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German Pages 266 [302] Year 1993
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GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ
Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten
Herausgegeben, übersetzt und mit einem Kommentar versehen von FRANZ SCHUPP
Lateinisch - Deutsch
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P HILOS OP H IS C HE B IB LIO T HE K B AND 338
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abrufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN: 978-3-7873-1142-2 ISBN eBook: 978-3-7873-3253-3 2., durchgesehene Auflage © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1993. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. www.meiner.de
INHALT
Einleitung. Von Franz Schupp . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Grundprobleme und Inhaltsübersicht der Generales lnquisitiones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII 1. Grundprobleme der Generales lnquisitiones . VII 2. Inhaltsübersicht der Generales lnquisitiones . X II. Handschrift, Textbearbeitung, textkritischer Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII 1. Fundort, Handschriftbeschreibung . . . . . . . . XIII 2. Schichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII 3. Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV 4. Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI 5. Textkorrekturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVIII 6. Abschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX 7. Textkritischer Apparat und Zeichenerklärung XX III. Zur Ubersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV IV. Zum Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII V. Zur Forschungsgeschichte und historischen Einordnung ........................... xxvm VI. Zur 2. Auflage ......................... XXXV
Gottfried Wilhelm Leibni'z
Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kommentar (ausführliche Ubersicht s. S. 135ff.) . . 1 Charakteristik - Zeichen - Begriff . . . . . . . . . . 2 Die rationale Grammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Der Kalkül der Terme - Grundform..........
135 139 144 151
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Inhalt
4 Die Interpretation des Kalküls als Begriffsund Aussagenkalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die Syllogistik - Grundprobleme . . . . . . . . . . 6 Formale Darstellung der Aussageformen . . . . 7 Die Modalbestimmungen durch Widerspruchsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Wahrheit und Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Systematische Beziehungen verschiedener Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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164 177 193
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212 219
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243 243 244 251
Verzeichnis der logischen Symbole und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
Lateinisches Begriffsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . .
255
Deutsches Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . 1. Quellentexte (mit Abkürzungen) 2. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . 3. Nachtrag: Literatur seit 1982 . . .
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EINLEITUNG
/. Grundprobleme und Inhaltsübersicht der „ Generales lnquisitiones" 1. Grundprobleme der Generales lnquisitiones
Die Generales lnquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum (GI) stellen die wichtigste geschlossene Arbeit von Leibniz zu Fragen der Logik dar, sie stehen auch seit der ersten Veröffentlichung des Textes im Jahre 1903 durch Couturat im Zentrum der Diskussion um die leibnizsche Logik. Dieser Text bietet ohne Zweifel ziemliche Schwierigkeiten für die Interpretation, da Leibniz mehrmals neu ansetzt, so daß der durchgehende Zusammenhang erst rekonstruiert werden muß. Leibniz war aber, wie er selbst am Rand neben der Oberschrift vermerkte, überzeugt, daß er mit den GI einen großen Fortschritt erzielt habe. Die Abfassung des Textes (1686) fällt in das Jahr, in dem Leibniz auch den Discours de Metaphysique verfaßte. In beiden Schriften wird deutlich, daß Leibniz zu diesem Zeitpunkt meinte, nun eine gewisse systematische Geschlossenheit seines Denkens gefunden zu haben. Dies geht auch aus einem Brief an Th. Bumett aus dem Jahr 1697 hervor, in dem Leibniz schreibt, daß er vor etwa 12 Jahren (also um 1686) endlich zufriedenstellende Lösungen und Beweise in Gebieten gefunden habe, die solcher Beweisbarkeit unzugänglich schienen (GP III 205 ). Gerade an diesen beiden Schriften, den GI und dem DM, kann daher auch die berühmte und bis heute kontroverse Frage des Zusammenhangs von Logik und Metaphysik bei Leibniz besonders gut studiert werden. Etwa zur gleichen Zeit hat Leibniz auch die Arbeit· Analysis Particularum, also eine Untersuchung zur Semantik formaler Redeteile, und die für die Syllogistik wichtige Schrift De Formae Logicae comprobatione per linearum ductus verfaßt. Wie es nun gerade die GI zeigen, versuchte
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Franz Schupp
Leibniz, die Probleme der rationalen Grammatik, der Logik mit Begriffs-, Aussagen- und Modallogik, der Wissenschaftstheorie und der Metaphysik von einem einheitlichen formalen Ausgangspunkt aus anzugehen. Das Mittel dafür war die Entwicklung des Kalküls, wobei bei Leibniz auch in den GI verschiedene Ansätze vorliegen, Kalküle zu entwickeln. Leibniz führte den Kalkül in uninterpretierter Form ein genau mit der Absicht, ihm später verschiedene Interpretationen geben zu können (Thiel 1 34). So wird der zunächst für die Logik entworfene Kalkül zu einem formalen System, das auch eine nicht-logische Interpretation erhalten kann. In dieser Form kann der Kalkül dann als formale Grundstruktur verschiedener Gebiete verwendet werden (Kauppi4 86). Die erste und für Leibniz wichtigste Interpretation des Kalküls ist jene, die den Begriffskalkül ergibt. Mit ihm ist es möglich, die Widerspruchsfreiheit von zusammengesetzten Begriffen zu überprüfen oder Begriffe widerspruchsfrei zusammenzusetzen, sobald deren Widerspruchsfreiheit vorausgesetzt oder bewiesen ist. Die Reichweite des Begriffskalküls ist prinzipiell nicht begrenzt. In der Einschätzung der faktischen Reichweite des Begriffskalküls zeigt sich Leibniz' rationalistische Auffassung. Leibniz ging nicht nur von der Annahme der Welt als rationaler Konstruktion aus, sondern meinte auch, daß dieser rationalen Konstruktion auf Seiten der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten eine Beweistheorie entsprechen müsse (Poser 1 31), die im Bereich der notwendigen Aussagen adäquat und erschöpfend sein müsse, und die im Bereich der kontingenten Aussagen durch formale Annäherungsverfahren hinreichend sein müsse, um die Identität von Wahrheit und Beweisbarkeit behaupten zu können. Insofern für menschliche Erkenntnis der Beweis der Möglichkeit vieler Begriffe nicht ohne Rückgriff auf die Erfahrung der Existenz der ihnen korrespondierenden Dinge möglich ist, hat Leibniz dem Erfahrungsmoment im Rahmen der Wissenschaftstheorie Rechnung getragen, ohne dadurch jedoch die prinzipiell rationalistische Grundkonzeption aufzugeben. In historischer Hinsicht haben daher die GI eine große
Einleitung
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Bedeutung für die Leibnizinterpretation, da in ihnen an einem für Leibniz' Denkentwicklung wichtigen Zeitpunkt gleichsam eine Programmschrift vorgelegt wird, die Leibniz für sich selbst verfaßte, ohne dabei auf das „ gelehrte Publikum" Rücksicht nehmen zu müssen.Die Einwände, die Leibniz seinen eigenen Thesen gegenüber erhebt, die wiederholte Aufnahme derselben Probleme, die ausdrückliche Anmerkung ungelöster Fragen u.ä. geben darüber hinaus einen guten Einblick in den Denkstil von Leibniz. Heutige Logik und Wissenschaftstheorie steht Leibniz in dessen Ansatzpunkt nahe, ohne jedoch die leibnizsche Annahme der Reichweite des rationalistischen Programms zu teilen, wobei allerdings zu sehen ist, daß auch Leibniz selbst schon Zweifel an der Durchführbarkeit dieses Programms hatte. Während Leibniz' Grundthese, daß alles menschliche Denken und so auch jede Wissenschaft ein Operieren mit Zeichen ist, das einer formalen Behandlung im Ausgang von einfachsten Kalkülen zugänglich ist, heute in Sprach- und Wissenschaftstheorie generell gilt, ist die Annahme einer universellen, alle Bereiche übergreifenden und systematisch darstellbaren Charakteristik nicht nur als faktisch, sondern als prinzipiell undurchführbar erkannt worden, so daß sich die einzelnen Wissenschaften heute als „bereichsspezifische Charakteristiken" (Poser 2 316) verstehen. Entsprechend treten die Fragen der Interpretation der allgemeinsten formalen Kalküle, die in diese spezifischen Bereiche als formaler Kern eingehen, in ungleich stärkerem Maße hervor als dies bei Leibniz der Fall ist, wobei allerdings auch schon wieder bei Leibniz das Wissen um solche Probleme festzustellen ist, wofür etwa die bei Leibniz äußerst wichtige Frage der Deutung der Negation im Rahmen der Interpretation des Kalküls als Begriffs-, Aussagenund Modalkalkül ein gutes Beispiel liefert. In der gegenwärtigen Diskussion verschiedenster Probleme sind leibnizsche Ansatzpunkte wesentlich stärker vertreten und wirksam als dies zu Beginn unseres Jahrhunderts der Fall gewesen ist. Es sei hier nur auf die Rolle der „möglichen Welten" im Rahmen der Diskussion um die Modaltheorie, die Frage des Aufbaus und der Reichweite einer
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Franz Schupp
intensionalen Logik, das Problem der Berechtigung einer Begriffslogik gegenüber einer Urteilslogik, die Frage des Verhältnisses von natürlichen und formalen Sprachen, die Frage der Beziehung von Logik und Semantik, und die (in den GI nicht behandelte) Frage einer Normen- und Rechtslogik verwiesen. Es gilt möglicherweise auch heute noch in vielen Bereichen der aktuellen Diskussion logischer Probleme, was Couturat schon 1901 in Bezug auf den logischen Kalkül im engeren Sinn, also den syllogistischen Kalkül, in Hinsicht auf die Arbeiten von Boole und Schröder sagte: Leibniz verfügte über sämtliche Prinzipien von deren logischen Systemen und er war in einigen Punkten sogar weiter fortgeschritten als diese (Couturat 1 386).
2. Inhaltsübersicht der Generales Inquisitiones Die Fragestellung der GI zeigt sich auch in einem gewissen Maß in der Inhaltsübersicht. Die wichtigsten Problemgruppen sind folgende: A Analyse der Begriffe (vgl. Kommentar Abschnitte 1 und
2). B Analyse der Aussage, Rückführung der Aussagen auf Begriffe, Obergang von Begriff zu Aussage (vgl. Kommentar Abschnitt 4 ). C Grundlegung einer Axiomatik des Systems der Syllogismen, Formeln für die Aussageformen, Problem der Behandlung der Negation (vgl. Kommentar Abschnitte 3, 5 und 6). D Bestimmung der Modalitäten dµrch Widerspruchsfreiheit und durch Beweistypen (vgl. Kommentar Abschnitte 7 und 8). Der Aufbau der GI ist nicht streng geordnet. Die Inhaltsübersicht kann also nicht alles wirklich erfassen, es sei denn, man würde in vielen Fällen auch einzelne Paragraphen aufführen. Der Inhaltsübersicht werden zur Orientierung die genannten Problemgruppen zugeordnet. Auch diese Zuordnung kann allerdings nur annäherungsweise Geltung beanspruchen.
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Einleitung
Analyse der Sprache Abstrakte - konkrete Begriffe Privative - positive Begriffe ..... Substantivische - adjektivische Begriffe .................. Vollständige - unvollständige Begriffe .................. Einfache Begriffe ............. Unvollständige Begriffe ........
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4- 10 11- 18
. Zeile
19- 23
. Zeile 32-165 . Zeile 166-239 . Zeile 240-256
Begriff und Aussage Das Sich-Decken von Begriffen .... Zeile 257-312 „Wahr", „falsch", „möglich", „unmöglich" bei Begriffen und Aussagen ................. . §§ 1- 4 Folgesätze von „Sich-Decken" ... . §§ 5- 15 Die affirmative Aussage und ihre Formeln .................. . § 16 Regeln des Kalküls ..... : ...... . §§ 18- 28 Die negative Aussage .......... . § 32 Die falsche Aussage ........... . § 35 Die wahre Aussage ............ . § 40 Die vier Aussageformen und die unmittelbaren Folgerungen ..... . §§ 47- 54 „Wahr" und „falsch" bei Begriffen und Aussagen .............. . §§ Die Modalitäten: „notwendig", „unmöglich", „möglich", „kontingent"; finiter und infiniter Beweis ...... . „Existenz", „Individuum" ...... . Fragen der Negation ............. . Schematische Darstellung von Begriffsverknüpfungen Darstellung von Begriffsverknüpfungen durch Zahlendiagramme... . Darstellung der Aussageformen durch Liniendiagramme (intensional) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
A
c
56- 59 }D
§§ 60- 70 §§ 71- 75 §§ 76a-106
c
§§ 107-108
B
§§ 113-121
C
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Franz Schupp
Darstellung der Aussageformen durch Liniendiagramme (extensional) ................... . Darstellung der Aussageformen durch Zahlen .............. . Die Modalitäten: „notwendig", „unmöglich", „möglich", „kontingent"; finiter und infiniter Beweis ..................... . Zusammenfassung und Programm Rückführung der Aussagen auf Begriffe Logische Abstrakta: Aussagenverknüpfung als Begriffsverknüpfung ..................... . Rückführung von Aussagen tertii adjecti auf Aussagen secundi adjecti ................... . Axiome und Aussageformeln Aussageformeln mit eingeschränktem Identitätsaxiom ......... . Erste Aufstellung von Axiomen und Aussageformeln ......... . Zweite Aufstellung von Axiomen und Folgerungen ........... . Die Aussage als Enthaltensein von Begriffen, der Gebrauch der Negation .................... . Dritte Aufstellung von Axiomen, Aussageformeln und Folgerungen ...................... . Die Aussage als Enthaltensein, Wahrheit und Falschheit von Aussagen .................... . Vierte Aufstellung von Axiomen und Aussageformeln ......... .
§§ 122-123} c §§ 124-128
§§ 130-136
D
§ 137
§§ 138-143
B
§§ 144-151
§§ 152-154 §§ 156-170 §§ 171-183
c §§ 184-186
§§ 189-194
§§ 195-197
B
§§ 198-200
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Einleitung
II. Handschrift, Textbearbeitung, textkritischer Apparat 1. Fundort, Handschriftbeschreibung Die Handschrift der GI befindet sich in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover (LH Phil VII C BI. 20r 31 v0 ). Sie umfaßt 6 Folio bögen. Entsprechend der Gewohnheit von Leibniz, bei Manuskripten eher systematischen Charakters einen Rand für Korrekturen und Ergänzungen freizulassen, findet sich auch in dieser Handschrift ein solcher Rand, der viele und oft auch längere Ergänzungen enthält. Die Handschrift ist an den Rändern an einigen Stellen beschädigt. Erstdruck: G.W. Leibniz, Opuscules et fragments inedits (Hrsg. L. Couturat), Paris 1903, S. 356-399. 0
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2. Schichtungen Die Handschrift vermittelt den Eindruck einer einheitlichen und raschen Niederschrift. Es wurde die Vermutung geäußert (O'Briant 2 1), daß die Arbeit in drei relativ verschiedenen Perioden (Beginn bis BI. 29r BI. 29v -30v 30v0 ab § 169 bis Schluß) abgefaßt wurde, und daß Leibniz zu ihr mit kleineren und größeren Unterbrechungen zu ihrer überarbeitung zurückgekehrt sei. Dafür wurde auf die Angaben Couturats in dessen Edition der GI bezüglich von Wechsel von Feder und Tinte hingewiesen (O'Briant 2 ebd.). Dagegen ist zu sagen, daß der Wechsel von Feder und Tinte bei einer Arbeit von der Länge mehrerer Bögen kein Argument für eine Abfassung in mehreren Perioden darstellt. Solche Wechsel kommen in den GI auch mitten im Satz vor (vgl. BI. 30v0 ), wo keinerlei Periodenabschnitt anzunehmen ist. Der philologische Befund „mit anderer Feder bzw. Tinte" bedeutet zunächst nicht mehr als „Wechsel der Feder" oder „neues Eintauchen der Feder in die Tinte", eine Periodenchronologie läßt sich daraus nicht entnehmen. Dasselbe gilt auch für Bemerkungen am Rand, die oft mit an0
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derer Feder oder anderer Tinte geschrieben sind - sie können trotzdem aus einem Zeitabstand von Minuten stammen. Der philologische Befund läßt also nur die Feststellung einer relativen Chronologie zu, gibt aber - ohne bisher nicht bekannte zusätzliche inhaltliche Gründe - keine Basis für die Annahme verschiedener, zeitlich stark differierender Bearbeitungsperioden ab. Daß Leibniz in der Lage war, ein ziemlich großes Schreibpensum in kurzer Zeit zu bewältigen, läßt sich aus dem Briefwechsel gut belegen, und auch die (für uns!) schwierige Materie läßt sich nicht als ausreichender Grund für die Annahme einer längeren Abfassungszeit anführen. Es läßt sich jedoch aus philologischen wie aus eindeutigen inhaltlichen Kriterien zeigen, daß Leibniz während der Abfassung der GI ständig auf das schon Abgefaßte zurückgriff und dort Änderungen und Ergänzungen vornahm. Damit läßt sich auch in einigen Fällen eine chronologische Folge von Änderungen und/oder Ergänzungen feststellen, die auch in einigen Fällen im Apparat angegeben wurde. Hingegen scheint es unwahrscheinlich, daß eine durchgängige überarbeitung vorgenommen wurde, so daß man also durchgängige Schichten der Bearbeitung oder überarbeitung unterscheiden könnte. Im Fall einer durchgängigen überarbeitung müßte man annehmen, daß Leibniz einige offenkundige Fehler aufgefallen wären (vgl. die ca. fünfzig Fälle, die im Apparat mit korr. Hrsg. bzw. korr. Hrsg. (mit Couturat) angegeben sind). Aus diesem Grund war es auch nicht möglich, den Apparat mit Sigeln entsprechend einzelnen Bearbeitungsstufen zu versehen. Am ehesten hätte man noch einzelne Ergänzungen mit einem Index versehen können, der anzeigt, nach der Abfassung welches Paragraphen welche Änderung und/oder Ergänzung vorgenommen wurde. Da dieses Verfahren jedoch auch nur an einzelnen Stellen möglich gewesen wäre und es den Apparat noch komplizierter gemacht hätte, wurde von dieser Möglichkeit (die auch die Akademieausgabe der Sämtlichen Schriften und Briefe von Leibniz nicht vorsieht) kein Gebrauch gemacht.
Einleitung
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3. Ergänzungen Bei der Textherstellung bereiteten die zahlreichen Ergän· zungen am Rand ziemliche Schwierigkeiten. In vielen Fällen verwendet Leibniz ein Einfügungszeichen, so daß es klar ist, wo die entsprechende Ergänzung einzufügen ist. An sehr zahlreichen Stellen fehlt jedoch ein solches Einfügungszeichen. Couturat nahm bei seiner Textausgabe fast alle diese Ergänzungen mit Klammerbezeichnung in den Text auf. Parkinson und O'Briant hingegen setzen in ihren übersetzungsausgaben fast alle nicht mit Einfügungszeichen versehenen Randergänzungen in einen Anmerkungsteil. Dies bedeutet dann, daß sogar eindeutige Textteile (z. B. die ganzen §§ 98, 141 und 200) dort im Anmerkungsteil enthalten sind. Demgegenüber scheint das Vorgehen Couturats aus sachlichen Gründen richtig, da Leibniz die Unterscheidung von Text und Anmerkung (außer für gelegentliche Zitatnachweise) auch in anderen Schriften nicht kennt. Problematisch sind nur jene Fälle, bei denen es sich um Arbeits- oder überlegungsanweisungen handelt, wie z. B. das, allerdings später gestrichene, ,,Hoc male" und „postea correcta" am Rand von § 61. Allerdings zeigt sich, daß Leibniz selbst solche Anweisungen direkt in den Text einfügt, wie z.B. in § 77: ,,Hoc videndum an possit demonstrari" und dann - was man z. B. mit dem Index erg. 99 versehen könnte - ,,Demonstratum est infra 95 et 99". Ebenso ist etwa die eindeutige Arbeitsanweisung in § 54, zwei Beweise zu vergleichen, von Leibniz in den Text aufgenommen. Wie auch in zahlreichen anderen Fällen versah Leibniz eine solche Anweisung am Rand mit „NB". Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, daß es gerechtfertigt ist, auch solche Stellen in den Text aufzunehmen, in denen ähnliche Anweisungen oder Vermutungen am Rand hinzugefügt wurden. Es wurde also versucht, alle am Rand ergänzten Stellen so weit als möglich in den Text zu integrieren (sie sind im Apparat immer mit am Rande erg. gekennzeichnet), wobei sich in der Mehrzahl der Fälle eine übereinstimmung mit der Textgestaltung Couturats ergab. In einigen wenigen Fällen ergab sich jedoch eine Schwierig-
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keit bei dieser Integration. So ist etwa die Ergänzung auf S. 20 zwar eindeutig dem Text zuordenbar, hätte aber bei der Integration den Text so unterbrochen, daß die Fortsetzung mit „Nam" einen mißverständlichen Zusammenhang ergeben hätte. In diesen Fällen wurde mit Anmerkungen gearbeitet, die mit einem * versehen sind. Die mit * versehenen Anmerkungen bedeuten also nicht wie in der Akademieausgabe eine genetisch spätere, aus dem integralen Textzusammenhang herausfallende Schicht, sondern sind lediglich ein Behelfsmittel zur Textgestaltung, das auf jene wenigen Fälle beschränkt ist, in denen die grundsätzlich als einheitliches und kontinuierliches Ganzes aufgefaßte Textüberlieferung nicht dementsprechend wiedergegeben werden konnte. Das am Rande erg. dieser mit * gekennzeichneten Anmerkungen hat daher in der vorliegenden Textausgabe dieselbe philologische Qualität wie das am Rande erg. des textkritischen Apparats.
4. Transkription Die Transkription des leibnizschen Textes wurde im wesentlichen nach den Regeln der Akademieausgabe vorgenommen. Das v in Wörtern wie qvi wurde zu u transkribiert, also zu qui. Im Unterschied zur Akademieausgabe wurde diese Änderung jedoch auch im textkritischen Apparat vorgenommen. Griechische Worte der Handschrift wurden mit griechischen Buchstaben transkribiert. In den wenigen Fällen, in denen Leibniz im Inneren eines- Wortes griechische Buchstaben verwendet (z.B. 2,22 in emphasin) wurde eine vollständige lateinische Transkription durchgeführt. Abkürzungen am Ende eines Wortes (z.B. das häufige Kürzel für -us) wurden voll ausgeschrieben. Auch andere Abkürzungen, die nicht unmittelbar verständlich sind (z.B. qu für quoddam ), wurden aufgelöst. Hingegen wurden geläufige oder leicht verständliche Abkürzungen belassen. Von Leibniz unterstrichene Worte wurden kursiv gesetzt.
Einleitung
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Die Interpunktion hält sich an die des Manuskripts mit folgender Ausnahme: Leibniz setzt häufig am Schluß eines Satzes oder einer Formel keinen Punkt, wenn dieser Schluß am Ende eines Abschnittes (der häufig auch durch einen größeren Abstand gekennzeichnet wird) oder am Ende einer Zeile steht. In diesen Fällen wurde der Punkt stillschweigend ergänzt. Die übrigen Zeichen wurden transkribiert, wie sie sich in der Handschrift vorfinden. Das alchemistische Zeichen für „distilletur" ( 72 ,935) wird bei Leibniz im Sinn von „ist noch zu bedenken" gebraucht. Auch die logischen Zeichen wurden aus der Handschrift in der dort vorliegenden Form übernommen. - Unverständlicherweise sagt Couturat1 345, Anm. 2, daß in den GI das Zeichen für Gleichheit „oo" sei, und daß er es in seiner Darstellung durch „=" ersetzt habe. Diese Bemerkung war vermutlich der Anlaß, daß auch O'Briant 2 26 für seine Übersetzung von einer solchen Ersetzung in der Nachfolge Couturats spricht. In Wirklichkeit findet sich in der Leibniz-Handschrift der GI durchgehend das Zeichen „=" für logische Gleichheit. Stellen, die nicht sicher lesbar sind, wurden als solche im textkritischen Apparat gekennzeichnet, um weitere Klammern im Text zu vermeiden. Nach Auffassung des Hrsg. gibt es im vorliegenden Text nur wenige wirklich unsichere Stellen (48,617; 82,43; 108,420). Ein gewisses Problem stellte die sog. Umgebungsangleichung dar, die der Vereinheitlichung und so der leichteren Lesbarkeit dienen soll. Eine solche wurde nicht bei der Groß- bzw. Kleinschreibung vorgenommen (z.B. Terminus - terminus), da in dem vorliegenden Text in vielen Fällen die Großschreibung eine Hervorhebung bedeutet. Hier nun eine Unterscheidung zu treffen, wann eine Großschreibung diese Funktion erfüllt und wann nicht, hätte eine Interpretation im besten und eine Willkürlichkeit im schlechtesten Fall mit sich gebracht. Um eine solche Willkürlichkeit zu vermeiden, wurde die Groß- bzw. Kleinschreibung so belassen, wie sie sich in der Handschrift findet. Bei einigen Buchstaben, so vor allem bei i - /, p - P, c - C, ist der philologische Sachverhalt in der Handschrift nicht immer eindeu-
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tig. In diesen Fällen wurde das philologisch Wahrscheinlichere gewählt; am Satzbeginn wurde in Zweifelsfällen immer der Großbuchstabe gesetzt, obwohl auch der Satzbeginn mit Kleinbuchstabe bei Leibniz durchaus geläufig ist. Anders verhält es sich im Fall der Bindestriche bei der Negation, z.B. bei der Negation non-A. Leibniz verwendet den Bindestrich ganz unregelmäßig. Der besseren Lesbarkeit halber wurde der Bindestrich im Text durchgehend gesetzt, obwohl der statistische Befund eine größere Häufigkeit der Nichtsetzung des Bindestrichs aufweist. Im textkritischen Apparat wurden weder diese Bindestriche noch fehlende Satzzeichen ergänzt. Ab § 144 (= Blattbeginn von Bl. 30r0 ) stehen in der Handschrift die Nummern der §§ ohne Klammern, dafür in den meisten Fällen mit Punkt. Hier wurde in Umgebungsangleichung die Kennzeichnung mit Klammern fortgeführt. 5. Textkorrekturen Wie schon oben gesagt, wurden ca. 50Korrekturenim Text vorgenommen. Selbstverständlich sind alle als solche im textkritischen Apparat verzeichnet. Die meisten der Korrekturen waren schon von Couturat vorgeschlagen worden, was im Apparat mit korr. Hrsg. (mit Couturat) gekennzeichnet ist. Die Mehrzahl der Korrekturen ist völlig unproblematisch, es handelt sich dabei um kleine Schreibfehler, die selbst in Fällen, in denen auch eine andere korrigierte Lesung möglich wäre (vgl. z. B. 20,261 verietate korrigiert zu veritate ), keinerlei Interpretationsprobleme aufgeben. In anderen Fällen handelt es sich um Flüchtigkeitsfehler, die jedoch aus dem Kontext oder aufgrund der von Leibniz vorher vorgenommenen Korrekturen (verzeichnet in den Lesarten) eindeutig richtiggestellt werden können (vgl. z.B. 40,508 B et Y korrigiert zu B et A). Zu diesen Flüchtigkeitsfehlern rechne ich auch zwei weder von Couturat noch von den Obersetzern Schmidt, Parkinson und O'Briant vorgenommene Korrekturen (84,69 subjectum et
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praedicatum korrigiert zu praedicatum et subjectum, und 108,414 uniformitas est circularitas korrigiert zu circularitas est unzformitas). In beiden Fällen ergibtnur die Umstellung einen logisch korrekten Sinn, der auch von Leibniz im Kontext klar gemacht wird. Im zweiten Fall ergäbe zwar auch die Frage in der Form, wie sie bei Leibniz vorliegt, einen Sinn, wäre jedoch, da sie nach einer logisch falschen Kombination fragt, eindeutig mit „nein" zu beantworten, wogegen der Kontext klar zeigt, daß Leibniz nach einer logisch korrekten Form fragen will, die nur wegen der abstrakten Begriffe, die dabei verwendet werden, fraglich ist.
