitz, § 12 I 3, Rn. 199, allerdings mit Bezug auf traditionelle ,,Ehemodelle". 136 137

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Teil D: Betreuung in der Ehe

IV. Rechtliche Folgen der Einordnung der Betreuung als Beistand nach § 1353 I S. 2 BGB Zu welchen konkreten rechtlichen Folgen diese Anerkennung der Betreuung als ehelicher Beistandsleistung führt, ob also etwa die Belastung des betreuenden Partners ausgeglichen oder das Vertrauen des Betreuungsbedürftigen auf weitere Leistungen geschützt wird, folgt sodann aus den einzelnen eherechtlichen Regelungen. Beispielsweise kann sich unter weiteren Voraussetzungen aus § 1359 BGB eine Haftungsmilderung für Schädigungen im Zusammenhang mit der Betreuung ergeben. Auch die bloße Einordnung der Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB führt bereits zu einer konkreten rechtlichen Folge. Die Betreuung ist kondiktionsfest. Da sie um der Ehe willen erbracht wird,139 findet sie in der ehelichen Lebensgemeinschaft auch ihren Rechtsgrund. Ein Rückforderungsanspruch des betreuenden Ehegatten aus § 812 I S. 1 Alt.l BGB , der sich nach § 818 11 BGB auf den Wert der Dienstleistungen richten würde, ist daher ausgeschlossen.

v. Besteht aus § 1353 I S. 2 BGB ein Rechtsanspruch auf Betreuung durch den Partner? Weiterhin ist zu klären, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ehegatte aus § 1353 I S. 2 BGB zur Betreuung seines betreuungsbedürftigen Partners verpflichtet ist, wann also aus der Generalklausel ein Rechtsanspruch auf Betreuung besteht. 1. Rechtsansprüche aus § 13531 S. 2 BGB nach der faktischen Ausgestaltung der einzelnen ehelichen Lebensgemeinschaft

In der familienrechtlichen Diskussion wird bislang selten die hier dargestellte Auffassung vertreten, daß das Eherecht die rechtliche Anerkennung und Erfassung einer faktischen sozialen Gemeinschaft darstelle und daß es daher entsprechend der verschiedenen Ausgestaltung jeder einzelnen Lebensgemeinschaft auch ganz unterschiedliche Regelungen bereithalten könne, um die einzelne Ehe zu schützen und ihre Außenbeziehungen zu regeln. Entsprechend wird auch die Frage nach ehelichen Rechtsansprüchen aus der Generalklausel entweder im ganzen verneint oder vollständig bejaht. Meist wird hierbei angenommen, die Ehe sei ein relatives Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Pflichten und Ansprüchen. l40 Daher wird ver139

140

S.95.

Siehe oben Kap. 7 I. Palandt/Diederichsen, vor § 1353, Rn. 6; MK/Wacke, § 1353, Rn. 3; ablehnend Lipp,

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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sucht, aus § 1353 I S. 2 BGB bestimmte allgemeine Rechtspflichten der Ehegatten abzuleiten. 141 Die Frage nach verbindlichen Pflichten und Rechtsansprüchen aus der Generalklauselläßt sich jedoch pauschal nicht beantworten. Das Recht muß grundsätzlich für jede einzelne Ehe entscheiden, ob ein Rechtsanspruch zum Schutze der Partner oder für eine angemessene Regelung der Außenbeziehungen nötig ist. Nur wenn diese Reaktion des Gesetzes auf eine bestimmte Gestaltung oder eine besondere Situation in einer Ehe notwendig und angemessen ist, bestehen in einer Ehe auch Rechtsansprüche zwischen den Ehegatten. Ist dagegen eine Ehe faktisch nicht so gestaltet, daß sie interner Rechtsansprüche der Partner gegeneinander bedarf, so werden durch das Eherecht auch keine begründet. Das Eherecht kann jedoch praktisch nicht jede einzelne Ehe individuell nach ihrer faktischen Ausgestaltung berücksichtigen. Es muß daher mit ausfüllungsbedürftigen Generalklauseln arbeiten und bestimmte Fallgruppen ähnlicher Fragen typisierend regeln. Beide Regelungsmethoden sind verfassungsrechtlich zulässig. 142 Pauschal jedenfalls läßt sich § 1353 I S. 2 BGB nicht entweder als Rechtsanspruch oder als bloße "Deklamation,,143 ohne verpflichtenden Charakter einstufen. Der Grund für die Begründung eines Rechtsanspruchs der Ehegatten untereinander kann im Schutze Dritter liegen. So wird der Taschengeldanspruch eines Ehegatten ohne eigenes Erwerbseinkommen beispielsweise deshalb bejaht, damit seinen Gläubigem über § 1357 I BGB hinaus eine Befriedigung ihrer Forderungen möglich ist. Ein Rechtsanspruch kann aber auch das Vertrauen eines der Ehegatten selbst schützen, der aufgrund einer Zusage oder eines faktischen Verhaltens von seinem Partner bestimmte Leistungen erwartet. 144 Ein solcher Vertrauensschutz ist eine der Aufgaben des Eherechts und des § 1353 I S. 2 BGB. 145

2. Denkbare Gründe für einen Betreuungsanspruch aus § 13531 S. 2 BGB Somit folgt aus § 1353 I S. 2 BGB grundSätzlich auch kein regelmäßiger Rechtsanspruch auf Betreuung des betreuungsbedürftigen Ehepartners. Es sind allerdings Konstellationen denkbar, in denen ein solcher Anspruch eine angemessene Form der rechtlichen Anerkennung einer bestimmten Art der eheliSiehe oben Kap. 8 I. Zu Typisierungen BVerfGE 93, 121, 134 ff.; zu GeneralklauseIn BVerfGE 56, 1, 12 f. 143 MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. 144 BGHZ 127,48,50 ff. zum Vertrauen auf einen vermögensrechtlichen Ausgleich in einer Gütertrennungsehe. 145 Lüderitz, § 12 I 3, Rn. 199. 141

142

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Teil D: Betreuung in der Ehe

chen Lebensgemeinschaft darstellt. Ein Betreuungsanspruch beispielsweise erscheint dann grundsätzlich denkbar, wenn ein Ehegatte seinen betreuungsbedürftigen Partner bereits versorgt hat. Hier kann der Betreute ein schützenswertes Vertrauen auf eine weitere Betreuung entwickelt haben. Hierzu ist ein Anspruch auf Betreuung geeignet. Er muß jedoch auch die Interessen des betreuenden Ehegatten aufnehmen und kann sich daher allenfalls darauf richten, daß eine bereits ausgeübte Betreuung zeitweise weitergeleistet wird.

3. Der grundsätzliche Charakter der Generalklausei als Rechtsanspruch

Eine solche Herleitung eines Betreuungsanspruchs aus § 1353 I S. 2 BGB setzt jedoch voraus, daß die Generalklausel überhaupt Rechtsansprüche begründet. Möglicherweise verzichtet das Gesetz generell darauf, den Ehegatten aus dieser Norm verbindliche Rechtspflichten aufzuerlegen, und beschränkt die rechtliche Anerkennung der faktisch gelebten Ehe jedenfalls im Bereich des § 1353 I S. 2 BGB auf andere Rechtsfolgen wie die Schaffung eines Rechtsgrundes für erbrachte Leistungen.

a) Die Auffassungen über den Rechtspflichtcharakter der Generalklausel Ob § 1353 I S. 2 BGB Grundlage für personenbezogene Rechtsansprüche zwischen den Ehegatten sein kann, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Verstärkt seit den grundlegenden Veränderungen des Eherechts durch das 1. EheRG wird vertreten, die Generalklausel habe für die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft nur noch deklaratorische Bedeutung. l46 Diese Änderung in der Einstufung des § 1353 I S. 2 BGB sei aus verschiedenen Gründen notwendig: Zum einen ließen sich aus der unbestimmt formulierten Generalklausel keine bestimmten Verhaltensanforderungen mehr herleiten, denn seit der Reformgesetzgeber die letzten konkret normierten persönlichen ehelichen Pflichten aufgehoben habe, fehle der Vergleichsmaßstab für eine Beschreibung und Begründung ehelicher Rechtspflichten. 147 Zum anderen habe das 1. EheRG das Scheidungsrecht von der Frage nach einem pflichtwidrigen Verhalten eines oder beider Ehegatten gelöst und mit der Einführung des ZeTrüttungsprinzips etwaige Pflichtverstöße in der Ehe sanktionslos gestellt. Da eine Sanktionierung etwaiger Verstöße jedoch wesentlicher Bestandteil einer Rechtspflicht sei, könne § 1353 I S. 2 BGB eine solche nicht mehr darstellen. 146 147

MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. Diederichsen, NJW 1977,217; BT-Drs. 7/4361, S. 7.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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Gleichennaßen häufig allerdings wird § 1353 I S. 2 BGB als Rechtsanspruch angesehen. 148 Soweit hierfür eine inhaltliche Begründung gegeben wird, besteht diese oft in einem Verweis auf die Rechtstradition 149 oder auf den Begriff der "Verpflichtung" im Wortlaut des § 1353 I S. 2. 150 Auch die Auffassung des Gesetzgebers wird als Begründung herangezogen. Nicht nur für den historischen BGB-Gesetzgeber sei es selbstverständlich gewesen, daß die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft eine bindende Rechtspflicht darstelle. Auch die späteren Refonngesetzgeber hätten den rechtsverpflichtenden Charakter der Vorschrift anerkannt. Das 1. EheRG habe ihn als Gegengewicht zur venneintlichen Erleichterung der Ehescheidung durch die Einführung des ZeITÜttungsprinzips sogar gestärkt, unter anderem durch die erstmalige gesetzliche Festschreibung der lebenslangen Ehe in § 1353 I S. 1 BGB n.F. 151 Hinter diesen entgegengesetzten Auffassungen stehen die bereits genannten verschiedenen rechtlichen Konzepte für die rechtliche Gestaltung der Ehe. 152 Eine heteronome Ansicht wird § 1353 I S. 2 BGB als Rechtsanspruch ansehen, weil so das jeweilige Ehemodell für alle Ehen zwingend wird. Dagegen muß ein Konzept der Privatheit solche rechtsverbindlichen Ansprüche ablehnen, weil das Zusammenleben der Eh-egatten gerade nicht rechtlich geregelt sein soll.

b) Die materielle Auslegung des § 1353 I S. 2 BGB Der Wortlaut der Generalklausel nennt ausdrücklich den Begriff der Verpflichtung und bezieht ihn im ersten Halbsatz auf die eheliche Lebensgemeinschaft im ganzen. Dagegen ist der neue zweite Halbsatz nicht nonnativ fonnuliert, sondern enthält eine bloße Feststellung, obwohl er den besonders wichtigen ehelichen Beistand betrifft. Aus dem Wortlaut läßt sich demnach nicht entnehmen, ob die Generalklausel Rechtsansprüche begründen kann. Eine systematische Auslegung des heutigen Eherechts ist unergiebig, denn seit dem 1. EheRG nonniert das BGB keine besonderen Pflichten mehr, die als Beispiele für die Auslegung der Generalklausel dienen könnten. Auch aus den Unterhaltspflichten zwischen Ehegatten nach §§ 1360 ff. BGB ergibt sich für die Frage personenbezogener Beistandspflichten wenig, denn sie stellen spezielle Regelungen dar und betreffen zumindest teilweise auch den vennögensrechtlichen Bereich der Ehe.

148 Pawlowski, Bürgerliche Ehe, S. 49 f.; Gemhuber/Coester-Waltjen, § 18 IV 4, S. 172; siehe auch oben Kap. 7 11 3. 149 MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. 150 Ramm, § 1411 2, S. 123. 151 MK/Wacke, § 1353, Rn. 14; Ramm, § 1411 2b, S. 124; BT-Drs. 7/650, S. 95. 152 Siehe hierzu oben Kap. 7 11 1.

10 O'Sullivan

146

Teil D: Betreuung in der Ehe

Der historische Gesetzgeber des BGB verfolgte ausdrücklich das Ziel, die Ehe als Rechtsverhältnis auszugestalten IS3 und strukturierte sie daher nach üblichem zivilrechtlichen Muster durch gegenseitige Ansprüche und Pflichten der Ehegatten. IS4 An dieser Auffassung haben die späteren Gesetzgeber festgehalten. Auch die Reformgesetze der siebziger Jahre sollten den Charakter der Norm nicht verändern. lss Der materielle Regelungsgehalt der Generalklausel ergibt also nicht deutlich, ob sie grundsätzlich Rechtsansprüche begründen kann. Auch der Wille der historischen und der reformierenden Gesetzgeber ändert daran nichts, denn er ist im Normtext nicht hinreichend deutlich erkennbar. ls6

c) Formelle Voraussetzungen einer Rechtspflicht Es ist daher zu klären, welche formellen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch überhaupt erfüllen muß, und ob die Generalklausel diesen Ansprüchen genügt. Die Frage nach dem Charakter einer Rechtspflicht ist Gegenstand einer jahrhundertelangen Diskussion vor allem über die Abgrenzung zu moralischen Pflichten, die hier nicht dargestellt werden kann. 157 Lange Zeit standen dazu die Zwangs_ISS und die Anerkennungslehren IS9 gegenüber. In diesem Jahrhundert sind vermittelnde Auffassungen hierzu entstanden. l60 Heute ist anerkannt, daß Rechtspflichten von moralischen Pflichten zu unterscheiden sind. Eine Rechtspflicht ist eine gesetzliche oder sonst rechtliche Verhaltensnorm, die in dem Sinne zwingend ist, daß sie unmittelbar oder mittelbar auch gegen den Willen des Verpflichteten durchgesetzt werden kann. Hierbei sind zwei Arten der Durchsetzbarkeit zu unterscheiden: Soweit das geschuldete Verhalten unmittelbar erzwungen werden kann, ist dies eine positive Durchsetzbarkeit. Dagegen wird bei einer negativen Durchsetzung die Verletzung der Pflicht nachträglich sanktioniert. Hier soll der Anspruch mittelbar über psychischen Zwang verwirklicht werden. Negative Sanktionen sind daher vielfältiger, sie reichen von einer Schadensersatzpflicht über Geldbußen bis hin zu Strafen. Ein zivilrechtliches Beispiel für positiv durchsetzbare Pflichten sind die Leistungsansprüche. Der Gläubiger kann sie mithilfe des staatlichen Gewaltmonopols erzwingen, nachdem ein Gericht darüber erkannt hat. Andere zivilrechtliche 153 154 ISS

156 157 158 159

160

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 104. Lipp, S. 5. BT-Drs. 7/650, S. 95 ff. MK/Wacke, § 1353, Rn. 14. Zu dieser Frage grundsätzlich Schreiber, S. 1 ff. Schreiber, S. 41. Schreiber, S. 84 ff. Schreiber, S. 133, 144 zur "Reinen RechlSlehre" Hans Kelsens.

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

147

Pflichten sind aber nur negativ durchsetzbar: So sind viele der Neben- und Schutzpflichten aus schuldrechtlichen Vertrags- oder Sonderverbindungen unselbständig und können daher nicht eingeklagt werden. 161 Eine Verletzung führt jedoch zu einer Schadensersatzverpflichtung aus §§ 280, 286, 325, 326 BGB, einer positiven Forderungsverletzung oder einer culpa in contrahendo. Daher sind auch sie rechtlich verbindlich. Die zivilrechtlichen Obliegenheiten wie die Last zur Schadensminderung nach § 254 I, 11 BGB oder die kaufmännische Rügel ast nach §§ 377, 378 HGB sind dagegen weder klagbar noch schadensersatzbewehrt. Eine Verletzung führt jedoch zum Verlust eines rechtlichen Vorteils, § 254 BGB zum Beispiel zur Kürzung oder zum Ausschluß eines Schadensersatzanspruchs. Auch dies sind negative Sanktionen. Keine Rechtspflicht stellen dagegen die unvollkommenen Verbindlichkeiten, die Naturalobligationen wie der Ehemaklerlohn (§ 656 I S. 1 BGB) und die Spiel- und Wettschulden (§ 762 I S. 1 BGB) dar. Sie verbleiben im außerrechtlichen Bereich, wie der Begriff der ,.Ehrenschuld" zeigt.

d) Positive Durchsetzbarkeit und negative Sanktionierung der Generalklausel Anhand dieser Kriterien ist nunmehr die Generalklausel auf ihre positive Durchsetzbarkeit oder eine negative Sanktionierung und damit auf ihren Rechtspflichtcharakter zu untersuchen. Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft kann nach § 606 I S. 1 Var.6 ZPO LY.m. § 1353 I S. 2, TI BGB mithilfe der ehelichen Herstellungsklage vor dem Familiengericht eingeklagt werden. Anders als bei einer vermögensbezogenen Pflicht ist ein obsiegendes Herstellungsurteil nach § 888 m Var.2 ZPO jedoch nicht vollstreckbar. Dies würde auch für ein Urteil auf Betreuungsleistungen gelten, denn der Vollstreckungsausschluß erfaßt auch alle einzelnen Pflichten, die der Herstellung des ehelichen Lebens entsprechen. 162 Dieses Vollstreckungsverbot dient vor allem dem Schutz des Persönlichkeitsrechts und anderer Grundrechte des Ehegatten: 63 Auch die ,,Appellfunktion", die einem Urteil auf Herstellung des ehelichen Lebens gelegentlich zugemessen wird,lM verbleibt im moralischen Bereich und kann daher nicht zu Erzwingbarkeit im rechtlichen Sinne führen. Die Generalklausel ist also insoweit nicht positiv durchsetzbar. Denkbar bleibt aber eine negative Sanktionierung. Ein "Verstoß" gegen § 1353 I S. 2 BGB ist anders als nach §§ 42 ff. EheG seit der Einführung des ZeITÜttungsprinzips in das Scheidungsrecht durch das 1. 161 162 163

164

10*

Palandt/Heinrichs, § 242, Rn. 25. Baumbach I Lauterbach I Hartmann, § 888, Rn. 22. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 888, Rn. 21. MK/Wacke, § 1353, Rn. 43.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

EheRG kein Scheidungsgrund mehr. Auch die gelegentlich vertretene Ansicht, die Ehe sei ein absolutes Recht im Sinne von § 823 I BGB und daher schadensersatzbewehrt,165 ist abzulehnen, weil das Familienrecht zumindest im Bereich des Personenrechts abschließende Regeln enthält und ein Rückgriff auf das Schuldrecht und damit auf das Deliktsrecht insoweit ausgeschlossen iSt. I66 Zum Teil wird auch der mögliche Ausschluß nachehelichen Unterhalts aufgrund der Härteklauseln des § 1579 BGB, vor allem der Nr. 6, als negative Sanktion eines "pflichtwidrigen ehelichen Verhaltens" gesehen. Diese Klausel wurde erst 1986 durch das Unterhaltsänderungsgesetz 167 in das Scheidungsrecht eingefügt, nachdem zuvor einige Gerichte aus § 1579 Nr. 4 BGB a.F. ähnliche Rechtsfolgen abgeleitet hatten. 168 Diese Norm greift auf Verschuldenskriterien zurück. Eine eheliche Lebensgemeinschaft zerrüttet jedoch so gut wie nie allein durch die Schuld eines Partners. Meist setzen beide Ehegatten unbewußt Ursachen für Kommunikationsstörungen oder andere Konflikte. Wie die Ehe letztlich zerstört wurde, kann nicht festgestellt werden. Außerdem widerspricht die Vorschrift dem Ziel des heutigen Scheidungsrechts, die Frage nach der Schuld am Scheitern einer Ehe nicht mehr zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens zu machen. 169 Aus diesen beiden Gründen sollte sie restriktiv ausgelegt werden. Bei einer engen Auslegung erfaßt aber der Wortlaut einen Verstoß gegen eine etwaige ,.Betreuungsverpflichtung" aus § 1353 I S. 2 BGB nicht, weil die Beendigung einer so belastenden und intensiven Arbeit wie der Pflege und Betreuung eines anderen Menschen nicht als schwerwiegend angesehen werden könnte. Letztlich bleibt es denkbar, ähnlich wie bei der Erfassung der faktischen Ehe selbst auch bei der Frage der negativen Sanktionierung an die tatsächlichen, sozialen Folgen eines "Verstoßes" anzuknüpfen. Enttäuscht in einer engen Lebensgemeinschaft wie der Ehe ein Partner die Erwartungen des anderen, dann wird die Beziehung belastet und zerbricht womöglich. Eine Ehe kann in dieser Situation wegen Zerrüttung nach § 1565 I BGB geschieden und damit auch rechtlich aufgelöst werden. Die Scheidung als rechtliche Folge knüpft jedoch seit der Reform des Scheidungsrechts durch das 1. EheRG nicht mehr an eine Pflichtverletzung an, sondern an die Zerrüttung. Diese aber ist eine bloß tatsächliche Folge der enttäuschten Erwartungen des betreuungsbedürftigen Ehegatten und keine rechtliche Sanktion. Für die Beistandspflicht aus § 1353 I S. 2 BGB bedeutet die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft nur, daß sie erlischt. Weitere rechtliche Folgen sind nicht an eine "Verletzung" dieser Verpflichtung geknüpft.

Siehe hierzu Pawlowski, Bürgerliche Ehe, S. 45 f. Lipp, S. 57. 167 Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften (UÄndG) vom 20. Februar 1986 (BGB!. I 1986, S. 301 ff.). 168 BGH, NJW 1979, 1348 und 1452; BGH, FamRZ 1984,356,357. 169 BT-Drs. 7/650, S. 72 ff. IM

166

8. Kap.: Eheliche Betreuung als Beistandsleistung nach § 1353 I S. 2 BGB

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Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft ist daher auch nicht negativ sanktioniert. 170 Schon auf einfachrechtlicher Ebene ergibt sich also, daß § 1353 I S. 2 BGB keine Rechtspflichten begründen kann.

e) Verfassungsrechtliche Argumente gegen einen Rechtspflichtcharakter Dieses Ergebnis ist aus verfassungsrechtlichen Gründen auch zwingend. Gesetze müssen schon aufgrund des Rechtsstaatsprinzips in Art. 20 m GG ausreichend bestimmt sein. 171 Zwar sind unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln grundsätzlich zulässig. 172 Besondere Anforderungen an die Bestimmtheit einer Nonn sind jedoch dann zu stellen, wenn sie in Grundrechte eingreift. 173 Hier müssen die Vorgaben des Gesetzgebers umso genauer sein, je intensiver der Eingriff ist. Der Begriff der ehelichen Lebensgemeinschaft ist sehr unbestimmt. Seitdem kein vergleichender Rückgriff auf konkrete andere Vorschriften über die Ehe mehr möglich ist, kann er nur sehr allgemein und abstrakt beschrieben werden. 174 Er entspricht daher zwar den verfassungsrechtlichen Anforderungen, solange er die jeweilige eheliche Lebensgemeinschaft nur dadurch regelt, daß er für Leistungen in dieser Gemeinschaft einen Rechtsgrund schafft oder beispielsweise die Haftung mildert. Eine Rechtspflicht dagegen stellt immer einen unmittelbaren und ge zielten Eingriff in die Grundrechte des Verpflichteten dar. Sie betrifft vor allem seine Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Für einen solchen Eingriff wäre § 1353 I S. 2 BGB zu unbestimmt.

4. Ergebnis § 1353 I S. 2 ist generell nicht geeignet, die Grundlage für Rechtsansprüche zwischen den Ehegatten zu bilden. Auch wenn Betreuungsleistungen bereits erbracht wurden, besteht aus dieser Vorschrift kein Rechtsanspruch auf weitere Betreuung.

VI. Endergebnis Wenn ein Ehepartner betreuungsbedürftig ist und der andere notwendige Betreuungsleistungen erbringt, dann ist dies nach § 1353 I S. 2 BGB eine ehebewgene Leistung, die in der Ehe ihren Rechtsgrund findet und nach den Vorschriften des Ehepersonenrechts, zum Beispiel der Haftungsnonn des § 1359 BGB, zu beurtei170 171 172

173 174

MK/Wacke, § 1353, Rn. 13. Jarass/Pieroth, Art. 20, Rn. 38. BVetfGE 28, 175, 183 ff.; BVerfGE 93,213,238 f. Jarass I Pieroth, Art. 20, Rn. 34. Siehe zur Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensgemeinschaft oben Kap. 8 11. 1.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

len ist. Ein Rechtsanspruch auf Betreuung besteht aus der Generalklausel jedoch nicht.

VII. Überleitung: Betreuung als möglicher Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB Neben § 1353 I S. 2 BGB wird in Rechtsprechung und Literatur auch die Verpflichtung zum Familienunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB als rechtliche Grundlage für Betreuungsleistungen in der Ehe genannt. l7S Könnte die Betreuung auch dort eingeordnet werden, so hätte dies gegenüber einer alleinigen Erfassung durch die Generalklausel besondere Folgen. So könnte aus § 1360 S. 1 BGB ein Rechtsanspruch auf Betreuung bestehen, wenn diese Vorschrift einen rechtsverpflichtenden Charakter hat, auch wenn aus § 1353 I S. 2 BGB eine solche Leistung nicht geschuldet ist. Außerdem sind möglicherweise einzelne Rechtsfragen im Umfeld der Betreuung bei einer unterhaltsrechtlichen Erfassung anders geregelt.

Kapitel 9

Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung I. Betreuung als Unterhaltsleistung im allgemeinen Bevor jedoch die speziellen Vorschriften des Ehegatten- oder Familienunterhalts untersucht werden können, muß geklärt werden, ob die ambulante Betreuung generell Unterhalt sein kann. 116 Diese Frage wird in Schrifttum und Rechtsprechung selten gestellt. Nur gelegentlich werden Pflege und Betreuung als Naturalunterhalt eingestuft. 111 Im folgenden soll daher untersucht werden, ob Betreuungsdienste nach ihrem Inhalt, ihrem Maß und ihrer Form Unterhaltsleistungen sein können. Zuvor wird allerdings aus einem Vergleich zwischen dem familialen Verhältnis zwischen Betreuer und Betreuungsbedürftigem ein Indiz für diese These hergeleitet.

II. Die Übereinstimmung zwischen Betreuern und Unterhaltspflichtigen als Indiz für den Unterhaltscharakter der Betreuung Dieses Indiz ergibt sich aus einem Vergleich zwischen der familialen Beziehung der Betreuer zum Betreuten und der persönlichen Reichweite der Unterhaltverpflichtung. Im folgenden wird untersucht, welche Familienangehörigen nach deutm Siehe oben Kap. 7 11. 3. Zur konkreten Einordnung der Betreuung als Ehegattenunterhalt siehe unten Kap. 10 I. 177 Hänlein, S. 3 f. 176

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als UnterhaItsleistung

151

schem Recht unterhaltspflichtig sind. Es ergibt sich ein auffälliger Gleichklang mit ihrem faktischen Anteil an den unentgeltlich tätigen Betreuern. Er zeigt, daß auch das Unterhaltsrecht in seinem persönlichen Anwendungsbereich an die soziale Auffassung anknüpft. Hieraus ergibt sich zumindest die Vermutung, daß es auch im sachlichen Anwendungsbereich von dem sozialen Bild der Betreuung ausgeht. Und weil Unterhalt faktisch überwiegend in natura und als Betreuung erbracht wird, könnten diese Leistungen dann auch rechtlich als der geschuldete Unterhalt eingeordnet werden.

1. Die persönliche Bindung als Unterhaltsgrundverhältnis

Ein wesentliches Merkmal eines Unterhaltsanspruchs ist das unterhaltsrechtliche Grundverhältnis. Es handelt sich um die abstrakte und latente Unterhaltsbeziehung zwischen zwei Personen, aus der unter weiteren Voraussetzungen wie der Bedürftigkeit des Berechtigten ein konkreter Unterhaltsanspruch entstehen kann. 178 Diese abstrakten Unterhaltsberechtigungen knüpfen grundsätzlich an eine persönliche, außerrechtliche Verbindung zwischen den Beteiligten an. So setzt der Verwandtenunterhalt nach §§ 1601 ff. BGB grundsätzlich eine biologische Verbindung voraus, erkennt allerdings auch die rechtliche Verwandtschaft durch eine Adoption an. Der Ehegattenunterhalt dagegen ist Folge einer rechtlich anerkannten sozialen Beziehung. Anders als andere Unterhaltsformen wandelt er sich deswegen nach §§ 1360, 1361 und 1569 ff. BGB entsprechend der jeweiligen realen Ausgestaltung der Ehe. Diese außerrechtlichen Beziehungen, an die das Unterhaltsrecht anknüpft, entsprechen dem Begriff der Familie. 179 Sie sind grundsätzlich ein soziales Näheverhältnis mit einer sittlichen Verpflichtung, für den anderen einzustehen. Es handelt sich um "Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaften" in den ,,Not- und Wechselflillen des Lebens". Diese Beschreibung hat das BVerjG zwar für nichteheliche Partnerschaften entwickelt,I80 für die gerade keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Sie ist aber für jedes unterhaltsrechtliche Grundverhältnis geeignet, denn der Ausschluß nichtehelicher Lebensgemeinschaften von einer Unterhaltsberechtigung ist angesichts des sozialen Wandels kaum mehr zu rechtfertigen. 181 Soweit aber ein Unterhalts verhältnis begründet wird, übernimmt das Recht diese außerrechtliche Hilfeverpflichtung und erhebt sie auf diese Weise in den Rang einer Rechtspflicht. Schon das Beispiel der nichtehelichen Partnerschaft zeigt aber, daß die gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen nicht alle Familienangehörigen im Sinne dieser 178 179

180 181

Göppinger/Wax, Rn. 2. Zum Begriff der Familie und seiner Reichweite Kap. 6 11. BVerfGE, 87, 234, 264. Siehe hierzu Schwenzer, S. 196 ff.

152

Teil D: Betreuung in der Ehe

Arbeit umfassen. Sie knüpfen auch nicht an jede faktische Lebensgemeinschaft oder andere enge soziale Bindung an. Auch das Unterhaltsrecht geht abstrahierend und typisierend vor. Außerdem war es ähnlich dem Ehe- und Scheidungsrecht 182 lange Zeit einem Statusdenken verhaftet, das nicht oder nicht allein auf die faktische Gestaltung menschlichen Zusammenlebens und die tatsächliche Struktur sozialer Beziehungen abstellte. 183 Dies zeigte sich zum Beispiel in dem Begriff des "standesmäßigen Unterhalts", der in § 1578 und § 1610 11 BGB a.F. das Maß des geschuldeten Unterhalts umschrieb, bis diese Vorschriften durch die Ehegesetze von 1938 184 und 1946 185 ersetzt 186 bzw. durch das Familienrechtsänderungsgesetz 187 geändert wurden. 188 Demnach stellt nicht jede familiale und auch nicht jede enge soziale Beziehung ein unterhaltsrechtliches Grundverhältnis dar. Das Unterhaltsrecht greift nur einige dieser Verhältnisse wie die Verwandtschaft oder die Ehe heraus. Auf diese Weise sind einerseits einige soziale Bezugspersonen mit einer durchaus vorhandenen moralischen Unterhaltspflicht wie ein Stiefelternteil oder die Geschwister ausgeschlossen. Andererseits sind rechtlich solche Beziehungen erfaßt, hinter denen keine persönliche soziale Beziehung mehr steht, wie beispielsweise beim nachehelichen Unterhalt nach §§ 1569 ff. BGB oder innerhalb des Dreißigsten nach § 1969 I S. 1 BGB.

2. Die Unterhaltspflicht Familienangehöriger im deutschen Recht

Die folgende Untersuchung der einzelnen Unterhaltsbeziehungen soll darstellen, daß die Unterhaltspflicht eine Ausprägung der Familienangehörigkeit ist. Das Ergebnis wird sodann mit den Betreuungsverhältnissen und dem Anteil der unterhaltspflichtigen Familienangehörigen an den unentgeltlich tätigen Betreuern verglichen.

\82 \83

Schwenzer, S. 62 f. Schwenzer, S. 196 ff., 222 ff.

\84 Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet vom 6. Juli 1938 (RGBL I 1938, S. 807). \8S Kontrollratsgesetz Nr. 16 vom 20. Februar 1946 (ABI. KR 1946, S. 77, 294).

