Alia ex alia nexa: Untersuchungen zur Struktur von Ciceros Philosophieren 9783825347918, 3825347915

Die Studie zeigt ein für Cicero konstitutives Denkmuster in seinen philosophischen Schriften auf und nutzt die Erkenntni

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German Pages 375 [377] Year 2022

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Umschlag
Titel
Impressum
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung und Methodik
1 Die Struktur der Arbeit
2 Methodische Vorbemerkungen: Ciceros Denken als strukturales System
2.1 Grundsätzliche Bekenntnisse
2.2 Stand der Forschung: Literaturtheorie, Klassische Philologie und der Autor Cicero
2.2.1 Literaturtheorie in der Klassischen Philologie
2.2.2 Cicero in der Klassischen Philologie
2.3 Literaturtheoretische Grundlagen
2.3.1 System und Synchronie als Prämissen
2.3.2 Analyse: Oppositionsdenken
2.3.3 Analyse und Synthese: Vom Oppositions- zum Einheitsdenken
2.4 Cicero unter strukturalistischer Perspektive
Das Wie des ciceronischen Philosophierens
3 Rhetorische Philosophie – philosophische Rhetorik: Ciceros Disputationsmethodik
3.1 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen
3.2 Einführung anhand der ‚Tusculanen‘: Die zentrale Dichotomie Philosophie–Rhetorik
3.3 Ciceros Disputationsmethodik als Verbindung von Philosophie und Rhetorik
3.3.1 ‚De oratore‘: Das ciceronische Ideal des Redens
3.3.2 ‚Orator‘: Das ciceronische Ideal des Redners
3.4 Resümee: Die Erörterung gesellschaftlich relevanter Fragen
4 Methodik zwischen Zweifel und Glaube: Ciceros Probabilismus
4.1 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen
4.2 Einführung anhand der ‚Tusculanen‘: Die zentrale Dichotomie Zweifel–Glaube
4.3 Ciceros Theorie eines akademischen Probabilismus
4.3.1 ‚Lucullus‘: Probabilismus als Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus
4.3.2 ‚Academica posteriora‘: Die Einheit der Akademie
4.4 Ciceros naturphilosophische Werke: Probabilismus als flexible Methode in der Praxis
4.4.1 ‚De natura deorum‘: Glaubenspraxis durch Philosophieren
4.4.2 ‚De divinatione‘: Glaubenspraxis zwischen Gesellschaft und Individuum
4.5 Resümee: Der Probabilismus als epistemologische Konstante Ciceros
5 Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus
Das Was des ciceronischen Philosophierens
6 Philosophischer Universalismus: Ciceros Kulturphilosophie
6.1 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen
6.2 ‚Tusculanae disputationes‘: Zentrale kulturphilosophische Dichotomien der Proömien
6.2.1 Die Dichotomie Römer–Griechen
6.2.2 Die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart
6.2.3 Die Dichotomie Elite–Masse
6.3 Resümee: Ciceros Kulturphilosophie und die Struktur der ‚Tusculanae disputationes‘
6.4 Weiterführende Gedanken: Die Annäherung der unterschiedlichen philosophischen Lehren
7 Tugend in Theorie und Praxis: Ciceros Sozialphilosophie
7.1 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen
7.2 ‚De re publica‘: Zentrale sozialphilosophische Dichotomien
7.2.1 ‚Duo soles – duo populi‘: Getrenntheit als Ausgangspunkt
7.2.2 ‚Iustitia‘: Möglichkeit einer Einheit auf irdischer und himmlischer Sphäre
7.2.3 Himmel und Erde: Ciceros Staatsphilosophie und die Struktur von ‚De re publica‘
7.2.4 Theorie und Praxis: Ciceros Staatsphilosophie und das erste Proöm von ‚De re publica‘
7.2.5 Ciceros politische Philosophie
7.3 ‚De amicitia‘: Zentrale sozialphilosophische Strukturen
7.3.1 ‚De amicitia‘ und ‚De re publica‘: Kohärenz und Kontinuität
7.3.2 ‚Unum ex duobus‘: Die Struktur von ‚De amicitia‘
7.4 Resümee: Ciceros Sozialphilosophie – Tugend im Geiste
8 Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung
Schlussbemerkungen und Resümee
9 Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur
9.1 Universum und Struktur
9.1.1 Universalismus bei Cicero
9.1.2 Universalismus in Strukturalismus und anderen Literaturtheorien
9.2 Universum, Individuum und Struktur
9.3 Individuum außerhalb des Textes: Autor und Leser
10 Die Struktur als Medium von Interpretation und Rezeption
Literaturverzeichnis
1 Editionen
2 Übersetzungen
3 Kommentare
4 Sekundärliteratur
Register
1 Orts- und Namenregister
2 Stellenregister
Rückumschlag
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Alia ex alia nexa: Untersuchungen zur Struktur von Ciceros Philosophieren
 9783825347918, 3825347915

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marco bleistein

Alia ex alia nexa Untersuchungen zur Struktur von Ciceros Philosophieren philosophia romana

band 3

p h i l o s oph ia rom a na Studien, Editionen und Kommentare zur römischen Philosophie und ihrem Fortleben Herausgegeben von Gernot Michael Müller (Bonn) Jörn Müller (Würzburg) Redaktion Bastian Jürgen Wagner

ba n d 3

m arc o bleis tein

Alia ex alia nexa Untersuchungen zur Struktur von Ciceros Philosophieren

Universitätsverlag

w i n t er

Heidelberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Zugl.: Dissertation, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 2020 Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

u m s c h l agb i ld Worthington Whittredge: The Amphitheatre of Tusculum and Albano Mountains, Rome (1860), Smithsonian American Art Museum, Accession number 1980.25, photograph Ad Meskens

i s b n 978-3-8253-4791-8 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2o22 Universitätsverlag Winter GmbH Heidelberg Imprimé en Allemagne · Printed in Germany Umschlaggestaltung: Klaus Brecht GmbH, Heidelberg Druck: Memminger MedienCentrum, 87700 Memmingen Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier Den Verlag erreichen Sie im Internet unter: www.winter-verlag.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Version meiner 2019 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg eingereichten Dissertation. Der Grundstein dieser Arbeit wurde bereits im Wintersemester 2011/12 in einem Hauptseminar zu Ciceros Tusculanae Disputationes gelegt. Mein erster Dank gilt hier meinem Betreuer Herrn Prof. Dr. Christian Tornau, der in diesem Seminar mein Interesse an Ciceros Philosophie geweckt und mich motiviert hat, die Ideen und Ergebnisse meiner Hausarbeit zunächst zur Staatsexamensarbeit und sodann im Rahmen meines Promotionsprojekts auszuweiten. Er hat meine Forschungen stets intensiv begleitet und gefördert und mich in allen Belangen meines Vorhabens tatkräftig unterstützt. Ebenso möchte ich meinem Zweitbetreuer Prof. Dr. Jörn Müller, Ko-Leitung des erwähnten Hauptseminars, danken, der mir für meine Arbeit im Rahmen von Gesprächen und auf gemeinsamen Tagungen immer wertvolle Hinweise geben konnte. Ich bedanke mich bei ihm und meinem Drittgutachter Herrn Prof. Gernot Michael Müller zudem herzlich für die Aufnahme meiner Dissertationsschrift in die Reihe Philosophia Romana. Auch Herrn Prof. Dr. Michael Erler möchte ich als Mitglied meines Betreuungsteams für seine Unterstützung meinen Dank aussprechen. Die Hanns-Seidel-Stiftung (Januar 2015 bis Juni 2015) und die Studienstiftung des deutschen Volkes (Juli 2015 bis Dezember 2017) haben das Entstehen dieser Arbeit mit einem Promotionsstipendium ideell und finanziell (aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung [BMBF]) gefördert. Für das freie und konzentrierte Arbeiten, das mir auf diese Weise ermöglicht wurde, bin ich zutiefst dankbar. Besonders bedanken möchte ich mich bei der Studienstiftung für die ungemein bereichernde Zeit des ideellen Förderprogramms, die mich fachlich, beruflich und vor allem persönlich weitergebracht hat, unter anderem durch die Förderung eines Auslandsaufenthalts an der University of Oxford. Gedruckt werden konnte diese Arbeit mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Ferner gilt mein Dank der Würzburger Graduiertenschule für die Geisteswissenschaften für die Begleitung meines Promotionsstudienganges, den Universitäten in Oxford und Cambridge für die Aufnahme als Academic Visitor bzw. Visiting Graduate Student sowie dem Universitätsverlag Winter Heidelberg für die Beratung bei der Erstellung der Druckvorlage.

6

Vorwort

Nicht unerwähnt bleiben soll meine hervorragende fachliche Bildung und Ausbildung durch die Dozenten an meiner Alma Mater. Besonders wertvolle fachliche Impulse habe ich in der Latinistik von AD Ralf Wünsch und PD Dr. Jochen Schultheiß und im Feld der Literaturtheorie von Dr. Barbara Hunfeld erhalten. Für das Korrekturlesen meiner Dissertation und bereichernden kollegialen Austausch – nicht zuletzt in späten wie schönen Stunden in der Universitätsbibliothek – bedanke ich mich bei meinen Mitdoktoranden Tobias Janotta, Caroline und Tobias Dänzer, Manuel Huth, Veronika Müller, Anna Schwetz und Kilian Fleischer. Besonderer Dank gilt Bastian Jürgen Wagner, der die Endredaktion übernommen hat. Immer gewinnbringend war für mich zudem meine Tätigkeit als Kursleiter bei der Deutschen Schülerakademie, als Hilfskraft beim Projekt „Frühneuzeitliche Ärztebriefe des deutschsprachigen Raums (1500–1700)“ und besonders als ein Exkursionsleiter der Studienfahrt an die Grenzen des Römischen Imperiums in Großbritannien. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern und meinem Bruder – Helga, Stephan und Alexander Bleistein. Sie haben mich in der langen Studien- und Promotionszeit immer bedingungslos unterstützt, gefördert und ermutigt. Ihnen danke ich dafür von ganzem Herzen. Würzburg, im Frühjahr 2022

Marco Bleistein

Inhaltsverzeichnis Vorwort................................................................................................................. 5 Inhaltsverzeichnis ................................................................................................. 7

Einleitung und Methodik ............................................................... 11 1

Die Struktur der Arbeit............................................................................ 11

2

Methodische Vorbemerkungen: Ciceros Denken als strukturales System.................................................. 13 Grundsätzliche Bekenntnisse................................................................... 13 Stand der Forschung: Literaturtheorie, Klassische Philologie und der Autor Cicero................. 16 Literaturtheorie in der Klassischen Philologie......................................... 16 Cicero in der Klassischen Philologie....................................................... 18 Literaturtheoretische Grundlagen ............................................................ 22 System und Synchronie als Prämissen .................................................... 24 Analyse: Oppositionsdenken ................................................................... 27 Analyse und Synthese: Vom Oppositions- zum Einheitsdenken............. 38 Cicero unter strukturalistischer Perspektive ............................................ 55

2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.4

Das Wie des ciceronischen Philosophierens.................................. 59 3

Rhetorische Philosophie – philosophische Rhetorik: Ciceros Disputationsmethodik................................................................. 59 3.1 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen............................ 59 3.2 Einführung anhand der Tusculanen: Die zentrale Dichotomie Philosophie–Rhetorik ...................................... 60 3.3 Ciceros Disputationsmethodik als Verbindung von Philosophie und Rhetorik ........................................................................ 70 3.3.1 De oratore: Das ciceronische Ideal des Redens ...................................... 71 3.3.2 Orator: Das ciceronische Ideal des Redners............................................ 89 3.4 Resümee: Die Erörterung gesellschaftlich relevanter Fragen.................. 98 4 4.1 4.2

Methodik zwischen Zweifel und Glaube: Ciceros Probabilismus ......... 103 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen.......................... 103 Einführung anhand der Tusculanen: Die zentrale Dichotomie Zweifel–Glaube ............................................. 104

8

Inhaltsverzeichnis

4.3 Ciceros Theorie eines akademischen Probabilismus ............................. 113 4.3.1 Lucullus: Probabilismus als Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus..................................................... 113 4.3.2 Academica posteriora: Die Einheit der Akademie ................................ 143 4.4 Ciceros naturphilosophische Werke: Probabilismus als flexible Methode in der Praxis ................................. 151 4.4.1 De natura deorum: Glaubenspraxis durch Philosophieren.................... 151 4.4.2 De divinatione: Glaubenspraxis zwischen Gesellschaft und Individuum ....................... 165 4.5 Resümee: Der Probabilismus als epistemologische Konstante Ciceros................................................ 179 5

Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus................................... 181

Das Was des ciceronischen Philosophierens ............................... 187 6 6.1 6.2

Philosophischer Universalismus: Ciceros Kulturphilosophie................ 187 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen.......................... 187 Tusculanae disputationes: Zentrale kulturphilosophische Dichotomien der Proömien ................... 191 6.2.1 Die Dichotomie Römer–Griechen ......................................................... 192 6.2.2 Die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart.......................................... 197 6.2.3 Die Dichotomie Elite–Masse................................................................. 203 6.3 Resümee: Ciceros Kulturphilosophie und die Struktur der Tusculanae disputationes...................................... 211 6.4 Weiterführende Gedanken: Die Annäherung der unterschiedlichen philosophischen Lehren...................................... 214 7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2

7.2.5 7.3 7.3.1 7.3.2 7.4

Tugend in Theorie und Praxis: Ciceros Sozialphilosophie.................... 220 Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen.......................... 220 De re publica: Zentrale sozialphilosophische Dichotomien .................. 221 Duo soles – duo populi: Getrenntheit als Ausgangspunkt..................... 222 Iustitia: Möglichkeit einer Einheit auf irdischer und himmlischer Sphäre ................................................... 229 Himmel und Erde: Ciceros Staatsphilosophie und die Struktur von De re publica ....................................................... 263 Theorie und Praxis: Ciceros Staatsphilosophie und das erste Proöm von De re publica................................................. 272 Ciceros politische Philosophie............................................................... 278 De amicitia: Zentrale sozialphilosophische Strukturen ......................... 280 De amicitia und De re publica: Kohärenz und Kontinuität................... 281 Unum ex duobus: Die Struktur von De amicitia.................................... 283 Resümee: Ciceros Sozialphilosophie – Tugend im Geiste .................... 297

8

Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung ............... 302

7.2.3 7.2.4

Inhaltsverzeichnis

9

Schlussbemerkungen und Resümee ............................................. 311 9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.2 9.3

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur ....... 311 Universum und Struktur ........................................................................ 311 Universalismus bei Cicero..................................................................... 312 Universalismus in Strukturalismus und anderen Literaturtheorien........ 316 Universum, Individuum und Struktur.................................................... 319 Individuum außerhalb des Textes: Autor und Leser.............................. 323

10

Die Struktur als Medium von Interpretation und Rezeption.................. 327

Literaturverzeichnis ..................................................................... 331 1 2 3 4

Editionen ............................................................................................... 331 Übersetzungen ....................................................................................... 332 Kommentare .......................................................................................... 332 Sekundärliteratur ................................................................................... 333

Register ....................................................................................... 367 1 2

Orts- und Namenregister ....................................................................... 367 Stellenregister........................................................................................ 369

Einleitung und Methodik Am Ende seines Lebens beschreibt Cicero seine Vorstellung vom Aufbau der Welt: Est enim admirabilis quaedam continuatio seriesque rerum, ut alia ex alia nexa et omnes inter se aptae conligataeque videantur.1 Der mit der Fachtradition vertraute Rezipient ciceronischer Texte wird in diesem Auszug aus dem Proömium von De natura deorum in erster Linie und völlig zu Recht die Darlegung stoischer Kosmologie erkennen. Jedoch soll im Kursus dieser Arbeit zunächst eine andere Assoziation, die durch die Beschreibung einer Verkettung aller Dinge evoziert wird, im Fokus stehen: Verschiedene Elemente hängen wechselseitig voneinander ab, wodurch sie erst ihren Platz im Gesamtzusammenhang finden und ein System bilden – was auf ein strukturales In-Beziehung-Setzen als basales Merkmal des ciceronischen Denkens schließen lässt, wie es auch Ausdruck jeder Form strukturalistischer Weltbetrachtung ist. Zudem wird mit der Betonung einer umfassenden Relationalität auf eine zugrundeliegende universale strukturelle Systematik hingewiesen und durch die Vagheit des Verbs videri auf die Rolle des Lesers als letzte Entscheidungsinstanz hinsichtlich einer Beurteilung der Strukturiertheit angespielt. Auf den ersten Blick mag es zwar kühn erscheinen, das Cicero-Zitat aus diesen Gründen als Grundlage für eine strukturalistisch inspirierte Betrachtungsweise heranzuziehen, wären doch sicherlich andere Parallelen, etwa zum Universalismus der Romantik, naheliegender. Dass aber im Grunde ein Zusammenhang zwischen all diesen Gedanken besteht, werden das direkt anschließende Methodikkapitel und noch viel mehr die Untersuchung im Hauptteil zeigen. 1

Die Struktur der Arbeit

Beginnen wird diese Arbeit mit der Beantwortung der Frage, was ihre Herangehensweise auszeichnet und welche literaturtheoretischen Einflüsse ihrer Methodik zugrunde liegen (Kapitel 2.1). Konkret werden die folgenden Ausführungen von der Überzeugung geleitet, dass angesichts der Forschungssituation (Kapitel 2.2) neue Aspekte des ciceronischen Philosophierens auf einem Weg gewonnen werden können, der die Struktur zum Ausgangspunkt der Überlegungen macht (Kapitel 2.3), der im Sinne der strukturalistischen Literaturtheorie den Text als System und insbesondere seine Einzelelemente in den Fokus rückt (Kapitel 2.3.1). Vor allem bei Saussure (Verkettung von Elementen), Lévi-Strauss (unterliegendes 1

Nat. deor. 1,9. Der lateinische Text richtet sich in erster Linie nach der BT; abweichend davon sind etwa eine einheitliche Großschreibung am Zitat- und Satzanfang, die Interpunktion am Zitatende sowie die Schreibung des Halbvokals [w] als .

12

Einleitung und Methodik

System) und Barthes (Strukturierung durch den Rezipienten) lassen sich, so die These, geeignete theoretische Anknüpfungspunkte für eine Strukturbetrachtung von Ciceros philosophischen Schriften finden. Es ergeben sich daraus sodann einige übergeordnete Leitfragen: Was können Strukturen, was kann Strukturierung über grundlegende Denkmuster des Einzelnen und des Menschen generell sagen? Und wie können diese Erkenntnisse für eine Interpretation von Ciceros Verständnis von Philosophie und Welt fruchtbar gemacht werden? Antworten auf diese Fraugen zu finden, wird das vornehmliche Ziel dieser Dissertation sein. Als Grundlage dafür dient eine spezifische Terminologie, deren Analyse (Getrenntheit) und Synthese (Einheit) genannten Pole sich direkt aus den methodischen Vorbemerkungen ergeben (Kapitel 2.3.2 und 2.3.3). Für diese Arbeit fungieren sie als Untersuchungsinstrumentarium für den Rezipienten und erscheinen sie als grundlegendes Denkmuster, das im Text wirksam ist. Deutungsangebote können auf dieser Bestimmung aufbauen (Kapitel 2.4). Auf dieser Basis wird im Hauptteil Ciceros Philosophieren unter strukturellen Gesichtspunkten untersucht. Zunächst steht Ciceros eigene Methodik (Kapitel 3 und 4) im Mittelpunkt: Wie gestaltet sich das Philosophieren in Ciceros philosophischen Texten? Es wird sich zeigen, dass die Spannungsfelder Philosophie und Rhetorik (Kapitel 3) sowie Dogmatismus und Skeptizismus (Kapitel 4) für eine Bestimmung des Wie ciceronischen Philosophierens konstitutiv sind (Kapitel 5). Im Anschluss wird der Inhalt dieses Philosophierens (Kapitel 6 und 7) bestimmt: Was vermag das Philosophieren in Ciceros philosophischen Texten? Anhand einiger spannungsgeladener Gegensatzpaare kann zuerst allgemein ein kulturphilosophisches Programm entworfen (Kapitel 6) und daraufhin konkret dessen Manifestation im sozialphilosophischen Bereich untersucht werden (Kapitel 7), um so Aufschluss über das Was ciceronischen Philosophierens und seine philosophische Verortung zu erhalten (Kapitel 8). Währenddessen und vor allem abschließend werden all diese Erkenntnisse hinsichtlich Autor, Leser und Struktur bewertet und im Licht einer universalen Gesamtheit betrachtet, wodurch Ciceros Vorstellung vom Aufbau der Welt sowohl methodisch als auch inhaltlich fundiert wird (Kapitel 9). Methodik und Inhalt, Wie und Was verschränken sich auf der Basis von Analyse und Synthese für diese Arbeit wie auch für Ciceros Philosophieren.

Grundsätzliche Bekenntnisse

13

2

Methodische Vorbemerkungen: Ciceros Denken als strukturales System

2.1

Grundsätzliche Bekenntnisse

Eine literaturtheoretisch orientierte Arbeit hat zunächst die Aufgabe, ihre Leser mit den theoretischen Vorannahmen der Methodik vertraut zu machen sowie deren Grundlagen kurz darzustellen.2 Die vornehmliche Absicht des folgenden Kapitels ist es demnach, für die nötige Methodentransparenz zu sorgen, sodass das Vorgehen der Arbeit stets nachvollziehbar bleibt. Als Ziel dieser methodischen Fundierung darf die Etablierung einer einheitlichen Terminologie für Ciceros Philosophieren gelten, die letztendlich zu einem systematischen Verständnis ciceronischer philosophischer Schriften und ihrer Weltdeutung beitragen kann. Als literaturtheoretische Grundlage dient dabei ein literaturwissenschaftlich gewendeter Strukturalismus, jedoch steht die Arbeit dezidiert auch unter dem Einfluss bestimmter antiker, klassisch hermeneutischer, idealistischer wie romantischer Universalismus- und Strukturtheorien, aus deren interdisziplinärer Verschränkung ein dieser Arbeit eigenes Untersuchungsinstrumentarium erwächst, dessen Erläuterung Kern der folgenden Ausführungen sein soll.3 Nichtsdestotrotz sollen auch einige grundständige Erklärungen sowie manche spezifische Beobachtung strukturalistischer Theorie angerissen werden, wobei es natürlich nicht Anspruch des Kapitels sein kann, eine umfassende, gar literaturwissenschaftliche Grundfragen betreffende Theoriegeschichte zu formulieren.4 Vielmehr soll ein solider, keinesfalls vollständig geführter Nachweis einer prinzipiellen und in hohem Maße abstrakten Denkstruktur im Zentrum stehen, welche auch als überzeitliche literarische Konstante wahrgenommen werden kann. Mit einem solchen Fokus auf eine spezielle Art und Weise der Strukturierung, wie sie dem Rezipienten in Texten seit der Antike immer wieder begegnet, verbindet sich die Argumentationsabsicht, den Strukturalismus als ein nicht im luftleeren Raum stehendes künstliches Gebilde darzustellen – als grundsätzliche Denkungsart, die

2

3

4

Als Einführung können die Werke von Culler 2011 und, speziell für die Klassische Philologie, Schmitz 2006 dienen. Einen aktuellen Gesamtüberblick über Literaturtheorien von der Antike bis in die Gegenwart bietet etwa Habib 2005. Selden 1995, S. 2 jedoch betont zu Recht, dass es schwierig ist, literaturtheoretische Strömungen genau zu bestimmen und in kohärente Gruppen einzuteilen, da international sehr verschiedene Entwicklungen aufgetreten und in jedem Land Spezifika zu berücksichtigen sind. Dies gilt umso mehr, als sich in der modernen Literaturwissenschaft die Einsicht durchgesetzt hat, dass ein Methodenpluralismus von allzu starken dogmatischen Fesseln befreien kann und so für die Textanalyse letztendlich fruchtbarer ist als ein Festhalten an den starren Regeln einer einzigen methodischen Richtung. S. dazu auch Kapitel 2.2.1. Vgl. für einen ausführlichen Abriss strukturalistischer Ideen das Standardwerk von Culler 1975.

14

Einleitung und Methodik

nicht anachronistisch auf die antike Gedankenwelt angewendet wird,5 sondern die ein gesamtanthropologisches Strukturmuster als Grundlage besitzt. Die im Folgenden für dieses Muster gebrauchten Begriffe sind Analyse und Synthese, wobei, zunächst von einem strukturalistischen Fokus auf binäre Oppositionen ausgehend, unter Analyse ein Status der Trennung verstanden wird. Sodann aber richtet sich das Augenmerk der Arbeit auch auf die Vermittlung oppositioneller Elemente und somit auf eine prozessual erreichte Synthese als Einheit, deren Kehrseite wiederum die Analyse als Prozess der Zergliederung einer vorgängigen Einheit darstellt. Als Beispiele seien bereits hier die später untersuchten Dichotomien Philosophie–Rhetorik, Glaube–Zweifel und Skeptizismus– Dogmatismus, Vernunft–Erfahrung, Römer–Griechen, Vergangenheit–Gegenwart, Elite–Masse, Popularen–Optimaten, Sonne–Sonne (Doppelsonne), Theorie– Praxis sowie Freund–Freund (Trennung von Freunden) genannt, die sämtlich unter der Trennungsperspektive der Analyse und der Einheitsperspektive der Synthese betrachtet und interpretiert werden. Eine hierbei entscheidende Grundannahme ist die besondere Eignung der philosophischen Schriften6 Ciceros für eine Betrachtung unter diesen Prämissen.7 Diese Eignung gründet sich auf die These, dass Ciceros philosophisches Projekt von einigen konsistenten wie über die Zeit konstanten Elementen getragen wird,8 die es erlauben, Ciceros Philosophie unter synchroner und systematischer Perspektive zu betrachten und darauf aufbauend das beschriebene spezifische Denkmuster für ihre Interpretation fruchtbar zu machen. Diese Herangehensweise an den antiken Denker Cicero bedingt, dass sich die Arbeit nicht als klassisch philologische versteht, wenn darunter vor allem die mehr oder weniger quellen5

6

7

8

In anderen Philologien schon seit mehreren Jahrzehnten etabliert, finden erste Ansätze, die auf neueren literarischen Theorien beruhen, erst seit vergleichsweise kurzer Zeit ihren Weg in den Bereich der Klassischen Philologie. Nicht zuletzt deshalb ist es auch Aufgabe des Methodikkapitels, Bedenken zu zerstreuen. Mit den philosophischen Schriften sind nicht nur die Dialoge, sondern generell alle Abhandlungen Ciceros gemeint. Die begriffliche Bestimmung gestaltet sich dabei nicht nur im Deutschen schwierig; vgl. etwa Steel 2013, S. 222, die den ebenfalls allgemeinen Terminus „treatise“ gebraucht. Die Arbeit beschränkt sich auf Ciceros philosophische Schriften, zu denen auch die rhetorischen Werke gerechnet werden – was Cicero auch selbst in div. 2,4 nahelegt: s. dazu Kapitel 3.1. S. für den programmatischen Wert der zweiten Vorrede von De divinatione auch die Einleitungen zu den einzelnen Unterkapiteln, in denen die Textauswahl begründet wird (Kapitel 3.1, 4.1, 6.1 und 7.1) und vgl. etwa Schofield 2013, S. 75–86. Dies wird sich im Laufe der Arbeit herausstellen. Beispiele finden sich in allen Kapiteln der Dissertation. Eine im Rahmen dieser Arbeit besonders bedeutende Konstante ist Ciceros intensives Verhältnis zur Philosophie, wie er es in nat. deor. 1,6 beschreibt: Nos autem nec subito coepimus philosophari nec mediocrem a primo tempore aetatis in eo studio operam curamque consumpsimus, et cum minime videbamur tum maxime philosophabamur.

Grundsätzliche Bekenntnisse

15

kritische Nachzeichnung argumentativer Linien im Text verstanden wird, die mit der Absicht erfolgt, die Intention eines Autors zu ermitteln und kritisch einzuordnen. Sie kann auch nicht als klassisch philosophische gelten, insofern in dieser Arbeit sowohl etwa erkenntnistheoretische oder moralphilosophische Beobachtungen als auch zugrundeliegende philosophiehistorische Detailfragen bezüglich der antiken Philosophenschulen nur Randerscheinung bleiben. Vielmehr sieht sich der Verfasser im weitesten Sinne in der Tradition einer Literaturwissenschaft, die, von empirischen Einzelbeobachtungen ausgehend, vor allem an der internen Textstruktur interessiert ist und sich um eine wertungsfreie globale Perspektive bemüht. In einem zweiten Schritt ergeben sich sodann natürlich Einsichten in das spezifische Philosophieprogramm Ciceros, das in der Folge als deutlich einheitlicher betrachtet werden kann als bislang angenommen. Da hierfür nicht sämtliche Passagen aller ciceronischen Schriften untersucht werden können, muss die Arbeit selektiv vorgehen und daher besonderes Gewicht auf eine sinnige Bestimmung der Textgrundlage legen. Manche Einschränkungen sind durch die noch zu erläuternde Methodik selbst gerechtfertigt, die vor allem Anfangs- und Schlussteile sowie bedeutende Scharnierstellen im Hauptteil für relevant erachtet;9 andere Entscheidungen hinsichtlich der Textauswahl ergeben sich aus dem Bestreben, ein möglichst repräsentatives Textkorpus zu betrachten und dabei verschiedene Schreibphasen,10 Themengebiete und Textgattungen zu berücksichtigen. Um dies für die verschiedenen Kapitel der Arbeit an jeweils angemessener Stelle zu thematisieren, ist jedem Kapitel eine kurze Begründung der Textauswahl vorgeschaltet. Insgesamt ist der Hauptteil der Arbeit, der auf die methodischen Vorbemerkungen folgt, in zwei große Teile gegliedert, die das Wie und das Was des ciceronischen Philosophierens betreffen und sich selbst erneut in je zwei Unterkapitel aufspalten, die jeweils nach der erwähnten, die Textgrundlage begründenden Einleitung von einem bestimmten textuellen Konflikt ausgehen, diesen aus strukturalistischer Perspektive schildern und in ihrem Verlauf darauf aufbauende Deutungsangebote bereitstellen. Ziel der Dissertation ist es damit, ein für Cicero konstitutives Denkmuster in seinen philosophischen Schriften aufzuzeigen und die Erkenntnisse für eine Interpretation von Ciceros Verständnis von Philosophie und Welt nutzbar zu machen. Die Arbeit will dabei nicht nur konkret im Kleinen an textlichen Motiven arbeiten, sondern erhebt den Anspruch, ein abstrahiertes Denkmuster als globale Interpretationsfolie für das Philosophieren Ciceros zu beschreiben und anzuwenden. Im Folgenden soll auf einige angesprochene Punkte näher eingegangen werden.

9 10

Vgl. zu einem ähnlichen Vorgehen Leonhardt 1999, S. 31–50 und 76–88. Alle Datierungen erfolgen dabei nach Marinone/Malaspina 2004. Vgl. für verschiedene Einteilungsmöglichkeiten der ciceronischen Schreibphasen etwa Schmidt 1978/79, S. 119; Bringmann 1971, S. 9 und Fuhrmann 2005, S. 218–222. Den Tusculanae disputationes kommt dabei eine besonders tragende Rolle zu, wie im Verlauf der folgenden Kapitel deutlich wird; s. zur Begründung und Einordnung Kapitel 6.1.

16 2.2

Einleitung und Methodik

Stand der Forschung: Literaturtheorie, Klassische Philologie und der Autor Cicero

Bevor die Methodik der Arbeit ausführlich vorgestellt wird, ist es geboten, einen kurzen Blick auf die Forschungssituation zu werfen. Zunächst soll generell der Status moderner Literaturtheorie im Bereich der Klassischen Philologie erörtert werden, bevor speziell der Forschungsstand hinsichtlich Ciceros Philosophie knapp dargestellt wird. 2.2.1 Literaturtheorie in der Klassischen Philologie Jede literaturtheoretisch fundierte Arbeit, mag sie auch noch so neue Wege beschreiten, muss sich der Tradition des ihr zugeordneten Fachgebiets bewusst sein und vor dessen Vertretern Rechenschaft ablegen können. Nun ist es sicherlich kein Geheimnis, dass sich die Disziplin der Klassischen Philologie lange Zeit neuen Tendenzen der Literaturwissenschaft versperrt und diese erst seit dem späten 20. Jahrhundert langsam und sehr vorsichtig adaptiert hat. Obwohl in anderen philologisch geprägten Fächern bereits seit Jahrzehnten etabliert, sind in Latinistik und Gräzistik, trotz einiger Fortschritte vor allem im Bereich der Intertextualitätsforschung und Erzähltheorie,11 noch immer erhebliche Vorbehalte gegenüber etwa strukturalistischen und poststrukturalistischen Methoden auszumachen12 – teilweise natürlich zu Recht: Viele Theorieansätze wurden erprobt und verworfen und nicht selten waren auch regelrechte theoretische Exzesse zu beobachten, deren Kontraproduktivität ein abwartendes Verhalten vermeiden konnte, jedoch dabei 11

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Vgl. dazu etwa de Jong 2014, S. 9–11; Fowler 1995, S. 105 und Grethlein 2009. Sullivan 1994, S. 9 betont die Anschlussfähigkeit von Narratologie und Intertextualität an antike Konzepte wie das der aemulatio und imitatio. Vereinzelt finden sich auch andere Ansätze: So fragt etwa Fowler 1994, ob es möglich ist, antike Texte unter der selbstreflexiven Perspektive der romantischen Ironie zu lesen; Too 1998 beispielsweise versucht eine diskursanalytisch inspirierte politische Betrachtung antiker Literaturtheorie. Oft sind die durchaus vorhandenen Einflüsse subtil, wie Dugan 2007, S. 15 feststellt: „Classics as a discipline has generally been slow to accept methodological innovations, often embracing the critical approaches that colleagues in English departments have recently abandoned. Given the lingering conservatism within Classics it is not surprising to find theoretical influences manifesting themselves in more diffused and less overt forms – less in terms of explicit theoretical principles and instead a matter of general trends and emphases.“ Besonders hervorzuheben sind dennoch für die Gräzistik einige französische Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die, wie Richter 2011, S. 91 herausstellt, „the power of structuralist theory to explain the markedly dualistic nature of Greek thought“ erkannt haben. Vgl. ebd. und S. 91, Anm. 15 für einige Beispiele: Bekannte Namen sind Vernant, Vidal-Niquet und Detienne. S. zudem Anm. 81. So äußert sich z. B. Goldhill 1999 generell skeptisch.

Stand der Forschung

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wiederum einigen Konservativen in die Hand spielte, die literaturtheoretische Einflüsse in ihrer Gänze als Modeerscheinung abtun wollten.13 Doch ist das Problem ein viel grundsätzlicheres: Es geht eigentlich nicht um die Verteidigung bestimmter theoretischer Ansätze, deren Nützlichkeit natürlich immer für den Einzelfall geprüft werden sollte, sondern ganz prinzipiell um die Aufgeschlossenheit gegenüber theoretischer Selbstvergewisserung. Bisweilen nämlich verbleiben Forschungsbeobachtungen der Fachdisziplin im Bereich des Spekulativen, zumal und besonders weil ausgesprochen wenig über die theoretischen Annahmen des eigenen Fachs nachgedacht wird und ein vager, intuitiver Zugang zu den Texten einer nötigen Reflexion über die eigenen Interpretationsmethoden vorgezogen wird.14 Gerade diese ideologischen Präkonzeptionen15 zu hinterfragen und zu evaluieren, sollte aber Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Untersuchung sein. Auf dieser Grundlage können überhaupt erst Bewertungen vorgenommen, Theorien akzeptiert oder verworfen werden. Insofern ist auch das Methodikkapitel dieser Arbeit nicht Selbstzweck,16 sondern forschungstechnisch notwendig, um vor sich selbst wie besonders vor dem Leser Rechenschaft über grundlegende theoretische Annahmen und das Design der Arbeit 13

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Dies gilt explizit nicht für die spezifisch antike Literaturtheorie, die schon lange Teil altphilologischer Forschung ist; vgl. etwa Russell 1981; Kennedy 1989; Fantham 1989 oder Laird 2006. Vgl. dazu Fowler 1995, S. 104, der für die Befürworter literaturtheoretischer Einflüsse feststellt: „What is common is an awareness of the constructed nature of literary interpretation, and consequently of the critic’s own ideology as a determinant in the process of reading. This represents the most radical break with traditional philology, where the methods of interpretation are seen as ahistorical and objective, and the goal is the recovery of a meaning already present in the text. Traditional philology has of course always been concerned with methodology, but it has nevertheless essentially taken the act of reading for granted: the New Latin begins from the premise that how to read – what to do to a text – is problematic and theory-bound, not natural and easy.“ Vgl. auch de Jong 2014, S. 7 und generell Harrison 2001 für den Streit zwischen konventionelleren Ansätzen der Klassischen Philologie und modernen theoretischen Ideen. Diese stets präsenten ideologischen theoretischen Vorannahmen wurden gerade im angloamerikanischen Raum explizit gemacht, etwa von Harrison 2001, S. 3–5, der ebd., S. 4 die „practical impossibility of objectivity in the judgements of human intellectual activity“ betont und ebd., S. 5 „unspoken critical assumptions, probably in fact connected with older literary theories“ offenlegt. Vgl. auch Harland 1999, S. XI: „Theoretical assumptions and implications lurk behind even the most ‚practical‘ forms of criticism, even the most text-oriented interpretations or evaluations.“ Vgl. zudem Feeney 1995, S. 307–312. Natürlich darf die Theoretisierung nicht zu reiner terminologischer Selbstbespiegelung verkommen; vgl. dazu auch Harrison 2001, S. 7f. Segal 1968, S. 14 sieht den Nutzen einer Strukturuntersuchung etwa nur dann, wenn dadurch eine tiefere Bedeutungsschicht freigelegt wird; als geeignetes Beispiel nennt er ebd. Vergils Georgica. Martindale 1993, S. XIV weist zudem mit Recht auf die Vorläufigkeit einer jeden Interpretation hin.

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Einleitung und Methodik

abzulegen und Kriterien operationalisierbar zu machen, an denen sich die Untersuchung messen lassen kann.17 In diesem Sinne ist diese Arbeit zwar vor allem strukturalistisch beeinflusst zu nennen, versteht sich jedoch nicht als dezidiert und exklusiv strukturalistisch, sondern ist vielmehr, wie sich zeigen wird, von einer undogmatischen Offenheit gegenüber anderen Einflüssen geprägt – wie generell ein gesunder Methodenpluralismus dem heutigen pragmatischen Vorgehen in den meisten Literaturwissenschaften entspricht. Deshalb finden sich in Fließtext und Anmerkungen zahlreiche Hinweise auf quellenkritische, schulphilosophische und andere Erkenntnisse; deswegen spielen auch Elemente etwa romantischer Literaturtheorie eine Rolle für die angewandte Methodik. Damit plädiert diese Arbeit schließlich für eine Zusammenarbeit von traditioneller Philologie und verschiedenen literaturtheoretischen Ansätzen,18 zumal durch ein multiperspektivisches Vorgehen Ciceros Leistung am besten gewürdigt werden kann. 2.2.2 Cicero in der Klassischen Philologie Wie bereits angedeutet wurde, ist die Verfahrensweise dieser Arbeit eine, die die systematische Strukturiertheit der Texte in den Mittelpunkt stellt oder zumindest von ihr ausgeht, um weitere Überlegungen anzustellen – ein Herangehen, das sich in der Ciceroforschung der letzten Jahrzehnte nur selten finden lässt.19 Insgesamt scheint zum römischen Redner, Politiker und Philosophen sehr wenig literaturtheoretisch gearbeitet worden zu sein, auch nicht zu seinen doch häufig narrativ eingebetteten philosophischen Schriften, was sicherlich auch mit der unglücklichen Forschungsgeschichte gerade der Philosophica in direktem Zusammenhang

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Vgl. auch Harrison 2001, S. 8, der für mehr Transparenz wirbt: „[It is] better for an interpreter to declare his or her underlying viewpoint rather than to leave it to be constructed from what he or she writes or says in an apparently neutral manner.“ Vgl. zudem Heath 2002, S. 17, der speziell für die Klassische Philologie fordert: „[I]nterpreters of classical texts are under an obligation to engage in theory.“ Vgl. für derlei Vorteile einer Theoretisierung generell auch Culler 1975, S. 128–130; Rubino 2005 sowie speziell Schmitz 2006, S. 11–16 für den Bereich der Klassischen Philologie. Vgl. darüber hinaus van Nortwick 1997 für einen sehr persönlichen Aufsatz zur Bedeutung von Literaturtheorie in der Klassischen Philologie. Vgl. dazu auch Harrison 2001, der ebenfalls für eine Zusammenarbeit wirbt. Martindale 1993, S. XIII spricht sich als Altphilologe für einen Theoriemix aus. Die folgenden kurzen Ausführungen sollen nur als einleitende und keinesfalls vollständige Übersicht über die reiche ciceronische Forschungslandschaft dienen. Die jeweils relevanten themenspezifischen Literaturverweise und Skizzierungen des Forschungsstands finden sich in den Anmerkungen.

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steht.20 Denn nicht zuletzt wegen verheerender Werturteile einflussreicher Persönlichkeiten wie Theodor Mommsen21 ist Ciceros Eigenleistung beim Verfassen seiner Schriften lange Zeit nahezu vollständig negiert, sein philosophisches Œuvre bis weit ins 20. Jahrhundert hinein hauptsächlich als Steinbruch für quellenkritische Untersuchungen genutzt worden.22 Die erste Reaktion auf diese Entwicklung in der Zeit nach 1945 bestand hauptsächlich im Versuch, Cicero als Philosophen zu rehabilitieren,23 wobei oft die Frage nach der konkreten Absicht, die der 20

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Ein weiterer Grund ist, dass sich generell literaturtheoretische Arbeiten oft auf poetische und erzählerische Textgattungen beschränken, Reden und philosophische Traktate jedoch selten entsprechend untersucht werden. Eine Ausnahme stellt etwa Dugan 2013 dar, der ebd., S. 29 die Statustheorie bei Cicero gemäß der strukturalistischen Linguistik beschreibt. In neuerer Zeit wurde zudem die Eignung von Ciceros Briefliteratur für modernere Ansätze erkannt. Die Abkanzelung durch einen so bedeutenden Historiker zeitigte auch langfristige Folgen für Ciceros Bewertung als Politiker; vgl. dazu überblickend Bernett 1995, S. 3– 16 und 260–265. Mančal 1982, S. 7–64 geht von philosophischer Warte aus umfassend und überzeugend auf die Kritik an Cicero von verschiedenen Seiten ein. Vgl. auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Seel 1968, S. 145, der „Ciceros philosophische Unzulänglichkeiten“ betont. Eine kurze Übersicht über die neuere Rezeptionsgeschichte ist z. B. bei Lefèvre 2008, S. 12–17 zu finden. Eine neuere quellenkritische Untersuchung auf dem aktuellen Stand der Forschung bietet Spahlinger 2005. Natürlich hat auch dieses traditionelle Vorgehen zu zahlreichen fruchtbaren Ergebnissen geführt, jedoch weist Mančal 1982, S. 53f. zu Recht auf ein grundsätzliches Problem des Quellenforschungsansatzes, die mangelnde Überprüfbarkeit der Ergebnisse, hin. Häufig wird mit dieser Herangehensweise zudem ein Eklektizismusvorwurf verbunden: Ciceros Schriften seien von einem unkreativen Genresynkretismus geprägt. Doch auch wenn Cicero bei der Abfassung seiner Werke viele Quellen genutzt haben mag, so bedeutet das noch nicht, dass keine Interpretation innerhalb von Ciceros Arrangement möglich ist. Die Anordnung der aus den Quellen entnommenen Informationen kann nämlich das Wie der Sinnherstellung beleuchten. Es gilt nach Gildenhard 2007, S. 168: „The realization that he reworked a Greek body of material must be the beginning, not the end of, analysis.“ S. auch Anm. 1494. Beispielhaft sei die Zusammenstellung von Aufsätzen durch Büchner 1971 angeführt; zudem sei auf Süß 1952 und Gawlick 1956 hingewiesen. Das Forschungsinteresse richtete sich dabei auch auf Fragen der Originalität von Ciceros Veröffentlichungen, meist verbunden mit der Diskussion, ob man Cicero überhaupt einen Philosophen nennen dürfe. Viele Kritiker projizieren hierbei unreflektiert einen modernen Philosophiebegriff auf die Antike. Folgerichtig entgegnen Gawlick/Görler 1994, S. 1119: „Wer Cicero den Titel eines Philosophen abspricht, geht von einem Philosophiebegriff aus, der aus einem anderen Zusammenhang stammt und nicht ohne weiteres auf ihn anwendbar ist. […] Der Begriff der Philosophie ist ein geschichtlicher Begriff, der systematisch offen ist; keine geschichtliche Exemplifikation dieses Begriffs kann normative Gestaltung beanspruchen.“ Vgl. auch Mančal 1982, S. 64. Die bessere Frage formuliert Haltenhoff 2000, S. 220: „Verstand [Cicero] sich selbst als Philosoph und was meinte er damit?“ Thraede in Blank-Sangmeister/Thraede 1995, S. 461 resümiert: „[I]m

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Einleitung und Methodik

Autor mit seinen philosophischen Ausführungen verfolgte, im Raum stand.24 Von einigen abweichenden Meinungen abgesehen, ist es in der Forschung Konsens, dass Cicero persönliche, gesellschaftlich-politische wie auch literarische Ziele verfolgt, wobei vieles bei einer Fragestellung, die ausschließlich nach dem Zweck forscht, spekulativ bleiben muss.25

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‚Gemisch verschiedener Ansprüche‘ spiegelt sich, was, in einem weiten Verständnis des Begriffs, sehr wohl ‚Philosophie‘ heißen darf.“ Hierbei kann man grob zwischen einer Forschungsrichtung, die Cicero oft sehr konkrete gesellschaftlich-politische Ambitionen unterstellt, und einer Gruppe von Arbeiten, die das Persönliche der Schriften hervorhebt, unterscheiden. Erstere geht davon aus, dass Cicero, auch mit den unter Cäsars Diktatur entstandenen Werken, größeren Einfluss auf das politische Geschehen nehmen wollte, sei es nun direkt durch einen Aufruf gegen Cäsars Tyrannis – so etwa Strasburger 1990; Gildenhard 2007, S. 206 und Peetz 2008, S. 186; dagegen argumentiert z. B. Bringmann 2010, S. 237 – oder indirekt über die Etablierung oder Reaktivierung eines pädagogischen oder legislatorischen Reformprogramms, wofür Gildenhard 2007, Girardet 1983 oder Stadler 2004, S. 275–282 Beispiele sind; vgl. dazu zudem Sauer 2017, S. 303f., Anm. 1. Ebenfalls hierzu zu rechnen sind einige Arbeiten wie etwa von Capelle 1932 und Habinek 1995, die eine weitergehende (außen-)politische Funktion in nationalistischen Bestrebungen Ciceros, wie sie etwa in manchen Proömien zum Vorschein kommen, erkennen, mit denen unter anderem der römische Imperialismus gerechtfertigt werden solle. Das Problem an diesen Versuchen ist oft, dass die gewonnenen Ergebnisse sehr abstrakt bleiben, daraus jedoch ein unbestimmt bleibendes konkretes Programm zu gewinnen versucht wird. Die Frage, wie zum Beispiel der erzieherische Plan der Tusculanae disputationes oder die angenommenen Gesetzesvorschläge des fragmentarischen De legibus im Detail aussehen sollen, bleibt zwangsläufig unbeantwortet. Überzeugender ist eine allgemein gehaltene Diskussion, die, ausgehend von der Annahme, dass Cicero auf einer weniger konkreten Ebene Politik mit anderen Mitteln betreibt, eine langfristige politisch-philosophische Absicht erkennt; vgl. etwa Heinze 1966, S. 310; Sprute 1983, S. 157 oder Vesperini 2012, S. 379–490. S. dazu auch Kapitel 6 und 7. Die zweite Gruppe stellt den persönlichen Aspekt der Werke, vor allem derjenigen nach dem Jahr 48 v. Chr., in den Mittelpunkt, betont demnach zumeist – mit Ausnahme von z. B. Carter 1972, der die persönlich-materielle Bedeutung von Ciceros philosophischer Argumentation hervorhebt – den selbsttherapeutischen Charakter der Schriften und kann sich dabei auf Selbstaussagen Ciceros stützen; vgl. beispielsweise Koch 2006; Schofield 2002; Graff 1963, S. 49 und Bringmann 2010, S. 238. S. dazu auch Kapitel 6. Besonders gut zu erkennen ist der Konflikt an der Debatte um Ciceros otium cum dignitate-Konzeption: Ist sie ein individueller oder ein kollektiv gedachter Entwurf? Vgl. dazu rekapitulierend Christes 1988 und s. Anm. 1213. In der Rückschau im zweiten Proömium von De divinatione definiert Cicero nach Schofield 2002, S. 101 sein Unterfangen als „ethical project, with a variety of component subprojects and […] associated enterprises.“ Die politischen (vor allem die sich anbahnende Alleinherrschaft Cäsars) und persönlichen Hintergründe (auch persönliche Enttäuschung über den Zustand des republikanischen Systems und Schicksalsschläge wie der Tod seiner Tochter) sind während der Abfassung dieses hauptsächlich ethischen Großwerks konstant. Die Gründe für die Verschriftlichung sind

Stand der Forschung

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Demgegenüber geht diese Arbeit nicht primär und in erster Linie von der Intention des Autors26 aus, sondern stellt den Text und insbesondere seine Struktur ins Zentrum und entwickelt daraus eine strukturell zu verstehende Systematik ciceronischen Philosophierens, untersucht also anhand der Strukturierung der Werke ihren Inhalt und erörtert so das Wie und das Was von Ciceros philosophischem Projekt.27 Relativ selten finden sich in der Forschung Ansätze, die ebenso ansatzweise von der Systematik der ciceronischen Gedankenwelt her denken.28 Generell hat sich zwar in letzter Zeit die Überzeugung durchgesetzt, dass die individuelle Leistung Ciceros weniger in Themenwahl und Inhalt, sondern in Art und Weise der Anordnung und Bearbeitung zu sehen ist,29 dies erschöpft sich jedoch sehr oft in der Herausarbeitung von spezifischen rhetorisch-argumentativen Strategien;30 es fehlt eine ausführlichere Betrachtung ciceronischer Gedankenmuster. Eine eben solche soll im Rahmen dieser Arbeit versucht werden.

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zahlreich, besonders hervorzuheben sind selbsttherapeutische und im weitesten Sinne erzieherische Absichten (Vermittlung der Philosophie, moralische Bildung), doch ist Ciceros Unterfangen ebenso literarisch motiviert und von Erkenntnisstreben geprägt; vgl. dazu etwa Gawlick/Görler 1994, S. 1016–1019; Stroh 2008, S. 89f. sowie Adamczyk 1961, S. 4. Inwiefern dieses ethische Projekt auch politische Implikationen in sich trägt, ist Gegenstand zahlreicher Diskussionen: Positiv beantworten die Frage u. a. Peetz 2008 und Gildenhard 2007, speziell ebd., S. 74–76; dagegen sprechen sich u. a. Atkins 2000 oder Bringmann 1971 aus. Hier soll dafür plädiert werden, dass dies auf einer allgemeinen und mittelbaren Ebene durchaus zutrifft, insofern Cicero die Gesellschaft auch in Phasen politischer Abstinenz immer im Blick hat und moralische Interpretationen politischen Geschehens für Römer selbstverständlich sind, wie auch Earl 1967, S. 17 feststellt. S. dazu vor allem auch Kapitel 7. Differenziert über die wissenschaftliche Frage nach der Intention schreibt Heath 2002, S. 59–97; vgl. zudem Eagleton 1983, S. 120. Diese Arbeit betrachtet die Untersuchung der Autorabsicht als sekundär, zumal eine Überprüfbarkeit ohnehin nicht gegeben ist; s. auch Kapitel 2.3.1. Mančal 1982, S. 63 betont entsprechend die Bedeutung des Ausgehens vom Text und nicht von bestimmten Voraussetzungen. Vielmehr wurde oft auf kompositorische Brüche und Diskrepanzen in Ciceros Texten abgehoben, so etwa bei Lefèvre 2008, S. 139. Demgegenüber hervorzuheben und, da teilweise in der Forschungsliteratur übersehen, besonders zu würdigen sind dabei die verdienstvollen und in der Arbeit häufig zitierten Abhandlungen von Gawlick 1956; Görler 1974; Gawlick/Görler 1994; Leonhardt 1999; Bernett 1995; Peetz 2000; Peetz 2005; Peetz 2007; Mančal 1982; Ryan 1982; Bittner 1999 und Reckermann 1990. Vgl. etwa Baraz 2012, S. 120: „It was the arrangement […] that really made the work.“ Vgl. zudem Leonhardt 1999, S. 11; Davies 1971, S. 118f. und bereits Gawlick 1956 sowie Levine 1958. Vgl. prominent Lefèvre 2008.

22 2.3

Einleitung und Methodik

Literaturtheoretische Grundlagen

Als Vorbereitung für eine Analyse ciceronischer Denkmuster sollen in diesem Kapitel gemäß den oben formulierten Überzeugungen theoretische Vorannahmen offengelegt und Grundbegriffe geklärt werden, sodass es dem Leser möglich wird, die Herangehensweise dieser Arbeit literaturwissenschaftlich einzuordnen. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht demnach die Definition und Erläuterung des verwendeten Instrumentariums, mit dessen Hilfe eine textuelle Strukturanalyse der ciceronischen Philosophica versucht wird – mit dem Ziel, ein universelles wie individuell ciceronisches Denkmuster zu bestimmen und davon ausgehend das Wie und Was von Ciceros Philosophieren zu untersuchen. Die Leitfrage ist dabei diejenige nach der Strukturiertheit der Texte, wobei sich die Arbeit als maßgeblich von Ideen des literaturtheoretischen Strukturalismus beeinflusst sieht, für den zumindest in Westeuropa die Arbeit des französischen Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure grundlegend war und der im Laufe seiner Verbreitung im 20. Jahrhundert auch erheblichen Einfluss auf die Literaturwissenschaft ausübte.31 Besonders wichtig für die folgenden Ausführungen sind 31

Für das Wirken Saussures und seiner Multiplikatoren – vgl. dazu speziell Attridge 1995, S. 58f. – vgl. u. a. Eagleton 1983, S. 96f. und Dosse 1997a, S. 43–51. In zahlreichen Arbeiten zu den unmittelbaren Wurzeln des Strukturalismus wurden allerdings, neben den beobachteten antiken Ursprüngen vieler Ideen – s. dazu Anm. 65, 78, 80, 81, 83, 84 und auch 113 –, einige prominente Vorläufer identifiziert, auf deren Arbeiten Saussure bewusst oder unbewusst aufbauen konnte; vgl. etwa generell für das 19. Jahrhundert Stempel 1978. Besonders hervorzuheben ist dabei die Sprachphilosophie und Poetik Wilhelms von Humboldt; vgl. dazu ebd., S. 20 sowie ebd., Anm. 96 und S. 20f., Anm. 97; Doležel 1999, S. 75–80 und 86–89 sowie darüber hinaus Coseriu 2002 und Coseriu 1988, S. 3–11, der die Bedeutung der Dynamik in Humboldts Sprachtheorie betont. S. zu Humboldt auch Kapitel 10. Auch Schleiermachers hermeneutische Terminologie greift nach Holub 1995, S. 259 Saussure voraus. Eine dem Strukturalismus verwandte und später über die Prager Schule de facto in ihm aufgehende Strömung ist der Russische Formalismus, bei dem ebenfalls – vgl. hierzu Paukstadt 1980, S. 188–195 – vorgelagerte Strukturen in Texten untersucht wurden; vgl. generell zum Russischen Formalismus und seiner Entwicklung Harland 1999 und Doležel 1999, S. 141–165. Als besonders wirkmächtig darf dabei Wladimir Propps Folkloreforschung, seine Untersuchung russischer Märchen auf bestimmte narrative, formale Muster hin, gelten; vgl. etwa Hendricks 1970, S. 90 und s. zu Propp ferner Anm. 42 und 64. Den Unterschied von Formalismus und Strukturalismus arbeitet etwa Eagleton 1983, S. 97f. heraus; Steiner 1995, S. 24–29 fasst Kritik an Theoriekonzepten des Formalismus zusammen. Vgl. hierbei zur Bedeutung der sogenannten Prager Schule Eagleton 1983, S. 99f. und Doležel 1995, S. 38. Eine weitere literaturtheoretische Strömung, für die einige Parallelen aufgezeigt werden können, ist der vor allem in den USA bekannte New Criticism, der ebenso den konkreten Text und dessen Struktur in den Mittelpunkt stellt; vgl. etwa Segal 1968, S. 11 und Harland 1999, S. 187–194 und s. ferner Anm. 64. Weitere Querbezüge können etwa nach Dosse 1997a, S. 13 und Harland 1987, S. 20–24 zu Durkheim, nach Eagleton 1983, S. 109 zu Husserl, nach

Literaturtheoretische Grundlagen

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sodann auch jene größeren Zusammenhänge strukturalistischen Denkens – im Sinne eines Denkens, das bestimmte grundlegende Strukturen erkennt und in Beziehung setzt.32 Mit der strukturalistischen Strömung gemein hat die Arbeit ganz grundlegend die Fokussierung auf Klassifikationen, Strukturen und Anordnungen.33 Dafür richtet sich die Aufmerksamkeit auf einige ausgewählte Textelemente und ihr Verhältnis zueinander.34 Hierbei versteht sich der strukturalistische Ansatz nicht nur als einzelne Methode, sondern auch als generell menschliche Denkoperation, die auf eine allem zugrundeliegende Struktur verweist.35 Daraus ergeben sich einige grundsätzliche Folgerungen, die für diese Arbeit leitend, freilich nicht immer bis ins Letzte verbindlich sind. Sie sollen nun näher erläutert werden und in eine Vorstellung der in dieser Arbeit angewandten Terminologie (Analyse und Synthese) münden. Nach einer kurzen Einführung des Systembegriffs soll in zwei entsprechend dieser Begrifflichkeiten gegliederten Unterkapiteln jeweils zunächst ein theoretischer wie theoriehistorischer Zugang zum Phänomen des Strukturalismus geleistet und anschließend die Anwendbarkeit der Methodik auf Ciceros Texte begreiflich gemacht werden.

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Boon 1972 zum französischen Symbolismus und nach Eagleton 1983, S. 92f. zu Northrop Frye gezogen werden; s. zu letzterem auch Anm. 1442. In der Folge all dieser Strömungen entstehen verschiedene strukturalistische Konzepte, Theorien und Schulen. Für diese Arbeit besonders wichtig sind dabei die Ideen von Roland Barthes und Claude Lévi-Strauss, wie aus den folgenden Ausführungen deutlich wird. S. für die verwandten, teilweise mit dem Strukturalismus konvergierenden, teilweise eigenständig sich entwickelnden Theorien zur Semiotik und Narratologie Anm. 79 bzw. 72. Vgl. Barthes 1984, S. 16: „[L]e structuralisme, en vertu de sa méthode, porte une attention spéciale aux classements, aux ordres, aux agencements; son objet essentiel, c’est taxinomie, ou modèle distributif qui est mis en place, fatalement, par toute œuvre humaine, institution ou livre, car il n’est pas de culture sans classement.“ Dabei findet sich, wie ebd., S. 15f. festgestellt, der Strukturalismus auf jeder Ebene des literarischen Werks wieder. S. zu Barthes Anm. 53. Vgl. grundlegend Scholes 1974, S. 41: „The perception of order or structure where only undifferentiated phenomena had seemed to exist before is the distinguishing characteristic of structuralist thought. In this mental operation we give up our general sense of all the observable data in exchange for a heightened sense of some specific items […] – items, which we now see as related, forming a system or structure.“ Vgl. Genette 1966, S. 155: „[L]e structuralisme n’est pas seulement une méthode, il est aussi ce que Cassirer nomme ‚une tendance générale de pensée‘.“ Vgl. auch Patzig 1981, S. 101f.: „Schließlich entwickelte sich der Strukturalismus aus einem Methodenkonzept mit überschaubarem Anwendungsbereich zu einer philosophischen Welt-Interpretation: Der Begriff der Struktur wird als Fundamentalbegriff für jede menschliche Welterfahrung überhaupt angeboten.“ Vgl. zudem Scholes 1974, S. 91f.; Eagleton 1983, S. 112 und für den Prager Literaturtheoretiker Mukařovský Doležel 1995, S. 37. S. zur Idee der Universalität in Kapitel 2 auch Anm. 62, 67, 71, 95, 130 sowie weiterführend Kapitel 8 und 9.

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Einleitung und Methodik

2.3.1 System und Synchronie als Prämissen Vor der Einführung in die strukturalistischen Grundlagen dieser Arbeit stellt sich zunächst die Frage, ob es überhaupt möglich ist, ciceronisches Denken und dessen Manifestation in seinen Texten als System zu beschreiben. Der Strukturalist betrachtet nämlich den Text, wie er sich darstellt, und interessiert sich nur sekundär dafür, wie er geworden ist. In diesem Kontext ist die Unterscheidung zweier Betrachtungsweisen geboten: Ganz allgemein spricht man vom Unterschied zwischen einem diachronen Ansatz, der die Veränderung eines Systems über die Zeit hinweg betrachtet, und einer synchronen Herangehensweise, die ein System ohne Berücksichtigung seiner Gewordenheit als kohärent strukturiert wahrnimmt.36 Die diachrone Perspektive fragt also aus einer Entwicklungsperspektive heraus danach, wie sich ein Phänomen zu verschiedenen Zeiträumen darstellt, und vergleicht diese miteinander; die synchrone Perspektive dagegen untersucht die Ausprägung eines Phänomens während eines umgrenzten Zeitraums und vernachlässigt dabei prozessuale Aspekte während dieses Zeitraums.37 Allen sekundären Betrachtungen von Literatur liegt zwangsläufig eine dieser beiden Grundauffassungen zugrunde,38 unabhängig davon, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Diese Arbeit verfolgt wie auch die meisten anderen strukturalistischen Veröffentlichungen und im Gegensatz zu vielen Veröffentlichungen

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Vgl. etwa Fowler/Fowler 1996, S. 872, die von der „distinction between a diachronic approach to language which looked at how it changed over time and a synchronic approach which viewed it as a single coherent system“ sprechen. Diese im Grunde saussuresche Bestimmung kann generell als fruchtbare Basis für die Untersuchung von Ciceros Philosophieverständnis dienen, das einerseits in seiner Entwicklung betrachtet werden kann, andererseits als geschlossenes System in den Blick gerät. Eine solche Unterscheidung wäre zudem auch für eine biographische Betrachtung Ciceros sinnvoll, die dann Antworten auf zwei Fragen geben müsste: Wie ist philosophisches Denken in Ciceros Biographie verortet? Gab es eine Entwicklung, kann man also mehrere Phasen annehmen (diachroner Aspekt)? Beim Vergleich verschiedener Phasen müssten sowohl Kontinuitäten als auch Diskrepanzen wahrgenommen und artikuliert werden. Und: Wie stellt sich Ciceros Denken zu einer speziellen, möglichst konsistenten Phase seiner schriftstellerischen Tätigkeit dar (synchroner Aspekt)? Jedoch wird auch Kritik an der scharfen Trennung beider Betrachtungsmodi geübt, so nach Günther 1973, S. 75 bereits durch Mitglieder der Prager Schule: „Für Mukařovský, wie auch für die übrigen Mitglieder des Prager linguistischen Zirkels schließen Synchronie und Diachronie einander nicht aus, sondern durchdringen einander im realen Prozeß. Sie bilden eine dialektische Antinomie, deren beide Pole, Statik und Dynamik, für sich genommen nur als methodologische Hilfskonstruktionen gelten können.“ Auch der Historiker Reinhart Koselleck problematisiert die Einteilung; vgl. etwa Koselleck 2010, S. 22.

Literaturtheoretische Grundlagen

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zu Cicero39 einen dezidiert synchronen Ansatz, da nur so eine strukturell-systemische Untersuchung überhaupt möglich und gerechtfertigt werden kann. System ist dabei ein weit gefasster Begriff, der im Untersuchungszusammenhang etwa den einzelnen Text Ciceros meinen, aber auch auf sein Philosophieverständnis angewendet werden kann.40 Einen weitestgehend systematischen Ansatz zu verfolgen, bedeutet automatisch, Begriffe stärker in ihrem Verhältnis zu anderen Begriffen und weniger als absolute semantische Entitäten zu betrachten. Der Strukturalismus geht dementsprechend davon aus, dass die Elemente eines Systems ihre Bedeutung erst in Beziehung zu anderen Elementen erhalten; das Augenmerk liegt demnach, so Stiegler, auf den „formalen Relationen der einzelnen Elemente innerhalb eines abgeschlossenen Systems“.41 Die Bedeutung ergibt sich, wie Kafitz herausstreicht, sodann erst aus der Untersuchung dieses Systems: „Am Ausgangspunkt jeglicher strukturalistischer Analyse steht […] die Annahme, daß die Bedeutung ein Effekt der Struktur ist.“42 Dass diese Arbeit zunächst nach dem Wie der Bedeutung fragt und sich erst in zweiter Linie an eine vorsichtige Beantwortung des Warum wagt, lässt sich mit dieser reservierten Haltung gegenüber spekulativer Sinnkonstitution durch Heranziehen textexterner Deutungsmuster erklären. Mit der Fokussierung auf das System verliert zudem der Autor eines Textes zwangsläufig an Bedeutung, generell spricht man, so Schmitz, von einer „Dezentrierung des Subjekts“43 in Folge der strukturalistischen Tätigkeit. Deshalb ist es in dieser Arbeit auch nicht notwendig zu klären, welche Rolle der Autor genau bei dem groß angelegten philosophischen Projekt spielt, wie es etwa die Frage, ob bei Ciceros Bemühungen ein im Voraus konzipierter Plan zum Tragen kommt, 39

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Dies lässt sich etwa bei der Frage nach dem Status von Ciceros Spätwerk erkennen; vgl. etwa Powell 1995b, S. 7; Bringmann 1971, S. 11; Douglas 1995, S. 197f. oder Büchner 1964a, S. 369. S. zur Frage von Konstanz und Konsistenz zentral Anm. 50 und die dortigen Verweise. Vgl. für die Frage nach System und Einheit auch Auzias 1971, S. 31–41. Stiegler 2008, S. 190f. Vgl. auch Patzig 1981, S. 114, der die „philosophische Grundthese des Strukturalismus“ als den „Satz vom prinzipiellen Übergewicht der Relation über die Beziehungsfundamente, der Struktur gegenüber ihren Elementen“ beschreibt. Gerade dieser Aspekt ist für die Methodik dieser Arbeit und ihre Anwendung auf Ciceros Texte entscheidend. Kafitz 2007, S. 57. Vgl. auch Schmitz 2006, S. 131. Bereits im russischen Formalismus ist diese Tendenz zu erkennen, wie Hendricks 1970, S. 92 feststellt: „As Propp pointed out, the same action may serve different morphological functions, i. e., a narrative element does not become unequivocal until it is integrated into the system of which it forms part.“ Die Anordnung der Wörter, ihre Relation, ist entscheidend. S. für Cicero Kapitel 2.4 und Anm. 159, zudem Kapitel 3.3 und Anm. 285 sowie darüber hinaus Kapitel 9.1. Schmitz 2006, S. 45. Vgl. auch Sullivan 1994, S. 8, der bereits bei Nietzsche erste Tendenzen zum Verlust der Bedeutung des Autors erkennt. S. auch das Folgende, zuvor Kapitel 2.2.2 und Anm. 26. S. für abschließende Überlegungen dazu Kapitel 9.3.

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Einleitung und Methodik

verlangt.44 Ebenso befreit die hier vorgestellte Herangehensweise, die von der Textstruktur und der Anordnung von Elementen ausgeht, beispielsweise von der Frage nach dem literarischen Genre von Ciceros Schriften, da die Methodik universal zu verstehen ist und sich die vom Autor gewählte übergeordnete literarische Form unabhängig von der Möglichkeit der Anordnung von Elementen darstellt. Dennoch werden bei der Erörterung ciceronischen Philosophierens interpretatorische Erklärungen angeboten, die sich mehr oder weniger direkt aus der Struktur ergeben und auch den Autor und sein Umfeld zu ihrem Recht kommen lassen;45 denn die Arbeit verfolgt, wie erwähnt,46 einen gemäßigt strukturalistischen und undogmatischen Ansatz, der keinen unüberwindbaren Graben zwischen Autor und Text zieht. Zwar soll, wenn bei der Textanalyse im Hauptteil von Cicero die Rede ist, stets die nicht mit dem Autor zu verwechselnde Erzähler- oder Sprecherfigur gemeint sein,47 eine pedantische Trennung erscheint aber nicht zielführend.48 Für die Untersuchung der ciceronischen Texte bedeuten diese Voraussetzungen, als Hypothese von einer durch synchrone Betrachtung erkennbaren Grundstruktur des ciceronischen Denkens, von einem konstanten Kern auszugehen, der, durch persönliche und politische Umstände bedingt, zu verschiedenen Zeiten jeweils anders ausgeprägt und ausgestaltet sein kann.49 Die Intensität, mit der sich 44 45

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Vgl. dazu Bringmann 1971, S. 90–110; Gawlick/Görler 1994, S. 1019–1021 sowie allgemein Häfner 1973. Vgl. auch Kafitz 2007, S. 55: „Selbstverständlich lassen sich die strukturellen Bedeutungseffekte auf die textexterne zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit beziehen, […] [f]ür den strukturalistischen Betrachter wäre dies aber allenfalls ein möglicher zweiter Schritt, ihm geht es […] primär um die Frage, auf welche Weise eine bestimmte Bedeutung durch die Struktur ermöglicht wird.“ Vgl. ebd., S. 68 sowie Culler 1975, S. 118. S. Kapitel 2.2.1. Vgl. zum Unterschied von Autor und Erzähler in der Antike de Jong 2014, S. 17–19 und zum Unterschied von Autor und Dialogfigur in der Antike Schultz 2009, S. 195f. Auf diese Weise kann auch die häufig geäußerte Kritik an einer allzu starken Systemorientierung vermieden werden, wie sie etwa Scholes 1974, S. 143f. formuliert. Vgl. auch Patzig 1981, S. 124: „In der sozialen Realität wirkt das Element auf das System zurück, so wie das System die Elemente bestimmt.“ Er fordert ebd., S. 125 eine „Strukturtheorie […], die dem dialektischen Verhältnis von System und Element, von Struktur und Individuum besser gerecht werden kann“. S. für abschließende Überlegungen dazu Kapitel 9.2 und 9.3. Die unterschiedliche Entfaltung kann man beispielsweise, wie Kretschmar 1938, S. 156, als „Spiegelbild der wechselnden Empfindungen Ciceros“ bezeichnen oder, wie Döpp 1982, S. 52, nüchtern mit einer „folgerichtige[n] Abstimmung auf die […] politischen Verhältnisse“ erklären; vgl. auch Lefèvre 2008, S. 336. Für diese Arbeit treten die möglichen Gründe für eine unterschiedliche Entfaltung der Anlagen in den Hintergrund. S. zur Annahme eines Kerns ciceronischen Philosophierens auch Kapitel 6.1, 8 und zudem Anm. 313. S. zudem generell für die Frage von Konstanz und Konsistenz auch Anm. 50.

Literaturtheoretische Grundlagen

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Cicero der Philosophie widmet und sie sein Denken bestimmen lässt, mag unterschiedlich sein, die Basis wird jedoch im Großen und Ganzen als konstant angenommen.50 Genette liefert, dem Formalisten Tomashevsky folgend, die theoretische Grundlage, wenn er bemerkt, dass der Mechanismus literarischer Entwicklung sich nicht als Folge von sich gegenseitig substituierenden Formen darstellt, sondern als kontinuierliche Variation der ästhetischen Funktion literarischer Verfahren.51 In der Kombination mehrerer methodischer Einflüsse erwächst so eine dieser Arbeit eigene Herangehensweise, die im Folgenden näher erläutert und mit den Begriffen Analyse und Synthese terminologisch fixiert werden soll. 2.3.2 Analyse: Oppositionsdenken Im Folgenden soll nun zunächst der Begriff der Analyse erarbeitet werden, der in dieser Arbeit, ausgehend von im Text beobachtbaren Dichotomien, als Prozess der Trennung und Status der Getrenntheit definiert wird. Dies hängt direkt mit der Frage zusammen, was die strukturalistische Tätigkeit, die durchaus als aktive verstanden werden kann,52 nun genau auszeichnet. Nach Roland Barthes53 umfasst sie 50

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Auch in der Forschung wird dies – wenn auch nicht aus strukturalistischer Perspektive heraus – häufig beobachtet, so etwa bei Döpp 1982, S. 52: „Zwar ist der Einfluß des jeweiligen konkreten Erlebens beträchtlich, nirgends aber wird die Entwicklung von Ciceros Gedanken aus der einmal eingeschlagenen Richtung abgedrängt.“ Vgl. auch Leonhardt 1999, S. 86: „Der Wandel betrifft jedoch mehr die Oberfläche als die Grundüberzeugung Ciceros.“ Vgl. weiterhin Büchner 1964a, S. 457–459; Büchner 1971, S. 432; Bees 2010a, S. 161; Tracy 2012, S. 85 und Müller 1965, S. 161. Natürlich hat Cicero, indem er auch selbst die Konstanz seines Denkens betont, einige Unebenheiten zu glätten versucht; vgl. dazu Steinmetz 1989, S. 4 und Meier 1980, S. 187 sowie daneben Kurczyk 2006, S. 341, Anm. 208, die im Sinne der neueren Autobiographieforschung die „auf Kohärenzstiftung bedachte Konstruktion der Identität und Einheit eines Lebens“ untersucht. S. weiterhin zur Frage der Konstanz und Konsistenz der ciceronischen Werke speziell Kapitel 3.3.2, 4.3.1, 4.5, 6.1, 6.3, 7.2.5, 8 und 9 sowie zum Kern ciceronischen Philosophierens Anm. 49 und darüber hinaus Anm. 39, 313, 743, 744, 745, 781, 1371 und 1409. Vgl. Genette 1966, S. 167: „Le mécanisme de l’évolution littéraire […] se présentait non comme une suite de formes se substituant les unes aux autres, mais comme une variation continuelle de la fonction esthétique des procédés littéraires.“ Vgl. dazu Dosse 1997a, S. 207f. und Culler 1975, S. 20. Roland Barthes gilt als einer der wichtigsten strukturalistisch wie nachstrukturalistischen Literaturtheoretiker, der auch das Gebiet der Semiotik entscheidend beeinflusste; vgl. allgemein etwa Dosse 1997a, S. 71–77. In seinen Werken analysiert er verschiedene kulturelle Phänomene und führt sie auf abstrakte Strukturen zurück; vgl. dazu u. a. Harland 1993, S. 204. Neu bei Barthes ist zudem die aktivere Rolle des Lesers, wie er sie spätestens in seinen poststrukturalistischen Schriften propagiert; s. dazu auch Kapitel 9.3 und Anm. 1486. sowie zum Poststrukturalismus Anm. 92 und 158.

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Einleitung und Methodik

zwei charakteristische Operationen, nämlich Zerlegung (des Textes) und Arrangement (der so gewonnenen Elemente).54 Kafitz fasst die Implikationen dieses Prozesses zusammen:55 Der erste Schritt des Zerlegens führt zu losen Einheiten, die aufgrund ihrer Herauslösung aus dem Zusammenhang noch keine bestimmte Bedeutung haben. […] Erst im […] Verweisungszusammenhang bekomm[en] sie konkrete Konturen.

Im zweiten Schritt sucht der Strukturalist nach Wiederkehrendem und ordnet dieses Material in verschiedener Weise an:56 Der zerlegenden Analyse mit dem Herauspräparieren dominanter, rekurrenter Zeichen folgt als zweiter Schritt das Arrangement. Es wird nach Klassifizierungs- und Relationsmöglichkeiten für die erarbeiteten Elemente gesucht.

