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German Pages 192 Year 2000
HANS-HEINER K Ü H N E U N D K O I C H I M I Y A Z A W A (Hrsg.)
Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim H i r s c h Günter Kohlmann, Michael
Walter
Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln
Band 31
Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland Herausgegeben von
Hans-Heiner Kühne Koichi Miyazawa
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Alte Strafrechts strukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen in Japan und Deutschland / hrsg. von Hans-Heiner Kühne ; Koichi Miyazawa. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 31) ISBN 3-428-09449-2
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-09449-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Unter Strafrechtlern ist es fast schon banal, die engen Verbindungen des japanischen Strafrechts mit dem deutschen zu bestätigen. Seit der Rezeption großer Teile des deutschen Rechts in Japan im Rahmen der sogenannten MeijiRestauration ist zwischen Japan und Deutschland in der Jurisprudenz ein dichtes Netz sachlicher und persönlicher Beziehungen entstanden. Für das Strafrecht hatte Hirsch 1988 mit dem ersten deutsch-japanischen Strafrechtskolloquium 1 ein besonderes Diskussionsforum geschaffen. Nach dem zweiten Treffen in Tokio 19942 zeigen die hiermit vorgelegten Verhandlungen des dritten deutschjapanischen Strafrechtskolloquiums in Trier 1997, daß diese rechtsvergleichende Diskussion hier wohl endgültig eine Plattform gefunden hat, auf welcher die bestehenden Verbindungen in regelmäßigen Treffen zentriert und auf die wissenschaftliche Probe gestellt werden. Dank ist zu erstatten der DFG, die es vielen japanischen Kollegen ermöglicht hat nach Deutschland zu kommen, der Humboldt-Stiftung für Unterstützung, sowie der Miyazawa-Stifitung, die in bewährter Treue große Teile auch dieser Veranstaltung finanziert hat.
Trier, im Mai 1999
1
Hans-Heiner Kühne
Koichi Miyazawa
Vgl. Hirsch/Weigend (Hrsg.), Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften, Bd. 1, 1989. 2 Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutsch-japanischen Vergleich, Ius-Criminale, Bd. 2, 1995.
Inhaltsverzeichnis Hans-Heiner Kühne Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen. Eine Einführung
9
Bernd Schünemann Vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht. Ein Paradigmawechsel im moralischen Anspruch?
15
Makoto Ida Kommentar aus japanischer Sicht. Ausweg aus dem Dilemma?
37
Toshio Kamiyama Strafrechtliche Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs in Japan
41
Masao Niwa Wirksamkeit der strafrechtlichen Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs in Japan. Unter besonderer Berücksichtigung der Vorteilsgewährung zugunsten von Sokaiya. Diskussionsbeitrag
63
Klaus Rolinski Veränderte Bedingungen des Resozialisierungsvollzuges internationaler Kriminalität in Deutschland
im
Kontext 67
Toshio Yoshida Veränderte Bedingungen des Resozialisierungsversuchs internationaler Kriminalität in Japan
im
Kontext 91
Shin ichi Ishizuka Die gegenwärtige Situation des Strafvollzugs und der Menschenrechte in Japan. Keine Herrschaft des Schweigens, sondern noch mehr Freiheit!
107
Inhaltsverzeichnis
8 Seiji Sa it ο Über Organtransplantationen strafrechtlicher Sicht
und
Todeszeitpunkt
in
Japan
aus 121
Chosin Nagai Die jüngste japanische Diskussion über den strafrechtlichen Schutz in der Gentechnik
129
Makolo Ida Gentechnik und Todeszeitpunkt. Ein Kommentar
133
Werner Beulke Strafverteidigung im Spannungsfeld Verfahrenseffizienz in Deutschland
zwischen Rechtsstaatlichkeit
und 137
Kyoko Yamana Strafverteidigung im Spannungsfeld Verfahrenseffizienz in Japan
zwischen Rechtsstaatlichkeit
und 159
Katsuyoshi Kato Strafverteidigung im Spannungsfeld Verfahrenseffizienz. Ein Kommentar
zwischen Rechtsstaatlichkeit
und 167
Hiroshi Kojima Soziale Sicherheit in Japan
173
Claus Roxin Schlußbericht
179
Autorenverzeichnis
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Alte Strafrechtsstrukturen und neue gesellschaftliche Herausforderungen Eine Einführung Von Hans-Heiner Kühne
In den letzten Jahren findet das Strafrecht zunehmend öffentliche, insbesondere auch politische Beachtung. Eigentlich ein für jede Wissensdisziplin erstrebenswerter Zustand, da sowohl bessere Chancen der Finanzierung von Forschungsvorhaben als auch erhöhte Möglichkeiten, Erkenntnisse bewirkend umzusetzen, damit verbunden sind. Gleichwohl kommt aufgrund dieses Befundes bei den meisten Strafrechtlern keine rechte Freude auf. Ein Blick in die Literatur offenbart gar im Gegenteil, daß Besorgnis um das Strafrecht eine stark vertretene Reaktion auf das medienwirksam boomende Strafrechtsparadigma ist 1 . Im Folgenden soll versucht werden, die Gründe dieses Unbehagens kurz zu skizzieren. Immer mehr scheint die Gesellschaft das Strafrecht als wundersames Allheilmittel für jedwede sozial unerwünschte Erscheinung oder Verhaltensweise anzusehen. Kaum ist ein gesellschaftliches Problem geortet und durch die Medien zu Bedeutung geadelt worden, versprechen Politiker Abhilfe durch neue Strafgesetze - Versprechen, die ebenso ausnahms- wie bedauerlicherweise zumeist auch ihre parlamentarische Erfüllung finden. Strafrecht wird zum zentralen Steuerungsinstrument und denaturiert von seiner eigentlichen Bedeutung als ultima ratio (Beccaria) zu der einer sola ratio, zumindest aber prima ratio. Dabei wird geflissentlich verkannt, daß die ultima ratio Qualität dem Strafrecht seit der Überwindung feudaler Staatsstrukturen inhärent ist. Werte wachsen in der Gesellschaft im Wechselspiel zwischen gelebter Realität und administrativer wie legislatorischer Steuerung. Dem Strafrecht kommt hierbei lediglich die Verdeutlichung bestimmter Werte zu, die durch Heraus-
1 Etwa am Beispiel des Umweltstrafrechts: Heine/Meinberg GA 1980,1; Schall 1990, 1273; vgl. aber auch P. A. Albrecht StV 1994, 265; Hassemer ZRP 1997, 316 (317, 320); Lisken ZRP 1994, 49.
Hans-Heiner Kühne
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Stellung der jeweiligen Wertverletzung geschieht. Die Werte selbst werden aber nicht vom Strafrecht gesetzt. Vielmehr beschreibt das Konzept der ultima ratio eine grundsätzliche Akzessorietät des Strafrechts, welche immer rückbezüglich auf vorhandenen Normen ist und ihnen selektiv besondere Bedeutung durch Erwähnung zuweist. Demgegenüber demonstriert der primäre Griff zum Strafrecht als Instrument sozialer Steuerung einen Rückfall in feudales Staatsdenken, welches den Bürger als unmündiges, rechtsunterworfenes Objekt hoheitlicher Ge- und Verbote versteht. Damit verbunden ist eine Simplifizierung von komplexen sozialen Sachverhalten auf die Alternative „verboten-erlaubt", die zusätzlich den durchaus erwünschten Anschein moralischer Betroffenheit hervorruft, welcher Vereinfachungen häufig anhaftet und deshalb auch des Beifalls der Mehrheit sicher sein kann. Dadurch entsteht eine eigentümliche Mischung einer Rechtspolitik, die als Feudalpopulismus bezeichnet werden könnte. Interessanterweise werden in diesem Zusammenhang die empirisch gut belegten Zweifel an der Wirkung der Spezialprävention 2 und das fast gänzlich fehlende Wissen über die Effektivität der Generalprävention 3 ausgeblendet. Es wird sogar der gegenteilige Eindruck erweckt, sobald etwas nur strafrechtlich verboten sei, könne das Problem als geregelt angesehen und vergessen werden; dies natürlich bei strikter Kostenneutralität. Daß die mittelbaren immensen Kosten strafrechtlicher Kontrolle, die durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Vollzugsbehörden entstehen, dabei völlig unberücksichtigt bleiben, erstaunt dann kaum mehr 4. Nun ist trotz alledem nicht zu verkennen, daß das Erscheinungsbild der Kriminalität sich partiell verändert hat. Straftäter benutzen modernste Kommunikationstechnologien und können mit diesen Hilfen einfacher als früher international, ja global tätig werden und entsprechende organisatorische Strukturen aufbauen. Das Paradigma der organisierten Kriminalität hat denn auch die kriminologische wie kriminalpolitische Diskussion der letzten 10 Jahre weltweit bestimmt. Dennoch fehlen Nachweise über das Ausmaß dieser Kriminalität. Wir wissen nicht einmal, ob sich die organisierte Kriminalität in letzter Zeit beson-
2
Eisenberg, Kriminologie, 4. Auf. 1995, § 42 Rn. 3 f. Eisenberg, Kriminologie, 4. Auf. 1995, § 41 Rn 6; Kaiser, Kriminologie, 10. Aufl. 1997, S.81 ; Dölling ZStW 102 (1990), 1; Schumann et al., Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention, 1987, S.161 ff. 4 Während im OrgKG zumindest noch vermerkt wird, daß etwaige Mehrkosten durch Verlall von Gewinnen aus Rauschgiftgeschäften kompensiert würden (Bt Ds 12/ 989 S. 3) - eine wagemutige Prognose - leugnet das StVÄG von 1994 die Kostenfrage schlichtweg, mit dem Hinweis: Kosten - keine (Bt Ds 13/ 194). Das StVÄG 1996 sieht Kosten nur dort, wo sie letztendlich keine Rolle spielen, nämlich beim datenschützenden Umgang mit personenbezogenen Informationen (Bt Ds 13/ 9718). 3
Einfuhrung
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ders ausgedehnt hat oder ob sie nur ins Licht allgemeinen Interesses gerückt wurde und dadurch den Anschein eines neuen und wachsenden Phänomens erhalten hat. Bekannt ist lediglich, daß der Zusammenbruch des kommunistischen Systems eine Reihe dieser Staaten in einen Zustand extremer Destabilisierung versetzt hat, in welchem oft kriminelle Strukturen die einzig funktionierenden sind. Zur Beseitigung eines solchermaßen anomischen Zustands ist freilich das Strafrecht gänzlich ungeeignet. Es verbleibt die Feststellung, daß auch Kriminelle mobile Telefone, Computer und das Internet benutzen. Ein Befund, der dem Grunde nach kaum beunruhigen kann, haben doch schon immer alle Teile der Gesellschaft versucht, den Fortschritt auch persönlich zu nutzen. Privatleute, Unternehmer und Kriminelle haben das Auto und das Telefon zu ihrem Zweck genutzt. Gleiches gilt selbstverständlich heute für die modernen Kommunikationsmittel und das Phänomen, sich mit ihrer Hilfe vermehrt grenzüberschreitend zu organisieren. Bedenklich stimmen kann hier allenfalls, daß die formellen Instanzen sozialer Kontrolle, insbesondere also Polizei und Staatsanwaltschaft, offenbar weniger Zugang zu diesen Mitteln haben als die zu Kontrollierenden. Das ist jedoch ein Problem, welches nicht im Strafrecht, sondern durch Zuweisung von Haushaltsmitteln zu lösen wäre. Unter Ignorierung all dieser Bedenken hat der deutsche Gesetzgeber vor allem in den letzten 10 Jahren nicht nur versucht, das materielle Strafrecht als primäres Problemlösungsinstrument zu gebrauchen, sondern hat auf der Ebene formellen Rechts in ganz massiver Weise den staatlichen Machtapparat im Strafprozeß- und Polizeirecht aufgerüstet. Die ständige Thematisierung der organisierten Kriminalität und ihres Bedrohungspotentials hat nicht nur die Belege für die Stärke dieser Bedrohung überflüssig gemacht, sondern auch die Kriminalitätsfurcht derart geschürt, daß beachtliche parlamentarische Mehrheiten unter Beifall der Medien und wohl auch größerer Bevölkerungsteile drastische Individualrechtseinschränkungen zum Zwecke der Verbrechensverfolgung beschlossen haben. Aus dem Polizeirecht der Länder seien hier nur die proaktive Verbrechensbekämpfung, die ereignisunabhängige Kontrolle und der polizeiliche Lauschangriff erwähnt; strafprozessual haben die Regelungen über den kleinen und großen Lauschangriff sowie den verdeckten Ermittler besondere Aufmerksamkeit gefunden. Hier findet ganz offensichtlich ein Wandel im Staatsverständnis statt. War dieses zuvor von individueller Autonomie gegenüber dem Staat geprägt, so greift mehr und mehr ein Verständnis Platz, unter welchem sich der Einzelne dem paternalistisch für ihn sorgenden Staat anvertraut und daher auch weitgreifende Kontrollen nicht mehr als Individualrechtseingriff sondern Schutzmaß-
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Hans-Heiner Kühne
nähme begreift. Die Diskussion um das Grundrecht auf Sicherheit macht dies noch deutlicher 5. Man kann in dieser Entwicklung eine Gefahr für die Konzeption des Grundgesetzes sehen, welches aus den Erfahrungen mit dem Dritten Reich eine Begrenzung der Staatsmacht gegenüber freien Bürgern, vor allem auch durch den Grundrechtskatalog konkretisiert hat. Aus einer weniger dramatischen Sicht würde dies beschrieben werden können als Anpassung eines Grundrechtsverständnisses an die jeweiligen Bedingungen der Zeit. In der Tat kann nicht bestritten werden, daß gerade die Abgrenzung von Individualrechtsgarantien und staatlichen Eingriffsbefugnissen - die ja vor allem im Strafrecht letztlich auch dem Schutz des Einzelnen dienen - im Detail beständig neu definiert werden müssen. Ob indessen diese Definitionen durch emotionale statt rationale Argumente geleitet sein sollten, mag fuglichst bestritten werden. Wenden wir uns von der hohen verfassungsrechtlichen Ebene ab und der praktischen des strafprozessual umgesetzten Verfassungsrechts zu, so können wir Entwicklungen entdecken, die schon in den späten 70er Jahren begonnen und das Gesicht des Strafprozeßrechts hin zu wesentlich weniger liberalem Verständnis zum Teil sogar strukturell geändert haben. Es sind hier insbesondere drei Tendenzen zu erwähnen: - Eingriffe gegen Unbeteiligte und Unverdächtige, einst der StPO völlig fremd, wurden vermehrt eingeführt. 1978 gab es mit § 111 StPO die Kontrollstellen, 1986 die Schleppnetzfahndung des § 163 d StPO und 1992 die Rasterfahndung der §§ 98 a ff. - Das Eingriffsinstrumentarium gegen Verdächtige wird erweitert, vgl. insbesondere §§ 100c ff., 110 a ff. StPO. - Das Polizeirecht der Länder befreit polizeiliches Handeln von dem Erfordernis der polizeilichen Gefahr und ermächtigt die Polizei zu grundrechtsverletzendem Handeln in einem Graubereich zwischen Prävention und Repression unter dem Schlagwort der Vorfeldermittlungen. Die Frage, ob diese Entwicklung die angemessene Reaktion auf die reale Krisensituation gewesen ist und zudem auch noch Effizienzverbesserungen erbracht hat, harrt der Beantwortung. Aus alledem ergibt sich, wie ich meine, hinreichender Anlaß die augenblickliche Popularität des von uns vertretenen Rechtsgebiets mit einem gewissen Mißtrauen zu betrachten und sich Gedanken über Funktion und Grenzen des
5
Losgetreten von Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Rechtsstaats, 1983; vgl. auch. Kühne, Kriminalitätsbekämpfung durch innereuropäische Grenzkontrollen?, 1991 Teil 1 passim.
Einführung
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Strafrechts in der Gesellschaft zu machen. Der hier aufgewiesene Gegensatz zwischen liberalem Rechtsstaat und Sicherheitsstaat soll nicht so sehr Diagnose als vielmehr Anlass für eine anamnestische Diskussion sein. Die Kritik an der gedankenlosen Schaffung von immer mehr materiellem Strafrecht und ständig sich verschärfendem Strafverfahrensrecht könnte zu Überlegungen über Notwendigkeit und Sinnhafitigkeit neuer StrafVorschrifiten im Bereich des Wirtschaftslebens führen und effizienzgeleitete nicht notwendig repressive Alternativen im Verfahren bedenkenswert machen. Es gilt, die bislang vorherrschenden „naiven Kontrollmodelle" 6 , die davon ausgehen, daß bloße Verstärkung von Kontrolle linear positive Kontrollwirkungen erbringt, im Hinblick auf die damit verbundene Effizienz- und Kontrollprobleme - wozu auch rechtsstaatliche Unkosten zählen - in Frage zu stellen. Insgesamt hoffe ich, daß die Tagung dazu beiträgt, aus der japanischen und deutschen Sicht Wissensdefizite über den Umgang mit Strafrecht in der modernen Gesellschaft zu kompensieren.
6
Dazu Kühne, Das Paradigma der inneren Sicherheit: Polizeiliche Möglichkeiten Rechtsstaatliche Grenzen, Leipziger Jur. Vorträge 1998, S. 14 ff.
Vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht Ein Paradigmawechsel im moralischen Anspruch?* Von Bernd Schünemann
I. Vorbemerkungen Die flir einen Vortrag exzeptionelle Weite des mir gestellten Themas zwingt mich zu drei Vorbemerkungen. Ich kann erstens in der knapp bemessenen Zeit beim besten Willen nicht mehr als einen Torso bieten. Ich kann dabei zweitens in meinen Überlegungen nur selten konkret werden und meistens über allgemeine und deshalb sehr unanschauliche Urteile nicht hinauskommen. Was die Auseinandersetzung mit dem Schrifttum anbetrifft, so muß ich mich drittens weitgehend auf die durch ihr früheres oder gegenwärtiges Wirken im Frankfurter Kriminalwissenschaftlichen Institut definierte Kriminalistengruppe beschränken, die bei manchen Unterschieden im einzelnen eine so große Homogenität in ihren Grundüberzeugungen und Grundpositionen aufweist und damit die kriminalpolitische Diskussion der letzten Jahre so enorm dominiert hat1, daß ihre inzwischen eingebürgerte Bezeichnung als Frankfurter Schule berechtigt und ihre Anerkennung als Meinungsführerin auf dem von mir zu beackernden Feld unbestreitbar ist. Und weil es Eulen nach Athen, Bier nach München oder Sake nach Kansai tragen hieße, wenn ich die in zahllosen Beiträgen immer wieder entfalteten und dabei häufig nur geringfügig abgewandelten Positionen der Frankfurter Schule auch in den vielen Punkten, in denen sie meine Zustimmung findet, hier nur abermals referieren würde, konzentriere ich mich auf die Zonen des Dissenses. Es hat also
* Der dem Charakter des Textes als einer Streitschrift gemäße Vortragsstil wurde bewußt beibehalten. 1 Eine gewisse Bündelung der in ihrer Vielfalt kaum noch übersehbaren Frankfurter Arbeiten zur Kriminalpolitik findet sich in dem Sammelband „Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts' 4, hrsg. vom Institut flir Kriminalwissenschaften Frankfurt a.M. 1995. Ferner sind die von Frankfurter Wissenschaftlern stark beeinflußten Vorschläge zweier Gesetzgebungskommissionen zu nennen, nämlich P.-A. Albrecht u.a. (Hrsg.), Strafrecht - ultima ratio, 1992, und P.-A. Albrecht/Hassemer/Voß (Hrsg.), Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung, 1992.
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Bernd Schlinemann
sachliche und nicht etwa idiosynkratische Gründe, wenn ich nachfolgend gerade die prononciertesten Elemente des Frankfurter Credos zum Gegenstand einer kritischen Überprüfung wähle.
II. Tendenzwende in Gesetzgebung und Rechtsprechung? 1. Die Formulierung meines heutigen Themas stellt unsere geläufigen Vorstellungen vom Strafrecht so sehr auf den Kopf, daß sie auf den ersten Blick geradezu paradox wirkt. Denn „die Überrepräsentierung der sozioökonomisch unteren und untersten Schichten" beim abweichenden Verhalten und speziell „innerhalb der (mehrfach) zu Freiheitsstrafen verurteilten Personen gehört" in den Worten Eisenbergs „zu den wenigen Merkmalen" des Verbrechens, „die gewissermaßen zeitübergreifend festgestellt wurden" 2. Auch als moralisches Postulat würde die Forderung einer Umwandlung des Unterschichtsstrafrechts in ein Oberschichtsstrafrecht auf eine enorme Verengung hinauslaufen und deshalb überspitzt wirken, weil der Oberschichtanteil in der deutschen Bevölkerung bei Heranziehung der in der Soziologie heute weithin anerkannten Schichtindikatoren nur etwa 2 % und damit lediglich den zehnten Teil der Größe der Unterschicht ausmacht3. Ein auf die Oberschicht konzentriertes Strafrecht wäre aber nicht nur aus diesem quantitativen Grunde marginal, sondern auch aus dem weiteren qualitativen Grunde, daß es sich bei der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland wie auch so gut wie aller entwickelten Industriestaaten in den Worten Schelskys um eine „nivellierte Mittelstandsgesellschaft" handelt4 und daß gerade das Recht eine typische Mittelschichtorientierung aufweist5. Aber diese Paradoxien und Überspitzungen lösen sich sofort auf, wenn die Entgegensetzung von Unterschichtsstrafrecht und Oberschichtsstrafrecht nicht als ein Entweder-Oder, sondern als eine Markierung unterschiedlicher Tendenzen und Schwerpunktbildungen verstanden wird. Denn es läßt sich gar nicht leugnen, daß die unteren Schichten der Gesellschaft und das für sie typische Verhalten seit der Geburt des modernen Strafrechts bis heute das bevorzugte Objekt sowohl der strafrechtlichen Tatbestandsbildung als auch der praktischen Strafrechtspflege gebildet haben, während seit einigen Jahrzehnten auf beiden Gebieten jedenfalls in der Oberflächenstruktur eine Tendenzwende zu registrieren ist, die mehr und mehr die Mittelschicht, dabei zunehmend die obere Mittelschicht und teilweise sogar die Oberschicht, in den Brennpunkt der
2
Eisenberg, Kriminologie, 4. Aufl. 1995, 1193. K. M. Boite/ S. Hradil, Soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl 1988, 97; Röhl, Rechtssoziologie, 1987, 340. 4 H. Schelsky, Auf der Suche nach Wirklichkeit, Neuausgabe 1979. 5 Röhl (Fn. 3), 342. 3
Vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht
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Strafgesetzgebung und der Strafverfolgungstätigkeit gerückt hat. In der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit kann ich diesen Vorgang hier nicht erschöpfend beschreiben, sondern nur an einigen Beispielen verdeutlichen, die ich schlaglichtartig herausgreife. 2. a) Aus der Gesetzgebung möchte ich hierzu die vier Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Umweltkriminalität sowie aus allerneuester Zeit das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 nennen, ferner auch den Einigungsvertrag mit der in ihm getroffenen Entscheidung zur strafrechtlichen Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität 6. Es geht darin teils primär, teils ausschließlich um die Schaffung, Erweiterung oder Vorverlagerung von Straftatbeständen, in denen sozialschädliches Verhalten der oberen Mittelschicht oder Oberschicht erfaßt wird, bis hin zur sogenannten Makrokriminalität der staatlichen Machthaber 7 selbst. b) Neben dieser Neuorientierung der Gesetzgebung darf ferner die Hinwendung zum Oberschichtsstrafrecht in der deutschen Rechtspflegepraxis der letzten Jahre nicht übersehen werden. Als Beispiele nenne ich dazu die Prozesse in der Parteispendenaffäre 8, die systematische Verfolgung des Abrechnungsbetrugs bei Ärzten 9 und der Submissionsabsprachen in der Baubranche 10, die
ö Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 29.7.1976, BGBl. I 2034; Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität vom 15.5.1986, BGBl. I 721; Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 28.3.1980, BGBl. I 373; Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27.6.1994, BGBl. I 1440; Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13.8.1997, BGBl. I 2038. Die Entscheidung zur Verfolgung der DDR-Regierungskriminalität ist nicht explizit ausgesprochen worden, findet sich aber implizit in der Regelung von Art. 315 EGStGB und der Ablehnung der Amnestievorschläge, dazu Zielcke, KJ 1990, 460 ff.; Jäger, KJ 1990, 467 ff.; Schätzler, NJ 1995, 57 ff.; Hillenkamp, JZ 1996, 179 ff. m.w.N. 7 Zur Kontroverse, ob es sich bei der Makrokriminalität um „echte" Kriminalität handelt, s. einerseits die Nachw. u. in Fn. 72, andererseits Müller-Dietz, NStZ 1993, 57, 63 f.; Walter, KrimJ 1993, 117 ff.; Frehsee, KrimJ 1991, 25 ff.; Scheerer in: Kaiser/Kerner/Sack/Schellhoss (Hrsg.), Kleines kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1993, 246 ff. m.w.N. 8 Dazu de Boor/Pfeiffer/Schiinemann (Hrsg.), Parteispendenproblematik, 1985; BGHSt 37, 266. 9 Ehlers, FS für Schüler-Springorum, 1993, 163; Hellmann, NStZ 1995, 232, 233; Salditi, StV 1990, 151. 10 Weichenstellend BGHSt 38, 186; zustimmend etwa Baumann, NJW 1992, 1661 ff.; Tiedemann, ZRP 1992, 149 ff.; Otto, ZRP 1996, 300 ff. (aus der Sicht der personalen Vermögenslehre); Satzger, Der Submissionsbetrug, 1994, passim; ablehnend Hefendehl JuS 1993, 805 ff.; Joecks, wistra 1992, 247 ff.; Mitsch, JZ 1994, 877, 888 f.; für den Eingehungsbetrug auch Cramer , Zur Strafbarkeit von Submissionsabsprachen in der Bauwirtschaft, 1995, 11 ff.; zu der sich daran anschließenden, äußerst rigiden Ermittlungspraxis Volk, NJW 1996, 879 ff.
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Bernd Schnemann
scharfe Rechtsprechung zur strafrechtlichen Produkthaftung 11, die flächendekkenden Durchsuchungen bei Großbanken zur Aufdeckung von Steuerhinterziehungen der Reichen12 und schließlich die Prozesse gegen die Sportstars und ihre Familien als neuen Teil der Oberschicht der Mediengesellschaft, greifbar in den Verfahren gegen Steffi Graf und ihren Vater, gegen Boris Becker und gegen den Vater von Gerhard Berger 13 . 3. Liegt darin aber nun wirklich eine Tendenzwende auch in der Tiefenstruktur unseres Strafrechts, wäre sie mit dem Schlagwort vom „Oberschichtsstrafrecht" zutreffend charakterisiert, und könnte sie überhaupt das halten, was sie im Interesse des Rechtsgüterschutzes verspricht ? Das läßt sich auf vier unterschiedlichen Ebenen bezweifeln, indem man erstens die moderne Entwicklung überhaupt als eine Perversion des Strafrechts in seinem eigentlichen Begriffe versteht oder darin zweitens eine aus strafrechtsinternen Gründen völlig wirkungslose und deshalb sinnlose, rein symbolische Demonstration erblickt oder drittens mildere Maßnahmen auf anderen Rechtsgebieten fur ausreichend und deshalb vorzugswürdig hält oder schließlich viertens das alleinige Vorprellen des Strafrechts bei anhaltender Rückständigkeit der anderen Rechtsgebiete aus strafrechtsexternen Gründen letztlich für chancenlos erachtet. Lassen Sie mich diese vier Ebenen nacheinander betrachten.
11 Grundlegend BGHSt 37, 106 ff. (Lederspray-Urteil), ebenfalls mit äußerst kontroversen Rezensionen; zustimmend etwa Brammsen, Jura 1991, 533 ff.; ebenso Kuhlen, NStZ 1990, 566; krit. Samson, StV 1991, 182 f f ; Puppe, JR 1992, 27, 32; Hilgendorf, NStZ 1994, 561 f f ; Schünemann in: Breuer u.a. (Hrsg.), Umweltschutz und technische Sicherheit im Unternehmen, 1993, 144 ff.; ders. in: Gimbernat/Schünemann/Wolter (Hrsg.), Internationale Dogmatik der objektiven Zurechnung und der Unterlassungsdelikte, 1995, 67 ff. 12 Krekeler/Schütz, wistra 1995, 296 ff.; Bilsdorfer, INF 1994, 383 ff.; Otto, StV 1994, 409 f f ; Trzaskalik, DB 1994, 50 ff.; BVerfG NJW 1994, 2079 ff.; BVerfG wistra 1995, 139 f f Bemerkenswert ist hierbei, daß die Strafverfolgung hier wie in den in den vorstehenden Fußnoten angeführten Fällen gegen einen starken, mit Hilfe von Strafrechtsgutachten organisierten Juristischen" Widerstand der Betroffenen durchgesetzt wurde, vgl. zur Parteispendenaffäre die Analyse bei Ipsen und Schünemann in: Parteispendenproblematik (Fn. 8), 12, 41 f. m. Fn. 16 f., 60 m. Fn. 64; zu den Submissionsabsprachen beispielhaft Lüderssen, BB 1996, Beilage 11, 1 ff.; ders., wistra 1995, 243 ff. und Cramer , Zur Strafbarkeit von Submissionsabsprachen in der Bauwirtschaft, 1995; zur Produkthaftung Hassemer, Produktverantwortung im modernen Strafrecht, 1996, und zum Fall der Großbanken ebenfalls Hassemer, wistra 1995, 41 ff. 13 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 29.7.1998, 3 und vom 31.7.1998, 2; LG Stuttgart 14 KLs 15/95.
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III. Die Chimäre des klassischen Strafrechts sowie die Notwendigkeit und Formen seiner Modernisierung 1. Es ist im Anschluß an die Arbeiten der Frankfurter Schule üblich geworden, dem heutigen Strafrecht das Etikett des sozialen Interventionsstaates umzuhängen und ihm ein irgendwie in der Aufklärungszeit domiziliertes klassischliberales Strafrecht gegenüberzustellen 14. Daß diese Entgegensetzung in historischer Hinsicht äußerst zweifelhaft ist, habe ich schon früher kritisiert 15 und wird etwa auch von Hassemer eingeräumt, wenn er das klassisch-liberale Strafrecht nicht als eine historisch reale Epoche, sondern als ein theoretisches Ideal begreifen will 1 6 ; Lüderssen hat insoweit sogar von der „Beschwörung einer Utopie" gesprochen17. Noch wichtiger ist mir im Zusammenhang meines heutigen Themas, daß die Gegenüberstellung des modernen und des vorgeblich klassischen Strafrechts zu kurz greift und dadurch die Einseitigkeiten gerade auch des in der Frankfurter Schule so bezeichneten klassischen Strafrechts unkenntlich macht. Sowohl bei den Anfängen des staatlichen Strafrechts in der Gottes- und Landfriedensbewegung des Hohen Mittelalters 18 als auch beim zweiten Modernisierungsschub im Strafrecht der italienischen Städte des ausgehenden Mittelalters 19 war die Stoßrichtung des Strafrechts deutlich gegen jene antiquierten Schichten der Gesellschaft gerichtet, die sich an deren Modernisierung nicht anpassen wollten oder konnten, indem sie etwa auf dem ehemaligen Fehderecht im Widerspruch zu der sich nach innen befriedenden Gesellschaft beharrten oder in der entstehenden städtischen Gesellschaft ohne ökonomische Basis dahinvegetierten. Das staatliche Strafrecht ist also entstanden als ein spezifisches Instrument gegen die Abenteurer- und Elendskriminalität, und daran hat auch die Epoche der Aufklärung nicht das mindeste geändert. Denn damals sind zwar die Hexen- und Ketzerverbrennungen sowie die Folter und damit die übelsten
14 Naucke in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik, 1987, 15, 18 ff.; ders., KritV 1993, 135 ff.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 379; ders., Produktverantwortung (Fn. 12), 3 f.; Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, 1991, 5 ff.; Herzog, KritV 1993, 247 ff.; P.-A. Albrecht, KritV 1988, 182 ff.; ders., KritV 1993, 162 ff.; ders., NJ 1994, 193 ff. 15 GA 1995,201 ff. 16 Hassemer, ZRP 1992, 379 = ders., Produktverantwortung, 3 f. 17 In: Abschaffen des Strafens?, 1995, 384. 18 Dazu Gernhuber, Die Landfriedensbewegung in Deutschland bis zum Mainzer Landfrieden von 1235, 1952, passim. ig Dazu Dahm, Untersuchungen zur Verfassungs- und Strafrechtsgeschichte der italienischen Stadt im Mittelalter, 1941; Lüderssen, Die Krise des öffentlichen Strafanspruchs, 1989, 47 ff. m.w.N.
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Bestialitäten aus dem Bereich des Strafrechts eliminiert worden 20 , aber der Diebstahl als damals schon zentrales Delikt der Unterschicht wurde beibehalten und in der Zeit der Restauration in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Forstdiebstahlsgesetze sogar noch ausgebaut21. Der Schutz des Privateigentums an beweglichen Sachen gegen Diebstahl ist deshalb der archimedische Punkt des klassischen Strafrechts gewesen und hat bis heute den Grund dafür abgegeben, daß die in erster Linie durch ihren fehlenden Besitz und ihr allenfalls geringes Einkommen charakterisierten Angehörigen der Unterschicht die bevorzugte Klientel der Strafrechtspflege abgeben oder, weniger euphemistisch formuliert, sowohl in der Kriminalstatistik als auch in den Strafanstalten erheblich überrepräsentiert sind 22 . Lassen Sie mich aus der polizeilichen Kriminalstatistik 1996 zitieren, daß der Diebstahl insgesamt 55,3 % der registrierten Kriminalität ausmacht, und wenn wir den gemeinen Betrug und Sachbeschädigung mit jeweils knapp 10 % sowie die Körperverletzung mit über 3 % als zwar nicht absolute, aber doch weit überwiegende Unterschichtsdelikte sowie Ausländerstraftaten und Rauschgiftdelikte als weitere Subkulturphänomene hinzunehmen, so sind wir bei weit über 80 % an typischen Unterschichts- und Subkulturdelikten 23 bei einem numerischen Anteil der Unterschicht an der Gesamtbevölkerung von etwa 22 % 2 4 . In der Strafrechtsreform des Jahres 1969 hat man noch einmal draufgesattelt, indem der bis dahin als bloße Übertretung ausgestaltete Mundraubtatbestand nicht etwa in eine Ordnungswidrigkeit, sondern in ein Vergehen verwandelt wurde 25 , und die Vorschläge der 70er Jahre, den dadurch also hochkriminalisierten Ladendiebstahl zu entkriminalisieren, sind schon auf dem deutschen Juristentag 1976 an einer Phalanx aus der Justiz und den Syndici des Einzelhandels gescheitert 26.
20 Vgl. Thomasius, Über die Folter, neu hrsg. von Lieberwirth, 1960; Helbing/Bauer, Die Tortur, 2. Aufl. 1962, 317 ff.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, 209 ff., 269 ff. 21 Dazu nach wie vor lesenswert der Artikel von Karl Marx in der Rheinischen Zeitung zu den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz, in: Karl Marx, Frühe Schriften (hrsg. v. Hans-Joachim Lieber/Peter Furth), Bd. I, 1962, 208 ff.; siehe ferner Blasius, Bürgerliche Gesellschaft und Kriminalität, 1976. 22 Göppinger, Kriminologie, 5. Aufl. 1997, 252 ff.; Eisenberg, Kriminologie, 4. Aufl. 1995, 1193 f. 23 Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik BRD - Berichtsjahr 1996-1997, 20. 24 Röhl (Fn. 3), 340. 25 Bei der Abschaffung der Übertretungen im 2. Strafrechtsreformgesetz, BGBl. 1969 1,717. 26 Vgl. Baumann, ZRP 1976, 268; Weber, JZ 1976, 727, 731 und die Würdigung der Beschlüsse des 51. DJT (mitgeteilt in NJW 1976, 2009) als „mager" (NJW 1976, 2005), „erstaunlich" (K.-P. Schroeder, JuS 1977, 348, 350) bzw. „Mäusezwerg" (Baumann, ZRP 1976, 268).
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Natürlich sind Ihnen diese Zusammenhänge und Zahlen bekannt, aber ich muß sie hier noch einmal wiederholen, um zu verdeutlichen, warum ich die Frankfurter Begeisterung fur das klassische Strafrecht, dessen gesellschaftliche Realität an diesen Früchten zu erkennen ist, nicht so recht zu teilen vermag. Man wende auch nicht ein, daß die schichtspezifische Selektion des klassischen Strafrechts quasi erst eine nachträgliche und von seiner Essenz zu trennende Verirrung sei, denn das liberale Strafrecht war das Pendant zum liberalen Eigentumsbegriff und der darin angelegten Heiligsprechung einer in Wahrheit nach dem Recht des Stärkeren zustandegekommenen, in seiner materiellen Gerechtigkeit indiskutablen Güterverteilung 27, wie wir sie in unverblümter Form jüngst wieder bei Nozick finden 28 , einem wahrlich verblüffenden Eideshelfer der Frankfurter Schule. Um nicht falsch verstanden zu werden, möchte ich ausdrücklich betonen, daß es mir keinesfalls darum geht, bis auf Proudhon und Karl Marx zurückzugehen und die Schutzwürdigkeit des Privateigentums allgemein oder speziell desjenigen an Produktionsmitteln zu bestreiten. Vielmehr geht es mir um eine Frage der Gleichheit und damit der Gerechtigkeit, die es verbietet, die Eigentumsverletzung zum Angelpunkt der mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfenden Sozialschädlichkeit zu nehmen, dagegen die Sozialschädlichkeit des EigenUimsenverbs und -gebrauchs aus dem strafrechtlichen Kontrollbereich herauszulassen. In der Tat erweist sich ein großer Teil der Neukriminalisierung der letzten 25 Jahre, wenn man einmal durch die Pulverschwaden des Trommelfeuers der Kritik blickt, die überwiegend in Frankfurt am Main erdacht wurde, aber weit darüber hinaus Resonanz gefunden hat, als der jedenfalls im Ausgangspunkt beachtliche Versuch, sozialschädliche Handlungen auch beim Eigentumsgebrauch mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen. Und diese Zielrichtung bedeutet gewissermaßen von selbst eine Tendenzwende vom Unterschichtsstrafrecht zum Strafrecht der Mittelschicht, oberen Mittelschicht und Oberschicht, indem nunmehr nicht nur das subkulturelle Dahinvegetieren der Abenteurer und Elenden am unteren Rand der Gesellschaft, sondern auch die Profitmaximierung des ökonomischen Subsystems der Gesellschaft der Idee nach auf ihre Sozialverträglichkeit hin umfassend mit den Mitteln des Strafrechts kontrolliert wird. 2. Diese Zwischendiagnose leitet nun aber sofort zu der weiteren, in Frankfurt kategorisch verneinten Frage über, ob das Strafrecht denn überhaupt auf diesem Feld etwas zu leisten vermag, widrigenfalls sein Einsatz mangels Eig27 Notabene gemünzt auf die Güterverteilung im liberalen Staat des 19. Jahrhunderts, in dem Proudhons Formel vom „Eigentum als Diebstahl" ein im Sozialstaat kaum noch begreifbares Fanal bedeutete, vgl. statt vieler nur Richard Wagner, Deutschland und seine Fürsten, 1848. 28 Anarchie, Staat, Utopia, dt. 1976, 157 ff.
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nung eo ipso unverhältnismäßig und damit ungerecht wäre. Betreffen die Neukriminalisierungen nicht wirklich, wie die Frankfurter Schule geltend macht, rein syste-mische Zusammenhänge, denen das Individuum praktisch hilflos und ohne eigentliche Steuerungspotenz ausgeliefert ist und gegenüber denen das an individuelles Handeln anknüpfende Strafrecht notwendig versagen muß, so daß sein Einsatz ein nicht nur nutzloses, sondern durch seine gleisnerische Beschwichtigungswirkung sogar schädliches, rein symbolisches Strafrecht schafft? 29 Peter-Alexis Albrecht hat den jüngsten Kriminalisierungsreformen vier gesellschaftliche Problemzonen zugeordnet und diese wie folgt charakterisiert: „1. Die sozialen Folgen einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft in nahezu geschlossene Interessensphären, so das beherrschende Kosten-NutzenDenken des Wirtschaftssystems, das die Interessen anderer Sphären vernachlässigt (strafrechtlich erfaßt als Wirtschafts- oder Umweltkriminalität). 2. Weltgesellschaftliche Wohlstandsdiskrepanzen, die sich in Drogenelend und Menschenhandel niederschlagen. 3. Sozio-ökonomische oder politische Konfliktlagen, die in Gewaltkriminalität oder Terrorismus fuhren. 4. Eine ökonomisch angetriebene Wissenschafts- und Technikentwicklung, die zu unkalkulierbaren Risiken fuhrt (Umweltkriminalität, Gen- oder Embryonenmißbrauch)" 30. Daß die Bemühungen des Gesetzgebers um eine Einwirkung auf diese Problemfelder mit den Mitteln des Strafrechts aussichtslos und verfehlt seien, begründet Albrecht in fugenloser Übereinstimmung mit anderen Frankfurter Autoren damit, daß sie auf den sinnlosen, rein symbolischen Einsatz des auf individuellen Zurechnungszusammenhängen basierenden Strafrechts auf dem Feld komplexer gesellschaftlicher Verursachungszusammenhänge hinausliefen, obwohl dem Individuum nicht Systemprobleme zugerechnet werden dürften, die sich einem schlichten Ursache-Wirkungs-Zusammenhang entzögen, ebenso wie sich gesellschaftliche Systemwidersprüche nicht im Gerichtssaal abhandeln ließen (S. 434); das Strafrecht werde dadurch von der Politik funktionalisiert (S. 435 f.) und durch diese Funktionalisierung und Instrumentalisierung permanent überfordert (S. 438). 3. Wenn die von mir an dieser Stelle zur Abwechslung einmal durch Albrecht personalisierte Frankfurter Schule Recht hat, wäre die Tendenzwende zum Oberschichtsstrafrecht also eine bloße Sackgasse, durch deren Beschreitung lediglich die Ohnmacht der politischen Klasse zur Lösung der eigentlichen gesellschaftlichen Probleme verdeckt werden sollte. Lassen Sie mich dies an 29 Hassemer, ZRP 1992, 378 ff.; Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, 1991, 109 ff.; Hohmann (Fn. 14), 136 ff.; zur Problematik des symbolischen Strafrechts grundlegend Voss, Symbolische Gesetzgebung, 1989; Hassemer, NStZ 1989, 553 ff.; ferner Haffke, KritV 1991, 165 ff.; zum Begriff Schmehl, ZRP 1991,251 ff. 30 Vom unmöglichen Zustand (Fn. 1), 433; daselbst auch die nachfolgenden Zitate im Text.
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Hand der von Albrecht gebildeten Deliktsgruppen ein wenig unter die Lupe nehmen. a) Die von Albrecht gebildete erste Gruppe, die Wirtschafts- und Umweltkriminalität, hat den deutschen Gesetzgeber in den letzten zwei Jahrzehnten so intensiv beschäftigt wie keine andere Deliktsgruppe. Der Gesetzgeber hat hier auch nichts übers Knie gebrochen, sondern von renommierten Sachverständigenkommissionen umfangreiche Vorarbeiten leisten lassen und an diese angeknüpft, als er das 1. und 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität von 1976 und 1986 sowie das 1. und 2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität von 1980 und 1994 schuf 31. Trotz dieser ungewöhnlichen Anstrengungen und trotz der international weithin anerkannten Vorreiterrolle des deutschen Wirtschafts- und Umweltstrafrechts hat sich die Kritik der Frankfurter Schule aber gerade an diesen beiden Materien festgebissen, wobei die Zahl der Aufsätze und Monographien vor allem von Hassemer und in seinem Kielwasser von Herzog, Hohmann, Müller-Tuckfeld und anderen inzwischen fast unüberschaubar geworden ist 32 . Als Hauptkritikpunkte werden dabei die Auflösung des liberalen Rechtsgüterschutzprinzips durch die beliebige Erfindung kollektiver Rechtsgüter sowie die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch abstrakte Gefährdungsdelikte vorgebracht. Die Kreativität der Frankfurter Strafrechtsschule erschöpft sich aber bei weitem nicht in diesen beiden Großoffensiven auf die beiden Paradestücke unseres modernen Strafrechts, sondern entfaltet ihre stets gleichbleibende Grundposition, die ich einmal als „Kassandra des Rechtsstaates" charakterisieren möchte, auf dem gesamten Feld des Strafrechts und Strafprozeßrechts in einer so bewunderungswürdigen Vielfalt, daß ich in der zeitlichen Beschränktheit meines heutigen Vortrags nur noch ein einziges weiteres Beispiel herausgreifen kann, fur das ich die Kritik Hassemers an der vom Bundesgerichtshof im Lederspray-Urteil 33 für die strafrechtliche Produkthaftung entwickelten Variante der Kausalitätshaftung durch bloßen Ausschluß anderweitiger Ursachen erwähnen möchte 34 . Denn hieran läßt sich ein typischer Zug der an der Modernisierung des Strafrechts geübten Kritik aufweisen, der in der
31 Vgl. den Schlußbericht der Sachverständigenkommission zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität - Reform des Wirtschaftsstrafrechts - (hrsg. v. Bundesministerium der Justiz), 1980; Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe „Umwelthaftungsund Umweltstrafrechr' vom 19.12.1988; femer die Deutschen Juristentage 1972 und 1988 mit Gutachten von Tiedemann und Heine/Meinberg. 32 Vgl. nur Hassemer, NStZ 1989, 557 f.; ders., ZRP 1992, 378 ff.; ders., in: Scholler/Philipps (Hrsg.), Jenseits des Funktionalismus, 1989, 85 ff.; Herzog (Fn. 29), 109 ff.; Hohmann (Fn. 14), 179 ff.; Müller-Tuckfeld u.a., in: Vom unmöglichen Zustand (Fn. 1), 461 ff, P.-A. Albrecht, KritV 1993, 163, 166 ff. 33 BGHSt 37, 106 ff. 34 BGHSt 37, 106, 133; bestätigt in der Holzschutzmittel-Entscheidung BGHSt 41, 206
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Formulierung von rigiden Legitimitätsbedingungen besteht, die in der Praxis des klassischen Strafrechts kein Gegenstück hatten. Wenn Hassemer gegenüber der Auffassung des Bundesgerichtshofs insistiert, „daß das Kausalitätsurteil im Strafrecht (nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung) die Kenntnis der einschlägigen empirischen Gesetze" voraussetze, ohne die eine Entscheidung in dubio pro reo geboten sei (S. 44) 3 5 , so sticht diese rechtsstaatliche Penibilität in einer Spezialfrage, die typischerweise in Strafprozessen gegen die obere Mittelschicht oder gar die Oberschicht relevant wird, markant gegen die sonst übliche Laxheit der Beweisanforderungen etwa bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen ab, die das tägliche Brot der Prozesse gegen die Unterschicht und die untere Mittelschicht bildet 36 . Übrigens läßt sich sogar bei dem gewissermaßen bis zur letzten kriminalpolitischen Patrone ausgefochtenen Kampf um den sog. Großen Lauschangriff 37 eine schichtspezifische Zuspitzung der rechtsstaatlichen Rigiditätspostulate feststellen, denn was dem aus der oberen Mittelschicht oder der Oberschicht stammenden Täter der Schutz durch seine Villa bedeutet, in der er den Deliktsplan ausheckt, wäre fur den Unterschichtsangehörigen, dessen kriminelle Aktivität meistens in mit Under-Cover-Agenten überfüllten Kaschemmen abgehandelt wird, cum grano salis der Schutz durch eine in allen Strafverfahren ausnahmslos notwendige Verteidigung, dessen Fehlen38 meines Wissens aber bisher von niemandem als rechtsstaats- und damit verfassungswidrig beanstandet worden ist. b) Natürlich ist da schon die Grundsatzkritik an der Inflationierung kollektiver Rechtsgüter und abstrakter Gefährdungsdelikte ein anderes, weitaus gewichtigeres Kaliber. Aber auch die darauf gestützte Generalabrechnung mit dem modernen Wirtschafts- und Umweltstrafrecht 39 überzeugt nicht, denn sie leidet
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Produktverantwortung (Fn. 12), 40, 44. Vgl. nur Barion (Hrsg.), Redlich aber falsch, 1995; Steller/Volbert (Hrsg.), Psychologie im Strafverfahren, 12 f f ; Meurer/Sporer (Hrsg.), Zum Beweiswert von Personenidentifizierungen, 1990; Sporer/Meurer (Hrsg.), Die Beeinflußbarkeit von Zeugenaussagen, 1994; Zacharias, Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, 1997, 47 f f ; Wegener/ Lösel/Haisch, Criminal Behavior and the Justice System, New York 1989, 211 ff. 37 Raum/Palm, JZ 1994, 447 ff.; Welp, StV 1994, 161, 163 ff.; Βöttger/Pfeiffer, ZRP 1994, 7 ff.; Frister, StV 1996, 455 ff.; Staechelin, ZRP 1996, 430 ff; Lorenz, GA 1997, 51 f f und nunmehr das Gesetz vom 26.3.1998 (BGBl. 1610). 38 Die notwendige Verteidigung gemäß § 140 i.V.m. § 141 Abs. 1 StPO ist erst bei einer Anklage zum Landgericht lückenlos, so daß die große Masse der amtsgerichtlichen Prozesse und vor allem auch die später zu einer Landgerichtsanklage führenden Ermittlungsverfahren bei Beschuldigten aus den unteren Schichten regelmäßig ohne Verteidiger ablaufen. 39 Vgl. die Nachweise in Fn. 32, aber etwa auch die abgewogenen Überlegungen bei Hirsch, in: Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen im deutschjapanischen Vergleich, 1995, 11, 19 f f ; ders., FS f. Hyung Kook Lee, Seoul 1998, 939 ff. 36
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an einer unzulänglichen analytischen Klärung des Verhältnisses von Rechtsgut und Deliktsstruktur, an einer perspektivischen Verengung des Rechtsgutsbegriffs auf die Interessen der gerade lebenden Mitglieder einer bestimmten Gesellschaft und schließlich an einer Verhaftung in ungenauen Allgemeinbetrachtungen anstelle der notwendigen konkreten kriminalpolitischen Bestandsaufnahme. aa) Die Kategorie des abstrakten Gefährdungsdelikts, bei dem eine bestimmte Handlung allein schon wegen des in ihr typischerweise steckenden Risikopotentials bestraft wird, bezeichnet nur dann in analytisch präziser Weise eine Vorstufe zum konkreten Gefährdungsdelikt und damit auch zum Verletzungsdelikt, wenn es um ein Rechtsgut geht, dessen anschließende Verletzung sinnlich wahrgenommen werden kann. In diesem Sinne läßt sich etwa sagen, daß eine Trunkenheitsfahrt eine abstrakte Gefährdung für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer bedeutet, weil es beim typischen Verlauf der Dinge anschließend zu einem Unfall und damit zur Verletzung anderer kommt. Wenn das Rechtsgut dagegen in kollektiven Bewußtseinszuständen, Verständigungshorizonten oder Interaktionsvoraussetzungen besteht, so macht die Unterscheidung zwischen Gefährdung und Verletzung keinen Sinn, weil eine einzige Handlung normalerweise das kollektive Gebilde weder sofort noch im weiteren Kausalverlauf meßbar zu beeinträchtigen vermag, andererseits aber durch die in ihr manifestierte Ablehnung der vom Kollektivrechtsgut ausgehenden Verhaltensanforderungen allemal schon für sich selbst dessen Beeinträchtigung auf der symbolischen Ebene bedeutet. Die gängige Kritik am Einsatz abstrakter Gefährdungsdelikte zum Schutz kollektiver Rechtsgüter 40 läuft deshalb auf einen Pleonasmus hinaus, an dessen Stelle eine detaillierte Analyse der Struktur kollektiver Rechtsgüter, ihrer Beeinträchtigungsbedingungen und ihrer strafrechtlichen Schutzwürdigkeit auf der einen Seite sowie auf der anderen Seite eine Theorie des kriminalpolitischen Bedürfnisses und der verfassungsrechtlichen Legitimierbarkeit der Vorverlagerung des Schutzes konkret-gegenständlicher Rechtsgüter durch abstrakte Gefährdungsdelikte treten muß. bb) Eine Theorie kollektiver Rechtsgüter, die über allgemeine Betrachtungen hinausfuhrt und die ganze Fülle des in den Straftatbeständen dazu vom Gesetzgeber ausgebreiteten Materials verarbeitet, existiert bis heute nicht 41 . Im Grundsatz möchte ich mich hier der Frankfurter Kritik an der vom Gesetzgeber quasi nach Lust und Laune vorgenommenen Hypostasierung kollektiver Rechtsgüter ausdrücklich anschließen und die pragmatische Maxime formulieren, daß ein 40
Nachweise in Fn. 32. Vgl. aber in Kürze grundlegend die Münchener Habilitationsschrift (1999) von Hefendehl, Grund und Grenzen des Schutzes kollektiver Rechtsgüter im Strafrecht. 41
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Straftatbestand im Zweifel als ein abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutz konkret faßbarer Rechtsgüter, regelmäßig also individueller Rechtsgüter, und nicht als ein Delikt zum Schutz kollektiv-institutioneller Rechtsgüter zu interpretieren ist. Treffliche Beispiele bieten der Versicherungsmißbrauch des § 265 StGB und der Kreditbetrug des § 265 b StGB. Wenn die herrschende Meinung für den Tatbestand des Kreditbetruges in § 265 b das „Funktionieren der Kreditwirtschaft" 42 und beim Tatbestand des Versicherungsbetruges in § 265 die „Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft" 43 als geschütztes Rechtsgut angibt, so ist dagegen einzuwenden, daß die Leistungsfähigkeit der Kredit- und Versicherungswirtschaft nichts anderes ist als die Summe der Leistungsfähigkeit und damit also des Vermögens der einzelnen Kredit- oder Versicherungsinstitute. Weil das angebliche kollektiv-institutionelle Rechtsgut also nichts anderes als die Klasse der individuellen Rechtsgüter darstellt, macht die kollektive Sichtweise so wenig einen Sinn wie etwa beim Rechtsgut „Leben", welches ebenfalls die Klasse der geschützten einzelnen menschlichen Leben bedeutet und damit zum Leben des einzelnen Menschen in keinem anderen Verhältnis steht als die florierende Versicherungswirtschaft zum Vermögen der einzelnen Versicherung. Es geht mithin in den Fällen der §§ 265 und 265 b StGB richtigerweise um die abstrakte Gefährdung des Vermögens der einzelnen betroffenen Versicherung oder Bank und damit um die Legitimierbarkeit der Vorverlagerung der Strafbarkeit, auf die ich sogleich zu sprechen komme. Vorher möchte ich noch ein weiteres Mißverständnis auf der Rechtsgutsebene richtigstellen, welches dieses Mal allerdings nicht der herrschenden Lehre, sondern der Frankfurter Schule in Gestalt ihrer Kritik am Umweltstrafrecht unterlaufen ist: das Mißverständnis nämlich, die strafrechtlich schutzwürdigen Rechtsgüter im Bereich der Umwelt müßten von den aktuell betroffenen Individuen her funktionalisiert werden, so daß ein rechtswidriger Umweltverbrauch ohne konkrete negative Auswirkungen für die Bevölkerung des betroffenen Gebietes maximal eine Ordnungswidrigkeit begründen könne 44 . Das ist grundfalsch, denn die Erhaltung der Umwelt ist primär eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit zwischen den aufeinander unablässig folgenden menschlichen Generationen, die wie folgt 42 Kießner, Kreditbetrug - § 265 b, 1985, 55 f.; Tiedemann LK, 11. Aufl. 1997, § 265 b, Rdn. 9; D. Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, 1990, 232 f f ; Otto, Die strafrechtliche Bekämpfung unseriöser Geschäftstätigkeit, 1990, 84; ders., Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen Delikte, 5. Aufl. 1998, § 61 III 1; OLG Celle, wistra 1991, 359; Bottke, wistra 1991, 1, 7; Lackner/Kühl, StGB, 22. 1997, § 265 b, Rdn.l; Krey, Strafrecht BT II, 11. Aufl. 1997, § 14, Rdn. 529; Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 25. Aufl. 1997, § 265 b, Rdn. 3. 43 Bleu Strafrecht BT, 12. Aufl. 1983, § 62 I; Lackner LK, 10. Aufl. 1988, § 265, Rdn. 1; ders. (Fn. 42), § 265, Rdn. 1; Otto, Jura 1989, 28; ders., Grundkurs Strafrecht (Fn. 42), § 6 1 1 1 ; D. Geerds (Fn. 42), 260 ff.; Lenckner in: Schönke/Schröder (Fn. 42), § 265, Rdn.l. 44 So dezidiert Hohmann (Fn. 14), 203.
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zu bestimmen ist: Während die erneuerbaren Ressourcen zur freien Verfügung der lebenden Generation stehen und in diesem Sinne als ihr Eigentum angesprochen (und insoweit zum Objekt der in Frankfurt allein bedachten sekundären Verteilungsordnung gemacht) werden können, ist die gerade lebende Generation bezüglich der erschöpfbaren Ressourcen zu deren Schonung für die künftigen Generationen verpflichtet und muß sich deshalb bei deren Nutzung auf einen verhältnismäßigen Anteil beschränken. Weil der Verbrauch einer natürlichen Ressource ferner nicht nur durch die bisher im Zentrum des Umweltstrafrechts stehende Verschmutzung, sondern ebenso sehr durch den schlichten Verbrauch erfolgt, muß die traditionelle Fokussierung auf die Freisetzung von Giften beseitigt und der normale alltägliche Ressourcenverbrauch ganz genauso unter die Limitierung durch die Grundnormen der Verteilungsgerechtigkeit gestellt werden. Die Umweltdelikte sind deshalb den Vermögensdelikten im weiteren Sinne zuzuordnen, und weil es im rechtstechnischen Sinn noch kein Eigentum künftiger Generationen geben kann, bildet die unversehrte, der gegenwärtigen Generation nicht zum Verbrauch freistehende ökologische Ressource in einem gegenständlichen Sinne selbst das geschützte Rechtsgut. Und weil schließlich die heute im globalen Ausmaß ablaufende Zerstörung der natürlichen Ressourcen auf Mord und Raub an künftigen Generationen hinausläuft, bildet der ökologische Raubbau geradezu das Urgestein des Verbrechens 45, dessen Umwandlung in eine bloße Ordnungswidrigkeit in meinen Augen fast eine moral insanity darstellen würde. cc) Die von mir vorhin zitierte pragmatische Regel soll also nicht bedeuten, Rechtsgüter prinzipiell von den lebenden Individuen her zu funktionalisieren, sondern bezeichnet nur die Überflüssigkeit der Hypostasierung eines kollektiven Rechtsgutes, wenn man ohne Schwierigkeiten ein individuelles Rechtsgut aufweisen kann. Mit der im wesentlichen allein für diese Deliktsgruppe sinnvollen Kategorie des abstrakten Gefährdungsdelikts lassen sich dann auch relativ präzise Kriterien für die Legitimität der darin liegenden Vorverlagerung der Strafbarkeitsschwelle erarbeiten, wofür ich schon früher 46 eine vierstufige Prüfung vorgeschlagen habe: Auf der ersten Stufe muß ermittelt werden, wo sich sozusagen die Schaltstationen der sozialen Interaktion befinden, an denen ein wirksamer Rechtsgüterschutz eingreifen muß; auf der zweiten Prüfungsstufe muß sichergestellt werden, daß durch die Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht Verhaltensweisen erfaßt werden, die von den berechtigten Freiheitsansprüchen des Individuums gedeckt sind; auf der dritten Stufe ist der Bestimmtheitsgrundsatz und auf der vierten Stufe der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.