\86 Inzwischen hat das I. EheRG das Maß des nachehelichen Unterhalts wieder in § 1578 BGB geregelt und diese Vorschrift neu gefaßt. \87 Gesetz zur Vereinheitlichung und Änderung familienrechtlicher Vorschriften (FamRÄndG) vom 11. August 1961 (BGBL 11961, S. 1221). \88 Erhalten geblieben ist der Maßstab des standesmäßigen Unterhalts beim Ausschluß einer Schenkungsrückforderung wegen Notbedarfs in § 529 11 BGB.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

153

a) Unterhalt in der Kernfamilie Die grundlegenden Unterhaltsverpflichtungen der §§ 1601 ff. BGB betreffen Verwandte in gerader Linie. Hier bleibt das Unterhaltsrecht nur insoweit hinter dem sozialen Familienbegriff zurück, als es Seitenverwandten auch ersten Grades, also Geschwistern, keine Ansprüche gewährt. Dieser Ausschluß wurde allerdings erst in den Beratungen der Zweiten Kommission festgeschrieben. 189 Der erste Entwurf hatte noch eine Unterhaltspflicht unter Geschwistern vorgesehen. l90 Diese Vorschrift wurde gestrichen, ohne daß die Frage nach einer sittlichen Unterhaltsverpflichtung in diesem Verhältnis aufgeworfen wurde. Statt dessen wies die Kommission lediglich darauf hin, daß eine Entlastung der öffentlichen Annenkassen eine Unterhaltspflicht nicht rechtfertigen könne. 191 Die Frage nach einer Unterhaltspflicht unter Geschwistern wird jedoch seitdem regelmäßig diskutiert und befiirwortet. 192 Das Recht kennt beispielsweise im Höferecht 193 auch unterhaltsrechtliche oder unterhaltsähnliche Ansprüche zwischen Geschwistern. Dies zeigt, daß der Ausschluß von Geschwistern aus der Unterhaltspflicht nicht nur der sozialen Anschauung widerspricht, sondern auch rechtlich eine Besonderheit ist. Auch zusammenlebende Ehegatten sind nach §§ 1360 ff. BGB unterhaltspflichtig, und zwar unabhängig davon, ob gemeinsame Kinder vorhanden sind. Dies entspricht dem üblichen Familienverständnis. Dagegen reicht der nacheheliche Unterhalt nach §§ 1569 ff. BGB über die Familienangehörigkeit hinaus, denn geschiedene Eheleute gelten im sozialen Sinne nicht als Familie. Allerdings kann ein Ehegatte nachehelich auch nur wegen bestimmter Gründe Unterhalt verlangen, zu denen nach § 1570 BGB die Betreuung eines gemeinsamen Kindes gehört.

b) Unterhalt unverheirateter Partner Ein weiterer Unterhaltsanspruch steht nach § 16151 I S. 1 BGB einer ledigen Mutter gegen den Vater ihres Kindes zu. Er beruht zwar nicht auf Verwandtschaft oder Ehe, sondern auf einer rein faktischen, außerrechtlichen Beziehung. Entsprechend war der Vorläufer dieses Anspruchs in § 1715 I S. 1 BGB a.F. als entschädigungsähnlicher Anspruch auf Kostenerstattung ausgestaltet gewesen. l94 Seitdem das Nichtehelichengesetz 19S diesen Anspruch als § 16151 BGB neu gefaßt hat, hanProtokolle zum BGB, Bd. IV, S. 478. Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 4, Einleitung, S. LXXI (zu § 1480 EI). 191 Protokolle zum BGB, Bd. IV, S. 478. 192 MK/Köhler, § 1601, Rn. 5. 193 Siehe hierzu unten Kap. 9 11 2 e. 194 Huffmann, S. 76; Motive zum BGB, Bd. IV, S. 906 f. 195 Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEheIG) vom 19. August 1969 (BGB!. I 1969, 1243 ff.). 189 190

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Teil D: Betreuung in der Ehe

delt es sich jedoch um einen regulären familienrechtlichen Unterhaltsanspruch im Sinne der §§ 1601 ff. BGB. 196 Diese gesetzliche Regelung entspricht zum Teil der sozialen Auffassung, denn nicht verheiratete Partner mit gemeinsamen Kindern sind außerrechtlich eine Familie, wenn sie eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bilden. In diesem Falle stellen sie entgegen der Auffassung des BVerfG197 auch nicht zwei Teilfamilien dar,198 sondern eine einheitliche Familie. Diese genießt den Schutz aus Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention l99 •2OO Gleiches muß für Art. 6 I GG gelten. Diesen Familienbegriff hat auch der Gesetzgeber anerkannt, indem er durch das

Kindschajtsrechtsre!ormgesetz201 in § 16151 V BGB n.F. auch dem ledigen Vater einen entsprechenden Unterhaltsanspruch gegen die Mutter zuerkannt hat, wenn er das Kind betreut. Allerdings weicht § 16151 BGB auch von diesem Familienbegriff ab, denn der Unterhaltsanspruch der Partner hängt nicht von einer Lebensgemeinschaft ab und ist daher auch dann gegeben, wenn sie nicht zusammenleben und daher nach der sozialen Auffassung keine Familie bilden.

c) Der Dreißigste nach § 1969 I S. 1 BGB als Unterhalt Die einzige ausdrückliche unterhaltsrechtliche Erwähnung der Familienangehörigkeit im allgemeinen findet sich in § 1969 I S. 1 BGB. Diese Vorschrift verpflichtet den Erben, familienangehörige Hausgenossen des Erblassers nach seinem Tode dreißig Tage lang so weiterzuversorgen, wie sie von dem Verstorbenen Unterhalt bezogen hatten, ohne Rücksicht darauf, ob dieser zu seinen Leistungen verpflichtet war oder nicht. 202 Da die Norm nur allgemein an die Familienzugehörigkeit anknüpft, kann sie weit ausgelegt werden. Sie erfaßt auch entfernte Verwandte und Verschwägerte. Außerdem werden inzwischen nichteheliche Lebensgefahrten als Berechtigte angesehen. 203 Anders als bei den Ansprüchen der ledigen Mutter nach § 16151 BGB erfaßt der Dreißigste aber nur tatsächlich gelebte nichteheliche Lebensgemeinschaften, denn er gilt nur für hausangehörige Partner. Damit entspricht der Kreis der Berechtigten bei § 1969 I S. 1 BGB am ehesten dem sozialen Familienbegriff.

MK/Köhler, vor § 1615k, Rn. 1; Pa1andt/Diederichsen, § 16151, Rn. 1. Zur Ansicht des BVerfG siehe oben Fn. 12 in Teil C. 198 Schwenzer, S. 264, 265. 199 (Europäische) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. April 1950 (BGBl. 11 1952, S. 686 ff.). 200 EuGMR, NJW 1979,2449,2452 f. (Rs. Marckx/Be1gien). 201 Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I 1997, S. 2942). 202 Pa1andt/Edenhofer, § 1969, Rn. 1. 203 OLG Düsse1dorf, NJW 1983, S. 1566, 1567; Schwenzer, S. 207. 196 197

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

155

Dieser Bezug gilt aber nur für die Beziehung zum Erblasser innerhalb der Anspruchsvoraussetzungen des Dreißigsten. Verpflichtet ist dagegen der Erbe. Mit diesem muß der familienangehörige Hausgenosse anders als mit dem Erblasser nicht unbedingt auch persönlich verbunden sein. Zwar beruft das Erbrecht in den §§ 1924 bis 1928 und 1931 BGB grundsätzlich die Verwandten und den Ehegatten zu gesetzlichen Erben. Durch abweichende letztwillige Verfügungen des Erblassers nach §§ 1937, 1941 I BGB oder in den Fällen des gesetzlichen Erbrechts des Fiskus nach § 1936 I S. 1 BGB kann jedoch auch ein Familienfremder als Erbe auftreten. In diesen Fällen richtet sich der Anspruch aus § 1969 I S. 1 BGB gegen einen Nichtfamilienangehörigen. Diese Erkenntnis widerspricht aber nicht der Anknüpfung des Unterhaltsrechts an die biologische oder soziale Familienzugehörigkeit, denn der Dreißigste entspricht nur materiell einem Unterhaltsanspruch, ist aber nach § 1969 11 BGB formell wie ein Vermächtnis zu behandeln.

d) Der Unterhalt werdender Mütter nach § 1963 und § 2141 BGB Zwei weitere erbrechtliehe Regelungen unterstreichen ausdrücklich die Abhängigkeit des Unterhaltsrechts von der Familienangehörigkeit. Nach § 1963 S. 1 und § 2141 BGB kann die werdende Mutter eines künftigen Erben oder Nacherben bis zur Geburt Unterhalt aus dem Nachlaß oder dem Erbteil des Kindes verlangen. Hiermit wird der Unterhaltsanspruch der Mutter gegen ihr Kind aus § 1601 BGB zeitlich vorverlagert, den sie mit der Geburt geltend machen kann, wenn sie bedürftig und das Kind aufgrund seines Erbrechts leistungsfähig ist. Daher besteht auch dieser Unterhaltsanspruch materiell gegen einen Familienangehörigen, nämlich das Kind, während er formell gegen den Nachlaßpfleger, einen Testamentsvollstrecker oder einen anderen Träger des Nachlasses gerichtet ist.

e) Höferechtlicher Unterhalt zwischen Geschwistern Auch die wenigen Unterhaltsregelungen außerhalb des BGB beschränken sich auf Familienangehörige. Vor allem die Unterhaltsansprüche abgefundener minderjähriger Geschwister gegen den Hoferben 204 nach § 12 VI S. 2 Hö!eordnunlo s und entsprechenden Vorschriften einiger Landeshöfeordnungen 206 entsprechen sogar noch stärker als der Verwandtenunterhalt des BGB dem sozialen Familienbegriff. Göppingerl Waxl Stöckle, Rn. 1439. Höfeordnung für die Britische Zone (HöfeO) vom 24. April 1947 (VOBI. BrZ 1947, Nr. 3, S. 25, 33) in der Neufassung vom 26. Juli 1976 (BGBI. 1 1976, S. 1933 ff.). 206 § 22 Hessische Landgüterordnung (HessGVBI. 1948, S. 12); § 24 Höfeordnung von Rheinland-Pfalz (RhPfGVBI. 1953, S. 101); Art. 11 Baden-Württembergisches Anerbengesetz (RegBI. 1950, S. 249). 204

205

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Teil D: Betreuung in der Ehe

f) Ergebnis

Es ergibt sich, daß der Kreis der Unterhaltsverpflichteten fast vollständig der Familienangehörigkeit in dem weiten, hier verwendeten Sinne, entspricht: Einerseits erfaßt er nahezu alle Personen, die allgemeinsprachlich und rechtlich als Familienangehörige angesehen werden. Nur bei den Geschwistern bleibt das Gesetz mit einer Unterhaltsverpflichtung bewußt hinter dem Begriff der Familie zurück. Bestehende nichteheliche Lebensgemeinschaften sind dagegen durch § 16151 I, 11, V BGB n.F. ansatzweise in das Unterhaltsrecht einbezogen. Andererseits reichen die heutigen Unterhaltsberechtigungen kaum noch über die Familie hinaus. Originäre Unterhaltsansprüche außerhalb einer familialen Beziehung kennt das Zivilrecht überhaupt nicht mehr. Und auch die verbliebenen derivativen außerfamilialen Unterhaltsverpflichtungen werden abgebaut. Nachdem das EGlnsd07 die Haftung des Vermögensübernehmers nach § 419 I BGB a.F., die sich auch auf eine Unterhaltspflicht erstreckte,208 beseitigt hat, ist im außerfamilialen Bereich lediglich der Dreißigste als zumindest unterhaltsähnliche Verpflichtung verblieben. Das Unterhaltsverhältnis ist daher eine typische und originäre Erscheinung der Familie. 209 Es ist die rechtliche Erfassung einer entsprechenden außerrechtlichen Unterstützungspflicht aufgrund einer familialen Beziehung.

3. Die Entwicklung des Unterhalts zu einem rein familienrechtlichen Institut

Auch die Rechtsgeschichte zeigt, daß sich die Unterhaltsberechtigung immer stärker an der Familienangehörigkeit ausgerichtet hat und sich das Unterhaltsrecht auch inhaltlich zu einem originär familienrechtlichen Institut entwickelt hat. Das germanische Recht kannte eine eigenständige rechtliche Unterhaltspflicht nicht. Zwar mußte der Hausvater für seine Gewaltunterworfenen sorgen. Diese Verpflichtung wurde jedoch als Ausfluß der Munt angesehen. Deswegen standen ihr auch keine entsprechenden Ansprüche der Berechtigten gegenüber. Inhaltlich war sie nicht an die Familienangehörigkeit gebunden, sondern bestand gegenüber allen muntunterworfenen Hausangehörigen. Außerdem war sie einseitig, dem Hausherrn gegenüber bestand keine derartige Unterstützungspflicht. 210 Erst als im frühen Mittelalter das kanonische und durch dieses vermittelt das römische Recht Einfluß auf die deutsche Rechtsentwicklung nahmen, änderte sich diese Rechtslage. Da beide Rechtsordnungen erzwingbare Rechtspflichten zur Un21J7 Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994 (BGBL I 1994, S.2911). 208 Göppingerl Wax I Stöckle, Rn. 1438. 209 Dölle, Familienrecht, Bd. 2, § 86 I, S. 3. 210 Krause, S. 27.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

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terhaltsgewährung enthielten,211 wurde auch im deutschen Recht ein entsprechender Anspruch des Berechtigten anerkannt. 212 Der Kreis der Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten veränderte sich in der Folgezeit immer stärker hin zur Familie im heutigen Sinn. Das Gesinde und die anderen nichtfamilienangehörigen Hausgenossen wurden aus dem Unterhaltsrecht ausgeschlossen, nachdem diese Personen nicht mehr als Teil derfamilia angesehen wurden. 213 Statt dessen wurde ein Unterhaltsanspruch nicht mehr nur den Kindern, sondern zunehmend auch den Eltern gewährt. Diese Entwicklung war allerdings sehr umstritten. So wurden die Ansprüche der Kinder gegen ihre Eltern als ius naturale aufgefaßt, weil die Versorgung der Kinder eine natürliche und instinktmäßige Veranlagung sei. Die Berechtigung der Eltern, soweit sie anerkannt wurde, wurde dagegen oft nur als ius gentium eingeordnet, weil die Versorgung der Eltern zwar einem anerkannten Rechtsgrundsatz aller Völker, aber nicht der natürlichen Ordnung entspreche. 214 Dem widersprach die kanonische Lehre mit einem Hinweis auf das biblische Gebot der Elternehrung. 215 Erst in der beginnenden Neuzeit enthielten modernere Gesetze ausdrückliche Vorschriften über die Unterhaltspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern. 216 Nach der Einbeziehung der Eltern wurde das Unterhaltsrecht nach und nach auf weitere Familienangehörige erstreckt. So hat das NEhelG den Anspruch einer nichtehelichen Mutter gegen den Vater ihres Kindes von einer schadensersatzähnlichen Kostenerstattung nach § 1715 I BGB a.F. in einen normalen familienrechtlichen Unterhaltsanspruch nach § 16151 BGB umgewandelt. Auch die jüngste Erweiterung des Unterhalts rechts um einen Anspruch des nichtverheirateten Vaters gegen die Mutter seiner Kinder in § 16151 V BGB n.F. hat die Rechtslage ein weiteres Stück an die inzwischen gewandelte soziale Auffassung der Familie angepaßt.

4. Vergleich zwischen Unterhaltspflichtigen und Betreuungskräften

An den empirisch untersuchten faktischen Betreuungsverhältnissen sind nicht nur allgemein überwiegend familienangehörige Betreuungskräfte beteiligt. 217 Auch unter ihnen treten vorwiegend die gesetzlich Unterhaltspflichtigen auf. So sind Geschwister sehr selten an der Betreuung ihrer Angehörigen beteiligt. Dies entspricht ihrer fehlenden Unterhalts verpflichtung. Schwiegerkinder hingegen erbringen verhältnismäßig viele Betreuungsleistungen, obwohl sie ebenfalls keinen

214

Krause, S. 12 ff. zum römischen und S. 38 ff. zum kanonischen Recht. Krause, S. 184. Haibach, S. II f., 14, 15. Krause, S. 48 f.

215

Krause, S. 71, mit einem Hinweis auf das Kulmische Recht des späten 14. Jahrhun-

211 212 213

derts. 216

Krause, S. 96 f.

217

Zu den Anteilen einzelner Angehöriger an den Betreuern siehe oben Kap. 6 I.

158

Teil D: Betreuung in der Ehe

Unterhalt schulden. Allerdings sind auch sie sowohl nach der sozialen Anschauung wie nach § 1590 I BGB rechtlich immerhin als Familienangehörige anzusehen. 218 Inwieweit nichteheliche Partner Betreuungsleistungen erbringen, kann derzeit nicht festgestellt werden, da keine der vorhandenen Studien zwischen Ehegatten und nichtehelichen Lebensgefährten als Betreuungsperson unterscheidet. Somit kann dieser Bereich nicht mit der gesetzlichen Unterhaltsregelung verglichen werden. Mit Ausnahme der Schwiegerkinder zeigt sich somit zwischen der tatsächlichen Struktur der Betreuungsverhältnisse und der rechtlichen Unterhaltsverpflichtung mit ihrer Anknüpfung an die Familienangehörigkeit eine auffällige Parallelität.

5. Würdigung dieser Parallelität

Diese auffällige Ähnlichkeit der Unterhaltspflichten mit dem Kreis der faktisch Betreuenden betrifft den persönlichen Anwendungsbereich des Unterhaltsrechts. Sie erlaubt keine unmittelbaren Schlußfolgerungen für den sachlichen Inhalt des Unterhalts. Sie zeigt jedoch, daß die Unterhaltsregelungen in ihrem Adressatenkreis von bereits bestehenden außerrechtlichen, sozialen Verpflichtungen zu Beistand und Unterstützung ausgehen.2 19 Demnach ist es denkbar, daß auch die inhaltliche Ausgestaltung des Unterhaltsrechts an die Art und Weise anknüpft, wie familiale Unterstützung und Hilfe faktisch geleistet wird. Hierfür spricht beispielsweise die Regelung der Kindesbetreuung in der Familie. Sie wird überwiegend durch Versorgung, Erziehung und Pflege des Kindes erbracht. Rechtlich können diese Leistungen zwar als Ausprägung der elterlichen Sorge nach § 1626 I BGB angesehen werden. Sie erfüllen aber gleichzeitig die Unterhaltsansprüche des Kindes, denn nach §§ 1606 m S. 2 und 161211 S. 1 BGB ist der Unterhalt in genau dieser Form zulässig und geschuldet. Faktisch geleistet wird Unterhalt auch in allen anderen Unterhaltsverhältnissen nach wie vor ganz überwiegend in natura, während sich die forensische Praxis meist mit Barunterhaltsansprüchen beschäftigen muß. 220 Auch Betreuungsbedürftige werden von ihren Ehegatten oder Kindern zu einem sehr großen Anteil in natura gepflegt und versorgt. Dies zeigt sich schon an dem Übergewicht der ambulant versorgten gegenüber den stationär untergebrachten Betreuungsbedürftigen. 221 Diese faktische Struktur der familialen Hilfe und die Anknüpfung des Unterhaltsrechts an die soziale Wirklichkeit fUhren zu der Vermutung, daß Pflege und Betreuung in natura eine Unterhalts leistung im rechtlichen Sinne darstellen.

218 219 220 221

Huffmann, S. 146. Dölle, Familienrecht, Bd. 2, § 86 I, S. 3. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 135. Siehe oben Kap. 3 14.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

159

ßI. Betreuungsdienste als möglicher Inhalt des Unterhalts Im folgenden wird daher untersucht, ob Pflege und Hilfe rür einen Betreuungsbedürftigen eine Unterhaltsleistung darstellen. Hierzu muß durch Auslegung ermittelt werden, welchen Inhalt Unterhalt nach dem BGB aufweist.

1. Der Begrijfdes Unterhalts

Zugrunde zu legen ist hierzu der außerrechtliche Sprachgebrauch, zum einen, weil das Unterhaltsrecht an die sozialen Bindungen zwischen Familienangehörigen anknüpft,222 zum anderen, weil das Gesetz deswegen auf eine eigene Definition dieses Begriffs verzichtet. Lediglich aus den Vorschriften über das Maß und die Form des Unterhalts ergeben sich einige Hinweise auf den Inhalt einer Unterhaltsleistung.

a) Der Begriff des Unterhalts im allgemeinen Sprachgebrauch Das Substantiv Unterhalt wurde im 17. Jahrhundert223 aus dem bereits früher vorhandenen Verb unterhalten abgeleitet. Dieses Wort wiederum ist eine Lehnübersetzung des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die auf dem lateinischen sustentare beruht. 224 Entgegen dem äußeren Anschein besteht also keine unmittelbare Verwandtschaft zwischen Unterhalt und der Wortfamilie um das Verb erhalten, beide Begriffe sind unabhängige Entwicklungen aus demselben Grundwort halten. 225 Gleichwohl wurden unterhalten und Unterhalt von Beginn an im Sinne von Fortbestand und Erhaltung und später auch von Unterstützung und Hilfe benutzt. 226 Heute wird als Unterhalt in einem weiteren Sinne jede Erhaltung eines Gegenstandes im Sinne einer bewahrenden Pflege und Wartung angesehen. 227 Dieser weite Sinn zeigt sich darin, daß der Begriff den Erhalt jedes Objektes erfaßt. 228 Er betrifft nicht nur die Wartung und Instandhaltung von Sachen, sondern auch die Pflege persönlicher Beziehungen oder den Betrieb eines Geschäfts oder Gewerbes. In einem engeren Sinn beschränkt sich der Begriff des Unterhalts auf den Lebensunterhalt eines Menschen. 229 Die engere Bedeutung liegt hierbei darin, daß 222 223 224 225 226 227 228 229

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 677. Duden, Bd. 7, S. 246. Haibach, S. 156. Duden, Bd. 7, S. 246. Haibach, S. 156, 157. Duden, Bd. 2, S. 723. Duden, Bd. 10, S. 684 f. Duden, Bd. 10, S. 684.

160

Teil D: Betreuung in der Ehe

als Ziel der unterhaltenden Tätigkeit nicht jedes, sondern nur ein bestimmtes Objekt erfaßt wird, nämlich ein Mensch. Allerdings ist hierunter lediglich die Erhaltung einer Lebensstellung zu verstehen. Mit dem Begriff des Lebensunterhalts ist in einem umfassenden und langfristigen Blickwinkel die allgemeine Versorgung eines Menschen und der Erwerb und Erhalt seiner sozialen Stellung gemeint. Die akute Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen bei einer Körperverletzung beispielsweise wird nicht als Unterhalt bezeichnet. Allerdings ist es für die Bedeutung dieses Begriffs nicht erheblich, wessen Lebensunterhalt bestritten wird. So beschränkt er sich nicht nur auf Leistungen an einen Dritten, sondern erfaßt auch die Selbstunterhaltung, wie die Wendung des "eigenen Lebensunterhalts,,230 zeigt. Unterhalt in seiner engeren Bedeutung als Lebensunterhalt meint also die Selbstversorgung oder eine entsprechende Leistung an einen anderen zur Erhaltung der eigenen oder einer fremden Lebensstellung.

b) Die doppelte Bedeutung des Unterhalts im Bürgerlichen Recht Dieser unterschiedliche Sprachgebrauch und das Fehlen einer gesetzlichen Definition führen dazu, daß der Begriff des Unterhalts auch im Recht mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird. Ausgangspunkt der rechtlichen Beschreibung des Unterhalts ist § 161011 BGB, denn diese grundlegende Vorschrift bestimmt den Inhalt einer Unterhaltspflicht, 231 während die weiteren Vorschriften über das Maß oder die Art der Unterhaltsgewährung Ausnahmen und Einschränkungen hierzu enthalten. § 1610 11 BGB betrifft zwar unmittelbar nur den Verwandtenunterhalt, ist aber auch allen anderen Unterhaltsverhältnissen zugrundezulegen, weil dort keine abweichenden Normen über den gesetzlichen Inhalt des Unterhalts enthalten sind. Der Unterhalt umfaßt hiernach grundsätzlich einen Lebensbedarf eines Menschen. Wie sich aus der Beschreibung des Unterhaltsmaßes zum Beispiel in den §§ 1360a I und 1610 I BGB ergibt, dient dieser Lebensbedarf der Erhaltung einer Lebensstellung. 232 In diesem Bereich entspricht also der gesetzliche dem allgemeinsprachlichen Begriff des Lebensunterhalts. Auch im Gesetzestext spiegelt sich aber die Doppelbedeutung dieses Begriffs als Sicherung sowohl der eigenen wie einer fremden Lebensstellung wider. So bezieht sich der Unterhalt in § 1569 HS.1 und § 1603 HS.2 BGB in der Wendung "eigener Unterhalt" auf die Deckung des Lebensbedarfs des Betroffenen selbst. Hier bezeichnet er also die Selbstunterhaltung. In der Mehrzahl der Erwähnungen versteht das BGB den Unterhalt dagegen als eine Leistung an einen anderen zur Er230 231 232

Duden, Bd. 10, S. 411. Hänlein, S. 99 f. Göppinger I Wax, Rn. I, 2.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

161

haltung seiner, einer fremden Lebensstellung. Diese Bedeutung hat der Begriff beispielsweise in den §§ 1360, 1601, 1602 BGB. Die rechtliche Doppelbedeutung des Unterhalts zeigt sich besonders in § 1569 BGB, weil diese Vorschrift den Unterhaltsbegriff in beiden Bedeutungen verwendet. Hiernach hat ein geschiedener Ehegatte, der nicht selbst für seinen Unterhaltdie Selbstversorgung - aufkommen kann, gegen den anderen einen Anspruch auf Unterhalt - also auf eine Leistung zur Deckung eines fremden Lebensbedarfs.

c) Unterhalt als faktische und als geschuldete Leistung Wenn allerdings das Gesetz den Begriff des Unterhalts im Sinne einer Leistung an einen anderen verwendet, dann geschieht dies wie in § 1360 S. I, § 1601 und auch in § 1569 BGB im Rahmen eines Unterhaltsanspruchs, der über die faktische Zuwendung und ihren Zweck der Bedarfsdeckung hinaus weitere Voraussetzungen aufweist. Ein Anspruch setzt vor allem die als Unterhaltsgrundverhältnis anerkannte persönliche Beziehung voraus, also die Familienzugehörigkeit.233 Hinzu kommen zumindest im Verwandtenunterhalt nach den §§ 1602, 1603 BGB die Bedürftigkeit des Empfangers und die Leistungsfahigkeit des Verpflichteten. Nur beim Dreißigsten nach § 1969 I S. 1 BGB ist die Unterhaltsleistung nicht mit einer entsprechenden Rechtspflicht verknüpft. In dieser Vorschrift wird zwar der Erbe rechtlich verpflichtet. Als Maßstab und Grund für diesen Anspruch erkennt das Gesetz jedoch jede tatsächliche Leistung des Erblassers zur Deckung des Bedarfs seiner hausangehörigen Familienmitglieder an.2 34 Auch diese nicht geschuldeten Leistungen des Erblassers nennt es Unterhalt. Der Dreißigste ist somit ein Beispiel für die Anerkennung faktischer Unterhaltsabhängigkeit im Recht. 23s Der bürgerlichrechtliche Begriff des Unterhalts umfaßt ebenso wie der allgemeine Sprachgebrauch sowohl die Erhaltung der eigenen Lebensstellung als auch die Sicherung eines fremden Lebensbedarfs durch eine Leistung an einen anderen. Ob auf diese Leistungen ein Rechtsanspruch besteht, ist dagegen für den bloßen Begriff des Unterhalts unerheblich. Auch nicht geschuldete Leistungen sind inhaltlich Unterhalt.

d) Die Begriffe Unterhalt und Lebensunterhalt außerhalb des BGB Außerhalb des BGB benutzen nur einige Vorschriften den bürgerlichrechtlichen Unterhaltsbegriff in einer seiner beiden Bedeutungen.

233 234

235

Siehe oben Kap. 9 II I. Dazu oben Kap. 9 II 2 c. Schwenzer. S. 2\0.

11 O'Sullivan

162

Teil D: Betreuung in der Ehe

So bezeichnet das Steuerrecht in § 12 Nr. 2 Var.3 EStG damit eine Leistung zur Deckung des Lebensbedarfs eines anderen. Wie sonst nur in § 1969 I S. 1 BGB verknüpft es diese Leistung aber nicht mit einem entsprechenden Anspruch. Es stellt statt dessen allein auf Zweckbestimmung einer Leistung ab, indem es jede, auch eine freiwillige Leistung im Rahmen eines unterhaltsrelevanten Grundverhältnisses von der einkommensteuerrechtlichen Abzugsfahigkeit ausschließt. 236 Das Sozialhilferecht und das Unterhaltsvorschußgesetz 237 , die im öffentlichen Recht ebenfalls die Aufgabe haben, den Unterhalt eines Menschen zu sichern,238 verwenden hingegen überwiegend eigene Begriffe. Vor allem das BSHG benutzt den reinen Begriff des Unterhalts nur dort, wo es wie bei der Regelung der Legalzession in § 91 I BSHG die bÜTgerlichrechtlichen Unterhaltsansprüche des Hilfeempfangers meint. Ansonsten geht es von einem konkreteren Begriff, dem Lebensunterhalt, aus. Hierin erscheint sowohl die engere Form des allgemeinsprachlichen Verständnisses wie auch die eine bürgerlichrechtliche Bedeutung des Unterhalts als der Selbsterhaltung. Die Legaldefinition in § 12 I BSHG zeigt deutlich, daß zum Lebensbedarf zunächst die unmittelbare Befriedigung aller Bedürfnisse der Erhaltung der Lebensstellung gehört. Hiermit ist nicht nur die persönliche Stellung gemeint. Die Definition bezieht auch die sozialen Kontakte zur Umwelt und der Teilnahme am kulturellen Leben ein. Der sozialhilferechtliche Lebensunterhalt betrifft also auch die soziale Stellung. Er ist ein relativer Begriff, denn welche Bedürfnisse zum Lebensbedarf gehören und wie sie befriedigt werden können, ist dem sozialen Wandel unterworfen239 und von den jeweiligen Auffassungen über das menschenwürdige Leben im Sinne von § 1 11 BSHG abhängig.240 Nach der Konzeption des Gesetzes ist es alleinige Aufgabe des Hilfeempfangers, seinen Lebensbedarf selbst zu befriedigen. Die Leistungen des Sozialhilfeträgers sollen ihm dies ermöglichen. Daher stellen sie nicht selbst den lebensunterhalt dar, sondern werden als Hilfe zum Lebensunterhalt bezeichnet. 241 Das BSHG unterscheidet also deutlich zwischen der Selbsthilfe des Bedürftigen und der hierzu gewährten Sozialleistung. Die Doppelbedeutung des Unterhaltsbegriffs im BGB als Selbst- und Fremdunterhaltung findet im Sozialhilferecht also keine Entsprechung. Auch § 1 I UVG bezeichnet nicht die Leistungen der Unterhaltssicherungsbehörde selbst als Unterhalt oder Lebensunterhalt, sondern als Unterhaltsleistung. AlGöppingerl Wax I Märkle, Rn.n 4000, 4004. Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Vater durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfalleistungen (UVG) vom 23. Juli 1979 (BGBI. I 1979, S. 1184). 238 Schellhom, § I, Rn.n. 7 f., 11 ff. 239 Schellhom, § 12, Rn. 4, § I, Rn. 11. 240 BVerwGE 35, 178, 180 f. 241 Schellhom, § 12, Rn. 50. 236 237

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

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lerdings benutzen §§ 1 I Nr. 3a, 7 I S. 2 a.E. UVG den bürgerlichrechtlichen Unterhaltsbegriff. Dort ist aber auch die Leistung des dritten Unterhaltsschuldners gemeint. Anders als das BGB unterscheidet also das öffentliche Sozialrecht zwischen der Selbstversorgung und Sicherstellung der eigenen Lebensstellung und der hierzu gewährten Sozialleistung. Nur auf die erstere Erscheinung wird die kurze Bezeichnung Unterhalt bzw. Lebensunterhalt angewandt.

e) Der Begriff des Unterhalts in dieser Arbeit Dieser Arbeit liegt die zweite Bedeutung des bürgerlichen Unterhaltsbegriffs zugrunde, also die Sicherung einer fremden Lebensstellung durch entsprechende Leistungen eines Dritten. Wie in § 1969 I S. 1 BGB wird jedoch nicht darauf abgestellt, daß diesem Unterhalt ein Rechtsanspruch zugrunde liegt, auch rein faktische und freiwillige Leistungen werden als Unterhalt bezeichnet. Diese Verwendung des Begriffs in dieser Arbeit entspricht dem Blickwinkel des Unterhaltsrechts. Der bloße Selbstunterhalt ist rechtlich allenfalls inzident als Tatbestandsmerkmal erheblich, etwa bei der Bestimmung der Bedürftigkeit und der Leistungsfähigkeit nach den §§ 1569, 1581 und 1602, 1603 BGB. Als Rechtsobjekt in Erscheinung treten dagegen nur eine Leistung an einen anderen und ein etwaiger Rechtsanspruch auf diese Unterhaltsleistung.