Dies geschieht im Kontext der strukturalistischen Differenzierung von Syntagma und Paradigma, wobei paradigmatische Beziehungen als vertikale Auswahlalternativen und syntagmatische als horizontale und lineare Folgen verstanden werden.57 Nach Gallas basiert somit „die strukturale Methode auf dem Umstand, daß bei der Konstruktion von Diskursen aus dem Paradigma selektiert und zum Syntagma angeordnet wird“.58 Dabei folgt die Textanalyse nach Claude 54

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Vgl. Barthes 1964, S. 215f. Die französischen Begriffe sind „découpage et agencement“. Culler 1975, S. 21 spricht von Segmentation und Klassifikation, Doležel 1999, S. 177 von Deformation und Organisation. Die kleinste textuelle Einheit nennt Barthes dabei Lexie. Vgl. dazu Culler 1975, S. 202: Unter Lexie verstehe Barthes „[a] minimal unit of reading, a stretch of text which is isolated as having a specific effect or function different from that of neighbouring stretches of text“. Vgl. zudem Scholes 1974, S. 152. S. abschließend dazu Kapitel 9.4. Kafitz 2007, S. 56. Culler 1975, S. 13 erläutert am Beispiel der Linguistik: „[S]tructural analysis does assume that it will be possible to break down larger units into their constituents until one eventually reaches a level of minimal functional distinctions.“ Kafitz 2007, S. 58. Vgl. auch Gallas 1972, S. XVII: „[D]er Diskurs […] wird in Themenbündel aufgegliedert, so lange, bis man zu Gemeinsamkeiten und vergleichbaren logischen Beziehungen zwischen den Bündeln kommt. Lévi-Strauss nennt dieses Verfahren auch ‚Filtern‘ oder ‚Sieben‘.“ Vgl. zudem Paukstadt 1980, S. 163–170. Vgl. etwa Genette 1966, S. 154; Culler 1975, S. 13 und Lotman 1973, S. 128–148. Vgl. zum durch Jakobson konstatierten Zusammenhang mit Metapher und Metonymie z. B. Britton 1995, S. 200; Scholes 1974, S. 19–22 und Pucci 1971, S. 106. Vgl. Gallas 1972, S. XX. Nach der terminologischen Verwendung der Begriffe durch Lévi-Strauss – s. zu ihm Anm. 59 – sind horizontales, syntagmatisches und vertikales, paradigmatisches Lesen dabei komplementär zu verstehen, wie Prince 1995, S. 97 feststellt: „[V]ertical reading is a matter of seeing similarities or affinities between narrative elements, which may be widely separated on the syntagmatic axis, and grouping them together […] [and horizontal reading is] more concerned with the techniques themselves, the compositional principles.“ Lévi-Strauss selbst arbeitet jedoch,

Literaturtheoretische Grundlagen

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Lévi-Strauss59 nicht unbedingt dem Textverlauf, sondern gruppiert die Elemente unabhängig von der eigentlichen Sequenz nach anderen Maßstäben.60 Welche dies sind, soll nun anhand strukturalistischer Theorie erläutert werden, bevor ihre Anwendbarkeit auf Cicero geprüft wird. Binarität in Strukturalismus und anderen Literaturtheorien Eine im Strukturalismus bevorzugte heuristische Kategorie bei der Anordnung der Elemente ist die der Opposition.61 Dabei ist davon auszugehen, dass es sich nicht nur um ein gutes und praktikables Analyseverfahren handelt, sondern um ein grundsätzliches menschliches Ordnungsprinzip, welches nach Prinzipien der Binarität organisiert ist.62 Zumindest aber kann die antithetische Erfahrung in allen Lebenslagen als eine genuin soziale beschrieben werden, wie auch Bernett herausstellt: „Antithetisch strukturierte soziologisch-politische Terminologien, egal ob moralischen, politisch-rechtlichen, intellektuell-kulturellen oder sonstigen Inhalts,

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so Prince 1995, S. 115, eher paradigmatisch, „isolating fundamental semantic elements that may be widely separated on the syntactic chain and grouping them into paradigms or classes on the basis of their similarities and differences“. In der Auseinandersetzung mit verschiedenen vorhergehenden, unter anderem auch Propps, Arbeiten – vgl. hierzu Dosse 1997a, S. 321f.; Paukstadt 1980, S. 223 sowie Prince 1995, S. 111 und 114 und s. Anm. 31 – und maßgeblich inspiriert durch die Zusammenarbeit mit Roman Jakobson aus dem Prager Linguistenkreis – vgl. hierzu Dosse 1997a, S. 21–24; Attridge 1995, S. 73 und Culler 1975, S. 55 und s. Anm. 31 – übertrug Lévi-Strauss strukturalistische Ideen auf gänzlich neue Bereiche wie etwa die Anthropologie und Ethnologie; vgl. dazu Dosse 1997a, S. 16 und zur Übertragbarkeit auf die Literatur Paukstadt 1980, S. 220–222. Vgl. dazu auch Paukstadt 1980, S. 216, der Lévi-Strauss in seiner Strukturanalyse „die Auflösung der Textsequenz“ fordern sieht; vgl. auch ebd., S. 209. Vgl. Schmitz 2006, S. 43: „Die Strukturalisten haben sich […] meist auf sogenannte binäre Oppositionen konzentriert.“ Vgl. auch Fowler/Fowler 1996, S. 873; Kafitz 2007, S. 58; Gallas 1972, S. XVII; Culler 1975, S. 14–16 und 225f. sowie Koselleck 2010, S. 34f. Besonders Lévi-Strauss ist für seine Arbeit mit binären Gegensätzen bekannt; vgl. dazu etwa Seung 1982b, S. 7f. und zur Kritik an seinem Ansatz ebd., S. 8–17 sowie Rubino 1977, S. 70. Vgl. etwa Dick 2009, S. 282. Culler 1975, S. 15 erklärt den Unterschied letztlich für unbedeutend: „[W]hether it is a principle of language itself or only an optimal analytical device makes little difference. Its methodological primacy would alone indicate its place as a fundamental operation of human thought and thus of human semiotic systems.“ S. für weitere Verweise auch Anm. 35 sowie ausführlicher Kapitel 8 und 9.

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Einleitung und Methodik

sind […] ein zeitloses Phänomen in politischen Gesellschaften.“63 Das System, in das diese Oppositionsanordnungen eingebettet sind, definiert sich also über die Beziehung seiner Teile, reicht als Ganzes aber über die Summe der Teile hinaus und verweist auf zugrundeliegende soziale Kategorien.64 Dies wurde prominent und einflussreich durch Lévi-Strauss und seine anthropologischen wie kulturphilosophischen Arbeiten vorangetrieben.65 Durch vom Datenmaterial, hier also 63

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Bernett 1995, S. 43f., Anm. 77. Vgl. auch Rosenmeyer 1988, S. 31: „Selected units or properties of the text are […] arranged in antithetical columns, to suggest that the text mirrors or anticipates the dualities of social experience.“ Auch Koselleck 2010, S. 34f. sieht bestimmte Oppositionen als konstituierend für die Geschichte der Menschheit an und versteht sie ebd., S. 35 als „metahistorische Vorgaben“. Vgl. Guillén 1971a, S. 378, der System als „a certain type of mental order, characterized by the functional importance of the relationships obtaining between its various parts“ versteht. Dabei gilt, so ebd.: „A system is more than a combination or a sum of its components. It implies a certain dependence of the parts on the whole, and a substantial impact of the basic interrelationships. Our principal models, then, are linguistic and social.“ Vgl. auch Culler 1975, S. 28: „The need to postulate distinctions and rules operating at an unconscious level in order to explain facts about social and cultural objects has been one of the major axioms that structuralists have derived from linguistics.“ Dass hierbei das Ganze mehr als die Summe der Teile darstellt und ebenso Vorrang vor den Teilen hat, ist eine strukturalistische Konstante, die schon bei Propp zu beobachten ist: Bei ihm werde, so Gülich/Raible 1977, S. 201f., die Erzählung „als ein Ganzes mit einer geordneten Menge von Teilen verstanden“; die „Handlungseinheiten haben […] ihre Funktion im Hinblick auf das Ganze“; vgl. etwas abweichend Steiner 1995, S. 19f. Vgl. generell für das Verhältnis von Ganzem und Teilen Harte 2002, S. 8– 12 und für den Strukturbegriff im Zusammenhang ebd., S. 158–167. Vgl. für den New Criticism Seung 1982a, S. 6 und für Schleiermachers Hermeneutik Harland 1999, S. 73. Interessante mereologische Aussagen über Strukturen sind schon bei Platon zu finden, wie Harte 2002, S. 268f. herausarbeitet: „In Plato’s conception of wholes, structure is no less essential to the parts of such a whole than to the whole itself. The parts of such a whole are structure‐laden; that is, the identity of the parts is determined only in the context of the whole they compose.“ Vgl. ebd., S. 275: „Perhaps the most striking feature of Plato’s model of composition is the view that the parts of a whole are structure‐laden; that is, the parts of a whole get their identity only in the context of the structure of which they are part.“ Komposita sind demnach, so ebd., S. 281, „contentful structures whose parts exist and may be identified only in the context of (some) whole of which they are (or could be) part“. Vgl. für mereologische Aussagen bei Aristoteles etwa Schiwy 1971, S. 142; Tuozzo 1996, S. 146; Smith/ Mulligan 1982, S. 15–20 und Koslicki 2008, S. 163. Vgl. grundlegend dazu Lévi-Strauss 1964, S. 346f.: „[O]n s’inclinera devant le fait que la matière est l’instrument, non l’objet de la signification. Pour qu’elle se prête à ce rôle, il faut d’abord l’appauvrir: ne retenant d’elle qu’un petit nombre d’éléments propres à exprimer des contrastes, et à former des paires d’oppositions.“ Vgl. hierzu Culler 1975, S. 52: „This is fundamentally an hypothesis about the structuring process of reading which, in order to make the text signify, organizes its elements into oppositional series which can then be correlated with other oppositions.“ Vgl. für diese Redu-

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vom Text ausgehende Abstraktionsleistungen lassen sich so Modelle gewinnen, die soziale Strukturen der Welt und konkret ihre binäre Strukturiertheit erklären können.66 Dabei ist, wie erwähnt, bei strukturalistischen Denkern die Tendenz festzustellen, die so allem zugrundeliegende binär organisierte Strukturiertheit als Ausdruck eines allgemeinen und universalen, gar unterbewusst wirkenden67 und schon immer vorhandenen Organisationsprinzips der menschlichen Psyche aufzufassen.68 Nicht zufällig zeigte sich die Psychoanalyse, zumal in der Person

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zierung des Textes auf wenige grundlegende Prinzipien auch Harland 1993, S. 198. Als Beispiel für Lévi-Strauss’ Methode, die letztlich auf den Nachweis universaler Strukturen zielt, können neben seinen ethnologischen Untersuchungen seine Mythenanalysen gelten, wobei insbesondere seine Interpretation des Ödipus-Mythos anhand von Dichotomien bekannt geworden ist. Burridge 1967, S. 98 fasst dessen Überlegungen zusammen: „The whole of culture may be regarded as a communications system. Myth is but a particular form of communication. […] Just as one may use the dialectic to analyse culture as a whole, so with myth. To find out what a myth is communicating, the elements must be broken down into pairs of contraries and their resolutions. This breakdown is the structure.“ Vgl. zudem generell Dosse 1997a, S. 250–263; Dick 2009, S. 253–266 sowie Seung 1982b, S. 43–61 und speziell zur Ödipus-Analyse etwa Pucci 1971, S. 104f. oder Paukstadt 1980, S. 208f. und 214f. sowie zur Kritik daran Paukstadt 1980, S. 212–215; Culler 1975, S. 42f. sowie Prince 1995, S. 115f. und 127. Nach Long 2006, S. 223–228 und 235 haben auch manche Stoiker, darunter Lucius Cornutus, bereits mythologisch geprägte Texte, darunter Homer, als Quelle für grundlegende, kosmologisch begründete Denkstrukturen genutzt; Long streicht ebd., S. 236 aber auch Unterschiede in der Textauffassung heraus: Der Text werde nicht im modernen Sinne als Code betrachtet und so gelte für die stoische Hermeneutik: „Their hermeneutic is fundamentally historicist. That is why it depends on etymology, the search for original meanings.“ S. für stoische Grundlagen des hier untersuchten Denkens auch Kapitel 8. Vgl. auch Mcguire 1990, S. 194: „Structuralism is committed to the principle that beneath every social structure is a deeper structure that caused it to be exactly as it is.“ So nimmt insbesondere Lévi-Strauss eine unbewusste Aktivität des menschlichen Geistes beim Hervorbringen logischer Strukturen an, wie etwa Clark 2004, S. 48 herausstellt. Vgl. auch Paukstadt 1980, S. 172: „Lévi-Strauss deutet gefundene strukturelle Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Gegenständen als das Walten des unbewußten Geistes.“ Das Unbewusste ist für ihn, so Schiwy 1971, S. 49, „verantwortlich für das symbolhafte Denken“; vgl. auch ebd., S. 50 und 144–148. Auch Lévi-Strauss’ sogenanntes wildes Denken – s. dazu auch Kapitel 9.1 und Anm. 1504 – basiert auf einer „unbewußten Logik des menschlichen Geistes“, wie Schiwy ebd., S. 50 bemerkt. S. zudem das Folgende und zum Universalismus als Grundlage zuvor, auch für weitere Verweise, Anm. 35 und ausführlicher Kapitel 8 und 9. Vgl. für Kritik an dieser Tendenz, die oft als realitätsfern bezeichnet wird, Eagleton 1983, S. 109; Paukstadt 1980, S. 172f. und Rosenmeyer 1988, S. 32f. sowie Pucci 1971, S. 107–111. Es ist deshalb geboten, immer auch vom Text auszugehen und gewonnene Ergebnisse anhand des Textes abzusichern; s. auch Anm. 27.

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Einleitung und Methodik

Jacques Lacans,69 offen für strukturalistische Einflüsse.70 Lévi-Strauss glaubte, diese tiefenpsychologischen Strukturen in Form von universellen mentalen Operationen, etwa die Anordnung in binären Oppositionen, besonders gut an erzählten Mythen verschiedener Gesellschaften aufzeigen zu können, wobei der menschliche Geist als unbewusst strukturierende Instanz aufgefasst wird.71 Gülich und Raible fassen den so hergestellten Konnex von Strukturanalyse, Text und universaler Geltung zusammen, wie er sich in Nachfolge Propps bei Lévi-Strauss und auch Claude Brémont entwickelt hat:72 69

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Jacques Lacan bezieht sich in seinen Werken neben Freud und Hegel explizit auf strukturalistische Ideen und überträgt diese auf den Bereich der Psychoanalyse; vgl. dazu etwa Dosse 1997a, S. 91–98 und Attridge 1995, S. 80f. Vgl. allgemein zum Zusammenhang von Strukturalismus und Psychoanalyse im Hinblick auf das Unterbewusste Everhartz/Mones 1990, S. 38–51 sowie Dosse 1997a, S. 99–118. In diesem Rahmen kann es als Innovation Lacans gelten, dass er die menschliche Psyche als ein von sprachlichen Strukturen beeinflusstes System bestimmt; vgl. dazu etwa Britton 1995, S. 198. Ebd., S. 202 erläutert dieser Lacans Konzept einer symbolischen Ordnung: „The term ‚Symbolic order‘ is […] used […] to define, in LéviStraussian fashion, the pre-existing transindividual matrix of signification on which man is fundamentally dependent.“ Auch andere psychologische Strömungen lassen Verbindungen zum Strukturalismus erkennen; vgl. etwa für die Gestaltpsychologie Schiwy 1971, S. 140–142 und Stempel 1978, S. 23–31. Vgl. Culler 1975, S. 40: „[T]he mind is a structuring mechanism which imposes form on whatever material it finds to hand.“ Vgl. auch ebd., S. 41 und zudem Eagleton 1983, S. 104: „[R]elations […] [are] inherent in the human mind itself, so that in studying a body of myth we are looking less at its narrative contents than at the universal mental operations which structure it. These mental operations, such as the making of binary oppositions, are in a way what myths are about: they are devices to think with, ways of classifying and organizing reality.“ So versteht sich die strukturalistische Methode als universell anwendbar, wie auch Seung 1982b, S. 157 bemerkt: „[T]he scope of its validity is transhistorical and transcultural.“ Vgl. darüber hinaus Dick 2009, S. 277 und Dosse 1997a, S. 236 sowie Menninghaus 1987, S. 15. Lévi-Strauss begründet sein Vorgehen nach Seung 1928, S. 7f. sowohl linguistisch, insofern die Struktur der Sprache den Geist bestimmt, als auch psychologisch, insofern die Struktur des menschlichen Geistes die Sprache bestimmt. S. für weitere Verweise Anm 35 und ausführlicher dazu Kapitel 8 und 9. Barthes’ Ansatz unterscheidet sich durch seinen reduzierten Universalanspruch etwas von den anderen hier erwähnten Strukturalisten, wie Attridge 1995, S. 80 herausarbeitet: „Unlike Lévi-Strauss (and Jakobson in his phonological theory), he does not take the goal of this activity to be the discovery of unconscious universal laws and categories governing all human behaviour.“ Ob Barthes’ Konzeption deshalb, wie Attridge ebd. behauptet, wirklich besser für die Untersuchung literarischer Texte geeignet ist, bleibt fraglich. Gülich/Raible 1977, S. 203. Zu diesem hier offenkundig gewordenen Zusammenhang mit dem Gebiet der Narratologie schreibt Prince 1995, S. 110: „Narratology exemplifies the structuralist tendency to consider texts […] as rule-governed ways in which human beings (re)fashion their universe. It also exemplifies the structuralist

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Die Erzählung wird im Sinne Propps in elementare Bestandteile, in Handlungseinheiten […] zerlegt […]. Das Ergebnis einer Analyse […] ist eine Erzählstruktur, die ebenso wie bei Propp und bei den meisten anderen Vertretern des strukturalen Ansatzes als Struktur des Handlungssubstrats, also als eine zugrundeliegende Struktur, aufgefaßt wird, die von der Struktur des eigentlichen Erzähltexts unabhängig ist […]. Von dieser Auffassung her wird der ebenfalls für den strukturalen Ansatz charakteristische Anspruch auf universale Geltung des Modells begründet, das nicht nur auf sprachliche, sondern auch auf nichtsprachliche Erzählungen und darüber hinaus auf menschliches Verhalten allgemein anwendbar sein soll.

Die so destillierte Grundstruktur ist dabei, wie bereits gezeigt wurde und zudem in den Arbeiten von Juri Lotman bestätigt wird, von Dichotomien geprägt.73 Der hier gebrauchte Oppositionsbegriff ist dabei zwangsläufig ein sehr abstrakter und genereller, der über die Differenzierung verschiedener Einteilungsprinzipien und Möglichkeiten, Gegensätze zu beschreiben,74 hinwegsieht. Zwei Elemente werden in dieser Arbeit dann als Dichotomie aufgefasst, wenn sie Eigenschaften besitzen, die oppositionell verstanden werden können.75 Entscheidend ist, dass sich die Elemente durch einen Vorgang der Analyse überhaupt erst als Gegensatz konstituieren,76 womit – entgegen der klassisch strukturalistischen

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ambition to isolate the necessary and the optional components of textual types and to describe the modes of their articulation.“ Vgl. generell zur Erzähltheorie Fludernik 2013 und de Jong 2014. Diese Arbeit versteht sich nicht in erster Linie als eine narratologisch arbeitende, geht es ihr schließlich nicht um die Art und Weise des ciceronischen Erzählens, sondern um die diesem zugrundeliegende Gedankenwelt. Nimmt man jedoch, wie Greimas – vgl. dazu etwa Lavers 1995, S. 159 –, einen sehr breiten Narrationsbegriff an, so lassen sich einige der in den philosophischen Abhandlungen greifbaren Strukturen durchaus als narrative begreifen, auch wenn die Strukturierung der Gedanken nicht immer mit der fortlaufenden Textstruktur übereinstimmen mag. Vgl. Lotman 1973, S. 327–347, der in erster Linie auf räumlich gedachte Oppositionen abhebt; vgl. dazu auch Martinez/Scheffel 2002, S. 140f. und Eagleton 1983, S. 101f. Shukman 1978, S. 195 erläutert den Zusammenhang zwischen kultureller Grundstruktur und Oppositionen: Nach Lotman seien „wholes defined as structures […] [and] structures defined by oppositional relationships of the elements“. Prinzipiell gelte, so ebd., S. 196: „The oppositional relationship […] is the determinant of any structure.“ Vgl. auch ebd., S. 200–206. Vgl. dazu Lloyd 1966, S. 86–171. Vgl. grundlegend Lloyd 1966, S. 88: „[W]e also use the term ‚opposite‘ more generally, to describe the relationship between any pair of terms between which we apprehend or imagine a contrast or antithesis […][;] two substances may be considered opposites in virtue of possessing opposite properties.“ Die Gesamtbedeutung entsteht überhaupt erst durch die Gegensatzsetzung. Für LéviStrauss’ Mythenanalyse gilt Ähnliches: Dick 2009, S. 251 erläutert dessen auf binären Gegensatzpaaren gründende Methodik: „Ein einziges Mythem hat als solches keine Bedeutung, vielmehr einen Informationswert nur, wenn es innerhalb eines Mythos mit anderen Mythemen in ein korrelativ-oppositives Verhältnis tritt. […] Einen spezifi-

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Theorie – der Prozesscharakter der Strukturierung stärker in den Fokus rückt. Man kann festhalten: Der Status der Dichotomie geht aus einer Deformation, einer Spaltung des ehemaligen Ganzen in einander entgegengeordnete und so aufeinander bezogene Einzelteile hervor und wird in dieser Arbeit als analytisch beschrieben. Ein Denken in Relationen ist dabei in der Geschichte immer wieder zu erkennen77 und bereits in der Antike augenfällig.78 Dies gilt nicht nur für die oft beobachteten protostrukturalistischen, semiotischen79 Überlegungen bei Aristote-

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schen Sinn erhält ein Mythem in dem Augenblick, wo es auf andere […] Mytheme trifft, woraufhin sie sich, innerhalb des Oppositions-Verhältnisses, gegenseitig ergänzen und erhellen.“ Vgl. besonders überzeugend Patzig 1981. Ebd., S. 102 stellt er einleitend fest: „Es wird sich zeigen, daß analoge Auffassungen immer wieder auftauchen, wenn Philosophen und Wissenschaftler sich über die Natur der Beziehungen (Relationen) klar werden wollen und über den ontologischen Status solcher Relationen, Relationsgefüge und der Individuen nachdenken, die in solche Beziehungen eintreten.“ Vgl. Kennedy 1989, S. 498: „Many of the kinds of thinking and the questions about the nature of literature – never mind the terminology and the details, which are specific to the culture and language – of twentieth-century criticism are already to be found in the classical world. A thoughtful exploration of these diverse attitudes toward language, literature, and interpretation, and some resulting utilization of them in practical criticism, can hardly be unhistorical.“ Seung 1982b, S. 5f. erkennt ganz grundsätzlich die Bedeutung der Strukturanalyse seit Pythagoras und somit eine gewisse Zeitlosigkeit formalistischer Schulen. Dennoch gilt die Beobachtung relationalen Denkens in der Antike in erster Linie für einige Vorsokratiker, während Platons Schule und vor allem die aristotelische Tradition Dinge an sich bestimmt haben, wie Patzig 1981, S. 112 herausstellt: „Jedoch hat sich die klassische griechische Philosophie, besonders bei Platon und Aristoteles, in freilich unterschiedlicher Weise wieder auf die für unser Weltverständnis fundamentale Rolle individuell bestimmter Dinge besonnen. Aristoteles führte […] zwar die Unterscheidung von Materie und Form ein; aber die Form war für ihn die Art und Weise, in der die Bestandteile eines konkreten Dings zu der bestimmten Funktion gegliedert werden, die es zu dem macht, was es ist, nicht ein Beziehungsgefüge, in das die Gegenstände eingebettet sind. Die Beziehungen, in denen diese konkreten Dinge untereinander stehen, waren für Aristoteles vielmehr etwas ontologisch Sekundäres.“ S. jedoch etwa für Binarität in Platons Σοφιστής Harland 1987, S. 85. S. für weitere Gedanken zu antiken Ursprüngen moderner Literaturtheorie neben dem Folgenden etwa Anm. 64, 80, 81, 83, 84, 107 oder 113 sowie abschließend Kapitel 9. Linguistik, Semiotik und Strukturalismus stehen sich prinzipiell nahe; vgl. dazu Segre 1973, S. 26–77; Bann 1995, S. 91f.; Dosse 1997a, S. 210–222 und Eagleton 1983, S. 100 sowie Mersch 2001, S. 328–330. Neben der strukturalistischen Linie gilt es jedoch mit Peirces Überlegungen noch einen weiteren wichtigen Einfluss zu berücksichtigen; vgl. dazu Bann 1995, S. 90–94 und Paukstadt 1980, S. 143–147. Insgesamt einen guten Überblick, der antike Modelle miteinbezieht, bietet Manetti 1996. Vgl. zudem generell Mersch 2001.

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les, den Stoikern und Augustinus.80 Denn gerade binäres Denken ist für griechische und lateinische Philosophen grundsätzlich prägend. Besonders in einigen vorsokratischen Lehrgebäuden sind Theorien strukturierter Gegensätze zu finden,81 wobei Heraklit eine herausgehobene Position zukommt.82 Zudem lässt sich mit der antiken Rhetoriktheorie und ihrer Aufteilung der Sprache in verschiedene Einheiten eine interessante Parallele zur strukturalistischen Methode der Fragmentarisierung und Polarisierung anführen;83 schließlich ist es kein Zufall, dass gerade 80

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Vgl. Kennedy 1989, S. 493: „There is an extensive body of writing in Greek and Latin on the meaning, and interpretation of signs and ongoing debate whether signs are natural and motivated or conventional and arbitrary.“ Vgl. generell auch Jürß 1993 und speziell für Platon und Aristoteles Mersch 2001, S. 331f. Tatsächlich geht die saussuresche Unterscheidung von Signifikant und Signifikat selbst wohl auf antike Begriffsklärungen zurück – nach Patzig 1981, S. 107 auf die aristotelische Differenzierung von Substanz und Form und nach Attridge 1995, S. 61, Anm. 7; Doležel 1999, S. 128; Ryan 1982, S. 203–206 und Nörr 1972, S. 32 zudem auf die stoische Abgrenzung von σημαῖνον und σημαινόμενον und die darauf aufbauenden Termini signans und signatum. Vgl. zur Bedeutung der Stoa für die Geschichte der Semiotik Graeser 1978; Sullivan 1994, S. 15; Kristeva 1973, S. 26–28 und Kennedy 1989, S. XII. S. zudem für die im Titel dieser Arbeit angedeutete teilweise Nähe von strukturalistischen und stoischen Gedanken Kapitel 9. Vgl. für die Bedeutung der augustinischen Schriften De doctrina Christiana und De magistro Bann 1995, S. 89; Manetti 1996, S. 24 und Bettetini 1996. Dies wurde in der Forschung häufig beobachtet; vgl. etwa Seung 1982b, S. 22–27; Patzig 1981, S. 112 und besonders Lloyd 1966, der ebd., S. 7 und 15–17 die auffällige Häufigkeit von Oppositionspaaren im frühen griechischen Denken konstatiert sowie ebd., S. 18 festhält: „[M]ost major philosophers from Anaximander down to, and perhaps including, the Atomists may be said to have referred to opposites in one context or another in their general cosmological doctrines or in their explanations of particular natural phenomena.“ Ganz strukturalistischer Theorie ähnlich bestimmen dabei etwa die Atomisten Gegensätze als Ergebnisse von Arrangements, wie Lloyd ebd. beobachtet: „[T]he atoms differ from each other in shape, arrangement or position alone …: such opposites as sweet and bitter are not ‚real‘, but exist ‚by convention‘ νόμῳ only.“ Vgl. zur Einordnung auch ebd., S. 30–41. Vgl. für Beobachtungen zur Binarität in der eleatischen Philosophie wie etwa die Bestimmung des Gegensatzes von Einem und Vielen ebd., S. 103–111 und für Überlegungen zur sophistischen Periode ebd., S. 111–127. Vgl. zudem Cartledge 1993, S. 8–16 sowie Richter 2011, S. 91 und ebd., Anm. 15 und s. zudem Anm. 11. Seung 1982b, S. 27 beschreibt ein „hierarchical ordering of binary oppositions“ als nachsokratische, platonische Neuerung; vgl. für die nachsokratische Phase auch Lloyd 1966, S. 148–171. Vgl. speziell Patzig 1981, S. 112. S. dazu ausführlicher Kapitel 2.3.3. Dies hat Dugan 2007, S. 14 überzeugend herausgearbeitet: „Structuralism was the ambitious project to dissect culture into its constitutive linguistic units, anatomizing it into the polarities (culture and nature, cooked and raw, male and female) through which people make their world intelligible. Structuralism’s taxonomical analyses of culture reprise how ancient rhetorical theory carves up language into its various units. This genealogical resemblance between rhetoric and the structural analysis of culture set the

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Einleitung und Methodik

einige Strukturalisten wie etwa Roland Barthes die antike Rhetorik als prominente Vorläuferin für Klassifikationsleistungen bezeichnen.84 Dichotomien bei Cicero In diesem Zusammenhang ist eine solche Untersuchung der Schriften Ciceros durchaus gerechtfertigt, zumal wenn die Struktur seines philosophischen Denkens genauer beleuchtet werden soll. In der Forschung wurde dieses ciceronische Philosophieren häufig und sehr unterschiedlich klassifiziert; je nach untersuchten Merkmalen und angenommener Absicht wird seine Funktion anders bestimmt: Philosophie ist Medizin, Politik mit anderen Mitteln, Erziehungsprogramm, Ersatzbeschäftigung, literarische Gattung, Erkenntnisstreben, skeptische Kritik, Bildungsgut, Rhetoriktraining oder Quelle für historische Beispiele.85 Nie ist eine dieser Bestimmungen alleine, aus dem Kontext gelöst, ausschlaggebend und so besteht die Gefahr einer bloßen indifferenten Auflistung materieller Aspekte des ciceronischen Philosophierens.86 Die Untersuchung darf aber bei der Klassifizierung der Elemente nicht stehen bleiben, sondern muss anhand bestimmter Ordnungskriterien Strukturen offenlegen, wofür die oben beschriebenen strukturalistischen Annahmen von der Binarität des Denkens Anhaltspunkt sind. Konkrete Anwendung findet die so strukturalistisch inspirierte Methodik bei der Betrachtung ciceronischer Denkmuster im Hauptteil dieser Arbeit: Liest man Ciceros Texte unabhängig von ihrem Entstehungsprozess im Licht der etablierten Oppositionsfolie, so fällt auf, dass sich oft ein Netz von vergleichsweise wenigen thematischen Einheiten durch sie ziehen und dass sich viele dieser Einheiten in

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stage for the study of rhetoric as an anatomy of ancient language and the culture of which that language is an expression.“ Vgl. auch Everhartz/Mones 1990, S. 51 und Genette 1966, S. 166. Vgl. für den Zusammenhang von Literaturtheorie und Rhetorik in der Antike selbst Classen 1995, S. 513–535 und Classen 1995 sowie Harland 1999, S. 3–6. Vgl. Barthes 1984, S. 16: „[L]e structuralisme littéraire a un ancêtre prestigieux […]: la Rhétorique, effort imposant de toute une culture pour analyser et classer les formes de la parole, rendre intelligible le monde du langage.“ Vgl. dazu Culler 1975, S. 179. Dahingehend einschränkend äußert sich, bezogen auf die Strukturalisten, Lavers 1995, S. 154. Vgl. beispielsweise Wood 1991, S. 58f.; Clark/Rajak 2002, S. I; Ardley 1969, S. 31; Gawlick/Görler 1994, S. 1119f. und Steinmetz 1989, S. 1f. Clarke 1956, S. 57–65 weist ganz zu Recht auf die Schwierigkeit hin, Ciceros Philosophieren endgültig zu definieren, und ordnet Ciceros Einstellungen nach bestimmten Kriterien; vgl. auch Steinmetz 1989, S. 18, der eine Einteilung nach bestimmten Rollen Ciceros vornimmt. S. zuvor Kapitel 2.2.2. Nach Koch 2006, S. 80 macht Cicero deutlich, „dass man den Begriff der Philosophie nicht auf eine bloße Disziplin einschränken darf. Man muss ihn auf ein Bewusstsein erweitern.“ Vgl. Schmidt 1978/79, S. 126.

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Gegensatzpaaren anordnen und sich somit analytisch beschreiben lassen.87 Diese Dichotomien, die teilweise explizit genannt werden, mit denen Cicero also selbst arbeitet, und die sich zum anderen Teil abstrahieren lassen, werden häufig thematisiert oder sind zumindest unter der Oberfläche präsent.88 Dass oftmals der spezifische Kontext verschieden ist und sich Nuancen bei der Verwendung der Begrifflichkeiten unterscheiden lassen, ändert nichts an der auffallend hohen Konsistenz dieser Oppositionen, die, wie sich zeigen wird, auch inhaltlich bedeutende Kategorien des ciceronischen Denkens darstellen, womit sie als zentrale Ordnungskategorien seines Philosophierens aufgefasst werden.89 Ausgangsbasis ist also eine im Grunde empirische Sammlung von bedeutenden dichotomen Basiselementen bei Cicero.90 In Abmilderung der radikalen strukturalistischen Beschränkung auf den Text wird hierbei allerdings die Möglichkeit miteinbezogen, dass bestimmte Anordnungen kompositorisch intendiert sein können,91 wobei sich fragen lässt, ob diese Problematik überhaupt von Relevanz ist, weisen die arrangierten Elemente doch unabhängig vom Willen eines Autors auf im Text zu 87

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Vereinzelt wurde dies in der Forschung bereits erkannt und angewandt. Zunächst führt etwa Leonhardt 1999, S. 10 ganz allgemein an, dass bei Cicero „tatsächlich gewisse Denkmuster […], die als immer wiederkehrende Grundstruktur hinter vielen einzelnen Äußerungen stehen“, zu finden sind. Auch dass viele dieser Elemente als Teil eines Oppositionspaares auftreten, wurde bemerkt: So identifiziert etwa Leeman 1975, S. 142f. einige relevante Gegensatzpaare (wie etwa Theorie–Praxis und Griechen– Römer) für das Proömium von De oratore und stellt dazu ebd., S. 143 fest: „The criterion for the presence of these themes is found in their recurrence, which identifies them as such.“ Ebenso nennt Müller 1965, S. 161f. einige grundsätzliche Begriffspaare der ciceronischen Schriften, so etwa Rhetorik–Philosophie oder virtus–ars. Ruch 1969, S. 328 bezeichnet die prinzipielle Oppositionsstrukturiertheit als „processus essentiellement binomique de la pensée“. Fox 2007a, S. 55 spricht von einer ciceronischen Ambivalenz und bezieht sich dabei etwa auf das Spannungsverhältnis von Philosophie und Rhetorik. Vgl. generell zu einem Spannungsverhältnis der Gegensätze bei Cicero auch Görler 1974, S. 15; beispielhaft seien seine Überlegungen zu Gemüt und Vernunft ebd., S. 117f., 131 und 206 angeführt. Aus historischer Perspektive stellt zudem Bernett 1995, S. 91 fest: „Die Denkfigur des antithetischen Dualismus findet sich in Ciceros Erklärungen für das politische Geschehen immer wieder.“ Die Wortwahl von Baraz 2012, S. 126, die für Ciceros Proömien von „contradictory views“ spricht, trifft den Kern nicht wirklich. Durch die genaue Textarbeit wird auch der Vorwurf entkräftet, dass die Auswahl und Anordnung der Textelemente in dieser Arbeit willkürlich erfolgt; vgl. etwa Culler 1975, S. 87. Auch strukturalistische Strömungen wie etwa die Prager Schule gehen meist sowohl von Einzelbeobachtungen als auch von abstrakten universellen Kategorien aus; vgl. dazu Doležel 1995, S. 38 und zudem Scholes 1974, S. 102. Viele dieser Basiselemente wurden bereits in der Forschungsliteratur diskutiert – s. zuvor Anm. 87 und zudem das Ende des folgenden Kapitels 2.3.3 –, im Kontext dieser Arbeit sollen sie allerdings in einen größeren Kontext eingebettet werden. Mančal 1982, S. 70 immerhin spricht von „Ciceros Bewußtsein des Gegensatzes“.

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Einleitung und Methodik

erkennende Denkmuster hin. Die Methodik der Arbeit reicht zudem über eine simple Klassifizierung von Dichotomien und Konstatierung eines analytischen Zustands in den Schriften Ciceros hinaus. Im Folgenden soll nun ausführlicher gezeigt werden, wie eine synthetische Betrachtungsweise die bisherigen methodischen Setzungen ergänzen kann. 2.3.3 Analyse und Synthese: Vom Oppositions- zum Einheitsdenken Bislang stand mit der im Strukturalismus vorherrschenden Betrachtung binärer Oppositionsformationen ein dualistisches Analysekonzept im Vordergrund, dessen methodische Ausgestaltung zwangsläufig statisch zu nennen ist und somit einer textlichen Entwicklung, wie sie auch in Ciceros Werken zu beobachten ist, nicht vollumfänglich gerecht werden kann.92 Geht man hingegen von einer ansatzweise triadischen93 Strukturierung der Texte aus, kann man einer Progression auch im Hinblick auf die Gegensatzpaare deutlich besser Rechnung tragen.94 In diesem Zusammenhang soll der Begriff der Synthese als Prozess und Status der Einheit definiert werden und sein Zusammenspiel mit dem Gegenbegriff der Analyse untersucht werden. Anschließend wird auch hierbei wieder die Anwendbarkeit auf Ciceros Texte geprüft.

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Vgl. auch Culler 1975, S. 15, der die Gefahr rein binär vorgehender Untersuchungen beschreibt. Vgl. zudem Harland 1993, S. 195–209. Ebd., S. 206 fasst er zusammen: „The fact that we can polarize abstractions in binary patterns proves nothing about the world, but follows merely from the nature of abstractions. And the fact that we can produce abstractions from concrete particulars proves nothing about the world, but follows merely from the nature of language.“ Gerade im Poststrukturalismus wurde die Kritik am strukturalistischen Fokus auf binären Oppositionen laut. So beschreibt Eagleton 1983, S. 133 die Abgrenzung beider Strömungen: „Structuralism was generally satisfied if it could carve up a text into binary oppositions […] and expose the logic of their working. Deconstruction tries to show how such oppositions […] are sometimes betrayed into inverting or collapsing themselves“; das Ziel sei es, „to show how texts come to embarrass their own ruling systems of logic“. Vgl. zudem Aune 1990, S. 253–272 und Selden 1995, S. 6f. S. für den Unterschied der poststrukturalistischen Ideen zu dieser Arbeit Anm. 158. S. dazu das Folgende. Vgl. auch Hendricks 1970, S. 115: „The polarization of the narrative – a symmetry of opposing forces – implies equilibrium. This means stasis, hence no possibility for plot development. A triangular structure is asymmetric, and such asymmetry introduces tension or internal instability which provides a motive force to generate the plot.“ Vgl. zudem Guillén 1971a, S. 388 und 405–407.

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Binarität und Einheit in Strukturalismus und anderen Literaturtheorien Tatsächlich hat Lévi-Strauss die Vorteile einer triadischen Strukturierung selbst erkannt und für sein Arbeiten berücksichtigt, wenn er ein Fortschreiten von der Beobachtung der Gegensätze hin zu deren Auflösung erkennt und die einheitsstiftende Kraft des menschlichen Geistes belegen will.95 Für ihn besteht, so Martinez und Scheffel, „die Bedeutung von Mythen darin, daß sie fundamentale kulturelle Oppositionen und deren imaginär-transitorische Überwindung repräsentieren“.96 Die Einsicht in die letztliche Aufhebung der Gegensätze wird zudem von anderen Strukturalisten geteilt, wobei insbesondere im Bereich der Narratologie, der sich schließlich zwangsläufig mit dem Phänomen der Textprogression beschäftigt, wichtige Ergebnisse erzielt wurden. Eine bedeutende Figur stellt hierbei Julien Greimas97 dar, der im Rahmen seiner Theorie einer narrativen Grammatik einerseits von einer grundsätzlichen Struktur binärer Oppositionen und andererseits von durch Trennung und Verbindung bestimmten erzählerischen Sequenzen ausgeht.98 Obwohl oftmals anders dargestellt, weiß also auch der Strukturalismus 95

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Vgl. Lévi-Strauss 1958, S. 248: „[L]a pensée mythique procède de la prise de conscience de certaines oppositions et tend à leur médiation progressive.“ Vgl. dazu Rubino 1977, S. 70. Ein entsprechendes, häufig zitiertes Bonmot Lévi-Strauss’ ist beispielsweise bei De Gramont 1970, S. 4 zu finden: „Structuralism […] is the search for unsuspected harmonies. It is the discovery of a system of relations latent in a series of objects.“ Vgl. auch Culler 1975, S. 40: Lévi-Strauss untersuche Relationen verschiedener Mythen, um „the unifying powers of the human mind and the unity of its products“ zu beweisen. Barthes 1963, S. 67 beruft sich auf Lévi-Strauss und bestätigt: „[L]e mythe part de contradictions et tend progressivement à leur médiation.“ S. zu Aspekten der Universalität auch Anm. 35 und die dortigen Verweise sowie später Kapitel 8 und 9. Martinez/Scheffel 2002, S. 144. Algirdas Julien Greimas veröffentlichte zahlreiche Arbeiten in Nachfolge Saussures und Lévi-Strauss’ und in Abwandlung der Konzepte russischer Formalisten. Als einer der bedeutendsten französischen Semiotiker stand er in intensivem Austausch mit Roland Barthes. Vgl. generell zu Greimas etwa Harland 1999, S. 227–231. Vgl. etwa Culler 1975, S. 93: „[T]he relation between an initial state and a final state is correlated with the opposition between an initial thematic situation or problem and a thematic conclusion or resolution.“ Vgl. auch Prince 1995, S. 116: Bei der Untersuchung von Propps Märchenanalyse erkenne Greimas „disruption of order and alienation“ und „establishment of order and integration“ als wichtige Transformationen. Vgl. zudem Scholes 1974, S. 103: „The basic number of actants in a narrative sequence is two, and the basic actions are disjunction and conjunction: separation and union, struggle and reconciliation.“ Auch Juri Lotman geht in seiner Theorie der Raumsemantik von einer erzählerischen Dynamik der Grenzüberschreitung aus; so beschreiben etwa Martinez/Scheffel 2002, S. 144 „Lotmans Versuch, die Bedeutung von Erzählungen auf der Basis von Gegensatzpaaren durch das Phänomen der Grenzüberschreitung zu bestimmen.“ Vgl. für eine Theorie der Grenzüberschreitung bei Gegensatzpaaren in der Geschichtswissenschaft z. B. Koselleck 2010, S. 274.

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um die Beschränktheit rein dual verstandener Systematiken und geht selbst oft über die Konstatierung statisch-binärer Strukturen hinaus.99 Man kann vielleicht mit Günther von einer Unterscheidung von Modellstrukturalismus und dynamischem Strukturalismus sprechen:100 Dem Modellstrukturalismus liegt, könnte man sagen, eher die intuitiv verbreitete räumliche Vorstellung von Struktur zugrunde, während der dynamische Strukturalismus zeitliche Strukturen im Auge hat, Strukturen, die die Systematik und Stadialität von Prozessen erfassen.

In Anbetracht eines solchen terminologischen Rahmens verfolgt diese Arbeit ein dynamisches Verständnis von Strukturalismus, das nicht nur an Dichotomien, sondern auch an deren Entwicklung interessiert ist. Mit einer dynamischen Vorstellung von Struktur geht auch die Überzeugung einer strukturalen Zielausrichtung, gewissermaßen einer Strukturteleologie einher. Dass eine solche Verbindung von Zweiheit und Finalität naheliegt, bemerkt auch Bernett:101 Dialektische und dualistische Erklärungsformen [sind] oft in einen übergreifenden teleologischen Rahmen eingebunden […]. Der interne Geschehensprozeß verläuft zwar dialektisch oder dualistisch, insgesamt ist aber die Bewegung auf ein bestimmtes Ziel, einen Endzustand ausgerichtet.

Wie die Konzepte einiger Strukturalisten geht diese Arbeit dabei von einer finalen Überwindung der gefundenen Gegensätze aus und bestimmt die Einheit als Ziel einer textuellen Entwicklung,102 weswegen sie schließlich nicht bei der bloßen Identifizierung von Oppositionen oder Dichotomien, die Ausdruck einer letztlich

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Als Beispiel für eine solche Weiterentwicklung innerhalb des Strukturalismus darf der Psychoanalytiker Lacan gelten. Dosse 1997a, S. 119 beschreibt dessen Hinwendung zu triadischen Strukturen: „Linguistic binarism became a triadic order, consonant with the structure of Hegelian dialectics and with the Freudian topic separating the id, the ego, and the superego.“ S. für Querverbindungen des Strukturalismus zu Hegels Dialektik genauer das Weitere. Günther 1973, S. 76. Bernett 1995, S. 45. Natürlich sind, so ebd., S. 45 und 56, auch zusätzliche kausale Bestimmungen möglich. Vgl. zur Problematik teleologischer Erklärungen von Systemen ebd., S. 45–51. S. für die Bedeutung der Dialektik Kapitel 3.3. Dabei ist nicht die klassische Frage nach der Einheit des Werks gemeint – vgl. dazu etwa für die Antike Heath 1989 –, sondern die Einheit, die durch die Aufhebung der getrennten Gegensätze entsteht.

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analytischen Denkoperation sind, stehenbleibt, sondern – sicherlich auch im klassisch-hermeneutischen Sinne103 – nach der Möglichkeit ihrer Auflösung und deren Bedeutung fragt.104 Eine solche triadische Struktur, die von einer Entwicklung der Gegensätze zu einer Einheit hin ausgeht, lässt natürlich an bestimmte dialektische Vorstellungen denken, die in der Geschichte immer wieder formuliert wurden und in Hegels Theorie der Dialektik sicherlich einen Höhepunkt fanden. Tatsächlich ist es legitim, den Strukturalisten Lévi-Strauss als Anhänger eines dialektischen Materialismus zu interpretieren und damit auch in direkter Nachfolge Hegels zu sehen;105 103

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Am wirkmächtigsten für die Geisteswissenschaften hat neben Schleiermacher Wilhelm Dilthey den Begriff der Hermeneutik bestimmt; vgl. dazu Stempel 1978, S. 31–37. Einheit und deren Bedeutung war bereits Teil erster hermeneutischer Theorien von Friedrich Ast, wie Holub 1995, S. 257 herausstellt: „Without the assumption of […] a unity meaning and significance would be impossible; each work and each part of individual works would be an atomistic fragment with no cohesiveness.“ Vgl. generell ebd., S. 257f. Vgl. für eine Geschichte der Hermeneutik Selden 1990, S. 158–166. Zu einer möglichen Vereinbarkeit von Hermeneutik und Strukturalismus existieren kontroverse Positionen: Während etwa Culler 1975, S. 31 die Nichtidentität beider Methoden beschreibt – „Linguistics is not hermeneutic. It does not discover what a sequence means or produce a new interpretation of it but tries to determine the nature of the system underlying the event“ –, sieht etwa Hans-Georg Gadamer in Gadamer 1981, S. 328 keinen Widerspruch zwischen einer für ihn übergeordneten Hermeneutik und dem Strukturalismus: „All methods of interpretation belong to hermeneutics […]. Structuralist method is just one of the methods of interpretation.“ Vgl. weiterhin auch Holub 1995, S. 285. Vgl. auch Culler 1975, S. 174, der im Zusammenhang mit seiner Beschreibung der strukturalistischen Poetik ebenfalls vom „intent at totality of the interpretative process“ spricht und ebd., S. 173 verschiedene „elementary models of totalities“ ausmacht. Ebd., S. 174 differenziert er entsprechend: „The most basic models would seem to be the binary opposition, the dialectical resolution of a binary opposition, the displacement of an unresolved opposition by a third term […] and the series with a transcendent or summarizing final term.“ Vgl. zudem ebd., S. 224. Vgl. dazu grundlegend Dick 2009. Ebd., S. 172 bestimmt er den dialektischen Materialismus als Überzeugung davon, „daß alles, was ist, eine Einheit mannigfacher, nach bestimmten Gesetzen sich bewegender Erscheinungen und Prozesse bildet“. In dieser Tradition sieht er etwa ebd., S. 18 und 238 Lévi-Strauss. Zum Verhältnis beider Denker schreibt er ebd., S. 200f.: „Recht eigentlich ist Hegels Dialektik von An-sich-Sein und Für-sich-Sein nichts anderes […] als der (unbewußte) point de départ des (post-)strukturalistischen Differenz-Prinzips, wonach raumzeitliche Objekte Empirizität und deren mentale Repräsentationen Logizität nur insofern besitzen, als sie in Opposition stehen zu anderen Objekten und Repräsentationen. Was mithin Hegel als Verstand und LéviStrauss als analytische Vernunft bezeichnet, ist ein Denken, das im Bann der Oppositionen steht. […] Jenseits des Empirischen entdeckt die Vernunft – bei Hegel wie bei Lévi-Strauss – verborgene Strukturen des Denkens und der Wirklichkeit, innerhalb deren dialektische Prozesse Differenzen aufheben und Identitäten bilden. Man kann

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auch die ebenso bei beiden Denkern vorhandenen metaphysisch-universalistischen Tendenzen des Denkens106 erlauben eine Parallelisierung. Ein antiker Kristallisationspunkt beider Tendenzen, sowohl des hegelschen Idealismus als

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sagen, daß bei beiden die Vernunft die Dialektik von Differenz und Identität zu einer Einheit verbindet, die Hegel Begriff nennt und Lévi-Strauss Struktur.“ Als Einschränkung fügt er ebd., S. 201 an: „[D]as Hegelsche Subjekt ist imstande, die Dialektik von Denken und Sein vollständig zu interiorisieren, wogegen Lévi-Strauss immer die Vorrangigkeit der Struktur in Rechnung bringen würde.“ Vgl. ferner Rosenmeyer 1988, S. 33–37. Seung 1982b, S. 104f. versucht dagegen, einen fundamentalen Unterschied zwischen beiden Theorien zu betonen, insofern er den Gegensatz bei Hegel als Konflikt und bei Lévi-Strauss als Gleichgewicht, das nicht dialektisch aufgelöst werden kann, verstanden wissen will; dabei muss er jedoch ebd., S. 106 einräumen, dass eben auch Lévi-Strauss von einer Auflösung des Gegensatzes spricht. Er beklagt deshalb ebd., S. 109 ähnlich wie Burridge 1967, S. 93–97, dass Lévi-Strauss Hegels Terminologie missverstehe und verwische. S. zu Hegels Terminologie auch Anm. 125. Vgl. ferner zur Verbindung von Hegelscher Terminologie und Strukturalismus auch Kristeva 1972, S. 251, die für den Roman feststellt: „[D]a der Roman-Dualismus ein ambivalenter Dualismus ist […], entwirft er ein Feld des dynamischen, transformationellen Denkens. Der Typus selbst dieses Dualismus enthält im Keim Prozeß, Austausch. Durch Affirmation einer dyadischen Opposition […], aber sofortige Subsumtion dieser Opposition unter eine ambivalente Synthese […] ist die romaneske Nicht-Disjunktion der Triade ähnlich, und eben daraus gewinnt sie ihren Evolutionismus, der an die Hegelsche Spirale erinnert.“ Vgl. weiterhin Culler 1975, S. 172. S. zur Bedeutung der Dialektik Kapitel 3.3. Vgl. überzeugend Harland 1987, S. 185, der mit dem Begriff Superstrukturalismus sämtliche strukturalistische Tendenzen zusammenfasst: „When its initial approach generates contradictions, it resolves them by moving on to a deeper theoretical level; and when this level in turn generates contradictions, it moves on to deeper levels again. In this respect, Superstructuralism not only bears a general resemblance to Metaphysical philosophy, but actually recapitulates the Hegelian dialectic in its own trajectory.“ Vgl. auch Harland 1993, S. 206–209 und Rorty 1995, S. 168–184. S. zum Aspekt der Metaphysik auch Kapitel 9.1 und speziell Anm. 1450.

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auch des Strukturalismus, sind dabei Heraklits Überlegungen zum Verhältnis von Gegensätzen.107 Patzig stellt eine erste Verbindung her:108 Einen in diesem Sinne strukturalistischen Ansatz finden wir zweifellos schon bei Heraklit, der als das Prinzip der Welt nicht die kosmischen Urkräfte […] oder die vier Elemente ansehen wollte, sondern die kosmische Struktur, den „Logos“, der den Umsatz der kosmischen Grundkräfte und Elemente ineinander regelt. Die Einheit der Gegensätze, das unwandelbare Maß hinter dem dauernden Fluß der Erscheinungen war für Heraklit das Wesen der Wirklichkeit.

Nicht zufällig beruft sich sodann gerade auch Hegel bei der Formulierung seiner Dialektik auf Heraklit:109 Das Wahre ist das Ganze: d. h. jedenfalls auch, daß ein Individuum erst dann vollständig erkannt ist, wenn es in seiner Relation zu allen anderen Gegenständen des Universums erfaßt wird, zugleich auch als Moment eines dialektischen Prozesses, der erst im vollendeten Selbstbewußtsein des absoluten Geistes zur Ruhe kommen kann. So kann man sagen, daß das Individuum im Fortgang der Hegelschen Methode gleichsam verdampft.

In jedem Fall erscheint so die Struktur, die nur intern über das Verhältnis ihrer Elemente definiert wird, als etwas Ganzes, das durch Gegensätze und deren Einheit geprägt wird – eine Einheit, die weiterhin unter hegelscher Berufung auf

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Aufgrund der sehr fragmentarischen und bisweilen aphorismenhaften Überlieferung des vorsokratischen Denkers gestalten sich endgültige Aussagen zu einer heraklitischen Theorie der Gegensätze zwar äußerst schwierig, doch gibt es in der Forschung einen weitgehenden Konsens darüber, dass bei Heraklit, so Rapp 2007, S. 76 „das, was sich uns an seiner Oberfläche als eines und einheitlich zeigt, in Wahrheit gegensätzliche Bestimmungen umfasst und daher wesentlich als eine aus Gegensätzen konstituierte Einheit verstanden werden muss bzw. dass ein Teil eines Gegensatzpaares nie völlig selbstständig auftritt, sondern immer durch den je anderen Teil des Gegensatzpaares bedingt ist“. Dabei verstehe er die „Interaktion zwischen Gegensätzen als natürlichen Vorgang“, wobei letztlich „die Welt durch ein einziges Arrangement oder eine einzige Formel, durch den logos, zusammengehalten“ werde, der die Harmonie zwischen entgegengesetzten Extremen wahre. Vgl. generell Rapp 2007, S. 73–78; Jordan 1992, S. 19–28 und zudem zum Spannungsverhältnis der Gegensätze auch Lloyd 1966, S. 96– 102. Patzig 1981, S. 112. Vgl. auch Günther 2001, S. 134–154 und speziell zum kosmischen Kontext ebd., S. 157–161. Patzig 1981, S. 114. Vgl. weitergehend für die Verbindung von Deutschem Idealismus und Heraklit Rapp 2007, S. 225f.

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Einleitung und Methodik

Platon als organisches Ganzes110 und mit Hegelscher Terminologie als Synthese bezeichnet werden kann. Dick stellt heraus:111 Die […] signifikative Synthese, die am Ende steht, ähnelt der empirischen und intelligiblen Synthesis, die Hegel im Blick auf Platon als systematisiertes, lebendiges, organisches Ganzes beschreibt.

Synthese beschreibt demnach den Status der Aufhebung der aufeinander bezogenen, dichotomen Einzelelemente in einer Einheit; somit erwächst sie als Gegenbegriff zur Analyse und bildet die zweite terminologische Achse, auf der die Arbeit aufbauen wird. Schließlich dienen Analyse und Synthese, Trennung und Vereinigung im weitesten Sinne, als begriffliche Instrumente für grundlegende Denkbewegungen und prägende strukturelle Status, mit denen Denkmuster beschrieben werden können. Die Begriffe Analyse und Synthese sind hierbei in der Geschichte von Philosophie und Wissenschaft oft gebrauchte Begriffe, ihre Tradition reicht weit zurück.112 Ihren Ursprung haben sie in der Antike, wo sie in unterschiedlicher Weise gebraucht werden, jedoch oft ein ähnliches Denkmuster, das auf Zerlegung und Zusammenfügung beruht, bezeichnen.113 Im Laufe der Zeit haben sich die beiden 110

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Vgl. Hegel 1833, S. 272: „Diese sittliche Substanz, die den Geist, das Leben und das Wesen der Individualität ausmacht und die Grundlage ist, systematisirt sich in einem lebendigen organischen Ganzen, indem es sich wesentlich in seine Glieder unterscheidet, deren Thätigkeit eben das Hervorbringen des Ganzen ist. Dieß Verhältniß des Begriffs zu seiner Realität ist bei Platon freilich nicht zum Bewußtseyn gekommen.“ S. zum Begriff des Organischen auch Kapitel 9.1. Dick 2009, S. 204. Er formuliert ebd. weiter und spricht, Saussures Zeichenbegriff zitierend, von einer „Dialektik von Bezeichnendem und Bezeichnetem, woraus ein System bedeutungstransportierender Einheiten = Zeichen hervorgeht. Der Überbau, folgt daraus, ist ein kollektiv(iert)es Produkt ebendieser dialektischen geistigen Vermittlungsarbeit, welches das, was da ist, in einem systematisierten, lebendigen, organischen Ganzen vereinigt“. Zu diesem Überbau führt Dick 2009, S. 206 weiter aus: „Um zu sichten und zu klassifizieren, was da ist, erstellt der menschliche Geist semiologische Systeme. Und es ist die differentielle Form ober eben Struktur dieser semiologischen Systeme, wodurch jenes lebendige, organische, signifikative Ganze, das man Überbau nennt, eine bestimmte Ordnung erhält. Wie die Sprache […] ist der Überbau ein System, worin alle vorhandenen Einheiten sich gegenseitig bedingen, da ihr Eigenwert in dem Maße entsteht, wie sie sich gegenseitig ausschließen.“ S. dazu und zum Begriff des Organischen auch Kapitel 9.1. Für einen historischen Überblick vgl. u. a. Oeing-Hanhoff 1971 sowie Schwarz 1971. Ryan 1982, S. 186f. weist die Existenz des Denkmusters „division and synthesis“ schon für Platon nach. Vgl. auch ebd., S. 288f., Anm. 244 sowie Lloyd 1966, S. 432, der bei Platon die Operationen „Collection“ und „Division“ ausmacht und ebd., S. 432f. einige Belegstellen anführt. Auch Willmann 1957, S. 453 stellt für die Begriffe Analyse und Synthese fest: „Die Unterscheidung der beiden Denkbewegungen rührt von Platon her.“ Beide Methoden seien dabei zu verbinden. Russell 2006, S. 275 sieht im griechischen

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Begriffe in verschiedenen Bereichen mit spezifischer Bedeutung etabliert, wobei für die Belange der Arbeit die neuzeitliche, philosophische Tradition besonders relevant ist, für die in René Descartes einer der ersten bedeutenden Vertreter zu sehen ist, der mit den Termini Analyse und Synthese gearbeitet hat.114 Zu denken ist weiterhin an die von Immanuel Kant ausgehende Einteilung von Urteilen mittels dieser Begriffe.115 Eine darauf aufbauende Kant-Interpretation im Sinne dieser Arbeit hat etwa der britische Romantiker Samuel Coleridge geleistet, wenn er die analytischen wie synthetischen Fähigkeiten des menschlichen Geistes betont, die Synthese dabei als Endpunkt und Ziel bestimmt und Verbindungen zu

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Terminus der Synthese die Idee einer Komposition oder Konfiguration zum Ausdruck gebracht. Für die Bedeutung der antiken Dialektik im Zusammenhang s. Kapitel 3.3. Interessant ist im Kontext auch der ἐπισύνθεσις-Begriff in Pseudo-Longins Schrift Περì Ὕψους, welcher eine Kombination verschiedener Elemente zu einem Ganzen beschreibt; s. sublim. 10,1 und vgl. dazu Behler 1992, S. 103: „Auch in der Schrift des Pseudo-Longinus über das Erhabene besteht ein wesentliches Erfordernis für die Erschaffung des Erhabenen in der Wahl der konstitutiven Elemente und der Fähigkeit, diese in ein organisches Ganzes zu integrieren.“ S. zum Begriff des Organischen auch Kapitel 9.1. Vgl. dazu Prechtl 2008, S. 22, der für die Analyse feststellt: „Als Methode der Reduktion zum Einfachen (d. i. letzten Elementen) und der darauffolgenden vom Einfachen ausgehenden Deduktion zum Komplexeren (Synthese), d. h. in Gestalt von A[nalyse] und Synthese als korrespondierende methodische Schritte, findet sie Eingang in den Kanon wissenschaftlicher Argumentation.“ Vgl. speziell zu Descartes auch Duncan 1989. Die Tradition reicht bis in die heutige Zeit; so arbeitet etwa Michel Serres in Serres 2015 mit den Begriffen, z. B. ebd., S. 89. Vgl. dazu Schwarz 1971, S. 251–261 und Blok/Peijnenburg 2010, S. 76–78 sowie Harland 1999, S. 66, der Kants Synthesebegriff als Teil einer „unconscious creativity“ auffasst. Aus Kants Denken heraus entwickelt sich auch eine spezifisch philosophischpädagogische Auslegung der Terminologie im Hinblick auf eine Logik des Lernens, nach der eine synthetische Einheit des Bewusstseins angenommen wird, wodurch, so Koch 1991, S. 166, „das Mannigfaltige a priori als verbunden gedacht“ wird. Begriffe werden ebd., S. 162 als „synthetische Vereinigungen gegebener Vorstellungsmannigfaltigkeiten“ bezeichnet. Vgl. generell ebd., S. 37f. und 160–164 sowie Willmann 1957, S. 452–458. Bittner 1999, S. 263 zieht eine Verbindung zu Cicero – s. dazu auch Anm. 151 – und beschreibt auch in Bezug auf Willmann Analyse und Synthese als pädagogisch-didaktische Verfahren: „Jeder erlernbare Inhalt liegt entweder als Einzelheit oder als zusammenhängender Sachverhalt vor. Dementsprechend sind Details zu synthetisieren, Sachverhalte zu analysieren und wieder zusammenzufügen, wobei der Vorgang in jedem Fall ein Lernen bezeichnet, dessen Endpunkt ein Zusammengefügtes und in seinen Details Bekanntes ist.“ Vgl. ebd., S. 267 und 533, wo er als Ziel analytischer und synthetischer Methode festhält, „Wissen und Erfahrungen auf eine sinnvolle Art und Weise aufeinander zu beziehen, um komplexe Gegenstandsgebiete begrifflich zu fassen und verstehen“.

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Platons Dialektik beobachtet.116 Auch die romantisch geprägte Hermeneutik geht, sogar in ihren frühen Überlegungen zum hermeneutischen Zirkel, von diesen Verstandesvermögen aus,117 woraus sich auch eine besondere Affinität von romantischer Theorie, der hier vorgestellten Terminologie und dem Strukturalismus ergibt. Insbesondere in der Romantik nämlich ist verstärkt jenes kontextuelle und relationale Denken zu finden, das auch jede Form von Strukturalismus prägt.118 116

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Vgl. zunächst Harland 1999, S. 170: „Coleridge ultimately adheres to a Kantian notion of synthesis whereby the many are fused into a real oneness.“ Vgl. grundlegend Wheeler 1986, S. 18–20, der Coleridges Annahme, dass der menschliche Geist nicht nur mit der Fähigkeit des Analysierens, sondern auch mit der des Synthetisierens ausgestattet sei, beschreibt. Vgl. konkret ebd., S. 20: „Coleridge read Kant as having elaborated systematically in the Logic the (itself synthetic) idea that thought or reason is in its nature both analytic and synthetic.“ Vgl. zudem entscheidend ebd., S. 27: „Reason […] is to be understood as at once both distinguishing and differentiating (or analytic); and as reuniting, relating and unifying (or synthetic) within its own being, and hence in no need of any external given. […] Distinction and analysis occur only as preliminary acts of synthesis, but both belong to the very nature of reason.“ Analyse sei dabei als Prozess, Synthese als Ergebnis der Philosophie zu verstehen. Vgl. darüber hinaus allgemein zu Coleridge Scholes 1974, S. 177–180. Vgl. für den Zusammenhang mit Platons Dialektik ebd., S. 20 und s. für platonische Dialektik auch Anm. 283, 291, 342 und 372; s. zur Bedeutung der Dialektik generell Kapitel 3.3. So stellt Holub 1995, S. 258 für Friedrich Asts Gedanken zum hermeneutischen Zirkel fest: „[T]he foundation of all understanding is to find the spirit of the whole in the individual occurrence and to comprehend the individual through the whole. The former is the analytical, the latter the synthetic aspect of understanding. In its simplest form this circle presents us with an epistemological contradiction, since we cannot gain knowledge of either the individual part or the whole without recourse to its counterpart. But this contradiction is resolved by Ast’s assumption of a prior harmony or correspondence of individual and whole.“ Dabei orientiert sich Ast, so ebd., an seinem Lehrer Schelling, für den Spezifisches und Generelles, Analytisches und Synthetisches einander bedingen. Vgl. dazu Scholes 1974, S. 173: Romantik und Strukturalismus teilten ein modernes Verständnis des Phänomens Sprache; bei beiden sei „[a] shift from an atomistic and ontological view of language (individual words representing things in reality) to a view that is contextual and epistemological (combinations of words representing mental processes)“ zu beobachten; vgl. für eine beispielhafte Lyrikuntersuchung Miller 1986. Lotman 1973, S. 66 stellt entsprechend fest: „Immanent-relationale Bedeutungen treten besonders deutlich in denjenigen sekundären semiotischen Systemen hervor, die Allgemeinheit, monopolmäßige Erfassung der gesamten Weltanschauung und Systematisierung der ganzen dem Menschen vorliegenden Wirklichkeit für sich in Anspruch nehmen. Ein treffendes Beispiel für ein System mit dominierender innerer Umcodierung in den sekundären modellierenden Systemen vom künstlerischen Typus ist die literarische Romantik.“ Vgl. zudem Doležel 1999, S. 65, der romantische Mereologie als Versuch, „einzelne Werke als Strukturen zu beschreiben“, sieht. Dass Ansätze zu einem dahingehenden Sprachverständnis allerdings bereits in der Antike zu finden sind, wurde oben in Kapitel 2.3.2 gezeigt.

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Konkret kann, wie Behler dies tut, etwa Schlegels frühromantische Theorie der Dichtkunst als strukturalistisch beschrieben werden:119 [Man kann sagen,] daß Friedrich Schlegel einen strukturalistischen Dichtungsbegriff aufstellte, wobei das Phänomen der Struktur freilich nicht aus einem formalen Zusammenwirken von Zeichen erwächst, sondern aus einer ästhetischen Integration der Teile zu einem Ganzen, das mehr ist als seine Teile.

Dieser identitätsstiftenden Integrationsleistung geht dabei eine Entzweiung durch analytische Reflexion voraus,120 wobei nach Schelling durch jene Trennung erst ein Philosophiebedürfnis mit dem Ziel, ursprünglich im menschlichen Geist Vereintes wieder zu vereinigen, entsteht.121 Miteinander zusammenhängendes Fragmentarisches und Einheitsbestreben bedingen sich in der Romantik also gegenseitig, so wie Gegensätze und deren Aufhebung im Strukturalismus angelegt sind122 – Philosophieren fungiert dabei als Katalysator.123 Eine Verbindung all dieser Einflüsse bietet sich also für eine Arbeit, die Denken, Philosophie und Weltverständnis eines Autors systematisch untersuchen will, in besonderer Weise an. Strukturalismus und Romantik können sich demnach ergänzen und zudem das

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Behler 1992, S. 97. Er führt dies ebd. auf den aristotelischen Strukturbegriff zurück. Vgl. dazu auch Koslicki 2008, S. 163 und zudem Menninghaus 1987, S. 22, der ebenso eine Verwandtschaft von romantischer Kunsttheorie und wissenschaftlichem Strukturalismus erkennt, die das Problem von Ganzem und Teilen berührt. Vgl. dazu Menninghaus 1987, S. 76 der etwa für den Romantiker Novalis einen „entzweiende[n] Charakter der Reflexion“ feststellt. Weil sich Analyse und Reflexion nahestehen, decken sich hierbei üblicher Sprachgebrauch und die Terminologie dieser Arbeit; s. dazu auch Kapitel 9.3. Vgl. Menninghaus 1987, S. 73, wo er dieses Muster auch als „Spielart des beliebten Dreischritts Identität – Entfremdung – Identität“ bezeichnet. Forschungsliteratur, die ausschließlich auf die Liebe zum Fragmentarischen in der Romantik abhebt und nicht auch das ebenfalls dort angelegte Bestreben der Wiedererlangung einer ursprünglichen Einheit berücksichtigt, beurteilt eine Verwandtschaft mit dem Strukturalismus entsprechend kritischer; vgl. etwa Rosenmeyer 1988, S. 30. Stattdessen werden, wie z. B. bei Fowler 1995, S. 105 und Dick 2009, S. 188–194, eher Verbindungen zum Poststrukturalismus gezogen. Tatsächlich sind aber sowohl Elemente des Strukturalismus als auch nachstrukturalistischer Strömungen in romantischer Theorie zu finden, wie Menninghaus 1987, S. 25 richtig feststellt, der für die Frühromantik eine „subtile Theorie der Darstellungsleistung, der spezifischen Synthesis reflexiver Parallelstrukturen“ erkennt und folgert: „Diese Theorie hat wesentlich die Gestalt einer (Onto-)Semiologie. Sie antizipiert mit Grundmotiven des inzwischen ‚klassisch‘ gewordenen Strukturalismus zugleich dessen poststrukturalistische Metakritik und Radikalisierung, wie sie vor allem Jacques Derrida geleistet hat.“ Vgl. zudem Behler 1987, S. 157–160. S. zum Philosophieren als verbindendem Element bei Cicero besonders Kapitel 6.

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hegelsche Modell einer prinzipiellen Denkbewegung miteinbeziehen.124 In dieser Kombination lassen sich Einheit, Spaltung und erneute Einheit mit den Kategorien Analyse und Synthese beschreiben.125 Die folgende Bestimmung der Begriffe, wie sie in dieser Arbeit gebraucht werden, geht einerseits von einer basalen Wortbedeutung aus. Andererseits berücksichtigt sie die beschriebene Begriffsgeschichte und versucht, die verschiedenen Konnotationen einzubinden. Analyse ist demnach nach Herzgsell „die Zergliederung eines Ganzen in seine Teile, einer Einheit in eine Vielheit“,126 Synthese „die Verbindung von Mannigfaltigem oder Gegensätzlichem zu einem Ganzen, zu einer Einheit“.127 Bei den Beziehungen der unterschiedlichen Teile beschränkt sich diese Arbeit ganz im strukturalistischen Sinne auf Oppositionsanordnungen und auf oppositionelle oder besser zunächst oppositionell gedachte Beziehungen, legt demnach ihren Schwerpunkt auf das Gegensätzliche. Es handelt sich bei Analyse und Synthese damit zunächst um zwei einander ergänzende prozessorientierte Methoden, die letztlich auch der bartheschen Unterscheidung von Zerlegung und Arrangement128 zu Grunde liegen und die Genette als Fundament eines intellektuellen Bastelns beschreibt und als Elemente einer typisch strukturalistischen Vorgehensweise vorstellt, wenn er von einer doppelten Operation, bestehend aus Analyse und Synthese, spricht, wobei erstere verschiedene Elemen124

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Vgl. zur Verbindung Scholes 1974, S. 175: „The formalists […] generated a dialectical theory of literary change, in which forms beget antiforms, leading to new synthesis. The romantics never formulated the situation in this way, but they were certainly aware of the problem as no literary group before them.“ Connolly 2007, S. 263 beschreibt nach Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, dass besonders deutsche Romantik und Hegel eine moderne Konzeption des Sozialen als „unity of scattered elements“ bieten, wobei die Elemente als Fragmente einer alten und nun verlorenen strukturellen oder organischen Ganzheit verstanden werden. Natürlich ist hier anzumerken, dass Hegel nicht explizit von einer bereits zuvor erreichten und in der Zwischenzeit nur verlorengegangenen Synthese ausgeht. S. zum Begriff des Organischen auch Kapitel 9.1. Vgl. Burridge 1967, S. 93 für das Hegelsche Denkmuster: „[T]ruth or reality consisted in the unification of contradictory elements […]. Where ‚thesis‘ stood for unity or a unitary formulation, ‚antithesis‘ stood for a breaking-down of this unity into contraries which were also contradictions, and ‚synthesis‘ stood for a rebuilding of the unitary.“ Vgl. auch Herzgsell 2010b, S. 486: „Beim dialektischen Gang des Absoluten wird in der S[ynthese] der Gegensatz von These und Antithese in einer höheren Einheit vermittelt und aufgehoben.“ Vgl. ferner Seung 1982a, S. 199–203. Somit kann man letztlich feststellen, dass der Strukturalismus, so Dick 2009, S. 277, „mehr hegelsch als kantisch [ist], insofern es im Strukturalismus ein erkennbares Letztes oder Erstes aller Erscheinungen gibt“. Herzgsell 2010a, S. 26. Herzgsell 2010b, S. 485. Vgl. für verschiedene Auflösungsmöglichkeiten von Oppositionen Seung 1982a, S. 203–209. Nach seiner Terminologie ebd., S. 206 und 212, verwendet diese Arbeit, wie Hegel, weitgehend ein Fusionsmodell. S. Kapitel 2.3.2.

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te aus diversen Ganzheiten herauslöst und letztere ausgehend von diesen heterogenen Elementen eine neue Einheit konstituiert, bei der viele Elemente eine gänzlich andere Funktion einnehmen.129 Auch die aus diesen Prozessen resultierenden Status, ergo die Anordnungen der Textelemente, können ähnlich begrifflich umrissen werden. Darüber hinaus werden beide Termini als prinzipielle Strukturierungsmechanismen des menschlichen Geistes aufgefasst, sie werden als Ordnungsleistungen entdeckt und gedacht.130 Insofern können Begriffsanordnungen methodisch bewusst eingesetzt und zugleich auf abstrakter Ebene Beweise einer generellen anthropologischen Verstandesleistung sein. Im Unterschied und in Abgrenzung zu einigen klassisch hermeneutischen Theorien, wie sie sicherlich auch in Idealismus und Romantik zu finden sind, soll es in dieser Arbeit in strukturalistischer Manier zunächst rein um die Ebene der Textstruktur gehen. Weitgehend unabhängig von argumentativer oder narrativer Entwicklung131 oder gar geschichtsphilosophischen Ideenkonzepten stehen schlicht verschiedene Status der beobachteten Oppositionspaare im Mittelpunkt, 129

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Vgl. Genette 1966, S. 145: Es gebe „une double opération d’analyse (extraire divers éléments de divers ensembles constitués) et de synthèse (constituer à partir de ces éléments hétérogènes un nouvel ensemble dans lequel, à la limite, aucun des éléments réemployés ne retrouvera sa fonction d’origine)“. Vgl. auch Fowler 1966, S. 21: „The linguist must make a whole analysis of the literary text, and must then proceed to utilize his analysed and understood fragments as elements in a synthesis.“ Vgl. zudem Culler 1975, S. 25f. Vgl. beispielsweise auch Herzgsell 2010b, S. 486, der die Synthese „auch eine wesentliche Ordnungsleistung des menschlichen Bewusstseins“ nennt. S. Anm. 35 für Verweise und zudem Kapitel 8 und 9. Vgl. etwa Lévi-Strauss’ Vorgehen bei seinen mythologischen Untersuchungen, wie Prince 1995, S. 114f. erläutert: „Lévi-Strauss was primarily interested in mythical thought, not (mythical) narrative. For him, the meaning of a myth is independent of particular narrative arrangements and the analyst has to go beyond the latter to an underlying pattern of articulation.“ Nichtsdestotrotz ist die Frage nach dem Zusammenhang von herausgearbeiteter struktureller Anlage und tatsächlicher Textprogression berechtigt: Prinzipiell untersucht diese Arbeit das strukturelle Fortschreiten von der Analyse zur Synthese unabhängig von der textlichen Anlage. Paradigmatisch für eine weitgehend vom Textverlauf entkoppelte Argumentation ist dabei das Kapitel zur Kulturphilosophie (s. Kapitel 6), wo zunächst das Verhältnis der einzelnen Proömien – in der Forschung häufig als disparat angeordnet bezeichnet – lediglich konstatiert wird. Die Ergebnisse dieser Gegenüberstellung legen erst eine Entwicklung von der ersten Proömiengruppe über die Achse des dritten Proömiums zur Proömiengruppe 4/5 nahe. In anderen Kapiteln wiederum wird der Textgang teilweise selbst nachvollzogen, so etwa bei den Untersuchungen der Naturphilosophie (s. Kapitel 4.4). Festzuhalten ist: Generell wird die strukturelle Anlage und nicht der Textverlauf untersucht; deren Verhältnis wird nicht dezidiert thematisiert, jedoch legen die Erkenntnisse in einigen Bereichen eine gewisse Deckung nahe – eine weitergehende Untersuchung wäre hier sicher lohnenswert. Ähnliches gilt für den Zusammenhang von Dialogform und Struktur; s. hierzu Kapitel 3.3.1 und Anm. 309.