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Dazu näher meine Überlegungen in: Buffalo Criminal Law Review 1 (1997), 175, 180 ff, 190 ff., sowie FS für Triffterer, 1996, 437, 452 ff. 46 GA 1995,213 f.
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Der Tatbestand des Kreditbetruges etwa muß hiernach schon auf der ersten Stufe verworfen werden, weil es bei ihm - anders als beim Kapitalanlagebetrug des § 264a StGB oder beim Inverkehrbringen gesundheitsgefährlicher Lebensmittel - um keine sozial vernetzten Prozesse, sondern um ein individuelles Verhältnis zwischen dem Kreditnehmer und der Bank geht, fur das sich eine Vorverlagerung der Strafbarkeit über die vom strafbaren Betrugsversuch vorgegebene Grenze hinaus nicht rechtfertigen läßt. Die Banken sind auch keine spezifisch schutzlosen Tatopfer, denen man unter viktimologischen Aspekten einen intensiven Strafrechtsschutz angedeihen lassen müßte. Zwar trifft dies auch für die in § 265 StGB durch ein abstraktes Gefährdungsdelikt geschützten Versicherungen zu, aber hier rechtfertigte sich die Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Bereich der Vorbereitungshandlungen zum Betrug fur die alte, auf die Vernichtung von (gegen Feuer versicherten Sachen, also vor allem von) Häusern und Schiffen beschränkte Fassung dadurch, daß sich etwa der Täter, der sein eigenes Haus angezündet hat und danach vor dem Ruin steht, analog den Regeln der actio libera in causa geradezu in eine Zwangslage hineinmanövriert hat, in der die betrügerische Versicherungsmeldung als Tathandlung des Betruges höchstens noch von moralischen Heroen vermieden werden könnte, nicht aber von einem Durchschnittsbürger - zumal der Brand eines Hauses oder das Scheitern eines Schiffes als öffentlicher Vorgang auch nur noch die „Flucht nach vorn" übrig läßt. Hier ist es also die Überschreitung der kriminalpsychologisch entscheidenden Grenze gewesen, die die Pönalisierung der Vorbereitungshandlungen legitimiert hat. Dies hat der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsreformgesetzes 47 freilich in fast schon peinlicher Weise verkannt: Durch die Ausdehnung des § 265 StGB auf den gesamten Bereich der Sachversicherung dürfte zwar die Versicherungslobby zufrieden gestellt worden sein 48 , die Legitimierbarkeit der Strafbarkeitsvorverlagerung in den Vorbereitungsbereich hinein ist dadurch aber vollkommen zerstört worden. Denn die schlichte Beschädigung einer nicht die Lebensgrundlage betreffenden Sache (etwa einer Vase, die als Teil des Hausrates versichert ist) kann leicht verschmerzt werden und ist auch noch kein öffentlicher Vorgang, so daß damit keinesfalls schon der kriminalpsychologische „point of no return" erreicht ist. Da die (in § 265 StGB n.F. zudem auf altruistisches Handeln ausgedehnte!) Absicht der Verschaffung von Versicherungsleistungen in derartigen Alltagssituationen auch mit horrenden Beweisschwierigkeiten überlastet ist, bildet die Neufassung des Tatbestandes des Versicherungsmißbrauchs durch das 6. StrRG geradezu ein Musterbeispiel für eine nicht zu legitimierende, m.E. bereits verfassungswidrige Vorverlagerung der Strafbarkeit. Und zugleich zeigt der Kontrast zu der alten, mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Kriminalisierung durchaus zu vereinbarenden
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6. StrRG vom 26.1.1998, BGBl. I, 164. Im einzelnen dazu Hörnle, Jura 1998, 169, 175 f.
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Tatbestandsfassung, daß man der Eigenart der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht mit einem pauschalen Verwerfungsurteil, sondern nur mit einer subtilen Analyse der konkreten Verbrechensmaterie gerecht werden kann. 4. Das Urteil über die moderne Kategorie der Wirtschafts- und Umweltverbrechen fällt also weitaus differenzierter aus, als es die Frankfurter Pauschalablehnung glauben machen möchte. Ich kann mich in diesem Punkt auch nicht Albrechts normativ-kriminalsoziologischer These anschließen, daß es bei der Wirtschafts- und Umweltkriminalität um die sozialen Folgen einer Ausdifferenzierung der Gesellschaft in nahezu geschlossene Interessenspären (konkret das beherrschende Kosten-Nutzen-Denken des Wirtschaftssystems) und damit um komplexe gesellschaftliche Verursachungszusammenhänge ginge, deren Zurechnung an das Individuum auf eine sinnlose individuelle Zurechnung von Systemproblemen hinauslaufen würde 49 . Mit dem gleichen Recht könnte man auch beim Diebstahlstatbestand von einer individuellen Zurechnung von Systemproblemen sprechen, nämlich der ungleichen Eigentumsverteilung, und letztlich sogar beim Vergewaltigungstatbestand im Hinblick auf die weiterhin vorherrschende sexuelle Mangelwirtschaft der modernen Gesellschaft, die ja unter dem Fanal der verheißenen sexuellen Befreiung in Wahrheit nur die fetischistische Ersatzbefriedigung der Pornographie allgemein verfugbar gemacht hat. 50
IV. Alternativen zum Strafrecht? 1. Auf die weiteren von Albrecht gebildeten Deliktsgruppen brauche ich hier nicht näher einzugehen, weil es teils um Unterschicht- bzw. Subkulturkriminalität geht, wie bei Drogendelikten und Terrorismus, teils abermals um Umweltkriminalität, wie bei der ökonomisch entfesselten Technikentwicklung. Ich wende mich deshalb nunmehr der dritten Ebene zu, auf der ich, fast schon wie in der Fabel vom Hasen und vom Igel, abermals auf eine prononcierte Frankfurter These treffe in Gestalt der bei Lüderssen wie bei Hassemer zu findenden Forderung, anstelle des Strafrechts nebst seinen menschenverachtenden Sanktionen mit einem zugleich milderen und doch wirksameren sog. Interventionsrecht zu arbeiten 51. Leider ist das Konzept dieses neuartigen Instruments, das 49
Albrecht (Fn. 30), 433 f. Wobei notabene die feministische Blickverengung auf die (sadistische) Gewaltkomponente die daneben relevante ökonomische Erklärung zu Unrecht völlig zu leugnen versucht; zu einer soziologisch-ökonomischen Analyse s. die Andeutungen bei Schünemann, GA 1996, 307, 309 f.; ders., FS für Pawlowski, 1997, 275, 298 f., aber auch das Unverständnis bei Lenckner, NJW 1997, 2801. 51 Lüderssen, FS für Arthur Kaufmann, 1993, 487, 492 ff.; Hassemer, Produktverantwortung (Fn. 12), 22 ff. 50
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irgendwo in der Mitte zwischen Ordnungswidrigkeitenrecht, Strafrecht und Verwaltungsrecht angesiedelt werden soll, bis heute völlig verschwommen geblieben. Es existiert ja seit Jahrhunderten ein Interventionsrecht in Gestalt des Verwaltungsrechts. Gerade im Umweltbereich kann man aber erkennen, daß das Strafrecht zur Kontrolle der kontrollierenden Verwaltung unerläßlich ist 52 . Im Grunde hat schon Feuerbach die vom Rechtsgüterschutz diktierte Notwendigkeit des Strafrechts und seines psychologischen Zwanges fur den Fall konstatiert, daß kein lückenloser physischer Zwang ausgeübt werden kann 53 . Wenn das Interventionsrecht wirklich effizient sein soll, müßte man also analog zu den heutigen Heerscharen der Politessen zur Kontrolle der Bagatellen des ruhenden Straßenverkehrs ein sich über die gesamte Gesellschaft ergießendes, unübersehbares Heer von Kontrollbeamten einsetzen, wofür wir ja in Form der Stasi auch ein prägnantes Beispiel aus der jüngsten deutschen Vergangenheit besitzen. Daß die Kriminalitätsbelastung in der DDR niedriger war als in der alten Bundesrepublik 54 , wurde also mit dem totalen Polizeistaat erkauft. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dessen Renaissance wirklich in der Absicht der Frankfurter Schule liegt, aber solange deren Protagonisten nicht angeben, wie denn das Interventionsrecht konkret aussehen soll, fuhrt an dieser Konsequenz kein Weg vorbei. 2. Auch der Vorschlag von Lüderssen, die Rechtsgüterschutzaufgaben auf das Zivilrecht zu verlagern 55, bietet nach meinem Urteil keine nennenswerten Erfolgsaussichten. Die Agonie des Zivilprozesses ist heute um vieles größer als die Agonie der Strafrechtspflege, denn die Dauer der Verfahren wie die enorme Kostenlast stempeln es für den Durchschnittsbürger zu einer Donquichotterie, sein gutes Recht vor deutschen Zivilgerichten zu suchen56. Und selbst sektorale Verbesserungen im Zivilprozeß könnten auf dem Gebiet der Oberschichtskriminalität keine nennenswerten präventiven Wirkungen erzeugen. Zumeist gut abgeschirmt durch ein prosperierendes Wirtschaftsunternehmen, kann der WeißeKragen-Täter in Ruhe abwarten, ob es überhaupt zu einem Zivilprozeß kommt, dessen Kosten für ihn in aller Regel weitaus niedriger sein werden als der Gesamtnutzen seiner kriminellen Tätigkeit. 52
Hefendehl, GA 1997, 119, 131 m.w.N. Feuerbach/Mittermaier, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, § 8. 54 Baier/Borning, Kriminalistik 1991, 273 ff.; Sessar in: Kury (Hrsg.), Gesellschaftliche Umwälzung, 1992, 131 ff. 55 In: Die Krise (Fn. 19), 37 ff. 56 Baumgärtel, JZ 1971, 441, 449; Köster, Die Beschleunigung des Zivilprozesses und die Entlastung der Zivilgerichte in der Gesetzgebung von 1879 bis 1993, 1995, 885 ff., (mit dem Nachweis, daß trotz fortwährender gesetzgeberischer Bemühungen um die Beschleunigung des Zivilverfahrens nach wie vor Handlungsbedarf besteht); Trepte, Umfang und Grenzen eines sozialen Zivilprozesses, 1994, 101 ff., 183 ff. 53
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3. Ich halte es deshalb auch nicht für zutreffend, daß das Strafrecht als barbarisches Relikt zur Abschaffung anstünde, wie es Lüderssens von mir hochgeachteter, überaus philantropischer, aber leider von unserer postmodernen Gesellschaft nicht gerechtfertigter Humanismus und Baurmanns Glaube an einen ausgerechnet heutzutage florierenden Markt der Tugend 57 suggerieren. Der spezifische Wirkungsmechanismus des Strafrechts im Unterschied zum Zivilrecht und zum Verwaltungsrecht besteht nun einmal darin, durch die Androhung von weit über dem Deliktsnutzen liegenden Kosten, also gewissermaßen durch einen drohenden „Overkill", im Täter selbst zweckrationale Motive zur Deliktsvermeidung zu setzen, während ein rational handelnder Täter vom Zivilrecht oder öffentlichen Recht angesichts der notorisch niedrigen Sanktionierungsquote kein Vermeidemotiv vermittelt bekommt, so daß diese Rechtsgebiete nur bei einer vorher schon existierenden moralischen Bindung einen Rechtsgüterschutz bewirken können. Der Mensch der postmodernen Gesellschaft wird aber typischerweise nicht von der Religion und auch nicht vom Kategorischen Imperativ geleitet, er hat sich auch nicht dem Regel-Utilitarismus verschrieben und ist nicht einmal ein Anhänger des geläuterten Handlungs-Utilitarismus, sondern ein rationaler Egoist und damit letztlich ein reiner Hedonist, dem die etwa das 19. Jahrhundert kennzeichnende Imprägnierung der oberen Unterschicht wie der Mittelschicht und damit des größten Teils der Gesellschaft durch eine teils kleinbürgerlich-klerikale, teils bildungsbürgerliche Moralität nichts mehr bedeutet58. Das ist für das Individuum der Postmoderne auch konsequent, weil sich in einer säkularisierten Welt zwar für die Gesellschaft, nicht aber für das Individuum moralisches Verhalten deduktiv begründen läßt 59 . Dazu nur ganz knapp und al fresco folgendes: Die postmoderne Gesellschaft stellt hinter der längst sinnentleerten Maske der individuellen Selbstverwirklichung nichts anderes dar als eine krude Mischung aus Konsum und Kapitalismus, hedonistischem Unterhaltungszwang und Verdrängungskultur in einer in Wahrheit zutiefst inhumanen Welt. Sie hat als „Erlebnisgesellschaft" 60 die von Nietzsche dem Ü-
57
Der Markt der Tugend, 1996, passim. Vgl. andererseits zu Berechtigung und Grenzen einer rein ökonomischen Theorie des Strafrechts zuletzt Lippert, Verbrechen und Strafe; ein Beitrag der ökonomischen Theorie zur Erklärung und Behandlung von Kriminalität, 1997; sowie zum spieltheoretischen Hintergrund Schüssler, Kooperation unter Egoisten: vier Dilemmata, 1990, 7. 58 Es versteht sich, daß diese These hier nicht empirisch bewiesen werden kann und unbestreitbar eine nicht unproblematische Verallgemeinerung darstellt. Daß die Tendenz der Gesellschaftsentwicklung deutlich in diese Richtung geht, scheint mir aber angesichts des unbestreitbaren Schwindens überindividueller Moralsysteme fast eine analytische Aussage zu sein. 59 Denn für das egoistische nutzenmaximierende Individuum ist es zwar rational, mit den anderen den Gesellschaftsvertrag abzuschließen, nicht aber, ihn auch ausnahmslos einzuhalten. 60 s. dazu die empirische Untersuchung von Schulze, Die Erlebnisgesellschaft, 1996.
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bermenschen verheißene Ästhetisierung des Lebens61, also mit anderen Worten die Abschaffung moralischer Kategorien als primärer Leitbilder, für den millionenfachen Alltag geschafft, freilich nur in der Scheinwelt der Konsumgesellschaft, die ich schon bei einer anderen Gelegenheit beschrieben habe62. Das heute global umlaufende Stichwort der „Globalisierung" bedeutet die letzte Akzeleration dieses Prozesses und damit eine allerletzte Steigerung der Entfesselung des Kapitalismus, der in seiner globalen Dimension sogar der Kontrolle durch die nationalstaatliche Reglementierung zu entgleiten droht, teilweise schon entglitten ist 63 . Daß nur der Staat mit der Strafrechtspflege einen wenigstens partiellen und sektoralen Rechtsgüterschutz garantieren und durchführen kann, versteht sich unter diesen Bedingungen von selbst. Es fuhrt auch nicht weiter, mit Lüderssen hierin einen Sündenfall zu sehen und das Heilmittel im zivilen Strafrecht, das schon einmal (in der Zeit der Völkerwanderung) existiert habe. Denn die notwendige Ergänzung zum (niemals rein existierenden!) System der bloßen Geldzahlung für Totschlag und Körperverletzung bestand damals in der Blutrache der Sippe, die man auch nicht mit ein paar Silberlingen abkaufen konnte 64 - es sei denn, daß die Substanz der Sippe an kampfkräftigen Männern oder an Moral bereits ausgezehrt war und deshalb das Recht beim König gesucht wurde. Auf die Lebensbedingungen der Gegenwart läßt sich das keinesfalls übertragen, vielmehr sind hier außer der Paralyse der tradierten Moral auch die gegenwärtig zunehmende Fragmentierung und Dekompensierung der postmodernen Gesellschaft zu berücksichtigen. Man kann deshalb den Vorschlag einer Abschaffung des Strafrechts ebenso wie denjenigen seiner Ersetzung durch ein Interventionsrecht nicht als eine generell ernsthaft in Betracht kommende Alternative ansehen. Erst recht ist darin kein legitimes Argument zu sehen, um die bescheidenen Fortschritte in der Strafgerechtigkeit des Staates durch die Ausdehnung der Strafrechtspflege in den Interaktionsbereich der oberen Mittelschicht und der Oberschicht sogleich wieder zu konterkarieren.
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Zu diesem uferlosen Thema nur die früheste und späteste Fundstelle bei Nietzsche selbst: „Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt 44 (Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, zit. aus: Sämtliche Werke, hrsg. von Colli/Montinari , Bandi, 47); „Die Welt als ein sich selbst gebärendes Kunstwerk 44 (zit. aus der im Zuge von Nietzsches „Entnazifizierung 44 allzu vehement verworfenen Zusammenstellung von Gast/Förster-Nietzsche, Der Wille zur Macht, 1906, Nr. 796). 62 GA 1995,208. 63 Dazu in der Diagnose treffend, in den Therapievorschlägen naiv Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle, 1996. 64 Eb. Schmidt (Fn. 20), 37 ff.; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, 3. Aufl. 1998, Rn.12: genauer Wadle, in: Jung/Müller-Dietz/Neumann (Hrsg.), Perspektiven der Strafrechtsentwicklung, 1996, 9, 27; Nehlsen, in: Kroeschell (Hrsg.), GerichtslaubenVorträge, 1983,3, 15.
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V. Das Strafrecht der Zukunft als konkrete Utopie 1. Die Zeit flieht dahin, und ich schreite eilig weiter zur vierten und letzten Ebene meiner Betrachtungen, auf der ich das möglicherweise isolierte Vorpreschen des Strafrechts und die damit verbundenen Konsequenzen thematisiere. Die Frankfurter Schule hat dem Umweltstrafrecht die von mir vollauf geteilte Diagnose gestellt, daß es gerade dadurch zur weitgehenden Wirkungslosigkeit verurteilt wird, daß die meisten und schwersten Umweltbeeinträchtigungen legal erfolgen, weil die Verwaltung eine öffentlich-rechtlich wirksame Erlaubnis erteilt hat 65 . Ein ähnliches Schicksal kann man schon heute dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997 66 prophezeien, denn was bedeutet schon die dem Sachbearbeiter geschenkte Weinbrand- oder Sektflasche im Vergleich zu dem gigantischen strukturellen Korruptionskomplex der parteipolitischen Ämterpatronage, die von der gesamten politischen Klasse der Bundesrepublik ersichtlich mit wachsendem Umfang und mit nur durch konstitutionelle moral insanity erklärbarer Skrupellosigkeit praktiziert wird? 67 2. Wie vor allem Hassemer und Herzog am Beispiel des Umweltstrafrechts herausgearbeitet haben, droht das in dieser Form vorprellende, von den anderen Rechtsgebieten geradezu unterminierte Oberschichtsstrafrecht also rasch zu einem ineffektiven bloßen Alibi-Instrument zu verkommen 68, ursprünglich wohl ohne Absicht des Gesetzgebers, später von dessen Augurenlächeln begleitet und heute wohl schon oft genug als Teil seines Kalküls. Dafür sprechen jedenfalls die zunehmend hektischeren Versuche der die Bundesrepublik beherrschenden politischen Klasse, ihre offensichtliche Überforderung durch die immer drängender werdenden Modernisierungsprobleme der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft mit Hilfe permanenter Änderungen des Strafrechts zu kaschieren. Wenn heute auf ein Jahressteuergesetz bis zu fünf Jahresstrafrechts- und strafprozeßrechtsgesetze kommen, fuhrt sich dieser inflationär gewordene Einsatz des Strafrechts als eines angeblichen Allheilmittels gegen gesellschaftliche Krisen selbst ad absurdum, weil - bei fehlender Entkriminalisierung auf anderen Feldern - die zusätzlich benötigte Kapazität des Strafverfolgungsapparates nur durch eine Annäherung des Strafverfahrens an ein polizeistaatliches Willkürsystem beschafft werden könnte 69 und weil kurzatmige Maßnahmegesetze 65
Hohmann (Fn. 14), 205; Müller-Tuckfeld (Fn. 32), 469 f. BGBl. I, 2038. 67 Dazu v. Arnim, Staat ohne Diener, 1993, 127 ff.; Schmidt-Hieber, NJW 1989, 560; Sc h midi- H ieber/Giesswetter, NJW 1992, 1790. 68 Nachw. o. Fn. 29, 65. 69 Wobei der BGH auf diesem sinistren Weg freilich schon dadurch einen großen Schritt zurückgelegt hat, daß er (in einer beispiellosen Mißdeutung sämtlicher Fundamente der Strafprozeßordnung) die Ersetzung der seil, echten Hauptverhandlung durch eine mit keinerlei Kautelen versehene Urteilsabsprache fur zulässig erklärt hat (BGH 66
3 Kühne / Miyazawa
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die für die Präventionseffizienz unerläßliche Integrationsgeneralprävention nicht erzeugen können. Die Frankfurter Kritik an diesen Parforceritten des Strafgesetzgebers ist also vollauf berechtigt und wird auch von mir ausdrücklich unterstützt. Aber welche Folgerungen sollen daraus gezogen werden? In dieser Frage trennen sich wieder unsere Wege, wobei freilich festzuhalten ist, daß auch schon von den Vertretern der Frankfurter Schule aus dem unstrittigen Befund unterschiedliche Folgerungen gezogen werden: Hassemer und seine Schüler sowie teilweise Naucke sprechen sich für die bereits erwähnte Limitierung auf das von ihnen sogenannte klassische Strafrecht aus 70 ; Lüderssen verwirft auch dieses klassische Strafrecht und möchte jenes Interventionsrecht, welches die Hassemer-Schule nur anstelle der modernen Strafrechtsformen propagiert, überall an die Stelle des seiner Meinung nach nicht mehr legitimierbaren Strafrechts setzen71; aber dies soll nach Meinung von Jäger sowie neuerdings auch von Naucke wiederum nicht für die sogenannte Makrokriminalität bzw. staatsverstärkte Kriminalität gelten, die in Abweichung von der historischen Tradition mit den echten Sanktionen des Strafrechts geahndet werden soll 72 . 3. Die Lösung kann meiner Meinung nach weiterhin aus dem seit der Aufklärung unveränderten Grundgedanken des Strafrechts entwickelt werden, daß das Strafrecht nur als ultima ratio zur Verhütung von Sozialschäden eingesetzt werden darf und muß. Ferner muß dem fast naiven Glauben, das Strafrecht könne ein direkt wirksames, sozusagen engmaschig funktional vernetztes Instrument zum lückenlosen Rechtsgüterschutz sein, eine Absage erteilt werden. Vielmehr gilt nach wie vor die Beobachtung von Popitz, daß das Strafrecht eigentlich nur deshalb wirkt, weil die meisten Menschen annehmen, daß es wirken würde 73 . Es muß deshalb zeitgemäß und gerecht sein, d.h. entsprechend dem Ausmaß der Sozialschädlichkeit unter Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes zum Einsatz kommen, wobei die Beurteilung der Sozialschädlichkeit eine zum größten Teil empirische Frage darstellt, die durch die sog. normative Verständigung nicht üNStZ 1999, 92); zur groben Rechtswidrigkeit solcher Praktiken s. meine Absprachen im Strafverfahren?, 1990; ferner zur Haltlosigkeit der apologetischen Bemühungen und zur Einseitigkeit der auf die polizeilichen Ermittlungen gegründeten richterlichen Überzeugung meine Überlegungen in StV 1993, 657 ff. und in: Bierbrauer/Gottwald/BirnbreierStahlberger (Hrsg.), Verfahrensgerechtigkeit, 1995, 215 ff; Friehe, Der Verzicht auf Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen, 1997, 313 ff. 70 Hassemer, ZRP 1992, 378, 379; Naucke in: Hassemer (Hrsg.), Strafrechtspolitik, 1987, 15, 18 ff.; ders., KritV 1993, 135 ff.; Herzogen. 29), 109 ff. 71 In: Abschaffen des Strafens? (Fn. 17), 381 ff. 72 Jäger, Makrokriminalität, 1989, passim; ders., KJ 1990, 467; ders., KritV 1993, 259 ff.; ders., in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen Zum Völkerstrafrecht 50 Jahre nach den Nürnberger Prozessen, 1995, 325 f f ; Naucke, ZRP 1969, 8 ff.; ders., KritV 1990, 257; ders., Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, 1996, 19 ff. und passim. 73 In: Die Präventivwirkung des Nichtwissens, 1968.
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berspielt, sondern nur ergänzt werden kann 74 . Es ist deshalb erstens unhaltbar, fortschrittliche Kriminalität mit einem rückschrittlichen Strafrecht bekämpfen zu wollen, indem jede Modernisierung im Bereich des Strafrechts verweigert und die Bekämpfung der Kriminalität des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des Strafrechts des 19. Jahrhunderts verlangt wird, obwohl die gesellschaftlichen Interaktionen und die Strategien des sozialschädlichen abweichenden Verhaltens längst mehrere Modernisierungsschübe hinter sich gebracht haben. Und es ist zweitens geboten, Gleichmäßigkeit und damit Gerechtigkeit herzustellen, also etwa die zwecks Produktion des unermeßlichen Plunders unserer Konsumgesellschaft erfolgende Zerstörung der Umwelt strenger zu verfolgen als die zivilrechtlich unerlaubte Aneignung des herumliegenden Plunders, die Verletzung der xMenschenrechte durch den Einsatz der staatlichen Machtmittel strenger als den Messerstich in der Kaschemme, die Korruption der Ämter strenger als den Konkurs des Kaufmanns. Das heißt insbesondere, daß die Gesetze zur Bekämpfung der Wirtschafits- und Umweltkriminalität in die richtige Richtung weisen, auch wenn sie teilweise - wie etwa beim Tatbestand des Kreditbetruges - über das Ziel hinausgeschossen sind. Das heißt aber andererseits auch, daß es mit dem Paroxysmus hektischer Neukriminalisierungen ein Ende haben muß und daß statt dessen das öffentliche Recht endlich dort nachrücken muß, wo das Strafrecht bis heute ohne ausreichende Effizienz vorgeprellt ist, beispielsweise im Verhältnis von Umweltstrafrecht und Umweltverwaltung, von Korruption und Ämterpatronage. Nicht die Preisgabe, sondern die Vervollkommnung der Tendenzwende vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht wäre deshalb das allein geeignete Mittel zur wirksamen Abwehr der spezifischen Bedrohungen der postmodernen Industriegesellschaft. Freilich setzt das wahrhaft revolutionäre Akte voraus - etwa durch den permanent beschworenen, aber mangels Verzichtsbereitschaft der Bevölkerung nirgendwo ernsthaft betriebenen und im Zuge der Globalisierung ohnehin preisgegebenen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft oder etwa durch eine nur über die Schaffung von Inkompatibilitäten zwischen Parteimitgliedschaft und Beamtenstatus mögliche, restlose Reinigung der deutschen Bürokratie von dem sie insgesamt überziehenden Parteienfilz. Durch die Analyse der fraglichen Tendenzwende vom Unterschichtszum Oberschichtsstrafrecht können also nur die Bedingungen für einen effizienten und gerecht disponierten strafrechtlichen Rechtsgüterschutz in der
74 Dieser (konstruktive) Teil kann hier nicht einmal mehr skizziert werden. Vgl. zu der in den letzten Jahren darüber geführten Diskussion nur noch in Ergänzung der obigen Nachweise Frehsee, StV 1996, 222 ff.; Frisch, FS für Stree/Wessels, 1993, 69 f.; Hassemer, StV 1990, 328 ff.; Herzog/Kindhäuser/Zaczyk in: Lüderssen/NestlerTremel/E. Weigend (Hrsg.), Modernes Strafrecht und ultima-ratio-Prinzip, 1990, 22 ff., 105 ff., 113 ff.; Hirsch in: Hirsch/Hofmanski/Plywaczewski/Roxin (Hrsg.), Neue Erscheinungsformen der Kriminalität in ihrer Auswirkung auf das Straf- und Strafprozeßrecht, 1996, 33 ff.; Prittwitz, StV 1991, 435 ff.
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postmodernen Gesellschaft theoretisch beschrieben werden, dessen praktische Realisierbarkeit aber ohne eine vorherige Revolution wesentlicher Grundlagen der postmodernen Gesellschaft unmöglich erscheint und der deshalb gegenwärtig als eine konkrete Utopie begriffen werden muß.
Kommentar aus japanischer Sicht Ausweg aus dem Dilemma? Von Makoto Ida
In der mir zur Verfügung stehenden Zeit von 10 Minuten möchte ich nur einen - mich besonders interessierenden - Teilaspekt des Problems beleuchten. Ich gehe bei meinen Bemerkungen ausschließlich von der japanischen Gesellschafts- und Rechtslage aus, so daß ich die Beurteilung der Frage, wo meine Position zwischen den beiden Polen von Schünemann und der „Frankfurter Schule44 eingeordnet werden kann, den deutschen Kollegen überlassen möchte. Das Strafrecht in seiner heute üblichen Form setzt voraus, daß das Individuum von seinem sozialen Umfeld trennbar ist. Es knüpft an die Einzeltat des individuellen Täters an, die nur ihm persönlich zurechenbar ist. Es ist eine zumindest erklärungsbedürftige Tatsache, daß das wissenschaftliche Selbstverständnis des wesentlich vom modernen Individualismus geprägten Strafrechts bis heute beibehalten werden konnte, während die übrigen geisteswissenschaftlichen Gebiete längst wie selbstverständlich davon ausgehen, daß die Menschen in soziale Bezüge eingebettet sind, und ihr Verhalten nie von diesen getrennt gesehen werden kann. Freilich: dieses Dilemma ist in der Strafrechtswissenschaft bisher nicht etwa unbemerkt geblieben. Aber es scheint mir so zu sein, daß heute die Grenzen des individuumsorientierten Strafrechts so deutlich wie nie zuvor zutage getreten sind. Ich denke dabei beispielsweise an die Fälle, in denen durch unternehmerische Tätigkeiten Rechtsgutverletzungen verursacht wurden. Diese Rechtsgutverletzungen gründen oft nicht so sehr in den einzelnen tätig gewordenen Personen, als vielmehr in der schlechten Organisation des betreffenden Unternehmens, in seinen mangelhaften institutionellen Sicherheitsvorkehrungen oder in wirklichen oder vermeintlichen wirtschaftlichen Sachzwängen im Sinne von schnellen und preiswerten Produktleistungen. Freilich kann man wohl immer irgendwo irgendein tadelnswertes Verhalten einer individuellen Person im Unternehmen entdecken, wenn man gründlich recherchiert. An ein „Hätte-andershandeln-können44 der betreffenden Einzelperson automatisch den Strafvorwurf zu knüpfen, ist jedoch nicht nur ungerecht, sondern verdunkelt die dahinterstehende tiefergründige gesellschaftliche Problematik. Bildlich gesprochen: Das
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starke Licht des Bühnenscheinwerfers verstärkt die Dunkelheit in der Umgebung des Schauspielers. Eine denkbare Handlungsalternative wäre ein - mehr oder weniger weitgehender - Rückzug des Strafrechts. Angesichts der grundsätzlichen Schwierigkeiten oder sogar Ungerechtigkeiten, die sich ergeben, wenn man mit dem herkömmlichen Strafrecht etwa der Unternehmenskriminalität entgegentreten will, mag man dazu geneigt sein, differenziertere verwaltungsrechtliche Regulierungen vorzuziehen. Ansätze solcher Entwicklungen sind bekanntlich schon vorhanden. Die Tendenz geht allem Anschein nach dahin, daß das Strafrecht dadurch in seiner eigenständigen Existenz in Frage gestellt wird und sich allmählich zum Diener des Verwaltungsrechts umwandelt. Allerdings haben solche differenzierteren verwaltungsrechtlichen Regulierungen unverkennbare Nachteile: sie bringen nicht nur große Kosten hinsichtlich Zeit und Personal mit sich, sondern fuhren auch zu weitgehenden Einschränkungen und Ernüchterungen in den sozialen Tätigkeiten des Menschen. Es mag wie ein Paradox klingen, aber es kann auf das Strafrecht auch in Zukunft deshalb nicht verzichtet werden, weil es ein kostengünstiges und freiheitsmaximierendes Mittel der Sozialkontrolle darstellt. Eines scheint mir sicher zu sein: Wenn das Strafrecht etwas eigentlich Untrennbares trennen muß, dann soll es sich bemühen, die Wunde der Trennung zu heilen. Mit anderen Worten: Der negative und repressive Charakter des Strafrechts soll möglichst abgebaut werden und es soll eine sozial-konstruktive und produktive Wirkung entfalten. Es besteht das Bedürfnis einer Reform des Sanktionensystems. Zugleich soll die traditionelle Trennung des Strafrechts vom Zivilrecht einerseits und vom Sozialrecht andererseits auf ihre Sachgerechtigkeit hin überprüft und wenigstens in einem gewissen Maße gelockert werden. Überlegenswert wäre in diesem Zusammenhang, ob man auch im Kriminalstrafrecht eine Körperschaftsstrafe einfuhren soll. Die Einfuhrung einer Verbandsstrafbarkeit könnte insbesondere dort in Betracht kommen, wo die alleinige Bestrafung der Individualpersonen fehl am Platz erscheint, d.h. durch die alleinige Bestrafung des unmittelbar handelnden Täters die Verantwortung vom „eigentlich schuldigen1' Unternehmen auf die Individualperson abgewälzt würde. Diese Ungerechtigkeit könnte durch die Körperschaftsstrafe wenigstens gemildert werden. Man muß dabei auch berücksichtigen, daß die Mühen und Kosten bei der Erbringung des Beweises einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Einzelpersonen manchmal zur Schwere der Tat und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehen. Das Problem, das wir hier vorfinden, ist folgendes: Der „Paradigmawechsel im Strafrecht" darf nicht zu einer ungerechtfertigten Privilegierung der Mittelund Oberschicht führen. Aber andererseits muß man die Abwälzung der Verantwortung von der betreffenden Organisation oder gesellschaftlichen Struktur auf die Individualperson vermeiden. Ich sehe hier keine Patentlösung. Mit ver-
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schiedenen Mitteln sollte man - das humanistische Erbe des modernen Strafrechts bewahrend - die hierbei auftauchende Ungerechtigkeit innerhalb des gesamten Strafrechtssystems Stück für Stück zu mildern versuchen.
Strafrechtliche Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs in Japan Von Toshio Kamiyama
I. Einleitung 1. In Japan trat um 1986 vor allem bei Grundstücks- und Effekteninvestitionen ein bis dahin beispielloses, „blasenartiges" Wirtschaftsphänomen (BubbleWirtschafit) auf, das bis in das Jahr 1989 hinein expandierte. Banken und Effektenfirmen waren sozusagen die beiden Räder, die dieses Phänomen vorangetrieben haben, und sie haben dabei enorme Gewinne erzielt. Aber nach dem Zusammenbruch der „Bubble-Wirtschaft" mußten sie dafür büßen. Während der „Bubble-Zeit" investierten nicht nur Unternehmen, sondern auch zahlreiche Privatpersonen in Grundstücke und Aktien, und dies führte zu einem sogenannten „Vermögensbildungsboom". Aber die anormalen Verteuerungen von Grundstücken und Aktien wurden zu einem sozialen Problem, und schließlich griff die Regierung mit ihrer Finanzpolitik in diese Situation ein. So mußte das Finanzministerium im April 1990 das Gesamtvolumen des Grundstückshandels durch Geldinstitute regeln. Durch diese Maßnahme fielen ab 1990 die erhöhten Grundstückspreise und Aktienwerte („Bubble-Preise") drastisch, und damit brach die Bubble-Wirtschaft zusammen. Alle Besitzer von Grundstücken und Aktien, die bis dahin investiert hatten, erlitten dadurch enorme Verluste. Auch bei Geldinstituten, die Grundstücks- und Aktiengeschäfte finanziert hatten, entstanden enorme nicht einziehbare Forderungen. Zahlreiche kleine und mittlere Geldinstitute und Immobilienmakler gingen in Konkurs. Im November 1997 brach die Städtebank Hokkaido Takushoku Bank zusammen. Bei den Effektenfirmen stockten die Geschäfte, weil der Effektenhandel stark zurückging. Und im November 1997 brachen eine größere Effektenfirma, Sanyo, sowie eine der 4 größten Effektenfirmen, Yamaichi, und im Dezember 1997 auch noch eine mittlere Effektenfirma, Maruso, zusammen1. 2. Hier muß man die tatsächliche Situation der Verbrechen bzw. Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit den Bank- und Effektenfirmengeschäften während und nach der Bubble-Zeit in Japan beachten. Diese Zuwiderhandlungen sind als Finanzierungs- und Effektenhandelsverbrechen zu sozialen und po1
Außerdem brachen 1997 zwei weitere Effektenfirmen zusammen.
42
Toshio Kamiyama
litischen Problemen geworden. In den japanischen Gesetzen über Bank- und Effektenfirmengeschäften werden fast alle Zuwiderhandlungen sowohl durch Verwaltungsmaßnahmen, als auch durch strafrechtliche Maßnahmen geahndet. Da diese Zuwiderhandlungen meistens formelle Kriminaldelikte im Zusammenhang mit Geschäftsgepflogenheiten und administrativen Verhaltens darstellen, die keine wesentlichen Schäden verursachen, werden sie in Wirklichkeit selten als Kriminaldelikte aufgedeckt. Es sei denn, sie fallen als starke antisoziale Zuwiderhandlungen auf. Dagegen werden großangelegte Treuebrüche, Unterschlagungen, Betrügereien, fiktive Geschäfte usw. im Zusammenhang mit Bankund Effektengeschäften, wenn sie die Phase erreicht haben, in der die Schäden nicht mehr wiedergutgemacht werden können, fast immer als Kriminaldelikte verfolgt. 3. Im vorliegenden Bericht werden strafrechtliche Regelungen der Bank- und Effektengeschäfte nicht vom Gesichtspunkt der idealen Auslegungen diskutiert, vielmehr wird die Problematik solcher strafrechtlichen Regelungen anhand von Fällen, die tatsächlich aufgetreten und zu sozialen Problemen geworden sind, untersucht. Hierzu werden von den zahlreichen Finanz- und Effektenverbrechen, die während der Bubble-Wirtschaft und in deren Zusammenbruchssphase begangen wurden, einige Fälle beispielhaft herausgegriffen. Anhand dieser Fälle werden der Zusammenhang zwischen illegalen Bankdarlehen und großvolumigem Effektenhandel, das Ausmaß der einzelnen Fälle, die angewandten Vorgehensweisen usw. analysiert, und die Rolle der Strafe und ihrer Grenzen erörtert. Darüber hinaus wird untersucht, unter welchen Gesichtspunkten die Zuwiderhandlungen in den Gesetzen über die Banken und den Effektenhandel usw. geregelt sind. Ich will hier die Frage aufwerfen, ob diese Zuwiderhandlungen als Verbrechen strafrechtlich verfolgt, oder durch Verwaltungsmaßnahmen geregelt werden sollen. Dabei werden die Insidergeschäfte und Verlustdeckungen, die im Zusammenhang mit den Effektenskandalen der Bubble-Wirtschaft und in deren Zusammenbruchssphase aufgetreten und deshalb erneut zum Gegenstand der strafrechtlichen Gesetzgebung geworden sind, zentrale Probleme darstellen. II. Finanzverbrechensfälle während der Bubble-Wirtschaft und in deren Zusammenbruchsphase 1.
Finanzverbrechen, die von Mitarbeitern von Geldinstituten begangen wurden a) Illegale Darlehensvergabe („ Ukigashi") durch einen Filialleiter der Sumitomo Bank 2
Der Filialleiter und seine Teilnehmer wurden im Oktober 1990 wegen des Verdachts der Gewährung illegaler Darlehen verhaftet. Sie sollen unter Ausnut-
Bank- und Börsenverkehr
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zung ihrer Position die Finanzierung der Aktienspekulationsgruppe "Koshin" und einer weiteren Firma mit 22,8 Mrd. Yen durch einen Kunden der Filiale vermittelt haben. Es stellte sich heraus, daß sie letztlich Darlehen von insgesamt ca. 43,9 Mrd. Yen vermittelt hatten, woraufhin der Filialleiter und seine Teilnehmer angeklagt wurden.
b) Finanzverbrechen
durch einen Abteilungsleiter
der Fuji Bank 3
Ein ehemaliger Abteilungsleiter der Fuji Bank und seine Teilnehmer stellten für einen Unternehmer einen fiktiven Festgeldschein aus. Der Unternehmer erhielt von einer Nonbank gegen Hinterlegung dieses Scheins als Pfand ein enormes Darlehen. Er und seine Teilnehmer gaben bis zur Aufdeckung am 25. Juli 1991 vier Jahre lang illegale Darlehen von insgesamt ca. 700 Mrd. Yen. Der Restbetrag der illegalen Darlehen soll ca. 260 Mrd. Yen betragen haben. Letztlich wurden sie wegen Betrugs um ca.26 Mrd. Yen und Privaturkundenfälschung angeklagt.
c) Finanzverbrechen durch Filialleiter der Kreditgenossenschaft und der Kreditbank 5 Toy ο Shinyokinko
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Kizu
Ο, die Inhaberin eines Restaurants, begann ungefähr 1986 an der Börse zu spekulieren; sie erhielt ein illegales Darlehen von enormer Höhe und investierte dieses Geld in Aktiengeschäfte. Ο verschwur sich mit dem Filialleiter X der Kreditgenossenschaft Kizu und fälschte zwischen Juni und September 1987 insgesamt 7 fiktive Depositenscheine (13,0 Mrd. Yen), und erhielt unter Verpfändung eines Teils davon Darlehen von Nonbanken und Banken. Die beiden wurden wegen Betrugs, Untreue und Privaturkundenfälschung angeklagt. Au-
2
Die Sumitomo Bank ist eine der 10 größten Städtebanken. Jede Städtebank hat viele Filialen im ganzen Land. 3 Die Fuji Bank ist eine Städtebank. 4 Die Kreditgenossenschaft ist eine Bank, der kleine und mittlere Unternehmen, sowie Hinzelpersonen angehören. Sie betreibt Darlehen- und Depositengeschäfte in einer bestimmen Gegend und gibt grundsätzlich den Mitgliedern ein Darlehen bis zu 100 Mio. Yen. Der Gouverneur der Präfektur hat die Verwaltungszuständigkeit für sie. 5 Die Geschäftstätigkeit der Kreditbank entspricht weitgehend der Geschäftstätigkeit der Kreditgenossenschaft. Die erstere unterscheidet sich von der lezteren darin, daß die erstere den Mitgliedern ein Darlehen bis zu 200 Mio. Yen gibt und der Finanzminister die Verwaltungszuständigkeit für sie hat.
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ßerdem verschwor sich Ο mit dem Filialleiter Y der Kreditbank Toyo Shinkin und ließ sich von Juli 1990 bis August 1991 19 fiktive Festgeldscheine (ca. 416 Mrd. Yen) ausstellen. Von Nonbanken und Städtebanken liehen sie gegen diese Scheine als Pfand Geldmittel von enormer Höhe, oder sie nahmen Aktien und ähnliches, was sie bereits bei Geldinstituten als Pfand hinterlegt hatten, auf betrügerische Weise wieder an sich. Beiden wurden wegen Privaturkundenfälschung und Betrugs angeklagt. Der Restbetrag soll sich auf 469 Mrd. Yen belaufen. Die Toyo Shinkin, der durch diese Fälle nicht einzufordernde Kredite von ca.250 Mrd. Yen entstanden waren, geriet praktisch in Konkurs, und wurde von der Sanwa Bank 6 übernommen. Noch nie gab es in der japanischen Kriminalgeschichte einen Fall wie diesen. Ermittlungen und Anklagen für eine ganze Reihe illegaler Finanzierungen wurden bis 2. November 1991 abgeschlossen. Der Gegenstand der Anklagen umfaßte 22 fiktive Depositenscheine (ca. 420 Mrd. Yen). Die Schäden betrugen insgesamt ca. 269 Mrd. Yen.
d) Finanzverbrechen durch einen stellvertretenden Abteilungsleiter der Biwako Bank 1 Ein stellvertretender Abteilungsleiter der Biwako Bank tätigte privat Aktiengeschäfte. Durch den Zusammenbruch der Bubble-Wirtschaft sanken die Aktienwerte, wodurch er große Verluste erlitt. Um die Defizite zu decken, stellte er ab 1990 eine Reihe fiktiver Überweisungsscheine aus, und überwies in fünf Jahren ca.3 Mrd. Yen auf Kundenkonten von Effektenfirmen bei anderen Banken. Er wurde am 1. November 1996 wegen Betrugs verdachtes verhaftet.
e) Der Fall Daiwa Bank*, Filiale New York Die Daiwa Bank gab am 26. September 1995 bekannt, daß der Verantwortliche A für den Handel und die Verwaltung von Effekten, in der Filiale New York, Effekten ohne Erlaubnis veräußert habe, um die Defizite, die durch den Fehlschlag einer Investition in amerikanische Staatsanleihen entstanden waren, zu verbergen. Dadurch habe die Bank Verluste von ca.l 10 Mrd. Dollar erlitten. Das FBI klagte A wegen Untreue und Urkundenfälschung beim Landgericht New York an. Das Gericht verurteilte ihn am 16. Dezember 1996 zu vier Jahren
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Die Sanwa Bank ist eine Städtebank. Die Biwako Bank ist eine Lokalbank, die viele Filialen in einer ganzen Präfektur
hat. Die D a i a Bank ist eine Städtebank.
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Gefängnis und 2 Millionen Dollar Geldstrafe. Auch B, der bei Aufdeckung dieses Falls Filialleiter war, wurde wegen Beihilfe zum Betrug, und Verheimlichung von schweren Verbrechen angeklagt. Das Landgericht New York verurteilte ihn am 25. Oktober 1996 zu 2 Monaten Gefängnis und 100 000 Dollar Geldstrafe. Auch die Daiwa Bank (juristische Körperschaft) wurde wegen Verzögerung der Mitteilungen, falscher Mitteilungen und Verfälschung von Geschäftsbüchern angeklagt. Die Daiwa Bank gestand durch ihre Repräsentanten am 28. Februar 1996 beim Landgericht New York die wichtigsten Verbrechen, und Schloß mit der Staatsanwaltschaft den Vergleich, eine Geldstrafe von 340 Mio. Dollar zu bezahlen. Diese Geldstrafe soll der höchste Betrag in der bisherigen US-amerikanischen Strafprozeßgeschichte sein. Der FRB und die Bankenaufsichtsbehörde des Bundesstaates New York erließen am 2. November 1995 an die New Yorker Filiale der Daiwa Bank und deren Tochtergesellschaft die Anordnung, ihre Geschäftstätigkeit in Amerika einzustellen. Die Daiwa Bank zog die New Yorker Filiale zurück.
2. Organisierte Finanzverbrechen durch die Firmenleitung a) Der Fall Nishiki Finance 9 Nishiki Finance war eine mittelgroße Finanzierungsfirma. Von Ende Januar bis Ende Juli 1995, also zu einer Zeit, in der man bereits voraussehen konnte, daß die Firma unter dem Einfluß des Zusammenbruchs der Bubble-Wirtschaft in Konkurs gehen würde, überredeten der Präsident und andere Angestellte dieser Firma ca. 50 Personen, Wechsel, deren Beträge einem Vielfachen der gewährten Finanzierungen entsprachen, als Sicherung von künftigen Finanzierungen bei Nishiki Finance Firma zu deponieren. Die Firma bewahrte ca. 400 Wechsel auf. Der Präsident und seine Helfer lösten die aufbewahrten Wechsel ohne Zustimmung der Kunden in Geldinstituten ein, um den Betrieb der eigenen Firma zu finanzieren, obwohl keine Aussicht bestand, daß die Wechsel bei Fälligkeit jemals eingelöst werden könnten. Die Firma ging, stark verschuldet, im August 1995 in Konkurs. Der Präsident und einige Angestellte wurden im Oktober 1996 wegen Betrugs in Höhe von ca. 2 Mrd. 26 Mio. Yen angeklagt.
b) Finanzverbrechen
durch Kreditgenossenschaften
Die folgenden 5 Fälle von Finanzverbrechen durch Kreditgenossenschaften waren besonders beachtenswerte Wirtschaftsverbrechen in Japan; in jedem die9 Die Nishiki Finance ist eine Finanzierungsfirma (Nonbank) die keine Depositengeschäfte, sondern nur Darlehensgeschäfte betreibt.
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ser Fälle machte die Firmenleitung die Firmenorganisation zu ihrem Privateigentum. Sie gewährte ordnungswidrig Kredite und brachte dadurch ihre Kreditgenossenschaft zum Zusammenbruch:
aa) Der Fall Anzen-Kreditgenossenschaft Diese Kreditgenossenschaft brach im Dezember 1994 zusammen. Ihr ehemaliger Vorsitzender und andere Angestellte wurden im Juli 1995 wegen Untreue(Schadenssumme: ca. 27,9 Mrd. Yen) angeklagt, und schuldig gesprochen.
bb) Der Fall Tokyo Kyowa Kreditgenossenschaft Diese Kreditgenossenschaft brach im Dezember 1994 zusammen. Ihr ehemaliger Vorsitzender und andere Angestellte wurden im September und Oktober 1995 wegen Untreue (Schadenssumme: ca. 7,54 Mrd. Yen) angeklagt.
cc) Der Fall Cosmo Kreditgenossenschaft Diese Kreditgenossenschaft brach im Juli 1995 zusammen. Ihr ehemaliger Vorsitzender und andere Angestellte wurden im Mai 1996 verhaftet, und wegen Untreue (Schadenssumme: ca. 12,3 Mrd. Yen) angeklagt.
dd) Der Fall Kizu Kreditgenossenschaft Die Kizu Kreditgenossenschaft war eine der größten Kreditgenossenschaften. Sie brach im August 1995 zusammen. Ihr ehemaliger Vorsitzender und einige Angestellte wurden im August 1996 wegen Untreue und Betrugs (Schadenssumme: 4,6 Mrd. Yen) angeklagt.
ee) Der Fall Osaka Kreditgenossenschaft Diese Kreditgenossenschaft brach im Dezember 1995 zusammen. Ihr Vorsitzender und andere Angestellte wurden im Februar 1997 wegen Untreue (Schadenssumme: 100 Mio. Yen) verhaftet. Diese 5 Kreditinstitute brachen infolge ordnungswidriger Kreditgewährung durch die jeweilige Firmenleitung zusammen. Aber alle diese Genossenschaften wurden zusammen mit ihren Forderungen und Verbindlichkeiten von anderen Geldinstituten übernommen.
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c) Verbrechen im Zusammenhang mit Krediten von den Spezialgeidinstituten für Wohnungsbau (Jus en)10 Nachdem im Juni 1971 die Sanwa Bank und weitere 8 Banken das erste Spezialgeldinstitut für Wohnungsbau „Nihon-Jutaku-Kinyu" gegründet hatten, entstanden insgesamt 8 solche Geldinstitute. „Jusen" ist ein unter Beteiligung von Banken und anderen Instituten errichtetes Geldinstitut, das sich auf Finanzierung von Privatwohnungsbau spezialisiert hat. Damals wollten die Städtebanken den Privatwohnungsbau nicht finanzieren, da die Gewinnspanne hier gering war; sie gewährten Darlehen ausschließlich an Unternehmen. Daher spielten die die Jusens eine wichtige Rolle. Aber, als Unternehmen begannen, sich durch den Effektenmarkt zu finanzieren, wurden auch Städtebanken auf die Finanzierung des Privatwohnungsbau aufmerksam. Die Sumitomo Bank 11 stieg 1984 in die Finanzierung des Privatwohnungsbaus ein, und als sich dies als erfolgreich erwies, folgten auch andere Banken ihrem Beispiel. Die Kunden der Jusens wurden von den jeweiligen Mutterbanken übernommen und daher wurden die Jusens zu gefährlichen Immobilienfinanzierungen gezwungen. Es wird gesagt, daß die Mutterbanken eher unsicher erscheinende Finanzierungen nicht selbst übernommen, sondern an die Jusens vermittelt hätten. Nicht zuletzt aufgrund der Nichtanwendung der Gesamtvolumenregelung für Immobilienfinanzierung von 1990 vergrößerte sich die Rolle der Jusens für die Immobilienfinanzierung, und damit nahmen auch die nicht vollstreckbaren Forderungen zu. Beim Zusammenbruch der Bubble-Wirtschaft gingen 7 Jusens mit bisher beispiellosen, enormen, nicht vollstreckbaren Forderungen (primärer Liquidierungsbetrag: ca. 6 Billionen 410 Mrd. Yen) in Konkurs. Geldmittel zum Betreiben von Jusens waren von den Mutterbanken, anderen Banken, land- und forstwirtschaftlichen Geldinstitute finanziert worden. Die nicht vollstreckbaren Forderungen von 6 Billionen 410 Mrd. Yen wurden auf folgende Weise liquidiert: Verzicht auf den Gesamtbetrag der Forderungen (3,5 Billionen Yen) durch die Mutterbanken, Verzicht auf einen Teil der Forderungen (1,7 Billionen Yen) durch andere Banken, Schenkungen von land- und forstwirtschaftlichen Geldinstituten (530 Mrd. Yen) und Steuereinnahmen der Bevölkerung (680 Mrd. Yen). Um die verantwortungslose Arbeitsweise der Geschäftsführungen der Jusens nicht unbestraft zu lassen und um keine ungerechten Vorteile für Schuldner zu erlauben, wird verlangt, alle strafrechtlich Verfolgern Zuwiderhandlungen von Beteiligten aufzudecken, und diese dafür zur Verantwortung zu ziehen. Bisher haben die Ermittlungsbehörden sowohl beteiligte Immobilienfirmen als Schuldner, als auch die beteiligten Jusens auf verschiedene Weise beschuldigt. Unter
10 Jusen betreibt keine Depositengeschäfte, sondern finanziert nur den Privatwohnungsbau. 11 Die Sumitomo Bank ist eine Städtebank.
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anderem wurden bisher Präsidenten und andere Beschäftige der Immobilienfirmen als Großschuldner wegen Urkundenfälschung, Verletzung des Einkommenssteuergesetzes, Verhinderung von Zwangsvollstreckung, Mittäterschaft und Beihilfe zur Untreue usw. verhaftet. Von den Jusens als Gläubigern wurden der ehemalige Präsident, der ehemalige geschäftsfuhrende Direktor, ein ehemaliger Vizeabteilungsleiter und andere ehemalige leitende Angestellte wegen Untreue in besonders schwerem Fall verhaftet. Zur Liquidierung der 7 Jusens wurde beschlossen, das „Jusen-Liquidierungsgesetz" zu erlassen, und ferner entschied man, auf der Grundlage dieses Gesetzes ein Verwaltungsorgan für die Forderungen von Spezialgeldinstituten fur Wohnungsbau zu errichten. Dieses Organ wird die Forderungen übernehmen, und sich mit deren Einziehung und Liquidation befassen.
d) Der Fall der unrechtmäßigen Gewinnverteilung durch die Dai-Ichi Kangyo Bank 12 Eine führende Person der Bank, die die Position des Präsidenten und Oberpräsidenten innegehabt hatte, ein ehemaliger Vizepräsident und weitere Vorstandsmitglieder, sowie Abteilungsleiter (insgesamt 11 Personen) waren in der Zeit von Juli 1994 bis September 1996 über die Nonbank „Daiwa Shinyo" an der mittelbaren Darlehensgewährung an K, den Vertreter einer „SokaiyaGruppe" (organisierte Aktienagitatoren), in Höhe von ca. 11,78 Mrd. Yen ganz oder teilweise beteiligt. Sie wurden am 25. Juli 1997 wegen des Verdachts der unrechtmäßigen Gewinnverteilung i.S.d. Handelsgesetzes angeklagt. Dieser Fall wurde als der größte Skandal in der Nachkriegsgeschichte der Finanzwelt bezeichnet. Außerdem wurde die Dai-Ichi Kangyo Bank als juristische Körperschaft am 28. Juli 1997 wegen Verletzung der Inspektionsvorschriften angeklagt, und im Schnellverfahren zu einer Geldstrafe von 500 000 Yen verurteilt, da die Bank es bei der Inspektion durch die zuständige Behörde unterlassen habe, Unterlagen anzufertigen, aus denen hervorginge, daß das Darlehen in Höhe von 4,8 Mrd. Yen, das inzwischen nicht mehr einziehbar geworden war, an K, den Vertreter einer Sokaiya-Gruppe, gewährt worden war. Durch das Nichtanfertigen dieser Unterlagen hätte die Bank verhindert, daß diese Tatsache bei der Inspektion aufgedeckt wird. Dies war das erste Mal, daß eine Bank anhand des Bankengesetzes strafrechtlich verfolgt wurde.
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Die Dai-Ichi Kangyo Bank ist eine Städtebank.
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3. Besondere Merkmale der oben beschriebenen Finanzverbrechen a) Die Schäden bei allen oben beschriebenen Finanzverbrechen belaufen sich auf enorme Beträge. Darin dürfte eine Reflexion der Bubble-Wirtschaft zu sehen sein. b) Illegale Darlehensvergaben wurden, solange sie reibungslos zurückgezahlt wurden, oder solange noch die Aussicht bestand, daß sie zurückgezahlt werden könnten, nicht verfolgt. Und erst als die dadurch entstandenen Schäden nicht mehr wiedergutzumachen waren, wurden sie als Kriminaldelikte betrachtet und entsprechend verfolgt. c) Die Verbrechen, die in diesem Zusammenhang als Kriminaldelikte aufgedeckt wurden, sind traditionelle Verbrechen wie Untreue, Betrug, Urkundenfälschung und so weiter. d) Als Verbrechen im Rahmen besonderer Gesetze wurden „Ukigashi", eine Art illegaler Darlehensgewährung und unrechtmäßiger Gewinnverteilung an Sokaiya aufgedeckt. Es handelte sich dabei um illegale Darlehensvergaben führender Banken bzw. leitender Angestellter dieser Banken an SokaiyaMitglieder, die in der Finanzwelt ihr Unwesen treiben. Dies führte dazu, daß diese Fälle zu soziale und politische Probleme wurden. e) Es fällt auf, daß enorme illegale Darlehen in die Aktiengeschäfte investiert wurden.