2. Unterhalt als Befriedigung des Lebensbedaifs eines Menschen

Die Erkenntnis, daß Unterhalt eine Leistung an einen anderen zur Erhaltung seiner Lebensstellung darstellt, besagt noch nichts über ihren Inhalt. Auch eine Betreuung kann nicht ohne weiteres als Unterhalt angesehen werden. Das BGB enthält über den Inhalt des Unterhalts anders als über sein Maß und die Art seiner Gewährung keine ausdrückliche Bestimmung. Die einzige Vorschrift, die den Unterhaltsinhalt überhaupt erwähnt, findet sich in § 1610 n S. 1 BGB. Sie gehört zwar zum Verwandtenunterhalt, wird aber allen Unterhaltsverhältnissen zugrundegelegt und gilt daher beispielsweise auch für den Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB?42 Nach § 1610 11 S. 1 BGB umfaßt der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf. Sein Inhalt wird also nicht allgemeingültig bestimmt, sondern von dem jeweiligen Bedarf des Empfängers abhängig gemacht. Um sich dem Inhalt des Unterhalts zu nähern, muß also der Begriff des Lebensbedarfs näher bestimmt werden.

242 11'

Palandt/Diederichsen, Einf. vor § 1601, Rn. 4.

164

Teil 0: Betreuung in der Ehe

a) Der Lebensbedarf als Summe aller Lebensbedürfnisse Der Lebensbedarf ist ein Oberbegriff. Er umfaßt viele einzelne Lebensbedürfnisse. 243 Diesen zweiten Begriff verwendet das BGB zwar nicht ausdrücklich, in § 1360a I BGB erwähnt es aber die persönlichen Bedürfnisse. Dieser Begriff entspricht genauso wie in § 12 I BSHG den Lebensbedürfnissen. 244 Unter einem Lebensbedürfnis ist jede Tatigkeit, Verrichtung des täglichen Lebens oder sonstige Lebensäußerung zu verstehen, die dem Aufbau oder der Erhaltung einer Lebensstellung dient. 245 Welches Bedürfnis ein Lebensbedürfnis und daher unterhaltsrechtlich erheblich ist, läßt sich kaum allgemeingültig sagen. Der Begriff ist weit zu verstehen. 246 In jedem Fall gehören daher die elementaren Bedürfnisse dazu, die zum physischen Überleben nötig sind. 247 Dies sind die Versorgung mit Nahrung und in unseren Breiten auch eine feste Unterkunft. Hinzu kommen weitere Bedürfnisse, die über die grundlegende Lebenserhaltung hinausgehen, denn angesichts der vielfältigen und für jeden Menschen unterschiedlichen Anforderungen einer komplexen Gesellschaft beruht eine Lebensstellung auf weiteren Fähigkeiten und Fertigkeiten und verlangt soziale Kontakte und eine Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Daß auch solche Bedürfnisse Lebensbedürfnisse sind, ist in § 12 I S. 2 BSHG anerkannt. Immer jedoch ist ein Lebensbedürfnis ein eigenes Bedürfnis, weil es die eigene Lebensstellung betrifft. Daher gehören Unterhaltsverbindlichkeiten, die der Berechtigte gegenüber Dritten hat, nicht zu seinem Lebensbedarf. 248

b) Absolute und relative Lebensbedürfnisse Welche Bedürfnisse ein Lebensbedürfnis darstellen und daher unterhaltsrechtlich relevant sind, hängt nicht nur von individuellen Merkmalen des Bedürftigen, sondern auch von der wechselhaften sozialen Anschauung ab. 249 Die Grundbedürfnisse, die in jeder Gesellschaft und bei jedem Menschen bestehen, weil sie die Voraussetzung eines selbständigen Lebens überhaupt sind, können wegen ihrer Unabhängigkeit von individuellen und sozialen Kriterien als absolut bezeichnet werden. Zu ihnen gehören Ernährung, Kleidung, die Gesunderhaltung, die Unterkunft und die Heizung. 25o 243 244

24~ 246

247 248 249

Göppinger/Wax/Strohal, Rn.n 217, 282. Börner, S. 58. Palandt/Diederichsen, § 136Oa, Rn. 3. Hänlein, S. 100, siehe auch die Beispiele bei BGH, FamRZ 1990,394, 395. BGH, FamRZ 1994,303,304. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 707. Schellhorn, § 12, Rn. 4.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

165

Daneben gibt es relative Bedürfnisse, die nicht generell bestehen, sondern nur aufgrund sozialer Anforderungen oder individueller Besonderheiten auftreten. Dies heißt nicht, daß sie nur bei einzelnen vorliegen. In einer Gesellschaft, die zur Egalität tendiert und in der sich Lebensläufe ähneln, können auch relative Bedürfnisse häufig sein. Sie sind vielmehr deshalb relativ, weil sie sich anders als absolute Bedürfnisse mit dem Wandel gesellschaftlicher Strukturen und sozialer Ansichten, der persönlichen Stellung des Berechtigten oder mit seinem Lebensalter verändern können. Ein Beispiel für relative Lebensbedürfnisse, die heute jede Person aufweist, sind Erziehung und Ausbildung. Ob ein Unterhaltspflichtiger auch Ausbildungskosten tragen muß, war lange umstritten. 251 Heute ist der Ausbildungsunterhalt nicht nur in § 1610 11 BGB für den Verwandtenunterhalt ausdrücklich anerkannt. Ebenso kann er zum Familienunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB gehören, wenn die Ausbildung bei Eheschließung bereits begonnen war?52 Und letztlich kann nach § 1575 I S. 1 BGB sogar ein geschiedener Ehegatte Ausbildungsunterhalt verlangen. Diese Anerkennung der Ausbildungskosten als unterhaltsrechtlicher Lebensbedarf beruht auf einem Wandel in der sozialen Definition einer Lebensstellung. Seitdem das Maß des Unterhalts nicht mehr wie in § 1610 I BGB a.F. von der Standeszugehörigkeit des Berechtigten abhängt, bestimmt sich seine Lebensstellung noch stärker als zuvor nach individuellen Merkmalen. Sie steht nicht mehr fest, sondern beruht auf seiner eigenen Leistung und seinem Erwerb. Aus diesem Grunde sind in der heutigen Gesellschaft Schul- und Berufsausbildung unabdingbare Voraussetzungen für den Erwerb und Erhalt der persönlichen und sozialen Stellung. Welcher Art die unterhaltsrechtlich geschuldete Ausbildung ist, steht ebenfalls nicht absolut fest. Sie hängt von individuellen Fähigkeiten des Berechtigten ab. Hinzu kommen soziale Anforderungen. So wird heute auch eine Zweitausbildung grundsätzlich als Lebensbedürfnis anerkannt, seitdem es üblich und wegen der wirtschaftlichen Anforderungen oft auch nötig ist, vor einem Studium eine betriebliche Ausbildung zu absolvieren. 253 Einige Bedürfnisse stehen zwischen absoluten und relativen, zum Beispiel weil sie auf unterschiedliche Weise befriedigt werden können. So ist beispielsweise die Kommunikation mit anderen grundsätzlich ein menschliches Grundbedürfnis. 254 Ob dieses Bedürfnis aber durch unmittelbare Gespräche oder auch durch technische Mittel wie das Telefon erfüllt wird, hängt von individuellen Präferenzen und den technischen Möglichkeiten in einer Gesellschaft ab.

250

BVerwG, NVwZ 1995, 81, 82.

251 Krause, S. 22 (zum römischen Recht), S. 128 (zum 18. Jhdt.) und S. 166 f. (zum 19. Jhdt.). BGH, FamRZ 1985,353,354. BGHZ 107,376,380 f.; Göppinger IWax/Stroha1, Rn. 681 f. 254 BFH, DB 1991,311,312.

252 253

166

Teil D: Betreuung in der Ehe

Es ergibt sich somit eine Zweiteilung des umfassenden Lebensbedarfs in einen absoluten und einen relativen Bedarf.

c) Veränderungen von Lebensbedürfnissen Lebensbedürfnisse können sich verändern, wenn sich die sozialen Bedingungen, technische Möglichkeiten oder die individuellen Präferenzen wandeln. So steht bei einem Erwerbstätigen der Erhalt der Arbeit im Mittelpunkt seiner Lebensstellung, nach dem Renteneintritt rücken möglicherweise Reisen oder kulturelle Aktivitäten an diese Stelle. Neben einer solchen bloß qualitativen Veränderung können Lebensbedürfnisse auch steigen oder sich verringern. 255 Ein Beispiel mag ein höherer Wohnbedarf sein, wenn beispielsweise nach dem Renteneintritt für eine sinnvolle Beschäftigung zusätzliche Räume als Arbeits- oder Hobbyzimmer notwendig werden.

d) Ergebnis Der Unterhalt ist demnach eine Leistung zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse und damit des Lebensbedarfs eines anderen. Der Lebensbedarf ist nicht selbst Unterhalt, daher ist § 1610 11 BGB zumindest undeutlich formuliert. Ob eine Leistung als Unterhalt anzusehen ist, kann also nach ihrem Inhalt allein oft nicht beurteilt werden. Es müssen auch die Bedürfnisse des Empfängers berücksichtigt werden, weil zumindest der relative Lebensbedarf schwanken kann. Es ist daher besser auf den Zweck der Leistung abzustellen. Auf diese Weise werden die individuellen und sozialen Merkmale des jeweiligen Berechtigten ausreichend einbezogen. Eine Unterhaltsleistung ist also gekennzeichnet durch ihren Zweck, den individuell vorhandenen Lebensbedarf eines anderen zu befriedigen. 256

3. Ist Betreuung hiernach eine Unterhaltsleistung ?

Nach diesen Ausführungen ist zu untersuchen, ob und unter welchen Umständen Betreuungsdienste eines Angehörigen als Unterhaltsleistung angesehen werden können. Hierzu ist wiederum von beiden wesentlichen Merkmalen eines Betreuungsverhältnisses auszugehen, nämlich der Betreuungsbedürftigkeit und der Betreuungsleistung. Betreuungsbedürftigkeit ist für diese Arbeit als eine Beeinträchtigung in einer Verrichtung des täglichen Lebens definiert, die auf einem 255 256

BVerwGE 96,227,229 zu §§ 2,17 BBesG. Göppinger I Wax, Rn. 2.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

167

funktionellen Defizit beruht und durch die der Betroffene Nachteile in seiner persönlichen oder sozialen Lebensstellung erleidet. Betreuung ist sodann jene Hilfe eines Dritten, die notwendig ist, um die sozialen Nachteile des Bedürftigen zu verhindern oder abzuschwächen und somit die Betreuungsbedürftigkeit auszugleichen?57 Diese Begriffe stimmen mit dem Lebensbedarf und der Unterhaltsleistung überein:

a) Betreuungsbedürftigkeit als Teil des Lebensbedarfs Ist jemand betreuungsbedürftig, so sind ihm bestimmte Verrichtungen des täglichen Lebens nicht mehr möglich, die für eine Lebensstellung in dieser Gesellschaft notwendig oder üblich sind. Betreuungsbedürftigkeit ist demnach als ein Bündel unbefriedigter Lebensbedürfnisse anzusehen und entspricht damit einem Teil des Lebensbedarfs im unterhaltsrechtlichen Sinne. So führt die Pflegebedürftigkeit im engeren Sinne, also die Beeinträchtigungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Bekleidung oder der Beschaffung von Nahrungsmitteln, regelmäßig zu einem unterhaltsrechtlichen Bedarf. Gleiches gilt für absolute Beeinträchtigungen in der hauswirtschaftlichen Versorgung wie der Beschaffung von Wohnraum oder Nahrungsmitteln. Auch bei der Betreuungsbedürftigkeit konnte zwischen absoluten und relativen Beeinträchtigungen unterschieden werden, weil manche Verrichtungen des täglichen Lebens lebenswichtig sind, während andere nur in bestimmten Gesellschaften und nur aufgrund bestimmter äußerer Anforderungen an eine bestimmte Art der Lebensführung nötig sind. 258 Diese Differenzierung entspricht der Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Lebensbedürfnissen im Unterhaltsrecht. So vollständig wie beschrieben können Lebensbedarf und Betreuungsbedürftigkeit allerdings nur gleichgesetzt werden, wenn man diesen zweiten Begriff in seinem weitesten Sinne versteht und die Ursache der Betreuungsbedürftigkeit völlig ausblendet. Betreuungsbedürftigkeit ist die Nichtbefriedigung eines Lebensbedürfnisses aufgrund einer Behinderung, einer Krankheit oder eines anderen funktionellen Defizits. Lebensbedürfnisse können aber auch aus anderen Gründen unerfüllt bleiben, etwa durch fehlende soziale Möglichkeiten. So wird Arbeitslosigkeit herkömmlicherweise nicht als Betreuungsbedürftigkeit verstanden, denn sie beruht überwiegend auf einem fehlenden Arbeitsangebot. Nur selten ist eine funktionellen Einbuße der Grund, etwa eine Behinderung, die eine Arbeit unmöglich macht oder zu einer Diskriminierung führt. Einem Erwerbslosen kann aber unabhängig von den Gründen seiner Arbeitslosigkeit ein Unterhaltsanspruch zustehen?S9 Die Unterhaltsberechtigung reicht also weiter als die Betreuungsbedürftigkeit. Dies 257 258 259

Siehe oben Kap. 2 X. Siehe hierzu oben Kap. 2 IV. 1. b). Göppinger I Wax I Strohal. Rn. 290, 297 f.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

spricht jedoch nicht gegen eine Gleichsetzung beider Begriffe. So kann die Betreuungsbedürftigkeit weiter gefaßt werden. Legt man diesem Begriff die äußerst weiten Definitionen der WHO zugrunde, gehört beispielsweise auch Erwerbslosigkeit dazu. 260 Und auch wenn die Betreuungsbedürftigkeit mit dem allgemeinen Sprachgebrauch unserer Gesellschaft enger zu verstehen ist, so ist sie immer noch zumindest ein Teil des Lebensbedarfs. Betreuungsbedürftigkeit entspricht strukturell und inhaltlich einem nicht befriedigten Lebensbedarf und damit einer Unterhaltsberechtigung. Ob einem Betreuungsbedürftigen auch ein Unterhaltsanspruch zusteht, hängt allerdings von weiteren Voraussetzungen ab, zum Beispiel der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten.

b) Betreuungsleistungen als Unterhalt Ebenso wie die Betreuungsbedürftigkeit zum Lebensbedarf zu rechnen ist, findet auch der Begriff der Betreuung eine unterhaltsrechtliche Entsprechung. Betreuung dient dazu, Lebensbedürfnisse des Berechtigten, die dieser nicht selbst befriedigen kann, zu erfüllen, auf diese Weise seinen Lebensbedarf zu sichern und damit seine Lebensstellung zu erhalten. Dieselbe Bedeutung hat der Unterhalt. Daher ist eine Betreuung als Unterhalt anzusehen, und zwar als Unterhaltsleistung an einen anderen, also in dem Sinne, der dem Unterhaltsbegriff beispielsweise in § 1601 BGB zugrunde liegt und den das BSHG als "Leistung zum Lebensunterhalt" bezeichnet.

4. Betreuung als grundsätzlicher gesetzlicher Inhalt des Unterhalts

Die Pflege und Versorgung eines Betreuungsbedürftigen ist entsprechend ihrem Zweck inhaltlich als Unterhaltsleistung aufzufassen. Da sie die Lebensbedürfnisse des Empfängers unmittelbar befriedigt, ist sie als Naturalunterhalt grundsätzlich sogar die vorrangige Form des Unterhalts.

IV. Betreuungsbedürftigkeit als unterhaltsrechtIich unerheblicher "regelmäßiger Sonderbedarr'? Möglicherweise ist jedoch die Betreuungsbedürftigkeit aufgrund einer gesetzlichen Ausnahmeregelung aus dem unterhaltsrechtlich erheblichen Lebensbedarf ausgeschlossen. In diesem Fall wäre auch die Betreuung keine Unterhaltsleistung. Der Unterhalt erfaßt nach § 161011 S. 1 BGB den gesamten Lebensbedarf. Er ist daher umfassend. 261 Diese Regelung unterliegt jedoch einigen Ausnahmen. So 260

Siehe oben Kap. 2 VII.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

169

bilden die Ausbildungskosten nach § 1610 11 BGB und der Prozeßkostenvorschuß nach § 1360a IV und § 1361 IV S. 4 i. V.m. § 1360a IV BGB besonders erfaßte einzelne Lebensbedürfnisse?62 Sie werden abweichend geregelt, obwohl sie Teil des Lebensbedarfs sind. So unterliegt der PKVeiner Billigkeitsgrenze. Deswegen darf beispielsweise die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig sein.263 Unterhaltsanspruche sind dagegen nur in den Grenzen des § 1611 I BGB durch die Billigkeit beschränkt. Gelegentlich ist auch der gesamte Lebensbedarf eigenständig geregelt. Dies galt etwa für den Regelbedarf nach § 1615fI S. 2 Hs.1 BGB a.F., der den Bedarf eines nichtehelichen Kindes nicht konkret-individuell, sondern pauschal erfaßte. 264 Diese Norm ist allerdings durch das Kindesunterhaitsgeseti6S aufgehoben. Der neue § 1612a BGB, der für alle Kinder gilt, geht nicht mehr von einem Regelbedarf, sondern von Regelbeträgen aus. Er verläßt damit vollständig die Anknüpfung an die individuellen Lebensbedürfnisse des berechtigten Kindes. Ein weiteres Beispiel für einen eigenständig geregelten Bereich ist der Sonderbedarf. Hierbei handelt es sich nach § 1613 n Nr. 1 BGB n.F. um einen "unregelmäßigen außergewöhnlich hohen Bedarf'. Auch er ist ein Teil des Lebensbedarfs. Allerdings werden die Anspruche auf seine Befriedigung verändert und erweitert. So kann unter Umständen eine Erfüllung für die Vergangenheit verlangt werden.

1. Die Entscheidung des AG Hagen zum Ausschluß der Betreuungsbedüiftigk.eit In einer vielbeachteten Entscheidung hat das AG Hagen die Pflegebedürftigkeit aus dem Bereich des unterhaltsrechtlichen Lebensbedarfs ausgeschieden?66 Es hat hierbei die Auffassung vertreten, Pflegebedürftigkeit stelle einen ,.regelmäßigen Sonderbedarf' dar, der keinen Unterhaltsanspruch begründen könne. Dies ergebe sich aus einem Umkehrschluß zu § 1613 11 S. 1 BGB a.F., denn dort werde nur der unregelmäßige Sonderbedarf in den Lebensbedarf einbezogen. 267 Mit dieser Begründung hat das Gericht den Unterhaltsanspruch einer stationär versorgten pflegebedürftigen Mutter gegen ihren Sohn verneint.

Betreuungsbedürftigkeit ist ein besondere Bedarfslage, die nicht zwangsläufig bei allen Menschen auftritt. Sie wäre als regelmäßiger Sonderbedarf einzustufen. Hänlein, S. 100. OLG Karlsruhe, FamRZ 1989,534,535. 263 BGHZ 31,384,385. 264 Göppinger I Wax, Rn. 12. 26S Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (KindUG) vom 6. April 1998 (BGB!. 11998, S. 666). 266 AG Hagen, FamRZ 1988, 755. 267 AG Hagen, FamRZ 1988, 755, 756. 261

262

170

Teil 0: Betreuung in der Ehe

Daher ist zu untersuchen, ob diese Rechtsfigur tatsächlich besteht und ob der regelmäßige Sonderbedarf zum Lebensbedarf gehört oder aus dem Unterhaltsrecht herausfallt.

2. Ablehnung der Figur des regelmäßigen Sonderbedaifs Die Entscheidung des AG Hagen betraf keine Naturalbetreuung, sondern einen Anspruch auf Erstattung der Heimkosten, den der Sozialhilfeträger im Wege eines Regresses nach § 91 I S. 1 BSHG gegen den Sohn der Pflegebedürftigen geltend machte,z68 Deutlich ist die Bemühung des Gerichts zu erkennen, den Sohn vor der als übermäßig empfundenen Kostentragungspflicht zu bewahren. Dies zeigt sich in der inhaltlichen Begründung des Urteils, die Pflegebedürftigkeit stelle heutzutage ein Risiko dar, das nur noch die Solidargemeinschaft tragen könne. 269 Diese Aussage der Entscheidung ist zwar richtig, weil die hohen Kosten einer kommerziellen Betreuung kaum mehr von einer durchschnittlichen Familie getragen werden können. 27o Der Schutz der Familie vor einer übermäßigen Belastung durch die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger kann jedoch nicht dadurch erreicht werden, Betreuungsleistungen vollständig aus dem Unterhaltsrecht auszuschließen. Dies widerspricht nicht nur der immer noch vorhandenen sozialen Anschauung, nach der die Betreuung eines Angehörigen geschuldet sei. Es wäre auch ungerecht gegenüber den immer noch zahlreichen Familien, in denen Betreuungsbedürftige in natura versorgt werden. Bestände in diesen Fällen kein Anspruch, weder auf die Betreuung selbst noch auf eine Geldleistung, so müßten andere Unterhaltspflichtige, die ihre Angehörigen nicht betreuen, überhaupt keine Leistungen erbringen. Das Unterhaltsrecht enthält auch keine Vorschrift, nach der ein ,,regelmäßiger Sonderbedarf' aus dem gesamten Lebensbedarf des § 1610 11 BGB ausgeschlossen ist. 27I Der Umkehrschluß aus § 1613 11 BGB ergibt allenfalls, daß ein regelmäßiger besonderer Bedarf nicht den Erleichterungen bei einem Erfüllungsverlangen für die Vergangenheit unterliegt, nicht aber, daß dieser Sonderbedarf überhaupt nicht als Unterhalt verlangt werden kann. 272 Damit gehört dieser Bedarf materiell wie jedes andere Lebensbedürfnis zum unterhaltsrechtlichen Lebensbedarf.

268 269

270 271 212

Hänleh], S. 6. AG Hagen, FamRZ, 1988,755,756. Siehe hierzu oben Kap. 4 IV. 2. Hänlein, S. 104 f., 111. LG Hagen, FamRZ 1989, 1330; AG Hamburg, FamRZ 1991, \086.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

171

3. Andere Wege zur Schonung unterhaltspflichtiger Kinder

Unterhaltspflichtige Kinder können vor den Kosten einer stationären Pflege ihrer Eltern nur auf anderem Wege geschont werden. Denkbar ist eine Anhebung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. Auf unterhaltsrechtlichem Gebiet kommt eine Begrenzung ihrer Leistungsfahigkeit nach § 1603 I BGB in Betracht. 273 So muß heute der ..Sandwich-Generation", also den durch Kindererziehung und Eltemversorgung doppelt belasteten mittleren Altersgruppen, ein erhöhter Selbstbehalt zugebilligt werden. 274 Dies gilt zumindest gegenüber sehr hohen Unterhaltsansprüchen, etwa durch eine langwierige Ausbildung der Kinder oder eben durch die Versorgung pflegebedürftiger Eltern. 27S Die Rechtfertigung für einen höheren Selbstbehalt gegenüber den Betreuungskosten der Eltern liegt darin, daß Kinder in diesem Alter schon über ihre Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und zur sozialen Pflegeversicherung zur Versorgung älterer und pflegebedürftiger Menschen beitragen. Auch das AG Hagen hat diese Möglichkeit gesehen und in einer Hilfsbegründung für die Abweisung der Klage auch die Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Sohnes verneint. 276 Inzwischen haben andere Gerichte diesen Weg beschritten. So hat das LG Münster den Selbstbehalt von Kindern gegenüber den Unterhaltsansprüchen der Eltern um 30% erhöht. 277 Er liegt demnach in diesem Verhältnis zur Zeit bei mindestens 2200,- DM, während er gegenüber unterhaltsberechtigten Kindern nur 1500,- bis 1800,- beträgt. 278 Die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen umfaßt nicht nur sein Erwerbseinkommen, sondern auch sein Vermögen. Um auch hier eine Entlastung zu erreichen, muß bei den doppelt belasteten Kindern in analoger Anwendung des § 1577 11 BGB davon abgesehen werden, den Stamm ihres Vermögens verwerten, um die Unterhaltsansprüche ihrer pflegebedürftigen Eltern zu befriedigen. 279

4. Ergebnis

Somit umfaßt der unterhaltsrechtliche Begriff des Lebensbedarfs alle Lebensbedürfnisse. Auch die Betreuungsbedürftigkeit ist hiervon nicht ausgeschlossen. Nach ihrem Inhalt ist Betreuung als Unterhaltsleistung anzusehen.

273 274 275 276 277 278

279

Hänlein, S. 7, S. 123 ff. LG Münster, FamRZ 1992,714 f. LG Duisburg, FamRZ 1991, 1086, 1087 ff. AG Hagen, FamRZ 1988, 755, 756, Iit. 2. LG Münster, FamRZ 1992,714,715. Palandt/Diederichsen, § 1603, Rn. 17. AG Wetter, FamRZ 1991, 851, 852.

172

Teil D: Betreuung in der Ehe

v. Betreuung als mögliche oder geschuldete Art und Form des Unterhalts

Weiterhin ist zu untersuchen, ob die Betreuung auch der gesetzlich zulässigen oder sogar gebotenen Fonn des Unterhalts entspricht.

1. Natural- und Barunterhalt

Unterhalt ist in verschiedenen Fonnen denkbar. Hauptsächlich sind zwei Leistungsarten zu unterscheiden: Beim Naturalunterhalt erbringt der Verpflichtete selbst Dienste unmittelbar für den Berechtigten oder stellt ihm die nötigen Verund Gebrauchsgegenstände zur Verfügung. Daneben steht der Geld- oder Barunterhalt. Hier stellt der Verpflichtete lediglich die nötigen finanziellen Mittel bereit, mit denen der Berechtigte seinen Lebensbedarf dann selbst befriedigen kann, indem er die nötigen Gegenstände kauft oder mietet und seinen Bedarf an Dienstleistungen auf dem kommerziellen Markt deckt. Allerdings kann nicht jede Unterhaltsleistung unproblematisch in eine der beiden Fonnen eingeordnet werden. So ist es denkbar, daß der Unterhaltsverpflichtete zwar keine persönlichen Dienste, aber auch keine Geldmittel leistet, sondern den Unterhalt durch Dritte erbringen läßt. 28o Betreuungsleistungen wären eine Fonn des Naturalunterhalts, weil sie der Verpflichtete dem Berechtigten unmittelbar und persönlich erbringt. Auch wenn neben der Betreuung Gelder bereitgestellt werden, muß sich an der Einordnung des gesamten Unterhalts als einer Naturalleistung nichts ändern. Dies gilt etwa dann, wenn der Verpflichtete mit Hilfe seines eigenen Geldes für den Betreuungsbedürftigen Nahrungsmittel besorgt oder Wohnraum beschafft. Barunterhalt im speziellen Sinne setzt dagegen voraus, daß die Gelder dem Berechtigten gezahlt werden, so daß er frei darüber verfügen kann und seinen Bedarf letztlich selbst befriedigt. 281

2. Die generelle Art und Weise der Unterhaltsgewährung im Recht

Anders als der Inhalt des Unterhalts kann die Art seiner Gewährung nicht für alle Unterhaltsverhältnisse einheitlich bestimmt werden. Die Unterhaltsfonn ist innerhalb der einzelnen Unterhaltsbeziehungen unterschiedlich geregelt. Es sind nur einige allgemeine Aussagen über die grundsätzliche Fonn des Unterhalts möglich.

280 281

Zur Betreuung der Eltern durch das Schwiegerkind siehe unten Kap. 13. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 138.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

173

a) Die Art der Unterhalts gewährung nach allgemeinem Sprachgebrauch Der allgemeine Sprachgebrauch beschränkt den Begriff des Unterhalts nicht auf eine bestimmte Art und Weise der Tatigkeit. Hierin zeigt sich der starke Bezug dieses Begriffs auf das unterhaltene Objekt. Der Unterhalt im weiteren Sinne umfaßt daher nicht nur eine unmittelbare Tatigkeit für das unterhaltene Objekt, sondern auch die Aufbringung der Mittel für diese Aufgabe oder ihre Erledigung durch Dritte. 282 In der engeren Bedeutung als Lebensunterhalt sind jedoch aus diesem Begriff bestimmte Tätigkeiten ausgeschlossen. Dies beruht allein darauf, daß das Objekt des Unterhalts eine soziale Lebensstellung ist. Wenn beispielsweise die Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen bei einer Körperverletzung nicht als Unterhalt gesehen wird, ist auch eine Leistung wie die Erste Hilfe vom Unterhaltsbegriff ausgeschlossen. Eine generelle Einschränkung auf eine bestimmte Unterhaltsform besteht jedoch nicht. Insbesondere wird als Lebensunterhalt nicht nur eine Geldzahlung verstanden, sondern auch jede Form der Naturalleistung, soweit sie nur dem Zweck der Lebensunterhaltung dient. Dies zeigt sich zum einen in dem Begriff der Alimente, der lange Zeit auch in der Rechtssprache neben dem des Unterhalts gebräuchlich war, und der zunächst lediglich auf Naturalleistungen wie Nahrung, Wohnung und Kost und erst später auch auf Unterhaltsgelder bezogen wurde. 283 Zum anderen folgt die Einbeziehung von Naturalleistungen aus der zweiten Bedeutung der Begriffe Unterhalt und Lebensunterhalt, nämlich der Selbstunterhaltung. Der eigene Unterhalt kann nur eine Naturalversorgung sein. Er besteht unter anderem aus der Ernährung, dem Wohnen und der Beschaffung von Kleidern. Der allgemeine Sprachgebrauch faßt demnach sowohl Natural- wie auch Barleistungen unter die Begriffe Unterhalt und Lebensunterhalt.

b) Naturalunterhalt in der Rechtsgeschichte Ein anderes Bild zeigt jedoch die Geschichte des Unterhaltsrechts. Hier ist ein Vorrang von Naturalleistungen gegenüber dem Geldunterhalt zu bemerken: Solange es in weiten Bereichen der Gesellschaft keine Geldwirtschaft im heutigen Sinne gab, konnte Unterhalt nur in natura geleistet werden. Aber auch die mittelalterlichen Rechtsquellen haben regelmäßig betont, daß als Unterhalt Naturalien geschuldet seien. Oft wiesen sie auf die römischen Rechtstexte hin, wonach der Unterhaltspflichtige Nahrung, Obdach und Kleidung zu gewähren habe. 284 Wegen der medizinischen Entwicklung wurden alsbald auch Arzneimittel ausdrücklich zum geschuldeten Unterhalt hinzugezählt?85 Auch Pflegeleistungen wurden sowohl im 282

283 284

Duden, Bd. 2, S. 723. Haibach, S. 158. Krause, S. 21 f.