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werden gewissermaßen Momentaufnahmen einer strukturellen Kontraststellung und ihrer Entwicklung132 miteinander verglichen, wobei besonders Anfang und Ende einer Textpassage oder einer Schrift im Fokus stehen, weil sie in besonderem Maße erfolgte Veränderungen sichtbar machen.133 Das oben definierte Denkmuster gerät dabei, wie gezeigt, in seiner Prozessualität und Dynamik in den Blick.134 Neben den jeweiligen Endzuständen der Denkoperationen – Einzelelemente in dichotomer Anordnung und synthetisiertes Ganzes – wird der Übergang vom einen in den anderen strukturellen Zustand untersucht, was Ausdruck in folgenden leitenden Fragen findet: Wie werden Begriffe in Opposition gesetzt und wie stellt sich die Opposition dar? Wie wird der oppositionelle Charakter unterminiert, wie also lösen sich die Oppositionen auf – wie kann der analytische Status der Getrenntheit zum synthetischen Status der Einheit werden? Wie kann das Ergebnis dieser Auflösung beschrieben werden? Da diese Arbeit dabei zuvorderst einem Prinzip der Werkimmanenz folgt, in erster Linie also die formale Funktion der Elemente innerhalb eines Werks betrachtet wird, liegt der Fokus auf der Anordnung und Strukturiertheit der Elemente, nicht unbedingt auf ihrer inhaltlichen Füllung. Ein inhaltlich identisches Textelement kann also in verschiedenen Werken durchaus unterschiedliche strukturelle Funktion erfüllen.135 Genauso kann die Tatsache begründet werden, dass diese Arbeit nicht zuerst nach einer inhaltlichen Ausgestaltung oder genauen semantischen Zusammensetzung der Synthese fragt, sondern zunächst die strukturale Einheit als solche beobachtet und die strukturelle Funktion ihrer Ordnung und Moderiertheit untersucht.136 Natürlich ist für die so strukturell bestimmte Analyse-Synthese-Konfiguration die Existenz beider Pole entscheidend. Daher gilt: Wenn auch in dieser Arbeit der Fokus auf dem Endzustand der Synthese liegt, ist der analytische Ausgangspunkt elementarer Bestandteil der Konfiguration Analyse–Synthese, wie auch Bernett schreibt: Bei der „,Einheit von Gegensätzen‘ kann der eine […] Teil der Beziehung nicht […] wegfallen, da das Ganze bzw. der Gesamtprozeß von der Beziehung der Gegensätze aufeinander abhängt“.137 Nicht zuletzt ist der Prozess der Analyse gerade dadurch definiert, dass er existierende Einheiten trennt. Ohne Analyse also würde das Denkmuster statisch bleiben und könnte sich nicht zum teleologischen Prozess entwickeln.138 Letztlich sieht die Arbeit also auch das Denkmuster 132 133 134 135 136 137 138

Bei dieser Entwicklung muss es sich also nicht unbedingt um ein narratives oder argumentatives, dem Textfluss folgendes Fortschreiten handeln. Vgl. für generelle literaturtheoretische Überlegungen zum Ende eines Werks Fowler 1997, S. 21f. Vgl. dazu auch Mančal 1982, S. 186. S. beispielsweise zunächst Sokrates in Kapitel 3 und dagegen in Kapitel 4; s. aber auch Kapitel 9.2. Vgl. dazu auch van der Blom 2010, S. 73–77. Ähnlich lässt sich erklären, dass das Wie des ciceronischen Philosophierens (Kapitel 3, 4 und 5) vor dem Was (Kapitel 6, 7 und 8) untersucht wird. Bernett 1995, S. 43. Vgl. auch Mančal 1982, S. 131. Vgl. dazu Bernett 1995, S. 45.

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Analyse–Synthese selbst wieder als Dichotomie, für die dieselben methodischen Annahmen gelten: Beide Elemente werden getrennt und für sich untersucht, indem nach Hinweisen für Spaltung oder Einheit in Texten gesucht wird, doch erst in Kombination können sie ein prozessuales Denkmuster beschreiben, wie es sich als Vereinigung von Getrenntheit und Einheit ergibt. Die Untersuchung wird allerdings einen Ausgangspunkt festlegen und eine Richtung vorgeben müssen und tut dies, indem sie in Einklang mit den meisten oben erläuterten literaturtheoretischen Positionen die Synthese als Zielstatus festlegt. Strukturalistisch zu interpretieren bedeutet in dieser Arbeit also, um es prägnant zusammenzufassen, auf die grundlegende Struktur eines Textes abzuheben. Im Zentrum stehen den Text strukturierende Elemente als Strukturelemente, deren Anordnung in Gegensatzpaaren in den Blick gerät. Dichotomien, strukturelle Zweiheiten also, sind dabei Ausdruck der Analyse, die sowohl als Prozess der strukturellen Trennung als auch als Status der strukturellen Getrenntheit verstanden wird. Der dieser entgegengesetzte Begriff ist jener der Synthese, die einerseits als Prozess struktureller Vereinigung und andererseits als Status struktureller Einheit gesehen wird. Daneben ist die Frage nach dem dynamischen Verhältnis beider Konzepte maßgeblich, wird also eine Strukturbewegung auf Basis der strukturellen Zustände und Prozesse betrachtet. Die Arbeit untersucht davon ausgehend nicht nur Textelemente, die die strukturelle Getrenntheit und Einheit aufspannen, sondern auch solche, die die Dynamik einer Strukturbewegung prägen, die also analytisch oder synthetisch und synthetisierend wirken, zum Beispiel also bestimmte Prozesse in Gang setzen oder als Katalysatoren fungieren.139 Grundannahme ist dabei die Strukturbewegung auf eine Synthese hin, mag sie nun von einer ursprünglichen Synthese, die durch analytische Elemente aufgelöst wurde, oder direkt von analytisch angeordneten Elementen ausgehen. Dieses Denkmuster mit seinen beiden Kategorien Gegensatz und Einheit ist, wie sich zeigen wird, auf Rezipientenseite eine fruchtbare Interpretationsfolie und im Text ein strukturprägendes Momentum. Dichotomien und ihre Überwindung bei Cicero Im Folgenden stellt sich die Frage nach einer probaten Anwendungsmöglichkeit des Begriffsinstrumentariums im ciceronischen Text. In der Forschung wird Ciceros Philosophieren und Verhältnis zur Philosophie, zumindest unter synchronem Blickwinkel, häufig als ambivalent dargestellt, Gegensätze werden als konstitutiv für die von Ambivalenz geprägte Einstellung Ciceros betrachtet. Aussagen über seine Philosophie werden eng verbunden mit der Gegenüberstellung von βίος 139

Lévi-Strauss’ mythologisches Denken funktioniert ganz ähnlich: Nach Paukstadt 1980, S. 216 „fungiert der Mythos [bei Lévi-Strauss] als schrittweiser Ausgleich von Gegensätzen über Mittlerobjekte“. S. dazu besonders Kapitel 6, 7 und 8.

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ϑεωρητικός und βίος πρακτικός,140 vita activa und vita contemplativa,141 otium cum dignitate und otium Graecum,142 Therapiefunktion und Öffentlichkeitsfunktion,143 Philosophie und Rhetorik144 oder Erfahrung und Glauben,145 um nur einige gängige Zuschreibungen aufzuführen.146 Oft geht damit die Überzeugung einher, Cicero würde etwa zwischen solchen Polen wie beispielsweise Dogmatismus und Skeptizismus schwanken.147 Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass es sich nicht um ein wirkliches Schwanken zwischen dem einen und dem anderen Standpunkt handelt, sondern dass zwei grundlegende Denkoperationen zur Anwendung kommen, die, wie zu zeigen ist, mit den Begriffen Analyse und Synthese umrissen werden können. Dass sich viele Elemente der ciceronischen Texte tatsächlich als Dichotomien anordnen lassen, wurde bereits veranschaulicht.148 Jene Oppositionen sind dabei aber, wie die detaillierten Textuntersuchungen zeigen, nicht antithetisch-statisch oder absolut, sondern dynamisch zu verstehen, insofern sie sich aufeinander

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Vgl. Kretschmar 1938; s. auch Anm. 1231. Vgl. Klima 1971, S. 138f. Vgl. Häfner 1973, S. 143 sowie Fuhrmann 1960 und Christes 1988; s. auch Anm. 1213. Vgl. Koch 2006 und Gildenhard 2007. Vgl. Peetz 2000; s. Kapitel 3. Vgl. Görler 1974, S. 207; s. Kapitel 4.4. Vgl. für entsprechende, eher traditionelle Schlussfolgerungen etwa Graff 1963, S. 54: „Gemäß den zwei Seelen in seiner Brust betrachtet er sein Verhältnis zur Philosophie […] von zwei Seiten aus: sie ist für ihn einerseits der Ruhepol in dem Unfrieden der Zeit und die geistige Entfaltungsmöglichkeit eines innerlich freien Mannes, andererseits aber nur die zähneknirschend ertragene Ersatzbeschäftigung eines wider seinen Willen kaltgestellten Politikers, der sich von seiner Umwelt nicht lösen kann.“ Ähnlich argumentiert Gillingham 1950, S. 69: „On the one hand, he praises philosophy for her wonderful works and confesses that he has found consolation in her teachings, and that he desires to help others mend the error of their ways; on the other hand, he states that it is a means for employing his enforced leisure, and that his purpose is to conceal his own views and to debate both sides of each question.“ Vgl. auch Klima 1971, S. 138f.: „Die durch die politische Lage bedingte Spannung zwischen vita activa und vita contemplativa […] durchzieht auch die Prooemien zu den philosophischen Schriften. Einerseits wendet sich Cicero gegen die Einschränkung der Philosophie nach dem römischen Grundsatz paucis philosophari und rühmt die philosophische Erkenntnis als das höchste Gut, andererseits ist ihm die philosophische Schriftstellerei nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln und als solche durchaus keine befriedigende Lebensform, sondern ein erzwungenes otium.“ Vgl. ferner Weber-Schäfer 1976, S. 110. S. zuvor Kapitel 2.2.2. Dass sich Cicero dabei nicht für eine der beiden Seiten entscheidet, sondern neben der teilweise offenen Gegenüberstellung einen Ausgleich sucht, verweist auf eine grundsätzliche Tendenz in Ciceros Denken, welche Thema dieser Arbeit ist. S. weiterhin Anm. 1214 und die Verweise dort. S. dazu auch Kapitel 4.5. S. Kapitel 2.3.2.

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zubewegen.149 Wenn bei Cicero einerseits die Gegensätzlichkeit betont und die Differenz der zwei entgegengesetzten Pole hervorgehoben, andererseits aber auf verschiedene Weise ein Ausgleich, also eine Überbrückung der Pole oder zumindest eine Auflösung des Gegensatzes zugunsten eines der beiden Pole – immer unter Berücksichtigung des anderen – versucht wird, kann man von analytischen und synthetischen Bestrebungen in seinem Denken sprechen, die sich am deutlichsten in binären Oppositionsanordnungen und deren Überwindung ausdrücken können. Dieses Bestreben, Elemente in Beziehung zu setzen, die in einer Synthese gipfeln sollen, ist auch bei Cicero universal zu denken, wie Reckermann richtig feststellt:150 Das subtil reagierende und so weit wie möglich ausgreifende Bewußtsein für die Zusammengehörigkeit von Verschiedenem macht nach Cicero die besondere Qualität des menschlichen Realitätsbezuges aus.

Im Hintergrund seiner Weltauffassung stehen bei und für Cicero also universelle Denkoperationen, die auf Trennung und Einheit basieren. Diese Denkmuster wurden in der Forschungsliteratur auch für Cicero schon mithilfe der Begriffe Analyse und Synthese gefasst. So stellt etwa Bittner, indem er sich auf platonische Begrifflichkeiten und die antike Dialektik beruft, für Cicero einerseits ein „synthetisches Vorgehen, welches die einzelnen ‚Teile‘ zusammensetzt“ fest; andererseits gelte auch umgekehrt: „Indem der Mensch dieses zwar bekannte, aber undeutliche Ganze aufspaltet und zergliedert, geht er analytisch 149

150

Vgl. etwa Leeman 1975, S. 143, der dies als ein Spezifikum Ciceros herausstellt: „I stress the fact that these oppositions are scarcely absolute, but mostly complementary. This is characteristic of Cicero’s manner in general, as distinguished from the antithetical patterns of Sallust and many other Romans.“ Vgl. auch Görler 1974, S. 89: „Gerade die zwischen den Extremen vermittelnden Positionen nehmen in Ciceros Denken einen besonders wichtigen Platz ein.“ Die generelle Eignung hellenistischer Denkschulen für eine so ausgerichtete Untersuchung, welche das spezifische „Spannungsverhältnis zwischen dem Denken der Antithese und dem Denken der Gemeinsamkeit“ in den Blick nimmt, betont Voigtländer 1980, S. 626. Vgl. darüber hinaus Gigon 1977b, S. 352 und Jürß 1982, S. 512f. sowie Ryan 1982, S. 292. Reckermann 1990, S. 512; vgl. ebd., S. 514 und zudem Bittner 1999, S. 258–268. Die Frage, ob Cicero diese gedanklichen Linien bewusst waren oder nicht, soll dabei nicht von Relevanz sein; vgl. zur Frage der Bewusstheit bestimmter Gedankenlinien u. a. Görlers Apologie am Ende seiner Dissertation in Görler 1974, S. 207: „Man wird die Frage stellen, ob es sich bei dem hier Beobachteten wirklich um ein System handelt, dem Cicero bewußt gefolgt ist, und nicht vielmehr um einige zwar häufig wiederkehrende, aber unbewußt angewandte Metaphern. In dieser alternativen Form muß die Frage offen bleiben.“ Inabinet 2017, S. 111 erkennt bei Cicero eine „complex view of unity and diversity.“ S. zur Problematik der Autorfrage u. a. auch Kapitel 2.2.2 und 2.3.1 sowie Anm. 26 und abschließend Kapitel 9.3. S. für den Aspekt der Universalität Anm. 35, die dortigen Verweise sowie Kapitel 8 und 9.

54

Einleitung und Methodik

vor.“151 Gegensatz und Einheit bedingen sich so auch bei Cicero gegenseitig.152 Hintergrund ist dabei auch für ciceronische Schriften das strukturalistische Streben nach einer basalen Struktur, wie Bittner formuliert: „Ergebnis ist letztlich die Erkenntnis des Allgemeinen und Prinzipiellen, das der Sache zugrundeliegt.“153 An Ciceros Texten kann demnach begründet die Frage nach grundlegenden Strukturkonzepten, die auf der Ebene des Textes zu finden sind und darüber hinaus auf universale Prinzipien verweisen, gestellt werden. Im Hauptteil dieser Arbeit werden dazu verschiedene Bereiche des ciceronischen Philosophierens genauer untersucht. Geht man von der Forschungsliteratur aus, ist das beschriebene Weltverständnis Ciceros im Einzelnen und konkret etwa philosophisch, historisch, politisch oder persönlich begründet;154 in dieser Arbeit soll ein darüberhinausgehender integrativer und systematischer, in erster Linie struktureller Zugang erfolgen. 151

152

153 154

Bittner 1999, S. 262. Vgl. für den platonischen Kontext ebd., S. 261. Bittner versteht diese Denkbewegungen jedoch im Rahmen seiner pädagogischen Untersuchung in erster Linie als Aneignungsformen, wie auch ebd., S. 540 zu erkennen ist: Es gehe für Cicero darum, „die logische Struktur menschlichen Lernens, Verstehens und Erkennens, die analytische und synthetische Art, mit Wissen und Erfahrungen umzugehen, zu kennen und gezielt als eine Methode wissenschaftlicher Erkenntnis anzuwenden“. S. dazu auch de orat. 1,186–216 und zu Bittners Ansatz Anm 115. Vgl. zum Zusammenhang mit antiker Dialektik auch Graff 1963, S. 71, der jene als „Kunst der Analyse und Synthese und der richtigen scharfen Begriffsbestimmung“ bezeichnet. S. dazu auch orat. 16 und 113 sowie Kapitel 3.3. Daneben wurde eine Analyse-Synthese-Struktur für Cicero auch in anderer Forschungsliteratur in unterschiedlichen Kontexten festgestellt. So schreibt beispielsweise Michel 1977, S. 356: „[L]e dialogue cicéronien procède par diverses voies, il recourt à l’analyse et à la synthèse.“ Mančal 1982, S. 131, belegt dies auch für Ciceros Biographie, die, so ebd., S. 106, unter anderem dadurch gekennzeichnet ist, dass Cicero als homo novus sowohl nobilis als auch obscuro loco ortus ist: „Das Wissen, z u g l e i c h u n u s ex omnibus zu sein u n d u n u s ex o m n i b u s , so methodisch zu realisieren, daß einerseits die Realität des Gegensatzes überwunden wird in einer Einheit, die Realität der Gegensätzlichkeit aber bewahrt bleibt […][,] ist […] eine wesentliche Bestimmung von Ciceros Philosophie.“ Ergebnis ist, so ebd., S. 186, eine „Einheit hergestellt aus der Einheit des Gegensatzes und der bewahrten Gegensätzlichkeit“. Vgl. ferner Gawlick 1956, S. 77, der die ciceronische Spannung von „consensio und dissensio“ betont und dabei ebd., S. 87 und 93–96 dissensio als unnatürliches Produkt definiert, das durch die Spaltung einer natürlichen und vorausgehenden Einheit entsteht. Er folgert ebd., S. 96: „Der Derivatcharakter der dissensio zeigt sich darin, daß ihr immer eine consensio zugrundeliegt.“ In der Annahme, dass auch bei Cicero am Ende die Synthese steht, ist es dabei sinnvoll, von den Einzelelementen – natürlich in ihrer Beziehung zueinander – auszugehen. Bittner 1999, S. 541. S. weiterhin die Verweise in Anm. 35 sowie Kapitel 8 und 9. Beispielhaft seien hier Bernett und Mančal genannt: Erstere sieht in Bernett 1995, S. 251 „einfache kausale Erklärungen bei Cicero in komplexere genetische Modelle eingebettet“. Konkret führt sie ebd. aus: „Antithetischer Dualismus, Teil-Ganzes-Relationen im Rahmen einer organistischen Gesellschaftsvorstellung und System-Umwelt-

Cicero unter strukturalistischer Perspektive

2.4

55

Cicero unter strukturalistischer Perspektive

Freilich stellt sich abschließend ganz grundsätzlich die Frage, ob es sich bei der vorgestellten Konzeption um ein reines Gedankenkonstrukt handelt, das mit einem antiken Textverständnis wenig gemein hat. Dies freilich ist eine Problematik, die sich jedem Interpreten stellt, der modernere Literaturtheorien ganz oder teilweise auf antike Texte anwendet. Nach der Beschreibung der methodischen Grundlagen wird aber klar, dass es in dieser Arbeit nicht um ein sklavisches Durchexerzieren strukturalistischer Theorie gehen soll. Vielmehr dient die strukturalistische Methode als Ausgangsbasis, werden ihre Fachtermini als Ordnungsangebote aufgefasst, können bestimmte Überzeugungen der Literaturtheoretiker als Anregungen dienen, um neue Aspekte ciceronischer Weltauffassung herauszuarbeiten. Zudem können einige andere literaturwissenschaftliche Einflüsse in das Gerüst integriert werden,155 sodass am Ende eine passgenaue Methode für die Interpretation von Ciceros Schriften entsteht. Dabei ist sie mehr als nur ein heuristisches Raster, kann sie doch auf hinter der Textebene existente Denkmuster hinweisen.156 Dies hat letztlich auch der Poststrukturalist Derrida erkannt, der seiner Schrift Politiques

155

156

Relationen als Modell der Bedrohung eines sozialen Ganzen stellen dabei spezifisch politische Hintergrundannahmen dar, auf die Cicero bei der Erklärung einzelner politischer Ereignisse Bezug nimmt.“ Mančal 1982, S. 69 beschreibt die historische Situation als Faktor: „Die Gegensätzlichkeit […] und das Bedürfnis nach der Herstellung der Einheit ist in der römischen Historie angelegt, als deren ‚Schüler‘ sich Cicero erweist.“ Vgl. Culler 1975, S. 188, der für den Bereich der Lyrik festhält: „[One is] bound to take from structuralism a theoretical framework and to fill it in by drawing on the writings of critics from other traditions.“ Vgl. auch ebd., S. 103. Vgl. zur Diskussion, ob strukturalistische Theorie mehr leisten kann, als nur terminologisches Raster zu sein, Culler 1975, S. 96–109 und 255–265. Er hat recht, wenn er ebd., S. 103 bekennt, dass viele Erkenntnisse auch mithilfe anderer Terminologie ausgedrückt werden könnten, zumal die Tradition, in der der Strukturalismus steht, im Vorherigen an mehreren Stellen dargelegt wurde: „[O]ne can say that the search for an invariant pattern in the works of an author is not a distinctively structuralist approach.“ Vgl. ähnlich ebd., S. 109: „[T]he prestige of linguistics may lead the critic to believe that simply applying linguistic labels to aspects of the text is necessarily a worth-while activity, but of course when used metaphorically or in isolation such terms enjoy no privileged status and are not necessarily more revealing than other concepts which the critic might import or create.“ Jedoch kann gerade die linguistisch inspirierte Terminologie helfen, bestimmte Ergebnisse besonders präzise zu formulieren, weshalb er ebd., S. 255 resümiert: „[L]inguistics provided a number of concepts which could be used eclectically or metaphorically in discussing literary works.“ Vgl. auch ebd., S. 256: „[T]he use of such terms may help one to identify relations of various kinds, […] within a single level or between levels, which are responsible for the production of meaning.“ Für diese Arbeit jedoch ergibt sich aus der Anwendung entsprechender Terminologie auch eine tiefergehende theoretische Beschäftigung mit bestimmten Denkmustern, wie das Methodikkapitel zu zeigen versucht hat.

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Einleitung und Methodik

de l’amitié programmatisch ein Zitat aus Ciceros Laelius de amicitia voranstellt: Quocirca et absentes adsunt […] et, quod difficilius dictu est, mortui vivunt.157 Derrida sieht damit in Ciceros Werk seine Logik der Überwindung oppositioneller Kategorien begründet, bestätigt aus strukturaler Perspektive aktiv die Existenz eines ciceronischen Denkmusters, das auf einen Status jenseits binärer Dichotomien verweist.158 Keinesfalls soll dabei der Eindruck entstehen, dass Cicero durch anachronistische Argumentation als Vorläufer strukturalistisch inspirierter Theoretiker interpretiert wird. Ganz im Gegenteil darf man nie Gefahr laufen, Ciceros Philosophie als von ihm intendiertes einheitliches, gar bruchloses System zu betrachten. Cicero war nicht Systematiker im heutigen Sinne, der Interpret kann Ciceros Texte dennoch mithilfe systematischer Begriffe untersuchen, mithilfe methodischer Annahmen ein neues theoretisches Systemgebilde aufstellen, wie es bei Cicero selbst in De oratore heißt: Nihil est enim, quod ad artem redigi possit, nisi ille 157 158

Lael. 23. Vgl. Derrida 1994, S. 9; vgl. näher dazu ebd., S. 19f. Vgl. Derrida 1994, S. 21, der für Cicero eine „convertibilité vertigineuse des contraires“ feststellt: „[L]’absent devient présent, le mort vivant, le pauvre riche, le faible fort.“ Vgl. zudem ebd., S. 90. Vgl. dazu Miller 2015, S. 181, der diese Logik Derridas als „a form of transcendence that exceeds the oppositional categories of presence and absence, being and nonbeing“ beschreibt und ebd., S. 187 die Relevanz von Ciceros Schrift für Derrida bestätigt: Sie sei für den Poststrukturalisten interessant, „because of the way it cuts across traditional ontological categories, pointing to a position beyond the normative binary oppositions that structure them“. Cicero stelle, so ebd., S. 182f., Anm. 9 die Oppositionen in Frage. S. näher dazu Kapitel 7.3.2. Es sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass der Poststrukturalismus an sich einen radikaleren Ansatz verfolgt, bei dem die Bedeutung eines Textes, so Culler 1975, S. 106f. als „perspective of semiotic production“ und „activity to be pursued“ verstanden wird. Vgl. ebd., S. 247, wo er Kristevas Überzeugung vom Textspiel referiert: „Interpretation is not a matter of recovering some meaning which lies behind the work and serves as a centre governing its structure; it is rather an attempt to participate in and observe the play of possible meanings to which the text gives access.“ Vgl. auch Harland 1987, S. 2, der demgegenüber die Strukturalisten noch einem „traditional scientific stance of Objectivity“ verpflichtet sieht. Vgl. zudem Dick 2009, S. 261 und Eagleton 1983, S. 139. Darüber hinaus geht man, wie in Anm. 92 bereits angedeutet, in dekonstruktivistischem Poststrukturalismus davon aus, dass sich Textbedeutungen immer auch selbst zuwiderlaufen; vgl. etwa Dugan 2007, S. 14: „In response to structuralism other scholars questioned the legitimacy of viewing language as a closed and tidy system, arguing instead that language was inherently unstable. Such deconstructive critics pulled at the margins of texts until they unraveled; they sought to show how literary works were inherently at odds with their own structures of meaning.“ Vgl. auch Sullivan 1994, S. 9 und Rorty 1995, S. 173 und generell zum Poststrukturalismus etwa Dosse 1997a, S. 351–363 und insgesamt Dosse 1997b. Im Unterschied dazu geht diese Arbeit jedoch nicht von einer subversiven Instabilität der Textstruktur und ihrer Dichotomien aus, sondern untersucht eine strukturelle Entwicklung hin zu einer Auflösung der Dichotomien, die nicht in eine völlige Bedeutungsoffenheit oder -negation mündet.

Cicero unter strukturalistischer Perspektive

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prius qui illa tenet quorum artem instituere volt, habet illam scientiam, ut ex iis rebus, quarum ars nondum sit, artem efficere possit.159 Akzeptiert man dabei die Prämisse, dass moderne – hier in erster Linie strukturalistische – Theorie, so sie nicht zum Selbstzweck wird, durchaus ein neues Licht auf antike Texte werfen kann, muss es dieser Arbeit gestattet sein, vorsichtige Rückschlüsse auch auf die Strukturierung der Gedankenwelt des Autors zu ziehen. Eine wirkliche Deutung sollte erst in zweiter Linie versucht werden, insofern sich die strukturalistische Analyse, so Schmitz, „gegen intuitive, totalisierende Sinnentwürfe“160 wendet: „Strukturalistische Untersuchungen können uns helfen zu verstehen, wie Texte sich organisieren, um Sinn zu übermitteln, aber sie können nicht den Text für uns deuten“,161 zumindest nur Ausgangspunkt für Deutungsangebote sein.162 Bevor einige solcher Angebote im Rahmen der Untersuchung ciceronischer Texte vorgestellt werden, soll eine kurze Zusammenfassung die Leistung des methodischen Instrumentariums auf den Punkt bringen und als Gelenkstelle eine Brücke zu den folgenden Textbetrachtungen schlagen. Als methodische Grundlage der Arbeit kann der literaturtheoretische Strukturalismus gelten, die Arbeit versteht sich jedoch nicht als exklusiv strukturalistisch, sondern ist vielmehr von einer undogmatischen Offenheit gegenüber verschiedenen Einflüssen geprägt. Das methodische Instrumentarium ist damit funktional zu sehen: Vornehmliches Ziel ist die Etablierung eines einheitlichen Untersuchungs-Instrumentariums für Ciceros Philosophieren, das letztendlich zu einem globalen Verständnis ciceronischer philosophischer Schriften und ihrer Weltdeutung beitragen kann. Leitende methodische Annahmen sind dabei: a.

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160 161

162

Der Strukturalismus fokussiert sich auf Anordnungen und geht davon aus, dass die Elemente eines Systems ihre Bedeutung erst in Beziehung zu anderen Elementen erhalten. Die Arbeit untersucht demgemäß vor allem die Textstruktur und den Zusammenhang ihrer Einzelelemente.

De orat. 1,186. Auch eine Stelle aus dem Orator, orat. 233, lässt sich in dieser Hinsicht deuten: Videsne ut ordine verborum paululum commutato, isdem tamen verbis stante sententia, ad nihilum omnia recidant, cum sint ex aptis dissoluta? S. zudem etwa de orat. 3,179 und fin. 3,74. Vgl. dazu auch Culler 1975, S. 109: „A work has a structure only in terms of a theory which specifies the ways in which it functions, and to formulate that theory is the task of poetics.“ S. zudem Kapitel 3.3 und Anm. 285 sowie Kapitel 9.1. Schmitz 2006, S. 59. Schmitz 2006, S. 52. Barthes sieht es entsprechend, so Culler 1975, S. 118, als Aufgabe des Strukturalisten „to make explicit the underlying system which makes literary effects possible“. Interpretation sei sekundär. Auf dieser Basis aufbauend muss es selbstverständlich legitim sein, persönliche, politische und andere Umstände in die Untersuchung miteinzubeziehen.

58 b.

c.

d.

e.

Einleitung und Methodik

Dabei wird eine strukturalistisch-synchrone Perspektive eingenommen und so ein zeitlicher Querschnitt des ciceronischen Philosophierens betrachtet. Die Arbeit nimmt folglich einen Kern des ciceronischen Philosophierens an, der zwar in verschiedenen Werken jeweils anders nuanciert werden kann, im Grunde aber konstant ist. Eine grundlegende Denkoperation des Menschen gemäß strukturalistischer Theorie ist das Denken in Gegensätzen; die beliebteste heuristische Kategorie ist die der binären Opposition, die als basales menschliches Ordnungsprinzip verstanden wird. Daraus ergibt sich für die Textarbeit zunächst ein Fokus auf zentrale begriffliche Dichotomien (z. B. Römer–Griechen) unter dem Prinzip der Analyse: Ein Gegensatzpaar geht aus einer Spaltung eines ehemaligen Ganzen in einander entgegengeordnete Einzelteile hervor. Die Arbeit geht jedoch über die Beschreibung statisch-binärer Oppositionsstrukturen hinaus und betrachtet unter dem komplementären Prinzip der Synthese die Überwindung von Gegensätzen, konkret die Aufhebung der aufeinander bezogenen, dichotomen Einzelelemente in einer Einheit. Eine Grundannahme ist dabei eine ciceronische Strukturbewegung von der Trennung hin zu einer Einheit von Gegensätzen Im Rahmen dieser Strukturbewegung interessiert sich die Arbeit vor allem für Übergänge und diejenigen Textelemente, die die Dynamik der strukturalen Bewegung von der Getrenntheit zur Einheit prägen.

Das die Textstruktur prägende Denkmuster mit seinen beiden Kategorien Gegensatz und Einheit – Analyse und Synthese – ist dabei auf Rezipientenseite eine ergiebige Interpretationsfolie. Es kann verschiedene konzeptuelle Phänomene des ciceronischen Philosophierens aufspannen – einige sollen im Folgenden eingehend beleuchtet werden.

Das Wie des ciceronischen Philosophierens Nach den methodischen Vorbemerkungen, die die Herangehensweise der Arbeit erläutert haben, werden nun unter Anwendung des aufgebauten Instrumentariums die Modalitäten von Ciceros Philosophieren selbst untersucht. Dafür dienen seine philosophische Schriften, die als konkrete Realisationsform eines übergeordneten Strukturprogramms betrachtet werden. Gerade wenn man dabei nach der Art und Weise der strukturalen Ausgestaltung fragt und darum weiß, dass Cicero besonders an einer philosophischen Methode gelegen ist,163 muss sich eine strukturalistisch orientierte Herangehensweise bezahlt machen, legt sie doch von sich aus schon den Fokus auf das Wie des Philosophierens. Aufbauend auf den Überlegungen des vorherigen Kapitels ergibt sich daher nicht zuletzt das Bestreben dieser Arbeit, die These zu festigen, dass Ciceros philosophische Methodik als einheitlich und stringent verstanden werden kann. 3

Rhetorische Philosophie – philosophische Rhetorik: Ciceros Disputationsmethodik

3.1

Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen

Die abstrakte Basis der ciceronischen Methodik bildet sein oft thematisiertes Ideal einer Verbindung von Weisheit und Beredsamkeit, wie er es bereits in seinem Frühwerk De inventione umreißt:164 Ac me quidem diu cogitantem ratio ipsa in hanc potissimum sententiam ducit, ut existimem sapientiam sine eloquentia parum prodesse civitatibus, eloquentiam vero sine sapientia nimium obesse plerumque, prodesse numquam.

Viele Implikationen dieses so grundlegenden und oft erkannten Einheitsbestrebens sind bereits umfassend in der Forschungsliteratur165 beleuchtet worden; im Folgenden sollen daher diejenigen Aspekte im Vordergrund stehen, die einerseits die im vorherigen Kapitel präsentierten Überlegungen zur Dynamik des Denk163 164

165

Vgl. Leonhardt 2000, S. 62: Cicero gehe es „nicht primär um eine neue Philosophie, sondern um eine philosophische Methode“. Inv. 1,1. Baraz 2012, S. 129 bemerkt richtig, dass die „Verbindung zwischen Rhetorik und Philosophie für Cicero lebenslang wichtig“ war – dies soll im Laufe des Kapitels deutlich werden. S. für nähere Erläuterungen zu De inventione Kapitel 3.3.2. S. dazu Anm. 238, 239 und 307.

60

Das Wie des ciceronischen Philosophierens

musters Analyse–Synthese bestätigen und vertiefen können und andererseits bereits auf die im nächsten Kapitel entwickelte spezifische ciceronische Verfahrensweise, die zwischen Glaube und Zweifel zu verorten ist, verweisen. Dass Cicero seine rhetorischen Werke dabei dezidiert unter philosophischer Perspektive sieht, wird aus den retrospektiven Überlegungen des zweiten Proömiums von De divinatione deutlich, wo er dies unter Berufung auf Aristoteles und Theophrast konstatiert:166 Cumque Aristoteles itemque Theophrastus, excellentes viri cum subtilitate, tum copia, cum philosophia dicendi etiam praecepta coniunxerint, nostri quoque oratorii libri in eundem librorum numerum referendi videntur.

Besonders eignet sich für eine Betrachtung unter den hier aufgestellten Prämissen das berühmte dritte Buch des rhetorischen Hauptwerks De oratore, welches das Verhältnis von res und verba im größeren Kontext diskutiert und dessen darauf aufbauende Ausführungen zur Disziplin der Dialektik dazu beitragen können, ein erkenntnistheoretisch geleitetes Ideal des ciceronischen Redens zu umreißen. Vertieft werden diese Überlegungen anschließend mit dem Beginn des Proömiums der Schrift Orator, der gemeinsam mit einigen Stellen aus dem Hauptteil zudem das Individuum ins Zentrum rückt, das sich am aufgestellten Redeideal orientiert und gesellschaftlich-politisch wirkt. Ergänzt werden die Betrachtungen um ausgewählte Passagen aus De inventione, dem Brutus sowie den Paradoxa Stoicorum, den Partitiones oratoriae und den Academica posteriora. Einführend jedoch sollen die Proömien der Tusculanae disputationes betrachtet werden: An ihnen kann besonders kondensiert die grundsätzliche Spannung aufgezeigt und zudem demonstriert werden, wie sie grundlegend methodische Bedeutung erhält.167 3.2

Einführung anhand der Tusculanen: Die zentrale Dichotomie Philosophie–Rhetorik

Es sollen also die Proömien der Tusculanae disputationes Ausgangspunkt für eine weitergehende Beschäftigung mit der Thematik sein, zumal in den fünf Vorreden die in methodischer Hinsicht aufschlussreiche Dichotomie Philosophie–Rhetorik168 ausführlich verhandelt wird. Das Oppositionspaar zeigt sich dort in zwei 166

167 168

Div. 2,4. Leonhardt 1999, S. 19 und ebd., Anm. 41 und 42 sammelt einige weitere Beispiele für philosophische wie rhetorische Schriften; vgl. für weitere Stellen zudem Granatelli 1990, S. 166–175. Bereits hier stellt sich Cicero auch in eine griechische Tradition, die sich, so hat es den Anschein, mit der Spannung zwischen diesen beiden Bereichen eingehend beschäftigt hat. S. dazu Anm. 180 und 201. Vgl. ganz allgemein einführend in Geschichte und Systematik der antiken Rhetorik Fuhrmann 2011. S. zu einer ausführlichen Begründung Kapitel 6.1. Verbunden damit sind die Gegensatzpaare Inhalt–Form und res–verba.

Ciceros Disputationsmethodik

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verschiedenen Zusammenhängen: In einer historischen Betrachtung wird das Phänomen von reziprok gedachtem Aufstieg und Niedergang in den Blick genommen; in methodischer Hinsicht, die in diesem Kapitel an erster Stelle stehen soll, geht Cicero auf die seiner Ansicht nach notwendige Verbindung von Philosophie und Rhetorik ein.169 Hierbei sollen mehrere Aspekte dieser Verschränkung herausgearbeitet werden: Neben den traditionellen rhetorischen Funktionen kann man auch ein spezifisch erkenntnistheoretisch geleitetes Interesse nachweisen, welches im Folgenden der interpretatorische Fokus und im Anschluss Zugang zu Ciceros rhetorischen Hauptwerken sein soll. Zunächst wird im Kontext des Kulturvergleichs zwischen Rom und Griechenland im ersten Proömium des Werks ein direkter Zusammenhang zwischen beiden Disziplinen nahegelegt. Rednerische Praxis hätten die Römer schnell übernommen,170 die Philosophie dagegen habe bis zu Ciceros Zeit in Rom keine hohe Bedeutung genossen: Oratorem celeriter complexi sumus […]. Philosophia iacuit usque ad hanc aetatem.171 Der hier konstruierte Gegensatz erfährt im nächsten Satz eine Begründung: Der politisch Engagierte setzt andere Prioritäten als der Müßige, der Wandel hat vor allem zeitgeschichtliche Gründe, die, wie sich zeigen wird, zu bedauern sind.172 Im zweiten Proöm wird sodann konkret ein reziprokes Verhältnis zwischen den beiden Disziplinen konstatiert:173 Oratorum quidem laus ita ducta ab humili venit ad summum, ut iam, quod natura fert in omnibus fere rebus, senescat brevique tempore ad nihilum ventura videatur, philosophia nascatur Latinis quidem litteris ex his temporibus, eamque nos adiuvemus nosque ipsos redargui refellique patiamur.

In einer Zeit, in der die Rede vor dem Volk obsolet geworden ist, wächst die Bedeutung der Philosophie in dem Maße, in dem die der Rhetorik, die schon am Ende ihres Lebenszyklus steht, schwindet.174 Die Philosophie nämlich sei mit

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173 174

Vgl. insgesamt zu Rhetorik und Philosophie in den Tusculanae disputationes auch Müller 1965, S. 162–168 und generell Michel 1961. Vgl. für den gesellschaftlichen Kontext der Rhetorik in Rom und speziell zu Ciceros Zeit May 2002; Wisse 2002b; Steel 2006 und Alexander 2007. Vgl. darüber hinaus May/Wisse 2001, S. 4–6 und in kritischer Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Bedeutung der Rhetorik in der ausgehenden Republik Fox 2007b, S. 374f. Tusc. 1,5. Gildenhard 2007, S. 144f. beschreibt, dass Cicero selbst gezwungenermaßen diesen Wechsel vollziehen muss: Cicero „switches from oratory, the proper discourse, that is, of the occupatus, the man busy in politics, to philosophy, the default discourse of the otiosus, the forcefully retired politician“. Tusc. 2,5. Vgl. Gildenhard 2007, S. 165 und die Tabellen ebd., S. 143 und 154 sowie Müller 1965, S. 168f. Vgl. auch Baraz 2012, S. 141: „[P]hilosophy emerges as an area in which the Romans are predisposed to succeed and to which they ought to apply themselves.“

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

wenigen Richtern zufrieden: Est enim philosophia paucis contenta iudicibus.175 Mit dem Umschlag der politischen Verhältnisse wird demnach in historischer Hinsicht ein analytischer Prozess in Gang gesetzt, der die Rhetorik immer weiter von der Lebenswirklichkeit entfernt. Im Mittelpunkt steht nun, so scheint es, die Philosophie; ihren Höhepunkt erreicht diese Entwicklung im Hymnus an eben jene in der fünften Vorrede.176 Dass diese Entwicklung von Cicero als negativ erlebt wird,177 zeigt schon die direkt im Anschluss an die erste Konstatierung der analytischen Entwicklung geäußerte Überzeugung von der literarischen Notwendigkeit einer Verbindung beider Disziplinen:178 Fieri autem potest, ut recte quis sentiat et id quod sentit polite eloqui non possit; sed mandare quemquam litteris cogitationes suas, qui eas nec disponere nec inlustrare possit nec delectatione aliqua allicere lectorem, hominis est intemperanter abutentis et otio et litteris.

Wirklich zum Lesen anregende philosophische Werke können nur durch eine Kombination geistiger und stilistischer Brillanz entstehen, eine Trennung philosophisch und rhetorisch orientierter Elemente verschreckt den interessierten Leser und wirkt somit dem kulturphilosophischen Anspruch einer philosophischen gesellschaftlichen Durchdringung179 entgegen. So wird deutlich, dass es sich bei diesem gesellschaftshistorischen Auseinandertreten von Philosophie und Rhetorik um eine zu bedauernde geschichtliche Entwicklung handelt,180 insofern sie letztlich in einen Status der Analyse mündet. Sosehr die Aufwertung der Philosophie

175 176

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178 179 180

Tusc. 2,4. Ausführlicher zum Hymnus s. Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. Auffällig ist hier, dass sich der leidenschaftliche Lobpreis der Philosophie gleichzeitig als eine rhetorisch besonders ausgefeilte Textpassage darstellt – ein Hinweis auf die letztlich notwendige Verbindung beider Elemente. Dies gilt trotz des in den Tusculanae disputationes zu findenden hymnischen Preises der Philosophie; als Ideal gilt auch hier die Synthese, wie die folgenden Ausführungen zeigen wollen. Tusc. 1,6. S. auch ähnlich ebd., 2,7, dort ganz konkret gegen bestimmte Philosophengruppen gerichtet. S. dazu ausführlich Kapitel 6, 7 und 8. Der alte Streit zwischen Philosophie und Rhetorik hat seinen Ursprung in Griechenland: Vgl. für den historischen Hintergrund dieses Konflikts zwischen Philosophen und Rednern wie rhetorischen Theoretikern generell Wardy 2009 sowie weiterhin Wisse 2002b, S. 362–364; Michel 1960, S. 80–149; Reinhardt 2000, S. 532f. und Schirren 2018, S. 189–195. Vgl. zum Verhältnis der Disziplinen bei Platon und Aristoteles etwa Narducci 1997, S. 38–44 und Wikramanayake 1965. Cicero selbst thematisiert die Geschichte der Spaltung von Philosophie und Rhetorik mehrmals in seinen Werken; s. dazu Kapitel 3.3.

Ciceros Disputationsmethodik

63

zu begrüßen ist, so stark ist der Bedeutungsverlust der Redekunst zu betrauern181 – als Ideal steht bereits hier eine Synthese beider Prinzipien im Raum. Damit wird die Dichotomie in ihrem zweiten Zusammenhang augenfällig: Neben dem historischen Kontext erscheint das Oppositionspaar im Rahmen einer verfahrenstechnischen Fragestellung – der gesellschaftlichen Spaltungsbewegung wird ein methodisches Einheitsstreben entgegengesetzt. Entsprechend wird das prudentiam cum eloquentia iungere182 als Vollendung der Philosophie, als perfecta philosophia bezeichnet.183 Im zweiten Proömium werden diese Kriterien für eine angemessene Darstellung184 nochmals ex negativo definiert und am Beispiel der Epikureer veranschaulicht: Profitentur ipsi illi, qui eos scribunt, se neque distincte neque distribute neque eleganter neque ornate scribere.185 Eine Schule, die Philosophie und Rhetorik nicht in Einklang bringen kann oder will, disqualifiziert sich für eine ernsthafte methodische Beschäftigung. In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, was – gerade außerhalb des überkommenen Lehrsystems186 – unter dem Textelement Rhetorik, ergo eloquentia,187 und dem komplementären Begriff der Philosophie zu verstehen ist, besonders aber, wie eine implizierte Verbindung beider Teile gestaltet sein kann. Betrachtet man den Kontext der zitierten Stellen – Stilfragen beim Erstellen philosophischer Werke – so scheint die angestrebte Synthese zunächst ganz allgemein, so Koch, die „Verbindung von methodisch entwickelten philosophischen Gedanken mit gelungenem sprachlichen Ausdruck“188 zu bedeuten. Eine solche in erster Linie der Gefälligkeit dienende Verknüpfung kann als ästhetische Funktion einer Verbindung von Philosophie und Rhetorik beschrieben werden – was bisweilen in der Forschung in den Vordergrund gerückt wurde, wenn etwa Lefèvre meint, es gehe Cicero darum, den „Leser durch einen gewissen Genuß anzu-

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S. dazu auch die Unterhaltung zwischen den Gesprächsteilnehmern Cicero und Brutus in Brut. 22–24. Tusc. 1,7. S. ebd. Diese Bezeichnung ist auch vor dem Hintergrund der Bestimmung des perfectus orator zu sehen; S. dazu das Weitere. Vgl. Lefèvre 2008, S. 31 und 61. Tusc. 2,7. Vgl. für eine Übersicht des rhetorischen Lehrsystems und seine formal-technischen Aspekte Fuhrmann 2011, S. 73–142 sowie für einen Überblick über das klassische Lehrsystem und speziell Ciceros Modifikationen May/Wisse 2001, S. 27–38. Vgl. für generelle Überlegungen zur Disziplin der Rhetorik und ihrer Verwandtschaft zu Poetik, Stilistik und Logik Fuhrmann 2011, S. 9f. und zu ersteren auch Russell 1981, S. 1–17 und 114–128 sowie Chalkomatas 2007, S. 19–28. Im Folgenden soll allerdings exklusiv das spezifisch ciceronische Verständnis beleuchtet werden, wie es in seinen philosophischen Schriften zum Ausdruck kommt. Koch 2006, S. 69.

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locken“,189 wie es auch durch Begrifflichkeiten wie polite,190 ornate,191 delectatione192 oder copiosissime193 transportiert wird.194 Oft verbunden damit wird die persuasive Gewalt der Verschränkung beider Disziplinen als maßgebliche und hauptsächliche Funktion angeführt, wobei in diesem Zusammenhang oft einseitig der rhetorische Pol betont wird. Durch Schmuck und ästhetische Ausstaffierung sowie durch manipulative Argumentationstechniken soll demnach die eigene Position an Überzeugungskraft gewinnen, was der philosophischen Wahrheitsfindung naturgemäß zuwiderlaufen muss; so betont Lefèvre einen „persuasiven Charakter“195 der Schrift. Auf diese exklusive Weise verstanden, muss eine Verbindung beider Bereiche zwangsläufig problematisch erscheinen, wie etwa Leonhardt nachdrücklich herausstellt: „Verstanden in ihrer ureigensten Bedeutung als Überzeugungsstrategie steht Rhetorik zum Zweck der Philosophie, der in der vorurteilslosen Wahrheitsfindung liegt, in direktem Widerspruch“196 – ein Widerspruch, der sich unter einer solchen Perspektive freilich nicht oder zumindest nicht vollständig auflösen lässt.197 Jedoch ist es möglich, durchaus mehr in der ciceronischen Art der Verbindung von Philosophie und Rhetorik zu sehen als nur eine sprachliche Veredelung weiser Gedanken oder ein zwangsläufig paradoxes Aufeinandertreffen von Wahrheitssuche und Manipulation.198 Mehr noch als eine offensichtlich gegenseitige 189 190 191 192 193 194

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Lefèvre 2008, S. 31 nach Tusc. 1,6. Ebd. Ebd., 2,7. Ebd., 2,7. Ebd., 5,11. Koch 2006, S. 67 sieht in diesem Anlocken eine gezielte Strategie der sanften Protreptik, um auch philosophisch nicht Vorgebildete für Ciceros therapeutisches Konzept gewinnen zu können. S. dazu auch Kapitel 6.2.3 zur Kulturphilosophie und zudem Anm. 807 und 901. Lefèvre 2008, S. 23; vgl. zudem 145 und 267–275, wo der Vorrang der Rhetorik vor der inhaltlichen Schärfe betont wird. Vgl. auch Stroh 2009, S. 18–24: Rhetorik in der Antike sei weniger verbale Verschönerung oder Herstellung von Konsens, sondern Persuasion. Vgl. ferner Gillingham 1950, S. 70: „The Tusculan Disputations […] constitute a performance in rhetoric rather than in philosophy.“ Vgl. darüber hinaus Douglas 1995, S. 199; Sprute 1983, S. 169; Arweiler 2003, S. 14f. und Haltenhoff 2000, S. 228. Gotter 2003, S. 166 weist auf den generellen „funktionale[n] Einsatz explizit griechischer Philosopheme im römischen Kontext“ hin. Leonhardt 1999, S. 90. Demgemäß weist Dunsch 2000, S. 315 etwa auf die manipulativen Tendenzen in Ciceros Argumentation hin, wenn etwa die Existenz bedeutender philosophischer Werke in lateinischer Sprache vor Cicero – man denke an Lukrez – stillschweigend übergangen werde. Vgl. Leonhardt 1999, S. 90: „Der seit Platon vorhandene Streit läßt sich auch bei Cicero nicht so einfach zugunsten einer höheren Einheit auflösen.“ Die Tendenz der Forschung, die ästhetische und persuasiven Aspekte herauszustreichen, beschreibt Leonhardt 1999, S. 90: Man habe die Rolle der Rhetorik „in Ciceros

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Befruchtung, wie sie natürlich auch von Cicero thematisiert wird,199 ist in Ciceros philosophischem Wirken eine tiefergehende systematische Verbindung der beiden Pole angelegt, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll. Deutlich wird dies im Text dort, wo Cicero am Ende einiger Vorreden seine eigene Methode thematisiert und dabei herausstechende Exempla wie Aristoteles200 im ersten Proömium, Philon im zweiten oder Karneades im fünften anführt, womit er sich in eine bereits griechische Tradition der Verbindung von Philosophie und Rhetorik stellt.201 Konkretisiert wird diese Anlehnung an große Vorgänger in der spezifi-

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philosophischen Werken oft ganz selbstverständlich auf die bloße Art der Darstellung, die Klarheit der Gedankenführung, die gefällige sprachliche Gestaltung und sichere Wortwahl reduziert und die Substanz der philosophischen Argumentation davon getrennt.“ Peetz 2000, S. 55 wendet sich dabei dezidiert gegen die Forschungstradition und argumentiert gegen die These, dass „[d]as Verhältnis von Rhetorik und Philosophie […] ein solches wechselseitiger Exklusion“ darstelle. Ebenso tritt Mančal 1982, S. 52 dafür ein, dass Cicero die Verbindung beider Disziplinen theoretisch begründet, und macht ebd., S. 180 deutlich, dass es sich um mehr handelt als „gewöhnliche Agitation, Propaganda, bloße Meinungs- und Bewußtseinsmanipulation“. S. die oben angeführten Zitate, etwa aus Tusc. 1,6 oder 2,7. Vgl. dazu etwa Morford 2002, S. 35: „[T]he former comes into being through reason, the servant and interpreter of philosophy; the latter needs rhetoric if its conclusions are to be communicated to and understood by a wide audience.“ S. zudem fat. 3 und vgl. dazu Calanchini 2015, S. 147. Vgl. daneben auch Alfonsi 1975, S. 114. Vgl. Buckley 1970, S. 147: „Cicero envisaged his own career as a recapitulation of the efforts of Aristotle in the reuniting of rhetorical and philosophic excellences.“ Vgl. auch Ryan 1982, S. 268–271. S. auch de orat. 3,141 und vgl. dazu Michel 1961, S. 159. Eine vollständige Behandlung der Thematik muss also neben dem griechischen Streit der beiden Disziplinen – s. dazu Anm. 180 – auch die bereits bei griechischen Denkern vorhandenen Tendenzen einer Kombination von Philosophie und Rhetorik berücksichtigen; vgl. dazu allgemein Fuhrmann 2011, S. 43f. Neben Aristoteles sind dabei v. a. zwei weitere Namen zu nennen: Ciceros Lehrer Philon soll auf den Trend der Rhetorenschulen reagiert haben und rhetorische Elemente in sein philosophisches Bildungskonzept integriert haben, ohne dabei die philosophischen Komponenten reduziert zu haben, wie u. a. Reinhardt 2000, S. 539 herausstellt: „Philo’s rhetoric, then, would not be a dubiously motivated alien element in a philosophical programme that is otherwise differently orientated. For the arguing of almost any question on either side not merely as a training of argumentative skills but with an actual interest in the argumentative potential – positive and negative – inherent to the problem and with the objective to convey this potential to an audience may in fact be described both as philosophical and rhetorical.“ Vgl. dazu auch Wisse 2002b, S. 363, der sich auf de orat. 3,110 und Tusc. 2,9 beruft, sowie Stroh 2009, S. 294–296; Burkert 1965, S. 182; Lefèvre 1988, S. 116, Anm. 30 und 128 und zudem Fuhrer 1993, S. 113f., die sogar davon ausgeht, Philon habe möglicherweise „selbst die Methode der Antilogistik und den Skeptizismus der Neuen Akademie systematisch in einen Zusammenhang“ gebracht. Gawlick 1956, S. 73–75, Anm. 1 hingegen spricht von einem unklaren Verhältnis der Disziplinen bei Philon und Antiochus. Daneben wird in der Forschungsliteratur häufig

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schen Methode des contra alterius opinionem disserendi202 oder in contrarias partis disserendi203 – am bekanntesten unter der ebenfalls von Cicero gebrauchten Bezeichnung disputatio in utramque partem.204 All diese Varianten205 bezeichnen eine ganz bestimmte Methodik: die Erörterung eines Themas anhand konträrer Positionen, die theoretisch und praktisch eingenommen werden können. Diese Methode des Disputierens nach verschiedenen Seiten hin markiert dabei einen Kernpunkt der von Cicero favorisierten akademischen Schule. Die Affinität von Ciceros symbiotischer Konzeption und der Akademie karneadischer und philonischer Prägung ist augenfällig und oft beobachtet worden,206 zumal sie von

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das Bildungskonzept des Isokrates als Vorbild genannt; vgl. dazu etwa Müller 1965, S. 116–124 und Fuhrmann 2011, S. 24–28. Schirren 2018, S. 195 erwähnt darüber hinaus Demetrios von Phaleron als Denker, der nach leg. 3,14 „philosophische Dialektik und Rhetorik in einer Übungsform zu verbinden wusste“; s. auch off. 1,3. Erler 2018, S. 176f. und 182–185 weist darauf hin, dass erste Konzepte einer Verbindung von Philosophie und Rhetorik bereits bei Platon zu finden sind; vgl. dazu auch Montoneri 1993, S. 241. Tusc. 1,8. Ebd., 2,9. S. z. B. ac. 1,46; 2,8 oder nat. deor. 1,11. Vgl. zu den verschiedenen Arten der Disputation Cambiano 2002, S. 70–73. Zur Verwendung bei Cicero, u. a. zur fehlenden Unterscheidung der Termini bei ihm, vgl. Gawlick/Görler 1994, S. 1023 und Gildenhard 2007, S. 17–21, zudem Bächli und Graeser in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. 195f. sowie Granatelli 1990, S. 166–175 und Michel 1960, S. 158–234. S. bei Cicero selbst fin. 2,2f. zu verschiedenen Ausprägungen der Debatte in der Akademie und vgl. dazu Long 2015, S. 191 sowie Lévy 2002, S. 26f. Peetz 2007, S. 134f. betont, dass die verschiedenen Formen der Disputation bei Cicero für denselben Zweck der Urteilsbildung genutzt werden. Vgl. Zoll 1962, S. 55–57 für die Begriffe disputare und disserere. Im Folgenden soll der Terminus disputatio (in utramque partem) für alle Spielarten gebraucht werden. Natürlich soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass sich durchaus auch nuancierte Unterschiede bei den Varianten der Disputation finden lassen, zumal ja der Ausnahmestellung der Tusculanae Disputationes durchaus struktureller Unterscheidungswert zukommt – s. hierzu Kapitel 6.1 sowie Anm. 779. Vgl. etwa Stroh 2009, S. 296 und darüber hinaus u. a. Gawlick/Görler 1994, S. 1098f.; Atkins 2000, S. 503f.; Clausen 2008, S. 121; Koch 2006, S. 37; Fuhrer 1993, S. 111– 114; Powell 2007, S. 336; Baraz 2012, S. 133–137 und 146–149 sowie Long 2015, S. 192–198. Cicero schreibt die Disputationsmethodik jedoch auch anderen Philosophen zu, so etwa Aristoteles und der peripatetischen Schule insgesamt; vgl. dazu Long 1995a, S. 57; Long 2015, S. 191, Anm. 20 und Barwick 1963, S. 80 sowie zur Historizität dieser Zuschreibung Moraux 1968, S. 300–304. Vermutlich zeigt sich in dieser Inanspruchnahme wechselnder Autoritäten durch Cicero letztlich sein philosophisches Einheitsstreben und die Rückführung der richtigen philosophischen Herangehensweise auf einen durchgehenden bruchlosen akademischen Traditionsstrang, wie etwa auch Hadot 1998, S. 182f. impliziert: Die aristotelische „technique de la persuasion se réidentifiera à la philosophie chez les académiciens probabilistes“. Vgl.

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Cicero selbst des Öfteren nahegelegt wird.207 Die Synthese von Philosophie und Rhetorik beschreibt so gesehen nichts anderes als den formalen Kern einer rhetorischen Prinzipien verhafteten akademischen philosophischen Richtung, wie Cicero sie in seinen Werken präsentiert. Bestätigt wird diese These weiterhin bei der Beschreibung der positiven Auswirkungen und Vorzüge einer in diesem Sinne konfigurierten Synthese: Neben der Funktion als Rhetoriktraining, als maxuma dicendi exercitatio,208 kann durch die beschriebene Methodik am besten erörtert werden, was bei jedem Sachverhalt das Wahrscheinliche ist: Aliter non posset, quid in quaque re veri simile esset, inveniri.209 Durch das Rekurrieren auf den akademischen Terminus des Wahrscheinlichen, das probabile oder veri simile,210 wird der Methode der Disputation und damit der programmatischen211 Verbindung von Philosophie und Rhetorik definitiv auch erkenntnistheoretische Funktion zugewiesen. Koch streift dieses Bedeutungsspektrum, wenn er herausstellt, dass die rhetorische Ausformung philosophischer Gedanken nicht „emotionale Überrumpelung, sondern sachliche Klärung“212 beabsichtige, und wenn er der oratio damit „epistemischen Wert“213 zuschreibt.

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zudem für eine Rückführung auf Sokrates Nicgorski 2016, S. 62. Inwood 1990, S. 146, Anm. 11 gibt, ausgehend von fin. 2,17, einen guten Überblick: „Cicero brings oratory and philosophical debate through continuous speeches close together; the neoAcademics Arcesilaus and Carneades, as well as Aristotle, developed the skill of debating in utramque partem through extended speeches. This skill is both rhetorical (oratorum propria at de Oratore I 263; cf. Orator 46) and philosophical (de Oratore ΙII 79–80, III 107). Cicero normally regards Aristotle as the founder of this method in philosophy (de Finibus V 10), though even Platonic dialogues get mentioned as examples of the technique (Academica I 46); and it is evidently Aristotle’s role as both a rhetorical and philosophical authority which most attracts Cicero. Cotta, the Academic spokesman in de Natura Deorum is described as having acquired the skill from rhetorical practice and developed it further through Academic training (ND II 168).“ S. neben den hier angeführten Stellen auch Brut. 120 sowie Tusc. 2,9. Vgl. zudem überblickshaft u. a. Ruch 1969 und Michel 1960, S. 232. S. zur Wirkung dieser Verschmelzung ausführlich Kapitel 3.3.1 und s. auch Anm. 367. S. etwa nat. deor. 2,1 und 168. Tusc. 2,9. Ebd. S. dazu und zum daraus erwachsenden ciceronischen Probabilismus detailliert Kapitel 4. Vgl. etwa Arweiler 2003, S. 261, Anm. 141, der von einem „von Cicero programmatisch zwischen Philosophie und Rhetorik etablierte[n] Konzept des in utramque partem disserere“ spricht. Vgl. ferner Gawlick 1956, S. 73–75, Anm. 1 und Fox 2007a, S. 53. Koch 2006, S. 45. Ebd., S. 44. Vgl. weiterhin überzeugend Peetz 2005, S. 121: „Rhetorik ist so keine Technik, die sich ihres Gegenstands lediglich als eines Instruments zum Zweck der Überredung bedient, sondern eine aus intensivem Umgang mit ihrem Gegenstand erwachsende investigative Praxis der Wahrheitsfindung, die auf die bestmögliche Erkenntnis ihres Gegenstands selbst gerichtet ist.“ Vgl. auch Peetz 2000, S. 57 und zudem

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Durch die Engführung von Wahrheitssuche und Rhetoriktraining wird zudem deutlich, dass die synthetische Methodik sowohl für die Theorie als auch für die Praxis Relevanz besitzt, insoweit philosophisch-theoretische Überlegungen und Berufsvorbereitung für die forensische Praxis von derselben methodischen Herangehensweise an Probleme profitieren.214 Aber nicht nur eine beide Pole getrennt akzentuierende gegenseitige Befruchtung ist gemeint, wie von Cicero im zweiten Proömium impliziert,215 als Ideal steht eine tatsächliche Synthese im Raum, die ein rhetorisches Üben mit philosophischer Haltung zu einer Einheit denkt und so auch Theorie und Praxis verbinden kann. Somit stellt Cicero ein originelles Konzept216 in den Raum, welches nicht zuletzt dem römischen Desiderat nach praktischer Anwendung und Nützlichkeit Genüge leistet. Nicht zufällig betont Cicero

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Gawlick 1956, S. 116, der die Metapher der Erhellung stark macht, wenn er einen Ausgleich der obscuritas rerum durch das lumen verborum konstatiert; vgl. ebd., S. 73– 75, Anm. 1 und 92–95, Anm. 1. Auf ähnliche Aspekte bei Platon weist Montoneri 1993, S. 240 hin. Vgl. dazu Baraz 2012, S. 146–149. Ebd., S. 147 stellt sie fest, dass Cicero disputatio in die Nähe von declamatio bringe, „making philosophical practice appear analogous to oratorical practice“. Vgl. zudem Reinhardt 2000, S. 533, der den verschiedenen Disputationsarten eine Nähe zur rhetorischen Praxis bescheinigt: „Both ways of dialectical argument aim at plausible representation either of two positions contrasted or of the one that is opposed to the given thesis. In this respect they already display a point of contact with rhetorical argument.“ Auch Sauer 2018, S. 84 spricht davon, dass eine „juristische Grundsituation“ abgebildet werde. Barwick 1963, S. 38f. sieht den Zusammenhang, wenn er „die von den Rhetoren durchgeführten deklamatorischen Übungen, die die Kraft und Leidenschaft der praktischen Beredsamkeit vermitteln, und die eine varietas doctrinae voraussetzenden Übungen des Peripatos und der Akademie, über jedes Thema pro und contra zu reden“ als gleichsam relevant für den Redner erachtet und diese „Synthese von Rhetorik und Philosophie“ als eigenständiges Konzept Ciceros bezeichnet; vgl. auch ebd., S. 70f. und 81f. und darüber hinaus Peetz 2000, S. 63 und 66; Morford 2002, S. 39; Schofield 1986, S. 51 sowie Michel 1982, S. 133–139; Müller 1965, S. 137–140; Lévy 2017, S. 14 und Leonhardt 1999, S. 13–25 und 28f. Vgl. generell zur rhetorischen Übung Bittner 1999, S. 352–405 und 544–548. Dies ist etwa am Tagesablauf der Gespräche auf dem Landgut zu sehen, wie er in Tusc. 2,9 beschrieben wird: Vormittags habe man rhetorische Übungen gepflegt, nachmittags akademisch-philosophische Überlegungen angestellt; vgl. zur Stelle ausführlich Bohlin 2005. Vgl. auch Görler 1996, S. 213: „Cicero hat in den Tusculanen Philosophie und Rhetorik in ganz eigenwilliger und persönlicher Weise verbunden“ – sie nehmen „eine Mittelstellung ein zwischen rhetorischer Übung und ernsthafter philosophischer Argumentation“. Vgl. auch Erler 2018, S. 176, der für Cicero eine „Verbindung von forensischer Rhetorik und philosophischer argumentatio“ bestätigt; vgl. zudem ebd., S. 187.

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das prodesse und verwendet das Wort prudentia,217 das praktische Konnotationen im Sinne von Anwendbarkeit trägt.218 Exemplifiziert wird dieser methodische, theoretisch wie praktisch aufgeladene Einheitsgedanke im fünften Proömium, wenn Karneades als Vorläufer der angewandten Methodik, wie sie auch Grundlage der Hauptteile der Tusculanae disputationes selbst ist,219 präsentiert wird. Seine Erörterung, sein Disputieren wird dabei als acutissime copiosissimeque,220 als in besonderem Maße geistreich und wortgewandt benannt, womit exakt die beiden Polen korrespondierenden Charakteristika bezeichnet sind und in der somit synthetisch wirkenden Figur des Karneades221 vereint werden. Poetologisch-programmatisch betrachtet wird damit die erkenntnisleitende synthetisch gestaltete Methodik der disputatio auch als Interpretationsfolie für die Disputationen auf dem Tusculum-Landgut und besonders für deren fünftes Buch etabliert.222 Im Werk selbst verbinden sich so Philosophie und Rhetorik zu einer idealen Form theoriegesättigter philosophischer Praxis. Die Gestaltung der Dichotomie Philosophie–Rhetorik gestaltet sich also durchaus komplex:223 Die historische Perspektive verrät einen zu bedauernden Spaltungsprozess, welcher auch einen der Gründe für das Brachliegen gelungener philosophischer Schriftstellerei darstellt; in der Gegenwart wird daher eine methodische Vereinigung nötig, wie sie beispielsweise in den Tusculanae disputationes demonstriert wird, für die große Vorbilder wie Aristoteles und Karneades mit ihrer 217 218

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S. z. B. Tusc. 1,5 und 7. Vgl. Gildenhard 2007, S. 156. Nach Klima 1971, S. 28–37 werden prudentia und sapientia bei Cicero zwar auch synonym gebraucht, oft aber, so ebd., S. 31, trägt der etymologisch von providere herrührende Begriff prudentia, wie hier, die „Bedeutung der praktischen, vorausschauend planenden Klugheit“. Vgl. zudem Arena 2007, S. 56. S. später auch Anm. 1033. Unterschiede der Methodik werden – s. auch Anm. 205 – kurz in Kapitel 6.1 sowie in Anm. 779 thematisiert. Eine darauf aufbauende Betrachtung der nuancenreichen Unterschiede verschiedener Arten der Disputation wäre ein lohnenswertes Unterfangen. Tusc. 5,11. S. zu Karneades als synthetischer Figur besonders auch Kapitel 3.2, 3.3.1, 4.2, 4.3.1, 4.4.2 und 6.4 und für den philosophiegeschichtlichen Hintergrund Anm. 504. Die Forschungsliteratur, die auch für Cicero einen größeren Unterschied zwischen einer disputatio in utramque partem und anderen Erörterungsformen macht, sieht dies teilweise anders und bewertet die Tusculanae disputationes als methodische Ausnahme unter den großen philosophischen Dialogen; vgl. etwa Leonhardt 1999, S. 18 und Adamczyk 1961, S. 179, der den diatribischen Stil der Tusculanae disputationes heraushebt. Im Sinne dieser Arbeit – s. Anm. 205 – soll die Methodik der Disputation dagegen strukturell als einheitlich verstanden werden. S. dazu auch Anm. 781. So kann man Görler 1996, S. 215 zustimmen, wenn er bemerkt, die Tusculanae disputationes seien „geeignet, uns davor zu warnen, das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie, von Form und Inhalt, vorschnell nach unseren Wertungen zu beurteilen, und sie zeigen uns auf ebenso ungewohnte wie eindrucksvolle Weise die […] Doppelbegabung ihres Autors“.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

gelungenen Verbindung rhetorischer und philosophischer Elemente angeführt werden. Durch diese Zusammenblendung von historischer Entwicklung der Analyse und, synchron betrachtet, notwendiger methodischer Synthese in der Gegenwart224 liegt nahe, dass sich durch eine sinnvolle Verbindung beider Elemente auch die Geschichte wieder zum Positiven wenden kann,225 insofern eine Synthese von Philosophie und Rhetorik auch protreptische Wirkung entfalten und dazu dienen kann, möglichst viele Bürger zur philosophischen Tätigkeit zu ermuntern.226 Neben diesen ästhetischen und persuasiven Implikationen besitzt die Verschränkung in Form einer philosophisch fundierten und rhetorisch ausgestalteten Disputation – ob nun in der Form einer disputatio in utramque partem oder eines contra alterius opinionem disserere – erkenntnistheoretisches Potenzial, das auf das Auffinden eines Wahrscheinlichen gerichtet ist. Die folgenden Betrachtungen zu den rhetorischen Werken De oratore und Orator sollen verdeutlichen, welches Ideal des Redens und des Redners die dargestellte epistemologische Anlage verwirklichen kann. 3.3

Ciceros Disputationsmethodik als Verbindung von Philosophie und Rhetorik

Ausgehend von den Vorüberlegungen anhand der Tusculanae disputationes stellt sich die Frage, wie Ciceros Ideal von Reden und Redner genau ausgestaltet ist, und speziell, wie sich bei ihm Philosophie und Rhetorik verbinden lassen. Da viele dieser Aspekte bereits ausführlich in der Forschung beleuchtet wurden,227 soll hier in erster Linie die erkenntnistheoretische Funktion einer Synthese von Philosophie und Rhetorik betrachtet werden, wofür zunächst eine zentrale Passage aus De oratore und daraufhin ausgewählte Passagen der späteren Schrift Orator untersucht werden. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wird sich schließlich die genaue Konfiguration der Methodik der disputatio in utramque partem ableiten lassen, auf welcher die Ausführungen des nächsten Kapitels zu Ciceros Probabilismus aufbauen können. Zudem wird durch eine solche Betrachtung der methodischen Grundlagen ciceronischen Philosophierens auch die Herangehensweise dieser Arbeit weiter begründet. 224

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Die Ausführungen von Müller 1965, S. 172, zeigen dabei, wie wichtig es ist, mit dem Begriffspaar Diachronie und Synchronie zu arbeiten: „Geht es Cicero […] um eine Synthese von im Grunde gleichwertigen Faktoren, und kann man dessen wechselnde Einstellung, die nicht der Kontinuität entbehrt, aber neben Akzentverschiebungen auch Brüche aufweist, in einer Formel harmonisieren, muß man sie nicht vielmehr im Prozeß ihrer Entwicklung sehen?“ Beide Ansätze schließen sich unter der Strukturperspektive von Diachronie und Synchronie keineswegs aus. S. zu den Begriffen Kapitel 2.3.1. S. dazu auch Brut. 6f. und Kapitel 3.4. S. dazu ausführlich Kapitel 6.2.3. S. dazu Anm. 238 und 239 sowie 307.