4. Problematik der strafrechtlichen Regelung von Bankgeschäften Da eine Reihe Finanzverbrechen zu sozialen und politischen Problemen geführt hatten, begannen die Liberaldemokratische Partei (regierende Partei)und das Finanzministerium in den Medien Vorbeugemaßnahmen gegen solche Verbrechen zu veröffentlichen. Diese Maßnahmen sind dadurch gekennzeichnet, daß das Strafmaß der bereits vorhandenen, einschlägigen Strafbestimmungen wesentlich erhöht wurde 13 . In Japan ist eine allgemeine Tendenz zu beob13 Im November und Dezember 1997 wurden die Höchststrafbestimmungen der diesbezüglichen Gesetze folgendermaßen geändert:
Im Handelsgesetz: 1. Für besondere Untreue: von 7 auf 10 Jahren Zuchthaus, Geldstrafe von 3 Mio. Yen auf 10 Mio. Yen. 2. Für illegale Gewinnverteilung an Sokaiya: von 6 Monaten auf 3 Jahren Zuchthaus, Geldstrafe von 300 000 Yen auf 3 Mio. Yen. 3. Außerdem wurde die Forderung von Gewinnverteilung durch Gewinnempfänger unter Strafe gestellt; bis zu 3 Jahren Zuchthaus oder Geldstrafe bis zu 3 Mio. Yen. 4 Kühne / Miyazawa
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achten, beim verstärkten Auftreten von Wirtschaftskriminalität zuerst die Strafbestimmungen der mit den aufgetretenen Kriminalfällen zusammenhängenden Verbrechen zu verschärfen, oder vorbeugende Gesetze gegen neue Vorgehensweisen zu erlassen. Die oben beschriebenen Finanzverbrechen wurden meistens erst dann aufgedeckt, als die durch sie entstandenen Schäden nicht mehr wiedergutzumachen waren, obwohl illegale Handlungen bereits während der Geschäftsverhandlungen begangen worden waren. In dieser Hinsicht legt man das Gewicht auf das Auftreten von Ergebnissen. Um solchen Finanzverbrechen vorzubeugen ist es bereits in der Verhandlungsphase erforderlich, daß die einzelnen Geldinstitute selbst freiwillige Kontrollen und eine Beaufsichtigung der internen Organisation verstärken, und daß die zuständigen Behörden durch geeignete Verwaltungsmaßnahmen die Zuwiderhandlungen durch diesen Firmen kontrollieren und die Beaufsichtigung verstärkt überwachen. Es ist fraglich, ob und wieweit die Erhöhung des Strafmaßes zur erfolgreichen Durchführung dieser Maßnahmen beitragen wird.
III. Effektenverbrechen, die tatsächlich zu sozialen Problemen geworden sind 1. Die wichtigsten Kriminalfälle, die bisher aufgedeckt wurden Im Effektenhandelsgesetz sind verschiedene Handlungen kriminalisiert, aber in Wirklichkeit kommen solche Kriminaldelikte selten vor. Bisher sind hauptsächlich Kursmanipulationen, Verbreitung von Gerüchten zur Kursmanipulation, Insidergeschäfte und illegale Verlustdeckungen aufgedeckt worden. Die Kursmanipulation und die Verbreitung von Gerüchten zur Verursachung von 4. Die Forderung von Gewinnverteilung unter Druck durch Gewinnempfänger wurde ebenfalls unter Strafe gestellt; bis zu 5 Jahren Zuchthaus oder Geldstrafe bis zu 5 Mio. Yen. Im Effektengesetz'. 1. Für Kursmanipulation und Verbreitung von Gerüchten, um Kursschwankungen zu verursachen: von 3 auf 5 Jahren Zuchthaus, Geldstrafe von 3 Mio. Yen auf 5 Mio. Yen; bei juristischen Personen: von 300 Mio. Yen auf 500 Mio. Yen. 2. Für illegale Verlustdeckung: von 1 auf 3 Jahren Zuchthaus, Geldstrafe von 1 Mio. Yen auf 3 Mio. Yen; bei juristischen Personen: von 100 Mio. Yen auf 300 Mio. Yen. 3. Für Insidergeschäfte: von 6 Monaten auf 3 Jahren Zuchthaus, Geldstrafe von 500 000 Yen auf 3 Mio. Yen; bei juristischen Personen: von 500 000 Yen auf 300 Mio. Yen. Im Bankengesetz'. Für falsche Angaben und Verhinderung bei Inspektionen durch das Finanzministerium: von 500 000 Yen auf 3 Mio. Yen; bei juristischen Personen: von 500 000 Yen auf 200 Mio. Yen. Und 1 Jahr Zuchthaus wurde neu hinzugefugt.
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Kursschwankung sind die schlimmsten Verbrechen unter den Effektenverbrechen, die die Ordnung des Effektenhandels beeinträchtigen, und vielen Investoren Schaden zufügen. Im folgenden sollen die bisher aufgedeckten Fälle, die in Publikationen veröffentlicht wurden 14 , aufgeführt werden.
a) Als Aktienwertmanipulationen
sind folgende 6 Fälle bekannt
- Der Fall Kyodoshiryo (AG)-Aktien von 1972. - Der Fall Tokyo Tokeiseizo (AG)-Aktien von 1973. - Der Fall Nippon Netsukagaku Kogyo (AG)-Aktien von 1974. - Der Fall Nippon Tanko (AG)-Aktien von 1980. - Der Fall Fujita Kanko (AG)-Aktien von 1990. - Der Fall Nippon Yunishisu (AG)-Aktien von 1990- 1991.
b) Als Verbreitung von Gerüchten zur Verursachung von Kursschwankung sind folgende 3 Fälle bekannt - Der Fall Nippon Metal (AG)-Aktien, der 1961 aufgedeckt wurde.
- Der Fall Software-Entwicklungsfirma "TSD" (AG)-Aktien, der 1995 aufgedeckt wurde. - Der Fall "Wahrsager", der 1997 aufgedeckt wurde.
2. Effektenverbrechen, die erst während der Bubble-Wirtschaft und bei deren Zusammenbruch neu kriminalisiert wurden, und das tatsächliche Auftreten dieser Verbrechen a) Insidergeschäfte Um 1986 begannen die USA, auf die bedenkliche Situation der florierenden Insidergeschäfte hinzuweisen, und Abhilfe zu fordern, da amerikanische Unternehmen die Absicht hatten, in den japanischen Effektenmarkt einzusteigen, und daher eine faire Wettbewerbssituation auf dem japanischen Effektenmarkt sicherstellen wollten. Das Finanzministerium wollte dieser Kritik mit dem Ver-
14
4*
Vgl. Toshio Kamiyama, Wirtschaftskriminalität in Japan, 1996, S.39 ff.
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sprechen, freiwillige Regelungen von Unternehmern zu verstärken, begegnen. Gerade zu diesem Zeitpunkt, im Herbst 1987, wurde der Fall Tateho Kagakukogyo AG aufgedeckt, und die Insidergeschäfte wurden sofort zu einem politischen und sozialen Problem. Damals dachte man daran, als Grundlage zur Kontrolle von Insidergeschäften, nach dem Vorbild der amerikanischen Gesetzgebung, die „allgemeine betrügerische Handlung" im Sinne des Effektenhandelsgesetzes (§ 58 a.F.) anzuwenden. Aber diese Bestimmung war bis dahin kein einziges Mal auf Insidergeschäfte angewendet worden, und in der Öffentlichkeit wurden die Insidergeschäfte selbst nie als ein Verbrechen angesehen. Der Fall Tateho wurde letztlich nicht strafrechtlich geahndet, aber dieses Ereignis gab Anlaß dazu, Maßnahmen gegen Insidergeschäfte zu ergreifen und das Effektenhandelsgesetz teilweise zu ändern. Es wurden detaillierte Strafbestimmungen für Insidergeschäfte eingeführt, die am 1. April 1989 in Kraft traten. Im folgenden soll die Aufdeckungssituation von Insidergeschäften seit dem Inkrafttreten des geänderten Gesetzes15 betrachtete werden:
aa) Insidergeschäft um die Aktien der Firma Nisshin Kisen (AG), das 1990 aufgedeckt wurde Der Angeklagte (Präsident eines Geldinstitutes) erfuhr, daß Nisshin Kisen (AG) plante, einem Dritten eine Kapitalerhöhung zuzuteilen, da dessen Firma an Nisshin Kisen ein Darlehen gewährt hatte, und kaufte vor der Veröffentlichung dieser Kapitalerhöhung 7000 Aktien der Nisshin Kisen. Das Amtsgericht Tokyo verurteilte den Angeklagten im Schnellverfahren zu einer Geldstrafe von 200 000 Yen. Dieses Urteil entspricht ungefähr dem eines Verkehrsdeliktes.
bb) Insidergeschäft um die Aktien der Firma Macros, das 1991 aufgedeckt wurde Der Direktor des Industriemaschinenherstellers "Macros" erfuhr bei einer Vorstandssitzung, daß sich das Geschäftsergebnis seiner Firma infolge von fiktiven Geschäften, die der geschäftsführende Direktor getätigt hatte, um ca. 4 Mrd. Yen verschlechtern werde, und veräußerte vor der Veröffentlichung dieser Information 22000 auf seinen und auf den Namen seiner Frau lautende Aktien seiner Firma. Das Amtsgericht Tokyo verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 500 000 Yen.
15
Vgl. Toshio Kamiyama, Wirtschaftskriminalität in Japan, 1996, S. 54 ff.
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cc) Insidergeschäft um die Aktien der Firma Nippon Shoji, das 1994 aufgedeckt wurde Vorstandsmitglieder dieser Firma veräußerten Aktien ihrer Firma, bevor bekanntgegeben wurde, daß 16 Patienten durch Nebenwirkung des von ihrer Firma entwickelten, und vertriebenen Antivirenmittels Soribujin gestorben waren, und entgingen dadurch Verlusten. Das Amtsgericht Osaka verurteilte 24 Angeklagte einschließlich des ehemaligen geschäftsfuhrenden Direktors im Schnellverfahren zu Geldstrafen von 200 000 bis 500 000 Yen. Das Landgericht Osaka verurteilte einen Praxisarzt, der der erste Informationsempfänger war, zu einer Geldstrafe von 300 000 Yen.
dd) Insidergeschäft um die Aktien der Firma „Shinnihon Kokudo Kogyo", das 1995 aufgedeckt wurde Kurz vor der Veröffentlichung der Information, daß die von der Firma ausgestellten Wechsel nicht gedeckt waren, veräußerten die „Shimizu" Bank 16 und die Firma „Marubeni Kensetsukikai Hanbai" die jeweils in ihrem Besitz befindlichen Aktien der Firma „Shinnihon Kokudo Kogyo" . Das Amtsgericht Tokyo verurteilte die Shimizu Bank (juristische Körperschaft) zu einer Geldstrafe von 500 000 Yen, und die Vorstandsmitglieder zu Geldstrafen von 50 000 bzw. 20 000 Yen. Die Firma „Marubeni Kensetsukikai Hanbai" (juristische Körperschaft) und ihr Geschäftsführer wurde zu einer Geldstrafe von jeweils 300 000 Yen verurteilt.
ee) Insidergeschäft um die Aktien der Firma „Nippon Orimono Kogyo", das 1996 aufgedeckt wurde Vor der Veröffentlichung einer Kapitalerhöhung dieser Firma soll deren Rechtsberater ca.l 10 000 Aktien dieser Firma unter dem Namen eines Bekannten gekauft und einen Gewinn von ca. 40 Mio. Yen erzielt haben. Das Landgericht Tokyo verurteilte den Rechtsberater zu 6 Monaten Zuchthaus mit 3 Jahren Bewährungsfrist und legte ihm eine nachträgliche Zahlung von 26,21 Mio. Yen auf.
16
Die Shimizu-Bank ist eine Lokalbank.
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ff) Insidergeschäft um die Aktien der Firma „Suzutan", das 1997 aufgedeckt wurde Der ehemalige Oberpräsident und andere Angestellte verzögerten von Mai bis September 1994 die Veröffentlichung von bei „Suzutan" im Zusammenhang mit dem Fehlschlag der Tochtergesellschaft S-Kosan entstandenen Verluste, und veräußerten die im Besitz des ehemaligen Oberpräsidenten befindlichen ca. 1,01 Mio. Suzutan-Aktien und ca. 310 000 auf den Namen der Firma S-Kosan lautende Suzutan-Aktien. Die Staatsanwaltschaft Nagoya klagte den ehemaligen Oberpräsidenten und andere Angestellte beim Landgericht Nagoya am 1. Mai 1997 an. Das Landgericht Nagoya verurteilte den ehemaligen Oberpräsidenten am 30.September 1997zu 6 Monaten Zuchthaus mit 3 Jahren Bewährungsfrist.
gg) Insidergeschäft um die Aktien des Kommunikationsgeräteherstellers „Shintomu", das 1997 aufgedeckt wurde Der ehemalige Präsident des auf elektronische Bauteile spezialisierten Handelshauses „Bitec", mit dem die Firma „Shintomu" Geschäftsbeziehung unterhielt, erfuhr Ende Mai 1994, daß „Shintomu" plante, eine einem Dritten zugeteilte Kapitalerhöhung durchzuführen, und eine Mobilfunkvertriebsfirma als Jointventure zu errichten. Daraufhin kauften die Firma Bitec und andere Firmen vor der Veröffentlichung dieser Kapitalerhöhung Shintomu-Aktien auf den Namen eigener Firmen oder auf den Namen von Bekannten. Die Staatsanwaltschaft Tokyo klagte im Mai 1997 den ehemaligen Oberpräsidenten der Firma Bitec, so wie drei juristische Körperschaften, einschließlich der Firma Bitec, beim Amtsgericht Tokyo an. Bis dahin war es nie vorgekommen, daß innerhalb von nur 8 Jahren so viele Effektenverbrechen desselben Typs aufgedeckt wurden. Bei vier von den insgesamt sieben Fällen handelte es sich um Insidergeschäfte anhand von Minus-Informationen, bei den übrigen drei Fällen um PlusInformationen.
b) Illegale Verlustdeckung
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In der Zeit vom Ende 1989 bis 1991 wurden durch Untersuchungen der Finanzämter und des Finanzministeriums ersichtlich, daß die 4 größten und ande-
17 Toshio Kamiyama, Forschung zur Verlustdeckungsverbrechen, Hanreijiho (eine Zeitschrift für die Neuigkeiten der Rechtsprechungen) (1) Nr. 1610, 1997, S.13 ff., (2) Nr. 1611, 1997, S.14 ff.
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re größere Effektenfirmen in bedeutendem Ausmaß und in weiten Bereichen Verlustdeckung praktizierten. Die Effektenfirmen deckten Verluste nur dann, wenn Großkunden durch Aktiengeschäfte Verluste erlitten hatten, und sie weiterhin mit diesen Kunden in Geschäftsverbindung bleiben wollten; bei kleinen Kunden dagegen deckten sie die erlittenen Verluste nicht. Bisher war vorsorgliches Versprechen von Verlustdeckung zwar verboten, aber es gab keine strafrechtliche Regelung dafür. Verlustdeckungen im nachhinein waren überhaupt nicht verboten. Die Verlustdeckungsaffären wurden zu einem sozialen Problem, und im Oktober 1991 wurden durch Änderung des Effektenhandelsgesetzes Strafbestimmungen eingeführt, die ab Januar 1992 in Kraft traten. Nach der Änderung des Gesetzes wurden folgende Verlustdeckungsfälle aufgedeckt:
aa) Der Fall Chiyoda-Effektengesellschaft 18, der 1995 aufgedeckt wurde Die Chiyoda-Effektengesellschaft ersetzte 5 Kunden die von ihnen erlittenen Verluste, indem sie von Februar 1993 bis September 1994 60 mal selbst mit Aktien handelte, dabei aber so tat, als ob die Kunden den Aktienhandel beauftragt hätten, und den so erzielten Gewinn, insgesamt ca. 60 Mio. Yen, zum Decken der Verluste verwendete. Die Staatsanwaltschaft Tokyo klagte am 14. Februar 1996 den Präsidenten der Effektenfirma und 3 weitere leitende Angestellte beim Amtsgericht Tokyo, und die Effektenfirma und deren geschäftsführenden Direktor beim Landgericht Tokyo, an. Die Kunden wurden nicht angeklagt. Das Amtsgericht Tokyo verurteilte den Präsidenten der Firma zu einer Geldstrafe von 500 000 Yen und die 3 leitenden Angestellten zu Geldstrafen von 500 000 bis 300 000 Yen. Das Landgericht Tokyo verurteilte die Firma zu einer Geldstrafe von 15 Mio. Yen und den geschäftsführenden Direktor zu 6 Monaten Zuchthaus mit einer Bewährungsfrist von 2 Jahren.
bb) Der Fall Nomura-Effektengesellschaft 19, der 1997 aufgedeckt wurde Die in diesem Fall angewendete Vorgehensweise zur Verlustdeckung wird „Tsukekae" genannt. Nomura führte einen Teil der von ihr erzielten Gewinne dem Konto des Kunden zu. Nomura wurde beschuldigt, daß sie bei einem Handel mit den Aktien der Fuji Bank 500 000 von den insgesamt 4 Mio. Aktien, mit denen sie selbst handelte, durch Manipulieren von Belegen so getarnt habe, als ob ein Sokaiya Nomura beauftragt hätte, diese Aktien zu handeln. Nomura führte dann den Gewinn von ca.38,5 Mio. Yen, den sie hätte für sich selbst be-
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Die Chiyoda-Effektengesellschaft ist eine größere Firma. Die Nomura-Effektengesellschaft ist eine der 4 größten Firmen.
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halten können, dem Konto des Hochhauses „ K Building" zu, das ein Bruder von K, der Vertreter des sogenannten Sokaiya betrieb. Außerdem soll Nomura Κ einen Betrag von 320 Mio. Yen in bar zur Verfügung gestellt haben. Die Firma Nomura-Effektengesellschafit, ein ehemaliger geschäftsfuhrender Direktor der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten der Firma, ein ehemaliger geschäftsführender Direktor der Firma, der im Aktienbereich tätig war, und der ehemalige Präsident der Firma wurden wegen Verlustdeckung und illegaler Gewinnverteilung an Sokaiya angeklagt.
cc) Der Fall Yamaichi-Effektengesellschaft 20, der 1997 aufgedeckt wurde K, der Vertreter einer Sokaiya-Gruppe, eröffnete im Juni 1994 bei der Yamaichi-Effektengesellschaft ein Konto unter dem Namen von „K-Building", das sein Bruder betrieb, und beauftragte Yamaichi mit dem Effektenhandel. Anfang 1995 entstanden durch eine Reihe beauftragter Effektenhandel große Verluste. Yamaichi wurde beschuldigt, daß sie die entstandenen Verluste dadurch gedeckt habe, daß sie ca.80 Mio. Yen vom Gewinn, den sie in der Zeit zwischen Januar und Februar 1995 bei SIMEX (Singapur International Money Exchange) durch ein Termingeschäft von Effekten für sich selbst erzielt hatte, dem Konto des „K-Building" in 22-maligen Teilzahlungen zugeführt hatte. Im Juli 1997 fanden Hausdurchsuchungen in der Zentrale der Firma, bei den Firmen, die mit ihr in Geschäftsbeziehung standen, in den Privathäusern des Oberpräsidenten, des Präsidenten, des ehemaligen Abteilungsleiters der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten und anderer Angestellter statt. Im September 1997 wurde der ehemalige Präsident wegen Verlustdeckung und illegaler Gewinnverteilung an Sokaiya verhaftet. Im Oktober 1997 fand die Hausdurchsuchung im Haus des ehemaligen Vizepräsident statt und auch er wurde wegen Verlustdeckung und illegaler Gewinnverteilung an Sokaiya verhaftet. Bisher wurden 7 Personen, einschließlich des ehemaligen Präsidenten, verhaftet und angeklagt. Die Firma brach im November 1997 zusammen.
dd) Der Fall Daiwa-Effektengesellschafit 21, der 1997 aufgedeckt wurde Die Firma Daiwa führte ca. 200 Mio. Yen als Verlustdeckung und illegale Gewinnverteilung an Sokaiya dem Konto der „K-Building" zu. Genau wie dies im Fall Nomura geschehen war. Im September 1997 fanden die Hausdurchsuchungen in der Zentrale der Firma , in den Privathäusern des Oberpräsidenten 20 Die Yamaichi-Effektengesellschaft ist eine der 4 größten Firmen. Aber sie brach im November 1997 zusammen. 21 Die Daiwa-Effektengesellschaft gehört zu den 4 größten Firmen ihrer Art.
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und des Präsidenten und im Oktober im Haus eines ehemaligen Präsidenten statt. Im November wurden der ehemalige Vizepräsident, ein ehemaliger führender Geschäftsverwalter, ein ehemaliger geschäftsführender Direktor, ein ehemaliger Abteilungsleiter der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten und andere Angestellte wegen Verlustdeckung und illegalen Gewinnverteilung an Sokaiya angeklagt. Und auch die Firma Daiwa wurde als juristische Person wegen Verlustdeckung angeklagt.
ee) Der Fall Nikko-Effektengesellschaft 22, der 1997 aufgedeckt wurde Die Firma Nikko führte ca. 140 Mio. Yen als Verlustdeckung und illegale Gewinnverteilung an Sokaiya dem Konto der „K-Building" zu. Auch hier wurde auf die gleiche Weise wie im Fall Nomura vorgegangen. Im September 1997 fanden Hausdurchsuchungen in der Zentrale der Firma , in den Privathäusern des Oberpräsidenten, des Präsidenten und in anderen Gebäuden statt. Im Oktober wurden zwei ehemalige Vizepräsidenten(A und B), zwei ehemalige geschäftsführende Direktoren(C und D) und ein ehemaliger Abteilungsleiter der Abteilung für allgemeine Angelegenheiten(E) verhaftet. Im November wurden A, B, C und D schließlich wegen Verlustdeckung und illegaler Gewinnverteilung an Sokaiya angeklagt. Und auch die Firma Nikko wurde als juristische Person wegen Verlustdeckung angeklagt.
3. Problematik der strafrechtlichen Regelung des Effektenhandels a) Es gibt keinerlei Bedenken, Handlungen wie Kursmanipulation oder Gerüchteverbreitung zur Kursmanipulation, die den Investoren unmittelbar Verluste einbringen, strafrechtlich zu verfolgen. Diese Delikte werden dann auch tatsächlich aufgedeckt. Dagegen ist es problematisch, viele Pflichtverletzungen, die nicht unmittelbar Verluste verursachen, strafrechtlich zu ahnden. Die strafrechtliche Ahndung dieser formellen Delikte wird dadurch begründet, daß sie dem Schutz von Investoren dient, oder die Ordnung des Effektenhandels aufrechterhält. Aber diese Pflichtverletzungen an sich werden in Wirklichkeit seltener aufgedeckt als Kriminaldelikte. Das Effektenhandelsgesetz schreibt zur Kontrolle des Effektenhandels durch Verwaltungsmaßnahmen verschiedene Pflichten vor und bestraft auch deren Verletzung. Aber diesen Pflichtverletzungen sollten eigentlich die zuständigen Behörden mit Verwaltungsmaßregeln begegnen. Sie sollten ausschließlich als Ordnungswidrigkeiten durch Verwaltungsmaßnahmen geregelt werden.
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Die Nikko-Effektengesellschaft ist eine der 4 größten Firmen.
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b) Besonders problematisch ist die strafrechtliche Regelung der Verlustdeckung. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß Verlustdeckungen dem Prinzip der Unparteilichkeit und Gerechtigkeit auf dem Effektenmarkt widersprechen, und daß Effektenfirmen dadurch das Vertrauen von allgemeinen Investoren verlieren, aber weder kleinere Kunden, bei denen die entstandenen Verluste nicht ersetzt werden, noch sonstige Kunden erleiden dadurch irgendwelche Schäden. Der Gesetzgeber, der die Verlustdeckung unter Strafe gestellt hat, und Kenner des Effektenhandelsgesetzes vertreten allgemein die Auffassung, daß Verlustdeckungen die Bildung von Preisen im freien Wettbewerb beeinträchtigen. Sie sind nämlich der Meinung, daß der Wettbewerb auf dem Markt vernachlässigt wird, wenn man weiß, daß entstehende Verluste sowieso gedeckt werden. Aber dieses Argument kann man nicht stichhaltig belegen. Außerdem erfolgen die nachträglichen Verlustdeckungen erst nach der Bildung der Marktpreise. Es ist daher unwahrscheinlich, daß diese Verlustdeckungen die Bildung der Marktpreisen beeinflussen. Trotzdem wird behauptet, daß diese Verlustdeckungen eventuelle zukünftige Geschäfte beeinflussen könnten. Dieses Argument ist nicht haltbar. Im Endeffekt könnte man sagen, daß nur ungleiche Behandlung von Kunden durch Effektenfirmen kriminalisiert wurde. Hier dürfte der Ärger oder die Unzufriedenheit der Bevölkerung gegen die Tendenz im Effektenhandel, daß einflußreiche Großkunden bevorzugt werden, eine große Rolle spielen. Es ist fraglich, ob die Verlustdeckung überhaupt einen kriminellen Charakter hat. Auch Verlustdeckungen sollte man durch Verwaltungsmaßnahmen begegnen. c) Die strafrechtliche Regelung der Insidergeschäfte sind in der Schweiz, in Deutschland und in Japan23 theoretisch behandelt worden. Allgemein wird die Ansicht vertreten, daß Insidergeschäfte die Ordnung des Effektenmarkts beeinträchtigen, und gleichzeitig allgemeinen Investoren Verluste bringen. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß Insidergeschäfte die Ordnung des Effektenmarkts beeinträchtigen, aber es ist dennoch fraglich, ob dies bei allgemeinen Investoren Verluste verursachen wird. Sicherlich ist es möglich, daß Insider, die bestimmte Informationen erhalten haben, durch Handel mit den diese Information betreffenden Aktien Gewinne erzielen, und nicht informierte allgemeine Investoren dagegen Verluste erleiden; aber wenn allgemeine Investoren Verluste erleiden, dann sind diese Verluste darauf zurückzuführen, daß die Firma, die die Aktien ausgestellt hat, nach Abschluß des Aktienhandels auf dem Effektenmarkt negative bzw. positive Informationen veröffentlichte, und dadurch der Wert der betreffenden Aktien schwankte. Die Schwankung des Werts der betreffenden Aktien wird also durch die Firma, die die Aktien ausstellte, selbst verursacht; Insider treiben lediglich Handel mit den betreffenden Aktien, und dabei stellen
23 Toshio Kamiyama, Insidergeschäft und Wirtschaftsstrafrecht, Okayama Law Journal, Vol. 40, No. 3.4, 1991, S.37 ff.
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sie sich unwissend. Sie verursachen dadurch keine Schwankung des Aktienwerts. Insidergeschäfte sind unfaire Geschäfte, durch die man Geschäfte machen und Gewinne erzielen kann, wie man es beabsichtigt hat. Daher dürften auch hier der Ärger und die Unzufriedenheit der allgemeinen Investoren über die Tatsache, daß nur ein Teil der Investoren enorme Gewinne erzielen kann, eine große Rolle spielen. Ich bin zwar nicht gegen das Verbot der Insidergeschäfte selbst, aber ich habe Zweifel an der Begründung der strafrechtlichen Regelung. Hier wäre auch denkbar, Insidergeschäfte durch Verwaltungsmaßregeln in Form von Gewinnentzug oder Geschäftsverbot zu ahnden. Insidergeschäfte stehen zwar in einem sehr üblen Ruf, aber sie werden normalerweise beim Amtsgericht mit einer Geldstrafe in derselben Höhe wie die fur Verkehrsdelikte belegt. Wenn Beschuldigte die begangenen Taten verleugnen, oder besonders arglistig vorgegangen sind, dann werden sie eventuell beim Landgericht angeklagt. Aber der Regelfall ist die Verurteilung zu einer Geldstrafe durch das Amtsgericht. Bisher wurde bei zwei Fällen eine kurze Zuchthausstrafe mit Bewährungsfrist ausgesprochen.
IV. Schlußbemerkung 1. Übertretungen im Sinne der wirtschaftlichen Verwaltungsgesetzgebung in Japan werden meistens sowohl durch Verwaltungsmaßnahmen als auch durch strafrechtliche Bestimmungen geregelt. Insbesondere werden Unternehmen als juristische Körperschaften bei Übertretungen sowohl strafrechtlich verfolgt als auch mit Verwaltungsmaßregeln wie ein längerfristiges Geschäftsverbot belegt. Nun, was für eine Wirkung haben diese Strafen auf die Unternehmen? Für juristische Körperschaften gibt es nur Geldstrafen, und die Höhe der Geldstrafe entspricht höchstens den Repräsentationskosten eines Unternehmens. Da die Geldstrafe selbst einem Unternehmen nur geringfügig schadet, kann man davon fast keine Wirkung erwarten. Dagegen verursachen Geschäftsverbote durch Verwaltungsmaßregeln oder Boykottierung des Geschäftsverkehrs durch die Regierung, die kommunalen Regierungen und Privatunternehmen große Schäden bei Firmen und deren Mitarbeitern. Solche Maßnahmen können auf Unternehmen so großen Einfluß ausüben, daß die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens in der betreffenden Branche abgeschwächt werden kann 24 . Der Dai-Ichi Kangyo Bank wurde ein längerfristiges Geschäftsverbot über neue Darlehensgebiete in Inlandsgeschäftszweigen, ein Übernahmeverbot für
24
Toshio Kamiyama, Zur Art, Weise und Inhalt der Sanktionen gegen Unternehmen, Keiho Zasshi ( Journal of Criminal Law), Vol. 36, No. 2, 1997, S.270 ff.
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Toshio Kamiyama
öffentliche Anleihen vom 6. August 1997 bis Dezember 1997 und ein einjähriges Errichtungsverbot für neue Filialen im In- und Ausland ein Jahr lang ab dem 6. August 1997 auferlegt. Auch die Firma Nomura-Effektengesellschaft wurde wegen des letzten Verlustdeckungs- und illegalen Gewinnverteilungsfalls mit einem Geschäftsverbot vom 6. August 1997 bis Dezember 1997 für bestimmte Geschäftsbereiche, Abteilungen und Filialen belegt. Außerdem wurde die Firma von öffentlichen Organen und Privatunternehmen boykottiert, so daß sie große Verlust erleiden wird. Ebenso erging es den Firmen Daiwa-Effektengesellschaft und NikkoEffektengesellschaft. Beide Firmen wurden wegen ihrer letzten Verlustdeckungs- und illegalen Gewinnverteilungsfälle mit Geschäftsverbot belegt. Erstere wurde mit einem Geschäftsverbot vom 25. Dezember 1997 bis zum 24. April 1998 für bestimmte Geschäftsbereiche und Abteilungen, letztere mit einem Geschäftsverbot vom 25. Dezember 1997 bis zum 4. März 1998 für bestimmte Geschäftsbereiche, Abteilungen und Filialen belegt. Die Geschäftsverbote und Boykottierungen dieser Riesenunternehmen werden in der künftigen Diskussion über die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität eine bedeutende Rolle spielen. 2. Nachdem eine Reihe von Effektenverbrechen und Finanzverbrechen aufgedeckt worden waren, erörterten die Liberaldemokratische Partei als regierende Partei und das Finanzministerium eine Gesetzesänderung mit dem Ziel, das Strafmaß für Finanzverbrechen wie Insidergeschäfte, Verlustdeckungen usw. drastisch zu erhöhen. Die diesbezüglichen Strafbestimmungen wurden im November und Dezember 1997 geändert 25. Daß Politiker und Beamte Maßnahmen zur Verstärkung der Strafbestimmungen aufzeigen, könnte als Appell an die Bevölkerung sehr wirksam sein. Aber die Inflationserscheinung der Strafen hat auch vom Gesichtspunkt der Strafrechtstheorie verschiedene Probleme. Man kann ferner nicht beweisen, daß die verschärften Strafen tatsächlich Wirkung entfalten. Strafen können zwar bei Individuen die Rolle einer nachträglichen Wiedergutmachung spielen, aber es besteht keine Gewähr, daß eine Erhöhung des Strafmaßes zur Verhinderung von Verbrechen dieser Art wirklich beitragen kann. Es wäre wirkungsvoller, unternehmensintern illegale Geschäftshandlungen zu verhindern und die Überwachung durch das Finanzministerium und das neue Finanzüberwachungsministerium, das im nächsten Sommer gegründet werden soll, zu verstärken, bevor Schäden entstehen und Zuwiderhandlungen sich verbreiten. Die ganze Reihe der Effekten- und Finanzverbrechen, die aufgedeckt wurden, haben gezeigt, wie
25
Vgl. Fußnote 13.
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mangelhaft die betriebsinternen Systeme zur Kontrolle und Überwachung von täglichen Geschäftsabwicklungen waren. Um Verbrechen dieser Art vorzubeugen ist es jedenfalls unumgänglich, betriebsinterne Risikokontrollsysteme auszubauen und zu verstärken. Und wenn die Übertretungen durch Unternehmen aufgedeckt werden, soll die juristische Körperschaft mit Verwaltungsmaßregel stark kontrolliert werden.
Wirksamkeit der strafrechtlichen Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs in Japan Unter besonderer Berücksichtigung der Vorteilsgewährung zugunsten von Sokaiya Diskussionsbeitrag Von Masao Niwa Im Rahmen meines Vortrags möchte ich dem Referat von Prof. Kamiyama einiges über die empirischen Aspekte der Bank- und Börsenskandale in Japan hinzufügen. Wegen des knappen Zeitrahmens für diesen Diskussionsbeitrag möchte ich im folgenden nur eine besonders aktuelle und häufig begangene Kriminalitätsform aufgreifen, die Vorteilsgewährung zugunsten von Sokaiya. Als „Sokaiya" werden diejenigen Leute bezeichnet, die gewerbsmäßig bei einer Aktionärsversammlung entweder dafür sorgen, daß keine unliebsamen Fragen gestellt werden, oder durch Störaktionen und unangenehme Wortmeldungen die Sitzung verzögern, je nachdem ob die Aktiengesellschaft ihnen zuvor einen Vermögens vorteil gewährt hat oder nicht. Neben der Einflußnahme bei der Aktionärsversammlung unternehmen Sokaiya auch verschiedene andere Aktivitäten unter dem Vorwand der Ausübung des Rechts eines Aktieninhabers (vgl. dazu Kühne/Miyazawa, Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in Japan, BKA, Forschungsreihe, 2.Auflage 1991, S. 164). Selbstverständlich schädigt die Existenz von Sokaiya die Gerechtigkeit und Freiheit der Ausübung des Aktieninhaberrechts, und zur Prävention der Aktivitäten von Sokaiya muß die Vorteilsgewährung zu ihren Gunsten, welcher Art auch immer, verboten werden. Unter diesem Gesichtspunkt stellt der 1981 neu geregelte § 497 jap. HGB die Vorteilsgewährung jeglicher Art zugunsten eines anderen unter Strafe. Nach dieser Vorschrift wird ein Organ einer Aktiengesellschaft mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder Geldstrafe bestraft, wenn es einem anderen, wie etwa einem Sokaiya, hinsichtlich der Ausübung des Rechts eines Aktieninhabers auf Rechnung des Unternehmens einen Vermögensvorteil verschafft hat. Wer wissentlich diesen Vermögensvorteil angenommen hat, wird ebenfalls bestraft. Anscheinend hat diese Regelung, mit welcher der Gesetzgeber die Einnahmequellen von Sokaiya zum Versiegen bringen wollte, gute Erfolge bei der Dezimierung der Sokaiya erzielt: in den letzten 15 Jahren hat sich deren Anzahl
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Masao Niwa
von 6800 auf 1000, also auf etwa ein Siebtel vermindert. Trotz dieser Regelung folgt jedoch ein Sokaiya-Skandal dem anderen: von 1981 bis heute wurden über 30 Fälle berichtet, unter welchen sich auch renommierte Namen des japanischen Banken und Börsenhandels finden. Die von der Polizeipräsidium in Tokio 1996 gemachten Umfrage hat die folgenden Fakten über Sokaiya offenbart: - Von 1200 befragten Unternehmen antworteten mehr als 400, daß sie verschiedene "Anfragen" von Sokaiya erhielten (bezüglich 1995). - Ungefähr 70 Unternehmen gingen auf die Wünsche der Sokaiya zumindest teilweise ein, d.h. sie ließen ihnen Vorteile zukommen. Nach neuesten Ermittlungen sind alle der vier großen Börsenhandelsgesellschaften (Nomura, Daiwa, Nikkoh, Yamaichi) und eine Großbank (Dai-Ichi Kangyo Bank) in Geschäfte mit Sokaiya verwickelt. Um die Dimensionen zu verdeutlichen hier ein paar Zahlen: Nomura überwies insgesamt 370 Millionen Yen (ca. DM 500,000) an einen Sokaiya, um Verluste bei Börsenspekulationen zu decken. Die Dai-Ichi Kangyo Bank gewährte demselben Sokaiya ungedeckte Kredite in Höhe von 11,7 Milliarden Yen (ca. D M 158,000,000). Doch ist hier nur die Spitze eines riesigen Eisberges zum Vorschein gekommen. Die Vorteilsgewährung durch eine Bank oder eine Börsenhandelsgesellschaft zugunsten von Sokaiya erfolgt etwa dadurch, daß die Bank dem Sokaiya Kredite ohne entsprechende Sicherheiten gewährt, oder daß die Börsenhandelsgesellschaft den Verlust eines von Sokaiya betriebenen Effektenhandels deckt, usw. Hier handelt es sich also um unlautere Handelsgeschäfte, die nicht nur wirtschaftsethisch verwerflich, sondern auch nach den einschlägigen Gesetzen strafbar sind. Insoweit verursacht die Vorteilsgewährung zugunsten von Sokaiya nicht nur Ungerechtigkeiten bei der Ausübung des Aktieninhaberrechts, sondern bedeutet auch durch Banken und Börsenhandelsgesellschaften begangene Wirtschaftskriminalität. Das häufige Vorkommen von Sokaiya-Skandalen bei den japanischen Banken und Börsenhandelsgesellschaften ist im Lichte folgender drei Besonderheiten der japanischen Wirtschaftskultur zu sehen: 1. Zuerst muß man die Tatsache beachten, daß die Aktionärsversammlung im heutigen Japan nur noch dem Namen nach existiert. Sie wird meistens in einer sehr kurzen Zeit, normalerweise innerhalb 30 Minuten, und fast ohne das Stellen von Fragen durchgeführt. Dies wird durch die Mitwirkung anderer Aktionärsgesellschaften ermöglicht, die mit der betreffenden Firma in einem Partnerschaftsverhältnis stehen. Die großen japanischen Aktiengesellschaften bilden nämlich zur Vorbeugung von Unternehmensübernahmen Partnerschaftsverbindung mit anderen Unternehmen und halten in der Regel gegenseitig den größten Anteil an den gesamten Aktien der Partnergesellschaft. Um die Aktionärsversammlung reibungslos beenden zu können, gibt die eine Partnergesellschaft als größter Aktionär der anderen eine Blankovollmacht im voraus oder bei der Sitzung nur Zustimmungsvoten, damit alle von der Firma gemachten Vorschläge
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angenommen werden. Unter diesen Umständen macht sich die Leitung einer japanischen Aktiengesellschaft große Sorgen darüber, daß die Aktionärsversammlung nicht gestört oder verzögert wird. Gerade deswegen gewähren die Firmen den Sokaiya Vermögensvorteile, entweder um die Sitzung beschleunigen oder um die Sitzungsstörung durch Sokaiya vermeiden zu können. 2. Zweitens muß darauf hingewiesen werden, daß ein japanischer Großfirmenchef äußerst weitgehende Entscheidungsbefugnisse in Personalfragen hat und auch nach dem Rücktritt als Vorstandsmitglied sehr einflußreich bleibt, selbst wenn er wegen eines Sokaiya-Skandals von seiner Stellung als Firmenchef zurückgetreten ist. Bei seinem Rücktritt wählt der Ex-Firmenchef einen seiner treuen Untergebenen als Nachfolger, so daß er auf den neuen Chef weiterhin Einfluß ausüben kann. Das dem Skandal zugrunde liegende Problem der mangelnden Wirtschaftsethik läßt sich damit kaum ausmerzen. 3. Drittens darf man auch die Tatsache nicht übersehen, daß das Kontrollsystem zur Vorbeugung von unlauteren oder kriminellen Machenschaften nicht gut funktioniert. Zwar haben die japanischen Aktiengesellschaften als Prüfungsinstrument den Aufsichtsrat und eine externe Kontrollstelle, aber diese Prüfungsorgane können mangels ausreichender Befugnisse und fehlender Hilfskräfte die strafbare Vorteilsgewährung kaum aufdecken. Dazu kommt, daß die unlauteren Ausgaben durch die Finanzabteilung der Firma oft in schlauer Weise verdeckt werden. Ein ähnliches Versagen des Kontrollsystems findet sich nicht nur bei der Vorteilsgewährung zugunsten sonstiger Dritter, sondern auch bei den anderen Banken- und Börsenskandalen. Angesichts der Häufung der Skandale plant man zur Zeit die Verschärfung der Strafandrohung bei Vorteilsgewährung zugunsten von Sokaiya und anderen Zuwiderhandlungen gegen das Banken- oder Börsengesetz. Meiner Meinung nach ist es jedoch ziemlich fraglich, ob diese Strafverschärfung zur Bekämpfung der Sokaiya und anderer mit dem Bank- und Börsenhandel verbundener Kriminalität tauglich ist. Vielmehr könnte die voreilige StrafVerschärfung die Taten verborgener und radikaler werden lassen. Zuerst muß man der Tatsache Rechnung tragen, daß die Begehungsweise der Tat nach dem Inkrafttreten des obengenannten § 497 jap. HGB viel intelligenter und subtiler als früher geworden ist. Hinzu kommt, daß die meisten Sokaiya ihre Verbindungen mit Rechtsradikalen oder den Yakuza immer mehr verstärkt haben, um trotz der schwierigen Situation überleben zu können. Die Erhöhung der Obergrenze der Strafe würde also diese unerfreuliche Tendenz noch verschlimmern. Außerdem darf man das Dilemma nicht übersehen, daß die vorschnelle Verschärfung der Strafsanktion zu weniger Anzeige- und Mitwirkungsbereitschaft in den betroffenen Unternehmen bei der Ermittlung der Strafsache fuhren kann, weil die Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder vor einer Bestrafung ihrer selbst oder eines Kollegen größere Angst haben.
5 Kühne / Miyazawa
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Masao Niwa
Gleichzeitig ist auch zu überprüfen, ob die Häufung der Skandale nur auf die anscheinend milde Strafsanktion des geltenden Rechts zurückzuführen ist. Bei näherer Betrachtung ergibt sich vielmehr, daß das mangelnde Schuldbewußtsein der Täter und die ungenügende Strafverfolgungsintensität immer neue Skandale verursachen. Die Täter der Banken- und Börsenkriminalität in Japan denken beispielsweise oft, daß sie die Tat "zum Vorteil der Firma" begangen und deswegen nichts Verwerfliches getan hätten, oder daß sie selbst ein Opfer seien, weil sie wegen der auf den Befehl ihres Vorgesetzten hin begangenen Tat bestraft werden, während dieser Vorgesetzte ungestraft davonkommt. Angesichts dieser Tatsache, bedarf es vor allem der verstärkten Aufsicht des unlauteren Geschäfts und der Verbesserung der ethischen Grundsätze in den Unternehmen. Dazu sollte man neue selbständige Unternehmensaufsichtsorgane errichten, die eine intensive Strafverfolgung wie in den USA und die Bestrafung aller Beteiligten ermöglichen. Daneben könnte der Qualifikationsverlust gemäß §254a jap. HGB auch eine Rolle spielen, wo schon die Verhängung der Geldstrafe zur Entziehung der Qualifikation als Vorstandsmitglied fuhrt. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Strafsanktion bei der Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs kein Allheilmittel darstellt und ihre präventive Wirkung nicht überschätzt werden sollte. Vielmehr sollte man im Auge haben, durch die Anhebung der moralischen Grundorientierungen innerhalb der Bank- bzw. Börsenhandelsgesellschaft präventiv zu wirken. Dies scheint mir der schnellste und sicherste Weg zur Lösung des Sokaiya-Problems zu sein. Leider fehlt es den Tätern meist am Unrechtsbewußtsein, weil die firmeninternen Wertorientierungen nicht mit den strafrechtlichen Sollensnormen übereinstimmen. Hier ist der Hebel zur Kriminalitätsverminderung zu suchen.
Veränderte Bedingungen des Resozialisierungsvollzuges im Kontext internationaler Kriminalität in Deutschland Von Klaus Rolinski
I. Einleitung Da Strafvollzug immer auch Ausdruck einer konkreten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit ist, umfassen die „Bedingungen des Resozialisierungsvollzuges" einen sehr komplexen Bereich, genau genommen die jeweilige Gesellschaft und darüberhinaus den Strafvollzug selbst. Und der Begriff „internationale Kriminalität" ist zwar weniger komplex, aber keineswegs konkret. Um die wichtigsten Problempunkte des Themas herausstellen zu können, werde ich also sehr stark vereinfachen müssen. Erschwerend kommt hinzu, daß ich über die „ veränderten ' Bedingungen referieren soll. Es muß also zusätzlich eine historische Dimension erfaßt werden. Nun reichen Resozialisierungsansätze zwar recht weit zurück, mindestens bis zum „House of Correction" in Bridewell (1555)1 und den sogenannten „Zuchthäusern (Tuchthuis)" in Amsterdam (1595) 2 referieren kann ich aber nur über die jüngere Geschichte und zwar über die Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland, d.h. über die, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute stattgefunden haben. Dabei kommt es mir darauf an zu zeigen, wie sich die bundesrepublikanische Gesellschaft verändert hat, daß neben die lokale Kriminalität eine Kriminalität mit internationalem Bezug getreten ist, wie sich die heutige Bevölkerung zum Versuch der Resozialisierung von Straftätern stellt und welche Auswirkungen von alledem auf den Strafvollzug schon jetzt aufweisbar sind.
1 Eberhard Schmidt, Einfuhrung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl., Göttingen 1965, § 176, § 177. Eberhard Schmidt, Fn. 1., § 178, § 179. 2 Eberhard Schmidt, Fn. 1., § 178, § 179.
5»
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Es wird sich zeigen, daß die „internationale Kriminalität" nur eine Variable unter anderen ist, die den Versuch, Resozialisierung im Strafvollzug durchzuführen, behindert. Und ich möchte um Nachsicht bitten. Zugrunde liegt ein Projektentwurf, dessen Finanzierung aber noch nicht einmal gesichert ist. Ich kann daher noch nicht über Ergebnisse referieren, sondern nur auf ein - mehr oder weniger vergessenes, aber wichtiges - Problem aufmerksam machen.
II. Hauptteil 1. Die Reformbewegung vom Verwahrvollzug bis hin zum Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 und zur Maßregel der sozialtherapeutischen Anstalt (§ 65 StGB) Bis in die 60er Jahre hinein war Strafvollzug Verwahrvollzug mit dem Ziel, den Verurteilten zu sichern, sozusagen seine Gefährlichkeit für die Gesellschaft wenigstens für die Zeit seiner Freiheitsstrafe zu verschließen3. Die Folge war ein inhumaner und die Persönlichkeit des Inhaftierten zerstörender Strafvollzug. Als ich 1966 eine erste empirische Untersuchung im Strafvollzug versuchte, hatte ich die Strafgefangenen in der Strafanstalt Limburg mit einem persönlich gehaltenen Rundschreiben angesprochen. Zur Teilnahme meldeten sich lediglich 7% der Inhaftierten. Der überwiegende Teil der Strafgefangenen war durch die langjährige Haft psychisch versandet. Die Untersuchung war nicht durchführbar 4. Dagegen war der gesellschaftliche Hintergrund fur eine Strafvollzugsreform günstig. Die 50er und 60er Jahre waren durch den Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg und durch eine allgemeine Konsolidierung gekennzeichnet, die sich ζ. B. in kontinuierlichen Lohnzuwächsen, hohen Unternehmensgewinnen und in der Beseitigung der kriegsbedingten Zerstörung in den Städten durch staatlich geförderten Wohnungsbau zeigte5. An einzelnen Variablen der Sozialstruktur, freilich willkürlich ausgewählt, läßt sich dieser positive Zustand aufweisen. So war die Staatsverschuldung seinerzeit vergleichsweise gering. Sie betrug 1965 105 Mrd. DM, was einem Anteil von 22%
3
Vgl. Dienst- und Vollzugsordnung der Länder vom 1.12.1967, insbesondere Art. 57, in dem der Sicherungsgedanke als Vollzugsziel an erster Stelle steht. 4 Vgl. auch D. Rollmann, Hg., Strafvollzug in Deutschland. Situation und Reform, Frankfurt 1967; H. Schiiler-Springorum, Strafvollzug im Übergang, Göttingen 1969. Vgl. Dienst- und Vollzugsordnung der Länder vom 1.12.1967, insbesondere Art. 57, in dem der Sicherungsgedanke als Vollzugsziel an erster Stelle steht. 5 Allein von 1949 bis 1956 wurden 2,229 Millionen öffentlich geförderte Wohnungen fertiggestellt. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 3,587 Millionen Wohnungen gebaut. Bundesminister fur Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Hg., Wohnungspolitik nach dem 2. Weltkrieg, Braunschweig 1990, S. 67.
Resozialisierung und internationale Kriminalität in Deutschland
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des Bruttosozialprodukts entsprach6. Finanziell gesehen war der Staat also handlungs- und damit auch reformfähig. Arbeitslosigkeit war kein Problem, und zwar auch nicht für Ausländer. 1965 waren 147.352 erwerbsfähige Personen arbeitslos (= 0,54%)7. Zwar war zu Ende der 60er Jahre der Import ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere aus der Türkei, weitgehend abgeschlossen, doch war die Gesamtzahl der Ausländer so niedrig, daß sie nicht einmal jährlich gezählt wurde. Nach der Volkszählung von 1961 betrug die Anzahl der Ausländer 686.200, das entsprach einem Anteil von 1,22% an der Wohnbevölkerung 8. Ihre Kriminalität wurde von der deutschen Bevölkerung praktisch nicht wahrgenommen; zurecht, denn sie begingen im Verhältnis zu Deutschen nicht mehr Delikte, da sie überwiegend zur ersten Einwanderer-Generation gehörten 9. Wie „unproblematisch" die damalige Gesellschaftsstruktur ausgelegt war, mag man auch daran ermessen, daß die Drogenabhängigkeit als Problem erst schwach am Horizont erschien und daß die gesamte deutsche Polizei davon überzeugt war, organisierte Kriminalität mit mafiaähnlichen Strukturen sei in der Bundesrepublik nicht möglich 10 . Solche Daten und die sichtbar boomende Wirtschaft führten beim überwiegenden Teil der Bundesbürger zu einer positiven Grundstimmung, verbunden mit einer optimistischen Zukunftsperspektive. Und natürlich bewirkten solche Variablen auch eine positive Haltung gegenüber Reformen im Strafvollzug. „Geheime" Befragungsergebnisse des Bundesjustizministeriums zeigten, daß über 2/3 der Bevölkerung der Meinung war, es sei besser, Straftäter zu resozialisieren, statt sie lediglich wegzusperren. Sich an der StrafVollzugsreform zu beteiligen, war daher „ehrenvoll" und brachte auch „Gewinn". Mit Billigung der Bevölkerung fuhren Delegationen von Politikfunktionären aller „couleur" ins Ausland, insbesondere zu den sozialtherapeutischen Anstalten in Herstedtvester/Dänemark und Utrecht/Holland. Die Bundestags- und Landtagsabgeordneten, aber auch die Vertreter der Ministerien, wollten für die Zukunft arbeiten und echte Reformgesetze machen. Unterstützt wurde diese Bewegung durch die Medien. Und empirische Arbeiten im Strafvollzug wurden von den Ministerialbeamten intensiv gefördert, weil man sich mit solch unterstützendem Interesse profilieren konnte. 6
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1965, S.
452. 7
Statistisches Jahrbuch, Fn. 6, S. 152, 160. Statistisches Jahrbuch, Fn. 6, S. 55, 21. 9 Günther Kaiser, Kriminologie, 3. Aufl., Heidelberg 1996, § 56, Rdn. 16. 10 Stellvertretend für viele Dr. Gemmer, Polizeipräsident von Frankfurt, noch 1979 in einem persönlichen Gespräch, der später aber besonders deutlich zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität aufgerufen hat. 8
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Natürlich war das Programm „Sozialtherapie unter Freiheitsentzug" in der Wissenschaft nicht unumstritten. Schneider 11 folgerte schon 1977 aus Erfahrungen, die im Ausland mit Sozialtherapie gemacht worden waren, daß Verhaltensmodifikation im Freiheitsvollzug nicht nachgewiesen sei. Und Schwind und andere behaupteten unter Hinweis auf kalifornische Untersuchungen, daß Therapie unter Freiheitsentzug prinzipiell nicht erfolgreich durchführbar sei. Die Frage ist auch heute noch umstritten, und es ist zuzugeben, daß die Ergebnisse der Untersuchungen, die die Rückfälligkeit nach der Entlassung aus der sozialtherapeutischen Anstalt und aus dem Regelvollzug verglichen haben, keinen alle Zweifel hinwegwischenden Beweis liefern. Die Unterschiede der Rückfälligkeitsquoten betragen nur 5 % bis 20 % zugunsten der sozialtherapeutischen Anstalten12. Da aber die Stichproben letztlich nicht vergleichbar sind und in den sozialtherapeutischen Anstalten regelmäßig die persönlichkeitsgestörten Straftäter einsitzen, also diejenigen, bei denen eine Verhaltensmodifikation sehr viel schwerer erreichbar ist, wird man die Daten wohl vorsichtig für eine Tendenz zugunsten der Sozialtherapie im Strafvollzug interpretieren dürfen 13. Die Strafvollzugsreformbewegung, getragen von Bevölkerung, Politik und Wissenschaft - auch der Alternativentwurf-Kreis hatte einen Strafvollzugsgesetz-Entwurf erarbeitet -, mündete schließlich in das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) vom 16.03.1976. Es trat am 01.01.1977 in Kraft und blieb bis heute nahezu unverändert 14. Zum ersten Mal wurde die Resozialisierung des Straftäters als Ziel des Strafvollzugs definiert 15 .
11 Hans-Joachim Schneider, Kriminologie. Standpunkte und Probleme, 2. Aufl., Berlin 1977, S. 168. 12 Gerhard Rehn, Behandlung im Strafvollzug, Ergebnisse einer vergleichenden Untersuchung der Rückfallquote bei entlassenen Strafgefangenen, Weinheim 1979, S. 208; Dünkel, F., Legalbewährung nach sozialtherapeutischer Behandlung. Eine empirische vergleichende Untersuchung anhand der Strafregisterauszüge von 1503 in den Jahren 1971-1974 entlassenen Strafgefangenen in Berlin-Tegel, Berlin 1980; vgl. zum Problemstand, Günther Kaiserl Hans-Jürgen Kerner/Heinz Schöch, Strafvollzug. Ein Lehrbuch, 4. Aufl. Heidelberg 1992, S. 521 ff.. 13 Noch zurückhaltender formuliert Kerner, der die Befunde dahin bewertet, daß „sich nicht mehr als ein vorsichtiger Optimismus vertreten ließe". In: Günther Kaiser/Hans-Jürgen Kerner/Heinz Schöch, Fn. 12, S. 522. 14 Bundesgesetzblatt, Teil I, 1976, S. 2088 und 1977, S. 436. 15 § 2 StVollzG lautet: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten."
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2. Die gegenwärtige bundesrepublikanische Sozialstruktur Die Beschreibung des „gesellschaftlichen Hintergrundes" des heutigen Strafvollzugs bedeutet, sich dem Vorwurf der willkürlichen Auswahl von Kennzeichen und der Akzentuierung persönlicher Sichtweisen - sprich: Vorurteile - auszusetzen. Um das Schicksal des Resozialisierungsversuchs aber verstehen zu können, muß der Versuch einer Beschreibung dennoch unternommen werden. Dabei kommt es mir darauf an, die Unterschiede zu den 60er Jahren besonders herauszustellen. Greifen wir auf die oben schon genannten Kennzeichen zurück; (siehe Übersicht, S. 72). Sie haben sich deutlich negativ verändert. Die negative Entwicklung dieser Merkmale muß auf dem Hintergrund einer wohl ganzheitlich vernetzten Sozialstruktur gesehen werden, die von den Bürgern, den „personalen Ganzheiten", zwar konstituiert wird, deren Qualität aber wiederum auf die Entwicklung, die Haltung und auf das Verhalten der Bürger interaktionell einwirkt 16 . Die „Stimmung" oder „Bewegung" in einer Gesellschaft wirkt also auf die gefühlshafte Befindlichkeit, die Meinungsbildung und auf die Entscheidungsfindung des Einzelnen ein und umgekehrt 17. Diese Makrostruktur unterscheidet sich heute offenbar von derjenigen der 50er und 60er Jahre. Marion Gräfin Dönhoff behauptet: „Deutschland (sei) von einer Kulturnation zu einer Konsumnation geworden" 18 und dürfte damit einen Grundkonsens unserer gegenwärtigen Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Den Bürger bedrücken neue Probleme: Die Arbeitslosigkeit und die Angst um den Arbeitsplatz, die permanente Einwanderung von Ausländern, die Anonymisierung von Märkten (Globalisierung) und politischen Institutionen (Einbindung Deutschlands in die Europäische Union), das Mißtrauen gegenüber einer Wirtschaft ohne Moral und das Unbehagen, ausgelöst durch eine verkrustete Parteienstruktur, die zu einer grundsätzlichen Entscheidungsunfähigkeit von Regierung und Parlament geführt hat. Insgesamt dürfte unsere Konsumgesellschaft, die Makrostruktur unserer Gesellschaft, durch eine zunehmende „Amerikanisierung" gekennzeichnet sein. Die Veränderung gegenüber den 60er Jahren zeigt sich deutlich in dem für Industriegesellschaften - auch für postmoderne - wichtigen Merkmal der Güte
16
Albert Wellek, Das Problem des seelischen Seins, Meisenheim 1953, S. 48, 56. Vgl. die gleichgeschaltete emotionale Lage während der nationalsozialistischen „Bewegung". 18 Marion Gräfin Dönhoff Zivilisiert den Kapitalismus. Grenzen der Freiheit, Stuttgart 1997, S. 33, erstmals publiziert 1996. 17
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Kennzeichen Schulden von Bund, Ländern und Gemeinden Das sind % des Bruttosozialprodukts Anzahl der Drogenabhängigen (geschätzt): Alkohol Medikamente Harte Drogen Insgesamt:
1965
1995
1996
105 Mrd D M
1 995 Mrd D M
2 093 Mrd D M
22%
58%
68%
keine Angaben, da damals kein Problem
1,0 bis 1,4 Mio 250 000 bis 300 000 3,75 bis 4,2 Mio
Anzahl der Arbeitslosen an der erwerbsfähigen Bevölkerung (offizielle, nicht bereinigte Zahlen: AB-Maßnahmen, Umschulungen und Fortbildungen u.ä. sind nicht berücksichtigt.) In %
147.352
Anzahl der Sozialhilfeempfänger
1 404 000
0,54 %
In % der Bevölkerung
2,5 Mio
2,3 %
Davon Ausländer in %
alte Länder
neue Länder alte Länder und Berlin Ost
neue Länder und Berlin Ost
2.564.906
1.047.015
1.375.000
9,3 % 4 269 000
6,5 % 1 276 000
14,9%
2.933.000
9,5 %
18,3%
749 000
4,8 % 95 000
30%
13%
(1993)
(1993)
Quelle: Statistisches Jahrbuch fur die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1965, 1995 und 1996.