174

Teil D: Betreuung in der Ehe

Mittelalter als auch in einigen neuzeitlichen Kodifikationen ausdrücklich als Fonn geschuldeten Unterhalts aufgezählt. Dies betraf nicht nur die Pflege der Kinder durch ihre Eltern, vor allem die Mutter. Auch die Pflege der betreuungsbedürftigen Eltern durch ihre Kinder wurde als Fonn des Elternunterhalts aufgefaßt. 286 Die unterhaltsrechtliche Texte blieben bis ins späte Mittelalter hinein dieser bildhaften Sprache und kasuistischen Aufzählung einzelner konkreter Unterhaltsleistungen verhaftet. So wurde geschrieben, der Verpflichtete müsse dem Berechtigten "einen Platz am Herd lassen", ihm "essen und trinken" sowie ,,kost und kledere" gewähren. 287 Hierin zeigt sich, daß diese Leistungen noch nicht als Ausprägungen einer einheitlichen abstrakten Rechtspflicht begriffen wurden. 288 Erst ab dem 15. Jahrhundert, später als andere Rechtsgebiete, ging das Unterhaltsrecht zu einer abstrakten rechtlichen Strukturierung und Begrifflichkeit über. Dabei wurde auch der Begriff des Unterhalts entwickelt. Allerdings stand er zunächst noch neben konkreten Aufzählungen über Nahrung und Kleidung, wurde also nicht als Oberbegriff verstanden. 289 Mit einer allgemeinen Bedeutung verwandte ihn erstmals das Preußische ALR290.291 Dieser Übergang deutet jedoch nicht auf eine Veränderung der Ansichten über den Inhalt der geschuldeten Leistungen, etwa zu einer Geldzahlung, hin. Er zeigt nur, daß auch im Unterhaltsrecht wie in anderen Rechtsgebiete eine abstrakte wissenschaftliche Betrachtungsweise die bildhaft-konkrete abgelöst hat. Auch in der Folgezeit sah zumindest das Gemeine Recht, wo es in Deutschland galt, ausschließlich Naturalunterhalt vor. 292 Einen ersten Wechsel der Ansichten zeigen die naturrechtlichen Kodifikationen des späten 18. Jahrhunderts. Sie hielten zwar an der Auffassung vom Unterhalt als einer Naturalleistung fest. Gleichzeitig wurden Geldzahlungen nach und nach als gleichberechtigte Fonn der Unterhaltsgewährung zugelassen, allerdings nur dann, wenn eine Leistung in natura nicht möglich oder nicht zumutbar war. Das ALR und das österreichische ABGB 293 verzichteten dann völlig auf eine ausdrückliche Bestimmung zu dieser Frage und überließen dem Richter die Entscheidung über die Art der Unterhalts gewährung. Noch 1865 knüpfte das SächsBGB294 an diese Regelung an und gewährte dem Verpflichteten das Recht, zwischen Naturalleistung und Geldzahlung zu wählen. 295 KIause, S. 38,82. KIause, S. 63, 65, 71, 82. ~7 KIause, S. 82. ~8 Haibach, S. 158; KIause, S. 82. ~9 KIause, S. 104. 290 Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794. 291 Haibach, S. 158. 292 MKIKöhler, § 1612, Rn. 3. 293 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch flir die gesamten Deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie, 1811. 294 Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen, 1863/1865. ~s

286

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaltsleistung

175

Erst das BGB hat diese Rechtstradition in Deutschland zumindest im Verwandtenunterhalt verlassen, als es in § 1612 I S. 1 BGB als grundsätzliche Art der Erfüllung eine Geldrente vorsah. 296 Rechtshistorisch konnte sich diese Vorschrift nahezu allein auf den im linksrheinischen Gebiet geltenden französischen code civil (Cc) von 1804 und seine deutschen Nachfolgerechte 297 stützen. 298 Die Erste Kommission mag bei dieser Entscheidung berücksichtigt haben, daß wegen des Vollstreckungsverbots in § 888 11 a.F. der 1877 in Kraft getretenen ZPO unvertretbare persönliche Dienstleistungen nicht erzwungen werden konnten und daher eine Naturalunterhaltspflicht in dieser Hinsicht leergelaufen wäre. Ebenso hatte sich spätestens mit der Industrialisierung Deutschlands im 19. Jahrhundert die Geldwirtschaft durchgesetzt, auch im ländlichen Bereich. Ein Unterhaltsberechtigter konnte nahezu alle Lebensbedürfnisse auf dem Markt befriedigen, sofern er über ausreichend finanzielle Mittel verfügte. Nur noch selten war er auf eine Gewährung in natura angewiesen. Trotz dieser Entwicklung faßte auch das BGB Unterhalt nicht generell als Geldzahlung auf, sondern schuf mit § 1612 I S. 1 BGB eine Ausnahme von dem nach wie vor bestehenden Grundsatz des Naturalunterhalts. Dieser Ausnahmecharakter ergibt sich zunächst aus der systematischen Anordnung dieser Vorschrift außerhalb der grundlegenden Normen der §§ 1601 bis 1603 BGB sowie aus ihrer ausführlichen Rechtfertigung in den Motiven. Außerdem blieb es im Ehegattenunterhalt des § 1360 BGB a.F. und beim Kindesunterhalt nach § 161211 BGB dabei, daß sich nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form des Unterhalts nach den Bedürfnissen des Berechtigten zu richten habe. Auch das BGB leugnete also nicht den grundsätzlichen Charakter des Unterhalts als einer variablen, an den Lebensbedürfnissen des Berechtigten ausgerichteten Versorgung, die grundsätzlich als Naturalleistung zu gewähren ist. Somit läßt sich feststellen, daß in der deutschen Zivilrechtsgeschichte und grundsätzlich auch noch im BGB Naturalleistungen als die ursprüngliche Unterhaltsform angesehen wurden. 299

c) Die Abhängigkeit der Unterhaltsart vom jeweiligen Lebensbedarf Letztlich könnten sich Einschränkungen hinsichtlich der möglichen oder geschuldeten Form des Unterhalts auch aus den praktischen Anforderungen der Unterhaltsverhältnisse selbst ergeben. Solche faktischen Erfordernisse wären auch rechtlich zu beachten, solange keine abweichende Regelung vorhanden ist, weil 295 296 297

298 299

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 702. MK/Köhler, § 1612, Rn. 3. Vor al\em das Badische Landrecht von 1809. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 702. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 135.

176

Teil D: Betreuung in der Ehe

das Unterhaltsrecht von den außerrechtlichen Strukturen und sozialen Beziehungen ausgeht. Eine Leistung ist nur dann Unterhalt, wenn sie den Lebensbedarf des Empfängers befriedigen soll und kann. Wegen dieser strikten Anbindung an den Lebensbedarf kann auch die Unterhaltsform von den einzelnen Lebensbedürfnissen des Berechtigten abhängen. So trägt eine Geldzahlung der Selbständigkeit und Freiheit des Empfängers Rechnung, weil er selbst über die Verwendung dieser Mittel entscheiden kann. 3OO Sie führt im Vergleich zu einer Naturalleistung auch nicht zwangsläufig zu einer Schmälerung seiner Lebensstellung, denn es lassen sich immer mehr denkbare nötige Leistungen zum Lebensunterhalt auf dem Markt erwerben. Hierfür kann im Bereich der Betreuung auf die neu entstandenen kommerziellen ambulanten Pflegedienste verwiesen werden. Aus diesen Gründen entspricht Unterhalt in Geldform oftmals den Bedürfnissen des Berechtigten. Gelegentlich können daher nur Naturalleistungen ein Bedürfnis befriedigen. Ein Beispiel hierfür ist die persönliche Zuwendung, die nur eine bestimmte Person erbringen kann. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Pflege und Erziehung eines Kindes nach § 1606 III S. 2 BGB durch die Eltern. In anderen Fällen sind zwar nicht nur Naturalleistungen möglich, aber immerhin besser geeignet als eine Geldzahlung, weil sie variabler gehandhabt und daher eher den verschiedenen einzelnen Bedürfnissen des Empfängers angepaßt werden können. Ebenso wie sein Inhalt ist auch die Form des Unterhalts durch das jeweilige Lebensbedürfnis des Berechtigten bedingt. Gelegentlich ist allerdings eine Naturalleistung die angemessenere Form.

d) Ergebnis Der Begriff des Unterhalts enthält keine Beschränkung auf eine bestimmte Form der Gewährung. Geld- und Naturalleistungen sind grundSätzlich gleichberechtigte Leistungsarten. Nach der historischen Entwicklung und dem systematischen Aufbau des Unterhaltsrechts mit der ausdrücklichen Ausnahmevorschrift in § 1612 I S. 1 BGB und den faktischen Bedürfnissen des Berechtigten ist allerdings der Naturalunterhalt die primäre Leistungsform. 301 Dies spiegelt sich empirisch in dem Übergewicht von Naturalleistungen in den tatsächlichen Unterhaltsverhältnissen wider. 302 Im heutigen Unterhaltsrecht besteht eine Vielzahl von Vorschriften über die Art der Unterhaltsgewährung mit zum Teil unterschiedlichem Inhalt. Während beispielsweise der Unterhalt an Verwandte oder den geschiedenen Ehegatten nach 300 301 302

MK I Köhler, § 1612, Rn. 1. Motive zum BGB, Bd. IV. S. 702 f. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 135, siehe auch oben Fn. 222 in Teil D.

9. Kap.: Die ambulante Betreuung als Unterhaitsleistung

177

§§ 1612 I S. 1 und 1585 I S. 1 BGB als Geldrente zu gewähren ist, verzichtet § 1360a 11 S. 1 BGB für den Familienunterhalt auf eine konkrete Regelung und

verweist auf die in der ehelichen Lebensgemeinschaft gebotene Leistungsart. Kindern ist der Unterhalt nach §§ 1612 11 S. 1 BGB und 1606 m S. 2 in natura zu gewähren, wenn sie in der Familie aufwachsen. Dies galt nach § 1615f I S. 1 HS.2 BGB a.F. schon vor der Reform durch das KindUG grundsätzlich auch für nichteheliche Kinder, wenn sie im gemeinsamen Haushalt ihrer Eltern lebten. 303 Es ergibt sich demnach, daß eine bestimmte Form der Unterhaltsgewährung nur dann zu fordern ist, wenn sie durch eine ausdrückliche Regelung des Gesetzes angeordnet ist. Grundsätzlich ist jede Form des Unterhalts zulässig.

3. Betreuung als Naturalunterhalt

Wenn eine Person ein funktionelles Defizit bei einer relevanten Verrichtung des täglichen Lebens aufweist, dann besteht ihr Unterhaltsbedarf darin, diese Beeinträchtigung auszugleichen. Dies kann vor allem durch eine Betreuung in natura geschehen. Grundsätzlich ist auch eine Geldzahlung geeignet, wenn der Berechtigte hiermit technische Hilfsmittel erwerben oder einen kommerziellen Pflegedienst beauftragen kann und dadurch seine Beeinträchtigung soweit abgemildert wird, daß keine sozialen Nachteile entstehen. Allerdings bleiben in diesem Falle oftmals Bedürfnisse wie nach persönlicher Zuwendung unbefriedigt. Die Pflege und Versorgung eines Betreuungsbedürftigen durch seinen Unterhaltsverpflichteten stellt daher in jedem Falle eine Naturalunterhaltsleistung dar. Auch nach der Art ihrer Gewährung ist Betreuung daher als Unterhalt anzusehen.

VI. Das Maß des Unterhalts generell Das letzte materielle Kriterium zur Bestimmung des Unterhalts nach dem BGB ist sein Maß. Dieses Merkmal betrifft nicht den Umfang des Unterhalts, weil dieser allein von dem Lebensbedarf des Berechtigten abhängt. Es regelt vielmehr das Niveau, auf dem die einzelnen Bedürfnisse befriedigt werden. 304 Weil der Begriff des Lebensbedarfs weit ist und von gesellschaftlichen Anforderungen abhängt, ist ein solches weiteres begrenzendes Kriterium auch sinnvoll. Ebenso wie die Art der Unterhaltsgewährung ist das Unterhaltsmaß nicht einheitlich geregelt. Grundsätzlich stellen die meisten Unterhaltsverhältnisse auf den angemessenen Unterhalt ab, auch wenn die Angemessenheit beispielsweise für Verwandte nach § 1610 I BGB anders bestimmt wird als für Ehegatten nach

303 304

OLG Düsseldorf, FarnRZ 1994,654,655; OLG Karlsruhe, FarnRZ 1984,417. Hänlein, S. 100.

12 O'Sullivan

178

Teil D: Betreuung in der Ehe

§ 1360a I BGB. Die Definition im Verwandtenunterhalt bildet jedoch die Grund-

lage auch der anderen Unterhaltsverhältnisse. Hiernach bestimmt sich das angemessene Unterhaltsmaß nach der Lebensstellung des Berechtigten. Damit knüpft das Recht an die verschiedenen Lebensstandards in der Gesellschaft an.3°s Das Maß des Unterhalts regelt den Unterhaltsanspruch auf der Seite des Berechtigten. Daneben werden die Begriffe des angemessenen und des notdürftigen Unterhalts auch auf Seiten des Verpflichteten benutzt. Hier betreffen sie jedoch allein die Frage der Leistungsfähigkeit nach den §§ 1603 I und 1581 I S. 1 BGB. Sie regeln, ob in Mangelflmen ein konkreter Unterhaltsanspruch des Berechtigten gegeben ist. Sie beziehen sich daher auf den Selbstunterhalt des Verpflichteten. Wegen der Verwechselungsgefahr mit dem Unterhaltsmaß, mit dem diese Begriffe nichts zu tun haben, wird hier eher von dem kleinen und dem großen Selbstbehalt gesprochen. 306 Entsprechend dem Zweck, das Niveau des Unterhalts zu steuern, kann das Unterhaltsmaß nur dort zu Einschränkungen führen, wo ein und dasselbe Lebensbedürfnis auf verschiedenen Niveaus befriedigt werden kann. Dies ist bei vielen Lebensbedürfnissen der Fall. Nur gelegentlich besteht für ein Bedürfnis nur ein einziges Erfüllungsniveau. 307 Ein Beispiel ist eine lebensnotwendige Operation. Auch eine Betreuung kann grundsätzlich auf verschiedenen Niveaus erbracht werden. In einer stationären Pflegeeinrichtung etwa sind die Patienten oftmals nicht auf alle gebotenen Leistungen angewiesen. Für sie sind manche ein Zusatz und daher nicht unbedingt angemessen. Hinzu kommt, daß es zwischen verschiedenen Pflegeeinrichtungen preisliche Unterschiede gibt, die oftmals gerade von diesen Zusatzleistungen abhängen. Wenn also ein Unterhaltspflichtiger zur Kostenübernahme für eine kommerzielle Betreuung herangezogen werden soll, kann der geschuldete Beitrag von der Angemessenheit der einzelnen Leistungen berührt werden.3°8 Eine ambulante Betreuung dagegen ist viel flexibler und individuell gestaltbar. In aller Regel entspricht sie daher den einzelnen Beeinträchtigungen und Bedürfnissen des Betreuten. Insbesondere kann hier nicht etwa zwischen einer bloßen Befriedigung der Grundbedürfnisse und einer umfassenden, auch die sozialen und kommunikativen Bedürfnisse des Berechtigten einbeziehenden Betreuung unterschieden werden. Auch sozialkommunikativen Bedürfnisse stellen Lebensbedürfnisse dar. Die ambulante Betreuung entspricht daher meistens genau den Lebensbedürfnissen des Empfangers. Eine Unterscheidung nach verschiedenen Betreuungsniveaus ist in diesem Bereich nur sehr eingeschränkt möglich.

lOS 306

307 308

nend.

Gernhuber/Coester-Waltjen, § 45 VII 3, S. 687. MKI Köhler, § 1610, Rn. 5. Hänlein, S. 100. So auch LG Duisburg, DAVonn 1987, Sp. 809,810 f., allerdings im Einzelfall vernei-

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. I BGB

179

In der Naturalbetreuung ist daher jede Leistung, die ein Lebensbedürfnis befriedigt, grundsätzlich als angemessen anzusehen. Eine generelle Begrenzung nach dem Maß einzelner Leistungen ist nicht vorhanden. Allerdings können sich Einschränkungen aus den speziellen Vorschriften über das Unterhaltsmaß in den verschiedenen Unterhaltsverhältnissen ergeben.

VB. Endergebnis Betreuungsleistungen entsprechen in ihrem Inhalt, der Form ihrer Gewährung und ihrem Maß einer Unterhaltsleistung. Sie sind daher auch als Unterhalt aufzufassen, und zwar als NaturaIunterhalt. Sie sind eine Leistung, die ihren Rechtsgrund in dem Unterhaltsverhältnis zwischen Verpflichtetem und Berechtigtem findet. Dieses Ergebnis gilt zunächst nur grundsätzlich. Die meisten Unterhaltsverhältnisse enthalten spezielle Vorschriften vor allem über die Form und das Maß des geschuldeten Unterhalts, die teilweise von den Grundsätzen des Unterhaltsrechts abweichen. Diese Normen sind noch zu untersuchen. Im folgenden kehrt die Darstellung zunächst zur Beziehung zwischen Ehegatten zurück und untersucht, ob sich aus den besonderen Regelungen dieses Unterhaltsverhältnisses andere Ergebnisse ergeben. Anschließend wird dargelegt, ob Betreuung als Naturalunterhalt unter Ehegatten sogar geschuldet ist, ob also in der Ehe ein Rechtsanspruch auf Betreuung besteht.

Kapitel 10

Die eheliche Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB I. Einleitung Auch in einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft richten sich die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegatten grundsätzlich nach den allgemeinen Strukturen des Unterhaltsrechts. Die Vorschriften über den Familienunterhalt in den §§ 1360 bis 1360b BGB enthalten jedoch einige Besonderheiten. 309 Zunächst sind die Ehegatten nach § 1360 S. 1 BGB verpflichtet, den Unterhalt der Familie im ganzen zu bestreiten. Der Umfang des Familienunterhalts bestimmt sich also nach den Bedürfnissen eines Kollektivs. Gleichwohl steht der Anspruch hierauf jedem Ehegatten allein zu. Die Familie ist keine Rechtsperson und kann 309

12"

Köhler/Luthin, S. 60; Börner, S. 13 ff.

180

Teil D: Betreuung in der Ehe

daher nicht Inhaberin von Rechten sein. Außerdem sind die Ehegatten innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft einander wechselseitig und gleichzeitig unterhaltsverpflichtet. Diese Regelung scheint den Grundsätzen des Unterhaltsrechts zu widersprechen, denn in anderen Unterhalts verhältnissen setzt der Unterhalt eine Bedürftigkeit des einen und eine Leistungsfähigkeit des anderen Beteiligten voraus, so daß es nicht denkbar ist, daß sich zwei Personen gleichzeitig Unterhalt schulden. 310 Beide grundlegenden Besonderheiten bedingen einander. Familienunterhalt ist faktisch der Familie als Kollektiv zu gewähren. Nur rechtlich muß ein Ehegatte seinen Beitrag zu Händen des anderen leisten. 311 Daher setzt der Anspruch nicht voraus, daß der Partner bedürftig iSt. 312 Die Familie kann nicht bedürftig sein, da sie keine Person darstellt. Weil sie jedoch als abstrakter Dritter faktisch der "Berechtigte" im Sinne des Familienunterhalts ist, können auch beide Eheleute gleichzeitig verpflichtet sein, sie zu unterhalten. 313 Neben diesen strukturellen weist der Familienunterhalt auch inhaltliche und formelle Besonderheiten auf. So enthalten die §§ 1360 S. I und I 360a I BGB für sein Maß und seinen Umfang und § 1360a 11 S. I BGB für die Art seiner Gewährung besondere Vorschriften. Anders als bei den formellen Unterschieden könnten sich hieraus Abweichungen für die unterhaltsrechtliche Erfassung von Betreuungsleistungen innerhalb einer ehelichen Lebensgemeinschaft ergeben

u. Betreuung als Inhalt des Ehegattenunterhalts nach § 1360a I BGB

Der Inhalt des Unterhaltsanspruchs zwischen Ehegatten bestimmt sich nach

§ I 360a I BGB. Er richtet sich grundsätzlich auch in der Ehe und in der Kleinfamilie nach dem Lebensbedarf des Berechtigten. Jedoch enthält § 1360a I BGB eine eigenständige, gegenüber § 1610 11 S. I BGB konkretere und detailliertere Rege-

lung für Inhalt und Umfang des Familienunterhalts. Hiernach sind neben dem Lebensbedarf der Kinder die Haushaltskosten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten erfaßt. In dieser Vorschrift zeigt sich die kollektive Struktur des Familienunterhalts. Dies bedeutet aber zunächst nur, daß der Familienunterhalt nach den Bedürfnissen mehrerer Berechtigter zu bestimmen ist. Daneben könnten sich materielle Abweichungen ergeben.

Börner, S. 15. BSGE 68, 244, 246. 312 Börner, S. 18. m BSGE 68, 244, 246 f. 310 3lI

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. I BGB

181

J. Keine unterschiedlichen Bedarfe der Familienmitglieder

Nach dem Wortlaut der Vorschrift scheint der Unterhaltsinhalt bei den Familienmitgliedern unterschiedlich ausgestaltet zu sein. Bei den Kindern erfaßt er den gesamten Lebensbedarf, also jedes einzelne Lebensbedürfnis. Dies entspricht der Regelung des § 1610 II S. 1 BOB, denn der Anspruch der Kinder ist in den §§ 1601 ff. BOB begründet. Er wird durch die Einbeziehung in die Erfüllungseinheit314 des Familienunterhalts auch nicht verändert. 31s Bei den Ehegatten werden dagegen nur die persönlichen Bedürfnisse genannt. Dieser Begriff wird gelegentlich eng ausgelegt und auf einmalige, hohe Aufwendungen für einen Urlaub oder andere Liebhabereien beschränkt. 316 Meistens wird er jedoch auf alle unregelmäßigen Aufwendungen wie eine ärztliche Behandlung oder einer Urlaubsreise erstreckt. 317 Nach beiden Definitionen scheint er aber hinter dem Lebensbedarf zurückzubleiben, denn die elementaren Lebensbedürfnisse wie Wohnung, Ernährung, Kleidung und Heizung werden nicht dazugezählt. Neben diesen persönlichen Bedürfnissen der Ehegatten und dem Lebensbedarf der Kinder umfaßt der Familienunterhalt nach § 1360a I Hs.2 BOB als dritten Bereich die Kosten des Haushalts. Läßt man den Lebensbedarf der Kinder als selbständigen Bereich des Familienunterhalts außer acht, so teilt sich der dann verbleibende Ehegattenunterhalt im engeren Sinne in zwei unterschiedliche Bedürfnisbereiche auf. Diese Trennung beruht historisch auf der früheren Unterscheidung zwischen dem Ehegattenunterhalt nach § 1360 BOB a.F. und dem ehelichen Aufwand. 318 Zu den Haushaltskosten nach § 1360a I HS.2 BOB sollen nicht nur die reinen Haushaltsaufwendungen gehören, sondern alle Kosten der ehelichen Lebensgemeinschaft, also auch die Aufwendungen für die Wohnung und die Ernährung der Familienmitglieder. 319 Daher werden die Kosten für eine häusliche Betreuung oder Krankenhilfe, soweit sie diskutiert werden, meist hierunter gefaßt. 32o 2. Der gesamte Lebensbedarf der Ehegatten als Familienunterhalt

Auch wenn sich damit der Ehegattenunterhalt in zwei verschiedene Bereiche aufspaltet und die eheliche Betreuung beiden Bereichen zugeordnet werden könnte, so ist doch anerkannt, daß auch bei Ehegatten der gesamte Lebensbedarf 314

3lS 316 317 318 319 320

Zu diesem Begriff siehe oben Fn. 27 in Teil C. Bömer, S. 14 f. Ramm, § 14 V I, S. 132, spricht von ,.Extras". MK/Wacke, § 1360, Rn. 6. Zum früheren ehelichen Aufwand siehe sogleich Kap. 10 11.3. a). BGH, FamRZ 1985,353 f. Gemhuber/Coester-Waltjen, § 21 I ll, S. 232.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

den Inhalt des Familienunterhalts ausmacht. 321 Wie bei § 1610 II BGB umfaßt der Unterhalt somit nicht nur besondere persönliche Bedürfnisse, sondern alle Lebensbedürfnisse. Dies entspricht auch der Regelung für die gemeinsamen Kinder, denn § 1360a I BGB nennt für sie ausdrücklich ihren gesamten Lebensbedarf als Inhalt des Familienunterhalts, so wie es ihren Ansprüchen nach §§ 1601, 1610 II S. 1 BGB entspricht. Wenn demnach ein Ehegatte eines seiner Lebensbedürfnisse nicht selbst erfüllen kann, steht ihm aus §§ 1360 S. 1 und 1360a I HS.2 BGB ein unterhaltsrechtlicher Anspruch auf die Befriedigung eben dieses Bedürfnisses zu. Auch in der Ehe stellt jede absolut oder relativ notwendige Verrichtung des täglichen Lebens ein solches Lebensbedürfnis dar. Wenn ein Ehegatte betreuungsbedürftig ist, dann gehören Betreuungsleistungen, die seine Beeinträchtigung mildem oder überwinden, zu seinem Lebensbedarf. Dem Inhalt nach gehören Betreuungsleistungen also nach § 1360a I BGB zum Ehegattenunterhalt.

3. Die Betreuungsbedüiftigkeit eines Ehegatten als Teil der Haushaltskosten oder als persönliches Bedürfnis

Auch wenn Betreuung in der Ehe grundsätzlich als Familienunterhalt anzusehen ist, bleibt unklar, zu welchem der beiden Bereiche des Ehegattenunterhalts sie gehört. Die Einordnung als Haushaltskosten oder als Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses nach der Unterscheidung in § 1360a I BGB hat besondere Folgen, etwa für die Person des Gläubigers dieser Unterhaltsleistung oder nach ihrem geschuldeten Maß. 322 Dieselbe Frage wird auch für Krankheitsaufwendungen diskutiert. 323

a) Die Haushaltskosten als Nachfolger des ehelichen Aufwandes Die Haushaltskosten wurden erst durch das GlBerG als Teil des neu geschaffenen Familienunterhalts in die §§ 1360 ff. BGB aufgenommen. Zuvor hatte das BGB die Aufwendungen für den Haushalt und die eheliche Lebensgemeinschaft als ehelichen Aufwand bezeichnet. 324 Diese Kosten waren zwar auch damals schon als weiterer Teil des Unterhalts angesehen worden,32s gleichwohl war der eheliche Aufwand bis zum GlBerG außerhalb der Vorschriften über den Ehegattenunterhalt Palandt/Diederichsen, § 1360, Rn. I. Siehe Kap. 10 IV zum Maß des Ehegattenunterhalts und Kap. II 11 zur Person des Gläubigers. 323 MK/Wacke, § 1360a, Rn. 5 f. 324 MK/Wacke, § 1360, Rn. 10. m Dölle, Familienrecht, Bd. I, S. 427; BGH, NJW 1957,537. 321

322

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB

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in den verschiedenen Güterständen geregelt. Im gesetzlichen Güterstand der Verwaltung und Nutznießung nach § 1389 I BGB a.F. und in der Gütertrennung nach § 1427 I BGB a.F. hatte der Mann den ehelichen Aufwand zu tragen. In den drei Wahlgüterständen fiel der Aufwand dem Gesamtgut zur Last. 326 Hintergrund dieser Trennung und der Einordnung des Eheaufwandes in das Ehevermögensrecht war die großbürgerlich geprägte Vorstellungswelt des historischen Gesetzgebers des BGB. Er ging davon aus, ein ..Haushalt" gehe über das bloße Wohnen hinaus und sei eine eigenständige Erscheinung mit eigenen Aufgaben wie derjenigen zur Repräsentation. Deshalb war er der Meinung, die Haushaltsaufwendungen hätten nichts mit den Lebensbedürfnissen der Ehepartner zu tun und könnten deshalb eigenständig geregelt werden. Diesen eheliche Aufwand alten Rechts hat das GlBerG in den Unterhaltsbereich der Haushaltskosten überführt. 327 Hierbei hat es nur die zersplitterten Regelungen zusammengeführt, sie aber inhaltlich nicht verändert. Die Nennung der Haushaltskosten in § 1360a I BGB sollte lediglich deutlich machen, daß der gesamte frühere eheliche Aufwand weiterhin zum Unterhalt gehören sollte. 328

b) Betreuung als Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses Haushaltskosten dienen der häuslichen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten und ihren Kindern. Es sind Aufwendungen zur Erhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft und des Familienlebens. Sie kommen also nicht einem einzelnen zugute, sondern der Familie als Kollektiv. Zu ihnen gehören vor allem Wohnung und Heizung. 329 Aber auch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln dient nicht nur einem Familienmitglied, es sei denn, es handelt sich um eine spezielle Ernährung. Dagegen sind persönliche Bedürfnisse der Ehegatten solche, die nicht zwingend mit der ehelichen und familialen Lebensgemeinschaft zusammenhängen. Die entsprechenden Leistungen dienen grundsätzlich nur einem Familienmitglied. Kleidung gehört hierzu,330 weil sie in der Regel nur eine Person tragen kann. Auch eine ärztliche Behandlung ist allein auf das kranke Familienmitglied zugeschnitten. Die Kosten dafür befriedigen daher ein persönliches Bedürfnis. Und letztlich gehört hierzu die Ausbildung eines Ehegatten, die unter Umständen einen Teil des durch den anderen Partner geschuldeten Unterhalts darstellt. 33l

326 § 1458 a.F. für die Allgemeine Gütergemeinschaft, § 1529 I a.F. für die Errungenschaftsgemeinschaft und § 1549 i.V.m. § 1458 a.F BGB für die Fahrnisgemeinschaft. 321 Boehmer, FamRZ 1955, S. 125, 127. 328 Brühl, FamRZ 1957, S. 277; Boehmer, FamRZ 1955, S. 125, 127. 329 Dölle, Familienrecht, Bd. I, S. 431; BGH, FamRZ 1998,608,609. 330 MK/Wacke, § 1360a, Rn. 6. 331 BGH, FamRZ 1985,353,354.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Die Unterscheidung zwischen Haushalts- und persönlichen Kosten deckt sich nicht mit der Differenzierung zwischen Regel- und Sonderbedarf?32 Zwar wird ein unregelmäßiger Sonderbedarf im Sinne von § 1613 11 Nr. 1 BGB n.P. oft nur bei persönlichen Bedürfnissen auftreten, so bei einer Krankenbehandlung. 333 Die Haushaltskosten sind dagegen ein laufender Regelbedarf, denn sie können langfristig geplant werden, indem beispielsweise die Wohnung, ihre Einrichtung oder das Familienauto geplant angeschafft und wirklichkeitsnah abgeschrieben werden. Andererseits sind auch viele persönliche Bedürfnisse Teil des Regelbedarfs, so zum Beispiel die Gebrauchskleidung. Betreuungsbedürftigkeit ist entweder wie eine Krankheit als Sonderbedarf oder wegen ihrer Langfristigkeit als Regelbedarf anzusehen. Davon hängt aber nicht ihre Einordnung in die Unterhaltsbereiche des § 1360a I BGB ab. Betreuungsleistungen kommen unmittelbar nur einem einzigen, nämlich dem betreuungsbedürftigen Familienmitglied zugute. Daß gerade wegen der Betreuung in der Familie die eheliche Lebensgemeinschaft erhalten werden kann, berührt diese Einordnung nicht, denn gleiches gilt zum Beispiel auch für die Krankenbehandlung. Betreuung dient damit der Erfüllung eines persönlichen Bedürfnisses im Sinne von § 1360a I S. 1 Var.2 BGB und ist nicht als Teil der Haushaltskosten aufzufassen.

4. Ergebnis

Die Betreuung des Ehegatten ist ihrem Inhalt nach als Unterhalt anzusehen, und zwar als Befriedigung eines persönlichen Bedürfnisses nach § 1360a I Var.2 BGB.

III. Naturalleistungen als primäre und geschuldete Art des Eheunterhalts Das Recht des Familienunterhalts schreibt keine spezielle Art der Gewährung allgemeingültig vor. Dies entspricht der grundsätzlichen Offenheit des Unterhalts, nach der sich auch seine Form allein nach den individuellen und sozial geprägten Bedürfnissen des Berechtigten richtet.

1. Die durch die Ehe gebotene UnterhaltsJorm nach § 1360a 11 S. 1 BGB

Nach § 1360a II S. 1 BGB ist der Familienunterhalt in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu leisten. Der Grund für einen Verzicht auf 332 333

Siehe hierzu oben Kap. 9 IV. BGH, FamRZ 1982. 145. 146.

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB

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eine allgemeingültige Vorschrift und für diese Anknüpfung an die jeweiligen Lebensverhältnisse liegt in der besonderen Privatheit der Ehe. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist eine außerrechtliche, tatsächliche Erscheinung, die durch § 1353 I S. 2 BGB lediglich rechtlich erfaßt und anerkannt wird. Die Ehegatten können ihre Gemeinschaft inhaltlich frei gestalten, insbesondere nach § 1356 BGB Hausarbeit, Kindererziehung und Erwerbstätigkeit frei verteilen. Eine verpflichtende und konkrete Norm über eine bestimmte Art der ehelichen Unterhaltsgewährung würde diese freie Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft erschweren oder verhindern. 334 Die Vorschrift über die ehelich gebotene Unterhaltsart war nahezu wortgleich schon in § 1360 m BGB a.F. enthalten. Sie betraf dort aber nur den Ehegattenunterhalt alter Prägung. Dieser wurde durch das GlBerG durch den kollektiv ausgeformten Familienunterhalt ersetzt.. Möglicherweise hat sich durch diese Neufassung auch die geschuldete Form des Ehegattenunterhalts verändert. Allerdings hat das GlBerG die Vorschrift über die Art der Unterhaltsgewährung nicht verändert. Daher knüpft die Leistungsform in § 1360a 11 S. 1 BGB nach wie vor nur an die ehelichen und nicht an die gesamtfamilialen Verhältnisse an, obwohl der Unterhaltsinhalt nach § 1360a I BGB auch den Lebensbedarf der Kinder erfaßt. Außerdem ist zumindest das Unterhaltsverhältnis zwischen den Ehegatten auch innerhalb des Familienunterhalts strukturell wechselseitig ausgestaltet geblieben. 335 An der Leistungsart des Ehegattenunterhalts hat sich also nichts verändert?36 Sie wird nicht durch eine möglicherweise abweichende Regelung hinsichtlich der Kinder im Familienunterhalt berührt.