6. Abschnitte Die Abschnitte wurden so übernommen, wie sie in der Handschrift vorliegen. An einigen Stellen ist es nicht eindeutig, ob Leibniz durch größere Abstände neue Abschnitte anzeigen wollte. In Zweifelsfällen, in denen jedoch neue Abschnitte der besseren übersichtlichkeit dienen, wurden solche neuen Abschnitte angesetzt. Bei den §§ 32, 76, 130 und 140 zählt Leibniz irrtümlicherweise die Paragraphen doppelt. Bei den§§ 76 und 130 geht dieser Irrtum einfach auf den Seitenwechsel im Manuskript zurück. Die Doppelzählung von § 32 geht darauf zurück, daß Leibniz innerhalb einer Streichung mehrerer Paragraphen nur § 32 stehen ließ, dann aber bei der Weiterzählung die Folgenummer des Paragraphen vor der längeren Streichung setzte. Die Doppelzählung von§ 140 geht einfach darauf zurück, daß Leibniz den zweiten § 140 nachträglich (vermutlich zusammen mit dem ganzen § 141) ergänzte. Es besteht jedoch kein Anlaß anzunehmen, daß Leibniz nur irrtümlicherweise vergessen habe, den ersten § 140 zu streichen. Der § 188 wurde vermutlich nachträglich gestrichen (er ist vollständig im Apparat enthalten), so daß die Paragraphenzählung des vorliegenden Textes von 187 auf 189 springt. Die fehlerhaften Numerierungen wurden beibehalten, da in der Fachliteratur durchgängig
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nach dieser auch in der Ausgabe von Couturat enthaltenen Zählung zitiert wird. 7. Textkritischer Apparat und Zeichenerklärung
a) Standardisierte Ausdrücke und Zeichen Der textkritische Apparat ist entsprechend den Regeln der Akademieausgabe gestaltet. Folgende standardisierte Ausdrücke bzw. Abkürzungen und Zeichen wurden verwendet: erg. ergänzt; gilt sowohl für Ergänzungen im Text als auch für Ergänzungen am Rand, wenn in der Handschrift ein Einfügungszeichen vorliegt am Rande erg. am Rande ergänzt, wenn kein Einfügungszeichen vorliegt gestrichen gestr. bricht ab nicht fertig geschriebenes Wort korrigiert durch den Herausgeber: korr. korr. Hrsg. wird nur für diesen Fall verwendet, nie für Korrekturen von Leibniz. Korrekturen, die schon von Couturat (gewöhnlich im Anmerkungsteil der Ausgabe in C) vorgeschlagen wurden, sind durch korr. Hrsg. (mit Couturat) gekennzeichnet; da die entsprechenden Stellen in C leicht auffindbar sind, wurden keine diesbezüglichen Seitenzahlen angegeben.
unsichere Lesung [] ergänzt vom Hrsg. In einigen Fällen wurden zur Verdeutlichung besonderer Fälle im Lesartenapparat nichtstandardisierte Ausdrücke verwendet.
b) Stufung und Balkenkennzez"chnung Für die Darstellung der Stufung wird entsprechend dem Verfahren der Akademieausgabe zunächst ein Zahlen- bzw. Buchstabensystem verwendet, wobei die Zahlen den latei-
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nischen Buchstaben und die lateinischen den griechischen Buchstaben vorgeordnet sind. Dieses Ordnungssystem gibt Stufen der Entstehung des Textes an, also eine genetische Folge. Durch (2) wird (1) aufgehoben, d. h. Leibniz ersetzte den unter (1) aufgeführten Text durch den unter (2) aufgeführten usw. Bei dieser Stufendarstellung wird gewöhnlich nicht gestr., erg. oder am Rande erg. angegeben, obwohl dies im Falle von erg. oder am Rande erg. eine zusätzliche, durch die Darstellung der Stufung nicht schon mitgegebene Information liefern würde. Dieses Ordnungssystem gibt also nicht an, ob es sich um eine Sofortkorrektur oder um eine durch Streichung und Darüberschreiben bzw. Am-Rand-Schreiben entstandene Korrektur handelt. Durch dieses Ordnungssystem soll - unter den angeführten Einschränkungen - der Werdegang einer Textstelle vom ersten Ansatz bis zu der im Text vorfindlichen Form dokumentiert werden. Neben diesem genetischen Ordnungssystem wird ein eher graphisch-deskriptives System verwendet, das durch den eröffnenden und schließenden Balken gekennzeichnet ist. Vor dem schließenden Balken steht jeweils die textkritische Information, die für den gesamten Text nach dem eröffnenden Balken und nur für diesen Text gilt. Durch dieses System ist es auch möglich, zusätzliche Informationen in das Zahlen- bzw. Buchstabensystem einzubringen, z. B. wenn es für die Interpretation wichtig erscheint, zusätzlich zur Stufung anzugeben, daß eine bestimmte Stufe am Rande erg. wurde. In einigen Fällen wird dieses Balkensystem auch innerhalb einer Stufe des Zahlen- bzw. Buchstabensystems verwendet. Dieses Verfahren ist editorisch problematisch, da es prinzipiell durch eine weitere Aufteilung der Stufung ersetzt werden könnte. Die editorische Praxis zeigt jedoch, daß dieses Verfahren der gelegentlichen Kombination zweier eigentlich heterogener Systeme der Ubersichtlichkeit gerade bei der Darstellung sehr komplizierter Textsachverhalte dient. Sowohl im Fall des Zahlen- bzw. Buchstabensystems als auch im Fall des Balkensystems wurde jeweils ein Anfangs-
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lemma gesetzt. Um die Eindeutigkeit des Textverweises sicherzustellen, ist es in einzelnen Fällen erforderlich, mehrere Worte oder eine ganze Formel als Lemma zu verwenden. Da die jeweils letzte Stufe dem endgültigen Text entspricht, ist kein Schlußlemma erforderlich. Ebenso ist die Textkennzeichnung durch das Balkensystem so eindeutig, daß kein Schlußlemma erforderlich ist. In Punkt 11.2 der vorliegenden Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß es nicht möglich schien Qedenfalls beim gegenwärtigen Stand der Forschung) durchgängige Schichtungen zu unterscheiden. Ob dies späterer Forschung gelingt, mag eine offene Frage bleiben. Für die Interpretation des sachlich einheitlichen Textes dürfte diese Frage keine Rolle spielen. Da nun solche durchgängige Schichten, die man in der Akademieausgabe durch La, L& usw. kennzeichnet, nicht feststellbar schienen, wurde - im Unterschied zur Praxis in der Akademieausgabe - auch von der Schlußsigel L (=Leibniz) abgesehen, da diese dann grundsätzlich nach jeder Lesart anzubringen wäre, was den textkritischen Apparat unnötig belastet hätte, ohne irgendeine zusätzliche Information zu liefern. Die vom Hrsg. vorgenommenen Korrekturen sind immer als solche eindeutig gekennzeichnet.
c) Zur Problematik des textkritischen Apparats Es wurde keine Vollständigkeit der Lesart angestrebt (eine solche vollständige Verzeichnung wird auch in der Akademieausgabe nur bei wenigen Stücken vorgenommen). Sowohl in der Auswahl der Lesarten, als auch in der Darstellung der Lesarten (die ja in vielen Fällen entweder durch das Zahlen- bzw. Buchstabensystem oder durch das Balkensystem, oder gelegentlich durch die Kombination beider Systeme erreicht werden kann, und die so häufig gerade in komplizierten Fällen nicht zwingend vorgegeben ist), liegt bei der Bearbeitung, bei aller angestrebter philologischer Genauigkeit und objektiver Uberprüfbarkeit, ein nicht zu unterschätzender Faktor interpretatorischer Tätigkeit. Der Wunsch vollständiger Verzeichnung der Lesarten und
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vollständig objektiver Gestaltung der Lesarten (letzteres wäre nur erreichbar durch eine Reduktion auf rein graphisch-deskriptive Wiedergabe) würde den textkritischen Apparat jedenfalls dieses - nicht nur inhaltlich, sondern auch philologisch - schwierigen Textes unbrauchbar machen. In vielen Fällen ist der textkritische Apparat für den Benutzer ein adäquater Ersatz der Handschrift. In einigen Fällen wird jedoch der Apparat dem Benutzer nicht alle erforderlichen Informationen liefern können. Dies ergibt sich einfach daraus, daß mit einem textkritischen Apparat versucht wird, einen nach nicht-formalisierten Verfahren entstandenen Text in seiner Genese durch ein weithin formalisiertes System wiederzugeben. (Der Benutzbarkeit halber darf nur in wenigen Ausnahmefällen von dem standardisierten Verfahren abgegangen werden.) In einigen Fällen wiederholt z. B. Leibniz in der Stufe (2) völlig identisch den Beginn der Stufe ( 1). In diesen Fällen wird diese Wiederholung auch auf Stufe (2) wiedergegeben (vgl. z.B. die Lesart zu 4,46), da innerhalb einer Lesart nichts gestrichen wird. Der Benutzer, der jadie Handschrift nicht vor sich hat, könnte meinen, daß hier die Stufung zu früh angesetzt ist, was aber eben nicht der Fall ist. Eine solche Wiederholung könnte jedoch anzeigen, daß Leibniz eine Formulierung zunächst verworfen hat, dann jedoch keine bessere gefunden hat - was eben auch einen Interpretationshinweis liefert. - Die Darstellung durch Schichten kann aber dem Benutzer auch manchmal Schwierigkeiten des syntaktischen Verstehens bereiten, obwohl sich diese Schichtung aus der Handschrift klar ergibt. Z. B: Die Lesart zu 34,425 lautet: „BY=A (1) (18) Hinc porro demonstratur A esse (continere) B; (continere vel) inferre (2) (18) Coincidunt". Der Benutzer könnte nun vermuten, daß die richtige Schichtung so wäre: „BY=A (1) (18) Hinc porro demonstratur A esse (a) (continere) B; (b) (continere vel) inferre (2) (18) Coincidunt". In der Handschrift ist es klar, daß Leibniz nach „inferre" den Satz abbricht (der Rest der Zeile bleibt leer - eine Information, die der Apparat nicht liefert), also ursprünglich eine Fortsetzung des Satzes vorgesehen war, aus
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der eine vollständige Stufe (1) etwa folgender Form entstanden wäre: „(18) Hinc porro demonstratur A esse (continere) B; (continere vel) inferre significat A esse B." Solche syntaktisch schwer nachkonstruierbare Lesarten wurden doch aufgenommen, wenn Gründe vorhanden waren, die die Lesart als für die Interpretation wichtig erscheinen ließen, so die auf einer Stufe auftretende Folge: „esse continere - inferre." Diese kurzen Hinweise sollen zeigen, daß ein textkritischer Apparat ein nützliches Hilfsmittel sein kann und soll, das der Interpretation des Textes dient; er stellt aber nicht die formalisierte Wiedergabe der Handschrift dar, diese würde auch niemandem etwas nützen.
III. Zur Übersetzung Es ist hier nicht erfordert, die genügend bekannten allgemeinen Schwierigkeiten von Obersetzungen zu wiederholen. Es sollen daher nur beispielhaft einige Hinweise auf die spezifischen Probleme der Obersetzung des vorliegenden Textes gegeben werden. Das besondere Interesse, das dieser Text hervorruft liegt in seiner Bedeutung für die Kenntnis der Geschichte der Logik. Deshalb wurden auch im englischsprachigen Raum, wo das Interesse an der Geschichte der Logik besonders groß ist, in den letzten zwei Jahrzehnten sogar zwei Obersetzungen dieses Textes veröffentlicht (Parkinson 2 4 7-8 7; O'Briant 2 ; die vorliegende Obersetzung wurde mit beiden verglichen). Die Bedeutung des Textes, für die Geschichte der Logik erfordert eine Obersetzung, die ihn dem Logiker der Gegenwart aufschließt. Daher ist auch die ältere Obersetzung von Schmidt FS 241-303 kaum geeignet, eine ausreichende Grundlage zu liefern (was nicht heißt, daß nicht bei einem weithin so formalen Text wie den GI an einzelnen Stellen eine weitgehende Obereinstimmung zwischen der Obersetzung Schmidts und der vorliegenden Obersetzung auftreten muß, was entsprechend auch für das Verhältnis der beiden englischen Obersetzungen zueinander gilt).
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Das Problem war also, bei aller Genauigkeit der Textvorlage gegenüber, eine übersetzung zu erstellen, die es dem heutigen Forscher oder Studenten der Geschichte der Logik möglich macht, den Text in angemessener Weise zu verstehen., ohne daß ihm die spezifische historische Form des Textes unkenntlich gemacht würde. Dies bedeutete, daß dort, wo in der heutigen Logik tatsächlich äquivalente Ausdrücke vorhanden sind, diese gewählt werden, dort jedoch wo keine vorhanden sind, es vermieden wird, Fachbegriffe der modernen Logik oder Philosophie - in einem dann etwas anderen Sinn - zu verwenden. Dieses Verfahren hilft Mißverständnisse zu vermeiden. Deshalb wurde z. B. ein Begriff wie „coincidere" bzw.' „coinczdentia" mit „sich decken" bzw. als „das Sich-Decken" übersetzt, obwohl im Deutschen wenigstens das Substantiv „Koinzidenz" zur Verfügung gestanden hätte. Die Sperrigkeit der übersetzung hat in solchen Fällen den Vorrang vor der Eleganz, um den Leser darauf aufmerksam zu machen, daß er es mit einem Sachverhalt zu tun hat, für den er in seinem gewohnten - auch fachtechnischen - Vokabular nicht schon einen äquivalenten Ausdruck zur Verfügung hat. Dabei wurde versucht, so weit es möglich schien, deutsche Ausdrücke für lateinische Begriffe zu finden, die Zahl der übernommenen lateinischen Fremdwörter also so gering wie möglich zu halten. Selbstverständlich wurde auch versucht, Fachbegriffe durchgängig mit demselben Begriff zu übersetzen. Dies war jedoch nicht in allen Fällen möglich, da es einen durchgehenden Gebrauch bei Leibniz selbst vorausgesetzt hätte, der aber eben nicht immer gegeben ist. So wird z. B. „notio" im Titel der Abhandlung in einem weiteren Sinn gebraucht als in der Randbemerkung zu § 32. Oder etwa wird das lateinische „seu" in der Mehrzahl der Fälle durch „d. h." wiedergegeben, in einigen Fällen jedoch schien „oder" die korrekte übersetzung zu sein. In solchen Fällen mußten also Kompromisse gefunden werden, die den Systematiker nie ganz befriedigen können. Keine zufriedenstellende Lösung konnte für die Setzung von Anführungszeichen gefunden werden. In vielen Fällen unterstreicht Leibniz ein Wort oder einen Satz (was im la-
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teinischen wie im deutschen Text durch Kursivdruck wiedergegeben wird), was oft die Funktion heutiger Anführungszeichen hat, oft aber auch nur die der Hervorhebung, manchmal aber auch beide Funktionen vereinigt. Im deutschen Text wurden daher nur dort zusätzliche Anführungszeichen gesetzt, wo ohne solche der Text mißverständlich schien. Eine durchgehende, den heutigen Anforderungen der Logik entsprechende Setzung von Anführungszeichen wäre eine den historischen Gegebenheiten des Textes unangemessene Lösung gewesen, da dieser Text ja eben vor der Einführung dieser strengen Praxis liegt. Die Sachproblematik selbst war Leibniz klar, wie die diesbezüglichen Unterstreichungen zeigen, es gehört aber eben zu der Form von Leibniz' Logik, daß er eine entsprechende durchgängige Kennzeichnung als nicht erforderlich ansah. Diesen historischen Sachverhalt soll auch die Obersetzung nicht aufheben. In bestimmten Fällen bietet die lateinische Syntax Möglichkeiten, logische Sachverhalte in einer Weise zu formulieren, die in der deutschen Sprache keine Entsprechung hat. So besteht z. B. im Lateinischen ein eindeutiger und wichtiger Unterschied zwischen „est non vera" und „non est vera". Um diesen Unterschied im Deutschen wiedergeben zu können, wurde „ist nicht-wahr" bzw. „ist nicht wahr" gesetzt. Im Falle von „non ="wurde die Wiedergabe durch „=I=" gewählt, die sich in dieser Form in den GI nicht findet, die aber seit Couturat 1 in Übersetzungen wie in der Sekundärliteratur allgemein verwendet wird. Leibniz verwendet kein konsequentes System der Klammersetzung. In der Obersetzung wurden die Klammem so übernommen, wie sie sich bei Leibniz finden. Dabei ist jedoch zu beachten, daß auch der gelegentlich, vor allem bei Negationen, auftretende Strich über einem Ausdruck oder einer Formel eine Funktion ausübt, die heute durch Klammern oder durch Punkte wiedergegeben wird. So ist etwa nicht-AB gleichbedeutend mit nicht-( AB). Diese Kennzeichnung durch den Strich wurde auch in der Obersetzung beibehalten. Sie soll in diesem wie in den anderen Punkten eben auch dokumentieren, in welcher Weise Leibniz ver-
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suchte, mit Problemen formaler Kennzeichnung fertig zu werden. Abschließend sei bemerkt: Die Ubersetzung eines solchen Textes ist eine nützliche Hilfe. Sie wird aber vor allem dem dienen, der das Lateinische so weit kennt, daß ihm der gelegentliche Vergleich mit dem lateinischen Originaltext oder mit den lateinischen Begriffen im Originaltext möglich ist.
IV. Zum Kommentar Der Kommentar will einige Hilfestellungen zum Verständnis des Textes liefern. Dafür wird vor allem auf Texte von Leibniz verwiesen, die zum besseren Verständnis herangezogen werden können. Da Leibniz sich zu vielen Fragen an sehr vielen Stellen äußert (vgl. den Index in C), wurden vor allem „klassische" Stellen herangezogen, die besonders präzise sind und die deshalb in der Sekundärliteratur auch immer wieder zitiert und diskutiert werden. Um den Kommentar nicht mit Zeichen zu überlasten, wurden Stellen, auch wenn sie ziemlich genau eine Ubersetzung des Leibniz-Textes darstellen, gewöhnlich nicht noch durch Anführungszeichen gekennzeichnet. Dies gilt selbstverständlich nicht für Zitationen aus der Sekundärliteratur. Außer an diesen (wenigen) Stellen letzterer Art sind daher Anführungszeichen für die Kennzeichnungen im logischen Gebrauch vorbehalten. Im allgemeinen wird nicht auf Entwürfe verwiesen, in denen Leibniz andere Lösungen vorschlägt. Deshalb ist im Kommentar auch keine Entwicklungsgeschichte der leibnizschen Logik enthalten (vgl. dazu vor allem Couturat 1 ; Kauppi 1 ). Auf Sekundärliteratur wird jeweils am Anfang eines Punktes und innerhalb der Unterpunkte an einigen wichtigen Stellen hingewiesen, was aber nicht heißen soll, daß immer alle Sekundärliteratur angeführt wird, die zu bestimmten Stellen oder Fragen Stellungnahmen liefert. Vor allem mußte auf eine kritische Diskussion anderer Interpretationen verzichtet werden. Die Zitation eines Autors bedeutet
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daher nicht, daß sich diese Interpretation durchgehend mit der vorliegenden deckt. Das Dezimalsystem des Kommentars ist vor allem als Hilfe für das Verweissystem der Anmerkungen gedacht. Es soll daher nicht der Anschein erweckt werden, dieser Kommentar stelle eine systematische Darstellung der leibnizschen Logik der GI dar. Im Kommentar wird bewußt fast ausschließlich mit Symbolisierungen gearbeitet, die Leibniz selbst verwendet, um die Tragfähigkeit dieser Symbolisierungen überprüfen zu können. Die Negation der von Leibniz verwendeten Gleichung „=" wird als „=F" wiedergegeben, wogegen die Negation von Begriffen wie bei Leibniz ausgeschrieben bleibt, also z.B. „nicht-A". Eine eindeutige Symbolisierung dieser Negation würde die gerade mit der Negation bei Leibniz verbundenen Probleme eher verdecken. Der Kommentar erhebt keinerlei Anspruch auf Originalität, sondern versucht, die wichtigsten für die Interpretation der GI relevanten Forschungsergebnisse für den zusammenzustellen, der sich nicht speziell mit der Erforschung der leibnizschen Logik befaßt. Grundlegend für die Erarbeitung des Kommentars waren die Arbeiten von Couturat 1, Rescher,, Kauppii. Poser 1 , Schneider, und Burkhardt2.
V. Zur Forschungsgeschichte und historischen Einordnung Es kann nicht der Sinn einer Einleitung sein, die Forschungsgeschichte der GI im einzelnen darzustellen. Sie stellt ja auch nur einen, wenn auch zentralen Punkt der Forschungsgeschichte der gesamten leibnizschen Logik dar. Die Forschungsgeschichte der GI beginnt mit Couturat 1 aus dem Jahre 1900, wo der Autor u. a. eine Darstellung des logischen Kalküls der GI lieferte (ebd. 344-357). 1903 folgte dann die Veröffentlichung des ganzen Textes der GI in C. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung, 1903, wie auch die philosophische Richtung, die der Herausgeber und erste Kommentator vertrat, waren nicht unerheblich für die wei-
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tere Forschungsgeschichte. Couturat hatte mit Russell in Verbindung gestanden, der seinerseits schon vor der Veröffentlichung von C durch Couturat eine einflußreiche Monographie zu Leibniz verfaßt hatte (Russell 1 ). Durch die Veröffentlichung von C sah sich Russell in seiner Leibniz-Interpretation im wesentlichen bestätigt (Russell 2 ). Die weitere Forschung sowohl der leibnizschen Logik im allgemeinen als auch der GI im besonderen blieb in starkem Maß von diesem Ausgangspunkt Couturat-Russell bestimmt. Dieser Ausgangspunkt war vor allem in zweifacher Interpretationsrichtung maßgebend, wobei beide Hinsichten eine Einschränkung der Verständnismöglichkeiten der GI wie auch der übrigen logischen Schriften von Leibniz mit sich brachten: 1. Leibniz strebte in seinen Versuchen einen Kalkül an, der gleicherweise eine extensionale wie eine intensionale Deutung zuließ (vgl. in den GI § 122 und 123), wobei er selbst an verschiedenen Stellen wie im ganzen Aufbau der GI deutlich machte, daß er der intensionalen Interpretation den Vorzug gab. Die moderne Logik vor allem seit Russell baute zunächst eine rein extensionale Logik auf, in der Weise, daß dies als der einzige für mathematische Logik gangbar scheinende Weg dargestellt wurde (vgl. Couturat 1 32). Schon 1918 wurde jedoch in Lewis 14 darauf hingewiesen, daß die Unterscheidung der intensionalen und extensionalen Interpretation der Logik Leibniz die Möglichkeit gab, bestimmte Schwierigkeiten zu vermeiden, die bei Kommentatoren der leibnizschen Logik, die auf einem rein extensionalen Standpunkt stehen, auftreten müssen. Vor allem durch die beiden wichtigen Arbeiten Rescher, und Kauppi 1 wurde der Weg bereitet, auch dem intensionalen Standpunkt in der Logik von Leibniz sein Recht zu verschaffen (vgl. auch Beinekamp-Schupp), der in der Gegenwart ja nicht nur von historischem, sondern auch von aktuellem systematischem Interesse ist. 2. Die moderne Logik vor allem seit Frege und Russell ging von der Analyse der Beziehungen von Aussagen aus. Der geschichtlich bedingte Ausgangspunkt der Erforschung der leibnizschen Logik war systematisch von dieser Position
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beeinflußt. Verschiedene Forscher (vgl. z. B. Scholz 2 ) sahen in Leibniz einen Vorläufer Freges. Dies ist nur ein Beispiel für den Blickwinkel, unter dem die leibnizsche Logik von der Forschungsgeschichte weithin betrachtet wurde: Man stellte Leibniz als Vorläufer der modernen formalen und mathematischen Logik - und meist noch jener der Frege-Russell-Form - dar, und ging so gewöhnlich von der leibnizschen Analyse der Aussage aus. Nun ging aber Leibniz, wie es gerade auch die GI eindrucksvoll zeigen, nicht von der Aussage, sondern vom Begriff aus. In dieser Hinsicht steht er mehr in der Linie der aristotelischen und mittelalterlichen Logik, deren Fortsetzung und Weiterentwicklung er darstellt. Der genannte Blickwinkel hatte vor allem zwei Folgen: Erstens wurde in historischer Hinsicht die Beziehung von Leibniz zu den vorangegangenen Formen der Logik wesentlich weniger erforscht als seine Beziehung zu nachfolgenden, modernen Formen der Logik. (Es gibt keine einzige Monographie über die Beziehung der leibnizschen zur mittelalterlichen Logik; einige kurze Hinweise dazu finden sich z.B. in Burkhardt2 ). Zweitens bekam in systematischer Hinsicht die Forschung den bei Leibniz ganz wichtigen Übergang von den Begriffen zu den Aussagen nicht recht in den Griff. An diesem Punkt muß weitere Interpretationsarbeit ansetzen. Der oben genannte Ausgangspunkt mußte sich in der weiteren Forschung schon allein deshalb bemerkbar machen, da er auch die Auswahl der Textedition von Couturat, dessen C eine der wichtigsten Textgrundlagen zur Erforschung der leibnizschen Logik. darstellen, beeinflußt hatte. Wichtige Texte gerade auch zum Verhältnis von Sprachanalyse und Sprachphilosophie zur Logik sind noch nicht veröffentlicht. Dasselbe gilt für Exzerpte verschiedener Werke, die Leibniz angefertigt hat, und die weiteren Aufschluß über Beziehungen zu anderen Autoren geben könnten. Die weitere Forschungsgeschichte zur Logik und Sprachphilosophie von Leibniz wird in verstärktem Maß auch Editionsarbeit leisten müssen, um über historisch be-
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dingte Engführungen, die sich schon aus der bisher unvollständigen Textgrundlage ergaben, hinauszugelangen. Leibniz hat außer seinem frühen Werk De Arte Combinatoria von 1666 keine Werke veröffentlicht, die ausschließlich Fragen der Logik gewidmet sind. Einige Arbeiten zur Logik ~rden von Dutens, Erdmann und Gerhardt veröffentlicht (vgl. vor allem GP VII), die wichtigsten, unter ihnen die GI, erst 1903 in Couturats C. Diese besondere Textlage erfordert, die historische Einordnung der GI auf drei verschiedenen Ebenen anzusetzen (dasselbe gilt mit Einschränkungen für die gesamte leibnizsche Logik). Zunächst gibt es [ 1] eine historisch feststellbare Entwicklung der Logik bei Leibniz, die ihrerseits von bestimmten historischen Voraussetzungen ausging. Weiters gibt es [2] eine Wirkungsgeschichte der leibnizschen Logik, soweit diese seinen Zeitgenossen und den folgenden Generationen bekannt war (einschließlich jener, die durch die Textveröffentlichungen bei Dutens, Erdmann und Gerhardt gegeben war). Und schließlich gibt es [ 3] eine breite Wirkungsgeschichte der leibnizschen Logik seit der Veröffentlichung von C, die auch die früheren Texte zur Logik erst ins rechte Licht rückte. Die Ebene [ 3] fällt nun weithin - wenn auch nicht ganz - mit der Forschungsgeschichte zusammen, braucht also hier nicht weiter besprochen zu werden. Die Ebene [2] kann hier nicht dargestellt werden, da sie ausführliche, größtenteils noch nicht unternommene Untersuchungen voraussetzen würde. Der Einfluß etwa auf J .H. Lambert ist bekannt. Und auch G. Frege war der Meinung, zur Verwirklichung leibnizscher Gedanken beizutragen, wie er im Vorwort zur Begriffsschrift 1878 schrieb. Der Einfluß, den Leibniz etwa durch gelegentliche Bemerkungen in Briefen (z. B. an A. Vagetius oder V. Placcius) ausgeübt hat, wird sich kaum genau feststellen lassen. Vermutlich würden Forschungen in dieser Richtung dasselbe ergeben, was für den Einfluß der Schriften gilt: Der Einfluß von Leibniz in Richtung auf die Entwicklung der formalen und mathematischen Logik ist zwar festzustellen, er kann aber kaum auf eine bestimmte Entwicklung hin identifiziert werden. Es ist hier wahr-
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scheinlich dasselbe der Fall wie in anderen Gebieten der Wirkungsgeschichte leibnizschen Denkens: Der Einfluß „leibnizscher Denkweise" dürfte größer sein als man gewöhnlich annimmt, aber er bleibt oft diffus und schwer im Detail zu identifizieren. Die einzige Ebene, auf der präziser historischer Aufschluß erwartet werden kann, ist also vermutlich die erste. Hier sind wieder zwei Problemkreise deutlich zu unterscheiden. Erstens müßte man die Quellen erforschen, aus denen Leibniz selbst geschöpft hat. In Bezug auf die Logik ist der Großteil der Arbeit noch zu leisten. Man kennt seit langem den Einfluß von R. Lullus bzw. der Lullisten, von A. Kircher, von G. Dalgarno und J. Wilkins, von J. Hospinianus (vgl. dazu z.B. Couturat 1 und Rossz"); man weiß auch einiges über die philosophische Entwicklung des jungen Leibniz und deren unmittelbaren Hintergrund (vgl. Kabitz). Wie begrenzt jedoch beim gegenwärtigen Stand der Forschung die Möglichkeit der historischen Einordnung von Leibniz' Logik ist, kann man daran ersehen, daß wir zwar wissen, daß Leibniz die Schriften zweier bedeutender Logiker der Generationen vor ihm, G. Zabarella und J. J ungius kannte, er letzteren sogar über alle Logiker seiner Zeit stellte, es jedoch bisher nicht gelungen, bzw. kaum versucht wurde, konkrete Punkte des Einflusses dieser Schriften auf die leibnizsche Logik festzustellen (vgl. dazu Kangro; Ashworth). Noch ungeklärter ist die Verbindung von Leibniz zur scholastischen Logik. Soll der Forscher z.B. darüber Auskunft geben, woher Leibniz etwa die eindeutig scholastischen Unterscheidungen des § 144 der GI der propositio secundi bzw. tertii adjecti gekannt hat, so wird er die Antwort schuldig bleiben oder nur auf damalige allgemeine Schulbuchkenntnis verweisen können. über solche Detailfragen hinaus, deren Beantwortung für die Behandlung des Strukturproblems zwar hilfreich, aber nicht immer unerläßlich ist, käme die historische Einordnung der leibnizschen Logik erst dann richtig in den Blick, wenn man sie in der Gesamtheit ihrer historischen Elemente erklärt hätte, die eben solche der Scholastik, der Renaissance und der beginnenden mathematischen Logik enthält. Zweitens muß die imma-
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nente Entwicklung der leibnizschen Logik dargestellt werden, um die historische Einordnung der GI erstellen zu können. Dies ist nun jener Punkt, in dem auch heute schon eine ziemlich präzise Auskunft gegeben werden kann. Leibniz hat nicht ein System der Logik entwickelt, an dessen Verbesserung er dann gearbeitet hat, sondern hat eine ganze Reihe ziemlich verschiedener Versuche unternommen. Couturat 1 322 u. ö. hat drei Perioden festgestellt, in denen sich Leibniz mit Fragen der Logik beschäftigt hat: 1679, 1686 und 1690, und nach 1690. Diese drei Perioden hat bereits Couturat gut charakterisiert (vgl. ebd. 322-387), weitere Präzisionen wurden von Dürr 2 , 3 sowie von Rescher 1 vorgenommen. Einen guten überblick über diese historische Entwicklung geben: Kauppi 1 Kap. III und Parkinson 2 Einleitung. Die GI gehören also zur mittleren Periode von Leibniz' Beschäftigung mit Problemen der Logik, deren wichtigste Arbeit sie darstellen. Zu derselben Gruppe gehören u. a. die Fragmente in C 232-237 und C 421-423 aus dem Jahre 1690, sowie die Fragmente in C 259-264, und schließlich die wichtige Arbeit De Formae Logicae comprobatione per linearum ductus in C 292-321. Diese Periodeneinteilung ist ziemlich erklärungsstark. Sie ermöglicht es, aufgrund einiger datierter Fragmente aus inhaltlichen Gründen und aufgrund der verschiedenen Formen der formalen Symbolisierung gut begründbare Zuordnungen undatierter Fragmente zu liefern. Auch hier muß aber wieder eine Einschränkung der Erklärungskraft dieser Periodisierung angemerkt werden. Sie gilt für Texte aus dem Bereich der Logik und der rationalen Grammatik. Es ist jedoch bisher nicht möglich gewesen, in überzeugender Weise diese Periodisierung auf das Gesamtwerk von Leibniz auszudehnen oder nur mit diesem in klar zuordenbare Beziehungen zu setzen, was ja möglich sein müßte, wenn die Logik wirklich für Leibniz jene grundlegende Rolle gespielt hat, die ihr häufig zugeschrieben wird. Auch die genaue Bestimmung des Verhältnisses der GI zu dem ebenfalls 1686 entstandenen Discours de Mitaphysique ist noch zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang kann auch festgestellt werden, daß sich im gesamten bisher veröffentlichten
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Briefwechsel des Jahres 1686 keinerlei Hin weis von Leibniz finden läßt, der auf seine Arbeit an den GI hindeutet. Somit bleibt es nach Auffassung des Verf. bisher ungeklärt, warum sich Leibniz gerade in diesen drei Perioden mit Problemen der Logik beschäftigt hat. An diese ungeklärte Frage schließt sich eine andere ebenso ungeklärte an, die gerade an den GI gut deutlich gemacht werden kann. Leibniz hat nach De Arte Combi'natoria keine Schriften zur Logik mehr veröffentlicht, obwohl er während seines ganzen Lebens mit Unterbrechungen an diesen Problemen gearbeitet hat, und er auf die prinzipielle Bedeutung seiner ars characteristica an unzähligen Stellen auch des Briefwechsels hingewiesen hat. Nun können viele Fragmente als Versuche angesehen werden, die Leibniz als unzureichend angesehen und deshalb nicht veröffentlicht hat. Bei den GI schrieb jedoch Leibniz selbst nachträglich neben die Oberschrift: „Hier bin ich hervorragend gut vorangekommen", und an das deutlich als solches sichtbare Ende der Arbeit setzte er den Satz: „In diesen wenigen Aussagen sind also die Grundlagen der logischen Form enthalten." Leibniz schrieb also dieser Arbeit, der er auch eine verhältnismäßig definitive Form zubilligte, offensichtlich eine ziemliche Bedeutung zu, und doch legte er sie unveröffentlicht beiseite. Als Erklärungsvorschlag könnte man anbieten, Leibniz habe eben die Logik nur als kalkulatorisches Instrument für die - noch nicht gefundenen - Grundbegriffe angesehen, so daß erst nach Erstellung dieser Grundbegriffe die Veröffentlichung des logischen Systems von Nutzen wäre. Aber auch diese Erklärung kann nicht befriedigen, da Leibniz ja zum Zeitpunkt der Abfassung der GI schon starke Zweifel daran hatte, daß diese Grundbegriffe bald und leicht auffindbar wären, und er gleich an den Beginn seiner Begriffseinteilung in den GI (8,95f.) zu den „vollständigen primitiven einfachen Begriffen, die unzerlegbar sind" hinzufügte „oder die als unzerlegbar angenommen werden" (keine Ergänzung, sondern beinahe formelhaft sofort im Text!). Leibniz selbst gibt auch solche „primitive einfache Begriffe oder solche, die vorläufig für diese angenommen werden sollen" an (14, 166-16,212). In diesem, von Leibniz selbst vorgenomme-
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nen, eingeschränkten Sinn wäre also der Anwendungsbereich des entworfenen logischen Systems durchaus gesichert gewesen. Allerdings meinte Leibniz auch noch zehn Jahre später, daß seine Arbeiten zur Logik noch nicht stringent genug wären, um das „gelehrte Publikum" zu überzeugen. In dem berühmten Brief an G. Wagner aus demJahr 1696 über die Logik sagt Leibniz von seinen diesbezüglichen Versuchen: „Was nun meines ermeßens darinnen zu leisten müglich, ist von solchem begriff, daß ich mir nicht getraue ohne würckliche Proben genugsamen glauben zu finden, und werde also lieber eine mehrere außführung annoch außsezen." (GP VII 522) Es bleibt also (bisher jedenfalls) das Ergebnis: Es ist möglich, für die GI innerhalb der Entwicklung der leibnizschen Logik und für die leibnizsche Logik als ganze eine historische Einordnung zu finden. Diese Einordnung geschieht jedoch auf der Ebene einer „Ideengeschichte", für deren Zuordnung zur konkreten Geschichte (und so auch zur Biographie von Leibniz) ausreichende und durchgehende Anhaltspunkte noch fehlen.