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der Wirtschaft. Festzustellen ist, daß das damalige „Wirtschaftswunder" sich in eine Wirtschaft ohne oder mit nur geringem Wachstum abgeflacht hat 19 . Wichtiger noch ist, daß der Verbraucher die Wirtschaft mißtrauisch betrachtet, weil der das notwendige Vertrauen gewährende „verantwortliche Industrieunternehmer" in den Hintergrund getreten ist. Skandale wie B SE-Ausbreitung 20 oder verbotene Antibiotika in der Tierhaltung bis hin zu Korruption, Preisabsprachen u.ä., also bis zu Wirtschaftsstraftaten 21, belegen den Satz, daß die Wirtschaft keine Moral habe. Wenn dann auch noch die Gewinne der Unternehmen hoch sind, die Verlagerung von Teilen der Produktion ins Ausland (Billigländer) zunimmt, Arbeitsplätze kontinuierlich und in geradezu beängstigendem Tempo abgebaut werden 22 und durch Lobbyisten die Gesetzgebung manipuliert wird 2 3 , dann dürften die Bürger mit Haltungen wie kontrollierende Wachsamkeit oder auch Ohnmacht und Verhaltensunsicherheit oder kämpferische Aggressivität reagieren. Die Befriedigung seines extrem hohen Konsumbedürfnisses unter diesen Bedingungen dürfte den Bürger voll in Anspruch nehmen. Die Wahrnehmung des Straftäters in seiner Rolle als gestrauchelter Mitbürger findet auch deshalb nicht mehr statt. Die etablierten politischen Parteien verstärken diese Haltung. Das Vertrauen in die politische Führung ist einer „Politikerverdrossenheit" gewichen. Obwohl die großen Parteien, gestützt auf Art. 21 Grundgesetz (GG) 24 , politische Macht in großem Umfang angesammelt haben, sind sie entscheidungs- und handlungs19
In den ersten drei Quartalen betrug das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik 2,13 % (http://www.statistik-bund.de/indicators/d/vglj.htm). Für 1998 schätzt das Info-Institut das Wirtschaftswachstum auf 2,5 bis 3,0 % (http://www.ksktuebingen.de/wir/ko/ifowa.html). 20 Vgl. ständige Berichterstattung in den Medien, insbesondere Süddeutsche Zeitung Nr. 13 vom 17.1.1997, Nr. 28 vom 4.2.1997 und Süddeutsche Zeitung Nr. 41 vom 19.2.1997. 21 Vgl. Günther Kaiser, Fn. 9, § 38, Rdn. 54 und die dort angegebene Literatur. Plastischer wird die Situation beleuchtet, wenn die Süddeutsche Zeitung zur Steuerhinterziehung in Millionenhöhe des Vorstandsmitgliedes der Dresdner Bank, Hansgeorg Hofmann, schreibt: „Wer ist der nächste?" (Nr. 289 vom 16.12.1997) oder wenn in Berlin eine Organisation gegründet wird, deren Ziel in der weltweiten Bekämpfung der Korruption besteht (Süddeutsche Zeitung Nr. 17 vom 22.1.1998). 22 Gegenwärtig (Ende Januar 1998) sind 4,8 Millionen der erwerbsfähigen Bevölkerung ohne Arbeit, das sind 12,6 % (Süddeutsche Zeitung Nr. 30 vom 6.2.1998). Teilbereinigt, d.h. unter Einschluß der krank gemeldeten Arbeitslosen u.a., sind sogar 5,13 Millionen arbeitslos. 23 Als Beispiel mag die mangelhafte Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel gelten, um diese Produkte (novel food) auch gegen den Willen der Verbraucher einfuhren zu können (Novel-Food-Verordnung, 97/258/EWG). Vgl. auch Martin Jänicke, Staats versagen. Die Ohnmacht der Politik in der Industriegesellschaft, München 1986. 24 Art. 21, Absatz 1, Satz 1 Grundgesetz lautet: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit".
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unfähig geworden, offenbar, weil sie sich nahezu ausschließlich als Vertreter von Partikularinteressen und nicht des Gemeinwohls verstanden haben. Ob es um die Steuer- und Rentenreform geht oder um die Frage einer multikulturellen oder vollen Integration der in den 50er Jahren ins Land gerufenen ausländischen Arbeitnehmer, oder ob die in Deutschland geborenen Ausländer eine - zeitlich befristete - zweite Staatsangehörigkeit erhalten oder Subventionen abgebaut werden sollen, ob ein Einwanderungsgesetz geschaffen werden soll oder nicht: alle Bereiche sind durch Stagnation wegen fehlender Entscheidungen gekennzeichnet. Da auch weitere für die Gemeinschaft wichtige Elemente der Sozialstruktur, wie Justiz, Polizei, Universitäten u.ä. ohne langfristige Zielsetzungen und Anpassungen an eine moderne Massengesellschaft verwaltet worden sind, hat die Bevölkerung ihr Vertrauen in die politische Führung weitgehend verloren. Insbesondere artikulieren viele Bürger das Gefühl, in einem ungesteuerten und überfremdeten Staat zu leben, d.h. in einem Staat, mit dem sie sich nicht identifizieren können. Selbst dem einfachen Bürger drängt sich inzwischen die Hypothese zur Prüfung auf, wonach das Nadelöhr der Parteigremien und jahrzehntelanger Besitzstand zu einem Typ von Parteifunktionär geführt haben, der durch das Merkmal „mittlerer Art und Güte" im Sinne von § 243 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gekennzeichnet ist. Ferner ist die Bundesrepublik faktisch zu einem Einwanderungsland geworden. Weil das wirtschaftliche Gefälle zwischen z.B. Polen und Rußland zur Bundesrepublik sehr groß ist, weil in mindestens 124 Staaten Verfolgung aus politischen Gründen und Folter droht 25 und weil verkehrsmäßig die Nationen dieser Erde zusammengerückt sind, hält der Migrationsdruck an. Trotz der einschränkenden Formulierung des Art. 16 a Grundgesetz (GG) reißt der Strom der Asylbewerber nicht ab. Zwar sind die Spitzen gekappt, doch beträgt die „Einwanderungsquote" immer noch etwa 80.000 pro Jahr 26. Hinzu kommen etwa 300.000 Kriegsflüchtlinge aus Bosnien und mehrere 100.000 Aussiedler, von denen die junge Generation faktisch Russen oder Polen sind 27 . Schließlich dürfte die Makrostruktur durch eine zunehmende „Amerikanisierung" ausgewiesen sein. Der Begriff schillert von positiv - Freiheit, Individua-
25 Amnesty International, Bericht vom 18.6.1997, http://www2/amnesty-basel. ch/amnesty-basel/Press/97.06.17Jahr96.html. 26 1997 beantragten 104.353 und 1996 116.367 Personen Asyl (Süddeutsche Zeitung Nr. 10 vom 14.1.1998). 27 1996 kamen 177.751 Aussiedler in die Bundesrepublik und 1997 ca. 140.000. In der Zeit von 1950 bis 1996 betrug die Anzahl der Aussiedler 3,633 Millionen, davon 2,989 Millionen aus der ehemaligen UdSSR und Polen. Info-Dienst Deutsche Aussiedler, herausgegeben vom Beauftragten der Bundesregierung Dr. Horst Waffenschmidt, Nr. 91, Bonn, September 1997, S. 5.
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lismus, praktisches Problemlösen - bis zu negativ: wirtschaftliche Abhängigkeit, fehlende Solidarität, Kriminalität und Armut fur das untere Drittel der Bevölkerung. Für mich bedeutet „Amerikanisierung" nicht Amerika - Kapitalismus pur. Das aber meint die Übernahme des Anspruchs auf individuelle Freiheit auch in Form der Durchsetzung bis zur Rücksichtslosigkeit, die Schaffung von marktbeherrschenden Unternehmen und damit von Abhängigkeiten, d.h. individuelle Betätigungs- und Entfaltungsfreiheit werden minimiert 28 , die Polarisierung der Gesellschaft in arm und reich 29 und das Setzen von Geld-Haben an die oberste, und zwar mit Abstand oberste Stelle der Wertehierarchie. Traditionale europäische Kultur wird ganz unten angesiedelt30. In der „Anglikanisierung" der deutschen Sprache kommt dieser Prozeß zum Ausdruck:
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Quelle:
28
Süddeutsche Zeitung vom 4./5. Oktober 1997; Peter Butschkow/W. Baaske Cartoon.
Im Lebensmittelhandel ist die Konzentration so stark geworden, daß nur noch fünf große Handelsketten 95 % aller Milchprodukte nachfragen (Süddeutsche Zeitung Nr. 5 vom 8.1.1998). 29 Von 1979 bis 1996 ist das durchschnittliche Realeinkommen von 60 % aller amerikanischen Familien zurückgegangen. Während aber das untere Fünftel 17 % Einbuße erlitten hat, gewann das obere Fünftel 18 % hinzu. 1 % der reichsten Amerikaner besitzt 31 % aller Privatvermögen, eine Verdreifachung seit 1980 (Süddeutsche Zeitung Nr. 242 vom 19 /20.10.1996). 30 Rolf Winter, Little America. Die Amerikanisierung der Bundesrepublik, Hamburg 1975; Marion Gräfin Dönhoff Fn. 18.
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3. Neue Formen von Kriminalität mit „internationalem" Bezug Die neuen Formen „internationaler Kriminalität" sind schwierig darzustellen. Einmal besteht noch kein Konsens über deren Definition, und zum zweiten verfugen wir weitgehend nur über die statistischen Daten der polizeilichen Kriminal- und Justizstatistik, die aber nicht hinreichend differenzieren. Seit Öffnung der Grenzen, insbesondere zu Osteuropa, sprechen wir von „grenzüberschreitender Kriminalität", von Kriminalitätsimport - nicht von -export! - 3 1 , von Wirtschaftsstraftaten mit internationalem Bezug, die von seriösen Firmen, von den organisierten Kriminellen oder von beiden gemeinsam begangen werden, vereinfachend von Ausländerkriminalität, insgesamt von dem, was Streng die „innere Internationalisierung" nennt 32 . Eindeutig in diesem Zusammenhang ist lediglich, daß der geographische Raum, in dem Straftäter ungehindert von Grenzkontrollen operieren können, nicht mehr nur die Bundesrepublik umfaßt, sondern alle Staaten der Europäischen Union, also praktisch ganz Europa. Hinzu kommt, daß die Außengrenzen gegen eindringende Straftäter trotz schärfster Kontrollen, auch mit Hilfe modernster technischer, nicht abschottbar sind 33 . Der „Freiheitstraum" oder das „Betätigungsfeld Europa" reicht daher von Lissabon bis Moskau und von Palermo bis Stockholm. Als erstes ist festzustellen, daß Ausländer mit Kriminalität höher belastet sind als die einheimische Bevölkerung. Das gilt auch dann, wenn man die in diesem Kreis schon einmal diskutierten Korrekturfaktoren berücksichtigt 34.
31
Gemeint sind der sogenannte „Sextourismus" und vor allem der illegale Waffenexport in Krisengebiete, einschließlich der illegale Export von Industrieanlagen zur Herstellung von Giftgas und von sonstigen Waffen. So wurden z. B. 1997 drei Manager der Neuen Magdeburger Werkzeugmaschinen GmbH wegen illegaler Ausfuhr von Maschinen zur Herstellung von Raketenteilen in den Irak zu je 2 Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt (Süddeutsche Zeitung Nr. 253 vom 4.11.1997). 32 Franz Streng, Die Öffnung der Grenzen und die Grenzen des Strafrechts, in: Juristenzeitung (JZ) 1993, S. 109-119 (109). 33 So der Präsident des Grenzschutzpräsidiums Ost, Herr Walter, in einem Vortrag über „Importierte Kriminalität" auf der Arbeitstagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 4.9.1997 in Maria Laach. 34 Klaus Rolinski, Ausländerkriminalität - Kriminalität gegen Ausländer, in: HansHeiner Kühne/Miyazawa, Koichi, Hg., Neue Strafrechtsentwicklungen im deutschjapanischen Vergleich, Köln 1995, S. 343-383 (346 ff.).
Resozialisierung und internationale Kriminalität in Deutschland
Verurteilte pro 100.000 : Deutsche und Nichtdeutsche Tabelle der Verurteiltenziffern (Die Delikte in der Reihenfolge der Zeilen entsprechen in der Graphik den Säulen von links nach rechts)
Straftaten nach dem StGB ohne Straßenverkehr Straftaten gegen das Leben und Körperverletzung Vergewaltigung
Raub und Erpressung Diebstahl und Unterschlagung
1993
1994
1995
Deutsche
369
376
387
Nichtdeutsche
1733
1620
1435
Deutsche
34
35
38
Nichtdeutsche
119
130
142
Deutsche
0,90
0,97
0,92
Nichtdeutsche
5,4
5,7
4,5
Deutsche
6,3
6,4
6,6
Nichtdeutsche
37,7
40,2
43,2
Deutsche
156
153
154
Nichtdeutsche
1002
806
636
Quelle: Verurteiltenstatistik des jeweiligen Jahres, Tab. 8.3, Statistisches Bundesamt,
77
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Klaus Rolinski
Darüberhinaus weist die Tabelle „Ausländische Tatverdächtige nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten" auf den Umfang der Internationalität hin, denn es werden immerhin nichtdeutsche Tatverdächtige aus 20 Nationen gesondert ausgewiesen. Ausländische Tatverdächtige nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten ohne Straftaten gegen das AusländerG und gegen das AsylverfahrensG Tatverdächtige
EU-Mitgliedsstaaten (ohne Deutschland)
absolut
In %
66398
100,0
davon:
1996 absolut
in %
Niederlande
4480
6,7
Spanien
3505
5,3
Italien
25333
38,2
Portugal
3776
5,7
Griechenland
10118
15,2
Belgien
1011
1,5
5713
8,6
Dänemark
751
1,1
4963
7,5
Irland
708
1,1
Schweden
430
0,6
5197
7,8
Luxemburg
227
0,3
Finnland
186
0,3
Österreich Großbritannien und Nordirland Frankreich
Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1996, S. 121.
Die Zunahme der „internationalen Kriminalität" in Deutschland weist die Tabelle „Entwicklung nichtdeutscher Tatverdächtiger" aus. Sie zeigt, daß gerade die Anzahl der tatverdächtigen Asylbewerber von 1990 bis 1993 extrem zugenommen hatte, sich innerhalb von zwei Jahren aber wieder einpendelte, wenn auch auf einem relativ hohen Niveau. Bemerkenswert ist auch der deutliche Anstieg der sich illegal in der Bundesrepublik aufhaltenden Tatverdächtigen. Und schließlich wird das Problem auch dadurch gekennzeichnet, daß die Rubrik „Sonstige", eine „heterogen zusammengesetzte Restgruppe, zu der z.B. Erwerbslose, nicht anerkannte Asylbewerber mit Duldung, Flüchtlinge u.a. Personengruppen gehören" 35, einen kontinuierlichen und starken Anstieg zeigt.
35
Polizeiliche Kriminalstatistik, Hg. Bundeskriminalamt, Wiesbaden 1996, S. 124.
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nichtdeutsche Tatverdächtige 220000
1
200000
t
180000 160000
-O- Asylbewerber - • - Arbeitnehmer
140000
;
120000
!
100000
1 L f
80000 60000 40000 20000
m !
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-Φ- Tourist/Durchreisender -s- Student/Schüler - · - illegal Hl·- Sonstige (s.S. 222. Tabelle)
η
0 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996
Entwicklung der nichtdeutschen Tatverdächtigen nach Aufenthaltsgrund
Schließlich scheinen mir die Gruppen Asylbewerber und Illegale für die Einstellung der Bürger in der Bundesrepublik einen besonderen Stellenwert einzunehmen. Ihre Anteile an den nichtdeutschen Tatverdächtigen sind hoch, auch wenn man die Verstöße gegen das Ausländergesetz und gegen das Asylverfahrensgesetz abzieht, und ihre Sichtbarkeit dürfte die Ablehnung durch die deutsche Bevölkerung stimulieren. Betrachtet man dann aber die Tabelle „Entwicklung der tatverdächtigen Asylbewerber in einzelnen Deliktsbereichen", dann zeigt sich, daß der einfache Diebstahl , insbesondere der Ladendiebstahl, hoch zu Buch schlägt und auch die Leistungserschieichung, also ein vernachlässigungswertes Delikt, mit über 7.000 Tatverdächtigen die Statistik verzerrt. Gleichwohl darf man nicht übersehen, daß Asylbewerber auch an der Gewaltkriminalität wie Raub und Vergewaltigung stärker als andere Gruppierungen beteiligt sind und daß ein Teil auch versucht, seinen Lebensunterhalt in Deutschland mit dem „kleinen Handel" von Drogen zu bestreiten.
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Tatverdächtige Asylbewerber in einzelnen Deliktsbereichen
Straftaten(gruppen)
Tatverdächtige Asylbewerber 1996
Straftaten
10 7 728
insgesamt
Diebstahl insgesamt:
41 647
darunter: einfacher Diebstahl
37 016
darunter: Ladendiebstahl
31 677
Schwerer Diebstahl
6 621
Straftaten gegen AusländerG gegen AsylverfahrensG
und27 803
Urkundenfälschung
9 868
Leistungserschieichung
7 252
Körperverletzung
10 389
4 746 Widerstand gegen die Staatsgewalt und Straftaten gegen die öffentliche Ordnung Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1996, S. 125.
Die organisierte Kriminalität (OK) brauche ich Ihnen nur als Element der internationalen Kriminalität zu nennen. Sie wissen, daß der „Markt Bundesrepublik" von organisierten Kriminellen „betreut" wird, daß ihre Verbindung nach Weschke u.a. 36 in der Bundesrepublik eine netzartige Struktur aufweist und daß sich die organisierte Kriminalität ganz geschäftsmäßig verhält und zunehmend erfolgreich versucht, sich in legalen Unternehmen zu etablieren. Bisherige Be-
36 E. Rebscher,/W. Vahlenkamp, Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1988; E. Weschke,JK Heine-Heiß, Hg., Organisierte Kriminalität als Netzstrukturkriminalität, Teil 1, Berlin 1990; Ulrich Sieber/Marion Bogel, Die Logistik der organisierten Kriminalität: Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsansatz und Pilotstudie zur internationalen Kfz-Verschiebung, zur Ausbeutung von Prostitution, zum Menschenhandel und zum illegalen Glücksspiel, Wiesbaden 1993. Vgl. auch Günther Kaiser, Fn. 9, § 38, Rdn. 15 ff. und die dort angegebene Literatur.
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kämpfungsmaßnahmen, einschließlich des Geldwäschegesetzes37, waren erfolglos. Auch der neu schon vom Bundestag, aber noch nicht vom Bundesrat beschlossene große Lauschangriff - die akustische, heimliche Überwachung von Wohnungen bei einfachem Tatverdacht - enthält eine kontraindizierte Ausnahme: Bundestagsabgeordnete dürfen nicht abgehört werden 38. Daß aber OKTäter versuchen, - neben der legalen Wirtschaft - gerade in politische Entscheidungsräume und in die staatliche Verwaltung einzudringen, wird von den Betroffenen schlicht ignoriert. Wenn es denn überhaupt Sinn machen sollte, in Wohnungen abzuhören 39, dann dürfen die gefährdeten Personengruppen, zu denen die Bundestagsabgeordneten sicher gehören, gerade nicht ausgenommen werden. Sind nämlich Politik und Verwaltung durch OK-Täter erst korrumpiert, ist auch der Bürger der OK hilflos ausgeliefert. Für eine weitere Form „internationaler Kriminalität", die in der Bundesrepublik unter dem Stichwort „importierte Kriminalität" gehandelt wird, kann ich nur wenige statistische Daten angeben. Um die Problemlage zu erhellen, greife ich daher hilfsweise auf drei phänomenologisch darzulegende Fälle zurück: Beim ersten Fall handelt es sich um ein Haus in einem kleinen Ort an der Grenze zu Tschechien. Da die Grenze lediglich aus einem schmalen Bach besteht, dringen immer wieder kleine Gruppen von tschechischen Einbrechern nachts in die Ortschaft ein, um Konsumgüter zu stehlen und über die Grenze zu schaffen. In dem Haus dieses Falles wurde so im Laufe eines Jahres neunmal eingebrochen. Den Bewohnern ist das Leben in diesem Haus inzwischen verleidet 40 . Der zweite und dritte Fall kennzeichnen ein Phänomen, das vor einigen Jahren in der Bundesrepublik aufgetreten war, das gegenwärtig aber keine Rolle zu spielen scheint. Es handelt sich um gut organisierte Straftäter, die vornehmlich aus Rumänien in die Bundesrepublik kamen, um gezielt Raubüberfälle auf Tankstellen und Geschäfte und Einbruchsdiebstähle in der Form des „Blitzeinbruchs" und des „Angriffs auf Wertgelasse" zu verüben 41.
37 § 261 Strafgesetzbuch, eingeführt durch Gesetz vom 15.7.1992 (Bundesgesetzblatt. Teil I, S. 1302). Auch die späteren Veränderungen haben keine wesentliche Verbesserung gebracht. 38 BT-Drucksache 13/8651 vom 1.10.1997. 39 Ich persönlich halte diese erleichterte Form, in Wohnungen abzuhören für einen unerträglichen Verlust von Rechtsstaatlichkeit im Verhältnis zum Gewinn. Die Annahme. OK-Straftäter würden auch dann noch in Wohnungen konspirativ zusammensitzen, wenn sie wissen, daß sie abgehört werden können, ist kriminologisch nicht haltbar. 40 Mündliche Mitteilung auf der Arbeitstagung „Kriminalitätsimport" am 4.9.1997 der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Maria Laach. 41 Bundeskriminalamt, FAX-Mitteilung vom 26.4.1996. 6 Kühne / Miyazawa
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Klaus Rolinski
Angriff auf Wertgelasse: In Mecklenburg-Vorpommern drangen unbekannte Täter in die Werkstatt eines Autocenters durch Einschlagen der Türscheibe ein. Hier entwendeten die Täter einen VW-Transporter, an dem ein Kennzeichen eines anderen Fahrzeuges angebracht wurde. Weiterhin wurden ein hochwertiger Pkw und eine komplette Schweißerausrüstung entwendet. Die Täter hebelten ein Scherengitter und eine dahinterliegende Tür zu einem Büroraum auf und entwendeten einen ca. 300 kg schweren Tresor. Vier Tage später wurden in einem Waldgebiet die entwendeten Fahrzeuge des Autocenters aufgefunden. Im Umfeld der Fahrzeuge befanden sich die Schweißerausrüstung sowie der entwendete Panzerschrank, der im Türbereich aufgebrannt worden war. Aus dem Panzerschrank war das Bargeld entwendet worden. Blitzeinbruch: Im November 1995 fuhren unbekannte Täter mit einem Kleintransporter rückwärts in die Eingangstür des SPAR-Marktes in Bischofswerder, Sachsen. Aus der Verkaufseinrichtung wurden zwei Warenträger mit Tabakwaren entwendet. Der entstandene Stehlgutschaden lag bei D M 8.000,- und der Sachschaden bei ca. 10.000,- DM. Bei diesen Tatausführungen handelt es sich um häufig wiederkehrende Handlungsmuster, also um typische Delikte. In Einzelfällen sind insbesondere Elektronik-Geschäfte mehrmals Opfer solcher Überfälle geworden. Als bei einem solchen Händler die Schaufensterscheibe zum fünften Mal mit dem rückwärtsfahrenden, gestohlenen Lkw eingedrückt und die Ladeneinrichtung blitzschnell aufgeladen worden war, fand er keinen Versicherer mehr und mußte seine Existenz aufgeben. Zu den sogenannten „Blitzeinbrüchen" liegen statistische Angaben nur aus den neuen Bundesländern vor. 1995 wurden 952 solcher Straftäter registriert, die durch überregional operierende Tätergruppen begangen wurden. Insgesamt, also alle Einbruchsdiebstähle zusammen, wurden im Berichtszeitraum bundesweit 10.441 den osteuropäischen, vorwiegend rumänischen Straftätergruppen zugeordnet, die nur zur Begehung von Straftaten in die Bundesrepublik einreisen. Zieht man die logistischen Vor- und Nachtaten ab, verbleiben 6.509 Eigentumsdelikte im engeren Sinn zur Erlangung verwertbarer Beute. Die Straftatenserien sind gekennzeichnet durch: - hohe kriminelle Energie, - planmäßige und zielgerichtete Angriffe auf die Tatobjekte, - Tatausfuhrung in kürzester Zeit, - Anwendung brachialer Gewalt und Verursachung hoher Sachschäden, - Mitnahme erheblicher Mengen von Diebesgut, - keine Abschreckung durch vorhandene Sicherungseinrichtungen,
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- rücksichtsloses Fluchtverhalten, - Gewaltbereitschaft gegenüber Zeugen und Polizeibeamten und durch - hohe Mobilität. Nun ließen sich weitere Formen der internationalen Kriminalität, wie z.B. die Sprengstoffanschläge der militanten Kurden auf türkische Banken und Reisebüros in der BRD, aufzählen. Wichtiger für mein Thema ist aber ihre Behandlung in den Massenmedien. Der Bürger reagiert ja nicht auf die Wirklichkeit, sondern auf die mediale Wirklichkeit. Die aber ist verzeichnet in Richtung Aufbauschung und Sensation. So wurde z.B. über die rumänischen Einbrecherbanden so „ausgiebig" berichtet, daß das Gefühl der Bedrohung zwangsläufig entstehen mußte. Das gilt auch für die Berichterstattung von Gewalttaten gegen Ausländer durch rechtsextremistische Täter. Ein Artikel über den Brand eines von ausländischen Familien bewohnten Hauses mit Tötung von Frauen und Kindern 42 läßt sich besser verkaufen als einer über „Lichterketten" 43 . Letztlich „schuldig" im Gefühl des durchschnittlichen Lesers und Zuschauers bleiben allemal die Ausländer. Will man diese Qualität von Wirklichkeit im Bild und damit ungenau ausdrücken, dann legt sich quasi über die begangene und feststellbare Ausländerkriminalität eine medial vermittelte und verzerrte Wirklichkeit, die aber für die Einstellung des Bürgers maßgeblich ist. Und ein zweiter Aspekt scheint mir wichtig: Die letzten 20 oder 30 Jahre sind nicht nur durch Wandel gekennzeichnet. Manche Verhaltens- und Wertungsstrukturen sind in der Zeit auch relativ stabil geblieben, und die internationale Kriminalität hat die lokale nicht abgelöst, sondern ist hinzugetreten. Darauf hat Kerner mit Recht hingewiesen44. Wo sich aber Freiheitsräume - örtlich und geistig - vergrößern, folgen Fälle des Mißbrauchs von Freiheit geradezu zwangsläufig. Wer also die Amerikanisierung will, muß den Verlust von europäischen traditional-kulturellen Verhaltensstützen hinnehmen und die damit verbundene Zunahme gesellschaftsfeindlichen Verhaltens. Gleichwohl haben die Bürger vor allem auf den Wandel, der sich ja sehr schnell vollzog und eine normale Anpassung gar nicht zuließ, reagiert. Die Sor42 Beim Brandanschlag in Solingen waren fünf Mädchen und Frauen ums Leben gekommen. (Süddeutsche Zeitung Nr. 202 vom 2.9.1994). 43 Zwar hat die Presse die Aktionen der Lichterketten groß herausgestellt, aber nur solange ihnen die Qualität des Sensationellen anhaftete. Gewaltausschreitungen dagegen werden permanent verbreitet. Vgl. auch H.-J. Schneider, Meinungsbildung durch den Rundfunk über Straftaten und deren Ahndung. Aus der Sicht des Kriminologen; in: Hans Brack/Heinz Hübner/Dietrich Oehler/Klaus Stern, Hg., Schriftenreihe des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln, Bd. 32, München 1982, S. 41-68. 44 H ans-Jürgen Kerner, Neue Wege der Zusammenarbeit in der Kriminologie in Europa, Vortrag, gehalten am 10.10.1997 auf der Fachtagung der Neuen Kriminologischen Gesellschaft in Halle.
6*
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gen-Prioritätenliste spiegelt ihre zentrale Betroffenheit wider: An erster Stelle steht ihre Angst um den Arbeitsplatz, und an zweiter Stelle fühlen sie sich durch Kriminalität, insbesondere auch durch die von Ausländern, bedroht 45.
4. Die Einstellung der heutigen Bevölkerung zur Resozialisierung Bei der Abschätzung der Einstellung der heutigen Bevölkerung zur Resozialisierung beschleicht mich dasselbe Unbehagen wie bei der Beschreibung des „gesellschaftlichen Hintergrundes" des heutigen Strafvollzuges. Noch einmal: Diese Kennzeichnung enthält meine persönliche Akzentuierung. Aber auch jede andere „subjektive" Charakterisierung müßte feststellen: Der Bürger der gegenwärtigen Sozialstruktur hat nicht, wie der Bürger der 60er Jahre, die positive Grundstimmung, wonach es ihm cum grano salis gut gehe und er daher mit unterstützenden Maßnahmen, d.h. mit Sozialtherapie, dem gestrauchelten Mitbürger helfen will: und sei es auch nur aus schlechtem Gewissen. Die Durchsetzung der eigenen Interessen in einer kälter und chancenloser gewordenen Sozialstruktur läßt keine Solidarität dem Strafgefangenen gegenüber aufkommen. Wenn es gesellschaftlich vorgegebenes Ziel ist, dominant sich selbst zu verwirklichen, wenn die Sorge um den Arbeitsplatz und damit um die wirtschaftliche Basis fur sich selbst und für die eigene Familie - und dies bei hohem Konsumdruck - berechtigt ist, wenn die sichtbare Kriminalität tatsächlich steigt, wenn die Furcht vor Überfremdung beim einfachen Bürger verstehbar erscheint und wenn die politische Führung sich als unfähig zeigt, dann rückt die Zuwendung zu dem straffällig gewordenen Mitbürger in den Hintergrund. Mehr noch: der Resozialisierung als problemlösendem Mittel wird mißtraut. Gefordert werden vielmehr hohe Strafen und Sicherung des Täters durch Inkarzerierung als geeignete Maßnahmen gegen Kriminalität. Als erstes Ergebnis müssen wir also festhalten, daß die Unterstützung der Bevölkerung für den Resozialisierungsvollzug im Verlauf von gut zwanzig Jahren weggebrochen ist. Und als zweites ist festzustellen, daß der Staat schon wegen seiner Überschuldung seine Handlungs- und Reformfähigkeit weitgehend eingebüßt hat.
45
Die Welt vom 16.10.1997.
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5. Die Auswirkungen der internationalen Kriminalität auf den Strafvollzug und die veränderten sozialstrukturellen Bedingungen a) Die überwiegend aus fiskalischen Gründen geübte Zurückhaltung der Länder zeigte sich zunächst im Schicksal des § 65 Strafgesetzbuch (StGB), der Maßregel der sozialtherapeutischen Anstalt. Diese Vorschrift war bereits 1969 in das Strafgesetzbuch implantiert worden. Ihr Inkrafttreten wurde mehrmals verschoben, bis sie 1984 auf Drängen der Länder ersatzlos gestrichen wurde 46 . Sodann fand die erhoffte und erwartete Stellenvermehrung im Strafvollzug grundsätzlich nicht statt. In Bayern saßen am 31. März 1997 7.690 Strafgefangene (ohne U-Häftlinge) ein und wurden von 39 Psychologen und 103 Sozialarbeitern betreut. Das entspricht einem Verhältnis von 1 Psychologen/Sozialarbeiter auf 54 Strafgefangene 47. Für die Strafvollzugsbediensteten insgesamt wird ein Fehlbestand von rund 3.000 Bediensteten in Bayern geltend gemacht, und die Überstunden, die das Vollzugspersonal in Bayern vor sich herschiebt, betragen gegenwärtig 42.000 Tage. Berücksichtigt man ferner, daß die hierarchische, auf Anordnung von oben nach unten basierende Organisationsstruktur in den Justizvollzugsanstalten grundsätzlich beibehalten worden ist und die Anstalten teilweise schon wieder überbelegt sind, dann verwundert es nicht, daß rund 40% der Strafvollzugsbediensteten wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden. Ein deutlich sichtbares Merkmal fur die Stagnation in der Entwicklung des Resozialisierungsvollzuges dürfte die Behandlung des Arbeitsentgeltes sein. Mit dem Strafvollzugsgesetz wurde die Arbeitsbelohnung durch eine „echte" Arbeitsentlohnung ersetzt. Um den Ländern den finanziellen Anpassungsprozeß zu erleichtern, bestand dieser Lohn zunächst aus 5% des Durchschnittsentgeltes der Rentenversicherung (= Eckvergütung). Erwartet war, daß dieser Betrag nach und nach bis zur vollen Entlohnung erhöht werden würde, um den Strafgefangenen auch in die finanzielle Pflicht nehmen zu können (Unterstützung der Angehörigen, Wiedergutmachung, Schuldentilgung u.ä.). Mehrere Vorstöße, den Satz von 5% zu erhöhen, scheiterten an der Ablehnung durch den Bundesrat, so daß heute, nach 20 Jahren Strafvollzugsgesetz, noch der ursprüngliche Zustand besteht.
46 Strafvollzugsänderungsgesetz vom 20.12.1984 (Bundesgesetzblatt, Teil I, 1984, S. 1654). 47 Strafvollzug in Bayern (Stand Mai 1997). Für die Überlassung der vollzugsinternen Daten möchte ich Herrn MinRat Peter Küspert herzlich danken.
Klaus Rolinski
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Weitere Merkmale wie das Einfrieren der Mindestregelungen auf den Regelsatz - z.B. Anzahl und Zeit der Besuche, Paketannahme u.ä. - ließen sich anfuhren. Sicher sind die StrafVollzugs-Reformbewegung und das Strafvollzugsgesetz am Strafvollzug nicht spurlos vorübergegangen. Es bestehen immerhin noch sozialtherapeutische Anstalten als Modellanstalten, wenn auch rechtlich nicht in der Form einer Maßregel der Besserung, so doch als besondere Form des Strafvollzuges (§ 9 StVollzG). Und die Strafvollzugsbediensteten werden nach wie vor auf besonderen Schulen ausgebildet mit der Folge, daß gerade beim Vollzugsdienst die alte Schließermentalität durch die Haltung pädagogischer Zuwendung ersetzt worden ist. Das hat - immerhin - zu einer außerordentlichen Humanisierung des Strafvollzuges gefuhrt. Die Erprobung aber der Sozialtherapie während des Freiheitsentzuges ist in den Anfängen steckengeblieben. b) Die internationale Kriminalität hat vor allem dazu geführt, daß eine extrem hohe Anzahl von Ausländern in deutschen Justizvollzugsanstalten einsitzt. In Bayern sind es insgesamt 2.125, einschließlich Staatenlose. Das entspricht einem Anteil von 37,35%. In der Justizvollzugsanstalt Straubing, in der Straftäter mit hohen Freiheitsstrafen - ab sechs Jahre - ihre Strafe verbüßen, beträgt der Anteil sogar über 50%. Dementsprechend groß ist die Anzahl der Nationalitäten. Gegenwärtig sind die Strafvollzugsbediensteten in Bayern mit Straftätern aus 109 Nationen konfrontiert 48. Daraus ergeben sich mehrere Probleme: Im Vordergrund dürfte das Sprachproblem stehen. Vollzugspraktiker berichten zwar, daß im täglichen Vollzug die Sprachbarriere immer wieder durch „Hände und Füße" und durch das Einspringen von Strafgefangenen, die mehrere Sprachen, wenn auch nicht immer perfekt, sprechen, überwunden werde, doch dürfte sich auf einer so vereinfachten sprachlichen Ebene Resozialisierung nicht durchführen lassen. Ein weiteres Problem entsteht durch das Vorhandensein verschiedener Religionen. Die Strafvollzugsverwaltung hat das Recht des Strafgefangenen auf freie Ausübung seiner Religion grundsätzlich zu gewährleisten (§§ 53 u. 54 StVollzG). Welche Auswirkungen die Berücksichtigung solcher verschiedener Religionen auf die Organisation des Vollzuges und auf die Insassen untereinander hat, wissen wir im einzelnen allerdings nicht. Nach Aussagen von Vollzugspraktikern ist auch davon auszugehen, daß die Gewalt in den Justizvollzugsanstalten zugenommen habe, insbesondere unter verfeindeten Volksgruppen. Meines Wissens existieren hierüber zwar keine empirischen Arbeiten, doch ist es einsichtig, daß der Krieg, der draußen z.B. 48
Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 27.6.1997.
Resozialisierung und internationale Kriminalität in Deutschland
87
zwischen Serben, Kroaten und Muslimen geführt wird, sich in der Justizvollzugsanstalt fortsetzt. Ebenfalls ohne empirische Evidenz ist die Aussage, wonach der Anteil der OK-Täter zugenommen habe. Straftäter dieser Gruppe dürfte es zu Beginn des Resozialisierungsversuchs, wenn überhaupt, nur im Ausnahmefall gegeben haben. Grundsätzlich wird man davon ausgehen müssen, daß ausländische Straftäter vorwiegend an einer schnellen Entlassung und an einer bequemen Strafhaft interessiert sind. Ein Interesse, künftig in der Bundesrepublik „in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" 49 , darf man grundsätzlich nicht unterstellen. c) Die Durchführung der Resozialisierung ist aber nicht nur durch den hohen Anteil behandlungsunwilliger ausländischer Straftäter bedroht, sondern wohl auch durch eine Einstellungsänderung der deutschen Strafgefangenen zu ihrer eigenen Resozialisierung. Wiederholte Äußerungen von Vollzugspraktikern lassen die Hypothese zu, wonach der durchschnittliche deutsche Strafgefangene an einer Integration in die Gesellschaft gar nicht interessiert sei. Auch er dürfte, den amerikanischen Strafgefangenen vergleichbar, geschickt seine vorzeitige Entlassung betreiben und im übrigen eine „ruhige Kugel schieben" wollen. Die oben beschriebene Wandlung unserer Gesellschaft in den letzten 30 Jahren macht eine solche Vermutung sehr plausibel. Ein Beweis steht noch aus. d) Darüber hinaus nimmt die Gruppe der Drogenabhängigen inzwischen einen merkbaren Anteil an den Strafgefangenen ein. Im bayerischen Strafvollzug befanden sich am 31.03.1996 1.049 (= 14 %) Strafgefangene, die ausschließlich wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt waren 50 . Sie psychotherapeutisch zu betreuen, bedarf sicherlich eines größeren Aufwandes, als er unter den jetzigen personellen und finanziellen Ressourcen möglich ist. Allein der erfolglose Versuch - zur Durchführung von Resozialisierung müssen Vollzugslockerungen weiterhin gewährt werden -, die Justizvollzugsanstalt drogenfrei zu halten, bindet zusätzlich Personal. Ob die Anteile der psychisch Kranken und der HIV-positiven Strafgefangenen ebenfalls zunehmen und welchen Behandlungsbedarf sie erfordern, wissen wir nicht. Zusammenfassend wird man feststellen müssen, daß es zwar gegenwärtig Ansätze eines Resozialisierungsvollzuges gibt, daß er aber nicht „eingeführt" ist. Tatsächlich besteht ein „Verwahrvollzug", der allerdings durch eine starke 49
Vollzugsziel des § 2 StVollzG, vgl. Fn. 15. Strafvollzug in Bayern, Fn. 47, S. 27. Die tatsächliche Anzahl der drogenabhängigen Strafgefangenen im Strafvollzug wird höher geschätzt. 50
Klaus Rolinski
88
Humanisierung positiv gekennzeichnet ist. Die „internationale Kriminalität" ist nur eine Variable, die die Durchführung von Resozialisierung im Strafvollzug behindert. Weitere, sozialstrukturell verankerte Variablen kommen hinzu.
6. Ausblick Die wirtschaftliche Entwicklung in den Industriestaaten und die sozialstrukturelle in der Bundesrepublik werden dazu fuhren, daß der Staat schon aus finanziellen Gründen auf Jahre hinaus handlungs- und reformunfähig bleiben wird 51 . Geht man von diesem Faktum aus, muß man zunächst feststellen, daß der Resozialisierungsvollzug, so wie er durch die StrafVollzugsreformbewegung konzipiert war, in nächster Zukunft sich nicht wird verwirklichen lassen. Zwei Möglichkeiten zur Verwendung der vorhandenen Mittel sind gegeben: Einmal kann eine „flächendeckende" Verteilung erfolgen, d.h. die verfügbaren Mittel werden allen Strafanstalten gleichmäßig übergeben. Das entspricht dem status quo und bedeutet, daß Sozialtherapie nur in den kleinen sozialtherapeutischen Modellanstalten praktiziert werden kann und daß als Regelvollzug ein „humaner" Verwahrvollzug durchgeführt wird. Zum anderen kann man aber auch Schwerpunkte setzen und insbesondere Psychologen, Psychotherapeuten, Sozialarbeiter und auf Sozialtherapie vorbereitete Vollzugsbedienstete in wenigen Vollzugsanstalten konzentrieren, in die nur therapiebedürftige und Resozialisierungswillige Strafgefangene eingewiesen werden. Die Auswahl müßte, ähnlich wie im kalifornischen Strafvollzug, in einer vorgeschalteten Diagnoseanstalt erfolgen, Vacaville vergleichbar. Bei dieser Lösung muß man allerdings hinnehmen, daß der jetzige RegelstrafVollzug in seiner humanen Form zerstört würde. RegelstrafVollzug wäre dann nur noch harter, rein repressiver Verwahrvollzug mit allen bekannten Folgen für Insassen und Gesellschaft. Und diese, sozusagen vorsätzliche Beseitigung der gegenwärtigen Situation bedeutet zugleich die Aufgabe des hohen Ziels der StrafVollzugsreformbewegung, nämlich die Forderung, auch im RegelstrafVollzug Resozialisierung professionell durchzuführen. Die StrafVollzugslösung wäre einziges Modell. Rein rechtlich gesehen dürften beide Lösungen - streng genommen - nach der gegenwärtigen Rechtslage unzulässig sein. Der Resozialisierungsvollzug ist schließlich durch das Strafvollzugsgesetz am 01.01.1977, insbesondere durch die Formulierung des Vollzugszieles in § 2 StVollzG eingeführt worden. Den Anspruch, in einer bestimmten Justizvollzugsanstalt eine bestimmte personelle und finanzielle Ausstattung zu gewährleisten, kann aber aus diesem Gesetz den Ländern gegenüber nicht geltend gemacht werden. So bleibt es faktisch im Er51
Bisher blieb der Strafvollzug zwar vom systematischen Stelleneinzug verschont, ob die jetzigen Mittel auch weiterhin gewährt werden können, ist aber eine offene Frage.
Resozialisierung und internationale Kriminalität in Deutschland
89
messen der Länder, wie sie ihren Strafvollzug ausgestalten wollen. Selbst eine Schwerpunktlösung für Resozialisierungsfähige und -willige Strafgefangene dürfte über die Vollzugslösung des § 9 StVollzG rechtlich zulässig sein. Eine ins Einzelne gehende Diskussion ist in diesem Rahmen nicht mehr möglich. Das Problem aber wirft Licht auf das Generalthema: Zur Bewältigung der „neuen gesellschaftlichen Herausforderungen" werden wir mit den „alten Strafrechtsstrukturen" wohl nicht auskommen.
Veränderte Bedingungen des Resozialisierungsversuchs im Kontext internationaler Kriminalität in Japan Von Toshio Yoshida
I. Einleitung Ziel dieses Referats ist es, einen Überblick über die gegenwärtige Situation der Ausländerkriminalität und der ausländischen Strafgefangenen in Japan zu geben und die Probleme ausländischer Gefangener in Japan darzustellen. Vor allem soll dieses Referat die Möglichkeiten der (Re)sozialisierung ausländischer Gefangener beleuchten.
II. Ausländerkriminalität in Japan 1. Zahl der nach Japan eingereisten Ausländer Die Zahl der Ausländer, die nach Japan eingereist sind, erreichte im Jahre 1992 mit 3 251 753 ihren vorläufigen Höhepunkt. Danach fiel sie von 3 040 719 im Jahre 1993 auf 2 934 428 im Jahre 1995 um 3,5%. Diese Entwicklung könnte zum einen darauf zurückzufuhren sein, daß sich im Februar 1995 in der großen Hafenstadt Kobe ein katastrophales Erdbeben ereignete und zum anderen darauf, daß die japanische Währung auf dem Devisenmarkt rapide höher bewertet wurde. Unterteilt man die Ausländer, die im Jahre 1995 nach Japan eingereist sind, nach Nationalitäten, so fuhren Koreaner mit 26,7% vor Taiwanesen mit 18,8%, US-Amerikanern mit 16,5% und VR-Chinesen mit 4,1%. Im Hinblick auf den Aufenthaltsstatus waren im Jahre 1995 die meisten zeitweilige Besucher, vor allem Touristen (92,9%).
2. Ausländer, die illegal im Land bleiben Die geschätzte Zahl der Ausländer, die bei uns illegal verbleiben, betrug im Jahre 1993 (Stichtag: 1. Mai) etwa 299 000. Seitdem ist die Tendenz fallend. Das kommt vermutlich daher, daß die Einreise- und Aufenthaltsverlängerungs-
92
Toshio Yoshida
kontrollen strenger als früher durchgeführt werden und die Polizei alles daran setzt, „Illegale" aufzudecken. So betrug die geschätzte Zahl der Ausländer, die bei uns illegal verbleiben, im Jahre 1995 nur noch etwa 285 000 (Stichtag: 1. November). Wenn man die Zahlen der illegal Verbliebenen nach Nationalitäten unterteilt, liegen im Jahre 1995 Koreaner an erster Stelle (rund 50 000: 17,5%), gefolgt von Thailändern (rund 43 000: 15 1 %), Philippinos (rund 41 000: 14,4%), VRChinesen (rund 38 000: 13,3%) und Peruanern (rund 15 000: 5,3%). Unterteilt man nach Geschlechtern, so waren von den „Illegalen" 57,6%(etwa 164 000) Männer und 42,4% (etwa 121 000) Frauen. 3. Straftaten nach dem StGB Die absolute Zahl der Ausländer, die im Jahre 1995 wegen des Verdachts auf Straftaten gegen das StGB (außer Straßenverkehrsdelikten) verhaftet wurden, betrug 11 234 Personen (1994: 11 906; im Vergleich zum vorigen Jahr eine Abnahme um 5,6%).Das Verhältnis der Ausländer, die im Jahre 1995 wegen des Verdachts auf Straftaten gegen das StGB (außer Straßenverkehrsdelikten) verhaftet wurden, zur Gesamtzahl der Verhafteten (753 174) betrug 3,8%.Die absolute Zahl der polizeilich aufgeklärten Strafrechtsfälle, die von Ausländern begangen wurden, betrug im Jahre 1995 27 891(1986:20 156; 1990: 13 410). Teilen wir jetzt die Ausländer in zwei Kategorien ein, und zwar in eine erste Kategorie der zeitweiligen Besucher (Schüler, Unterhaltungskünstler, Auszubildende, Studenten, Ausländer ohne Aufenthaltsberechtigung u.s.w.) und in eine zweite Kategorie der dauerhaft in Japan lebenden Ausländer (amerikanische Stationierungskräfte mit ihren Familien, Koreaner und Taiwanesen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges oder länger ununterbrochen in Japan wohnen sowie deren Nachkommen). Beim Vergleich dieser beiden Kategorien fällt auf, daß es sich heute bei der Ausländerkriminalität in Japan hauptsächlich um die erste Kategorie handelt. Die Zahl der verhafteten Ausländer der ersten Kategorie betrug 6 527 Personen. Das sind 58,1% aller verhafteten Ausländer 1986: 19,4%, 1 626; 1987: 21,5%, 1 871; 1988: 31,5%, 3 020; 1989: 36,3%, 2 989; 1990: 38,7%, 2 978; 1991: 50,1%, 4 813; 1992: 55,2%, 5 961; 1993: 59,7%, 7 276; 1994: 58,7%, 6 989). Das Verhältnis der Ausländer der ersten Kategorie wurde somit immer größer. 4. Straftaten nach strafrechtlichen Nebengesetzen Was Straftaten nach strafrechtlichen Nebengesetzen ( außer Verbrechen gegen das Straßenverkehrsgesetz) anbelangt, betrug im Jahre 1995 die absolute
Resozialisierung und internationale Kriminalität in
a n
93
Zahl der ausländischen Tatverdächtigen, deren Verfahren an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden, 7 098 Personen in 9 317 Fällen. Das Verhältnis der ausländischen Tatverdächtigen der ersten Kategorie betrug 76,8% im Jahre 1995 (1986: 36,7%, 2 438; 1987: 37,1%, 2 191; 1988: 35,5%, 1 566; 1989: 46,2%, 1 629; 1990: 52,3%, 1 792; 1991: 59,9%, 2 457; 1992: 69,0%, 3 495; 1993: 78,5%, 5 191; 1994: 80,9%6 ,587). Aus der Statistik ergibt sich, daß der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen der ersten Kategorie rapide zugenommen hat und diese jetzt den größten Teil bildet.
I I I . Ausländer in Strafhaft Entsprechend der Entwicklung der Ausländerkriminalität, sind immer mehr Ausländer in Strafhaft gekommen, womit sich das Problem des Strafvollzugs von Ausländern verschärft hat. Im Jahre 1995 sind 970 Ausländer neu in den Strafvollzug gelangt. Sie hielten sich legal oder illegal in Japan auf, begingen Verbrechen und wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Es ist bemerkenswert, daß die Zahl der inhaftierten VR-Chinesen in den Jahren 1986 bis 1995 von 30 auf 135 um 450% angestiegen ist, wohingegen die Zahl der inhaftierten Koreaner inzwischen rückläufig ist (s. Tabelle 1, S. 94). Auffällig ist auch, daß sich Ausländer aus immer mehr Staaten im Strafvollzug befinden. Im Jahre 1995 lagen Koreaner an erster Stelle (449), gefolgt von VR-Chinesen (135), Iranern (94), Philippinos (40), Peruanern (35), Kolumbianern (24) und Pakistanern
(16). Betrachten wir die jährliche Entwicklung der Zahl der sich im Strafvollzug befindlichen Ausländer in Japan (zum 31. Dezember), so fand im Zeitraum von 1986 bis 1995 ein Anstieg von 1 526 auf 1 801 „mithin um 20% statt (s. Tabelle 2, S. 94). Betrachtet man die Zahlen nach Nationalitäten unterteilt, so fällt auf, daß die Zahl der Koreaner zwischen den Jahren 1986 und 1995 von 1 297 auf 911 um 29,8% gefallen, wohingegen die Zahl der VR-Chinesen von 58 auf 224 um 386% gestiegen ist. Außerdem ist bemerkenswert, daß die Zahl der übrigen Ausländer ohne Koreaner, VR-Chinesen und US-Amerikaner, seit 1986 kontinuierlich anwächst, und zwischen den Jahren 1986 und 1995 von 136 auf 617 um 454% angestiegen ist (s. Tabelle 3, S. 95). Damit ist es zu einer signifikanten Belastung des Strafvollzugs gekommen. Bedauerlicherweise zeigt das Jahrbuch für Strafvollzugsstatistik nicht ausführlicher, wie die restlichen Ausländer nach Nationalitäten unterteilt sind.
94
Toshio Yoshida
Tabelle 1 Nationalitäten der Ausländer, die neu in Strafhaft untergebracht wurden 1986 -1995
Jahr
Gesamtzahl Davon aller PerJapaner sonen
Koreaner
VRChinesen
US- Amerikaner
Sonstige
1986
30 651
29 753
726
30
16
126
1987
29 726
28 821
744
60
21
80
1988
28 242
27 387
677
64
14
100
1989
24 605
23 825
621
46
20
93
1990
22 745
22 039
531
44
27
104
1991
21 083
20 381
533
50
16
103
1992
20 864
20 149
488
48
30
149
1993
21 242
20 508
457
40
18
219
1994
21 266
20 365
449
75
23
289
1995
21 838
20 868
514
135
12
374
Tabelle 2 Ausländer in Haft 1986 -1995 (Stichtag 31. Dezember)
Jahr
davon Ausländer
Gesamtzahl
Davon Strafgefangene der Klasse „F"
aller Personen Männer Frauen 1986
46050
1433
93
Summe Prozent Männer Frauen 1526
3,3%
169
0
Summe 169
Resozialisierung und internationale Kriminalität in
Jahr
Gesamtzahl
davon Ausländer
a n
95
Davon Strafgefangene der Klasse „F"
aller Personen
Summe Prozent Männer Frauen
Männer Frauen
Summe
1987
45958
1483
82
1565
3,4%
188
0
188
1988
45736
1462
93
1555
3,4%
212
6
218
1989
42615
1428
77
1505
3,5%
214
9
223
1990
39892
1291
89
1380
3,6%
235
17
252
1991
37765
1255
87
1342
3,6%
250
24
274
1992
37237
1277
92
1369
3,7%
312
31
343
1993
37164
1329
95
1424
3,8%
375
39
414
1994
37425
1447
121
1568
4,2%
485
47
532
1995
38585
1681
120
1801
4,7%
595
43
638
Tabelle 3 Nationalitäten der Ausländer in Strafhaft 1986 -1995 (Stichtag 31. Dezember)
Jahr
Gesamtzahl der Ausländer Männer
Frauen
Summe
1986
1433
93
1526
1987
1483
82
1988
1462
1989
Jahr
Gesamtzahl der Ausländer Männer
Frauen
Summe
1993
1329
95
1424
1565
1994
1447
121
1568
93
1555
1995
1681
120
1801
1428
77
1505
1993
1329
95
1424
1990
1291
89
1380
1994
1447
121
1568
1991
1255
87
1342
1995
1681
120
1801
1992
1277
92
1369 (Fortsetzung nächste Seite)
96
Toshio Yoshida
(Fortsetzung
Tabelle 3) davon Koreaner
Jahr
davon VR-Chinesen
Männer
Frauen
Summe
Männer
Frauen
Summe
1986
1226
71
1297
53
5
58
1987
1251
68
1319
71
4
75
1988
1220
74
1294
94
9
103
1989
1184
68
1252
90
3
93
1990
1015
68
1083
93
5
98
1991
965
63
1028
98
6
104
1992
902
55
957
110
9
119
1993
884
45
929
103
7
110
1994
860
64
924
127
9
135
1995
854
57
911
212
12
224
Jahr
davon US-Amerikaner
davon Sonstige
Männer
Frauen
Summe
Männer
Frauen
Summe
1986
35
0
35
119
17
136
1987
36
1
37
125
9
134
1988
29
1
30
119
9
128
1989
31
0
31
123
6
129
1990
48
3
51
135
13
148
1991
41
5
46
151
13
164
1992
47
5
52
218
23
241
1993
35
4
39
307
39
346
1994
47
0
47
423
48
461
1995
47
2
49
568
49
617
Ich möchte diese Übersicht durch eine Erhebung über Ausländer ergänzen, die in den Strafanstalten Fuchu und Tochigi einsitzen. Nach der Verwaltungsverordnung des Justizministeriums vom 1.7.1972 (Jukeisha-bunrui-kitei) ist ein
Resozialisierung und internationale Kriminalität in
a n
97
Ausländer in die Klasse F („F" ist der Anfangsbuchstabe von „foreigner")einzustufen, wenn er hinsichtlich Unterkunft und Verpflegung andere Gewohnheiten hat, als ein Japaner. Solche Ausländer werden in besonderen Abteilungen der allgemeinen Strafanstalten, also der Strafanstalt Fuchu und der Strafanstalt Tochigi, den Vollzugsverhältnissen ihrer Heimatländer entsprechend untergebracht und verpflegt. Sie arbeiten aber mit japanischen Strafgefangenen zusammen. In der Abteilung der Strafanstalt Fuchu werden nur Männer untergebracht, in Tochigi nur Frauen. Inhaftierte amerikanische Armeeangehörige werden in der Sonderanstalt Yokosuka untergebracht. Nicht alle Ausländer werden nach der Klassifizierung „F" eingestuft. In den Strafvollzug eingewiesene Koreaner sowie Taiwanesen, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges oder länger ununterbrochen in Japan wohnen, werden im Vollzug nicht als Strafgefangene der Klasse „F" behandelt. Im Jahre 1973 (Stichtag: 31. Dezember) gab es 132 Strafgefangene der Klasse „F". Die Zahl betrug nur 0,3% der gesamten Zahl aller inhaftierten Personen (38 854). Im Jahre 1995 (Stichtag: 31. Dezember) waren 632 Strafgefangene der Klasse „F" untergebracht. Also ist die Zahl zwischen den Jahren 1973 und 1995 um 479% angewachsen. Die neuere Zahl betrug 1,7% der Gesamtzahl aller inhaftierten Personen. Unter allen ausländischen Untergebrachten im Jahre 1995 (1 801) betrugen die Strafgefangenen der Klasse „F" 35% (638) (s. Tabelle 2). Unterteilt man die ausländischen Gefangenen in Fuchu und Tochigi nach Nationalitäten, so kamen sie im Jahre 1993 aus einer Vielzahl verschiedener Staaten. Der prozentuale Anteil der Asiaten, die insgesamt aus 19 Staaten stammten, betrug 75% (279) (s. Tabelle 4, S. 98).
III. Probleme der Strafgefangenen der Klasse „F" 1. Sprachliche Probleme Die Sprachen, die die untergebrachten Strafgefangenen in Fuchu im Alltagsleben sprechen, sind sehr unterschiedlich (s. Tabelle 5, S. 100). Die Sprachenvielfalt ist so groß, daß es nicht mehr möglich ist, den Strafanstalten Bedienstete zur Verfugung zu stellen, die sich mit allen Strafgefangenen verständigen können. Die Vielzahl der verschiedenen Fremdsprachen erfordert von der Strafanstalt erhebliche sachliche und personelle Aufwendungen. Die aus zwölf Bediensteten bestehende Mannschaft, die für ausländische Strafgefangene zuständig ist, lernte Chinesisch, Spanisch und Englisch. Falls dies nicht ausreicht, helfen der Strafanstalt ausländischen Vertreter, Freiwillige, das Dolmetscherzentrum in der Strafanstalt Fuchu u.s.w. 7 Kühne / Miyazawa
Toshio Yoshida
98
Es geht in der Strafanstalt vor allem darum, den Ausländern die verschiedensten Haftregelungen verständlich zu machen. Es ist nicht so schwierig, rechtliche Bestimmungen, Hausordnungen über den Tagesablauf und die Weisungen in den gängigsten Sprachen an die Insassen zu verteilen. Die „EinftihTabelle 4 Nationalitäten der Strafgefangenen der Klasse „F" in Fuchu und Tochigi (Stichtag: 30.10.1993)
Nationalitäten
Männer
Frauen
333
39
Malaysia
46(13,8%)
-
Iran
41 (12,3%)
-
China
33 (9,9%)
-
Philippinen
28 (8,4%)
7(17,9%)
Taiwan
27 (8,1%)
5(12,8%)
Hongkong
24 (7,2%)
1 (2,6%)
Pakistan
22 (6,6%)
Thailand
13(3,9%)
Indien
4(1,2%)
-
Vietnam
4(1,2%)
-
Bangladesch
3 (0,9%)
-
Myanma
2 (0,6%)
-
Singapur
2 (0,6%)
-
Kambodscha
1 (0,3%)
-
Afghanistan
1 (0,3%)
-
Nepal
1 (0,3%)
-
Asien
Korea
-
-
11 (28,2%)
2(5,1%)
Naher Osten (Fortsetzung nächste Seite)
Resozialisierung und internationale Kriminalität in Japan (Fortsetzung
Tabelle 4)
Israel
1 (0,3%)
-
Europa England
6(1,8%)
Rußland
2 (0,6%)
Österreich
2 (0,6%)
Deutschland
1 (0,3%)
Holland
1 (0,3%)
-
Schweden
1 (0,3%)
-
Spanien
1 (2,6%)
-
1 (2,6%)
3 (0,9%)
1 (2,6%)
U.S.A
19(5,7%)
4(10,3%)
Kanada
4(1,2%)
-
Kolumbien
15 (4,5%)
4(10,3%)
Peru
10(3,0%)
-
Bolivien
4(1,2%)
-
Brasilien
3 (0,9%)
Chile
2 (0,6%)
-
Argentinien
1 (0,3%)
-
Jamaika
1 (0,3%)
-
Paraguay
1 (0,3%)
-
Afrika Nigeria Nordamerika
Südamerika
El Salvador
1 (2,6%)
1 (2,6%)
-
Ozeanien Neuseeland
2 (0,6%)
-
Staatenlos
1 (0,3%)
-
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Toshio Yoshida
Tabelle 5* Sprachen der Strafgefangenen der Klasse „F" in Fuchu und Tochigi (Stichtag: 30.10.1993)
Sprachen
Männer (333)
Frauen (39)
chinesisch
135 (40,5%)
6(15,4%)
englisch
66(19,8%)
8 (20,5%)
persisch
43 (12,9%)
spanisch
35(10,5%)
6(15,4%)
tagalogisch
29 (8,7%)
7(17,9%)
urdu
24 (7,2%)
thai
16(4,8%)
malaiisch
14 (4,2%)
portugiesisch
4(1,2%)
1 (2,6%)
deutsch
4 (1,2%)
1 (2,6%)
vietnamesisch
4(1,2%)
-
bengalisch
3 (0,9%)
-
hindi
3 (0,9%)
-
russisch
2 (0,6%)
-
türkisch
2 (0,6%)
-
birmanisch
2 (0,6%)
-
französisch
1 (0,3%)
-
kambodschanisch
1 (0,3%)
-
nepalesisch
1 (0,3%)
-
koreanisch sonstige
-
19(5,7%)
-
-
11 (28,2%) -
2(5,1%) -
* (einschließlich Mehrsprachige) rung zum Leben in der Strafanstalt" ist schon in englischer, chinesischer, spanischer, und thailändischer Sprache vorhanden. Die „Weisungen in der Strafanstalt" gibt es auch schon in Englisch, Chinesisch, Spanisch, Thailändisch, Persisch, Urduisch, Tagalogisch, Französisch, Bengalisch und Indonesisch.