2. Naturalleistungen als grundsätzlich gebotene Unterhalts/orm in der Ehe

In welcher Form die Ehegatten nach § 1360 S. I, § 1360a I BGB zum Familienunterhalt beitragen müssen, richtet sich also nach dem jeweiligen Bedürfnis. Hiernach sind Naturalleistungen häufiger die geschuldete Form des ehelichen Unterhalts. Die eheliche Lebensgemeinschaft ist durch das Zusammenleben in einer häuslichen Gemeinschaft geprägt. Naturalleistungen an den anderen Ehegatten dienen unmittelbar dem Aufbau und dem Erhalt der Gemeinschaft. Sie können innerhalb des gemeinsamen Haushalts erbracht werden. Erwerbsarbeit dagegen führt die Eheleute aus der häuslichen Gemeinschaft heraus und beschränkt ihre Lebensgemeinschaft daher zumindest zeitlich. Naturalleistungen gehen daher zumindest dann einer Erwerbstätigkeit vor, wenn diese allein dazu dient, finanzielle Mittel Struck, FuR 1996, S. 118 ff. Zum früheren Recht Dälle, Farnilienrecht, Bd. I, S. 462 ff.; zum heutigen MK/Wacke, § 1360, Rn. 7. 336 MK/Wacke, § 1360a, Rn. 2. 334 335

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Teil D: Betreuung in der Ehe

für solche Haushaltskosten zu erarbeiten, die auch in natura erbracht werden können. Außerdem kommen Naturalleistungen in einer so engen Lebensgemeinschaft wie der Ehe oder der Familie unmittelbar dem Kollektiv zugute, weil sie allen Mitgliedern zur Verfügung stehen. Erhielte dagegen jedes Familienmitglied eine Geldzahlung, so würden manche notwendigen Gegenstände doppelt oder gar nicht angeschafft. Hierdurch würde der ausdrücklich als kollektiv gestaltete Familienunterhalts aufgesplittert. Daher gebietet die eheliche Lebensgemeinschaft oft eine Naturalleistung. 337 Es ist allerdings faktisch nur noch sehr selten möglich, den Familienunterhalt allein durch reine Naturalleistungen zu bestreiten. In der heutigen Gesellschaft mit ihrer Geldwirtschaft kann sich eine Familie ohne ausreichende finanzielle Mittel nicht mehr selbst angemessen unterhalten. Und nur die wenigsten Familien verfügen über ein ausreichendes liquides Vermögen, aus dem sie die notwendigen Gelder entnehmen können, um keine Erwerbstätigkeit ausüben zu müssen und sich auf Naturalleistungen in Haushalt und Familie beschränken zu können. Eine Erwerbsarbeit zumindest eines der Ehegatten ist daher in den allermeisten Fällen notwendig. Naturalleistungen bilden jedoch weiterhin einen großen Teil des Unterhalts in der Familie. Hierzu gehört beispielsweise die Kindererziehung. Sie stellt nach §§ 1606 m S. 2 und 161011 BGB eine Unterhaltsleistung dar und ist nach § 1360a I BGB als Lebensbedarf der Kinder in den Familienunterhalt einbezogen. Sie wird weitgehend in natura geleistet. Zwar hat der Staat einen großen Teil der Erziehung, nämlich die Schulausbildung, inzwischen aus den Familien herausgenommen. Auch im Vorschulalter werden mehr und mehr Erziehungsaufgaben von außerfamilialen Institutionen erbracht. 338 Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nach § 24 SGB vm hat diese Entwicklung gestärkt. Die Sozialisation von Kindern außerhalb ihrer Ausbildung wird jedoch nach wie vor ganz überwiegend von den Familien erbracht. Weitere Beispiele für Naturalunterhalt bestehen in anderen gesellschaftlichen Bereichen. So gibt es in der Landwirtschaft noch immer eine Selbstversorgung. Hierbei stellt beispielsweise die Versorgung mit Nahrungsmitteln im Rahmen eines Altenteils nach § 13 11 HöfeO einen Naturalunterhalt dar. Die Form des Familienunterhalts richtet sich somit nach den individuellen Bedürfnissen und sozialen Anforderungen an die jeweilige Familie und nach ihren Möglichkeiten, den Lebensbedarf aller ihrer Mitglieder zu bestreiten. Es ist keine bestimmte Form der Unterhaltsgewährung vorgeschrieben. Oft sind jedoch Naturalleistungen eine angemessene und daher im Sinne von § 1360a 11 S. 1 BGB gebotene Form der Unterhaltsgewährung in Ehe und Familie.

337 338

Börner, S. 87; Göppinger/Wax/Strohal, Rn. 135. Huffmann, S. 16 ff.

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. I BGB

187

3. Kein Einfluß der Vorschriften über Unterhaltsmittel auf die Unterhaltsform

Allerdings nennt § 1360 S. 1 BGB als mögliche Beiträge zum Familienunterhalt nur die Arbeit und die Bereitstellung eigenen Vermögens. Naturalleistungen sind nicht genannt. Diese Beispiele betreffen jedoch nicht die Art der Unterhaltsgewährung, sondern die Unterhaltsmittel. 339 Die Regelung kann sich aber mittelbar auch auf die Unterhaltsform auswirken. So wird oftmals angenommen, daß die Ehegatten oder zumindest der nichthaushaltsführende Partner einer Pflicht oder Obliegenheit zur Erwerbstätigkeit unterlägen. 34o Wenn eine solche Pflicht besteht, so fehlt dem erwerbstätigen Ehegatten schon die Möglichkeit zur Naturalbetreuung seines Partners. Statt dessen müßte er dann seine Erwerbseinkünfte als Barunterhalt leisten und seinen Ehegatten kommerziell betreuen lassen. Jedoch läßt das Unterhaltsrecht neben den Unterhaltsmitteln aus § 1360 S. 1 BGB weitere Mittel zu. Dies zeigt sich schon in § 1360 S. 2 BGB, denn dort wird die Haushaltsführung als gleichberechtigter Beitrag zum Familienunterhalt anerkannt. Außerdem ist anerkannt, daß vermögende Eheleute einvernehmlich auf ihre Arbeitskraft verzichten und ihre Familie mit den Erträgen oder sogar dem Stamm ihres Vermögens unterhalten können. 341 Gleichermaßen ist es unterhaltsrechtlich auch zulässig, den Unterhalt durch nichterwerbsmäßige Arbeiten und Dienste unmittelbar zugunsten der Familie, also in Form von Naturalleistungen zu erbringen.

4. Beispiele für Naturalleistungen im Ehegattenund Familienunterhalt

Zu diesem Naturalunterhalt gehören Sach- und Dienstleistungen. Zu den Sachmitteln, die in einer Ehe geschuldet sind, gehört beispielsweise die Einräumung von Mitbesitz an einer Wohnung. 342 Ebenso muß ein Ehegatte ein Fahrzeug, das in seinem Eigentum steht, dem anderen zur Benutzung überlassen, hierbei müssen sich die Eheleute nach § 1353 I S. 2 BGB nötigenfalls über Zeit und Anteile der Benutzung einigen. Zu den als Familienunterhalt in natura geschuldeten Dienstleistungen gehört als gesetzliches Beispiel nach § 1360 S. 2 BGB die Haushaltsftihrung. Auch mit der Erziehung eines gemeinsamen Kindes erfüllt ein Ehegatte nicht nur nach § 1606 m S. 2 BGB seine Unterhaltsverbindlichkeit gegenüber dem Kind, sondern erbringt damit gleichzeitig einen seinem Ehegatten geschuldeten Beitrag zum Familienunterhalt. Dies gilt unabhängig davon, ob man innerhalb einer Familie zwischen den Unterhaltsansprüchen der Ehegatten und der Kinder 339 340

341 342

Zu den Unterhaltsmitteln siehe unten Kap. II 111. 1. Palandt/Diederichsen, § 1360, Rn. 10. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 2116, S. 228 f. Göppingerl Wax I Kindermann, Rn. 1088.

188

Teil D: Betreuung in der Ehe

trennt 343 oder ob man die Kindesansprüche auch rechtlich in dem kollektiven Familienunterhalt aufgehen läße44 • Auch wenn die Ansprüche der Kinder selbständig bleiben, so ist ein Ehegatte nach § 1360a I BGB zusätzlich dem anderen Elternteil gegenüber verpflichtet, sie zu erfüllen.

5. Betreuung als eheangemessene Form des Familienunterhalts an einen betreuungsbedürftigen Ehegatten

Betreuung als Naturalleistung erfüllt unmittelbar die Bedürfnisse des betreuungsbedürftigen Empfängers und ist wegen der persönlichen Zuwendung, die ebenfalls zum Unterhalt gehört, besser hierzu geeignet als eine Geldzahlung. Daher ist für einen unterhaltsberechtigten Betreuungsbedürftigen die tatsächliche Naturalbetreuung durch seinen Ehepartner die angemessene Form des Ehegattenunterhalts. Sie ist damit nach § 1360a 11 S. 1 BGB auch die gebotene Art der Unterhaltsgewährung.

IV. Das Maß des Ehegattenunterhalts Welches Maß an Familienunterhalt ein Ehegatte schuldet, ist schon in der Grundvorschrift des § 1360 S. 1 BGB aufgeführt. Die Ehegatten sind einander wie im Unterhaltsrecht grundsätzlich imme~4s zum angemessenen Unterhalt verpflichtet. Eine genauere Definition der Angemessenheit findet sich in § 1360a I Hs.l BGB. Hiernach wird das Maß anders als im Verwandtenunterhalt bestimmt. Es richtet sich nicht allein nach der originären oder abgeleiteten Lebensstellung des Berechtigten. Angemessen ist vielmehr der Unterhalt, der nach den Verhältnissen bei der Ehegatten erforderlich ist. Der Maßstab sind die ehelichen Lebensverhältnisse. Anders als beim Inhalt des Familienunterhalts wird hier also allein auf die Ehegatten abgestellt. Die Lebensstellung der Kinder berührt das Maß des Familienunterhalts nicht, obwohl auch ihre Ansprüche in den kollektiv geprägten Unterhalt einbezogen sind. Diese Ausgrenzung hat jedoch keine materiellen Auswirkungen, denn solange ein Kind im Haushalt seiner Eltern lebt, hat es noch keine eigene Lebensstellung im Sinne des § 1610 I BGB erworben, so daß sich auch das Maß seines Unterhaltsanspruchs nach den Verhältnissen der Eltern bestimmt. 346

343 344 345 346

MK/Wacke, § 1360, Rn. 11; Börner, S. 14. Gernhuber/Coester-Waltjen, § 21 12, S. 226 f. Siehe zum grundsätzlichen Unterhaltsmaß oben Kap. 9 VI. OLG Düsseldorf, FamRZ 1991,973,975.

10. Kap.: Betreuung als Ehegattenunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB

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1. Bestimmung des Unterhaltsmaßes durch Abrede oder faktische Gestaltung der Ehe

Vor den Änderungen durch das GIBerG hatte sich das Maß des Ehegattenunterhalts nach § 1360 I und TI BGB a.F. nach der Lebensstellung des Mannes bestimmt. Es richtete sich also nur bei den Ansprüchen des Mannes gegen die Frau nach der Stellung des Berechtigten. Die Ansprüche der Frau nach § 1360 I BGB a.F. dagegen wurden entgegen den Grundsätzen des Unterhaltsrechts und anders als in § 1610 I BGB nach der Stellung des Verpflichteten bestimmt. Der Grund für 'diese Abweichung war, daß eine Ehefrau nach damaliger Auffassung und Rechtslage keine eigene, von ihrem Mann unabhängige Lebensstellung erwerben konnte. Außerdem bestimmte sich die Angemessenheit nur zum Teil nach den individuellen Eheverhältnissen. Ansonsten wurde die Lebensstellung entsprechend der früheren Regelung im Verwandtenunterhalt in § 1610 I BGB a.F. standesbezogen ermittelt, also nach der Herkunft der Ehegatten und vor allem des Ehemannes. 347 Heute richtet sich das Maß des ehelichen Unterhalts allein nach der einzelnen Ehe. Objektive, äußerere Vorschriften über eine eheliche Angemessenheit widersprächen der Privatheit einer solchen Beziehung. 348 Entsprechend der Gestaltung ihrer Lebensgemeinschaft bestimmen sich auch die Lebensverhältnisse der Ehegatten entweder nach einer Abrede oder häufiger nach der faktisch gelebten Gemeinschaft. Indem die Ehegatten zum Beispiel nach § 1356 BGB die Verteilung von Erwerbstätigkeit und Haushaltsarbeit regeln, entscheiden sie nicht nur über die Art der jeweiligen Unterhaltserbringung. Sie bestimmten hierbei auch über das Maß des Familienunterhalts, denn wenn beispielsweise statt beider nur ein Ehegatte erwerbstätig sein soll, sind die verfügbaren finanziellen Mittel für die Familie geringer. Das geschuldete Unterhaltsmaß läßt sich also erst bestimmen, wenn die Ehegatten eine Verabredung getroffen haben oder ihre eheliche Lebensgemeinschaft aufgenommen und faktisch gestaltet haben. Ebenso verändert es sich, wenn sich die eheliche Lebensgemeinschaft ändert. Die Ehegatten sind bei der Gestaltung ihrer Ehe und des Familienunterhalts nicht endgültig gebunden. Sie können neue Abreden treffen. Beispielsweise können sie vereinbaren, einen höheren Anteil des Familieneinkommens zu konsumieren oder zu sparen. Häufiger wandelt sich das eheliche Leben allerdings rein faktisch entsprechend einer Veränderung der äußeren Umstände. Solche Änderungen treten oft auf bei der Geburt von Kindern. 349 Hier werden Erziehung und Kindesbetreuung nötig. Der Anspruch auf diese Leistungen steht nach § 1360 S. 1 i.V.m. § 1360a I BGB auch dem anderen Ehegatten zu, weil sie Teil des Familienunterhalts sind. 347 348 349

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 123. Gemhuber/Coester-Waltjen, § 21 I Nr. 11, S. 232. Ein Beispiel hierfür enthält BGH, FarnRZ 1983, 140, 141.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Hier wandelt sich vor allem die Art des geschuldeten Unterhalts. Wenn beispielsweise beide Ehegatten zuvor erwerbstätig waren, mußten sie Barunterhalt leisten. Gibt nunmehr ein Elternteil seine Arbeit auf, um nach § 1606 III S. 2 BGB das Kind zu erziehen, so ist der Erziehungsunterhalt nach § 1360a I BGB ebenfalls Teil des Familienunterhalts. Die Unterhaltspflicht hat sich damit zum Naturalunterhalt gewandet. Aber auch das Maß des Unterhalts kann von einem Ereignis wie der Geburt eines Kindes betroffen sein. So erhöht sich dadurch die Barunterhaltspflicht des erwerbstätig bleibenden Ehegatten, weil zum einen der Bedarf der Familie anwächst und weil zum anderen das Einkommen des erziehenden Elternteils wegfällt.

2. Das Maß des Unterhalts bei der Betreuung

Wenn ein Partner betreuungsbedürftig wird und ein persönliches Bedürfnis nach Betreuung im Sinne von § 1360a I Var.2 BGB entwickelt, so liegt hierin eine tatsächliche Veränderung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Sie wirkt sich auch auf das Unterhaltsmaß aus. Nunmehr gehören Betreuungsleistungen an den betreuungsbedürftigen Partner zum angemessenen Unterhalt. Unterschiede zwischen einzelnen Niveaus der Betreuung sind auch hier kaum vorstellbar. 35o Zu erbringen sind genau jene Leistungen, deren der Betreuungsbedürftige bedarf. Die Ehegatten können in dieser Situation durch eine Vereinbarung die Betreuung wieder aus dem angemessenen Unterhaltsmaß ausschließen. So können sie eine Abrede treffen, wonach der andere Ehegatte nicht die volle Betreuung übernimmt, sondern teilerwerbstätig bleibt, sich auf eine bloß unterstützende Betreuung beschränkt und mit seinen Einkünften die restliche Betreuung kommerziell sicherstellt. Treffen die Eheleute eine solche Abrede nicht, so prägt die tatsächliche Betreuungsbedürftigkeit des einen Partners weiterhin das angemessene eheliche Unterhaltsmaß. Die Betreuung ist auch nach ihrem Maß als ehelicher Unterhalt anzusehen.

V. Ergebnis Innerhalb einer bestehenden ehelichen Lebensgemeinschaft ist die Betreuung des Partners als Unterhaltsleistung nach §§ 1360 S. I, 1360a I BGB anzusehen. Sie entspricht in Inhalt und Maß dem Ehegattenunterhalt. Auch ihre Form als Naturalleistung stellt nach § 1360a 11 S. 1 BGB die ehegemäße Art der Unterhaltsgewährung an einen betreuungsbedürftigen Partner dar. Eine rechtliche Folge dieser Ein350 Siehe zu möglichen verschiedenen Betreuungsniveaus als unterschiedlichen Maßen des Unterhalts oben Kap. 9 VI.

Il. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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ordnung ist hier wie bei § 1353 I S. 2 BGB, daß die Betreuung in dem Unterhaltsverhältnis der Ehegatten ihren Rechtsgrund findet. Es ist aber noch zu untersuchen, ob die Betreuung aus § 1360 S. 1 BGB verlangt werden kann oder ob hier ebenso wie bei der ehelichen Generalklausel kein Rechtsanspruch auf Betreuung besteht.

Kapitel 11

Der Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung und seine Grenzen I. Der Rechtspflichtcharakter von Bar- und Naturalunterhalt

Ein Anspruch auf Unterhalt stellt immer einen Rechtsanspruch dar. 3!!l Wenn er auf Barunterhalt gerichtet ist, erfüllt er unproblematisch die Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs, denn er kann eingeklagt und aufgrund des Urteils oder eines anderen Titels vollstreckt werden. Dagegen richtet sich ein Anspruch auf Naturalunterhalt auf eine unvertretbare persönliche Dienstleistung und kann daher analog § 888 m Var.3 ZPO n.F. nicht durchgesetzt werden. Gleichwohl wird der Naturalunterhalt dem Barunterhalt gleichgesetze!!2 und daher als Rechtsanspruch angesehen. 3!!3

1. Negative Sanktionierungen des Unterhaltsanspruchs auf Betreuung

Betreuungsleistungen als Naturalunterhalt sind Teil des Ehegattenunterhalts aus §§ 1360 S. I, 1360a TI S. I BGB. Dieser Unterhaltsanspruch ist jedoch nicht vollstreckbar, und zwar nicht nur analog § 888 m Var.3 ZPO, sondern zusätzlich nach Var.2, weil er einer Herstellung des ehelichen Lebens gleichkäme. Er kann daher nicht positiv durchgesetzt werden. Daher stellt er nur dann einen Rechtsanspruch dar, wenn er in irgendeiner Weise negativ sanktioniert ist. Eine eheliche Beziehung wird oft faktisch belastet, wenn ein Ehegatte entgegen der Erwartung des anderen keine Betreuung leistet. Die eheliche Lebensgemeinschaft kann hieran zerbrechen. Dies ist jedoch nur eine tatsächliche Folge und keine rechtliche Sanktion. Auch beim Naturalunterhalt reicht diese Sanktionierung nicht aus, um einen Rechtsanspruch zu bejahen.

351 352 353

Palandt/Diederichsen, Einf. vor § 1601, Rn. I; MK/Wacke, § 1360, Rn. 6 ff. BGH, FamRZ 1997,806,809; OLG Düsseldorf, DAVorm 1982, Sp. 983, 984. OLG Hamm, FamRZ 1990,878,879; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 21 I I, S. 226.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

a) Gleiche Rechtsqualität von Natural- und Barunterhalt zwischen Eheleuten Für den Rechtspflichtcharakter ehelichen Naturalunterhalts spricht zunächst ein Vergleich mit den anderen Unterhaltsansprüchen zwischen Ehegatten. Naturalunterhalt kann nur in der ehelichen Lebensgemeinschaft geschuldet sein, wenn die ehelichen Lebensverhältnisse diese Form der Gewährung nach § 1360a n S. I BGB gebieten. Trennungs- und Scheidungsunterhalt sind nach § 1361 IV S. 1 und § 1585 I S. 1 BGB dagegen grundsätzlich 354 in bar zu erbringen. Daher stellen sie klagbare und vollstreckungsfähige Rechtsansprüche dar. Alle diese Ansprüche beruhen auf demselben Unterhaltsverhältnis, der Ehe. Sie sind daher auch von gleicher rechtlicher Qualität. Ebenso wie Trennungs- und Scheidungsunterhalt ist daher auch der Familienunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB als Rechtspflicht anzusehen, auch wenn er nach § 1360a n S. 1 BGB in natura zu leisten ist. b) Schadensersatz wegen Verletzung einer Naturalunterhaltspflicht? Möglicherweise macht sich ein Ehegatte außerdem schadensersatzpflichtig, wenn er die ihm obliegenden Naturalleistungen zum Familienunterhalt nicht erbringt. Eine solche Schadensersatzpflicht ist die weitestgehende negative rechtliche Sanktionierung. Sie wird nur durch eine Pflichtverletzung begründet. Der Unterhalt ist vermögensrechtlich geprägt und unterfällt daher grundsätzlich den Regelungen des allgemeinen Schuldrechts. 355 Für den Schuldnerverzug ergibt sich dies schon aus § 1613 I S. 1 und 11 Nr. 1 BGB n.F. Ebenso sind die Vorschriften der §§ 275 ff. BGB über die Unmöglichkeit auf Unterhaltsverpflichtungen anwendbar. 356 Die Frage nach einer Unmöglichkeit im Unterhaltsrecht betrifft zunächst die verschuldete und unverschuldete Leistungsunfähigkeit des Schuldners. 357 Ist der Schuldner zu Naturalunterhalt verpflichtet, kann eine Unmöglichkeit aber auch unabhängig von dieser Frage auftreten. Die Pflicht zu Naturalleistungen kann nach § 888 III ZPO nicht vollstreckt werden. Daher kann es hier vorkommen, daß der Schuldner den Unterhalt verweigert oder nicht erbringen kann, obwohl er leistungsfähig ist. Naturalleistungen dienen regelmäßig einem bestimmten, akuten Lebensbedürfnis, das der Bedürftige sofort anderweitig befriedigen muß, wenn er den geschuldeten Unterhalt nicht erhält. Sie können daher meist nicht nachgeholt werden. 358 Dies gilt auch für Betreuungsleistungen. Somit 354 Zu einer Abrede der Ehegatten über eine Naturalleistung im Rahmen des § 1361 BGB siehe BGH, FamRZ 1965, S. 125, 126. 355 Siehe oben Kap. 8111.5. e) und unten Kap. 11 IV. 2. b). 356 von Krog, Unterhaltspflicht, FarnRZ 1984, S. 539, 540. 351 von Krog, Schadensersatz, DAVorrn 1985, Sp. 625, 626; BGH, DAVorrn 1985, Sp. 314 ff. 358 Staudinger/Kappe/Engler, § 1613, Rn. 3.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

193

liegt bei einem Anspruch auf Naturalunterhalt bereits in der schlichten Nichterfüllung Unmöglichkeit. 359 Aus dieser Unmöglichkeit muß dem Betreuungsbedürftigen ein Schaden entstanden sein. Dies sind regelmäßig Aufwendungen, mit denen er seine Betreuung durch einen kommerziellen Pflegedienst oder einen privat bezahlten Betreuer sicherstellt. Der Unterhaltsschuldner ist jedoch nur dann aus § 280 I BGB schadensersatzverpflichtet, wenn er die Unmöglichkeit der Leistung zu vertreten hat. Dies setzt nach § 276 I S. 1 BGB voraus, daß er vorsätzlich oder fahrlässig, also schuldhaft gehandelt hat. 360 Dies ist in einem Betreuungsverhältnis nur selten anzunehmen. Erbringt der Ehegatte Betreuungsleistungen nicht, weil sie ihm unzumutbar sind, so handelt er nicht schuldhaft. Hier liegt also keine Pflichtverletzung vor. 361 Wenn der Ehegatte jedoch bewußt keine Betreuung erbringt, so kann ein Verschulden bejaht werden. Ein Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung der Unterhaltspflicht kann zwar nur unter den Voraussetzungen des § 1613 I S. 1 BGB n.E verlangt werden, da er auf ei,nen vergangenen Zeitraum gerichtet ist. Hat der Berechtigte jedoch eine der dort genannten Maßnahmen ergriffen, so ist der Schadensersatzanspruch, der ihm aus der Verletzung der Unterhaltspflicht entstanden ist, als schlichte Geldforderung unbeschränkt einklagbar und vollstreckungsfahig. Somit kann die Nichterfüllung der Verpflichtung zum Naturalunterhalt und zur Betreuung aus §§ 1360 S. I, 1360a 11 S. 1 BGB grundsätzlich eine Schadensersatzverpflichtung aus § 280 I BGB begründen. Dieser Anspruch besteht zwar nur theoretisch, weil ihn ein Ehegatte kaum jemals unmittelbar durchsetzen würde. Er stellt jedoch rechtlich eine negative Sanktionierung der Naturalunterhaltspflicht dar.

c) Der mögliche Ausschluß nachehelichen Unterhalts nach § 1579 Nr. 5 BGB Eine weitere negative Sanktionierung könnte darin liegen, daß eine Verletzung von Unterhaltspflichten während der Ehe nach § 1579 Nr. 5 BGB zu einer Kürzung oder einem Ausschluß des nachehelichen Unterhalts führen kann. Hierzu zählt auch ein Verstoß gegen den Familienunterhalt, und zwar auch dann, wenn eine Naturalleistung geschuldet war. 362 Voraussetzung dieser Vorschrift ist jedoch, daß die Unterhaltspflicht gröblich verletzt worden ist. Hiermit ist ein objektiv schwerer Palandt/Diederichsen, vor § 1601, Rn. 8. Staudinger/Kappe/Engler, § 1613, Rn. 18. 361 Die eheliche Betreuungspflicht ist al1erdings schon tatbestandsmäßig durch die Zurnutbarkeit für den unterhaltspflichtigen Ehegatten begrenzt, siehe dazu unten Kap. 11 IV 2. 362 Palandt/Diederichsen, § 1579, Rn. 22. 359

360

13 O'Sullivan

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Teil D: Betreuung in der Ehe

Verstoß gemeint. Aus dem Wortlaut ergibt sich außerdem, daß subjektiv mindestens grobe Fahrlässigkeit vorgelegen haben muß. 363 Nach diesen engen Voraussetzungen wird die bloße Nichterbringung von Betreuung nicht als grobe Verletzung einzuordnen sein. Angesichts der erheblichen Belastung durch eine solche Tlitigkeit wird selten Verschulden vorliegen. § 1579 Nr. 5 BGB wird allenfalls dann erfüllt sein, wenn der Ehegatte seinem betreuungsbedürftigen Partner nicht nur die Naturalbetreuung, sondern auch entsprechende Barleistungen für eine kommerzielle Pflege verweigert hat. Aus dieser Vorschrift läßt sich jedoch keine negative rechtliche Sanktionierung der Naturalunterhaltspflicht herleiten. d) Die rechtliche Außenwirkung des Familienunterhalts Letztlich spricht die Außenwirkung des Familienunterhalts dafür, daß jede Unterhaltsleistung zwischen Ehegatten einen Rechtspflichtcharakter aufweist, auch wenn sie aufgrund der ehelichen Lebensgemeinschaft nach § 1360a II S. 1 BGB in natura erbracht werden muß. Das Ehepersonenrecht im engeren Sinne, also die §§ 1353 bis 1359 BGB, betrifft vor allem die private Lebensgemeinschaft der Ehegatten und ihre rechtlichen Beziehungen zueinander. Der Familienunterhalt und auch die Eigentumsvermutungen, also die gesamten §§ 1360 bis 1362 BGB, stehen dagegen nicht nur schon im Übergang zum Ehevermögensrecht der §§ 1363 ff. BGB, sondern betreffen häufig auch die Rechtsbeziehungen der Ehegatten zu Dritten. Die Reichweite des Ehegattenunterhalts betrifft beispielsweise auch die Verwandten eines Partners, denn sie sind nach § 1608 S. 2 BGB subsidiär zum Unterhalt verpflichtet, wenn der Ehegatte nicht mehr für die Erfüllung bestimmter Lebensbedürfnisse haftet. Dies zeigt sich beispielsweise beim Ausbildungsunterhalt, den Eltern und andere Verwandte oft auch einem verheirateten Unterhaltsberechtigten erbringen müssen,364 wenn sich zum Beispiel der andere Ehegatte ebenfalls noch in Ausbildung befindet und daher nicht leistungsfahig ist. 365 Ebenso ist von der Reichweite und der Durchsetzbarkeit eines Unterhaltsanspruchs zwischen Ehegatten oft auch die Solidargemeinschaft berührt. Dies gilt auch für die Pflege und Betreuung des Ehegatten oder anderen Naturalunterhalt, zum Beispiel bei der Hilfe zur Pflege nach §§ 68 ff. BSHG und den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach §§ 36 ff. SGB XI. Wegen dieser Betroffenheit Dritter sind die Ansprüche auf Ehegattenunterhalt und Naturalleistungen nach §§ 1360 S. 1, 1360a BGB als verbindliche Rechtsansprüche anzusehen. So ist ein verpflichtender Unterhaltsanspruch Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch wegen der Tötung des Unterhaltsleistenden nach § 844 II BGB. Und auch die Sozialhilfeträger können für erbrachte Hilfe zur Pfle363

364 365

MK/Richter, § 1579, Rn. 31. BSGE 74, 131, 137 f. HansOLG Hamburg, FamRZ 1989, S. 95, 96.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

195

ge oder andere Sozialhilfeleistungen nach § 91 BSHG nur dann den Ehegatten des Empfängers in Regreß nehmen, wenn sie im Wege einer cessio legis einen bestehenden und verbindlichen Rechtsanspruch auf Unterhalt erworben haben. Auch wegen der Betroffenheit Dritter sind daher die Ansprüche auf Familienunterhalt nach § 1360 ff. BGB in allen ihren Formen anders als die Beistandspflichten des § l353 I S. 2 BGB als Rechtsansprüche anzusehen. Dies gilt trotz seines Personenbezuges und seiner stärkeren Verbindung zu den ehelichen Beistandspflichten auch für den Naturalunterhalt.

e) Ergebnis Nach der bisherigen Prüfung ist die Pflicht zur Betreuung des betreuungsbedürftigen Partners aus §§ l360 S. I, l360a 11 S. 1 BGB eine Rechtspflicht. Sie ist in ausreichender Weise negativ sanktioniert. Außerdem weist der Familienunterhalt dieselbe rechtliche Qualität auf wie die anderen Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten.