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3.3.1 De oratore: Das ciceronische Ideal des Redens De Oratore ist als eines der ersten großen theoretischen Werke Ciceros etwa zehn Jahre vor dem Orator entstanden, hat jedoch jenes Werk wie auch die anderen rhetorischen Schriften entscheidend vorgeprägt und grundlegende Strukturen vorgezeichnet. Zahlreiche Arbeiten haben Quellen und Hintergründe der Schrift umfassend beschrieben:228 Bedeutsame Leistungen Ciceros sind sicherlich die deutliche Abkehr vom rein technischen Rhetorik-Verständnis lateinischer Vorgänger229 und die Vorbereitung eines humanitas-Ideals als Bildungsidee.230 Insbesondere zum grundsätzlichen Aufbau der Schrift,231 der prinzipiell den verschiedenen Positionen der vornehmlichen Gesprächsteilnehmer Antonius und Crassus folgt, sind im Hinblick auf das dieser Arbeit zugrundliegende Strukturschema interessante Beobachtungen gemacht worden. Einen großen Teil des ersten Buchs nehmen die grundlegenden Ausführungen der beiden Protagonisten ein, zwischen deren Positionen ein Gegensatz aufgespannt wird. Antonius vertritt eher die technische Seite des rhetorischen Systems mit seinen überkommenen Regeln und Vorschriften,232 während Crassus eine umfassende Bildung des idealen Redners fordert und dabei unter anderem die Einheit von Philosophie und Rhetorik im Sinn hat.233 Diese analytische Oppositionsstellung wird in der ersten Hälfte des 228

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Vgl. zu Ciceros möglichen Quellen und Vorlagen orientierend May/Wisse 2001, S. 38f. sowie allgemeiner Zetzel 2003 und dabei gerade für das Verhältnis zu einigen platonischen Schriften wie dem Φαῖδρος oder dem Γοργίας Fantham 2004, S. 49–77; Schofield 2017, S. 54; Wisse 2002a, S. 390f. und Gildenhard 2013b, S. 231–248. Vgl. zu den historischen Umständen Fantham 2004, S. 1–48 und 71–77 sowie Görler 1988. Dies trifft teilweise auf Ciceros eigene Jugendschrift De inventione, sicher aber auf die anonyme Rhetorica ad Herennium zu. Merklin 1987, S. 151 nennt dies die „Überwindung dieses [alten] systematisch-theoretischen Ansatzes“; vgl. zur Kritik Ciceros an manchen tradierten rhetorischen Regeln Bittner 1999, S. 144–148. Zu beachten ist dabei jedoch, dass unsere Kenntnis über den Großteil der griechischen Rhetorikhandbücher von Cicero selbst herrührt und daher skeptisch betrachtet werden sollte, geht es Cicero doch auch darum, sich selbst zu positionieren. Vgl. dazu ausführlich Bittner 1999, S. 176–210 und 535–538 sowie zu humanitas als Gesellschaftsideal Zoll 1962, S. 128–132 und zudem Gilson 1971, S. 205–207; Schneider 1964 und Lind 1994, S. 55–68. Es ist aber umstritten, in welchem Maße damit tatsächlich moralische Maßstäbe vorgeprägt wurden; vgl. etwa kritisch dazu Classen 1993. Vgl. zudem Ryan 1982, S. 338–342. S. auch die Überlegungen in Kapitel 9.5. Vgl. für den generellen Aufbau der Schrift etwa Wisse 2002a, S. 379–383. Spezifischer beschreibt Peetz 2007, S. 132 Antonius’ Vorstellung als „Rhetorik, die im Wesentlichen dem topischen Rhetorikmodell des Aristoteles und seiner Schule entspricht“. Vgl. etwa DiLorenzo 1978, S. 259: „Crassus observes that he will not object to anyone wishing to give the name philosopher to the orator he has been describing. Alternatively, he will not object to giving the name orator to the philosopher who joins

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

zweiten Buchs entscheidend verunsichert, wenn Antonius unerwartet eingesteht, dass er am Vortag nur eine Rolle eingenommen habe.234 Dabei ist diese Wendung nicht nur als Exemplifizierung einer Erörterungsweise, die verschiedene Positionen gleichberechtigt nebeneinanderstellt,235 zu deuten, sondern als integraler Bestandteil einer Denkbewegung zu interpretieren.236 Zwar vertritt Antonius im zweiten Buch insgesamt weiterhin jene Auffassung des ersten Buches, wohingegen Crassus im dritten Buch ausführlich seine philosophische Vorstellung des idealen Redners darlegt und seine Einlassung somit als analytisch aufzufassende Gegenrede verstanden werden kann, die am Ende die Oberhand behält.237 Jedoch kann das Ergebnis der Disputation in De oratore auch als Synthese der beiden Positionen verstanden werden, aus der am Ende die Konzeption eines wahren Ideals erwächst.238 Mittels der strukturellen Ausgestaltung des Werks beleuchtet

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eloquence with wisdom. He adds that neither the man who knows much but cannot speak, nor the man who speaks much but knows little deserves praise.“ S. de orat. 2,40: Tum Antonius „heri enim“ inquit „hoc mihi proposueram, ut, si te refellissem, hos a te discipulos abducerem; nunc, Catulo audiente et Caesare, videor debere non tam pugnare tecum quam quid ipse sentiam dicere.“ Vgl. dazu etwa May 2007, S. 253: „When the discussion is taken up again on the morning of the following day, we learn, somewhat to our surprise, that Antonius was, to a large degree, playing the role of devil’s advocate: his views of the orator are actually much more moderate and less restricted than he had at first indicated (2.40).“ Vgl. ähnlich auch Wisse 2002a, S. 380. Als rein polemischen Einwurf versteht Narducci 1997, S. 32 die Stelle: „[S]i è trattato soprattutto di una provocazione polemica, in cui egli, quasi per fare sfoggio di abilità dialettica, ha ‚giocato‘ a demolire le argomentazioni di Crasso.“ So etwa Michel 1977, S. 357, wonach beide Ansätze gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Müller 1965, S. 90 hat diese grundlegende Denkbewegung erkannt: „Bei Cicero führt in de orat. diese scheinbare Einseitigkeit dazu, daß die Kluft zwischen der Rhetorik als formaler Disziplin und der Philosophie zunächst einmal tief aufgerissen wird und dann durch den Versuch einer Synthese überbrückt werden muß.“ Er erkennt ebd., S. 107 eine „fruchtbare Spannung“. Vgl. auch Müller 1989, S. 106 sowie Ruch 1969, S. 327, der ebenfalls die Spannung zwischen Gegensatz und Ergänzung wahrnimmt: „[L]es idées d’Antoine et celle de Crassus s’opposent, tout en tendant à se compléter.“ Diese Deutung bietet sich vor allem dann an, wenn man, wie etwa noch Grilli 2002, S. 54, den Autor Cicero hinter der Figur Crassus gewissermaßen als alter ego vermutet. Doch ist dies in der Forschung häufig überzeugend widerlegt worden, so etwa schon bei Zoll 1962, S. 85–87 oder bei Dugan 2005, S. 92, der feststellt, dass auch die anderen Dialogfiguren als „expressions of Cicero’s self“ verstanden werden können. Vgl. ebenfalls Dyck 1998, S. 161 und Dugan 2013, S. 33, wo er von einer „metaliterary awareness of their status as players within the dialogue“ spricht. Leonhardt 2000, S. 66 legt sich nicht fest: Es bleibe letztlich unklar, inwieweit der Position des Antiochus Berechtigung eingeräumt wird. So stellt Görler 1974, S. 54 richtig fest, dass beide Positionen von Cicero geschätzt werden. Diese sind jedoch nicht, wie Lévy 2017, S. 14 annimmt, als zwei verschiedene Formen von Perfektion zu sehen, sondern ergeben in Kombination eine Synthese, wie

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Cicero so einerseits die verschiedenen, sich vermeintlich gegenüberstehenden Aspekte unterschiedlicher rhetorischer Vorstellungen und konstruiert andererseits sein Ideal von Rhetorik und Redner als Synthese.239 Mit der Annahme einer solchen grundsätzlichen Analyse-Synthese-Struktur im Hintergrund240 sollen im Folgenden zuvorderst die bereits anhand der Tusculanae disputationes entwickelten Thesen weiter verfolgt und entscheidend bestätigt werden.

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sie Arweiler 2003, S. 277 als bislang maßgebliche Forschungsmeinung referiert: Es herrsche die „weitgehende Überzeugung […], daß es sich um ein komplementäres Verhältnis zwischen den Figuren handele, deren Ansichten in einer Synthese die Konzeption Ciceros ergeben“; vgl. auch ebd., S. 277, Anm. 204. Davon grenzt er allerdings ebd., S. 277–283 sein eigenes Konzept einer Überbietung, eines Agon, ab. Vgl. weiterhin Bittner 1999, S. 306. Peetz 2007, S. 129–138 beschreibt ex negativo einen weiteren Syntheseansatz, wobei er als Rhetorik und Philosophie parallele komplementäre Opposition jene von Erfahrung und Vernunft annimmt – die Synthesekonzeption sei, so ebd., S. 130, „nicht reine Redetechnik und nicht ausschließlich philosophische Argumentation, aber auch nicht nur erfahrungsgesättigte Beredsamkeit“; s. zu diesem Begriffspaar Kapitel 4.4. Synthetische Funktion hat insgesamt am ehesten die Figur des Crassus, was laut Narducci 2002a, S. 416 mit seiner Zeichnung im Brutus übereinstimmt: „The portrait of Crassus drawn by Cicero is that of a supreme equilibrium that knows how to reconcile and blend opposing qualities.“ Damit folgt diese Arbeit der Argumentation von May/Wisse 2001, S. 16: „Cicero has done justice to both sides of the problem of the knowledge of the orator, while in the end restoring the unity of the group.“ Trotz der Existenz von Unterschieden zwischen Antonius und Crassus gelte, so ebd., in der Gesamtschau: „The reader, however, is repeatedly encouraged to suppose that they are merely showing two sides of the same coin, and are basically in agreement.“ Für Ciceros Position, so ebd., bedeute dies: „[T]he reader is […] invited to infer that Cicero’s own view is a synthesis of the two.“ Vgl. dazu auch ebd., S. 291, Anm. 300 und für mögliche Quellen einer solchen Synthese Wisse 2002a, S. 396f. und ebd., Anm. 32. S. dazu auch de orat. 1,206; 3,22, 54 und 215. Dugan 2013, S. 34 fasst die Entwicklung in De oratore sehr gut zusammen: „Within De oratore’s performance of rhetoric there is a general trend towards reconciliation of apparently opposed elements into a seamless whole. By the time we reach the third and concluding book, philosophy and rhetoric, form and content, innate talent and training (ingenium and ars), oratory and acting, find their differences fade as Cicero’s dialogue works to find kinship at deeper levels. Rhetorical theory within De oratore becomes a discourse that resolves these apparent conflicts as it works its way towards its goal of shaping the ideal orator. The dialogue’s deconstruction of traditional rhetoric collapses the polarities that form the structure of conventional rhetorical thought.“ Insgesamt führt Cicero so auch das Ideal einer Disputation und den Umgang mit ihrem Ergebnis vor. S. weiterführend Anm. 307. Vgl. O’Mara 1971 für weitere Aspekte der Einheit (wie etwa das Setting) in De oratore.

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Die Einheit von res und verba Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Passage über die Einheit der Redekunst, in der Crassus das Verhältnis von Form und Inhalt thematisiert.241 Auf den Hinweis hin, dass Antonius mit einer Aufteilung der Erörterung in das Was – quae dici ab oratore oporteret242 – und das Wie – quem ad modum illa ornari oportet243 – etwas eigentlich Unteilbares doch zerteilt hat, erläutert Crassus seine grundlegende Überzeugung von der Untrennbarkeit von res und verba: Nam cum omnis ex re atque verbis constet oratio, neque verba sedem habere possunt, si rem subtraxeris, neque res lumen, si verba semoveris.244 Antonius wird damit als analytisch geprägter Denker präsentiert, der die ursprüngliche Einheit von Form und Inhalt nicht erkennt und damit auch eine Trennung von Rhetorik und Philosophie vertritt, sodass die Rhetorik zur bloßen formalen Ausgestaltung eines vornehmlich theoretischen Inhalts und die Philosophie zur dunklen Theorie ohne erhellenden Zusatz durch eine ansprechende Form verkommt245 – eine Feststellung, die oben bereits für die Tusculanae disputationes getroffen wurde246 und die hier im Kontext der offensichtlich korrespondierenden Dichotomie res–verba wiederholt werden kann und die Passage in einen ähnlichen Zusammenhang rückt.247

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Vgl. generell zum Aufbau der Passage (de orat. 3,19–25) DiLorenzo 1978, S. 250–252. Vgl. Bees 2010b für quellenkritische Überlegungen. De orat. 3,19. Ebd. Ebd. Vgl. für mögliche Vorgänger in der Debatte um res und verba Chalkomatas 2007, S. 185f. Vgl. für eine semiotische Auslegung Dugan 2005, S. 164. Vgl. auch Peetz 2007, S. 136: Rhetorik werde verkürzt „auf bloße Redetechnik und Erfahrungswissen“, Philosophie demgegenüber „auf reine Vernunft“; vgl. auch Peetz 2008, S. 192, Anm. 45. S. Kapitel 3.2. Vgl. auch Bees 2010b, S. 196, der den Zusammenhang in diesem Sinne bestätigt: „Das dritte Buch De oratore eröffnet Cicero mit einer programmatischen Rede des Crassus, die gleich zu Beginn den Zielpunkt des gesamten Werkes skizziert: die Einheit von res und verba, von Inhalt und Ausdruck. Nichts weniger ist damit gemeint als das Ideal des orator perfectus, der Philosophie und Redekunst in sich vereint.“ Buckley 1970, S. 146 sieht die „identification of rhetoric and philosophy in a single universal method“ als „a consequence of the Ciceronian understanding of the interdependence of res and verbum, an understanding mediated and justified through a history of human culture“. S. dazu auch de orat. 1,63 sowie darüber hinaus part. 3.

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Antonius wird damit auch als Denker der Gegenwart ausgewiesen, welche sich – auch dies eine oftmals wiederholte Aussage248 – in ihrer Trennung der beiden Elemente von einem ursprünglichen Zustand der Synthese radikal entfernt hat. Die veteres einer unbestimmten Frühzeit hätten diese Synthese von Form und Inhalt, die zudem auf eine weitaus tiefergehende Einheit verweist, noch wahrnehmen können:249 Ac mihi quidem veteres illi maius quiddam animo complexi plus multo etiam vidisse videntur, quam quantum nostrorum ingeniorum acies intueri potest, qui omnia haec, quae supra et subter, unum esse et una vi atque consensione naturae constricta esse dixerunt. Nullum est enim genus rerum, quod aut avulsum a ceteris per se ipsum constare aut quo cetera si careant vim suam atque aeternitatem conservare possint.

Die Beschwörung der Synthese als universaler Sollzustand und die Feststellung der Vergänglichkeit analytisch getrennter Elemente fügt sich in die im Methodikkapitel präsentierte Vorstellung vom Denkmuster Analyse–Synthese und bestätigt die Annahme, dass der Zustand der Analyse als unvollkommen, die Synthese hingegen als Ideal gedacht wird, wie es der Kosmos hier nach stoischen und eleatischen Vorstellungen vorgibt.250 In dieser Verbundenheit aller Dinge liegen auch der consensus doctrinarum concentusque251 sowie die Einheit der Beredsamkeit – Una est […] eloquentia.252 – hinsichtlich der Zusammengehörigkeit von res und verba begründet,

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S. Kapitel 3.2. De orat. 3,20. Vgl. dazu Ryan 1982, S. 329: Die veteres „reflected a belief in the basic unity that runs through all creation, a unity nowhere better exemplified than in the unity of thought and speech“. Vgl. dazu May/Wisse 2001, S. 230, Anm. 29, die auf die eleatische Vorstellung von der Einheit des Universums und auf die stoische Idee der συμπάθεια hinweisen. Vgl. zudem Bees 2010b, S. 212f.: „Den Gedanken der Einheit fand Cicero in der stoischen Kosmologie und den Gedanken, die Technik der Redekunst auf eine Stufe mit der Philosophie zu stellen, ebenfalls.“ Vgl. auch Inabinet 2017, S. 111: „Quoting Eleatic philosophy, De oratore, calls wisdom and eloquence the basis of an underlying unity of the universe.“ Vgl. weiterhin Görler 1974, S. 29. Vgl. zudem DiLorenzo 1978, S. 250–252. S. zur συμπάθεια-Lehre auch Kapitel 8 und dort Anm. 1397 und s. zum Universalismus weiterführend Kapitel 8 und v. a. 9. De orat. 3,21. Vgl. dazu auch Connolly 2007, S. 114f. S. zum consensus-Gedanken auch Anm. 907 und die dortigen Verweise. De orat. 3,22.

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wodurch nicht zuletzt die Einheit im Großen und Kleinen demonstriert wird.253 Die Menschen sind idealerweise somit nicht nur durch die Natur selbst verbunden, sondern auch über ihr Vermögen, miteinander wissenschaftlich wie auch überhaupt zu kommunizieren, woran sowohl Inhalt als auch Form, sowohl philosophische als auch rhetorische Elemente ihren Anteil haben.254 Dies gilt, wie Crassus im Anschluss metaphorisch verdeutlicht, für sämtliche Anlässe und alle Themen, gleich welches Publikum angesprochen und welches Ziel verfolgt wird – res und verba fungieren stets als Quelle und werden systematisch-strukturell zusammengedacht: Rivis est diducta oratio, non fontibus; et, quocumque ingreditur, eodem est instructu ornatuque comitata.255 Aus dem Bewusstsein dieser universellen Verbundenheit aller Dinge heraus lassen sich auch die ciceronischen Vorstellungen eines organischen Ganzen256 im Bereich von Philosophie und Rhetorik, Form und Inhalt erklären. Als Beispiele können die Funktionsweise des menschlichen Körpers und die damit verbundene Idee des Zusammenhangs von Sprache und Sprecher257 sowie die Überzeugung vom 253

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Vgl. Bees 2010b, S. 196. Görler 1974, S. 27–45 interpretiert die Anordnung der Bereiche seinem Stufenmodell gemäß – vgl. dafür Görler 1974 generell sowie die kompaktere Darstellung bei Gawlick/Görler 1994 – und sieht dabei ebd., S. 29 die kosmische Einheit, eine „Kombination von eleatischen, platonischen und stoischen Elementen“, als höchste Stufe an. S. dazu u. a. auch Kapitel 8. Vgl. auch DiLorenzo 1978, S. 253: „Res and verba, like the things of the world above and below, belong together. […] Men, like the things of nature, are related to one another, and words are their chief means of communing and relating.“ Vgl. zudem Baraz 2012, S. 102, die das Konzept als „project that aims to remove barriers between citizens and improve their ability to understand one another“ und somit als „logical continuation of the policy directed towards concordia ordinum“ beschreibt. Vgl. zur Harmoniekonzeption in De oratore und im Orator auch Michel 1960, S. 662. ReydamsSchils 2016, S. 95–107 beschreibt demzufolge Ciceros Theorie der Natur korrekt als eine, die automatisch das Soziale umfasst. Koch 2006, S. 48 und ebd., Anm. 129 geht demgegenüber für Cicero von einer Trennung der Ordnung der Welt und der Ordnung der Sprache aus. S. das Weitere für mehr Überlegungen zum Zusammenhang von res und verba mit menschlicher Kommunikation und speziell Anm. 311. De orat. 3,23. Vgl. dazu auch Dugan 2013, S. 34: „Crassus, after long and deep meditation, offers the insight that words and things cannot be separated, and that the universe itself is one harmonious entity in which all fields of human inquiry share an essential likeness (De or. 3.19–24). As opposed to the passion for division and classification that is characteristic of conventional rhetorical theory, Cicero provides a view of eloquence as a single autonomous entity.“ Vgl. auch Dugan 2005, S. 147f. und 152–155 sowie Reckermann 1990, S. 512. S. dazu auch Kapitel 3.3.1 und 9.1 sowie Anm. 110, 111, 113 und 124. S. de orat. 3,96 und 179 und vgl. dazu Dugan 2013, S. 34f. und Dugan 2005, S. 154– 157. Dieser resümiert ebd., S. 156: „Speech, conceived as a living body, and having moral qualities attributed to it, merges with the person of the speaker.“ S. auch den Vergleich von Gliedern eines Körpers mit den Teilen einer Prozessrede in Brut. 208f.

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gleichen Ursprung alles Klingenden, etwa Ton und Rhythmus,258 gelten. Von besonderem Gewicht ist zudem die ciceronische ornatus-Konzeption, die mehr als bloße Theorie vom Redeschmuck von einer zugrundeliegenden, kosmisch geordneten Einheit von res und verba ausgeht.259 Diesem als Ideal gedachten harmonischen Synthesezustand wird daraufhin die historische Realität scharf und mit drastischen Worten gegenübergestellt: Die Volksmasse,260 jedoch auch und wohl vor allem Einzelne ohne ausreichende Bildung,261 wie sie sich Crassus für den Redner vorstellt, wirken dezidiert analytisch, indem sie diese an sich zusammengehörigen Elemente nicht als synthetische Einheit erfassen, sondern zerteilen und trennen:262 Sed quoniam oppressi iam sumus opinionibus non modo vulgi, verum etiam hominum leviter eruditorum, qui, quae complecti tota nequeunt, haec facilius divulsa et quasi discerpta contrectant, et qui tamquam ab animo corpus, sic a sententiis verba seiungunt, quorum sine interitu fieri neutrum potest.

Das spalterische Wirken setzt also weitere analytische Prozesse in Gang, die schließlich nicht nur zu einer Zerstörung der Einheit, sondern gar zum Untergang der separierten Elemente führen, die nach den kosmischen Vorgaben nicht für sich alleine existieren können. Das präsentische Perfekt und die Wortwahl – oppressi sumus und der drastische Körper-Seele-Vergleich stechen heraus – machen dabei die unmittelbare Dringlichkeit der derart analytisch geprägten Situation deutlich, die sich aus der besseren Vergangenheit der veteres heraus entwickelt hat.263 Dies verweist unmittelbar auf eine spätere Passage, in der der Beginn der Spaltung historisch verortet wird.264 In anderen Werken eher angedeutet,265 wird 258

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S. z. B. orat. 227 und vgl. dazu etwa Michel 1960, S. 345–347 und Narducci 2002b, S. 436–442. Dugan 2005, S. 275 hebt die Form und Inhalt vereinende Funktion des Prosarhythmus heraus. Vgl. für diesbezügliche Überlegungen zu De oratore Reckermann 1990, S. 524–529. S. dazu etwa de orat. 3,125: Rerum enim copia verborum copiam gignit. S. auch orat. 79. Vgl. zum ornatus bei Cicero sodann Döpp 1982, S. 46f.; May 2007, S. 254f.; Michel 1982, S. 113; Barwick 1963, S. 44–48 und insbesondere DiLorenzo 1978, S. 251–259. S. zum kosmologischen Universalismus auch Kapitel 8 und 9. Nach Dugan 2005, S. 153 wird dabei auch die catonische Tradition des rem tene, verba sequentur zitiert. S. darauf aufbauend zur Dichotomie Elite–Masse v. a. Kapitel 6.2.3. Der Einfluss des Individuums spielt insgesamt bei Cicero eine tragende Rolle: s. genauer Anm. 724 mitsamt den dortigen Verweisen. De orat. 3,24. Vgl. dazu auch Bees 2010b, S. 205. Vgl. etwa DiLorenzo 1978, S. 252: Crassus „criticizes those vulgar men who, being half-educated, split things up and never put them back together […]; [this] clearly anticipates the critique of Socrates.“ S. etwa für Orator und De inventione Kapitel 3.3.2.

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die Trennung hier ganz konkret einer Gruppe um Sokrates zugeschrieben, die vor allem aus der Ablehnung politischer Pflichten heraus die dicendi exercitationem266 geringschätzten. Besonders Sokrates selbst wird dabei ein ausnehmend schädliches Wirken unterstellt, welches die sapienter […] sentiendi […] scientiam267 von der ornate dicendi scientiam268 trennte und so ein als vollkommen unvernünftig zu bewertendes discidium […] quasi linguae atque cordis269 zur Folge hatte,270 welches nach der Analyse von Form und Inhalt auch zur Teilung der einen sokratischen Lehre in widerstreitende Schulen führte.271 Der analytische Zustand ist damit ein umfassender, der exakt dem zu bedauernden Status der Trennung von

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De orat. 3,59. Ebd., 3,60. Ebd. Ebd., 3,61. S. insgesamt ebd., 3,60f.: Is, qui, omnium eruditorum testimonio totiusque iudicio Graeciae, cum prudentia et acumine et venustate et subtilitate, tum vero eloquentia, varietate, copia, quam se cumque in partem dedidisset, omnium fuit facile princeps iis, qui haec, quae nunc nos quaerimus, tractarent, agerent, docerent, cum nomine appellarentur uno, quod omnis rerum optimarum cognitio atque in iis exercitatio philosophia nominaretur, hoc commune nomen eripuit sapienterque sentiendi et ornate dicendi scientiam, re cohaerentes, disputationibus suis separavit; cuius ingenium variosque sermones immortalitati scriptis suis Plato tradidit, cum ipse litteram Socrates nullam reliquisset. Hinc discidium illud extitit quasi linguae atque cordis, absurdum sane et inutile et reprehendendum, ut alii nos sapere, alii dicere docerent. S. auch ebd., 3,72. Vgl. zunächst generell für die Sokrates-Figur bei Cicero Glucker 1997; Nicgorski 1992 und ferner Görler 2001. Vgl. zur negativen Rolle des Sokrates hier Gilson 1971, S. 197; May/Wisse 2001, S. 23; Nicgorski 1992, S. 214 und 227, Anm. 3 und insgesamt DiLorenzo 1978. Die negative Auslegung rührt dabei sicherlich zu großen Teilen von der fehlenden schriftlichen Überlieferung aus jener Zeit und der daraus resultierenden Interpretationsoffenheit her. Mit dieser Konzession lässt sich das hier auffällig negative Sokrates-Bild – vgl. dazu etwa auch Bees 2010b, S. 205f. und Wisse 2002a, S. 397 – leichter mit der sonstigen Darstellung – s. dazu die folgenden Kapitel – der SokratesFigur bei Cicero vereinbaren. Letztendlich ist für die Herangehensweise dieser Arbeit aber vornehmlich die Funktion der Textelemente in der Struktur des Einzelwerks entscheidend, wie bereits in Anm. 135 angesprochen. S. für eine andere Erklärung vom Ende her zudem Kapitel 9.2. Müller 1989, S. 106 fasst die Entwicklung zusammen; vgl. auch Merklin 1987, S. 159. Dass es sich eigentlich um einen mehrstufigen Prozess handelt, führt Müller 1965, S. 111 aus: „Cicero unterscheidet […] zwei Stufen einer Verfallsentwicklung, die in ein schweres Dilemma mündete, die Aufspaltung der Bildung. Die erste Stufe ist gekennzeichnet durch die Entfremdung von Denken und Handeln, die zweite durch die Trennung von Wissen und Sprechen.“ Görler 2017, S. 230f. untersucht in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Flussmetapher in de orat. 3,69: Die ursprüngliche Einheit an der Quelle gehe im Laufe des Flusses verloren, eine Bewegung ad fontes sei wünschenswert.

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res und verba, wie er in der kosmologischen Passage beschrieben wurde, entspricht. Von den sich entwickelnden unterschiedlichen Schulen werden, ganz entsprechend der späteren Klassifizierung etwa in den Tusculanae disputationes,272 besonders die Akademie des Karneades und das Wirken des Aristoteles positiv herausgestellt – sie kommen einem erneuten Ideal der Verbindung beider Elemente besonders nahe: Si illam praeclaram et eximiam speciem oratoris perfecti et pulchritudinem adamastis, aut vobis haec Carneadia aut illa Aristotelia vis comprehendenda est.273 Dezidiert als Figur der Synthese erscheint abermals Karneades, der in sich geistige wie rednerische Größe vereinigte und somit auch hier als Vorbild einer Synthese von Philosophie und Rhetorik gelten darf: Extitit divina quadam celeritate ingenii dicendique copia Carneades.274 Die Priorisierung gerade des Peripatos und noch stärker der karneadisch geprägten Akademie verweist auch in De oratore auf die erkenntniskritische Funktion jener Einheit, die in der disputatio in utramque partem ihren Ausdruck findet275 und die essentieller Bestandteil eines universalen Strukturmodells ist. Crassus’ Ziel besteht nun darin, mithilfe vorhandener positiver Ansätze die analytischen Prozesse umzukehren und auf eine neue Einheit der Disziplinen hinzuarbeiten,276 wie das Ende des geschichtlichen Exkurses auf historischer Ebene

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S. Anm. 200, 201 und 206. De orat. 3,71. S. auch ebd., 3,107 und vgl. dazu Schofield 2008, S. 70. S. Anm. 206 und 298. De orat. 3,68. S. Anm. 221 und die dortigen Verweise. Vgl. zusammenfassend auch Müller 1965, S. 111: „III 61 ff. werden also die Ergebnisse der unheilvollen getrennten Entwicklung der Disziplinen festgestellt: auf der einen Seite eine unter den Auswirkungen ihrer Isolation und einer im engsten Sinne handwerklichen Orientierung darniederliegende Rhetorik, auf der anderen Seite eine Philosophie, die die Verbindung zur politischen P r a x i s weitgehend verloren hat, aber dennoch in zwei Schulen, im Peripatos und in der Akademie, bestimmte Übungen pflegt, die für den Redner formal und inhaltlich von höchstem Nutzen sein können.“ Allerdings sind die erwähnten Übungen mehr als nur nützliches Training, sondern verweisen auf eine fruchtbare Einheit von Philosophie und Rhetorik im erkenntnistheoretischen Sinn; vgl. dazu Peetz 2007, S. 133. Vgl. auch Reckermann 1990, S. 512f., der die beschriebene sokratische Wende schlüssig als negative Entwicklung vom Universal- zum Spezialwissen bewertet und so die „Abwendung des Blicks von der ‚unio naturae‘ und […] Fixierung auf momentan wirksame Handlungsinteressen“ als Ausdruck einer orientierungslosen Selbstbezogenheit wertet. Vgl. dazu auch Wisse 2002a, S. 390, der ebenfalls von einer Synthese spricht: „In a crucial passage (3.56–73), Crassus insists that it goes back to Socrates’ hostility towards eloquence, which caused wisdom and eloquence to be split apart, and he presents his plea for a synthesis of oratory and philosophy as a plea for the restoration of the original unity of the two.“ Vgl. auch ebd., S. 395f. sowie ferner Gilson 1971, S. 197 und Schirren 2018, S. 203f.

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zumindest als Möglichkeit in Aussicht stellt277 und wie die zuvor betrachtete Passage über die Untrennbarkeit von Form und Inhalt deutlich als Fazit bekräftigt und als universelles Ideal formuliert: Tantum significabo brevi neque verborum ornatum inveniri posse non partis expressisque sententiis neque esse ullam sententiam inlustrem sine luce verborum.278 Nur durch eine erneute Synthese kann der beklagenswerte Zustand der Einzeldisziplinen beendet werden, indem Form und Inhalt und so auch Rhetorik und Philosophie wieder fest miteinander verbunden werden. Als Katalysator für diese Umkehrbewegung dient das Konzept eines Redners, der, indem er sich an der vorgestellten Disputationsmethodik als Ideal des Redens orientiert, für jeden Einzelnen Vorbild im Bemühen um die Verbindung von res und verba sein kann.279 Am Ende steht nach der Abkehr von einer ursprünglichen Einheit die Hoffnung auf eine neue Synthese, die den persönlichen, den sozial-politischen wie auch den kosmischen Bereich umfasst.280 Die Bedeutung der Dialektik Es stellt sich nun die Frage, wie die Synthese von Form und Inhalt neben ihren offensichtlichen ästhetischen und – um Antonius’ Part miteinzubeziehen – für den Überzeugungsprozess funktionalen Qualitäten exakt ausgestaltet ist, und wie sie so gesellschaftlich relevant werden kann. Die herausgehobene Stellung von Peripatos und insbesondere Akademie gibt bereits den entscheidenden Hinweis, dass auch für Ciceros rhetorisches Hauptwerk eine erkenntnistheoretisch ausgerichtete Disputationsmethodik, wie sie in beiden Schulen gepflegt wird, ein entscheiden-

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S. de orat. 3,72: Philosophi eloquentiam despexerunt, oratores sapientiam neque quicquam ex alterius parte tetigerunt, nisi quod illi ab his aut ab illis hi mutuarentur; ex quo promisce haurirent, si manere in pristina communione voluissent. Dass Cicero tatsächlich an die Erreichbarkeit einer erneuten Verbindung glaubte, stellt treffend Heldmann 1982, S. 81 fest; vgl. auch Mančal 1982, S. 194. De orat. 3,24. S. etwa ebd., 1,19. Ob es sich dabei ausschließlich um eine Rückkehr zu einem vergangenen Zustand handelt, um einen, wie May/Wisse 2001, S. 23 es formulieren, „return to the original state of things“, oder nach Müller 1965, S. 111 einen „Versuch, die alte Einheit wiederherzustellen“, oder ob es Crassus um eine neuartige Einheit geht, die nach Mančal 1982, S. 194, Anm. 89 eben nicht nur die früheren sapientia und eloquentia umfasst, sondern auch die zeitgenössischen Spielarten Philosophie und Rhetorik, die mit den Begriffen res und verbum sowie ratio und oratio verbunden sind, ist in der Forschung umstritten. Für diese Arbeit ist zunächst die grundsätzliche Denkbewegung von einer ursprünglichen Synthese hin zu einer Analyse, die durch den Versuch einer neuen Synthese wieder aufgehoben werden kann, von Bedeutung. Dagegen zeigt sich neuerdings Guérin 2017, S. 236f. kritisch gegenüber dem Ziel einer gleichwertigen Verbindung von Philosophie und Rhetorik bei Cicero.

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des Ergebnis der Verbindung von Philosophie und Rhetorik darstellt.281 Im Folgenden soll diese als Verwobenheit von philosophischer Dialektik und rhetorischer Technik beschrieben und, ausgehend von De oratore und unter Heranziehung anderer rhetorischer Werke, in einen größeren Strukturzusammenhang eingeordnet werden. Dafür wird eine Passage im dritten Buch von De oratore relevant, wo ein Zusammenhang zwischen der Methodik der erwähnten Schulen, der Synthese von Philosophie und Rhetorik und der Idee des idealen Redners, des sapiens orator, hergestellt wird:282 Sin aliquis extiterit aliquando qui Aristotelio more de omnibus rebus in utramque sententiam possit dicere et in omni causa duas contrarias orationes praeceptis illius cognitis explicare aut hoc Arcesilae modo et Carneadi contra omne quod propositum sit disserat quique ad eam rationem exercitationemque adiungat hunc rhetoricum usum moremque […] dicendi, is sit verus, is perfectus, is solus orator..

Auffällig gestaltet sich, dass Dialektik283 in dieser Konstellation die Position des Elements Philosophie einnimmt und damit in das gleiche semantische Feld eingeordnet wird: Akademisch inspirierte Philosophie und dialektische Erörterung erscheinen deckungsgleich.284 Noch deutlicher wird diese enge Verwandtschaft 281 282

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Vgl. auch Peetz 2007, S. 133. De orat. 3,80. S. u. a. auch ebd., 1,263: Tum Crassus „operarium nobis quendam, Antoni, oratorem facis atque haud scio an aliter sentias et utare tua illa mirifica ad refellendum consuetudine, qua tibi nemo umquam praestitit; cuius quidem ipsius facultatis exercitatio oratorum propria est; sed iam in philosophorum consuetudine versatur maximeque eorum, qui de omni re proposita in utramque partem solent copiosissime dicere.“ Vgl. dazu Wisse 2002a, S. 381. Fuchs 1971, S. 319 vertritt die These, dass Dialektik viel grundsätzlicher im Denken der Antike verankert war, als man heute wahrnehmen könne. Einen Überblick über Begriff, Entstehung und Verwendung des Begriffs v.a. bei Platon und Aristoteles bietet etwa Sichirollo 1966; vgl. zudem Wikramanayake 1965, S. 253–282 und generell Solmsen 1968. Nach Hadot 1998, S. 163, 177 und 182 sehe Aristoteles Platons Dialektik nicht als legitime philosophische Methode an. Dennoch werden Aristoteles und der Peripatos von Cicero immer wieder als Vorläufer der dialektischen Methodik angeführt; vgl. dazu Graff 1963, S. 71. Montoneri 1993, S. 244 betont sogar die prinzipielle Ähnlichkeit der aristotelischen Vorstellungen mit Platons Auffassung, sieht ebd., S. 248 bei Aristoteles aber das platonische Konzept ergänzt um die „Idee der Dialektik als eines Wissens des Wahrscheinlichen und Glaubwürdigen“. Für Bittner 1999, S. 249 fungiert das Enthymem als verbindendes Element zwischen Rhetorik und Dialektik. S. weiterführend zu Platons Dialektik auch Anm. 291, 342 und 372. Vgl. dazu etwa Graff 1963, S. 71 und Fuchs 1971, S. 318. Vgl. weitergehend Peetz 2000, S. 62: „Die akademische Methode ist der rhetorischen Praxis insofern besonders angemessen, als sie die pragmatische Dimension, die sich auf die Interessen der Personen bezieht, die für eine Entscheidung persuasiv gewonnen werden sollen, mit der Prüfung der für diese Entscheidung zu Verfügung stehenden Informationen verbindet.“

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innerhalb der Synthesekonfiguration Philosophie–Rhetorik im ersten Buch des Werks, wo Crassus die zusammenfügende Kraft philosophischer Dialektik und sodann das geordnete Ganze als Resultat einer Verbindung mit rhetorischer Technik heraushebt:285 In hac denique ipsa ratione dicendi excogitare, ornare, disponere, meminisse, agere, ignota quondam omnibus et diffusa late videbantur. Adhibita est igitur ars quaedam extrinsecus ex alio genere quodam, quod sibi totum philosophi adsumunt, quae rem dissolutam divolsamque conglutinaret et ratione quadam constringeret.

Nur durch eine Verschränkung beider Disziplinen kann der Status der Trennung überwunden werden und eine aus unverbundenen Teilen zusammengeordnete Synthese entstehen. Den eben erörterten Zusammenhang zeigen auch weitere Beobachtungen aus Ciceros rhetorisch-philosophischen Werken: Immer wieder bringt er die Disziplin der Dialektik in das Spannungsverhältnis zwischen Philosophie und Rhetorik ein und rückt jene in unmittelbare Nähe zu grundsätzlich philosophischer Methodik. So erwähnt Cicero im Brutus nicht nur die tägliche intensive Beschäftigung mit sowohl Philosophie als auch Rhetorik, sondern bestimmt im gleichen Atemzug die herausgehobene Stellung der Dialektik und die Notwendigkeit ihrer Verbindung mit Rhetorik, sodass – interessanterweise in einer Passage in stoischem Umfeld – unmittelbar nacheinander die Kombination der erwähnten Elemente als contracta et astricta eloquentia286 und sodann als dialectica dilatata erscheint.287 Auf diese Weise wird der gegenseitige Bezug einer auf der Seite der Philosophie stehenden Dialektik und einer auf Übungen basierenden Rhetorik explizit gemacht, ihre erwünschte Synthese nicht nur inhaltlich, sondern auch formal durch die textliche Zusammenrückung zum Ausdruck gebracht. Ihre konkrete Umsetzung findet diese Verschränkung in einer beide Disziplinen verbindenden Disputation nach Art vor 285

286 287

De orat. 1,187f. Vgl. auch Ryan 1982, S. 285: „Dialectic functions to give an order and coherence to our conception of the world.“ Vgl. ebd., S. 284–289. S. im Kontext auch den Verweis auf die angrenzende Passage in Kapitel 2.4 und s. Anm. 159. Brut. 309. S. ebd. insgesamt: Eram cum Stoico Diodoto, qui cum habitavisset apud me cumque vixisset, nuper est domi meae mortuus. A quo cum in aliis rebus tum studiosissime in dialectica exercebar, quae quasi contracta et astricta eloquentia putanda est; sine qua etiam tu, Brute, iudicavisti te illam iustam eloquentiam, quam dialecticam esse dilatatam putant, consequi non posse. Huic ego doctori et eius artibus variis atque multis ita eram tamen deditus ut ab exercitationibus oratoriis nullus dies vacuus esset. Durch die autobiographische Markierung bringt sich Cicero natürlich auch selbst als Repräsentant der ideal verstandenen Disputationsmethodik ins Spiel. S. zur Bedeutung der stoischen Einkleidung das Folgende. S. ebenso fin. 2,17, wo zudem explizit die Vereinbarkeit von Dialektik und Rhetorik postuliert wird: „Quasi vero“, inquit, „perpetua oratio rhetorum solum, non etiam philosophorum sit. […]“ Vgl. zu dieser Vereinbarkeit auch Atherton 1988, S. 398.

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allem der Akademie, wie auch in den Academica posteriora nahegelegt wird: Nos autem praeceptis dialecticorum et oratorum etiam, quoniam utramque vim virtutem esse nostri putant, sic parentes ut legibus verbis quoque novis cogimur uti.288 Noch universaler wird diese synthetische Methodik gerade auch durch die auffällige Einbettung der Gedanken im Brutus in das Lehrgebäude des Diodotos: Die Sicht von Rhetorik und Dialektik als nur in der Breite und Verbindlichkeit differierende Formen der Ansprache und Vermittlung, auf die sich das zugrundliegende bekannte Bild von geöffneter Hand und geschlossener Faust bezieht,289 ist definitiv stoischer Provenienz, womit auch der Stoa das Potenzial bescheinigt wird, Teil der beschriebenen verschiedene Denkrichtungen einschließenden Synthese zu sein.290 Entscheidend ist für Ciceros Zwecke ein diesen Schulen gemeinsames Zueinander-Bringen der Elemente, aus denen seine synthetische Methode zusammengesetzt ist. Und so darf man mit Fuchs letztlich die These äußern, „daß Cicero sehr oft, wenn er von der Philosophie im allgemeinen sprach, mehr als alles andere die […] für den Redner unabweisliche Dialektik im Sinne hatte“.291 Rhetorik und eine derart verstandene Philosophie verschmelzen damit für ein generell einsetzbares methodisches Verfahren der Erörterung. In diesem Zusammenhang verdient zudem die Abhandlung Partitiones oratoriae besondere Aufmerksamkeit. Viel mehr als nur rein technisches Werk,292 ent288 289

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Ac. 1,5. S. neben Brut. 309 auch orat. 113: Zeno quidem ille a quo disciplina Stoicorum est manu demonstrare solebat quid inter has artis interesset; nam cum compresserat digitos pugnumque fecerat, dialecticam aiebat eius modi esse; cum autem deduxerat et manum dilataverat, palmae illius similem eloquentiam esse dicebat. Vgl. zur Metaphorik Pohlenz 1978, S. 60f. und Seidlmayer 2018, S. 49f., generell zur stoischen Dialektik Long 1978 sowie Ryan 1982, S. 199–203 und zum Unterschied stoischer Dialektik zu derjenigen der Akademie und des Peripatos D’Alton 1962, S. 161f. Demgegenüber wird die Stoa oft etwas einseitig als Rhetorik geringschätzende Schule dargestellt; vgl. etwa Inabinet 2017, S. 111: „Stoics […] had gone astray in positing a universal reason without stressing public oratory as a vital and culturally contingent part of such speech.“ Grundlage für eine solche Einschätzung ist freilich auch Cicero selbst, wenn er etwa in de orat. 2,159 Antonius die stoische Ausdrucksweise als ungeeignet für den Redner klassifizieren lässt. Fuchs 1971, S. 318; vgl. auch ebd., S. 338, Anm. 17. Vgl. zudem Graff 1963, S. 71. Bereits Platon rückt beide Begriffe in unmittelbare Nähe, wie Hadot 1998, S. 177 feststellt: „Pour Platon la philosophie est essentiellement dialectique.“ Vgl. auch ebd., S. 182; Montoneri 1993, S. 240 sowie Solmsen 1968, S. 49 und Ryle 1968, S. 71, der ebenfalls feststellt: „Plato frequently identifies or very closely associates dialectic with philosophy.“ Auch bei Platon wird diese Identifizierung zudem, so ebd., S. 162, in den gleichen Zusammenhang einer Verbindung von Philosophie und Rhetorik eingeordnet: Platon „proposait une rhétorique philosophique. […] Cette rhétorique philosophique suppose elle-même dans l’esprit de Platon la dialectique.“ So etwa Grube 1962, S. 237f. und 256f. Dagegen argumentiert grundlegend Gaines 2002: Seiner Auffassung nach findet in den Partitiones oratoriae wie auch in den

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hält es einige grundlegende Aussagen zur Verbindung von Rhetorik und Philosophie im erkenntnistheoretischen Sinne. Als Schrift über die Einteilung der Redekunst293 legt sie einen derartigen synthetischen Zusammenhang der Elemente nahe und bestätigt die entwickelte These von dessen epistemologischer Funktion, wenn Cicero zwei Begleittugenden der Weisheit in den Bereichen der Rhetorik und der Dialektik verortet294 und für beide den gleichen Ursprung annimmt: Nihil enim est aliud eloquentia nisi copiose loquens sapientia; quae ex eodem hausta genere, quo illa quae in disputando, est uberior atque latior et ad motus animorum vulgique sensus accommodatior.295 Ausdrücklich wird hier eine gemeinsame Quelle von Rhetorik und Dialektik postuliert, werden zudem Redekunst und Weisheit an sich, Rhetorik und Philosophie, nahezu in eins gesetzt – eine Syntheseanordnung, die zudem beiden Elementen denselben Gegenstand der disputatio zuweist.296 Ausgehend davon kann man Peetz zustimmen, wenn er schlussfolgert: „Wenn aber Rhetorik Dialektik ist, ist sie zugleich […] Teil der praktischen Philosophie, oder: philosophische Rhetorik.“297 Eben diese Verknüpfung wird am Ende des Werks eindeutig der akademischen Schule zugeschrieben: Einteilungen, Unterscheidung von Wahrscheinlichem und Unglaubwürdigem, nicht zuletzt die rhetorisch-philosophische Synthesemethode der Disputation selbst, werden grundsätzlich als dezidiert akademische Methodik bestimmt.298 Dialektik und Rhetorik dienen

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Topica eine tiefgehende Verbindung von Philosophie und Rhetorik statt, wie Gaines 2002, S. 446f. festhält: „I contend that Cicero constructed Partitiones oratoriae to represent philosophical inquiry into the nature of rhetoric or – as I shall call it – rhetorical philosophy. […] I maintain that Cicero constructed Topica to illustrate the application to rhetoric of philosophical doctrine or – in this instance – philosophical rhetoric.“ Ebenfalls dieser Auffassung ist Arweiler 2003. Vgl. für allgemeine Informationen zu den Partitiones oratoriae Gaines 2002, S. 447– 466. S. part. 78: Sunt autem aliae quasi ministrae comitesque sapientiae; quarum altera quae sint in disputando vera atque falsa quibusque positis quid sequatur distinguit et iudicat, quae virtus omnis in ratione scientiaque disputandi sita est, altera autem oratoria. Ebd., 79. Vgl. auch Arweiler 2003, S. 255–258. Ebd., S. 262 stellt er fest: „Aus der philosophischen Tradition stammt in den part. das methodische Instrumentarium der Dialektik, das die Inhalte der rhetorischen Disziplin sowohl herzuleiten als auch zu organisieren erlaubt.“ S. auch de orat. 3,55f. und vgl. dazu Arweiler 2003, S. 256 und ebd., Anm. 121. Vgl. zudem generell zu Rhetorik und Dialektik ausgehend von der Betrachtung der Partitiones oratoriae Varwig 1991. Peetz 2000, S. 69. Peetz 2007, S. 135 erkennt ein „Modell einer dialektischen Rhetorik“. Generell gegen ein dialektisches Philosophieverständnis Ciceros argumentiert dagegen Wilkinson 1982, S. 236f. S. part. 139: Expositae tibi omnes sunt oratoriae partitiones, quae quidem e media illa nostra Academia effloruerunt, neque sine ea aut inveniri aut intellegi aut tractari possunt. Nam et partiri ipsum et definire et ambigui partitiones dividere et argu-

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damit dem selben Ziel einer inhaltlich wie sprachlich kunstfertigen Erörterung, wie sie in der Akademie praktiziert wird. Die philosophische ars subtiliter disputandi verschmilzt mit der rhetorischen ars copiose dicendi zu einem Syntheseverfahren mit akademisch-erkenntnistheoretischem Potenzial.299 Dass dieses rhetorisch-dialektische Verfahren der Disputation nach verschiedenen Seiten hin als Teil des dargestellten universalen Strukturmodells300 zu verstehen ist, geht aus De oratore hervor, wo Crassus die Sinnhaftigkeit der Disputationsmethode auch dadurch demonstriert, dass er die Möglichkeit zur Erörterung in allen Dingen natürlicherweise angelegt sieht:301 Omnis igitur res eandem habet naturam ambigendi, de qua quaeri et disceptari potest, sive in infinitis consultationibus disceptatur, sive in eis causis, quae in civitate et forensi disceptatione versantur.

Die disputatio in utramque partem wird bei Cicero demnach umfassend verstanden: Nicht nur praktische Handlungsanweisungen und einzelne Thesen, sondern – originär bei Cicero – auch größere Themengebiete und komplette philosophische Systeme werden diskutiert.302 Indem für konkrete wie abstrakte Fragestellungen,

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mentorum locos nosse et argumentationem ipsam concludere et videre quae sumenda in argumentando sint quidque ex his, quae sumpta sunt, efficiatur et vera a falsis, veri similia ab incredibilibus diiudicare et distinguere aut male sumpta aut male conclusa reprehendere et eadem vel anguste disserere, ut dialectici qui appellantur, vel, ut oratorem decet, late expromere, illius exercitationis et suptiliter disputandi et copiose dicendi artis est. Vgl. für weitere entsprechende Belegstellen bei Cicero auch Hall 1994, S. 223 und ebd., Anm. 40. Vgl. dazu zudem etwa Gaines 2002, S. 457f.; Vasaly 1993, S. 188 und ferner Fuchs 1971, S. 318. Dass Cicero für seine synthetische Methodik auch Einflüsse anderer Schulen unter das Dach der Akademie holt, ist bereits gezeigt worden und wird von Gaines 2002, S. 459, Anm. 21 zusammengefasst: „[I]n citing the Academy as the source for Partitiones oratoriae, Cicero allows himself free access to a wide range of intellectual resources, particularly philosophical doctrines from the Old Academy of Plato and Crates, the early Peripatos of Aristotle and Theophrastus, the New Academy of Arcesilaus and Philo, and the regenerate Old Academy of Antiochus.“ Vgl. auch ebd., S. 475 und Rawson 1985, S. 132. S. zum Thema auch Anm. 206 und 273. S. das Zitat aus part. 139 in Anm. 298. Insofern ist May/Wisse 2002, S. 22f. zu widersprechen, die keine Synthese am Ende der Partitiones oratoriae erkennen. S. die Ausführungen zur Einheit von res und verba. De orat. 1,111. Varwig 1991, S. 76 spricht von „einer ‚dialektischen Natur‘ aller Dinge“. Diese Verbindung von Philosophie, Rhetorik und Politik ist tatsächlich eine originäre Leistung Ciceros: vgl. u. a. Gawlick/Görler 1994, S. 1092 und Leonhardt 1999, S. 15. S. auch Kapitel 4.3.1 und dort Anm. 478.

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für bestimmte wie unbestimmte quaestiones303 die gleiche Methodik angewandt wird, wird der enge Zusammenhang zwischen beiden betont; wie bereits Antonius im zweiten Buch feststellt, lässt sich nämlich jede konkrete Frage auf eine allgemeine zurückführen304 und somit mithilfe der universalen Methodik untersuchen.305 303

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Die Unterscheidung von quaestio infinita und quaestio finita geht auf die griechische Unterscheidung von θέσις und ὑπόθεσις zurück; vgl. dazu Ueding/Steinbrink 2011, S. 212 und 335 sowie Reckermann 1990, S. 516–520. Vgl. zur Verbindung der Methodik der Disputation mit dieser Rückführung von finiten auf infinite Quaestionen Peetz 2007, S. 133f. Vgl. ferner zum Verständnis von These und Hypothese bei Cicero Wisse 2002a, S. 395; Varwig 1991, S. 78f.; Barwick 1963, S. 51–64; May/Wisse 2001, S. 25f.; Reinhardt 2000, S. 535 und 541–544; Müller 1965, S. 93–96; Bittner 1999, S. 147f. und 508 sowie Reckermann 1990, S. 516–524. Stroh 2009, S. 295 nennt Philon als Vorbild. An dieser Stelle wäre es lohnenswert, prinzipiell zu untersuchen, inwiefern sich die Disputationsmethodik auf das Repertoire der Topik stützt, und darauf aufbauend Überlegungen zur verwandten Schrift Topica anzustellen; vgl. zum grundsätzlichen Aufbau der Schrift Riposati 1973, S. 421–427 und für allgemeine Informationen Reinhardt 2003, S. 3–17 sowie Gaines 2002, S. 466–476. Letzterer weist ebd., S. 473–476 Ähnlichkeiten zu den Partitiones oratoriae nach und nimmt auch für Ciceros Topik eine akademische Herkunft an. S. auch part. 5 und vgl. dazu Riposati 1973, S. 427– 439. Man könnte in diesem Kontext die These in den Raum stellen, dass für die Auffindung der möglichen Inhalte und Argumente einer disputativen Erörterung die Systematisierung der Topik herangezogen wird, welche sich ebenfalls in jene universale Struktur einfügen lässt. Entsprechend definiert Bittner 1999, S. 541 die im Lateinischen loci genannten τόποι im hier betrachteten Zusammenhang als „Gesichtspunkte zur Einordnung weiterer Beobachtungen oder zur Planung von Handlungen“. Demzufolge käme es letztlich auf eine sinnige Verbindung von Dialektik und Topik an, wie auch top. 6f. nahelegt: Cum omnis ratio diligens disserendi duas habeat partis, unam inveniendi alteram iudicandi, utriusque princeps, ut mihi quidem videtur, Aristoteles fuit. Stoici autem in altera elaboraverunt; iudicandi enim vias diligenter persecuti sunt ea scientia, quam διαλεκτικην appellant, inveniendi artem, quae τοπικη dicitur, quae et ad usum potior erat et ordine naturae certe prior, totam reliquerunt. Nos autem, quoniam in utraque summa utilitas est et utramque, si erit otium, persequi cogitamus, ab ea, quae prior est, ordiemur. Vgl. zur Stelle Reinhardt 2003, S. 189–198. Vgl. zur Thematik zudem Bittner 1999, S. 289, der festhält: „Dialektik und Topik sind insbesonders an den Aristotelischen Vorgaben zu erlernen und insofern auf einander zu beziehen, als die topisch gefundenen Argumente einer dialektischen Urteilsform unterzogen werden müssen.“ Peetz 2007, S. 136 stellt fest, dass bei Cicero letztlich peripatetische Topik und akademische Dialektik verbunden werden. Nach Mančal 1982, S. 201 ist eine Einheit von ars inveniendi und ars iudicandi das Ziel. Vgl. zu dieser Verbindung auch Bittner 1999, S. 255f.: „Die ‚ratio disserendi‘, die Cicero für den Redner bzw. für einen gebildeten Menschen überhaupt geltend machen will, kann als ein gleichermaßen dialogisches wie dialektisches Verfahren bezeichnet werden, mit der der Mensch zur Vernunft gelangen kann, weil er seine Kenntnisse und Erfahrungen zu einem Sachverhalt aus allen topischen Gesichtspunkten betrachtet und mithilfe der

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Wie genau gestaltet sich nun die Verbindung von dialektischer Philosophie und Rhetorik in Form einer disputativen Methodik, welche allgemein-abstrakte wie auch spezifisch-konkrete Fragen verhandelt? Die Vorgehensweise entspricht ebenso dem schon vielfach beobachteten Prozess von der Analyse zur Synthese. Es werden zwei, bisweilen auch mehr philosophische Komplexe, die zumeist verschiedenen philosophischen Schulen zugeordnet werden können, oder das Für und Wider einer einzigen These scharf gegenübergestellt, wobei am Ende dieses also von These und Antithese geprägten dialektischen Verfahrens eine Synthese steht.306 Dass De oratore selbst, wie vielfach in der Forschungsliteratur gezeigt,307 von dieser Struktur geprägt ist, beweist eindrucksvoll, dass sich dieses strukturelle Modell selbst in den übergeordneten Strukturzusammenhang einer Synthese von res und verba einfügt – Inhalt und Form stehen auch hinsichtlich des erkenntnis-

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logischen Regeln sorgfältig aufeinander bezieht.“ Vgl. auch Bittner 1999, S. 290. Bittner versteht dabei die ciceronische ratio disserendi ebd., S. 297f. als eine spezifische Auslegung des sokratischen Dialogs. Vgl. zur ciceronischen ratio disserendi auch Frank 1992, S. 318–321. Görler 1974, S. 207f. erkennt entsprechend einen Zusammenhang von Antinomiedenken und der Disputationsmethodik. Damit die erläuterte Konfiguration reibungslos funktioniert, werden dabei – so etwa Gawlick/Görler 1994, S. 1098 – die diversen philosophischen Lehren oftmals in ursprünglicher, orthodoxer und damit nicht differenzierter Weise dargestellt. Dies mag man auf sachlicher Ebene als Verfälschung bezeichnen, für die strukturelle Bewegung aber wird die Simplifizierung zum entscheidenden Moment, weil die Dynamik nur auf diese Weise klar hervortreten kann. Durch Abstrahierung von der Inhaltsebene wird so die „Metastruktur des Denkens“ sichtbar – ein Ausdruck, den Leonhardt 2000, S. 67 gebraucht. In diesem Zusammenhang konkretisiert er ebd., S. 66 das Denkmuster ausgehend von De finibus bonorum et malorum: Die Grundstruktur enthalte drei Stufen, nämlich „dezidierte Ablehnung der ‚materialistischen Position‘, vorsichtige Annäherung an die idealistische Gegenposition, tatsächliche Bevorzugung eines Kompromisses, der ziemlich nahe an der idealistischen Position liegt“. Dass die erwähnte Synthese in der ciceronischen Methodik dem Wahrscheinlichen entspricht, wird in Kapitel 4 gezeigt. S. in de orat. etwa 3,67, 107 und 145 und vgl. dazu Peetz 2007, S. 135 sowie ferner Hall 1994, S. 222f.; Ryan 1982, S. 312 und Merklin 1987, S. 159f. Wisse 2002a, S. 381 sieht dabei ein Zusammenbringen von Crassus und Antonius: „Cicero’s ideal orator possesses the skill of arguing both sides of any issue (in utramque partem/sententiam dicere, e. g. 3.80), and as he indicates (l.263; cf. 2.40), Antonius’ approach is meant to show this at work.“ May 2007, S. 255 stellt dazu treffend fest: „[I]n typical Ciceronian fashion, in a variation of arguing in utramque partem, he borrows from both sides (and criticizes both) so as to forge a new reconciliation not so much between philosophy and rhetoric, but rather between philosophy and oratory, that is, between wisdom and eloquence.“ Wisse 2002a, S. 397 spricht in diesem Zusammenhang von einer ciceronischen Synthese: „In De oratore, Cicero draws on the disciplines of rhetoric and philosophy, but he belongs to neither of these two quarreling camps, and offers a synthesis of the two positions. It is his concentration on the personal qualities of his orator that allows him to devise and defend this synthesis.“

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theoretischen Rahmens einer Verbindung von Philosophie und Rhetorik in Einklang.308 Eine entscheidende Synthese des Werks De oratore ist demnach nicht nur in der inhaltlichen Übernahme der Position einer der beiden oder beider Gesprächsteilnehmer zu sehen, sondern in methodischer Hinsicht vor allem in der Konstruktion einer epistemologisch akzentuierten disputativen Verfahrensweise, auf deren Grundlage eine inhaltliche Auseinandersetzung überhaupt erst gelingen kann. Die Disputation erfolgt dabei – in De oratore selbst wie in den meisten anderen Philosophica – in der dialektischer Methodik und Struktur angemessenen literarischen Form des Dialogs.309 Die Methodik und das ihr entsprechende Strukturmodell sind dabei allumfassend zu sehen: Kosmologisch fundiert und derart auf alle Bereiche des Lebens ausgeweitet, werden theoretische wie praktische, abstrakte wie konkrete Probleme und Fragestellungen erörtert, nicht zuletzt wegen einer gewissen Allgemeingültigkeit jedweder quaestio. So tritt auch die individuelle wie besonders gesellschaftliche Relevanz der Synthese von res und verba erneut deutlich hervor.310 Kommunikation gilt als die Basis des menschlichen Zusammenlebens und gelingt idealerweise auf Grundlage vernünftiger Erörterung, womit Sprechen und Handeln auf politischer Ebene verbunden und grundsätzliche theoretische, sozialphilosophische Fragen wie auch einzelne praktische, tagespolitische Probleme sowie deren Zusammenhänge in eine umfassende Disputationssystematik eingeordnet werden.311 In dieser auf Grundfesten menschlicher Kommunikation fußen308

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So kann man mit Bittner 1999, S. 484 sagen, dass Cicero auf „eine innere Harmonie der Sprachgestaltung, die sich am Verständnis der Sache ausrichtet“, also, wie er ebd., S. 506 beobachtet, eine „sprachlich-inhaltliche Bildung“ abzielt, die beiden Komponenten gerecht wird. Nach Peetz 2005, S. 123 wird Rhetorik damit „erkenntnistheoretisch in Dienst genommen“ und selbst „zur angewandten Philosophie“; vgl. auch ebd., S. 128f. Der Zusammenhang von dialektischem Dingen und Dialogform ist offenkundig. In dieser Arbeit wird jedoch bekanntlich – s. Kapitel 2.3.3 – die strukturelle Anlage der Werke weitgehend unabhängig von der Wahl der literarischen Form untersucht, was ähnlich bereits für die Textprogression sowie die verschiedenen Formen der Disputation festgestellt wurde; s. hierzu speziell Anm. 131 und 205. Auf die Bedeutung verschiedener Positionen der Dialogpartner wird hingegen an Ort und Stelle eingegangen. Vgl. Bittner 1999, S. 256: Die präsentierte ratio disserendi erstrecke sich sowohl auf die innere Abwägung als auch auf die öffentliche Debatte. Vgl. auch Dugan 2013, S. 26 und ebenso Baraz 2012, S. 149, die etwas zu funktional denkt: „Through the rhetorical style that he uses in the treatises, through his emphasis on the theoretical similarity between rhetoric and philosophy, and, finally, through the presentation of the continuous presence of philosophy in his successful prior public career, Cicero creates a series of links between philosophy and standard political practice as conducted through oratory.“ Vgl. zur gesellschaftlichen Relevanz der Überlegungen in De oratore auch Hall 1994, S. 224f. und generell Grilli 2002. S. auch Kapitel 3.2, 3.3.2 und 3.4. Vgl. zur Einheit von Theorie und Praxis in De oratore Jürß 1982, S. 514: „Cicero betrachtet seine Synthese von rhetorischer und philosophischer Bildung unter dem

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den Methodik verbinden sich so schließlich theoretische Reflexion des Philosophen und rhetorische Qualität des Redners in einer in der Gesellschaft wirkenden Person, die das Konkrete auf das Abstrakte und das Individuelle auf das Allgemeine beziehen kann.312 Die Ausgestaltung jener idealen Person soll nun nach den Beobachtungen zur ciceronischen Idealvorstellung des Redens Mittelpunkt der Untersuchung sein. 3.3.2 Orator: Das ciceronische Ideal des Redners Die rhetorische Schrift Orator ist weit nach De oratore313 innerhalb der späten Phase von Ciceros theoretischer Schriftstellerei entstanden314 und fragt explizit nach der Figur des idealen Redners, wenngleich auch technische Aspekte eine

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Gesichtspunkt der Einheit von Theorie und Praxis. […] Gemäß seiner Grundauffassung, daß das Erkennen sich erst im gesellschaftlichen Handeln vollende, stellt für ihn die im Ideal des Redners vollzogene Einheit der beiden Bereiche die höchste Lebensform dar.“ Vgl. weiterhin v. a. Peetz 2007, S. 136, der in der ciceronischen Methodik „praktische Erfahrung im Reden“ und „philosophische Kompetenz zum Zweck politischen Handelns“ verbunden sieht. Überzeugend stellt Peetz 2007, S. 127 fest: „Reden und Sprechen sind für Cicero eine das Gemeinwesen konstituierende Kraft (vis), deswegen, weil die sich in ihnen zeigende Vernunft (ratio) die Natur des Menschen selbst verwirklicht.“ Vgl. ebenfalls Peetz 2000, S. 63: „Cicero konzipiert […] einen Typ von Rhetorik, der durch dialektische Erörterung des jeweiligen Redegegenstands im Horizont philosophischer Prinzipienfragen auf die Etablierung praktischer Urteilskraft des Auditoriums zielt.“ Dies sei der „Versuch einer dialektischen Transformation der traditionellen Rhetorik in Richtung auf eine angewandte praktische bzw. politische Philosophie.“ S. zur Bedeutung kommunikativer Aspekte auch Anm. 254, zudem Kapitel 8 und 9 und zum Gegensatzpaar Theorie–Praxis auch Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise. Vgl. dazu Peetz 2007, S. 134. In der Forschung werden einerseits, wie etwa bei Bees 2010b, S. 207, die Gemeinsamkeiten beider Werke betont, andererseits wird auf existierende Unterschiede eingegangen. So geht etwa Gilleland 1964 von einer deutlich erkennbaren Entwicklung des orator-Konzepts bei Cicero aus; vgl. dazu auch Wisse 2002b, S. 361f. Müller 1965, S. 169–171 argumentiert für die Höhergewichtung der Philosophie im Orator. Gildenhard 2013b, S. 261–272 wiederum erkennt eine deutliche Hinwendung zu Platon. Am sinnvollsten scheint es, auch hierbei von einem Kern philosophischen Denkens bei Cicero auszugehen; vgl. dazu z. B. Döpp 1982, S. 52: „Zwischen den einzelnen Darlegungen Ciceros zum Verhältnis von Weisheit und Beredsamkeit besteht ein innerer Zusammenhang. Zwar ist der Einfluß des jeweiligen konkreten Erlebens beträchtlich, nirgends aber wird die Entwicklung von Ciceros Gedanken aus der einmal eingeschlagenen Richtung abgedrängt.“ S. zum Kern des ciceronischen Philosophierens auch Anm. 49 und die dortigen Verweise. Vgl. für Überlegungen zur Entstehung etwa Narducci 2002b, S. 428f.

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große Rolle spielen315 und das Werk zudem deutlich als Beitrag zur AttizismusDebatte316 zu verstehen ist. Im Folgenden soll der Fokus auf dem inhaltlichen Kern des orator perfectus liegen, zumal die Erörterung der Frage nach dem idealen Redner im Zusammenhang mit der Verbindung von Philosophie und Rhetorik, wie Cicero sie versteht, zu sehen ist. Explizit wird gleich zu Beginn des Werks auf mehrfaches Bitten des Brutus hin317 auf die Vorstellung des perfekten Redners abgezielt und dabei sogleich der Anspruch einer solchen Suche nach einer Idealvorstellung problematisiert. Obwohl sich zwar manche eventuell durch die Unerreichbarkeit eines Optimums abschrecken lassen mögen, plädiert Cicero letztlich für die Darstellung des summus orator318 als Typus, der, wenn auch vielleicht noch nie vollumfänglich in der geschichtlichen Realität verwirklicht, doch als tatsächlich erreichbar zu denkender Leitstern Ansporn für das eigene Streben nach dem Besten sein kann: Nam neque illud ipsum quod est optimum desperandum est et in praestantibus rebus magna sunt ea quae sunt optimis proxima.319 Diese Einstellung gilt sowohl für den Bereich der Rhetorik als auch für den der Philosophie,320 womit bereits hier die Pole abgesteckt sind, zwischen denen sich Ciceros Betrachtung bewegt, insofern beide in den gleichen Bewertungszusammenhang gestellt werden. Die aus den Betrachtungen der Tusculanae disputationes und von De oratore bekannte Dichotomie wird so auch hier etabliert und stellt die Grundlage der folgenden Erörterung dar. Ciceros Überlegungen zum illud quo nihil esse possit praestantius321 werden im Laufe der Ausführungen durch eine Version der platonischen Ideenlehre 315 316

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Vgl. z. B. Dugan 2013, S. 38: Die Schrift Orator sei „a distinct turn towards the more technical issues of literary aesthetics“. Vgl. dazu beispielsweise Wisse 2002b, S. 364–368; Gelzer 1979, S. 13–24 sowie Narducci 2002a, S. 408–412 und dabei speziell 408, Anm. 13 und 409, Anm. 14. Douglas 1973, S. 119–131 schätzt die Bedeutung der Diskussion anders ein: Er hält die römische Debatte um Attizismus und Asianismus für ein eher unbedeutendes Phänomen. Am wahrscheinlichsten ist, dass es sich, wenn der Schreibstil eines Kontrahenten als asianisch tituliert wird, in erster Linie um eine Waffe in der polemischen Auseinandersetzung handelt; vgl. dazu Adamietz 1992. S. orat. 3: Eumque oratorem quem quaeris expressero. Vgl. für die lateinische Bezeichnung des idealen Redners Barwick 1963, S. 7. Orat. 6. Zur Schwierigkeit und Arbeit, das Ideal im philosophisch-rhetorischen Bereich zu erreichen, vgl. auch Görler 1974, S. 174–176. Er erläutert einleuchtend, dass das Rednerideal von Cicero nicht wirklich für historisch gehalten, sondern im vollen Bewusstsein, dass es sich um eine Rückprojektion handelt, vertreten wird; s. dazu auch Brut. 158–162. Dennoch wird sich zeigen, dass das Ideal bei Cicero immer als erreichbar gedacht wird und – vgl. Peetz 2007, S. 128 – anzustreben ist. Deshalb lassen sich durchaus auch Kompetenzen eines solchen Meisters der Rede aufstellen, wie Barwick 1963, S. 8–13 dies tut. S. zur Erreichbarkeit eines Ideals bei Cicero auch Kapitel 7.2.2 und Anm. 1118 und 1179. S. orat. 3f. und 6f. bzw. 5. Ebd., 7.

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untermauert:322 Es gelte, die Idee, die forma der Beredsamkeit mit dem Geist zu erfassen323 und die zu bestreitende Erörterung auf dieses Ur-Bild zurückzuführen, womit Cicero eine globale Perspektive für seine Theorie aufspannt und den idealen Redner als deren höchste Leitidee etabliert.324 Dass auch dies vor dem Hintergrund der Dichotomie Philosophie–Rhetorik zu sehen ist, zeigt nicht nur der dezidiert philosophische Einschub selbst,325 sondern auch die Tatsache, dass Platon als Ahnherr beider Bereiche, als non intellegendi solum sed etiam dicendi gravissimus auctor et magister326 bezeichnet wird. In seiner Figur treffen sich demnach erstmals philosophische Reflexion und rhetorisches Ausdrucksvermögen.327 Doch auch hier wird explizit und prominent eine erkenntnistheoretische 322

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Vgl. generell etwa Narducci 2002b, S. 430f. Vgl. zunächst für das Verhältnis von Cicero zu Platon etwa Schofield 2017, S. 53–65; Gildenhard 2013b, S. 226f.; Hösle 2008; Gotter 1996b und zudem Auvray-Assayas 2001. S. für weitere Aspekte etwa Anm. 342, 372, 608, 1022, 1060 und die dortigen Verweise sowie 1428. Die hier zu findende Darstellung der Ideenlehre war und ist kontrovers diskutiert: In der Regel wird, so etwa bei Steidle 1973, S. 416f. oder Chalkomatas 2007, S. 247 angenommen, dass es sich um eine eventuell mittelplatonische, jedenfalls nicht direkt platonische Abwandlung handelt. Wimmel 1974, S. 189 etwa hält die Beschreibung für unplatonisch, aber in sich stimmig. Gildenhard 2013b, S. 248–262 zeichnet die Argumentation ausführlich nach, unterstellt Cicero ebd., S. 257 jedoch „philosophical imprecision“ und sieht ebd., S. 258f. Einfluss von stoischem Gedankengut und neuakademischem Vorgehen, weshalb er die Präsentation als „doxographical syncretism“ beschreibt. Demgegenüber betont Long 1995a, S. 50 nachdrücklich, dass es sich nicht um eine verzerrte, eklektische oder mittelplatonische Version der platonischen Seelenlehre handelt, sondern dass Cicero gemäß dem eigentlichen Sinngehalt Platons – „true to the spirit, though not to the letter, of Plato’s discourses“ – sein eigenes Ideal der Verschränkung von Philosophie und Rhetorik darstellt. Del’Innocenti 1979 fragt nach möglichen Quellentexten bei Platon selbst und sieht unter anderem den Τίμαιος als Vorlage. S. orat. 9: Ut igitur in formis et figuris est aliquid perfectum et excellens, cuius ad cogitatam speciem imitando referuntur ea quae sub oculos ipsa non cadunt, sic perfectae eloquentiae speciem animo videmus, effigiem auribus quaerimus. Diese Ideen können nach ebd., 10 durch Vernunft und Einsicht erfasst werden: Has rerum formas appellat ιδεας ille non intellegendi solum sed etiam dicendi gravissimus auctor et magister Plato easque gigni negat et ait semper esse ac ratione et intellegentia contineri. Vgl. Dugan 2013, S. 38; Gaines 1995, S. 56 und zudem Bittner 1999, S. 112, nach dem der vollkommene Redner bei Cicero als „Leitidee und als ein im damaligen Sinn wissenschaftlich gedachter, allgemeinster, höchster und fester Bezugshorizont für die theoretische Erfassung“ gelte. S. daneben orat. 101 und vgl. dazu Long 1995a, S. 47f. Cicero selbst thematisiert dies kurz darauf in orat. 11: Ac video hanc primam ingressionem meam non ex oratoriis disputationibus ductam, sed e media philosophia repetitam. Dabei handelt es sich, so ebd., um eine Neuheit in Rom: Inusitatas vias indagemus. Orat. 10. Long 1995a, S. 55 hat natürlich recht, wenn er feststellt, dass Cicero dabei Platons Feindseligkeit gegenüber Rhetorik herunterspielt; vgl. ferner Wisse 2002b, S. 362 und

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Bedeutung der Synthese nahegelegt, indem anschließend wie in den anderen betrachteten Werken328 ein Bezug zur akademischen Schule hergestellt wird, der sich Cicero in besonderem Maße verpflichtet fühlt:329 Non ex rhetorum officinis, sed ex Academiae spatiis exstitisse. Illa enim sunt curricula multiplicium variorumque sermonum in quibus Platonis primum sunt impressa vestigia. Sed et huius et aliorum philosophorum disputationibus et exagitatus maxume orator est et adiutus.

Platon wird so, trotz seiner offensichtlichen Kritik an der Rhetorik, nicht nur als synthetisch wirkender Urheber einer Philosophie und Rhetorik zusammendenkenden Ideenlehre und einer gelungenen Verbindung von Inhalt und Ausdruck,330 sondern auch als Begründer einer disputativen Methodik präsentiert, die bekanntlich331 erkenntnistheoretischen Wert besitzt. Jedoch: Trotz dieser offensichtlich vorhandenen Qualität in der Person Platons haben sich jener wie auch andere bedeutende Philosophen vor und nach ihm332 nicht zur Disziplin der Rhetorik bekannt und die praxisrelevanten Regularien ad forensis causas333 vernachlässigt, was letztlich zum historischen Auseinandertreten der beiden Bereiche und damit zu einem Zustand der Analyse führte: Ita et doctis eloquentia popularis et disertis elegans doctrina defuit.334 Diese Trennung gilt es aufzuheben, eine erneute Synthese beider Elemente ist auch aus der Perspektive der Frage nach dem idealen Redner dringend erforderlich, wie Cicero kurz darauf klarstellt: Sine philosophia non posse effici quem quaerimus eloquentem. […] Nec latius atque copiosius de magnis variisque rebus sine philosophia potest quisquam dicere.335 Trotz einiger positiver Beispiele in der

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Ueding/Steinbrink 2011, S. 18–23. Allerdings gibt es auch bei Platon bereits Anzeichen einer Verbindung der Disziplinen: s. Anm. 201. S. Kapitel 3.2 und 3.3.1. Orat. 12. Nicht zufällig folgt auf das hier wohl als Tadel zu verstehende exagitatus das positiv konnotierte adiutus: Eine Entwicklung von der Analyse zur Synthese wird so für Platon und die ihm nachfolgenden Schulen angedeutet. S. auch hier Kapitel 3.2 zu den Tusculanae disputationes und 3.3.1 zu De oratore. S. z. B. de orat. 3,59–73 und dazu Kapitel 3.3.1. Orat. 12. Ebd., 13. S. auch ebd., 17 und für die Auswirkungen der Analyse auch die Darstellung im Hauptteil des Werks (orat. 61–64). S. für die Verortung der Analyse in den anderen betrachteten Werken Kapitel 3.3.1 und das Folgende. S. für De officiis off. 1,3f. und vgl. dazu Baraz 2012, S. 143f. Orat. 14. Durch den Zusatz ebd. – non ut in ea tamen omnia sint – wird verdeutlicht, dass es Cicero nicht an einer einseitigen Höherstellung der Philosophie gelegen ist, sondern dass er gerade auf eine Verknüpfung Wert legt.

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Geschichte336 scheint aber eine systematische Verknüpfung von Philosophie und Rhetorik bis in die Gegenwart nicht wirklich erneut gelungen zu sein337 und so bleibt das Syntheseideal einer absoluta eloquentia,338 welche die perfecta philosophia der Tusculanae disputationes aus anderer Perspektive bestätigt,339 ein Desiderat. Die wichtigste Funktion einer solchen angestrebten Synthese, demnach die entscheidende Kompetenz eines idealen Redners, wird nun ex negativo, aus dem mangelhaften Status der Getrenntheit heraus, bezeichnet: Ohne das Zusammenwirken von Philosophie und Rhetorik ist es nicht möglich, Dinge zu erkennen, einzuordnen und zu bewerten, womit ein weiterer Aspekt der dialektisch-philosophischen Komponente der ciceronischen Disputationsmethodik angesprochen wird:340 Nec vero sine philosophorum disciplina genus et speciem cuiusque rei cernere neque eam definiundo explicare nec tribuere in partis possumus nec iudicare quae vera quae falsa sint neque cernere consequentia, repugnantia videre, ambigua distinguere.