VI. Zur 2. Auflage Zehn Jahre nach dem Erscheinen dieses Bandes ist eine Neuauflage erforderlich geworden. Die in diesem Zeitraum erschienene Sekundärliteratur und auch einige neue Einsichten, die der Verf. in der Zwischenzeit gewonnen hat, in den Kommentar einzuarbeiten, hätte eine vollständige Überarbeitung und einen Neudruck des Kommentarteils erfordert. Dies war weder von seiten des Verlags noch von seiten des Verf. durchführbar. Die Überarbeitung mußte daher auf Eliminierung von F ehlem und auf geringfügige Verbesserungen beschränkt werden. Mein besonderer Dank gilt dabei Martin Schneider, durch dessen sorgfältige Rezension im Philosophischen Jahrbuch 91/II (1984), S. 415422, ich auf mehrere Fehler aufmerksam wurde. - Das Literaturverzeichnis wurde in einem Nachtrag durch eine Auswahl neuerer Sekundärliteratur ergänzt.
GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ
GENERALES INQUISITIONES DE ANALYSI NOTIONUM ET VERITATUM ALLGEMEINE UNTERSUCHUNGEN OBER DIE ANALYSE DER BEGRIFFE UND WAHRHEITEN
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GENERALES INQUISITIONES DE ANAL YSI NOTIONUM ET VERITATUM 1686* Omittamus nunc quidem omnia Abstracta, ita ut Termini quicunque non nisi de Concretis, sive ea sint substantiae, ut Ego, sive phaenomena, ut Iris, intelligantur. Itaque nec de discrimine inter abstracta et concreta nunc erimus soliciti vel saltem non alia nunc adhibebimus abstracta, quam quae sint Logica seu Notionalia, verb. grat. ut ro Beitas 10 ipsius A, nihil aliud significet quam ro A esse B. Privativum non-A. Non-non-A idem est quod A. Positivum est A, si scilicet non sit non-Y quodcunque, posito Y similiter non esse non-Z et ita porro. Omnis terminus intelligitur positivus, nisi admoneatur eum esse privativum. Positivum idem est quod Ens. Non Ens est quod est mere privativum, seu omnium privativum sive non-Y. hoc est non-A, non-B, non-C, etc. Idque est quod vulgo dicunt nihili nullas esse proprietates. Omnem quoque Terminum hie accipiemus pro comple20 to, seu substantivo, ita ut magnus idem sit quod Ens magnum sive ut ita dicam magnio quemadmodum qui nasutus est dicitur naso, itaque in his adjectivi et substantivi discrimine non indigemus; nisi forte ad emphasin significandi.
* A qui est Alexander, seu similis rei quae est Alexander itaque terminus noster non erit: similis; sed: similis rc;> A. Eodem modo non exprimetur verbotenus: Ensis Evandri, sed Ensis qui est res Evandri, ita ut: qui est res Evandri, sit unus ter60 minus integralis. Hoc modo poterimus dividere terminum quemlibet compositum in integrales. Sed haec quousque et qua ratione exequi liceat, progressus docebit. Quod si hoc semper procedit non alia habebimus nomina quam integralia. videbimus an ex ipsis particulis similiter integralia formare liceat. Ut pro A in B, A inexistens in aliquo; quod est
B. Ex his patet porro esse integrales qui in partiales resolvantur, et esse rectos in quos (si resolvas seu definitionem pro definito substituas) manifestum sit ingredi obliquos. 70 Partiales ergo, itemque particulae quae obliquis additae inde faciunt rectos, et partialibus additae faciunt integrales, prius explicari debent quam integrales, qui in partiales et particulas resolvuntur. Sed tarnen ante partiales et particulas explicari debent illi integrales qui aut non resolvuntur, aut non nisi in integros. Et tales integrales a partialibus independentes utique esse necesse est, saltem generales, ut
56 Alexander, (1) ita similis rc}J A (2) seu similis rei quae est Alexander 62-66 Quod ... est Berg. 74 illi erg.
Uber die Analyse der Begriffe und Wahrheiten
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wird aber nützlich sein, dafür zu sorgen, daß die Begriffe zu vollständigen werden. Und deshalb werden wir irgendwelche allgemeine Zeichen für die Dinge oder für die Begriffe brauchen; wenn wir somit in unserer Charakteristik immer ausschließlich vollständige Begriffe verwenden wol- 2.9 len, werden wir nicht sagen dürfen „Cäsar ist dem Alexander ähnlich", sondern „Cäsar ist ähnlich dem A, das Alexander ist" d. h. „ähnlich dem Ding, das Alexander ist", und daher wird unser Begriff nicht sein „ähnlich", sondern „ähnlich dem A". Ebenso wird nicht der Ausdruck „das Schwert des Evander" gebildet werden, sondern „das Schwert, das ein Ding des Evander ist", so daß „was ein Ding des Evander ist" ein einziger vollständiger Begriff ist. Auf diese Weise werden wir jeden beliebigen zusammengesetzten Begriff in vollständige Begriffe zerlegen können. Bis zu welchem Punkt und auf welche Weise dies aber durchgeführt werden kann, wird der Fortgang lehren. Wenn dies nämlich immer gelingt, werden wir keine anderen Namen haben als vollständige. Wir werden sehen, ob es möglich ist, auf ähnliche Weise sogar aus den Partikeln vollständige Namen zu bilden, wie z.B. für „A in B" "A in-etwasexistierend, das Bist". Daraus ist weiterhin ersichtlich, daß es vollständige Begriffe gibt, die in unvollständige zerlegt werden können, und daß es Begriffe in recto gibt, bei denen (zerlegt man sie, d. h. substituiert man die Definition für das Definierte) es offensichtlich ist, daß in sie oblique Begriffe eingehen. Daher müssen die unvollständigen Begriffe und ebenso die Partikeln, die, werden sie obliquen Begriffen hinzugefügt, aus ihnen Begriffe in recto machen, und die, werden sie unvollständigen Begriffen hinzugefügt, aus ihnen vollständige Begriffe machen, vor den vollständigen Begriffen erklärt werden, die in unvollständige Begriffe und Partikeln zerlegt werden. Trotzdem aber müssen vor den unvollständigen Begriffen und den Partikeln jene vollständigen Begriffe erklärt werden, die entweder überhaupt nicht oder nur in vollständige Begriffe zerlegt werden. Und es ist jedenfalls notwendig, daß solche vollständigen Begriffe von unvollständigen unabhängig sind, zumindesten jene allgemeinen wie
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Generales Inquisitiones
Terminus, Ens[,] nam his ipsi partiales indigent, ut transeant in integrales. Ultimum enim complementum partialis vel obliqui ut in integralem transeat, cum sit integrale[,] 80 rursus in integralem et partialem resolvi non potest. Talium integralium in obliquos et partiales nobis irresolubilium enumeratione opus est, quam reliquorum Analysis dabit, et initio satis erit eos enumerare tanquam pure integrales, quorum resolutione in non-integrales minus opus videtur. Res etiam eo reducenda est, ut paucis adhibitis integralibus per partiales et obliquos compositis, reliqui omnes inde recta seu similariter sive sine obliquis componi possint. Et ita constitui poterunt pauci integrales, vel sane certi definiti, aut definita serie progredientes, qui poterunt considerari 90 tanquam primitivi in recta resolutione ex quibus reliqui magis compositi deinde oriantur, ut numeri [der]ivativi ex primitivis. Eaque ratione cuilibet Notioni quatenus sine obliquitate resolvitur suus posset [nu]merus characteristicus assignari. Habemus igitur 1mo Terminos integrales primitivos simplices irresolubiles, vel pro irresolubilibus assumtos, ut: A. Terminum intelligo integralem, nam partiales fiunt ex integrali et particula ut: pars, est Ens in aliquo etc. 2d 0 Particulas simplices seu syncategoremata primitiva, ut: in. Jtio 100 Terminos integrales primitivos compositos ex meris Terminis simplicibus, idque recta, seu sine interventu particularum vel syncategorematum, ut: AB. 41o Particulas compositas ex meris particulis simplicibus, sine Termini (categore-
78 integrales, (1) ergo ipsimet in partiales, et id (2) ergo cum sint / ultimum erg. / complementum partialium in ipsos partiales et (3) Ul tim um enim 79 vel obliqui erg. 81 in tegralium / in obliquos et partiales nobis irresolubilium erg. / enumeratione 88 vel (1) certe (2) sane 92 f. quatenus ... resolvitur erg. 95 Terminos (1) primitivos (2) simplices (3) primitivos simplices (4) integrales primitivos simplices 97 f. Terminum ... etc. am Rande erg. 98 ut: / similis gestr. / 98 zdo (1) Terminos primitivos (2) Particulas (a) primitivas (b) simplices 100 integrales primitivos erg.
Über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten
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„Begriff" und „Seiendes", denn die unvollständigen Begriffe benötigen diese Begriffe, um in vollständige überzugehen. Das letzte Komplement eines unvollständigen oder obliquen Begriffs, das nötig ist, damit er in einen vollständigen Begriff übergeht, kann nämlich als Vollständiges nicht wiederum in einen vollständigen und einen unvollständigen Begriff zerlegt werden. Eine Aufzählung solcher vollständiger, für uns nicht mehr in oblique und unvollständige zerlegbarer Begriffe ist erfordert; diese Aufzählung wird die Analyse der übrigen ergeben, und für den Beginn wird es ausreichen, sie als gleichsam rein vollständige aufzuzählen, deren Zerlegung in nicht-vollständige weniger erfordert erscheint. Die Sache ist auch so weit zurückzuführen, daß durch die Anwendung einiger weniger vollständiger Begriffe, die mittels unvollständiger und obliquer Begriffe zusammengesetzt sind, alle übrigen in direkter Weise oder gleichartig, d. h. ohne oblique Begriffe zusammengesetzt werden können. Und so werden einige wenige vollständige Begriffe erstellt werden können, oder wenigstens bestimmte definite oder in einer definiten Reihe hervorgehende Begriffe, die als primitive Begriffe innerhalb einer Analyse in recto angesehen werden können, aus denen dann die übrigen mehr zusammengesetzten Begriffe entstehen wie die hergeleiteten Zahlen aus den Primzahlen. Aus demselben Grund könnte jedem Begriff, sofern er zerlegt werden kann, ohne daß sich eine Zusammensetzung in obliquo ergibt, eine ihm charakteristische Zahl zugeordnet werden. Wir haben somit 1. Vollständige primitive einfache Begriffe, die unzerlegbar sind oder als unzerlegbar angenommen werden, wie: „A". Ich meine hier einen vollständigen Begriff, denn die unvollständigen entstehen aus einem vollständigen Begriff und einer Partikel, wie „Teil" „ein in etwas Seiendes" ist usw. 2. Einfache Partikel, d. h. primitive synkategorematische Begriffe wie: „in". 3. Vollständige primitive zusammengesetzte Begriffe, bestehend nur aus einfachen Begriffen und zwar in direkter Weise, d. h. ohne Vermittlung von Partikeln oder synkategorematischen Begriffen, wie: „AB". 4. Zusammengesetzte Partikeln, die nur aus einfachen Partikeln zusammengesetzt sind ohne Ver-
1.1
1.2
8.6
1.3 1.1 2.4
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Generales Inquisitiones
matici) interventu, ut: cum-in. qua particula uti possemus ad designandam (si categorematicis postea adjiciatur) rem quae cum aliquo est in aliquo. Dubito an procedat particula cum-in. Sit A cum B in C; non commode dicitur A esse cum-in BC nisi velimus per ordinem exprimi cum pertinere ad B, et in ad C. 51v habemus Terminos integrales 110 derivativos simplices. Appello autem derivativos, qui oriuntur non per solam compositionem, scilicet similarem, seu recti cum recto, ut AB, sed per flexionis cujusdam aut particulae sive syncategorematici interventum, ut A in B; ubi A et B dissimilariter terminum compositum ex ipsis, nempe rcl A in B, ingrediuntur. Quam differentiam inter compositionem et derivationem quodammodo et Grammatici observant. Sunt ergo derivativi simplices qui non possunt resolvi in alios derivativos, sed non nisi in primitivos simplices, cum particulis. Sexta habemus Terminos integrales 120 derivativos compositos, qui scilicet recta seu similariter componuntur ex aliis derivativis; et hi oblique etiam componuntur ex primitivis compositis una cum particulis. In formandis compositis non refert quo ordine collocentur simplicia, at in formandis derivatis interesse potest pro ordine. Recta compositio idem quod similaris. 7mo Ambigi potest de illis derivativis qui constant ex primitivis simplicibus, et particulis compositis, utrum sint potius simplices quam compositi, sane in alios categorematicos resolvi non possunt, nisi primitivi unius duplicatione, quatenus compo-
105 posteaerg. 106-109 Dubito ... ad CamRandeerg. 109 habemus erg. 109 integrales erg. 119 particulis / simplicibus gestr. / 119 integrales erg. 122 compositis (1) et particulis simplicibus, vel ex primitivis simplicibus et particulis compositis, / vel gestr. /, vel ex primitivis compositis et particulis compositis, modo primitivus non sit magis compositus (2) una cum particulis. 122-25 In formandis ... similaris am Rande erg. 124 derivatis / multum gestr. / 128 alias (1) compositos (2) categorematicos
über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten
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mittlung eines kategorematischen Begriffs, wie: „mit-in". Diese Partikel könnten wir (wenn sie später zu kategorematischen Begriffen hinzugefügt wird) verwenden, um ein Ding zu bezeichnen, das mit etwas in etwas ist. - Ich zweif- 2.8 le, ob sich die Partikel „mit-in" ergibt. Es sei A mit Bin C; man kann nicht angemessen sagen, „A ist mit-in BC", es sei denn wir wollten durch die Ordnung ausdrücken „mit" gehöre zu „B" und „in" zu „C". - 5. erhalten wir vollständige abgeleitete einfache Begriffe. Ich nenne aber „abgeleitete Begriffe" jene, die nicht durch reine, nämlich gleichartige Zusammensetzung entstehen, d. h. durch die Zusammensetzung eines Begriffs in recto mit einem in recto, wie „AB", sondern durch Vermittlung irgendeiner Flexion oder einer Partikel, d. h. eines synkategorematischen Begriffs, wie „A in B", wo „A" und „B" auf ungleichartige Weise in den aus ihnen zusammengesetzten Begriff, nämlich „A in B" eingehen. Diesen Unterschied zwischen Zusammensetzung und Ableitung stellen in gewisser Weise auch die Grammatiker fest. Abgeleitete einfache Begriffe sind folglich jene, die nicht in andere abgeleitete Begriffe zerlegt werden können, sondern nur in primitive einfache Begriffe mit Partikeln. 6. erhalten wir vollständige abgeleitete zusammengesetzte Begriffe, nämlich jene, die auf direkte, d. h. gleichartige Weise aus anderen abgeleiteten Begriffen zusammengesetzt werden; und letztere werden auch in obliquo aus primitiven zusammengesetzten Begriffen zusammen mit Partikeln zusammengesetzt. - Bei der Bildung 2.7 von zu~ammcngesetzten Begriffen ist es ohne Bedeutung, in welcher Ordnung die einfachen Begriffe zusammengefügt werden, wogegen bei der Bildung von abgeleiteten Begriffen ein Unterschied entsprechend der Ordnung bestehen kann. Die direkte Zusammensetzung ist dasselbe wie die gleichartige. - 7. Man kann unsicher sein bezüglich jener zusammengesetzten Begriffe, die aus primitiven einfachen Begriffen und zusammengesetzten Partikeln bestehen, ob sie eher einfache als zusammengesetzte Begriffe sind; sicher können sie nicht in andere kategorematische Begriffe zerlegt werden, es sei denn durch die Verdoppelung eines primitiven Begriffs, insofern dadurch, daß dieser
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Generales Inquisitiones
130 nendo eum nunc cum una nunc cum alia particula simpli-
ce, compositum componente, duo novi inde fieri possunt derivativi simplices, ex quibus fieri potest propositus derivativus, quasi compositus. Octavo. Quemadmodum habemus Terminos categorematicos primitivos et derivativos, ita et haberi possunt particulae derivativae, eaeque rursus simplices quidem ex particula simplice et termino primitivo; At compositas (Nono) ex particula composita et termino primitivo, quae resolvi possunt in plures particulas derivativas simplices. Et decimo hie similiter ambigitur 140 quid dicendum de particula derivativa ex termino primitivo composito et particula simplice. Fortasse tarnen praestat efficere ut omnes particulae cessent, quemadmodum et omnes obliqui, quemadmodum pagina praecedente dictum est. Nisi tarnen obstet, quod ita non facile apparebit, quae quibus sint arreferenda. Illud tarnen adhuc in considerationem venire (nicht-A = nicht-B)
[7] (A= B)-> nicht(A = nicht-B) [8] vgl. 3.8 Faktisch verwendet Leibniz noch: [9] (A = B}---> (B = A} [10] AB= BA
161
(vgl. §§ 2, 9, 78; in § 78 als Äquivalenz) (vgl. 6. 7)
(§ 6) (§ 147; vgl. 2.8) [11] [(A= B} (B = C}]-> (A = C) (§ 8) Leibniz gelangte in den GI zu keiner definitiven Form der Aufzählung der Axiome (vgl. §§ 156, 189; vgl. auch 4.4) und führt auch nicht die (eigentlich erforderliche} überprüfung durch, ob sich unter den aufgeführten Axiomen nicht auch schon Theoreme befinden. Für die Unterscheidung des Kalküls der Logik von dem der Algebra ist Axiom [3] entscheidend (vgl. § 124).
3.8 Die Widerspruchsfreiheit der Begriffe In den GI liegen Ansätze verschiedener Kalküle vor, die sich durch die Art unterscheiden, in der die widersprüchlichen Begriffe behandelt werden (Kauppi 1 172). Leibniz hatte (§ 20) festgelegt, daß für eine beliebige Termzusammensetzung ein neuer, bisher nicht verwendeter Term (= Buchstabe) eingesetzt werden kann. Es kann also z. B. für A nicht-A der neue Buchstabe B gesetzt werden, d. h. B = A nicht-A; dann gilt (nach § 36): B;;;;. A nicht-A; dann gilt (nach§ 102): (B;;;;. A} (B;;;;. nicht-A}; dann gilt (nach § 100): (B;;;;. A) (B ";t A), d. h. es gelten „B ist A" und „nicht(B ist A}", es gelten also kontradiktorische Aussagen (vgl. GP I 337; Kauppi 1 82 f.). Leibniz hat auf verschiedene Weisen versucht, mit dieser Schwierigkeit fertig zu werden. (a) Einschränkung der Identitäten auf widerspruchsfreie Begriffe. Das heißt: Ist AB ein widerspruchsfreier Begriff,
162
Kommentar
so gilt AB AB, ist AB jedoch ein widersprüchlicher Begriff (bei dem also etwa A C enthält und B nicht-C), so wird dies im Kalkül durch AB =/= AB ausgedrückt ( § § 152, 153), oder wie Leibniz es in einer - sachlich nicht zu § 187 gehörenden - Ergänzung (122, 604) axiomatisch formuliert: Wenn a =/= a, so ist der Begriff a falsch („falsch" = „unmöglich, d. h. widersprüchlich"; vgl. [2] u. [3] in 6.5) Durch diese Festlegung des Gebrauchs von „=" und „=!=" ergibt sich nicht ein Modalkalkül, sondern ein modal interpretierter Identitätskalkül (Poser 1 49). In diesem Kalkül ist somit die Gültigkeit des Axioms A = A eingeschränkt, d. h. es ist nicht mehr allgemeingültig (vgl. Kauppi 1 172; Poser 1 50). Leibniz zieht daher einen Kalkül vor, bei dem diese Einschränkung nicht erforderlich ist (§ § 154, 155 ). (b) Einschränkung der Gültigkeit der Folgerungen auf solche aus widerspruchsfreien Begriffen. In diesem Kalkül gilt nun A = A uneingeschränkt. Bei der Interpretation der Buchstaben als Begriffen gilt dann jedoch, daß nur dann eine gültige Folgerung zustandekommt, wenn die Begriffe der Voraussetzungen widerspruchsfrei sind (§§ 154, 155). Um die Gültigkeit aller Folgerungen des Kalküls sicherzustellen, wird daher die Forderung der Widerspruchsfreiheit der Begriffe als grundlegende Voraussetzung (principium) im Sinn eines Axioms ausdrücklich aufgestellt, so daß dann z. B. in § 1 71 (vgl. 3. 7) hinzugefügt wird: [ 8] A nicht-A ist nicht ein Ding („nicht ein Ding" = „unmöglich, d. h. widersprüchlich", vgl. 4.9) Dasselbe ist ausgesagt in: § 189 Drittens: Der selbe Begriff enthält nicht a und nicht-a. (Vgl.§ 187) § 3: Nur für den Fall, daß die Begriffe möglich sind, haben „wahr" und „falsch" ein Anwendungsgebiet in den Aussagen, in die sie eingehen. (Vgl. 4.5)
3.9
Kommentar
163
3.9 Das Folgerungsverfahren im Kalkül (a) Grundstruktur: Eine Folgerung (consequentia) stellt eine absolut wahre Verknüpfung (connexio absolute vera) zwischen Definitionen, willkürlichen Annahmen (hypotheses arbitrariae) und gefolgerten Ausdrücken, d. h. Theoremen (conclusiones sive theoremata) her (GP VII 219). Im Kalkül bedeutet dies, daß Verknüpfungen zwischen angenommenen Charakteren und daraus abgeleiteten Formeln hergestellt werden; die Verknüpfung der Zeichen, d. h. der Kalkül, stellt daher absolute Wahrheiten (absolutae veritates) dar (ebd.). Das heißt: diese und nur diese Formeln folgen kraft der Form (§ 189 Siebtens). Das Folgerungsverfahren setzt die Substitutionsregel und die modus-ponensRegel voraus (vgl. Rescher 1 2 f.). Die modus-ponens-Regel formuliert Leibniz ausdrücklich (C 243): Wenn „A ist B", dann „C ist D". wenn (sz"); dann (tune). „A ist B". Folglich „C ist D". Folglich (ergo) bedeutet: Wenn „A ist B", dann „C ist D". Nun aber (atqui) „A ist B". Folglich „C ist D". Nun aber: d. h. Diese Aussage ist eben (sed est) wahr. Die für die GI typische Behandlung der Folgerung besteht in ihrer Rückführung auf eine Begriffsverknüpfung, d. h. „folgt" (sequitur) wird auf „enthält" (continet) zurückgeführt: § 138: Das Aist B enthält das C ist D. (Vgl. 5.1) Als Beispiel der zahlreichen Folgerungen der GI sei § 173 genommen: Zu beweisen ist: (A = BC) -+ (AB = BC) Beweis: (A = BC) -+ (AB= BBC) [5] in 3.7 (AB= BBC) ..... (AB= BC) [3] in 3.7 Da Axiom [5] in 3.7 eine Implikation und keine Äquivalenz besagt, so gilt - was Leibniz in § 18 ausdrücklich hervorhebt - nicht (allgemein): (AC= ABD)-+ (C = BD). Die Zahl der möglichen Folgerungen ist unendlich (vgl. c 165).
164
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4.1
(b) Verfahrensregeln: Leibniz begleitet die Versuche eines strengen Aufbaus des Kalküls mit gelegentlichen Oberlegungen zum Verfahren im Kalkül, z. B.: - Was allgemein (d. h. als Axiom oder Theorem) von einem Buchstaben gilt, gilt auch für beliebige (im Kalkül bisher noch nicht gebrauchte) Buchstaben. Z.B. wird A = AA behauptet, so gilt auch B = BB (§ 26). - Das „nicht" soll möglichst wenig von dem Buchstaben bzw. von der Formel, denen es im Kalkül vorangestellt ist, getrennt werden(§ 106). - Es dürfen keine Folgerungen angenommen werden, die noch nicht bewiesen sind(§ 46). - Bei Beweisen sollte jeweils durch Zahlen auf jene Aussagen verwiesen werden, die zum Beweis herangezogen werden. Axiome sollten dabei durch besondere Zahlen gekennzeichnet sein (§ 52; der dort dafür gegebene konkrete Vorschlag der Kennzeichnung ist nicht ganz klar).
4 Die Interpretation des Kalküls als Begriffs- und Aussagenkalkül
Burkhardt 2 127-134; Dürr 2 89-99; Englebretsen 1 2841; Kauppi 1 153-163; Kotarbinski 134-139; Parkinson 1 5-35;Poser 1 48-81.
4.1 Die zweifache Interpretation des Kalküls Der Gedanke, daß die Logik der Aussagen in der gleichen Art wie die Logik der Begriffe behandelt werden könne, hat Leibniz nach seinem eigenen Zeugnis von seiner frühen Jugend an beschäftigt (Pertz IV 168; GP VII 292). Leibniz suchte also die gesamte ihm verfügbare Logik von einer Logik der Begriffe her aufzubauen. Insofern jedoch Leibniz einen Kalkül entwerfen wollte, dessen Variablen sowohl als Begriffe wie als Aussagen interpretiert werden konnten (vgl. 3.2), ging er über die Priorität der Logik der Begriffe hinaus, indem er einen zunächst uninterpretierten Kalkül der
4.2
Kommentar
165
Identitäten zugrundelegte (der in C 324-326;GP VII 218227; C 239-243 entworfene Kalkül des Enthaltens ist in den GI ansatzweise vorhanden, vgl. 4.4, und wird von Leibniz hier nicht weiter verfolgt). Daß die Variablen des Kalküls entweder als Begriffe oder als Aussagen interpretiert werden können, betont Leibniz in den GI öfters (24,302304; 30,384 f.; § 35 ). Um die zweifache Interpretierbarkeit des Kalküls zum Ausdruck zu bringen, um aber gleichzeitig den Vorrang der Logik der Begriffe zu zeigen, verwendet Leibniz die traditionelle scholastische Bezeichnung „inkomplexer Begriff" (terminus incomplexus) für „Begriff" und „komplexer Begriff" (terminus complexus) für Aussage. Im Zusammenhang der Beweistheorie sagt Leibniz ausdrücklich, daß das Verfahren bei komplexen und inkomplexen Begriffen ein und dasselbe ist (52,669 f.). (Die Terminologie ist bei Leibniz nicht konsistent: in 38,498 f. fügt Leibniz in einer Randbemerkung hinzu, er wolle „notio" als Oberbegriff für inkomplexe und komplexe Begriffe verwenden, „terminus" hingegen für inkomplexe kategorematische Begriffe.) Die zweifache Interpretation des Kalküls und die damit verbundene Aufgabe zu zeigen, daß die Begriffe nach der Art der Aussagen und die Aussagen nach der Art der Begriffe aufgefaßt werden können (vgl. z. B. § 109), stellt eine Grundthese der GI dar, die Leibniz dann auch auf den Syllogismus anwendet (vgl. 5.1 ). Obwohl Leibniz sowohl den Weg vom Begriff zur Aussage (4.5) als auch den von der Aussage zum Begriff (4.6 u. 4.7) geht, und diesem letzteren sogar mehr überlegungen in den GI widmet, ist doch für Leibniz' begriffslogisches Konzept der übergang vom Begriff zur Aussage systematisch vorrangig.