Resozialisierung und internationale Kriminalität in a n
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Aber hinsichtlich des Strafvollzugs ist es dennoch notwendig, daß die Bediensteten die Fähigkeit haben, sich mit den Strafgefangenen zu verständigen, auch wenn es nicht erforderlich ist, daß sie die Fremdsprachen flüssig und fließend sprechen. Immerhin könne sie auf diese Weise hinreichend kommunizieren, um auf Probleme einzugehen, bei denen sich die Gefangenen ungerecht behandelt, mißbraucht oder zusätzlich bestraft fühlen. Es ist im Strafvollzug wichtig, daß die ausländischen Strafgefangenen das Gefühl haben, daß sie im Vollzug als Menschen ernst genommen werden. Nur so können die Bediensteten das Vertrauen der Insassen gewinnen. Es ist auch denkbar, daß Japanischsprachkurse für Ausländer angeboten werden, obwohl sie nach geltendem Recht nur außerhalb der Arbeitszeit wahrgenommen werden könnten. Die Kenntnis der japanischen Sprache gehört letztlich auch zur Voraussetzung eines legalen Verhaltens in Japan Aber die meisten Ausländer werden kein Interesse an solchen Sprachkursen haben, weil sie sowieso nach ihrer Entlassung des Landes verwiesen werden. Außerdem sollte darauf hingewiesen werden, daß die Wirksamkeit solcher Sprachkurse unter dem Mangel an geschultem Personal und der gleichzeitigen Nationenvielfalt der Insassen leidet. Auf jeden Fall ist es unter den gegebenen Umständen für die Bediensteten sehr schwer, mit den Ausländern Kontakt aufzunehmen und sich verständlich zu machen. Bei fremdsprachigem Schriftverkehr und bei Besuchen müssen Übersetzer und Dolmetscher hinzugezogen werden. Dies ist aber teuer, kostete Zeit und fuhrt oft zu Zwistigkeiten oder Verzögerungen.
2. Unterbringung, Kleidung und Ernährung Die Strafgefangenen der Klasse „F" werden in der Regel in Einzelzellen im Ausländer-Haus (Kapazität: 236 Insassen) untergebracht, die mit Bett, Toiletteneinrichtung und Fernseher ausgestattet sind. Momentan ist das AusländerHaus überfüllt. So werden für Ausländer auch die Einzelzellen benutzt, die eigentlich für japanische Strafgefangene reserviert sind. Dies beeinflußt die Behandlung der japanischen Insassen mit fortgeschrittener krimineller Veranlagung, die sich für das Leben in Gemeinschaftszellen nicht eignen, negativ. Die Enge und Einsamkeit der Einzelzelle kann auf einige Ausländer besonders negativ wirken. Das nur für Ausländer bestimmte „konzentrierte Gefängnis 44 erscheint, nicht erfolgversprechend. Je mehr aus verschiedenen Staaten stammende Ausländer in einem „konzentrierten Gefängnis 44 untergebracht werden, desto stärker werden wegen der sprachlichen Vielheit die Bediensteten belastet. Dies kann die Sicherheit gefährden. Außerdem würden sich ausländische Insassen in so einer
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Toshio Yoshida
Strafanstalt diskriminiert fühlen. Die ausländischen Strafgefangenen sollten in der Strafanstalt einer Großstadt in der Abteilung untergebracht werden, in der auch die japanischen Insassen einsitzen. Auf diese Weise lassen sich mit Hilfe von Kräften außerhalb der Anstalt leichter Übersetzungshilfen beschaffen. Ausländischen Insassen können so den Kontakt mit Konsulaten oder Botschaften leichter halten. Seit Januar 1994 können die ausländischen Strafgefangenen der Klasse „F" vorläufig und unter bestimmter Voraussetzungen auch in der Strafanstalt Osaka untergebracht werden. Was Kleidung und die Dinge des täglichen Bedarfs anbelangt, wird an Japaner und Ausländer das Gleiche ausgegeben. Aber die aus südlichen Ländern stammenden Ausländer können während des Winters Wärmflaschen leihen. Sie können mit eigenem Geld Ohrenklappen, Handschuhe und dicke Socken gegen Frostbeulen an Ohren, Händen und Füßen besorgen. Den Ausländern, die wesentlich andere Eßgewohnheiten haben, als Japaner, wird anstatt Reis Brot verteilt. Außerdem wird religiös begründeten Speisegeboten, die z.B. Muslime befolgen müssen, mit Austauschkost (Mahlzeiten ohne Schweinefleisch) und besonderen Essenszeiten (während des Ramadans) Rechnung getragen. Diejenigen Ausländer, die kein „Ausländer-Essen" erhalten, fühlen sich möglicherweise ungerecht behandelt. Die japanischen Strafgefangenen könnten sich auch ungerecht behandelt fühlen, weil für das „Ausländer-Essen" finanziell etwas mehr aufgewendet werden muß.
3. Arbeit und Arbeitsentlohnung Sowohl die zu einer Freiheitsstrafe mit Arbeitszwang verurteilten Ausländer, wie auch die zu einer Freiheitsstrafe ohne Arbeitszwang verurteilten Ausländer arbeiten zusammen mit den japanischen Insassen in den Werkstätten. Denn es könnte zu Zwistigkeiten kommen, wenn alle ausländischen Insassen im selben Werk arbeiten würden. Sie arbeiten in Betrieben, in denen meist simple Tätigkeiten durchzuführen sind, so z.B. Metallbearbeitung, Lederverarbeitung, Druckerei, Schweißen u.s.w. Wegen sprachlichen Barrieren können die Ausländer an keinen Berufsausbildungskursen teilnehmen, obwohl nicht wenige Ausländer gerne eine Qualifikation oder eine Lizenz für einen Beruf erlangen wollen. Es ist also ganz offensichtlich, daß die sprachliche Barriere sie benachteiligt. Für ihre Arbeit erhalten die ausländischen Insassen - wie die japanischen Insassen - ohne Rechtsanspruch eine geringe Arbeitsentlohnung. So kann es geschehen, daß die ausländischen Gefangenen so viel „verdienen", wie die gehobenen Angestellten, Beamten und Professoren in ihren Heimatsstaaten, selbst wenn sie in Japan Verbrechen begangen haben und „unglücklicherweise" im
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Gefängnis gelandet sind. Nachdem sie nach ihrer Entlassung ausgewiesen worden sind, können sie durch den Wechselkurs in ihrem Heimatland reich werden. Außerdem können sie unter Umständen im Gefängnis noch Japanisch erlernt haben und ausgebildet worden sein. Darin spiegelt sich das Wirtschaftsgefälle zwischen Japan und den Entwicklungsländern.
4. Bedingte Entlassung Die Rate der auf Bewährung entlassenen Strafgefangenen der Klasse „F" in Fuchu und Tochigi ist sehr hoch. 92,2% der ausländischen Insassen ,im Vergleich zu nur etwa 55% der japanischen Insassen, wurden im Jahre 1993 bedingt entlassen. Gemäß § 26 JStGB ist die Gewährung der Aussetzung der Reststrafe für erwachsene Strafgefangene bereits nach der Verbüßung von einem Drittel der Strafzeit bei einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe zulässig. 56,1% der ausländischen, auf Bewährung entlassenen Gefangenen verbüßten 50% ihrer Strafzeit, 19,4% verbüßten 60%. Der Hauptgrund für die frühe Gewährung der Strafaussetzung liegt vermutlich darin, daß die Ausländer unter dem Gesichtspunkt der (Re)sozialisierung so früh wie möglich wieder in ihrem Heimatstaat leben sollten. Sie werden sowieso wegen der begangenen Straftat des Landes verwiesen.
V. (Re)sozialisierungsvollzug oder Verwahrvollzug Es ist offensichtlich sinnlos, den ausländischen Strafgefangenen an die Lebensverhältnisse eines Landes zu gewöhnen, aus welchem er nach seiner Entlassung unverzüglich ausgewiesen wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem Ausländer um einen Urlauber, einen Durchreisenden oder einen eigens zur Begehung von Straftaten einreisenden Verbrecher handelt. Auf jeden Fall würden mühevolle Wiedereingliederungsversuche in die Gesellschaft des Tatortes zu nichts führen. Sollte man sich dann also darum bemühen, den ausländischen Strafgefangenen im Hinblick auf ein Leben in seiner Heimat zu ( resozialisieren, wobei man die Lebensverhältnisse der Gefangenen nicht außer acht lassen darf. Aber kann (Re)sozialisierung vom Ausland her überhaupt erfolgreich durchgeführt werden? Wenn man die Chancen für eine (Re)sozialisierung eines ausländischen Verurteilten maximieren will, ist es folgerichtig, die Freiheitsstrafe in einer Strafanstalt zu vollziehen, in der auf seine sozioökonomischen und kulturellen Eigenheiten Rücksicht genommen wird. Grundsätzlich ist dies in seinem Heimatoder Wohnortsstaat gewährleistet, weswegen dieser ohne Rücksicht auf den
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Toshio Yoshida
Verurteilungsstaat den Strafvollzug übernehmen sollte. Der Vollzug im Heimat- oder Wohnortsstaat würde den Strafgefangenen wirksamer auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereiten, in der er nach Verbüßung seiner Strafe wieder leben soll. Dies gilt natürlich nur, wenn auch der in Frage stehende Heimat- oder Wohnortsstaat eine wirksame (Re)sozialisierung des Straftäters als vorrangiges Vollzugsziel anstrebt. Das (Re)sozialisierungsziel des Strafvollzugs wird international allgemein anerkannt. Artikel 10 Abs. 3 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 schreibt vor: „Der Strafvollzug schließt eine Behandlung ein, die vornehmlich auf ihre (die Strafgefangenen) Behandlung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt". Es erscheint unzweifelhaft, daß die (Re)sozialisierung im ausländischen Strafvollzug geringere Erfolgsaussichten hat, als der im Heimat- oder Wohnortstaat. Auch sollte darauf hingewiesen werden, daß fur ausländische Strafgefangene der Zugang zu Ausbildungsgängen nicht selten mühsam ist. Sogar die notwendigen Voraussetzungen für die Entlassung, wie z.B. die Beschaffung von Unterkunft und Arbeitsplatz, sind über die Staatsgrenzen hinweg schwer sicherzustellen. Auch bleiben ausländische Strafgefangene in der Strafanstalt sowohl gegenüber Mitgefangenen als auch gegenüber Vollzugsbediensteten meist isoliert. Regelmäßige Kontakte finden sie gar nicht oder nicht im notwendigen Maße. Ferner bringt jeder langjährige Freiheitsentzug die Gefahr mit sich, den Gefangenen dem vormaligen sozialen Umfeld im Heimat- oder Wohnortstaat zu entfremden. Wenn die Freiheitsstrafe in einem fremden Lande vollzogen wird, so steigert sich diese Gefahr noch erheblich. Deswegen ist es für den Strafvollzug sehr schwierig, das Ziel einer erfolgreichen (Re)sozialisierung der verurteilten Ausländer zu erreichen. Es ist sicher, daß der Strafvollzug einen Verwahr- und Sicherungszweck erreichen kann. Wenn dazu Achtung vor der Menschenwürde tritt, dann könnte dies zum sogenannten „Negativ-Konzept" (in Japan sagt man „Negativ-Vollzug") fuhren. Das wäre eine unfruchtbare Konsequenz. So gesehen erfordert die Internationalisierung der Kriminalität auch auf der Ebene des Strafvollzugs eine gemeinsame international-arbeitsteilig betriebene Kriminalitätsbekämpfung. Nicht betroffen sind diejenigen Ausländer, die nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe in Japan verbleiben können, weil sie hier beruflich etabliert oder familiär gebunden sind, und daher ausnahmsweise nicht ausgewiesen werden. Sie sollen gerade in die japanische Gesellschaft eingegliedert werden und werden im Vollzug dementsprechend behandelt.
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VI. Überstellung in den Heimat- oder Wohnortstaat Aufgrund der oben erwähnten Verhältnisse hat die Übernahme der Strafvollstreckung ausländischer Strafurteile sowie die Überstellung verurteilter Personen in der Gegenwart wachsende Bedeutung gewonnen. Es ist hinsichtlich des Gebots der (Re)sozialisierung offensichtlich besser, wenn der Heimat- oder Wohnortstaat den Versuch der (Re)sozialisierung des eigenen Staatsbürgers unternimmt. Dabei stellt sich die Frage, ob es ausländischen Verurteilten erlaubt werden sollte, zu wählen, ob sie ihre Strafe im Staat verbüßen wollen, in dem sie verurteilt worden sind, oder im Staat, in den sie ausgewiesen werden oder heimkehren wollen. Es scheint sowohl in Deutschland wie auch in Japan die Auffassung zu herrschen, daß (Re)sozialisierung der Freiwilligkeit bedarf. Eine Überstellung gegen den Willen des Betroffenen würde einer (Re)sozialisierung des Strafgefangenen zuwiderlaufen Die (Re)sozialisierung könnte nur erreicht werden, wenn im Vollzugsstadium nicht gegen seinen (des Verurteilten) Willen so weitreichende Maßnahmen wie seine Überstellung getroffen werden. Dies gelte um so mehr, als der Verurteilte selbst am besten beurteilen könne, in welchem Staat er aufgrund seiner persönlichen Bindungen und auch im Hinblick auf sein Fortkommen nach der Strafentlassung die besten Zukunftsaussichten hat. Auch das „Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen" ( BGBl. 1991 II, S. 1007ff.) fordert in Artikel 7 die Zustimmung des verurteilten Ausländers. Das erscheint jedoch fragwürdig. Zwar handelt es sich bei konkreten Maßnahmen um eine Mitwirkung des Strafgefangenen. Aber bei der Überstellung handelt es sich um objektive Vorbedingungen, unter denen der Strafvollzug ablaufen soll. Die beiden Vorgänge dürfen nicht in einen Topf geworfen werden. Außerdem ist es nicht zutreffend, daß der Verurteilte die erfolgversprechendsten Zukunftsaussichten nach der Strafentlassung am besten selbst beurteilen könne, weil die Strafvollzugsbehörde auf dem Gebiet der objektiven Vorbedingungen besser Bescheid weiß. Es muß noch hinzugefügt werden, daß die meisten ausländischen Strafgefangenen nach Teil- oder Vollverbüßung ihrer Strafzeit aufgrund ihrer Verurteilung auf Dauer den Urteilsstaat verlassen müssen. Dann würden mühevolle Wiedereingliederungsversuche in die Gesellschaft des Urteilstaates sehr fragwürdig werden. Eine Überstellung wird in der Regel nur zur Vollstreckung längerer Freiheitsstrafen möglich sein, weil Strafen oder Strafreste von kurzer Dauer effektive (Re)sozialisierungsmaßnahmen ausschließen. Die zu verbüßende Strafe muß von unbeschränkter Dauer sein oder zum Zeitpunkt des Eingangs des Überstel-
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Toshio Yoshida
lungsersuchens noch mindestens sechs Monate betragen (s. Art. 3 Ic des ÜberstÜbk). Zum Schluß sollte kurz der „Spezialitätsgrundsatz" erwähnt werden, der für das Auslieferungsrecht entwickelt worden ist und inzwischen als allgemeine Regel des Völkerrechts anerkannt ist. Er soll sicherstellen, daß eine Person im Ausland generell nur wegen der Tat verfolgt und bestraft werden darf, wegen der sie in das betreffende Land verbracht worden ist. Der Grundsatz der Spezialität soll auch bei der Überstellung beachtet werden. Der überstellende Staat will für Maßnahmen, die nicht seiner Kontrolle unterliegende, keine Verantwortung übernehmen. Dieser Grundsatz hindert Regierungen daran, die Überstellung als verschleierte Auslieferung zu benutzen .
V I I . Schlußbemerkung Einer „Internationalisierung" der Kriminalität kann durch die neuen Rechtsinstitute Rechnung getragen werden; und zwar durch die Überstellung verurteilter Personen, die Überwachung auf Bewährung verurteilter oder auf Bewährung entlassener Personen, die im Ausland straffällig geworden sind. Es ist Zeit, daß Japan es trotz einer Fülle schwieriger rechtlicher, tatsächlicher und politischer Fragen anstreben sollte, multilaterale oder bilaterale Abkommen zur (Re)sozialisierung der verurteilten Ausländer und zur internationalen Kriminalitätsbekämpfung, abzuschließen.
Die gegenwärtige Situation des Strafvollzugs und der Menschenrechte in Japan Keine Herrschaft des Schweigens, sondern noch mehr Freiheit ! Von Shinichi Ishizuka
"Wir kennen keinen Unterschied zwischen hoher Kunst und Kleinkunst, zwischen Kunst für die Reichen und Kunst für die Armen. Kunst ist Allgemeingut " (Gustav Klimt, 1897)
I. Einleitung Der "Jahresbericht 1997" von Amnesty International schreibt folgendes über die japanischen Gefängnisse: "In Gefängnissen des Landes herrschten nach wie vor harte und demütigende Haftbedingungen, die oftmals grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkamen. "(Amnesty International, "Jahresbericht 1997" Frankfurt a.M.:1977, S.270) Trotz den relativ stabilen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen werden die japanischen Gefängnisse durch Internationale Nichtregierungsorganisationen (Nongovernmental Organisation: NGO) immer noch kritisch beurteilt. Zuerst werde ich die gegenwärtigen quantitativen Bedingungen der japanischen Gefängnissen skizzieren, zweitens zwei Fälle vorstellen, in denen Insassen unmenschlich und ungerecht behandelt wurden, dann am Ende erklären, warum das japanische Strafvollzugssystem immer noch von internationalen oder ausländischen Organisationen kritisiert wird.
II. Die gegenwärtige Situation des japanischen Strafvollzug 1. Insassen in Justizvollzugsanstalten Die gegenwärtige Population in japanischen Justizvollzugsanstalten ist relativ stabil. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die durchschnittliche Population
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drastisch angewachsen. Im Jahr 1950 wurde ein Rekord von 103 170 Insassen aufgestellt. Nachdem die Zahl sich, trotz einigen Schwankungen, beständig vermindert hat, ist die Zahl im Jahr 1975 endlich bis auf 45 690 gesunken. Trotzdem ist sie wieder angestiegen und erreichte im Jahr 1986 55 348. Aber nach 1987 verminderte sie sich während des sogenannten "bubbling economic market", der höchsten Konjunktur, allmählich und im Jahr 1992 sank sie bis 44 876 ab, die niedrigste Population seit 1946. Meines Erachtens wird diese Verminderung durch die aktiven ökonomischen Bedingungen, insbesondere die geringe Arbeitslosigkeit und die veränderte Politik der Polizei und Staatsanwaltschaft verursacht. Wahrscheinlich ist es nicht schwierig zu verstehen, wie diese geringe Arbeitslosigkeit Einfluß auf die Zahl der erkannten Kriminalität hat. Aber ich will erklären, warum die veränderte polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Politik die Reduzierung der Angeklagten mit sich gebracht hat. In den 80er Jahren sah das japanische Strafrechtssystem sich einer Schwierigkeit gegenüber. Jugendkriminalität, Verkehrsunfälle und kleine Diebstähle von Fahrräder oder Mopeds nahmen zu, obgleich schwere Kriminalität gleichzeitig viel geringer wurde. Ferner war die japanische Polizeiadministration mit der Bewachung der Prominenten, die Tokio aufgesucht hatten, um an einer Serie von Festakten unter der Leitung der japanischen Regierung teilzunehmen, sehr beschäftigt, z.B. dem Tokio Summit, der Leichenfeier von Showa-Tenno, der Krönungsfeier des neuen Kaisers und so weiter. Die Polizeiadministration beschloß die neue Kriminalpolitik ohne öffentliche Diskussion. Die polizeilichen Kräfte wurden auf die schwere Kriminalität konzentriert, über welche die Massenmedien sensationell berichteten. Infolgedessen hat die erkannte Kriminalität schrittweise abgenommen. Auch die Zahl der Verdächtigten, ohne fahrlässige Körperverletzung und Tötung im Verkehrsbetrieb, wurde ruckartig reduziert. Die Zahl der Verdächtigten im Jahr 1992 betrug nur zwei Drittel der Zahl von 1984 [von 446 617 auf 284 908 (minus 36,2 %)]. Andererseits hat auch die japanische Staatsanwaltschaft eine neue Anklagerichtlinie hinsichtlich fahrlässiger Delikte im Verkehrsbetrieb eingeführt, wonach die Anklagerate dramatisch von 73,0% im Jahr 1985 auf nur 15,0% im Jahr 1995 sank. Die meisten Japaner wurden über diese wichtige kriminalpolitische Veränderung kaum informiert, obwohl sie auf die Zukunft unserer motorisierten Gesellschaft schwerwiegende Einflüsse ausübt. Die beiden kriminalpolitischen Veränderungen bezüglich der Phasen der polizeilichen Ermittlung und des staatsanwaltschaftlichen Anklageermessens brachten eine Erleichterung der gerichtlichen Lasten mit sich. Die Zahl von rechtskräftigen Urteilen in Strafsachen verringerte sich während der vergangenen zehn Jahre auf weniger als die Hälfte [von 2 493 721 im Jahr 1985 auf
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1 140 353 im Jahr 1994 (41,4%)]. Auch die durchschnittliche Population in den Justizvollzugsanstalten nahm folglich während der 80er Jahre ab. Ich zeige nun die Struktur aller Insassen in den japanischen Justizvollzugsanstalten im Jahr 1995 (Tabelle 1) auf. Der Prozentsatz der Verurteilten beträgt 81,7% (absolut 38 013 Personen), und die Zahl der Untersuchungshäftlinge macht nur 17,8% (8 283 Personen) aus. 57 zur Todesstrafe Verurteilte erwarten ihre Exekution. 175 Insassen, die Geldstrafen nicht bezahlen können oder wollen, verbüßen eine Ersatzfreiheitsstrafe in Arbeitshäusern. 4 Insassen sitzen mit Vorführungsbefehl oder temporärer Sorgemaßnahme in Arrest. Ich muß an dieser Stelle auch auf den japanischen Ermittlungsprozeß hinweisen. Das alte Strafvollzugsgesetz, das im Jahr 1908 in Kraft trat, sieht vor, daß Verdächtigte und Angeklagte, de jure, im Prinzip in Justizvollzugsanstalten inhaftiert werden sollen, und daß sie nur für maximal für 23 Tage ausnahmsweise in Polizeizellen, inhaftiert werden dürfen (sogenannte "Daiyo-Kangoku" [Ersatzgefängnisse]). Aber de facto werden die meisten Verdächtigen in Polizeizellen inhaftiert. Nach Angaben des Justizministerium wird die Zahl der in Polizeizellen einsitzenden Insassen auf 6 408 geschätzt.
2. Insassen in Strafvollzugsanstalten Die Zahl der neu in Strafvollzugsanstalten Aufgenommenen erreichte ihren Höhepunkt mit 70 727 Personen im Jahr 1948, was die instabile Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg reflektierte. Dann verminderte sie sich Schritt für Schritt bis auf 25 728 im Jahr 1974. Nach diesem Jahr begann sie wieder zuzunehmen und erreichte im Jahr 1984 32 060. Während dieser Periode waren ein paar Frauenstrafvollzugsanstalten etwas überbelegt, was jedoch von typischen überbelegten Gefängnissen, wie in den Vereinigten Staaten, zu unterscheiden war, nämlich ohne Doppel- oder Dreifachzellen. Die Abteilungen für Strafvollzug und Rehabilitation im japanischen Justizministerium standen vorläufigen Freilassungen unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung positiver gegenüber als bisher, und empfahlen sie öfter. Gleichzeitig belebte der japanische Markt sich wieder, damit sank die Arbeitslosigkeitsrate. Die Kombination von ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und administrativen Faktoren führte wieder zur Abnahme der Population in japanischen StrafVollzugsanstalten. Die Zahl der neu in Strafvollzugsanstalten Aufgenommenen hat, wie oben erwähnt, seit 1984 jedes Jahres abgenommen. Im Jahr 1992 wurde der geringste Stand seit 1946, 20 864, erreicht. Danach hat sie vier Jahre lang etwas zugenommen, was bis jetzt nicht so gravierend gewesen ist [von 44 876 im Jahr 1993 auf 46 535 im Jahr 1995 (plus nur 3,4%0)]. Am Stichtag (31. Dezember 1995) war nur 72,6% der Inhaftierungskapazität aller Justizvollzugsanstalten und 79,0% aller Strafvollzugsanstalten ausgeschöpft. Ich kann weder die Ursache dieser Zunahme identifizieren, noch die zukünftige Tendenz voraussagen.
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Shinichi Ishizuka
Im Jahre 1965 waren 81,8% der in Strafvollzugsanstalten neu Aufgenommenen zwischen 20 und 39 Jahre alt, diese Altersklasse sank schrittweise, im Jahr 1975 75,8%, im Jahr 1985 60,0% und endlich im Jahr 1995 nur 50,4%. Umgekehrt ist während derselben Zeit (1965-1995) die ältere Klasse, ab 50 Jahre, von 5,5% auf 22,6% angestiegen. Es ist sicher, daß die Gefangenengesellschaft schneller gealtert ist, als die normale freie Gesellschaft in Japan. Was die älteren Gefangenen angeht, gibt es keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Populationen. Bemerkenswert ist, daß der weibliche Teil in der japanischen Gefangenengesellschaft von 2,9% (972 Personen) im Jahr 1965 bis auf 4,6% (1 004 Personen) im Jahr 1995 angestiegen ist. Die fünf stärksten Kategorien der Delikte, die die in Strafvollzugsanstalten neu Angenommen begangen haben, sind folgende: Diebstahl (28,2%), Verstoß gegen das Gesetz zur Kontrolle stimulierender Drogen (28,2%), Betrug (6,4%), Verstoß gegen das Straßenverkehrsgesetz (5,7%), und Körperverletzung (5,3%). Die Charakteristika der begangenen Delikte in FrauenstrafVollzugsanstalten sind etwas anders als in MännerstrafVollzugsanstalten. Dieselben fünf Kategorien verteilen sich folgendermaßen: Verstoß gegen das Gesetz zur Kontrolle stimulierender Drogen (51,5%), Diebstahl (18,5%), Betrug (7,6%), Tötungsdelikte (5,7%), und Brandstiftung (3,3%). Insbesondere bemerkenswert ist es, daß in FrauenstrafVollzugsanstalten die Verstöße gegen das Gesetz zur Kontrolle stimulierender Drogen mehr als die Hälfte ausmachen, und daß die Rate der Tötungsdelikte in Frauenanstalten (5,7%) höher als in Männeranstalten (2,2%) ist. Die Abteilung für Strafvollzug des Justizministeriums wendet seit langem ein Klassifizierungssystem gemäß des Zuteilungs- und Behandlungsindexes an. Insbesondere diese Indexklassifizierung ist für uns anregend. Der größere Teil der Gefangenen, die der Klasse Β zugewiesen werden, sind Mitglieder krimineller Organisationen, sogenannter "Yakuza" oder "Boryokudan", oder Wiederholungstäter. Die organisierte Kriminalität ist ein aktuelles Thema der heutigen Kriminalpolitik und Kriminologie in der ganzen Welt. Die Mitgliederzahl der kriminellen Organisationen, die die japanische Polizei inoffiziell geschätzt und veröffentlicht hat, hat langfristig jedoch abgenommen. Am Stichtag (31. September 1995) wurden 79 300 registriert. Die Zahl der Gefangenen, die am selben Stichtag als Mitglied von Boryokudan identifiziert werden, beträgt 9 591 Personen. Neuerdings berichten die japanischen Massenmedien immer in sensationellen Schlagzeilen, daß viele Ausländer schwerwiegende Straftaten begangen hätten, und daß international agierende kriminelle Organisationen ernstlich Einfluß auf die japanische Gesellschaft genommen hätten. Einige Kriminologen betonen in Fernsehprogrammen die Tendenzen der Kriminalität zur Grenzenlosigkeit und machen folglich auf die Notwendigkeit der Beschäftigung mit internationaler Kriminalpolitik aufmerksam. Aber tatsächlich betrug die Zahl der
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ausländischen Insassen in japanischen Strafvollzugsanstalten im Jahr 1995 595 Personen (nur 1,5%), dagegen belief sich die vergleichbare Zahl in Deutschland im Jahr 1996 doch auf 11 428 Personen(28,4%).
3. Insassen in Jugendvollzugsanstalten Die Situation der jugendlichen Kriminaltäter in den Jugendvollzugsanstalten ist noch stabiler als die der Erwachsenen, obwohl einige sensationelle und wirklich problematische Fälle bemerkenswert sind. Die Zahl der Jugendlichen, die im Jahr 1995 in Klassifizierungs- und Untersuchungszentren für Jugendlichen neu aufgenommen wurden, beläuft sich auf 14 265 Jugendliche [12 347 männlich (86,6%) und 1 918 weiblich (13,4%)]. Die Zahl der Jugendlichen, die im selben Jahr in Erziehungsanstalten neu aufgenommen wurden, beträgt nur 3 828 [ davon 3 358 männliche (87,7%) und 475 weibliche (12,3 %) Jugendliche]. Die Zahl der jugendlichen Insassen hat seit zehn Jahren schrittweise von 6 062 bis auf 3 828 (1985 - 1994 [minus 36,9%]) abgenommen, weil die Zahl der Kinder und Jugendlichen in der Gesellschaft zurückgegangen ist.
I I I . Die aktuellen Probleme in japanischen Justizvollzugsanstalten 1. Der Fall eines zum Tode Verurteilten in der LG-Kokura-Abteilung Ich habe den Fall eines zum Tode Verurteilten untersucht, dessen erstinstanzliches Urteil, der LG-Kokura-Abteilung am Landgericht Fukuoka (LGKokura-Abteilung), rechtskräftig geworden war. Der vom Gericht festgestellte Sachverhalt gestaltete sich wie folgt: Vor mehr als 20 Jahren beging der damals neunzehnjährige Angeklagte einen Raub mit Todesfolge und zwei weitere Raube. Er wurde daraufhin von der LGKokura-Abteilung zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Zuerst mißverstand er sein Urteil dahingehend, daß er bis zum Tode nicht mehr entlassen werden könnte, weswegen er nicht an Behandlungsprogrammen teilnehmen wollte und einmal erfolglos versuchte sich das Leben zu nehmen. Nachdem er jedoch einen Film in der Vollzugsanstalt gesehen hatte, in dem es einem behinderten Mädchen gelang, ein Beamtenexamen zu bestehen, fand er seinen Weg und wurde plötzlich zu einem guten Gefangenen. Der Leiter der Vollzugsanstalt erkannte seine Bestrebungen an, und stellte bei der Regionalkommission für Rehabilitation mit Erfolg einen Antrag auf vorläufige Freilassung unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung. Nach seiner siebzehnjährigen Inhaftierung konnte er endlich in der freien Gesellschaft leben. Er hei-
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ratete dann, arbeitete fleißig und führte mit seiner Familie eine Zeitlang ein glückliches Leben. Eine Verkettung einiger Familienkonflikte und seine Verschuldung ließen ihn dann wieder Verbrechen begehen. Er wurde zwischen März und Juni 1990 wegen Eindringens in eine Wohnung, eines Diebstahls, einer Tötung und drei Raube nacheinander vor der LG-Kokura-Abteilung angeklagt. Während seines Verfahrens gestand er außer der Tötung alle Verbrechen ein. Schließlich gestand er die Tötung ein. Weil das Gericht ein psychiatrisches Gutachten einholte, dauerte das Verfahren längere Zeit. Endlich, am 27.Oktober 1993, verurteilte die LG-Kokura-Abteilung ihn zum Tode. Sein Pflichtverteidiger legte gegen das Todesurteil sofort Berufung vor dem Oberlandesgericht Fukuoka (OLG Fukuoka) ein. Nach herrschender Meinung wird der Pflichtverteidiger unmittelbar nach dem Urteil der ersten Instanz abberufen. Danach soll der Richter der zweiten Instanz einen oder mehrere Pflichtverteidiger ernennen, wenn der Fall ein Pflichtverteidigungsfall ist, oder der Angeklagte, obwohl er einen Rechtsanwalt nehmen will, aus finanziellen Gründen keinen Verteidiger nehmen kann. Artikel 37 Absatz 3 der japanischen Verfassung (JV) vom 3. November 1946 sieht vor: "In allen Fällen kann der Angeklagte in Strafsachen einen qualifizierten Verteidiger beantragen. Falls der Angeklagte von sich aus nicht in der Lage ist, ihn zu beauftragen, soll er von Staats wegen gestellt werden." Obwohl die Japanische Verfassung (JV) auf diese Weise für jeden Angeklagten das Recht, einen qualifizierten Verteidiger zu beantragen, "in allen Fällen" gewährleistet gibt es de facto einen praktischen Defekt des Verteidigungssystems zwischen der Abberufung des Verteidigers der ersten Instanz und der Ernennung eines neuen in der zweiten Instanz. In der Tat nahm der Angeklagte seine Berufung selbst, ohne Hilfe eines qualifizierten Verteidigers, zurück, womit sein Todesurteil rechtskräftig wurde. Am 18. November 1993 habe ich den Fukuoka Rechtsanwaltsverein um die Rettung seines Lebens und die Wahrung seines Menschenrechts gebeten. Zur Zeit untersucht das Komitee für Menschenrechte unter der Leitung des regionalen Vereins meine Bitte. Auch der japanische Rechtsanwaltsverein untersucht den verteidigungssystematischen Defekt mit dem Justizministerium und dem Obersten Gerichtshof. Aber ein endgültiges Ergebnis liegt noch nicht vor. Andererseits habe ich aus akademischem Interesse diesen Fall weiter untersucht. Während des Untersuchungsprozeß mußte ich die Akten des rechtskräftigen Urteils einsehen, weswegen ich bei der Kokura-Abteilung der regionalen Staatsanwaltschaft am 14. April 1995 um Einsicht in die den Fall betreffenden Akten ersuchte. Die Staatsanwaltschaft-Kokura-Abteilung wies am 16. Mai 1995 meinen Antrag leider zurück, weil meine Akteneinsicht die staatsanwaltschaftlichen Geschäfte behindern könnte.
Strafvollzug und Menschenrechte in Japan
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Das Gesetz über die Registrierung von rechtskräftigen Entscheidungen in Strafsachen vom 2. Juni 1987, das am 1. Januar 1988 in Kraft trat, schreibt klar vor, daß der Staatsanwalt der regionalen Staatsanwaltschaft im Zuständigkeitsbereich des Gerichts, das das rechtskräftige Urteil in erster Instanz erlassen hat, die betreffenden Akten aufbewahren muß (§ 2), und daß, falls jemand um Akteneinsicht ersucht, der Staatsanwalt ihn die Akten einsehen lassen muß, wenn keine gesetzlich bestimmten Ausnahmegründe gegeben sind (§ 4). Artikel 82 Absatz 1 der JV statuiert das Öffentlichkeitsprinzip eindeutig. "(1) Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündigungen finden in öffentlicher Sitzung statt." Auch Artikel 21 Absatz 1 der JV schreibt vor, " Die Freiheit der Versammlung, des Bildens von Vereinen, der Rede, der Presse und aller sonstigen Formen des Ausdrucks wird garantiert". Nach herrschender Meinung und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wird auch die Informationsfreiheit garantiert. Ferner garantiert Artikel 23 der JV die Freiheit der Wissenschaft. In Verbindung mit diesen Artikeln der JV bestimmt § 53 der japanischen Strafprozeßordnung (JStPO) vom 10. Juli 1948, "(1) Nach Beendigung des Strafverfahrens kann jeder das Verfahrensprotokoll einsehen, es sei denn, die Einsichtnahme beeinträchtigt die Verwahrung der Verfahrensprotokolle oder den Geschäftsgang des Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft. (2) Ungeachtet des Absatz 1 dürfen Verfahrensprotokolle über Strafprozesse, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden haben, oder Verfahrensprotokolle, deren Einsicht verboten wurde, weil sie hierzu ungeeignet sind, nicht eingesehen werden; die Einsichtnahme kann jedoch den Prozeßbeteiligten sowie Personen gestattet werden, die berechtigte Gründe zur Einsichtnahme und eine besondere Erlaubnis der fur die Verwahrung zuständigen Beamten haben. (3) In den Fällen des Artikel 82 Abs.2 Satz 2 der japanischen Verfassung( JV) darf die Einsichtnahme von Protokollen nicht untersagt werden. (4) Die Verwahrung der Verfahrensprotokolle und die Gebühren für die Einsichtnahme werden durch ein anderes Gesetz geregelt." Nach etwa 40 Jahren definierte endlich das vorher erwähnte Gesetz die konkreten Voraussetzungen und das Beschwerdeverfahren bezüglich der Einsicht von rechtskräftigen Entscheidungen in Strafsachen. Die für die Aufbewahrung zuständigen Staatsanwälte schicken normalerweise alle Protokolle im Bezug auf Todesurteile nach Beendigung des Verfahrens zur Abteilung für Strafsachen beim Justizministerium in Tokio, wo sie nochmals ausführlich überprüft werden sollen, weil nach § 475 JStPO die Todesstrafe auf Anordnung des Justizministers zu vollstrecken ist. Deswegen bewahren sie zwischen der Beendigung des Verfahrens und der Vollstreckung der Todesstrafe die betreffenden Protokolle für gewöhnlich nicht auf. Ich meine, daß der Staatsanwalt in Kokura die Akteneinsicht einfach nicht genehmigen wollte, obwohl er meinen Antrag rechtlich nicht ablehnen durfte.
8 Kühne / Miyazawa
114
Shinichi Ishizuka
Meines Erachtens hat der Staatsanwalt seine Bewahrungspflicht rechtswidrig vernachlässigt, und meine Informationsfreiheit und akademische Freiheit verfassungswidrig verletzt. Deswegen habe ich am 8. Juni 1995 vor der LGKokura-Abteilung eine Quasi-Beschwerde eingereicht. Am 28. März 1996 wurde endlich der Beschluß verkündigt, daß die rechtswidrige Verfügung des Staatsanwalts zurückgewiesen, und meine Akteneinsicht unbedingt anerkannt werde. Sofort hat der Staatsanwalt vor dem Obersten Gerichtshof eine besondere Beschwerde eingereicht, den Beschluß zurückzuweisen. Am 25. Oktober 1996 wies der Oberste Gerichtshof seine Beschwerde ab. Infolgedessen kann ich endlich alle Protokolle einsehen. Meiner Meinung nach ist die Entscheidung ein Meilenstein, um die Informationsfreiheit bezüglich unserer Strafrechtspflege und Todesstrafe zu garantieren und unser Strafrechtssystem noch demokratischer zu kontrollieren. Nachdem einmal ein Todesurteil rechtskräftig geworden ist, ist es sehr schwierig, Information über den Exekutionsprozeß zu erhalten. Nur die Familie und die Rechtsanwälte dürfen den Todeskandidaten besuchen. Wenn er keine Familie hat und keinen Rechtsanwalt sehen will, darf er mit Außenseitern keine Kontakte aufnehmen. Unter den isolierten Bedingungen wundert es mich nicht, wenn der Insasse geisteskrank wird. Ferner hat er keine Chance, sich mit medizinischen oder psychologischen Therapeuten von außen zu beraten. Auch wir haben also keine Möglichkeit, auf zum Tode Verurteilte zugehen zu können, und sie umgekehrt, mit Unterstützung von außen in Kontakt zu bringen. Daher könnte man die Situation, in der man überhaupt keine Stimme aus den Zellen der Todesverurteilten hören kann, als die Herrschaft des Schweigens bezeichnen.
2. Ein Mißhandlungsfall in der Jono medizinischen Strafvollzugsanstalt Am 17.Janur 1995 konnte man eine kleine Nachricht in den Massenmedien lesen, daß ein 47jähriger Insasse in der Jono medizinischen Strafvollzugsanstalt in Kitakyushu am 29. August 1992 im geheimen verstorben sei, nachdem ihm am vorangegangenen Tag von einem leitenden Pfleger der Anstalt Gewalt angetan und er mißhandelt worden sei. Eine Journalistin hat durch Einsicht der betreffenden Akten die gewaltsame Affäre entdeckt, die seitens der Anstalt hinter ihren Mauern verborgen worden war. Nach der Nachricht bat eine Bürgerinitiative den Fukuoka Rechtsanwalts verein um Hilfe. Aus akademischem Interesse habe ich bei der Staatsanwaltschaft-KokuraAbteilung die betreffenden Akten gemäß dem vorher erwähnten Gesetz eingesehen. Der vom Amtsgericht Kokura festgestellte Sachverhalt gestaltete sich wie folgt: Am 25. August 1992 wurde ein Insasse von Hiroshima in die Jono medizinische Strafvollzugsanstalt verlegt, der wegen eines gewohnheitsmäßigen Rück-
Strafvollzug und Menschenrechte in Japan
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falls beim Diebstahl zu zwei Jahren und vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Er litt an hohem Blutdruck und war zuckerkrank, ferner bestand der Verdacht auf eine geistige Krankheit. Deswegen wurde er in die medizinischen Anstalt verlegt. Am 28. August 1992 widersprach er während der Untersuchung seiner Ärztin. Der leitende Pfleger brüllte, als er davon hörte, sofort, daß die Untersuchung beendet werden solle. Dann wurde der Insasse vom Pfleger und einem Sicherungsbediensteten in das nächste Wartezimmer abgeführt, wo der Pfleger den Insassen hitzig beschimpfte. Der Insasse wehrte sich verbal. Daraufhin stieß der Pfleger den Insassen plötzlich, weswegen dieser auf den Hintern fiel. Als der Insasse aufstehen wollte, befürchtete der Sicherungsbedienstete, daß es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Insassen und dem Pfleger kommen würde. Der Bedienstete drückte den Insassen zu Boden. Der Pfleger trat den wehrlosen Insassen fünf- oder sechsmal mit seinem Lederschuh linksseitig in den Bauch, und stieß ihn zwischen seinen Oberschenkeln in den Unterleib. Der Insasse wurde dann zur Ärztin gebracht, gezwungen auf die Knie niederzufallen und um Entschuldigung zu bitten. Er war stumm vor Schmerz. Während der ganzen Nacht konnte er wegen rasender Schmerzen überhaupt nicht schlafen. Am nächsten Morgen fand ein andere Pfleger das Ganze ungewöhnlich. Er rief den leitenden Pfleger und die Ärztin. Aber gegen 9 Uhr war der Insasse in seiner Zelle gestorben. Die Ärztin stellte die Diagnose, daß infolge eines Herzinfarkts eine Herzfunktionsstörung seinen Tod verursacht hätte. Aber sie fand auch die inneren Blutung am Bauch. Der Leiter der StrafVollzugsanstalt, ein Psychiater, führte eine sogenannte „Ersatzleichenschau" durch, also eine Leichenschau die er selbst anstelle des Staatsanwalts vornahm. Dann ließ er die Leiche des Häftlings am nächsten Tag verbrennen. Im März 1993 wurde eine Anzeige, die dies scharf kritisierte, von einem Anstaltsbediensteten anonym erstattet. Der Leiter, der als Justizpolizist innerhalb der Anstalt für Ermittlungen zuständig ist, begann die Ermittlung und überwies die Sache am 15. Juni 1993 an die Staatsanwaltschaft-Kokura-Abteilung. Nach der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung beantragte der Staatsanwalt nur gegen den leitenden Pfleger einen Strafbefehl von 200 000 Yen Geldstrafe wegen einer Gewalttat ohne Körperverletzung(§ 208 JStGB). Das Amtsgericht KOKURA erließ diesen Strafbefehl am 18. November 1993. Am 3. Dezember wurde er rechtskräftig. Dies alles blieb den Massenmedien unbekannt, weil keine Urteilsverkündigung des Strafbefehls in öffentlicher Sitzung stattfand. Also wurden wir darüber nicht informiert. Am 8. August 1997 äußert das Komitee für Menschenrechte unter der Leitung des regionalen Rechtsanwaltsvereins nach mehr als zweieinhalbjähriger Untersuchung in einem scharf kritischen Ermahnungsschreiben, daß der Sicherungsbedienstete als Mittäter des leitenden Pflegers wegen einer Gewaltanwendung durch besondere Beamte( § 195 JStGB) angeklagt werden solle, und fer8'
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Shinichi Ishizuka
ner, daß die Jono medizinische Strafvollzugsanstalt die Verletzung des Menschenrechts des Insassen, die Mißhandlung, mit Absicht ignoriert hätte. Meines Erachtens sollte das Amtsgericht Kokura kritisiert werden, weil es die Sache nicht im Strafbefehlsverfahren, sondern im ordentlichen Verfahren öffentlich hätte verhandeln sollen. Man könnte hieraus schließen, daß Gewaltanwendung und Mißhandlung in der Jono medizinischen Strafvollzugsanstalt weit verbreitet waren, und daß der japanische Bürokratismus dies nach dieser Affäre absichtlich vertuschen wollte. Man könnte also auch diese Verschleierung als die Herrschaft des Schweigen bezeichnen.
IV. Zusammenfassung In japanischen Justizvollzugsanstalten können die meisten Insassen durchschnittlich ernährt werden. Ihnen werden kleine aber saubere Räume zugeordnet, und sie tragen bestimmte Uniformen. Sie haben keinen Hunger, keine Doppel- oder Dreifachzellen und erleiden sehr selten Gewalt. Trotzdem haben ausländische Ermittler oder Forscher kritisiert, daß in japanischen Gefängnissen nach wie vor harte und demütigende Haftbedingungen herrschen, die oftmals grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkämen. Wenn ein Insasse „Knastregeln" beachtet und den Gefängnisbediensteten gehorcht, wird er als „guter Gefangener" behandelt und erleidet keine Gewalttaten. Aber wenn ein Insasse als menschliches Wesen mehr Freiheit fordern wollte, würde er als Unruhestifter diszipliniert werden, und könnte durch Bedienstete hart und schlecht behandelt werden. Alle Insassen sind zur Selbstdisziplin gezwungen und müssen sich immer zurückhalten. Kein Insasse kann selbst über seinen zukünftigen Lebenslauf entscheiden. Wir fürchten nicht nur die physische Gewaltherrschaft, sondern auch die psychische Gewaltherrschaft, nämlich die des Schweigens. Diese psychische Herrschaft beeinträchtigt Persönlichkeit und Menschenwürde in radikalster Weise. Ferner, wie vorher erwähnt, wird diese Herrschaft des Schweigens durch die strenge Informationskontrolle begleitet. Wir müssen auch die Geheimnistuerei in den Gefängnissen kritisieren, die die Herrschaft des Schweigens unterstützt. In der Praxis sollten wir noch mehr Freiheit fordern, über die gesamte Strafrechtspflege und die schlechte Behandlungen in Japan informiert zu werden. Für die japanischen Justizvollzugsanstalten ist es aktuell eine dringende Aufgabe, nicht die Herrschaft des Schweigens, sondern mehr Freiheit im Inneren und Informationsfreiheit nach außen herzustellen.
Strafvollzug und Menschenrechte in Japan
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Tabelle 1 Die durchschnittliche Population der Strafvollzugsanstalten in Japan (1950,1975 ,1985,1995)
1950
1975
1985
1995
1 . Verurteilte
85 254
37 850
45 805
38 013
2. Todesstrafe
76
41
26
57
3. U-Haft
17 259
7 606
9 268
8 283
3. 1. Angeklagte
15 295
7 203
9 042
8 169
3.2. Verdächtigte
1 963*
402*
226*
114*
581
183
155
178
5. andere
0
9
9
4
Gesamt
103 170
45 690
55 263
46 535
4. Ersatzhaft
*Andere Verdächtigte werden in Polizeizellen, sogenannte „Daiyo-Kangoku" [Ersatzgefängnis] inhaftiert. Quellen: Justizministerium in Japan [Hrsg.], Weißbuch über Kriminalität 1996, (1997), S.70-71.
Tabelle 2 Klassifizierung der Strafvollzugsanstalten und Strafgefangenen
Klassifizierungskategorie
A: noch nicht fortgeschrittene Kriminalitätsneigung
Strafvoll-
Strafge-
zugsanstalten
fangene
(31.03.1996)
(31.12.1995)
23
6 866 (17,8%)
B: fortgeschrittene Kriminalitätsneigung
33
20 679 (53,6%)
W: Frauen
6
1 595 (4,1%)
2
595 (1,5%)
F: Ausländer, die einer anderen Behandlung als Japaner bedürfen
(Fortsetzung nächste Seite)
Shinichi Ishizuka
118
(Fortsetzung
Tabelle 2)
I : zu einer Strafe ohne Arbeitszwang Verurteilte
11
112(0,3%)
11
13 (0,0%)
7
2,993 (7,8%)
Y: junge Erwachsene unter 26 Jahren
16
3 207 (8,3%)
M: geistig Behinderte
6
362 (0,9%)
P: körperlich Behinderte
9
470(1,2%)
Noch nicht klassifiziert
-
1 639 (4,4%)
75
38 585
J: Jugendliche unter 20 Jahren L: zu mehr als acht Jahren Freiheitsstrafe Verurteilte
Gesamt
Quelle: Government of Japan, Summary of the White Paper on Crime 1996, (1997), S.147-148
Tabelle 3 Todesstrafe in Japan alle fünf Jahre (1945 - 1994)
Gesamt
pro Jahr
Gesamt
pro Jahr
1945-49
171*
88,5
199
39,8
97
19,4
1950-54
185
37
144
28,8
127
25,4
1955-59
146
29,2
98
19,6
119
23,8
1960-64
77
15,4
96
19,2
83
16,6
1965-69
61
12,2
55
11
49
9,8
1970-74
27
5,4
35
7
57
11,4
1975-79
31
6,2
15
3
37
7,4
1980-84
33
6,6
15
3
5
1
1985-89
32
6,4
26
5,2
10
2
1990-94 Total
18 781
*nur 1948 und 1949
3,8 15,9
26 709
5,2 13,6
Gesamt
9 593
pro Jahr
1,8 11,4
Strafvollzug und Menschenrechte in Japan
Tabelle 4 Todesstrafe in Japan (1984 - 96)
Erste Instanz
Rechtskräftig
Exekutionen
1984
6
3
1
1985
9
2
3
1986
5
0
2
1987
6
8
2
1988
10
11
2
1989
2
5
1
1990
2
6
0
1991
3
5
0
1992
1
5
0
1993
4
7
7
1994
8
3
2
1995
11
3
6
1996
1
4
6
Über Organtransplantationen und Todeszeitpunkt in Japan aus strafrechtlicher Sicht Von Seiji Saito
I. Kurzer Überblick über Organtransplantationen und ihre Regulation in Japan 1. Schon im Jahre 1902 wurde in Japan der Versuch einer Hornhauttransplantation unternommen (Mizuo, G.) . Auch aus dem Jahr 1910 liegen Berichte über eine Nierentransplantation in Japan vor (Yamaguchi, H.). Aber die eigentlichen Hornhaut- und Nierentransplantationen haben in Japan erst in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts begonnen. a) Im Jahre 1950 wurden wieder Hornhauttransplantationen vorgenommen. Aber 1957 wurde staatsanwaltlich gegen einen Professor (Imaizumi, K.) wegen des Verdachts der Leichenschändung ( § 190 JStGB) ermittelt. Doch wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Im Jahre 1958 wurde das "Gesetz über Hornhauttransplantationen" (Gesetz Nr.64 von 1958) verabschiedet. b) Zwar wurde schon 1956 eine Nierentransplantation ausgeführt (Kusunoki, T. u.a. ) . Aber das war keine neuzeitliche Nierentransplantation. Erst 1964 wurde mit der heutigen Form der Nierentransplantationen begonnen (Kimoto, S. u.a.). Seit 1967 gibt es Beispiele von Nierentransplantationen, deren Empfänger längere Zeit überlebt haben, insbesondere durch die sog. Organentnahme vom toten Spender. Bei der Organentnahme, die im Juni 1967 an der Universität Chiba stattfand, hat der Empfänger 16 Jahre überleben können (Iwasaki, Y. u.a.). c) Im Dezember 1979 wurde das "Gesetz über Hornhauttransplantationen" abgeschafft und ein neues "Gesetz über Hornhaut- und Nierentransplantation" (Gesetz Nr.63 von 1979) wurde verabschiedet. - Dieses Gesetz geht von der sog. Herztodkonzeption aus. - Das Gesetz erlaubt die Entnahme von Hornhäuten und Nieren von Verstorbenen nur zu therapeutischen Zwecken (§ 3 1,11). Die Entnahme von Hornhäuten und Nieren ex mortuo ist nur unter der Voraussetzung erlaubt, daß (1) die Ärzte die schriftliche Zustimmung der Hinterbliebenen erhalten können, oder
122
Seiji Saito
(2) die Ärzte über die schriftliche bei Lebzeiten erteilte Einwilligung des Verstorbenen verfugen und die Hinterbliebenen, die von den Ärzten informiert worden sind, die Entnahme nicht verweigern [die Information der Hinterbliebenen ist allerdings nicht erforderlich, wenn der Verstorbene keine Hinterbliebenen hat (§ 3 III)]. d) Andererseits gibt es in Japan keine rechtliche Regelung der Ex- und Implantation beim Lebenden. Mit der Einwilligung des Lebenden ist die Explantation bei ihm möglich. Über die Implantation gilt die Doktrin der Heilbehandlung (Aufklärung - Einwilligung - lege artis). 2. Im März 1964 wurde die erste Lebertransplantation ex mortuo (nach dem Konzept des Herztodes) durchgeführt (Nakayama, K. u.a.). Die zweite Lebertransplantation ex mortuo fand 1968 statt (Iwasaki, Y. u.a.). 3. Im August 1968 wurde die erste Herztransplantation durchgeführt (zum ersten Mal wurde über das Konzept des Hirntods geurteilt). Dagegen wurde Strafanzeige wegen Totschlagverdachts (§ 199 JStGB) erstattet. Doch hat der Staatsanwalt mangels Beweisen keine Anklage gegen den Arzt, der die Herztransplantation durchgeführt hat, erhoben. Seit dieser Transplantation wurde Operationen dieser Art manchmal Mißtrauen entgegengebracht. Im November 1974 hat die japanische Gesellschaft für Elektroenzephalogie das erste japanische Kriterium für die Feststellung des Hirntodes veröffentlicht. Im September 1984 fand die erste simultane Transplantation von Niere und Pankreas eines Verstorbenen (im Sinn des Hirntodes) statt (Iwasaki, Y. u.a.). Dagegen wurde Anzeige wegen Totschlagverdachts von den Gegnern des Hirntodbegriffs erstattet. Aber bis heute hat kein japanischer Staatsanwalt Konsequenzen hieraus gezogen. Danach haben weitere Nierentransplantationen von Verstorbenen (im Sinn des Hirntodes) stattgefunden. Dagegen wurden sieben Anzeigen wegen Totschlagverdachts erstattet. In einem Fall hat ein Verwandter des Spenders Gegenanzeige wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung ( § 172 JStGB) erstattet. Aber auch hier wurden bis heute keine Konsequenzen gezogen. Unter diesen Umständen wurden in Japan tatsächlich keine weiteren Organtransplantationen vom hirntoten Spender durchgeführt. 4. Inzwischen ist auf Seiten der Gesetzgebung eine gewisse Bewegung für die sog. Hirntodtransplantation entstanden. - Im Dezember 1985 veröffentlichte der Ausschuß des japanischen Ministeriums für Gesundheit Kriterien für die Feststellung des Hirntodes [d.h. des endgültigen Ausfalls der Hirntätigkeit - also der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Himstamms(,,Takeuchi"-Kriterium)].
Organtransplantation und Todeszeitpunkt in Japan
123
- Im Januar 1988 gab der Ausschuß des Japanischen Ärztevereins eine Stellungnahme zum Hirntod und der Organtransplantation heraus. Sie besagt, der Hirntod sei das Ende des menschlichen Lebens, und die sog. „erweiterte Zustimmungslösung" über Organtransplantation sei angemessen. - Im Januar 1992 veröffentlichte ein Sonderausschuß der Japanischen Regierung eine Stellungnahme zum Thema Hirntod und Organtransplantationen. Dort heißt es, nach der mehrheitlichen Meinung des Ausschusses sei der Hirntod das Ende des menschlichen Lebens und hinsichtlich einer Organtransplantation sei die sog. „erweiterte Zustimmungslösung" angemessen. Allerdings sei nach der Mindermeinung der irreversible Herz-KreislaufStillstand als der Zeitpunkt, an welchem der Mensch aufhöre, als individuelles Lebewesen zu existieren, anzunehmen. 5. Im April 1994 reichte eine Gruppe von Abgeordneten des Unterhauses einen „Entwurf des Gesetzes über Organtransplantation" im Unterhaus ein. Nach diesem Entwurf ist der Hirntod das Ende des menschlichen Lebens, und die sog. erweiterte Zustimmungslösung ist zutreffend. Aber im Juni 1996 hat diese Gruppe eine Abänderung dieses Entwurfs im Unterhaus eingereicht. Der Veränderungsvorschlag wandelte die erweiterte Zustimmungslösung in eine enge Zustimmungslösung mit einer weiteren Einschränkung um. Die Organentnahme vom hirntoten Spender sei nur mit dessen zu Lebzeiten erteilter Einwilligung und nur dann, wenn kein Einspruch der Hinterbliebenen vorliege, statthaft. Doch im September 1996 wurde dieser veränderte Entwurf wegen der Auflösung des Unterhauses zurückgezogen. Im Dezember desselben Jahres wurde dieser veränderte Entwurf erneut in das Unterhaus eingereicht. Ende März 1997 wurde von den anderen Abgeordneten ein Gegenentwurf eingereicht. Dieser Gegenentwurf sah folgendes vor: - Der Hirntod ist nicht das Ende des menschlichen Lebens. - Eine Organentnahme vom hirntoten Spender ist aber nur unter zwei Voraussetzungen zulässig, der zu Lebzeiten des Spenders erteilten Einwilligung und der Zustimmung der Hinterbliebenen. Dieser Gegenentwurf ähnelt dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen in der Bundesrepublik Deutschland. Am 24. April 1997 lehnte das japanische Unterhaus diesen Gegenentwurf ab und nahm den Entwurf, der den Hirntod als das Ende des menschlichen Lebens ansieht, mit 320 : 148 an. Aber am Vormittag des 17. Juni 1997 änderte das japanische Oberhaus den Entwurf ab. Danach galt folgendes: - Eine Organentnahme vom hirntoten Spender ist zulässig.