2. Einwände gegen einen Rechtspflichtcharakter der ehelichen Betreuung

Gegen dieses Ergebnis könnte jedoch eine systematische Erwägung aus dem Ehepersonenrecht sprechen. Der Ehegattenunterhalt beruht auf der ehelichen Lebensgemeinschaft und ist eng mit der Beistandspflicht aus § l353 I S. 2 BGB verwandt. Die Generalklausel ist selbst keine Rechtspflicht. Um hier einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, sind die §§ l360 S. I, l360a 11 S. 1 BGB möglicherweise so restriktiv auszulegen, daß alle Beistandsleistungen im Sinne der GeneralklauseI auch als Unterhaltsleistungen keinen Rechtsanspruch darstellen.

a) Die Abhängigkeit des Unterhalts von der Beistandspflicht des § l353 I S. 2 BGB § l360 S. 1 BGB wird gelegentlich als bloße besondere Ausprägung der Beistandsverpflichtung angesehen, die aus der ehelichen Lebensgemeinschaft und der ehelichen Verantwortung des § l353 I S. 2 BGB n.F. hergeleitet wird. 366 Dies beruht auf dem allesprägenden Charakter der Generalklausel für das gesamte Ehepersonenrecht. Betreuungsdienste und viele andere Naturalleistungen stellen nicht nur eine Unterhaltsgewährung, sondern zugleich eine Beistandsleistung dar. Entsprechend stellen auch einige der vorhandenen Judikate zur Frage einer ehelichen Betreuungspflicht die §§ l353 I S. 2, l360 S. 1 BGB unterscheidungslos nebeneinan366

13·

MK/Wacke, § 1360, Rn. 1.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

der und gewinnen hieraus eine anscheinend umfassende allgemeine Ehepflicht, auch wenn diese im Einzelfall den Grenzen der Zumutbarkeit unterliegt. 367

b) Die Selbständigkeit und der Vermögensbezug des Naturalunterhalts Gleichwohl sind die rechtlichen Einschränkungen im Bereich der Generalklausel nicht auf den Familienunterhalt zu übertragen, auch wenn eine Leistung im Einzelfall sowohl Beistand als auch Unterhalt darstellt. Der Familienunterhalt reicht in weiten Bereichen über die allgemeine Beistandspflicht des § 1353 I S. 2 BGB hinaus. Zu ihm gehört auch die Unterhaltung der Familienwohnung oder die Bereitstellung von Gütern. Beistand ist dagegen auf persönliche Hilfeleistungen und Unterstützungen an die Person des anderen beschränkt. Außerdem weist der Unterhalt einen sehr starken vermögensrechtliche Bezug auf. Auch zum Familienunterhalt muß ein Ehegatte nicht nur in natura, sondern oft auch durch Barleistungen beitragen. So gehören zur Unterhaltsverpflichtung zum Beispiel die Mitbenutzung von Hausrat und Wohnung. 368 Muß der Wohnraum jedoch gemietet werden, so besteht die primäre Plicht in einem Beitrag zum Mietzins. Auch die frühere Unterscheidung zwischen Unterhalt im engeren Sinne und ehelichem Aufwand deutet auf diesen vermögensrechtlichen Bezug hin. Der Aufwand war immer als Teil des Unterhalts angesehen worden,369 war aber nicht im Ehepersonenrecht, sondern in den verschiedenen Güterständen geregelt, also im Ehevermögensrecht. Auch der Naturalunterhalt hat einen solchen vermögensrechtlichen Bezug und geht daher über den engeren Bereich des Ehepersonenrechts hinaus. Unterhaltsleistungen in natura ersparen sowohl dem Verpflichteten wie dem Berechtigten Aufwendungen, die ansonsten ftir eine kommerzielle Befriedigung einzelner Lebensbedürfnisse erbracht werden müßten. Dieser Vermögenswert ist ein wesentliches und zwingendes Merkmal einer Unterhaltsleistung und damit auch des Naturalunterhalts. Diesen Vermögensbezug muß eine Beistandsleistung im Sinne des § 1353 I S. 2 BGB nicht aufweisen. 3. Ergebnis

Betreuungsleistungen sind als Naturalunterhalt in der ehelichen Lebensgemeinschaft aus §§ 1360 S. I, 1360a n S. 1 BGB grundsätzlich geschuldet, wenn ein Partner betreuungsbedürftig ist und daher entsprechende persönliche Bedürfnisse 367 368 369

BGH, FamRZ 1995,537,539, siehe oben Fn. 38 in Teil D. MK/Wacke, § 1353, Rn. 26; Gernhuber/Coester-Waltjen, § 191111, S. 187. Dölle, Familienrecht, Bd. I, S. 427; BGH. NJW 1957.537.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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im Sinne von § 1360a I BGB entwickelt. Den zitierten Judikaten der Sozial- und Ziviigerichtsbarkeit 370 ist demnach im Ergebnis zuzustimmen, soweit sie eine grundsätzliche Betreuungspflicht unter Ehegatten annehmen.

ll. Gläubiger und Schuldner des ehelichen Betreuungsanspruchs Danach ist noch zu klären, ob dieser Rechtsanspruch auf Betreuung angesichts der kollektiven Struktur des Familienunterhalts allein dem betreuungsbedürftigen Ehegatten oder einem anderen Inhaber zusteht. Der Familienunterhalt ist nur faktisch allen Familienmitgliedern, also der Familie als Kollektiv zu leisten. 371 Rechtlich hingegen ist eine solche Leistung nicht möglich und nicht erfüllungstauglich, weil der Familie keine Rechtsfähigkeit zukommt und sie daher auch nicht empfangszuständig sein kann. Vielmehr bestehen auch innerhalb des Familienunterhalts die Ansprüche allein zwischen den Ehegatten. 372 Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 1360 S. I BGB, wonach die Ehegatten "einander" zum Familienunterhalt verpflichtet sind. Den Kindern dagegen stehen aus § 1360 BGB keine eigenen Ansprüche zu. Ihre Unterhaltsansprüche aus § 1601 BGB sind nur tatsächlich in die Erfüllungseinheit des Familienunterhalts einbezogen. 373 Betreuung hingegen wird auch faktisch allein an den anderen, betreuungsbedürftigen Ehegatten geleistet, weil sie nur dessen eigene Lebensbedürfnisse, aber nicht diejenigen anderer Familienmitglieder erfüllt. Hierin zeigt sich der Sinn der Trennung zwischen den Haushaltskosten und den persönlichen Bedürfnissen der Ehegatten in der Regelung über den Unterhaltsinhalt in § 1360a I BGB. Nur die Haushaltskosten umfassen Leistungen, die zum Familienleben nötig sind und die jedes Familienmitglied eigenständig nutzen kann. Nur bei ihnen ist der Familienunterhalt kollektiv ausgestaltet. Soweit hingegen persönliche Bedürfnisse eines Familienmitgliedes befriedigt werden, können die entsprechenden Leistungen allein ihm gewährt werden. Dies gilt auch für Pflege und Betreuung. Betreuungsleistungen sind also nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich allein dem betreuungsbedürftigen Ehegatten zu gewähren. ill. AUgemeine Grenzen des Betreuungsanspruchs in der Ehe

Damit steht fest, daß in einer ehelichen Lebensgemeinschaft grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Betreuung besteht. Bereits auf materiellrechtlicher Ebene kann 370 371 372 373

Siehe oben Kap. 7 Il. 2. Siehe oben Kap. 10 I. Göppinger/Wax/Kindennann, Rn. 1075. Bömer, S. 14.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

diese Pflicht aber begrenzt sein. Diese Frage betrifft zwar nicht unmittelbar den Betreuer selbst, weil dieser in jedem Falle durch den Vollstreckungsausschluß des § 888 m ZPO n.F. geschützt ist. Jedoch wird die materiellrechtliche Reichweite der Betreuungspflicht im Verhältnis zu Dritten erheblich, so für den Umfang einer Schadensersatzverpflichtung aus § 844 II BGB wegen der T6tung einer Betreuungsperson 374 oder wegen der Leistungsfähigkeit des Betreuten oder des Betreuers innerhalb eines Unterhaltsverhältnisses zu einem anderen Angehörigen 37s • Daher sollen im folgenden die Grenzen der ehelichen Betreuungspflicht dargestellt werden. Zunächst gelten einige dieser Begrenzungen für jede Ehe und jeden Unterhaltsanspruch auf Betreuung und andere Naturalleistungen. Diese Umstände hängen anders als die folgenden, einseitigen Grenzen nicht von individuellen Merkmalen und Entwicklungen innerhalb eines bestimmten Betreuungsverhältnisses ab, sondern von äußeren Einflüssen, denen die gesamte eheliche Lebensgemeinschaft unterliegt.

1. Die Regelungen überdas UnterluJltsmittel der Arbeit: Geht die HausluJltsjührung der Betreuung vor? Eine derartige Grenze könnte sich aus den Vorschriften über die Unterhaltsmittel ergeben. Unter diesem Begriff werden die Quellen verstanden, aus denen die Ehegatten ihre Unterhaltsverpflichtung erfüllen müssen. 376 Möglicherweise gehen hier andere Tätigkeiten einer Betreuung in natura innerhalb der Familie vor. Nach § 1360 S. 1 BGB müssen die Ehegatten den Familienunterhalt durch ihre Arbeit und mit ihremVermögen sicherstellen. Genauere Vorschriften über die Art der Unterhaltsaufbringung enthält das BGB nicht. So können die Ehegatten grundsätzlich autonom entscheiden, mit welchen Mitteln sie den Familienunterhalt bestreiten wollen. Jedoch heben § 1360 S. 2 und § 1356 I S. 1 BGB die Haushaltsführung als eine Form der Unterhaltserbringung durch Arbeit besonders heraus. Nach dieser Vorschrift erfüllt derjenige Ehegatte, dem nach § 1356 I BGB die Haushaltsführung einvernehmlich überlassen ist, durch eben diese vollständig seine Pflicht, durch Arbeit zum Familienunterhalt beizutragen. Daneben ist er nur noch aus seinem Vermögen zur Unterhaltsgewährung verpflichtet, soweit ihm dies möglich ist und ein Vermögenseinsatz für den Familienunterhalt faktisch üblich oder vereinbart ist. Auch eine Betreuung als Naturalleistung stellt eine Unterhaltserbringung durch Arbeit dar. Aus dem Vermögen als zweiter Unterhaltsquelle können dagegen nur die finanziellen Mittel für eine kommerzielle Betreuung bereitgestellt werden. 374

BGH, FamRZ 1993,411,412.

m BGH, FamRZ 1995,537,538. 376

Gemhuber/Coester-Waltjen, § 2115, S. 228.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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Wenn also die Haushaltstätigkeit anderen Unterhaltsleistungen durch Arbeit vorgeht und wenn sie wie nach § 1360 S. 2 BGB im Vergleich zur Erwerbstätigkeit die Unterhaltsverpflichtung vollständig erfüllt, dann wird neben der Haushaltsführung eine Betreuung des Ehegatten nicht mehr geschuldet. Das grundlegende Merkmal der Ehe ist nach § 1353 I S. 2 BGB die eheliche Lebensgemeinschaft. Hierzu gehört, wie es § 1567 I BGB erweist, in aller Regel die häusliche Gemeinschaft. Wenn die Ehegatten also einen gemeinsamen Haushalt begründen, um so ihre Lebensgemeinschaft zu verwirklichen, dann haben die Führung und der Erhalt dieses Haushalts grundsätzlich einen Vorrang vor anderen Tätigkeiten, selbst wenn diese eine Unterhaltverbindlichkeit erfüllen. Diese Rangfolge zeigt sich auch in den Vorschriften des Unterhaltsrechts. So hatte die HaushaItstätigkeit zunächst eine außerhalb des Unterhalts stehende familiale Dienstpflicht der Frau nach § 1356 I BGB a.F. dargestellt,377 die durch die Schadensersatzpflicht aus § 845 BGB abgesichert war. 318 Sie wurde durch § 1360 S. 2 BGB in der Fassung des GlBerG nicht nur erstmals als Unterhalt erfaßt, sondern auch der Erwerbstätigkeit gleichgestellt. Über diese Gleichordnung hinaus hat sodann das 1. EheRG nicht nur die geschlechtsbezogenen Unterschiede der Regelung aufgehoben, sondern der Haushaltsführung auch einen gewissen Vorrang vor der Erwerbstätigkeit eingeräumt, denn nach § 1356 11 BGB n.F. sind die Eheleute bei einer Erwerbstätigkeit verpflichtet, auf die Belange der Familie Rücksicht zu nehmen. Zu diesen Belangen gehört auch die Haushaltsführung. Nur wenn in familialen Notfällen auch der haushaltsführende Ehegatte nach § 1360 S. 1 BGB zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, geht diese Arbeit der Haushaltsführung vor und die Ehegatten müssen die Haushaltsarbeiten neu verteilen. 379 Weiterhin ergibt sich der Vorrang der Haushaltsführung aus den Vorschriften über die Art des Unterhalts in § 1360a 11 S. 1 und § 1361 IV S. 1 BGB. Wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mehr besteht, so ist eine Betreuung in natura nicht nur faktisch unmöglich. Auch rechtlich endet hier die Verpflichtung zum Naturalunterhalt, denn der Trennungs- und Scheidungs unterhalt zwischen Ehegatten ist nach §§ 1361 IV S. 1, 1585 I S. 1 BGB generell in bar zu erbringen. Der Anspruch auf Betreuung und anderen Naturalunterhalt setzt also faktisch und rechtlich das Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft voraus. Diese wiederum verlangt aber nach § 1567 I BGB in aller Regel einen gemeinsamen Haushalt der Ehegatten. Daher geht der Erhalt dieses Haushalts der Betreuung vor. Innerhalb des einen Unterhaltsmittels, der Arbeit, ergibt sich also ein Vorrang der Haushaltsführung vor anderen unterhaltsrelevanten Tätigkeiten. Betreuungsleistungen muß also ein Ehegatte nur dann erbringen, wenn ihm neben der Haushaltsführung hierfür noch ausreichend Zeit und Möglichkeit bleibt. 377

378 379

Dölle, Familienrecht, Bd. I, S. 416. OLG Stuttgart, NIW 1961,2113. OLG Stuttgart, NIW 1961,2113,2114.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

2. Die Rangordnung der beiden Inhaltsbereiche des Ehegattenunterhalts: Gehen die Haushaltskosten einer Betreuung vor?

Weiter könnten die Vorschriften über den Inhalt des Ehegattenunterhalts in § 1360a I Var.l und Var.2 BGB den Anspruch auf Betreuung begrenzen. Abwei-

chend vom allgemeinen Unterhaltsrecht wird hier zwischen den Haushaltskosten und den persönlichen Bedürfnissen der Ehegatten unterschieden. Der Ehegattenunterhalt kennt also zwei verschiedene Bereiche des Lebensbedarfs. Möglicherweise gehen hierbei die Haushaltskosten den persönlichen Bedürfnissen des anderen Ehegatten vor. In diesem Falle müßte die Betreuung zurücktreten, weil sie allein ein persönliches Bedürfnis erfüllt. Anders als nach den Regelungen der Unterhaltsmittel ginge der Betreuung dann nicht nur die Haushaltsführung selbst vor, sondern auch jede Erwerbsarbeit, mit der die Kosten des gemeinsamen Haushaltes bestritten werden. Ein Indiz für eine Rangfolge ergibt sich zunächst aus der Rechtslage vor der Einführung des Familienunterhalts durch das GIBerG. Die früheren Regelungen über das Verhältnis des ehelichen Aufwands zum Ehegattenunterhalt alter Prägung zeigen einen Vorrang des Unterhalts, also der heutigen persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten. Sowohl im gesetzlichen Güterstand als auch in der Gütertrennung konnte die Ehefrau verhindern, daß die Erträge ihres Vermögens für den ehelichen Aufwand verbraucht wurden, wenn der Unterhalt der Familienmitglieder gefährdet war. Statt dessen konnte sie verlangen, daß der Mann diese Mittel für den Unterhalt verwende 380 oder sie selbst dafür verwenden 381 • Dieser Hinweis gibt jedoch für die heutige Struktur des Familienunterhalts nichts her, denn das GmerG hat eine Rangfolge der beiden Bedarfsbereiche nicht angeordnet, als es die Haushaltskosten und den früheren Ehegattenunterhalt im engeren Sinne im Familienunterhalt zusammenfaßte. 382 Statt dessen ergibt sich wie bei der Frage der Haushaltsführung383 aus der engen Verknüpfung zwischen dem Familienunterhalt und dem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft ein Vorrang der Haushaltskosten vor der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse des Ehepartners. Die Haushaltskosten umfassen vor allem die Aufwendungen für eine gemeinsame Wohnung. 384 Ohne einen gemeinsamen Haushalt enden in aller Regel die eheliche Lebensgemeinschaft und damit der besondere Familienunterhalt. An seine Stelle tritt der Trennungsunterhalt nach § 1361 BGB oder der nacheheliche Unterhalt nach §§ 1569 ff. BGB. Beide Unterhaltsarten enthalten keine Haushaltskosten mehr. Um die eheliche Lebensgemeinschaft 380 So nach § 1389 11 BGB a.F. im gesetzlichen Güterstand der Verwaltung und Nutznießung durch den Mann. 381 So § 1428 I BGB a.F. für die Gütertrennung. 382 Dölle, Familienrecht, Bd. 1, S. 427. 383 Siehe oben Kap. 11 III. 1. 384 BGH, FamRZ 1998,608,609.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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zu sichern, genießt daher nicht nur die unmittelbare Haushaltsführung Vorrang, sondern auch eine Erwerbstätigkeit, mit deren Hilfe die Haushaltskosten bestritten werden. Ehegatten sind daher sogar zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet, wenn in einem "Familiennotstand" der gemeinsame Haushalt ansonsten gefahrdet wäre. 385 Eine solche Lage wird gerade in einer Ehe mit einem betreuungsbedürftigen Partner häufig bestehen. Auch die Absicherung durch die Pflegeversicherung hat hieran nichts geändert, weil die Pflegegelder, die sie nach § 37 I SGB XI bei einer unentgeltlichen häuslichen Betreuung gewährt, zu niedrig sind, um den Ausfall eines Erwerbseinkommens auszugleichen. Oft muß daher der nicht betreuungsbedürftige Ehegatte eine Erwerbsarbeit aufnehmen oder fortsetzen, um den gemeinsamen Haushalt zu erhalten. Eine Betreuung in natura ist nicht mehr möglich. Die Pflicht zur Naturalleistung tritt zurück und wandelt sich in eine Geldzahlungspflicht des erwerbstätigen Partners, die sich jedoch weiterhin nach § 1360a 11 und nicht etwa nach § 1361 I, IV BGB richtet, weil die eheliche Lebensgemeinschaft fortbesteht. Jedoch sind aus den Erträgen der Arbeit vorrangig die Haushaltskosten zu bestreiten. 386 Der Anspruch des betreuungsbedürftigen Partners auf ausreichende Barunterhaltsmittel für eine kommerzielle Pflege wird daher nur insoweit befriedigt, als das Erwerbseinkommen hierzu nach der Begleichung der Haushaltskosten noch ausreicht.

3. Ergebnis Sowohl die Haushaltsführung als auch eine Erwerbstätigkeit zur Autbringung der Haushaltskosten gehen der Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse des anderen Ehegatten in natura und damit auch seiner Betreuung vor. Soweit ein Ehegatte den Haushalt führt oder zur Erhaltung von Wohnung und Haushalt erwerbstätig sein muß, ist er zur Pflege und Versorgung seines betreuungsbedürftigen Partners nicht verpflichtet.

IV. Grenzen der Betreuungsverpflichtung auf seiten des verpflichteten Ehegatten Auch ohne diese besonderen Einflüsse kann jedoch die grundsätzliche Betreuungspflicht zwischen Ehegatten nicht unbegrenzt sein, weil Betreuungsleistungen zu einer erheblichen Belastung der Betreuungsperson führen. Wahrend die Sozialgerichtsbarkeit die Betreuungspflicht unter Ehegatten recht weit zieht,387 haben die Zivilgerichte vor allem in jüngerer Zeit eine Grenze der 385 386 387

Göppinger I Wax I Kindermann, Rn. 1064. Siehe hierzu gerade Kap. 11 III. I. BSGE52, 176, 177.

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Teil 0: Betreuung in der Ehe

Zumutbarkeit für den verpflichteten Ehegatten bejaht und hieran sehr oft eine konkrete Betreuungspflicht scheitern lassen. 388 Es ist daher zu klären, ob das materielle Recht der unterhaltsrechtlichen Betreuungsverpflichtung eines Ehegatten Grenzen zieht, wo sie liegen und aus welchen rechtlichen Gesichtspunkten sie sich herleiten lassen. Eine Zumutbarkeitsgrenze, wie sie vor allem die Zivilgerichte annehmen, ist dabei nur eine mögliche Begrenzung. Grundsätzlich werden sich die Grenzen der ehelichen Betreuungspflicht zunächst nach den allgemeinen Grundsätzen des Unterhaltsrechts richten, weil die Betreuung als Ausprägung der ehelichen Unterhaltspflicht anzusehen ist. Hinzu kommen möglicherweise besondere Begrenzungen aus den Besonderheiten der Betreuungspflicht zwischen Ehegatten, nämlich der ehelichen Lebensgemeinschaft und dem Charakter des Unterhalts als Naturalleistung.

1. Die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten

Mit der Leistungsfähigkeit enthält das Unterhaltsrecht eine spezielle und originäre Begrenzung der Unterhaltslast eines Verpflichteten. Im Verwandtenunterhalt ist sie in § 1603 BGB ausdrücklich vorgesehen. Sie gilt jedoch auch im Familienunterhalt. 389 Allerdings gilt sie nicht absolut und ist auch nicht einheitlich zu bestimmen. Schon § 1603 TI BGB unterscheidet zwischen verschiedenen Graden der Leistungsfähigkeit. Im Ehegatten- und Familienunterhalt ist sie wiederum anders zu bestimmen. Nach den Regelungen des Verwandtenunterhalts in § 1603 BGB ist ein Unterhaltsschuldner als leistungsunfähig anzusehen und von seiner Verpflichtung frei, soweit er nicht über genügende Mittel verfUgt, um die Ansprüche des Berechtigten zu erfüllen und gleichzeitig seinen eigenen angemessenen Unterhalt sicherzustellen. 390 Eheleute dagegen können gegenüber ihrer Verpflichtung zum Familienunterhalt nicht ihren angemessenen Unterhalt verteidigen. Sie sind vielmehr gehalten, in Fällen der Not alle verfügbaren Mittel und Einkünfte miteinander und nach § 1603 TI BGB auch mit den von § 1360a I BGB erfaßten Kindern zu teilen. Es verbleibt ihnen selbst also nur ihr notdürftiger Unterhalt. Insofern endet die leistungsfähigkeit in der Ehe später als im Verhältnis zu unterhaltsberechtigten Verwandten. Zu den Mitteln, die für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit herangezogen werden, gehören das Vermögen, die tatsächlichen oder fiktiven Einkünfte sowie unter Umständen Leistungen Dritter?91 Umstritten ist allerdings, inwieweit der BGH, FamRZ 1995,537. Börner, S. 18 ff.; Palandt/Diederichsen, § 1360, Rn. 3. 390 MK/Köhler, § 1603, Rn. 4. 391 Palandt/Diederichsen, § 1603, Rn. 3 ff., zum Verwandten- und Gernhuber/CoesterWaltjen, § 21 I Nm. 5 bis 7, S. 228 f., zum Familienunterhalt. 388 389

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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Pflichtige den Stamm seines Vermögens verwerten muß. 392 Von den so bestimmten Mitteln des Unterhaltsschuldners werden seine sonstigen Verpflichtungen abgezogen. Dies gilt nicht nur für andere, vorrangige Unterhaltsansprüche, sondern mit einigen Einschränkungen für jede Verbindlichkeit. Obwohl also auch vertragliche Schulden in die Berechnung der Leistungsfähigkeit einbezogen werden, gehen die Gläubiger des Verpflichteten dem Berechtigten nicht vor. Dies zeigt sich unter anderem in dem Vorrang, der den Unterhaltsansprüchen nach § 850d ZPO vollstrekkungsrechtlich zukommt. Vielmehr dient die Einbeziehung aller Verbindlichkeiten allein dazu, daß der Pflichtige weiterhin seinen eigenen angemessenen Unterhalt bestreiten kann. 393 Somit läßt sich die Leitungsfahigkeit als die dauerhafte Sicherung des eigenen Unterhalts beschreiben,394 wobei der Unterhalt hier wiederum im Sinne der Selbsterhaltung zu verstehen ist. Die Begrenzung soll auch verhindern, daß der Unterhaltsverpflichtete anstelle des Berechtigten Sozialhilfe in Anspruch nehmen muß. Die Leistungsfähigkeit ist demnach eine wirtschaftliche Grenze. 395 Sie begrenzt jede Unterhaltspflicht, unabhängig von ihrem Inhalt und der geschuldeten Art der Erfüllung. Für die Naturalbetreuung heißt dies, daß sie der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht schuldet, wenn er hierdurch seinen eigenen Unterhalt gefährdet. Dies ist bei einem erwerbstätigen Ehegatten meistens gegeben, denn das Pflegegeld nach § 37 SGB XI, das die Familie bei einer Aufgabe der Erwerbsarbeit des einen Ehegatten erhielte, ist sehr viel niedriger als die meisten Erwerbseinkommen. Wie hoch der Selbstbehalt des Verpflichteten sein muß, der fur den Erhalt des eigenen Unterhalts belassen werden muß, kann nicht allgemeingültig gesagt werden, da auch auf dieser Seite die individuellen Lebensbedürfnisse berücksichtigt werden müssen. Es wird jedoch vertreten, daß gegenüber den Unterhaltsansprüchen betreuungsbedürftiger Eltern ein höherer Selbstbehalt als gegenüber Kindern zu gewähren sei. 396 Diese Frage ist hier nicht zu entscheiden,397 denn der Ehegatte ist nach allgemeinen unterhaltsrechtlichen Grundsätzen und nach § 1609 11 BGB den Kindern gleichzusetzen. Daher ist der Selbstbehalt eines unterhaltspflichtigen Ehegatten gegenüber den Ansprüchen seines Partners nicht zu erhöhen. Soweit ein Ehegatte zur Erhaltung der eigenen Lebensstellung auf sein Erwerbseinkommen angewiesen ist, geht auch diese Erwerbstätigkeit der Pflege und Versorgung seines betreuungsbedürftigen Ehepartners vor.

392 393 394

39~ 396 397

Göppinger/Wax, Rn. 18. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 685 f. Gernhuber I Coester-Waltjen, § 45 III I, S. 670 f. Göppinger I Wax I Strohal, Rn. 283. Siehe hierzu oben Kap. 9 IV 3. Zu ihrer Diskussion siehe Hänlein, S. 127 ff.

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Teil D: Betreuung in der Ehe

2. Die Unzumutbarkeit des Naturalunterhalts für den Verpflichteten

Die Leistungsfähigkeit ist jedoch eine Grenze, die nicht nur den Anspruch auf Betreuung in natura, sondern jede Unterhalts verpflichtung begrenzt. Die meisten Judikate der Zivil- und der Sozialgerichtsbarkeit begrenzen die Betreuungspflicht zwischen Ehegatten jedoch mit der Zumutbarkeit. Diese Grenze ist nicht originär unterhaltsrechtlich und im Gesetz auch nicht ausdrücklich vorgesehen. Die gerichtlichen Entscheidungen verbinden sie auch regelmäßig mit der Generalklausel, denn sie knüpfen an die besondere Art der Betreuung als einer Naturalleistung an. Nachdem nun feststeht, daß eine Rechtspflicht auf Betreuung nicht aus § 1353 I S. 2, sondern nur aus § 1360 S. 1 BGB überhaupt besteht, stellt sich die Frage, ob diese Grenze auch rur den Unterhaltsanspruch auf Betreuung besteht. Hierzu ist zunächst zu untersuchen, ob die Zumutbarkeit eine Ausprägung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist. Wenn dies verneint werden muß, ist weiter zu fragen, wo sie als eine zweite Grenze einer Unterhaltsverpflichtung ihre rechtliche Grundlage findet.

a) Die Leistungsfähigkeit als Zumutbarkeitsgrenze? Die Leistungsfähigkeit soll allgemein den Eigenunterhalt des Verpflichteten sicherstellen. 398 Eine Gefahr rur den SelbstunterhaIt besteht jedoch allein wegen der generellen Unterhaltsverpflichtung im ganzen. Sie hängt nicht von einer bestimmten Art und Fonn des Unterhalts ab, der einem anderen geschuldet ist. Naturalunterhalt betrifft die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur anders, aber nicht stärker oder schwächer als Barunterhalt. So kann ein Verpflichteter seinen eigenen Unterhalt möglicherweise nicht durch seine Erwerbstätigkeit sicherstellen, unabhängig davon, ob er wegen einer Naturalunterhaltsverpflichtung überhaupt nicht erwerbstätig sein kann oder ob er die Einkünfte aus seiner Erwerbstätigkeit für die kommerzielle Pflege des Betreuungsbedürftigen verwenden muß. Dagegen betrifft die Zumutbarkeitsgrenze eine bestimmte Art und Weise der Unterhaltserbringung, nämlich den Naturalunterhalt in Fonn von Betreuungsleistungen.399 Sie knüpft nicht an die abstrakte Fähigkeit des Schuldners zur Sicherstellung des Selbstunterhalts an, sondern an seine physische und psychische Kraft, seine konkreten Fähigkeit im Betreuungsbereich und seine Belastung durch die Tätigkeit. Somit können Leistungsfähigkeit und Zumutbarkeit nicht gleichgesetzt werden. Dieser Unterschied zeigt sich am Beispiel eines vennögenden Ehegatten. Auch rur ihn kann die tatsächliche Betreuung unzumutbar sein, weil er wegen seines Alters, wegen der Belastung im Einzelfall oder wegen seiner Fähigkeiten Betreu398 399

von Krog, Unterhaltspflicht, FamRZ 1984, S. 539, 540. BSG, ZfRS 1995,102,103, zu § 1266 RVO a.F.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

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ungsleistungen nicht erbringen kann. Wegen seines Vennögens ist er gleichwohl als leistungsfähig anzusehen, denn hieraus kann er die Betreuung des anderen Ehegatten kommerziell sicherstellen, auch wenn die persönliche Zuwendung als ein Teil des Lebensbedarfs eines Betreuungsbedürftigen auf diese Weise unbefriedigt bleibt. Die Leistungsfähigkeit begrenzt die Unterhaltspflicht eines Ehegatten in allen Fällen, also auch bei einer Betreuungsbedürftigkeit. Sie knüpft aber nicht an die Art des Unterhalts an und ist daher von der Zumutbarkeit zu unterscheiden.

b) Unzumutbarkeit aus Treu und Glauben Das Unterhaltsrecht unterliegt schon nach der Systematik des BGB den Vorschriften des Allgemeinen Teils. Daß beispielsweise die familienrechtlichen Ansprüche grundsätzlich verjähren können, ergibt sich aus einem Umkehrschluß zu § 194 11 BGB, denn dort sind bestimmte dieser Ansprüche ausdrücklich von der Verjährung ausgenommen. Unsicher ist jedoch, ob auf unterhaltsrechtliche Ansprüche auch alle oder einzelne Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts angewandt werden können. Die Diskussion um den familienrechtlichen oder obligationenrechtlichen Charakter des Unterhaltsrechts wurde schon vor Verabschiedung des BGB geführt. Das gemeine Recht und die verschiedenen deutschen Kodifikationen des 18. und 19. Jahrhunderts nahmen zu dieser Frage dann auch unterschiedliche Standpunkte ein. 400 Heute ist jedoch anerkannt, daß auch Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auf Unterhaltsansprüche angewandt werden können. 401 Aus diesen Gründen könnte sich eine Zumutbarkeitsschranke für einen Unterhaltsanspruch grundsätzlich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB ergeben. Es ist anerkannt, daß eine Verpflichtung nach § 242 BGB im Einzelfall nicht erfüllt werden muß, wenn dies dem Schuldner nach einer umfassenden Abwägung mit den Interessen des Gläubigers unzumutbar ist. 402 Es sind dies Fälle einer besonderen persönlichen Belastung des Schuldners, zum Beispiel eines Gewissenskonflikts 403 oder eines besonders belastenden Ereignisses wie der schweren Erkrankung eines Verwandten. 404 Auch eine Pflichtenkollision beispielsweise zwischen einer Arbeitsverpflichtung und der Betreuungspflicht gegenüber dem eigenen Kind nach §§ 1618a, 1626, 1606 III S. 2 BGB kann von der Leistungspflicht befreien. 4os Ähnlich wie bei einer "wirtschaftlichen Unmöglichkeit" im Sinne von 400 401 402 403

404 405

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 676. Göppinger/Wax/Strohal, Rn. 109. MK/Roth, § 242, Rn. 472 f. BAG, NJW 1986,85,87; LG Heide1berg, NJW 1966, 1922, 1924. So zur speziellen Regelung des § 616 BAG, NJW 1980,903. BAG, FamRZ 1993,319,321.