4.2 Die Aussage Auch hier schwankt bei Leibniz die Terminologie. Er verwendet sowohl „propositio" als auch „enuntiatio" (vgl. z. B. Lesart zu 24,301). Terminologisch und sachlich wichtig ist auch der Ausdruck „Wahrheit" (veritas) für „Aussage" (so schon im Titel der GI; vgl. 20,245: ,,propositiones sive
166
Kommentar
veritates"; § 60). Dieser Ausdruck zeigt, daß die Aussage schon im Ansatz nicht rein grammatikalisch, sondern logisch betrachtet wird (vgl. unten [c]). Die Aussage wird von Leibniz in den GI auf verschiedene Weise bestimmt: § 195: Eine Aussage ist das, was feststellt, welcher Begriff in einem anderen enthalten oder nicht enthalten ist. (Vgl. § 184) [a] Eine Aussage ist auch das, was sagt, ob etwas sich mit einem anderen deckt oder nicht deckt, denn jene, die sich decken, [a'] sind wechselseitig ineinander enthalten. § 4: Eine Aussage ist: A deckt sich mit B, Aist B (d. h. B ist in A, d. h. B kann für A substituiert werden), A deckt sich nicht mit B. [b] § 198,5: Eine Aussage ist das, was zu einem Begriff hinzufügt, daß er wahr oder falsch ist. (Vgl.dazu4.5) [c] Aus der Bestimmung von „Aussage" in [a] und [b] ergibt sich die von „Subjekt" und „Prädikat": 22,271 f.: A sei das Subjekt, B das Prädikat, wenn B an die Stelle von A unbeschadet der Wahrheit substituiert werden kann. [d] Bei der Bestimmung von „Aussage" stellt Leibniz in [a], [d] und [e] eine unsymmetrische Beziehung zwischen zwei Begriffen her, wobei er - besonders deutlich in der Textergänzung [a'] - die symmetrische Beziehung der Begriffe als Spezialfall einführt. Leibniz' systematische Absicht, in den GI einen Identitätskalkül aufzubauen, zeigt sich deutlich in [b], wo Leibniz zunächst „Aussage" nur durch die symmetrische Beziehung „deckt sich" bzw. „deckt sich nicht" bestimmen wollte, und erst nachträglich die Bestimmung durch die unsymmetrische Beziehung „ist" hinzufügte (vgl. Lesart zu 30,382 f.). Die Beziehung zwischen dem symmetrischen „deckt sich" und dem unsymmetrischen „ist" (vgl. 4.3) stellt Leibniz dadurch her, daß er sagt: 22,274f.:„A ist B", wenn jedes A und ein B sich decken. [ e]
4.3
Kommentar
167
4.3 Die Beziehung von „ist" („enthält") zu „ist dasselbe" („deckt sich") (a) In der frühen Periode um 1679 hatte Leibniz die Relation „ist" (est) im Sinne von „enthält" (continet) als grundlegend angesehen (Leibniz verwendet in dem zu dieser Periode gehörenden Text C 325 f. eine von der heutigen verschiedene Symbolisierung der logischen Konstanten; die im folgenden verwendete Transkription dieser Konstanten entspricht jener von Couturat 1 335 f.; ebd. 336, Anm. 3 der wichtige Hinweis auf die Analogie dieses Systems zum logischen System Schröders). „Ist" wird dabei in folgender Weise bestimmt: C 325, Satz 2: „Ist", z.B. e;;.. d, bedeutet, daß d an die Stelle von e substituiert werden kann. [a] Die Relation „deckt sich" kann dann durch „ist" definiert werden, was eine Äquivalenz darstellt, da gilt: C 326: [(a;;.o b) (b;;.. a)]-+ (a =b) (a=b)-+[(a;;.ob)(b;;.oa)] [b] Die Beziehung zwischen „ist" („enthält") und „ist dasselbe" („deckt sich") stellt Leibniz mittels der Einführung der unbestimmten Variablen y her, die „irgendein (irgendeine Art von)" bedeutet: C326:(a;;.ob)-+(a=by) [c] Die Beziehung der Negation der Gleichheit zur Negation des Enthaltens wird (redundant, vgl. [gl) auf folgende Weise ausgedrückt: [d] C 326: [(a* by) (a* b)]-+ (a;;.o b) (b) In den GI geht Leibniz von der Relation „deckt sich", „ist dasselbe" aus (20,242 f.) und entwickelt auch vorwiegend einen Identitätskalkül (vgl. 3.7). Für „ist" („enthält") verwendet Leibniz in den GI kein eigenes Symbol (im Unterschied zu C 325 f.), sondern schreibt es immer aus. Da er von der rationalen Grammatik her die affirmative Aussage zunächst als „A ist B" wiedergibt, die dann durch „A enthält B" oder „dem Aist B inne" genauer bestimmt wird (30,382 f.; §§ 16, 28), greift Leibniz zur Oberführung die-
168
Kommentar
4.4
ser Form in den Identitätskalkül auf [c] zurück, das er nun - zu Recht - als Äquivalenz ausdrückt: § 16: (A ist B) = {A = BY) (Vgl. § 189 Viertens;§ 190) [e) Die Bestimmung der Bedeutung von „ist", „enthält", durch die Substituierbarkeit des Prädikats an die Stelle des Subjekts bleibt in den GI {30,383) gleich wie in [a). Selbstverständlich gilt auch [b] in den GI {vgl. § 30). Auch läßt sich aus der Gleichheit die Relation des Enthaltens gewinnen: § 36: {A = B)-+ {Aist B) [f] Zu [e] entsprechend gilt auch die Beziehung der Negation von „ist" und von „ist dasselbe": § 32: (Aist nicht B) = {A =i' BY) [g) Aus [c) und [e] ist ersichtlich, daß Leibniz wußte, daß man den Kalkül des Enthaltens aus dem Kalkül des SichDeckens ableiten kann, ebenso wie das Umgekehrte möglich ist (vgl. Kauppi 1 74). Die Frage,.warum Leibniz in den GI nicht nur mit der Relation der Gleichheit und deren Negation arbeitet, was kalkülmäßig ausgereicht hätte, hängt vermutlich damit zusammen, daß er die Logik von der grammatischen Satzstruktur her erarbeiten wollte. Dabei mußte dann an irgendeiner Stelle der übergang von „ist" zu „ist dasselbe" behandelt werden, wobei dann Leibniz auch ansatzweise den Kalkül mit „ist" („enthält") wieder aufgreift, der ihm auch die Möglichkeit gibt, die von ihm vorgezogene intensionale Interpretation (vgl. 5.9) des Enthaltenseins des Prädikatsbegriffs im Subjektsbegriff ausdrücklich zu machen, was im Identitätskalkül erst durch die Interpretation der unbestimmten Variablen Y möglich ist. - Die Mehrdeutigkeit von Y führte Leibniz dazu, die unbestimmten Begriffe zu eliminieren (vgl. 5.3 u. 5.4), was ihm gelingt, indem er die Form der Aussage „A = BY" in die Form „A =AB" überführt(§§ 16, 83; vgl. 5.4).
4.4 Der Kalkül des Enthaltens In den GI entwickelt Leibniz den Kalkül des Enthaltens
Kommentar
169
nicht, er setzt ihn eher voraus. Leibniz hatte diesen Kalkül in der früheren Periode um 1679 behandelt, vor allem im Specimen Calculi Universalis (GP VII 218-227 u. C 239243; vgl. auch C 324-326.238). Auch im Specimen Calculi Universalis hat Leibniz jedoch kein vollständiges Axiomensystem seiner Theorie entwickelt (Dürr 2 93), und er unterscheidet dort auch nicht streng zwischen Axiomen und Theoremen, jedenfalls nicht in der Durchführung (zur prinzipiellen Unterscheidung von propositiones und consequentiae per se verae einerseits und propositiones verae anderseits, welche Axiomen und Theoremen entspricht, vgl. GP VII 219; vgl. 3.7). Im Kalkül(ansatz) des Enthaltens in den GI sind als (axiomatische) Voraussetzungen enthalten: [1] B;;;;., B § 37 (GPVII224, Satz 1) [2] AB;;;;., B § 38 (GPVII224, Satz 2) § 43 (GP VII 224, [3] B 4" nicht-B Satz 3) [4] [{A;;;.,B)(B;;;.,C)]-+{A;;;.,C) §19{GPVII224, consequentia) [5] Von {A;;;;., B) und {A 4" B) ist eines wahr, das andere falsch § 42 [ 3] gilt nur unter der - von Leibniz ausdrücklich gemachten (42,544 f.) - Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit der Begriffe. In [ 4] wird die Substitution zum Ausdruck gebracht. Durch [ 5] wird das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten festgelegt {diese Funktion haben in GP VII 224 die Sätze 5 und 6; vgl. dazu aber Kauppi 1 15 7). Leibniz versuchte, im Kalkül des Enthaltens Formeln für die Aussageformen zu finden, so wie er dies auch im Identitätskalkül versuchte (vgl. 6.1 ). Bei einem ersten Versuch verwendet er auch unbestimmte Begriffe (vgl. dazu 5.3): UA A;;;;., B § 47 [I] UN A Y 4" B § 50 PA AY;;;;., B § 48 PN A 4" B In den GI nicht aufgeführt, kann jedoch aus der Opposition zu UA ergänzt werden.
170
Kommentar
4.5
Vgl. zu diesen Formeln 6.3. Leibniz formt in den Beweisen in §§ 52-54 diese Formeln jeweils in solche des Identitätskalküls um, und führt dann die Ergebnisse wieder (mittels § 16) in solche des Kalküls des Enthaltens über. Es handelt sich hier somit zwar um Theoreme, die im Kalkül des Enthaltens gelten, nicht aber um solche, die von Leibniz innerhalb dieses Kalküls bewiesen werden. In § § 91-105 entwickelt Leibniz Theoreme innerhalb des Kalküls des Enthaltens. Er verwendet dabei zwar keine unbestimmten Begriffe, gebraucht jedoch „jeder", „keiner" und „ein" (vgl. z.B. § 98), für die Leibniz in der zur Verfügung stehenden Form des Kalküls keine ausreichende Behandlungsmöglichkeit hat, da dort „A ist B" immer bedeutet ,Jedes Aist B" (vgl. GP VII 218). Eine Umformungsmöglichkeit ergibt sich jedoch aus § 9 7, wo die UN auf folgende Weise formuliert wird: A ;:;;. nicht-B. Behält man die von Leibniz immer als grundlegend angesehene Form der UA bei und bildet PA und PN durch Negation von UN und UA (aufgrund der Opposition), so ergibt sich das korrekte Schema (vgl. Schema [VI] in 6.7 u. [Ib] in 5.4): UA A;:;;. B [II] UN A;:;;. nicht-B PA A ~ nicht-B PN A~ B
4.5 Der übergang vom Begriff zur Aussage Dieser übergang wird von Leibniz in den GI an verschiedenen Stellen dargelegt: § 1: Ist A ein Begriff, so gilt allgemein (generaliter): A ist Wahres [a] A deckt sich mit irgendeinem Wahren [b] d. h. entsprechend § 3: A = irgendein Wahres [b')
Kommentar
171
§ 108: Jeder inkomplexe Begriff kann als Aussage aufgefaßt werden durch Hinzufügung von „Wahres": A =Wahres
[c]
§ 198, 7: Ein Begriff wird selbst eine Aussage, wenn zu dem Begriff „Wahres" oder „Falsches" hinzugefügt wird. (Vgl.§ 198, 5) [d] Einen wichtigen Hinweis gibt Leibniz in § 108, wo er zu „Wahres" ausdrücklich den Artikel hinzusetzt: „ro verum". Damit ist bereits deutlich, daß Leibniz unter „Wahres" (V) einen Begriff versteht wie A. „Wahres" bedeutet hier den allgemeinsten Gattungsbegriff im Sinn von „Seiendes" = „Mögliches". Dies entspricht der ersten prädikamentalen Aufteilung, wie Leibniz sie in der Periode der Abfassung der GI vornimmt (vgl. LH IV 7 B 2 BI. 34r0 ; LH IV 7 C BI. 70; vgl. Schepers 2 557 f. 562; Schepers 3 34 f.). Die oberste Begriffseinteilung wird von Leibniz durch verschiedene Begriffe bezeichnet, die in einer eindeutigen Zuordnung stehen:
l l Aliquid Etwas
Terminus Begriff
Ens Seiendes
= Possibile
= Verum
=Mögliches
=Wahres
Non-Ens (A non-A) = lmpossibile = Falsum Nicht-Seiendes =Unmögliches= Falsches Nihil (non-A, non-B, etc.) = mere Privativum Nichts = das rein Privative
Leibniz sagt von diesem „Wahren", daß es dieselbe Aufgabe erfüllt wie die 1 in der Arithmetik (wodurch auch das Schema in§ 108erklärtwird). Daher kann dem (unbestimmten) Y in A = A Y die Bedeutung von „Seiendes" (Ens) zugeschrieben werden, das wie die 1 in der Arithmetik weggelassen werden kann ( § 31 ). (Dieses „Seiende" entspricht der 1 Schröders, vgl. E. Schröder, Der Operationskreis des Logikkalkuls, Leipzig 1877, 7). Da der allgemeinste (inhaltsleerste) Gattungsbegriff „Wahres" von jedem beliebigen nichtwidersprüchlichen Begriff ausgesagt werden kann, ist damit der allgemeinste Ubergang von Begriff zu Aussage festgelegt.
172
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[a] und [b], [b'] können daher in folgender Weise wiedergegeben werden: A;;;.V [a] [b] (b'] A=YV Leibniz sieht in § 1 und § 3 diese beiden Formulierungen als äquivalent an, d. h. (A;;;. V) = (A = YV) (Diese Gleichung entspricht genau [ c] und [ e] in 4.3.) Die Formulierung [c] entspricht [b], (b'] unter der Voraussetzung der Eliminierung der Buchstaben für unbestimmte Begriffe (vgl. 5.4): (A=BY)=(A=AB) §16 (A=VY)=(A=AV) §108 [c] „Wahres" ist kein metasprachlicher Ausdruck. Die Bezeichnung „direkte" und „reflexive" Aussage in § 1 darf daher nicht im Sinne von Objekt- und Metasprache interpretiert werden. Es liegt hier vielmehr eine bis zur äußersten Generalisierung voranschreitende Definitionstheorie vor, die die Möglichkeit allgemeinster Aussagen gibt. Dies wird z. B. in § 108 deutlich, wo die als Begriff aufgefaßte Aussage (vgl. dazu 4.6) „Der Mensch ist ein Lebewesen" mit dem Begriff „Wahres" dadurch gleichgesetzt wird, daß dieser als „dieses Wahre" (vgl. (b] u. [b']) näher bestimmt wird, sodaß sich durch die Hinzufügung von „dieses" ein Unterbegriff von „Wahres" ergibt. Die reflexive Aussage ist eine als Begriff aufgefaßte Aussage, von der wieder das allgemeinste Prädikat „Wahres" ausgesagt wird; vgl.: § 198, 7 § 1 Es sei A ein Begriff A ist Wahres sei eine Aussage direkte Aussage: L A Wahres, d. h. Daß A Wahres ist ist ein neuer Begriff, aus dem wieder eine Aussage gemacht werden kann: Daß A Wahres ist ist wahr reflexive Aussage: List wahr Vgl. § 108: Aist dasselbe wie dieses Wahre ist dasselbe wie „Dieses Wahre ist dieses Wahre".
4.6
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173
Ein reflexiver Ausdruck ist also einer, der - wie Leibniz in § 111 sagt (vgl. auch „reflexiva" in 102,314-318) - für die ganze Reihe der Analyse Allgemeines hinsichtlich deren Fortgang aussagt (am Rande zu § 111 steht, allerdings gestrichen, nochmals ,,A = A verum"), in diesem Fall: Die Behauptung einer Aussage und die Behauptung, daß die als Begriff aufgefaßte Aussage „Wahres" enthält, ist dasselbe. (Ishiguro 1 27 weist zurecht darauf hin, daß hier keine Verwechslung von use und mention vorliegt.) Leibniz konstruiert entsprechend zu „A ist Wahres" auch „A ist Falsches" (vgl. [d]), bzw. als Begriff aufgefaßt „das Falsch-Sein des A". „Falsch" bedeutet hier „unmöglich". Entsprechend ergeben sich die Kombinationsmöglichkeiten in § 1, da „Falsches" = „Nicht-Wahres" ist. Im übergang von Begriff zu Aussage spielt die Theorie des „Falschen" jedoch zunächst keine Rolle, da sich hier „Wahres" und „Falsches" nicht völlig gleich verhalten. Alle primitiveneinfachen Begriffe müssen ja nach der Voraussetzung von Leibniz Mögliches = Wahres sein. Falsches tritt erst bei zusammengesetzten Begriffen auf, da der einfachste falsche = unmögliche Begriff bereits zusammengesetzt ist: B nicht-B (§ 32a), d. h. „A ist Falsches"= „B nicht-Bist Falsches".
4.6 Die Rückführung der Aussagen auf Begriffe Entsprechend dem übergang von Begriff zu Aussage (4.5) ist es nach Leibniz möglich, jede Aussage auf einen Begriff zurückzuführen und so nach der Art der Begriffe zu behandeln (§ 109). Leibniz behandelt diese Frage mit Hilfe von zwei verschiedenen Terminologien: der eigenen der logischen Abstrakta und der scholastischen von Aussagen secundi bzw. tertii adjecti (vgl. zu letzterer 4.7). Die Grundstruktur ist folgende(§ 197): Aus der Aussage: Ein Aist B Kein Aist B [a] wird der Begriff: AB Wahres AB Falsches [b] AB ist ein neuer (novus) Begriff (§ 197). Leibniz nennt diese Art von Begriffen „logische" (oder „notionale") Abstrakta (2,9). „Die abstrakten logischen Ausdrücke sind Ur-
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4.7
teile, die auf einzelne Termini reduziert sind." (NE III, VIII § 1). Aus der Aussage „A ist B" wird so der Begriff „das B-Sein des A" oder „die B-heit des A" (2,9 f.). Um zu symbolisieren, daß es sich um einen Begriff handelt, verwendet Leibniz auch einen Strich über dem Ausdruck, also das B-Sein des A (§ 138); z.B. wird aus der Aussage „Der Mensch ist ein Lebewesen" der abstrakte logische Begriff das Lebewesen-Sein des Menschen oder die „Lebewesenheit des Menschen" (§ 139). Gelegentlich verwendet Leibniz dafür auch Klammem(§ 142). Bei diesen logischen Abstrakta handelt es sich um logische Begriffs-Konstruktionen, die nach dem Konkreten angesetzt sind, die also durchaus mit der von Leibniz vertretenen Form des Nominalismus vereinbar sind (vgl. das unveröffentlichte Fragment De Abstracto et Concreto, LH VII C BI 99-100, dazu: Kauppi 1 50 f.; Mugnai 1 130138). Die Konstruktion der logischen Abstrakta hat nur die (aber für Leibniz entscheidende) Funktion, die Aussagen im Kalkül auf dieselbe Weise wie Begriffe behandeln zu können, d. h. Aussagenverknüpfungen wie Begriffsverknüpfungen zu behandeln (vgl. 5.1).
4. 7 Die Aussagen secundi und tertii adjecti Leibniz übernimmt diese Unterscheidung in modifizierter Form aus der Scholastik (Burkhardt 2 132). Eine Aussage tertii adjecti hat die Subjekt-Prädikat-Form, z.B. „A ist B", eine Aussage secundi adjecti besteht aus einem Begriff und dem hinzugefügten „ist", z. B. „AB ist". Für „ist" in diesem Gebrauch verwendet Leibniz funktionsgleich „ist ein Seiendes" oder „ist ein Ding". „Ist", „ist ein Seiendes", „ist ein Ding" bedeutet zunächst, d. h. wenn nichts weiteres hinzugefügt wird, „möglich" = „widerspruchsfrei" ( § 73) und hat somit hier dieselbe Funktion wie „Wahres" in 4.5 (vgl.§ 198, 5. u. 7.). Entsprechend stellt Leibniz auch fest, daß jede Aussage tertii adjecti in eine secundi adjecti übergeführt werden kann, indem Subjekt und Prädikat zu einem Begriff zusammengesetzt werden und „ist" hinzuge-
4.8
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fügt wird(§ 145; vgl. GP II 472). Leibniz unterscheidet bei beiden Formen der Aussagen eine essentielle und eine existentielle Form, denen also eine verschiedene Interpretation von „ist" entspricht(§§ 144, 145), wobei die existentielle die essentielle logisch (wenn auch deshalb nicht schon erkenntnistheoretisch) voraussetzt. Eine solche Rückführung einer existentiellen Aussage tertii adjecti auf die entsprechende secundi adjecti „AB ist Existierendes" ( § 71) ist nur im Zusammenhang der Beweistheorie relevant. Für das logische Problem der Rückführung der Aussagen auf Begriffe spielt die Unterscheidung in essentielle und existentielle Aussagen keine Rolle. Die Rückführung auf Aussagen secundi adjecti leistet dasselbe wie die auf logische Abstrakta unter Hinzufügung von „Wahres" oder „Seiendes".
4.8 Der Kalkül der „Dinge" Bei der Rückführung der vier Aussageformen auf logische Abstrakta mit nicht-formalisierten Ausdrücken fand Leibniz Schwierigkeiten, für universelle (§ 140) und negative (§ 142} Aussagen adäquate und korrekte logische Abstrakta zu bilden. Deshalb ging er zu dem Verfahren der Rückführung von Aussagen tertii adjecti auf solche secundi adjecti (4.7) in seiner formalisierten Form über, obwohl dasselbe ebenso mit der formalisierten Form der logischen Abstrakta (4.6) durchführbar ist (vgl. unten das Schema§ 197), und verwandte deshalb auch die damit verbundene Terminologie „ist", „ist ein Ding" (anstelle jener von „ist Wahres", „Wahres"). Der Vorteil, den die Rückführung von Aussagen tertii adjecti auf solche secundi adjecti (ebenso wie die Rückführung von Aussagen auf logische Abstrakta} mit sich bringt, liegt zunächst darin, daß man in ihnen ohne die quantifizierenden Ausdrücke ,jeder", „keiner", „einer", „einer nicht" auskommt (vgl. Schmzdt 4 199). Weiterhin können dann die so formulierten Aussageformen des Kalküls der „Dinge" in Aussagen transformiert werden, die eine Teilklasse des Identitätskalküls bilden (Poser 1 49),
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4.9
was ein zentrales Anliegen von Leibniz in den GI darstellt (vgl. 5.2 u. 5.6). Die Formulierungen von PA(§ 146),PN (§ 148) und UN ( § 149) bereiten keine Schwierigkeit, da sie unmittelbar von den korrespondierenden Formen der Aussagen tertii adjecti ablesbar sind. Dasselbe ist jedoch bei UA nicht möglich (§ 147), so daß Leibniz UA über die Verneinung von PN einführt (§ 150). Leibniz gelangt so zu der endgültigen Form: §§ 151, 169, 199 § 197 UA A nicht-B ist nicht ein Ding A nicht-B Falsches AB Falsches UN AB ist nicht ein Ding PA AB ist ein Ding AB Wahres PN A nicht-B ist ein Ding A nicht-B Wahres (PN ist in § 197 nicht aufgeführt) Wie §§ 147, 149, 150 und 200 zeigen, lassen sich die so formulierten Aussageformen auch in Formeln des Kalküls des Enthaltens (vgl. 4.4) transformieren.
4.9 Die Bedeutung von „Ding", „Seiendes" und „Wahres" „Ding" (res) = „Seiendes" (ens) bedeutet möglicher, d. h. widerspruchsfreier Begriff (vgl. z.B. § 73). „Seiendes" bezieht sich also zunächst auf Mögliches, schließt jedoch nicht aus, daß es sich auch auf Existierendes bezieht (§§ 145, 146, 148). In einem Fragment aus derselben Periode (vermutlich jedoch später als die GI entstanden) weist Leibniz darauf hin, daß „Seiendes" sowohl als „Mögliches" wie auch als (aktuell, real) „Existierendes" interpretiert werden kann (GP VII 214; vgl. C 261, Satz 4), daß jedoch in ein und demselben Kalkül jeweils eine Interpretation durchgehend angewandt werden muß. In diesem Fall sind auch die Subalternation und die Umkehrung per accidens korrekt (GP VII 214-217; vgl. 5.8). Die Interpretation als „Existierendes", d. h. „A ist Existierendes" oder „AB ist Existierendes" setzt jedoch immer logisch (nicht notwen-
5.1
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digerweise erkenntnistheoretisch, vgl. 8. 7) „Seiendes" als „Mögliches" voraus (vgl.§ 73). Die Interpretation als „Existierendes" kommt zwar in den GI auch vor (vgl. § 71), spielt jedoch gegenüber der von „Seiendes" als „Mögliches" nur eine Rolle im Rahmen der Beweistheorie kontingenter Aussagen. (Die Deutung von ,,Ens", „Res", ist in der älteren Literatur oft nicht richtig, so bei Couturat 1 359-361; Lewis 14 f.; Rescher 1 10; aber auch Castaneda 484-490; vgl. die Korrekturen bei Kauppi 1 46.215-217; Parkinson 1 20 f.; Poser 1 44-46; Burkhardt 2 3 7-40.) Leibniz setzt „Ding" (res) und „wahrer Begriff, der keinen Widerspruch wie X nicht-X enthält" gleich (§ 190). Was keinen Widerspruch enthält, ist Mögliches(§ 1). „Wahres" ist also hier gleichgesetzt mit „Mögliches". „Falsches" ist „Nicht-Wahres" (vgl. z.B. § 3). „Falsches" ist daher „Widersprüchliches", d. h. etwas, das „X nicht-X" enthält (vgl. § 194). Entsprechend ist „Falsches" gleich „Unmögliches" (§ 55 ). (Vgl. auch die Modalbestimmungen in 7 u. 8.4.)
5 Die Syllogistik - Grundprobleme Broad; Dürr 3 ; Ishiguro 1 125-133; Kauppi 1 211-222; Knecht; O'Briant; Parkinson 1 17-23; Sainati; SanchezMazas1,2; Thiel1,2.
5.1 Der Syllogismus als Begriffsverknüpfung Es ist eine der Grundthesen der GI, daß die Syllogistik im Rahmen des Begriffskalküls behandelt werden kann. Das Prinzip, von dem her diese These entwickelt wird, ist jedoch so allgemein gefaßt, daß die Syllogistik nur ein Bereich möglicher Anwendung ist (wobei Leibniz sich vorwiegend mit diesem befaßt): § 189, Sechstens: Was immer über einen Begriff, der einen Begriff enthält, gesagt wird, kann auch über eine Aussage gesagt werden, aus der eine andere (Aussage) folgt.
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Die Grundlage dieser Theorie liegt in der Möglichkeit der Rückführung der Aussagen auf Begriffe (4.6). Die Aussagen „A ist B" und „C ist D" können als Begriffe aufgefaßt werden, die selbst wieder durch die logische Konstante „ist" („enthält") verknüpft werden: § 138: das A ist B enthält das C ist D d. h.: die B-heit des A enthält die D-heit des C Setzt man (vgl. C 408): A ist B L, C ist D = M so ergibt sich: L;;. M das im Identitätskalkül (nach § § 16, umgeformt wird in: [83) L = LM (vgl. C 408) Dies ist genau die Form der kategorischen universell affirmativen Aussage (vgl. § 16): A =AB (vgl. C 262 f„ Satz 8) Somit kann Leibniz sagen, daß alle hypothetischen Aussagen zu kategorischen Aussagen werden ( § 13 7), da sie denselben Wahrheitsbedingungen entsprechen: Eine kategorische Aussage ist wahr, wenn das Prädikat im Subjekt enthalten ist (vgl. 8.1 ), eine hypothetische Aussage ist wahr, wenn das Konsequens im Antezedens enthalten ist ( § 198,8.; C 423). Daher faßt Leibniz auch den ganzen Syllogismus als eine Aussage auf(§§ 55, 137), was nach derselben Wahrheitsbedingung heißt: Eine Aussage folgt aus gegebenen Aussagen, wenn sie durch gültige Substitutionen aus ihnen hervorgeht (C 261, Satz 1; C 327). Die Relation „ist" (est), d. h. „enthält" (continet), hat daher dort, wo die Variablen als Aussagen interpretiert werden die Bedeutung von „folgt" (infert, sequitur; vgl.§ 25; Lesart 34,425); entsprechend bedeutet „deckt sich" (coincidit, idem est) bei der Verknüpfung von Aussagen „implizieren sich wechselseitig" (se reciproce inferunt, 24,311 f.). Diese verschiedene Bedeutung der logischen Konstanten ändert jedoch nichts an ihrer logischen Funktion: Der Kalkül (3. 7) bleibt derselbe, gleichgültig ob die Variablen durch Begriffe oder durch Aussagen interpretiert werden, d. h. er muß ohne Veränderung auch die Ableitung des syllogistischen Systems ermöglichen.
5.2
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Der Gedanke, daß Aussagen wie Begriffe behandelt werden können, liegt auch dem (allerdings nur angedeuteten} Schema in § 107 zugrunde. Setzt man z. B. im ersten Schema an die Stelle 2 „affirmativ", so ergibt sich für die Aussage AB: „A ist B". Diese Aussage kann wieder als Begriff aufgefaßt werden: „das B-Sein des A" = L. Wird dieser Begriff wieder als das Subjekt einer weiteren Aussage mit dem Prädikat C aufgefaßt, so ergibt sich die Aussage LC, und wird z. B. „affirmativ" an die Stelle 5 gesetzt, dann heißt die Aussage: „L ist C". Diese kann wieder als Begriff aufgefaßt werden, d. h. „das C-Sein des L" = M, u.s.w. (Leibniz dachte auch daran, auf die Mitte der über die Buchstaben gesetzten Linie, die sie als Aussage kennzeichnet, ein Zeichen zu setzen, das angibt, ob die Begriffsverknüpfung bejahend oder verneinend ist - Stelle 2 -, und an den Beginn der Linie - Stelle 1 - ein Zeichen, das angibt, ob sie universell oder partikulär ist. Leibniz dachte also an eine graphisch vollständige Verzeichnung der verschiedenen Begriffsverknüpfungen.)