124
Seiji Saito
- Aber die Feststellung des Hirntodes eines Patienten und die Organentnahme vom hirntoten Spender sind nur mit dessen schriftlicher im voraus erteilter Einwilligung und der Zustimmung der Hinterbliebenen möglich. Am Nachmittag nahm das japanische Unterhaus diesen abgeänderten Entwurf als das japanische 'Organtransplantationsgesetz" mit 324 (69,2%): 144 (30,8%) an. Dieses Gesetz trat am 16. Oktober 1997 in Kraft. Am 25. Juni 1977 äußerte ein Abgeordneter in der 183. Sitzung des Deutschen Bundestages: „Japan ist den Kritikern des Hirntodkonzepts immer wieder als Beispiel ihrer Rückständigkeit vorgehalten worden. Die vorgesehene Anerkennung des Hirntodes als Tod des Menschen ist jedoch im japanischen Gesetzgebungsverfahren gescheitert. Man hat einen logisch nicht nachvollziehbaren Kompromiß gefunden: Die Hirntoddiagnose gilt als Todesfeststellung nur für die Transplantationsmedizin, aber sonst nicht. Damit korrespondiert eine besonders enge Zustimmungslösung. Erforderlich ist nicht nur die vorherige schriftliche Zustimmung des Spenders, sondern darüber hinaus auch noch die Zustimmung seiner Angehörigen." Ob diese Äußerung ganz richtig ist, mag bezweifelt werden, obwohl einiges für ihre Richtigkeit spricht. Auch nach meiner Meinung ist das japanische Organtransplantationsgesetz ein logisch nicht nachvollziehbarer Kompromiß.
II. Strafrechtliche Diskussion über Organtransplantation und Todeszeitpunkt in Japan Im Mittelpunkt der strafrechtlichen Diskussion steht neben der Frage, ob der Hirntod als Tod des Menschen anzusehen ist, die, unter welchen Voraussetzungen eine Organentnahme von einem Toten zulässig sein kann.
1. Ist der Hirntod der Tod des Menschen? a) Strafrechtliche
Mehrheitsmeinung in Japan
Nach der strafrechtlicher Meinung der Mehrheit in Japan ist der Hirntod nicht als Tod des Menschen anzusehen. Die Gründe dafür sind folgende: - Ein Mensch hat auch bei irreversiblem Ausfall der gesamten Hirntätigkeit noch bis zum völligen Herz-Kreislauf-Stillstand als Sterbender und damit als noch lebender Mensch zu gelten. - Wissenschaftlich ist noch zu wenig über das Sterben des Menschen bekannt, und Erfahrungen des Sterbeforschung legen es nahe, daß Empfindungen des Betroffenen auch nach der Hirntoddiagnose nicht auszuschließen sind.
Organtransplantation und Todeszeitpunkt in Japan
125
b) Meinung des Verfassers Seit 1977 ist der Verfasser im Gegensatz zur Mehrheit der Meinung, daß der Hirntod das Ende des menschlichen Lebens ist. Der Kernpunkt meiner Meinung ist der folgende: Der Tod des Menschen im juristischen Sinn ist der völlige und endgültige Ausfall des Lebenszentrums. Bis zu diesem Zeitpunkt (d.h. dem völligen und endgültigen Ausfall des Lebenszentrums) müssen wir den Menschen rechtlich als solchen schützen. Als Folge der Erkenntnisse und der Entwicklung der modernen Medizin ist heute weltweit anerkannt, daß der entscheidende Zeitpunkt zwischen Leben und Tod nicht der Stillstand von Herz und Kreislauf ist, sondern der Hirntod. Also ist der Hirntod der Tod des Menschen, also der völlige und endgültige Ausfall der Hirntätigkeit. Seither hat der Verfasser wie folgt Kritik an der Meinung der Mehrheit, also der Meinung der Gegner der Hirntodkonzeption, geübt. - Daß der Körper des Hirntoten noch durchblutet, warm und lebendig erscheint, ist nur das Ergebnis künstlicher Beatmung. Organe funktionieren zwar noch als Teilsysteme, eine Kommunikation ist aber nicht mehr möglich. Schwitzen und Bewegungen sind Reflexe vitaler Restfunktionen. Ein Hirntoter ist nicht mehr als leibseelische Einheit unter uns, d.h. mit dem endgültigen, nicht mehr behebbaren Ausfall aller Hirnfunktionen ist die Grundlage und das Wesensmerkmal des Menschen, die körperlich-geistige Einheit, die ihn als Individuum konstituiert, unwiderruflich zerbrochen. - Im Prozeß des Sterbens ist auch der Herzstillstand ein willkürlich gewählter Zeitpunkt zur Feststellung des Todes und auch danach setzt der Sterbeprozeß sich noch bis zum Tod der letzten lebenden Zelle fort.
2. Ist die Organentnahme vom hirntoten Spender trotz der Kritik an der Definition des Hirntodes möglich? a) Theorien der japanischen Mehrheitsmeinung Die japanische Mehrheitsmeinung wendet ein, daß der hirntote Patient kein eigentlich Toter sei, sondern sich zwar im unabwendbaren, aber noch anhaltenden Prozeß des Sterbens befinde und daß erst mit dem Ende der Funktion anderer innerer Organe, z.B. des Herzens und der Lunge, die Person als Ganzes gestorben sei. Trotzdem kommen die zahlreichen Gegner der Hirntodkonzeption in Japan wie in Deutschland zu dem Ergebnis, daß eine Einwilligung des Moribunden, d.h. der irreversibel im Sterbeprozeß befindlichen Person, rechtfertigende
126
Seiji Saito
Wirkung entfaltet und eine Explantation vor dem endgültigen Todeszeitpunkt ermöglicht. Um dieses Ergebnis zu begründen, sind in Japan drei Theorien aufgestellt worden.
aa) Die Theorie des überwiegenden Interesses Diese Theorie besagt, daß das Lebensschutzbedürfnis des Empfängers größer sei, als das des Spenders.
bb) Die Theorie des Mangels am strafwürdigen Unrecht Diese Theorie besagt, daß es der Organentnahme vom hirntoten Spender mit dessen zu Lebzeiten erteilter Einwilligung an strafwürdigem Unrecht mangelt, denn diese Einwilligung sei eine altruistisch motivierte Handlung und beruhe auf der elementaren Selbstbestimmung des Menschen.
cc) Die Theorie der Berufung auf das sog. „menschenwürdige Sterben" Diese Theorie besagt, daß beim hirntoten Menschen der Abbruch der intensivmedizinischen Behandlung (das sog. „menschenwürdige Sterben") zulässig sei. Hieraus wird gefolgert, daß ihm das Sterben nach der Organentnahme zukomme. Das Sterben nach Organentnahme sei eine Form des menschenwürdigen Sterbens.
b) Kritik
des Verfassers
Aber seither hat der Verfasser folgendermaßen Kritik an diesen Theorien geübt. - Für den Fall der Organtransplantation die Tötung zur Rettung anderen Menschenlebens zuzulassen, würde bedeuten, ein im Sterben befindliches Leben einem anderen Leben unterzuordnen. In der Sitzung des Deutschen Bundestages hat ein Abgeordneter geäußert: „Man könnte daran denken, eine Güterabwägung zwischen dem verlöschenden Leben und dem vollwirksamen Leben vorzunehmen, das durch eine Organtransplantation gerettet wird." Unter diesen Voraussetzungen dürfte man zum Ergebnis kommen, eine Organentnahme im Fall des verlöschenden Lebens rechtlich zuzulassen. Ich
Organtransplantation und Todeszeitpunkt in Japan
127
will nicht verschweigen, daß mir persönlich eine solche Abwägung heikel erscheint, wenngleich sie möglich sein könnte. Letztlich halte ich diese Äußerung aber fur unrichtig.) - Die altruistisch motivierte Transplantation als Akt der Hilfeleistung und der elementaren Selbstbestimmung wäre sowohl beim hirntoten Spender wie auch beim Patienten im Endstadium des Krebs denkbar. Aber bei diesem Patienten ist die Tötung zur Rettung anderer Menschenleben nach dieser Theorie unzulässig. Warum die altruistisch motivierte Transplantation nur beim hirntoten Patienten zulässig sein soll, ist mir völlig unverständlich (es sei denn, diese Theorie würde den Hirntod als das Ende des menschlichen Lebens ansehen. - Die Konstellation bei der „Tötung durch Organentnahme" stellt sich grundsätzlich anders dar, als bei einem bloßen Sterbenlassen durch Abbruch der Intensivbehandlung. Bei der Explantation würde der Hirntote - unterstellt, man betrachtet ihn noch als im Sinne der Rechtsordnung Lebenden nicht etwa unmittelbar durch das Abstellen der Maschinen, die die Kreislauffunktionen aufrechterhalten, sterben, sondern durch die Entnahme der Organe oder durch die unmittelbare Vorbereitung dieser Entnahme.
Die jüngste japanische Diskussion über den strafrechtlichen Schutz in der Gentechnik Von Chosin Nagai
I. Einleitung Ich möchte hiermit über einen Teilaspekt der jüngsten japanischen Diskussionslage hinsichtlich des strafrechtlichen Schutzes in der Gentechnik, insbesondere der Diskussion über widerrechtliche Benutzung von Geninformation und das Klonen von Menschen berichten.
II. Schutz der genetischen Information Die medizinische und genetische Information des Einzelnen mit prädikativer oder präsymptomatischer Diagnostik bringt oft die genetische Diskriminierung im Arbeitsverhältnis, sowie bei Lebensversicherungsanmeldungen, Heirat u. ä. mit sich. Wenn ein Dritter die genetische Information (od. das genetische Geheimnis) unbefugt benutzt, verrät, eigennützig kauft oder verkauft, wird privacy , also die Privatsphäre, unwiederbringlich verletzt. In Japan wird die Verletzung oder die Störung des Privatgeheimnisses nicht strafrechtlich, sondern nur zivilrechtlich als Delikt (§§ 709 ff des japanischen BGB) sanktioniert. Nach dem § 134 des japanischen StGB kann die Verletzung von Privatgeheimnissen nur bei Ärzten, Apothekern oder Medikamentenhändlern bestraft werden 1. Das Gesetz für den Schutz der durch Computer behandelten Privatinformation in der staatlichen Verwaltung, 1988 in Kraft getreten (sog. „Privatinformationsschutzgesetz"), schützt nur die medizinische oder genetische Privatinformation in den „staatlichen'4 Krankenhäuser und Kliniken. Das Gesetz schützt aber nur die mit Computern bearbeitete Information; hinzu kommt, daß Krankenhäuser und Kliniken in Japan meistens privat organisiert 1 „§ 134 Abs. 1: Wenn Ärzte, Apotheker, Drogisten, Hebammen, Rechtsanwälte, Verteidiger, Patentanwälte oder Personen, die eine solche Tätigkeit ausgeübt haben, das Geheimnis eines anderen, das ihnen in Ausübung ihres Berufes bekannt geworden ist, rechtswidrig verraten, so ist auf Zuchthaus bis sechs Monaten oder auf Geldstrafe bis zu hunderttausend Yen zu erkennen."
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sind. In Japan gibt es also in Wirklichkeit kein Gesetz für den Schutz der medizinischen oder genetischen Privatinformation. Und nicht alle medizinischen oder genetischen Informationen werden in Krankenhäusern oder Kliniken durch Computer bearbeitet 2. Katsunori Kai, Hiroshima Universität, schlägt deshalb die Kodifizierung eines neuen Straftatbestandes gegen die Verletzung der genetischen Privatinformation3 vor. Seiner Meinung nach müsse derjenige, welcher die genetische Information unbefugt aufspürt, eigennützig kauft oder verkauft strafbar sein. Die genetische Information des Einzelnen könne durch den zivilrechtlichen Schutz der Privatsphäre nicht genug geschützt werden, weil die genetische Information des Einzelnen gleichzeitig die seiner Familie und Verwandten enthalte und nicht genügend vom Recht auf Privatsphäre erfaßt werde. Mir scheint aber, es wäre wichtiger, zu prüfen und zu diskutieren, ob die Verletzung der genetischen Privatinformation (od. -geheimnisses) überhaupt im japanischen Rechtssystem strafwürdig und strafbar ist oder nicht. Denn das japanischen StGB schützt die privacy , also die Privatsphäre des Einzelnen, nicht unmittelbar. Nach § 230 des japanischen StGB ist jemand wegen Ehrverletzung strafbar, wenn er öffentlich ehrenrührige Tatsachen über einen anderen aufdeckt 4. Das Rechtsgut dieser Bestimmung ist die äußere Ehre, also der Ruf des Menschen5. Die Privatsphäre des Einzelnen wird also nur dann strafrechtlich geschützt, wenn die äußerer Ehre des Einzelnen durch die Veröffentlichung der Tatsachen , also die Aufdeckung seiner Privatsphäre vom Täter gleichzeitig herabgewürdigt wird. Wenn man die Verletzung der medizinischen und genetischen Privatsphäre strafrechtlich sanktionieren wollte, sollte man die Gründe dafür angeben, daß die medizinische und genetische Privatsphärenverletzung eine höhere Strafwürdigkeit besitzt als andere Privatsphäre Verletzungen.
I I I . Klonen von Menschen und Strafrecht Anläßlich von Klonschaf „Dolly" hat Yonemoto, Shoei, Naturwissenschaftshistoriker und Leiter des „Mitsubishi Chemie Institut für Biowissenschaft", den
2 Vgl. Ryo'ichi Watanabe, Medizinische Information und Privacy, in: Veröffentlichung der Information und Privatinformationsschutz, Beiheft der Jurist, 1994, S. 246. 3 Katsunori Kai, Geninformation und Strafrecht - eine Einleitung über Genanalyse und genetische Diagnose, Festschrift zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. Ken'ichi Nakayama, Bd.l (1997), S. 49 ff. 4 „ § 230 Abs. 1 Wer die Ehre eines anderen dadurch verletzt, daß er eine Tatsache veröffentlicht, wird, ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Unwahrheit dieser Tatsache, mit Zuchthaus oder Gefängnis bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu funfhunderttausend Yen bestraft." 5 Herrschende Meinung in Japan.
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augenblicklichen japanischen Zustand in der medizinischen Forschung und der Biotechnologie als „Japan ohne Bioethik" charakterisiert und heftig kritisiert 6 . Er weist gleichzeitig darauf hin, daß Europa sich seit einigen Jahren mit dem Thema beschäftigt habe, wann das Leben des Menschen beginnt, während Japan dem Problem des Hirntods nachgegangen sei, also der Frage, wann das Leben des Menschen endet7. Vor „Dollys" Geburt hatte die Lehre in Japan über die strafrechtliche Regulierung des Klonens von Menschen unter der Voraussetzung diskutiert, daß das Klonen nur durch die Zerteilung des befruchteten Eis technisch möglich, und das Klonen aus einer bloßen Zelle des Menschen überhaupt unmöglich sei. Minoru Ohya, Dohshisha Universität, Kyoto, bejaht das Bedürfnis der strafrechtlichen Regulierung des Klonens von Menschen. Er behauptet, daß das Wesen des Menschen von der Eigenschaft oder Individualität der Person herkomme, und die künstliche Reproduktion von genetisch identischen Individuen mit Hilfe von mehreren Leihmutterschaften den Verlust der Eigenschaft als Person und die Verletzung der Menschenwürde bedeute. Man könne deshalb eine solche künstliche Reproduktion des Individuums als Straftat sanktionieren. Der Unterschied in der (strafrechtlichen Stellung und Behandlung zwischen eineiigen Zwillingen und Klonen des Menschen liege darin, daß beim Klonen ein Individuum, welches dieselben Gene hat, absichtlich und künstlich reproduziert wird und sich dieser Effekt nicht, wie dies bei eineiigen Zwillingen der Fall ist, gleichsam zufällig und natürlich einstellt8. Katsunori Kai, hält dagegen die Kriminalisierung des Klonens von Menschen fur verfrüht. Ob dieses nun sittlich gut oder schlecht sei, könne nicht entschieden werden, weil der rechtliche Inhalt des Begriffs der „Menschenwürde" nicht eindeutig sei. Überdies werde das Klonen von Menschen auch in Zukunft überhaupt nicht möglich sein, weshalb es keine einleuchtenden Gründe ftir eine Strafbarkeit gebe9. Diese theoretische ö Shoei Yonemoto, „Japan ohne Bioethik, Überlegungen anläßlich des Klonschafs „Dolly". Chuoh-Kohron, Bd. 112, Heft 7 (1997), S. 24 ff. Shoei Yonemoto, S. 35. 8 Minoru Ohya, Leben und Rechtswissenschaft, Neue Aufl. (1996), S. 97; auch Fumio Kanazawa, Ethische und rechtliche Stellung des menschlichen Embryos, Okayama Syoka Daigaku Hogaku Ronso (The Okayama-Shoka Law Review9, Nr.3 (1995), S. 9; Mitsuru Mushiake, Künstliche Befruchtung, extrakorporale Befruchtung und Recht, in Mitsuru Mushiake (Hrsg.), Leben des Menschen und Recht (1996), S. 90; Hisao Kato, Einführung in das medizinische Strafrecht (1996), S. 89 ff.; Takayuki Tsuzaki, Die strafrechtliche Regulierung der Fortpflanzungsmedizin und des Embryonenschutzes, Tokyo Toritsu Daigaku Hogakkai Zasshi (Tokyo Métropolitain University, Journal of Law and Politics), Bd. 37, Ht. 2 (1996), S. 176; vgl. auch die Zivilrechtlerin Michiko Ishii, Artifizielle Reproduktion und Recht (1994), S. 94 ff. 9 Kai Katsunori, Zum (strafrechtlichen Regulierungsmodelle der fortpflanzungsmedizinischen Technik, Hiroshima Hogaku (The Hiroshima Law Journal), Bd. 18, Ht. 2 (1994), S. 65 ff. Er zählt als Regulierungsmodelle (1) das „England-Modell" (Verwaltungs(straf)rechtsmodell), (2) das „Deutschland-Modell" (Nebenstrafrechtsmodell), (3)
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Voraussetzung ist aber nun mit „Dolly" in Frage gestellt worden. Hirokazu Kawaguchi, Nara-Sangyo Universität, Nara, leugnet die Strafwürdigkeit und -bedürftigkeit des Klonens von Menschen. Er behauptet, daß die Identität oder Integrität des Menschen nicht nur mit der genetischen Eigenschaft determiniert werde, und die strafrechtliche Bestimmung über das Klonen von Menschen als „symbolische Gesetzgebung" nicht hinreichend funktionieren werde. Er weist darauf hin, daß der Scherpunkt hier vielmehr im familienrechtlichen Problem liege, etwa bei der Bestimmung des rechtlichen Verhältnisses zwischen den Eltern und dem Klonkind. Wer ist der Vater des Klonkinds, wenn ein Zellkern aus einer Zelle einer Frau transportiert wird und das Klonkind von einer anderen Leihmutter geboren worden ist 10 ?
IV. Ausblick In Japan gibt es jedenfalls noch nicht genügend Diskussion über den strafrechtlichen Schutz in der Gentechnik. Kai und Kawaguchi sind in diesem Bereich die Vorläufer bei uns. Wir müssen diese Probleme noch weiter diskutieren und vertiefen. Es ist aber schwierig, eine Prognose zu geben, welche Richtung unsere Diskussion nehmen wird, und ob in naher Zukunft der japanische Gesetzgeber neue Gesetze hierfür vorbereiten wird 11 .
das „USA-Modell" (privat-politisches Modell, d.h. das durch Richtlinien der Spezialisten und durch Rechtsprechungen zwischen gleichwertig streitenden Parteien regulierende Modell) und (4) das „Frankreich-Modell" (öffentlich-politisches Modell) auf. 10 Hirokazu Kawaguchi, Rechtliche Probleme des Klonens, - Zur Beweisführung der These „Die Klonierung von Menschen ist nicht strafbedürftig" -, Nara Hogakkai Zasshi (Nara Law Review), Bd. 10, Ht. 1 (1997), S. 29 ff.; auch Nara Hogakkai Zasshi, Strafrechtliche Regulierung in der Gentechnik, - insbesondere aus dem Gesichtspunkt der strafrechtlichen Gesetzgebungslehre -, Nara Hogakkai Zasshi (Nara Law Review), Bd. 1, Ht. 4 (1989), S. 1 ff., Bd. 2, Ht. 1 (1989), S. 31 ff. und Bd. 2, Ht. 3 (1989), S. 47 ff.; auch schon Rechtsphilosoph Susumu Morimura, Umgekehrtes Utopia des Liberalismus in der Biotechnik, in: Ryu'ichi Nagao und Shoei Yonemoto (Hrsg.), Meta-Bioethik (1987), S. 134. 11 So betont etwa ein Forschungsprojekt die Bedürftigkeit der Kodifizierung und schlägt gesetzgeberische Richtlinien vor (Forschungsprojekt über die rechtlichen Probleme um die fortpflanzungsmedizinische Technik, Vorschläge über die vernünftige Benutzung und die Regulierung des Mißbrauchs in der fortpflanzungsmedizinischen Technik, Jurist, Nr. 1045 (1994), S. 105 ff. Auch eine andere Forschungsgruppe legt eine grundlegende Perspektive über die Probleme der Humangenanalyse, der Gendiagnostik, der Gentherapie und des sozialen Einflusses vor [Forschungsgruppe über das GenProblem, Bericht über das Gen-Problem (1995)]. Es liegt aber noch kein diesbezüglicher parlamentarischer Entwurf vor.
Gentechnik und Todeszeitpunkt. Ein Kommentar Von Makoto Ida Was unser neues Organtransplantationsgesetz anbelangt, möchte ich mich aus Zeitgründen kurz fassen und nur auf einen besonders problematischen Punkt dieses Gesetzes hinweisen. Unser Gesetzgeber hat sich bezüglich des Streites zwischen dem Herztod- und dem Hirntodkonzept für eine eigenartige vermittelnde Lösung entschieden. Ein hirntoter Patient sei nur dann tot, oder er könne nur dann als tot angesehen werden, wenn er vorher in eine Organentnahme auch im Falle seines Hirntodes schriftlich eingewilligt habe und seine Angehörigen keine Einwände gegen die Feststellung seines Hirntodes sowie die Organentnahme erheben würden. Mit anderen Worten: Wir Japaner sind vermutlich das einzige Volk auf der ganzen Welt, das den Todeszeitpunkt (Herztod oder Hirntod) selber wählen kann. Ich bin der Meinung, daß diese Grundposition des neuen Organtransplantationsgesetzes rechtslogisch unmöglich ist. Unsere heutige Rechtsordnung geht nämlich davon aus, daß man über das Rechtsgut „Leben" nicht verfügen darf und es deshalb mit dem Selbstbestimmungsrecht nicht begründet werden kann, daß der Rechtsgutcharakter des „Lebens" durch die vorherige Zustimmung des Patienten überhaupt verloren geht. Denn der Organspender hat zwar in die Organentnahme, aber keineswegs darin eingewilligt, daß etwa ein Dritter ihm seinen Respirator wegnimmt oder ihn körperlich angreift. Darüber hinaus gerät unser neues Gesetz, genau besehen, mit dem Gedanken der Selbstbestimmung in Konflikt. Denn es ist unverständlich, warum bei der höchstpersönlichen Entscheidung der Wahl des Todeszeitpunktes der Wille der Angehörigen eine entscheidende Rolle spielen soll. Soviel zur Organtransplantation. Ich gehe nun zur Problematik der Gentechnik über: Das japanische Recht zeichnet sich bezüglich der Regulierung der neueren medizinischen Forschung durch eine besondere Zurückhaltung aus. Die Entwicklung der modernen medizinischen Technik und deren Anwendung sind bisher überwiegend der Selbstkontrolle der Ärzteschaft oder der Kontrolle durch die Ethikkommision, eine Einrichtung, die jedes bedeutendere medizinische Forschungsinstitut und Krankenhaus in Japan hat, überlassen und werden selten rechtlicher Regulierung unterworfen. Die künstliche Insemination und die In-Vitro-Fertilisation sind beispielsweise - auch in Form von der AID - bis
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heute nicht rechtlich geregelt, obwohl sie immer häufiger durchgeführt werden. Es bestehen immerhin - seit den 80er Jahren - diesbezügliche interne Richtlinien der Gynäkologenvereinigung. Auch die gentechnische Forschung und die therapeutische Anwendung der Gentechnik sind keiner gesetzlichen und schon gar keiner strafrechtlichen Regelung unterworfen. Sie sind aber keineswegs ausschließlich der Selbstkontrolle der Ärzteschaft überlassen. Angesichts ihrer kaum abschätzbaren Wirkungen hielt man einen rechtlichen Rahmen für nötig, innerhalb dessen sich die gentechnische Forschung und die therapeutische Anwendung der Gentechnik bewegen. Dieser Rahmen wird nach amerikanischem Vorbild durch besondere Richtlinien der Verwaltungsbehörden abgesteckt. Im Jahre 1994 erließen das Gesundheits- und das Kultusministerium jeweils eigene administrative Richtlinien die Regulierung der Gentherapie betreffend, die allerdings inhaltlich fast identisch sind. Adressaten sind Krankenhäuser, Universitätskliniken und -institute, die verwaltungsgesetzlich unter der administrativen Aufsicht des Gesundheits- und/oder des Kultusministeriums stehen. Die Richtlinien sind Verwaltungsvorschriften und stellen deshalb keine Verhaltensnormen fur die Ärzte und Wissenschaftler auf. Die Richtlinien zählen die Krankheiten auf, die gentechnisch behandelt werden dürfen, und erlauben die Anwendung der Gentechnik nur dann, wenn der Nutzen der Behandlung ihre etwaigen Nachteile überwiegt, d.h. - nach deutscher Terminologie - wenn den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips Genüge getan wird. Besonders hervorgehoben wird dabei die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts des Betroffenen. Die künstliche Veränderung der Erbinformation der Keimzellen ist untersagt. Diese Richtlinien enthalten neben materiellrechtlichen auch verfahrensrechtliche Bestimmungen. Ein Forschungsinstitut, das ein gentherapeutisches Forschungsvorhaben durchführen will, muß zu diesem Zweck vom zuständigen Ministerium die Genehmigung einholen. Die Einrichtung einer unabhängigen Prüfungskommission, gewöhnlich Ethikkommission genannt, ist obligatorisch. Das betreffende Institut steht im Verlauf der Forschungen unter der besonderen Aufsicht des Ministeriums. Außerdem fordert man die Aufbewahrung der Unterlagen, den Schutz der persönlichen Daten und die Veröffentlichung der forschungsrelevanten Informationen. Die Richtlinien hinsichtlich der Gentherapie bezwecken, über die bisherige allgemeine Tendenz in Japan hinausgehend, deren Regulierung durch staatliche Stellen. Diese Regelungsmethode wird selbst in Japan mitunter als „erstmalig und eigenständig" bezeichnet. Die Frage, ob ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz hinsichtlich der Gentherapie erforderlich ist, wird überwiegend verneint.
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Aber auch wenn ein einschlägiges Gesetz geschaffen würde, könnte das Strafrecht höchstens eine Rolle bei der Absicherung der verwaltungsrechtlichen Geoder Verbote spielen. Zusammenfassend läßt sich feststellen: Das japanische Recht ist ein gutes Stück davon entfernt, im Mißbrauch der Gentechnik die Verletzung eines strafrechtlich schützenswerten eigenständigen Rechtsguts zu sehen.
Strafverteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz in Deutschland Von Werner Beulke
I. Einleitung Die jüngste rechtspolitische Diskussion in unserem Lande zeigt, wie sehr die starke Kriminalitätsbelastung die Bürger bewegt und wie vehement der Ruf nach „law and order" geworden ist. Keiner will mehr als Zauderer angeprangert werden, denn Nachdenklichkeit gilt als Kumpanei mit dem Verbrechen, als sträfliche Mißachtung der legimiten Opferinteressen. In dieser Zeit gedeiht keine Verteidigungskultur. Nicht der Beschuldigte oder sein StrafVerteidiger interessieren, sondern Effizienz i.S. einer schneidigen Kriminalitätsbekämpfung ist das Anliegen der öffentlichen Meinung. Die Rechtsstaatlichkeit hat in solch stürmischen Tagen keine Priorität. Es gehört jedoch zum prozessualen Allgemeinwissen, daß wir gegenüber der immensen Macht der staatlichen Strafverfolgungsorgane auf das Korrektiv einer starken Strafverteidigung nicht verzichten können, denn Prozesse nach der Hau-Ruck-Manier mögen zwar dem heutigen Zeitgeist eher entsprechen, führen aber häufig zu ungerechten Ergebnissen. Die Erfahrungen des Jahres 1997 aus Kindesmißbrauchsprozessen in Mainz zeigen z.B., daß im gut gemeinten Bestreben eines besseren Kinderschutzes seitens der Sozialbehörden oder seitens selbsternannter Kinderschützer selbst vor den haarsträubendsten Manipulationen nicht halt gemacht wird. Gerade wenn die Volksseele kocht, brauchen wir eine besonnene Justiz und einen versierten Strafverteidiger. Mit letzterem werde ich mich im folgenden in erster Linie beschäftigen (1. Abschnitt) und dann erst auf die allgemeinen Verteidigungsaspekte eingehen, die insbesondere durch aktuelle gesetzgeberische Reformpläne tangiert sind (2. Abschnitt). Abschließend soll ein kurzes Resümee gezogen werden unter Mitberücksichtigung einiger kriminalpolitischer Erwägungen (3. Abschnitt).
I I . Hauptteil 1. Der Strafverteidiger Wer über die StrafVerteidigung nachdenkt, stößt zunächst unvermeidbar auf die Diskussion um die Rechtsstellung des Strafverteidigers. Sie ist trotz ihrer
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langen Tradition bis heute nicht zur Ruhe gekommen, wird aber andererseits auch immer wieder als nutzlos gescholten, weil von ihr kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei und sich die Sachprobleme auch ohne sie lösen ließen. Dies ist jedoch ein Irrglaube, denn jede Entscheidung in Detailfragen wird von der zunächst festgelegten Grundkonzeption mitbeeinflußt. Gerade die Unsicherheit bei der Bestimmung der Verteidigerfunktionen führt zur Beliebigkeit der in der Rechtsprechung vertretenen Ergebnisse. Damit wir nicht im luftleeren Raum diskutieren, muß ich also auch heute ganz kurz auf die Rechtsstellung des Verteidigers zu sprechen kommen.
a) Die Rechtsstellung des Strafverteidigers Rechtsprechung1 und herrschende Lehre 2 sehen im Strafverteidiger einen Beistand des Beschuldigten und ein Organ der Rechtspflege. Mit dieser Kurzbezeichnung soll zum Ausdruck gebracht werden, daß der Verteidiger nicht nur die Interessen seines Mandanten, sondern auch öffentliche Interessen wahrnimmt. Die Rechtsstellung ist dabei nicht Ausgangspunkt, sondern Ergebnis der Suche nach den Funktionen des Strafverteidigers. Letztere sind dem Verfahrensrecht, insbesondere der StPO, zu entnehmen und nicht etwa dem Standesrecht, und zwar u.a. deshalb, weil das Standesrecht nur für Rechtsanwälte und nicht auch fur Hochschullehrer gilt, die ebenfalls als Verteidiger gewählt werden können. Leider sind die prozessualen Regelungen des StrafVerfahrensrechts so lückenhaft, daß der heutige Streit über die Verteidigeraufgaben entstehen konnte. Die Mehrheit der Diskutanten ist der Ansicht, daß die Gesamtschau des Strafprozeßrechts ergebe, daß der Verteidiger Beistand und Organ der Rechtspflege ist3. Zugunsten dieser Position haben sich auch weite Bereiche der Praxis ausgesprochen. Hinzuweisen ist insoweit insbesondere auf die im Jahre 1992
1 Seit RG JW 1926, 2756; BVerfGE 34, 293, 300; BGHSt 9, 20, 22; BGH NStZ 1997, 401; In dem gesamten Beitrag wurden Rechtsprechung und Schrifttum nur bis zum Frühjahr 1998 ausgewertet. 2 Statt aller: Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 43. Aufl., 1997, Vor § 137 Rn 1 ff.; Systematischer Kommentar (SK) - Rogali, StPO, 1995, Vor § 133 Rri 95; Karlsruher Kommentar (KK) - Laufhütte, StPO, 3. Aufl., Vor § 137 Rn 4; W.Beulke, Strafprozeßrecht, 3. Aufl., 1998, Rn 150 ff.; H-H.Kühne, Strafprozeßlehre, 4. Aufl., 1993, Rn 79 ff.; C.Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl., 1998, § 19 Rn 2; V. Krey, Strafverfahrensrecht, Bd. I, 1988, Rn 535 ff.; Schroeder, Strafprozeßrecht, 2. Aufl., 1997, Rn 149; K.-H.Gössel, Strafverfahrensrecht I, 1977, S. 151; Otto, Jura 1987, 329. 3 Einzelheiten bei W. Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 195.
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erarbeiteten Thesen des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer 4. Aber auch die Zahl der Gegner der Organstellung ist nicht unbeträchtlich. So wird im Schrifttum neuerdings behauptet, der Verteidiger sei reiner Parteiinteressenvertreter, der dieselben Befugnisse habe wie der Beschuldigte, inklusive des Rechts der (unterstützenden) Lüge5. Andere wollen zwar nicht so weit gehen, bejahen aber zumindest das Recht bei der Beratung zur Lüge, sofern der Beschuldigte die Tatherrschaft behält6 oder sehen - wie Lüderssen - im Strafverteidiger einen Verfahrensbeteiligten, der aufgrund der vertraglichen Bindung zum Mandanten in jeder Hinsicht an dessen Weisungen gebunden ist 7 . Auch aus den Reihen der Anwaltschaft sind einige zornige Töne über die Organstellung zu vernehmen. So stuft z.B. Hamm8 die Organtheorie nur als Disziplinierungsstrategie zu Lasten des Strafverteidigers ein und Stern 9 kritisiert die Organtheorie wegen des ihr angeblich innewohnenden Bevormundungs- und Kontrollcharakters. Er vermag aus der Verfahrens Wirklichkeit sowie aus dem Verfahrensrecht nur Anzeichen für Mißtrauen und Diskriminierung von Verteidigern aufzuspüren 10. Allerdings haben andere Anwälte, die nicht auf öffentlichen Tagungen mit relativ großer Resonanz um die Anerkennung ihrer Berufskollegen buhlen, in internen Befragungen zu erkennen gegeben, daß sie mit der Organtheorie problemlos leben können 11 . Ich glaube, meine eigene Position der eingeschränkten Organtheorie bereits mehrfach und aus meiner Sicht hinlänglich deutlich gemacht zu haben12. Hier seien im wesentlichen nur nochmals die Ergebnisse aufgelistet. Die Ausrichtung des Verteidigers auf öffentliche Ziele ist auf zwei Ebenen denkbar, nämlich auf der Ebene zum Beschuldigten sowie auf der Ebene zum Staat. Im Verhältnis zum Mandanten ergibt sich aus der Organstellung die Unabhängigkeit des
4 Strafrechtsausschuß der Bundesrechtsanwaltskammer (STRAUDA), Thesen zur Strafverteidigung, 1992; hierzu Beulke, StV 1994, 572. 5 Ostendorf,\ NJW 1978, 1345; H. J. Wassmann, Strafverteidigung und Strafvereitelung, Jur. Diss. Hamburg, 1982; i. E. auch Kühne, (o. Fußn. 2), Rn 91.1; Einzelheiten nachlesbar bei Tröndle, StGB, 48. Aufl., 1997, § 258 Rn. 7; W. Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989, Rn. 16 ff. 6 So z.B. Hassemer, Beck'sches Formularbuch für den Strafverteidiger, 3. Aufl., 1998, S. 8. 7 Löwe-Rosenberg (LR)-Lüderssen, 24. Aufl., 1989, Vor § 137 Rn 33 ff. * Hamm, NJW 1993,289. 9 Alternativ-Kommentar (AK) - Stern, StPO, 1992, Vorbem. § 137 Rn. 24. 10 AK-Stern (o. Fußn. 9), Vorbem. § 137 Rn. 25. 11 H. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 5. Aufl., 1983, Rn 11 ff; S. Vogtherr, Rechtswirklichkeit und Effizienz der Strafverteidigung, 1991. 12 s. nur Beulke, Der Verteidiger (o. Fußn. 3); ders. y Strafbarkeit des Verteidigers (o. Fußn. 5); ders., StPO (o. Fußn. 2).
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Verteidigers. Die Praxis hat diese Konsequenz weitgehend verinnerlicht, wie nicht zuletzt wiederum die Thesen des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer zeigen. Das bedeutet, daß der Verteidiger „grundsätzlich nicht weisungsgebunden" ist 13 . Auch ich bin nach wie vor der Ansicht, daß die von der ganz h. A. akzeptierte - Unabhängigkeit des Verteidigers gegenüber dem Beschuldigten zu den Eckpfeilern einer effizienten Strafverteidigung gehört. Diese, der gesetzlichen Regelung des StPO, insbesondere dem § 140 StPO zugrundeliegende Konzeption ist allerdings mit der von Lüderssen 14 vertretenen Vertragstheorie unvereinbar, denn vertragliche Handlungen gegen den Willen des Beschuldigten, der auf diese Leistung gänzlich verzichten möchte, kann es nicht geben, wenn der Verteidiger nicht nur zwangsweise bestellt wird, sondern auch noch zwangsweise tätig werden soll. Die Vertragstheorie Lüderssens „reibt" sich jedoch nicht nur mit § 140 StPO, sondern sie ist auch als Sachprogramm abzulehnen, denn sie läßt einen Verfahrensbeteiligten allein entscheiden, der angesichts seiner Autonomiedefizite dazu nicht in der Lage ist. Im Normalfall spielt zwar sein Recht, sich bei Festlegung der Verteidigungsstrategie notfalls gegen seinen Verteidiger durchsetzen zu können, keine Rolle, im Konfliktfall kann es jedoch die Quelle seines Verhängnisses werden. Wir sollten deshalb auch in Zukunft an der Unabhängigkeit des Verteidigers vom Mandantenwillen nicht rütteln, müssen aber wissen, daß wir damit bereits die Weichen zugunsten einer Organtheorie gestellt haben. Diese Zusammenhänge sind erfreulicherweise von den Thesen des Strafrechtsausschusses der BRAK erkannt worden, indem sie den Verteidiger aufgrund seiner Aufgabe, den Mandanten wirksam zu schützen, zum „Garant eines justizförmigen Verfahrens" 15 erklären und die sich dadurch wohltuend von gegenteiligen Stellungnahmen des Schrifttums abheben, in denen man meint, man könne die Organtheorie ablehnen, die Unabhängigkeit des Verteidigers vom Mandantenwillen aber gleichwohl befürworten 16. Wegen dieses grundsätzlichen Mißverständnisses läuft insbesondere die vom „Arbeitskreis Strafprozeßreform" - einem Zusammenschluß mehrerer Strafrechtslehrer 17 - zu der Organtheorie geäußerte Kritik ins Leere.
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STRAUDA (o. Fußn. 4), These 9. Ebenso u.a. OLG Celle NStZ 1988, 426; Gössel, ZStW 94 (1982), S. 1, 33; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl., 1983, Rn. 101; Vehling, StV 1992, 86, 87. 14 Lüderssen, Vor § 137 Rn 33 ff. (o. Fußn. 7). 15 STRAUDA (o. Fußn. 4), These 2. 16 So z.B. Barton, StV 1990, 239; zutreffend hingegen H. Rüping, Das Strafverfahren, 3. Aufl., 1997, Rn. 114 ff. 17 s. Arbeitskreis Strafprozeßreform, Die Verteidigung - Gesetzentwurf mit Begründung, vorgelegt von Günther Bemmann u.a., 1979; dazu Beulke, Wohin treibt die Reform der Strafverteidigung?, in: Strafprozeß und Reform, hrsg. von H. L. Schreiber, 1979, S. 30; Lantzke/Müller/Wahle (Hrsg.), Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Arbeitskreises Strafprozeßreform „Die Verteidigung", 1984.
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M. E. erschöpften sich die öffentlichen Funktionen des Verteidigers aber nicht in dem Eintreten für die Effektivität der Verteidigung. Beispielhaft sei verwiesen auf die Wahrheitspflicht des Verteidigers oder das Verbot, Sachverständige und Zeugen zu benennen, von denen der Verteidiger weiß, daß sie zu unwahren Bekundungen entschlossen sind. Warum ist dem Verteidiger ein derartiges Tun untersagt, obwohl sein Mandant entsprechende Verhaltensweisen ungestraft an den Tag legen dürfte? Wiederum kommen nur die öffentlichen Funktionen des StrafVerteidigers, also seine „Einbindung in die Strafrechtspflege" als Legitimationsbasis in Betracht. Es muß neben der Aufgabe, für die Effektivität der Verteidigung zu sorgen, noch weitere öffentliche Funktionen geben, die man - selbst wenn es dem Selbstverständnis mancher Verteidiger widerspricht - nur als eine Verpflichtung umschreiben kann, in engen Grenzen auch für die Wirksamkeit der Strafrechtspflege Sorge zu tragen 18. Vor kurzem hat Roxin im Rahmen einer Festveranstaltung anläßlich des 50jährigen Bestehens des Strafrechtsausschusses der BRAK die von mir befürworteten Konsequenzen zwar gutgeheißen, ihr aber in der Begründung widersprochen 19. Während er die Organtheorie in ihrer Dokumentationsleistung einer auch im Interesse des Staates liegenden Tätigkeit zugunsten des Beschuldigten mitträgt und schon immer mitgetragen hat - er spricht insoweit von „prästabilisierter Harmonie" - verwirft er die darüber hinausreichende Aussagekraft der Organtheorie i.S. der Schranke einer zu weitgehenden Gegenwehr 20. Eine solche Inpflichtnahmetheorie sei gefährlich, weil sie - ebenso wie die einseitige Interessenwahrnehmungstheorie - überzogen werden könne, und derzeit in der Rechtsprechung im Bereich von Mitwirkungspflichten - auf die noch zurückzukommen sein wird - auch überzogen werde. Eine solche Inpflichtnahmetheorie sei aber auch überflüssig, weil sich deren Konsequenzen, insbesondere das Lügeverbot, bereits aus dem generellen Grundsatz ergebe, daß „nach einem überall gültigen Prinzip" jedes Recht nur bis zur Mißbrauchsgrenze gewährt werde. Eine Inpflichtnahme sei nicht schon gegeben, wenn man dem Verteidiger sage, was er als außerhalb seiner Aufgabe liegend nicht tun dürfe, sie beginne vielmehr „erst dort, wo der Verteidiger zu aktiven Handlungen verpflichtet wird, die zwar dem Gericht und der Abwicklung des Verfahrens nützlich sind, mit den Verteidigungsinteressen des Beschuldigten aber nichts zu tun haben". Ich halte die damit von Roxin bezweckte psychologische Entlastung der Organtheorie zwar für erwägenswert, letztendlich aber doch nicht für vorzugswürdig. Zunächst wird damit nur eine Verlagerung der Auseinandersetzung gewonnen, weg von der Organstellung und hin zu der allgemeinen Mißbrauchsdiskus18
Einzelheiten bei Beulke, Der Verteidiger (o. Fußn. 3), S. 88 ff., 143 ff. Roxin, in: Festschrift für Hanack, 1999 [erscheint demnächst] - dankenswerterweise wurde mir vom Verf. ein Vorabdruck des Referats überlassen. 20 I.E. ebenso z.B. Rüping, (o. Fußn. 16). 19
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sion. Dort wird man aber über die Einzelheiten nicht minder vehement streiten als bisher. Zwar räume ich ein, daß die von mir propagierte eingeschränkte Organtheorie de facto eine konkretisierte Mißbrauchstheorie darstellt, aber eben schon in vielerlei Hinsicht begrenzt durch den Bereich der im Laufe einer jahrzehntelangen Diskussion erarbeiteten, unstreitig legalen Verteidigerbefugnisse. Demgegenüber ist der allgemeine Mißbrauchsgedanke völlig vage. Wenn z.B. Kröpil 21 darlegt, ein Mißbrauch eines prozessualen Rechts liege vor, „wenn eine strafprozessuale Befugnis nicht verfahrenskonform eingesetzt wird", so rechtfertigt diese Stellungnahme nur den Befund, daß fur die Bestimmung der konkreten Verteidigerbefugnisse auch bei der allgemeinen Mißbrauchsschranke kein Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Ein Transfer unseres Problems in dieses Terrain hätte auch die fatale Folge, daß völlig unerklärbar bliebe, warum dem Verteidiger das Selbstbegünstigungsprivileg des Beschuldigten nicht ebenfalls gutgeschrieben wird. Weshalb soll er seinen Mandanten nicht bei der Lüge beraten dürfen? Zwar befindet er sich nicht in derselben Bedrängnis wie der Beschuldigte, und diesem steht auch kein Lügerecht zur Seite, sondern er hat bei einer Lüge lediglich keine rechtlichen Folgen zu befürchten, das allgemeine Mißbrauchsverbot bringt aber nach meinem Verständnis keineswegs zum Ausdruck, daß wir den Verteidiger prozessual nicht genauso behandeln dürften wie seinen Mandanten. Da er seinem Mandanten möglichst effektiv helfen soll, kann es doch nicht von vornherein mißbräuchlich sein, daß er dieselben Handlungsmöglichkeiten fur sich einfordert, wie sie seinem Mandanten zur Verfügung stehen. Insoweit ist Lüderssen 22 recht zu geben: Solange dem Beschuldigten ein Minimum an eigenverantwortlicher Beteiligung bleibt, spricht die allgemeine Systematik eher dafür, daß das Verhalten des Verteidigers, der sich nach den Wünschen des Beschuldigten richtet, außerhalb des Bereichs des § 258 StGB bleibt. Der allgemeine Gedanke des umfassenden Mißbrauchsverbots legitimiert also gerade keine Differenzierung zwischen Beschuldigtem und Verteidiger. Hierfür bedarf es einer besonderen Einbindung - wer gerade diese leugnet, müßte konsequenterweise auch das Recht des Verteidigers, den Mandanten bei dessen Lüge zu beraten, bejahen, wie dies im Schrifttum schließlich auch in immer stärkerem Maße gefordert wird 2 3 . Wer hingegen - wie z.B. Roxin und Lüderssen - diesen Schritt nicht gehen möchte, braucht m.E. eben doch eine spezielle Mißbrauchsklausel. Ferner sei in diesem Zusammenhang noch an die Diskussion um den Mißbrauch des Mißbrauchsgedankens erinnert. Diese Kontroverse steht der Debatte um die Organstellung in nichts nach. Erwähnt seien nur die einschlägi-
21
Kröpil, JR 1997,317. LR-Lüderssen (o. Fußn. 7), Vor § 137 Rn 111. 23 Statt aller: Fezer, Festschrift für Stree und Wessels, 1973, S. 663 ff; ders., Strafprozeßrecht, 2. Aufl., 1995, Fall 4 Rn 30; s. auch oben Fußn. 5. 22
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gen Ausführungen von Kühne 24 , der gerade im Falle des Rechtsmißbrauchsvorwurfs gegenüber den StrafVerteidigern mit Nachdruck darauf hingewiesen hat, daß jedem Recht die Möglichkeit des Rechtsmißbrauchs entspricht und daß die Anerkennung eines allgemeinen Rechtsmißbrauchsverbots im Strafverfahren nicht erforderlich ist. Nicht minder deutlich ist auch die jüngst wiederholte Warnung von Rüping 25 , den Mißbrauchsgedanken nicht als Reaktion auf den Terror der Verteidigung in politischen Verfahren oder allgemein i.S. einer Effizienzsteigerung der Justiz zu mißbrauchen. Bei den Mißbrauchsschranken werden wir also kaum die Einigkeit erzielen, die herzustellen bei der Definition der Verteidigungsfunktionen uns bisher nicht gelungen ist. Schließlich sollten wir auch bedenken, daß der mit der Verschiebung der Thematik in ein anderes Problemfeld verbundene Verlust an Erkenntnisgewinn die genannten Vorteile der Entlastung der Organtheorie von zu starken Inpflichtnahmeelementen u.U. wieder aufwiegt. Der Gesetzgeber des StPÄG aus dem Jahre 1964 hat gerade in Hinblick darauf, daß von einem Organ der Rechtspflege das Unterlassen eines Mißbrauchs des Kontaktrechts zu erwarten ist, den § 148 StPO liberalisiert. Hier habe ich einen besonderen Begründungsschwerpunkt für meine eigene Position gefunden 26. Die Organstellung als Garantie, bestimmte Handlungen zu unterlassen, sozusagen als Spezialbekräfitigung einer den Verteidiger in besonderem Maße treffenden Mißbrauchsschranke, gibt bzw. gab die Möglichkeit zum Ausbau der Verteidigerbefugnisse 27. Auf dieser Grundlage hat der Verteidiger teils mehr, teils weniger Rechte als der Beschuldigte. Der Gesetzgeber hat es so gesehen und es hat dem Verteidiger 1964 genutzt. Eine Anwaltschaft, die mitzöge, könnte noch heute davon profitieren. Es bleibt also m.E. - trotz aller Kritik an dieser Grundsatzposition - bei der Anerkennung einer speziellen Einbindung des Verteidigers in die Rechtspflege, die ihm bestimmte Handlungen verbietet, wie z.B. die Beratung des Beschuldigten bei einer unwahren Aussage. Zumindest an diesem Ergebnis sollten wir auf gar keinen Fall rütteln 28 .
b) Die Mitwirkungspflicht
des Verteidigers
Nach dieser kurzen Rückbesinnung auf das Fundament der Verteidigertätigkeit möchte ich nunmehr auf einige Aspekte der StrafVerteidigung im formellen 24
Kühne, StV 1996, 684, 689 f. Rüping, JZ 1997, 865, 869; Vertiefende Ausführungen zur Mißbrauchsproblematik auch bei Momsen, C, Verfahrensfehler und Rügeberechtigung im Strafprozeß, 1997, S. 104 ff. 26 Einzelheiten bei Beulke, Der Verteidiger (o. Fußn. 3), S. 195. 27 Beulke, S. 89 ff., 194 ff. 28 Zur weiteren Begründung: Beulke, Strafbarkeit (o. Fußn. 5), Rn. 16 ff. 25
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Sinne eingehen, die derzeit besonders lebhaft diskutiert werden und die deutlich das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz aufzeigen, in dem gerade der StrafVerteidiger steht. Beginnen möchte ich mit der Frage, ob eine Mitwirkungspflicht des Verteidigers zum Zwecke der Erzielung eines „strafprozeßrechtskonformen" Verfahrensergebnisses besteht. Was ist damit konkret gemeint? Ihren Ursprung hat die Kontroverse in eher unverfänglich erscheinenden Fällen, so z.B. dem des KG 2 9 , in dem der frühere Wahlverteidiger fur verpflichtet erachtet wird, einen später bestellten Pflichtverteidiger in die Hintergründe des Strafverfahrens, insbesondere die der eigenen Verteidigungsstrategie, einzuweisen30. Weniger spektakulär ist auch die Diskussion, ob der Strafverteidiger im Falle des Abhandenkommens der offiziellen Strafakten bei der Erstellung einer Doublette behilflich sein müsse, z.B. durch Ausleihung der in seinem Besitz befindlichen Fotokopien 31 . Wahrhaft dramatische Ausmaße hat die Mitwirkungspflicht aber erst in der jüngsten Rechtsprechung des BGH erfahren.
aa) BGHSt 38, 111 Berühmt geworden ist insbesondere die Entscheidung BGHSt 38, III, die es für zulässig erachtet, daß das Gericht im Falle einer rechtsmißbräuchlichen, exzessiven Beweisantragsstellung durch den Angeklagten anordnet, der Angeklagte dürfe in Zukunft Beweisanträge nur noch über seinen Verteidiger stellen. Nach Ansicht des BGH treffe den Verteidiger die Pflicht, „mit dafür Sorge zu tragen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird". Zwar verweist der BGH nicht ausdrücklich auf die Organstellung des Verteidigers, der Sache nach hat er aber - wie von Dornach 32 ausführlich und zutreffend dargelegt worden ist - mit dem Verpflichtetsein des Verteidigers auf öffentliche Interessen und damit also gezielt i.S. der Organformel argumentiert. Was ist davon zu halten? Auf den ersten Blick mag mancher vermuten, gerade ich müßte mich über diese Entwicklung freuen, bestätigt sie doch meine These von den öffentlichen Funktionen, von der Organstellung des Verteidigers. Im Schrifttum sind die Ansichten auch durchaus geteilt. So finden wir - wenn auch mit ganz unterschiedlicher Begründung - zustimmende Stellungnahmen
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KG JR 1981,86. Ablehnend Beulke, JR 1982, 545. 31 Vgl. Rösmann, NStZ 1983, 446; Waldowski, NStZ 1984, 448. 32 M. Dornach, Der Strafverteidiger als Mitgarant eines justizförmigen Strafverfahrens, 1994, S. 58. 30
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u.a. bei Widmaier 33 , Roxin 34 , Scheffler 35 und Fezer 36. Hingegen hat Dornach 37 vehement gegen die Entscheidung Stellung bezogen. Die eigene Stellungnahme fällt ebenfalls negativ aus38. Diese Form der Mitverantwortung und Mitwirkungspflicht des Verteidigers beruht auf einer Fehlinterpretation der Organtheorie. Deren Aussagekraft beinhaltet nämlich keine Mitwirkungspflicht an der gerechten Bestrafung des Beschuldigten, weil ansonsten der Verteidiger auch gezwungen sein müßte, u.U. belastendes Beweismaterial zu offenbaren, sofern im Einzelfall die öffentlichen Interessen überwögen. Man denke etwa an den Sexualmörder mit hoher Rückfallwahrscheinlichkeit, dessen Überfuhrung nur mittels eines dem StrafVerteidiger möglichen Hinweises möglich wäre. Sollten wir dann in eine Abwägungstheorie verfallen? Das stellte einen Rückschritt um Jahrhunderte dar. In einem rechtsstaatlichen Strafverfahren ist der StrafVerteidiger vielmehr allein zu einer Gegenwehr gegen den staatlichen Strafanspruch verpflichtet. Jede darüber hinausgehende Inpflichtnahme widerspricht seiner Funktion als kalkuliertes Gegengewicht gegen Staatsanwaltschaft und Gericht. In Übereinstimmung mit Dornach 39stehe ich auf dem Standpunkt, daß der Verteidiger in positiver Hinsicht (Pflicht, ein bestimmtes Verhalten an den Tag zu legen) nur zu möglichst intensiver Gegenwehr verpflichtet ist, keinesfalls jedoch zur Förderung des Strafverfahrens. Gleichzeitig bestimmt die Organtheorie zwar auch, daß der Verteidiger den Kernbereich der Effektivität der Rechtspflege berücksichtigen müsse, dies aber nur insoweit, als von ihm negativ verlangt wird, nicht zu weit zu gehen, d.h. seine Rechte nicht zu mißbrauchen. Das hat nichts mit einer zusätzlichen Filterfunktion für Beweisanträge des Beschuldigten zu tun. Wenn Roxin 40 in Übereinstimmung mit BGHSt 38, 111 meint, das Gericht könne den Beschuldigten als mildere Maßnahme gegenüber der gänzlichen Versagung des Beweisantragsrechts aus Mißbrauchsgründen die Stellung des Beweisantrages gegenüber dem Verteidiger auferlegen, so gerät er in Konflikt mit dem auch von ihm akzeptierten Prinzip der Selbständigkeit des Verteidigers. Da der Verteidiger ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, hat er nicht die Befugnis, die eigenen Verteidigungsbemühungen des Beschuldigten zu überprüfen. Beide agieren parallel zueinander. Hinsichtlich der eigenen Erklärungen des Beschuldigten darf sich der Verteidiger tatsächlich nur als
33
Widmaier, NStZ 1992,519. Roxin, Festschrift für Hanack (o. Fußn. 19). 35 Scheffler, SR 1993, 170. 36 Fezer, JZ 1996, 658; i. E. auch Maatz, NStZ 1992, 513. 37 Dornach (o. Fußn. 32), S. 160 ff. 38 s. bereits Beulke, StPO (o. Fußn. 2), Rn 150; ders., StV 1994, 575. 39 Dornach (o. Fußn. 32), S. 160 ff., 180; ebenso im Grundsatz Roxin, Festschrift für Hanack (o. Fußn. 19). 40 Roxin, Festschrift für Hanack (o. Fußn. 19). 34
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Bote empfinden. Das Gericht könnte dem Beschuldigten auch nicht auferlegen, sein Verteidiger müsse die zu langatmigen mündlichen Einlassungen in eigener, prägnanterer Form vorbringen, wissend, daß den Verteidiger seinerseits ein Lügeverbot trifft. Auf diesem pfiffigen Wege hätten wir eine Umgehung der Lügemöglichkeiten des Beschuldigten eingeführt und damit partiell das Selbstbegünstigungsprivileg ausgehebelt. Wenn man also die Rechte des Beschuldigten unter Hinweis auf die allgemeine Mißbrauchsklausel beschneiden möchte, so muß man dies mit ihm selbst ausmachen. Der Umweg über den Verteidiger ist untauglich.
bb) BGHSt 38, 214 Noch sehr viel bahnbrechender ist die Grundsatzentscheidung BGHSt 38, 214. Hier spricht sich der BGH zum erstenmal für eine Unverwertbarkeit der Aussage des Beschuldigten aus, sofern jener nicht durch den polizeilichen Vernehmungsbeamten gem. § 136 StPO über sein Aussageverweigerungsrecht belehrt worden ist. Das war das Ergebnis eines jahrzehntelangen Drängens seitens der Rechtswissenschaft, jedoch ist es bei diesem beschuldigtenfreundlichen Akt allein nicht geblieben, denn in derselben Entscheidung finden wir bereits ein probates „Gegengift" von wahrhaft innovativem Charakter. Das Beweisverwertungsverbot soll nämlich nach Ansicht des BGH im Strafverfahren nur dann wirksam werden, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt, d.h. bis zum Abschluß der Vernehmung des Angeklagten, widerspricht. Zur Begründung rekurriert der BGH auf die „besondere Verantwortung" des Verteidigers und seine Fähigkeit, Belehrungsmängel aufzudecken und zu erkennen, ob die Berufung auf das Verwertungsverbot einer sinnvollen Verteidigung dient. Diese Widerspruchslösung ist ihrem Anwendungsbereich nach in den letzten Jahren von der Rechtsprechung stetig ausgebaut worden, und sie gehört inzwischen zu den Stützpfeilern des Bollwerks gegen eine exzessive Nutzung des Revisionsrechtes 41. Anscheinend löst sie insoweit die an Attraktivität verlierende Rechtskreistheorie ab. Die zentrale Begründung für die Widerspruchslösung ergibt sich wiederum aus der öffentlichen Einbindung des Strafverteidigers, denn nur von ihm wird eine solche Verwertungs-"Rüge" verlangt, nicht hingegen vom Beschuldigten selbst. Im Schrifttum hat die Widerspruchslösung und der mit ihr für die Anwaltschaft verbundene Prestigegewinn durchaus Befürworter gefunden, so z.B. Ei41
U.a: BGHSt 42, 15, 22 ff.; BGH StV 1996, 360 m. Anm. Fezer, StV 1997, 57; BGH StV 1997, 338; BGH NStZ 1997, 502; Bay ObLG NJW 1997, 404; OLG Celle StV 1997, 68; Basdorf StV 1997, 488, 491 \ Maul, Strafverteidigerforum (StraFo) 1997, 38, 40; Maatz, NStZ 1992, 513; zur Widerspruchslösung generell auch Ventzke, StV 1997, 543.