Von grundlegender Bedeutung für die ciceronische Methodik ist hierbei aus Perspektive des Redners besonders das Ende der Periode, in der sich die Erkenntnisorientierung der Synthese auffällig spiegelt: In der Bedeutung ,unterscheiden, trennen‘ weist das ambigua distinguere in Kombination mit repugnantia videre einerseits auf die Existenz eines Analysezustands hin, der an binären Oppositionen zu erkennen ist, andererseits bestätigt die Formulierung die Notwendigkeit einer Erörterung nach verschiedenen Seiten hin, wird eine disputatio in utramque partem gefordert – nicht zuletzt, um beurteilen zu können, quae vera quae falsa sint, welche Dinge in Anbetracht des ciceronischen Probabilismus also einer 336

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S. orat. 15. Auch im Hauptteil werden positive Beispiele genannt: So wird ebd., 41f. Isokrates besonders herausgestellt und seine Leistung per Autorität von Sokrates und Platon herausgehoben. S. für die Rolle des Isokrates auch andere Werke, etwa Brut. 32f. und s. zudem Anm. 201. S. auch orat. 18, wo es von Antonius heißt: Disertos ait se vidisse multos, eloquentem omnino neminem. Insidebat videlicet in eius mente species eloquentiae quam cernebat animo, re ipsa non videbat. S. ebd., 17. Der offenkundige Zusammenhang zeigt – gerade vor dem Hintergrund der Untersuchungen zu den Tusculanae disputationes und zu De oratore – emblematisch, dass Cicero jene Synthese auch werk- und epochenübergreifend realisieren will, wobei er je nach Werkkontext mehr von der Philosophie oder mehr von der Rhetorik her denkt. Trotz dieser Differenz im Akzent bleibt die universale Stoßrichtung hinsichtlich eines sozial-politischen Wirkens von Philosophie und Rhetorik gleich. S. dazu auch die Überlegungen zu De inventione weiter unten. Orat. 16. S. auch ebd., 115 und Brut. 153. S. weiterhin zu Ciceros dialektischer Methode ausführlich das Folgende und zuvor Kapitel 3.3.1.

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Wahrheit möglichst nahekommen, womit das erkenntnistheoretische Potenzial einer Disputation nochmals unterstrichen wird.341 In der alternativen Bedeutung ‚Unterschiede auflösen‘ zeigt sich der notwendige Gegenpart des Denkmusters, wird das Ideal einer Auflösung von Getrenntem im Sinne einer Synthese formuliert.342 Es zeigt sich: Eine Verbindung der Elemente Philosophie und Rhetorik bestätigt sowohl die prinzipielle Anlage der Methodik in ihrer Ausrichtung auf eine Einheit als auch das Potenzial der durch den Redner zu leistenden Erörterung als erkenntnistheoretische Funktion dieser Synthese.343 Weitere Hinweise auf die genaue Ausgestaltung der Synthese und ihren erkenntnistheoretischen Wert lassen sich im Hauptteil finden, wenn Cicero erneut auf die notwendigen Fähigkeiten des idealen Redners eingeht. Neben die Rhetorik, die facultas fuse lateque dicendi und ratio dicendi et ornandi, tritt hier ganz konkret die Methode der Dialektik, die dialecticorum scientia und disputandi ratio et loquendi.344 Auch hier nimmt ein spezifisches methodisches Verfahren der Dialektik jenen Platz ein, den in anderen Zusammenhängen die Philosophie innehat, was erneut nahelegt, dass in der erkenntnistheoretischen Funktion der angestrebten Synthese das Element Philosophie dieser dialektischen Methodik entspricht. Weiterhin werden analog zur angestrebten Einheit von Philosophie und Beredsamkeit in ihrer erkenntnistheoretischen Funktion Dialektik und Rhetorik strukturell als Synthese angelegt, da beiden ein gemeinsames disputatives Anwendungsgebiet zugeordnet wird: Utrumque in disserendo est.345 Um diese Ver341

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Dass es hier neben einer Wahrheitserkenntnis als Voraussetzung für überzeugendes Sprechen durchaus auch um eine Wahrheitsfindung durch Disputation geht, wird eingedenk der Erkenntnisse aus De oratore – s. Kapitel 3.3.1 – plausibel. Dort wird im Kontext der Synthese von Form und Inhalt Philosophie in erkenntnistheoretischer Hinsicht als Dialektik präsentiert. S. zu Ciceros Probabilismus ausführlich Kapitel 4. Vgl. dazu u. a. Fuchs 1971, S. 318 und Fuhrmann 2011, S. 56. Hadot 1998, S. 163 erkennt Anklänge aus Platons Φαῖδρος und beschreibt die dialektische Denkungsart, wie sie auch an dieser Stelle zum Ausdruck kommt: „La dialectique est définie dans le Phédre comme un double mouvement de la pensée qui, d’une part, ramène la multiplicité des notions à l’unité d’une Forme, c’est-à-dire d’une Idée, au sens platonicien, et qui, d’autre part, redescendant à partir de cette Forme, distingue et organise les formes subordonnées qui sont impliquées en elle.“ Die Methode sei bei Platon – und, so darf man feststellen, ebenso bei Cicero – „étroitement liée à la pratique du dialogue“. Beachtet man die Beobachtungen zu De oratore, wird klar, dass sich auch aus dem hier gegebenen forensischen Kontext solche allgemeinen Rückschlüsse ziehen lassen. Dadurch kann zudem und nicht zuletzt die in Kapitel 2 dargestellte methodische Konzeption der Arbeit erneut als geeignetes Untersuchungsinstrumentarium bestätigt werden. S. orat. 113. Vgl. dazu u. a. Hadot 1998, S. 180. Orat. 113. S. bereits die Ausführungen in Kapitel 3.3.1. S. auch orat. 118, wo Dialektik und Philosophie in den gleichen Zusammenhang gestellt werden: Nec vero a dialecticis modo sit instructus sed habeat omnis philosophiae notos ac tractatos locos. S. ebenfalls

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schränkung, die, wie gezeigt, formal als disputatio in utramque partem zu denken ist, zu erreichen, muss sich der ideale Redner, der in seinem Handeln die Synthese verwirklichen kann, beider Quellen bedienen: Volo igitur huic summo omnem quae ad dicendum trahi possit loquendi rationem esse notam.346 Weitere Bestätigung erhält diese Annahme dadurch, dass auch hier, wie etwa in den Tusculanae disputationes auf die Frage nach der idealen Form des Philosophierens hin, Aristoteles als einheitsstiftende Figur präsentiert wird, der in seinem Werk über Rhetorik auch selbst einige Regeln einer gelungenen Erörterung aufgestellt hat.347 Eine auf diese Weise definierte Disputationsmethodik als Verbindung von Rhetorik und dialektischer Philosophie sollte dabei nicht abgehoben und exklusiv erscheinen, sondern verständlich aufbereitet und gesamtgesellschaftlich eingebettet sein:348 Erit igitur haec facultas in eo quem volumus esse eloquentem, ut definire rem possit nec id faciat tam presse et anguste quam in illis eruditissimis disputationibus fieri solet, sed cum explanatius tum etiam uberius et ad commune iudicium popularemque intellegentiam accommodatius.

Der gesuchte perfekte Redner ist also nicht ein der breiten Masse enthobener Theoretiker, sondern als Individuum in den gesellschaftlichen Strukturen verankert und, nicht zuletzt im Medium der öffentlichen Rede, um möglichst große Reichweite seiner Erörterungen bemüht.349 Aus diesem Grund muss sich ein Meister der Rede auch an das Ideal des decorum halten und sich in Wortwahl und Gedankenführung, also in der konkreten Ausgestaltung seiner Disputation, stets dem Publikum und der Situation anpassen.350 Als temporum personarumque moderator351 versteht er die Synthese dynamisch, die Verbindung von Philosophie und Rhetorik ist demnach nicht nur als strukturell-abstraktes Konzept zu verstehen, sondern auch als adaptive Methodik für den Einzelfall.352 Für diesen moderie-

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prominent Brut. 152f. Vgl. Hadot 1998, S. 160–186, der bemerkt, dass sich sowohl Dialektik als auch Rhetorik in der Methode der disputatio in utramque partem treffen; vgl. darüber hinaus Peetz 2000, S. 69. Zudem ist auch hier der bereits für De oratore festgestellte stoische Hintergrund des Zusammenhangs von Dialektik und Rhetorik impliziert: s. dazu Kapitel 3.3.1 und dort Anm. 289. Orat. 114. S. ebd.: Et ipse Aristoteles tradidit praecepta plurima disserendi. S. auch ebd., 46 und vgl. zudem für fin. 5,10 Long 1995a, S. 53. S. auch zuvor Anm. 201 und 206 sowie zum Verständnis von Dialektik bei Aristoteles Anm. 283. Orat. 117. S. auch Kapitel 3.4, 4.4.2 und 5. S. orat. 123. Vgl. zum decorum oder aptum u. a. Bittner 1999, S. 493–504; Narducci 2002b, S. 432 und Ueding/Steinbrink 2011, S. 221–226. Orat. 123. Vgl. etwa Inabinet 2017, S. 111, der in Bezug auf das decorum-Konzept auch von einer „ability to connect the particular with the universal“ spricht. Vgl. ferner Peetz 2007,

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renden Redner gibt Cicero in den technischen Passagen des Werks einige Hinweise, womit sich auch Sujets wie die Theorie der Beherrschung der drei Stilarten353 in den Kontext der besprochenen Synthese einordnen. Dies verweist nicht zuletzt erneut auf die Idee eines universalen Strukturmodells der Verbindung von Philosophie und Rhetorik, wie es bereits in Ciceros rhetorischem Hauptwerk De oratore dargestellt worden ist. Der ideale Redner wird als essentieller Bestandteil dieser Struktur bestimmt, indem er die Macht besitzt, gerade in der Orientierung an der dargestellten strukturellen Bewegung eine Einheit zu etablieren. Dass die hohe Bedeutung der Einzelperson im allgemeingültig zu verstehenden Strukturmodell ein prägendes Moment der ciceronischen Philosophie ist,354 zeigt die erste Vorrede seines Jugendwerks De inventione,355 wo nach einem Zustand anfänglicher Unzivilisiertheit ebenfalls einem Individuum die Kraft zugeschrieben wird, über die Verbindung von Weisheit356 und Beredsamkeit zur Einheit zu führen,357 ebenso wie es an Einzelpersonen liegt, dass es über die Trennung

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S. 134: „[I]ndem er die Einzelfälle auf allgemeine Gesichtspunkte bezieht, macht der Redner deren normative Implikate sichtbar und schafft Raum für die Einsicht in den Zusammenhang der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung mit dem gesamtgesellschaftlichen Normenkonsens […]. Mit dem Einzelnen wird immer auch über das Ganze des gesellschaftlichen Zusammenlebens entschieden.“ Es ist kein Zufall, dass das semantische Spektrum um moderari auch im Staatswerk De re publica eine bedeutende Rolle einnimmt, wo ebenfalls eine Verbindung von Großem und Kleinem angelegt ist und ebenso ein Individuum als Ordner und Lenker auftritt. Vgl. für entsprechende Überlegungen zur Verbindung der Staatsschrift mit den rhetorischen Hauptwerken etwa Douglas 1965, S. 156; Steidle 1973, S. 417–420 und Arweiler 2003, S. 292–297. S. detailliert Kapitel 7 zu De re publica und zur Verbindung von De oratore und Staatswerk zudem Anm. 1203. S. dazu orat. 100f. Zusammengefasst wird das Konzept in ebd., 100 – Is est enim eloquens qui et humilia subtiliter et alta graviter et mediocria temperate potest dicere. – und ebd., 101 – Is erit eloquens, qui poterit parva summisse, modica temperate, magna graviter dicere. Das Ideal umfasst somit Gegenwart und Zukunft. Vgl. zu diesem Stilideal Narducci 2002b, S. 432–436, der von einer philosophischen Ästhetik spricht: „Cicero makes use of the theory of prepon/decorum in Orator in order to establish a base of philosophical aesthetics for one of the leading ideas already enunciated in Brutus: the necessity of knowing how to vary and alternate the diverse registers of style.“ Vgl. auch Wimmel 1974, S. 194. S. Anm. 724 und die dortigen Verweise. Vgl. generell zum ersten Proöm sowie für quellenkritische Überlegungen Barwick 1963, S. 20–25. S. auch, besonders vergleichend, de orat. 1,33. Weisheit und Philosophie besitzen dabei, wie etwa Fantham 2004, S. 248 richtig bemerkt, in etwa den gleichen semantischen Gehalt und können damit strukturell als Teil eines Elements behandelt werden; vgl. dazu auch Mančal 1982, S. 195, für den beide Begriffe Momente einer Sache sind. Nach Döpp 1982, S. 39 kann ratio als Verbindungslink gelten. S. hierzu auch Kapitel 6.2.1. S. inv. 1,2: Quo tempore quidam magnus videlicet vir et sapiens cognovit, quae materia esset et quanta ad maximas res opportunitas in animis inesset hominum, si quis eam

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beider Elemente gerade im politischen Bereich auch zur Zwietracht im Staat358 kommen konnte.359 Ein Heilmittel für den gesellschaftlichen Zustand der Analyse, welcher eine Aberration des in der Vergangenheit bereits verwirklichten Ideals darstellt, liegt auch hier in einer erneuten Synthese der beiden Disziplinen,360 wofür mit Cato, Laelius, Africanus und den Gracchen361 einige Vorbilder angeführt werden. Insbesondere in diesem Proömium wird so das Interesse Ciceros am Wirken des Individuums in der Gesellschaft offenkundig,362 tritt die Relevanz

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posset elicere et praecipiendo meliorem reddere; qui dispersos homines in agros et in tectis silvestribus abditos ratione quadam conpulit unum in locum et congregavit et eos in unam quamque rem inducens utilem atque honestam primo propter insolentiam reclamantes, deinde propter rationem atque orationem studiosius audientes ex feris et inmanibus mites reddidit et mansuetos. Vgl. dazu generell Döpp 1982, S. 40–42 und ferner Dross 2010, S. 106f.; Gilson 1971, S. 180; Lévy 2012b, S. 63f.; Müller 1965, S. 92; Knoche 1976, S. 126f. sowie Mančal 1982, S. 152f. S. inv. 1,4: Veri simillimum mihi videtur quodam tempore neque in publicis rebus infantes et insipientes homines solitos esse versari nec vero ad privatas causas magnos ac disertos homines accedere. Vgl. zu den Gründen der Spaltung, die denen in De oratore angeführten – s. dazu Kapitel 3.3.1 – teilweise sehr ähnlich sind, Gilson 1971, S. 181f. und 196f. V. a. die Spezialisierung und Fokussierung auf Einzelinteressen destabilisieren den synthetischen Zustand. Vgl. zum Begriff des veri simillimum generell Kapitel 4 und hier Gilson 1971, S. 180. Döpp 1982, S. 45 stellt fest, dass es Cicero weniger auf historische Korrektheit hinsichtlich des Verhältnisses von Philosophie und Rhetorik, sondern vor allem darauf ankomme, „dem Leser den Gedanken einzuschärfen, daß beide einander nicht entraten können, sondern ‚wesenhaft zusammengehören‘.“ Gilson 1971, S. 181 bringt dies auf den Punkt: Es „bestand also, wenngleich in einfachster Form, die völlige Einheit von Verstand und Sprache, d. h. von Weisheit und Beredsamkeit. Solange sie erhalten blieb, machten die Menschen ständig Fortschritte in Friedenszeiten und Kriegsangelegenheiten. Die Auflösung dieser Einheit aber bedeutete für die Städte den Beginn des Zusammenbruchs und für ihre Bewohner den Anfang all der Übel, von denen sie, wie die Geschichte zeigt, heimgesucht wurden.“ Vgl. auch ebd., S. 195 sowie Buckley 1970, S. 146f. Dugan 2013, S. 30 beschreibt treffend die gesellschaftliche Bedeutung der Verbindung von ratio und oratio für Ciceros gesamtes rhetorisches Werk, De inventione eingeschlossen. S. inv. 1,5: Quare meo quidem animo nihilo minus eloquentiae studendum est, etsi ea quidam et privatim et publice abutuntur. […] Nam hinc ad rem publicam plurima commoda veniunt, si moderatrix omnium rerum praesto est sapientia. S. zum griechischen Hintergrund der Verschmelzung auch ebd., 2,8. Auffällig ist hier die positive Darstellung der Gracchen, die in Ciceros anderen Werken – s. besonders Kapitel 7 – fast durchgängig als Ursache einer gesellschaftlichen Spaltung dargestellt werden; vgl. dazu etwa van der Blom 2010, S. 104. Schirren 2018, S. 196 betont dieses Zusammenspiel im Hinblick auf eine Gemeinwohlorientierung: Die Geschichte in der Vorrede werde erzählt, „um den großen Einzelnen, der die anderen zum eigentlichen Menschsein führt, zugleich als den zu erweisen, der ratio und oratio verbindet und so als das eigentliche proprium des Menschen entdeckt“.

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seiner Überlegungen für das Funktionieren des Staates hervor:363 Über eine durch Individuen wie den Redner in die Wege geleitete Verbindung von Form und Inhalt können Gemeinschaften entstehen, durch ihre Trennung werden Zersetzungsprozesse eingeleitet – ein Strukturnarrativ, dessen sich der Autor lebenslang zu bedienen weiß.364 3.4

Resümee: Die Erörterung gesellschaftlich relevanter Fragen

Die Konfiguration der Dichotomie Philosophie–Rhetorik steht im Zentrum der Frage nach einer spezifischen ciceronischen Methodik für seine im weitesten Sinne philosophischen Schriften. Mittels des methodischen Rahmens der Arbeit, welcher von jenem Gegensatzpaar ausgeht und in einer Textstrukturierung nach dem Muster von Analyse und Synthese zum Ausdruck kommt, konnten zentrale Erkenntnisse über Ciceros philosophisch-rhetorisches Programm gewonnen werden. Wenn man historische, rednerisch-funktionale wie erkenntnistheoretische Aspekte berücksichtigt, kann die beide Disziplinen synthetisierende Vorgehensweise abschließend klar umrissen werden. Ausgangspunkt für jene auf eine umfassende strukturelle Synthese hinauslaufende Bewegung ist der beklagenswerte historische Analyseprozess, der mit einer folgenreichen Sokrates-Auslegung in Griechenland begann und trotz positiver

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Vgl. Schirren 2018, S. 202f. für einen Vergleich mit De oratore. S. für den dabei offenkundig werdenden Zusammenhang von Theorie und Praxis Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise. Vgl. auch Döpp 1982, S. 41 und Barlow 1987, S. 373. Vgl. dazu auch Steinmetz 1989, S. 4. Es gibt jedoch auch Stimmen, die gerade den Hauptteil von De inventione als Beleg dafür anführen, dass Cicero damals noch keine wirkliche Synthese von Philosophie und Rhetorik verfolgte: vgl. etwa Döpp 1982, S. 40f.; Kretschmar 1938, S. 9; Wisse 2002b, S. 361f. oder eindringlich Gaines 2002, S. 446 und ebd., Anm. 5, wo er konstatiert: „[I]n commending the combination of wisdom and eloquence at Inv. 1.1, Cicero simply upholds a traditional norm in the theory of speaking – the need for intellectual training and moral uprightness as well as eloquence in the civic speaker. In my view, this norm is perfectly consistent with the general separation of rhetoric from philosophy to which I refer in De inventione.“ Auch May 2007, S. 255 geht davon aus, dass erst in De oratore eine beide Lager synthetisierende Lösung für das Problem in De inventione gefunden wird. Allerdings sollte man berücksichtigen, dass der Hauptteil der rhetorischen Frühschrift explizit die althergebrachte Theorie vermitteln will; das Proömium hingegen weist deutliche Parallelen zu späteren Schriften auf und lässt ein einheitlich in Ciceros Philosophieren wirkendes Denkmuster vermuten. Zudem ist auch insgesamt eine auffällige Kontinuität zwischen dem Frühwerk und den anderen Schriften erkannt worden: Der Gebrauch bestimmter Begrifflichkeiten in De inventione weist etwa, so Koch 2006, S. 33, erstaunliche Parallelen zu ihrer späteren Verwendung in anderem Kontext auf; vgl. ebenso Pfligersdorffer 1969, S. 20.

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Ansätze in den meisten philosophischen Schulen, wozu in besonderem Maße das Erörterungsverfahren der Akademie und des Peripatos zu rechnen ist, auch in der Jetztzeit des Autors noch nicht überwunden scheint. Verantwortlich für die Zementierung des Spaltungszustands sind immer wieder einzelne Personen der Geschichte, die das ohnehin in der Volksmasse vorhandene Misstrauen aufgreifen und philosophischen Inhalt und rhetorische Form in einer Weise trennen, die sowohl die thematische Darstellung der Dinge als auch die Ausformung der Worte eine jeweils ungünstige Entwicklung nehmen lassen. Um den im Verlauf der Geschichte zugespitzten Status der Analyse zu überwinden, gilt es, das solchermaßen etablierte Verständnis einer rein ornamentalen sowie manipulativ zu verstehenden Rhetorik und einer bloß wenigen verständlichen, dunklen, theoretischen Philosophie zu überdenken, indem eine tatsächlich als systematisch zu denkende Einheit von res und verba, ergo von philosophia und eloquentia, als methodisches Verfahren konstruiert wird, das, so die Hoffnung, auch wieder auf den Lauf der Geschichte zurückwirkt.365 Um dieses Ziel zu erreichen, sollten der ideale Redner als Philosoph und der ideale Philosoph als Redner366 auf den Vorarbeiten der peripatetisch-akademischen Tradition aufbauen, die in ihrer Hochschätzung eines disputativen Verfahrens Rhetorik und Philosophie ohnehin in unmittelbare Nähe gerückt hat, sowie die stoischen Aussagen zum Zusammenhang von Dialektik und Rhetorik miteinbeziehen. Dieses synkretistische Instrumentarium,367 das auf den jeweils bereits synthetischen Konzepten der perfekten Philosophie und der perfekten Redekunst aufbaut, ist bei Cicero jedoch, um eine entscheidende Dimension erweitert, als konsequente Verbindung beider Elemente zu beschreiben, die über eine simple 365

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Vgl. dazu auch Arweiler 2003, S. 257: „Rhetorik und Dialektik sind zugleich methodisch und inhaltlich bestimmte Fähigkeiten, durch deren Zusammenwirken im Denken und Handeln des einzelnen, gebildeten Individuums die historisch bedingte Trennung der Disziplinen wieder aufgehoben und zu einer in vollkommener Erscheinung als Weisheit zu bezeichnenden Konstitution des Menschen werden können.“ Vgl. ebenso Buckley 1970, S. 146, der von einer „identification of rhetoric and philosophy in a single universal method“ spricht und diese als „consequence of the Ciceronian understanding of the interdependence of res and verbum, an understanding mediated and justified through a history of human culture“ bestimmt. Vgl. zur Verbindung der Qualitäten in einer Person auch May 2007, S. 255; Wisse 2002a, S. 397 und Gilson 1971, S. 203: Das Ideal Ciceros sei der „doctus orator, der sich, gleichsam per definitionem, zugleich als der philosophus erweist“. Vgl. auch Schofield 2008, S. 68. Michel 1960, S. 658f. sieht entsprechend gerade in De oratore eine Vermengung von platonischem Idealismus sokratischem Skeptizismus, akademischer Logik und peripatetischer Ästhetik. Vgl. auch Fantham 1989, S. 231, die für Ciceros rhetorisches Hauptwerk eine Synthese der griechischen Traditionen (Isokrates, Aristoteles, Platon) sieht. Montoneri 1993, S. 249 versteht sogar Sokrates selbst als Vorläufer einer synkretistischen Dialektikauffassung: Er „verstand die Dialektik als untrennbare Einheit von theoretisch-intellektueller und ethisch-praktischer Tätigkeit“.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

gegenseitige Befruchtung beider Disziplinen im Rahmen einer disputatio in utramque partem hinausgeht, indem sie die Synthese als vollständige Einheit von Philosophie und Rhetorik versteht und das dialektisch-rhetorische Disputationsverfahren selbst als Ausdruck dieser Verschränkung interpretiert.368 Ausgehend von einem solchen Einheitsverständnis als Basis eines eigenständigen Modells369 können Themen jeglicher Art in jedem vorstellbaren Rahmen sinnvoll abgewogen und erörtert werden. Das gleichermaßen dialektische wie rhetorische Erörterungsverfahren besteht konkret in der oftmals pointierten, dennoch ehrlichen Gegenüberstellung verschiedener Meinungen oder Lehren und fungiert so als universale Metastruktur,370 die mit beliebigen Themen gefüllt werden kann. Indem hierbei unterschiedliche Positionen in Oppositionsstellung gebracht und zugleich als Ergebnis dieser Konfrontation etwas Drittes als Zusammenfügung der dichotomen Elemente371 hervortritt, verbinden sich in der Methodik selbst Analyse und Synthese als zwei Bestandteile eines dynamischen Denkmusters, welches somit nicht nur die Methodik dieser Arbeit beschreibt, sondern auch Ciceros Herangehensweise umreißt.372 Aus der doppelten Bedeutung des rhetorisch-dialektisch zu interpretierenden ambigua distinguere ergibt sich letztlich eine Verschränkung von Trennung und Einheit, die in Ciceros Schriften erkenntnistheoretisch erhellend wirkt und für diese Arbeit eine geeignete Deutungsfolie darstellt.

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Damit ist Döpp 1982, S. 49 zu widersprechen, der davon ausgeht, es würden „in der Darlegung des Rednerideals zwei grundverschiedene Auffassungen von Philosophie mit gleicher Intensität vertreten und kommen unausgeglichen nebeneinander zu stehen: die platonisierende, ‚substantielle‘ Auffassung – Philosophie als Klärung von Prinzipien – und die ‚materiale‘ Auffassung – Philosophie im Sinne der Beherrschung von Topoi“. Vielmehr verschmelzen beide Auffassungen unter der Perspektive einer Synthese von Rhetorik und Philosophie. Vgl. generell zur Eigenständigkeit des ciceronischen Ansatzes hier Michel 1982, S. 133–139; Müller 1965, S. 137–140 und Riposati 1973, S. 427–439 und s. auch Anm. 216 und 302. S. auch Anm. 306. S. zu dieser Einheit genauer Kapitel 4 zu Ciceros Probabilismus. Fuchs 1971, S. 318 beschreibt die Nähe dieser Methodik zu Platons Dialektik: „[D]ie Fähigkeit, die durch diese ars disserendi, die Kunst also der ‚Auseinandersetzung‘ oder der Erörterung, verliehen wurde, war, wie Platon gelehrt hatte, einmal das Vermögen, richtig zu trennen und zusammenzufügen, zum anderen, richtige Begriffsbestimmungen zu gewinnen.“

Ciceros Disputationsmethodik

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Katalysator dieser Methodik ist dabei jeder Einzelne, der für diese Art akademischer Bildung empfänglich ist373 und der das Vorbild des so Philosophie und Rhetorik verbindenden idealen Redners als Ansporn sieht, sich mittels dieses epistemologischen Disputationsverfahren den inhaltlichen Fragestellungen des Gemeinwesens zu stellen, wie sie etwa Jurisdiktion oder Politik vorgeben. Wie De oratore, Orator und vor allem De inventione zeigen, obliegt es dabei in erster Linie dem Individuum, das Staatswesen zu gestalten,374 weshalb die Präsentation einer solchen Methodik nicht zuletzt auch im protreptischen Sinne zu politischer Aktivität motivieren soll.375 Generell also erscheint die öffentliche Kommunikation nicht als bloßes theoretisches Konstrukt, sondern wird als Aufeinandertreffen konträrer Meinungen gedeutet und eine Erörterung nach verschiedenen Seiten hin als integraler Bestandteil gesamtgesellschaftlicher Meinungsbildung installiert.376 Dass tatsächlich eine echte Breitenwirkung erwünscht ist, zeigt der Beginn der Paradoxa Stoicorum, wo für die Verknüpfung von dialektischer Philosophie und Rhetorik explizit ein Gesellschaftsbezug hergestellt wird: Nos ea philosophia plus utimur, quae peperit dicendi copiam, et in qua dicuntur ea, quae non multum discrepent ab opinione populari.377 Der Fokus auf der Gemeinverständlichkeit zeigt: Langfristig soll eine möglichst große Menge an Menschen378 mit dem methodischen Verfahren einer ausgewogenen Erörterung vertraut gemacht werden; konkret kann so jeder Einzelne die strukturell zu wünschende Synthese vorbereiten. Das stets als Ziel der literarischen Suche ausgewiesene Bild des idealen Redners kann eine solche gesellschaftliche Entwicklung hin zum Positiven anleiten und initiieren.

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Vgl. zur pädagogischen Absicht Ciceros v. a. in De oratore Steidle 1973, S. 378–384 und insbesondere Bittner 1999, S. 99f. Ob Cicero in erster Linie die Jugend gewinnen will, erörtert Arweiler 2003, S. 309–311. S. zur Thematik auch Anm. 767 und die dortigen Verweise und speziell zur Frage nach der Bedeutung der Jugend im Kontext Anm. 1366. Vgl. zur Engführung von Politiker und Redner auch Steidle 1973, S. 398f. Vgl. auch Wisse 2002a, S. 378: „One of the aims of De oratore is to put the orator before the readers’ eyes in perfect form […], and thus to inspire them to strive for oratorical excellence themselves.“ Vgl. dazu Peetz 2007, S. 126, der Rhetorik in diesem Zusammenhang als praktische Philosophie versteht: „[Der] Gegenstandsbereich [der Rhetorik] ist nicht primär die Rede als ein Produkt technischen Herstellens, sondern das Reden des Redners als ein Akt personalen Handelns.“ Philosophie ist für Peetz 2008, S. 192, Anm. 45 dabei durch Cicero „wesentlich als in der Sprachgemeinschaft verankerte, daher öffentlich wirksame und politisch gestaltende Rede“ bestimmt. Vgl. zur gesellschaftlichen Relevanz auch ebd., S. 135 und Peetz 2000, S. 67–70. Parad. 2. Vgl. generell für die Schrift Ronnick 1991 und zur Stelle ebd., S. 104. S. auch Kapitel 3.4, 4.4.2 und 5.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

Beispielhaft verdeutlicht wird die Aufgabe der politischen Besserung durch die Struktur des Brutus. Zu Beginn und am Ende der rhetorischen Schrift wird in Form einer Ringkomposition die momentane Lage des Staatswesens betrauert und die bessere Vergangenheit gepriesen.379 Jedoch wird gerade am Schluss die Hoffnung formuliert, dass Brutus dem Namen seiner Familie gerecht werden und zur Besserung des Staatswesens beitragen kann, wie Cicero als Wunsch äußert: Tibi favemus, te tua frui virtute cupimus, tibi optamus eam rem publicam in qua duorum generum amplissumorum renovare memoriam atque augere possis.380 Der genaue Weg zu einer möglichen Umkehrung der Verhältnisse, wie sie für Brutus’ Wirken in Aussicht gestellt ist, wird kurz zuvor im Hauptteil der Schrift an Ciceros eigenem Lebensweg veranschaulicht. Betont wird dabei immer wieder die Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit rhetorischer und philosophischer Studien,381 wodurch das in den anderen betrachteten Schriften zu beobachtende Ideal des Redners, der beide Disziplinen miteinander verzahnt und somit zu einer höheren Synthese gelangt, auch für den Lebenslauf des Einzelnen Relevanz erhalten kann.382 Die erwähnten Passagen aus dem Brutus zeigen dabei zudem exemplarisch, wie über die Synthese von Philosophie und Rhetorik auch Theorie und Praxis verbunden werden: Beschäftigung mit rhetorischer und philosophischer, vor allem dialektischer, Theorie und der Zustand des Gemeinwesens, zumal der Status der öffentlichen Debatte, beeinflussen sich gegenseitig – Sprechen und Handeln durch den Sprecher bilden in dieser Proto-Bildungskonzeption eine übergeordnete Einheit in Form einer faciendi dicendique sapientia,383 als deren Wurzel die Synthese von res und verba gelten kann.384 Letztbegründet wird dieses Konzept in der 379

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383 384

S. etwa Brut. 6f., wo das aktuelle forum spoliatum atque orbatum mit der früheren bene morata et bene constituta civitas kontrastiert wird. Ebenso wird am Ende des Werks, ebd., 330, die gegenwärtige Situation als rei publicae nox bezeichnet und die Vergangenheit als glorreiche Zeit gerühmt. Ebd., 331. S. etwa ebd., 306 und 309. Vgl. dazu auch Dugan 2013, S. 35f., der im Brutus eine diachrone Ergänzung zur synchronen Verfahrensweise des Hauptwerks De oratore erkennt und dabei die teleologische Ausrichtung der Schrift herausstreicht. S. de orat. 3,59. Vgl. auch Mančal 1982, S. 195, der in der faciendi dicendique sapientia die Überwindung der Verschiedenheit von facere und dicere sieht. Vgl. dazu v. a. Bittner 1999, S. 507, der eine „ideale Verbindung von Theorie und Praxis, von Denken und sprachlichem Handeln“ erkennt. Dabei hebe Cicero „den Konflikt zwischen Rhetorik und Philosophie als die in den Positionen Platons und Isokrates historisch gewordene Antithese zwischen Denken und Sprechen dialektisch auf, indem er die Bildung des Menschen als notwendige Voraussetzung des Theoretisierens und praktischen Philosophierens […] versteht“. Vgl. ebenso Müller 1965, S. 115f. Nicht zuletzt deshalb ist die Differenzierung, die May/Wisse 2001, S. 20, vornehmen, nämlich dass mehr das Ideal eines Rednerphilosophen als das eines Rhetorenphilosophen umrissen werde, gar nicht zwingend nötig. S. zum Verhältnis von Theorie und Praxis auch Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise.

Ciceros Probabilismus

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Ordnung des Kosmos, gemäß der Form und Inhalt im Rahmen eines universalen Strukturmodells natürlicherweise zusammengehören.385 4

Methodik zwischen Zweifel und Glaube: Ciceros Probabilismus

4.1

Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen

Nachdem herausgearbeitet wurde, wie sich Philosophie und Rhetorik in Ciceros Werk verhalten und wie sich beide Pole in der Methodik der disputatio verbinden, soll nun anhand einer weiteren zentralen Dichotomie die rhetorisch wie philosophisch gefütterte Methodik als Instrument für das Auffinden eines Wahrscheinlichen bestimmt und dahingehend systematisch verortet werden. Um zu erörtern, welche Art und Weise des Philosophierens, welches genus philosophandi sich dabei als geeignet erweist und welche Strukturelemente dabei eine Rolle spielen, lohnt eine intensivere Betrachtung der verschiedenen Fassungen der Academici libri, von denen es im zweiten Proömium von De divinatione rückblickend heißt: Quod genus philosophandi minime adrogans maximeque et constans et elegans arbitraremur, quattuor Academicis libris ostendimus.386 Cicero hält damit seine akademischen Abhandlungen, von denen nur das zweite Buch der ersten und ein Teil des ersten Buchs der zweiten Fassung erhalten sind,387 als maßgebliches Werk für das Umreißen seiner philosophischen Vorgehensweise fest, wobei sich speziell am Lucullus die epistemologische Relevanz des ciceronischen Konzepts und anhand der Academica posteriora dessen akademischer388 Unterbau herausarbeiten lässt. Ergänzend werden die Partitiones oratoriae herangezogen. Besonders gut lässt sich sodann die Relevanz der beleuchteten methodischen Grundlagen Ciceros für die Strukturierung seiner weiteren Schriften an den 385

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Vgl. zu diesem Gedankengang auch grundlegend Reckermann 1990, S. 528, der von einem Modell rhetorischer Rationalität bei Cicero spricht: „Rhetorische Rationalität thematisiert nach Cicero die Regeln, durch die philosophische Argumente eine prägende Kraft für das individuelle wie für das öffentliche Leben erhalten und bewahren können. Sie stellt aber auch Regeln bereit, die menschlicher ‚ars‘ als einer in sich ambivalenten und arbiträren Fähigkeit die Orientierung an der Ordnungsmacht göttlichen Könnens gestatten. Ciceros Konzept rhetorischer Rationalität gipfelt in einer Rechtfertigung der ambitionierten Kulturform menschlichen Lebens, die ihr die Überbietung bloßer Selbsterhaltungsregeln durch eine Sozietätsregel kosmologischer Provenienz gebietet.“ S. weiterhin Kapitel 8 und v. a. 9. Div. 2,1. Wie bereits in Kapitel 3.3 angedeutet, führt dies auch direkt zur Frage, inwiefern und wie genau sich Cicero als Anhänger der Akademie versteht. Im Folgenden werden das zweite Buch der ersten Fassung als Lucullus, die fragmentarischen Reste des ersten Buchs der zweiten Fassung als Academica posteriora bezeichnet. Das Attribut ‚akademisch‘ bezieht sich hier und im Folgenden auf die historische philoophische Schule.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

naturphilosophischen Werken De natura deorum und De divinatione aufzeigen, deren Zusammenhang ebenso im zweiten Proömium der Schrift über die Weissagung nahegelegt wird:389 Tres libri perfecti sunt de natura deorum, in quibus omnis eius loci quaestio continetur. Quae ut plane esset cumulateque perfecta, de divinatione ingressi sumus his libris scribere.

Diese zwei theologisch motivierten Schriften Ciceros für eine solche Schwerpunktsetzung zu nutzen, bietet sich besonders deswegen an, weil gerade ihre Methodik in der Forschung hervorgehoben und diskutiert wurde,390 zumal es sich um einen Bereich handelt, in dem das zu erörternde Spannungsfeld zwischen Zweifel und Glaube besonders ausgeprägt erscheint.391 Zudem wird die Herangehensweise von Cicero selbst immer wieder in den naturphilosophischen Werken, vor allem in deren Proömien, thematisiert.392 De fato kann in diesem Kontext als Ergänzung dienen, während De legibus, De inventione und De officiis eine globalere Perspektive eröffnen. Bevor aber eine Untersuchung der erwähnten Schriften die ciceronische Methodik genauer aufschlüsselt, kann die hierfür entscheidende begriffliche Dichotomie Zweifel–Glaube wieder anhand der Proömien der Tusculanae disputationes eingeführt werden.393 4.2

Einführung anhand der Tusculanen: Die zentrale Dichotomie Zweifel–Glaube

Bereits für die Dichotomie Philosophie–Rhetorik erwiesen sich die Proömien der Tusculanae disputationes als geeignete Einleitung. Es wird sich zeigen, dass dies auch für die systematische Verortung der ciceronischen Methodik in der Landschaft der philosophischen Schulen, Strömungen und Positionen gilt, wofür die Dichotomie Zweifel–Glaube, die in epistemologischer Sicht der Dichotomie Skep389 390

391

392 393

Div. 2,3. Vgl. besonders eindringlich Nitschke 2007, S. 123 bezüglich De natura deorum: Es handele sich eigentlich um eine Schrift „über die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen zum Guten, zum Wahren schlechthin“, demnach letztlich um ein erkenntnistheoretisches Werk. Vgl. Beard 1986, S. 45: Der Bereich der Theologie sei, auch bei Cicero, „[a] particular area of difficulty and uncertainty“. Vgl. zudem Schofield 2013, S. 83: „[T]he preface to On the Nature of the Gods provides a strong clue as to what especially tempted him to write on theology. It is an issue, he says, on which there are a great number of different views, and one which prompts a lot of debate – with Carneades in particular having held forth provocatively and at length on the subject (Nat. D. 1.1–5): in short, the ideal topic for the systematically opposed arguments of an Academic dialogue.“ S. dazu konkret Kapitel 4.4. S. zur ausführlichen Begründung wieder Kapitel 6.1.

Ciceros Probabilismus

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tizismus–Dogmatismus entspricht und im naturphilosophischen Bereich auch als Vernunft–Erfahrung394 bestimmend wird, als maßgebliches Strukturmuster verstanden werden kann. Wie das zuvor untersuchte Oppositionspaar lässt es sich dabei auf zwei verschiedenen Ebenen beobachten: Die Dichotomie ist einerseits Ausdruck des persönlichen Charakters des ciceronischen Philosophierens und besonders der Tusculanae disputationes und somit allgemein einer dem Individuum immanenten Spannung zwischen Zweifel und Glaube, andererseits positioniert sich Ciceros Methodik zwischen eben diesen beiden Polen, wodurch die Dichotomie auch auf systematisch-epistemischer Ebene Relevanz erhält.395 Auf der persönlichen Ebene stellt sich die Dichotomie in den Proömien der Tusculanae disputationes als Wechsel zwischen begeisterter Hingabe und tiefschürfendem Zweifel dar und verweist damit auf den oft als therapeutisch bezeichneten Charakter der Schrift. Liest man das Werk dahingehend als Anleitung zur Heilung für die Übel der Zeit, von denen einige auch persönlicher Natur sind,396 so kann man die starke Unausgeglichenheit des Sprechers als Ausdruck und Grundbedingtheit des (selbst-)therapeutischen Charakters der Schrift verstehen.397 Cicero stellt den Philosophen so auch immer als persönlich Betroffenen dar. Aus diesem Impetus heraus wird in den Tusculanae disputationes etwa die Frage nach der richtigen Intensität philosophischer Betätigung verhandelt: Zu Beginn des zweiten Proömiums reflektiert Cicero das angemessene Maß des Philosophierens und tariert dabei nüchtern sachliches Zweifeln und begründete Hingabe aus: Genügt es, paucis398 zu philosophieren, oder soll man dies umfassend auf allen Gebieten tun? Obwohl er zugesteht, dass auch ersteres ein praesidium ad beatam vitam399 sein kann, zieht er, zumindest unter den gegebenen politischen wie kulturellen Verhältnissen, eine radikale Hingabe an die Philosophie400 vor, um ein glückliches Leben führen zu können.401 Jedoch sind dem Wissenstrieb natürliche Schranken gesetzt, muss die Begeisterung hinsichtlich einer völligen Weltdurchdringung gedämpft werden, wie der Autor im selben Proömium bekennt:402

394 395 396 397

398 399 400 401 402

Verbunden damit und synonym zu sehen ist auch das Gegensatzpaar Verstand–Tradition. Vgl. auch besonders Gawlick/Görler 1994, S. 1099–1116 sowie generell Mercier 2010. Nicht zuletzt sind die Tusculanae disputationes eine äußerst persönliche und subjektive Schrift, die insbesondere auf erfahrenen Schicksalsschlägen fußt; s. dafür Kapitel 6.1. So sind die Tusculanae disputationes häufig auch biographisch interpretiert worden; vgl. u. a. Gildenhard 2007, S. 204 und Lefèvre 2008, S. 193–195 und s. auch hier näher Kapitel 6.1. S. für eine stärker epistemologisch orientierte Interpretation das Weitere. Tusc. 2,1. Ebd., 2,2. Gildenhard 2007, S. 159 spricht von einem „total commitment to philosophy“. Vgl. zur Stelle auch Baraz 2012, S. 15–22. Tusc. 2,5. Für Ciceros Probabilismus, auf den der Terminus probabilia hinweist, s. das Folgende.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens Nos, qui sequimur probabilia nec ultra quam id quod veri simile occurrit progredi possumus, et refellere sine pertinacia et refelli sine iracundia parati sumus.

Sowohl im dritten als auch im fünften Proömium wird daraufhin erörtert, auf welche Weise genau eine intensive Beschäftigung mit der Philosophie zu einem gelingenden Leben beitragen kann. In diesem Kontext erfolgt auch die Unterscheidung von Körper und Seele im ersten Kapitel des dritten Proömiums – mit Blick auf den Zusammenhang von Philosophiestudium und Wohlergehen: Wie es eine Medizin für den Körper gibt, muss es auch ein Hilfsmittel für die Seele geben. Dieses Heilmittel für die menschliche Seele ist die Philosophie,403 die Voraussetzung für ihre heilende Wirkung ist allerdings enorme Kraftanstrengung, exzessive Hingabe: Omnibusque opibus viribus […] elaborandum est.404 Es lässt sich gegenüber der Reflexion im zweiten Proöm eine Steigerung der Notwendigkeit persönlichen Einsatzes und aktiven Philosophierens beobachten. Einen noch persönlicheren, zudem emotionaleren Charakter erhalten Ciceros Ausführungen im letzten Proömium, wo er seiner privaten Verzweiflung Ausdruck gibt, bevor er der Philosophie im Hymnus existentielle Bedeutung zuschreibt: Als vitae […] dux405 ist sie rettender Hafen und Zuflucht, Entdeckerin der Tugend, Begründerin des menschlichen Lebens. Die Hingabe erreicht hier einen Höhepunkt: Tibi nos […] nunc penitus totosque tradimus.406 Form und Inhalt bilden damit eine Einheit: Der eingeforderte Glaube an die Philosophie als Retterin erfolgt in, wie Koch treffend feststellt, „religiöse[m] Prädikationsstil“,407 wodurch nicht zuletzt herausgestrichen wird, dass unerschütterlicher Glaube und feste Überzeugung an dieser Stelle Vorrang vor spekulativer Argumentation haben. Doch gesteht sich Cicero gerade in diesem besonders persönlichen fünften Proömium auch, gewissermaßen als Gegenpol, ernsthafte Zweifel zu, wenn er etwa über die Selbstgenügsamkeit der virtus für ein glückliches Leben vor dem Hintergrund der erlittenen Schicksalsschläge nachdenkt.408 Er ringt, so scheint es, um einen Ausweg aus dem Dilemma, dass er die stoische These virtutem ad beate vivendum se ipsa esse contentam409 zwar als großartigste der Philosophie darstellt, zumal sie das Vermögen der Philosophie, aus sich selbst heraus zu einem

403

404 405 406 407 408 409

S. Tusc. 3,6: Est profecto animi medicina, philosophia. Für die Bedeutung des Strukturelements Philosophie für Ciceros kulturphilosophische Überlegungen in den Tusculanae disputationes s. Kapitel 6. Tusc. 3,6. Ebd., 5,5. Ebd. Koch 2006, S. 142. Für die Interpretation der Passage als Gebetshymnus vgl. generell Hommel 1968. S. auch Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. Vgl. dazu etwa Gildenhard 2007, S. 204. Tusc. 5,1.

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glücklichen Leben zu gelangen, begründet,410 dass er aber bei sich selbst nagende Zweifel an dieser Überzeugung, Furcht und Schwäche feststellt:411 Sin autem virtus subiecta sub varios incertosque casus famula fortunae est nec tantarum virium est, ut se ipsa tueatur, vereor ne non tam virtutis fiducia nitendum nobis ad spem beate vivendi quam vota facienda videantur. Equidem eos casus, in quibus me fortuna vehementer exercuit, mecum ipse considerans huic incipio sententiae diffidere interdum et humani generis imbecillitatem fragilitatemque extimescere.

Fast scheint es, als könne der derart mit sich ringende Sprecher, der repräsentativ für jedes Individuum stehen mag,412 seinen selbst gesetzten hohen Standards nicht entsprechen.413 Es lässt sich somit eine Entwicklung von einem moderaten Wechsel zwischen Skepsis und Affirmation in der zweiten Vorrede hin zu einem existentiell verzweifelt wirkenden Hin und Her im fünften Proöm nachzeichnen; die Pole Zweifel und Glaube entfernen sich voneinander, wodurch sich letztlich eine Analyse im persönlichen Bereich manifestiert. Der Leser erhält, tariert man diese beiden Pole auf persönlicher Ebene aus, gewissermaßen, so Lefèvre, „einen Blick in das Innere des um Selbstbehauptung kämpfenden Menschen Cicero“.414 Oft wurde dementsprechend Cicero eine gewisse Flatterhaftigkeit unterstellt, zumal für seine persönliche Gedankenwelt.415 Görler formuliert jedoch zu Recht vorsichtig: Es „entsteht der Eindruck eines irrationalen Auf und Ab“.416 Denn eine Reduktion der Dynamik der untersuchten Begriffsopposition auf eine unversöhnliche innere Zerrissenheit greift zu kurz. Zwar drängt sich die Frage auf, ob die Beschäftigung mit Philosophie letztendlich analytisch wirkt, ob sie einen unüberbrückbaren Gegensatz von hingebungsvollem Glauben und radikalem Zweifeln provoziert oder zumindest verstärkt. Jedoch liegt in der beschriebenen Pendelbewegung bereits das Potenzial für eine Denkweise begründet, welche diese Spannung, wie sie sich aus der Reibungskraft beider Extreme ergibt, fruchtbar macht. Wenn der Pol ‚Hin410 411 412 413 414

415 416

Vgl. Koch 2006, S. 75. S. zum synthetischen Potenzial der These die weiteren Ausführungen sowie Kapitel 6.4. Tusc. 5,2f. Vgl. Burkert 1965, S. 183, der diese Erfahrung Ciceros als „Erfahrung des genus humanum“ bezeichnet. Cicero reflektiert dieses Unvermögen beispielsweise auch in ac. 2,139. Lefèvre 2008, S. 142. Vgl. auch Burkert 1965, S. 183, der ausgehend vom fünften Proömium der Tusculanae disputationes feststellt, dass „die skeptische These zum ergreifenden Bekenntnis zur eigenen Menschlichkeit“ wird. S. dazu ausführlicher Kapitel 4.5. Gawlick/Görler 1994, S. 1100. Dies gilt auch für das Gesamtwerk, wie Görler 1996, S. 211 feststellt: „In der Vorrede verfällt Cicero fast unvermittelt von Begeisterung in tiefe Zweifel, ruft sich dann aber wieder zurück und mahnt sich zu mehr innerer Stärke. Das gleiche Auf und Ab […] findet sich auch innerhalb des Buches.“

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

gabe‘ Ausdruck von vielleicht sogar gedankenloser Begeisterung ist und Zweifel dagegen ein Moment des Reflektierens bedeutet, fungiert das eine als Korrektiv des anderen, sodass letztendlich doch ein mittlerer Weg denkbar wird. Auf methodischer Ebene ist dies sodann ein deutlicher Hinweis auf die Modalität der ciceronischen Philosophiemethodik. Denn: Zweifel ist nicht nur Ausdruck persönlicher Bedenken, sondern auch konstitutiver Begriff jeder Form von Skeptizismus417 und erhält damit über seine emotionale Aufgeladenheit hinaus eine eminent wichtige Funktion im rational begründeten Anzweifeln jeglicher Gewissheit; das unterstreicht Cicero, wenn er die Sicherheit derjenigen anprangert, die sich dogmatisch festlegen und sich dabei sogar als weise bezeichnen: Ultra enim quo progrediar, quam ut veri similia videam, non habeo; certa dicent i, qui et percipi ea posse dicunt et se sapientis esse profitentur.418 Nicht zuletzt wegen solcher Vorbehalte fühlt sich Cicero der durch und durch skeptischen und angeblich auf Sokrates zurückgehenden Vorgehensweise verpflichtet, gegen die Meinung eines anderen zu sprechen: Fiebat autem ita ut, cum is qui audire vellet dixisset, quid sibi videretur, tum ego contra dicerem. Haec est enim, ut scis, vetus et Socratica ratio contra alterius opinionem disserendi.419 Diese prinzipielle Haltung eines methodisch Zweifelnden nimmt der Autor an einigen Stellen in den Tusculanae disputationes ein,420 womit er sich zumindest teilweise als Vertreter einer skeptisch orientierten Philosophie zu verstehen scheint, deren konstitutives Element das dubium darstellt. Glaube auf der anderen Seite zeichnet jedes dogmatische Verständnis von Philosophie aus, ist doch im Angesicht gleichwertiger Gegenargumente ein tiefes Vertrauen in die Korrektheit der eigenen Position vonnöten. Auch eine solche 417

418 419 420

Der Begriff Skeptizismus ist ein problematischer: Zu Recht weist Lévy 2010a, S. 39 darauf hin, dass der Terminus in der lateinischen Sprache klassisch überhaupt nicht vorkommt und sich zumeist auf die Schule des Pyrrhon, von der Cicero keine umfassende Kenntnis besaß, beschränkt. Zudem wird das Konzept des Skeptizismus, wie Bett 2010, S. 1–3 herausstellt, in der Moderne in erster Linie rein epistemologisch verstanden, während man in der Antike eher von einer allgemein zu verstehenden Urteilsenthaltung sprechen muss. Auch ist die Abgrenzung zu verwandten Begrifflichkeiten wie etwa Fallibilismus nicht immer einfach; vgl. dazu z. B. Niiniluoto 2000, S. 154. Dennoch soll in der Arbeit an der Idee eines skeptischen Elements des ciceronischen Philosophierens festgehalten werden, da es darum gehen soll, wie sich Ciceros Methodik genau zusammensetzt; dafür geraten im Weiteren die Elemente Skeptizismus und Dogmatismus in den Blick, die als terminologische, semantisch klar umrissene Etiketten für eine Bestimmung der Vorgehensweise Ciceros fruchtbar sind. Vgl. weiterhin Hankinson 1995, S. 13–30 für einen Überblick über verschiedene Formen des Skeptizismus in Antike und Moderne. Vgl. für die Lehre der pyrrhonischen Skepsis sowie die Abgrenzung von der akademischen Skepsis generell Frede 1979 sowie Penelhum 1983, S. 289; Cooper 2004a, S. 103; Ricken 1994, S. 159–162 und Thorsrud 2010, S. 62. Tusc. 1,17. Vgl. dazu auch Reckermann 1990, S. 514. S. zudem Tusc. 4,47. Ebd., 1,8. S. dazu Kapitel 3.2 und Anm. 206. S. etwa Tusc. 4,7 und 5,11.

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methodische Ausprägung ist in Ciceros Schrift zu finden: Neben der immer wieder konstatierten Überzeugung, dass eine Wahrheit existiert,421 findet sich beispielsweise die radikaldogmatische Aussage von Ciceros Gesprächspartner, er würde lieber mit Platon irren als mit anderen die Wahrheit zu sagen: Errare mehercule malo cum Platone, quem tu quanti facias scio et quem ex tuo ore admiror, quam cum istis vera sentire.422 Interessanterweise stimmt Cicero zumindest in Ansätzen zu, wischt die üblichen Zweifel explizit beiseite423 – und vertritt so an dieser Stelle scheinbar genau die urdogmatische Position, die er andernorts heftig kritisiert.424 Nur mit einer so am Glauben orientierten Herangehensweise kann beispielsweise auch die im ersten Buch der Tusculanae disputationes diskutierte platonische These von der Unsterblichkeit der Seele am Ende Orientierung bieten, wobei im Zusammenhang konsequenterweise ein entsprechendes Vokabular des Glaubens verwendet wird: Portum potius paratum nobis et perfugium putemus.425 Es kristallisiert sich bereits nach diesen einleitenden Überlegungen heraus, wie einerseits beide erkenntnistheoretischen Positionen – Skeptizismus und Dogmatismus –, andererseits beide Wirkbereiche – persönlicher wie auch abstrakt-methodischer – miteinander verwoben sind: Es finden sich sowohl Elemente einer bedingungslosen Hingabe und eines konsequenten Dogmatismus als auch persönlicher Zweifel und methodische Vorsicht in den Vorreden wie auch im Hauptteil der Tusculanae disputationes. Folgerichtig sind auch die unmittelbaren wie mittelbaren Ziele einer Verschränkung skeptischer und dogmatischer Elemente sowohl persönlicher als auch erkenntnistheoretischer Natur. Folge der auf Sokrates zurückgehenden akademischen Methode ist für den Einzelnen die Befreiung von Irrtümern und im Rahmen der Diskussion um die Bedingungen von Erkenntnis das Auffinden dessen, was der Wahrheit möglichst nahekommt:426

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S. z. B. Tusc. 1,83 oder 2,55. Jedoch sieht etwa Henry 1925, S. 37 dies auch als Merkmal einer skeptischen Akademie: „The Academy does not deny truth, but only the infallible sign which might enable us to tell truth from error.“ S. auch Anm. 471. Tusc. 1,39. S. ebd., 1,40: Macte virtute! Ego enim ipse cum eodem ipso non invitus erraverim. Num igitur dubitamus – an sicut pleraque – quamquam hoc quidem minime. Vgl. zur Bemerkung sowie zu einer verwandten Stelle in Cato 85 jetzt auch Görler 2016, S. 245. Er führt die scheinbar widersprüchlichen Äußerungen Ciceros auf seine These von der rationalen und emotionalen Annäherung an die Wahrheit zurück; s. dafür Anm. 476. Tusc. 1,118. Vgl. für den Götterglauben in den Tusculanae disputationes und speziell in ebd., 1,30 Luciani 2016, S. 282f. Vgl. generell zur Herstellung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei diesem Thema Mariani Zini 2010, S. 191–194. S. weiterhin Kapitel 4.4.1. Tusc. 5,11.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens Nos id potissimum consecuti sumus, quo Socratem usum arbitrabamur, ut nostram ipsi sententiam tegeremus, errore alios levaremus et in omni disputatione, quid esset simillimum veri, quaereremus.

Beide Wirkbereiche, persönlicher und im weiteren Sinne erkenntnistheoretischer, gehören eng zusammen und sind in letzter Konsequenz für eine Interpretation von Ciceros Philosophie nicht zu trennen.427 So lässt sich auch erklären, wie aufgrund der strukturellen Anlage der Methodik als Vereinigung von Glaube oder Dogmatismus und Zweifel oder Skeptizismus eine durchaus persönliche Meinung, eine sententia, wenn auch nicht immer offen,428 vertreten werden kann. Man muss also nicht, wie Görler, einen Widerstreit „zwischen dem objektiv-skeptischen Denker und dem Menschen Cicero mit seinen eigenen, subjektiven Empfindungen und Wünschen“429 annehmen, lassen sich beide Ebenen doch gut harmonisieren, wenn man die Dichotomie Zweifel–Glaube als eine persönliche, das Oppositionspaar Skeptizismus–Dogmatismus als deren systematische Anverwandlung betrachtet. Ein mustergültiges Beispiel für eine derart in die Wege geleitete Synthese skeptischer und dogmatischer Einflüsse bietet der letzte Teil des fünften Buches, wo die Frage, ob die Tugend für ein glückliches Leben ausreicht, für alle philosophischen Schulen verhandelt wird. Zunächst wird die skeptische Grundhaltung formuliert, nach allen Seiten hin zu argumentieren und dabei keiner Autorität letztgültig verpflichtet zu sein: Utamur igitur libertate, qua nobis solis in philosophia licet uti, quorum oratio nihil ipsa iudicat, sed habetur in omnis partis, ut ab aliis possit ipsa per sese nullius auctoritate adiuncta iudicari.430 Innerhalb dieser skeptischen Rahmenbedingungen habe Karneades nun tatsächlich die Auffassung virtus satis habeat ad vitam beatam praesidii431 vertreten, doch habe er dies explizit in einer Argumentation contra Stoicos432 geäußert, weshalb es nicht sicher ist – Cicero betont die Mittelbarkeit der Aussage – , ob er dem Satz wirklich auch persönlich zugestimmt hätte.433 Erreicht wird mit einer solchen vagen Positionie427 428

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Eine Verbindung stellt auch Brittain 2016, S. 12 fest: Ciceros „skepticism […] emerges from the dramatization of his own unresolved doubts“. Diese Einschränkung weist wahrscheinlich auf die in nat. deor. 1,10 geäußerte Überzeugung hin, der Leser solle seiner Vernunft und Erfahrung mehr trauen als irgendeiner Autorität. S. dazu auch Kapitel 4.4.1. Görler 2016, S. 254. Tusc. 5,83. Vgl. zur Stelle auch Gorman 2005, S. 11 sowie ebd., Anm. 1 und s. zuvor Anm. 428. Tusc. 5,83. Ebd. S. zum Konflikt zwischen der Akademie des Arkesilaos und des Karneades und der Stoa Anm. 503. S. Tusc. 5,83: Quod quidem Carneadem disputare solitum accepimus; sed is ut contra Stoicos, quos studiosissime semper refellebat et contra quorum disciplinam ingenium eius exarserat. Dies berührt die seit jeher geführte Diskussion, ob Karneades Meinungen als zulässig erachtet hat; s. dafür und generell für die philosophiegeschichtliche Einordnung des Karneades Kapitel 4.3 und Anm. 504.

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rung mindestens eine erste Verunsicherung der skeptischen Anlage, die zu Beginn des Kapitels noch dezidiert vertreten wurde, als die Möglichkeit eigener begründeter Urteile verneint wurde: Oratio nihil ipsa iudicat.434 Im direkten Anschluss nähert man sich der Überzeugung von der Selbstgenügsamkeit der Tugend darüber hinaus immer weiter an, wenn zunächst die diesbezüglich dogmatische Bestimmtheit der Stoiker lobend zitiert und dann die Kompatibilität der anderen Schulen nicht als offene Erörterung, sondern durch konsekutives ut als zu erreichendes Ziel angekündigt wird: Sed quaeramus unam quamque reliquorum sententiam, si fieri potest, ut hoc praeclarum quasi decretum beatae vitae possit omnium sententiis et disciplinis convenire.435 Folgt man der an dieser Stelle bereits durch das verbindende convenire eingeleiteten disputatio, so steht am Ende tatsächlich die Eintracht der verschiedenen Philosophenschulen in der Frage nach dem glücklichen Leben, was den Glauben an die so harmonisch ermittelte These mehr als bekräftigt, zumal am Schluss erneut Karneades als die Passage bestimmende Figur auftritt, indem er als arbiter436 den Streit zwischen Stoikern und Peripatetikern schlichtet.437 Letztlich hebt das fünfte Buch der Tusculanae disputationes damit die als Auslöser einer skeptischen Haltung betrachtete Diaphonie der Philosophenschulen auf.438 Die skeptische Prämisse freilich, die als Überschrift der Erörterung vorgeschaltet ist, bestimmt auch den Glauben als einen jederzeit gefährdeten, der immer modifiziert werden kann und muss.439 Zeichnet man diese Entwicklung strukturell nach, wird also unter der skeptischen Prämisse der völligen Urteilsenthaltung – sodann gestützt auf die mildere Position des Karneades, welche dogmatische und skeptische Elemente verbindet – die als äußerst wahrscheinlich geltende These, dass die Tugend für ein glückliches 434 435 436 437

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Tusc. 5,83. Ebd., 5,84. Ebd., 5,120. S. ebd.: Quorum controversiam solebat tamquam honorarius arbiter iudicare Carneades. Nam cum, quaecumque bona Peripateticis, eadem Stoicis commoda viderentur neque tamen Peripatetici plus tribuerent divitiis bonae valetudini ceteris rebus generis eiusdem quam Stoici, cum ea re, non verbis ponderarentur, causam esse dissidendi negabat. Vgl. zur Funktion des Karneades an dieser Stelle Schofield 2012, S. 239 und 248. S. zur synthetischen Funktion der Karneades-Figur auch das Weitere und zuvor Kapitel 3.2 und die Verweise in Anm. 221. S. ausführlicher dazu Kapitel 4.3.1. Vgl. Gawlick/Görler 1994, S. 1115: „Nicht mehr hat [Cicero] gesucht als einen Schwebezustand zwischen erwünschtem Glauben und dem durch Erfahrung und nüchternes Denken nahegelegten Zweifel: ein Gleichgewicht, von dem er wusste, dass es jederzeit gefährdet war und darum nicht statisch sein konnte.“ Vgl. auch Görler 1974, S. 62 und 93 sowie Peetz 2005, S. 126, der mit Blick auf die Verantwortung des Individuums schreibt: „Die dem Menschen mögliche Wahrheit besteht folglich aus Wahrscheinlichkeitsurteilen, die er mit guten Gründen öffentlich zu rechtfertigen vermag, die er aber beim Vorliegen besserer Gründe auch zu revidieren die Freiheit und die Verpflichtung hat.“

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Leben ausreiche, gebilligt und damit auch eindrucksvoll bewiesen, dass sich Zweifel und Glaube keineswegs ausschließen müssen. Karneades fungiert in dieser Anordnung als entscheidender Akteur der Synthese, welcher als Gewährsmann in doppelter Funktion auftritt: Am Anfang der Schlusspassage wird seine zumindest vordergründig dialektische Vorgehensweise gegen die Stoa stark gemacht, jedoch angedeutet, dass zumindest die Möglichkeit einer hohen Meinung des Karneades von der These vom idealen Weisen nicht auszuschließen ist, womit in Summe eine skeptische Abgrenzung von einem allzu sicheren Glauben geleistet wird, ohne aber Meinungen an sich in ein schlechtes Licht zu rücken. Am Ende des Abschnitts durchbricht dagegen Karneades die skeptische Zurückhaltung, indem er durch den Versuch, den terminologischen Streit zwischen Peripatos und Stoa durch den Verweis auf die inhaltliche Ähnlichkeit der beiden Lehren zu schlichten, gerade das Bekenntnis zu der zur Debatte stehenden These befördert und damit eine dogmatische Abgrenzung von einer radikalen Urteilsenthaltung das Wort redet, ohne sich jedoch selbst auf eine unwiderrufliche Meinung festlegen zu lassen. Es erfolgt somit gewissermaßen eine Distanzierung von beiden Extremen über die eine Figur des Karneades, die somit nicht zuletzt auch die persönlich wie überpersönlich440 probate Art des Philosophierens verkörpert. Dabei spielt der Autor, wie es scheint, mit der Irritation um die erkenntnistheoretische Position des Karneades441 und nutzt sie gezielt für die strukturale Unterfütterung der Denkbewegung von der Analyse zur Synthese. Elemente des Zweifelns und des Glaubens müssen sich nicht ausschließen, sondern können – wie in der Figur des Karneades zumindest angedeutet – sogar historisch abgesichert eine Einheit bilden. Letztlich entsteht in dieser Verschränkung von Dogmatismus und Skeptizismus und durch gezielt konstruierte philosophische Rückschau das, was man Ciceros spezifisch probabilistische Methodik des Philosophierens nennen kann.442 Im Privaten wirkt diese Synthese therapeutisch, indem sie das Individuum von Fehlern befreit, auf systematischer Ebene bildet sie ein geeignetes Instrumentarium für die Betrachtung der Welt und, wie sich zeigen wird,443 das Fundament für ihre Besserung. Die genaue Ausgestaltung jener strukturalen Dynamik soll im Folgenden auf Basis von Ciceros akademischen Abhandlungen, Lucullus und Academica posteriora, erfolgen.

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S. hierfür den letzten Satz des Werks in Tusc. 5,121: In quo quantum ceteris profuturi simus, non facile dixerim, nostris quidem acerbissimis doloribus variisque et undique circumfusis molestiis alia nulla potuit inveniri levatio. Eine genauere Betrachtung erfolgt im Kontext von Ciceros kulturphilosophischem Standpunkt in Kapitel 6. S. dazu ausführlicher Kapitel 4.3 und Anm. 504. Zur Terminologie s. Kapitel 4.3.1. S. neben dem Folgenden auch Kapitel 4.4.

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Ciceros Theorie eines akademischen Probabilismus

Die Forschung zu Ciceros methodologischem Hauptwerk, in dem verschiedene skeptische wie dogmatische Positionen aufeinandertreffen, stellt sich als kontrovers dar und ist sehr diffizil zu überblicken. Erschwert wird eine stringente Interpretation durch die komplexe Entstehungsgeschichte der verschiedenen Werkfassungen sowie durch deren äußerst dürftigen Erhaltungszustand. Der Fokus der meisten Arbeiten liegt auf der Rekonstruktion dieser Umstände sowie vor allem der griechisch-klassischen und hellenistischen Quellen, weniger aber auf der Struktur des Werks selbst. Im Folgenden soll demgegenüber der Aufbau der Schrift und insbesondere die Anordnung ausgewählter Strukturelemente im Mittelpunkt stehen.444 Unter dem Blickwinkel des Denkmusters Analyse–Synthese soll dabei zunächst die erste Fassung der akademischen Abhandlungen, von der nur der zweite, Lucullus betitelte Band auf uns gekommen ist, im Zentrum stehen. An ihm lassen sich die anhand der Tusculanae disputationes gewonnenen Erkenntnisse vertiefen, sodass letztlich die ciceronische Methode des Philosophierens als Probabilismus klar umrissen werden kann. Dass Cicero sich dabei in der Tradition einer als Einheit verstandenen Akademie sieht, soll im Anschluss am kleinen erhaltenen Part der zweiten Version des Werks, den Academica posteriora, gezeigt werden. 4.3.1 Lucullus: Probabilismus als Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus Der Lucullus ist nicht nur als zweiter Band einer ersten Version von Ciceros akademischen Abhandlungen zu verstehen, sondern bildet gleichzeitig mit dem verlorenen Vorgängerwerk Hortensius und dem ebenfalls nicht überlieferten ersten Band der früheren Academica, dem Catulus, eine Trilogie, die einerseits im Stil eines Protreptikos zum Philosophieren per se aufrufen und andererseits die beste Art und Weise, dies zu tun, propagieren will. Leider muss die genaue Anlage dieser Trias aufgrund des dürftigen Erhaltungszustands Spekulation bleiben.445 Im 444

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Demgemäß ist es nicht die Absicht dieser Arbeit, die teilweise hochkomplexe erkenntnistheoretische Argumentation nachzuzeichnen; dafür erfolgt an ansprechender Stelle der Verweis auf die Fachliteratur. Vgl. etwa generell zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen im Lucullus Clausen 2008. Cicero selbst gibt einen kurzen Überblick etwa in ac. 2,142. Vgl. für eine ausführliche Aufarbeitung der Werkgeschichte Griffin 1997, S. 14–27 und 28–34. Vgl. zudem für einen Rekonstruktionsversuch sowie einen Überblick über weitere Annahmen in der Forschung Mansfeld 1997 und für mögliche Quellen Ciceros Glucker 1978, S. 391–423. Vgl. konkret für Überlegungen zum Vorgängerwerk Catulus etwa Graeser und Schäublin in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. LVI–LVIII. Es lassen sich zudem, so die These, über die grobe Nachzeichnung der strukturellen

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Folgenden soll zuerst aufbauend auf dem Proömium eine weitergehende Theoretisierung des ciceronischen Probabilismus als synthetische Leistung erfolgen. Die Strukturierung der philosophiegeschichtlichen Konstruktion im Hauptteil der Schrift kann daran anschließend die Synthese der Vorrede bestätigen und ihre praktische Relevanz andeuten. Proömium: Ciceros probabilistische Theorie Nach einer einführenden Würdigung der Person des Lucullus und seiner Verbindung zur Philosophie des Antiochus446 reagiert Cicero auf die offenbar geäußerte Kritik an der Akademie und beleuchtet dabei die Opposition von Zweifel und Glaube in exakt der Weise, wie sie anhand der Tusculanae disputationes entwickelt wurde:447 Nostra quidem causa facilis est, qui verum invenire sine ulla contentione volumus idque summa cura studioque conquirimus. Etsi enim omnis cognitio multis est obstructa difficultatibus eaque est et in ipsis rebus obscuritas et in iudiciis nostris infirmitas, ut non sine causa antiquissimi et doctissimi invenire se posse quod cuperent diffisi sint, tamen nec illi defecerunt neque nos studium exquirendi defatigati relinquemus.

Die bereits für die Tusculanae disputationes festgestellte Denkoperation der Verschränkung der methodischen Elemente Glaube und Zweifel wird auch hier in pointierter Form und unter Verweis auf gewichtige Vorgänger geleistet: Trotz der prinzipiellen Unmöglichkeit sicherer Erkenntnis, die sowohl in den Dingen selbst als auch in den unzureichenden menschlichen Urteilen begründet liegt, gilt es, mit Hingabe und unter Anstrengungen nach der Wahrheit zu suchen. Bereits hier wird dabei angedeutet, dass sich Cicero als Teil einer langen Tradition sieht, die in ihrem Erkenntnisstreben genauso verfahren ist. An der eben betrachteten Stelle schlägt das Pendel dann auch zu Gunsten einer überzeugten Suche nach der Wahrheit aus: Eine radikal vertretene Urteilsenthaltung ist dem praktisch agierenden römischen Philosophen fremd – Cicero richtet sich gegen einen absolut verstandenen Skeptizismus, indem er der Überzeugung Ausdruck verleiht, dass erstens eine Wahrheit existiert und zweitens es tatsächlich möglich ist, sie zu erreichen oder sich ihr zumindest anzunähern.

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Anlage des Lucullus einige Vermutungen über den direkten Vorgänger Catulus, der im vorliegenden Werk mehrfach – s. etwa am Beginn des Werks ac. 2,10 – zitiert wird, anstellen; s. dazu Anm. 571. Vgl. zum Hintergrund der Stelle z. B. Haltenhoff 1998, S. 63–66. S. für Antiochus das Weitere. Ac. 2,7.

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Cicero glaubt an die praktisch erfahrbare Wirkung seiner rhetorisch-dialektischen Methode; entsprechend fasst der Autor im direkten Anschluss zusammen:448 Neque nostrae disputationes quicquam aliud agunt nisi ut in utramque partem dicendo et audiendo eliciant et tamquam exprimant aliquid quod aut verum sit aut ad id quam proxime accedat.

Der Weg ist also die als Synthese von Philosophie und Rhetorik erwachsene Methodik einer disputatio in utramque partem,449 das Ziel die Auffindung eines hier veri simile genannten Wahrscheinlichen, der Wahrheit möglichst Nahekommenden. Genauso wie vor einem falsch verstandenen Skeptizismus, der die Existenz einer handlungsleitenden Wahrheit vollständig leugnet, muss sich der Philosoph allerdings vor einem unreflektierten Dogmatismus in Acht nehmen:450 Nec inter nos et eos qui se scire arbitrantur quicquam interest nisi quod illi non dubitant quin ea vera sint quae defendunt, nos probabilia multa habemus, quae sequi facile, adfirmare vix possumus.

Wahrscheinliches – hier mit probabilia bezeichnet – das, wie zuvor erläutert, durch eine Disputation gewonnen wurde, kann tatsächlich sinnvolle lebenspraktische Orientierung bieten, so man der Gefahr widersteht, es absolut zu setzen, wie es viele andere tun, die einen autoritätshörigen Dogmatismus vertreten. Zwar besteht zwischen den starren Dogmatikern und den Vertretern einer mittleren Position kein allzu großer Unterschied für die Praxis,451 doch sind erstere deutlich weniger selbstständig im Urteilen:452 Nam ceteri primum ante tenentur adstricti quam quid esset optimum iudicare potuerunt; deinde infirmissimo tempore aetatis aut obsecuti amico cuidam aut una aliquoius quem primum audierunt oratione capti de rebus incognitis iudicant et ad quamcumque sunt disciplinam quasi tempestate delati ad eam tamquam ad saxum adhaerescunt.

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Ac. 2,7. Der einzige Unterschied, so Cicero weiter in ac. 2,8, zwischen ihm und denen, die meinen, manches sicher zu wissen, sei damit lediglich die stattfindende respektive unterbleibende Reflexion auf den Akt der Zustimmung zu bestimmten Sachverhalten. S. zu Ciceros Disputationsmethodik ausführlich Kapitel 3 sowie zum Zusammenhang zwischen Disputationsmethode und Probabilismus Kapitel 5. Ac. 2,8. S. genauer dazu die Ausführungen zum Hauptteil des Lucullus und speziell auch Anm. 516, 543, 545 und 546. Ac. 2,8. S. auch ebd., 2,9: Sed nescio quo modo plerique errare malunt eamque sententiam quam adamaverunt pugnacissime defendere quam sine pertinacia quid constantissime dicatur exquirere.