5.2 Aussageformen als Kalkülformeln Die systematische Aufgabe, die Leibniz sich gestellt hatte, wird aus §§ 189-190 und §§ 198-199 (in etwa auch aus §§ 156-161) ganz deutlich: Es sollten zunächst die Axiome des Systems aufgestellt werden, und dann sollten adäquate Darstellungen für die vier Aussageformen (propositionum categoricarum species, § 152) gefunden werden, also Kalkülformeln, die die Möglichkeit geben sollten, alle gültigen Syllogismen und nur diese (somit das ganze System der Syllogistik} im Rahmen des Identitätskalküls zu beweisen. Unter diesen Formeln (in einem weiteren Sinn) befand sich auch der Kalkül der „Dinge" (vgl. 4.8). Diebesondere Rolle dieser Formeln wird seit der Einführung in § 151 deutlich: sie werden zum Maßstab der anderen Formeln. In systematischer Hinsicht läßt sich daher dann sagen, daß Leibniz versuchte, den vier Aussageformen Kalkülformeln zuzuordnen, die dem Kalkül der „Dinge" ge-
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recht werden und die geeignet sind für Operationen im Rahmen des Identitätskalküls (vgl. (IJ-(VI] in 6.1). Daß Leibniz jedenfalls später den Kalkül der „Dinge" als Grundlage des Beweises (fundamentum reductionis) der syllogistischen Gesetze ansah, geht aus einem vermutlich nach 1690 entstandenen Fragment eindeutig hervor, wo er sich auf frühere Versuche beruft (GP VII 212). Versuche, geeignete Kalkülformeln für den Beweis des syllogistischen Systems zu finden, finden sich außer in den GI in derselben Periode vor allem in DF {C 292-321). In DF beschäftigt sich Leibniz ausführlich mit der Deduktion der unmittelbaren Folgerungen und der Schlußformen, wobei die Schwierigkeiten verschiedener Formeln deutlich gemacht werden. Weiter sind wichtig drei Fragmente aus dem Jahr 1690 (C 232237. 421-423), die sachlich derselben Periode zuzurechnen sind. Die verschiedenen Versuche in den GI lassen sich hauptsächlich durch drei formale Kennzeichen unterscheiden (vgl. übersieht in 6.1): (a) Verwendung von unbestimmten Variablen (Y, X u.s.w.). Leibniz war bestrebt, solche unbestimmte Variablen zu eliminieren (vgl. 5 .4). (b) Verwendung von entweder nur der Relation „=" oder von „=" und ,;=I=" (vgl. auch 3.5). In§ 129 liegt auch der (eher untypische) Versuch vor, nur „=F" zu verwenden. (c) Verwendung von negierten Begriffen {vgl. 5 .5). In den GI läßt sich kaum eine systematische Folge der Einführung der verschiedenen Formeln feststellen. Deutlich ist nur die Absicht, jene mit unbestimmten Variablen durch solche ohne unbestimmte Variablen zu ersetzen. Leibniz hat, ohne dies ausdrücklich zu machen, mit folgenden kombinatorischen Möglichkeiten gearbeitet: (a') Zunächst Bildung der UA und UN; dann Bildung der PA und PN durch Hinzufügung einer unbestimmten Variablen im ersten Glied der Gleichung{= Subjektsbegriff). Vgl. [I) und [Ia) in 6.1. (b') Zunächst Bildung der UA und UN; dann Bildung der PA und der PN durch Opposition, d. h. Negation der UA und UN. Vgl. [lb], [V], [VI] in 6.1, [II] in 4.4.
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5.3
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(c') Zunächst Bildung der PA aus UA durch Hinzufügung (vgl. a'); dann Bildung der UN und PN durch Opposition (vgl. b'). Vgl. [Ila] in 6.1, [l] in 4.4. Mit solchen schon gebildeten Formeln lassen sich weitere Kombinationen bilden, vgl. bes. 6.6. Nimmt man an, daß die GI und DF beinahe gleichzeitig entstanden sind, wofür vieles spricht (vgl. Kauppi 1 184 ), so können überlegungen aus DF herangezogen werden, um die Zusammenhänge wenigstens einiger Formelgruppen zu erklären. 5.3 Kalkülformeln mit unbestimmten Begriffen In den GI gibt es zwei Arten von Variablen: solche für bestimmte Begriffe, z. B. A, B, und solche für unbestimmte Begriffe, z. B. X, Y ( § 21 ). Der Grund der Einführung der unbestimmten Variablen (literae indefinitae) war die Absicht von Leibniz, die Aussagen im Rahmen des Identitätskalküls behandeln zu können (vgl. 4.3; der Gebrauch von Y im Subjektsbegriff im Rahmen des Kalküls des Enthaltens, vgl. z.B. §§ 48 u. 50, ist demgegenüber später, vgl. 4.4). Die Grundform der Aussage, d. h. „A ist B" soll in eine Identitätsform umgeformt werden. Leibniz unternimmt diese Umformung unter Voraussetzung der traditionellen Definitionstheorie (Gattung, Art, spezifische Differenz): Gattung Lebewesen A B
Differenz ein bestimmtes
....____!~ y
Art Mensch = ein bestimmtes Lebewesen (vgl.
c 300) A= YB
Daraus ist die Äquivalenz (A ist B) = (A = BY) ersichtlich (§ 16). Der Ausdruck BY bedeutet daher (bei intensionaler Interpretation): „eine unbestimmte Art der Gattung B" (die deutsche Sprache gibt hier keine gute Ausdrucksmöglichkeit, da „ein bestimmtes" gerade bedeutet: „ein nicht näher bestimmtes"). Die Reihenfolge von Bund Y spielt keine Rolle (vgl. [10] in 3.7). Für unbestimmte Be-
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5.4
griffe gilt wie für bestimmte(§ 22) die Definitionsregel, daß für zwei (oder mehrere) unbestimmte ein neuer - bisher im Kalkül noch nicht gebrauchter - Buchstabe gesetzt werden kann, z.B. YZ =X(§ 20). Für jede bestimmte Variable kann immer eine unbestimmte Variable substituiert werden(§ 23). Einer beliebigen Variablen kann immer eine unbestimmte hinzugefügt werden (§ 24). Wird im Identitätskalkül eine unbestimmte Variable in einer reinen Identität wie A = A hinzugefügt, also A = AY, so kann Y nur so viel bedeuten wie „Wahres", das somit - bei vorausgesetzter Widerspruchsfreiheit der Begriffe - auch weggelassen werden kann ( § 31; vgl. § 2 4). - Ein erschöpfender Begriff (vgl. 2.2) ist dadurch gekennzeichnet, daß er durch keine weiteren Bestandteile vermehrt werden kann. Daher ist z. B. „Alexander der Große" - B - und „ein bestimmter Alexander der Große" - BY - dasselbe. Kann daher zu einem Begriff ein beliebiger unbestimmter Begriff hinzugefügt werden, und ist jeder solcher hinzugefügte Begriff überflüssig, so bezeichnet dieser Begriff ein Individuum (§ 72). Leibniz hat mehrere Versuche unternommen, die Aussageformen mit Hilfe von unbestimmten Begriffen auszudrükken (vgl. [I]-[Ila] in 6.1 ).
5.4 Die Eliminierung der unbestimmten Begriffe Leibniz entdeckte in seinem Gebrauch der unbestimmten Begriffe eine Zweideutigkeit (aequivocatio; § 162), die er vor allem in § 81 und § 112 behandelte und die er durch eine verschiedene Symbolisierung zu beseitigen suchte: [a] Y: ein Unbestimmtes (unum incertum; § 81), dieses Unbestimmte (incertum hoc; § 112), dieses gewisse (hoc quoddam; § 112)- Es ist also höchstens ungewiß, konkret welcher der Gegenstände der betreffenden Art gemeint ist. [b] Y: ein beliebiges aus der Anzahl der Unbestimmten (quodcunque ex incertis; § 112), dieses und jenes (hoc et hoc; § 112), welches auch immer (quodlibet; § 81; ullum; § 112)
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Für die Beziehung von Y und Y gilt(§ 112): Y ist/enthält Y, d.h.: Y ~ Y Entsprechend gilt(§ 112): [a] AY ist B: ein gewisses Aist B (quoddam A est B), d.h.AY~ B [b] AY ist B: ein beliebiges A ist B (ullum A est B), d.h.AY ~ B Und somit sind die entsprechenden Negationen: [ a] A Y ist nicht B: ich negiere, daß dieses eine A B ist (nego hoc quoddam A esse B; § 112), es ist falsch, daß ein solches A B ist (falsum esse tale A esse B; § 162). A Y-;;. B bedeutet also: dieses gewisse Aist nicht B (hoc quoddam A non est B; vgl. § 162), dies schließt aber nicht aus, daß ein anderes A durchaus B ist. Es ergibt sich also die PN (si nego hoc quoddam A esse B, tantum videor particularem negativam dicere; § 112). [b] A Y ist nicht B: ich negiere, daß ein beliebiges A B ist (nego quodcunque A esse B; § 112), d.h. es wird gesagt, daß kein AB ist (dicitur nullum A esse B; § 112; vgl. non quoddam; § 162; vgl. non tantum hoc, sed et hoc et hoc; § 112). Dies ist die UN:AY-;;.B. Nur [b] liefert also den nach dem logischen Quadrat erforderten Gegensatz von PA und UN. (Entsprechend müßten auch die Formeln für die PA und die UN in§ 48 und§ 50 interpretiert oder modifiziert werden.) Diese Zweideutigkeit, die in der Negation besonders deutlich wird, veranlaßte Leibniz, nach einer Möglichkeit der Eliminierung solcher Begriffe zu suchen. An welchem Punkt der Abfassung der GI Leibniz beschlossen hat, die unbestimmten Begriffe zu eliminieren, läßt sich nicht genau feststellen. Leibniz hat spätestens mit der Abfassung des § 83 die Ergänzung in § 16 (34,420 f.) vorgenommen. Andererseits verwendet Leibniz in § 118 und § 119 sofort nach der Wiederholung der Feststellung der Eliminationsmöglichkeit von Y entsprechend§ 16 und § 83 sofort wieder Formeln mit Y, ebenso gebraucht er solche im letzten Teil, d. h. in §§ 155-198. Da Leibniz
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auch in den zu derselben Periode gehörenden Versuchen von 1690 wieder mit unbestimmten Begriffen arbeitet (C 235-237. 421-423), legt sich die Vermutung nahe, daß Leibniz auch nach Fertigstellung der GI nicht überzeugt war, daß die Eliminierung der unbestimmten Begriffe wirklich erfordert ist (vgl. auch unten [Ib ]). Leibniz stellt zunächst fest, daß für jeden bestimmten Begriff ein unbestimmter substituiert werden kann(§ 23). Dies ist auch leicht einzusehen, denn wenn z. B. A = BC (z.B. Mensch = Lebewesen, vernünftig), so gilt jedenfalls die Definition: A = BY (z.B. Mensch= Lebewesen, ein bestimmtes). Leibniz sieht jedoch dann, daß in jeder Gleichung dieser Art gelten muß: (A = BY) = (A =AB)(§ 16), denn: „Mensch = ein bestimmtes, Lebewesen" = „Mensch =Mensch, Lebewesen"; letzteres kann ja wieder analysiert werden in: „vernünftig, Lebewesen= vernünftig, Lebewesen, Lebewesen", was nach AA = A (vgl. [3] in 3.7) gleichbedeutend ist mit: „vernünftig, Lebewesen = vernünftig, Lebewesen", was also eine Identität besagt (§ 83; vgl. C 259, Satz 8). Von hier aus fand Leibniz die ganz korrekten Formeln [VI] für die Aussageformen (§§ 83, 84, 85, 87; vgl. 6.5), ohne diese jedoch auf ihre Tragfähigkeit zur Ableitung des Systems der Syllogismen zu überprüfen. - Es ist jedoch von Interesse zu sehen, daß Leibniz in DF genau von der dazu korrespondierenden Form mit unbestimmten Variablen ausging: UA UN PA PN
[lb]C301 A= BY A = Y nicht-B Ai= Y nicht-B Ai=BY
[VI] §§ 83-87 A= AB A = A nicht-B Ai= A nicht-B Ai=AB
Leibniz fand bei [Ib] Schwierigkeiten, Darii und Ferio abzuleiten, und ging deshalb in DF einfach zur entsprechenden Form des Kalküls der „Dinge" über (C 301 f.; an dieser Stelle: „res" = „datur"). Couturat 1 351 f. hat jedoch darauf hingewiesen, daß [Ib] eine vollkommen korrekte Darstellung der vier Aussageformen darstellt.
5.5-5.6
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5.5 Die Eliminierung der unendlichen Begriffe Leibniz nennt (in scholastischer Terminologie) einen unbestimmten Begriff der Art Y einen unendlichen (infinitus} Begriff, da er auf beliebig viele angewendet werden kann. Diese unendlichen Begriffe sollen durch den übergang zu äquivalenten Formeln mit negativen Begriffen eliminiert werden. § 80: Jedenfalls scheint nicht-A dasselbe zu sein wie das, was nicht A ist; d. h. jeder, der nicht A ist. (Vgl.§§ 86 u. 186) (Y ist nicht A} = (Y = nicht-A} Dasselbe kann nun auch mit bestimmten Begriffen durchgeführt werden (vgl. zum folgenden auch 7.7): § 82: Sicher kann man auch sagen, daß „B ist nicht A" dasselbe ist wie „B ist nicht-A". Dies ist im Sinne der Ergänzung in § 54 (46,587-591) so zu interpretieren (A und B sind gegenüber § 54 vertauscht): Man kann sagen, daß „Kein B ist A" (oder ,Jedes B ist nicht A"} dasselbe ist wie „B ist nichtA". Auf diese Weise gewinnt Leibniz im § 82 die Formel für UN: B ~ nicht-A (vgl. [II] in 4.4) Diese Formel des Kalküls des Enthaltens kann dann entsprechend dem Umformungsverfahren in § 83 (und § 16) in eine Formel des Identitätskalküls umgeformt werden: § 87 (A und B gegenüber§ 87 vertauscht): UN: (B ~ nicht-A} = (B = B nicht-A} (Vgl. [VI] in 6.7)
5.6 Die Äquivalenz des Kalküls der „Dinge" und der Kalkülformeln In den GI kann man folgende Beobachtung machen: Leibniz führte die Umformulierung der Aussageformen in solche secundi adjecti, also in den sog. Kalkül der „Dinge" in immer gleicher Form an (§§ 151, 152, 169}. Leibniz sah
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auch genau, daß die Aussageformeln jenen des Kalküls der „Dinge" äquivalent sein müssen (vgl. das Äquivalenz ausdrückende „seu" in § 152). Es hätte daher eigentlich naheliegen müssen, einen Beweis dieser Äquivalenz zu suchen, wobei der Kalkül der „Dinge" (den Leibniz offensichtlich als korrekt ansah), die Möglichkeit der überprüfung der Korrektheit von Aussageformeln hätte abgeben können. Ein solcher Beweis findet sich in den GI nicht. Als Leibniz jedoch 1690 die Probleme des Kalküls nochmals unter den gleichen Voraussetzungen wie 1686 behandelte und die Vermutung aussprach, daß die Aussageformeln [VI] allein zum Beweis der Syllogismen ausreichten (vgl. 6. 7), lieferte er jedenfalls teilweise diesen Beweis. Der Anlaß war die Schwierigkeit, die einfache Umkehrung der PA bei [VI] zu beweisen (C 236 f.). Der Beweis hat folgende Form (Reduktion ad impossibile): (AB Ding)-+ (A =/= A nicht-B) A = A nicht-B Kontradiktorium des Konsequens AB= AB nicht-B [5] in 3.7 (AB nicht-B) widersprüchlich, folglich: AB nicht ein Ding Kontradiktorium des Antezedens, folglich: A =!= A nicht-B Es ist evident, daß der Beweis in derselben Form auch für (AB Ding)-+ (B =!= B nicht-A) geführt werden kann, womit die einfache Umkehrung der PA bewiesen ist. Leibniz führt auch den (etwas komplizierten) umgekehrten Beweis durch für: (C 237) (A =!= A nicht-B)--> (AB Ding) Daraus wird deutlich, daß mit leibnizschen Verfahren folgende Äquivalenz bewiesen werden kann:
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187
Kalkülformel [VI] §§ 83-87 A nicht-B ist nicht ein Ding A= AB UA A = A nicht-B AB ist nicht ein Ding UN A =I= A nicht-B PA AB ist ein Ding A =I= AB A nicht-Bist ein Ding PN Der Beweis z.B. für die UA hat folgende Form (für UN, PA, PN hat der Beweis eine ganz analoge Form): (A = A nicht-B)-+ (AB ist nicht ein Ding) AB= AB nicht-B [5] in 3.7 (AB nicht-B) widersprüchlich, folglich: AB= Unmögliches (vgl. § 36): AB ist nicht ein Ding Ebenso gilt das Umgekehrte: (AB ist nicht ein Ding)-+ (A = A nicht-B) A =I= A nicht-B Kontradiktorium des Konsequens AB =I= AB nicht-B [5] in 3.7 (AB nicht-B) widersprüchlich, folglich: AB =I= Unmögliches folglich (vgl. 7.7): AB= Mögliches folglich (vgl.§ 36): AB ist ein Ding Kontradiktorium des Antezedens, folglich: A = A nicht-B Obwohl Leibniz diesen Beweis nicht durchführt, war er sich doch ausdrücklich bewußt, daß er mit dem vorangegangenen Beweis der Umkehrung der PA durch die Rückführung auf den Kalkül der „Dinge" den „Schlüssel" (clavis), also ein generelles Verfahren für die Rückführung von komplexen Begriffen (also Aussagen, [VI]) auf inkomplexe Begriffe (also Begriffe im engeren Sinn, d. h. so wie im Kalkül der „Dinge") gefunden hatte (C 237). Kalkül der „Dinge" § 151
188
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5.7
Diese Äquivalenz zeigt, daß der Kalkül der „Dinge" eine modale Interpretation des Identitätskalküls liefert. Nimmt man noch die von Leibniz eingeführte Äquivalenz der Formeln des Kalküls des Enthaltens mit jenen des Identitätskalküls dazu (vgl. 4.3), so sieht man, daß Leibniz mit folgenden grundlegenden Äquivalenzen arbeitet: ( A;;.. B) = (A =AB)= (A nicht-Bist nicht ein Ding) Unter dieser Voraussetzung ist es möglicherweise doch richtig zu behaupten, Leibniz habe jedenfalls in der Periode seiner logischen Forschungen, in der auch die GI entstanden sind, so ziemlich alle Prinzipien der Boole-Schröderschen Logik entwickelt (vgl. Couturat 1 386;Parkinson 2 XL VI möchte dies erst für eine den GI gegenüber späteren Periode gelten lassen). 5. 7 Der Beweis des Systems der Syllogismen Leibniz beabsichtigte, in den GI auch die Grundlage für den Beweis des gesamten traditionellen syllogistischen Systems zu liefern (vgl. 5.2). Dafür waren zwei Aufgabengebiete zu unterscheiden: - der Beweis der unmittelbaren Folgerungen: - einfache Umkehrung (UN, PA) - Umkehrung per accidens (UA) - Subalternation (UA - PA, UN - PN) - der Beweis der mittelbaren Folgerungen, d. h. der gültigen Modi der 4 Figuren. Der zweiten Aufgabe widmete sich Leibniz in den GI kaum, dafür aber sehr ausführlich in DF (C 294-321). Im Mittelpunkt der Fragen des Beweises des syllogistischen Systems in den GI stand die erste Aufgabe. Die Suche nach adäquaten Aussageformeln ([I]-[VI], vgl. 6.1-6.7) war bestimmt von dem Streben, die unmittelbaren Folgerungen schon durch die Form der Aussageformeln sichtbar zu machen. Dieser Forderung schien [Ha] am ehesten zu entsprechen, das in der korrespondierenden Form ohne unbestimmte Begriffe durch Kombination aus [IV] gewonnen werden kann. Dies ist wohl der Grund, warum Leibniz in
5.8
Kommentar
189
DF diesen beiden Formelgruppen genauere Untersuchungen widmete (C 303-311). Demgegenüber schien Leibniz möglicherweise [VI] wegen der nicht unmittelbaren Umkehrbarkeit von PA und UN (vgl. 5.6) sowie wegen der ebenfalls nicht unmittelbaren Ableitbarkeit der Subalternation zunächst weniger adäquat. Allerdings begann Leibniz in DF gerade mit den [VI] korrespondierenden Formeln mit unbestimmten Begriffen (C 301). Leibniz zog in den GI auch - ohne allerdings das Verfahren näher anzugeben - eine Ableitung der Syllogismen direkt aus dem Kalkül der „Dinge" in Erwägung (130,702704). Dabei ergab sich konsequenterweise, daß Barbara nur durch negative Sätze ausgedrückt wurde, was Leibniz zu der Äußerung veranlaßte, „daß diese Zurückführung der universellen auf negative Aussagen nicht so ganz natürlich ist" (130,706-708; wobei Leibniz allerdings nicht erklärt, was „natürlich" in der Logik bedeuten soll). Beim Beweis der einzelnen Figuren wollte Leibniz (wie für jeden Beweis innerhalb eines axiomatischen Systems) zwei Verfahren gelten lassen: - Deduktion (vgl. 3.9) - Reduktion ad impossibz1e (vgl. den ausdrücklichen Hinweis in§ 91). 5.8 Die Problematik der Subalternation Leibniz versuchte an mehreren Stellen der GI (vgl. 22,29124,297; §§ 29, 49) die Subalternation zu beweisen (vgl. die sachlich, wenn auch nicht bei allen Formelgruppen kalkülmäßig ähnliche Problematik der Umkehrung per accidens; §§ 17, 25, 54). Die Kalkülformeln wurden von Leibniz auch in der Absicht entworfen, die sog. unmittelbaren Folgerungen, die er auch beweisen mußte, und so auch die der PA aus der UA möglichst leicht durchführbar zu gestalten. Ein besonders einfacher Beweis liegt in den Aussageformeln [Ila] vor(§ 178; vgl.§ 191):
190
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5.9
UA
A=YC ZA= ZYC [5]in3.7 PA ZA=VC ZY=V Couturat 1 360 f. u. ö. hielt das Festhalten von Leibniz an diesen „fehlerhaften" Folgerungen für eine der Ursachen, warum Leibniz bei seinen Versuchen zur Begründung der Logik letztlich keinen Erfolg hatte. Der Einwand beruht auf der Voraussetzung, daß die UA unabhängig von Existenzbedingungen ist, während die PA eine Existenzbehauptung enthält. Genau diese Voraussetzung trifft jedoch auf die leibnizsche Logik nicht zu. Leibniz hat sich mit diesem Problem ausdrücklich in einem vermutlich nach 1690 entstandenen Fragment auseinandergesetzt, das nach den Anfangsworten Difficultates quaedam Logicae benannt wird (GP VII 211-217). Leibniz geht dort auch wieder vom Kalkül der „Dinge" aus. Er unterscheidet dabei zwei Interpretationen. Die erste bleibt im· Bereich der Möglichkeit (in terminis possibilium, GP VII 211) oder im Bereich der Ideen (in regione idearum, GP VII 214). Dort sagt dann auch die PA nichts über Existenz aus, das partikuläre Subjekt der PA ist nur eine Art der Gattung, die das Subjekt der entsprechenden UA ist. In der zweiten wird „Seiendes" („Ding") auf real Existierendes bezogen (Ens sumatur pro realiter existente, GP VII 214), d. h. es wird hier vorausgesetzt, daß die Begriffe sich nicht auf leere Klassen beziehen (Kauppi 1 216-218). In beiden Interpretationen ist daher die Subalternation wie auch die Umkehrung per accidens korrekt.
5.9 Die intensionale und die extensionale Interpretation Leibniz stellt fest, daß der Kalkül zweifach interpretiert werden kann: nach dem Inhalt der Begriffe, d. h. intensional, oder nach dem Umfang der Begriffe, d. h. extensional. Leibniz geht dabei wiederum von der Definitionstheorie aus: Entweder wird der Gattungsbegriff als Teil des Artbegriffs aufgefaßt (= intensional), oder es wird der Artbegriff als Teil des Gattungsbegriffs aufgefaßt (= extensional; §
191
Kommentar
122). Diese zweifache Interpretationsmöglichkeit gilt für den Kalkül und kann so auch in der Diagrammdarstellung des Kalküls sichtbar gemacht werden. Der Aussage „A ist B", an der die zweifache Interpretation am besten sichtbar gemacht werden kann, entsprechen daher die beiden Diagramme (vgl. auch 6.8 u. 6.9): extensional (§ 123) Art
intensional(§ 113) Art A
A -----.--------·--------
B ----"""----------------t
B
Gattung
Gattung
Diese beiden Interpretationsmöglichkeiten werden von Leibniz in den NE in einer bekannten Formulierung erläutert: „Denn, sage ich: Jeder Mensch ist ein Lebewesen, so will ich sagen, daß alle Menschen unter allen Lebewesen enthalten sind; aber gleichzeitig verstehe ich darunter, daß die Idee des Lebewesens in der des Menschen enthalten ist. ,Das Lebewesen' umfaßt mehr Individuen als ,der Mensch', aber ,der Mensch' enthält mehr Ideen oder Formalbegriffe; das eine hat mehr Exemplare, das andere mehr an Wirklichkeitsgrad; das eine hat mehr Extension, das andere mehr Intension." (NE IV, XVII § 8) Leibniz schränkt in§ 122 die für die Deutung herangezogene Begrifflichkeit von „Ganzes" und „Teil" ein, indem er statt „Teil von ... " auch „zumindesten in ... eingeschlossen" gelten lassen will (was dem Gebrauch von „;;." entspricht). Dies wird durch die Fortsetzung des eben angeführten Textes interpretiert: „Auch kann man in der Tat sagen, daß die ganze Lehre vom Syllogismus durch die Lehre de continente et contento, d. h. vom Enthaltenden und Enthaltenen, bewiesen werden könnte; welche von der Lehre vom Ganzen und Teil verschieden ist, denn das Ganze ist immer größer als der Teil, aber das Enthaltende und das Enthaltene sind sich mitunter gleich, wie dies in den reziproken Sätzen der Fall ist." (ebd; übers. der beiden Texte gegenüber der von Gas-
192
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sirer, PhB 69, Hamburg 1971, 591 f. leicht verändert, vgl. Thiel 1 33). Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Leibniz in erster Linie versuchte, die Logik vom Standpunkt der Intension her aufzubauen. Die GI sind dafür eines der wichtigsten Zeugnisse. Couturat 1 387 hat nun das, was er als das Scheitern der leibnizschen Logik bezeichnet, auf diese Bevorzugung des intensionalen Standpunkts durch Leibniz zurückführen wollen. Dieses am Beginn unseres Jahrhunderts ausgesprochene Urteil entspricht dem Standpunkt der modernen'Logik dieser Periode, ein Urteil, das in dieser Form heute unhaltbar geworden ist, insofern die Berechtigung einer intensionalen Logik in der Gegenwart durchaus anerkannt wird und so auch eine positive Einschätzung der intensionalen Interpretation bei Leibniz sich durchsetzt (vgl. Lewis 13 f.; Rescher 1 12 f.; Kauppi 1 12), die auch Anlaß zu Arbeiten gegeben hat, die an einzelnen Punkten die Durchführbarkeit des leibnizschen Programms zeigen (Sanchez-Mazas 1, 7 ; Thiel 3 ). Damit ist allerdings die Frage noch nicht beantwortet, warum Leibniz zwar beide Interpretationen als systematisch gleichberechtigt ansieht, trotzdem aber der intensionalen Interpretation eindeutig den Vorzug gegeben hat. Nach Leibniz besteht der übergang von Begriff zu Aussage (vgl. 4.5) in nichts anderem, als daß von einem Begriff ausgesagt wird, er sei „Wahres" (d. h. ein widerspruchsfreier Begriff). Genau durch diesen übergang wird ein Begriff zum Subjekt einer Aussage. Die Konstitution der Aussage ist also eine intensionale Konstruktion (wobei „A ist Wahres" dann ebenfalls extensional interpretiert werden kann). In dieser Konzeption ist dann die wahre Aussage dadurch bestimmt, daß der Prädikatsbegriff im Subjektsbegriff enthalten ist (vgl. 8.2). In der intensionalen Interpretation wird ein nicht-erschöpfender Begriff einem erschöpfenden Begriff als Teil zugeordnet, in der extensionalen Interpretation wird demgegenüber ein erschöpfender Begriff einem nicht-erschöpfenden Begriff als Teil zugeordnet. Die beiden Interpretationen sind zwar logisch gleichberechtigt, aber für Leibniz,
6.1
Kommentar
193
dem es eben auf die Kenntnis der vollständigen, d. h. erschöpfenden Bestandteile eines Begriffs ankam, drückt nur die intensionale Interpretation die Richtung des Erkenntnisfortschritts aus. Die Logik soll dem Beweis der Wahrheit dienen. Beweis der Wahrheit (vgl. 8.1-8.5) bedeutet für Leibniz den Nachweis der Widerspruchsfreiheit sämtlicher Prädikate eines gegebenen Subjekts (bei kontingenten Aussagen muß dies weiter präzisiert werden, vgl. 8. 7), nicht aber - wie dies bei extensionaler Interpretation der Fall wäre - den Nachweis, daß allen Subjekten einer Klasse ein bestimmtes Prädikat zukommt. Insofern „Wahrheit" bei Leibniz in Bezug auf den Inhalt eines Begriffs definiert ist und Logik für den Beweis der Wahrheit entwickelt wird, ist die intensionale Auffassung der Logik jene, die in genauer Entsprechung zur Wahrheitstheorie steht (Kauppi 1 121). Die Fragestellung, warum Leibniz den intensionalen Standpunkt bevorzugt hat, ist eigentlich der historischen Situation, in der er die Logik entwickelte, gar nicht angemessen. Leibniz hatte nicht zwei gleichberechtigte Standpunkte vor sich. Er stand ganz und gar in einer Tradition, welche Logik innerhalb eines enzyklopädischen Konzepts auffaßte, das an der vollständigen Bestimmung eines Begriffsinhalts orientiert war (vgl. Sainati 24 7-252), und diesem Anliegen konnte nur eine intensionale Interpretation der Logik gerecht werden.
6 Formale Darstellung der Aussageformen
Castaneda; Couturat 1 344-354; Kauppi 1 172-195; Parkinson2 XXXVI-XLIX, vgl. bes. die Schemata XLVII f.; Risse 2 ; Sanchez-Mazas 1 , 2 ; Schmidt FS 524-529; Thiel 2 . 6.1 Die Aussageformeln - übersieht In der folgenden übersieht wurden die Buchstabenvereinheitlicht und die Formeln ergänzt, um eine bessere übersichtlichkeit zu gewähren.