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senberg42 und Widmaier 43 . Insgesamt überwiegen jedoch die Kritiker, wie Dörnach44, Lesch45, Roxin 46 u.a. Auch ich halte dieses Urteil fur verfehlt 47 , denn es überträgt originär gerichtliche Aufklärungspflichten auf den Verteidiger. Das hat mit einer richtig verstandenen Organstellung nun wirklich nichts mehr zu tun. Wie oben dargelegt ergibt sich auch m.E. - insoweit in Übereinstimmung mit Dornach und Roxin - aus der Organtheorie nur, daß der Verteidiger ein in bestimmter Weise konkretisiertes mißbräuchliches Verhalten unterlassen muß, nämlich das Infragestellen des Kernbestandes der Effektivität der Rechtspflege. Hingegen werden positive Handlungen zwecks Herbeiführung eines prozeßordnungsgemäßen Ergebnisses lediglich vom Gericht und von der Staatsanwaltschaft verlangt. Die gegenteilige Ansicht führt nur zu der absurden Konsequenz, daß vom Verteidiger eine größere Aufmerksamkeit gefordert wird als vom Gericht, und - noch sonderbarer -, daß der nichtverteidigte Angeklagte sich u.U. besser steht als der verteidigte, was insbesondere angesichts des Instituts der Pflichtverteidigung bis hin zur Sicherungsverteidigung und der Unabhängigkeit des Verteidigers vom Mandantenwillen völlig untragbar erscheint. Hier hat sich die Rechtsprechung aufs Glatteis gewagt, ohne die Konsequenzen hinlänglich zu bedenken.
cc) LG Wiesbaden StV 1995, 239 Wer das Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz kennenlernen möchte, dem sei ferner die Lektüre des Urteils des LG Wiesbaden (StV 1995, 239) empfohlen, das eher als Aufschrei einer gequälten Seele denn als nüchterne juristische Argumentation einzustufen ist. Wörtlich heißt es dort: „In der Hauptverhandlung ist deutlich geworden, daß die Verteidigung der Angekl. von vornherein in der Richtung der sich in bestimmten Kreisen ausgebildeten „Konfliktverteidigung" bewegt hat. Diese Verteidigung ist darauf ausgerichtet, eine ruhige, die Wahrheitsfindung fördernde Gerichtsatmosphäre durch ständigen Widerspruch und Kritik am Gericht, durch Befangenheitsanträge, durch das Fordern von Pausen und schließlich durch eine Unzahl von Beweisanträgen, wobei Be-
42
Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 2. Aufl., 1996, Rn 577. Widmaier, NStZ 1992, 519; ebenso Hamm, NJW 1993, 289, 295; ders., NJW 1996, 2185 u.a. 44 Dornach (o. Fußn. 32), S. 180. 45 Lesch, JA 1995, 162. 46 Roxin, Festschrift für Hanack (o. Fußn. 19); ebenso SK-Rogali (ο. Fußn. 2), Vor § 133 Rn 178; Fezer, JR 1992, 385, 386; ders., JZ 1996,611. 47 Beulke, StPO (o. Fußn. 2), Rn 150. 43
1*
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weisthemen oder Beweismittel teilweise erfunden werden, zu verhindern, ebenso wie den Abschluß eines Verfahrens in angemessener Zeit. Es handelt sich hierbei, von der Öffentlichkeit teilweise noch nicht erkannt, um den Kampf gegen die Rechtsordnung mit den Mitteln des Strafprozeßrechts. Einer solchen Verteidigungsstrategie ist das Gericht machtlos ausgeliefert. Die Strafprozeßordnung geht in ihrer Ausprägung, die ihre Vorschriften durch die Obergerichte erfahren haben, davon aus, daß, wie der BGH (BGHSt 38, 140 f.) ausgeführt hat, der Auftrag der Verteidigung nicht ausschließlich im Interesse des Beschuldigten liegt, sondern auch in einer am Rechtsgedanken ausgerichteten Strafrechtspflege, daß den Verteidiger eine Pflicht trifft, mit dafür Sorge zu tragen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt wird und auch der Abschluß des Verfahrens in einer angemessenen Zeit nicht in Frage gestellt werden darf. Verteidiger, welche sich der Konfliktverteidigung befleißigen, fühlen sich jedoch als einseitige Interessenvertreter, welche die schützenden Formen des Strafverfahrensrechts parteiisch und intensiv zu nutzen haben und sich dabei keine Gedanken darüber machen dürfen, welche Konsequenzen dies fur die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege haben könnte Soweit Verteidiger die letztgenannte Verteidigungslinie verfolgen, sind Strafprozesse nicht mehr in angemessener Zeit durchfuhrbar. Das Strafverfahren wird nicht mehr, wie es ursprünglich die Strafprozeßordnung vorgesehen hat, vom Vorsitzenden des Gerichts geleitet, sondern steht zur Disposition des Verteidigers. Damit ist der Kollaps der Justiz herbeigeführt Aus diesem Grund hält es die Kammer bei der derzeit geltenden Rechtslage zur Aufrechterhaltung der Strafrechtspflege im übrigen fur geboten, die Nichtverurteilung der Angeklagten hinzunehmen, um das Gericht in die Lage zu versehen, andere Strafverfahren durchführen zu können." Dieses Urteil, dessen Kernaussage in dem Hinweis auf die Pflicht des Verteidigers liegt, „mit dafür Sorge zu tragen, daß das Verfahren sachdienlich und in prozessual geordneten Bahnen durchgeführt und auch der Abschluß des Verfahrens in einer angemessenen Zeit nicht in Frage gestellt wird", verdient insofern eine andere Weitung als die bisher behandelten Entscheidungen, als es vom Verteidiger kein besonderes aktives Handeln verlangt, sondern ihn - durchaus im Einklang mit der eingeschränkten Organtheorie - nur für verpflichtet hält, ein prozeßwidriges Verhalten - nämlich die Justiz lahmzulegen - zu unterlassen. Gleichwohl kann auch dieses Urteil im Ergebnis keine Billigung finden 48 , denn es schießt nun wiederum weit über das auch von mir für richtig erachtete Ziel der Gewährleistung eines effektiven aber gleichwohl rechtsstaatlichen Strafverfahrens hinaus, indem es vom Verteidiger ein Verhalten verlangt, das nur von den staatlichen Strafverfolgungsorganen eingefordert werden kann. Es ist der Verteidigung nicht verboten, die schützenden Formen des StrafVerfahrensrechts „parteiisch und intensiv" zu nutzen. Im Gegenteil, dies gehört zu ihren urei-
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Zur Kritik statt aller: Asbrock, StV 1995, 240; Malmendier , NJW 1997, 227. Zum Thema s. auch Dahs, in: Festschrift für Walter Odersky, 1996, S. 317; Barton, StV 1996, 690; Meyer-Goßner, StV 1997, 212, 213, W. Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten, 1995, S. 309, 310, 325.
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gensten Aufgaben. Vom LG Wiesbaden wird verkannt, daß auch die Funktion der legalen Verteidigung darin besteht, im Konflikt zwischen Beschuldigtem und StrafVerfolgungsorganen einseitig die Position des ersteren wahrzunehmen, und zwar - wenn nötig - in durchaus kämpferischer Manier. Ein allgemeines Verbot der Konfliktverteidigung kann es also nicht geben. Hier bewährt sich m.E. erneut meine eingeschränkte Organtheorie, mit der ich solche Fehlinterpretationen i.S. der Verpflichtung des Verteidigers auf ein allgemein „sachdienliches" Verhalten gerade unterbinden und klarstellen möchte, daß der Verteidiger lediglich in negativer Hinsicht und dort auch nur im Sinne des Verbots eines „Zuweitgehens" und schließlich nur im Hinblick auf den Kernbereich der Effektivität der Rechtspflege verpflichtet werden darf, öffentliche Ziele mit zu berücksichtigen. Konflikte gehören zum Alltag der Verteidigung. Wer einem umfassenden Verbot der Konfliktverteidigung das Wort redete, riefe die Geister, die er später in noch stürmischeren Tagen nun wirklich nicht wieder los würde.
c) Generelles Verteidigerprivileg? In BGHSt 38, 345 hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung soweit ersichtlich zum ersten Mal mit dem Problem befaßt, ob es in subjektiver Hinsicht ein generelles „Verteidigerprivileg" gebe. Gemeint ist die Frage, ob Straftatbestände, die der Verteidiger im Zuge seiner Berufsausübung objektiv verwirklicht hat, im subjektiven Tatbestand immer erst dann erfüllt sind, wenn die Tat mit dolus directus ausgeführt worden ist. Ihren Ursprung haben diese - die strafrechtliche Haftung des Verteidigers begrenzenden - Erwägungen im StrafVereitelungstatbestand des § 258 StGB, also dem Delikt, mit dem der Verteidiger sozusagen berufsmäßig eine „Gefahrgemeinschaft" eingeht. Die Strafverteitelung setzt zumindest direkten Vorsatz voraus, und man hat nun erwogen, ob diese Vorsatzeinschränkung auch für die sonstigen Delikte, wie insbesondere das Gebrauchmachen von unechten Urkunden i.S.v. § 267 StGB gilt, sofern es sich um eine Tatbegehung durch Verteidigertätigkeit handelt, also z.B. durch Vorlage der vom Mandanten gefälschten Urkunde beim Gericht. Der BGH hat sich gegen die Existenz eines derartigen Verteidigerprivilegs entschieden, sehr zum Leidwesen vieler Diskutanten aus dem Schrifttum 49. Ich halte die Kritik für unberechtigt. Es scheint modern zu werden, für einzelne Berufsgruppen Sondersüppchen zu kochen, so z.B. im Rahmen der Rechtsbeugung50 - erneut zu beobachten bei der jüngsten Rechtsprechung zur Rechtsbeugung von ehemaligen DDR-Richtern 51 . Zutreffend wird im Schrifttum 52 daraufhingewiesen, daß das 49
Schefßer, StV 1992, 299; ders., StV 1993, 470; von Stetten, StV 1995, 606; Wünsch, StV 1997, 45; dazu auch Stumpf NStZ 1997, 7. 50 BGHSt 42, 343, weitere Fundstellen bei Wünsch, StV 1997, 46. 5, s. nur BGHSt 42, 34.
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Bestreben der Judikatur, den Anwendungsbereich der StrafVorschrift der Rechtsbeugung möglichst weitgehend einzuschränken, bis hin zur Gesetzwidrigkeit geht. Von derartigen Privilegien ist in der Tat nichts zu halten 53 , und ich befürworte sie selbst dann nicht, wenn nun ausnahmsweise der Strafverteidiger in ihren Genuß kommen sollte. Eine Sperrwirkung des subjektiven Tatbestandes des § 258 StGB fur die anderen Verteidigungsdelikte wäre eine willkürliche Rechtsfortbildung, die, wenn sie Schule machte, unser Strafrecht unkalkulierbar werden ließe. Außerdem ist es eine Binsenweisheit, daß die Bevorzugung des einen stets auch die Benachteiligung des davon nicht Betroffenen beinhaltet. Der BGH hat das generelle Verteidigerprivileg also zu Recht verworfen, dann aber den Verteidigern doch entgegenkommen wollen, indem er unter Hinweis auf die Organstellung des Verteidigers die Behauptung aufstellt, an den Nachweis des dolus eventualis seien beim Strafverteidiger besonders hohe Anforderungen zu stellen. Eine ähnliche Rechtsprechung existiert inzwischen im Bereich der Tötungsdelikte, wo mit einer besonders hohen Hemmungsschwelle bezüglich einer Durchbrechung des Tötungstabus argumentiert wird 54 . Ich bin zwar nicht überzeugt, daß der Vorsatz des Anwalts bezüglich einer Unechtheit der bei der StrafVerteidigung gebrauchten Urkunden irgend etwas mit seiner Organstellung zu tun hat, sehe aber immerhin mit Wohlwollen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung die Organeigenschaft des StrafVerteidigers auch heute noch in einigen Fallgruppen als Schutzschild für den Verteidiger benutzt und dann partiell auf die schneidige Waffe des Strafrechts bei der Mißbrauchsbekämpfung verzichtet.
d) Notwendige Verteidigung Ein eher trauriges Kapitel ist nach wie vor die Handhabung der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff StPO, § 68 JGG). Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Im ErwachsenenstrafVerfahren hat sich leider noch immer nicht durchgesetzt, daß es im Falle der Verhängung oder zumindest des Vollzugs von Untersuchungshaft opportun ist, sofort einen Pflichtverteidiger zu bestellen und nicht erst nach Ablauf von drei Monaten, wie das § 140 I Nr. 5 StPO nahelegen könnte. Nicht zuletzt zeigen die Untersuchungen von Schöch55, daß eine sofortige Verteidigerbestellung im Falle der Untersuchungshaft nachhaltig zur Verbesserung der Chancengleichheit beiträgt.
52
Bemmann/Seebode/Spendel, ZRP 1997, 307. Beulke, JR 1994, 114; s. auch Stumpf, NStZ 1997, 7. 54 BGH StV 1994, 187; Wessels, Strafrecht BT, Bd. 1, 1997, Rn 72. 55 H. Schöch, Der Einfluß der StrafVerteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft, 1997; ders., StV 1997, 323. 53
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Geradezu düster ist das Bild der notwendigen Verteidigung im Jugendstrafrecht. Hier hat die jüngste kriminologische Forschung erbracht, daß in Jugendstrafsachen nach wie vor prozentual seltener Verteidiger eingeschaltet werden als im Erwachsenenstrafprozeß 56. Das 1. JGG-Änderungsgesetz vom 30.08.1990 hatte immerhin noch in § 68, 4 JGG eine Ausweitung der notwendigen Verteidigung für das Jugendstrafrecht angestrebt, indem es den Vorsitzenden verpflichtet, dem noch nicht 18-jährigen Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, wenn gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung gem. § 126a StPO vollstreckt wird. Diese Neuerung, die nur als erster Schritt in ein neues Zeitalter der notwendigen Verteidigung im Jugendstrafverfahren gedacht war, hat bedauerlicherweise keine Initialzündung entfaltet, vielmehr stellen die Gerichte in den letzten Jahren die Verfahrenseffizienz wieder verstärkt in den Vordergrund. Deshalb haben sich leider auch die sog. Kölner Richtlinien 57 , die - in Anlehnung an die zu § 105 JGG entwickelten Marburger Richtlinien - den Jugendrichter bei der Handhabung des § 140 StPO Hilfestellung leisten sollten, keine allgemeine Akzeptanz gefunden. Nach wie vor halte ich aber die Kölner Richtlinien in ihren Kernaussagen für zeitgemäß, insbesondere bei der Forderung, bei jeder Verhängung von Jugend- bzw. Freiheitsstrafe, ebenso wie bei allen Schöffengerichtssachen, einen Verteidiger zu bestellen58. In diesem Sektor gibt es m.E. noch einen großen Nachhilfebedarf an Rechtsstaatlichkeit.
e) Verteidigerkonsultation/Schutz
des Verteidigerkontakts
Um so mehr habe ich mich gefreut, daß von BGHSt 42, 15 das Kontaktrecht zwischen Beschuldigtem und Verteidiger besonders großzügig bzw. die Belehrungspflicht der Polizei gem. § 136 StPO i. V. m. § 163 a III StPO über dieses Kontaktrecht besonders extensiv gehandhabt worden ist. Der BGH hat sich für ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich aller vom Beschuldigten vor der Polizei gemachten Aussagen ausgesprochen, wenn der Polizeibeamte zwar über das Kontaktrecht mit dem Verteidiger belehrt, dann aber dem Beschuldigten bei
56 Walter, in: M. Walter (Hrsg.), StrafVerteidigung für junge Beschuldigte - Versuch einer Bestandsaufnahme und einer Bilanz der „Kölner Richtlinien"; 1997, S. 26; s. auch Semrau/Kubink/Walter, MschrKrim 1995, 34. 57 Kölner Richtlinien, NJW 1989, 1024 mit Einführung von Walter, NJW 1989, 1022; dazu auch die einschlägigen Vorarbeiten von Beulke, in: Bundesjustizministerium (Hrsg.), Verteidigung in Jugendstrafsachen, 1987, S. 170. 58 Zur derzeitigen Diskussion Beulke, in: Walter (Hrsg.) (o. Fußn. 56), S. 37; Schaffstein-Beulke, Jugendstrafrecht, 13. Aufl., 1998, § 33/3, S.202; Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl., 1996, § 68 Rn 14 ff.; zum Erwachsenenrecht s. Herrmann, StV 1996, 396 und Schlothauer, R., Vorbereitung der Hauptverhandlung, 2. Aufl., 1998, Rn 191ff.; Zieger Verteidigung in Jugendstrafsachen, 3. Aufl., 1998, Rn 168.
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der Herstellung des Erstkontaktes zu einem Verteidiger doch nicht effektiv weitergeholfen hat. Das Überreichen des örtlichen Telefonbuches an einen der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten soll zumindest dann nicht ausreichen, wenn vor Ort ein rund um die Uhr tätiger Verteidigernotruf installiert ist, dessen Nummer man leicht hätte mitteilen können. Ich halte diese Entscheidung für einen wichtigen Meilenstein beim Ausbau der Rechtsstaatlichkeit. Jedoch kam der Rückschlag, noch ehe die Druckerschwärze meiner „Lobeshymne" 59 trocken war in Form der Entscheidung BGHSt 42, 170, die sogleich wieder das Gegenteil propagierte und ein Beweisverwertungsverbot bei nicht ausreichender Unterstützung der Bemühungen zur Verteidigerkonsultation ablehnte. Man sieht: Rechtsstaatlichkeit ist ein mühseliges Geschäft, bei dem man häufig den Eindruck gewinnt, daß wenig vorangeht. Völlig ungeklärt ist z.B. das Ausmaß des Schutzes des unbewachten Kontaktes zwischen Beschuldigtem und Verteidiger. Während der BGH zutreffend hervorgehoben hat, daß es eine Telefonüberwachung nicht geben darf, auch wenn der Verteidiger verdächtigt wird, zugunsten des Beschuldigten eine Strafvereitelung begangen zu haben60, ist noch nicht entschieden, ob der inzwischen von § 110 a StPO zugelassene Verdeckte Ermittler in eine Anwaltskanzlei eingeschleust werden darf. Auch hier wird man ein solches Recht der StrafVerfolgungsorgane generell ablehnen müssen, weil auch insoweit § 148 StPO vorrangig ist, was allerdings durchaus keine Selbstverständlichkeit darstellt, da nach herkömmlicher Gesetzessystematik eigentlich die lex posterior des § 110 a StPO vorrangig sein müßte und diese lex posterior gerade keinen Verteidigervorbehalt enthält (im Gegensatz zu der inzwischen in § 100 d III S. 1 StPO getroffenen Regelung zum großen Lauschangriff). M. E. besteht ein derartiges Einschleusungsverbot - ebenso wie bei der Telefonüberwachung - unabhängig davon, ob ein StrafVereitelungs- oder sogar ein Teilnahmeverdacht erhoben wird 61 . Erst wenn der Verteidiger gem. § 138 a StPO ausgeschlossen ist, kann gegen ihn als Beschuldigten ein verdeckter Ermittler eingesetzt werden.
f) Befugnisse im Ermittlungsverfahren Zu den aus meiner Sicht weitgehend ungeklärten Bereichen gehören nach wie vor auch die Rechte des Verteidigers im Ermittlungsverfahren. Hier hat es lediglich bei der Frage des Akteneinsichtsrechts einige Verbesserungen gege-
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Beulke, NStZ 1996, 257; zum Problem u.a. auch Fahl, JA 1996, 747; Geppert, Jura Kartei 1996, StPO, § 136 1/12; Herrmann, NStZ 1997, 209; Jung, JuS 1996, 1027; Müller, StV 1996, 353; Roxin, JZ 1997, 343; Schneider, Jura 1997, 131. 60 BGHSt 33, 347. 61 Beulke, Jura 1986, 643.
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ben. Der § 147 II StPO läßt noch eine generelle Verweigerung der Akteneinsicht wegen Gefährdung des Untersuchungszweckes zu, sofern es sich nicht um Vernehmungsprotokolle i. S. v. § 147 III StPO handelt. Im Schrifttum wird immer lebhafter ein generelles Akteneinsichtsrecht, zumindest eine justizielle ^ β φ Γ ϋ ί ί π ^ π ^ Ι ί ^ ε ΐ ί der Versagung der Einsichtnahme gefordert 62. Die Rechtsprechung hat diesem Druck bisher kaum nachgegeben63. Immerhin hat sie im Anschluß an den Fall Lamy des EGMR anerkannt, daß zumindest beim inhaftierten Beschuldigten die für die Bekämpfung der Voraussetzungen der Verhängung von Untersuchungshaft notwendigen Unterlagen generell nicht vorenthalten werden dürfen 64. Auf anderen Gebieten des Ermittlungsverfahrens ist alles ungewiß. So weiß z.B. niemand, ob der Verteidiger eine Gegenüberstellung zwischen Opferzeugen und Beschuldigtem (mit mehreren ähnlich aussehenden Personen) vornehmen darf. Da einer Gegenüberstellung nur beim ersten Mal Beweiswert zukommt, könnte eine falsch gehandhabte Ermittlungstätigkeit u.U. verfahrensentscheidend sein. Ich habe mich gegen die Zulässigkeit der Durchführung einer solchen Gegenüberstellung ausgesprochen65, ohne damit bisher auf Zustimmung gestoßen zu sein. Völlig ungeklärt ist aus meiner Sicht ferner der Bereich der Aktenaufbewahrung. Wie lange darf ein Verteidiger welche Akten seines Mandanten behalten? Der Mandant wird sie beim Verteidiger für (relativ) beschlagnahmesicher halten. Die StA kann gem. § 97 II StPO auf sie zugreifen, wenn der Verdacht der Strafvereitelung besteht. Ob und ab wann § 258 StGB erfüllt ist, ist aber gerade unklar, denn richtiger Ansicht nach wird niemand dem Verteidiger verwehren können, die Akten zunächst in Empfang zu nehmen, um zumindest zu prüfen, ob sie strafrechtlich relevant sind. Μ . E. muß der Verteidiger die Akten nach kurzer Prüfung zurückgeben - andernfalls handelt er prozeßrechtswidrig 66. Unklar ist ferner z.B. auch noch, inwieweit der Verteidiger Opfern oder Zeugen im Namen des Beschuldigten als Gegenleistung für ein bestimmtes prozessuales Verhalten finanzielle Vorteile in Aussicht stellen darf. Man denke an die Zahlung einer Geldsumme für die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 52 StPO. Im Schrifttum wird das z.T. für zulässig gehalten67.
62 Statt aller: Welp, StV 1989, 194 - zurückhaltender: Pfeiffer, in: Festschrift für Walter Odersky, 1996, S. 453, 462. 63 S. nur OLG Karlsruhe NStZ 1997, 49. 64 BVerfG NStZ 1994, 551; Beulke, StPO (o. Fußn. 2), Rn 161. 65 Beulke, Strafbarkeit (o. Fußn. 5), Rn 91, 259. 66 Beulke, Rn 65 ff., 232 ff.; s. auch LR-Schäfer (o. Fußn. 7), Rn 55 ff. 67 U.a.: Schönke/Schröder-Stree, StGB, 25. Aufl., 1997, § 258 Rn 20.
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Meine eigene Stellungnahme geht in die gegenteilige Richtung 68 . Neuere Positionsbestimmungen des BGH stehen noch aus. Die Beispiele der noch offenen Fragen ließen sich unendlich vermehren. Jedes Detailproblem hängt unmittelbar mit der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, aber auch mit der Verfahrenseffizienz zusammen. Gerade im Ermittlungsverfahren hat man über Jahrhunderte der Verfahrenseffizienz den Vorrang eingeräumt und jeder Schritt in Richtung verstärkter Rechtsstaatlichkeit für den Beschuldigten mußte dem Staat zäh abgerungen werden. Da es einer prozessualen Binsenweisheit entspricht, daß die prozessualen Weichen im Ermittlungsverfahren gestellt werden, lohnt es sich auch in Zukunft, gerade hier für mehr Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen.
2. Reformbemühungen im Strafverfahren Im - aus Zeitgründen leider sehr viel kürzeren - zweiten Teil meines Referats möchte ich auf die jüngsten gesetzgeberischen Reformbemühungen eingehen, deren erklärtes Ziel es sein soll, die angeblich ernsthaft bedrohte Verfahrenseffizienz zu erhöhen. Zur Bewältigung der derzeitigen Krise des Strafverfahrens werden seit vielen Jahren Änderungen geplant, z.T. auch verwirklicht, so z.B. durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11.01.199369, um nur eine besonders wichtige Reform zu nennen. Dieses Gesetz war ein Glied einer langen Kette gesetzgeberischer Versuche, das Strafverfahren praktikabel und vor allem auch finanzierbar zu halten. Auch derzeit wird Vieles geplant und an diesen Gesetzesvorschlägen läßt sich erneut exemplarisch das Spannungsverhältnis zwischen Rechtsstaatlichkeit einerseits und Verfahrenseffizienz andererseits erkennen. Im Zentrum des Interesses steht dabei der Bundesratsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 07.05.199670. Frister 71 hat bereits eindrucksvoll dargelegt, in welch weitreichendem Maße eine Realisierung dieses Reformprojektes die Verteidigungsrechte einschränken würde. Zwar hat auch die Bundesregierung gegenüber einigen Regelungen Skepsis erkennen lassen, z.T. hat sie ihnen sogar ausdrücklich widersprochen, angesichts der Zustimmung im Grundtenor und angesichts des derzeit von der Öffentlichkeit ausgehenden Drucks in Richtung auf eine Entlastung der Straf-
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Beulke, Strafbarkeit (o. Fußn. 5), Rn 58. BGBl 1993,50. 70 BT-Drs. 13/4541. 71 Frister, StV 1997, 150; s. auch Scheffler, in: Strafverteidigervereinigungen [Hrsg.], Aktuelles Verfassungsrecht und Strafverteidigung, 20. Strafverteidigertag vom 22. - 24. März 1996 in Essen, 1996, S. 261. 69
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rechtspflege durch Einschränkung von Verteidigerrechten muß man in Zukunft aber durchaus mit der Realisierung einzelner Reformvorhaben rechnen. Es wäre unmöglich, hier auf alle Einzelheiten einzugehen. Deshalb möchte ich nur einige wenige Aspekte aufgreifen:
a) Richterablehnung Bei der Richterablehung soll die Zurückweisung von Befangenheitsanträgen erleichtert werden, indem das Unverzüglichkeitserfordernis des § 25 II StPO nun für alle Richterablehnungen gelten soll und indem das Gericht die Befugnis erhält, bei Einstimmigkeit die Befangenheit als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, und zwar unter Mitwirkung des befangenen Richters (Art. 2 Nr. 3). Eine solche Regelung wäre ein eklatanter Bruch mit dem fundamentalen Verfahrensprinzip, daß nur ein unbefangener Richter über die Rechtssache entscheiden darf. Die damit gewonnene Beschleunigung stünde in keinem Verhältnis zum Schaden, der aus der Mißachtung unserer herkömmlichen Prozeßmaximen erwüchse.
b) Beweisanträge Beweisanträge sollen erleichert verworfen werden können, indem gem. § 244 III StPO eine Ablehnung bereits dann zugelassen wird, wenn der Beweisantrag „nach der freien Würdigung des Gerichts" zum Zwecke der Prozeßverschleppung gestellt ist (Art. 2 Nr. 24). Auch hier wird - wie Frister zutreffend herausgearbeitet hat 72 -, der Nerv des rechtsstaatlichen Verfahrens getroffen, denn der Beweisantrag ist in der Hauptverhandlung die einzige Möglichkeit des Beschuldigten, den sonst allein vom Gericht beherrschten Verfahrensablauf nachhaltig zu beeinflussen. Der Entwurf mißachtet die „kompensatorische Funktion des Beweisantragsrechts" 73. Bei großzügiger Auslegung wird praktisch das gesamte Beweisantragsrecht zur Disposition des Gerichts gestellt. M. E. hat man sich insoweit im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz zu einseitig auf die Seite der Verfahrenseffizienz geschlagen. Die wenigen Exzeßfälle, die gar nicht geleugnet werden können, sollte man nicht zum Anlaß für Regelungen nehmen, die die Richterschaft praktisch von jeder höchstrichterlichen Kontrolle befreit.
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Frister, StV 1997, 150, 153. Schulz, StV 1991,354, 361.
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c) Rechtsmittel Für diskutabel halte ich hingegen eine ganze Reihe anderer Vorschläge, so z.B. die Einschränkung der Rechtsmittel in Form der Ausweitung der Annahmeberufung auf 90 Tagessätze sowie auf das Fahrverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist bis zu 9 Monaten (Art. 2 Nr. 30). Auch mit der Umformung der Rechtsmittel gegen amtsgerichtliche Urteile nach dem Vorbild des Jugendstrafrechts in ein sog. Wahlrechtsmittel, bei dem man sich zwischen Berufung oder Revision entscheiden muß (Art. 2 Nr. 36), könnte man m.E. leben. Ich glaube nicht, daß unser Rechtsstaat ernsthaft in Gefahr geriete, wenn in unbedeutenderen Fällen lediglich eine Tatsacheninstanz zur Verfügung stünde74. Mit diesen wenigen, unendlich vermehrbaren Beispielen der Reformpläne möchte ich es hier bewenden lassen. Insgesamt bin auch ich der Ansicht, wir sollten uns diese Reformschritte gründlich überlegen. Sie basieren, wie Frister 75 richtig erkannt hat, auf dem Vorverständnis der weitgehenden Überflüssigkeit der Verfahrensbeeinflussungsmöglichkeiten durch den Beschuldigten, weil Gericht und Staatsanwaltschaft angeblich ihrerseits bereits ausreichend dafür Sorge tragen, daß in unseren Gerichtssälen nichts Unrechtes passiert. Wer so denkt, mag sich in vielen Gerichtsverhandlungen durchaus bestätigt fühlen - insbesondere im Rahmen der Jugendgerichtsbarkeit - er verdrängt aber die Erfahrungen aus den wirklich streitigen Prozessen. Jeder erfahrene Praktiker, insbesondere jeder versierte StrafVerteidiger, weiß, wie menschlich dann die Richter und Staatsanwälte werden, wie sie um jeden Preis gerade ihre Sicht der Dinge durchzusetzen versuchen und wie sehr in einigen wenigen Einzelfällen sie trotz aller beruflichen Professionalität die ausreichende Objektivität vermissen lassen.
3. Resümee Das mir vorgegebene Thema der Strafverteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz erweist sich also - wen sollte es wundern - als weites Feld. In einen noch größeren Gesamtzusammenhang gestellt, möchte ich vor allem hervorheben: - Wir haben derzeit durchaus eine Krise des Strafverfahrens, die mit universitärer Überheblichkeit vom Tisch zu wischen höchst unklug wäre. Wenn es bedrängte Gerichte gibt, die glauben, nicht mehr in der Lage zu sein, Strafverfahren sinnvoll beenden zu können, so ist das ein Alarmzeichen, das uns zu denken 74 75
Ebenso Meyer-Goßner, StV 1997, 212, 214. Frister, StV 1997, 150, 157.
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geben muß, denn auch die Aufrechterhaltung einer effektiven Strafverfolgung liegt in unser aller Interesse. Sie darf selbstverständlich auch aus der Warte der Strafverteidigung nicht geleugnet werden. Die Garantie des rechtsstaatlichen Verfahrens gilt nicht absolut, sondern konkurriert gleichrangig mit der staatlichen Pflicht der Bestrafung des Schuldigen. Nur so läßt sich das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährleistung einer rechtsstaatlichen, der Gerechtigkeit verpflichteten Strafrechtspflege verwirklichen 76 . Betrachtet man die legislatorischen Maßnahmen der letzten 15 Jahre im Bereich des StrafVerfahrensrechts, so sind zwar "Verfallstendenzen" - wie das Rieß 77 genannt hat - erkennbar, einen anderen Strafprozeß haben wir aber durchaus noch nicht. Nicht bei jeder Begrenzung des Aktionsradius der Verfahrensbeteiligten muß gleich mit dem drohenden Untergang des Rechtsstaates argumentiert werden 78. - Andererseits sollten wir uns nicht den Schuh anziehen, daß die Belastungen der Straf]ustiz nur oder vor allem den handelnden Strafjuristen, und zwar insbesondere den Strafverteidigern, anzulasten seien79. Wir alle gehen heute anders miteinander um als früher. Das betrifft die Schulen, die Universitäten und das Klima am Arbeitsplatz, und der gehobene professionelle Diskurs macht natürlich auch vor den Gerichtstüren nicht halt. Wenn wir diesen Zuwachs an Definitionsmacht der Beteiligten im Grundsatz gutheißen, sollten wir auch die damit verbundenen Nachteile wie z.B. die Verfahrensverlängerung hinnehmen. Einer breiteren Öffentlichkeit muß klargemacht werden, daß eine starke StrafVerteidigung kein minder schutzwürdiges Rechtsgut ist als all die anderen, im materiellen Recht geschützten Werte, wie z.B. Eigentum und Vermögen, worauf unlängst Hassemer erneut zutreffend hingewiesen hat 80 . Wer jemals selbst in die Mühlen der Justiz geraten ist oder Beschuldigte in ihrem schier aussichtslosen Kampf gegen die staatliche Übermacht unterstützt hat, weiß um die Bedeutung einer starken Verteidigung. Schließlich liegt die Definitionsmacht im Ermittlungsverfahren allein bei der Staatsanwaltschaft - später nahezu allein beim Gericht. - Wir dürfen also nicht müde werden vorzutragen, daß eine starke Verteidigung eben doch im Interesse aller liegt, weil alle den Rechtsstaat aufrechterhalten wollen. Trotz der Knappheit der Ressource „Recht", die es in demokratischer Weise aufzuteilen gilt, ist es legitim, für einen Ausbau der Rechte des Verteidigers zu plädieren, und wir werden damit um so eher Gehör finden, je
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BVerfGE 80, 363; Beulke, StPO (o. Fußn. 2), Rn 3. Rieß, NStZ 1994, 412; so jetzt auch Frehsee, in: Frehsee/Löschner/Smaus (Hrsg.), Konstruktion der Wirklichkeit durch Kriminalität und Strafe, 1997, S. 26. 78 Insoweit zutreffend Fischer, NStZ 1997, 212. 79 S. auch ter Veen, StV 1997, 374; Jungfer, AnwBl 1997, 98; Kempf AnwBl 1997, 75; Müller, AnwBl 1997, 89. 80 Hassemer, ZRP 1997, 316,319. 77
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deutlicher wir auch unsererseits konzedieren, daß verfahrenshemmende Faktoren, zu denen auch die StrafVerteidigung gehört, in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen mit den staatlichen Machtmitteln zur wirksamen Verbrechensbekämpfung. Ich glaube, daß der Staat hier längst nicht auf so verlorenem Posten steht, wie es uns die Medien und die Öffentlichkeit derzeit suggerieren und daß es in vielen kleinen Einzelfragen trotz mancher Verbesserungen in den letzten Jahrzehnten eher zu wenig als zu viel Rechtsstaat gibt, und zwar vor allem im Ermittlungsverfahren, wo die eigentlichen Weichen gestellt werden. Aus meiner Sicht gibt es also keinen Königsweg, der uns aus der derzeitigen Krise führte. Die Notwendigkeit von Schutzregelungen zugunsten des unschuldigen sowie des schuldigen Angeklagten ist heute genauso groß wie früher. Sie ist systemunabhängig. Wenn sich der Zeitgeist momentan diesen Erkenntnissen verschließt, sollten wir ihm nicht huldigen. Rechtsstaatlichkeit ist und bleibt ein der Verfahrenseffizienz gleichrangiges Gut.
StrafVerteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz in Japan Von Kyoko Yamana
I. Übersicht von der Diversion im japanischen Strafverfahren In Deutschland hat der Bundesrat am 1.3.1996 den „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege" beschlossen. Der Entwurf enthält die Erweiterung der Einstellungsmöglichkeiten nach den §§ 153ff StPO. In diesem Zusammenhang möchte ich mich mit der Diversion im japanischen Verfahren beschäftigen. In Japan gilt das Opportunitätsprinzip letztlich unbegrenzt bei der Anklageerhebung durch den Staatsanwalt. Wenn der Staatsanwalt Anklage erhebt, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung sehr groß, nämlich 98%. Das bedeutet, daß die Selegierung durch den Staatsanwalt eine große Rolle im Strafverfahren spielt („Staatsanwalt-Rechtspflege"). In Japan ist die Polizei die primäre Ermittlungsbehörde, und sie kann selbständig, also nicht als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, ermitteln. Die Polizei kann auch Bagatellsachen einstellen, hat also das Recht zur Ausübung (abgeleiteter) Opportunität. In diesem Referat möchte ich hauptsächlich die gegenwärtige Lage der Diversion durch die Polizei und den Staatsanwalt sowie die daraus entstehenden Probleme beschreiben. Der deutsche Entwurf enthält unter anderem auch einen gewissen Abbau von Verfahrensrechten im Beweisrecht. In Verbindung mit damit möchte ich mich mit der in der japanischen Praxis effizienten Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kritisch auseinandersetzen.
II. Der Ausfilterungsprozeß auf polizeilicher £bene 1. § 246 jap. StPO verpflichtet die Polizei zur Weiterleitung aller Ermittlungsergebnisse an den Staatsanwalt. § 246 jap. StPO lautet, „ Sofern dieses Gesetz nichts anderes vorsieht, hat der Justizpolizeioffizier, der die Ermittlungen eines Verbrechens gefuhrt hat, den Fall unverzüglich mit den Unterlagen und Beweisgegenständen an den Staatsanwalt weiterzuleiten. Dies gilt jedoch
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nicht fur eine vom Staatsanwalt besonders angeordnete Sache." Die Ausnahme vom Grundsatz der Weiterleitung steht bereits im Satz 2 des § 246, die in § 198 der jap. Polizeivorschrift konkretisiert wird. „ Die Polizei muß den Fall nicht an den Staatsanwalt weiterleiten, wenn die Straftat, die von ihr ermittelt wurde, sehr gering ist und wenn vorher vom Staatsanwalt besonders angeordnet wurde, daß die Sache nicht an den Staatsanwalt weitergeleitet werden muß." Diese Vorschrift ermöglicht es der Polizei, den Fall einzustellen („die Einstellung der Bagatelldelikte durch die Polizei"). 1995 betrug die Zahl der erwachsenen Beschuldigten, ohne die Beschuldigten in Verkehrssachen, 166 205. Davon konnten 83 174 von der Polizei eingestellt werden, d.h. die Einstellungsrate durch die Polizei liegt bei circa 50%. Z.B bei Diebstahl 59.5%, bei Betrug 36.5% und bei Gewalttaten 10.2%. 2. Ein leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft einer großen Stadt bestimmt diejenigen Fälle, die die Polizei einstellen kann. Delikte, die von Erwachsene begangen und durch die Polizei ermittelt wurden, muß der Justizpolizeioffizier an den Staatsanwalt dann nicht weiterleiten, wenn es sich bei dem Delikt um Diebstahl, Hehlerei, Betrug, einfache Unterschlagung, einfaches Glücksspiel oder ein Gewalttat handelt. Ferner muß die Tat als Bagatelldelikt nach den unten erwähnten Maßstäben und somit für eine nicht strafwürdige Tat gehalten werden. Schließlich darf der Beschuldigten keine Vorstrafe wegen eines Delikts gleicher Art aufweisen und er darf kein Gewohnheitstäter sein. Jedoch sind folgende Fälle ausgenommen: a) die Beweislage bezüglich des Beschuldigten ist nicht eindeutig, b) der Beschuldigte wurde nach den Vorschriften über die einfachen Festnahme oder die Festnahme im Dringlichkeitsfall festgenommen, c) der Beschuldigte wurde nach den Vorschrift über die Festnahme des auf frischer Tat betroffenen Täters festgenommen und über 24 Stunden festgehalten, d) ein Antrag, eine Anzeige oder eine Selbstanzeige vorliegt, e) der leitende Staatsanwalt ordnet die Weiterleitung besonders an. Maßstäbe : Die Einstellung als Bagatelldelikt erfolgt in folgenden Fällen. a) Diebstahl: Wenn etwa Diebstahl im Freien oder durch den Mitbewohner begangen wurde, die Umstände der Straftat nicht arglistig sind, und der Schadensbetrag bis zu ca. 10 000 Yen (140DM) geht. Allerdings können auch Fälle, in denen eine Schadensanerkennung vorgelegt wird oder in denen eine Wiedergutmachung vereinbart werden konnte, als Bagatelldelikt eingestuft werden, wenn dieser Schadensbetrag überschritten wird.
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b) Hehlerei und einfache Unterschlagung: Es müssen mildernde Umstände eingreifen und der Schaden darf ca. 10 000 Yen nicht überschreiten. c) Betrug: Die Tat muß leicht sein, z.B. Zechprellerei oder Schwarzfahrt, es dürfen keine erschwerenden Umstände hinzukommen, und der Schaden darf nicht höher als 10 000 Yen sein. d) einfaches Glücksspiel: Die Umstände der Tat müssen leicht sein, z.B. aus Gründe des Wetteinsatzes, der Zahl der Teilnehmer, der teilnehmende Personen oder der Art des Glücksspiels. e) Gewalttat: Der Fall muß zufällig passieren, die Umstände der Tat müssen leicht sein, und das Opfer verzichtet auf eine Strafe für den Täter. In jeder Stadt gibt es entsprechende Anordnungen vom jeweiligen leitenden Staatsanwalt. Diese Anordnungen werden nicht veröffentlicht. Der Staatsanwalt bekommt den Abschlußbericht der Polizei, aber es ist nicht klar, ob und wie weit der Staatsanwalt diesen nachprüft. 3. Dem Beschuldigten muß seine gegenwärtige Lage und der Verfahrensgang mitgeteilt werden, damit er sein Recht auf Verteidigung und sein Selbstbestimmungsrecht wahrnehmen kann. Wenn der Verteidiger vom Beschuldigten mit der Strafverteidigung beauftragt wird, soll er von seinem Mandanten den Sachverhalt möglichst ausfuhrlich in Erfahrung bringen. Wenn er den Mandant in den vorerwähnten Fällen für schuldig hält, soll er von der Polizei die Einstellung auf polizeilicher Ebene fordern. Allerdings muß er sich immer im Rahmen der Weisungen seines Mandanten bewegen. Er hat die Pflicht, seinen Mandanten möglichst umfassend über das Verfahren zu informieren. Das ist wesentlich, um das Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten zu gewährleisten. Jedoch ist die Zahl der Rechtsanwälte in Japan im Vergleich zu Deutschland sehr gering, nämlich insgesamt 14,814 im Jahr 1993. Daher ist es für die Beschuldigten vor allem in Bagatellsachen schwierig, einen Verteidiger zu finden, der bereit ist, die Angelegenheit zu einem erschwinglichen Honorar zu übernehmen. Es wäre daher sehr wünschenswert, die Zahl der Rechtsanwälte drastisch zu erhöhen und das System der Pflichtverteidigung vor Anklageerhebung durchzusetzen.
I I I . Der Ausfilterungsprozeß auf staatsanwaltlicher Ebene 1. Die Anklage wird durch den Staatsanwalt erhoben (§ 247 jap. StPO). § 248 jap. StPO regelt das Opportunitätsprinzip. „Erscheint die Erhebung einer Anklage nach Berücksichtigung des Charakters, des Alters und der Umstände
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des Täters, der Schwere und der Umstände der Straftat und der Umstände nach der Tat unnötig, so kann von der Erhebung der Anklage abgesehen werden." Nach dieser Vorschrift kann der Staatsanwalt den Fall selbständig einstellen, und von der Anklageerhebung absehen, selbst wenn die Tat strafbar ist und der Beschuldigte unter ausreichendem Tatverdacht steht. Bei der Einstellung nach dieser Vorschrift, also beim Absehen von der Anklageerhebung, werden mehrere Elemente in Betracht gezogen. Als Ermessenselemente des Staatsanwalts werden die persönliche Lage des Täters, der Sachverhalt und die Umstände nach der Tat berücksichtigt. Die persönliche Lage des Täters ergibt sich aus seinem Charakter, seinem Alter und seiner Umgebung. Bezüglich des Charakters wird z.B. auf das Benehmen, die Gewohnheiten, den Lebenslauf und die Vorstrafen abgestellt. Die Familienverhältnisse , der Beruf, der Wohnort und der Bekanntenkreis ergeben das Merkmal der Umgebung. Weiter wird der Sachverhalt in Betracht gezogen, also die Schwere und die Umstände der Straftat. Die Schwere der Straftat bestimmt sich aus der Höhe der gesetzlichen Strafe und dem Grad der Schädigung. Das Motiv, der Grund, die Methode, der Trick, der Gewinn, das Verhältnis zum Opfer, der soziale Einfluß und der Hang zur Nachahmung zählen zu den Umständen der Straftat. Außerdem werden auch noch die Umstände nach der Tat berücksichtigt. Dazu gehören Reue, Abbitte, das Streben nach Wiedergutmachung, einerseits Flucht und Beweismittelvernichtung andererseits. Die Wiedergutmachung oder die nachträgliche Beilegung des Konflikts und das Verhalten des Opfers vor und bei der Tat zählen zu den Umständen der Schädigung. Schließlich werden die Veränderung der sozialen Situation oder der Verlauf der Zeit nach der Tat berücksichtigt. Diese Elemente werden bei der Einstellungsentscheidung vom Staatsanwalt kumulativ in Betracht gezogen. Der Maßstab der Anklageerhebung bzw. ihrer Unterlassung ist jedoch unklar, weswegen die Präzisierung und die Objektivierung dieses Maßstabes gefordert werden sollten. Dafür sollte der Staatsanwalt schriftlich zu den Akten begründen müssen, warum er von der Anklage abgesehen hat. Er muß die Papiere für die Nichterhebung der Anklage ausfüllen. Diese Papiere sollten bekanntgemacht werden, um den Maßstab, den der Staatsanwalt bei der Einstellung des Verfahrens angelegt hat, feststellen zu können. Dadurch sollte der Staatsanwalt sein Ermessen objektivieren. In der Literatur wurde die Meinung geäußert, daß der Staatsanwalt neutral zwischen dem Beschuldigten und der Polizei wie ein Richter beurteilen müsse, oder daß er verpflichtet werden soll, objektiv zu beurteilen. Nach der herrschenden Meinung ist der Staatsanwalt allerdings Ermittlungsbehörde, also nicht neutral, sondern eine Partei im Strafverfahren.
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2. Insbesondere bei der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr spielt die Vorschrift des § 248 jap. StPO eine große Rolle. 1987 hat die Staatsanwaltschaft bei der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr die Maßstäbe fur ein Absehen von der Anklage geändert. 1985 hatte die Staatsanwaltschaft in 65.4% der Fälle, die von der Polizei weitergeleitet worden waren, Anklage erhoben, während sie dies 1991 nur noch in 19.3% der Fälle getan hatte. Die Maßstäbe fur die Anklageerhebung waren hauptsächlich folgende: der Grad der Körperverletzung durfte nicht gering sein, die Beilegung des Streits zwischen Täter und Opfer war nicht zustandegekommen, oder es lagen erschwerende Umstände vor wie z.B. Fahrerflucht. In den Fällen, in denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt waren, sah der Staatsanwalt grundsätzlich von der Anklage ab. Aber nun haben sich diese Maßstäbe gelockert, und der Staatsanwalt erhebt die Anklage nur noch in den Fällen, in denen die fahrlässige Körperverletzung eine schwere Folge hat, wie z.B. den Tod des Verletzten, eine Streitbeilegung nicht zustandekommt oder wenn zusätzlich erschwerende Umstände wie Fahrerflucht hinzutreten. Bei Fällen, in denen in früheren Zeiten selbstverständlich Anklage erhoben und der Antrag auf die Hauptverhandlung gestellt wurde, wird die Anklage nunmehr meist unterlassen. Allmählich wird die Anklageerhebung bei der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr zum Ausnahmefall werden. 3. Zu fragen bleibt, ob das verstärkte Absehen von der Anklageerhebung richtig ist. In Wirklichkeit geht es um die Undurchschaubarkeit des Maßstabes bei der Anklageerhebung und darum, daß das Sinken der Anklageerhebungsrate schlampiges Arbeiten bei der Polizei bewirkt, weil der Staatsanwalt selbst in aufwendig ermittelten Fällen oft das Verfahren einstellt. Da der Staatsanwalt sehr großen Entscheidungsfreiraum hat, bemüht der Verteidiger sich darum, Argumente zu finden und zu piazieren, die den Staatsanwalt zu einer Einstellung bewegen könnten. So behauptet der Verteidiger etwa, daß die Tat nicht strafwürdig sei, daß kein hinreichender Tatverdacht bestünde, oder daß nach § 248 von der Anklageerhebung abgesehen werden sollte. Um mit dem Staatsanwalt über die Nichterhebung der Anklage zu verhandeln, ist ein Verteidiger erforderlich. Jedoch haben im Ermittlungsverfahren viele Beschuldigte überhaupt keinen Verteidiger. Insbesondere bei Inhaftierung des Beschuldigten, hat die Kommunikation mit dem Verteidiger eine große Bedeutung. Auch wenn der Verteidiger sich mit dem Fall des Beschuldigten beschäftigt, ist der Verkehr zwischen ihm und dem Beschuldigten, vor allem beim Fall des Leugnens der Tat, vom Staatsanwalt extrem beschränkt (vgl. § 39 Abs.3 jap. StPO). Auch hier ist es dringend erforderlich, das Pflichtverteidiger-System vor der Anklageerhebung zu verwirklichen und einen genügenden Informationsaustausch durch den freien Verkehr zwischen Beschuldigten und Verteidiger zu gewährleisten.
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IV. Die Effizienz in der Hauptverhandlung 1. Der deutsche Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege enthält den Abbau von Verfahrensrechten im Beweisrecht. Zum einen wird die Erleichterung der Ablehnung von Beweisanträgen, zum anderen die Erweiterung der Ausnahmen vom Grundsatz der persönlichen Vernehmung gefordert. Mit Blick auf die Erweiterung der Ausnahmen vom Grundsatz der persönlichen Vernehmung in Deutschland möchte ich die japanische Situationen kritisch beschreiben. In der japanischen StPO gilt Folgendes: der Grundsatz der mündlichen Verhandlung und die grundsätzliche Unzulässigkeit des Hörensagenbeweises ( § 320). Leider ist letzterer von vielen Ausnahmen durchlöchert ( vgl. §§ 32Iff). Insbesondere das Vernehmungsprotokoll des Staatsanwaltes spielt in der Hauptverhandlung eine große Rolle. Die oben erwähnte Grundsätze werden sehr häufig nicht befolgt, und ein sog. „Protokoll-Prozeß" wird durchgeführt. Dazu regelt § 326 „Schriftstücke und Aussagen können als Beweis verwertet werden, wenn der Staatsanwalt und der Angeklagte zustimmen und das Gericht nach Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Schriftstücke oder die Aussagen zustande gekommen sind, es für angemessen hält." Hinsichtlich dieser Vorschrift liegt eine schwierige Situation vor, auf die unten näher eingegangen wird. 2. Neuerdings ist die Aussetzung der Untersuchungshaft gegen Sicherheitsleistung erstaunlich selten. 1995 betrug diese Rate 19%, während sie 1972 noch 58% ausmachte. Die Verhaftung von Angeklagten ist vor allem in Fällen des Leugnens der Tat die Regel geworden. 1993 haben die Gerichte in der ersten Instanz 64 428 Hauptverhandlungen eingeleitet. In 38 789 dieser Fälle wurde noch im selben Jahr ein Haftbefehl ausgestellt. Davon wurde in 16 256 Fällen im selben Jahr die Freilassung gegen Sicherheitsleistung beantragt, wovon in 9 092 Fällen im selben Jahr vor Ende des Prozesses dem Antrag auf Freilassung gegen Sicherheitsleistung entsprochen wurde. Die Verhaftungsrate beträgt 60.2%, und die Aussetzungsrate gegen Sicherheitsleistung 23.4%. Die Genehmigungsrate der Anträge auf Aussetzung gegen Sicherheitsleistung betrug 58.7%. Die Tendenz geht heute dahin, daß die Verhaftungsrate steigt, und die Rate der Aussetzung der Untersuchungshaft sinkt. Da die Verhaftung vor allem in Fällen des Leugnens der Tat die Regel geworden ist, entsteht das Problem, daß die Verteidiger sich dem Unvermeidlichen fügen und in diesen Fällen die Aussetzung gegen den Willen ihrer Mandanten nicht beantragen. 1995 betrug die Anzahl der Anträge auf Freilassung gegen Sicherheitsleistung 18 146 bei allen
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Gerichte, während 1991 21 316 Anträge gestellt wurden. Die Zahl der Anträge zeigt eine deutlich abnehmende Tendenz. Das Gericht, welches die Hauptverhandlung übernimmt, zielt auf die Prozeßbeschleunigung, und es ist für das Gericht sehr praktisch, daß der Angeklagte verhaftet ist: Die Verteidiger müssen den Druck berücksichtigen, der aufgrund der Verhaftung auf dem Angeklagten lastet. Um den Angeklagte so schnell wie möglich auf freien Fuß zu bekommen, wollen die Verteidiger die Hauptverhandlung befördern. Dafür müssen sie nach § 326 der Beweisverwertung der Protokollen zustimmen. In der Tat sind die Verteidiger oft in einer Situation, in der sie über die Beweisverwertung der Protokollen des Staatsanwaltes nicht streiten können und daher zustimmen müssen. Sie geraten in ein Dilemma und müssen eine schwere Wahl treffen. Zur Zeit hat die Verhaftung eines Beschuldigten eine große Bedeutung; sie hat sozusagen „Geiselfunktion". Jetzt ist es für den Tatrichter einfach, den Prozeß zu beschleunigen („GeiselRechtspflege")· 3. Was die Erleichterung der Ablehnung von Beweisanträgen in Deutschland anbelangt, möchte ich die gegenwärtige Lage in Japan kurz skizzieren. In Japan gibt es den Beweisantrag in der Praxis nicht als ein prozessuales Recht des Verteidigers. Er ist Gegenstand der Verhandlungsleitung des Vorsitzenden Richters, und es steht auch in seinem Ermessen, ob die Beweise nach den Beweisanträgen der Prozeßbeteiligten aufgenommen werden oder nicht. In der Literatur wird gefordert, daß der Beweisantrag als ein Recht des Angeklagte konstituiert werden soll. Jetzt ist es unsere Aufgabe in Japan, den „Protokoll-Prozeß" zu überwinden und den Unmittelbarkeitsgrundsatz und den Mündlichkeitsgrundsatz in der Hauptverhandlung zu verwirklichen, um die umfassende StrafVerteidigung als Postulat des Rechtsstaats zu gewährleisten.
V. Fazit Aufgrund der Einstellung von Bagatellsachen durch die Polizei und aufgrund des Absehens von der Erhebung der Anklage durch den Staatsanwalt werden viele Fälle in Japan schon vor der Anklageerhebung eingestellt. Jedoch sind die Maßstäbe auf jeder Ebene undurchsichtig, und das ist rechtsstaatlich problematisch. Wenn andererseits einmal Anklage durch den Staatsanwalt erhoben wurde, werden fast alle Angeklagten verurteilt (vgl. dazu schon Kühne, ZStW 1973, 1081 ff). Die Strafverteidigung vor der Anklageerhebung ist daher wichtig, aber zur Zeit äußerst ungenügend.
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Kyoko Yamana
Auch bei den Bagatellsachen muß dem Beschuldigten das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet werden, damit die Angelegenheit richtig erledigt werden kann. Dazu muß der Beschuldigte ausreichend informiert werden, wobei die Hilfe eines Strafverteidigers unentbehrlich ist. Die Effizienz und die Beschleunigung des Verfahrens wurden in Japan nicht von Seiten der Beschuldigten und Angeklagten, sondern von Seiten der Richter, Staatsanwälte und der Polizei in der Praxis verwirklicht, und zwar nicht durch die Änderung des Gesetzes, sondern durch die Änderung ihrer Anwendung. Die heutige japanische Strafrechtspflege richtet sich mehr nach der Verfahrenseffizienz als nach der Rechtsstaatlichkeit. Die Erweiterung und Bereicherung der Strafverteidigung ist die dringendste Aufgabe, um die heutige Strafrechtspflege in Japan zu verbessern.
Strafverteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz in Japan Ein Kommentar Von Katsuyoshi Kato
I. Einleitung Man sagt, die Entwicklungsgeschichte des Strafprozeßrechts sei vor allem die Geschichte der Ausdehnung des StrafVerteidigungsrechts gewesen. Das japanische Strafprozeßrecht hat nach dem zweiten Weltkrieg unter dem starken Einfluß des anglo-amerikanischen Rechts das Prinzip des Parteibetriebs als Prozeßstruktur eingeführt. Es ist jedoch fur den Beschuldigten bzw. Angeklagten in der Praxis sehr schwierig, seine prozessualen Rechte gut genug zu verstehen, um seinem Verteidigungsinteresse gegenüber den Ermittlungs- und Verfolgungsorganen nachkommen zu können. Daher ist die Unterstützung durch einen Strafverteidiger, der wie auch die Gegenseite spezifische juristische Kenntnisse hat, unerläßlich, wenn man eine wirklich gleichberechtigte Stellung der Parteien erreichen will. Das japanische Verfassungs- und Strafprozeßrecht gibt aus diesem Gedanken heraus dem Beschuldigten bzw. Angeklagten ein Verteidigerwahlrecht und schreibt vor, daß das Gericht auf Antrag einen Pflichtverteidiger bestellen muß, wenn der Angeklagte z.B. aus Gründen wirtschaftlicher Not selber keinen Wahlverteidiger beauftragen kann („System der Pflichtverteidigung4'). Ferner ist vorgeschrieben, daß in schweren Fällen ohne die Anwesenheit eines Verteidigers die Gerichtsverhandlung nicht eröffnet werden kann, und daß das Gericht, wenn kein Verteidiger für den Angeklagten gewählt wurde, diesem von Amts wegen einen Pflichtverteidiger für die Hauptverhandlung bestellen muß („System der notwendigen Verteidigung"). Ich möchte im folgenden einen Teil der von Prof. Beulke diskutierten Probleme über die StrafVerteidigung vom Standpunkt des japanischen Rechts aus kommentieren und somit hoffentlich etwas zur Vertiefung dieser Diskussion beitragen.