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Cicero entwickelt also auch in dieser Passage seine aus den Elementen Skeptizismus und Dogmatismus bestehende Theorie, betont aber hier die Gefahr einer unreflektierten Akzeptanz ungeprüfter Thesen. Während die radikalen Skeptiker also behaupten, der Weise müsse sich jeglicher Zustimmung versagen, glauben die strikten Dogmatiker unreflektiert an die von ihnen vertretene Lehre. Cicero hat Einwände gegen beide Extreme – er versucht offensichtlich eine metaphilosophische453 Synthese oppositioneller philosophischer Ansätze. Damit arbeitet er gegen das analytisch zu verstehende Auseinandertreten beider Elemente der Dichotomie, wie es so oft in der Geschichte und insbesondere in Ciceros Gegenwart zu beobachten ist, was schon in der Einleitung die angedeutete Kritik an seiner philosophischen Positionierung deutlich macht, und wie es zudem im Streit zwischen Dogmatikern und Skeptikern bereits systemisch angelegt ist. Dafür leistet er im Proöm an zwei aufeinanderfolgenden Stellen,454 jeweils in Abgrenzung zu einem der beiden Extreme – radikaler Skeptizismus auf der einen Seite, extremer Dogmatismus auf der anderen –, eine Vorstellung und Festigung seiner Methode, die als Synthese und somit als Aufhebung des beschriebenen Auseinandertretens beider Pole zu verstehen ist.455 Man erkennt: Wie mithilfe der Figur des Karneades am Ende der Tusculanae disputationes456 umreißt der Autor auch in der Vorrede der akademischen Schrift Lucullus seine Methodik in Auseinandersetzung mit den beiden Enden einer Skala und vergewissert sich einer mittleren Position, welche aus Elementen beider erkenntnistheoretischer Positionen synthetisch zusammengesetzt ist.457 Als lateinische Äquivalente für die beiden Pole der Dichotomie können dabei dubium und fides gelten. Für den Zweifel als charakteristischen Begriff des Skeptizismus lassen sich zahlreiche Verwendungsbeispiele finden und auch der latei453

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Der Begriff stammt von Leonhardt 1999, S. 88. Dieser geht allerdings nicht weit genug, wenn er schreibt: „In gewissem Sinn ist Ciceros Standpunkt „metaphilosophisch“ und impliziert […] die Möglichkeit, inhaltlich verschiedene philosophische Deutungen der Welt nebeneinanderzustellen.“ Die Nebeneinanderstellung nämlich entwickelt sich bei Cicero idealiter zur Synthese. Vgl. auch Leonhardt 2000, S. 62. S. zudem Anm. 306. S. die oben zitierten Stellen in ac. 2,7f. Vgl. auch Michel 1967/68, S. 107: „Cicéron et ses maîtres, Académiciens ou aussi Péripatéticiens, ont compris qu’il fallait en même temps se garder d’erreurs opposées, et éviter aussi bien le dogmatisme radical, qui se refuse à douter de certaines apparences, et le scepticisme complet, qui pousse le doute assez loin pour mettre en question la possibilité même de connaître.“ Vgl. zudem Hölzing 2011, S. 51. S. Kapitel 4.2. Vgl. zur Zusammensetzung aus den Elementen Skeptizismus und Dogmatismus u. a. Harris 1961, S. 8, wo er, ausgehend von Karneades, für Cicero von einem „middle way between dogmatism and scepticism“ spricht; vgl. zudem Malaspina 2012, S. 9 und Cupaiolo 1990, S. 90f., der schreibt: „Pertanto occorre nello stesso tempo affermare l’esistenza obiettiva del vero e sospendere il giudizio, tenendosi lontano dal dogmatismo radicale che rifiuta di dubitare di alcune apparenze e dallo scetticismo assoluto tanto spinto, che mette in dubbio persino la possibilità del conoscere.“

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nische Terminus fides ist in der hier angezeigten Bedeutung belegt.458 Bestätigt wird gerade der begriffliche Zusammenhang zwischen fester Überzeugung und probabilistischer Glaubwürdigkeit darüber hinaus in Ciceros Partitiones oratoriae: Wie Mariani Zini hervorhebt, wird im Kontext der Frage, wie fides entsteht, argumentum definiert als probabile inventum ad faciendam fidem.459 Ein Argument, auf dessen Basis eine opinio geformt werden kann, ist also etwas Wahrscheinliches, demnach der Wahrheit nur Nahekommendes, das dennoch eine Überzeugung herstellen kann, die im Alltag orientierend zu wirken imstande ist.460 Eine solche Überzeugung jedoch ist immer eine vorläufige, kann sie doch von anderen Argumenten stets modifiziert werden, weshalb das urteilende Individuum auch neue opiniones ausformen kann. Dieses so zwischen dubium und fides konfigurierte Ideal einer philosophischen Verfahrensweise präsentiert Cicero augenfällig gleich zu Beginn des Lucullus im Sinne einer Ergebnissicherung, auf der die anschließende Betrachtung aufbauen kann. Wie stellt sich nun dieses Konzept als Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus genau dar? Am Anfang steht zunächst die grundsätzlich skeptische Urteilsenthaltung bei der Bewertung von Sinneseindrücken.461 Den dafür gebräuchlichen griechischen Begriff ἐποχή übersetzt Cicero mit adsensionis

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S. für fides z. B. ac. 2,19: Itaque et lumen mutari saepe volumus et situs earum rerum quas intuemur, et intervalla aut contrahimus aut diducimus, multaque facimus usque eo dum aspectus ipse fidem faciat sui iudicii. S. darüber hinaus besonders ebd., 2,27: Quod si omnia visa eius modi essent qualia isti dicunt, ut ea vel falsa esse possent neque ea posset ulla notio discernere, quo modo quemquam aut conclusisse aliquid aut invenisse dicemus, aut quae esset conclusi argumenti fides? Vgl. dazu Bächli und Graeser in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. 211, Anm. 66. S. auch ac. 2,58 und 88 sowie 1,40–42. S. für die besondere Eignung des fides-Begriffs im theologischen Bereich Kapitel 4.4.1. Dass es sich bei dubium um den Gegenbegriff des dogmatischen Glaubens handelt, dass credere einem verneinten dubitare entspricht, legt Görler 1974, S. 149f. dar. Gawlick 1956, S. 68 spricht in diesem Zusammenhang davon, dass Cicero „den Zweifel als philosophischen Begriff“ entdeckt; vgl. auch ebd., S. 109–114. Part. 5. S. auch die Verbindung zwischen dubium, ratio und fides in der Parallelstelle in top. 8: Itaque licet definire locum esse argumenti sedem, argumentum autem rationem, quae rei dubiae faciat fidem. Vgl. für beide Stellen auch Mariani Zini 2010, S. 179–182 und für die Bedeutung von fides im therapeutischen Bereich, etwa in den Tusculanae disputationes, Mariani Zini 2018, S. 336–338. Vgl. hierfür Mariani Zini 2010, S. 190: „C’est justement le pouvoir anticipateur et performatif de la croyance, produisant la confiance que quelque chose est en quelque sorte déjà là, qui distingue la fides du remplissement de l’intentionnalité propre à la simple attente. […] [L]a croyance apporte un gain dans la conduite orientée de l’existence par l’anticipation des directions produisant un incrément de sens.“ Sinneseindrücke und der Umgang mit ihnen spielen in der Diskussion zwischen den Schulen eine besonders große Rolle; vgl. für den hierbei maßgeblichen Streit um sogenannte kataleptische Eindrücke etwa Woolf 2015, S. 16–20.

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retentio.462 Doch ist dem römischen Philosophen nicht, wie radikalen Skeptikern, am Nachweis der Relativität aller Urteile gelegen.463 Im Gegenteil stellt der Autor, dem eine radikal vertretene Urteilsenthaltung – der ἀπραξία-Vorwurf464 würde hier zutreffen – weltfremd erscheint,465 klar, dass seine Interpretation des Skeptizismus nicht auf jegliche Maßstäbe verzichten muss. Wie er im Proöm von De natura deorum mustergültig formuliert, können durchaus gewisse Sachverhalte für wahr gehalten werden:466 Nec tamen fieri potest ut qui hac ratione philosophentur hi nihil habeant quod sequantur. […] Non enim sumus i quibus nihil verum esse videatur, sed i qui omnibus veris falsa quaedam adiuncta esse dicamus tanta similitudine ut in is nulla insit certa iudicandi et adsentiendi nota.

Um dahin zu gelangen, ist eine disputatio nötig, die, wie bereits gezeigt,467 umfassend verstanden werden muss. Deren durch die Kombination von philosophischer Dialektik und Rhetorik gewonnenes Ergebnis entspricht im Kontext der akademischen Methodik dem Wahrscheinlichen. Pointiert beschreibt Gawlick diese Vorgehensweise: „Die Geschichte der Philosophie liefert die Antithesen, bei deren durch eine rhetorische Technik gesteigertem Aufeinanderprall das Wahrscheinliche herausspringt.“468 462 463

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Ac. 2,59. Vgl. dazu beispielsweise Thraede in Blank-Sangmeister/Thraede 1995, S. 462. Vgl. Ryan 1982, S. 12: „The sceptic, who suspends judgement about how the world is in Reality, lacks [a] strong degree of attachment to his beliefs. […] [T]he sceptic views all his beliefs as beliefs about how the world appears to him to be rather than as beliefs about how the worlds is in point of fact.“ S. zu diesem Vorwurf auch Anm. 504. Vgl. allgemein Gawlick/Görler 1994, S. 1098; Koch 2006, S. 39; Wood 1991, S. 59 und Schmidt 1978/79, S. 124. Nat. deor. 1,12. S. neben dem Lucullus, hier speziell ac. 2,8, u. a. auch Tusc. 1,17 und 4,47 sowie nat. deor. 1,17. Ciceros Ausführungen richten sich hier wohl speziell gegen das stoische Wahrheitskriterium. S. Kapitel 3.3.1. Gawlick 1956, S. 77. Vgl. dazu Leonhardt 1999, S. 18: „Die Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede ist in Ciceros philosophischen Werken […] nicht die Übung skeptischer Dialektik, die Unsicherheit allen Wissens zu zeigen, sondern die Inszenierung einer Diskussion, die vom theoretischen Anspruch her zu einem positiven, wenn auch nur wahrscheinlichen, nicht sicheren Ergebnis führt oder zumindest führen kann.“ Vgl. ebenso Leonhardt 2000, S. 62; Reckermann 1990, S. 516; Gawlick/Görler 1994, S. 1098; Schofield 2008, S. 69 sowie Steinmetz 1989, S. 12, der ebenso eine explizite Verbindung zwischen Disputation und Wahrscheinlichkeitskonzept herstellt. Allerdings sieht Leonhardt 1999, S. 18f. die Tusculanae disputationes außerhalb dieses Anspruchs. Michel 1967/68 und Bringmann 1971, S. 18, Anm. 36 betonen dagegen wie diese Arbeit den disputativ-probabilistischen Charakter jenes Werks. Der so definierte Zusammenhang mit der philosophisch-rhetorischen Disputation unterscheidet Cicero

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Die Ermittlung des veri simile allein kann jedoch dem ständig unter der Oberfläche präsenten Desiderat nach Praxisbezug nicht gerecht werden. Denn es tut sich ein Dilemma auf: Wenn auch diese Auffindung des Wahrscheinlichen den Prämissen eines Skeptizismus unterworfen wird, müsste in letzter Konsequenz ebenfalls das so gewonnene Ergebnis verworfen werden. Um dieses Problem überwinden zu können, bedarf es eines weiteren Schrittes: Der Philosoph muss sich bewusst für den gewonnenen Kompromiss entscheiden,469 ihn billigen – Cicero verwendet dafür, wie deutlich wurde, das Verb probare –, ihn für wahr halten, im letzten Schritt zumindest unter Vorbehalt an ihn glauben.470 Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist also der per se irrationale Glaube an das Ermittelte, das, wie beschrieben, der Wahrheit nicht entsprechen muss,471 aber ihr möglichst nahekommen soll – erst dann kann die Konzeption lebenspraktische Wirkung entfalten, was ebenfalls zu Beginn von De natura deorum ausdrücklich festgestellt wird: Ex quo exsistit et illud, multa esse probabilia, quae quamquam non perciperentur, tamen, quia visum quendam haberent insignem et inlustrem, his sapientis vita regeretur.472 Damit Ciceros Theorie des Wahrscheinlichen zum wirklichen moralisch-praktischen Probabilismus wird, der auch Richtschnur im Leben473 sein und

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etwas von der eventuell bereits probabilistisch agierenden skeptischen Akademie um Karneades, da der Begriff πιθανόν im Griechischen nicht in diesem Zusammenhang gebraucht wird. S. näher zum πιθανόν-Begriff Anm. 530. S. weiterhin zum Zusammenhang zwischen Disputationsmethode und Probabilismus Kapitel 5. Vgl. Koch 2006, S. 23: „Wo keine völlige Sicherheit zu gewinnen ist, dort muss der – freie – Mensch sich für das rational Plausibelste entscheiden.“ Vgl. auch Peetz 2000, S. 67. Die Voraussetzung für diese Entscheidung ist der freie Wille des Menschen; s. Kapitel 4.4.2. Das deutsche Adjektiv ‚glaub-würdig‘ bringt dies auf den Punkt. Vgl. dazu auch Mariani Zini 2010, S. 182 und ihren Aufsatz generell für Ciceros Konzept im Sinne einer Verbindung der Konzepte ‚confiance‘, ‚créance‘ und ‚crédibilité‘; vgl. etwa ebd., S. 183: „Cicéron lie étroitement la possibilité de revoir sa croyance à l’argumentation topique, afin de fournir une conclusion qui produise à la fois confiance, créance et crédibilité.“ Vgl. zudem Görler 1974, S. 196: „Die ἐποχή gegenüber den Sinneswahrnehmungen ermöglicht den Glauben an eine höhere Seinsordnung, und aus der ἐποχή gegenüber allen metaphysischen Dogmen ergibt es sich, daß es beim Glauben bleiben muß.“ Vgl. ferner Fox 2007a, S. 21. Die Wahrheit existiert zwar, sie ist der menschlichen Erkenntnis aber entzogen; vgl. Koch 2006, S. 36. Nat. deor. 1,12. Dies ist in der Forschung mehrfach beobachtet worden. Bereits Henry 1925, S. 34 spricht von einer „basis sufficient for conduct“; vgl. auch ebd., S. 91 und 117. In neuerer Zeit hat u. a. Malaspina 2012, S. 8 bekräftigt, dass ein fehlendes sicheres Fundament Cicero nicht vom konkreten Handeln abhält: „[Una] mancanza di un fundamentum certum et inconcussum […] non distolse mai Cicerone dall’agire nella dimensione etica, cioè nella vita reale, umana culturale politica, dei suoi tempi, con la stessa certezza, lo stesso impegno, la stessa fiducia come se egli avesse posseduto questo fundamentum.“ Vgl. auch Woolf 2015, S. 33 und Nicgorski 2016, S. 31–37.

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somit zur persönlichen474 wie gesellschaftlichen Gesundung beitragen kann,475 muss der Glaube an das Wahrscheinliche, das potentiell Wahre hinzutreten.476 Auf diese Weise wird das Wahrscheinliche schließlich lebenspraktisch relevant.477 Über eine Diskussion nach beiden Seiten hin ist es demnach – das zeigt nicht zuletzt das Proöm des Lucullus – durchaus möglich, zu einer zumindest relativen Wahrheit zu gelangen, die Cicero in Abgrenzung zum radikalen Skeptizismus und von einer rhetorisch-philosophischen Methode herkommend veri simile und in Abgrenzung zu einem absoluten Dogmatismus in Orientierung an der Praxis probabile nennt. Nicht die Relativität aller Urteile ist die Funktion einer Disputation gegen alles oder nach allen Seiten hin, sondern gerade in Abgrenzung zu einer allumfassenden ἐποχή das Auffinden eines veri simile, das sich auf einzelne Streitfragen diverser philosophischer Schulen, aber auch auf ganze Lehrsysteme und

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Koch 2006, S. 44 bestätigt, dass das Auffinden des probabile „nicht Endzweck der Überlegungen“ sein kann, was besonders für die Person therapeutisch wirkenden Tusculanae disputationes gelten muss: „[S]o wie es bei einer ethischen Reflexion darauf ankommt, die Zustimmung (Billigung) zu einer These ins Leben und Handeln zu übertragen, so geht es in dieser Schrift Ciceros darum, durch diese Zustimmung innere, d. h. seelische, Ordnung zu schaffen.“ Wichtig und neu ist dabei die Forderung nach einem aktiven Anteil am therapeutischen Geschehen in einem freien Akt; vgl. ebd., S. 49f. S. zur Voraussetzung des freien Willens auch Anm. 469 und Kapitel 4.4.2. Der Probabilismus Ciceros ist damit eigentliche Voraussetzung für sein kultur- wie sozialphilosophisches Programm; s. dafür Kapitel 6 und 7. Auch Thorsrud 2010, S. 77 betont im Kontext, dass sich Cicero deutlich im Dienst der res publica sieht und nicht zuletzt deshalb protreptisch vorgeht: „[It is] clear that he thinks he is doing the state a great service in encouraging his fellow Romans to engage in this practice.“ Vgl. Gawlick/Görler 1994, S. 1100: „Das […] [Ciceros] Anspruch nach rationale Verfahren der dialektischen Ermittlung des Wahrscheinlichen wird ergänzt durch einen zweiten Weg der Annäherung an die Wahrheit […], der sich von der Ratio stellenweise ausdrücklich distanziert.“ Görler geht dabei in Gawlick/Görler 1994, S. 1105 von zwei verschiedenen Wegen zur Annäherung an die Wahrheit aus, einem rationalen und einem emotionalen, und identifiziert die Ergebnisse beider Herangehensweisen: „Es liegt auf der Hand, dass der irrationale ‚Wunsch‘, zu philosophischen Überzeugungen zu gelangen, mit einer wie auch immer gearteten rationalen Suche nach Wahrheit unvereinbar ist. […] Dennoch hat Cicero beide Ansätze miteinander verbunden; auch in den großen dialektisch aufgebauten Dialogen scheint das ‚Gewünschte‘ mit dem Wahrscheinlichen oft geradezu identisch.“ Vgl. dazu auch Nicgorski 2016, S. 35 und 74; Clausen 2008, S. 120f. sowie Jürß 1982, S. 513.

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Schulen beziehen kann.478 Nicht das Fürwahrhalten aller gegebenen oder ermittelten Standpunkte ist die Konsequenz einer praktisch relevant werdenden philosophischen Methode, sondern ebenso in Abgrenzung zu einer universalen Affirmation bestimmter Standpunkte, Lehren und Schulen das Bekenntnis zu einem probabile.479 In diesem Sinne beschreiben die beiden Termini480 die gleiche Synthese von skeptischer und dogmatischer Herangehensweise aus zwei verschiedenen Seiten und in Negation zweier extremer Pole. Die Art und Weise des Zweifelns wirkt damit nicht wie bei den radikalen und rein dialektisch vorgehenden Skeptikern destruktiv,481 sondern konstruktiv, inso478

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Zu weiteren Implikationen des Begriffs veri simile vgl. auch Mančal 1982, S. 186; Peetz 2005, S. 118 und 128 sowie Görler 1992, S. 166, Anm. 13, der feststellt: „Veri similis wird überwiegend dort gebraucht, wo nicht Sinneseindrücke o. ä. […] beurteilt werden, sondern abstrakte Sachverhalte oder philosophische Positionen.“ Dabei gehe Cicero, wie Görler ebd., S. 169 konstatiert, weiter als seine Vorläufer; s. auch Kapitel 3.3.1 und dort Anm. 302. Vgl. auch Leonhardt 1999, S. 16 und ebd., Anm. 24. In orat. 237 wird klar, dass das Auffinden eines veri simile auch Aufgabe der rhetorischen Werke ist. Zum Begriff des probabile formuliert Peetz 2005, S. 122 treffend: Es „meint das vom Einzelnen im dialektischen Gang der Kritik selbsterworbene und selbstverantwortete Urteil über den jeweils untersuchten Sachverhalt.“ Auch Koch 2006, S. 43 betont eine „Verknüpfung von Erkenntnis und Verantwortung“: „Probabile ist das des Zustimmens Würdige und doch auch der weiteren Prüfung Fähige.“ Vgl. ferner Ruch 1969, S. 333, der die Semantik von probare stark ausweitet: Es umfasse sowohl die Bedeutung von ‚éprouver‘ als auch von ‚approuver‘ und beschreibe damit im Sinne eines ‚double sens‘ ein Verhältnis von Erfahrung und Vernunft: „L’expérience éprouve, la raison approuve.“ S. zu diesem Gegensatzpaar Kapitel 4.4. Vgl. zudem Baraz 2012, S. 33 und Görler 1992, S. 169, Anm. 16, der schreibt: „Die Doppeldeutigkeit von probare trägt dazu bei, daß zwischen ‚Gebilligtem‘ und ‚Bewiesenem‘ ein gleitender Übergang zu bestehen scheint.“ Vgl. für Überlegungen zur Übersetzung der Begriffe aus dem Griechischen Glucker 1995. Fuhrer 1993, S. 109 nutzt die Dichotomie subjektiv–objektiv: „Karneades’ πιθανόν und auch Ciceros probabile sind ja rein subjektiv zu verstehen (‚etwas überzeugt mich/erscheint mir glaubhaft‘), während der Begriff veri simile in der von Lucullus implizierten Bedeutung einen Vergleich mit einem Objekt oder einem objektiven Sachverhalt (dem verum) erfordert.“ Eine komplexere Verbindung beider Begrifflichkeiten nimmt Peetz 2005, S. 119 an und betont dabei zugleich den Zusammenhang mit der in Kapitel 3 dargestellten rhetorisch-dialektischen Disputation: „Cicero versteht […] unter veri simile dasjenige, was am Ende einer konjektural-dialektischen Argumentation als zwar diskursiv gewonnene, aber zugleich intuitiv aufleuchtende Schlussfolgerung in Erscheinung tritt. Das veri simile ist somit die am Ende eines dialektischen Prozesses der Wahrheitsfindung sich einstellende gerechtfertigte Meinung, die zugleich intuitiv einleuchtet; es ist insofern gewissermaßen das non plus ultra des probabile.“ Vgl. generell zur Verwendung der beiden Begriffe Görler 1992, S. 166; Lévy 1992, S. 282–284 und Gawlick 1956, S. 69f., Anm. 1. S. für weitergehende Überlegungen Kapitel 5 und für den πιθανόν-Begriff Anm. 530. Zur dialektischen Methode von Arkesilaos und (wohl auch) Karneades s. das Weitere.

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fern sie ihre Anwendbarkeit in der Praxis im Blick hat und tatsächliche Handlungsmöglichkeiten erzeugen will.482 Ebenso wirkt die Art und Weise des Glaubens nicht wie bei den konsequenten Dogmatikern starr und unflexibel, sondern adaptiv, insofern die Eröffnung von Optionen im Alltag auf die konkrete Situation abgestimmt werden kann.483 Die Auflösung der Dichotomie durch das Zusammendenken beider polaren Elemente in einer am probabile orientierten Synthese führt damit, wie zuvor gezeigt, zu einer lebenspraktisch tauglichen Methodik, deren konkrete Handlungsorientierung ihr gerade für die römische Welt größter Vorzug ist.484 Hierbei zeigt sich nun erneut die prinzipielle Verwobenheit von systematischer und persönlicher Ebene, wird doch das Suchen, das Abwägen, das Prüfen, das Billigen eines Wahrscheinlichen, letztlich die Orientierung an einem probabile

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Vgl. Gawlick/Görler 1994, S. 1024; Görler 1992, S. 169f., Anm. 17; Leonhardt 2000, S. 18 und v.a. 66; Burkert 1965, S. 187f.; Habinek 2005, S. 74; DeFilippo 2000, S. 172 und 175 sowie Peetz 2005, S. 122f., ebd., Anm. 51 und 127. Auch Haltenhoff 1998, S. 71 betont für die Absicht des Proöms, konkret ac. 2,7: Ziel sei es, „den Leser nicht durch Destruktion des Erkenntniszieles abzuschrecken […], sondern ihm die akademische Lehre in ihren konstruktiven Absichten und Möglichkeiten schmackhaft zu machen“. Vgl. auch Hall 1994, S. 223: „Academic skepticism (at least after the time of Arcesilas) was not supposed to result in a frozen state of inactivity and indecision. Practical conclusions and bases for action could be reached, with the proviso that these were understood not to constitute definitive and incontrovertible truths.“ Schon Henry 1925, S. 29 spricht vom affirmativen Charakter der Akademie und beschreibt dessen Wirkung als „positive force for the discovery of truth“; vgl. auch ebd., S. 37. Natürlich müssen sich beide Funktionen nicht kategorisch ausschließen, wie u. a. Bringmann 1971, S. 138 herausstellt: Cicero habe gezeigt, „daß grundsätzliche ἐποχή und Anerkennung des πιθανόν einander nicht ausschließen, sondern im Gegenteil einander ergänzen: Zwar beweise die Widersprüchlichkeit philosophischer Lehrmeinungen die Unmöglichkeit gesicherter Erkenntnis und exakten Wissens […], andererseits aber vermöge die kritische Methode des ‚in utramque partem disserere‘ das Plausible und Überzeugende aus vorgegebenen oder möglichen Auffassungen herauszusondern.“ S. für den πιθανόν-Begriff Anm. 530. Vgl. zudem Peetz 2000, S. 62: „Die Technik der disputatio in utramque partem läßt sich […] gleichermaßen zum Zweck der Urteilsenthaltung wie der Urteilsfindung gebrauchen.“ Deshalb ist Jürß 1982, S. 513 zu widersprechen, der zwar das Einheitsbestreben Ciceros erkennt, aber den dogmatischen Anteil in Ciceros Philosophieren zu stark betont: „Der Skeptizismus war freilich für Cicero nicht viel mehr als ein Vehikel für die synthetischen Tendenzen seines Philosophierens, schlug also in der Konsequenz in sein Gegenteil um.“ Vgl. Leonhardt 1999, S. 87. Entsprechend könnte man, wie Sauer 2018, S. 67, Anm. 1 den Eindruck erhalten, dass „[i]n Übereinstimmung mit der probabilistischen Auffassung der Wahrheit in der Akademischen Skepsis […] die Sichtung und Prüfung einzelner Auffassungen größeres Gewicht als die Konstruktion eines streng konsistenten Denkgebäudes“ gewinnt. Die Ausführungen in diesem Kapitel wollen eine solche Auffassung etwas abmildern.

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genannten veri simile dem Verantwortungsbereich jedes Einzelnen überantwortet.485 Peetz hat dies mustergültig formuliert:486 An die Stelle unbesonnener Zustimmung tritt die Enthaltung von der Zustimmung und – mit ihr verbunden – ein Reflexionsprozess des Einzelnen, der auf die Herausbildung eines probabile zielt, dem der Einzelne dann in seinem alltäglichen Handeln Folge leisten kann. Daraus ergibt sich, dass Orientierung im Handeln nicht vorgegeben, sondern Sache der Freiheit des Einzelnen ist.

Diesen Fokus auf das Individuum und die Verwobenheit mit systematisch-abstrakten Dynamiken betont Cicero immer wieder in seinen Werken.487 Für den Bereich der Erkenntnistheorie lässt sich festhalten: Um persönliches Leid und gesellschaftliche Missstände verstehen zu können mit dem Ziel, sowohl individuell als auch eingebunden in die res publica jene Zustände aus eigenem Antrieb heraus zu ändern, muss die in ihrer Entscheidung freie Einzelperson das für den Einzelfall Wahrscheinliche und damit Richtige, das veri simile, ermitteln und sich im Bewusstsein der Grenzen menschlicher Erkenntnis an diesem probabile orientieren. Es handelt sich um ein flexibles Instrumentarium der Wahrheitsherstellung, das die beiden Pole Dogmatismus und Skeptizismus jeweils neu austariert, insofern an mancher Stelle das Suchen, an anderer Stelle das Finden stärker im Zentrum steht.488 Dabei steht die Idee im Hintergrund, Lebenserfahrung und philosophische Haltung verbinden zu können, was ein adaptives Grundgerüst erfordert.489 In jedem Fall aber entsteht der Auftrag für den Einzelnen, starre analytische Frontstellungen verschiedener erkenntnistheoretischer Lehren und ihrer Vertreter zu

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Vgl. auch Steinmetz 1989, S. 13, der in ac. 2,7–11 eine auffällige „Mischung zwischen prinzipiellem und methodischem Zweifel“ feststellt. Es bestehe eine „moralische Verpflichtung, die einerseits die Zurückhaltung des Urteils, andererseits das Streben nach der Wahrheit gebietet“. Peetz 2005, S. 111, der dieses ciceronische Vorgehen in Abgrenzung zum Automatismus der Stoa formuliert. Vgl. ebd., S. 122f. und 129f. sowie Peetz 2004, S. 48. Vgl. zudem Gawlick 1956, S. 65f., Anm. 2; Ryan 1982, S. 335 und Nicgorski 2016, S. 30, der das Prozedurale betont. S., auch verweisend, Anm. 724. Leonhardt 1999, S. 87 stellt treffend fest, dass „je nach den Erfordernissen des Einzelfalles mehr die agnostische oder die probabilistische Seite von Ciceros Skeptizismus im Vordergrund“ steht. In der Terminologie dieser Arbeit müsste man jedoch von skeptischer und dogmatischer Seite der ciceronischen Methodik sprechen. Vgl. auch Schultz 2009, S. 205: „Rather than two mutually exclusive categories, in practice belief and disbelief are more like opposite ends of a continuum.“ Die Verbindung von Erfahrung und philosophischer Vernunft wird in Kapitel 4.4 anhand der naturphilosophischen Werke erörtert.

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überwinden und im Sinne einer Synthese zu handeln. Ihre epistemologische Manifestation soll im Folgenden als ciceronischer Probabilismus bezeichnet werden.490 Das Proöm des Lucullus rückt, gerade im Vergleich zu den Tusculanae disputationes, diese systematische Seite trotz des insgesamt persönlichen Charakters der Vorrede in den Vordergrund, zeigt aber dennoch, wie oben ausführlich dargestellt, welch positive Folgen eine ideale Verbindung von Theorie und Praxis für Individuum und Gesellschaft haben kann. Das Produkt dieser Verzahnung wird so kurz vor dem Beginn des philosophischen Dialogs als probabilistische Vorgehensweise bestimmt. Als für Cicero einheitliche, synthetisch gestaltete Methode wird sie sodann im Hauptteil des Lucullus philosophiegeschichtlich herausgefordert. Hauptteil: Probabilismus als philosophiegeschichtliche Synthese Nach einem Verweis auf das Gespräch vom Vortag491 wird der grundsätzliche Streit zwischen Ciceros Lehrern Antiochus und Philon über die Auslegung der Akademie erwähnt, der sich in Folge der Veröffentlichung von Philons sogenannten Römischen Büchern entzündete, wie die Philosophiegeschichte berichtet.492 Eine genaue Rekonstruktion muss spekulativ bleiben, doch herrscht zumindest in der Forschung Einigkeit darüber, dass jener die überzeitliche Einheit der akademischen Methode als gewissermaßen gemäßigten Skeptizismus postuliert hatte, was wohl den Unmut des Antiochus erregte, der die skeptische Akademie als klar im Widerspruch zur restlichen von Platon ausgehenden Philosophie sah und von einer festen Lehre während der Anfänge der Akademie ausging.493 Dieser Konflikt wird allerdings im weiteren Verlauf nicht mehr an ent490

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Der Terminus ist, gerade wenn man annimmt, dass er karneadisch geprägt ist, nicht unumstritten; s. für die Problematik des Begriffs bei Karneades selbst Anm. 504. Er soll hier aber, gerade auch weil er die Struktur des Lucullus im Folgenden gut erklären kann, aufrechterhalten und im Sinne von Peetz 2000, S. 66 gebraucht werden: Cicero bilde „aus der Kritik der gegensätzlichen Positionen von Dogmatismus und Skeptizismus eine Alternative [aus], die man ‚Probabilismus‘ nennen kann. Mit dem Dogmatismus teilt dieser Probabilismus die Auffassung, daß es Wahres gibt, mit dem Skeptizismus die Einsicht, daß es kein zuverlässiges Wahrheitskriterium gibt.“ Andere vorgeschlagene Termini sind etwa nach Graver 2009, S. 120–130 Plausibilismus oder, wie Niiniluoto 2000, S. 164 näher ausführt, Fallibilismus: „In modern epistemology, fallibilism is a via media between dogmatism and scepticism […]. [T]he two key ideas of fallibilism, degree of certainty and degree of closeness to the truth, were present in the sceptical tradition at least since the time of Cicero.“ S. ac. 2,11f. S. genauer Anm. 586. S. für den Konflikt zwischen Antiochus und Philon im Zusammenhang mit der Frage nach der Einheit der Akademie Kapitel 4.3.2 und auch Anm. 586. Im Folgenden wird vorausgesetzt, dass Antiochus eher als Vertreter einer dogmatischen, an der Stoa orientierten Platonauslegung gilt.

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scheidender Stelle aufgegriffen, stehen doch Lucullus’ Referat der antiocheischen Position und Ciceros Erwiderung darauf im Mittelpunkt, wie Lucullus selbst ankündigt.494 Jener, aus der Warte des Dogmatikers Antiochus, bemerkt gleich zu Beginn seines Vortrags eine tiefe Spaltung in der Akademie, in deren Konfiguration er sich dezidiert gegen Arkesilaos – und, in geringerem Maße, gegen Karneades – und damit die durch deren skeptische Ansichten geprägten Akademiker wendet. Dezidiert wird diese Frontstellung sprachlich verdeutlicht, indem Lucullus als Sprecher referiert, wie er Antiochus contra Academicos495 diskutieren gehört habe, und indem er mit den gleichen Worten496 ankündigt, diese Position in seiner Rede vertreten zu wollen. Somit wird unmittelbar zu Beginn eine philosophiehistorisch analytische Ausgangssituation erschaffen, in der sich Antiochus als Vertreter einer dogmatischen Position und Arkesilaos als Fürsprecher einer skeptischen Überzeugung radikal gegenüberstehen.497 Als Ursprung und Ursache dieser philosophiegeschichtlichen Spaltung wird dabei klar ein analytisches Wirken des Arkesilaos identifiziert, der die Möglichkeit von Wissen und Erkenntnis verneint498 und damit zerstörerisch gewirkt habe. In seinem unheilvollen Wirken wird er hierbei mit Tiberius Gracchus, der bereits in anderen Werken, prominent in De re publica,499 als analytisches Textelement fungiert, verglichen und damit von Lucullus an der Schnittstelle der aufbrechenden Dichotomie zwischen Dogmatikern und Skeptikern positioniert:500 494 495 496 497

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S. ac. 2,12. Vgl. auch Görler 1995, S. 107. Vgl. für eine rhetorische Analyse beider Reden Ruch 1969. Ac. 2,12. S. ebd., 2,17: Nunc ingredimur, ut contra Academicos disseramus. In gewisser Hinsicht könnte man bei der Betrachtung der konkreten Textstellen auch von einem dogmatischen Skeptizismus sprechen, insofern etwa Arkesilaos hier sein radikales Anzweifeln jeglicher Gewissheit quasi dogmatisch begreift. Jedoch dient es der terminologischen Klarheit und wird auch Ciceros eigenem Abgrenzungsverfahren besser gerecht, wenn jenes Extrem als Skeptizismus, ergo als völlige Urteilsenthaltung, bezeichnet wird und Dogmatismus demgegenüber als radikales Meinen und unverrückbare Festlegung auf ein bestimmtes Urteil verstanden wird. S. z. B. auch ac. 2,66. Dies ist auch fast einhellige Meinung der Forschung: Arkesilaos werde, so Thorsrud 2002, S. 6, in der antiken Literatur einheitlich präsentiert als Pessimist hinsichtlich der Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis. Es gebe, wie Striker 1980, S. 69 ausführt, „no evidence for ascribing any positive epistemological doctrine to him“. Vgl. auch Görler 1997, S. 45; Cooper 2004a, S. 102 und Hankinson 1995, S. 74–78 oder Ricken 1994, S. 29–53. Leonhardt 1999, S. 15f. allerdings nimmt teilweise auch für Arkesilaos erste probabilistische Tendenzen an. Im Folgenden soll Arkesilaos jedoch im Kontext des Lucullus vornehmlich als Repräsentant eines starken Skeptizismus gelten. S. für seine gegen die Stoa gerichtete Methodik auch Anm. 503. S. ausführlich dazu Kapitel 7. Ac. 2,15. Vgl. dazu und zum Hintergrund Haltenhoff 1998, S. 85–106 und speziell 102. Vgl. zur Stelle auch Peetz 2005, S. 100.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens Nonne cum iam philosophorum disciplinae gravissimae constitissent tum exortus est ut in optuma re publica Tib. Gracchus qui otium perturbaret sic Arcesilas qui constitutam philosophiam everteret et in eorum auctoritate delitisceret qui negavissent quicquam sciri aut percipi posse.

Arkesilaos beruft sich laut Lucullus bei seiner skeptischen Interpretation der Akademie fälschlich auf die Autoritäten Platon und Sokrates, denn ersterer habe ein festgefügtes, dogmatisch stringentes Philosophiesystem hinterlassen und letzterer habe sich nur ironisch verstellt und als universell Zweifelnder ausgegeben.501 Durch diese Fehlauslegung stehe nun die durch Sokrates und Platon begründete und durch die direkten akademischen Nachfolger sowie die Peripatetiker und in gewissem Maße auch durch die Stoa fortgesetzte dogmatische Philosophie der skeptischen Akademie des Arkesilaos dichotomisch gegenüber.502 Dabei habe seine Lehre durch die Methode, gegen die klaren Definitionen und Behauptungen des Zenon zu argumentieren und sie ins Dunkel zu stürzen,503 zu Lebzeiten zwar 501

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S. ac. 2,15: Quorum e numero tollendus est et Plato et Socrates, alter quia reliquit perfectissimam disciplinam, Peripateticos et Academicos nominibus differentes re congruentes, a quibus Stoici ipsi verbis magis quam sententiis dissenserunt, – Socrates autem de se ipse detrahens in disputatione plus tribuebat is quos volebat refellere; ita cum aliud diceret atque sentiret, libenter uti solitus est ea dissimulatione quam Graeci εἰρωνείαν vocant. In der Forschung wird, etwa von Frede 1987, S. 204, die These vertreten, dass sich Arkesilaos tatsächlich in der Nachfolge der sokratischen Praxis sah; ähnlich und in deutlicher Abgrenzung zur Stoa sieht ihn Thorsrud 2010, S. 58. Zudem greift die Stelle dem sententiam tegere in Tusc. 5,11 – s. dazu Kapitel 4.2 – vor und wird hier wie dort als authentisch sokratisch dargestellt. S. für Sokrates als Vorläufer auch Kapitel 4.3.2. Der wirkliche philosophiegeschichtliche Hintergrund stellt sich komplexer dar und ist in der Forschung vielfach beleuchtet worden: Vgl. für Überlegungen zu möglichen Vorläufern des Skeptizismus in der klassischen und vorklassischen Zeit Hankinson 1995, S. 31–51. Dass auch schon für Platon eine Vorstellung von wahrscheinlichem Wissen existiert, zeigt Reckermann 1990, S. 514. Vgl. weiterhin für eine Übersicht der Entwicklung in der Akademie generell Brittain 2016 und zudem Lévy 2010a, S. 42–46; Ryan 1982, S. 79–99 und 253–279; Bett 2010, S. 3–7 sowie Graeser und Schäublin in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. XV. S. für verschiedene akademisch-skeptische Ausprägungen im Text selbst ac. 2,32–36 und 98–105, insbesondere 104 und vgl. dazu Brittain 2016, S. 19, Anm. 13. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass, wie Malaspina 2012, S. 4 richtig herausstellt, Cicero selbst eine der Hauptquellen für unser Wissen über die Akademie darstellt. Die Methode des Arkesilaos war Folge seiner dialektischen Strategie in der Debatte mit der Stoa. Thorsrud 2010, S. 61 beschreibt sein Vorgehen: „Arcesilaus’ arguments for akatalêpsia are part of his dialectical strategy. In arguing that knowledge is not possible he would not be advancing his own view, but rather leading his dogmatic interlocutors to admit that they themselves are unwittingly committed to it. Alternatively, he may be showing that the arguments for and against the possibility of knowledge are equally convincing. The result, in either case, is that his interlocutors no longer know what to

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noch wenige, im Laufe der Zeit jedoch, zumal nach dem Auftreten des populären Karneades,504 immer mehr Anhänger gewinnen können, wodurch die Spaltung weiter vergrößert worden sei und selbst zu Ciceros Zeiten in der Person von Philon noch Bestand habe.

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believe, and so they suspend judgement.“ Vgl. für den generellen Konflikt zwischen Stoa und Akademie Thorsrud 2010, S. 63–66 sowie u. a. Brittain 2006, S. XIX‒XXXI; Allen 1994, S. 85–113 und generell Allen 1997 sowie neuerdings Seidlmayer 2018, S. 35–45. Der Hauptstreitpunkt beziehe sich, so Frede 1996, S. 4f. korrekt, auf das Kriterium für die Beurteilung von Eindrücken, auf das „criterion concerning empirical knowledge“: „It concerns the question whether there are evident sense-perceptions that cannot be false.“ Vgl. dazu auch Görler 1992, S. 161f.; Obdrzalek 2006, S. 249 und Allen 1994, S. 104–109 sowie Frede 1983. Peetz 2005, S. 110f. beleuchtet den Unterschied zwischen akademischer adprobatio und stoischer adsensio; vgl. auch Peetz 2004, S. 48. Karneades’ Rolle in der Akademie, die bislang – s. neben dem aktuellen Kapitel auch Kapitel 3.2 und 4.2 sowie Anm. 433, 437 und 490 – bereits öfter angesprochen wurde, ist schwierig zu bestimmen, zumal die antiken Quellen selbst Widersprüchliches besagen. Bereits in der Antike ein umstrittener Denker – vgl. dazu Schäublin 1992, S. 48 und Thorsrud 2010, S. 76 sowie Lévy 2010b, S. 81–89 – reicht der Forschungsstreit um Karneades’ Positionierung bis in die heutige Zeit. Entweder, wie in der Antike z. B. Klitomachus, rechnet man ihn den radikalen Skeptikern zu und sieht ihn somit als einen treuen Gefolgsmann des Arkesilaos, wie dies etwa Lévy 2010b, S. 83 tut: Bei seinen Zugeständnissen an die Möglichkeit, Meinungen zu hegen, handle es sich lediglich um eine „proposition of dialectical force, which should only be understood in the context of a refutation of Stoicism“; zumindest sei, so Frede 1996, S. 20, Anm. 4, Karneades’ Theorie nicht probabilistisch zu verstehen. Oder aber, wie in der Antike wohl Metrodorus und Philon, man versteht die Bereitschaft zu Konzessionen als positive Doktrin, was etwa Thorsrud 2002, S. 3 für eine plausible Annahme erachtet; vgl. auch Görler 1997, S. 45. Thorsrud 2010, S. 71 fasst diese Kontroverse um den populären Akademiker, die insbesondere auch aus dem stoischen Vorwurf der ἀπραξία – vgl. dazu Görler 1997, S. 47 und Vogt 2010, S. 167–171 und s. das Vorherige – erwächst, zusammen: „On the first, dialectical interpretation, Carneades merely expands the scope of Arcesilaus’ method, but continues to promote universal epochê. On the second, fallibilist interpretation, Carneades restricts the scope of epochê, allowing for some, fallible beliefs.“ Vgl. zum Forschungsstreit auch ebd., S. 80, Anm. 17 sowie Schäublin 1992, S. 48f. und Görler 2000, S. 73–76. Vgl. für mögliche Lösungen des Problems, die auch auf der Annahme zweier verschiedener Arten des Zustimmens bei Karneades – s. dazu Anm. 528 – basieren, Thorsrud 2010, S. 73 und 80, Anm. 18; vgl. dazu auch Vogt 2010, S. 170. Vgl. weiterhin generell Allen 1994, S. 89–99 und Hankinson 1995, S. 94–115 sowie Ricken 1994, S. 53–67. Im Folgenden wird vorausgesetzt, dass Karneades einerseits für die radikalskeptische Position, andererseits für einen gemäßigten Probabilismus Pate steht. Bei Cicero werden sich – s. Anm. 536 – beide Deutungen finden; mehr noch spielt Cicero absichtlich mit der Irritation um Karneades und nutzt sie für die strukturelle Anlage von Werkpassagen, wie schon für die Tusculanae disputationes in Kapitel 4.2 klar wurde. Dass der Terminus Probabilismus für Karneades aufgrund dieser dürren Quellenlage problematisch ist, dürfte deutlich geworden sein.

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Lucullus präsentiert hier, so darf man festhalten, eine Geschichte der Philosophie, die von einer ursprünglichen Synthese zu Zeiten einer alten weitestgehend gemeinsamen Philosophie von Sokrates, Platon und Aristoteles ausgeht. Das analytisch zu interpretierende Handeln des Arkesilaos hat jene Einheit, welche auch sein Zeitgenosse Zenon forcierte, zerstört und eine skeptische Auslegung der alten Philosophie als radikalen Gegenpart zur dogmatischen Tradition positioniert, wie Lucullus mit drastischen Worten schildert.505 Da Lucullus jenen analytischen Zustand als Mangel begreift, argumentiert er im Fortgang der Diskussion auch scharf und unerbittlich gegen die radikalskeptische Position des Arkesilaos.506 Sein Ziel ist die einseitige Wiederherstellung der angenommenen dogmatischen Ausgangslage durch die vollständige Widerlegung und Ausgrenzung des skeptischen Widerparts. Auffälligerweise polemisiert Lucullus dabei nicht nur gegen die radikalskeptische Position des Arkesilaos, sondern spricht sich auch gegen das Konzept des Wahrscheinlichen aus, das sich ja, wie im Proömium der Schrift dargestellt, als ein Ausgleich zwischen einer Philosophie, die das Zweifeln betont, und einem am Glauben orientierten Denken versteht. So kritisiert der Sprecher im Verlauf seiner Rede allgemein Philosophen, denen ein probabile respektive veri simile als Maßstab dient, konkret im Einschub seinen Argumentationsgegner Cicero: Volunt enim (et hoc quidem vel maxime vos animadvertebam moveri) probabile aliquid esse et quasi veri simile, eaque se uti regula et in agenda vita et in quaerendo ac disserendo.507 Lucullus rekurriert mit den beiden Ausdrücken für das Wahrscheinliche deutlich auf die Terminologie der eingangs entwickelten probabilistischen Methodik; sodann argumentiert er für die Unhaltbarkeit dieser Kriterien, indem er versucht, ihre inhärente Widersprüchlichkeit aufzuzeigen.508 Die Bedeutung dieser Frontstellung auch gegen die mittlere, synthetische Position zwischen Skeptizismus und Dogmatismus wird in ihrer aussagekräftigen Wiederholung am

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S. ac. 2,15f. Man beachte den Gebrauch von politisch-kämpferischem Wortschatz wie evertere oder labefactare. S. ebd., 2,17–21 und vgl. dazu auch Graeser und Schäublin in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. LXVI‒LXXIV. Ac. 2,32. Da diese Kritik über den üblichen ἀπραξία-Vorwurf deutlich hinausgeht, ist anzunehmen, dass es sich um eine ciceronische Neuerung handelt, die keine griechische Debatte wiedergibt. Vgl. auch Haltenhoff 1998, S. 178f., der bemerkt, dass bei Lucullus’ Unterscheidung von radikaler und gemäßigter Skepsis die Bezüge oft unklar sind. Womöglich fällt so eine Kritik einfacher und er kann Cicero damit generell die negativen Auswirkungen eines strengen Skeptizismus anlasten, wie er es später tut. S. ac. 2,32–36 und vgl. dazu etwa Graeser und Schäublin in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. LXVIII‒LXIX.

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Ende des Lucullus-Parts offenkundig: Illud vero perabsurdum quod dicitis, probabilia vos sequi si nulla re inpediamini.509 Cicero und seine Vorläufer510 werden auf diese Weise sprachlich sogar noch vehementer angegriffen als die konsequenteren Zweifler zur Zeit der anfänglichen Spaltung. Damit richtet sich Lucullus, der die antiocheische Position vertritt, sowohl gegen den radikalskeptischen Ansatz des Arkesilaos als auch gegen den seiner Meinung nach gemäßigteren Ansatz des Karneades und rechnet die Methodik der Synthese schlichtweg dem Pol des Skeptizismus zu. So lässt sich auch der abschließende Vorwurf dem Sprecher Cicero gegenüber erklären, er, zumal als Politiker mit eigentlich klarer Linie, bringe Verwirrung über eindeutig in wahr und falsch einzuteilende Sachverhalte:511 Tune, cum tantis laudibus philosophiam extuleris Hortensiumque nostrum dissentientem commoveris, eam philosophiam sequere quae confundit vera cum falsis, spoliat nos iudicio, privat adprobatione omni, orbat sensibus?

Im Kontext dieser bei Lucullus Unverständnis hervorrufenden Annahme, selbst Cicero vertrete einen reinen Skeptizismus, scheint die analytische Frontstellung klar: Auf der einen Seite stehen das zur Erhellung der Dinge beitragende Dogma und das daraus resultierende prinzipientreue Handeln, wie es Lucullus Cicero in Abgrenzung zu den Skeptikern zuschreibt:512 Sublata enim adsensione omnem et motum animorum et actionem rerum sustulerunt; quod non modo recte fieri sed omnino fieri non potest. Provide etiam ne uni tibi istam sententiam minime liceat defendere. An tu, cum res occultissimas aperueris in lucemque protuleris iuratusque dixeris ea te conperisse […], negabis esse rem ullam quae cognosci conprendi percipi possit?

In derselben Bildsprache und Denkstruktur verhaftet, steht auf der anderen Seite der alles ins Dunkel hüllende Zweifel, dessen systematische Ausprägung des Skeptizismus in all seinen verschiedenen Varianten nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern auch philosophiegeschichtlich zu einem Zustand der Analyse geführt hat, wie Lucullus es bei Cicero mit drastischen Worten kritisiert: Isti autem quos tu probas tantis offusis tenebris ne scintillam quidem ullam nobis ad dispiciendum reliquerunt; quos si sequamur iis vinclis simus astricti ut nos commovere nequeamus.513 Eine solche Konstruktion zeigt: Lucullus steht für einen radikalen 509 510 511

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Ac. 2,59. Vgl. dazu Haltenhoff 1998, S. 176–181 und 218. Nach Haltenhoff 1998, S. 84f. gehört Ciceros Lehrer Philon dazu; s. zu ihm Anm. 586 und 591. Ac. 2,61. Schon zuvor werden solcherlei Vorwürfe formuliert, beispielsweise ebd., 2,53 die levitas orationis eorum qui omnia cupiunt confundere angeprangert; vgl. dazu etwa Bächli und Graeser in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. 238f. Ac. 2,62. Ebd., 2,61.

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Dogmatismus, der vor diesem Hintergrund sowohl den Skeptizismus als auch dessen gemäßigtere Version eines Probabilismus ablehnt. Doch lässt sich hier schon mit dem Proömium als Kontrastfolie absehen, dass diese philosophiegeschichtliche Konstruktion, die auf eine radikale Analyse hinausläuft, von Cicero nicht geteilt wird, sucht dieser doch explizit nicht nach klaren Grenzziehungen, wie es Lucullus impliziert und sogar für Ciceros politisches Wirken514 behauptet. Gerade für seine philosophischen Vorstellungen ist schließlich anzunehmen, dass die Analyse immer nur als ungenügend zu betrachtender Ausgangspunkt sein darf, während ausschließlich eine Synthese als ideal zu verstehendes Ziel in Frage kommt – Cicero ist in seinen philosophischen Schriften immer an den Zwischentönen gelegen, wie die folgende Untersuchung des zweiten Teils des Lucullus, Ciceros Gegenrede, zeigen wird. Diese Erwiderung auf die herausfordernden Ausführungen des Lucullus erfolgt auf eine Ermunterung des Catulus hin. Gleich zu ihrem Beginn knüpft Cicero offensichtlich an das Proöm an und stellt erneut seine probabilistische Herangehensweise in auffälliger Klarheit vor: Qui enim possum non cupere verum invenire, cum gaudeam si simile veri quid invenerim? Sed ut hoc pulcherrimum esse iudico, vera videre, sic pro veris probare falsa turpissimum est.515 In eindringlicher Deutlichkeit leistet Cicero hier genau wie im Proöm eine Schärfung seiner Methodik in Auseinandersetzung mit den Extremen des Skeptizismus und Dogmatismus. All dies wird nun mit einem Austarieren persönlich-praktischer und abstrakt-theoretischer Aspekte verwoben, wenn Cicero sich selbst Fehler im Urteilen attestiert, den Weisen516 jedoch als Ideal der intellektuellen Erörterung bestimmt: Nec tamen ego is sum qui nihil umquam falsi adprobem qui numquam adsentiar qui nihil opiner; sed quaerimus de sapiente.517 Cicero bezeichnet sich

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Eine Untersuchung von Ciceros realpolitischem Wirken mithilfe des Instrumentariums Analyse‒Synthese wäre sicherlich aufschlussreich. Ac. 2,66. Es stellt sich natürlich die Frage nach Ciceros Vorstellung des akademischen sapiens. Bei den Anhängern des Karneades war es durchaus umstritten, wie ein vorsichtiges, mit Irrtum rechnendes Befolgen von Eindrücken zu bewerten ist; s. für den Disput um die Ansichten des Karneades Anm. 433 und 504. Letztlich scheint für Cicero die sehr abstrakte Frage nach dem Ideal des Weisen im erkenntnistheoretischen Bereich nicht von Relevanz gewesen zu sein, zumal es für ihn de facto keinen Unterschied machte, ob ein Einzelner aufgrund von bestimmten Eindrücken oder auf bestimmte Meinungen hin unter Vorbehalt handelte. Eine ausführliche Untersuchung der Frage, wie Ciceros Probabilismus hier konkret einzuordnen ist, wäre wünschenswert. Ac. 2,66. S. auch ebd., weiter unten: Non sum sapiens; itaque visis cedo nec possum resistere. Sapientis autem hanc censet Arcesilas vim esse maximam Zenoni adsentiens, cavere ne capiatur, ne fallatur videre; nihil est enim ab ea cogitatione, quam habemus de gravitate sapientis, errore levitate temeritate diiunctius. Bereits hier wird über die Erwähnung des zustimmenden Zenon eine gewisse Einigkeit von Akademie und Stoa angedeutet; s. dazu das Weitere.

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konsequenterweise im Zusammenhang als magnus […] opinator518, der bei der Betrachtung der größeren Zusammenhänge durchaus ab und an Falschem seine Zustimmung gibt.519 Das Entscheidende ist, dass er – als Projektionsfigur für jeden an Philosophie Interessierten – sich dieser seiner Fehlbarkeit ständig bewusst ist und das Potenzial des Irrtums stets in seine Überlegungen miteinbezieht: Visa enim ista cum acriter mentem sensumve pepulerunt accipio iisque interdum etiam adsentior. Nec percipio tamen: nihil enim arbitror posse percipi.520 Die Verhandlung von Glaube und Zweifel auf persönlicher wie systematischer Ebene wird damit aufgegriffen und weitergeführt, sodass die beiden aus verschiedenen Perspektiven betrachteten in Opposition stehenden Textelemente und der Umgang mit ihnen leitmotivisch auch über diesem zweiten Teil des Werks stehen. Cicero übernimmt als Sprecher nun zunächst die Rolle des Skeptikers, der die Aufgabe hat, für die Skepsis zu argumentieren und damit seinen Vorredner Lucullus zu widerlegen. Nach einer persönlichen Kritik an Antiochus und seiner Annäherung an stoische Vorstellungen521 setzt Cicero sogleich eine andere Philosophiegeschichte gegen die des Lucullus,522 indem er, aus skeptischer Warte heraus, explizit die Kontinuität der Akademie betont und sowohl Sokrates als auch Platon als Teil der skeptischen Tradition benennt, wofür er ein durchgängig ironisches Gebaren des Sokrates ausschließt und Platons Treue diesem gegenüber als Ausweis einer inhaltlichen Verwandtschaft interpretiert.523 Arkesilaos hat damit nicht die Spaltung einer ursprünglichen Einheit bewirkt, sondern den Zustand der Synthese, welcher in Ciceros historischer Gegenkonstruktion einer gemäßigt skeptischen Akademie entsprechen dürfte, explizit bewahrt. Wenn überhaupt könnte man wohl Antiochus, Lucullus’ Gewährsmann, als analytisch wirkenden Denker betrachten, der zwar nicht nominell, jedoch von der Sache her zu einer anderen Partei gewechselt sei, wobei man über die Beweggründe nur spekulieren 518 519

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Ac. 2,66. Vgl. zur Stelle auch Lefèvre 1988, S. 124f.; Thorsrud 2002, S. 10, Anm. 28; Görler 1974, S. 121f.; Mančal 1982, S. 94–96 und Görler 2016, S. 247–254, welcher die Selbstzuschreibung Ciceros wie das nachfolgende Gleichnis vom Kleinen und Großen Bären auch als Bekenntnis für das Große und Erhabene gegen das Kleinliche betrachtet. Thorsrud 2010, S. 77 dagegen stuft die Aussage als „ironic self-deprecation“ ein. Ac. 2,66. S. ebd., 2,69–71 und dazu auch ebd., 2,132. S. zu Antiochus auch das Vorherige und Anm. 493 und zudem Anm. 586 sowie speziell zu seinem Verhältnis zur Stoa Anm. 597. Vgl. dazu auch Brittain 2001, S. 176f. S. ac. 2,74: Et ab iis aiebat removendum Socratem et Platonem. Cur, an de ullis certius possum dicere? Vixisse cum iis equidem videor, ita multi sermones perscripti sunt e quibus dubitari non possit quin Socrati nihil sit visum sciri posse; excepit unum tantum, scire se nihil se scire, nihil amplius. Quid dicam de Platone, qui certe tam multis libris haec persecutus non esset nisi probavisset; ironeam enim alterius, perpetuam praesertim, nulla fuit ratio persequi.

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kann: Nominis dignitatem videtur, cum a re ipsa descisceret, retinere voluisse.524 In der innertextlichen Sprecherrolle des Skeptikers versucht Cicero so, die von Lucullus aufgebaute Konstellation ins Gegenteil zu verkehren; als synthetischer Denker des Probabilismus allerdings unterstreicht er das Verbindende beider Richtungen. Dementsprechend stellt Cicero, nachdem er im Weiteren gemäß seiner Funktion die skeptische Position ausführlich dargelegt hat,525 in Abgrenzung zu einem solchen reinen Skeptizismus erneut seine Möglichkeit eines praxistauglichen Probabilismus dar. Diesen Wechsel im strukturellen Aufbau der Schrift kündigt der Autor in auffälliger Weise selbst an, wenn er nämlich in Vorbereitung der Darstellung der Lehre des Karneades explizit davon spricht, nun seine wirkliche Haltung darzustellen – womit er impliziert, dass für ihn die Konzeption eines reinen Skeptizismus, wie er ihn in den Kapiteln zuvor vertreten hat, nicht gänzlich überzeugt: Ut omnes istos aculeos et totum tortuosum genus disputandi relinquamus ostendamusque qui simus.526 Ganz im Sinne seiner Methodik legt er den Fokus nun auf das Konstruktive, das über eine Position der ἐποχή hinausreicht.527 Dabei bezieht er sich auf die Lehre des Karneades,528 als deren Folge der Sprecher festhält: Ita placere, tale visum nullum esse ut perceptio consequeretur, ut autem probatio multa.529 Zwar könne man nichts sicher erfassen, jedoch vieles durchaus für glaubwürdig halten – eine zweigeteilte Aussage, deren Gehalt die Quintessenz der ciceronischen Methodik und ihrer Herleitung umfasst, ist sie doch sowohl gegen die Möglichkeit der perceptio, wie sie die Dogmatiker vertreten, als auch gegen die Unmöglichkeit einer probatio überhaupt, wie es die Skeptiker 524 525 526 527

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Ac. 2,70. S. auch ebd., 2,69: Cur non se transtulit ad alios, et maxime ad Stoicos? eorum enim erat propria ista dissensio. S. dafür ac. 2,72–97. Ebd., 2,98. Vgl. dazu Lévy 1992, S. 170. Vgl. Görler 1997, S. 38: Die Passage sei vor allem destruktiv, ab dann mit der Einführung des Wahrscheinlichen jedoch konstruktiv zu lesen. S. auch Anm. 548. Vgl. auch Haltenhoff 1998, S. 84. Hieraus eine Differenz zwischen dem Autor und der Dialogfigur Cicero abzuleiten, würde den Skopus dieser strukturalistisch inspirierten Arbeit überfordern. Vgl. zum Thema u. a. Schultz 2009, S. 195f. Im Speziellen bezieht Cicero sich auf dessen These der zwei Arten von Erscheinungen; s. auch ac. 2,104 und vgl. dazu Thorsrud 2010, S. 73, der von einer „distinction Carneades makes between two types of assent“ spricht: „[W]hen the sage follows a convincing impression, he assents to it in a sceptically acceptable sense, but withholds assent in a different sense.“ Vgl. ähnlich Vogt 2010, S. 170: „Carneades, however, seems to have explicitly argued that there is a difference between assenting and ‚following‘ or ‚approving of‘ an impression […]. He holds that it is possible to adhere to a persuasive impression without assenting to it.“ Diese Auffassung wird in der Forschung auch kritisch diskutiert; vgl. dazu Thorsrud 2010, S. 80, Anm. 18. S. auch Anm. 504. Ac. 2,99. Schon die Formulierung deutet das Vermittelnde an: Ein radikaler Skeptiker würde sicherlich kein placitum vertreten.

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behaupten, gerichtet. Aus der probatio, die weder absolute Sicherheit im Urteilen noch totale Unmöglichkeit plausibler Entscheidungen bedeutet, folgt auch, dass das, worauf sie sich bezieht, existieren muss. Das probabile erscheint als etwas Natürliches, das sich so nicht nur auf das Urteil selbst und seinen Umgang mit den verschiedenen Erscheinungen bezieht, sondern das in der Welt als Handlungsmaxime gilt.530 Entsprechend zieht Cicero die Verbindung zur Praxis:531 Etenim contra naturam esset, si probabile nihil esset; sequitur omnis vitae ea quam tu Luculle commemorabas eversio. Itaque et sensibus probanda multa sunt, teneatur modo illud, non inesse in is quicquam tale quale non etiam falsum nihil ab eo differens esse possit – sic quidquid acciderit specie probabile, si nihil se offeret quod sit probabilitati illi contrarium, utetur eo sapiens, ac sic omnis ratio vitae gubernabitur.

Mehr als nur ein ironischer Seitenhieb, wird hier die probabilistische Methode als naturgemäß präsentiert und damit zusätzlich legitimiert: In Antwort auf Lucullus’ vorherigen Vorwurf,532 ein solches probabilistisches Denken führe zu vollständiger Verwirrung, zu einer omnis vitae […] eversio,533 stellt der Sprecher klar, dass im Gegenteil gerade die natürliche Orientierung an Wahrscheinlichem und Glaubhaftem Halt im Leben gibt und stringentes Handeln überhaupt erst ermöglicht. In Kombination von skeptischer Vorsicht gegenüber abgeschlossenen Meinungen und Notwendigkeit einer dogmatischen Zustimmung unter Vorbehalt erwächst eine lebenspraktische Handlungstheorie, die strukturell einer Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus entspricht.

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Cicero legt damit sicherlich die griechische Vorlage, das πιθανόν des Karneades, welches laut Fuhrer 1993, S. 107f. seinen Ursprung in der Reaktion auf den ἀπραξίαVorwurf der Stoa – s. dazu Anm. 504 – hat, in seinem Sinne aus: Vgl. zum Unterschied zwischen dem griechischen Begriff und römischen Pendants z. B. Görler 1992, S. 168f. und Peetz 2005, S. 116–118. Vgl. ausführlich und differenziert zu Karneades’ πιθανόνBegriff und seinen Auslegungen ebenso wie für einen Forschungsüberblick Obdrzalek 2006. Vgl. ferner für die Frage nach dem πιθανόν als Kriterium für Handeln Gourinat 2016, S. 262–265. Vgl. für einen Vergleich mit dem Begriff εἰκός Obdrzalek 2006, S. 269f. sowie Lévy 1992, S. 285f. und s. Anm. 751. Vgl. für einen Vergleich zum stoischen, wohl auch von Arkesilaos rezipierten, Begriff des εὔλογον Lévy 1992, S. 257–268. Dabei kommt er ebd., S. 265 zum Ergebnis: „Il semble bien plutôt qu’en traduisant par le même terme probabilis l’εὔλογον de Zénon et d’Arcésilas et le πιθανόν de Carnéade, Cicéron ait assimilé deux choses différentes.“ Ac. 2,99. S. auch ebd., 2,61f. Ebd., 2,99.

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Karneades fungiert in dieser Konstellation als Figur der Synthese,534 der, wie in den Tusculanae disputationes,535 skeptische und dogmatische Tendenzen vereinigt und so aus Ciceros Sicht als Vorläufer der probabilistischen Methode, wie er sie in seinen Schriften verfolgt, gelten kann. So lässt sich auch erklären, wieso bei Ciceros Karneades-Darstellung im Lucullus536 bisweilen der radikalskeptische Part im dialektischen Sinne im Vordergrund steht,537 an anderen Stellen die historische Figur die These vertritt, dass durchaus Meinungen gehegt werden dürfen.538 An der eben betrachteten Scharnierstelle bringt Cicero nun beide Elemente zusammen und erschafft so neben der systematischen auch eine philosophiehistorische Synthese, die in der Figur des Karneades einen vorläufigen Höhepunkt findet.539 Entscheidend ist dabei nicht die wirkliche historische Entwicklung,540 sondern die Art und Weise, wie der Autor die semantisch aufgeladenen Textelemente – sicher mit den praktischeren Bedürfnissen der römischen Leserschaft im Blick541 – arrangiert und wie er im konkreten Fall die Figur des Karneades als Katalysator einer synthetischen Entwicklung installiert. Im Spiel mit unterschiedlichen philosophischen Positionen, die sich hier in einer Person kristallisieren, erschafft Cicero so eine neue, eigene Position der Mitte, die aus einem Prozess entsteht, an dessen Beginn die Analyse und an dessen Ende die ideal gedachte Synthese steht. Und so erscheint es nur folgerichtig, wenn in diesem Kontext erneut nach dem Proömium542 die Gemeinsamkeit mit dem Gegner Lucullus betont wird, wenn 534 535 536

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S. generell ac. 2,98f. S. Kapitel 4.2. und Anm. 437. S. weiterhin Anm. 221. Karneades’ Position ist, wie in Anm. 504 erörtert, Gegenstand der Diskussion seit der Antike. Die Forschungsliteratur zu Ciceros Karneades-Auslegung ist insgesamt vielfältig: vgl. für eine Debatte der verschiedenen Deutungen und Ciceros Positionierung etwa Burnyeat 1997, S. 300–309 und Niiniluoto 2000, S. 158–164. S. etwa ac. 2,78 und 108; vgl. dazu Thorsrud 2012, S. 133. S. etwa ac. 2,33, 59, 67 und 112. Vgl. zum Problem der unterschiedlichen Darstellungen des Karneades in Ciceros Werken auch Striker 1980, S. 55f.; Görler 1997, S. 56 und Schäublin 1992, S. 47–52. Thorsrud 2002, S. 17 versucht ebenso einen inhaltlichen Ausgleich der verschiedenen Cicerostellen: „Although we do not know whether the sage will assent and hold opinions, we non-sages may continue to do so responsibly in the pursuit of truth. On this point, if I am right, Clitomachus, Philo, and Cicero’s Carneades were all in agreement.“ Peetz 2005, S. 118, Anm. 39 zieht Tusc. 5,11 und nat. deor. 1,11 heran und geht davon aus, dass Cicero die Auffassung hege, „Karneades habe nach dem Vorbild des Sokrates zwar Meinungen gehabt, sich in der (philosophischen) Öffentlichkeit aber diesbezüglich bedeckt gehalten“. Vgl. dazu auch Thorsrud 2010, S. 78 und s. zur Philosophiegeschichte auch Anm. 502. Ziemlich sicher handelt es sich bei der in ac. 2,99 entwickelten Argumentation um eine auf römische, praktischere Bedürfnisse zugeschnittene und daher zugespitzte Interpretation des griechischen Akademikers, was auch Bächli und Graeser in Bächli/ Graeser/Schäublin 1995, S. 262f., Anm. 286 beschreiben. S. ac. 2,8 und vgl. dazu Görler 1997, S. 53.

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Cicero für den antiocheischen, also stoischen, Weisen die faktische Ähnlichkeit im alltäglichen Handeln konstatiert: Etenim is quoque qui a vobis sapiens inducitur multa sequitur probabilia non conprehensa neque percepta neque adsensa sed similia veri, quae nisi probet omnis vita tollatur.543 Ciceros Ausdeutung der akademischen Lehre bietet also, wie er selbst formuliert, die adäquate Antwort auf die unnötigen Gewissheiten eines radikalen Dogmatismus nach Art des Antiochus und Lucullus, welche dennoch für die Praxis relevant ist: Non enim lucem eripimus sed ea quae vos percipi conprehendique eadem nos, si modo probabilia sint, videri dicimus.544 Entscheidendes Merkmal dieses Kompromisses ist eben die skeptische Abfederung eines videri gegenüber einem absoluten percipi conprehendique. Notwendigerweise besteht demnach zwischen der probabilistischen Akademie, für die Cicero steht, und der dogmatischen antiocheischen Lehre, die Lucullus formuliert hat, im tatsächlichen Urteilen und Tun im Einzelfall kein großer Unterschied:545 Isdem enim hic sapiens de quo loquor oculis quibus iste vester caelum terram mare intuebitur, isdem sensibus reliqua quae sub quemque sensum cadunt sentiet. Mare illud, quod nunc favonio nascente purpureum videtur, idem huic nostro videbitur, nec tamen adsentietur, quia nobismet ipsis modo caeruleum videbatur mane ravum, quodque nunc qua a sole conlucet albescit et vibrat dissimileque est proximo ei continenti.

Mit dem Beispiel von der Erscheinung der Farbe des Meeres macht der Autor nochmals deutlich, dass sein Probabilismus, indem er beide Pole verbindet, der einseitigen Betonung der dogmatischen Komponente bei Lucullus theoretisch deutlich überlegen ist. Für die Praxis wird damit auch für die Gegenseite eine Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus postuliert, scheinen Antiochus’ stoisch 543

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Ac. 2,99. S. auch die Ausführungen zu Panaitios in ebd., 2,107. Vgl. insgesamt zum Herunterspielen der Differenzen zwischen skeptischen und dogmatischen Meinungen im Lucullus z. B. Görler 1974, S. 203; Görler 2017, S. 225f. und Leonhardt 1999, S. 52. Letzterer betont ebd., S. 52f. und 81–88, dass dies die Frage nach einem möglichen Wechsel von Ciceros Standpunkt tangiert – s. dazu Anm. 608. Ac. 2,105. Ebd. Vgl. dazu u. a. Clausen 2008, S. 121 und ferner Leonhardt 1999, S. 88, der das ungünstige Bild des Schwankens – s. dazu Kapitel 4.5 – gebraucht: „Der Unterschied zwischen Skepsis (im Sinne seines Probabilismus) und Dogmatik ist für Cicero bei weitem nicht so groß, wie es auf den ersten Blick scheint, und so bleiben auch die Schwankungen zwischen einem mehr skeptischen und einem mehr dogmatischen äußeren Erscheinungsbild in den Schriften innerhalb einer sozusagen legitimen Bandbreite.“ Vgl. ebd., S. 52, wo Leonhardt bei Cicero eine „sich abzeichnende Annäherung von Dogmatik und Skeptizismus im Lucullus“ feststellt. Das liegt zu großen Teilen daran, dass, wie Peetz 2005, S. 101 richtig darstellt, die Kritik an den dogmatischen Schulen „nicht den propositionalen Gehalt ihrer Aussagen, sondern deren modale Qualifizierung“ betrifft.

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geprägte Position und Ciceros probabilistische Herangehensweise durchaus kompatibel.546 Selbst der skeptische Weise muss demgemäß bestimmten Eindrücken folgen und unterscheidet sich im Handeln, wenn es also um die Konsequenzen der Theorie für die Praxis geht, nicht deutlich von den idealen Philosophen der anderen Schulen.547 Der Unterschied, den die synthetische Position macht, liegt in der Art, wie sich der Philosoph theoretisch zu seinem Handeln verhält, ihr Vorzug also in der ständigen Reflexion ihrer Voraussetzungen. Man darf zusammenfassen: Terminologisch stringent und systematisch einsichtig stellt Cicero als Antwort auf die analytisch ausgerichtete Argumentation des Lucullus seine Version eines gemilderten und durch das dogmatische Element eingehegten Probabilismus dar, den er auf verschiedene Gewährsmänner stützt, wobei Karneades eine herausgehobene Stellung einnimmt; dessen konkrete historische Bedeutung erscheint in diesem Prozess zweitrangig, tritt doch vor allem seine Funktion als synthetisches Textelement in den Vordergrund. Dies alles leistet Cicero in der Rolle des Skeptikers, welche er anfangs noch authentisch ausfüllt und somit die analytische Ausgangsposition zu festigen scheint, welche er jedoch im Verlauf der Diskussion immer weiter verlässt, um seine eigene synthetisch komponierte Methodik an herausgehobener Stelle systematisch wie philosophiegeschichtlich zu begründen. Diese – wie Peetz es formuliert – „Verteidigung der skeptischen These und zugleich konstruktiv-eigenständige Bestimmung seiner philosophischen Position“548 ist damit in die Dynamik des Denkmusters Analyse–Synthese eingebunden. Von den zwei extremen Polen der Dichotomie Zweifel–Glaube herkommend, entwickelt Cicero bereits im Proömium der Schrift eine synthetische Konzeption der Mitte, die auf den Begriffen veri simile und probabile fußt. Diese Entwicklung hin zu einer Einheit wird anschließend im Hauptteil sowohl im Aufbau als auch philosophiehistorisch wiederholt. Die Gesamtanlage stellt sich zunächst als 546

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Auch Görler 1997, S. 49 kommt zum Ergebnis, dass in diesem zweiten Teil der Cicerorede der Fokus auf dem Verbindenden der Schulen liegt. Leonhardt 1999, S. 52 weist für De finibus bonorum et malorum nach, „daß Cicero am Ende […] versucht, den Unterschied zwischen dogmatischem und skeptisch-probabilistischem Ansatz herunterzuspielen“. Vgl. zudem für das zweite Proöm von De finibus bonorum et malorum Gorman 2005, S. 90f. und darüber hinaus zum Thema Long 2015. S. dazu auch Anm. 516. Peetz 2005, S. 100; vgl. auch ebd., S. 105. Bis ac. 2,98, so Peetz 2005, S. 107, würde die ἀκαταληψία-These, dass nichts erfasst werden könne, verteidigt und die ἐποχήThese, dass man sich der Zustimmung enthalten solle, erhärtet. Davon ausgehend „entwickelt Cicero im zweiten – vorwiegend an Karneades orientierten – Teil seiner Beweisführung […] eine eigenständige philosophische Alternative, die nicht nur als Alternative zur kritisierten stoischen Position, sondern zugleich als konstruktive Alternative zur radikal-skeptischen Position und sogar – innerhalb dieser – zu derjenigen des Karneades anzusehen ist, unangesehen der Tatsache, dass Cicero dabei Karneades zustimmend zitiert“. Das probabile tauche dabei an entscheidenden Gelenkstellen auf, wie aus ebd., S. 100–115 hervorgeht. S. bereits Anm. 527.