206

Teil 0: Betreuung in der Ehe

§ 275 11 BGB406 wird die Zumutbarkeitsgrenze als Ausprägung einer durch § 242 BGB statuierten Rücksichtspflicht angesehen. Schuldner und Gläubiger sind hiernach verpflichtet, grundsätzlich alle Interessen und schützenswerten Belange des anderen zu berücksichtigen, weil sie sich wegen ihrer Schuldbeziehung in einem besonderen, engen Kontakt oder sogar in einem sozialen Näheverhältnis befinden.407

Die genannten Beispiele zeigen, daß die Grenze der Unzumutbarkeit vor allem bei einer längerfristigen Dienst- oder Arbeitsverpflichtung eingreifen kann, während dies bei einmaligen Austauschgeschäften kaum vorkommen wird. Es ist daher denkbar, daß auch die Pflicht zum Naturalunterhalt wegen ihrer ähnlichen Struktur nach § 242 BGB unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit steht. Allerdings sind der Allgemeine Teil und das Schuldrecht im Familienrecht nicht anwendbar, soweit dies den Wertungen dieses Rechtsgebietes widerspräche oder eine speziellere Regelung vorhanden ist. Im Unterhaltsrecht kann sich zum Beispiel der Verpflichtete nach § 1603 I BGB auf seine fehlende Leistungsfähigkeit berufen und wird von seiner Verpflichtung frei, wenn er nicht über ausreichende Mittel zur Erfüllung verfügt, während jedem anderen Schuldner dieser Einwand nach § 279 BGB verwehrt ist. Auch die Rücksichtspflicht aus § 242 BGB tritt als Grundlage der Zumutbarkeitsgrenze zurück, soweit speziellere Normen des Familien- oder Unterhaltsrechts ebenfalls eine Zumutbarkeitsgrenze enthalten.

c) Die Rücksichtspflicht aus § 1353 I S. 2 als spezielle Regelung gegenüber § 242 BGB Das Unterhaltsrecht sieht eine ausdrückliche Zumutbarkeitsgrenze nicht vor. Es beschränkt sich auf die wirtschaftliche Begrenzung durch die Leistungsfähigkeit. Jedoch verpflichtet § 1353 I S. 2 BGB die Ehegatten zu gegenseitiger Rücksicht. 408 Wie nach dem gleichartigen § 1618a BGB im Verwandtenrecht steht diese Pflicht neben der Beistandspflicht. Sie wirkt nur selten pflichtenbegrundend, kann aber andere Rechtspflichten zwischen den Familienmitgliedern begrenzen. 409 Die Rücksichtsverpflichtung aus § 1353 I S. 2 BGB ist keine unterhaltsrechtliche Vorschrift. Sie gilt jedoch für das gesamte Eherecht und wirkt auch auf die Unterhaltsbeziehung der Ehegatten ein.410 Sie begrenzt daher die Unterhaltsverpflichtung auf zumutbare Leistungen.411 Somit stellt in einer bestehenden Ehe die RückBGH, MDR 1953,282,283. BGHZ 113, 384, 388 zum NachbarrechtsverhäItnis. 408 Palandt/Diederichsen, § 1353, Rn. 13; RGZ 124,54,55 f. 409 BGHZ 53, 352, 356. 410 So OLG Schleswig, NIW-RR 1991,710,711 und AG Hersbruck, FamRZ 1985,633, 635 zur entsprechenden Rechtslage zwischen Eltern und Kindern nach §§ 1601, 1618a BGB. 411 BGH, FamRZ 1995,537,539. 406

407

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

207

sichtspflicht aus der ehelichen Generalklausel eine speziellere Nonn dar, in deren Anwendungsbereich ein Rückgriff auf das Schuldrecht ausgeschlossen ist. Dagegen ist § 242 BGB für treuwidriges Verhalten innerhalb einer nichtigen Ehe heranzuziehen, so zum Beispiel bei der Berufung auf einen Fonnmangel nach sehr langer Ehedauer. 412

d) Abwägung zwischen Unterhaltsund Rücksichtspflicht bei der Betreuung Die Rücksichtspflicht begrenzt auch die unterhaltsrechtliche Pflicht zur Betreuung des anderen Ehegatten auf das Zumutbare. Auch insoweit ist der Rechtsprechung der Sozial- und der Zivilgerichte zuzustimmen. Ein Ehegatte ist hiernach gehalten, eigene Wünsche hinter den Belangen der anderen Familienmitglieder und des Partners zurückzustellen, soweit diese davon erheblich in ihren Rechten oder rechtlichen Interessen beeinträchtigt werden. Hierüber muß im einzelnen nach den individuellen Verhältnissen in der Ehe entschieden werden. Grundsätzlich ist eine Abwägung zwischen den Interessen beider Seiten, also zwischen Unterhaltsverpflichtung und der Rücksichtnahmepflicht notwendig. Eine Betreuung des anderen Partners kann von verschiedener Intensität sein. Liegt lediglich hauswirtschaftlicher Hilfebedarf vor, so wird dieser durch die Haushaltsarbeit des anderen Ehegatten oft mitbefriedigt. Diese Arbeiten obliegen nach dem Leitbild des § 1356 I BGB in vielen Ehen faktisch nur einem der Ehegatten. Eine Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau auch im Haushalt kommt immer noch verhältnismäßig selten vor, allenfalls in einer Doppelverdienerehe .. Wegen dieser sozialen Struktur wird man die Leistungen bei einer bloßen Hilfebedürftigkeit des Partners regelmäßig als zumutbar ansehen können. Bei einer stärkeren Pflegebedürftigkeit hingegen müssen zusätzliche Arbeiten erbracht werden, die von der Hilfe beim Aufstehen und Ankleiden, der Körperpflege bis zum Füttern reichen können. Hinzu kommt die persönliche Zuwendung, die vor allem bei geistig pflegebedürftigen Personen, bei Demenz beispielsweise, sehr in Anspruch nimmt und oft äußerst belastend ist. Ob diese Leistungen noch zumutbar sind, kann nur durch eine Abwägung im Einzelfall entschieden werden. Es ist zu untersuchen, ob der gesunde Ehegatte zeitlich, psychisch und vor allem physisch in der Lage ist, diese Arbeiten zu erbringen. Die ergänzende Hilfe durch Sozialstationen oder andere Teile des ambulanten Betreuungsverbundes spielt hierbei eine besonders wichtige Rolle. Wenn der unterhaltspflichtige Partner aus diesen Gründen einzelne Betreuungsleistungen oder die Betreuung im ganzen nicht erbringen kann, so ist sie insoweit 412 HansOLG Hamburg, FamRZ 1981,356,358 f. unter Rückgriff auf die Schutzfunktion des Art. 6 I GG.

208

Teil D: Betreuung in der Ehe

als unzumutbar einzustufen, denn es muß sichergestellt sein, daß der betreuende Ehegatte nicht in einer Weise belastet wird, daß seine Gesundheit leidet und er selbst möglicherweise betreuungsbedürftig wird.413 Gleiches gilt, wenn der Betreuer trotz einer zumutbaren Einweisung, etwa einem Pflegekurs nach § 45 I SGB XI, nicht über die zur Betreuung nötigen Fähigkeiten I,md Fertigkeiten verfügt. Ergibt die Abwägung so die Unzumutbarkeit einer Betreuung, so ist sie nicht als Naturalunterhalt aus §§ 1360 S. 1, 1360a II S. 1 BGB geschuldet. An dieser Stelle endet die persönliche Verantwortung in der Familie. 414 Der nicht betreuungsbedürftige Ehegatte ist dagegen verpflichtet, statt dessen durch Erwerbsarbeit Mittel für eine kommerzielle Betreuung des Partners aufzubringen, soweit dadurch nicht seine eigene Leistungsfähigkeit betroffen ist.

3. Ergebnis

Somit steht die Betreuungspflicht zwischen Ehegatten aus § 1360 S. 1 BGB unter zwei materiellrechtlichen Begrenzungen. Zum einen ist der Verpflichtete als leistungsunfahig anzusehen, wenn durch die Betreuung sein eigener, im Eherecht allerdings nur notdürftiger Unterhalt gefahrdet wäre. Zum anderen ist die Betreuungspflicht nach der Rücksichtspflicht aus § 1353 I S. 2 BGB auf das Zumutbare beschränkt. Sie endet daher, wenn der Verpflichtete zu den notwendigen Betreuungsleistungen auch nach einer zumutbaren Einweisung nicht in der Lage ist oder soweit sie ihn physisch und psychisch übermäßig belasten.

v. Grenzen der Betreuung auf seiten des berechtigten Ehegatten Auch auf Seiten des Berechtigten könnte die Betreuungspflicht begrenzt sein. Hierbei ist allerdings zwischen zwei Perspektiven zu unterscheiden. Zunächst kann der Anspruch des Betreuungsbedürftigen von weiteren Voraussetzungen abhängen, die in seiner Sphäre liegen. Hiernach könnte er keine Betreuung verlangen, auch wenn er bereit wäre, sich betreuen zu lassen. Daneben ist es jedoch auch denkbar, daß es der Betreuungsbedürftige selbst ist, der die Betreuung in natura ablehnt, etwa, weil er sich dadurch bevormundet fühlt. Hier stellt sich die Frage, ob der berechtigte Ehegatte den Naturalunterhalt des § 1360a II S. 1 BGB ablehnen und statt dessen eine Geldzahlung als Unterhalt verlangen kann.

413 414

Hänlein, S. 3 f., 20 f. Hänlein, S. 3 f.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

209

1. Die Bedürftigkeit des betreuungsbedürftigen Partners als Grenze der Betreuungspflicht des Ehegatten

Nach § 1602 BGB ist die Unterhaltspflicht eines Verwandten durch die Bedürftigkeit des Berechtigten materiellrechtlich begrenzt. Sie endet dort, wo sich der Berechtigte aus eigenen Mitteln selbst unterhalten kann. Diese Regelung wird nur selten auf den Unterhalt in der ehelichen Lebensgemeinschaft übertragen. 41S Nach überwiegender Auffassung dagegen muß ein Ehegatte nicht im Sinne von § 1602 I BGB bedürftig sein, um nach § 1360 S. 1 BGB Familienunterhalt verlangen zu können, weil dieser Unterhalt faktisch nicht ihm, sondern der Familie zu leisten sei.4J6 Diese Auffassung behandelt den gesamten Familienunterhalt in gleicher Weise und läßt die Unterschiede zwischen den Unterhaltsbereichen in § 1360a I BGB unberücksichtigt. Es ist daher im einzelnen zu untersuchen, ob und inwieweit diese drei Bereiche eine Bedürftigkeit des jeweiligen Unterhaltsberechtigten voraussetzen. a) Die Bedürftigkeit des Berechtigten als Kriterium des Familienunterhalts Zunächst erscheint ein Verzicht auf das Bedürftigkeitserfordernis bei den gemeinsamen Kindern zweifelhaft. Der kollektive Lebensbedarf der Familie umfaßt nach § 1360a I Var.3 BGB auch ihre Lebensbedürfnisse. Diese Vorschrift bezieht die regulären Unterhaltsansprüche der Kinder, die ihnen nach § 1601 BGB gegen ihre Eltern zustehen, in eine familiale Erfüllungseinheit ein. Diese Ansprüche setzen jedoch eine Bedürftigkeit voraus, wenn auch für minderjährige ledige Kinder nach § 1602 11 BGB eine herabgesetzte Bedürftigkeitsschwelle gilt. Diese Voraussetzung können die Kindesansprüche nur dann verlieren, wenn sie sich durch die Einbeziehung in den Familienunterhalt entsprechend verändern oder durch einen inhaltlich gleichen Anspruch aus § 1360a I BGB ohne dieses Erfordernis ersetzt werden. Es ist strittig, wie der Kindesunterhalt in der Familie erbracht wird. Nach der überwiegenden Auffassung, die auch in der Familie zwischen den Ansprüchen der Ehegatten und der Kinder trennt, befriedigt die Versorgung der Kinder lediglich rein faktisch ihren Lebensbedarf. 4J7 Gelegentlich wird auch vertreten, die kollektive Erbringung der notwendigen Leistungen in der Familie stelle eine ordnungsgemäße Erfüllung dar, weil die Eltern die Ansprüche der Kinder durch eine Bestimmung nach § 161211 BGB kollektiv ausformten. 418 Hierin läge eine Änderung nur rür die Art der Unterhaltserbringung, denn das Bedürftigkeitserfordernis kann nicht Köhler/Luthin, Rn. 248, S. 3, allerdings ohne Begründung. BAG, FamRZ 1986.573,574; FG Hamburg, FamRZ 1997,1155; Börner, S. 18. 417 Göppinger/Wax/Kindennann, Fn. 6 auf S. 395, Rn. 1056; MK/Wacke, § 1360, Rn. 11. 418 Gernhuber/Coester-Waltjen. § 21 12, S. 227. 415

416

14 O'Sullivan

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Teil D: Betreuung in der Ehe

durch eine elterliche Bestimmung verändert werden, weil § 1602 BGB zwingend ist. Nach beiden Auffassungen verändern sich die'Unterhaltsansprüche der Kinder durch ihre Einbeziehung in den Familienunterhalt also inhaltlich nicht. 419 Allerdings steht der Anspruch auf Familienunterhalt nach § 1360 S. 1 BGB allein den Ehegatten zu, auch soweit er den Kindesunterhalt umfaßt. Möglicherweise verdrängt diese Norm als speziellere Vorschrift die Unterhaltsansprüche der Kinder. Zu dieser Frage besteht verbreitet die Auffassung, daß die Eltern im Rahmen des Familienunterhalts die Ansprüche der Kinder lediglich im Wege einer Prozeßstandschaft gegeneinander geltend machen. 42o Hiernach erwächst den Eltern kein eigener Anspruch auf Gewährung des Kindesunterhalts. Der eigene Anspruch der Kinder bleibt mitsamt dem Bedürftigkeitserfordernis unberührt. Daneben wird auch vertreten, die Ehegatten erhöben die Ansprüche ihrer Kinder innerhalb der Familie kraft eigenen Rechts. 421 In der Tat legt der Wortlaut des § 1360 S. 1 BGB einen eigenen Anspruch der Eltern auch auf den Kindesunterhalt nahe. Dieser Anspruch wird aber nur als zusätzlich angesehen. Nirgendwo wird vertreten, daß der Familienunterhalt die Ansprüche der Kinder ersetze. Daher bleibt auch nach dieser Auffassung der eigene Anspruch der Kinder neben oder in dem Familienunterhalt unberührt. Dann aber können die beiden Ansprüche keinen unterschiedlichen Voraussetzungen folgen. Es wäre unverständlich, auf die Bedürftigkeit zu verzichten, wenn ein Ehegatte den Unterhalt für die Kinder einfordert, sie aber zu verlangen, wenn die Kinder ihren Anspruch selbst erheben. Somit liegt auch nach diesen Auffassungen keine inhaltliche Änderung vor. Der Familienunterhalt setzt zumindest für den Lebensbedarf der gemeinsamen Kinder voraus, daß der Berechtigte bedürftig ist. Dieses Merkmal ist dem Familienunterhalt also nicht grundsätzlich fremd. Daher könnte es auch für die Haushaltskosten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten gelten.

b) Bedürftigkeit nur im Unterhaltsbereich der persönlichen Bedürfnisse Der Verzicht auf die Voraussetzung einer Bedürftigkeit des Berechtigten wird damit begründet, daß der Familienunterhalt nur rechtlich dem anderen Ehegatten, faktisch aber der Familie im ganzen zu leisten sei. Dies trifft jedoch nur auf die Haushaltskosten nach § 1360a I Var.l BGB zu. Soweit der Unterhalt dagegen die persönlichen Bedürfnisse des anderen Ehegatten nach § 1360a I Var.2 BGB befriedigen soll, handelt es sich um eine Leistung, die auch faktisch allein dem Berechtigten zu gewähren ist. 422 Hinzu kommt, daß vor allem die Haushaltskosten der Göppinger I Wax I Kindermann, Fn. 15 auf S. 396 (zu Rn. 1056). Gemhuber/Coester-Waltjen, § 21 12, S. 227. 421 Dölle, FamiJienrecht, Bd. I, S. 428. 422 Siehe oben Kap. 10 11. 3. b).

419

420

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

211

ehelichen Lebensgemeinschaft dienen. Der Unterhaltsverpflichtete erbringt diese Aufwendungen mittelbar auch sich selbst. Es spricht daher vieles dafür, daß auch nur dieser Bereich des Familienunterhalts auf die Bedürftigkeit verzichtet. Diese Trennung lag bis zum GIBerG zumindest auch dem BGB zugrunde. Der frühere eheliche Aufwand als Vorläufer der Haushaltskosten setzte keine Bedürftigkeit des anderen Ehegatten voraus. Der enge Ehegattenunterhalt alten Rechts war dagegen nur bei dem Anspruch der Frau nach § 1360 I BGB a.F. von ihrer Bedürftigkeit unabhängig, während § 1360 n BGB a.F. dem Ehemann einen Anspruch gegen seine Frau nur dann gewährte, wenn er bedürftig war. 423 Diese Ungleichbehandlung wurde damit begründet, daß die Unterhaltspflicht des Mannes nicht nur auf einer sittlichen Verpflichtung beruhe, sondern auch auf seiner Pflicht, die ehelichen Lasten zu tragen. 424 Auf das Bedürftigkeitserfordernis wurde also nur insoweit verzichtet, wie der Unterhaltsanspruch mit dem ehelichen Aufwand zusammenhing. In dem engeren, originären Ehegattenunterhalt setzte nach der ursprünglichen Fassung auch das BGB grundsätzlich die Bedürftigkeit des berechtigten Ehegatten voraus. Dies spricht dafür, daß zumindest die persönlichen Bedürfnisse nach § 1360a I Var.2 BGB, in denen der Ehegattenunterhalt alten Rechts aufgegangen ist, eine Bedürftigkeit des Ehegatten voraussetzen.

c) Argumente gegen ein Bedürftigkeitserfordernis Für einen vollständigen Verzicht auf das Erfordernis der Bedürftigkeit im Ehegattenunterhalt spricht allerdings der Wortlaut der Vorschriften. Der Verweis auf das Recht des Verwandtenunterhalts in § 1360a m BGB erfaßt nur die §§ 1613 bis 1615 BGB, nimmt also die Bedürftigkeitsvorschrift des § 1602 I BGB aus. Und eine ausdrückliche eigene Vorschrift, die den Ehegattenunterhalt von der Bedürftigkeit des Berechtigten abhängig macht, enthalten die §§ 1360 und 1360a BGB nicht mehr. Auch der frühere Unterhaltsanspruch des Ehemannes nach § 1360 n BGB a.F. war nur aufgrund der dort enthaltenen ausdrücklichen Anordnung bedürftigkeitsabhängig. Der Gesetzgeber des GIBerG hat bei der Vereinheitlichung der gegenseitigen ehelichen Unterhaltsansprüche keine neue ausdrückliche Regelung über die Bedürftigkeit aufgenommen. Hierin zeigt sich, daß er insoweit den Anspruch der Frau nach § 1360 I BGB a.F. zum Vorbild genommen hat und den gesamten Ehegattenunterhalt von dem Erfordernis der Bedürftigkeit freistellen wollte. 425 Letztlich läßt es sich auch inhaltlich rechtfertigen, daß nicht nur die Haushaltskosten, sondern auch die persönlichen Bedürfnisse als Teil des Familienunterhalts 423 424 425

14·

MK/Wacke, § 1360, Fn. 16 auf S. 249. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 123. Dölle, Familienrecht, Bd. I, S. 428.

212

Teil D: Betreuung in der Ehe

nicht von der Bedürftigkeit des Berechtigten abhängen. Die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen des engeren Ehegattenunterhalts läßt sich oftmals kaum trennscharf ziehen, wie die Beispiele der Nahrungsmittel oder der Kleidung gezeigt haben. Außerdem kann auch die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse mittelbar der ehelichen Lebensgemeinschaft dienen. So befriedigen die Ehegatten beispielsweise durch eine gemeinschaftliche Urlaubsreise gemeinsam ein gleichartiges persönliches Bedürfnis. Auch bei der Unterhaltsleistung durch Betreuung zeigt sich, daß ein Verzicht auf das Bedürftigkeitserfordernis sinnvoll ist. Die bloße Versorgung und die zur Lebenserhaltung notwendigen technischen Hilfen kann sich ein betreuungsbedürftiger Ehegatte, wenn er über eigenes Vennögen verfügt, selbst besorgen. Insoweit ist er nicht als bedürftig einzustufen. Aber über die bloße Versorgung hinaus ist die persönliche Zuwendung gerade durch den Ehegatten als eine enge Bezugsperson ein wesentlicher Bestandteil seines Lebensbedarfs. Dieser Bedarf läßt sich nicht kommerziell befriedigen, sondern allein durch den Naturalunterhalt des anderen Ehegatten.

d) Ergebnis Aus diesen Gründen setzt der Ehegattenunterhalt nach § 1360a I Var.l und Var.2 BGB anders als der Kindesunterhalt nach § 1360a I Var.3 i.V.m. § 1601 BGB nicht voraus, daß der Berechtigte im Sinne von § 1602 I BGB bedürftig ist. Dies gilt unabhängig von der Art und Weise der Unterhaltserbringung nach § 1360a 11 S. 1 BGB, so daß auch Betreuungsleistungen als Naturalunterhalt nicht von einer Bedürftigkeit des betreuungsbedürftigen Ehegatten abhängen.

2. Die Zumutbarkeit für den Betreuungsbedürftigen als Grenze des Betreuungsrechts seines Ehegatten Statt dessen könnte sich aus den Wünschen und der persönlichen Einstellung des Unterhaltsberechtigten eine Grenze ähnlich wie die Zumutbarkeit für den Verpflichteten ergeben. Es ist also zu fragen, ob auch das Recht zur Betreuung eine Grenze hat, ob also der betreuungsbedürftige Ehegatte in jedem Falle die Betreuung als unterhaltsrechtlich geschuldete Leistung annehmen muß. Faktisch kann er eine Naturalleistung zwar unproblematisch ablehnen, denn eine Betreuung setzt auch auf der Seite des Empfängers die Bereitschaft zur Annahme voraus. Er kann sich daher auch ohne Einbeziehung und Belastung seines Ehegatten betreuen lassen. Statt dessen kann er die Hilfe eines anderen unentgeltlichen Betreuers annehmen oder sich eines kommerziellen Pflegedienstes bedienen. Es stellt sich aber die Frage, ob der betreuungsbedürftige Ehegatte in diesen Fällen Barunterhalt von seinem Partner verlangen kann, wenn seine eigenen Mittel und

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

213

die Leistungen der Pflegekasse, die nach § 36 I, 11 SGB XI als Sachleistung gewährt würden, zur Finanzierung der anderweitigen Betreuung nicht ausreichen. Ein solcher Wunsch ist verständlich. Oftmals hat die Betreuung durch einen Familienangehörigen nicht die gleiche Pflegequalität wie diejenige einer ausgebildeten Betreuungskraft. Außerdem kann die Betreuung durch den Ehepartner dem Berechtigten unangenehm sein oder er möchte seinen Partner damit nicht belasten. Andererseits würde der Ehegatte möglicherweise auf eine Erwerbsarbeit anstelle der Betreuung verwiesen, wenn der Berechtigte auf eine Geldzahlung bestehen könnte.

a) Die Präferenzen des Berechtigten als mittelbare Grenze des Betreuungsrechts Nicht nur der Inhalt einer Unterhaltsleistung, auch ihre Form hängt vollständig von den Lebensbedürfnissen des Berechtigten ab.426 Bei einem Ehegatten bestimmen die persönlichen Bedürfnisse nach § 1360a I BGB auch darüber, welche Form im Sinne von § 1360a 11 S. 1 BGB durch die eheliche Lebensgemeinschaft geboten ist. Zwar läßt sich die Frage nach der gebotenen Form oft aus objektiven Kriterien ableiten, denn welche Bedürfnisse eines Unterhaltsberechtigten unbefriedigt bleiben, kann meistens auch äußerlich festgestellt werden. Letztlich aber bestimmt der Berechtigte selbst, welche Präferenzen er entwickelt und welche persönlichen Bedürfnisse daraus entstehen. Hierin zeigt sich die Abhängigkeit des Lebensbedarfs nicht nur von sozialen, sondern auch von individuellen Kriterien. Wenn also ein betreuungsbedürftiger Mensch nicht von seinem Ehegatten versorgt werden möchte, so richten sich seine persönlichen Bedürfnisse in diesem Lebensbereich auch nicht auf eine Naturalbetreuung durch den Partner. Leistungen in natura könnten in diesem Falle den Unterhaltsanspruch nicht erfüllen. Die Bedürfnisse verlangen statt dessen nach einer Geldzahlung, wenn der Berechtigte seine Betreuung kommerziell sicherstellen möchte. Allerdings ist dieses faktische ,.Bestimmungsrecht" des Berechtigten über seine individuellen Lebensbedürfnisse nicht unbegrenzt. Vor allem steht auf Seiten des Verpflichteten seine Leistungsfähigkeit als einschränkendes Kriterium. Wenn also der Verpflichtete kein Geld leisten kann, ist er insoweit von der Barunterhaltsverpflichtung frei. Gleichwohl läßt sich sagen, daß sich in dieser Verknüpfung der Unterhaltsform mit den persönlichen Bedürfnissen des Berechtigten eine Grenze für das Betreuungsrecht des Verpflichteten ergibt, die einer Zumutbarkeitsschranke für den Betreuungsbedürftigen nahekommt.

426

Siehe oben Kap. 9 V 2 c.

214

Teil D: Betreuung in der Ehe

b) Die Rücksichtspflicht des Verpflichteten Neben dieser Begrenzung nach den individuellen Präferenzen des Betreuungsbedürftigen ergibt sich eine Zumutbarkeitsschranke für die Naturalbetreuung aus der Rücksichtspflicht nach § 1353 I S. 2 BGB. Diese Pflicht gilt auch für den unterhaltsverpflichteten Ehegatten. Auch wenn er an sich nach § 1360a 11 S. 1 BGB Naturalleistungen schuldet, kann er eine Geldzahlung nicht verweigern, wenn der Berechtigte diese wünscht und eine Naturalleistung für ihn unzumutbar wäre.

3. Ergebnis

Auf Seiten des Berechtigten setzt der Anspruch auf Betreuung aus §§ 1360 S. I, 1360a 11 S. 1 BGB keine Bedürftigkeit voraus. Wenn der Betreuungsbedürftige jedoch keine Naturalbetreuung wünscht, dann verändert dieser Wunsch seine persönlichen Bedürfnisse im Sinne von § 1360a I BGB, so daß der Verpflichtete seine Unterhaltsverbindlichkeit nur noch durch Barunterhalt erfüllen kann. Auch der Betreuungsbedürftige muß demnach eine Betreuung nicht gegen seinen Willen annehmen.

VI. Der Anspruch auf Betreuung zwischen Ehegatten Die Pflege und Versorgung eines Betreuungsbedürftigen stellt auch zwischen Ehegatten nach Inhalt, Maß und Form eine Unterhaltsleistung dar. Grundsätzlich besteht zwischen Ehegatten in einer Lebensgemeinschaft auch ein Rechtsanspruch auf Betreuung, weil der Familienunterhalt nach § 1360a 11 S. 1 BGB in der ehelich gebotenen Form geschuldet ist, die bei einem betreuungsbedürftigen Partner in der Regel der Naturalunterhalt ist.427 Allerdings unterliegt diese Verpflichtung vielen Grenzen. So erftillt die Betreuung ein persönliches Bedürfnis des Ehegatten, betrifft also nur einen der Unterhaltsbereiche aus § 1360a I BGB. Einer Betreuung gehen daher die Haushaltsführung und die sonstige Aufbringung der Haushaltskosten vor, weil diese Bereiche dem Erhalt der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft dienen. Auf Seiten des Verpflichteten ist der Betreuungsanspruch durch seine Leistungsfahigkeit und eine Zumutbarkeitsschranke begrenzt. Der Berechtigte kann dagegen durch eine individuelle Veränderung seiner Präferenzen nicht nur den Inhalt, sondern auch die Form des Unterhalts hin zu einer Barzahlungspflicht verändern, die ihrerseits wiederum durch die Leistungsfahigkeit des Verpflichteten begrenzt ist. Eine Bedürftigkeitsgrenze für seinen Anspruch auf Betreuungsleistungen besteht dagegen nicht.

427

So auch BGH, FamRZ 1993,411,412.

11. Kap.: Rechtsanspruch auf Betreuung als eheliche Unterhaltsleistung

215

Danach unterliegt die Pflicht zur Betreuung wie jede andere Naturalunterhaltsverpflichtung erheblich engeren Grenzen als der Barunterhalt. Es ist daher den restriktiveren Judikaten der Zivilgerichtsbarkeit zuzustimmen, dagegen muß der weite Umfang der ehelichen Betreuungspflicht nach einigen der sozialgerichtlichen Urteile abgelehnt werden.428 Angesichts dieser Ergebnisse läßt sich sagen, daß nur in sehr wenigen Fällen Ehegatten einander Betreuung wirklich rechtlich schulden. Betreuungsleistungen werden aber gleichwohl häufig erbracht. Diese Leistungen sind als überobligatorisch einzustufen. Sie verlieren dadurch aber nicht ihren Charakter als Unterhaltsleistungen. 429 Daher werden sie trotz der fehlenden Leistungspflicht auf den Familienunterhalt hin geleistet und finden darin ihren Rechtsgrund. Eine Rückforderung solcher überobligatorischer Unterhaltsleistungen, etwa aus § 812 I S. 1 AIt.1 BGB, ist nach § 1360b BGB in aller Regel ausgeschlossen.

428 429

Siehe zu diesen Urteilen oben Kap. 7 11 2. BSG. ZfRS 1995. 102. 103.

Te i I E

Die unentgeltliche Betreuung der Eltern und Schwiegereltern Kapitel 12

Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern I. Allgemeines zur Betreuung der Eltern Kinder stellen mit 35 % neben den Ehegatten den größten Teil der familienangehörigen Betreuungskräfte. Allein 27 bis 29% sind Töchter. 1 Auch ihre Leistungen könnten ihren Grund in einem Unterhaltsverhältnis finden oder unterhaltsrechtlich sogar geschuldet sein, denn Kinder und Eltern sind einander als Verwandte in gerader Linie nach §§ 1601 ff. BGB unterhaltspflichtig. Ebenso besteht auch zwischen ihnen eine Pflicht zu Beistand und Rücksicht aus § 1618a BGB, die ebenfalls die rechtliche Grundlage für die Betreuungsleistungen darstellen kann. Da zwischen Ehegatten jedoch die unterhaltsrechtlichen Vorschriften eher zur Erfassung von Betreuungsleistungen geeignet waren als § 1353 I S. 2 BGB, sollen auch hier zunächst versucht werden, die Betreuung als Unterhalt einzuordnen. Im dieser Beziehung steht die Betreuung der Eltern ganz im Vordergrund, denn Pflegebedürftigkeit ist eine Erscheinung des Alters. Die Betreuung von Kindern gehört nicht zum Thema dieser Arbeit, sie ist in den Vorschriften über die elterliche Sorge nach §§ 1626 ff., über den Kinderbetreuungsunterhalt nach § 1606 III S. 2 und zum Ausbildungsunterhalt nach § 1610 TI Hs.2 BGB eigenständig erfaßt. Betreuungsbedürftig im Sinne dieser Arbeit sind Kinder nur, wenn sie nicht dem Entwicklungsstand ihrer Altersklasse entsprechen, sondern funktionelle Beeinträchtigungen aufweisen. Allerdings liegen über die Zahl pflegebedürftiger Kinder so gut wie keine Daten vor? Auch die Pflege betreuungsbedürftiger erwachsener Kinder wird nicht eigenständig behandelt, weil dieses Phänomen nur sehr selten vorkommt. Grundsätzlich gelten die folgenden Untersuchungen jedoch in jeder Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die Beistandspflicht des § 1618a BGB gilt für beide. 1 2

Zu den Daten siehe oben Kap. 6 I. Socialdata, S. 19.

12. Kap.: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern

217

Auch das Unterhaltsverhältnis ist rechtlich grundsätzlich gleich ausgestaltet, lediglich das Bestimmungsrecht aus § 161211 S. I BGB steht nur den Eltern zu.

n. Die Betreuung der Eltern als Inhalt und Maß des Verwandtenunterhalts nach § 1601 BGB Generell und ohne Rücksicht auf einen bestimmten Anlaß unterhaltspflichtig sind nach deutschem Recht neben den Ehegatten nur Verwandte in gerader Linie. Die Vorschriften für den Verwandtenunterhalt in den §§ 1601 bis 1615 BGB stellen allgemeine Grundregeln des gesamten Unterhaltsrechts dar, denn sie sind kraft ausdrücklicher Verweisung oder aufgrund einer Analogie oftmals auch in den anderen Unterhaltsverhältnissen anzuwenden. Daher sind auch die grundsätzlichen Ausführungen über die unterhaltsrechtliche Erfassung von Betreuungsleistungen zu großen Teilen den §§ 1602 ff., 1610, 1612 BGB gefolgt. 1. Betreuung als 1nhalt des Verwandtenunterhalts

Der Inhalt des Verwandtenunterhalts bestimmt sich nach § 1610 TI S. 1 BGB wie im Ehegattenunterhalt grundsätzlich nach dem Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten. Weil Betreuungsbedürftigkeit als Bündel von Lebensbedürfnissen und damit als Lebensbedarf nach § 1610 TI BGB anzusehen ist, stellen auch Betreuungsleistungen zwischen Eltern und Kindern grundsätzlich Unterhaltsleistungen dar. Einschränkungen dieses Grundsatzes enthält der Verwandtenunterhalt nicht. Insbesondere ist die Betreuungsbedürftigkeit kein ausgeschlossener regelmäßiger Sonderbedarf.3

2. Die Bedürftigkeit als Voraussetzung des Verwandtenunterhalts

Anders als zwischen Eheleuten im Familienunterhalt setzt ein Unterhaltsanspruch zwischen Verwandten eine Bedürftigkeit des Berechtigten voraus. 4 Der Berechtigte ist nach § 1602 BGB bedürftig, wenn er außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Hiermit sind nicht nur seine persönlichen Fähigkeiten gemeint. Ähnlich wie die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten ist die Bedürftigkeit ein objektives, vermögensbezogenes MerkmaLS Sie setzt Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit voraus. 6 Ein betreuungsbedürftiger Elternteil ist zwar in aller Regel erwerbsunfähig. Ist aber Vermögen vorhanden, so kann er seine Versorgung grund3 4 5 6

Siehe zu dieser Figur und ihrer Ablehnung oben Kap. 9 IV. PalandtlDiederichsen, § 1602, Rn. 2. Zur Leistungsfähigkeit siehe oben Kap. 11 IV. 1. Palandt/Diederichsen, § 1602, Rn. 4, 6.

218

Teil E: Die Betreuung der Eltern und Schwiegereltern

sätzlich durch einen kommerziellen Pflegedienst sicherstellen. Insoweit sind seine Kinder weder bar- noch naturalunterhaltspflichtig. Es verbleibt lediglich der Bedarf an persönlicher Zuwendung, der auch mit finanziellen Mitteln nicht befriedigt werden kann.