194
UA UN PA PN
Kommentar
[I] § 190 A = ZB A = Z nicht-B YA = ZB YA = Z nicht-B [II] § § 83-89
UA UN PA PN
A =AB AY *ABY AY = ABY A*AB
[Ia] §§ 158-161 A A YA YA
= = = =
ZB nicht-B ZB nicht-B
A = BY AY *BY AY = BY A*BY
[IV]§ 129
UA
A =AB
A =AB
UN
A = A nicht-B
A=*
AB= AB
PN A nicht-B = A nicht-B
AB= AB
[a]
bc*bc B
B
[c]
AB*AB
[b]
A_A
ß-ß
[Illa] §§ 164-167 UA A= UN A = PA AB= PN A nicht-B =
[Ib]C301 A= BY A = Y nicht-B A * Y nicht-B A*BY [Ilb] c 306 A= AB AB*AB AB= AB A*AB
[lla] §§ 52-54
[III]§ 128
PA
6.2
[V]§ 152 AB A nicht-B * A nicht-B nicht-B AB *AB AB AB= AB A nicht-B A nicht-B = A nicht-B
A*bc B
[d]
A*AB
[VI] §§ 83-8 7 A= AB A = A nicht-B A * A nicht-B A*AB
Zu den Fragen formaler Kombination, die in diesen Schemata enthalten sind, vgl. auch 5.2. 6.2 Die Aussageformeln [I] und [Ia] Die Aussageformeln [I]-[Ila] sind dadurch gemeinsam gekennzeichnet, daß in ihnen unbestimmte Begriffe verwendet werden. Sie sind dadurch unterschieden, daß in [I] und [Ia] negierte Begriffe verwendet werden, aber nur die Relation der Gleichheit gebraucht wird, während in [II] und [Ila] keine negierten Begriffe verwendet werden, dafür jedoch sowohl die Relation der Gleichheit wie auch die Ne-
Kommentar
195
gation der Gleichheit, also die Relation der Ungleichheit, gebraucht wird (zu [Ib] vgl. 5.4). Möglicherweise kommt darin die systematische Intention von Leibniz zum Ausdruck, entweder mit negativen Begriffen oder mit der Relation der Ungleichheit zu arbeiten (vgl. 5.5 }, um eine möglichst große Einfachheit der Formeln zu gewährleisten, eine Intention, die er jedoch zurückstellte, als er die Inadäquatheit dieser Formeln erkannte. So werden in [V] und [VI] sowohl negative Begriffe als auch die Negation der Gleichheit (diese allerdings in jeweils verschiedenem Gebrauch) verwendet. Die Bildung der Formeln geschieht entsprechend (a') in 5.2.
UA UN PA PN
[I] § 190 A = ZB A = Z nicht-B YA= ZB Y A = Z nicht-B
[Ia] §§ 158-161 A= ZB A= nicht-B YA= ZB YA= nicht-B
In § 190 ist PA (umgeschrieben AB =AB} nicht diesem Schema, sondern Schema [III] entsprechend wiedergegeben, ebenso führt Leibniz die PN neben der angeführten Form auch in jener von [III] an. In § 191 ist PA jedoch dem Schema [I] entsprechend symbolisiert. - Leibniz hat in DF mit [I] den Beweis von Barbara, Celarent, Darii, Ferio, Barbari und Celaro durchgeführt (C 302 f.). Der Beweis z. B. für Celarent ist folgender (mit entsprechender Buchstabenänderung): Kein Aist B A = Z nicht-B [L] C =ZA [M] Jedes C ist A Folglich: Kein C ist B C = ZZ nicht-B Substitution [L] in [M] C = Z nicht-B [3] in 3.7 Aus den Formeln ist die Subalternation, die Umkehrung der PA und die Umkehrung per accidens der UA sofort ersichtlich. Die Schwierigkeit, die Leibniz bei [I] vorfand, war der Beweis der einfachen Umkehrung der UN (C 303; vgl. zum Beweis der Umkehrung der UN auch die ähnliche Problematik der Umkehrung der PA für [VI] in 5.6). Dies könn-
196
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6.3
te der Grund sein, warum Leibniz in [Ia] die UN als A = nicht-B formulierte, da hier der Beweis der Umkehrung einfach ist: [2] in 3.7 (A = nicht-B) = (nicht-A = nicht-nicht-B) folglich: [4] in 3.7 (A = nicht-B) = (nicht-A = B) Die Inadäquatheit von [I], dessen Formulierung der UN schon der von Leibniz durchgehend festgehaltenen Umformung von Formeln des Kalküls des Enthaltens in solche des Identitätskalküls entsprechend § 16 nicht entspricht, wird jedoch schon bei Celarent und Ferio offensichtlich, z. B. Ferio: [L] A = nicht-B Kein Aist B [M] YC=ZA Einige C sind A YC = Z nicht-B Substitution [L] in [M] Die Konklusion ergibt eine Form der PN, die es in [Ia] nicht gibt, sondern nur in [I]. - Leibniz hat [Ia] auch in späteren Versuchen nicht wieder aufgenommen, im Unterschied zu [I] (vgl. C 236). Leibniz war mit [I] auch deshalb nicht zufrieden, weil die Oppositionen von UA und PN bzw. UN und PA zwar bewiesen werden können (für UA und PN vgl. § 192), nicht aber schon durch ihre Formdeutlich waren. Leibniz wollte jedoch Formeln finden, in denen die Oppositionen ohne Beweis sichtbar waren. Deshalb unternahm er in DF den Versuch, die Formeln für die affirmativen Aussagen aus [I] beizubehalten und die für die negativen einfach durch Negation der jeweils entgegengesetzten affirmativen zu gewinnen (C 303), wodurch er zu Schema [Ha] gelangt.
6.3 Die Aussageformeln [II], [Ha] und [Ilb] Das kombinatorische Vorgehen der Gewinnung der Formeln ist jenes von (c') in 5.2.
197
Kommentar
UA UN PA PN
A AY AY A
enthält enthält enthält enthält
B nicht B B nicht B
(§ 47) (§ 50) (§ 48)
A = A Y =!= AY = A =!=
[II] AB(§ 83) ABY (§ 87) ABY(§89) AB(§ 84)
[IIa] A = BY (vgl. § 54) AY =!= BY (vgl.§ 53) AY = BY (vgl.§ 52) A =!= BY Ob Leibniz meinte, in dem Abschnitt von §§ 47-54 mit ein und demselben Schema zu arbeiten, läßt sich nach dem Text nicht feststellen, es legt sich jedoch nahe, daß Leibniz dies meinte. Entsprechend § 16 ergeben sich jedoch aus den Formeln des Enthaltens in §§ 47-50 nicht die Formeln [Ila], sondern die Formeln [II]. Zu [II]: Leibniz kann die Formeln [II] auch durch Umformung aus [IIa] gewinnen (mutari, § 89): § 16: (A = BY) ~ (A =AB) entsprechend (vgl. auch§ 83): § 89: (BY = AZ) ~ (BY = ABY) [II] wird auch in späteren Texten noch angeführt (vgl. C 236). Die Oppositionen scheinen zwar auf den ersten Blick ersichtlich zu sein (§ 51), die Formeln sind jedoch wegen der von Leibniz selbst erkannten(§ 162) Zweideutigkeit von Y nicht korrekt (vgl. 5.4): Die PA ist wahr, wenn die Gleichung auch nur für ein einziges Y (= Y nach § 81) gilt, die UN jedoch nur, wenn die Ungleichung für jedes beliebige Y (= Y nach § 81) gilt (vgl. Kauppi 1 177). Zu [IIa]: Diese Formeln werden in §§ 52-54 ausdrücklich vorausgesetzt. Da Leibniz nur jeweils die Oppositionen beweist, verwendet er immer dieselbe unbestimmte Variable Y, im Schema sollen jedoch in einer Gleichung (bzw. Ungleichung) verschiedene unbestimmte Buchstaben, also etwa Y und Z verwendet werden, wie es Leibniz in DF auch durchführt. Die Inadäquatheit dieser Formeln ersah Leibniz in DF (C 304 f) daraus, daß sich z. B. Ferio zwar durch Reduktion ad impossibile beweisen ließ, sich aber gleich-
198
Kommentar
zeitig durch Deduktion mit denselben Prämissen eine universell negative Konklusion ergab: Kein Aist B AX =I= BY [L] Einige C sind A CZ = A V [M] Einige C sind nicht B C =I= BW [N] Reduktion ad impossibile:
C= BW BWZ =AV
Deduktion:
AXV =I= BYV
nicht-[N] Substitution nicht-[N] in [M] BU=AV WZ=U Konklusion ist nicht-[L], folglich ist nicht-[N] nicht wahr, folglich [N] wahr, d. h. „Einige C sind nicht B"
[L], [5] in 3.7 CZX =I= BYV Substitution [M] im Vorhergehenden CU =I= BW ZX=U, YV=W Konklusion ist die universell negative Aussage „Kein C ist B"
Zu [Ilb]: Dieses Schema stellt die genaue Entsprechung zu [Ila] unter der Voraussetzung der Eliminierung der unbestimmten Begriffe (vgl. 5.4) dar. [Ilb] wird in den GI nicht eingeführt, die einzelnen Elemente finden sich jedoch in [IV]. In DF wird es ausdrücklich eingeführt und diskutiert:
UA UN PA PN
[Ilb] c 306 A= AB AB =I= AB AB= AB A =I= AB
vgl. [IV] = UA in [IVa] =UN in [IVc] =PA in [IVb] = PN in [IVd]
6.4
Kommentar
199
Das kombinatorische Vorgehen entspricht dem von [Ha], d. h. (c') in 5.2. Die spezielle Ableitungsproblematik, die dieses Schema enthält, ist in den GI aufgezeigt (§ 18). In DF stellt Leibniz für Darii in [Ilb] folgende Schwierigkeit fest: [L] A=AB Alle A sind B [M] CA=CA Einige C sind A CAB=CAB Substitution [L] in [M] Die Konklusion sollte jedoch lauten: CB = CB. Leibniz stellt nun in den GI § 18 fest, daß der Erweiterungsmöglichkeit (entsprechend [ 5] in 3. 7) keine „Kürzungsmöglichkeit" entspricht. Wenn eine solche gestattet wäre, wäre ja im Fall von Darii die Ableitung der Konklusion auch ohne die erste Prämisse möglich (C 306 f.), d. h. durch Erweiterung von [M] durch B mit nachfolgender „Kürzung" von C. Der Kalkül ist nach Leibniz jedoch über eine modale Interpretation desselben haltbar (C 307): Wenn nach [M] CA widerspruchsfrei ist (zur besonderen, dies aussagenden Interpretation von „=" in diesem Kalkül vgl. 3.8), und nach [L] B in A enthalten ist, dann ist auch CB widerspruchsfrei, d. h. CB = CB (vgl. auch Poser 1 49). Wegen der besonderen, d. h. die Identität einschränkenden Bedeutung von „=" ließ Leibniz diesen Kalkül jedoch in den GI fallen (vgl. 6.5 u. 6.6). 6.4 Die Aussageformel [Illa]
VA UN PA PN
[III] § 128 A=AB A = A nicht-B AB=AB A nicht-B = A nicht-B
[IIIa] §§ 164-167 A=AB A = nicht-B AB=AB A nicht-B = A nicht-B
Bei den Formeln in [lila] überrascht die Variante der UN in § 166 (Couturat schlug daher C 394 Anm. 1 die Ergänzung zu A = A nicht-B vor). Diese erklärt sich jedoch aus dem ganz parallelen Vorgang in DF. Dort versuchte
200
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6.5
Leibniz ausdrücklich, die Schwierigkeiten bei [IIa] dadurch zu beheben, daß an die Stelle der unbestimmten Begriffe (Y, Z) bestimmte Begriffe (A, B) gesetzt werden (C 305), wodurch sich aus Schema [IIa] das Schema [IIb] ergibt. Ganz parallel versucht Leibniz die Schwierigkeiten bei [Ia] dadurch zu beheben, daß er das unbestimmte Y zu eliminieren vorschlägt (§ 162), wodurch sich UA, UN (mit der zunächst überraschenden, aber nun als folgerichtig gezeigten Variante) und PA in Schema [IIIa] ergibt. Erst bei PN durchbricht Leibniz das Schema und übernimmt die Form von PN aus § 152. [III] und [IIIa] haben also trotz der bis auf UN identischen Form einen anderen Ursprung. Die Inadäquatheit des Schema [lila] ist leicht ersichtlich (vgl. 6.2), wie sich schon bei Celarent zeigt: Kein Aist B A = nicht-B [L] C = CA [M] Alle C sind A C = C nicht-B Substitution [L] in [M] Die Konklusion ergibt eine Form der UN, die es in [IIIa] gar nicht gibt, sondern nur in [III]. Leibniz hat [Illa] auch nicht weiter verfolgt und auch in späteren Versuchen nicht wieder aufgenommen.
6.5 Die Aussageformeln [III] und [IV] Leibniz knüpft in diesen Versuchen an das System der charakteristischen Zahlen an, wie er es 16 79 entwickelt hatte (C 42-92. 245-247. 258. 325 f.). Darauf bezieht sich auch die Bemerkung am Ende von § 129, er hätte nun die Lösung eines Problems gefunden, die er vor einigen Jahren vergebens gesucht hatte. (Zu diesen Versuchen vgl. Couturat1 323-334;-Lukasiewicz 126-129;Kauppi1 145-153). In Wirklichkeit handelt es sich jedoch nicht einfach um die Wiederaufnahme der Probleme dieses Systems (also vor allem der Schwierigkeit, die Unvereinbarkeit von Begriffen durch Zahlen auszudrücken, was Leibniz zur Einführung positiver und negativer Zahlen geführt hatte), sondern um eine Neuformulierung des Problems unter den beiden wich-
Kommentar
201
tigen Fragestellungen der GI: Widerspruchsfreiheit = Möglichkeit von Begriffen (vgl. 4.8) und Beweistheorie (vgl. unten). Leibniz nimmt in [IV] in § 187 und in § 188 (in den Lesarten enthalten) an, daß die Variablen Zahlen darstellen, die den Begriffen entsprechen. Die logische Konstante „enthält" (vgl. 4.3) erhält in dieser Auffassung die Interpretation „kann dividiert werden". Daraus ergeben sich die Bestimmungen: UA A kann durch B dividiert werden(§ 124) PA AB kann durch B dividiert werden(§ 125) UN falsch (AB kann durch B dividiert werden)(§ 126), d. h. (PA) falsch PN falsch (A kann durch B dividiert werden)(§ 127), d. h. (UA) falsch Zusätzlich trifft Leibniz die Festlegungen:
[1] Nicht-A wird durch* wiedergegeben (§ 127, vgl. auch Lesart zu 92,183; § 129). [2] Ist A widerspruchsfrei= wahr, d. h. (A = A) wahr, so gilt: A = A (96,225 f.; vgl. 3.8) [3] Ist A widersprüchlich= falsch, d. h.(A =~)falsch, so gilt: A =/= ~ (96,225 f.), d. h.: im Falle von A nicht-A gilt: A =/= A (122,604; vgl. 3.8). Durch verschiedene Kombinationen der Bestimmungen in§§ 124-127 und der Festlegungen [1]-[3] gelangt Leibniz zu den neuen Bestimmungen: [a] UA (A;;;;. B) (A =AB) (§ 124) (§ 16)
~) (§ 127) UN: A enthält~, d. h. A;;;;. nicht-B. Vgl.
UN (A;;;;.
[b]
~)
= (A =
(§ 87): (A ;;;;. nicht-B) = (A = A nicht-B) PA AB kann durch B dividiert werden(§ 125), d. h. AB ist möglich = widerspruchsfrei = wahr, d. h. (AB) Wahres. Somit gilt nach [2] : AB= AB.
202
Kommentar
PN
A nicht-B, d. h. ~ist möglich= widerspruchsfrei =wahr, d. h. (~)Wahres. Somit gilt nach [l] und
[2] ~ = ~' d. h. A nicht-B = A nicht-B. Damit gelangt Leibniz zu den äquivalenten Schemata [III] und [IV ab]:
UA UN
[IV ab]§ 129 A=AB
[III].§ 128 A=AB
A=~
A = A nicht-B
PA
AB=AB
PN
A nicht-B = A nicht-B
B AB=AB A_A B B
Entsprechend gewinnt Leibniz die Formeln [IVcd], indem nun festgestellt wird, wann jeweils eine Aussagenform durch „i=" gekennzeichnet werden kann (vgl. aber zum Gebrauch von „i=" 6.6): [c] UA Kann A durch B dividiert werden (§ 124), d. h. enthält A B, so ist es Falsches, d. h. Unmögliches, daß A nicht-B Enthaltendes ist, d. h. nach [l]: (~)Falsches. Somit gilt nach [3] : A ß (96, 227 f.).
~
*
UN Ist es falsch, daß AB durch B dividiert werden kann (§ 127), d. h. ist (AB) Falsches, d. h. Unmögliches, so gilt nach [3] : AB AB (96, 229 f. ). PA PA ist dann wahr, wenn UN, d. h. nach [a] (A =
*
[d]
~)falsch ist; daher nach [l]: A Vgl. § 85: [(A = A nicht-B) nicht-B). PN PN ist dann wahr, wenn UA, AB) falsch ist, daher: A AB Vgl.§ 84: [(A =AB) falsch]= Eine [III] analoge Umschreibung von in den GI nicht.
*
* ~ (96,231).
falsch] = (Ai= A d. h. nach [a] (A = (96,232). (Ai= AB). [IV cd] findet sich
6.6
Kommentar
203
Die Absicht von Leibniz, die mit der (erneuten) Einführung des arithmetischen Kalküls innerhalb der GI verbunden war, war die Unterscheidung notwendiger und kontingenter Aussagen im Rahmen der Beweistheorie. Dies wird aus§ 129 deutlich (94,209-216): - Ergibt sich bei der Teilung von A durch B ein genaues (d. h. durch endliche Schritte erreichbares) Resultat: UA. - Ergibt sich bei der Teilung von A durch nicht-B ein genaues ( d. h. durch endliche Schritte erreichbares) Resultat: UN. - Ergibt sich bei der Teilung von A durch nicht-B nicht ein genaues (d. h. durch endliche Schritte erreichbares) Resultat: PA. - Ergibt sich bei der Teilung von A durch B nicht ein genaues (d. h. durch endliche Schritte erreichbares) Resultat: PN. Deshalb nimmt Leibniz sofort in §§ 130-136 wieder die Diskussion der Unterscheidung zwischen notwendigen und kontingenten Aussagen auf. Er sieht jedoch, daß die in§ 129 getroffene Unterscheidung nicht weiter führt, da sich nach dem Beweisprinzip „endlich =notwendig oder unmöglich" ergäbe, daß alle UA notwendig und alle UN unmöglich wären, was Leibniz für die UN ausdrücklich sagt, aber sofort hinzufügt, daß dies eben nicht der Fall ist (96,250-98, 256). Leibniz erkannte also, daß die Unterscheidung von notwendigen und kontingenten Aussagen auf diese Weise nicht adäquat ist und kein brauchbares Unterscheidungskriterium im Rahmen der Bestimmung von Modalitäten durch Beweis liefert (vgl. 8.4; vgl. auch Parkinson 2 XLIV).
6.6 Die Beziehung von [IV] zu [V] und [VI], die Problematik von [V] [V]= [IVcb], [VI]= [IVad], d. h. [V] und [VI] werden aus [IV] durch eine kreuzweise Kombination gewonnen (vgl. Parkinson 2 XLIIII). Leibniz meinte möglicherweise, durch die Ordnung in [IV ab] und [IV cd] eine größere Konsistenz zu
204
Kommentar
[IV] § 129 UA {a]
~
>
B) = nicht(A > nicht-B)
6.8
Kommentar
209
A nicht-Bist nicht ein Ding= nicht (AB ist nicht ein Ding) § 98: Jedes Aist B =Kein Aist nicht-B d. h. wenn für jedes A gilt, daß es B enthält (ist), so folgt daraus, daß es für kein A gilt, daß es nicht-B enthält (ist) und umgekehrt, d. h. der Begriff A enthält notwendigerweise B oder nicht-B (dies stellt die begriffslogische Formulierung des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten dar); d. h. es ist unmöglich, daß gleichzeitig A nicht-Bund AB unmöglich ist (vgl. 7. 7). Der Beweis des gesamten syllogistischen Systems kann auch nur mit Hilfe des Kalküls der „Dinge" durchgeführt werden (vgl. diesen Beweis in vollständiger Form bei Sanchez-Mazas2 ). Formeln wie die von [VI) und entsprechende Formeln für den Kalkül der Dinge (nimmt man nicht-B = o, so lauten die Formeln UA: ao = O; UN: ab= O; PA: ab=/= O; PN: ao =/= 0) sind auch die Grundlage der Boole-Schröderschen Algebra (Couturat 1 386).
6.8 Die Diagramm-Darstellung der Aussageformen: mtensionale Beziehungen Die Darstellung von Begriffsverknüpfungen durch Diagramme gehören zu den Versuchen von Leibniz, eine allgemeine Charakteristik zu erstellen (vgl. 1.1); die geometrischen Zeichen sollen also die Beziehungen zwischen Begriffen darstellen. Leibniz trifft dafür folgende Festlegungen ( § 113): - eine horizontale Linie stellt einen Begriff dar, der seinem Inhalt nach betrachtet wird; - kleine vertikale Linien stellen die Maximalgrenzen eines Begriffsinhalts dar; - doppelte (oder verstärkte) Linien stellen die Minimalgrenzen eines Begriffsinhalts dar. Die doppelte (verstärkte) Linie kann, aber muß nicht in der Darstellung des Subjektsbegriffs gezogen werden, wohl aber in der des Begriffsinhalts dar; UA ( § 113) B ist ein Teilbegriff von A. Die gestrichelte
210
Kommentar
Linie zeigt an, daß eine Identität von A und B nicht ausgeschlossen sein soll; die Begriffsverknüpfung von A und B soll also A;;;.. B besagen. (Die Bedeutung der Darstellung neben§§ 116-119 ist unklar.) UN ( § 120) Diese Darstellung ist bei intensionaler Betrachtungsweise nicht korrekt, weil nicht für alle UN gültig. UN besagt nicht allgemein, daß es keinen gemeinsamen Inhalt von A und B gibt, sondern nur, daß es (mindestens) einen Teilbegriff von A, z. B. C gibt, dessen Kontradiktorium, d. h. nicht-C, Teilbegriff von B ist. Die von Leibniz gegebene Darstellung trifft also nur auf einfache, nicht weiter zerlegbare Begriffe zu, es sei denn Leibniz wollte hier die Inkonsistenz von A und B (vgl. § 200) darstellen (vgl. Parkinson 2 XL). In diesem Sinn stellt Leibniz gelegentlich der Begriffsinklusion die Begriffsexklusion gegenüber (130,790; GP VII 208). - Die Unterteilung in gestrichelte und verstärkte Linien ist funktionslos. Leibniz war sich über die Schwierigkeiten UN intensional wiederzugeben, im Klaren. In DF (C 300) führt er UA ähnlich ein wie in den GI: Lebewesen
ein bestimmtes Mensch
Ai, B -----Lebewesen
Mensch ist dasselbe wie ein bestimmtes Lebewesen UN wird denn ganz analog mit negativen Begriffen konstruiert, d. h. „Kein Mensch ist ein Stein" wird umformuliert in: „Mensch ist dasselbe wie ein bestimmter Nicht-Stein", was dann so wiedergegeben wird: Nicht-Stein
ein bestimmter
A~---------~
B----Nicht-Stein
Mensch
6.9
Kommentar
211
In diesem Fall gibt allerdings die Form der Zeichen nicht schon wieder, ob es sich um UA oder UN handelt, sondern erst der Inhalt, d. h. die positiven bzw. negativen Begriffe. PA ( § 114) Ein Teilbegriff von Bist in A enthalten. Durch die gestrichelten Linien wollte Leibniz möglicherweise ausdrücken, daß durch die PA für die Begriffe A, B die UA für diese Begriffe nicht ausgeschlossen sein soll. PN (§ 121) Ein Teilbegriff von Bist nicht in A enthalten, d. h. ein spezifizierter Begriff von Bist nicht mit einem spezifizierten Begriff von A identisch. Die Darstellung ist jedoch nicht eindeutig. Durch das Fehlen der vertikalen Linie auf B und die nach links fortgesetzte gestrichelte Linie B will Leibniz wohl andeuten, daß durch PN nicht schon PA ausgeschlossen sein soll. Für Leibniz sollten die graphischen Darstellungen eine Form der Beweismöglichkeit der Syllogismen liefern. Couturat1 30-32 hatte, ausgehend von den graphischen Darstellungen der GI behauptet, die intensionale Betrachtungsweise biete keine Möglichkeit einer adäquaten graphischen Darstellung, was er am Falle von Celarent unter Voraussetzung des Schemas der UN aus§ 120 zeigen wollte. Nun ist jedoch dieses Schema der UN, wie oben gezeigt worden war, bei der intensionalen Betrachtungsweise nicht korrekt. Mit der oben angegebenen Darstellungsform der UN aus DF ist jedoch eine korrekte Ableitung von Celarent, wie auch der übrigen Syllogismen, möglich (Sanchez-Mazas 1 ; Thiel 2 17-23). Es gilt also - gegen Couturat - auch bei der graphischen Darstellung die leibnizsche Annahme, die intensionale Interpretation leiste dasselbe wie die extensionale. 6.9 Die Diagramm-Darstellung der Aussageformen: extensionale Beziehungen In § 123 stellt Leibniz fest, daß die Diagramme bei extensionaler Betrachtungsweise für UN und PA gleich bleiben, die Darstellung bei UA und PN aber umgekehrt werden muß. Was die UN betrifft, stimmt diese Feststellung ange-
212
7.1
Kommentar
sichts der oben aufgezeigten Inkorrektheit des Diagramms für UN bei intensionaler Betrachtungsweise nicht; die in § 120 gelieferte Darstellung der UN ist schon die der extensionalen Betrachtungsweise. In DF (C 292 f. u. 311 f.) finden sich diese Diagramme (neben den später sog. Eulerschen Kreisen) in folgender, eindeutiger, Weise: UA Ai B:
UN
Ai B: A
A PN
PA B
B=
Leibniz bewies in DF (C 294-298) mit diesen Diagrammen (und mit Hilfe der sog. Eulerschen Kreise) die Syllogismen aller vier Figuren.
7 Die Modalbestimmungen durch Widerspruchsfreiheit
Kauppi 1 243-24 7; Poser 1 25-42.51-58; Robinson; Routila; Wilwn 1 • 7 .1 Die Modalisatoren als undefinierbare Begriffe Leibniz verwendet die klassischen Modalisatoren „möglich", „unmöglich", „notwendig", „kontingent" (im folgenden entsprechend als M, U, N, K bezeichnet; „:" bedeutet im folgenden: „genau dann, wenn"). Wie sich in den folgenden Punkten zeigen wird, liegt der Einsatzpunkt der Modaltheorie bei Leibniz beim Begriff „unmöglich". (In der früheren Periode hatte Leibniz entsprechend der erkenntnistheoretischen Bestimmung von „möglich" bei diesem eingesetzt und dann „unmöglich" als dessen Negation eingeführt; vgl. z.B. CP 64). Dieser Einsatzpunkt legte es auch nahe, „unmöglich" nicht durch das übliche M zu symboli-
7.2
Kommentar
213
sieren (was auch ungünstiger ist, da Leibniz den Strich über einem Buchstaben für andere Zwecke gebraucht, wie dies auch im vorhergehenden Teil des Kommentars der Fall war), da dadurch angedeutet sein könnte, Leibniz gewinne modallogisch „unmöglich" durch die Negation von „möglich'; Leibniz geht jedoch bei zusammengesetzten Begriffen, die hier den Ausgangspunkt abgeben, den umgekehrten Weg, d. h. er geht von „unmöglich" aus, und gewinnt „möglich" durch die Negation von „unmöglich". Der Begriff „möglich" wird von Leibniz als einfacher primitiver Begriff bezeichnet, bzw. als einer, der für uns ein solcher ist (14,168; vgl. C 514; Grua II 542). Da einfache primitive Begriffe nicht weiter zerlegbar sind (8,95 f.}, sind sie undefinierbar, was somit auch für die Modalisatoren gilt. Man kann also streng genommen nur von Kriterien des Zutreffens von Modalisatoren sprechen (Poser 1 36; Wilson 1 53). (Dabei ist jedoch zu beachten, daß Leibniz außer dem strengen Begriff von „Definition" auch einen wesentlich weiteren im Sinn von „Bestimmung" kennt.)
7 .2 Die zweifache Bestimmungsweise der Modalisatoren (a) Die Modalisatoren können durch ihre Beziehung auf Widerspruchsfreiheit bzw. Widersprüchlichkeit von Begriffen bzw. Aussagen bestimmt werden. (b) Die Modalisatoren können durch den Beweistypus bestimmt werden, durch den die Widerspruchsfreiheit bzw. Widersprüchlichkeit von Begriffen bzw. Aussagen bewiesen wird (Poser 1 29). Leibniz meinte, daß beide Bestimmungsweisen durchgängig zur Deckung gebracht werden könnten (vgl. §§ 67, 130a), was sich jedoch nicht durchführen läßt. (a) wird in 7.3-7.8 behandelt, (b) in 8.2-8.9, der Vergleich von (a) und (b) in 9.2.
214
Kommentar
7.3-7.4
7 .3 „Möglich" und „unmöglich" bei Begriffen „Möglich" und „unmöglich" wird bei Leibniz zunächst durch ein rein syntaktisches Kriterium bestimmt: 28,331-334: Möglich ist, was keinen Widerspruch, d. h. A nicht-A enthält. Unmöglich ist ein inkomplexer Begriff, der A nicht-A enthält. (Vgl. § § 32a, 34; C 261, Satz 3 u. 4) Diese Bestimmung ist nur für zusammengesetzte Begriffe anwendbar. Die Möglichkeit der einfachen Begriffe muß vorausgesetzt werden. Bei ihnen setzt Leibniz allerdings ihre Existenz als Begriffe im göttlichen Verstand voraus(§ 70). Für den göttlichen Verstand gilt dann, was auch für intuitive menschliche Erkenntnis gelten müßte (vgl. 9.4), nämlich daß in der Erfahrung gegeben ist, daß dieser Begriff nichts anderes enthält, d. h., daß er durch sich selbst begriffen und daher möglich ist (vgl. § 68). Diese allgemeine (metaphysische) Voraussetzung der Existenz der einfachen Begriffe im göttlichen Verstand liefert aber für den Menschen noch keine Erkenntnismöglichkeit der einfachen Begriffe.
7 .4 „Notwendig" und „kontingent" bei Begriffen? Leibniz wendet in den GI „notwendig" nur bei Aussagen an (mit einer Ausnahme). Der Versuch, auch von Begriffen „notwendiges Seiendes" aussagen zu können (C 270-272), ist Leibniz nicht geglückt (vgl. Poser 1 53 f.; die Sonderproblematik des ontologischen Gottesbeweises kann hier außer Betracht bleiben). Daß es konsequent ist, von Begriffen nur als „möglich" und „unmöglich" zu sprechen, wird sich aus 7 .9 ergeben. Der singuläre Gebrauch von „notwendiger Begriff" in 4,26 f. betrifft keine Modalbestimmung, sondern bedeutet eine Umschreibung des Substanzbegriffs, d. h. ein „notwendiger Begriff" in diesem Sinn enthält alle jene Elemente, die für eine bestimmte Substanz (im Unterschied zu akzidentellen Bestimmungen) notwendig sind. Im Sinne der Modalbestimmungen besagt jedoch auch ein solcher Begriff nur die Möglichkeit.