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Disputation für und wider den antiocheisch-stoischen Dogmatismus dar, der in der herausfordernden Lucullus-Rede bekräftigt und dessen radikale Oppositionsstellung gegenüber dem Skeptizismus des Arkesilaos zementiert wird. In Ciceros Part wird, nach anfänglichem Aufgreifen der analytischen Ausgangssituation, eine Bewegung in Richtung Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus in Gang gesetzt, die in der Darlegung der philosophiehistorisch synthetisch zu verstehenden karneadischen Vorstellung ihren vorläufigen Höhepunkt findet. An jener zentralen Stelle seiner eigenen Rede für die Akademiker stellt der Autor damit seine in der Vorrede hergestellte Lehre nochmals nuanciert dar und betont dabei in erster Linie die Praxistauglichkeit dieses theoretischen Probabilismus. Wieso nimmt die Dialogfigur nach Ciceros eindeutiger Positionierung im Proömium und vor der erneuten Etablierung des Probabilismus gegen Ende der ciceronischen Erwiderung jedoch überhaupt die Rolle der radikalen Skepsis ein und betreibt damit eine analytische Entwicklung, die von der Einheit der Vorrede wegführt? Wieso also, so kann man zugespitzt fragen, inszeniert sich Cicero zeitweise als Akteur der Analyse? Die Auflösung liegt hier in der Dynamik des Denkmusters Analyse–Synthese, das als interpretatorische Grundlage fungiert und geeignet ist, die Entwicklung im Text nachzuzeichnen. Entscheidend ist, dass nach der vorläufigen Etablierung einer synthetischen Methodik jene Synthese herausgefordert wird: Indem sie zunächst durch den Gegendruck des Lucullus in Frage gestellt wird, wird ein Prozess der Reflexion angeregt, an dessen Ende eine stärkere, da gefestigte Einheit entstehen kann.549 Auf diese Weise wird das probabilistische Philosophieren auch auf der übergeordneten textuellen Strukturebene erprobt, wenn das gewonnene Ergebnis zunächst angezweifelt und am Ende erneut bekräftigt wird, wobei die Natur des flexibel gedachten Instrumentariums der dogmatischen Erstarrung der Methodik entgegenwirkt. So ist die Mischung aus Glaube und Zweifel auch für jenen Probabilismus auf der Metaebene maßgeblich. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der zwischen Start- und Zielpunkt liegenden systematischen wie persönlichen Auseinandersetzung Ciceros mit der eigenen Vorgehensweise zu, wodurch auch sein Auftreten als Dialogpartner erklärt werden kann. Eine wirklich tragfähige Verschränkung von Dogmatismus und Skeptizismus kann erst durch einen solchen textinternen, philosophiehistorischen wie auch wirklichen inneren Konflikt erreicht werden.550 Die Synthese wird dabei nicht von einem Dritten, sondern von der persönlich involvierten Dialogfigur

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Dies berührt auch das in Kapitel 5 anhand des Brutus entwickelte Konzept einer stetigen Festigung einer These durch ständiges Neuansetzen und Wiederholen des Prozesses von der Analyse zur Synthese. Dabei spricht Algra 1997, S. 138 von zwei Rollen, nämlich Cicero, dem Skeptiker, und Cicero, dem Probabilisten, wobei er beide als tendenziell getrennt betrachtet. Demgegenüber vertritt diese Arbeit den Ansatz, dass für Cicero durchgehend von einer probabilistischen Position, freilich in unterschiedlicher Ausprägung, auszugehen ist.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

Cicero selbst ins Werk gesetzt551 – im Rahmen eines Philosophierens, dessen Wie schlussendlich mit Recht als rhetorisch-philosophisch gefütterter Probabilismus definiert werden kann. Unter dieser Perspektive geraten im Anschluss die persönlichen wie gesellschaftlichen Implikationen der großen Bereiche der Philosophie in den Blick. Schluss: Probabilismus als ideales Instrumentarium für alle Bereiche der Philosophie Mustergültig demonstriert wird die methodische Konsistenz abschließend im letzten Teil von Ciceros Rede, der den Dissens der großen Philosophenschulen in allen drei Bereichen der Philosophie – Physik, Ethik und Logik – darlegen und somit die Unmöglichkeit gesicherten Wissens belegen soll.552 Immer wieder wird dabei auf den ciceronischen Probabilismus abgehoben, der, wie sich herausgestellt hat, auf der strukturellen Ebene einer praxistauglichen Synthese von Skeptizismus und Dogmatismus entspricht, welche der Methodik überlegen ist, die sich aus einer analytischen Trennung beider Bestandteile ergibt, wie sie sowohl der Dogmatiker Lucullus als auch Vertreter eines radikalen Skeptizismus nach Art des Arkesilaos vertreten. Zuerst wird der Bereich der Physik untersucht: Unentschlossenheit, welcher dogmatischen Position zuzustimmen sei, prägt den naturwissenschaftlichen Diskurs: Modo hoc modo illud probabilius videtur.553 Denn für die meisten Argumente gebe es Entgegnungen von gleichem Gewicht: Sunt in plerisque contrariarum rationum paria momenta.554 Am Ende steht die sachliche Uneinigkeit der Schulen und faktische Undurchschaubarkeit des Universums, doch wird explizit auf die Möglichkeit wahrscheinlicher und glaubwürdiger Erscheinungen hingewiesen und die damit verbundene entdeckerische Lust benannt. Dies führt auf direktem Weg zu einer Bestätigung der probabilistischen Vorgehensweise, die auch hier wieder als der rein dogmatischen Position überlegen dargestellt wird: Sed vester ut adsentiatur credat adfirmet, noster ut vereatur temere opinari praeclareque agi secum putet si in eius modi rebus veri simile quod sit invenerit.555 551 552

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S. auch die Enden von De natura deorum und De divinatione und dazu die Überlegungen in Kapitel 4.4.1 und 4.4.2. Vgl. dazu u. a. Görler 1997, S. 50–52: Cicero wolle, auch wenn sich gewisse Sympathien erkennen ließen, zeigen, dass alle Argumente für eine bestimmte Doktrin durch Argumente für die Gegenseite ausgeglichen werden könnten; vgl. auch Leonhardt 1999, S. 73–76 und Peetz 2005, S. 113f. sowie Ryan 1982, S. 117f. Zur für einen Schulvergleich notwendigen Harmonisierung von Problemstellung, Vokabular u. ä. vgl. Michel 1967/68, S. 108f. Ac. 2,121. Ebd., 2,124. Ebd., 2,128.

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Das Lob der Suche nach dem Wahrscheinlichen schließt so die Betrachtung des Bereichs der Physik ab. In der folgenden ethischen Diskussion über das höchste Gut und das größte Übel sowie über den Weg zur Glückseligkeit wiederholt sich die prinzipielle Unentscheidbarkeit durch ein sinngemäßes Wiederaufgreifen der Aussage der vorherigen Passage: Distrahor, tum hoc mihi probabilius tum illud videtur.556 Besonders stark wird hier die auch als persönliche Qual erlebte Diaphonie der unterschiedlichen Schulen offenbar und damit die Ebene des Individuums ins Spiel gebracht. Zwar erfolgt unter anderem über die τέλος-Einteilung des Chrysipp557 eine starke Reduzierung der Entscheidungsmöglichkeiten, sodass zuletzt nur noch zwei sich gegenüberstehende Meinungen über das höchste Gut verbleiben: Unum igitur par quod depugnet relicum est, voluptas cum honestate.558 Diese Antithese zwischen sittlich Gutem und dem höchsten Gut der Epikureer, der Lust, allerdings bleibt bestehen und wird sogar durch eine Polemik Ciceros gegen die Lust als fallax imitatio simulatioque virtutis559 verstärkt.560 Doch auch diese Erörterung im Bereich der Ethik wird daraufhin mit einer erneuten Unterscheidung der Methodik des Lucullus von der eigenen überlegenen philosophischen Überzeugung abgeschlossen:561 Tantum interest, quod tu cum es commotus adsciscis adsentiris adprobas, verum illud certum conprehensum perceptum ratum firmum fixum fuisse vis deque eo nulla ratione neque pelli neque moveri potes, ego nihil eius modi esse arbitror cui si adsensus sim non adsentiar saepe falso, quoniam vera a falsis nullo visi discrimine separantur.

Es gibt kein tragfähiges Unterscheidungskriterium für Wahres und Falsches, dennoch besteht im Alltag ein Zwang zur Zustimmung. Mitunter mag man sich dabei falsch entscheiden, doch ist man sich dieser Unsicherheit im Rahmen der probabilistischen Methodik stets bewusst. Dies hat sie der unreflektiert zustimmenden dogmatischen Richtung eines Antiochus voraus – nicht nur in der Physik, sondern auch bei ethischen Fragen.

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Ac. 2,134. S. auch ebd., 2,132: Erit igitur res iam in discrimine. Sie wird auch als Chrysippea divisio bezeichnet und von der Carneadea divisio abgegrenzt; vgl. dazu etwa Algra 1997, S. 109–120 und Leonhardt 1999, S. 135–171. Vgl. zur Stelle selbst Michel 1968, S. 115, Anm. 11 und Algra 1997, S. 138 sowie ausführlich Lévy 1992, S. 337–342. Ac. 2,140. Ebd. S. zur Behandlung Epikurs bei Cicero v. a. die Ausführungen in Kapitel 6 und dort insbesondere Anm. 875. Ac. 2,141.

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Sehr kurz nur geht Cicero auf den Bereich der Erkenntnistheorie und Logik ein. Mit Verweis auf die Instanz der Vorfahren wird am Ende dieses dritten Abschnitts erneut die Vormachtstellung des Scheinens vor dem Sein konstatiert:562 Quam rationem maiorum etiam conprobat diligentia, qui primum iurare ex sui animi sententia quemque voluerunt, deinde ita teneri si sciens falleret, quod inscientia multa versaretur in vita; tum qui testimonium diceret ut arbitrari se diceret etiam quod ipse vidisset, quaeque iurati iudices cognovissent ut ea non aut esse aut non esse facta sed ut videri pronuntiarentur.

Die ciceronisch-akademische Favorisierung des Wahrscheinlichen gegenüber dem dogmatischen Glauben563 wird dadurch nicht nur ein drittes Mal wiederholt, sondern durch den Verweis auf die glorreiche Vergangenheit historisch aufgeladen: Der Probabilismus als ciceronische Syntheseleistung ist der beste Modus des Philosophierens in Vergangenheit und Gegenwart. Diese sehr auffällige Parallelführung der Teilbereiche im Hinblick auf eine finale Konfirmation des Probabilismus als einzige für die Praxis geeignete Methode ist bislang noch nicht in dieser Deutlichkeit herausgearbeitet worden. Sie bestätigt erneut die Proposition, dass Glaube und Zweifel im Sinne einer Synthese methodisch zu verbinden sind, um der Wahrheit möglichst nahe zu kommen. Die Suche nach dem Wahrscheinlichen verschafft Lust, hält nichts vorschnell für wahr und kann sich auf die ehrwürdige Praxis der Alten berufen. Sie rundet formalstrukturell die Ausführungen für jeden Teilbereich der Philosophie ab und empfiehlt sich als methodische Grundlage für eine weitergehende Untersuchung von Physik, Ethik und Logik – Cicero legt hier den Grundstein für sein großes Projekt der Beschreibung der gesamten Philosophie, wie sie in den folgenden Jahren seines Lebens Wirklichkeit wird. Dabei ist er seiner methodischen Überzeugung, die er in der Tradition der Akademie sah, immer treu geblieben.564 Bemerkenswert ist, dass Cicero den Dissens der philosophischen Schulen und Positionen nicht nur als abstrakten Konflikt zwischen mehreren Theoriegebäuden, sondern auch als persönliche, bisweilen quälende Erfahrung inszeniert, worauf nicht zuletzt negative Gefühle ausdrückendes Vokabular wie distrahor565 oder divellor566 hinweist. Nicht nur systematisch, sondern auch ganz persönlich ist so die skeptische Urteilsenthaltung, die den ungenügenden Zustand der Diaphonie schlichtweg akzeptiert, kein Ausweg, ebenso wenig wie das unreflektierte, dogmatische Beharren auf einer Position, die nicht als eigene Meinung aus einer Dis-

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Ac. 2,146. Dies stellt für den Bereich der Logik auch Peetz 2005, S. 114f. fest. S. dazu auch Kapitel 4.5 und generell zur Frage der Konsistenz des ciceronischen Werks Anm. 50 und die Verweise an jener Stelle. Ac. 2,134. Ebd., 2,139.

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putation gewonnen, sondern unbedacht von einer Autorität übernommen wurde.567 Entgegengesetzt wird der inhaltlich auf persönlicher wie systematischer Ebene analytischen Situation eine synthetisch ausgewogene Methodik, die damit auch für komplexere theoretische Auseinandersetzungen anwendbar erscheint. Am Schluss steht somit der weitgehende inhaltliche Dissens der philosophischen Richtungen568 der methodischen Synthese radikal gegenüber. Diese wird am Ende erneut durch die Gesprächspartner betont: Catulus referiert in Kürze die Meinung seines Vaters, die der des Karneades entsprochen habe, auf den sich auch Cicero bei der Darlegung seines Probabilismus berufen hatte:569 Tum Catulus „Egone“ inquit, „ad patris revolvor sententiam, quam quidem ille Carneadeam esse dicebat, ut percipi nihil putem posse, adsensurum autem non percepto id est opinaturum sapientem existumem, sed ita ut intellegat se opinari sciatque nihil esse quod conprehendi et percipi possit. […]“

Cicero stimmt dieser Auffassung erwartungsgemäß zu,570 zitiert diese Aussage des Catulus doch das synthetische Potenzial der Karneades-Figur, wie sie Cicero gezeichnet hat, und wiederholt sie doch am Ende des Werks nochmals pointiert die Idee des Probabilismus.571 Interessant gestalten sich die Antwort des Hortensius auf Ciceros Frage und dessen Erwiderung darauf: „[…] Sed tibi quid tandem videtur Hortensi?“ Tum ille 567

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Gerade im Vergleich zur nüchtern-distanzierten Herangehensweise etwa eines Sextus Empiricus in seinen Πυρρωνείαι ὑποτυπώσεις gewinnt diese Darstellung einer persönlichen Involviertheit an Bedeutung. Vgl. im Zusammenhang Knuutila/Sihvola 2000, S. 127–141. Jedoch kann man unter einer Perspektive der Synthese durchaus auch inhaltliche Harmonisierungstendenzen feststellen: s. Kapitel 6.4. Ac. 2,148. Leider ist der direkt anschließende Text verderbt; vgl. dazu Bächli und Graeser in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. 309, Anm. 485 und Görler 1997, S. 55, Anm. 29 sowie Schäublin 1993, S. 163–167. S. ac. 2,148: „Habeo“ inquam „sententiam tuam nec eam admodum aspernor. […]“ Man kann zwar über die Gestaltung der verlorenen Vorgängerschrift nur spekulieren – s. dazu Anm. 445 –, jedoch legt das abschließende Bekenntnis der Catulus-Figur nahe, dass auch am Ende jenes Werks eine Synthese stand, die womöglich aus sehr ähnlichen Elementen zusammengesetzt war. Man kann sich vorstellen, dass diesem Ergebnis eine ganz ähnlich gelagerte Diskussion vorausging, die, unabhängig von der Sprecherkonstellation, von einem analytischen Zustand ihren Ausgang nahm und über verschiedene Schritte die methodische Synthese des ciceronischen Probabilismus etablierte. Der Lucullus würde diese Aufhebung der ursprünglichen Spaltung dann von anderer Warte aus bestätigen und letztendlich festigen. Vgl. dazu auch Schäublin 1992, S. 50, der ebenfalls davon ausgeht, dass sich der Titelheld des Catulus gemäß seiner Aussage am Ende des Lucullus für die karneadische Auffassung im hier vorgestellten Sinne aussprach. Dagegen meint etwa Steinmetz 1990, S. 147, dass „Catulus die strengere akademische Skepsis eines Karneades“ und „Cicero selbst eine an Philon orientierte mittlere Position vertreten“ habe.

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ridens „Tollendum.“ „Teneo te“ inquam; „nam ista Academiae est propria sententia.“572 Auf die Frage nach Hortensius’ Meinung will dieser wohl zum Widerspruch ansetzen, doch Cicero schneidet ihm in scherzhaftem Ton das Wort ab und wertet gerade die Lust an der Kritik als akademische Haltung.573 Damit vereinigt er am Ende der Schrift nochmals paradigmatisch die textuellen Elemente Skeptizismus und Dogmatismus in einer dem römischen Philosophen eigenen Form, indem sich der formulierte hortensische Zweifel und die darauffolgende Konfirmation des Autors nicht auf den Inhalt der Auseinandersetzung beziehen, sondern sich – auf das Wie kommt es an – in einer spezifischen Methodik des Philosophierens verbinden. Lucullus als Vertreter der Analyse kommt nicht mehr zu Wort, viele seiner Gedanken lassen sich zudem, wie gezeigt, ohne große Mühen in diese eine geeignete Weise des Philosophierens integrieren, wodurch der Lucullus in methodischer Hinsicht entgegen einiger Forschungsmeinungen574 als geschlossenes Werk zu interpretieren ist. Damit ist die Entwicklung von der Analyse zur Synthese für den Lucullus verwirklicht. Man darf sie für das Werk durchaus als systematischen wie historischen Aufstieg verstehen: Über Arkesilaos auf der einen, Antiochus auf der anderen Seite und den schon weitgehend synthetisch wirkenden Karneades lässt sich eine fortschreitende Verbesserung der probabilistischen Theorie erkennen, die mit Cicero ihren endgültigen Höhepunkt im Sinne einer Einheit der Extrempositionen erreicht. De facto aber sieht der Autor diese Position der Synthese bereits seit Sokrates verwirklicht, hält er den erörterten philosophiegeschichtlichen Streit damit vor allem für eine Herausforderung, die er im Projekt seiner akademischen Bücher zu bewältigen versucht hat. Kurz: Für Cicero gibt es mit dem Austarieren der Dichotomie Zweifel‒Glaube und in Konvergenz diverser philosophischer

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Ac. 2,148. Vgl. zur Stelle auch Bächli und Graeser in Bächli/Graeser/Schäublin 1995, S. 310, Anm. 488. Haltenhoff 1998, S. 221 schreibt etwa: „Der offene Schluß des Werkes stellt dem Leser frei, welches Maß an Plausibilität er jedem der beiden Standpunkte zubilligen möchte.“ Vgl. ähnlich Schofield 2008, S. 81. Zumindest methodisch läuft jedoch alles im ciceronischen Probabilismus zusammen, weshalb auch Leonhardt 1999, S. 35 zu widersprechen ist, wenn er schreibt, dass jeder Teilnehmer bei seiner Meinung bleibe, und wenn er – ähnlich Steinmetz 1990, S. 147 (s. Anm. 571) – sogar eine Opposition zwischen der karneadischen Auffassung des Catulus und einer an Philon orientierten Position Ciceros aufspannt. Eher im Sinne dieser Arbeit argumentieren beispielsweise Görler 1997, S. 37f.; Malaspina 2012, S. 7 sowie Lévy 2010a, S. 60, wenn er der Aussage am Ende aus Rezipientensicht eine einheitsstiftende Absicht bescheinigt und von einer „conciliatory formula which would bring together those who held that the sage gives his assent to opinion and those who denied this“ spricht.

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Schulen die eine Methode des Probabilismus.575 Dass sie für ihn eine gesamtakademische ist, wird sich im Folgenden bei der Untersuchung der Academica posteriora zeigen. 4.3.2 Academica posteriora: Die Einheit der Akademie Nach Fertigstellung der ersten Version seiner akademischen Bücher sah sich Cicero zu einer Überarbeitung veranlasst, deren Ergebnisse der Nachwelt als Academica posteriora bekannt sind. Über Motive und grobe Änderungen wie den Wechsel der Protagonisten, die Ausdehnung auf vier Bücher und das Verfassen neuer Vorreden sind wir informiert,576 jedoch ist nur der erste Teil des ersten Buchs dieser Neubearbeitung zusammenhängend überliefert. Eines der zentralen Themen des Fragments stellt die Frage nach der Einheit der Akademie dar;577 an die Beobachtungen zum Lucullus anknüpfend, soll dieses Problem auch in der folgenden Betrachtung im Mittelpunkt stehen und unter der Perspektive des Denkmusters Analyse–Synthese erörtert werden. Die eine alte philosophische Methode, welche anhand der zuvor betrachteten ersten Fassung entwickelt wurde, wird gleich zu Beginn der späteren Fassung der akademischen Abhandlungen in Erinnerung gerufen. Es gilt, sie in turbulenten Zeiten578 in lateinischer Sprache darzustellen: Sum ingressus res eas quas tecum simul didici mandare monumentis philosophiamque veterem illam a Socrate ortam Latinis litteris illustrare.579 Diese sokratische Philosophie zeichnet sich exakt durch jene Kombination von Skeptizismus und Dogmatismus, durch jene Synthese beider Pole aus, welche bereits im Proömium des Lucullus präsentiert und zudem als Ergebnis der gesamten Diskussion festgehalten wurde. Nach Varro, der hier den Part des Lucullus übernimmt, bestätigt Sokrates einerseits keinerlei Annahmen als gesichert – Hic in omnibus fere sermonibus, qui ab is qui illum audierunt perscripti varie copioseque sunt, ita disputat ut nihil affirmet ipse refellat alios, nihil se scire dicat nisi id ipsum.580 –, andererseits ruft er beständig zum Lob der 575

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Vgl. zu dieser Konvergenz etwa Lévy 2010a, S. 48; Burkert 1965, S. 185 und insbesondere für das Zusammenbringen von Peripatos und Neuer Akademie Weische 1961, S. 68–72. S. auch Anm. 546 und zum Synkretismus im Bereich der Disputationsmethodik Anm. 206 und besonders 367. S. weiterhin Kapitel 8. Vgl. dazu etwa Reid 1984, S. 48–51 und Hunt 1998, S. 10–13. Vgl. Woolf 2015, S. 13f. zur Frage, was genau als neu zu gelten hat und was nur Abänderung ist. Es ist dabei nicht Ziel der Arbeit, die aus Cicero konstruierten hellenistischen Positionen zu beurteilen oder den genauen erkenntnistheoretischen Disput nachzuzeichnen. Hierfür erfolgt wieder an geeigneter Stelle der Verweis auf die Forschungsliteratur. Am Anfang steht eine Zeitklage: Neues aus Rom würde, so in ac. 1,2, nur molestia bringen. S. zu den kulturphilosophischen Aspekten des Proömiums Kapitel 6.2. Ac. 1,3. Ebd., 1,16.

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Tugend als gesichertem Ziel menschlichen Strebens auf: Quae cum diceret constanter et in ea sententia permaneret, omnis eius oratio tantum in virtute laudanda et in hominibus ad virtutis studium cohortandis consumebatur, ut e Socraticorum libris maximeque Platonis intellegi potest.581 Platons Sokrates-Figur vereinigt in sich beide entgegengesetzten Elemente der Dichotomie Zweifel– Glaube und zeigt somit im Kontext der Diskussion um die Einheit der akademischen Methode nicht nur, dass jene Einheit prinzipiell existiert, sondern auch, dass sie seit Beginn des klassischen philosophischen Denkens zur Anwendung kam.582 Cicero interpretiert die Tradition also auch zu Beginn der Academica posteriora für seine Belange und setzt seinen spezifischen Probabilismus als inhaltliche Füllung dieser Synthese fest.583 Allerdings: Der grundlegende Konflikt der zu untersuchenden Partie wird in dieser varronischen Darstellung der Sokrates-Figur bereits offenkundig. Sie ist, wie durch das wohl adversativ zu verstehende quae cum diceret impliziert, durchaus kritisch gemeint und hebt auf die vermeintliche Widersprüchlichkeit der Aussagen des Sokrates ab. Für Varro müssen sich Zweifel und Glaube, hier an die Tugend, demnach zwangsläufig ausschließen, womit auch für die neue Fassung der akademischen Bücher eine der probabilistischen Theorie zuwiderlaufende Oppositionsstellung die Ausgangslage konstituiert, auf der anschließend Varros philosophiegeschichtliche Konstruktion aufbaut, welche das skeptische Element der sokratischen Lehre beiseiteschiebt. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden der Aufbau der Schrift, soweit erhalten, nachgezeichnet werden. Es wird sich zeigen, dass das Denkmuster Analyse‒Synthese auch in der Neufassung wirksam ist und den Gang der Diskussion als Interpretationsvorlage erklären kann. Zuerst wird die Spaltung im siebten Kapitel offenkundig, wo Varro bekennt, der Alten Akademie zugeneigt zu sein, wodurch er unterschwellig auch bekräftigt, dass er mehrere Ausprägungen dieser philosophischen Schule erkennt: Academiam veterem persequemur, quam nos ut scis probamus.584 Erneut und noch expliziter betont wird diese gedankliche Aufspaltung, die auf struktureller Ebene als analytischer Zustand beschrieben werden kann, später, wenn Varro Cicero unterstellt, er habe die Alte Akademie verlassen und sich der Neuen Akademie zuge-

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Ac. 1,16. Philon nimmt später den Wunsch nach einem Zustand der Synthese wieder auf; s. dazu das Weitere. Vgl. auch Nicgorski 2010, S. 206: „Cicero regards his Academic skepticism, with its method of testing the opinions and claims of the other schools and its mixture of selfdenying doubt and practical affirmation, as the authentic Socratic way.“ Vgl. auch ebd., S. 245f. S. für eine ähnlich synthetische Funktion Platons rep. 1,16 und dazu Kapitel 7.2.3. Vgl. weiterhin Nicgorski 1984, S. 572f. Ac. 1,7.

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wandt: „Relictam a te veterem Academiam“ inquit, „tractari autem novam.“585 In den Academica posteriora manifestiert sich die Dichotomie Skeptizismus– Dogmatismus philosophiehistorisch also als Opposition zwischen Alter und Neuer Akademie.586 Cicero ist demnach im Vergleich zur Urfassung an einer Aktualisierung des Stoffes gelegen: Indem er sich nicht in der Auseinandersetzung mit Lucullus als Mittelsmann für Arkesilaos und Karneades im geschichtlich weit 585

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Ac. 1,13. Nach Görler 1995, S. 108f. und Lévy 2010a, S. 51 meint tractare hier ‚behandeln‘ und eben nicht ‚persönlich anhängen‘. Diese Auffassung ist allerdings nicht ganz einsichtig, wird doch ein klarer Gegensatz aufgespannt zwischen Ciceros vorgeblicher alter und seiner aktuellen Auffassung. Zudem: Wenn sich der Begriff Akademie bei Cicero auch auf seine eigene Methodik bezieht, verflüchtigt sich der Unterschied zwischen ‚behandeln‘ und ‚anhängen‘. S. zur Annahme eines (mehrfachen) Schulwechsels Ciceros Anm. 608. Diese Gegenüberstellung beruht auf dem Richtungsstreit zwischen Antiochus, der – s. Kapitel 4.3.1 und auch Anm. 493 – eine dogmatische, stoisch inspirierte Ausrichtung der Akademie vertrat und wohl selbst den Terminus ‚Alte Akademie‘ zur Abgrenzung von den skeptischen Tendenzen und als Ausweis einer Erneuerung im Sinne der Alten ins Spiel brachte, und Philon, der wohl trotz seiner deutlichen Abmilderung der skeptischen Prämissen auf deren Seite stand und dabei – s. auch Anm. 591 – die Einheit der Akademie betonte. Vgl. für Antiochus’ Idee der Stoa als verbesserter Version der akademischen Schule Schofield 2012, S. 241 und für Philons gemäßigten Skeptizismus, der ἐποχή nicht absolut setzt, Lévy 2010b, S. 87. Bett 2010, S. 4f. fasst die Auseinandersetzung zusammen: „The last head of the Academy with any claim to be called sceptical was Philo of Larissa (159/8–84/3 BCE). But instead of maintaining a rigorous suspension of judgement, Philo clearly allows the holding of views; the only requirement is that one hold them tentatively, recognizing that certainty is not to be had and that these views may at some point need to be replaced with others. Philo’s Academic contemporary Antiochus abandoned scepticism altogether, setting up a rival Academy which he claimed to represent the genuine Academic philosophy, the philosophy of Plato, on which, he claimed, both Aristotle and the Stoics agreed in all essentials.“ Vgl. auch Barnes 1989, S. 74f. und Lévy 2010a, S. 40–46. Es handelt sich somit zuvorderst um einen Streit um die traditionsgemäß korrekte Auslegung der akademischen Lehre, wie auch Polito 2012, S. 38 feststellt: „[T]he rivalry in question is a doctrinal one between two conflicting ways of being Academic, not an institutional one between two competing schools.“ Zum Bruch kam es, als Philon seine sogenannten Römischen Bücher veröffentlichte, die Antiochus zu einer Gegenschrift namens Sosus veranlassten. Vgl. für Überlegungen zum Inhalt der römischen Bücher Striker 1997, S. 257–265; Brittain 2001, S. 129–168; Glucker 1978, S. 64–88 und zur Spaltung selbst etwa Barnes 1989, S. 68–78. Vgl. für einen Überblick zum Forschungsstand Fladerer 1996, S. 55–60. Vgl. zudem generell Karamanolis 2006, S. 44–84. Letztlich lässt sich trotz aller gebotener Vorsicht, wie sie auch Tarrant 1985, S. 33 formuliert, der auf die Schwierigkeit hinweist, diese Periode der Akademie philosophiehistorisch korrekt mit der Dichotomie Skeptizismus–Dogmatismus zu beschreiben, mit Haltenhoff 1998, S. 84 für die Struktur des Werks an dieser oppositionellen Anordnung festhalten: Der Streit sei letztlich nur „,Aufhänger‘ für eine prinzipielle Konfrontation von dogmatischer Erkenntnislehre und akademischer Skepsis“.

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zurückliegenden Streit zwischen Stoa und Akademie inszeniert, sondern nun seine eigene Gegenwart vor dem Hintergrund des Streits zwischen seinen eigenen Lehrern Antiochus und Philon verhandelt, betont er die fortwährende Bedeutung einer Bekräftigung seiner synthetischen Methode auch und gerade in den momentanen, unsicheren Zeiten. Zunächst erfolgt auf die zitierte provokante Frage des Varro eine scheinbare Bestätigung der akademischen Spaltung durch Cicero selbst, wenn er die Legitimität seines Wechsels unterstreicht:587 „Quid ergo“ inquam „Antiocho id magis licuerit nostro familiari, remigrare in domum veterem e nova, quam nobis in novam e vetere? Certe enim recentissima quaeque sunt correcta et emendata maxime. […]“

Durch den Ausweis der Neuen Akademie als bessere Variante scheint er sogar die Analyse noch weiter voranzutreiben. Jedoch lässt sich hier schlicht eine besonders schillernde Dynamik des Denkmusters Analyse‒Synthese beobachten: Berücksichtigt man nämlich die Tatsache, dass für den Autor das Neue meist nicht Garant für eine Progression zum idealen Zustand der Einheit ist,588 und erkennt man die scherzhafte Ironie der Frage,589 so ergibt sich ein anderes Bild: Für Cicero ist die Annahme einer Spaltung zu verwerfen.590 Genau deshalb zitiert er direkt im Anschluss die Position des Philon, nach dessen Urteil die Einheit der Akademie herauszustreichen ist: Quamquam Antiochi magister Philo, magnus vir ut tu existimas ipse, negaret in libris, quod coram etiam ex ipso audiebamus, duas Academias esse, erroremque eorum qui ita putarent coarguit.591 Die Analyse, die von 587 588

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Ac. 1,13. Philosophische wie politische Entwicklungen stellen sich in der Realität bei Cicero meist als Belastung dar, da sie oft analytisch wirken. S. beispielhaft die Ausführungen zur Sozialphilosophie in Kapitel 7. Reid 1984, S. 106 erkennt den unernsten Ton in seinem Kommentar nicht. Damit kommt diese Arbeit zu einem anderen Schluss als Woolf 2015, S. 12: „In playfully suggesting that Antiochus is going backwards Cicero can claim to be going forwards […] [which] suggests evolution.“ Ac. 1,13. Wie in Anm. 586 dargestellt, propagiert Philon tatsächlich die Einheit der Akademie; vgl. näher dazu Brittain 2006, S. XXXXVII; Mansfeld 1997, S. 67f.; Glidden 1996, S. 224f.; Burkert 1965, S. 184; Brittain 2001, S. 168–219 und Lévy 2010a, S. 45. Dass es sich dabei um eine Brüche einebnende philosophiegeschichtliche Vereinfachung handelt, erläutern u. a. Glucker 1978; Sedley 1981, S. 67f.; Jürß 1982, S. 512f. und Leonhardt 1999, S. 51, Anm. 161. Eine genaue Aufschlüsselung der philonischen Lehre gestaltet sich schwierig, weil die Hauptquelle wie bei vielen anderen Denkern Cicero selbst ist. Man nimmt generell einen gemäßigten Skeptizismus an und findet verschiedene Zuschreibungen: Sedley 1980, S. 16 spricht von einer „semi-sceptical epistemology“, Tarrant 1985, S. 135 nennt sein Denken „a philosophy of caution rather than of serious doubt“, Frede 1996, S. 20, Anm. 4 erkennt eine Mischung aus negativem Dogmatismus und Fallibilismus, Weische 1961, S. 79–101 beschreibt einen

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Antiochus und Varro ins Werk gesetzt wird, entpuppt sich schon vor Beginn der eigentlichen Diskussion als eine scheinbare. Nachdem Philon hier, ähnlich wie Karneades im Lucullus,592 in seiner synthetischen Funktion – unterstützt durch den Aufbau der Passage – die Spaltung der Akademie eindeutig negiert hat, bewirkt die folgende Gegenthese des Varro formal für das Werk erst das tatsächliche Auseinandertreten der beiden Richtungen, ebenso wie Antiochus, den Varro hier explizit vertritt, historisch verantwortlich ist: „Est“ inquit „ut dicis; sed ignorare te non arbitror quae contra Philonis Antiochus scripserit.“593 Die für Philon und Cicero wirksame Synthese wird so als gefährdet ausgewiesen, zumal aus anderen Zusammenhängen594 bekannt ist, wie sich der Autor realiter auf einsamem Posten hinsichtlich einer gesamtakademischen probabilistischen Methode wähnt. Dieser analytische Ist-Zustand prägt zunächst den Fortgang der erneut dialektisch angelegten Diskussion: Cicero als Sprecher bittet seinen Kontrahenten Varro um die Darstellung der Lehre der Alten Akademie,595 um analog zum Lucullus anschließend darauf reagieren zu können. Varros antiocheische Konstruktion stellt sich dabei als in der Sache übereinstimmende Einheit von Peripatos und Alter Akademie dar, wobei Platon als gemeinsame Quelle dient. Die Lehre distanziert sich dabei explizit von der sokratischen Praxis des Zweifelns – die Hinwendung zum reinen Dogmatismus wird also von Varro in bemerkenswerter Deutlichkeit konstatiert:596 Sed utrique Platonis ubertate completi certam quandam disciplinae formulam composuerunt et eam quidem plenam ac refertam, illam autem Socraticam dubitanter de omnibus rebus et nulla affirmatione adhibita consuetudinem disserendi reliquerunt. Ita facta est, quod minime Socrates probabat, ars quaedam philosophiae et rerum ordo et descriptio disciplinae.

Am Ende stehen zwei verschiedene Konzepte gegeneinander: die dogmatische Ordnung der Welt durch die Schulen des Platon und des Aristoteles, in deren Nachfolge sich auch die Stoa des Zenon einreihen lässt,597 und die skeptische Vor-

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mit Philon einsetzenden Prozess der Formalisierung des Skeptizismus. Glidden 1996, S. 225 betrachtet Philons Position der Mitte als Weiterentwicklung eines ursprünglich rein argumentativ-dialektischen Standpunkts des Karneades; vgl. ähnlich Powell 2007, S. 338: Philons Position sei „a qualified scepticism which allows for the adoption of probable opinions, as long as one realises that they are indeed only opinions and not certainties“. S. dazu Kapitel 4.3.1. Ac. 1,13. S. etwa nat. deor. 1,11. S. ac. 1,14: „Immo vero et ista et totam veterem Academiam, a qua absum tam diu, renovari a te nisi molestum est velim.“ Ebd., 1,17. Nach Varro in ac. 1,35–42 und damit sicherlich nach Antiochus gilt Zenon als Verbesserer – die Sittenlehre wird als im Prinzip kompatibel angesehen – und Erneue-

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gehensweise des Sokrates, die, so muss man in Analogie zum Lucullus wohl ergänzen, Chaos und Verwirrung stiftet und der gewünschten Klarheit zuwiderläuft. Nach Varros Referat der dogmatischen Position, welches sich an den drei Gebieten der Philosophie orientiert,598 wird die Debatte um die beiden Akademien wieder aufgenommen, indem Varro nun in ironischem Tonfall Cicero um die Darstellung der Gegenposition bittet und damit erneut den analytischen Zustand, das discidium, festschreibt:599 Tum Varro „Tuae sunt nunc partes“ inquit „qui ab antiquorum ratione desciscis et ea quae ab Arcesila novata sunt probas, docere quod et qua de causa discidium factum sit, ut videamus satisne ista sit iusta defectio.“

Ähnlich der ersten Fassung kommt Cicero seiner Aufgabe nach600 und erläutert nun zunächst die radikale Gegenposition des Arkesilaos, die in der Konstruktion der Neuen Akademie entspricht: Aufgrund der Unmöglichkeit sicherer Erkenntnis müsse man jeglicher Zustimmung entsagen; schließlich gebe es für jede Sache gleichgewichtige Argumente und Gegenargumente.601 Dabei sieht sich Arkesilaos in der Nachfolge des Sokrates, was jene analytische Situation des Beginns weiter unterstreicht, die ihn in der Oppositionsformation als Gegenspieler zu allen anderen Schulen positioniert.602 Sehr schnell nach diesen ersten Ausführungen unterbricht der Sprecher Cicero allerdings seine Rede, um in einem persönlichen Kommentar erneut sein Unver-

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602

rer – Änderungen betreffen in erster Linie die Erkenntnistheorie – der alten Lehre angesehen. Cicero als Dialogfigur bestätigt dies später in ebd., 1,43 in seiner Rolle als Skeptiker selbst: „Breviter sane minimeque obscure exposita est“ inquam „a te Varro et veteris Academiae ratio et Stoicorum. Horum esse autem arbitror, ut Antiocho nostro familiari placebat, correctionem veteris Academiae potius quam aliquam novam disciplinam putandam.“ Es handelt sich, wie im Lucullus, um Ethik, Naturphilosophie und Erkenntnistheorie; s. Kapitel 4.3.1. Ac. 1,43. Cicero verwendet hierbei für die Spaltung interessanterweise denselben Begriff wie in de orat. 3,61. Vgl. dazu auch Görler 1990a, S. 135f. und ebd., Anm. 33. S. ac. 1,45f.: Omnia latere censebat in occulto neque esse quicquam quod cerni aut intellegi posset; quibus de causis nihil oportere neque profiteri neque affirmare quemquam neque assensione approbare, cohibereque semper et ab omni lapsu continere temeritatem, quae tum esset insignis cum aut falsa aut incognita res approbaretur, neque hoc quicquam esse turpias quam cognitioni et perceptioni assensionem approbationemque praecurrere. Huic rationi quod erat consentaneum faciebat, ut contra omnium sententias disserens de sua plerosque deduceret, ut cum in eadem re paria contrariis in partibus momenta rationum invenirentur facilius ab utraque parte assensio sustineretur. Dies erinnert – s. Kapitel 4.3.1 – an die Konstruktion im Lucullus; vgl. dazu Brittain 2001, 176f.

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ständnis über die Unterscheidung von Neuer und Alter Akademie zu äußern und implizit so deren Einheit zu behaupten:603 Hanc Academiam novam appellant, quae mihi vetus videtur, si quidem Platonem ex illa vetere numeramus, cuius in libris nihil affirmatur et in utramque partem multa disseruntur, de omnibus quaeritur nihil certi dicitur.

Nicht nur distanziert sich Cicero durch die Referenz auf eine dritte Instanz – appellant – von der terminologischen Sonderung, vielmehr unterläuft er die philosophiegeschichtliche Setzung des Varro, wenn er Platon als Urquelle aller weiteren Entwicklungen eben nicht von Sokrates scheidet, sondern als Vertreter der einen Akademie präsentiert. Auf diese Weise wird der analytischen Opposition von platonischem Dogmatismus und sokratischem Skeptizismus eine erste Annäherung im Sinne einer Synthese entgegengesetzt, wird die Spaltung abermals als terminologische Wortklauberei gezeichnet.604 Jedoch ist der Prozess hin zur Einheit noch nicht abgeschlossen, die auf eine Synthese hin gerichtete Dynamik der dialektischen Konfrontation noch nicht zum Ende gelangt. Bislang ist die Einheit der Akademie postuliert, deren semantische Füllung aber nur einseitig erfolgt; denn die einheitliche Lehre in der Tradition von Platon und Sokrates wird bislang lediglich als stark skeptisch geprägt – nihil affirmatur – definiert. Über diesen Kontext ist auch die als Antwort auf Varros anfängliche Attacke zu verstehende Konzession an den Gesprächspartner605 zu erklären, man wolle für den weiteren Verlauf der Debatte – wahrscheinlich zunächst – an der althergebrachten begrifflichen Spaltung festhalten: Sed tamen illa quam exposuisti vetus, haec nova nominetur.606 Leider bricht der Text nach der anschließenden lobenden Erwähnung des Karneades ab, jedoch darf man, wenn man der bisher eingeschlagenen Richtung folgt und eingedenk der Struktur des Lucullus den Verlauf der Diskussion weiterdenkt, davon ausgehen, dass als Fazit nicht nur die Einheit der Akademie zum wiederholten Male bekräftigt, sondern auch ein Dogmatismus und Skeptizismus zusammenblendender Probabilismus als deren einheitliche Methodik bestimmt wird.607 603 604 605 606 607

Ac. 1,46. Vgl. Leonhardt 1999, S. 51, Anm. 161: Dargestellt werde eine „Kontinuität der Akademiegeschichte […], die den mit Arkesilaos eingetretenen Bruch leugnet“. Vgl. auch generell für die Darstellung der Akademie als Einheit Brittain 2001, S. 175– 191. Damit liegt hier sicherlich bezüglich Ciceros und Varros Ausführungen eine FrageAntwort-Struktur zugrunde. Ac. 1,46. Vgl. auch Brittain 2016, S. 25, Anm. 26 und Leonhardt 1999, S. 51f. und 51, Anm. 161 für ähnliche Überlegungen zur Einheit der Akademie auf Grundlage des Endes von De finibus bonorum et malorum. Vgl. daneben Burkert 1965, S. 189. Auch das Proömium von De natura deorum versteht die historische Akademie als eine solche Mischung aus skeptischen und dogmatischen Elementen; s. dazu Kapitel 4.4.1.

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Der Schwerpunkt des kleinen uns erhaltenen Teils unterscheidet sich also in gewisser Hinsicht von dem entsprechenden Part des Lucullus: In geringerem Umfang stehen das Oppositionspaar Zweifel‒Glaube direkt und die ihnen originär zugeordneten Denker Arkesilaos und Antiochus in ihrem historischen Kontext im Fokus, stattdessen wird vermehrt die zeitgeschichtliche Spaltung der Akademie thematisiert, die für Cicero niemals existiert hat und deren aktuelle Tendenzen es im gegenwärtigen Philosophiebetrieb zu bekämpfen gilt.608 Philon, der diese Trennung nicht akzeptiert, fungiert dabei offensichtlich als Figur der Synthese, der gerade nicht ein Auseinanderdriften der Schulen zu verantworten hat, sondern Elemente der Extreme Skeptizismus und Dogmatismus zu vereinen weiß. Wenn so die Opposition zwischen Methoden des Zweifelns und des Glaubens aufgehoben und ihre Manifestation in Neuer und Alter Akademie als philosophiehistorisch unnötiger analytischer Zustand präsentiert wird, treten die Spezifika der ciceronischen Konfiguration hervor: In Auflösung der Dichotomien und mit Blick auf eine methodische Synthese erwächst der ciceronische Probabilismus. Die Academica posteriora verdeutlichen, dass es sich für den Autor um einen akademischen Probabilismus handelt.

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In der Forschung wird dementgegen bisweilen eine gewisse Wechselhaftigkeit Ciceros angenommen und die Konstanz seines erkenntnistheoretischen Standpunkts in Zweifel gezogen. Der Forschungsstreit dreht sich konkret um die Frage, ob Cicero im Laufe seines Lebens seinen erkenntnistheoretischen Standpunkt nicht, ein- oder gar zweimal gewechselt hat, ob er nach einer skeptischen Orientierung in den früheren Jahren in der ersten Schaffensperiode dogmatische Ansätze zeigt, um sich im Spätwerk wieder einem eher skeptischen Philosophieren zuzuwenden. Letztere Auffassung vertreten etwa Glucker 1988 und Steinmetz 1989, S. 13–20. Leichte Tendenzen einer Annäherung an den Skeptizismus philonischer und karneadischer Art in den letzten Jahren sehen z. B. Gawlick/Görler 1994, S. 1089 und Leonhardt 1999, S. 86, prinzipiell betont jedoch Görler – etwa in Görler 1995 – die Konstanz von Ciceros philosophisch-methodischem Standpunkt. Powell 2007, S. 338 erkennt in Anlehnung an Görler und auch Lévy eher einen „shift of focus rather than an actual conversion“, Leonhardt 1999, S. 86 einen „mehr die Oberfläche als die Grundüberzeugung Ciceros“ betreffenden Wandel. Vgl. rekapitulierend ebd., S. 52f. und 81–88 sowie Nicgorski 2016, S. 49f., Anm. 57. Neuerdings sieht Altman 2016 dagegen eine Hinwendung Ciceros zu Platon im Spätwerk; vgl. auch Gildenhard 2013b, S. 261–272 und Lévy 2016a, S. 235. Unter synchroner Perspektive stellt sich die Frage nach einem Schulwechsel Ciceros überhaupt nicht, vielmehr lassen sich, historisch betrachtet, Konvergenzen hinsichtlich einiger Schulen und Lehren beschreiben, wie dies etwa Thorsrud 2009, S. 101 tut, der von einer „synthesis of Sceptical caution and Stoic confidence“ spricht. Vgl. etwa auch Ryan 1982, S. 106: „Cicero was privy through personal and written testimony both to the sceptical tradition within the Academy, that is, the tradition of Arcesilas, Carneades and Philo, as well as to the fundamental break in that tradition, the return to a dogmatic pose, championed in the thought and writings of Antiochus.“ Vgl. ferner Burnyeat 1983, S. 7. S. zur Annahme eines Schwankens Ciceros auch Kapitel 4.5.

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4.4

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Ciceros naturphilosophische Werke: Probabilismus als flexible Methode in der Praxis

Ein Lackmustest für den so definierten akademischen Probabilismus soll nun anhand der interpretatorischen Strukturanalyse der erhaltenen naturphilosophischen Werke, De natura deorum und De divinatione, erfolgen,609 welche beide nach den drei oben erörterten Werken verfasst wurden. Genau wie dort, soll auch hier in erster Linie die ciceronische Methodik beleuchtet werden, wie sie sich in der Spannung zwischen Skeptizismus und Dogmatismus konstituiert, weshalb die Schriften vornehmlich auf ihren Aufbau und ihre Struktur hin untersucht werden, wobei in erster Linie die Buchanfänge und -enden sowie die rekapitulierenden Übergänge zwischen den langen monologischen Partien Aussagen über die Gesamtanlage zulassen. Es wird sich dabei zeigen, dass Cicero seine Methodik ganz ähnlich den akademischen Schriften, die jene direkt thematisieren, reflektiert und an dort gewonnene Ergebnisse anknüpft,610 wobei vor allem die Relevanz für das praktische Philosophieren herausgearbeitet werden kann. Zunächst soll im Folgenden das auch chronologisch erste Werk über das Wesen der Götter betrachtet werden, bevor die Schrift über die Weissagung das Bild abrunden kann. 4.4.1 De natura deorum: Glaubenspraxis durch Philosophieren Ciceros erste naturphilosophische Schrift behandelt die Frage nach der Existenz und dem Wesen der Götter aus der Perspektive konkurrierender philosophischer Schulen.611 Cotta fungiert dabei als Vertreter der Akademie, deren skeptischer Part in Cottas Widerlegung der epikureischen Ansicht im ersten Buch und jener der stoischen Vorstellung im dritten Buch zum Tragen kommt.612 Cicero nimmt über weite Teile der Schrift die Rolle des stillen Zuhörers ein, gibt ganz zum Schluss jedoch eine kontrovers diskutierte613 Wertung zugunsten der stoischen Überzeugung ab, welche direkt die Ausgestaltung der ciceronischen Methodik zwischen Skeptizismus und Dogmatismus betrifft. Die folgende kurze Interpretation entlang Aufbau und Struktur soll versuchen, Antworten auf diese scheinbar überraschende Festlegung Ciceros zu geben und dabei die aus den vorherigen Kapiteln gewonne609

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De fato wird aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes von einer ausführlichen Betrachtung ausgenommen. S. für einige Überlegungen Kapitel 4.4.2 und auch Anm. 729. S. dazu auch die Begründung der Textauswahl in Kapitel 4.1. Graver 2009, S. 124–130 gibt einen Überblick über die gesamte Argumentation. Vgl. zudem Schäublin 1990, S. 88f. für Überlegungen zur Entstehung und zu verschiedenen Fassungen des WerkS. Vgl. generell für Religion bei Cicero Troiani 1984 und für das Verhältnis von Philosophie und Religion in der späten Republik Brunt 1989. Vgl. ausführlich zur Darstellung Cottas Wynne 2014. S. das Ende des Kapitels.

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nen Ergebnisse zu vertiefen. Es wird sich zeigen, dass, nachdem der Probabilismus in Proömium und Hauptteil bestätigt wird, sich in dieser Art des Philosophierens Theorie und Praxis im Bereich der Religion verbinden. Proömium: Bestätigung des akademischen Probabilismus Gleich zu Beginn erfolgt ein ausdrückliches Lob der Akademie, da sie keine unreflektierte, vorschnelle Zustimmung zu umstrittenen und daher unsicheren Sachverhalten begünstigt, wie dies im Besonderen auf das Wesen der Götter zutrifft:614 De qua tam variae sint doctissimorum hominum tamque discrepantes sententiae ut non magno argumento esse debeat, principium philosophiae esse inscientiam, prudenterque Academicos a rebus incertis adsensionem cohibuisse.

Was Cicero unter einer akademischen Haltung versteht, ist von ihm in den beiden Fassungen der akademischen Abhandlungen präsentiert und oben ausführlich erörtert worden: Indem sich der mitten im Leben stehende Philosoph methodisch von beiden extremen Polen distanziert und eine für den Einzelfall adaptive Position der Mitte vertritt, überwindet er die analytische Anlage des als schmerzhaft empfundenen Streits der Schulen.615 Diese zweifache Abgrenzung von sowohl reinem Skeptizismus als auch radikalem Dogmatismus wird mustergültig und pointiert auch im Proömium von De natura deorum vorgeführt. Zunächst warnt Cicero vor vorschnellen Urteilen über ungeprüfte Tatsachen:616 Quid est enim temeritate turpius aut quid tam temerarium tamque indignum sapientis gravitate atque constantia quam aut falsum sentire aut quod non satis explorate perceptum sit et cognitum sine ulla dubitatione defendere?

Wörtlich bekennt der Autor, dass Zweifel unabdingbar für ein sinnvolles methodisches Vorgehen sind. Zumal in einem Bereich, der so stark vom Glauben geprägt ist, wird hier unter skeptischen Vorzeichen die wichtige Mahnung ausgesprochen, dass man Abstand vom Extrem des Dogmatismus nehmen sollte. Jedoch: Dies schließt eben nicht aus, Urteile nach Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu treffen – so ist die Existenz von Göttern wahrscheinlich und darüber hinaus naturgemäß: Velut in hac quaestione plerique, quod maxime veri simile est et quo omnes

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Nat. deor. 1,1. Vgl. textkritisch zur Stelle Dyck 2003, S. 57, dem der Text hier abweichend von der BTL folgt. S. Kapitel 4.2 und v. a. 4.3. Nat. deor. 1,1.

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[…] duce natura venimus, deos esse dixerunt.617 Ebenso wie dogmatische Absolutheit wird also das komplementäre Extrem Skeptizismus ausgeschlossen. In der Wiederholung der Prämissen seiner akademischen Werke wird so eine erneute Bestätigung einer einheitlichen, für Cicero akademisch zu verstehenden Methode an den Anfang eines Werks gesetzt. Die Distanzierung von zwei Extremen stellt somit erneut die Voraussetzung für die ausgewogene Betrachtung eines Themas dar, die demgemäß auf dem Zusammenspiel von Glaube und Zweifel beruht. Um die synthetische Bedeutung dieses Zusammenspiels zu unterstreichen, wird das Instrumentarium einführend an der Frage, ob sich die Götter um Welt und Menschen kümmern, erprobt. Auf der einen Seite steht die These, dass die Götter sich gar nicht um die Belange der Menschen kümmern: Sunt enim philosophi et fuerunt qui omnino nullam habere censerent rerum humanarum procurationem deos.618 Dieser Behauptung entgegnet der Autor, dass Götter notwendige Letztbegründung für pietas, religio sowie generell virtus sind, und leitet ihre Existenz aus Tradition und moralischer Notwendigkeit her.619 Glaube wird auf diese Weise als ein für gesellschaftliches Zusammenleben unentbehrliches Element, welches speziell auf Gerechtigkeit fußt,620 dargestellt: Atque haut scio an pietate adversus deos sublata fides etiam et societas generis humani et una excellentissuma virtus iustitia tollatur.621 Mit dieser Kritik wird also dogmatischer Atheismus verurteilt und gerade dadurch ex negativo aufrechter, entschiedener Glaube gestärkt. Interessant stellt sich dabei die Überblendung von dogmatischer Überzeugung, also methodischem Glauben, und theologisch motivierter Annahme der Existenz von Göttern, also religiösem Glauben, dar. Beide Phänomene treffen sich in der Semantik des Begriffs fides, der somit erneut als geeignet erscheint, den ciceronischen Dogmatismusbegriff beschreiben zu können.622 Glaube wird

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Nat. deor. 1,2. Nitschke 2007, S. 125 betrachtet die Existenz der Götter als Voraussetzung für Ciceros Erkenntnistheorie: So sei das „Kriterium einer metaphysischen Dimension erkenntnisleitend für die Durchdringung der materialen Welt des Menschen“. Nat. deor. 1,3. Dies entspricht der epikureischen Lehre. Vgl. zur Abwertung der Epikureer im Proöm Schäublin 1990, S. 93. S. zur Behandlung Epikurs bei Cicero v. a. die Ausführungen in Kapitel 6. S. vergleichend auch die Argumentation in De divinatione und dazu Kapitel 4.4.2. Dies ist ein interessanter Querverweis zu Ciceros Konzept in De re publica: s. dazu ausführlich Kapitel 7. Nat. deor. 1,4. Vgl. dazu auch Görler 1974, S. 152, der die Unterscheidung von Skepsis und Glauben nicht ausschließlich negativ beschreibt: „Es tritt auch ein positives Element hinzu: das warme, oft begeisterte Bekenntnis.“ Dies zeige sich nicht zuletzt an „einige[n] Stellen, an denen nicht nur der Glaube an eine bestimmte Ansicht bekannt wird, sondern auch die feste Entschlossenheit, gegen alle Anfechtungen an diesem Glauben festzuhalten“. S. zum Terminus fides Kapitel 4.3.1 sowie Anm. 458 und 459.

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letztlich sowohl als notwendiger Bestandteil der Dichotomie Zweifel‒Glaube und damit Element der probabilistischen Synthese als auch praktische Bedingung sinnvoller gesellschaftsstabilisierender623 Religionsausübung beschrieben. Auf der anderen Seite wird häufig die These vertreten, die Götter kümmerten sich, quasi als Teil eines deterministischen Begründungszusammenhangs, um sämtliche Belange von Welt und Menschen:624 Sunt autem alii philosophi, et hi quidem magni atque nobiles, qui deorum mente atque ratione omnem mundum administrari et regi censeant, neque vero id solum, sed etiam ab isdem hominum vitae consuli et provideri.

Auch dieser Argumentation kann Cicero in ihrer Reinform nichts abgewinnen, weshalb er Karneades’ Beweisführungen als Argument anführt: Contra quos Carneades ita multa disseruit, ut excitaret homines non socordes ad veri investigandi cupiditatem.625 Auch Zweifel wird damit als für die Wahrheitssuche notwendiger methodischer Bestandteil dargestellt, indem skeptische Einwände gegen eine völlige Fremdbestimmung stark gemacht werden.626 Es wird auch für De natura deorum offenbar: Beide Elemente, Dogmatismus und Skeptizismus, sind, ganz der akademischen Theorie Ciceros entsprechend, nicht analytisch getrennt; die akademische Methode wird ebenso hier paradigmatisch als Kombination von Glaube und Zweifel betrachtet. Erkennbar wird an dieser Stelle damit die Eignung der ciceronischen Methodik für die Debatte um das Wesen der Götter postuliert. Angesichts der Deutlichkeit dieses Bekenntnisses zur Akademie verwundert das Erstaunen mancher Leser:627 Multis etiam sensi mirabile videri eam nobis potissimum probatam esse philosophiam, quae lucem eriperet et quasi noctem quandam rebus offunderet, desertaeque disciplinae et iam pridem relictae patrocinium necopinatum a nobis esse susceptum.

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S. dazu näher das Weitere und Kapitel 4.4.2. Nat. deor. 1,4. Ebd. Vgl. zur Stelle auch Classen 2010, S. 196. Einigermaßen paradox mag nach dem Anführen des Karneades als Autorität die Bestärkung des Elements Zweifel durch die Kritik an Autoritätshörigkeit kurz darauf in nat. deor. 1,10 wirken: Qui autem requirunt, quid quaque de re ipsi sentiamus, curiosius id faciunt, quam necesse est; non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Man könnte die Bezugnahme auf Karneades lediglich als Verweis begreifen und zudem davon ausgehen, dass eine methodische Position kein dogmatisches Meinen darstellt, sondern eher ein grobes Feld absteckt. Vielmehr zeigt sich jedoch, dass in Ciceros Werken der konkreten Funktion eines Textelements im Struktursystem größere Bedeutung zukommt als der übergreifenden Konsistenz; s. auch Kapitel 2.3.3 und auch Anm. 956. Nat. deor. 1,6.

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Cicero habe sich nach deren Auffassung gerade der philosophischen Richtung, zumal einer veralteten, angeschlossen, welche die Dinge ihrer Klarheit beraubt, indem sie für gesichert gehaltenen Meinungen die Zustimmung verweigert628 – ein Vorwurf, der auf die Kritik des Lucullus an Cicero rekurriert.629 Folgerichtig wird dieser Art der Kritik gegen Ende der Vorrede unter Verweis auf die akademischen Bücher entgegengehalten, dass es sich um eine traditionsreiche, seit Sokrates bestehende einheitliche Form der akademischen Auseinandersetzung handelt, die im Interesse der Wahrheitsfindung, veri reperiendi causa,630 steht: Ut haec in philosophia ratio contra omnia disserendi nullamque rem aperte iudicandi profecta a Socrate repetita ab Arcesila confirmata a Carneade usque ad nostram viguit aetatem.631 Wie in den Academica posteriora wird an dieser Stelle also die geeignete Methodik als eine universell akademische ausgewiesen, die Elemente des Skeptizismus, wie etwa das Reden gegen alle anderen, und des Dogmatismus, wie etwa die explizite Annahme einer Wahrheit, verbinden kann.632 Auch mit der Fokussierung der Praxisorientierung im naturphilosophischen Werk greift der Autor so seine bisherigen Ausführungen, gerade die der Tusculanae disputationes, wieder auf. Schließlich ist, wie beschrieben, der Zielpunkt der akademisch verstandenen Debatte für und gegen die Überzeugungen der einzelnen Schulen gerade nicht völlige Wertfreiheit; vielmehr dient sie der Wahrheitsfindung: Quod facere is necesse est quibus propositum est veri reperiendi causa et contra omnes philosophos et pro omnibus dicere.633 Man sieht: Es existiert selbstverständlich ein Maßstab, der akademische Weise folgt auch auf dem Feld der Theologie durchaus manchen für wahrscheinlich erachteten Dingen – was im Interesse einer Festigung der synthetischen Vorgehensweise trotz der ausführlichen Darstellung in den akademischen Büchern634 wiederholt werden muss:635

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S. Kapitel 4.3.1 und auch Anm. 503. S. ac. 2,32 und 59 und dazu Kapitel 4.3.1. Nat. deor. 1,11. Ebd. Dieses Bewusstsein befähigt auch zu einem in der Praxis adäquaten Umgang mit Kritik, wie ebd., 1,5 zeigt: Qua quidem in causa et benivolos obiurgatores placare et invidos vituperatores confutare possumus, ut alteros reprehendisse paeniteat, alteri didicisse se gaudeant; nam qui admonent amice docendi sunt, qui inimice insectantur repellendi. Vgl. dazu auch Görler 1990a, S. 135, Anm. 31. Damit ist Knuutila/Sihvola 2000, S. 126 zu widersprechen, die das Proöm als überwiegend skeptisch geprägt betrachten. Nat. deor. 1,11. S. dazu Kapitel 4.3. Nat. deor. 1,12.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens Nec tamen fieri potest ut qui hac ratione philosophentur hi nihil habeant quod sequantur. Dictum est omnino de hac re alio loco diligentius, sed quia nimis indociles quidam tardique sunt admonendi videntur saepius. Non enim sumus i quibus nihil verum esse videatur, sed i qui omnibus veris falsa quaedam adiuncta esse dicamus tanta similitudine ut in is nulla insit certa iudicandi et adsentiendi nota.

Den Dogmatiker und einen probabilistisch agierenden Philosophen wie Cicero unterscheidet, dass letzterer Entscheidungskriterien für Wahres und Falsches für unsicher hält, ohne dass er auf ihn im Alltag leitende Eindrücke verzichten muss. Und so schlussfolgert der Autor als Quintessenz: Ex quo exsistit et illud, multa esse probabilia, quae quamquam non perciperentur, tamen, quia visum quendam haberent insignem et inlustrem, his sapientis vita regeretur.636 Idealtypisch wird hier gezeigt, wie synthetisches Denken zu besserer Orientierung im Leben führt, zumal die Entscheidungsfreiheit des Individuums, das nicht an einer wie auch immer gearteten Autorität637 festhalten muss, gefördert wird, wie Cicero als Dialogfigur selbst im letzten einleitenden Satz zum Ausdruck bringt:638 Quid didicerimus Cotta viderit, tu autem nolo existimes me adiutorem huic venisse sed auditorem, et quidem aecum, libero iudicio, nulla eius modi adstrictum necessitate, ut mihi velim nolim sit certa quaedam tuenda sententia.

Und so steht am Ende des Proöms und damit zugleich am Beginn der im weiteren Sinne theologischen Schriften in auffälliger Konsistenz mit den Vorgängerwerken die Verquickung von systematischer und persönlicher Ebene, in deren Übereinanderblendung aus der Theorie heraus praktische Relevanz entsteht. Diese Gedanken, in der Vorrede bereits etabliert, werden auch für den Hauptteil von De natura deorum relevant bleiben, jedoch, wie im Lucullus auf philosophiegeschichtlicher, hier nun auf systematischer Ebene als unausgeglichene Spannung in der Hauptfigur Cotta herausgefordert werden.639

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Nat. deor. 1,12. S. dazu auch die oben in Anm. 626 zitierte Stelle in nat. deor. 1,10 sowie unten Kapitel 4.4.2. Nat. deor. 1,17. Im Lucullus und in den Academica posteriora konnte eine ähnliche Spannung in der Figur Cicero bekanntlich aufgelöst werden; s. Kapitel 4.3.

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Hauptteil: Verbindung von Skeptizismus und Dogmatismus als systematisches Desiderat Das Gespräch ist bereits im Gange, als die Dialogfigur Cicero dazustößt.640 Man erklärt dem neuen Gast sodann das geplante Vorgehen einer Disputation nach allen Seiten hin. Ab diesem Punkt wird Cicero in erster Linie die Funktion des stillen Beobachters einnehmen, während als Protagonisten und Diskutanten Velleius, Balbus und Cotta auftreten. Im Hauptteil des ersten Buchs vertritt Velleius die Lehre Epikurs, welche anschließend von pontifex Cotta in der Funktion des skeptischen Akademikers widerlegt wird.641 Dass ihm dabei an einer dezidiert skeptischen Entgegnung gelegen ist, kündigt Cotta im akademischen Sinne direkt nach den Ausführungen des Velleius an:642 Mihi enim non tam facile in mentem venire solet quare verum sit aliquid quam quare falsum; idque cum saepe tum cum te audirem paulo ante contigit. Roges me qualem naturam deorum esse dicam: nihil fortasse respondeam; quaeras putemne talem esse qualis modo a te sit exposita: nihil dicam mihi videri minus.

Er will sich gerade nicht selbst zu einer bestimmten Überzeugung vom Wesen der Götter bekennen,643 sondern nur gegen die epikureische Meinung des Velleius argumentieren – Cotta verhält sich an dieser Stelle also wie ein radikaler Skeptiker.644 Nach der ziemlich rigorosen Abfertigung der epikureischen Lehre645 beginnt das zweite Buch mit einem kurzen methodischen Zwischenspiel, in dem erneut die Spannung zwischen Dogmatismus und Skeptizismus verhandelt wird – hier, wie sie sich in der Figur des Cotta darstellt. Balbus nämlich spielt Cottas Funktion als Priester gegen dessen philosophische Methodik aus und empfiehlt im Gegenzug klare Vorstellungen, wie sie nur die Stoa vertritt: Est enim et philosophi et ponti640

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Woolf 2015, S. 38 betont diesen Einstieg in ein bereits laufendes Gespräch und sieht es als Hinweis auf die Offenheit und Vielgestaltigkeit der Diskussion: „Cicero’s necessarily finite written work thus points beyond itself to the open-endedness of philosophical debate.“ Vgl. für einen Überblick über die Argumentation im ersten Buch z. B. Fott 2012, S. 159–163; Woolf 2015, S. 37–48 und Classen 2010. Schäublin 1990, S. 94–101 liest Cottas Rede als Gerichtsplädoyer. Nat. deor. 1,57. Tatsächlich, so Long 1990, S. 280f. wird die Existenz von Göttern im Skeptizismus zumeist weder bestätigt noch geleugnet. S. ähnlich nat. deor. 1,60: Sed Simoniden arbitror (non enim poeta solum suavis verum etiam ceteroqui doctus sapiensque traditur), quia multa venirent in mentem acuta atque subtilia, dubitantem quid eorum esset verissimum desperasse omnem veritatem. Hier wird auch jeglicher Spekulation bezüglich einer Wahrheit eine Absage erteilt und dabei Simonides von Keos als Vorbild genannt. S. dafür auch Kapitel 6 und speziell Anm. 875.

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ficis et Cottae de dis inmortalibus habere non errantem et vagam ut Academici sed ut nostri stabilem certamque sententiam.646 Cotta, dieser Spannung bewusst, reagiert mit einem Verweis auf seine skeptische Rolle, die er im Werk einnimmt: „An“ inquit „oblitus es quid initio dixerim, facilius me, talibus praesertim de rebus, quid non sentirem quam quid sentirem posse dicere? […]“647 Dabei deutet er auf sein Bekenntnis in der Mitte des ersten Buchs, sich als philosophischer Skeptiker jeglicher positiver Zustimmung enthalten zu wollen.648 Schon an dieser Stelle wird also die besondere Situation von Cottas Doppelfunktion thematisiert, manifestiert sich in seiner Person doch eine Spannung zwischen den Elementen Dogmatismus, repräsentiert durch seine Funktion als Priester, und Skeptizismus, wie es sein philosophisch-methodisches Selbstverständnis zeigt.649 Beide textuellen Strukturelemente stehen dabei in nicht aufgelöster Opposition analytisch zueinander, eine mögliche Vereinbarkeit wird nicht angedeutet. Ohne eine Lösung des analytischen Nebeneinanders wird daraufhin Balbus gebeten, die Lehre der Stoa darzustellen; diesem Vorschlag kommt er im Anschluss ausführlich nach. Erst nach seiner erschöpfenden Präsentation der stoischen Göttervorstellung wird die zu Beginn des zweiten Buches zementierte analytische Situation an dessen Ende wieder aufgegriffen; sie mündet erneut in einen Angriff des Sprechers Balbus:650 Tu autem Cotta si me audias eandem causam agas teque et principem civem et pontificem esse cogites et, quoniam in utramque partem vobis licet disputare, hanc potius sumas eamque facultatem disserendi, quam tibi a rhetoricis exercitationibus acceptam amplificavit Academia, potius huc conferas. Mala enim et impia consuetudo est contra deos disputandi, sive ex animo id fit sive simulate.

Balbus nimmt dabei die zu Beginn des Buchs geäußerte Kritik an Cotta wieder auf und trägt sie in deutlich verschärftem Tonfall vor, bezichtigt dessen Methodik gar als mala et impia consuetudo und damit – ganz ähnlich Lucullus gegenüber Cicero im Lucullus651 – geradezu als blasphemische und verantwortungslose Haltung, 646 647 648 649

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Nat. deor. 2,2. Auch der Cicero des Proöms wird in diese Kritik eingeschlossen. Ebd. S. die oben zitierte Stelle ebd., 1,57. Vgl. für diese Doppelrolle des Cotta u. a. Schäublin 1990, S. 91; Knuutila/Sihvola 2000, S. 137f. und Graver 2009, S. 128. Beard 1986, S. 42 expliziert die ambige Funktion Cottas näher: „The fundamental contradiction of his role is plain: Cotta, the pontifex and representative of Roman state religion, takes a radically sceptical stance on the nature of the gods and, paradoxically, mounts a particular attack on the principles of Stoicism ‒ the one ancient philosophical system that we now perceive to have been relatively easily compatible with the traditional symbolic inheritance of Roman religion.“ Dieser Eindruck von der Stoa entsteht natürlich auch, weil Balbus oft unkritisch als Quelle für die Stoa herangezogen wird. Nat. deor. 2,168. S. ac. 2,32 und 59 und dazu Kapitel 4.3.1.

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was gerade Cottas Funktion als pontifex diametral entgegensteht. Demgegenüber wirbt er abermals für die gottgefällige Position der Stoa, womit die Analyse nicht nur in Cotta selbst stärker hervortritt, sondern auch zwischen dem dogmatischen System der Stoa und der skeptisch verstandenen Methode der Akademie endgültig etabliert wird. Die Getrenntheit und scheinbar unversöhnliche Opposition erreichen damit in den letzten Worten des zweiten Buchs einen vorläufigen Höhepunkt, Anfang und Ende bekräftigen in ringkompositorischer Verstärkung die analytische Komposition, welche den im Proöm entwickelten Gedanken – auch hier sicherlich in Analogie zum Lucullus652 – zuwiderläuft. Zu Beginn des dritten Buches, nach einer erneuten Klassifizierung der epikureischen Lehre als unstimmig,653 reagiert Cotta auf den harschen Vorwurf des Balbus: Im Gegensatz zu seiner letzten Rechtfertigung führt er hier allerdings nicht seine Rolle als Vertreter des philosophischen Skeptizismus ins Feld, sondern verteidigt als pietätvoller Vertreter seines Priesteramts das römische Brauchtum:654 Quod eo credo valebat, ut opiniones, quas a maioribus accepimus de dis immortalibus, sacra caerimonias religionesque defenderem. Ego vero eas defendam semper semperque defendi, nec me ex ea opinione, quam a maioribus accepi de cultu deorum inmortalium, ullius umquam oratio aut docti aut indocti movebit.

Nicht die methodische Haltung des Skeptikers, sondern der dogmatisch zu verstehende, traditionelle Glaube des pontifex bildet also hier die Argumentationsgrundlage. Cotta selbst verweist im Zusammenhang auf seine Doppelrolle: Non enim mediocriter moveor auctoritate tua Balbe orationeque ea quae me in perorando cohortabatur ut meminissem me et Cottam esse et pontificem.655 Beide Modi sind also in der Person des Cotta präsent, jedoch klar voneinander getrennt: Der Priester darf und muss glauben, der Philosoph hingegen zweifelt im Reflexionsprozess regelmäßig und argumentiert auf der Basis von Vernunftgründen – was Cotta bei Balbus offenbar vermisst:656 Habes Balbe quid Cotta quid pontifex sentiat; fac nunc ego intellegam tu quid sentias; a te enim philosopho rationem accipere debeo religionis, maioribus autem nostris etiam nulla ratione reddita credere.

Die Analyse bleibt somit jedoch auch formal bestehen: Auf der einen Seite steht der sich als skeptischer Philosoph verstehende Privatmann Cotta, der die ratio, den Verstand, als Richtschnur für sein Handeln betrachtet, auf der anderen Seite der

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S. hierzu die Ausführungen zu Proömium und Hauptteil des Lucullus in Kapitel 4.3.1. S. nat. deor. 3,4. Ebd., 3,5. Ebd. Ebd., 3,6.

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pontifex Cotta, der im Glauben an die Tradition, an den mos maiorum,657 Entscheidungen trifft.658 Insgesamt entsprechen sich so die methodische Ebene mit ihren Polen Dogmatismus und Skeptizismus und die inhaltliche Problemlage, die zwischen den Elementen Erfahrung und Vernunft zu verorten ist.659 Die Opposition zwischen Vernunft und Erfahrung oder auch von Verstand und Autorität der Vorfahren bildet somit einen Avatar der grundlegenden Dichotomie Zweifel‒Glaube.660 Deutlich wird dies anschließend bei der erneut im Zentrum stehenden Frage nach der Existenz von Göttern: Als Priester ist Cotta, auch ganz persönlich, fest überzeugt von deren Existenz und beruft sich dabei auf die Autorität der Vorfahren: Si id est primum, quod inter omnis nisi admodum impios convenit, mihi quidem ex animo exuri non potest, esse deos, id tamen ipsum, quod mihi persuasum est auctoritate maiorum, cur ita sit nihil tu me doces.661 Dennoch möchte er, zu Balbus’ Erstaunen, als zweifelnder Philosoph quasi in der sokratisch-ironischen Rolle eines ungebildeten und unvoreingenommenen Schülers mithilfe rationaler Argumente überzeugt werden:662 Quia sic adgredior […] ad hanc disputationem, quasi nihil umquam audierim de dis immortalibus, nihil cogitaverim; rudem me et integrum discipulum accipe et ea quae requiro doce.

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Vgl. zur Rolle der maiores im Werk Cairo 2015, S. 226–230. S. generell zum mos maiorum Anm. 820. Schäublin 1990, S. 91f. erläutert die in Cotta manifeste personalisierte Spannung. Cotta sei, so ebd., S. 92, „auf Erhaltung des Bewährten bedacht wie in aufklärerischem Entlarven geübt“, was für Schäublin einer Zusammensetzung aus römischen und griechischen Elementen entspricht. Vgl. zum Thema auch Harris 1961, S. 32f. S. zuvor Anm. 649. Schäublin 1990, S. 91 fasst nach der Feststellung, dass „der Dialog geradezu von der Spannung zwischen Skepsis und einer fast unerschütterlichen Überzeugung“ lebt, mustergültig zusammen: „Die Skepsis ist gleichsam methodisch und erkenntniskritisch bedingt und richtet sich gegen die Möglichkeit, aufgrund philosophischen Argumentierens zu begründeten Aussagen über Existenz und Wesen der Götter zu gelangen. Die Überzeugung dagegen leitet sich aus der unbestrittenen Erfahrung ab, dass die menschliche Gesellschaft und zumal jeder auf Gerechtigkeit und Dauer bedachte Staat der religio, des Kultus, bedürfen.“ S. dazu ausführlich das Folgende. Nat. deor. 3,7. Vgl. auch Cairo 2015, S. 230: „[E]l académico Cotta afirma la existencia de los dioses y la importancia de su culto no como una concesión a la argumentación de los estoicos, sino como un reconocimiento a la auctoritas de los ancestros, que trasciende los tiempos y las escuelas filosóficas.“ S. zur Dichotomie Vergangenheit‒ Gegenwart v. a. Kapitel 6. Nat. deor. 3,7. Hier lässt sich die doppelte Rolle Cottas besonders gut beobachten: Er ist bald vernünftiger Skeptiker und bald erfahrungs- und autoritätsgeleiteter Priester.