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Katsuyoshi Kato
II. Die prozessuale Stellung des Verteidigers Nach der herrschenden Meinung in Deutschland ist der Verteidiger kein einseitiger Interessenvertreter des Beschuldigten bzw. Angeklagten, sondern ein als „Beistand" neben ihm stehendes „selbständiges Organ der Rechtspflege", das auch den Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verpflichtet ist. Auch in Japan ist es herrschende Ansicht, daß der Verteidiger eine öffentliche Stellung innehabe, doch seine eigentliche Aufgabe selbstverständlich in der Verteidigung des Menschenrechts des Beschuldigten bzw. Angeklagten liege. Dies wird so verstanden, daß auch der Verteidiger zu Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtet ist, da die japanische StPO (§1) die Verwirklichung der Wahrheit und Gerechtigkeit als den hauptsächlichen Zweck nennt und das Rechtsanwaltsgesetz (§1) die Garantie des fundamentalen Menschenrechts und die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit zur Aufgabe des Verteidigers macht. Diese Funktion verpflichtet ihn jedoch nicht auf die fur Gerichte und Staatsanwaltschaft maßgebenden Ziele von Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern beschränkt ihn auf die Verwirklichung der Wahrheit und Gerechtigkeit durch den Schutz des Beschuldigten bzw. Angeklagten: Er ist also nicht positiv, sondern nur negativ verpflichtet. Das bedeutet aber nicht, daß der Verteidiger nur ein Vertreter des Beschuldigten bzw. Angeklagten sei. Der Verteidiger ist ein von ihm unabhängiger „Beschützer", dessen Aufgabe die Verteidigung seiner „gerechten" Rechte und Interessen ist. Auch in Japan diskutiert man die Wahrheitspflicht des Verteidigers im Fall, daß sich die Garantie des Menschenrechts und die Wahrheitsfindung gegenüberstehen. Die daraus resultierenden konkreten Probleme und die dazu herrschende Meinung werden im folgenden dargestellt. (1) Wenn der Angeklagte dem Verteidiger gegenüber ein Geständnis abgelegt hat, so darf der Verteidiger, wenn die dem Gericht vorliegenden Beweise zur Verurteilung nicht ausreichen, mangels Beweisen gleichwohl Freispruch beantragen; (2) Wenn der Angeklagte sich dagegen an Stelle des Schuldigen zu Unrecht schuldig bekannt hat, der Verteidiger aber von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist, soll er Freispruch beantragen, weil der Angeklagte kein „gerechtes" Interesse habe; (3) Wenn der Angeklagte Freispruch begehrt, darf der Verteidiger nicht gegen den Willen seines Mandanten dessen Verurteilung beantragen, weil dies seinem „gerechten" Interesse schaden würde; (4) Der Verteidiger darf dem Mandanten weder zur Flucht verhelfen, noch Beweisverdunkelung ermöglichen oder fördern, auch er hat kein Recht zur Lüge. Meines Erachtens läßt sich daher sagen, daß man in Japan und Deutschland zu ziemlich ähnlichen Lösungen kommt, obwohl es verhältnismäßig große Unterschiede bezüglich der Prozeßstruktur und der Stellung des Verteidigers gibt.
Strafverteidigung in Japan. Ein Kommentar
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I I I . Einzelne Diskussionspunkte 1. Mitwirkungspflichten des Verteidigers Ob im Fall einer rechtsmißbräuchlichen Beweisantragstellung durch den Angeklagten den Verteidiger die Pflicht trifft, dessen Beweisanträge zu filtern, ist in der japanischen Praxis nicht diskutiert worden, da der Verteidiger fast immer an Stelle seines Mandanten Beweisanträge stellt. Dieses Problem bedarf jedoch auch im Lichte der Rechtsstellung des Verteidigers einer näheren Betrachtung. Meines Erachtens hat die Problemlösung aber mit der sog. Organtheorie nichts zu tun. Ob der Verteidiger in der Hauptverhandlung zur Rüge der Verletzung eines Be weis verwertungs Verbots verpflichtet ist, ist eine sehr interessante Frage. Weil in Japan zum einen der Parteiprozeßgrundsatz gilt, wobei die Beweisaufnahme prinzipiell auf dem Beweisantrag der Parteien durchgeführt wird und das Gericht beim Beweisschluß die andere Seite anhören muß, und zum anderen der Hauptgrund für die Beseitigung rechtswidrig erlangter Beweismittel im Schutz des persönlichen Rechts liegt, betrachtet man die Zustimmung zur Beweisverwertung für gegeben, solange weder der Verteidiger noch der Angeklagte widersprechen. Der Verteidiger ist deshalb nach h. M. zur Rüge verpflichtet.
2. Generelles Verteidigerprivileg? Die Frage, ob Straftatbestände, die der Verteidiger im Zuge seiner Berufungsausübung verwirklicht hat, erst dann zu bejahen sind, wenn die Tat mit dem dolus directus ausgeführt worden ist, ist in Japan bisher kaum diskutiert worden. Man muß sich jedoch überlegen, ob man aus der Rechtsstellung des Verteidigers ein solches generelles Privileg herleiten kann. Im übrigen ist es selbstverständlich, daß ein Verteidigerhandeln, das im Einklang mit dem Prozeßrecht und den Regeln der Rechtspflege steht, nicht strafbar ist, auch wenn es eine Bestrafung des schuldigen Täters verhindert.
3. Notwendige Verteidigung Wie bereits geschildert, kann in schweren Fällen ohne die Anwesenheit eines Verteidigers die Gerichtsverhandlung nicht eröffnet werden, und das Gericht muß, wenn kein Verteidiger für den Angeklagten gewählt wurde, von Amts wegen einen Pflichtverteidiger bestellen. Dennoch hat der japanische oberste Gerichtshof vor zwei Jahren diesbezüglich eine Ausnahme anerkannt (Beschluß des OGH v. 27.3.1995). In diesem Fall hatte der Angeklagte das Erscheinen vor
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Katsuyoshi Kato
Gericht verweigert, seinen Verteidiger zur Abwesenheit gezwungen, und zudem waren die bestellten Pflichtverteidiger auch alle zurückgetreten. Die Hauptverhandlung wurde deshalb in Abwesenheit des Angeklagten und der Verteidiger eröffnet und der Angeklagte verurteilt. Der oberste Gerichtshof hat die Entscheidung bestätigt und diese Ausnahme damit begründet, daß das Verhalten des Angeklagten einen Mißbrauch des Verteidigungsrechts darstelle, welche gegen den Prozeßzweck, die Verwirklichung eines ordentlichen und zügigen Strafgerichtsverfahrens, verstoße, wenn er für die Abwesenheit des Verteidigers verantwortlich ist. Dies wird kritisiert. Die Führung der Hauptverhandlung ohne die Anwesenheit des Verteidigers verstoße gegen die Grundstruktur des Strafverfahrens, und sei daher ohne Gesetzesgrundlage unzulässig. Viele befürworten diese Position aber mit der Begründung, daß sich auch das System der notwendigen Verteidigung einer rechtsinnewohnenden Beschränkung zu unterwerfen habe.
IV. Verteidigung im Ermittlungsverfahren und System der Pflichtverteidigung für den Beschuldigten Viele Probleme im Zusammenhang mit der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, also der Verteidigung des Beschuldigten, sind in Japan bereits diskutiert worden. So z.B. das Ausmaß des Verkehrsrechts des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten, sowie die Frage, ob dem Verteidiger ein Anwesenheitsrecht bei Vernehmungen des Beschuldigten gestattet werden soll. Diese Probleme entstehen jedoch erst, nachdem der Beschuldigte den Verteidiger gewählt hat. Dem mittellosen Beschuldigten kann aber kein Verteidiger helfen, da diesem in Japan im Ermittlungsverfahren kein Pflichtverteidiger bestellt werden darf. Im übrigen wird geschätzt, daß lediglich 1 0 - 2 0 Prozent aller Beschuldigten einen Wahlverteidiger beauftragen. Das Ermittlungsverfahren ist jedoch „eine für den Verfahrensfortgang entscheidende Stufe". Deshalb ist die Hilfe des Verteidigers fur den Beschuldigten unentbehrlich. Alle Rechtsanwaltskammern in Japan haben infolgedessen freiwillig einen „Anwaltlichen Notdienst" eingeführt, um diesem Mangel entgegenzuwirken. Diese Idee kommt eigentlich aus England und geht dahin, daß auf Wunsch eines der Beteiligten, ein dafür zuständiger Rechtsanwalt z.B. in die Gefängniszelle kommt und dem Beschuldigten eine Rechtsberatung anbietet. Das erste Gespräch ist kostenlos, die weiteren Gespräche sind allerdings gebührenpflichtig. Die finanzielle Unterstützung dieser Idee ist aber leider ungenügend. Daher wird vehement gefordert, daß auch dem Beschuldigten das Recht auf einen Pflichtverteidiger zugesprochen werden soll. Einen dementsprechen-
Strafverteidigung in Japan. Ein Kommentar
den Gesetzesentwurf hat das StrafVerteidigungszentrum Rechtsanwaltskammer dieses Jahr vorgelegt.
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der japanischen
Im japanischen Schrifttum ist die Meinung laut geworden, man müsse dem Beschuldigten ein Recht als Partei garantieren, das der Position eines Angeklagten möglichst nahe kommen soll. Es gibt nicht wenige Fälle, in denen die frühe Wahl des Verteidigers die Verfahrenseffizienz eher steigert. Als Beispiel dient das Absehen von der Anklageerhebung durch „gütlichen Beilegung". Der Verteidiger einigt sich an Stelle des Beschuldigten gütlich mit dem Opfer und erreicht so, daß der Staatsanwalt von der Anklageerhebung absieht, was nicht nur dem Menschenrechtsschutz des Beschuldigten, sondern auch der Entlastung der Strafrechtspflege zugute kommt. Dies gilt als Erfolg der anwaltlichen Notdienste. Die Ermittlungs- und Verfolgungsorgane begrüßen die Verteidigung im Ermittlungsverfahren aber nicht immer, vielmehr befurchten sie „Ermittlungsstörungen" durch den Verteidiger. Mit anderen Worten geht die herrschende Meinung in der Praxis bisher dahin, daß eine Verteidigung im Ermittlungsverfahren die Effizienz der Ermittlung und Wahrheitserforschung der Ermittlungsorgane störe, was für die Lösung der verschiedenen Probleme, z.B. der Einführung des Systems der Pflichtverteidigung für den Beschuldigten, einen negativen Einfluß habe. Die Ermittlungsorgane müssen den Beschuldigten bei der Festnahme zwar über sein Recht auf einen Wahlverteidiger belehren (eine erneute Belehrung ist bei Vernehmungen nicht erforderlich), jedoch führt ein Verstoß gegen diese Belehrungspflicht nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. Ferner wird die Reichweite des Verkehrsrechts des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten so eng ausgelegt, als ob Grundsatz und Ausnahme vertauscht worden wären. Das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei Vernehmungen des Beschuldigten ist dem Verteidiger weder gesetzlich noch praktisch gestattet. Meines Erachtens lassen auch diese Tatsachen sowohl im Hinblick auf die rechtliche Stellung des Verteidigers als auch auf die Anforderungen an einen Rechtsstaat eine erneute Überprüfung notwendig erscheinen.
V. Die Größe der Fälle und Strafverteidigung Es ist zwar ein Ideal des Strafprozesses, den Menschenrechtsschutz mit der Verfahrenseffizienz in angemessener Weise in Einklang zu bringen, im Einzelfall kann dies aber sehr schwierig sein. Daher wird oftmals gefordert, die „leichten" Fälle einfach und schnell zu erledigen und bei den „schwierigen" Fällen dem Beteiligten einen angemessenen und ausreichenden Rechtsschutz anzubieten. In Japan gibt es für die leichten Fälle folgende Verfahren: (1) Einstellung der Bagatelldelikte durch die Polizei und Absehen von der Anklageer-
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Katsuyoshi Kato
hebung durch den Staatsanwalt; (2) Beschleunigte Hauptverhandlung; (3) Strafbefehlsverfahren. Diese dienen dazu, die leichten Fälle, in denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte gestanden hat, hauptsächlich aufgrund von Vernehmungsprotokollen einfach und schnell zu erledigen. Vom Standpunkt des StrafVerteidigung aus stecken auch hinter dieser stereotypen Lösung Probleme. Es gibt nicht wenige Fälle, in denen der Beschuldigte oder Angeklagte schon deswegen nicht vor Gericht geht, weil er seine Rechte nicht hinreichend geltend machen kann. Auch bei den leichten Fällen kann man daher nicht immer die Notwendigkeit einer Unterstützung durch den Verteidiger ausschließen. Auf der anderen Seite ist bei den schweren Fällen, in denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte die Vorwürfe heftig abstreitet, fraglich, welchen Standpunkt der Verteidiger zur Verfahrenseffizienz einnehmen soll. In Japan haben die Prozesse gegen die OUM-Sekte seit einem Jahr eine heftige Diskussion entfacht. In diesem Fall wurde der Religionsgründer (d.h. Sektenführer) wegen 17 Verbrechenstatbeständen, einschließlich Massenmord durch Giftgas in der U-Bahn von Tokio, angeklagt und es wurden für ihn 12 Pflichtverteidiger bestellt. Die Sozietät wird kritisiert, weil sich die Verteidiger die Fälle nicht aufgeteilt haben und am gerichtlich festgesetzten Verhandlungstermin aus Protest nicht erschienen sind. Die Kritik wiesen sie damit zurück, daß es dem Menschenrechtsschutz und der Verfahrenseffizienz eher diene, wenn sie alle Fälle, die miteinander in Zusammenhang stehen, gemeinsam übernehmen. Leider kann ich an dieser Stelle nicht auf weitere Details dieses Falles eingehen. Sicherlich sind auch bei der Strafverteidigung die Forderungen des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich vorrangig; ist der Verteidiger doch die letzte Stütze des Beschuldigten bzw. Angeklagten. Betont man jedoch die öffentliche Stellung des Verteidigers, so muß dieser die Verfahrenseffizienz bei seiner Verteidigung berücksichtigen. Auch wenn man die Ansicht vertritt, daß der Verteidiger in negativer Hinsicht verpflichtet ist, also i. S. eines Verbots des „Zuweitgehens", könnte man zum Ergebnis kommen, daß der Verteidiger auch den Belangen der Verfahrenseffizienz verpflichtet sein muß, solange sich die Garantie der Verfahrenseffizienz auf der einen Seite, und der Menschenrechtsschutz auf der anderen Seite nicht offensichtlich gegenüberstehen.
Soziale Sicherheit in Japan Von Hiroshi Kojima
I. Einführung Ich möchte meine Einschätzung der sozialen Sicherheit in Japan als Beamter des nationalen Polizeiamts darstellen. Dabei möchte ich nicht die systematische Seite darlegen, sondern von einfachen praktischen Erwägungen aus zeigen, was mein Amt im Bereich der Verbrechensbekämpfung für richtig hält.
II. Maßstäbe zur Bestimmung der sozialen Sicherheit Davor würde ich gerne die Maßstäbe besprechen, mit den man das Niveau der sozialen Sicherheit messen kann. Nachdem sich in den letzten Jahren verschiedene schlimme Verbrechen ereignet haben, stellt sich uns die Frage, ob sich die Sicherheit in Japan wirklich verschlechtert hat. Dafür gibt es zwei typische Maßstäbe: die statistische Sicherheit und die individuell empfundene Sicherheit.
1. Statistische Sicherheit Die statistische Sicherheit läßt sich beispielsweise anhand der Anmeldungsund Aufklärungsrate schwerer Straftaten bestimmen. Unter diesem Aspekt kann man sagen, daß Japan im Vergleich zum Ausland trotz der verschiedenen gewalttätigen und schlimmen Verbrechen, die in letzter Zeit passiert sind, noch sicher ist.
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Hiroshi Kojima
2. Individuell empfundene Sicherheit Unter Sicherheitsgefühl versteht man den Grad der Sicherheit, den ganz normale Leute und ganz normale Bürger beim Leben in der Gesellschaft empfinden. Zwar man kann mit diesem Gefühl in der Bevölkerung das Niveau der Sicherheit nicht so genau messen wie mit statistischen Zahlen, aber die Aufgabe unserer Sicherheitsbehörde liegt darin, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich die Bürger ganz sicher fühlen und ohne Angst vor Kriminalität ihr tägliches Leben führen können. Seit eine Reihe von Morden an normalen Bürgern und der Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn, die jeden Tag von unzähligen Pendlern benutzt wird, durch die Medien gingen, ist das auf der Basis dieses Maßstabs gemessenen Niveau der Sicherheit ziemlich niedrig geworden.
I I I . Momentane Hauptprobleme Mit diesem Hintergrund möchte ich Ihnen drei der Probleme, mit denen wir uns zur Zeit konfrontieren sehen, vorstellen; nämlich den Terrorismus, die Netzwerksicherheit und die Ausländerkriminalität.
1. Terrorismus Die Veränderung der internationalen Situation, der Zerfall der Strukturen des Kalten Krieges und die Entwicklung der Friedensverhandlungen in Nahost, haben die Lage des Terrorismus in der Welt stark verändert. Die terroristischen Organisationen, die früher von Ostblock- und Nahoststaaten unterstützt wurden, verlieren mehr und mehr ihre Tätigkeitsgrundlage. Andererseits darf man aber auch nicht vergessen, daß verschiedene Terroranschläge auf soziale Ungerechtigkeit, Armut oder religiöse und ethnische Probleme zurückzuführen sind. Die Lage des Terrorismus in Japan ist aufgrund der Bedrohung der internationalen Interessen im Ausland und des neuen Typs von Terroranschlägen unter Verwendung chemischer und biologischer Kampfstoffe sehr gespannt. Dies zeigt die widerrechtliche Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters in Peru und der Giftgasanschlag gegen die Tokioter U-Bahn. Die Wirkung von solchen Terroranschlägen, deren Opfer der normale Bürger, die allgemeine Bevölkerung wird, ist für das Sicherheitsgefühl besonders verderblich.
Soziale Sicherheit in Japan
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2. Netzwerksicherheit Die schnelle Ausbreitung und Entwicklung des Computernetzwerks, z.B. die Entwicklung des Internets, hat der Gesellschaft viele Vorteile im Wirtschaftsleben gebracht. Allerdings hat diese Entwicklung auch neue Verbrechen im und durch das Computernetzwerk hervorgebracht. Diese Verbrechen werden in drei Typen eingeteilt:
a) Computerverbrechen Unter diesen Begriff fallen Verbrechen, die die Funktion des Computersystems stören, oder die illegalen Zugang zu Computersystemen verschaffen. Ζ. B. ein Hacker verschafft sich über das Computernetzwerk Zugang zu einem anderen Computer und zerstört dessen Software.
b) Kartenverbrechen Darunter werden Verbrechen verstanden, die unter Benutzung von Kreditkarten, Geldkarten und sog. Verbraucherfinanzkarten begangen werden.
c) Netzwerkverbrechen Netzwerkverbrechen sind solche Verbrechen bei denen das Computernetzwerk verwendet wird, etwa: aa) der Verkauf illegaler Waren durch Computerkommunikation, bb) die illegale Benutzung von elektronischen Identitätszeichen und Paßwörtern zum Zwecke betrügerischen Einkaufens. Außerdem läuft das Computernetzwerk, z.B. das Internet, über vor schädlichen Informationen, wie z.B. Pornographie. Diese Informationen sind allen Jugendlichen zugänglich, die mit einem Computer umgehen können.
3. Ausländerkriminalität Zuerst möchte ich betonen, daß ich in meinen Ausführungen unter dem Begriff „Ausländer" die länger bleibende ausländische Bevölkerung ausschließe.
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Hiroshi Kojima
Viele Verbrechen werden von Ausländern begangen. Besonders kriminelle ausländische Organisationen, z.B. Jato (Snakehead), die illegale Einwanderungen organisiert und vermittelt, bedrohen die innere Sicherheit. Außerdem leben 280 000 Ausländer illegal in Japan, was soziale Probleme, beispielsweise Schwierigkeiten mit den Bewohnern, und Kriminalität verursacht.
a) Auffällige
Straftaten
der organisierten Kriminalität
Die Lage gestaltet sich folgendermaßen: Die organisierte Kriminalität, deren eigentlichen Sitz im Ausland ist, zeichnet sich durch einige auffällige Straftaten aus: aa) gewalttätiger Taschendiebstahl einiger koreanischen Gruppen, bb) Betrug unter Benutzung gestohlener oder verfälschter Kreditkarten einer nigerianischen Gruppe, cc) Diebstahl einer mutmaßlichen Diebesbande aus Hong Kong. Außerdem zeigt sich die Tendenz, daß die russisches Mafia versucht, sich in Japan zu etablieren. b) Jato Jato ist eine internationale Organisation, die im Bereich illegaler Einwanderung aktiv ist. Es besteht der Verdacht, daß Jato viele Fälle kollektiver illegaler Einwanderung aus China organisiert und vermittelt. Die Gruppe geht dabei immer sehr geschickt vor. Früher wurden extra Schiffe eingesetzt, aber zur Zeit werden die illegalen Einwanderer in kleinen Gruppen versteckt und in Schiffsfrachten eingeschmuggelt. Die Hintermänner in China stehen in enger Verbindung mit ihren Helfern in Japan, um zu gewährleisten, daß die Einwanderer in Japan unter schwächerer Bewachung der Polizei und der Küstenwacht landen können.
c) Organisierungstendenz Es besteht die Tendenz, daß die Ausländer, die bereits länger in Japan leben und dort auch verwurzelt sind, sich organisieren und Verbrechen begehen. Bei den Chinesen zeigt sich diese Tendenz deutlich. Die Chinesen gruppieren sich landsmannschaftlich, etwa nach ihren Heimatprovinzen, und suchen sich Ein-
Soziale Sicherheit in Japan
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flußgebiete, wo sie ihre illegale Tätigkeit betreiben und sich untereinander blutige Kämpfe liefern. Hinter der chinesischen Organisationen sind mutmaßlich Triaden aus Hong Kong und Jato sehr aktiv. Diese Gruppen erzielen illegal Gewinne, die sie ins Ausland überweisen, was rechtswidrig ist und als Verbrechen gegen das Bankgesetz verfolgt wird.
IV. Ausblick Wir vermuten, daß die Verlängerung des illegalen Aufenthalts von Chinesen und die Verschlechterung der inneren Sicherheit in China die organisierte Kriminalität mehr und mehr fördern wird.
12 Kühne / Miyazawa
Schlußbericht Von Claus Roxin
I. Aller guten Dinge sind drei. Mit dem dritten Deutsch-Japanischen Strafrechtssymposium hat diese Veranstaltung den Rang einer Institution erreicht, und Institutionen sind bekanntlich das, was dem Wandel der Erscheinungen widersteht und bleibt: Es ist gelungen, den traditionellen strafrechtswissenschafitlichen Beziehungen zwischen Japan und Deutschland durch unsere Symposien eine neue Qualität und Dimension zu geben, und dafür ist gerade die dritte Veranstaltung dieser Art, deren strafrechtlicher Teil heute zu Ende geht, ein sprechendes Zeugnis. Wir danken allen, die diese Tagung ins Werk gesetzt haben, diesmal also besonders den Kollegen Miyazawa und Kühne, die seit langem als besondere Schutzengel über unserer internationalen Freundschaft schweben. Wir verfugen bei dieser dritten Tagung auch über eine inspirierende Muse: Meiko Miyazawa, die uns durch den faszinierenden Vortrag von Klaviersonaten Scarlattis und Beethovens nicht nur inspiriert, sondern die ostwestliche Symbiose, in der wir Strafrechtler leben, durch ihre Person und Arbeit geradezu symbolhaft verkörpert. Unser herzlicher Dank gilt ihr und ihrer hochbetagten Mutter, die Zeit und Mühe nicht gescheut haben, um uns eine Freude zu machen! Sie haben uns einen Höhepunkt der Tagung beschert. Man soll einseitig gewonnene Erfahrungen nicht zum Maßstab seines Handelns machen. Dieses Wort Hebbels, das Justizminister Caesar zitierte, könnte als Motto über unserer Tagung stehen. Wir haben viel voneinander gelernt und vieles gemeinsam und weiterführend bedacht. Daß dies in deutscher Sprache geschehen konnte, dafür danke ich, wie schon in Tokio, auch heute wieder unseren japanischen Kollegen, die uns an Sprachbegabung und Fleiß ersichtlich überlegen sind. Wenn aber auch meine in Tokio ausgesprochene Hoffnung, in Trier das Japanische zur Verhandlungssprache machen zu können, sich nicht erfüllt hat, so darf uns doch immerhin die Mitteilung des Vizepräsidenten der Trierer Universität, daß die japanische Sprache inzwischen in die Fachsprachenausbildung für deutsche Juristen aufgenommen worden ist, mit Freude erfüllen: Immerhin bemühen wir uns, unseren japanischen Kollegen nachzueifern.
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Claus Roxin
II. 1. Den größten Teil unseres ersten Arbeitstages hat das Eröffhungs- und Grundsatzreferat „Vom Unterschichts- zum Oberschichtsstrafrecht" eingenommen, das uns Herr Schünemann gehalten hat. Er hat in sprachlich hinreißender, argumentenreicher und suggestiver Form fur diesen Weg plädiert und dabei vor allem die von ihm sog. Frankfurter Schule attackiert, die nach seinen Darlegungen "die Bekämpfung der Kriminalität des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des Strafrechts des 19. Jahrhunderts" verlangt. Bekanntlich fordert die Frankfurter Schule den Rückzug des Strafrechts auf den Bereich der klassischen Kriminalität und will unübersichtliche neue Gebiete, wie weite Bereiche der Wirtschaft, der modernen Technologien, den Umweltschutz, die Gentechnik usw. der Steuerung und Regulierung durch andere Rechtsbereiche oder einem erst noch zu schaffenden Interventionsrecht überlassen. Der Vortrag von Schünemann schließt sich an die Diskussion in Tokio an, die wir im Anschluß an den damaligen Eröffnungsvortrag von Hirsch geführt haben. Schünemann gibt dieser Diskussion aber eine neue Wendung von erheblicher polemischer Schlagkraft, indem er die Frankfurter Schule auf ein Strafrecht festlegt, das nur noch der Bekämpfung der Unterschichtskriminalität dient und die Angehörigen höherer Schichten, die weit größeren Schaden anrichten, privilegiert. In der Diskussion ist diese Schichtendichotomie zwar etwas relativiert worden (etwa von Kreuzer), aber tendenziell läßt sich Schünemanns Befund schwer bestreiten. Es war denn auch die überwiegende Meinung in der Diskussion, daß sich das Strafrecht aus den "neuen Gebieten" nicht zurückziehen dürfe, sondern sich den Aufgaben der Gegenwart stellen müsse. Vor einem raschen Verdikt sollte man aber bedenken, daß der von Herrn Lüderssen mit souveräner Abgeklärtheit verteidigte strafrechtsskeptische Standpunkt sich nicht den Interessen gesellschaftlich mächtiger Gruppen, sondern den Postulaten eines konsequenten Rechtsstaates verpflichtet fühlt. Ein rechtsstaatliches Strafrecht arbeitet mit Kategorien wie Handlung, Rechtsgutsverletzung, Kausalität und Schuld, die in der Anwendung auf die genannten modernen Formen sozialschädlichen Verhaltens erhebliche Probleme aufwerfen. Sie zu bewahren und vor strafrechtserweiternder Verbiegung zu retten, ist das Ziel der Frankfurter Lehre, derzufolge das Strafrecht sich aus den Gebieten zurückziehen soll, in denen es sich nur unter Aufgabe seiner strengen rechtsstaatlichen Prinzipien behaupten könnte. In diesem Sinne hat Herr Kühne schon in seiner Begrüßungsrede den Frankfurtern sekundiert, indem er davon sprach, daß das Strafrecht von der ultima ratio zur sola ratio zu werden drohe; er warnte vor einer „Aufrüstung des Staates unter leichtfertiger Aufgabe politischer Freiheitsrechte", wobei er freilich noch in erster Linie das Prozeßrecht im Auge hatte, in dem sich derselbe Streit austragen ließe.
Schlußbericht
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Auch in den beiden Korreferaten von Ida und Kawaguchi kam der Meinungsgegensatz zum Vorschein. Herr Ida wollte auf das Strafrecht als Mittel zur Bekämpfung der im Titel unseres Symposiums genannten "neuen gesellschaftlichen Herausforderungen" nicht verzichten; er wies einerseits auf die Untauglichkeit eines reinen Individualstrafrechts, andererseits aber auch auf die Umständlichkeit und Kostspieligkeit ersatzweise einzusetzender verwaltungsrechtlicher Regelungen hin. Herr Kawaguchi betonte, wie in Japan zwar das Strafrecht unbedenklich gegen die white-collar-crimes eingesetzt wird, dabei aber auch das Gesetzlichkeits- und das Schuldprinzip im Sinne der Frankfurter Befürchtungen überdehnt werden. 2. Was ist nun richtig? Es scheint mir unbestreitbar, daß das Strafrecht sich den genannten neuen Herausforderungen stellen muß. Wenn andere Rechtsgebiete allein schon im Bereich des klassisch-überlieferten Kernstrafrechts zur Bewältigung der Probleme nicht ausreichen, ist nicht anzunehmen, daß außerstrafrechtliche Mittel die genannten modernen Gefahren bannen können. Und über ein Interventionsrecht läßt sich nicht diskutieren, solange wir nicht wissen, wie es aussehen soll. Ebenso unbestreitbar erscheint mir allerdings, daß wir den Rechtsstaat, von den Erfordernissen der Kausalität und der Schuld bis zur Unverletzlichkeit eines intimen Persönlichkeitsbereichs nicht aufgeben dürfen, wenn wir ein freiheitlich verfaßtes Staatswesen behalten wollen. Die Lösung des Dilemmas scheint mir in zwei Bereichen zu liegen, die noch viel intensiverer Bearbeitung bedürfen, als sie bisher erfahren haben. Erstens ist die Untauglichkeit der überlieferten rechtsstaatlichen Kategorien für die Bewältigung neuer Formen der Kriminalität zwar viel behauptet, aber noch nie bewiesen worden. Es gibt hinreichende Gründe für die Annahme, daß der Begriff des Rechtsgutes als Kriterium zur Prüfung der Legitimität von Umweltschutzvorschriften sehr wohl fruchtbar gemacht werden kann; das hat sich in Tokio wie auch während der gestrigen Sitzung gezeigt. Nichts hindert uns, die Dignität abstrakter Gefährdungsdelikte nach überlieferten rechtsstaatlichen Kriterien differenzierend zu beurteilen; Herr Schünemann hat dafür ein Vierstufenschema vorgelegt, das durchaus brauchbar ist. Auch gibt es keine Gründe für die Annahme, daß z.B. der Kausalbegriff oder die moderne Unterlassungsdogmatik vor dem neuen Problem der strafrechtlichen Produkthaftung versagen müßten. Kurz: Neue Probleme verlangen natürlich neue Lösungen, deren Erarbeitung viel Zeit und Mühe kostet. Daß aber unsere juristischen Instrumente dafür prinzipiell nicht ausreichen, ist eine Ausflucht derer, die nicht nachdenken oder alle rechtsstaatlichen Schranken niederlegen oder das Strafrecht auf die Phänomene des „einfachen Lebens" beschränken wollen. Während ich in dem ersten eben erörterten Bereich dem Schünemannschen Standpunkt näher stehe als der Frankfurter Lehre, muß ich dieser doch gegen
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Claus Roxin
die Tendenz, überall mit dem Strafrecht einzuschreiten, darin Recht geben, daß dem Subsidiaritätsprinzip auch bei den „neuen Herausforderungen" eine unverzichtbar große Bedeutung zukommt. Darin gebe ich Herrn Lüderssen Recht, und Herr Schünemann hat das selbst bestätigt. Er sieht nämlich auch, daß das öffentliche Recht „nachrücken muß, wo das Strafrecht bis heute ohne ausreichende Effizienz vorgeprescht ist, beispielsweise im Verhältnis von Umweltstrafrecht- und Umweltverwaltung, von Korruption und Ämterpatronage". Er meint demzufolge, das Umwelt- und das Korruptionsstrafrecht könnten erst erfolgreich sein nach einem „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft" und einer „restlosen Reinigung der deutschen Bürokratie von dem sie...überziehenden Parteienfilz". Ist das aber richtig, so liegt eben der Schwerpunkt der Sache ganz woanders als im Strafrecht. Ja, wenn wir erst einmal den geforderten ökologischen Umbau der Gesellschaft und eine unbestechlichparteifreie Bürokratie haben, dann läßt sich fragen, ob wir das Strafrecht in diesen Bereichen wirklich noch so nötig brauchen. Kurz: Die Suche nach sozialpolitischen Lösungen, die einen Verzicht auf das Strafrecht oder dessen Minimierung gestatten, muß noch viel intensiver betrieben werden als bisher.
III. 1. Die zweite Hälfte des gestrigen Nachmittags war der strafrechtlichen Kontrolle des Bank- und Börsenverkehrs gewidmet. Herr Kamiyama hat uns in einem gründlichen Referat ausführlich über die japanische Gesetzgebung und Praxis in diesem Bereich unterrichtet, und Herr Niwa hat dieses Referat durch interessante Darlegungen über die sog. Sokaiya ergänzt. Beide Vorträge enthielten sehr viel rechtstatsächliches Material und haben uns mit einer Sphäre des japanischen Wirtschaftslebens vertraut gemacht, die dem deutschen Strafrechtler bisher kaum zugänglich war. Beide haben aber auch die Grundfragen der Vormittagssitzung aufgegriffen und ganz im Sinne dessen, was ich eben zu skizzieren versuchte, nicht einseitig für den Einsatz strafrechtlicher Mittel oder für den Rückzug des Strafrechts aus diesem Bereich plädiert, sondern einen mittleren Weg eingeschlagen, der teils auf das Strafrecht, teils auf Verwaltungsmaßregeln zurückgriff. Interessant war auch, daß beide die Abhängigkeit eines effizienten Strafrechts von Reformen bankenrechtlicher Art betonten. So verlangte Herr Kamiyama den Ausbau und die Verstärkung „betriebsinterner Risikokontrollsysteme", und Herr Niwa forderte die Errichtung selbständiger Unternehmensaufsichtsorgane, ohne die das Strafrecht ineffektiv bleiben müsse. 2. Die deutschen Beiträge zur Diskussion der ebenso lehrreichen wie fesselnden Vorträge haben sich im wesentlichen in informatorischen Fragen erschöpft, was angesichts der Neuartigkeit des Dargebotenen auch nur allzu ver-
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ständlich ist. Hätten wir mehr Zeit gehabt, hätte man allerdings für alle abstrakten Thesen des Vormittags an diesem Thema die Probe aufs konkrete Exempel machen können. Das gilt nicht nur für Notwendigkeit und Subsidiarität des Strafrechts oder für die Abhängigkeit der Effektivität des Strafrechts von Reformen im vorstrafrechtlichen Bereich, sondern auch für andere Grundfragen. Was ist z.B. das geschützte Rechtsgut beim Verbot der Insider-Geschäfte? Die Frage wurde zwar gestellt (von Hirsch).aber nur undeutlich beantwortet. Und doch liegt hier der Punkt, der über Legitimität oder Illegitimität der Strafbarkeit entscheidet; Herr Kamiyama trat denn auch wegen der Uneindeutigkeit des Rechtsgutes gegen die Strafbarkeit ein. Es eröffnet sich hier also ein weites Feld für rechtsgrundsätzliche Diskussionen.
IV. 1. Die erste Sitzung unseres zweiten Arbeitstages, also des heutigen Morgens, galt den „veränderten Bedingungen des Resozialisierungsvollzugs im Kontext internationaler Kriminalität". Herr Rolinski hat in einem weit ausgreifenden Referat dargelegt, daß die Unterstützung der Bevölkerung in Deutschland für den Resozialisierungsvollzug im Laufe der letzten 20 Jahre „weggebrochen" ist und daß der Staat schon wegen seiner Überschuldung die Handlungs- und Reformfähigkeit auf diesem Gebiet weitgehend eingebüßt hat. Es herrsche praktisch ein „Verwahrvollzug", der allerdings durch eine starke Humanisierung positiv gekennzeichnet sei. Er hob in diesem Zusammenhang die Existenz sozialtherapeutischer Anstalten (§ 9 StVollzG) und die Ersetzung der „Schließermentalität" beim Vollzugsdienst durch „pädagogische Zuwendung" besonders hervor. 2. In seinem Korreferat hat Herr Yoshida (Sapporo) vor allem die Ausländerkriminalität in Japan und die Bemühungen um eine Resozialisierung in diesem Bereich dargestellt, die natürlich bei Ausländern besonders schwierig ist. Denn auch wenn man sich in Japan bemüht, den besonderen Lebensgewohnheiten von Ausländern im Vollzug Rechnung zu tragen, bereiten Sprachschwierigkeiten und die daraus resultierende Isolierung gegenüber Mitgefangenen und Vollzugsbediensteten, aber auch die unterschiedlichen sozialen Bedingungen im Heimatland des Gefangenen und in Japan dem Resozialisierungsbemühen fast unüberwindliche Hindernisse. Yoshidas Referat gipfelte daher in einem Appell zu internationaler Zusammenarbeit in diesem Bereich, die auch eine Überstellung zur Strafverbüßung im Heimatland des Verurteilten einschließen könnte. 3. In einem weiteren Korreferat, das in Abwesenheit des Referenten von Herrn Schöch verlesen wurde, hat Herr Ishizuka über die Situation des Straf-
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Vollzugs in Japan unter dem Gesichtspunkt der Menschenrechte gesprochen. Er zitierte aus dem Jahresbericht 1997 von Amnesty International, wonach die Haftbedingungen in Japan hart und demütigend seien und oftmals „grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung" gleichkämen. Er berichtete anschaulich auch über zwei von ihm selbst bearbeitete Fälle, in denen Insassen hart und unmenschlich behandelt worden seien. Er forderte, die „Herrschaft des Schweigens" im japanischen Strafvollzug durch „mehr Freiheit im Innern" und „Informationsfreiheit nach außen" zu ersetzen. 4. Die Diskussion kreiste vor allem um die Frage, wie der Resozialisierungsvollzug in seine heutige Krise geraten konnte und welche Auswege es aus der verfahrenen Situation gebe. Für das Verblassen des Resozialisierungsideals wurden sehr unterschiedliche Gründe namhaft gemacht: der Wandel der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (die in einer Zeit des eisernen Sparens immer knapper werdenden Mittel der öffentlichen Hand), der Wandel des Zeitgeistes (gefördert durch die Übertreibung der Kriminalitätsbedrohung in den Medien), die unheilige Allianz von Konservativen und linken Kriminalsoziologen (so Lüderssen), die aus sehr unterschiedlichen Gründen von der Resozialisierung nichts halten, die tägliche Routine, die in der Strafanstalt das Maß aller Dinge sei und weitergreifenden Zielsetzungen keine Entwicklungsmöglichkeit lasse (Schüler-Springorum) und schließlich die These, daß eine Resozialisierung zwecklos, weil unmöglich, sei (nothing works). 5. Trotz einer gewissen Ratlosigkeit überwog aber unter den Diskussionsteilnehmern die Tendenz, den Resozialisierungsvollzug nicht aufzugeben; das Resozialisierungsziel liegt immerhin dem geltenden deutschen Recht zugrunde (§ 2 StrafVollzG). Auch ich möchte entschieden für einen Resozialisierungsvollzug plädieren. Das Argument der Zwecklosigkeit ist nicht stichhaltig. Denn erstens haben wir einen echten Resozialisierungsvollzug, wie etwa der „Alternativ-Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes" (1973) ihn vorzeichnet, nie gehabt. Und zweitens sind auch unsere sozialtherapeutischen Versuchsanstalten nicht erfolglos, mag auch dieser Erfolg, weil wir uns nach wie vor im Experimentierstadium befinden, hinter allzu hoch gespannten Erwartungen noch zurückbleiben. Abgesehen von alledem trägt aber auch die mit einem Resozialisierungsstrafvollzug verbundene, den Gefangenen als Rechtssubjekt achtende und ihm helfend sich zuwendende Humanisierung ihren Lohn in sich selbst. Ein Kulturstaat wird schon um seiner eigenen Menschlichkeit willen nicht auf sie verzichten können. V. Die zweite Vormittagssitzung des zweiten Arbeitstages war den heute in der ganzen Welt besonders aktuellen Themen der Organtransplantation, des Todes-
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Zeitpunkts und der Gentechnik gewidmet. Da das deutsche Referat (von Herrn Günther) leider ausfallen mußte, wurden die Vorträge allein von unseren japanischen Gästen bestritten. 1. Herr Saito, in Japan und auch international einer der besten Kenner der Materie, sprach über Organtransplantation und Todeszeitpunkt nach japanischem Recht. Er berichtete über die wechselhaften Wege der japanischen Gesetzgebung und über das am 16.10.1997 in Kraft tretende japanische Transplantationsgesetz, das eine „enge Zustimmungslösung" vorsieht. Danach ist die Feststellung des Hirntodes eines Patienten und die Organentnahme vom hirntoten Spender nur zulässig, wenn der Verstorbene im voraus schriftlich eingewilligt hat und zusätzlich auch kein Angehöriger der Organentnahme widerspricht. Ida deutete das in einem „ergänzenden Kommentar" so, daß danach ein hirntoter Patient nur unter den Voraussetzungen der engen Zustimmungslösung tot sei oder als tot angesehen werden könne und folgerte ironisch: „Wir Japaner sind vermutlich das einzige Volk auf der ganzen Welt, das den Todeszeitpunkt (Herztod oder Hirntod) selber wählen kann." Auch Saito sprach von einem „logisch nicht nachvollziehbaren Kompromiß" und setzte sich entgegen der in Japan überwiegenden Meinung nachdrücklich für das Hirntodkriterium ein. Er legte überzeugend dar, daß die Argumente, mit denen die Verfechter des Herztodkriteriums trotzdem unter den Voraussetzungen der Zustimmungslösung eine Transplantation nach dem Hirntod zulassen wollen, samt und sonders nicht stichhaltig sind. 2. In einem anschließenden Kurzreferat berichtete Herr Nagai über die heutige japanische Diskussion hinsichtlich eines strafrechtlichen Schutzes im Bereich der Gentechnik. Ein Historiker der Naturwissenschaften (Yonemoto) habe Japan kürzlich als ein „Land ohne Bioethik" charakterisiert. Tatsächlich stehe im Bereich der Gentechnik die Diskussion noch ganz am Anfang. Prof. Kai (Hiroshima Universität) habe immerhin einen Straftatbestand vorgeschlagen, der die Verletzung genetischer Privatgeheimnisse unter Strafe stellen soll. Danach soll strafbar sein, wer eine genetische Information unrechtlich aufgespürt, eigennützig verkauft oder kauft. Herrn Nagai schien es zweifelhaft, ob dieser Fall strafwürdig ist. Er schlug vor zu prüfen, ob man nicht mit einem zivilrechtlichen Schutz auskommen könne. 3. Herr Ida ergänzte Nagais Ausführungen durch einen weiteren aufschlußreichen Kurzvortrag. Er resümierte, daß das japanische Recht weit davon entfernt sei, im Mißbrauch der Gentechnik die Verletzung eines strafrechtlich schützenswerten eigenständigen Rechtsguts zu sehen. Die gentechnische Forschung und deren therapeutische Anwendung sei jedoch in Japan nach amerikanischem Vorbild durch Richtlinien der Verwaltungsbehörden geregelt. In ihnen
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werde aufgezählt, welche Krankheiten unter welchen Voraussetzungen gentechnisch behandelt werden dürfen. Eine künstliche Veränderung der Erbinformation der Keimzellen sei untersagt. Die Richtlinien enthielten auch verfahrensrechtliche Bestimmungen. So müsse für gentherapeutische Forschungsvorhaben eine Genehmigung des zuständigen Ministeriums eingeholt werden, das sich seinerseits von obligatorisch einzurichtenden Ethikkommissionen beraten lasse. 4. Die Diskussion beschränkte sich in Ermangelung eines deutsches Referates im wesentlichen auf informatorische Fragen zum japanischen Recht. Ich kann in meinem Schlußbericht den fehlenden deutschen Beitrag nicht nachholen. Doch möchte ich mir ein paar Bemerkungen aus persönlicher Sicht erlauben. Die strafrechtliche Zurückhaltung des japanischen Gesetzgebers im Bereich der Gentechnik halte ich für sehr vernünftig. Mit Hilfe des geschilderten Richtliniensystems ist es möglich, erst einmal Erfahrungen zu sammeln, die es gestatten, sich der Entwicklung sowohl der Gentechnik wie auch unserer bioethischen Auffassungen über das Zulässige und Verbotene jederzeit anzupassen. Ein starres Gesetz wäre hier zumindest verfrüht. Dagegen kann ich mich, wie meine japanischen Kollegen, mit dem japanischen Transplantationsgesetz nicht befreunden. Mir ist sogar noch das deutsche Recht mit seiner - praktisch erträglichen - erweiterten Zustimmungslösung zu eng. Ich plädiere noch immer für die Widerspruchslösung, derzufolge eine Organentnahme bei einem Hirntoten zulässig ist, wenn er ihr nicht vor seinem Tode (in einem Spenderausweis) ausdrücklich widersprochen hat. Dabei leitet mich der Gedanke, daß einem Verstorbenen seine bei natürlichem Verlauf dem raschen Verfall ausgelieferten Organe nichts mehr nützen können, daß aber die damit zu bewirkende Rettung menschlichen Lebens oder mindestens die Heilung schwerer gesundheitlicher Schäden sehr hohe ethische und rechtliche Werte verkörpern. Wenn jemand trotzdem diesem edlen Rettungszweck nicht dienen will, so mag er widersprechen, womit dann sein Selbstbestimmungsrecht gewahrt ist. Warum aber ein solcher Widerspruch ihm angesichts der auf dem Spiele stehenden bedeutsamen Rechtsgüter nicht zumutbar sein soll, vermag ich nicht einzusehen. Man muß sich fragen, warum ein dem common sense ohne weiteres einleuchtendes, ethisch fundiertes Prinzip, wie es der Widerspruchslösung zugrunde liegt, in juristisch so hoch entwickelten Ländern wie Japan und Deutschland nicht einmal mehr diskussionswürdig ist. Liegen dem irrationale Ängste oder ideologische Vorurteile zugrunde? Oder sind es theologische oder philosophische Einsichten, die sich dem beschränkten Juristenverstande verschließen? Es wäre einer empirischen Forschungsarbeit würdig, den Hintergründen der Ge-
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setzgebung in diesem Bereich einmal in einer länderübergreifenden Studie nachzugehen.
VI. Die letzte Arbeitssitzung hat sich am Nachmittag des zweiten Verhandlungstages mit der „StrafVerteidigung im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaatlichkeit und Verfahrenseffizienz" befaßt. 1. Aus deutscher Sicht hat darüber Herr Beulke ein sehr instruktives Referat gehalten. Er hat sich zunächst vom Standpunkt der von ihm seit langem vertretenen sog. eingeschränkten Organtheorie aus - derzufolge der Verteidiger kein reiner Interessenvertreter ist, sondern in engen Grenzen auch ftir die Wirksamkeit der Strafrechtspflege Sorge zu tragen hat - mit der Rechtsstellung des Verteidigers und den neueren Ansichten dazu auseinandergesetzt. Auf dieser Basis hat er durchweg ablehnend zur jüngeren Rechtsprechung des BGH Stellung genommen, die immer neue, durch einen drohenden Rügeverlust sanktionierte Mitwirkungspflichten des Verteidigers statuiert. Er hat aber andererseits auch das gegenwärtig diskutierte „Verteidigerprivileg" abgelehnt, wonach der Verteidiger für die von ihm im Zuge seiner Berufsausübung verwirklichten Straftatbestände nur bei einem Handeln mit dolus directus soll verantwortlich gemacht werden können. Er trat außerdem für eine weitgehende Absicherung des Verteidigerkonsultationsrechts durch Beweisverbote und für eine Ausweitung der Verteidigerrechte im Ermittlungsverfahren ein. während der die Verteidigerrechte weiter einschränkende Bundesratsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege verdientermaßen seiner Ablehnung verfiel. 2. Das japanische Korreferat verdanken wir Frau Yamana. Sie hat uns zunächst in sehr erhellender Weise mit der Diversionspraxis von Polizei und Staatsanwaltschaft in Japan vertraut gemacht. Danach kann die Polizei auf der Grundlage staatsanwaltschaftlicher Richtlinien kleinere Delikte selbständig einstellen. Auf diese Weise werden etwa 50 % aller Straftaten schon im Vorfeld erledigt. Natürlich ist es für den Beschuldigten auch in diesen Einstellungsfällen möglich, sich von einem Verteidiger beraten zu lassen. Doch haben wir erfahren, daß es bei der geringen Zahl der japanischen Rechtsanwälte (ca. 15.000 insgesamt) nur schwer möglich ist, zu erschwinglichem Honorar einen Anwalt zu finden. Frau Yamana forderte daher eine drastische Erhöhung der Zahl der Rechtsanwälte und die Durchsetzung eines Pflichtverteidigersystems schon für das Ermittlungsverfahren. Neben der Polizei hat in Japan auch die Staatsanwaltschaft ohne Bindung an das Legalitätsprinzip ein selbständiges Einstellungsermessen, das immer mehr ausgeweitet wird; z.B. wurde noch 1985 in 65 % der Fälle fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr Anklage erhoben, während dies 1991 nur noch in
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19 % der Fälle geschah. Frau Yamana befürchtete, daß dies zu einer schlampigen Arbeit der Polizei führen werde, die die Mühe der Aufklärung scheuen werde, wenn ohnehin eine Einstellung der Staatsanwaltschaft zu erwarten sei. Außerdem forderte sie eine Aufhebung der staatsanwaltlichen Beschränkungen des freien Informationsaustausches zwischen Verteidiger und inhaftierten Beschuldigten. In der japanischen Hauptverhandlung sah Frau Yamana die Grundsätze der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit nur unzureichend verwirklicht und bemängelte, daß der Richter Beweisanträge der Verteidigung nach seinem Ermessen ablehnen könne. Vor allem beklagte sie die von ihr sog. Geiselrechtspflege, wonach der leugnende Beschuldigte in der Regel verhaftet werde und der Verteidiger, um seinem Mandanten zur Freiheit zu verhelfen, oft genötigt sei, unter Verzicht auf seine Rechte allen gerichtlichen Beschleunigungsmaßnahmen zuzustimmen. Frau Yamana kam zu einem sehr kritischen Fazit: Zwar sei die Einstellungsquote in Japan hoch, aber das dahin fuhrende Verfahren sei undurchsichtig und rechtsstaatlich problematisch. Die Hauptverhandlung dagegen ende in 98 % aller Fälle mit einer Verurteilung. Insgesamt richte sich die heutige japanische Strafrechtspflege „mehr nach der Verfahrenseffizienz als nach der Rechtsstaatlichkeit". 3. In seinem wertvollen Ergänzungsreferat hat Herr Katsuyoshi Kato ein immer noch kritisches, aber doch etwas helleres Bild der StrafVerteidigung in Japan gezeichnet und sich zugleich in fruchtbarer Weise mit den Positionen Beulkes auseinandergesetzt. Obwohl das japanische Recht anders als das deutsche von einem Parteienprozeß ausgeht, wird doch auch dort der Verteidiger als Organ der Rechtspflege betrachtet, wobei Herr Kato etwa im Sinne der eingeschränkten Organtheorie meinte, daß der Verteidiger zwar in erster Linie die Rechte des Beschuldigten wahrnehmen müsse, doch auch den Belangen einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verpflichtet sei. Auch in Japan darf danach der Verteidiger bei mangelnden Beweisen Freispruch beantragen, selbst wenn er die Täterschaft des Angeklagten kennt. Er darf den leugnenden Mandanten nicht desavouieren, muß aber den Freispruch des sich zu Unrecht schuldig Bekennenden beantragen. Dagegen hat er weder ein Recht zur Beweisverdunkelung noch zur Lüge. Kato meinte infolgedessen, daß man in Japan und Deutschland „zu ziemlich ähnlichen Lösungen kommt". Auch in Japan zieht eine Verletzung der Rechte des Beschuldigten kein Beweisverwertungsverbot nach sich, solange Verteidiger oder Angeklagter der Verwertung nicht ausdrücklich widersprechen. Aber auch die mangelnde Belehrung über das Schweigerecht führt, wie es der älteren deutschen Rechtsprechung entsprach, nicht zu einem Verwertungsverbot. Herr Kato rühmte den anwaltlichen Notdienst in Japan der im Anschluß an die BGH-Rechtsprechung zum Verteidiger-
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konsultationsrecht auch in Deutschland bald flächendeckend eingeführt sein wird. Aber er bemängelte, daß die Reichweite des Verkehrsrechts mit dem inhaftierten Beschuldigten derart eng ausgelegt werde, „als ob Grundsatz und Ausnahme vertauscht worden wären". Auch sei das Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Vernehmung des Beschuldigten weder gesetzlich noch praktisch gesichert. 4. Abschließend sprach Herr Kojima von der National Police Agency aus der Sicht der Polizei über seine Einschätzung der sozialen Sicherheit in Japan. Er unterschied zwischen statistischer und „gefühlter" (d.h. im Bewußtsein des Durchschnittsbürgers erlebter) Sicherheit. Die statistische Sicherheit sei in Japan im Vergleich mit dem Ausland nach wie vor groß, das Gefühl der Sicherheit habe in der Bevölkerung dagegen nach dem Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn sowie einer Reihe von Morden erheblich abgenommen. Eine Bedrohung der inneren Sicherheit Japans gehe zur Zeit von drei Problemfeldern aus. Das erste sei der Terrorismus, der Japan in letzter Zeit besonders gefährdet habe. Herr Kojima verwies auf den schon erwähnten Giftgasanschlag und auf die Besetzung der japanischen Botschaft in Peru. An zweiter Stelle nannte Herr Kojima die „Netzwerkverbrechen" (Computerdelikte, Kartenverbrechen, den Mißbrauch der Computerkommunikation zu illegalen Zwecken). Als drittes erwähnte er die Ausländerkriminalität, die freilich, wie wir schon aus den kriminologischen Referaten wissen, bei weitem noch nicht die Dimensionen angenommen hat wie in Deutschland. 5. Die lebhafte Diskussion vermittelte zum guten Teil wechselseitige Zusatzinformationen, lief im Grundtenor aber auf das Ergebnis hinaus, daß die Lage der Verteidigung in beiden Ländern vom wünschenswerten Zustand ziemlich weit entfernt sei. Am drastischsten hat das wohl Herr Schünemann zum Ausdruck gebracht, der von einem nun zwanzigjährigen „Niedergang der Verteidigung" in Deutschland sprach, die Stellung des Verteidigers in Japan aber noch schwächer fand. 6. Ich selbst verspreche mir, ähnlich wie es Herr Schöch in der Diskussion betonte, Abhilfe von einer durchgreifenden Verbesserung der Stellung des Verteidigers im Ermittlungsverfahren. Hier fallen in der Regel die Würfel über den Ausgang des Verfahrens; und es ist kein Zufall, daß auch in Japan die Klagen vor allem bei der unzureichenden Ausgestaltung der Verteidigerrechte im Vorverfahren ansetzen. Neben dem schon von Schünemann geforderten förmlichen Ermittlungsrecht des Verteidigers wird man ein Recht auf frühzeitige Information von den Verdachtsgründen, ein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei allen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren, eine Ausdehnung der notwendigen Verteidigung, ein erweitertes Akteneinsichtsrecht und ein Recht zur Stellung von Ermittlungsanträgen verlangen müssen. Diese Anträge sollten auch
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im Vorverfahren nur aus den im Gesetz genannten Gründen zurückgewiesen werden dürfen; auch sollte die Zurückweisung richterlichen Überprüfungen unterliegen. Es fehlt mir die Zeit, ein solches Reformprogramm an dieser Stelle näher auszumalen. Doch wäre seine Ausarbeitung ein hervorragender Gegenstand für eine deutsch-japanische Gemeinschaftsarbeit.
VII. Damit komme ich zum Abschluß meines Berichtes. Natürlich habe ich nur einen geringen Teil des in diesen beiden Tagen unter uns Erörterten in die Erinnerung zurückrufen und zum Gegenstand kommentierender Reflexion machen können. Doch mag mein Referat auch in dieser verkürzenden Form einen Eindruck von dem außerordentlichen Informations- und Gedankenreichtum der Sitzungen vermitteln. Die japanischen Referate waren diesmal - zur Freude der deutschen Teilnehmer - in der Überzahl. Wir haben dadurch Kenntnisse über das japanische Strafrecht und die japanische Straßustiz gewonnen, wie sie in dieser Fülle und in solcher auch die Rechtswirklichkeit einbeziehender Genauigkeit aus dem Studium der Literatur gar nicht zu erlangen gewesen wäre. Aber auch die drei großen deutschen Grundsatzreferate waren von der Art, daß sie nicht nur das deutsch-japanische Gespräch, sondern auch die allgemeine Grundlagendiskussion ihres Themenbereiches nachhaltig befruchten werden. Am Ende steht großer Dank. Er gilt noch einmal allen anfangs schon erwähnten Protektoren, aber auch den Rednern, den Diskussionsteilnehmern, den Sitzungsleitern und Gästen, sowie last not least den zahlreichen von Herrn Kühne mobilisierten Helfern und den Mitarbeitern der Richterakademie in Trier, die dafür gesorgt haben, daß der Kongreß auch unter dem Gesichtspunkt der Organisation und Ablaufsqualität Spitzenformat erreicht hat. Es waren arbeits- und ertragreiche, aber auch schöne Tage freundschaftlich-übernationaler Verbundenheit. Wir freuen uns auf den heutigen Abend im „Drachenhof 4, auf die morgige gemeinsame Fahrt nach Luxemburg, am allermeisten aber auf das vierte japanisch-deutsche Strafrechtssymposium, das schon in der Planung ist und wieder in Japan stattfinden soll!
Autorenverzeichnis Professor Dr. Werner Beulke, Universität Passau, Passau Professor Dr. Makoto Ida, Keio Universität Professor Dr. Shinichi Ishizuka, Kitakyushu Universität Professor Dr. Toshio Kamiyama, Okayama Universität Professor Dr. Katsuyoshi Kato, Aichi Universität Hiroshi Kojima, National Police Agency Professor Dr. Hans-Heiner Kühne, Universität Trier, Trier Professor Dr. Chosin Nagai, Universität Nanzan, Nagoya Ass. Professor Dr. Masao Niwa, Niigata Universität Professor Dr. Klaus Rolinski, Universität Regensburg, Regensburg Professor Dr. Dr. h.c.mult. Claus Roxin, Ludwig-Maximilians-Universität, München Professor Dr. iur. Dr. med. Seiji Saito, Chuo Universität, Tokyo Professor Dr. Bernd Schünemann, Ludwig-Maximilians-Universität, München Ass. Professor Kyoko Yamana, Narasangyo Universität Professor Dr. Toshio Yoshida, Hokkaigakuen Universität, Hokkaido