7.5-7.6
Kommentar
215
7.5 „Unmöglich" bei Aussagen § 130: Unmöglich ist eine (Aussage), in die ein widersprüchlicher Begriff eingeht. 28,335-337: Unmöglich ist eine Aussage, die entweder besagt, daß sich jene decken, von denen eines das Kontradiktorium des anderen enthält, oder die einen unmöglichen inkomplexen Begriff enthält. (Vgl.§§ 34, 35) Eine Aussage „A ist B" ist also unmöglich, wenn gleichzeitig angenommen wird: (A;;;. B) (B;;;. V) (A;;;. nicht-V) Denn (nach§ 19): [(A;;;. B) (B;;;. V)]....,. (A;;;. V) und (nach§ 10): [(A;;;. V) (A;;;. nicht-V)]....,. (A;;;. V nicht-V) d. h. A enthält einen widersprüchlichen Begriff, somit: U(A;;;. B) : (B;;;. V) (A;;;. nicht-V) Wenn B ;;;. V und A;;;. nicht-V, dann ist der zusammengesetzte Begriff AB unmöglich, da er einen Widerspruch enthält, d. h. AB;;;. V nicht-V; daraus ergibt sich: U(A;;;. B) : U(AB) [a] womit der Ubergang von Begriff zu Aussage und umgekehrt im Bereich der Modallogik gezeigt ist.
7 .6 „Möglich" bei Aussagen
28,332: Möglich ist, was nicht V nicht-V ist. Dies bedeutet bei Aussagen, daß „A ist B" möglich ist, wenn gleichzeitig angenommen wird (vgl. 7 .5): (A;;;. B) nicht [(B;;;. V) (A;;;. nicht-V)] § 130: Eine mögliche Aussage) ist eine, die nicht unmöglich ist. Entsprechend 7 .5 bedeutet dies: M(A;;;. B) : nicht [(B;;;. V) (A;;;. nicht-V)] M(A;;.. B) : nicht UlA ~ B) Dies bedeutet (wiederum entsprechend zu 7 .5 ), daß es möglich ist, daß A B enthält, wenn der zusammengesetzte Be-
216
Kommentar
7.7
griff AB nicht unmöglich, d. h. widersprüchlich ist, also AB möglich, d. h. widerspruchsfrei ist: M(A;;;. B): M(AB) [b] 7. 7 „Notwendig" bei Aussagen § 67: Notwendig ist eine Aussage, deren Gegenteil
nicht möglich ist (non est possibilis). § 133: Die der notwendigen entgegengesetzte Aussage wird „unmöglich" (impossibilis) genannt. CP 64: Notwendig ist das, dessen Gegenteil unmöglich ist (impossibilis est). N(A;;;. B): nicht M nicht (A;;;. B) N(A;;;. B): Unicht (A;;;. B) Leibniz setzt (vgl. oben) „ist nicht möglich" und „ist unmöglich", d. h. „ist nicht-möglich", gleich. Dies hat seine Entsprechung bei der Interpretation der Aussageformen (vgl. Poser 1 56 f.): § 82 (mit umgekehrten Buchstaben): „A ist nicht B" ist dasselbe wie „A ist nicht-B". nicht (A;;;. B) : (A;;;. nicht-B) D. h., es ist unmöglich daß „nicht (A;;;. B)" genau dann, wenn es unmöglich ist, daß „A;;;. nicht-B". Daraus aber ergibt sich, ebenso im Ausgang von der oben zu N aufgeführten Formel: N(A;;;. B) : U(A;;;. nicht-B) Dies bedeutet: Unter Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit der Begriffe ist es unmöglich, daß ein Begriff A B und nicht-B enthält; daher: A enthält notwendigerweise B genau dann, wenn es unmöglich ist, daß A nicht-B enthält. Entsprechend zu [a] in 7 .5 ergibt sich: U(A;;;. nicht-B) : U(A nicht-B) d. h. die Aussage „A ist nicht-B" ist unmöglich genau dann, wenn die Begriffsverknüpfung A nicht-B unmöglich ist, daher: [c] N(A;;;. B) : U(A nicht-B)
7.8
Kommentar
217
7 .8 „Kontingent" bei Aussagen CP 64: Kontingent sind jene, die nicht notwendig sind. Kontingent ist das, dessen Gegenteil möglich ist. GP VII 301: Es besteht bei kontingenten Aussagen keine Notwendigkeit, da das Gegenteil trotzdem an sich möglich bleibt und keinen Widerspruch enthält. LH IV 7 B 2 BI. 34r Das Mögliche, das nicht-notwendig ist, ist kontingent ([possible] non-necessarium est contingens). K(A;;;;. B): nicht N(A;;;;. B) d. h. entsprechend 7. 7: K(A;;;;. B) : nicht nicht M nicht (A;;;;. B), d. h. K(A;;;;. B) : M nicht (A;;;;. B) oder, wieder der entsprechend 7. 7: K(A;;;;. B) : M(A;;;;. nicht-B) Jede kontingente Aussage setzt voraus, daß der Subjekt und Prädikat entsprechende zusammengesetzte Begriff AB möglich ist. Kennzeichnend für die kontingente Aussage ist jedoch, daß auch das Gegenteil, d. h. auch der zusammengesetzte Begriff A nicht-B möglich ist, d. h.: K(A;;;;. B): M(A nicht-B) [d] Nun führt zwar Leibniz auch überlegungen über kontingente Aussagen unabhängig von deren Wahrheit (d. h. hier: unabhängig von Aussagen über deren Existenz) durch (vgl. z.B. C 23 f.; dazu Poser 1 33 f.), gewöhnlich - und so auch in den GI - geht Leibniz jedoch von wahren Aussagen aus und fragt, unter welchen Bedingungen sie als kontingent anzusehen sind, so daß dann die Bestimmung für „kontingent" gewöhnlich lautet: § 74: Alle existentiellen Aussagen sind zwar wahr, aber nicht notwendig. K(A ;;;;. B) : (A ;;;;. B) ist wahr, und nicht N(A ;;;;. B) d. h. nach 7.7: K(A;;;;. B) : (A;;;;. B) ist wahr, und M(A;;;;. nicht-B) oder: K(A;;;;. B) : (A;;;;. B) ist wahr, und M(A nicht-B) [d'] 0
:
218
Kommentar
7.9
Durch dieses zusätzliche Bestimmungselement ist das „homogene Schema" der Modalbestimmungen durchbrochen (Poser 1 57). Da Leibniz jedoch in den GI (in für ihn untypischer Weise) zwischen wahren und falschen kontingenten Aussagen unterscheidet(§ 61), für die also gilt: K(A ;;;. B) : (A ;;;. B) ist wahr oder falsch, und nicht N(A;;;. B) zeigt sich, daß Leibniz als gemeinsames Element der in wahre und falsche unterschiedenen kontingenten Aussagen doch nur voraussetzt, daß diese von den notwendigen (und unmöglichen) Aussagen unterschieden werden, was dem Kontingenzbegriff (d] des „homogenen Schemas" entspricht. 7 .9 Modalisatoren und Kalkül der „Dinge" Stellt man die Modalbestimmungen [a]-[d] aus 7.5-7.8 dem Kalkül der „Dinge" aus 4.8 gegenüber, so zeigt sich eine vollständige Entsprechung, wenn man „nicht em Ding" für U und „ein Ding" für M setzt (Poser 1 57): UA UN PA PN
A nicht-Bist nicht ein Ding AB ist nicht ein Ding AB ist ein Ding A nicht-Bist ein Ding
N(A;;;. B) : U(A nicht-B) [c] U(A;;;. B) : U(AB) [a] M(A;;;.B):M(AB) [b] K(A;;;. B): M(A nicht-B) [d]
Diese Entsprechung zeigt, warum Leibniz im Bereich der Modalbestimmungen der Begriffsverknüpfungen nur die Unmöglichkeit = Widersprüchlichkeit und die Möglichkeit = Widerspruchsfreiheit braucht (vgl. 7.4): Mit Hilfe verneinter Begriffe lassen sich durch diese beiden Modalisatoren alle vier Aussageformen bestimmen. Der begriffslogische Ansatzpunkt bei Leibniz wird auch hier wieder deutlich. Ist die Begriffsverknüpfung von A und nicht-B unmöglich, so gilt für alle A, daß sie B enthalten, daher ist die Aussage „A ist B" notwendig. Ist die Begriffsverknüpfung von A und B unmöglich, so gilt für kei·n A, daß es B enthält, daher ist die Aussage „A ist B" unmöglich. Ist die Begriffsverknüpfung von A und B möglich, so gibt es mindestens
8.1
Kommentar
219
eine Art von A, die B enthält, daher ist die Aussage „A ist B" möglich. Ist die Begriffsverknüpfung von A und nicht-B möglich, so gibt es mindestens eine Art von A, die nicht B enthält, daher ist die Aussage „A ist B" kontingent. Die Modalisatoren U, M, N, K sind damit umkehrbar eindeutig den Quantifizierungen der UN, PA, UA, PN zuzuordnen (wörtlich nach Poser 1 58 mit Änderung der Symbolisierung und der Reihenfolge). Der Bereich der Modalisatoren wie der Quantoren ist, solange nur von der Widersprüchlichkeit bzw. Widerspruchsfreiheit ausgegangen wird, der der Begriffe im Bereich der „Ideen", d. h. unmöglicher oder möglicher Begriffsverknüpfungen (vgl. 4.9 u. 5.8). Dies muß vor allem für die der klassischen Bestimmung von „kontingent" (die eher [ d'] in 7.8 entspricht) gegenüber abweichende Bestimmung festgehalten werden; für Existenz ist außer der Möglichkeit „noch etwas darüber hinaus" erfordert(§ 73; vgl. 9.3). 8 Wahrheit und Beweis
Abraham 1,2 ; Arndt 1 103-109;Broad;Burkhardt3 ;Grimm; Ishiguro 1 119-125; Krüger; Lenders 1 ; Martin 1 ;Parkinson 1 5-55; Poser 1 111-158; Russell 1 8-39; Schepers 1 ; Schneider1; Schulz 2 ; Wilson. 8.1 Wahrheit und Aussagenanalyse Eine Grundthese der GI lautet: § 62: Jede wahre Aussage kann bewiesen werden. (= § 132) Die Beweisbarkeit kann dabei sogar zur Bestimmung von „wahre Aussage" und „falsche Aussage" verwendet werden: § 130: Eine wahre Aussage ist eine, die bewiesen werden kann. Eine falsche ist eine, die nicht wahr ist. Der Grund der Beweisbarkeit liegt in der Struktur der wahren Aussage:
220
Kommentar
Jede wahre Aussage kann bewiesen werden, da nämlich das Prädikat im Subjekt ist, d. h. der Begriff des Prädikats in dem Begriff des Subjekts enthalten ist, muß durch die Analyse der Begriffe die Wahrheit aufgezeigt werden können (vgl. § 132). Leibniz stellt an vielen Stellen fest, daß eine wahre Aussage jene ist, deren Prädikat im Subjekt enthalten ist (vgl. z.B. C 68. 401; GP II 52; GP VII 309), was ausdrücklich auch von den kontingenten Aussagen gesagt wird (C 16 f.). Der ursprüngliche Ort dieser These sind die notwendigen Aussagen (vgl. GP VII 300), bei denen die Forderung, eine wahre notwendige Aussage müsse auch beweisbar sein, keine prinzipiellen Schwierigkeiten bereitet (vgl. 8.2). Die spezielle logische Problematik, der sich Leibniz in den GI stellt, entspringt nun noch nicht aus der Behauptung, auch bei den wahren kontingenten Aussagen sei das Prädikat im Subjekt enthalten, sondern aus der Behauptung, die - aus dem Bereich der notwendigen Aussagen stammende - Gleichsetzung von Wahrheit und Beweisbarkeit gelte prinzipiell für jede wahre Aussage, somit auch für jede wahre kontingente Aussage. Der Begriff des Beweises, den Leibniz bei der Behauptung der generellen Beweisbarkeit der wahren Aussage verwendet (probare, probatio; §§ 62, 130, 130a, 132), ist weiter als der Begriff von Beweis, den er für den strengen Notwendigkeitsbeweis gebraucht (demonstrare, demonstratio, § 67). Auch in diesem Fall ist jedoch bei Leibniz die Terminologie schwankend. - In den GI beschäftigt sich Leibniz nur mit der logischen Problematik, die sich aus dieser Konzeption ergibt (für die weitreichenden metaphysischen und ethischen Probleme, die sich daraus ergeben, vgl. z.B. DM§ 13 u. §§ 30-32; FC 178-185). Umstritten ist in der Sekundärliteratur der Geltungsbereich der „Prädikat-im-Subjekt-Logik" bei Leibniz. Während Russell 1 9-11 und dessen Nachfolger darin die generelle logische Analyse der Aussage bei Leibniz sehen, will Rescher 2 21 sie als spezifisch metaphysische These über die Natur von Substanzen auffassen. (Vgl. auch Parkinson 1 5-55; Abraham 2 ; Broad; Burkhardt 3 .)
8.2
Kommentar
221
8.2 Der Beweis der Wahrheit Für den Beweis (demonstratio) ist allgemein erfordert, daß er sein Ergebnis kraft logischer Form hervorbringt (GP IV 425 f.). Eine Aussage beweisen heißt, durch die Analyse der Begriffe offenkundig machen, daß das Prädikat im Subjekt enthalten ist (GP VII 44). Das Enthaltensein des Prädikatsbegriffs im Subjektsbegriff wird in den GI entsprechend dem Verfahren der Formulierung dieses Sachverhalts im Identitätskalkül so ausgedrückt: § 16: (AistB)=(A=AB) Eine Aussage „A ist B" ist genau dann wahr, wenn gezeigt werden kann, daß für sie gilt: „AB ist B": § 38: „AB ist B" ... ist eine Definition entweder von „ist" oder von „enthaltend" oder von „wahre Aussage". Es wird nämlich dadurch bezeichnet, daß AB, d. h. das, was B enthält, B ist, d. h. B enthält. (Vgl. § 40) Der Beweis besteht darin, daß die Begriffe auf beiden Seiten der Gleichung analysiert werden, d. h. daß an die Stelle der Begriffe ihre Definitionen gesetzt werden. Wird dieser Vorgang so lange durchgeführt, bis die letzten, unzerlegbaren (d. h. einfachen) Begriffe erreicht sind, müssen sich bei der wahren Aussage dieselben Begriffe auf beiden Seiten der Gleichung ergeben. D. h. eine zunächst virtuell identische Aussage wird durch Analyse der Begriffe in ihre letzten, undefinierbaren Bestandteile zu einer formal identischen (20,248-255; vgl. § 63; C 402). Ist etwa in der Aussage „A ist B" A def.: L, M, N B def.: L, M [a] so ist (nach§ 16) (A =AB) = (LMN = LMNLM) (A = AB) = (LMN = LMN) [b] Der übergang von [a] zu [b] setzt LL = L bzw. MM= M voraus, wodurch deutlich ist, daß der Beweis mit Hilfe der Prinzipien des Logikkalküls durchgeführt werden muß (vgl. [3] in 3.7). Leibniz nennt die virtuell identischen Aussagen auch „durch Folgerung wahre Aussagen" (per consequentiam verae, GP VII 300) oder „abgeleitete Wahrheiten" (verita-
222
Kommentar
tes derivativae, FC 181 ); in ihnen ist das Prädikat nicht ausdrücklich (expresse) im Subjekt enthalten, sondern nur implizit (implicite, GP VII 309). Sie sind Folgerungen, da der Beweis ja prinzipiell auch in umgekehrter Richtung erfolgen kann. Anstelle der Analyse (resolutio) in einfache(re) Begriffe und formale Identitäten wird dann aus einfache(re )n Begriffen und formalen Identitäten durch Synthese (compositio) die zu beweisende Aussage, die eine virtuelle Identität aus zusammengesetzten Begriffen darstellt, abgeleitet (vgl. GP 1 194 f.; GP VII 292-298; C 557 f. 572 f.). Beide Wege beruhen auf der begriffskombinatorischen Konzeption (vgl. 1.2). Das Verfahren des Beweises bei Begriffen (formale Widerspruchsfreiheit, d. h. es darf sich nie A nicht-A ergeben) und bei Aussagen (formale Identität von - widerspruchsfreien - Begriffen) ist daher dasselbe (52,669-54,687; § 56). Für das praktische Vorgehen räumt Leibniz allerdings einen Unterschied beim Beweis der Wahrheit einer Aussage und beim Beweis der Wahrheit, d. h. der Widerspruchsfreiheit eines Begriffs ein: Der Beweis der Widerspruchsfreiheit eines Begriffs erfordert die Analyse bis zu den letzten, nicht mehr analysierbaren, d. h. undefinierbaren, Grundbegriffen (was nur sehr schwer, bzw. gar nicht, vgl. 2.5, erreichbar ist). Demgegenüber reicht es für den Beweis einer Aussage aus, wenn bewiesen ist, daß der Prädikatsbegriff im Subjektsbegriff enthalten ist, auch wenn die Analyse des Subjekts- und Prädikatsbegriffs nicht bis zu den Grundbegriffen hin durchgeführt ist (GP VII 84; C 187.514). Leibniz hatte schon etwa seit 1678 „die vollständige Begriffsanalyse zugunsten der Aussagen- oder Wahrheitsanalyse aufgegeben" (Schepers 2 557). In systematischer Hinsicht ist Leibniz zwar überzeugt, daß „wahr" bzw. „falsch" bei Begriffen und Aussagen in derselben Weise verwendet wird, er führt „wahr" und „falsch" jedoch bei diesen sogleich in etwas verschiedener Form ein(§ 55; vgl. 8.5):
8.3
Kommentar
223
wahr
möglicher Begriff
1
wahre Aussage
[I]
falsch
unmöglicher Begriff
1
falsche Aussage
8.3 Definition und Beweis Für den Beweis hat die Definition die entscheidende Bedeutung. Ein Beweis ist nichts anderes als eine Kette von Definitionen (GP I 194 ). Leibniz entwickelt in den GI keine Definitionslehre, setzt jedoch voraus, daß für einen Wahrheitsbeweis Realdefinitionen erfordert sind und Nominaldefinitionen nicht ausreichen. (a) Eine Nominaldefinition besteht in der Aufzählung von Merkmalen, die ausreichen, um eine Sache von allen anderen zu unterscheiden (GP VII 293; GP IV 423). Die Nominaldefinition liefert jedoch noch keinen Nachweis der Möglichkeit der Sache. Da Möglichkeit =Widerspruchsfreiheit, reicht eine Nominaldefinition, mit der dies nicht nachgewiesen ist, für einen Beweis der Wahrheit nicht aus, denn wenn diese Definition nicht widerspruchsfrei ist, können aus ihr kontradiktorische Aussagen abgeleitet werden (DM § 24; GP IV 425 ), was jede Beweismöglichkeit zerstört. (b) Eine Realdefinition liegt vor, wenn durch sie die Möglichkeit der Sache ~achgewiesen werden kann. Die Möglichkeit kann entweder a priori oder a posteriori erkannt bzw. bewiesen werden. (b') Apriori wird die Möglichkeit einer Sache bewiesen durch die Analyse des Begriffs derselben bis in die letzten, nicht weiter analysierbaren Begriffe. Tritt bei dieser bis zu Ende geführten Analyse kein Widerspruch auf, so ist der Begriff der Sache möglich (GP IV 425 ). Eine solche Definition heißt „vollkommen oder we-
224
Kommentar
8.4
sentlich" (parfaite ou essentielle, DM § 24). Eine solche Definition kann auch „kausal" genannt werden, weil sie eine Erklärung für die mögliche Hervorbringung der Sache enthält (DM § 24; GP IV 425; zur genaueren Diskussion der Frage des konstruktiven Moments vgl. Poser 1 121 f.; Burkhardt 2 215-218). (b") Aposteriori wird die Möglichkeit einer Sache aus der Erfahrung der Wirklichkeit der Sache bewiesen: Was wirklich ist, muß auch möglich sein (DM § 24; GP IV 425 ). Die für einen Beweis erforderliche Analyse (resolutio) kann nach den GI auf zweifache Weise geschehen(§ 131), die genau der Definitionstheorie entspricht: - durch Analyse der Begriffe im Verstand ohne Erfahrungsgegebenheit= (b'); - durch Wahrnehmungen, d. h. Erfahrungsgegebenheiten =
(b"). Da die Unterscheidung zwischen (a) und (b) im Nachweis der Möglichkeit eines Begriffs liegt, beim Beweis jedoch nur (b) in Frage kommt (wobei allerdings (b) immer (a) voraussetzt), ist klar, daß für Leibniz Beweis der Wahrheit = Beweis der Möglichkeit = Beweis der Widerspruchsfreiheit von Begriffen ist. Da Möglichkeit = Widerspruchsfreiheit das Kriterium darstellt, durch das Leibniz die Modalbestimmungen gewonnen hat (7.2-7.8), kann er versuchen, auch durch die verschiedenen Beweistypen die Modalbestimmungen zu gewinnen. 8.4 Beweistypen und Modalbestimmungen - übersieht Leibniz geht zunächst von der Grundunterscheidung von „wahr" und „falsch" aus und sagt, daß der Beweis der Wahrheit = Widerspruchsfreiheit und entsprechend der Beweis der Falschheit = Widersprüchlichkeit entweder durch eine Analyse in endlichen (resolutio finita) oder in unendlichen Schritten (resolutio ad infinitum) geschieht (§§ 56, 57, 130a). Der Grund der Einführung der Forderung eines unendlichen Beweises liegt in Leibniz' Voraussetzung, daß ein substanzielles Individuum unendlich viele Eigenschaften
225
Kommentar
besitzt, ein erschöpfender Begriff desselben (vgl. 2.2) also unendlich viele Prädikate enthalten müßte (vgl. § 74), es also unendlich viele Aussagen über ein Individuum gibt, die alle als wahr bewiesen werden müßten. Das Grundschema ist also folgendes: Beweis von wahr 1 von falsch finit
1
infinit
1
[II]
finit
Da das zu Beweisende die Widerspruchsfreiheit bzw. Wi· dersprüchlichkeit ist, muß dies in die Bestimmung der Modalisatoren der Aussagen durch den Beweistypus ausdrücklich eingeführt werden: § 60: - Wahre, notwendige (Aussagen) sind jene, die auf identische zurückgeführt werden können, oder deren Gegenteil auf widersprüchliche zurückgeführt werden kann. - Falsche, unmögliche (Aussagen) sind jene, die auf widersprüchliche zurückgeführt werden können, oder deren Gegenteil auf identische zurückgeführt werden kann. § 61: -Möglz"che (Aussagen) sindjene,vondenenbewiesen werden kann, daß bei ihrer Analyse niemals ein Widerspruch auftreten wird. - Wahre kontingente Aussagen sind jene, die einer ins Unendliche fortgesetzten Analyse bedürfen. - Falsche kontingente Aussagen sind jene, deren Falschsein nicht anders bewiesen werden kann, als dadurch, daß nicht bewiesen werden kann, daß sie wahr sind. Hinter diesen Bestimmungen steht folgendes Schema (vgl. Poser 1 23, dort auch Schematisierung anderer bei Leibniz vorkommender Bestimmungen der kontingenten Aussagen; Schneider 1 75):
226
Kommentar
Aussagen wahr
1
1
[III]
);
unmöglich 1
kontingent 1
[Illa]
falsch
möglich notwendig
8.5
unmöglich
1
1
„Wahr" und „falsch" in der Bestimmung von „notwendig" und „unmöglich" sind von Leibniz in § 60 nachträglich ergänzt und stellen eine Erläuterung dar (wie auch das Schema deutlich macht), insofern jede notwendige Aussage wahr, jede unmögliche falsch ist. Die dem Schema [III] entsprechenden Bestimmungen sind offensichtlich von [II] her aufgebaut, insofern „notwendig" und „unmöglich" finiten Beweisgängen entspricht, „kontingent" infiniten Beweisgängen. Der Paragrapheneinteilung nach scheint „möglich" nur als Überbegriff zu wahren und falschen kontingenten Aussagen eingeführt, was jedoch nicht zutrifft. Für Leibniz ist auch für eine notwendige Aussage erfordert, daß ihre Möglichkeit bewiesen werden kann, deshalb ist „möglich" so bestimmt, daß es auch auf „notwendig" zutrifft. Zu [Illa] siehe 8.5.
8.5 Beweistypen, Modalbestimmungen und Begriffseinteilung Die Schwierigkeit, mit der Leibniz sich auseinandersetzen muß, beruht auf seiner - auch in diesem Zusammenhang wieder betonten (52,669 f.) - Grundthese, gleiche Verfahren für Begriffe und Aussagen zu entwickeln (vgl. 4.1). Sein Ansatzpunkt liegt dabei eindeutig beim Begriff. Für Begriffe gilt nun zunächst folgendes Schema (50,641-643; vgl. 4.9):
227
Kommentar
Begriffe
möglich =wahr
[IV]
unmöglich =falsch
Leibniz kann nun zwar in systematisch konsistenter Weise die letzte Zeile in [III] bei der Behandlung der Begriffe nicht berücksichtigen (vgl. 7.4 u. 7 .9 ), nicht jedoch die von dort her gewonnene Zuordnung von „möglich" und „unmöglich" zu „wahr" und „falsch", die in offensichtlicher Weise in [III] und [IV] nicht übereinstimmt, so daß Leibniz nun versuchen muß, die Unterscheidungen von [IV] jenen von [lila] entsprechend für Begriffe zu entwickeln. Dies ergibt nun folgendes Schema [V] ( 5 8, 740-748): Begriffe möglich
unmöglich
)
[V] [Va
wahr
falsch [Vb]
existierend
-
X ,_...__
nicht-existierend
X= 0
wahr = möglich
falsch =unmöglich
Die Einteilung der Begriffe in [V] findet ihre Rechtfertigung erst durch [Va] (58,742-745). Hier ist nun zwar eine korrekte Entsprechung von [III] und [V] gegeben, der grundsätzliche systematische Ansatz, der durch [IV] repräsentiert ist, ist jedoch nicht mehr durchgehalten. Um zum Grundschema [IV] zurückzugelangen, versucht nun Leibniz das Problemfeld X dadurch zu eliminieren, daß er vorschlägt, für die Begriffe, die unter X fallen, anzunehmen, daß „kein Grund für die Existenz gegeben ist" (58,745 f.), d. h. X=
228
Kommentar
0. Damit gelangt Leibniz in [Vb] wieder zu „wahr = möglich" und „falsch = unmöglich", allerdings um den für seine Grundkonzeption problematischen Preis bei „möglich" außer dem syntaktischen Kriterium der Widerspruchsfreiheit das außerlogische (metaphysische) Kriterium des zureichenden Grundes einführen zu müssen (vgl. 9.1 ), denn (X = 0) ist nicht gleich (X = widersprüchlich), sondern (X = 0) = (X ist möglich und X ist nicht existierend). Dies findet seinen Niederschlag darin, daß er nun hier „möglich" über „wahr" und „unmöglich" über „falsch" einführt, während er sonst bei Begriffen systematisch „wahr" über „möglich" und „falsch" über „unmöglich" einführt (vgl. [IV] und 4.9), er also hier den Weg der Einführung geht, der sonst bei Aussagen vorliegt (vgl. [III]). Dies zeigt, daß - wie schon aus [I] in 8.2 zu vermuten war - „wahr" und „falsch" in den GI bei Begriffen und Aussagen nicht in genau derselben Weise gebraucht wird (vgl. auch Kauppi 1 170), was jedoch durch die verschiedenen Ansätze in den GI (und die wiederholten Versicherungen, bei Begriffen und Aussagen gehe alles in derselben Weise vor sich) nicht deutlich wird. So legt Leibniz folgende Zuordnung vor(§ 32a): unmöglich bei Begriffen: Nicht-Seiendes
bei Aussagen: falsch
[VI]
Dies ist wiederum von den Begriffen her gedacht und dort ausreichend, nicht jedoch bei Aussagen, da zwar jede unmögliche Aussage falsch ist, aber nicht jede falsche Aussage unmöglich (wie ebenso nicht jede mögliche Aussage wahr ist); für „möglich" würde sich daher folgendes Schema ergeben: (Darstellung siehe nächste Seite) Das Ergebnis lautet daher: In dem Moment, in dem Leibniz, veranlaßt durch die Oberlegungen des Beweistyps von Aussagen, einen Begriff von „kontingent" einführt, bei dem die Unterscheidung von „wahr" und „falsch" durch Exi-
8.6
229
Kommentar
möglich bei Begriffen: Seiendes
bei Aussagen: wahr
1
falsch
stenz gewonnen wird, ist der syntaktische Begriff der Möglichkeit als Widerspruchsfreiheit bei „wahr" und „falsch" vorausgesetzt. Dies läßt sich nicht mit der von allen Existenzbedingungen absehenden Einteilung der Begriffe in übereinstimmung bringen, bei der eine eineindeutige Zuordnung von „möglich" und „wahr" und „unmöglich" und „falsch" gilt. Entweder es wird durch Existenzbedingungen das Schema modifiziert (= [Val) oder es wird eine generelle {X betreffende) Existenz( ausschluß )bedingung eingeführt (= [Vb ]).