3. Das Maß des Verwandtenunterhalts

Möglicherweise ist die Betreuung jedoch deswegen aus dem geschuldeten Verwandtenunterhalt ausgeschlossen, weil § 1610 I BGB den Unterhalt auf angemessene Leistungen beschränkt. Der Begriff der Angemessenheit knüpft das geschuldete Maß des Unterhalts an die Lebensstellung des Berechtigten. 7 Wahrend bis zum FamRÄndG der standesmäßige Unterhalt zu erbringen war und daher statusbezogene, überindividuelle Maßstäbe angelegt wurden, sind heute Umfang und Höhe des Lebensbedarfs grundsätzlich anhand der individuellen Lebensstellung des Bedürftigen zu bestimmen. 8 Dies schließt eine abstrakte Bedarfsberechnung nicht aus. 9 Gegenüber der Bestimmung des Unterhaltsmaßes bei Ehegatten ergeben sich daraus einige Besonderheiten. Zunächst fehlt dem Verwandtenunterhalt jedes kollektive Merkmal. Wahrend sich das Maß des ehelichen und des Familienunterhalts nach der gemeinsamen Lebensstellung beider Ehepartner bestimmte, richtet es sich im Verwandtenunterhalt allein nach dem einzelnen Berechtigten. Weiterhin ist es bei den Verwandten feststehend. In einer Ehe ist das Unterhaltsmaß einer Vereinbarung zugänglich, da die Ehegatten nach den §§ 1353, 1356, 1360 BGB über die Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft selbst bestimmen. Das Maß des Verwandtenunterhalts richtet sich dagegen objektiv nach der Lebensstellung des Berechtigten. Daher kann zu seiner Bestimmung zum Beispiel nicht auf die Richtlinien und Tabellen des nachehelichen Unterhalts zurückgegriffen werden. 10 Beide Abweichungen gegenüber dem Ehegattenunterhalt berühren jedoch die Einbeziehung von Betreuungsleistungen nicht. So ist kollektive Prägung des Familienunterhalts auf die Haushaltskosten nach § 1360a I Var.1 BGB beschränkt. Dagegen ist die Befriedigung der persönlichen Bedürfnisse nach § 1360a I Var.2 BGB, zu der die Betreuung gehört, ein individueller Anspruch des Berechtigten. Ebenso grenzt die Regelung über das Unterhaltsmaß nahezu keine Leistung aus. Ambulante Betreuungsleistungen können kaum nach ihrer Angemessenheit differenziert werden. Sie richten sich ausschließlich nach den individuellen Lebensbedürfnissen des Berechtigten. Daher ist jede notwendige Betreuung zugleich auch angemessen. Hänlein, S. 100. MK/Köhler, § 1610, Rn. 8. 9 Göppinger I Wax, Rn. 11. 10 OLG Oldenburg, FarnRZ 1991, 1347, 1348; MK/Köhler, § 1610, Rn. 5.

7

K

12. Kap.: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern

219

III. Die gesetzliche Form des Eltemunterhalts Eine größere Abweichung von den Grundsätzen des Unterhaltsrechts und dem Ehegattenunterhalt zeigt sich jedoch in der Art und Weise, in der Verwandtenunterhalt zu gewähren ist. Die historisch vorherrschende Form ist der Naturalunterhalt. 11 Zwischen Ehegatten ist diese Form nach § 1360a 11 S. 1 BGB oft geschuldet. Dagegen ordnet § 1612 I S. 1 BGB ausdrücklich an, daß der Verwandtenunterhalt als Geldrente zu entrichten ist. Damit wären Betreuungsleistungen ausgeschlossen.

1. Der Ausnahmecharakter des § 1612/ S. 1 BGB § 1612 I S. 1 BGB widerlegt jedoch nicht die unterhaltsrechtliche Grundregel, daß sich wie der Inhalt und das Maß des Unterhalts auch seine Form nach den individuellen Lebensbedürfnissen des Berechtigten zu richten hat. Die Vorschrift stellt vielmehr eine Ausnahmeregel dar. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer systematischen Stellung außerhalb der grundlegenden unterhaltsrechtlichen Vorschriften der §§ 1601 bis 1603 BGB. Auch der historische Gesetzgeber des BGB wußte, daß er mit seiner Regelung von der Rechtstradition und auch von der Rechtslage in den meisten deutschen Staaten abwich und formulierte § 1612 I S. 1 BGB deswegen so apodiktisch. 12

Außerdem wird Unterhalt in der Lebenswirklichkeit auch zwischen Verwandten überwiegend in natura gewährt. Dies gilt nicht nur gegenüber unterhaltsberechtigten Kindern, sondern auch in den anderen Verwandtschaftsverhältnissen, vor allem gegenüber den Eltern. 13 Das Unterhaltsrecht knüpft aber nicht nur bei den verpflichteten Personen, sondern auch in den Regeln über die Unterhaltsleistungen selbst an die soziale Struktur der jeweiligen außerrechtlichen Beziehungen an. 2. Gesetzliche Rückausnahmen zu § 1612/ S. 1 BGB für den Kindesunterhalt

Trotz dieses Ausnahmecharakters des § 1612 I S. 1 BGB und des faktischen Übergewichts von Naturalleistungen auch zwischen Verwandten erfaßt diese Vorschrift rechtlich einen sehr großen Teil der Unterhaltsbeziehungen in diesem Bereich. Eine umfassende und nicht einzelfallbezogene Rückausnahme von der grundsätzlichen Barunterhaltspflicht findet sich zunächst in § 1606 III S. 2 BGB. Sie be11 12

13

Siehe oben Kap. 9 V 2 b. Siehe oben Kap. 9 V 2 d. Göppinger/Wax/Stroha1, Rn. 135; MK/Köh1er, § 1612, Rn. 4.

220

Teil E: Die Betreuung der Eltern und Schwiegereltern

trifft die Unterhaltsansprüche minderjähriger lediger Kinder. Die Vorschrift galt nach ihrem ursprünglichen Wortlaut nur für die Mutter. Sie war jedoch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf den Vater zu erstrecken, wenn er die Kinder betreute. 14 Seit der Reform durch das KindUG erfaßt auch der Normtext jeden betreuenden Elternteil. Nach dieser Vorschrift erfüllen die Eltern ihre Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind durch Pflege und Erziehung, also durch Naturalleistungen. Diese Rückausnahme ist auch gerechtfertigt, weil minderjährige Kinder wegen ihres Alters wesentlich weitergehend als andere Verwandte naturaler Leistungen bedürfen. Viele dieser Leistungen kann nur die Familie erbringen. Dies gilt vor allem für die Pflege als Kleinkind und die Erziehung. Auch weitergehende Sozialisationsleistungen erbringt zu einem großen Teil nach wie vor die Familie. Ebenso können Eltern rechtlich auch eine Berufsausbildung, die § 1610 n Hs.1 BGB als Teil des angemessenen Unterhalts nennt, in natura erbringen. Hierzu sind sie allerdings nicht mehr in der Lage. 15 Daher hat sich der Ausbildungsunterhalt zu einer Geldleistungspflicht gewandelt. Mit Ausnahme der Ausbildung verlangen somit die meisten Lebensbedürfnisse minderjähriger Kinder nach persönlich erbrachten Naturalleistungen. Die nötige Zuwendung kann nicht durch eine Geldzahlung ersetzt werden. Weiterhin sind Naturalleistungen auch gegenüber volljährigen, aber noch ledigen Kindern eine zulässige Form des Unterhalts. Nach § 161211 S. 1 BGB können hier die Unterhaltspflichtigen bestimmen, in welcher Weise sie ihre Verpflichtung erftillen wollen. Eltern ordnen in diesen Fällen oft an, daß die Kinder ihren Unterhalt in natura in der elterlichen Wohnung entgegenzunehmen haben. 16 Allerdings ist diese Vorschrift nicht als generelle Rückausnahme zu § 1612 I S. 1 BGB anzusehen, denn wenn die Eltern ihr Bestimmungsrecht nicht ausüben oder ihre Bestimmung unwirksam ist, so müssen auch sie ihren Kindern Barunterhalt leistenP 3. Der Grundsatz der Geldzahlungspjlicht im Eltemunterhalt

Außerhalb der Ausnahmebestimmung des § 1612 11 S. 1 BGB wird vertreten, daß die Naturalunterhaltspflicht bei Erreichen der Volljährigkeit des Berechtigten grundsätzlich zu einer Barunterhaltspflicht werde. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung, die für die Betreuungsbedürftigkeit der Eltern oder andere Fälle des EIternunterhalts keine ausdrücklichen Vorschriften enthält, so daß es bei dem Grundsatz der Geldzahlungsverpflichtung aus § 1612 I S. 1 BGB bleibt.

14 IS 16

17

BGHZ 75,272,278; MKI Köhler, § 1606, Rn. 6. Derleder, KJ 1997,277,281. Pachtenfels, MDR 1993, 1029. Pachtenfels, MDR 1993, S. 1029.

12. Kap.: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern

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Auch wenn Kinder ihre betreuungsbedürftigen Eltern faktisch weit überwiegend in natura betreuen, so können sie die Unterhaltsansprüche der Eltern mit diesen Leistungen zumindest grundsätzlich nicht erfüllen.

IV. Ausnahmen vom Grundsatz der Barleistungspflicht im Eltemunterhalt Wahrend das Recht des Kindesunterhalts der faktischen Ausgestaltung der sozialen Beziehung folgt, weicht die gesetzliche Konzeption des Elternunterhalts mit ihrer ausdrücklichen Regelung in § 1612 I S. 1 BGB erheblich von der Lebenswirklichkeit ab. Es stellt sich also die Frage, ob auch Betreuungsleistungen an die Eltern und andere Verwandte trotz § 1612 I S. 1 BGB die Unterhaltspflicht erfüllen. Eine rechtliche Grundlage für ein solches Abweichen von der Grundregel der Geldunterhaltsleistung könnte zunächst eine weitere gesetzliche Rückausnahme zu § 1612 I S. 1 BGB sein. Auf Seiten des Verpflichteten ist hierbei vor allem § 1612 I S. 2 BGB heranzuziehen. Weiterhin können möglicherweise die Fälle betreuungsbedürftiger Eltern im Wege einer restriktiven Auslegung aus dem Anwendungsbereich des § 1612 I S. 1 BGB ausgeschlossen werden. In diesem Falle könnte dann auf den allgemeinen Grundsatz des Unterhaltsrechts zurückgegriffen werden, daß Unterhalt in natura zu leisten ist, wenn der Lebensbedarf des Berechtigten dies verlangt. Und letztlich muß untersucht werden, ob die Vorschrift über den Barunterhalt dispositiv ist, so daß Berechtigter und Verpflichteter einvernehmlich vereinbaren können, daß auch Naturalleistungen die Unterhaltspflicht erfüllen oder sogar die einzig geschuldete Unterhalts form darstellen.

J. Die ratio des § 1612 I S. J BGB

Vor diesen Untersuchungen soll dargestellt werden, welche ratio dem § 1612 I S. 1 BGB zugrundeliegt. Insbesondere ist zu ermitteln, ob die Vorschrift eher den Interessen des Berechtigten oder jenen des Verpflichteten dient, weil davon einzelne der Möglichkeiten zur Abänderung der Barunterhaltspflicht abhängen können. a) ,.Naturalunterhalt bindet, Geldrente macht frei" Als Sinn der Geldzahlungspflicht nach § 1612 I S. 1 BGB wird überwiegend angeführt, daß bei einer Naturalleistung der Unterhaltsverpflichtete faktisch auch den Aufenthalt des Berechtigten bestimmen könne, weil diese Unterhaltsform in der Regel im Haushalt des Verpflichteten entgegengenommen werden müsse. 18 Eine 18

MK I Köhler, § 1612, Rn. 1.

222

Teil E: Die Betreuung der Eltern und Schwiegereltern

solche Aufenthaltsbestimmung greift in die Freiheitsrechte des Berechtigten ein. Dieser Eingriff eines Privaten wird zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung, wenn ihn der Staat rechtlich billigt oder fordert. Aus dieser Beeinträchtigung wird nur in zwei Fällen keine Grundrechtsverletzung: Zunächst kann der Berechtigte dem Naturalunterhalt zustimmen, denn eine Einwilligung zu einer Freiheitsbeschränkung, die keinen völligen Freiheitsverzicht darstellt, ist grundrechtlich nicht ausgeschlossen. 19 Außerdem kann eine ausdrückliche gesetzliche Regelung mit einer ausreichenden grundrechtlichen Rechtfertigung den Eingriff gestatten. Im Ehegattenunterhalt erklärt § 1360a 11 S. 1 BGB den Unterhalt in der ehelich gebotenen Form ftir geschuldet. Dies sind oft Naturalleistungen. Der damit verbundene Eingriff in die Freiheit der Ehegatten ist dadurch gerechtfertigt, daß sie sich freiwillig für die eheliche Lebensgemeinschaft entschieden haben und ihnen eine Trennung grundsätzlich möglich ist. Zwischen Verwandten ist nicht so sehr der Naturalunterhalt gegenüber minderjährigen Kindern nach § 1606 m S. 2 BGB rechtfertigungsbedürftig. Hier wird der Aufenthalt des Berechtigten nur mittelbar durch die Art der Unterhaltsgewährung bestimmt. Daneben besteht sowieso ein unmittelbares Bestimmungsrecht. Es folgt aus der Personensorge ftir das Kind und steht nach § 1631 I a.E. BGB den Eltern und nach § 1793 S. 1 LV.m. § 1800 BGB einem Vormund zu. Allerdings sind die Inhaber der Personensorge meistens zugleich unterhaltsverpflichtet. In den seltenen anderen Fällen geht die unmittelbare Bestimmung des Aufenthalts aufgrund des Sorgerechts der mittelbaren durch die Unterhaltsgewährung vor. 20 Zu all diesen Freiheitseinschränkungen gegenüber mindeIjährigen Kindern sind die Eltern durch ihr Erziehungsrecht nach Art. 6 11 S. 1 GG und der staatlich bestellte Vormund aufgrund der Wachterbefugnis des Staates nach Art. 611 S. 2 GG befugt.2I Anderes gilt ftir das Bestimmungsrecht gegenüber volljährigen Kindern nach § 161211 BGB. Hier können die Unterhaltsberechtigten an sich selbst über ihren Aufenthalt bestimmen. Der Eingriff in dieses Recht durch die Unterhaltsbestimmung ist aber durch das besondere Interesse der Eltern gerechtfertigt, über den Lebensweg unterhaltsabhängiger Kinder mitzubestimmen. 22 Er findet dagegen keine Grundlage im Elternrecht nach Art 6 11 S. 1 GG, weil die elterlichen Befugnisse aus diesem Grundrecht mit der Volljährigkeit des Kindes enden. 23 Abgemildert wird der Eingriff durch das Recht des Kindes, nach § 161211 S. 2 BGB das Familiengericht die elterliche Bestimmung abändern zu lassen. Die Barzahlungspflicht des § 1612 I S. 1 BGB schützt also zunächst die Freiheit des Unterhaltsberechtigten. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur möglich, 19

20

21 22 23

Jarass I Pieroth, Art. 2, Rn. 62a. BOH, FamRZ 1985,917,918. Jarass I Pieroth, Art. 6, Rn. 29. BOH, FamRZ 1985,917,918. BVerfGE 72,122,137.

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wenn der Berechtigte mit der Naturalleistung einverstanden ist. Eine einseitige Abänderung durch den Verpflichteten benötigt dagegen eine gesetzliche Grundlage.

b) Das Fehlen eines gemeinsamen Haushalts Möglicherweise berücksichtigt § 1612 I S. 1 BGB auch, daß Naturalunterhalt oft nur in einem gemeinsamen Haushalt gewährt werden kann und daß Eltern, auch wenn sie betreuungsbedürftig sind, meistens nicht im Haushalt ihrer Kinder leben. Daß Naturalunterhalt von einem gemeinsamen Haushalt des Berechtigten und des Verpflichteten abhängt, macht das Unterhaltsrecht in anderen Bereichen deutlich. So können Eltern die Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder aus § 1601 BGB nach § 1606 m S. 2 BGB in natura erfüllen. Hierzu müssen sie über den Aufenthalt bestimmen können. Dieses Recht steht nach § 1631 I BGB den Sorgeberechtigten zu, die meistens die Eltern sind. Gleichermaßen setzt der Familienunterhalt, der nach § 1360a 11 S. 1 BGB oft in natura zu leisten ist, eine Lebensgemeinschaft der Eheleute voraus, zu der nach § 1567 I BGB grundsätzlich ein gemeinsamer Haushalt gehört. Ohne diese Gemeinschaft wandelt sich der Ehegatten- zum Trennungsunterhalt, der nach § 1361 IV S. 1 BGB durch Geldzahlungen zu leisten ist. Diese rechtliche Abhängigkeit spricht jedoch nicht dagegen, daß Kinder ihre betreuungsbedürftigen Eltern in natura unterhalten können. Zum einen wohnen betreuungsbedürftige Senioren zu einem erheblich größeren Anteil als der Rest ihrer Altersgruppe im Haushalt eines ihrer Kinder. 24 Bei den betroffenen Frauen sind es etwa 30%. Der geringere Wert bei den Männern von nur 15% erklärt sich daraus, daß diese wegen ihrer geringeren Lebenserwartung zu einem großen Anteil noch mit ihrer Ehefrau zusammenleben als umgekehrt?S Zum anderen setzt Naturalunterhalt nicht zwingend einen gemeinsamen Haushalt voraus. Betreuungsleistungen können oft auch von Nichthausangehörigen erbracht werden und trotzdem ausreichen. Möglich sind zum Beispiel regelmäßige Besuche. Dies gilt vor allem für lediglich Hilfebedürftige, die bis auf einige hauswirtschaftliche Tätigkeiten noch allein leben können. Entsprechend wohnen immerhin 20% der im engeren Sinn pflegebedürftigen und sogar 42% der Personen mit hauswirtschaftlichem Hilfebedarf allein in ihrem Haushalt und werden gleichwohl von ihren Angehörigen oder ehrenamtlichen Kräften ambulant betreut. 26 Somit ist nur eine gewisse räumliche Nähe zwischen den Wohnorten des Verpflichteten und des Berechtigten vonnöten. Faktisch setzt also Naturalunterhalt keine häusliche Gemeinschaft voraus. Die rechtliche Verknüpfung dieser beiden Merkmale in anderen Unterhaltsbereichen ist zwar sinnvoll, aber nicht zwingend nötig. 24

25 26

Braun I Articus, Hilfeleistungen, S. 24. Zu allen Daten Brandt u. a., Ambulante Dienste, S. 29. Schneekloth u. a., Pflegebedürftige, Grafik 5.1., S. 130.

224

Teil E: Die Betreuung der Eltern und Schwiegereltern

Der Barunterhalt in § 1612 I S. 1 BGB findet seine Rechtfertigung also nicht im Fehlen eines gemeinsamen Haushalts des Verpflichteten mit dem Berechtigten.

c) Die Pietät als ratio des § 1612 I S. 1 BGB? Die Motive zum BGB führen zur Begründung des damals noch recht neuen Barunterhalts an, daß diese Form am ehesten den Anforderungen der Pietät entspreche. Insbesondere verwiesen sie hierfür auf das Verhältnis unterhaltsberechtigter Eltern zu ihren Kindern. 27 Sie erläutern jedoch nicht, aus welchen Gründen eine Naturalleistung an die Eltern pietätlos sei. Ein Indiz ergibt sich jedoch aus der besonders ausführlichen Begründung für das elterliche Bestimmungsrecht gegenüber volljährigen Kindern nach § 1612 n S. 1 BGB.28 Es sollte verhindern, daß ein Unterhaltsverpflichteter mittelbar auf die Lebensgestaltung des erwachsenen Berechtigten Einfluß nimmt. Hinter dieser Erwägung steht also lediglich die bereits erläuterte Gefahr, daß Naturalunterhalt die Freiheit des Empfängers beeinträchtigt. Andere Gründe lassen sich aus dem Hinweis auf die Pietät nicht ersehen. Nach der heutigen gesellschaftlichen Auffassung ist dagegen eher die Betreuung durch einen kommerziellen Pflegedienst oder in einem Pflegeheim weniger pietätvoll als innerhalb der Familie. Außerdem können wie bei den moralischen Erwägungen auch Fragen der Pietät nicht zur Rechtfertigung von Rechtsregeln herangezogen werden, die individuelle private Beziehungen in vielfältiger Form betreffen. 29

d) Freiheit des Berechtigten bei der Verwendung der Unterhaltsmittel Barunterhalt ermöglicht dem Berechtigten eine freie Entscheidung über die Verwendung der Leistungen. Sinnvollerweise wird er zwar auch eine Geldleistung des Verpflichteten zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse verwenden. Hierzu besteht jedoch unterhaltsrechtlich keine Obliegenheit. Der Berechtigte kann Teile seines Lebensbedarfs unbefriedigt lassen und den Unterhalt in den Grenzen einer ..ordnungsgemäßen Wirtschaft" anderweitig verwenden. 3o Allerdings legt ein sol~ ches Verhalten nahe, daß ein entsprechendes Lebensbedürfnis in Wirklichkeit nicht besteht. Aber auch wenn der Berechtigte die Barmittel wirklich für seinen Lebensbedarf verwendet, so besteht hier ein Spielraum bei der Reihenfolge oder dem Maß der Befriedigung. Dies ist bei einer Naturalleistung anders. Daher dient Barunterhalt nicht nur der persönlichen Freiheit, sondern auch der Entscheidungsfreiheit des Berechtigten. 27 28

29

30

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 702. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 704. Siehe hierzu Struck, FuR 1996, S. 118. 121 f. Göppinger I Wax I Strohal. Rn. 140.

12. Kap.: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern

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e) Schutz des Verpflichteten Diese beiden Ziele betreffen den Schutz des Berechtigten. Es fragt sich daher, ob die Pflicht zum Barunterhalt auch ein Interesse des Verpflichteten schützt. Der historische Gesetzgeber des BGB ging noch davon aus, daß der Verpflichtete in aller Regel ein Interesse an einer Naturalleistung in seinem eigenen Haushalt habe, weil diese preiswerter sei als eine Geldzahlung?' Er gewichtete jedoch die vermeintlichen Interessen des Berechtigten an einer Barleistung grundsätzlich höher. Dagegen ist es heute vorstellbar, daß der Verpflichtete trotz des höheren finanziellen Aufwandes eine Geldzahlung vorzieht, weil er nicht bereit oder nicht in der Lage ist, Naturalunterhalt zu leisten. Insbesondere die Pflege und Versorgung eines betreuungsbedürftigen Elternteils oder anderen Verwandten überfordert viele Angehörige. Daher schützt die Grundregel der Barleistung in § 1612 I S. 1 BGB heute auch die Interessen des Verpflichteten.

f) Ergebnis

Somit schützt die Barleistungspflicht des § 1612 I S. 1 BGB zunächst die persönliche Freiheit und die Entscheidungsfreiheit des Berechtigten. Die Interessen des Verpflichteten, nicht unfreiwillig in natura leisten zu müssen, hat der historische Gesetzgeber zwar noch nicht berücksichtigt, sie lassen sich aber angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung heute ebenfalls als ratio der Vorschrift auffassen. 2. Eine Restriktion des § 1612 I S. I BGB?

Nachdem nun die ratio der Barunterhaltspflicht ermittelt ist, werden im folgenden die Ausnahmen und die Möglichkeit zur Abänderung des § 1612 I S. 1 BGB untersucht. Hierbei wird zunächst dargestellt, ob diese Norm Betreuungsbedürftigkeit überhaupt erfaßt. Möglicherweise kann die Betreuung durch eine restriktive Auslegung oder eine vollständige Restriktion der Vorschrift aus ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. In diesem Falle müßte eine andere rechtliche Regelung über die Form des Unterhalt an Betreuungsbedürftige gefunden werden. Eine restriktive Auslegung hält sich noch innerhalb des Wortlauts einer Norm, versucht jedoch, mit Hilfe eines Tatbestandsmerkmals solche Bereiche auszuscheiden, die der Gesetzgeber nach ihrer Interessenlage nicht mehr erfassen wollte. Dieser Weg scheitert hier schon daran, daß der Wortlaut des § 1612 I S. 1 BGB sehr allgemein und absolut formuliert ist. Die Vorschrift erfaßt jedes Unterhaltsverhält31

Motive zum BGB, Bd. IV, S. 702.

15 O·Sullivan

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nis im Sinne der §§ 1601 ff. BGB und enthält keine Ausnahmen. Angesichts des Wortlauts ist daher eine restriktive Einschränkung durch eine Auslegung nicht möglich. Eine Restriktion dagegen ist das Gegenstück zu einer Analogie. Sie bedeutet eine Einschränkung einer Norm über ihren Wortlaut hinaus, wenn diese eine Interessenkonstellation oder eine ganze Fallgruppe erfaßt, die der Gesetzgeber nicht erfassen wollte und die nach den Wertungen anderer Vorschriften desselben Rechtsbereichs eigentlich anders geregelt sein sollte. Wie bei einer Analogie muß daher auch hier eine unbewußte - negative - Regelungslücke, nämlich eine zu weitgehende Regelung festgestellt werden. Sodann ist eine andere Norm zu suchen, die eine bestimmte Wertung des Gesetzgebers vorgibt und die in ihren Voraussetzungen der fraglichen Fallgruppe so ähnlich ist, daß sie als einschränkende Norm rur die zu weitgehende Vorschrift herangezogen werden kann. 32 a) Keine Heranziehung des § 1606 m S. 2 BGB Sollte eine solche negative Lücke vorliegen, so müßte sie nicht unbedingt durch einen Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz des Unterhaltsrechts, nach dem sich auch die Unterhaltsform nach den Bedürfnissen des Berechtigten richtet, aufgefüllt werden. Es könnte auch die Regelung des § 1606 m S. 2 BGB herangezogen werden, wenn ihre Wertung auch für die Pflege betreuungsbedürftiger Eltern gilt. Nach § 1606 m S. 2 BGB ist der Unterhalt an minderjährige Kinder größtenteils durch Erziehung und Pflege des Kindes zu erbringen. Beide Tätigkeiten sind wie die Betreuung im Sinne dieser Arbeit Formen des Naturalunterhalts. Dem Kind steht also entgegen § 1612 I S. 1 BGB ein Anspruch auf Naturalunterhalt ZU. 33 Die Rechtsfolge dieser Vorschrift wäre also geeignet, die Betreuungsleistungen an die Eltern als geschuldete Form des Unterhalts zu erfassen. Die Abweichung des § 1606 m S. 2 BGB von § 1612 I S. 1 BGB beruht darauf, daß viele Lebensbedürfnisse kleiner Kinder durch Barunterhalt nicht erflillt werden können, weil sie nicht nur abstrakt einer Erziehung und Pflege bedürfen, sondern der unmittelbaren Zuwendung durch ihre Eltern. Ähnliches gilt aber für die Pflege betreuungsbedürftiger Eltern. Auch wenn die fehlende Entwicklungsreife von Kindern nicht als Betreuungsbedürftigkeit im Sinne dieser Arbeit anzusehen ist,34 so läßt sich ihre Lage doch mit der eines pflegebedürftigen Menschen vergleichen. Allerdings bestehen auch erhebliche Unterschiede. Bei älteren Menschen ist die Abhängigkeit von einem bestimmten Verwandten nicht genauso groß wie bei ei-

32 33 34

WeseI, S. 178. Staudinger/Kappe/Engler, § 1606, Rn. 15. Siehe hierzu oben Kap. 2 IV. 1. b).

12. Kap.: Betreuungsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern

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nem kleinen Kind gegenüber den Eltern. Auch ist meist keine vollständige Versorgung wie bei kleinen Kindern nötig, sondern nur Hilfe bei einzelnen Verrichtungen des täglichen Lebens oder des Haushalts. Und auch ein rechtlicher Unterschied liegt vor. Dem Kleinkind stehen nicht nur die Unterhaltsansprüche aus § 1601 BGB zu. Daß es von seinen Eltern eine Versorgung und Pflege in natura verlangen kann, folgt nicht nur aus § 1606 m S. 2 BGB, sondern darüber hinaus aus der elterlichen Sorge nach §§ 1626 ff. BGB?S Vor allem die Personensorge gegenüber dem Kind legt den Eltern eine Naturalversorgung auf. Eine vergleichbare Rechtsposition steht erwachsenen Kindern gegenüber ihren Eltern nicht zu. Somit ist die Interessenlage von Kleinkindern und betreuungsbedürftigen Eltern letztlich nicht vergleichbar. Selbst bei einer Restriktion des § 1612 I S. 1 BGB könnte also zur Auffüllung der Lücke nicht § 1606 m S. 2 BGB herangezogen werden. b) Keine unbewußte Regelungslücke für betreuungsbedürftige Unterhaltsberechtigte Außerdem scheidet eine Restriktion des § 1612 I S. 1 BGB generell aus. Zwar legt die deutliche Abkehr des historischen Gesetzgebers des BGB von den früheren Rechtsregeln über die Unterhaltsform nahe, daß § 1612 I S. 1 BGB zu weit formuliert worden ist und trotz seines umfassenden Wortlauts solche Unterhaltsverhältnisse nicht erfassen soll, in denen eine Naturalleistung angemessen ist. Diese zu weite Fassung ist jedoch kein Versehen, sondern eine bewußte Entscheidung des damaligen Gesetzgebers. Zwar wurde in den Beratungen zum BGB die Betreuungsbedürftigkeit nicht thematisiert, die Frage des Naturalunterhalts allgemein war aber bekannt. Die Unterhaltsleistungen an ältere Verwandte und besonders die Eltern wurden ausdrücklich behandelt und auch hier wurde die Regelung des § 1612 I S. 1 BGB rur angemessen und anwendbar gehalten. 36 Daher ist nicht von einer negativen unbewußten Regelungslücke auszugehen.

c) Ergebnis Somit sind weder eine restriktive Auslegung noch eine Restriktion geeignet, die Betreuung in ihrer Form rechtlich anders zu behandeln als andere Unterhaltsleistungen. Es bleibt demnach bei der Geldzahlungspflicht.

3S 36

1S·

Staudinger/Kappe/Engler, § 1612, Rn. 5. Motive zum BGB, Bd. IV, S. 702 ff.

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Teil E: Die Betreuung der Eltern und Schwiegereltern

3. Abänderung des Barunterhalts durch den Verpflichteten nach § 1612 1 S. 2 BGB

Eine gesetzliche Ausnahme vom Grundsatz des Barunterhalts findet sich in § 1612 I S. 2 BGB. Dem Unterhaltsverpflichteten ist hiernach eine einseitige Abänderung der an sich geschuldeten Unterhaltsform gestattet. Es ist also zu untersuchen, ob nach dieser Vorschrift Kinder oder andere Verwandte einseitig erreichen können, dem Betreuungsbedürftigen keine Geldleistungen gewähren zu müssen, um ihn statt dessen selbst zu betreuen. a) Anwendungsbereich und Rechtsfolgen des § 1612 I S. 2 BGB Nach § 1612 I S. 2 BGB kann der Verpflichtete verlangen, daß ihm die Gewährung des Unterhalts in einer anderen Art gestattet werde, wenn dies durch besondere Gründe gerechtfertigt ist. Nach ihrem Wortlaut erlaubt diese Norm dem Verpflichteten also nicht, den an sich geschuldeten Barunterhalt eigenmächtig abzuändern und in anderer Form zu erbringen. Vielmehr steht dem Verpflichteten nur ein Anspruch gegen den Berechtigten auf Zustimmung zu einer entsprechenden Abänderung ZU. 37 Allerdings ist anerkannt, daß dieser Anspruch auch als Einrede gegenüber dem Zahlungsanspruch des Berechtigten erhoben werden kann. Daher ähnelt § 1612 I S. 2 BGB inhaltlich doch einer einseitigen Ersetzungsbefugnis. 38 Liegen die Voraussetzungen des § 1612 I S. 2 BGB vor, so kann der Verpflichtete beispielsweise den Barunterhalt in einer anderen Währung als der eigentlich geschuldeten inländischen zahlen. 39 Weitergehend kann sich nach dieser Vorschrift die Barzahlungspflicht auch vollständig zu einer Naturalleistung hin verändern. 40 Der Anwendungsbereich der Vorschrift erfaßt vor allem Unterhaltsleistungen an Eltern oder andere Verwandte, nicht jedoch an Kinder, denn für ihre Ansprüche enthält § 161211 BGB eine abschließende besondere Regelung. Somit kann § 1612 I S. 2 BGB sowohl nach der sachlichen Rechtsfolge als auch nach dem persönlichen Anwendungsbereich Betreuungsleistungen an Eltern und andere Verwandte erfassen. b) Die besonderen Gründe für einen Naturalunterhalt Für einen Anspruch gegen den Berechtigten auf Zustimmung zu einer Abänderung der geschuldeten Unterhaltsart müssen zunächst besondere Gründe vorliegen. Diese können aufbeiden Seiten des Unterhaltsverhältnisses bestehen. 41 31

38 39