8.6 Der finite Beweis: notwendige und unmögliche Aussagen Geschieht der Beweis einer Aussage in endlich vielen Schritten, dann ist die analysierte Aussage nach Leibniz notwendig, wenn der Beweis auf eine nicht weiter analysierbare Identität führt, unmöglich, wenn der Beweis auf einen Widerspruch führt; ebenso gilt das Umgekehrte: eine Aussage ist notwendig, wenn ihr (kontradiktorisches) Gegenteil in endlich vielen Schritten auf einen Widerspruch zurückgeführt werden kann; eine Aussage ist unmöglich, wenn ihr {kontradiktorisches) Gegenteil auf eine identische Aussage zurückgeführt werden kann(§§ 60, 67, 133). Das entscheidende {und gegenüber kontingenten Aussagen unterscheidende, vgl. 8.4) Element ist dabei die prinzipielle Endlichkeit der Analyse (analysis finita, C 1; resolutio terminabilis, C 19; series finita substitutionum, C 408; vgl. Grua I 303 f.). Im strengen Sinn des Wortes kann nach Leibniz nur bei den notwendigen und unmöglichen Aussagen von „Beweis" (demonstratio) gesprochen werden {C 19). Daß
230
Kommentar
es sich um finite Beweisverfahren handelt, wird auch dadurch deutlich, daß Leibniz dafür die Analogie mit kommensurablen Größen heranzieht (§ 135; C 1. 17 f. 408). Diese Analogie findet allerdings ihre entscheidende - und problematische - Bedeutung erst in der Analogie von kommensurablen und inkommensurablen Größen und notwendigen und kontingenten Aussagen (vgl. 8.7). Bei kommensurablen Größen muß es immer möglich sein, durch eine finite Zahl von Operationen das gemeinsame Maß zu finden; die dem Subjektsbegriff entsprechende Zahl muß glatt durch die dem Prädikatsbegriff entsprechende Zahl dividierbar sein(§§ 124, 127;vgl.C 17). In der Begriffskombinatorik bedeutet dies z. B., daß die Aussage ,Jeder Mensch ist ein Lebewesen" in folgender Weise bewiesen (abgeleitet) werden kann (vgl. z.B. auch8,91 f. und C325, Satz 1 und2): Analyse: Mensch (6) ist Lebewesen (3) d.h. A;;;. B d. h. (nach § 83) A =AB 6 = 6,3 2,3 = 2,3,3 (2 = „vernünftig", vgl. § 16) 2,3 = 2,3 (3,3 = 3 nach [3] in 3.7) Synthese: 2x3=2x3 6=6 „Die Sechszahl ist die Sechszahl" (§ 128 Anm.) Für den Beweis notwendiger Aussagen dürfen daher nur Definitionen und formal identische Aussagen verwendet werden; nur für den Nachweis der Möglichkeit von Begriffen dürfen Erfahrungsgegebenheiten herangezogen werden (§ 67), wobei der legitime Schluß von der Wirklichkeit auf die Möglichkeit zugrunde liegt. Schwierigkeit bereitet daher eine Stelle in den GI in§ 66 (56,733 f.), in der „notwendig" mit einer unabschließbaren Analyse in Zusammenhang gebracht wird. Die naheliegendste Erklärung dafür ist, anzunehmen, es handle sich dabei um ein Versehen von Leibniz. Dafür spricht die ganz ähnliche Einführung der Begriffe in § 61, wo dann ganz ausdrücklich von kontingenten Aussagen gesprochen wird. Dieser inhaltliche Grund, der auch mit der gesamten Konzeption der Beweise kontingenter Aussagen bei Leibniz (vgl.
8.7
Kommentar
231
8. 7-8.9) übereinstimmt, findet auch eine Stützung durch den philologischen Befund, daß es sich bei dem „scilicet in necessariis" um eine nachträgliche Ergänzung handelt (vgl. Lesart zur Stelle), bei der also ein Versehen eher vorkommen kann als bei Stellen im fortlaufenden Text (wobei auch dort bei Leibniz versehentliche Fehler nicht selten sind, vgl. z.B. Lesart zu 84, 69; 104, 338; 108,413). Nimmt man kein Versehen an, so ist man gezwungen anzunehmen, Leibniz übertrage hier die Beweisstruktur kontingenter Wahrheiten auf die der notwendigen, etwa deshalb, weil er (vgl. 2 .5) die einfachen Begriffe als für den Menschen unverfügbar ansetzt. So sagt Leibniz auch in§ 56 (48,614616), daß es bezweifelt werden kann, ob eine Analyse bis zu einfachen Begriffen hin durchgeführt werden kann, besonders bei kontingenten Aussagen, wodurch also angedeu-tet scheint, daß er dies auch für notwendige Wahrheiten zumindesten offen läßt. Unter dieser Annahme wäre es dann allerdings nicht mehr möglich, durch den Beweistypus zwischen notwendigen und kontingenten Aussagen zu unterscheiden (vgl. 9.2), eine Konsequenz, die sich jedoch bei Leibniz nicht findet.
8.7 Der infinite Beweis der Möglichkeit von Begriffen Damit eine Aussage möglich und wahr ist, müssen (a) die in sie eingehenden Begriffe möglich, d. h. widerspruchsfrei sein, und es muß (b) das Enthaltensein des Prädikatsbegriffs im Subjektsbegriff aufgezeigt werden. Dies wirft bei Aussagen mit Begriffen, die endlich viele Bestandteile enthalten, keine prinzipiellen Schwierigkeiten auf (vgl. 8.6). Anders ist dies jedoch bei Aussagen, in die Begriffe eingehen, die unendlich viele Bestandteile enthalten. Diese Problematik ist für Leibniz besonders wichtig, weil seiner Auffassung nach alle Tatsachenwissenschaften mit solchen Begriffen mit unendlich vielen Bestandteilen arbeiten, und deshalb die Aussagen der Tatsachenwissenschaften genau die Grundstruktur von Aussagen aufweisen, die möglich und wahr (d.h. hier: Existierendes aussagend) sein müssen (vgl. [ d'] in 7 .8).
232
Kommentar
Der Beweis (probatio) von (a) und (b) kann entweder a priori oder a posteriori geschehen. Der Beweis von (a) und (b) soll bei Begriffen mit unendlich vielen Bestandteilen und bei entsprechenden Aussagen durch Progressionsregeln (entsprechend [a] und [b]) sichergestellt werden, die für (a) und (b) bei Leibniz getrennt formuliert werden (Schneider, 152). Die Progressionsregel [a], die die Widerspruchsfreiheit von Begriffen sicherstellen soll, wird in den GI in § 56 („wahr" heißt in § 56 wie immer bei Begriffen „möglich" = „widerspruchsfrei") und in § 65 angedeutet. Leibniz sagt von dieser Regel nur, daß aus dem Fortgang (ex ipsa progressione) der Analyse, d. h. durch irgendeine allgemeine Beziehung zwischen den vorangegangenen Schritten der Analyse und dem folgenden bewiesen werden soll (demonstrandum ! ) , daß niemals ein Widerspruch auftreten wird, wie weit auch immer die Analyse fortgesetzt werden wird (§ 56). Leibniz meint hier vermutlich, daß sich das mathematische Bildungsgesetz einer unendlichen Folge auf Begriffe übertragen lasse (vgl. Couturats Anm. 1 in C 371; Schneider, 155 f.). (Zur wissenschaftstheoretischen Problematik dieser übertragung, die sich bei der Progressionsregel (b] auch wieder ergibt, vgl. 8.8.) Die Schwierigkeit, eine solche Progressionsregel zu finden (Leibniz hat selbst kein Beispiel dafür geliefert) war wohl einer der Gründe, warum Leibniz im Bereich des Beweises der Widerspruchsfreiheit der Erfahrung (experimentum) eine wichtige Funktion zuwies. Ist eine Sache in der Erfahrung gegeben, so muß ihr Begriff möglich sein (52, 659-661). Leibniz zählt daher die Einsicht, daß die Begriffe, die wir in ein und demselben Subjekt als existierend erfassen, keinen Widerspruch enthalten, zu den ersten Prinzipien (§ 69). Dafür wäre allerdings wieder erfordert, daß wir diese Erfahrungsgegebenheiten durch klare und deutlich unterschiedene Begriffe beschreiben könnten (vgl. 8.3), was nach Leibniz nicht der Fall ist, da unsere Sinneserkenntnis immer verworren ist (16,186-189; vgl. 9.4) und so von sich aus Vemunftüberlegungen, d. h. also vor allem jenen bezüglich der Widerspruchsfreiheit von Begriffen, nicht
8.8
Kommentar
233
dienen kann (16,197 f.). Daher versucht Leibniz die verworrenen Erfahrungsgegebenheiten der Sinne bzw. die ihnen entsprechenden Begriffe mit anderen Begriffen in Verbindung zu bringen, mit denen sie in konstanter Verbindung auftreten, die ihrerseits aber deutlich unterschieden sind (16, 199-212). Solche Begriffe wären z.B. „Zahl", „Größe", „Figur", „Bewegung", „Dichte", die aus der ,,Analysis Physica" gewonnen werden (C 190). Leibniz versucht dann sogar, aufgrund solcher Erkenntnis der Möglichkeit durch Erfahrungsgegebenheiten ein „Ähnlichkeitsprinzip" aufzustellen: „Das, wovon etwas Ähnliches möglich ist, ist selbst möglich" (52,661 u. 665668; 52,680 - 53,682; 58,759 f.). Die Reichweite dieses Prinzips ist allerdings sehr begrenzt, denn zwei erschöpfende Begriffe (vollständiger Substanzen) enthalten nach Leibniz nie nur ähnliche Begriffe (52,662 f.), so daß das entscheidende Problem offen bleibt, ob der gemeinsame Nenner (denominatio communis, 52,665) des so als möglich erkannten Teilbegriffs mit den restlichen Teilbegriffen zusammen einen widerspruchsfreien Begriff ergibt.
8.8 Der infinite Beweis möglicher und wahrer kontingenter Aussagen Damit eine Aussage „A ist B" wahr ist, muß das Enthaltensein von B in A bewiesen werden, d. h. die Koinzidenz von A = AB (vgl. 8.2). Wenn durch die fortgesetzte Analyse des Subjekts- und Prädikatsbegriffs (unter Voraussetzung der Progressionsregel [a] aus 8.7) nur bewiesen werden kann, daß zwischen ihnen nie ein Widerspruch auftreten wird, dann ist die Aussage möglich (56,724-728). Für den Beweis der Wahrheit einer kontingenten Aussage reicht der Beweis der Möglichkeit nicht aus, sonst wäre jede mögliche kontingente Aussage auch wahr (50,638-641;vgl. Schema[III] in 8.4 ). Für den Beweis der Wahrheit einer kontingenten Aussage ist daher über die Progressionsregel [a] hinaus noch eine Progressionsregel [b J erfordert, durch die die Koinzidenz von A = AB bewiesen wird (vgl. Schneider 1 288).
234
Kommentar
Leibniz zieht dafür wie bei [a] eine Analogie zu mathematischen Verfahren heran: So wie bestimmte unendliche Folgen gegen einen Grenzwert streben, und so wie sich bestimmte Kurven einer gegebenen Geraden ständig nähern, so sollen sich beim Beweis der kontingenten wahren Aussagen der Subjekts- und der Prädikatsbegriff in der Form der Aussage A = AB der Koinzidenz, d. h. dem Sich-Decken, ständig nähern (§§ 134-136; vgl. C 2. 17 f.; GP VII 200; Grua I 303 f.; FC 184). Leibniz selbst wollte hier nicht mehr als eine Analogie annehmen: Es handelt sich um eine Ähnlichkeit (similitudo ), aber um keine vollständige übereinstimmung (convenientia, 100,307 - 102,308) zwischen den mathematischen Verfahren und der angenommenen Regel zum Beweis der Wahrheit der kontingenten Aussagen. In den GI gibt Leibniz dafür eine außerlogische, eher metaphysische bzw. ethische Begründung: Da die mathematischen Gesetzlichkeiten eine Voraussage ermöglichen, könnten bei strenger übertragbarkeit der Gesetzesstruktur auf die Progressionsregel [b J die Menschen Sicherheit über (zukünftige) kontingente Wahrheiten erlangen (100,306 f.). Den für den logischen und wissenschaftstheoretischen Kontext der GI wichtigeren logischen Grund gibt Leibniz an anderer Stelle an: Bei mathematischen Reihen können Beweise geliefert werden, auch ohne die gesamte Reihe zu durchlaufen, genau dies aber ist bei der Analyse der kontingenten Wahrheiten nicht möglich (C 272 f.). Dann ist es aber eben nur möglich, solche Aussagen stets weiter zu analysieren, der Begriff einer Regel wird aber fraglich, da auch die bisher durchlaufenen Schritte keine Voraussagen über den weiteren Verlauf der Analyse ermöglichen, wie dies in der Mathematik aufgrund des Rechenverfahrens möglich ist. Leibniz selbst nimmt auch an, daß es Fälle gibt, in denen Aussagen so lange analysiert werden können, wie man will, ohne daß sich eine für Sicherheit (certitudo) ausreichende Regel ergibt (102,309-311). Da auch eine nach wenigen Schritten gewonnene Regel sich später als falsch erweisen kann, müßte ein Verfahren angegeben werden, um festzustellen, in welchen Fällen man eine Regel als gültig annehmen kann und in welchen nicht. Leibniz spricht in den GI
8.9
Kommentar
235
davon, daß es möglich sei, zu einer Differenz von A = AB von der Koinzidenz zu gelangen, die kleiner als irgendeine gegebene ist (dtfferentia minor quavis data, 56,729-732 u. 64,841-846). Wie dies festgestellt werden könnte, sagt Leibniz nicht. Daß Leibniz hinsichtlich der Möglichkeit einer solchen Feststellung Zweifel hatte, geht aus einer anderen Stelle hervor, an der er sagt, daß für eine Erkenntnis a priori der Wahrheit kontingenter Aussagen nicht nur die Kenntnis der gesamten Reihen der Aussagen über die (aktuelle) Welt erfordert wäre, sondern auch der Vergleich mit den gesamten Reihen der anderen möglichen Welten (C 18 f.; vgl. 9.3). Die leibnizsche Annahme einer solchen Progressionsregel hat immer wieder Kritik gefunden (vgl. z. B. Kauppi 1 99;Poser 1 134 f.; Schneider 1 300 f.), es gibt aber auch wieder Versuche, der Theorie von Leibniz eine tragfähige Interpretation zu geben (vgl. Hintikka; Hacking2 ). Leibniz sieht eine Garantie dafür, daß auch bei kontingenten Aussagen der Prädikatsbegriff tatsächlich im Subjektsbegriff enthalten ist, in der göttlichen Erkenntnis (§ 134; vgl. §§ 70, 136). Für die logische Struktur der wahren kontingenten Aussagen ist dabei wichtig, daß Leibniz auch für Gott nicht annimmt, er könne den Beweis „vollenden", d. h. der Beweis ist prinzipiell und nicht nur für den endlichen menschlichen Verstand infinit (vgl. FC 182). Ein Beweis für kontingente Wahrheiten im Sinne der demonstratio wäre auch bei Gott ein Widerspruch (FC 184). Durch die göttliche Schau (scientia visionis; C 2) ist also und soll nur das Prinzip garantiert werden, das Prädikat sei im Subjekt enthalten, d. h. sie stellt die Entscheidbarkeit der Wahrheit (bzw. Falschheit) kontingenter Wahrheiten sicher (certitudo, § 131), ohne an der Beweisstruktur dieser Aussagen etwas zu ändern (FC 182; C 2; vgl. Schneider 1 276).
8.9 Der infinite Beweis möglicher und falscher kontingenter Aussagen Eine falsche kontingente Aussage liegt vor, wenn sie zwar
236
Kommentar
möglich ist, d. h. wenn zwischen ihrem Subjekts- und Prädikatsbegriff kein Widerspruch vorliegt (nach Progressionsregel [a] in 8.7), wenn aber trotzdem der Prädikatsbegriff nicht im Subjektsbegriff enthalten ist, d. h. die Koinzidenz A = AB nicht gilt. Leibniz fordert dafür den Beweis, daß, bis wohin auch immer die Analyse fortgesetzt wird, nicht bewiesen werden kann, daß die Aussage wahr ist (§ 57). Die Auffassung von Leibniz ist daher zunächst, daß die Falschheit kontingenter Aussagen nicht anders bewiesen werden kann, als daß nicht bewiesen werden kann, daß sie wahr sind (50,636-638; vgl. § § 41 u. 42). Um die Falschheit kontingenter Aussagen eindeutig festlegen zu können, wäre dabei vorausgesetzt, daß alle wahren kontingenten Aussagen ihrerseits durch eine Progressionsregel [b] eindeutig bestimmt wären. Vermutlich ist dies auch die Theorie, die Leibniz zunächst vertreten wollte. Möglicherweise aus Gründen der Forderung gleicher Verfahren bei Begriffen und Aussagen setzte Leibniz in § 66 zunächst als Randbemerkung (vgl. Lesart zu 56,732) und dann als Ergänzung zum Text die Forderung einer Progressionsregel [b'] auch für falsche kontingente Aussagen (zu der im Text als weitere Ergänzung folgenden Bezugnahme auf notwendige Aussagen vgl. 8.6), d. h. eine Regel, die zeigt, daß sich die Analyse nicht einer Koinzidenz A =AB nähert. Die Forderung einer solchen Progressionsregel [b'] ist bei Leibniz singulär (d. h., in jedem Fall, nimmt man nun das „notwendig" in § 66 als Versehen oder nicht, liegt hier eine bei Leibniz singuläre Auffassung vor). Diese Singularität kann allerdings einfach darauf beruhen, daß es Leibniz vor allem um die Charakterisierung der wahren kontingenten Aussagen geht (vgl. 7 .8) und schon die (allerdings wichtige) Unterscheidung in wahre und falsche kontingente Aussagen in anderen Texten nicht vorkommt. In einer weiteren Randbemerkung (die philologisch eindeutig später ist als die Randbemerkung, die die Forderung einer Progressionsregel für falsche kontingente Aussagen vorsieht) stellt sich Leibniz die - in diesem Zusammenhang überraschende - Frage, was zu Aussagen zu sagen sei, bei denen weder Wahrheit noch Falschheit bewiesen wer-
9.1
Kommentar
237
den kann (56,737). Diese Randbemerkung könnte mit dem (metaphysisch und ethisch motivierten, vgl. 8.8) Zugeständnis verbunden sein, es könne wahre Aussagen geben, für die keine Progressionsregel [b J gefunden werden könne ( § 136). Leibniz gibt auf diese Schwierigkeit keine Antwort, sondern lehnt hier die Voraussetzung ab, indem er zur Grundposition (vgl. 8.1) zurückkehrt, es könne immer die Wahrheit oder Falschheit bewiesen werden, zumindesten durch eine infinite Analyse (56,737-739). Dies aber setzt zumindesten eine Progressionsregel [b J für alle wahren kontingenten Aussagen voraus.
9 Systematische Beziehungen verschiedener Ansätze Zu 9.1: Couturat 1 213-224; Kauppi 1 87-93; Lovejoy; Martin 2 11-19; Mittelstraß 1 ; Parkinson 1 56-75. Zu 9.2.: vgl. Literaturangaben zu 7 u. 8. Zu 9.3: Burch; Fitch; Hintikka; Lloyd; Martin 2 19-24; Mates 1 ; Rescher 2 16-19. 49-53; Schepers 1 ; Scholz 2 • Zu 9.4: Mugnai 1 22-32.
9.1 Das Prinzip des zureichenden Grundes und die Beweisformen Das allen besonderen Beweisformen übergeordnete Prinzip ist bei Leibniz, daß für jede Aussage eine Begründung gegeben werden kann (reddi ratio potest, Grua 1 303; vgl. GP VII 301. 309). Unter den Begriff der „Begründung" fällt sowohl der finite, als auch der infinite Beweis, als auch die Entscheidbarkeit der Wahrheit kontingenter Sätze durch die göttliche Schau (C 1 f.). Die Behauptung der Begründungsmöglichkeit ist daher invariant gegenüber bestimmten Begründungsformen (Mittels traß 1 145 ). „Beweis" ist dann eine bestimmte Begründungsform, nämlich jene, die durch eine Analyse (der Begriffe und Aussagen) geschieht, sei diese nun finit oder infinit(§ 130a). Während Leibniz für den Beweis im strengen, finiten Sinn (demonstratio) ebenso wie für die Schau Gottes (visio,
238
Kommentar
9.2
scientia visionis) feste Begriffe zur Verfügung hatte, war dies bei dem von ihm neu eingeführten infiniten Beweis nicht der Fall. Daraus erklärt sich, daß (ähnlich wie beim Begriff probatio, vgl. 8.1) der allgemeine Begriff der Begründung (ratz"onem reddere) besonders im Zusammenhang des infiniten Beweises, d. h. des Beweises der kontingenten Aussagen aufscheint (Bodemann 115; C 405). Leibniz spricht in diesem Zusammenhang davon, daß eine solche Begründung nicht zwingend (necessitans) ist, wohl aber die Vernunft (zur Zustimmung) geneigt (inclinans) macht (GP VII 301; C 405). Leibniz meint jedoch auch hier eine objektive Begründung. Der Grund (ratio) ist immer objektiv, jedenfalls für den göttlichen Verstand. Anders verhält es sich jedoch mit den menschlichen Möglichkeiten der Erkennbarkeit und Beweisbarkeit objektiv begründeter Aussagen. Im Zusammenhang der Diskussion des Unterschiedes der Beweismöglichkeit von notwendigen und kontingenten Aussagen spricht Leibniz in einem anderen Text (GP VII 200) zunächst auch von jener Beweisform, durch die wir nur eine ins Unendliche gehende Annäherung erreichen (in infinitum appropinquemus), neben die er dann die Form der Vermutung (conjectura) stellt, bei der wir mit Beweisgründen (demonstrativa ratione) wenigstens den Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmen können, wofür eine neue Form der Logik erfordert wäre, die solche Grade der Wahrscheinlichkeit abschätzt (de aestimandis gradibus probabilitatis, GP VII 201; vgl. dazu auch seine Schrift De incerti aestimatione in Biermann-Faak, sowie Hacking 1 ; Wilson 2 ; Hacking 3 85-91. 134-142). In den GI nimmt Leibniz den Gedanken der Grade der Wahrscheinlichkeit, der für die nähere Bestimmung der Beweismöglichkeit kontingenter Aussagen weiterführend wäre, nicht auf. 9.2 Modalbestimmungen durch Widerspruchsfreiheit und durch Beweistypen Leibniz war der Oberzeugung, daß die Bestimmung der Modalisatoren durch Möglichkeit = Widerspruchsfreiheit und
Kommentar
239
die durch die Beweistypen äquivalent sei (§§ 60, 130a). Damit ergibt sich (vgl. 8.6-8.9) folgendes Schema: Beweis finit
Koinzidenz: notwendig und daher: möglich
infinit Progressionsregel [a]: möglich Widerspruch: Progressionsregel [b] unmöglich auf Koinzidenz hin: kontingent wahr
Nicht-Koinzidenz, ggf. Progressionsrege! [b'] kontingent falsch
Dieses Schema ist jedoch durch den Text nicht voll gedeckt, insofern der Text der GI Bestimmungen enthält, die es fraglich machen, ob die angegebenen Beweistypen als hinreichende Bestimmungen für die Modalisatoren im Sinn der Widerspruchsfreiheit und Koinzidenz angesehen werden können: (a) Ist das „notwendig" in § 66 kein Versehen, so ist nicht ausgeschlossen, daß es notwendige Wahrheiten gibt, die nur durch einen unendlichen Beweis als wahr = koinzidierend bewiesen werden können. Dann aber ist überhaupt keine Möglichkeit mehr gegeben, aufgrund des Beweistyps zwischen notwendigen bzw. unmöglichen und kontingenten Aussagen zu unterscheiden (vgl. Kauppi 1 98; Poser 1 136). (b) Gibt es (vgl.§ 136) Aussagen, die zwar kontingent wahr sind, deren Beweis aber undurchführbar ist (d. h. für den keine Progressionsregel [b] aufgefunden werden kann, vgl. 8.8 und 8.9 ), so ist keine Möglichkeit gegeben, a priori zwischen kontingent wahren und kontingent falschen Aussagen zu unterscheiden. Entgegen seiner Absicht ist es Leibniz also nicht geglückt, eine Äquivalenz zwischen der Bestimmung der Modalisatoren durch das syntaktische Kriterium der Widerspruchsfreiheit bzw. Koinzidenz und der Bestimmung der Modalisatoren durch die Beweistypen nachzuweisen.
240
Kommentar
9.3
9.3 Mögliche Welten, Möglichkeit und Existenz Die Probleme der möglichen Welten sowie der Obergang von möglicher Welt (möglichen Welten) zur existierenden Welt wird in den GI nicht ausdrücklich behandelt, bildet jedoch vor allem für die Modaltheorie einen wichtigen Hintergrund. In Bezug auf die möglichen Welten sind die modal bestimmten Aussagen in folgender Weise definiert (vgl. Schneider 1 75): N (A;;;. B): gültig in allen möglichen Welten U (A;;;. B): gültig in keiner möglichen Welt M (A ;;;. B): gültig in wenigstens einer der möglichen Welten K (A;;;. B) und (A;;;. B) ist wahr: gültig in der existierenden Welt K (A ;;;. B) und (A ;;;. B) ist falsch: nicht gültig in der existierenden Welt, aber gültig in einer der möglichen Welten. Die Bestimmung von N und U ist logisch unproblematisch, da sie durch das logisch-syntaktische Kriterium der Koinzidenz bzw. Widersprüchlichkeit unabhängig von Existenz festgelegt ist. Solche Aussagen sind „ewige Wahrheiten", die auch gültig wären, wenn Gott eine beliebige andere Welt geschaffen hätte (C 18). Ein Problem stellt nur der Obergang von (nicht auch gleichzeitig notwendigen) Aussagen über Mögliches zu Aussagen über Existenz dar. „Existenz" ist ein Uedenfalls vorläufig) nicht weiter zerlegbarer, einfacher Begriff. Auch hier jedoch gilt für Leibniz wieder, daß ein Grund (ratio; vgl. 9.1) angegeben werden kann, den Leibniz darin sieht, daß das existiert, was mit der größten Anzahl anderer Dinge vereinbar ist ( 14,1701 73 ), das dann auch „mehr" enthält als andere mögliche ähnliche Dinge (62,810 - 64,832). Die tatsächliche Wahl Gottes, diese „beste" Welt zu wählen, hat jedoch nach Leibniz ihren Grund nicht in einem logischen Modalisator (auch die nicht-besten Welten sind ja widerspruchsfrei), sondern in einem deontischen Modalisator (vgl. Poser 1 90), der sich aus der Vollkommenheit Gottes ergibt, insofern Gott nur das Beste wählt (vgl. z.B. Grua I 305; C 405; FC
9.4
Kommentar
241
182). Diese Wahl und somit diese beste Welt ist somit „moralisch notwendig", was dadurch definiert wird, daß die gegenteilige Wahl „moralisch absurd" wäre. So wie die Möglichkeit das Prinzip der Wesenheit, der Essenz ist, so ist die Vollkommenheit der Wesenheit, d. h. der Grad der Wesenheit, durch welche möglichst Vieles zugleich möglich ist (compossibilitas) das Prinzip der Existenz (GP VII 304). Aus diesem Zusammenhang ist ersichtlich, daß die Aufstellung einer Progressionsregel [b] (vgl. 8.8) eine Kenntnis des gesamten Gefüges der möglichen Welten erfordern würde, was die menschliche Erkenntniskraft übersteigt (C 18 f.; Grua I 304). 9.4 Erkenntnisgrade und Beweismöglichkeiten In den aus derselben Periode wie die GI stammenden Schriften DM § 24 und Meditationes de Cognitione, Veritate et Jdeis (GP IV 422-426) ist jene Einteilung der Erkenntnisgrade zu finden, die auch der Hintergrund der Beweislehre der GI ist, ohne dort zusammengefaßt zu werden (vgl. auch C 219 f. 512). Die Grade entsprechen der Zerlegung eines Begriffes in seine Teile und damit der Beweisbarkeit von Aussagen, in denen die so erkannten Begriffe enthalten sind. Die Erkenntnis eines Begriffs ist: - Dunkel (obscura): Reicht nicht aus, um eine Sache wiederzuerkennen. - Klar (clara): Reicht aus, um eine Sache wiederzuerkennen; sie ist entweder verworren oder deutlich unterschieden. - Verworren (confusa): Die Merkmale, die erforderlich sind, um eine Sache von den anderen zu unterscheiden, können nicht getrennt aufgezählt werden (vgl. 16,187 - 189.197 f.; 58,765). - Deutlich unterschieden (distincta): Die Merkmalereichen aus, um ein Ding von allen ähnlichen zu unterscheiden (vgl. 16,199 f.; 54,710). Diese Erkenntnis ermöglicht die Aufstellung einer Nominaldefinition (vgl. 8.3).
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Kommentar
- Adäquat (adaequata): Alles, was in einen deutlich unterschieden erkannten Begriff eingeht, wird bis zu den einfachen Begriffen hin wieder deutlich unterschieden erkannt (vgl. §§ 131, 132). Diese Erkenntnis ermöglicht die Aufstellung einer Realdefinition (vgl. 8.3 ). Leibniz zweifelt, ob es möglich ist, ein vollkommenes Beispiel einer solchen Erkenntnis zu geben. Die Erkenntnis der Zahlen kommt ihr jedoch nahe (GP IV 423). Die adäquate Erkenntnis ist entweder symbolisch oder intuitiv. - Symbolisch (symbolica): Beherrschung der Gesamtheit der Bestandteile durch Zeichen (z.B. Algebra). - Intuitiv (intuitiva): Beherrschung aller Bestandteile auf einmal (tota simul, vgl.§ 131); oder deutlich unterschiedene Erkenntnis eines einfachen Begriffs. Leibniz versuchte in der frühen Periode, die Möglichkeit durch die deutlich unterschiedene Erkenntnis der Begriffe zu bestimmen. Später wird das Verhältnis umgekehrt (Poser1 123): Die Erkenntnis der Möglichkeit im Sinne der Widerspruchsfreiheit wird zum Kriterium der deutlich unterschiedenen Erkenntnis (GP III 449). Diese Entwicklung zeigt sich in den GI schon an: der systematische Einsatzpunkt der Analyse der Begriffe und der Beweise der Aussagen ist der Nachweis der Widerspruchsfreiheit, während die Grade der Erkenntnis nur zur Erklärung der faktischen Einschränkung der Analysierbarkeit von Begriffen herangezogen werden.
LITERATURVERZEICHNIS
1. Quellentexte (mit Abkürzungen)
a) Handschriften LH
Leibnizhandschriften der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover Bademann Bademann, Eduard: Die Leibniz-Handschriften der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Hannover, Leipzig 1895 (darin auch Textexzerpte).
b) Editionen A
Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. von der Preußischen (später: Deutschen) Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Darmstadt (später: Leipzig, zuletzt: Berlin) 1923ff. Zitiert nach Reihe, Band u. Seite. Analysis Particularum Leibniz: Analysis Particularum. In: Stud. Leibn. Sonderheft 8 (1979) 133-153 (Hrsg. F. Schupp). C Opuscules et fragments inedits de Leibniz. Extraits des manuscrits „. par Louis Couturat. Paris 1903 (Nachdruck Hildesheim 1961). CP Leibniz: Confessio philosophi. Hrsg. u. übers. von Otto Saame. Frankfurt/M. 196 7. DF Leibniz: De Formae Logicae comprobatione per linearum ductus. In: C 292-321. DM Leibniz: Discours de Metaphysique. übers. un