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Die Dichotomie Skeptizismus‒Dogmatismus stellt sich hier, so darf man schlussfolgern, auf inhaltlicher Ebene konkret als Opposition von Vernunft und Erfahrung dar: Während der rationalen Herangehensweise das ständige Potenzial, aufgrund von Vernunftgründen widerlegt zu werden,663 innewohnt, vertraut der Traditionalismus auf die eigene Glaubenserfahrung664 wie auch auf jene der Vorfahren. Beide Stränge kommen zu ihrem Recht, beide sollten im Sinne einer Synthese, einer Überwindung der konkreten Opposition, zusammenwirken, jedoch bleibt auch hier noch unklar, wie sich eine solche Aufhebung der analytischen Konfiguration darstellen könnte.665 Es scheint so, als könnten nach der optimistischen Bekräftigung der synthetischen Theorie im Proöm der Schrift die Protagonisten – trotz der Bereitschaft gerade Cottas – selbst nicht aus sich heraus einigend handeln und die beiden extremen Pole überbrücken. Cottas Methodik kann so nicht im Sinne des Proöms als probabilistisch gelten, weil ihm keine aktive Verbindung von Skeptizismus und Dogmatismus gelingt und beide Rollen bei ihm unverbunden nebeneinander stehen bleiben. Im Hauptteil des dritten Buches nimmt Cotta so konsequenterweise gegen die Stoa erneut seine radikalskeptische Rolle ein, was Balbus am Ende des Buchs als unmäßig und – erneut – frevelhaft beurteilt, gerade wo doch eine so große Übereinstimmung zwischen der Stoa und Cottas Ansicht als Priester herrsche:666 Vehementius […] Cotta tu quidem invectus es in eam Stoicorum rationem quae de providentia deorum ab illis sanctissume et prudentissume constituta est. Sed quoniam advesperascit, dabis nobis diem aliquem ut contra ista dicamus. Est enim mihi tecum pro aris et focis certamen et pro deorum templis atque delubris proque urbis muris, quos vos pontifices sanctos esse dicitis diligentiusque urbem religione quam ipsis moenibus cingitis; quae deseri a me, dum quidem spirare potero, nefas iudico.

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S. dazu auch nat. deor. 3,95: Facile me a te vinci posse certo scio. Vgl. auch Schäublin 1990, S. 91. Görler 1974, S. 154–171 beschreibt den Konflikt zwischen auctoritas und ratio im Rahmen seines Stufenmodells: Es seien zwei entgegenwirkende Kräfte, die Cicero beide zu ihrem Recht kommen lasse. Hierbei ist allerdings nicht ganz einsichtig, wieso er ebd., S. 176–179 und 185–197 den Zweifel als Gegner der Vernunft darstellt und den Bereich des Verstandes ebd., S. 206 ausschließlich auf die Ebene des Beweisbaren beschränkt. In dieser Arbeit wird demgegenüber die These vertreten, dass Vernunft und Zweifel auf der einen Seite und Erfahrung oder Tradition und Glaube auf der anderen Seite korrespondieren. Auch Woolf 2015, S. 57–60 sieht diese Spannung zwischen Tradition und Vernunft und erkennt ebd., S. 58 deren teilweise Inkompatibilität: „Reason and authority must co-exist, if at times uneasily.“ Ebenso beschreiben Knuutila/ Sihvola 2000, S. 138 für Cotta das Ideal einer „combination of philosophical agnosticcism and everyday piety“. Es stellt sich die Frage nach der Möglichkeit seiner Erfüllung. Nat. deor. 3,94.

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Die Trennung von Dogmatismus und Skeptizismus im Rahmen zweier völlig unterschiedlicher Betrachtungsweisen der Welt muss zwangsläufig scheitern, erzeugt sie doch nicht nur in systematischer Hinsicht Aporie – insofern Pro und Contra nicht zur Synthese führen, sondern ins Leere oder in die unendliche Wiederholung laufen –, sondern führt auch auf persönlicher Ebene zu gegenseitigen Vorwürfen im Zeichen analytischer Uneinigkeit – erkennbar an den wiederholten entrüsteten Äußerungen des Balbus. Falls sich die beiden Elemente, wie sich konkret an Cottas internem Gegensatz zwischen traditionsorientierter Erfahrung und vernunftbasierter Debatte zeigt, nicht vereinen lassen, wenn die beiden Modi des iudicare und des disserere667 nicht kompatibel, sondern hierarchisch angeordnet werden, bleibt die Trennung von Dogmatismus und Skeptizismus bestehen. Eine befruchtende Synthese im Sinne von Ciceros probabilistischer Theorie, wie sie noch in der Vorrede präsentiert wird, bleibt auf diese Weise zunächst ein Desiderat. Schluss: Verbindung von Theorie und Praxis durch probabilistisches Philosophieren Jedoch liegt gerade in der Tatsache, dass beide Strömungen in der Figur des Cotta angelegt sind, das Potenzial für ihre Verbindung bereits begründet, sodass mehr als nur der vorexerzierte Wechsel von dogmatischer Behauptung und skeptischer Entgegnung möglich wird, wie er in Cottas Andeutung am Ende gedanklich fortgeschrieben wird: Facile me a te vinci posse certe scio.668 Schließlich zeigt die Anlage des Gesamtwerks durchaus die von Cicero etablierte Methode der Abgrenzung von zwei entgegengesetzten Polen im Sinne ihrer Synthese, wenn weder die dogmatischen Extreme des Atheismus bei Epikur und des Aberglaubens bei der Stoa noch die absolute skeptische Widerlegung und Enthaltung einen wirklichen Sieg davontragen, wenngleich die stoische dogmatische Position im relativen Betrachtungsrahmen669 überzeugender als die epikureische erscheint.670

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Nat. deor. 3,95. Ebd. Vgl. dazu auch Nitschke 2007, S. 130: „Wahrscheinlichkeitsdenken ist […] ein Denken in angemessenen Relationen (der Dinge).“ Die Abgrenzung von Atheismus und Aberglaube erkennt schon Henry 1925, S. 54f. Ebd., S. 45 stellt sie hinsichtlich der Gesamtanlage von De natura deorum eine Favorisierung der Stoa heraus: „[The] net result of the whole study is that Cicero found the balance of probability to be in favor of the Stoics.“ S. weiterhin das Folgende.

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In diesem Zusammenhang kommt dem viel diskutierten671 letzten Satz des Werks entscheidende Bedeutung zu, weil er eine überraschend unvermittelte Positionierung der Dialogfigur Cicero zugunsten der stoischen Lehre enthält: Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior.672 Cicero erscheint hier ganz am Ende der Schrift als Deus ex machina, der – gewissermaßen auf einer höheren Ebene – als impliziter Anwender der probabilistischen Theorie eine Entscheidung nach Wahrscheinlichkeitskriterien herbeiführt. Als Beobachter von Rede und Gegenrede und klar in Abgrenzung zu Velleius, dessen Votum für Cotta auf einem absoluten und daher dogmatischen Wahrheitsbegriff – verior – basiert, wird Ciceros nur relativ zu verstehende Entscheidung (ad veritatis similitudinem propensior) auf Basis von Wahrscheinlichkeit getroffen673 und zielt auf das durch Kombination von Dogmatismus und Skeptizismus ermittelte probabile ab, das per se weder sicher ist noch auf skeptischer Grundlage völlig ausgeschlossen werden kann.674 Auf diese Weise positioniert sich Cicero auch explizit nicht gegen die Akademie und ihren Vertreter Cotta,675 sondern nur gegen dessen einseitige skeptische Rolle im Werk, und wendet sich zudem, interpretativ weitergedacht, gegen die weitgehend nicht eingebundene und damit isolierte dogmatische Komponente der Priesterrolle. Vielmehr tritt er als überparteilicher Richter auf, der die akademische Freiheit besitzt, dem jeweils Wahrscheinlichen zuzustimmen, womit er das Theorem des Proömiums bestätigt.676 671 672

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Vgl. für einen Forschungsüberblick Fott 2012, S. 155–158 und Taran 1987. Für Powell 2007, S. 342 ist der Satz weiterhin rätselhaft und klärungsbedürftig. Nat. deor. 3,95. Vgl. zu Ciceros Favorisierung der stoischen Vorstellung am Ende des Werks u. a. Fott 2012, S. 154f.; Leonhardt 1999, S. 37f.; Douglas 1995, S. 214 und Schäublin 1990, S. 90f. Cooper 2004b macht auf Grund der deutlichen Parteinahme insgesamt Ciceros dogmatische Seite stark. Vgl. dazu Gawlick 1956, S. 21: „Das Wahre ist so verborgen wie am Anfang, jedoch ist das Wahrscheinliche bei einer der drei auftretenden Positionen sichtbar geworden, nämlich bei der stoischen.“ Vgl. ebenso Leonhardt 1999, S. 64; Henry 1925, S. 55 sowie Schäublin 1990, S. 91–93. Es geht bei der Entscheidung am Ende also nicht um die Methodik und Schulangehörigkeit, sondern nur darum, ob die antistoische Position des Cotta oder das stoische Konzept des Balbus als wahrscheinlicher gelten kann; vgl. auch DeFilippo 2000, S. 173. Die erwünschte Wirkung beim Leser wird im Nachfolgewerk De divinatione thematisiert; s. dazu Kapitel 4.4.2. Dies betont Woolf 2015, S. 61f. wobei er außer Acht lässt, dass Cicero und Cotta nicht die gleiche Auffassung einer wirklich akademischen Vorgehensweise teilen. S. nat. deor. 1,10 und dazu oben. Vgl. auch die Argumentation bei Lévy 2010a, S. 61: „Not only does Cicero in that dialogue remain within the realm of the probabile, but he also shows that the critical vocation of philosophy which he advocates is not limited by any solidarity with a particular school, and this is precisely the thesis he announced at the start of the work.“ Schon Pease 1913, S. 37 betont die akademische Freiheit, auf die sich Cicero hier beruft: „The formal assent to Stoic principles which he gives in the

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Wie ist das probabile nun inhaltlich gefüllt? Im Kern entspricht es einer stoisch inspirierten Kosmologie der universalen Verbundenheit der Dinge, die auf struktureller Ebene dem ciceronischen Synthesestreben entgegenkommt und einer idealen übergeordneten, natürlichen Einheit entspricht:677 Quaeque in medium locum mundi, qui est infimus, et quae a medio in superum quaeque conversione rutunda circum medium feruntur, ea continentem mundi efficiunt unamque naturam.

Entscheidend aus struktureller Sicht ist dabei, dass erst durch dieses Bekenntnis Ciceros zu einer bestimmten kosmologischen Vorstellung, durch die Etablierung der synthetischen Methode von außen, etwas Neues hinzutritt, das bei Cotta fehlt: In der methodischen Verbindung von Glaube, der hier als fides sowohl methodisch als auch theologisch zu verstehen ist, und Zweifel überlagern sich auch Theorie und Praxis678 und kann eine spezifische systematische Göttervorstellung orientierend wirken. Finden, inhaltlich betrachtet, Vernunft und Erfahrung nicht zusammen – sowohl bezüglich verschiedener philosophischer Systeme wie, nach Auslegung des Cotta, bei Epikureismus oder Stoa und Akademie als auch innerhalb der akademischen Systematik –, bleibt die analytische Situation bestehen, ist demnach keine lebenspraktisch relevante Entscheidung möglich. Erst durch die probabilistische Entscheidung für die wahrscheinlichsten Aussagen über das Wesen der Götter kann der Götterglaube wirkliche Stütze für das soziale Leben sein, erwächst aus theologischer Grundierung und religiöser Alltagspraxis staatlichgesellschaftlicher Zusammenhalt.679 Damit ist diese probabilistische Entscheidung für das stoische System sowohl methodisch wie inhaltlich stimmig, insofern die Stoa, wie Mandel herausstellt, eine mittlere Position zwischen fides und dubium

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final sentence of the dialogue is an example alike of the freedom from dogmatic requirements allowed to the Academics and of the possibility of using such individual liberty for the acceptance of any practical working principle.“ Vgl. auch Görler 1995, S. 102; DeFilippo 2000, S. 173 und 175 sowie Graver 2009, S. 127, die gemäß ihrer Terminologie – s. dazu Anm. 490 – Ciceros Entscheidung für einen Ausdruck seines Plausibilismus hält. Nat. deor. 2,84. S. dazu auch Kapitel 2 und dort Anm. 35 mit den dortigen Verweisen sowie ausführlich Kapitel 8 und 9. S. weiterführend Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die Verweise dort. Woolf 2015, S. 57 spricht von „social cohesion and communal identity“. Vgl. auch ebd., S. 35: „[R]eligion is not itself regarded by Cicero as an important vehicle for individual expression. Rather, its role is seen chiefly in terms of its ability to help sustain social order.“ Nach Mandel 1983/84, S. 108 sah Cicero als Konservativer in der Stärkung bestimmter religiöser Vorstellungen „one of the means for saving the tottering Republic“. S. dazu nat. deor. 1,3f. Vgl. generell für Religion als politischen Faktor Troiani 1984, S. 933 und Mandel 1983/84, S. 82–88. S. ebenso Anm. 729.

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wie zwischen Volksreligion und Intellekt einnimmt.680 Letztlich etabliert Cicero so – in Anlehnung an die Konstitution einer eigenen Systematik in der zweiten Hälfte der Cicerorede im Lucullus681 – auch auf inhaltlicher Ebene einen eigenen Weg inmitten der Auseinandersetzung der verschiedenen Schulen, der sich zwar an der wahrscheinlichen Kosmologie der Stoa orientiert, jedoch konkret das überkommene römische soziale System stabilisieren und damit über eine einheitliche Göttervorstellung eine Einheit im römischen Volk682 herstellen will.683 Er propagiert nicht wie Cotta praktizierten Glauben neben Philosophie, sondern theoretisch fundierte Glaubenspraxis durch Philosophieren. 4.4.2 De divinatione: Glaubenspraxis zwischen Gesellschaft und Individuum Ebenfalls interessant stellt sich Ciceros theologische Herangehensweise im Nachfolgewerk über die Weissagung dar, in dem Ciceros Bruder Quintus sowie er selbst als Dialogpartner auftreten und das Für und Wider der divinatio diskutieren.684 Quintus kommt dabei im ersten Buch die Aufgabe zu, in dogmatischer Weise die weitgehend stoische Auffassung der Weissagung zu bekräftigen, 680

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Vgl. Mandel 1983/84, S. 87: „Cicero was only trying to prove that no philosophical school could satisfy everyone, and if someone should, nonetheless, aspire to reconcile faith and science, he would find a degree of support in the Stoa. […] The Stoa occupied the middle ground between popular religion and intellectual inquiry.“ Vgl. für die globale Perspektive auch Koch 2006, S. 57, der Cicero sowohl in der Tradition der Akademie mit ihrer „Betonung von Erfahrung und situativer Disputation im Hinblick auf das für das Ziel der Eudaimonia hin Richtige“ als auch der Stoa mit ihrer „Betonung von vernünftigem und darin natürlichem sittlichen Empfinden“ sieht: „Erst im Zusammenwirken von Erfahrung und Vernunft verwirklicht sich bei Cicero Sittlichkeit.“ Entsprechend folgert Koch ebd., S. 173 und zeigt für die Tusculanae disputationes: „Erst das Zusammenspiel von Vernunft und Erfahrung schafft Sätze, die […] zustimmungsfähig (probabile) und damit wirksam für das Leben und therapeutisch sind.“ Vgl. darüber hinaus Peetz 2008, S. 198 und Gawlick 1956, S. 15, der „das dialektische Zusammenspiel von Stoizismus und Skeptizismus“ betont, sowie ebd., S. 20f., Anm. 4. S. Kapitel 4.3.1. S. dazu näher Kapitel 7. Vgl. dazu auch Leonhardt 1999, S. 16 und ebd., Anm. 25. Etwas weit geht Buckley 1970, S. 154, der zwar prinzipiell Ciceros Eigenleistung in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht herausstreicht, dabei aber von einer eigenen Theologie des Autors spricht: „Cicero identifies with none of the major interlocutors of the De natura Deorum, as his position is coincident with none of them. His own theology will emerge from the process of debate – the final product of his method in philosophy.“ Zur Entstehung des Werks vgl. u. a. Wardle 2006, S. 8–10. Vgl. für einen Abriss der Argumentation Fott 2012, S. 168–174 sowie Guillaumont 2006, S. 37–83 und Mandel 1983/84, S. 90–99 und für eine historische Einordnung Linderski 1982, S. 30–32.

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während sie Cicero in der Rolle des Skeptikers im zweiten Buch als Aberglauben zu entlarven versucht. Am Ende stellt sich wie in De natura deorum die Frage nach der Bewertung der Gesamtstruktur und der Rolle von Skeptizismus und Dogmatismus in der Praxis. Konkret wird in der Forschung diskutiert, ob das Werk im Ganzen neutral angelegt ist oder ob die Meinung des Protagonisten Cicero gegen die Weissagung als maßgebliche herausgestellt wird.685 Die folgende kurze Interpretation soll darauf eingehen und als zweites Beispiel die methodische Untersuchung der naturphilosophischen Werke abschließen. Der Probabilismus erwächst dabei als ausgewogene Mitte zwischen Aberglauben und Frevel und damit als Grundlage angemessener Religionsausübung. Proömium: Probabilismus zwischen Aberglauben und Frevel Nach einem historischen Exkurs in den ersten Kapiteln des Proömiums, in dem Cicero die fundamentale Rolle der divinatio in der römischen Geschichte aufzeigt,686 wird für die spezifische Frage nach der Rechtfertigung der Weissagung die Opposition zwischen Tradition und Vernunft, Erfahrung und Verstand, die im Vorgängerwerk etabliert wurde, wieder aufgegriffen: Atque haec, ut ego arbitror, veteres rerum magis eventis moniti quam ratione docti probaverunt.687 Bislang hätten eher alte Erfolge als Vernunftgründe für die divinatio gesprochen, wenngleich es auch unter den Philosophen einige Gewährsmänner gibt. Damit ist De divinatione von Anfang an in denselben Gesamtzusammenhang gestellt wie das vorangegangene Werk über generelle theologische Fragen: Auch hier wird offenbar die Dichotomie Skeptizismus‒Dogmatismus in Form ihres inhaltlich-naturphilosophischen Äquivalents Erfahrung–Vernunft verhandelt, werden so Inhalt und Methodik in enge Beziehung gesetzt, um Ciceros Auffassung von akademischem Philosophieren herauszustellen.

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S. dazu das Weitere. Vgl. zur Forschung kurz Schultz 2009, S. 193f. sowie Santangelo 2013, S. 15f.; ebd., Anm. 24 und 16, Anm. 25. Einen ganz anderen Ansatz verfolgt z. B. Denyer 1985: Er interpretiert divinatio ebd., S. 6 als „divine communication“ und versucht insgesamt eine kommunikationstheoretische Deutung der Schrift, die semiotische Überlegungen miteinbezieht. Vgl. Schofield 1986, S. 53: „At the very outset of Book I Cicero stresses the fundamental role of divination within Roman political history (I. 3‒4). This theme is constantly reiterated.“ Dabei wird die Bewertung der divinatio im Proömium in der Forschung kontrovers diskutiert: Schäublin 1985, S. 160–163 stellt etwa quellenkritische Überlegungen an, da er eine Diskrepanz zwischen der Darstellung der divinatio in der Vorrede und jener im Hauptteil, vor allem im zweiten Buch, erkennt. Guillaumont 2006, S. 40 sieht hingegen gar keine durchweg positive Bewertung der Weissagung im Proöm. Div. 1,5.

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Die so bereits implizierte enge inhaltliche wie methodische Verknüpfung zwischen beiden Werken unter dem Leitstern der Akademie wird sodann im Fortgang der Vorrede bestätigt:688 Faciendum videtur, ut diligenter etiam atque etiam argumenta cum argumentis comparemus, ut fecimus in iis tribus libris, quos de natura deorum scripsimus. Nam cum omnibus in rebus temeritas in adsentiendo errorque turpis est, tum in eo loco maxime, in quo iudicandum est, quantum auspiciis rebusque divinis religionique tribuamus; est enim periculum, ne aut neglectis iis inpia fraude aut susceptis anili superstitione obligemur.

Erneut wird, hier bezogen auf die theologischen Werke, eine Abgrenzung von den beiden Extremen des Glaubens und des Zweifelns geleistet, welche an dieser Stelle konkretisiert als superstitio689 und impietas erscheinen. Unter dieser Opposition von Aberglauben, wenn Glaube sich dogmatisch und unreflektiert nur nach Überlieferungen der Vorfahren richtet, und Frevel, wenn allzu großer Zweifel zur Vernachlässigung der sozialen Gepflogenheiten führt, steht also das gesamte Werk; die Frage nach Trennung und Vereinigung bezüglich dieser Extreme des Dogmatismus und Skeptizismus dient somit am Ende der Vorrede als Wegweiser für die Betrachtung der anschließenden Argumentation. Eine weitere Verknüpfung von De divinatione mit De natura deorum wird im Anschluss an diese programmatische Orientierung explizit gemacht, wenn im Übergang zum Beginn des eigentlichen Dialogs Quintus die Wirkung des dritten Buches der Vorgängerschrift thematisiert: Perlegi […] tuum paulo ante tertium de natura deorum, in quo disputatio Cottae quamquam labefactavit sententiam meam, non funditus tamen sustulit.690 Die Reaktion des Bruders, er sei zwar hinsichtlich seiner Meinung über die Götter verunsichert, jedoch nicht gänzlich von religiösen Überzeugungen abgebracht worden, entspricht exakt der erwünschten Rezeption, die sich Cicero für all seine Leser erwartet. Nicht die Abschaffung jeglichen religiösen Standpunktes, sondern das Bewusstsein von dessen Unsicherheit,691 demnach eine probabilistisch erzeugte Mittelposition, ist das Ziel des ciceronischen Philosophierens. Retrospektiv bestätigt Cicero damit in einem rezeptionsästhetischen Einschub die oben erörterte These zum Ende von De natura deorum. Was der eine Bruder dort mit einer synthetisch zu betrachtenden Entscheidung zugunsten einer stoischen Kosmologie leistet, welche lebenspraktisch relevant wird, ohne dass ihr absolute Sicherheit zugeschrieben wird, das weist der 688 689 690 691

Div. 1,7. Vgl. zu superstitio bei Cicero generell Santangelo 2013, S. 38–47. Div. 1,8. Vgl. für die thematische Verbindung beider Werke auch Guillaumont 2006, S. 179 und ebd., Anm. 377 sowie Schultz 2009, S. 197f. In diesem Sinne fungiert die Synthese als Verunsicherungsstrategie für allzu dogmatische Positionen, wie sie auch Vergewisserungsfunktion für radikalskeptische Meinungen besitzt.

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andere Bruder als tatsächliches Ergebnis direkt zu Beginn des Gesprächs von De divinatione aus, womit eine Identität von Intention und Wirkung erzeugt wird, die Cicero selbst folgerichtig bekräftigt: Optime vero, inquam; etenim ipse Cotta sic disputat, ut Stoicorum magis argumenta confutet quam hominum deleat religionem.692 Am Ende finden so das confutare des skeptischen Modus und die religio als Ausdruck dogmatischen Glaubens693 in Form einer beide Elemente berücksichtigenden Synthese zusammen. Hauptteil: Probabilismus als Methode der ausgewogenen Mitte Nachdem man im Anschluss die Motive von Cotta und Balbus in De natura deorum erörtert hat,694 äußert Quintus den Wunsch nach einer Fortsetzung der Diskussion unter besonderer Berücksichtigung der in den früheren Büchern ausgelassenen Themen und betont so erneut die enge Verbindung beider Werke, auch weil er einen direkten Kausalzusammenhang zwischen den Sujets beider Schriften herstellen will: Ego enim sic existimo, si sint ea genera divinandi vera, de quibus accepimus quaeque colimus, esse deos, vicissimque, si di sint, esse qui divinent.695 Die Existenz von Göttern bedinge die Wahrheit der Weissagung und umgekehrt folge aus der richtigen Praxis der divinatio die Tatsache, dass es Götter geben müsse. Dieser reziproken Abhängigkeit allerdings widerspricht Cicero darauf: Es gebe keinen notwendigen Zusammenhang zwischen den beiden Aussagen.696 In diesem Zusammenhang wird auch der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Werken herausgestellt: Zur Debatte stehen anfangs nicht wie in De natura deorum zwei dogmatische Extreme – nämlich die These, dass sich Götter um alles kümmern, und die These, dass Götter sicher nicht existieren –, sondern das dogmatische Extrem des Aberglaubens und das des zweifelnden Frevels, der zur

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Div. 1,8. Verwiesen sei hier auf die Erkenntnis von Vössing 2015, S. 151–162, dass ein fließender Übergang zwischen religio und superstitio besteht. S. div. 1,8f. Quintus drückt dabei seine Vorbehalte gegenüber den Motiven des Cotta aus; für ihn besteht der Verdacht, dass jener nur aus Vorsicht das Dasein der Götter nicht völlig geleugnet habe. Doch sei die Religion schließlich auch von Balbus in Schutz genommen und dessen Konzeption von Cicero größere Wahrscheinlichkeit attestiert worden. Vgl. auch Wardle 2006, S. 119–123. Div. 1,9. S. ebd., 1,10: Quorum neutrum tam facile, quam tu arbitraris, conceditur. Nam et natura significari futura sine deo possunt et, ut sint di, potest fieri, ut nulla ab iis divinatio generi humano tributa sit.

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Vernachlässigung – Cicero benutzt das Wort neglegere697 – der tatsächlichen religiösen Pflichten, nicht zur Ablehnung der Götter und der Religion an sich führt.698 Unter diesen Prämissen wird nun die Disputation in beide Richtungen geführt, wobei Quintus zunächst im ersten Buch Argumente für die Notwendigkeit der Weissagung in ihren verschiedenen Formen699 zusammenträgt und ihre große Rolle in der römischen Geschichte aufzeigt.700 Seine Hauptargumentation basiert im Wesentlichen auf Anekdoten, die sich weitgehend in die stoische Kosmologie einfügen lassen, die auf der Wohlordnung des Universums aufbaut und dafür einen göttlichen Plan annimmt. Letztlich ist eine solche universelle Ordnung Ausdruck synthetischer Tendenzen, ausgehend von der Vorstellung einer stoisch geprägten allumfassenden Einheit des Kosmos, wie ihn Woolf für Quintus’ Argumentation nachzeichnet: Es werde ein Bild des Universums skizziert, dessen verschiedene Teile ein geschlossenes Ganzes bildeten und die wiederum Teil eines einzigen göttlichen Plans seien, welcher prinzipiell von den Menschen erkannt werden könne.701 Für Quintus ist die divinatio ein grundlegendes Instrument zur Offenlegung dieses Plans, nur wenige Aberrationen702 schließt er aus. Ciceros Reaktion auf Quintus’ Ausführungen ist nicht erhalten, da der Text des ersten Buches kurz vor dem Schluss abbricht, jedoch ist davon auszugehen, dass er, analog zu De natura deorum, dieser kosmologischen Grundlegung zustimmen kann, die divinatio an sich aber in seiner Rolle als Skeptiker ablehnen muss. Auf die strukturelle Bedeutung dieser Anlage wird noch einzugehen sein. Nach der Werkrückschau in der Vorrede zum zweiten Buch, in der Cicero auch auf die neuen politischen Voraussetzungen nach Cäsars Tod eingeht,703 wird die Diskussion fortgesetzt. Cicero fungiert fortan als Sprecher und kündigt an, die 697 698 699

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S. div. 1,7: Est enim periculum, ne aut neglectis iis inpia fraude aut susceptis anili superstitione obligemur. Insofern ist die Existenz von Göttern für De divinatione Voraussetzung. Vgl. dazu auch Begemann 2012, S. 132–134. Es wird dabei grundsätzlich zwischen einer divinatio naturalis und einer divinatio artificiosa unterschieden; vgl. dazu Woolf 2015, S. 69; Bakhouche 2002, S. 3–6 und Guillaumont 2006, S. 87–110. Vgl. dazu Schofield 1986, S. 53 und Guillaumont 2006, S. 134–153. S. zuvor auch Ciceros Ausführungen im Proömium und dazu Anm. 686. Vgl. Woolf 2015, S. 77: „He is, rather, offering a picture of a universe whose workings form an integrated whole, such that the best explanation of such workings is that they are part of a single divine plan that is then in principle discernible by mortals.“ Vgl. zur Wohlordnung des Universums auch ebd., S. 71: „[Quintus’] main argument rests on the idea that a complex, ordered overall pattern is evidence of divine planning, not of chance.“ S. bereits zuvor Kapitel 4.4.1 zu De natura deorum, zudem Kapitel 2 und dort Anm. 35 sowie ausführlich Kapitel 8 und 9. So argumentiert Quintus in div. 1,132 explizit gegen Weissager, Wahrsagerei für Profit und Totenorakel. Ausführlicher wird dieses zweite Proömium jeweils in den Kapiteln zur Begründung der Textauswahl besprochen: s. Kapitel 3.1, 4.1, 6.1 und 7.1.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

Rolle des Zweifelnden einnehmen zu wollen: Dicendum est mihi igitur ad ea, quae sunt a te dicta, sed ita, nihil ut adfirmem, quaeram omnia, dubitans plerumque et mihi ipse diffidens.704 Leitmotivisch steht hier die Verschränkung von systematischer und persönlicher Ebene als Überschrift über der folgenden Argumentation, wenn sich struktureller Skeptizismus und Selbstzweifel verbinden, um der dogmatischen Setzung im ersten Buch entgegenzuwirken. Die Rolle des Skeptikers füllt Cicero erwartungsgemäß aus und setzt, der grundsätzlichen Opposition zwischen Erfahrung und Verstand folgend, die Vernunft der eigenen, von Karneades beeinflussten und rhetorisch ausgestalteten Argumente gegen die Irrationalität der Befürworter der Weissagung.705 Wie im Lucullus bleibt Cicero als Dialogfigur jedoch nicht bei einer radikalen Gegenposition, bei der vollständigen Widerlegung des Diskussionspartners stehen, sondern formuliert einen dritten Weg, der beide Positionen verbindet und damit die analytische Spannung zwischen Dogmatismus und Skeptizismus zu überwinden versucht. Eine erste Annäherung wird über einen kurzen Einwurf des Quintus erreicht, als er Ciceros Ausführungen bislang in weiten Teilen zustimmt und sogar die Stoiker als allzu abergläubisch brandmarkt:706 His enim, quae adhuc disputasti, prorsus adsentior, et, vere ut loquar, quamquam tua me oratio confirmavit, tamen etiam mea sponte nimis superstitiosam de divinatione Stoicorum sententiam iudicabam.

Schon an dieser Stelle scheint eine Überbrückung der Trennung zwischen den Positionen möglich, insofern sich echte Religiosität und Wahrung der Tradition verknüpfen lassen. Dieser Linie folgend spricht sich Cicero am Ende, seiner Rolle gemäß, nur vorläufig gegen jegliche Form abergläubischen Kultes aus und prangert die menschliche Schwäche als Nährboden eines irrationalen Abwegs an:707

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Div. 2,8. Vgl. dazu Schofield 1986, S. 51, der die unterschiedliche Vorgehensweise der Protagonisten treffend beschreibt: „The fundamental contrast between the two books is that of method. The case for divination rests for the most part on an appeal to experience […]. The case against, on the other hand, appeals constantly to reason.“ Schofield sieht die ciceronische Kritik an der Dogmatik der Weissagung dabei ebd., S. 54f. einerseits in der Rhetorik und andererseits in der skeptischen Tradition begründet: Der Vorwurf der Irrationalität sei, so ebd., S. 55, „the chief philosophical criticism levelled by the sceptic against the dogmatist“. Div. 2,100. Ebd., 2,148.

Ciceros Probabilismus

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Superstitio fusa per gentis oppressit omnium fere animos atque hominum inbecillitatem occupavit. Quod et in iis libris dictum est, qui sunt de natura deorum, et hac disputatione id maxume egimus. Multum enim et nobismet ipsis et nostris profuturi videbamur, si eam funditus sustulissemus.

Tatsächlich aber nimmt er als Vertreter eines Probabilismus auch die bei Quintus zu Tage tretende wahre Religiosität hinter der Oberflächlichkeit der superstitio wahr708 und spricht sich explizit für eine sinnvolle Ausübung der römischen Religion aus, die sich dabei ganz konkret an der von Quintus eingebrachten ordnenden wie geordneten Kosmosvorstellung orientiert709 und so, insofern sich alle darauf verständigen können, die Funktion erhält, die gesellschaftliche Ordnung zu stabilisieren:710 Nec vero (id enim diligenter intellegi volo) superstitione tollenda religio tollitur. Nam et maiorum instituta tueri sacris caerimoniisque retinendis sapientis est, et esse praestantem aliquam aeternamque naturam, et eam suspiciendam admirandamque hominum generi pulchritudo mundi ordoque rerum caelestium cogit confiteri.

Auf diese Weise ergibt sich eine erneute synthetische Verbindung von Dogmatismus und Skeptizismus, die im Grunde das probabilistisch ermittelte Ergebnis der Vorgängerschrift zitiert711 und abermals als originelle Eigenleistung jenseits der Rezeption überkommener Lehren gewertet werden darf: Cicero verbindet de facto die kosmologische Theorie seines Bruders mit einer Kritik an starren kultischen Formen, die dem Menschen seine Souveränität nehmen:712 Instat enim et urget et, quo te cumque verteris, persequitur, sive tu vatem sive tu omen audieris, sive immolaris sive avem adspexeris, si Chaldaeum, si haruspicem videris, si fulserit, si tonuerit, si tactum aliquid erit de caelo, si ostenti simile natum

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S. die oben zitierte Stelle in div. 2,100. Vgl. Woolf 2015, S. 86: „Cicero insists that his attack on divination is not an attack on religion; on the contrary, the removal of superstition will help the propagation of religion, based as it is on an understanding of nature (II.149). The existence of god is predicated not on the supposed truth of divination, but on the beauty and order of the celestial universe (II.148).“ Vgl auch Goar 1968, S. 248: „[The] aim is to destroy superstition without discarding belief.“ Div. 2,148. Vgl. dazu auch Cuny-Le Callet 2005, S. 233. Diese Verbindung, gerade hinsichtlich der Propagierung stoischer Kosmologie als Wahrscheinliches, bestätigt auch Schofield 1986, S. 57: „The main point is to distinguish the superstition of divination, which is to be torn up by its roots, from true religion, which Cicero takes to include belief in a divine being, accepted for the Stoic reasons advanced in ND II. […] Cicero’s authorial affirmation of reasoned belief in a divinity responsible for the universe repeats an earlier confession that he is inclined to this opinion (ND III. 95, prominently recalled at Div. I. 9).“ S. auch Kapitel 4.4.1. Div. 2,149.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens factumve quippiam; quorum necesse est plerumque aliquid eveniat, ut numquam liceat quieta mente consistere.

Es handelt sich, wie augenfällig im Lucullus demonstriert und implizit auch in De natura deorum präsent, um eine eigene dritte, mittlere Position, die nach Abwägung aller Argumente dem Wahrscheinlichen entspricht und so abseits von dogmatischer Unbeweglichkeit und skeptischem Grundzweifel Orientierung im Leben bieten kann.713 Diese eigene Theorie der Mitte formuliert er als Abschluss seiner Ausführungen in aller Deutlichkeit: Quam ob rem, ut religio propaganda etiam est, quae est iuncta cum cognitione naturae, sic superstitionis stirpes omnes eiciendae.714 Althergebrachte religiöse Praxis und wahrer Götterglaube waren schon probabilistisches Ergebnis von De natura deorum und werden hier nun erneut propagiert: Aberglaube als dogmatisches Extremum, jedoch auch skep713

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Auch Krostenko 2000, S. 354 erkennt einen „attempt to construct a normative definition for religious symbols in Roman culture“ und stellt fest: „De Divinatione illustrates the inadequacies, for the purposes of Roman social practice, of both the fideistic and the skeptical approach to such symbols; but, having illustrated these inadequacies, the text also points dialectically in the direction of a tertium quid that avoids the pitfalls of both positions.“ Es wird eine Polarität zwischen Marcus und Quintus konstruiert, um herauszustellen, dass, so ebd., S. 355, weder Fideismus noch Skeptizismus ein „adequate account of the Roman practice of divination“ sind. Auch er sieht damit eine Abgrenzung zu zwei Extremen, wie ebd., S. 375 deutlich wird: „In principle, the rhetoric of the argument leaves open the possibility of practicing divination in a form or forms which satisfy the objections that can be raised against the extremes of fideism and skepticism: that would require a divination that was not, on the one hand, embedded in a system of belief, and did not, on the other, require rational assent, thus avoiding the perils of Q.’s enthusiasms and the rigors of M.’s skepticism, respectively.“ Die ebd., S. 385 angebotene Lösung einer „divination that was purely formal and symbolic, and thereby detached from questions of belief and immune to the probes of skepticism“ und die angenommene cäsarkritische Stoßrichtung einer solchen formalen divinatio gehen dagegen wohl etwas zu weit. Dies gilt auch für Guillaumont 1984, S. 117, der bei Cicero die Anlage einer Wissenschaft zukünftiger Ereignisse, einer „science des événements futurs, qui, sans prétendre à la certitude, peut former des conjectures vraisemblables“ erkennen will. Vgl. zur Thematik weiterhin André 1975, S. 21. Div. 2,149. Vgl. dazu auch Fott 2012, S. 173, der „Cicero’s amazing ability to pull off this simultaneous defense of religion and attack on superstition, all the while remaining an Academic skeptic“ thematisiert. In bemerkenswerter Klarheit erkennt Schofield 1986, S. 55 die damit einhergehende Verschränkung von Erfahrung und Vernunft: „Book I invokes experience, particularly historical experience, Book II is an exercise in sceptical reason. There is no doubting his attachment to the claims both of experience and of sceptical reason.“ Vgl. auch Henry 1925, S. 46, die von einer „eagerness to reconcile religion and science“ spricht. Damit ist Beard 1986, S. 43 zu widersprechen: „He attempts to negotiate this incongruity by separating his rational scepticism on the theoretical validity of divination from his practical commitment to its continuance at Rome for reasons of tradition and political stability.“

Ciceros Probabilismus

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tischer Radikalismus in Form eines Anzweifelns jeglicher religiösen Tendenzen werden verworfen. Als Gewährsmann tritt am Ende, ganz parallel zu anderen untersuchten Schriften, erneut Karneades auf, der gegen die Traumdeutung vorgegangen ist und damit den Anmaßungen anderer Philosophen widersprochen hat. Dass er im Kontext einer generellen Befürwortung der Religion zitiert wird, lässt ihn somit auch an dieser Stelle tendenziell als Figur der Synthese erscheinen.715 Schluss: Probabilismus als Grundlage angemessener Religionsausübung Überraschend für den Rezipienten erscheint daraufhin zunächst der abschließende Preis akademischer Enthaltung, welcher auch in der Forschung im Verhältnis zu den vorausgegangenen Anmerkungen kontrovers716 diskutiert wird:717 Cum autem proprium sit Academiae iudicium suum nullum interponere, ea probare, quae simillima veri videantur, conferre causas et, quid in quamque sententiam dici possit, expromere, nulla adhibita sua auctoritate iudicium; audientium relinquere integrum ac liberum, tenebimus hanc consuetudinem a Socrate traditam ea que inter nos, si tibi, Quinte frater, placebit, quam saepissime utemur.

Ciceros abschließende Worte lassen sich jedoch nicht einfach in das vorgegebene Raster für und wider die Weissagung einordnen, zumal kurz zuvor eine eigene Position der Synthese formuliert und in Bezug zu De natura deorum theologisch wie durch die Erwähnung des Karneades historisch abgesichert wurde. Weder handelt es sich deshalb bei der erneuten Bestimmung der akademischen Praxis als 715

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S. div. 2,150: Quorum licentiae nisi Carneades restitisset, haud scio an soli iam philosophi iudicarentur. Wahrscheinlich sind hier explizit die Stoiker gemeint; vgl. auch Pease 1963, S. 585. S. zur synthetischen Bedeutung der Karneades-Figur bislang auch Kapitel 3.2 und 4.2 sowie Anm. 221 und die Verweise dort. Grundsätzlich herrscht Uneinigkeit bei der Frage, ob nun der skeptischen Ablehnung der divinatio durch die Dialogfigur Cicero in ihrer Rolle als Skeptiker oder dem Lob einer vermeintlichen Urteilsenthaltung durch den akademischen Autor Cicero zu glauben ist. Während etwa Pease 1963, S. 12f. oder in neuerer Zeit auch Guillaumont 2006, S. 325–354 die Auffassung vertreten, es handele sich bei der Darstellung im zweiten Buch um Ciceros tatsächliche Meinung, betonen andere, so etwa Beard 1986, Schofield 1986 oder in weiten Teilen auch ten Berge 2014, S. 56 die Ausgewogenheit der beiden Bücher und erkennen kein Votum für oder gegen eine der beiden Extreme. Vgl. überblickend etwa Krostenko 2000, S. 353f. oder ten Berge 2014, S. 54, der zusammenfasst: „Some, equating the character Marcus with the author, have suggested that De divinatione represents Cicero’s personal disbelief of divination, while others have suggested that Cicero purposefully obfuscates his personal opinion and allows his readers to form their own.“ Vgl. auch ebd., S. 54, Anm. 3; Goar 1968, S. 247 und Schultz 2009, S. 205. Div. 2,150. Vgl. dazu Schofield 2008, S. 71 und Leonhardt 1999, S. 38.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

ausgewogene Disputation und als Auffindung eines möglichst Wahrscheinlichen um eine reine Schutzbehauptung, um die eigene Verachtung der divinatio abzumildern, noch um ein Bekenntnis zur skeptischen Urteilsenthaltung und absoluten Balance der Argumente, die überhaupt keine Entscheidung zugunsten einer praktikablen Position zulässt. Cicero befolgt lediglich seine eigene Weisung aus dem Werk über die Natur der Götter,718 nicht eine, sei es auch seine eigene, Autorität als maßgebliche Entscheidungsgrundlage zu etablieren, und stellt stattdessen die probabilistische Methodik als Strukturdevise an die erste Stelle.719 Explizit spricht er nicht von einer Urteilsenthaltung, sondern weigert sich lediglich, wie die Semantik des Verbs interponere deutlich macht, sein persönliches Urteil zwischen den Rezipienten und die jedem Namen übergeordnete Systematik des Probabilismus zu stellen. Jene erlaubt es, selbstständig unter Vermeidung dogmatischer wie skeptischer Irrwege das Ideal einer Religion ohne Aberglauben nachzuvollziehen.720 Deutlich wird hierbei festgestellt, dass dem Leser das Urteil freigestellt, jedoch in keiner Weise ἐποχή als beste Antwort auf die Fragen der Praxis betrachtet wird;721 vielmehr votiert Cicero ausdrücklich für sein synthetisch ermitteltes Konzept einer auch inhaltlichen Einheit von Glaube und Zweifel, indem sich Erfahrung und Vernunft zum Wohl der Gesellschaft verbinden. Der geneigte Leser kann ihm folgen, muss es aber nicht, ist jener doch in all seinen Entscheidungen frei und nicht determiniert, wie Cicero häufig in seinen Werken betont.722 Neben den beiden untersuchten Schriften gibt der Autor dieser seiner Überzeugung von der

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S. nat. deor. 1,10 und dazu Kapitel 4.4.1. S. dazu auch fat. 1 und vgl. dazu etwa Beard 1986, S. 34f. und 35, Anm. 12 sowie ten Berge 2014, S. 55. Nicht zuletzt deshalb erscheint die These von Nicgorski 2016, S. 26, Cicero baue absichtlich Unsicherheiten für den Leser ein, wenig plausibel; vgl. ähnlich Schultz 2009, S. 194 und 205, der dabei ebd., S. 194, Anm. 7 einen Unterschied zu De natura deorum sieht. Vgl. weiterhin Santangelo 2013, S. 32. Insofern ist Gorman 2005, S. 186f. recht zu geben, wenn er konstatiert, dass der Leser durchaus selbst entscheiden kann, jedoch generell ebd., S. 179–190 zu widersprechen, wenn er einen fundamentalen Unterschied zur Konzeption in den Tusculanae disputationes sieht, werben doch beide Schriften für ein bestimmtes synthetisches Konzept. In ähnlicher Weise stehen die Überlegungen dieser Arbeit Beard 1986, S. 43f. entgegen, die einen deutlichen Unterschied zwischen der Praxis in De natura deorum sowie De divinatione und Werken wie den Tusculanae disputationes sowie De amicitia ausmacht. S. für das synthetische Konzept der Tusculanae disputationes Kapitel 6. S. etwa ac. 2,8; 120; Tusc. 4,7; 5,33; nat. deor. 1,17; div. 2,150 sowie off. 3,20 und vgl. dazu Burkert 1965, S. 192, Anm. 47 sowie Görler 1997, S. 54, der bezüglich Ciceros akademischer Überzeugung feststellt: „[H]e feels free to opine and to speculate on a grand scale about great schemes.“ Vgl. weiterhin Lefèvre 1988, S. 127 und Cambiano 2002, S. 77f. S. für die generelle Bedeutung des Individuums auch Anm. 724 und die Verweise dort.

Ciceros Probabilismus

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akademischen Freiheit vor allem im Nachfolgewerk De fato Raum, wenn er etwa die Bekämpfung von Lastern von Willen und Disziplin abhängig macht:723 Sed haec ex naturalibus causis vitia nasci possunt, exstirpari autem et funditus tolli, ut is ipse, qui ad ea propensus fuerit, a tantis vitiis avocetur, non est id positum in naturalibus causis, sed in voluntate, studio, disciplina.

Denn für Ciceros philosophisches Projekt ist es unerlässliche Voraussetzung, dass jeder Einzelne sein Handeln selbst bestimmt und Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen muss724 – auch zu dem Preis, dass das Individuum als Leser die Überzeugungen und Empfehlungen des Autors verwirft. Im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Syntheseprozesses, wie ihn Cicero auf Grundlage des Götterglaubens in De natura deorum in Aussicht stellt und wie

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Fat. 11. Vgl. dazu sehr gut Begemann 2014, S. 244: „[F]or any community, as a social and political organism, can only work well if its parts, i. e. citizen, the individual, are themselves responsible for their actions and cannot claim that whatever they did or did not do was determined by fate. […] What Cicero wants his audience to understand is the importance and centrality of religion within the res publica, which is understood to be just as much of a heartfelt relationship to the divine, as a political tool. In his republic’s religion, fate has no place, for man must be free in his decisions, to act or to acquiesce, to excel or to fail. The future is determined only by the decision of men.“ Vgl. auch Begemann 2012, S. 66–69 für De fato und ebd., S. 130–134 für die anderen philosophischen Schriften und zudem Bernett 1995, S. 66–83; Woolf 2015, S. 86–92 sowie Bakhouche 2002, S. 12. Vgl. dazu Henry 1925, S. 76, die Ciceros „belief in freedom, not because of any logical proof, but on the ground of its necessity as a basis for a moral universe“ hervorhebt. Vgl. zudem Mančal 1982, S. 199f. Die Bedeutung, die der freien Entscheidung eines jeden zukommt, thematisiert Koch 2006, S. 21–24; 41–44; 47f. und 193 für die Tusculanae disputationes. Begemann 2012, S. 343 betont richtig, dass auch in Ciceros Reden Wille und Verantwortung des Individuums im Vordergrund stehen – es ist ein basales Konzept ciceronischen Philosophierens. Vgl. zur Bedeutung der Einzelperson auch Kohns 1970, S. 400; Powell 1994, S. 24; Powell 2001, S. 25 und 29; Pöschl 1962, S. 91; Zetzel 2013, S. 186; Asmis 2005, S. 388; Müller 2017, S. 60f.; Kesler 1985, S. 222 sowie Ardley 1969, S. 35; vgl. weiterhin Long 1995a, S. 50f. und zudem Bittner 1999, S. 511f. und Heinze 1966, S. 310. S. für weitere Aspekte hierzu neben weiteren Passagen in Kapitel 4 andere Kapitel der Arbeit, etwa für die Disputationsmethodik Kapitel 3 und für den kulturphilosophischen wie sozialphilosophischen Bereich Kapitel 6 und 7 sowie abschließend Kapitel 8 und 9, besonders aber Kapitel 9.2 und 9.3. S. zudem beispielsweise Anm. 722, 723, 731, 752, 887, 1032, 1091, 1103, 1149 und 1357.

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er ihn durch sein Gesamtwerk langfristig verfolgt,725 wäre eine möglichst große Menge an Überzeugten jedoch zu begrüßen – wobei Cicero sowohl eine gesellschaftliche Elite als auch die breite Masse einschließen will. So ist es, wie etwa Bakhouche und Krostenko herausgearbeitet haben,726 möglich, die Seite des Traditionsbezugs im ersten Buch mit dem Pol der Menge, die vernunftgemäße Argumentation im zweiten Buch mit den wenigen Verständigen in Verbindung zu bringen und somit letztlich die gesamte römische Bevölkerung einzuschließen.727 Nicht zuletzt festigt ein solcher auf Riten der Alten728 basierender und zugleich vernünftiger, wahrer Götterglaube, der zwar die Form wahrt, aber sich trotzdem am freien Willen jedes einzelnen Menschen orientiert, die stets bedrohten Strukturen der res publica und erhält die soziale Ordnung.729 So gesehen versteht Cicero 725

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S. für De natura deorum Kapitel 4.4.1 und für die rhetorischen Werke etwa Kapitel 3.2 sowie in Verbindung der Kapitel zur ciceronischen Methodik Kapitel 5. Besonders sein kultur- und sozialphilosophisches Programm ist auf eine gesamtgesellschaftliche Syntheseentwicklung hin ausgerichtet; s. dazu ausführlich Kapitel 6.2.3, aber auch generell Kapitel 6 und 7. Vgl. Bakhouche 2002, S. 9: „Il s’agit plutôt d’un clivage homme moyen / philosophe, sage / non-sage. Dans le cadre de la divination, le sage doit servir de gardefou en préservant les traditions religieuses à la fois du cadrage épistémologique de la philosophie et des abus superstitieux des faibles.“ Vgl. auch Krostenko 2000, S. 356–361, der die soziale Hierarchie einbezieht und dabei Marcus Cicero den Pol der Nobilität, seinem Bruder Quintus den der niederen Abkunft zuordnet und damit auch die unterschiedliche Art ihrer Argumentation – ratio gegen exempla – erklärt. Insofern ist für die Religion, wie Vössing 2015, S. 149 richtig betont, auch der Kommunikationsgedanke von entscheidender Bedeutung; s. dazu bislang Kapitel 3.3.1 und Anm. 254 und 311. S. zur Dichotomie Elite‒Masse Kapitel 6.2.3. Vgl. zur Bedeutung der maiores auch in De divinatione Cairo 2015, S. 221–226. Ebd., S. 226 spricht er von der „verdadera religio romana, que consiste en los sacrificios y ceremonias instituidos por los maiores“. Vgl. auch Henry 1925, S. 63. Es ist also nicht die divinatio in ihrer kritisierten Form, die – wie Krostenko 2000, S. 376 meint – als „useful tool of social control“ wirkt, sondern wahre religiöse Praxis, die die Menschen zu religiösem Handeln befähigt. Guillaumont 1984, S. 45–49 betont einleuchtend, dass es sich dabei um eine freilich konservative Stabilisierung der Ordnung handelt, die ganz im Sinne der Republik erfolgen soll. Vgl. auch Begemann 2014, S. 225: „Cicero explains the nature of religio as well as its necessity under the premise that religio and cultus deorum are indispensable for a moral society.“ S. bereits Anm. 679. Vössing 2015, S. 170 sieht dabei das Ziel, „den Wahrheitsanspruch der religio zu wahren, ohne ihre verschiedenen dinglichen Ausprägungen ablehnen zu müssen“. Begemann 2014, S. 226 fasst zusammen: „Cicero advocates a traditional, yet idealized theology by maintaining that there are provident, caring deities (de natura deorum), who are in contact with human beings (de divinatione), all the while arguing against any form of superstitio (de divinatione) and against a fate, which prevents men from taking responsibility for their actions (de fato). Rather, he stresses mos maiorum, cultus deorum and the morality that comes with traditional ideals, ascribing to the human actor an active role in touch with divine powers.“ Calanchini 2015, S. 150 sieht mit dem

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divinatio nicht als zur Formel erstarrten Part eines deterministischen Gesamtzusammenhangs,730 sondern, wie insgesamt religiöse Praktiken, als Teil einer spezifischen Art und Weise des Philosophierens, die das römische Individuum in den Mittelpunkt stellt.731 Mehr noch als für diese inhaltliche Konzeption wirbt Cicero demnach – ein Charakteristikum vor allem der naturphilosophischen Bücher – für seine Methode des Probabilismus, auf die sich am Ende beide Protagonisten einigen können:732 „[…] Tenebimus hanc consuetudinem a Socrate traditam eaque inter nos, si tibi, Quinte frater, placebit, quam saepissime utemur.“ „Mihi vero“ inquit ille „nihil potest esse iucundius.“

Diese abschließende Zustimmung durch Quintus ist dabei Ergebnis einer Dynamik, die mit dem Denkmuster Analyse‒Synthese als interpretatorischem Leitfaden gut zu fassen ist. Nachdem am Anfang bereits eine vollendete, ideale methodische Konzeption vorgestellt worden ist, muss der Konsens wie in den anderen untersuchten Werken, besonders prominent im Lucullus,733 im Verlauf der Diskussion erneut hergestellt werden, muss die Debatte von der analytischen Ausgangssituation, wie sie die zwei Kontrahenten repräsentieren, zu einem wiederholten und damit bestärkten Synthesestatus gelangen.734 Wichtig ist dabei in erster Linie die Nachzeichnung eines Prozesses von der Analyse zur Synthese. Deshalb kann auch die kosmologische Einbettung durch Quintus, obwohl schon durch die probabilistische Ermittlung in der Vorgängerschrift gebilligt, nicht sofort als wahrscheinlich

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dritten Werk De fato sodann auch die „Vervollständigung eines bildungspolitischen Programms“. Vgl. weiterhin zum Thema Krostenko 2000, S. 378f. und Linderski 1982, S. 16 sowie Mandel 1983/84, S. 109. Henry 1925, S. 64 weist auf die formale Erstarrung der Staatsreligion und besonders der Weissagung hin: „Like the state religion in general, it consisted in form rather than in spirit.“ Vgl. auch Mandel 1983/84, S. 84–86. Vgl. dazu auch Woolf 2015, S. 65: „The effect of this is to elide any clean-cut distinction between philosophy, on the one hand, and public service, on the other.“ Vgl. auch ebd., S. 85: „Stripped of illusions of divine support, Romans – and anyone else tempted by similar myths – can see themselves as makers of their own destiny. In that enterprise philosophy, not superstition, is the proper companion.“ Dies zeigt auch, dass, entgegen der Annahme von etwa Beard 1986, S. 35, kein starker Kontrast zwischen Ciceros Position in De natura deorum und De divinatione besteht. S. zur Bedeutung des Einzelnen auch 724 und die Verweise an jener Stelle. Div. 2,150. S. Kapitel 4.3.1, aber auch 4.3.2 für die Academica posteriora und 4.4.1 für De natura deorum. Die Arbeit kommt damit zu einem anderen Ergebnis als Leonhardt 2000, S. 67, der den Zweifel in De natura deorum und De divinatione im Vordergrund sieht. S. für diesen Gedanken des Neuansetzens und der Wiederholung eines Prozesses von der Analyse zur Synthese Kapitel 5.

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betrachtet werden, sondern muss zunächst als Element einer einheitlichen Konzeption präsentiert werden, wie sie die Verbindung beider Werkteile herstellt. Es verschränken sich dabei in methodischer Hinsicht Dogmatismus und Skeptizismus, auf inhaltlicher Ebene Tradition und Vernunft sowie ganz persönlich, wie der letzte Teil des Dialogs offenbart, Marcus und Quintus Cicero. Nicht zuletzt wird ein didaktischer Impuls deutlich, wie er im zweiten Proömium formuliert wird:735 Quod enim munus rei publicae adferre maius meliusve possumus, quam si docemus atque erudimus iuventutem, his praesertim moribus atque temporibus, quibus ita prolapsa est, ut omnium opibus refrenanda ac coercenda sit?

Gerade durch das Explizit-Machen der Gedankenbewegung lässt sie sich durch den Rezipienten leichter nachvollziehen. Die Jugend als zukünftige Hoffnung der Gesellschaft wird dabei besonders angesprochen und in die Pflicht genommen, kann sie doch nicht nur im Bereich der Religionsausübung, sondern im gesamten Staat zu einer lange überfälligen Besserung der Verhältnisse beitragen.736 Im Zusammenhang mit diesem pädagogischen Impetus737 nimmt Cicero sicherlich an einem aktuellen religionstheoretischen Diskurs seiner Zeit teil, der nach den persönlichen und gesellschaftlichen Implikationen einer richtigen Religionsausübung fragt: Cicero entfernt sich dabei von einer rein rituellen Kultreligion, wie sie in weiten Teilen die römische faktisch ist, und zielt auf eine tatsächliche innere Beteiligung des religiös Handelnden und damit philosophiegeschichtlich auf die Vorbereitung eines vernünftig abgefederten echten Glaubens.738 Durch die pointierte Darstellung des Übergangs von der Analyse zur Synthese wird also nicht nur der Vorzug des Probabilismus unterstrichen, sondern auch in Verschränkung mit der methodischen Vorgehensweise eine inhaltliche Synthese der richtigen, bereits dezidiert individuell zu denkenden Religionsausübung erreicht, welche für alle gegenwärtigen wie zukünftigen potentiellen Staatenlenker leitend sein kann. Methodische und inhaltliche Ebene ergänzen sich somit ausdrücklich, wenn skeptisch abgemilderte Orientierung an alten Praktiken mit dog735 736

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Div. 2,4. S. dazu auch die Betrachtungen in Kapitel 6 und 7. Vgl. zum zeitgeschichtlichen Kontext auch Schultz 2009, S. 204f.: Beide Sprecher „bring up painful events of the recent past“ und „highlight the association of divination with deceit, manipulation, and especially with negative outcome“. Vgl. für den Zusammenhang zwischen dem Untergang des Staates und Verfehlungen Einzelner hier auch Bakhouche 2002, S. 12 und s. zudem auch hierfür ausführlich Kapitel 6 und 7. S. genauer Anm. 767 mitsamt den dortigen Verweisen und zur Bedeutung der Jugend im pädagogischen Zusammenhang Anm. 1366. Vgl. dazu auch Gildenhard 2013a, S. 269: „Cicero here ultimately applies the tools of rational critique to advocate a reformed variant of Rome’s civic religion as an integral component of a political culture grounded in republican principles.“

Ciceros Probabilismus

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matisch verstärkter Gemeinschaftsorientierung auf Grundlage eines kosmologischen Gesamtzusammenhangs739 einhergeht. Letztendlich positioniert sich Cicero, wie bereits im Vorgängerwerk, so zugunsten einer probabilistischen Methode und ihrer inhaltlichen Konsequenzen gegen die Einseitigkeit der Extreme und propagiert sein Philosophieren als strukturellen Königsweg zur Synthese. 4.5

Resümee: Der Probabilismus als epistemologische Konstante Ciceros

Es lässt sich somit zusammenfassend ein ausdrücklicher Zusammenhang von Darstellungsform und Philosophieverständnis konstatieren.740 In Vereinigung von Philosophie und Rhetorik ergibt sich ein Verfahren der Disputation, dessen Ergebnis in Verschränkung von Glaube und Zweifel probabilistisch bestimmt und lebenspraktisch relevant wird.741 Dies lässt sich systematisch wie persönlich beobachten, besonders aber im Aufbau der Schriften nachvollziehen, die in der Regel den Übergang von der Getrenntheit zur Einheit markieren. In einer Überbetonung der subjektiven Komponente dieses grundsätzlichen Denkprozesses ist Ciceros Probabilismus oft als unsicheres Schwanken zwischen eigentlicher, von ihm selbst ausführlich dargestellter Theorie des Skeptizismus und einem dieser Theorie scheinbar widersprechenden Dogmatismus oder auch als bewusste Trennung von Erkenntnistheorie und Moralphilosophie interpretiert worden.742 Durch die obigen Darlegungen dürfte aber klar geworden sein: Die Dichotomie Zweifel–Glaube repräsentiert im methodischen Rahmen notwendigerweise die beiden Pole Dogmatismus und Skeptizismus. Ciceros probabilistische Theorie wird durch eine Synthese dieses Gegensatzpaares gebildet, bei der die beiden Bestandteile ineinander verschränkt sind. In einer philosophisch-dialektisch überformten, rhetorisch grundierten disputatio in utramque partem, die 739 740 741 742

S. dazu Kapitel 2 und v. a. zusammenfassend Kapitel 8 und 9. Vgl. dazu auch Becker 2013, S. 339 und 353. S. zur Verbindung beider Bereiche das Weitere und anschließend Kapitel 5. Vgl. Kumaniecki 1971, S. 368f.: „Es ist bezeichnend, daß [Ciceros] akademischer Skeptizismus sich lediglich auf das Gebiet der Erkenntnistheorie beschränkte; in dem Punkte aber, wo er die ideologischen Grundsätze des römischen Staatswesens oder der Religion hätte gefährden können, hörte Cicero auf, Skeptiker zu sein, indem er in sehr beredter Weise und mit Begeisterung die stoischen Thesen zu verteidigen wußte.“ Vgl. auch Patzig 1979, S. 311; Burkert 1965, S. 197; Steinmetz 1989, S. 14f.; Bringmann 1971, S. 254; Lefèvre 2008, S. 19 und auch Leonhardt 1999, S. 11. Nach Mančal 1982, S. 184f. trifft die (fälschliche) Annahme eines Schwankens auch auf Görlers Auslegung zu: „[A]n der Stelle aber, wo die Methode Ciceros faßbar wird, die […] auf eine K o n g r u e n z ihrer beiden verschiedenen Momente hinausläuft […], schleicht sich bei Görler die überkommene Meinung vom Schwanken ein.“ Leonhardt 1999, S. 23–25 geht auf einige Forschungsmeinungen differenziert ein. Er selbst spricht etwa in Bezug auf De finibus bonorum et malorum ebd., S. 47 von einem „Koordinatensystem von Wahrscheinlichkeitsgraden“; vgl. auch ebd., S. 49 und 80f.

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Das Wie des ciceronischen Philosophierens

zwar für die Beurteilung der Sinneseindrücke nicht notwendig, dennoch sehr hilfreich ist, werden zunächst einzelne Thesen wie ganze Lehren analytisch gegenübergestellt; im Verlauf der Debatte ergibt sich als Synthese ein tragfähiger wahrscheinlicher Kompromiss, der erst durch das Hinzutreten des Strukturmoments Dogmatismus glaubwürdig wird und, wie exemplarisch auch an den naturphilosophischen Schriften beobachtet, unter skeptischem Vorbehalt Relevanz für die Praxis gewinnt. Dass dies für alle Phasen philosophischer Schriftstellerei und alle Bereiche der Philosophie als konstantes Merkmal ciceronischen Philosophierens gilt, ist oben bereits vielfach gezeigt worden743 und soll nun abschließend eingeordnet werden. Denn nicht nur innerhalb des Korpus der im weiteren Sinne hier als methodisch bestimmten Schriften lässt sich die probabilistische Herangehensweise Ciceros beobachten. So wurde beispielsweise für De legibus in der Forschung gezeigt, dass sowohl hinsichtlich probabilistischer Ausgestaltung744 als auch bezüglich der Einstellung gegenüber der divinatio745 auffällige Parallelen zum Spätwerk zu finden sind. Sogar Anfang und Ende von Ciceros schriftstellerischer Tätigkeit lassen sich in methodischer Hinsicht aufeinander beziehen: Cicero bekennt sich sowohl in De inventione als auch in De officiis zu seiner probabilistischen Vorgehensweise.746 Gemeinsamer Kern all dieser Einzelaussagen ist eine epistemologische Konzeption, die fides und dubium als strukturell erkenntnistheoretische Kategorien umfasst. Deren Grundlage ist eine Spannung zwischen Dogmatismus und Skeptizismus, die gemäß der Interpretationsfolie Analyse–Synthese zu einer adaptiven probabilistischen Methodik verschmilzt, deren Anpassungsfähigkeit gerade 743

744 745

746

S. allgemein die Ausführungen zu den in Kapitel 4 untersuchten Werken und konkret etwa zur Annahme eines Schulwechsels Ciceros Anm. 608. Mančal 1982, S. 186 gebraucht, in Abgrenzung zur überkommenen Auffassung von einem ciceronischen Schwanken, die Bezeichnung „eminente[s] Strukturmoment“. S. auch das Weitere und Anm. 50 wie auch die Verweise dort. Bereits Henry 1925, S. 108f. erkennt diese Konsistenz. Görler 1995 hat, bezogen auf De legibus, die Kontinuität von Ciceros methodischem Ansatz eindrucksvoll bestätigt. Vgl. etwa Goar 1968, S. 247f. Auch Leonhardt 1999, S. 68–73 erkennt höchstens eine leichte Änderung zwischen De legibus und dem Spätwerk. Vgl. zum Verhältnis darüber hinaus Fott 2012, S. 179, Anm. 4 und Guillaumont 1984, S. 49–58 und 123–133. Begemann 2014, S. 225 sieht alle Werke im Gesamtzusammenhang und formuliert die These „that in de natura deorum, de divinatione and de fato, Cicero creates the fitting form of religio for his ideal res publica as it has been portrayed in de re publica and de legibus“. Gegen eine solche Kontinuität argumentiert etwa Linderski 1982, S. 23. S. inv. 2,10: Quare nos quidem sine ulla affirmatione simul quaerentes dubitanter unum quicque dicemus, ne, dum parvulum consequamur, ut satis haec commode perscripsisse videamur, illud amittamus, quod maximum est, ut ne cui rei temere atque arroganter assenserimus. S. off. 2,8: Quid est igitur quod me impediat ea quae probabilia mihi videantur sequi quae contra improbare atque adfirmandi arrogantiam vitantem fugere temeritatem quae a sapientia dissidet plurimum. Vgl. dazu Lefèvre 1988, S. 125f. sowie explizit für De inventione Gawlick 1956, S. 66–68, Anm. 1.

Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus

181

dadurch unterstrichen wird, dass diese Spannung als analytischer Teil der Konfiguration ausgehalten wird.747 Nur so kann letztendlich ein flexibles Instrumentarium entstehen, die Einheit als ein Amalgam verstanden werden, das in seiner Mischung für jede Situation und jedes Problem ein passgenaues, durch das Individuum umzusetzendes Vorgehen ermöglicht, welches sich in der Gesamtbewertung als durchaus komplex und darüber hinaus eigenständig erweist.748 Diese Beobachtung lässt sich letztlich für sämtliche philosophischen Schriften Ciceros treffen und die dargestellte probabilistische Methodik sich so zu Recht als große Konstante ciceronischen Philosophierens beschreiben. 5

Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus

Bei der Untersuchung der ciceronischen Methodik und der in ihr liegenden Spannung hat sich das Strukturmuster Analyse‒Synthese als adäquates Instrument zur Herausarbeitung von Oppositionspaaren, deren Auflösung und der sich daraus ergebenden inhaltlichen Rückschlüsse etabliert. Nachdem in den letzten beiden Kapiteln derart das Wie des ciceronischen Philosophierens sowohl unter der Perspektive von Philosophie und Rhetorik als auch derjenigen von Skeptizismus und Dogmatismus in den Blick genommen wurde, sollen nun in Form eines Ausblicks kurz einige Implikationen skizziert werden, welche sich aus der gemeinsamen Betrachtung der beiden basalen Oppositionen ergeben. Wie in den vorhergehenden Kapiteln bereits angedeutet,749 besteht ein expliziter Zusammenhang beider Bereiche der ciceronischen Methodik. Er wird von Ciceros selbst in De officiis formuliert: Contra autem omnia disputantur a nostris quod hoc ipsum probabile elucere non possit nisi ex utraque parte causarum esset 747

748

749

Vgl. auch Nicgorski 2016, S. 67: „For Cicero, the tension was not to be resolved in a solution but was to be maintained by fidelity to the Socratic balance between knowing and doubting.“ Für Mančal 1982, S. 185 handelt es sich um eine „methodisch von Cicero hergestellt[e] Gegensätzlichkeit, die dann aufgehoben wird“. Vgl. auch Lévy 2017, S. 22: Cicero behandele „l’idée que le psychisme humain est une réalité trop complexe pour se laisser nécessairement enfermer et comprendre dans la mécanique binaire de l’assentiment. Cicéron n’est jamais seulement sceptique, car chez lui, platonicien et académicien, le scepticisme porte toujours en lui son propre dépassement.“ Vgl. auch zusammenfassend Peetz 2008, S. 199: „Der Vorteil der von Cicero angewandten Methode der Herstellung eines Überlegungsgleichgewichts von Vernunftgrundsätzen und Erfahrungsurteilen, welche zu einem kohärenten System abgestuft wahrscheinlicher Urteile führt, liegt darin, daß sie die handelnde Person in die Lage versetzt, Urteile zu fällen, die der jeweiligen Situation angemessen und zugleich argumentativer Rechtfertigung im Horizont des gesamtgesellschaftlichen Normenkonsenses zugänglich sind. […] Diese Art von ethischer Rechtfertigung auf der Ebene des politisch-gesellschaftlichen Diskurses ist nicht mehr dogmatisch und situationsunabhängig, sondern wird zur Aufgabe der abwägenden Urteilskraft des Einzelnen.“ S. konkret etwa Kapitel 3.2, 4.3 und 4.5.

182

Das Wie des ciceronischen Philosophierens

facta contentio.750 Auf Grundlage einer Disputation von mehreren Seiten her, einer ex utraque parte contentio, wird das probabile ermittelt, wodurch der Zusammenhang von rhetorischer Theorie, dialektischer Philosophie und probabilistischer Erkenntnistheorie gerade in Ciceros letzter philosophischer Schrift in wünschenswerter Deutlichkeit herausgestellt wird.751 Ausgerichtet ist diese Verschränkung stets auf das frei urteilende Individuum, das in der Gesellschaft positiv wirken kann, wenn es die Grundsätze seines Handelns rhetorisch-dialektisch bestimmt und sich sodann unter probabilistischem Vorbehalt nach ihnen richtet.752 Man könnte nun die Überlegungen weitertreiben, wenn man versucht, die beiden Bestandteile von Ciceros Methodik, Disputation und Probabilismus, noch grundlegender zu fassen, indem man sie selbst wieder unter dem etablierten Schema von Analyse und Synthese betrachtet und zunächst als Dichotomie begreift. In dieser Konstellation würde die ciceronische Erörterungsmethode die philosophi750 751

752

Off. 2,8. S. insgesamt ebd., 2,7f. und vgl. zur Stelle Peetz 2005, S. 119, Anm. 43 und Gawlick 1956, S. 72f., Anm. 2. Dies wurde in der Forschung mehrfach erkannt. Peetz 2005, S. 119 sieht dabei einen Zusammenfall des rhetorischen εἰκός mit dem epistemologischen πιθανόν, womit „einem originär rhetorischen Begriff und dem systematischen Kontext, in dem er von Aristoteles verwendet wird, eine erkenntnistheoretische Bedeutung“ zukommt; vgl. in diesem Zusammenhang auch Peetz 2007, S. 135 und Peetz 2005, S. 128, Anm. 60 und 128, wo es heißt: „Das probabile als veri simile wird so zur Brücke bzw. zur konzeptuellen Klammer zwischen Rhetorik und Philosophie.“ Vgl. auch Leonhardt 1999, S. 19f.: „Und obwohl es empfehlenswert ist (wenn auch angesichts des Fehlens von Quellen kaum mehr durchführbar), den Wahrscheinlichkeitsbegriff der hellenistischen Rhetoriktheorie und die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitslehre in der skeptischen Akademie auseinanderzuhalten, bleibt doch festzustellen, daß für Cicero beide Konzepte in eines zusammenfallen.“ Vgl. darüber hinaus ebd., S. 19, Anm. 44 sowie 20f. und zudem Sauer 2018, S. 67, Anm. 1 und Ruch 1969, S. 326. Long 1995a, S. 58 sieht diese Kombination rhetorischer und philosophischer Komponenten im Zusammenhang der Erkenntnistheorie als Ciceros eigene synthetische Leistung: „Cicero can appeal both to the in utramque partem methodology and to argument in favour of probabilia as links between philosophy and rhetoric which have Peripatetic as well as Academic authority. […] The insistence on the common dialectical-cum-rhetorical methodology of both schools may well be Cicero’s own synthetical venture.“ Vgl. auch Reckermann 1990, S. 528, der in Analogie zum Gerichtswesen eine philosophische These als „eine öffentlich zu begründende ‚consultatio‘, deren Bedeutung im Entscheidenden von einer freien Zustimmung durch das ‚iudicium animi‘ des zuhörenden ‚Richters‘ abhängig ist“ bestimmt. Nitschke 2007, S. 124 spricht treffend von einer „Dialektik des Wahrscheinlichen, bei der sich skeptische mit dogmatischen Positionen jeweils austauschen und gegenüberstehen“. Ebd. betont er die Eigenleistung des rezipierenden Individuums: Im Verfahren werde die „Synthese aus dem Pro- und Contraverfahren meist nicht direkt formuliert, sondern bleibt als epistemologisches Konstrukt – quasi als Auftrag zur weiteren Reflexion durch den Leser – in der Luft hängen“. Vgl. auch Mančal 1982, S. 186. S. für die Bedeutung des Individuums zentral auch Anm. 724 wie ebenso die Verweise dort. S. zudem Kapitel 9.3.

Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus

183

sche und skeptische Seite repräsentieren, die das Auffinden eines veri simile, welches ja schon in seiner Begrifflichkeit den einer Wahrheit gegenüber skeptischen Vorbehalt einschließt, zum Ziel hat.753 Der Probabilismus auf der anderen Seite würde als tendenziell rhetorisch-überzeugend und dogmatisch bestimmt werden, das ihm gemäße Bestimmen eines probabile drückt schließlich bereits semantisch den dogmatischen Charakter einer Zustimmung aus.754 Beide Pole finden in der spezifisch ciceronischen Methode des Philosophierens als Synthese zusammen, womit diese Modifikation der Begriffsbestimmung von veri simile und probabile, die sich letztendlich aus den vorhergehenden Kapiteln ergibt, auch die These belegt, dass Ciceros Wie des Philosophierens als stringent und einheitlich verstanden werden kann. Abschließend soll kurz angerissen werden, wie eine so skizzierte synthetische Verschränkung von Disputation und Probabilismus in der Textpraxis anhand eines Beispiels, erneut unter Anwendung des etablierten Begriffsinstrumentariums, zur Anwendung kommen könnte. Besonders eignet sich dafür die Struktur einer Passage aus dem Brutus, die als Exkurs in den Hauptteil eingeschoben ist und erörtert, ob bei der Beurteilung eines Redners ein Unterschied zwischen Fachleuten und Laien755 auszumachen ist.756 Die Ausgangsfrage geht dabei von einer analytischen Situation aus, indem Atticus an der Gleichwertigkeit des Urteils von Gebildeten und Ungebildeten zweifelt: Semperne in oratore probando aut improbando volgi iudicium cum intellegentium iudicio congruit? An alii probantur a multitudine, alii autem ab iis qui intellegunt?757 Cicero als Sprecher beantwortet diese Frage kurz darauf eindeutig, wenn er die Notwendigkeit einer synthetischen Übereinstimmung im Urteilen postuliert: Necesse est, qui ita dicat ut a multitudine probetur, eundem doctis probari.758 Im Kontext der Beschreibung der drei Aufgaben eines Redners (docere, delectare, movere) zeigt er daraufhin, dass es, den Effekt der Rede betreffend, immer einen Konsens, eine Synthese von Gelehrten und ungebildeter Volksmasse gibt: Numquam de bono oratore aut non bono doctis hominibus cum populo dissensio fuit.759 Mittels einiger Beispiele belegt Cicero 753 754 755 756

757 758 759

Vgl. dazu auch Gawlick 1956, S. 71f. und Mančal 1982, S. 186, der von einer „Offenheit, die sich letztlich im veri simile bekundet“, spricht. Vgl. auch Michel 1961, S. 163: „Le probabilisme est crédule chez l’orateur; chez le philosophe il est sceptique, et conduit au doute méthodique.“ S. zur damit verbundenen Dichotomie Elite–Masse Kapitel 6.2.3. Vgl. dazu Inabinet 2007, S. 111f. Vgl. zur Stelle (Brut. 183–200) generell Desmouliez 1976, S. 257–265. Als weiterer Kontext der Passage ist dabei die Debatte um Asianismus und Attizismus – s. dazu Anm. 316 – sowie, damit verbunden, um den Wert von natura und ars zu sehen; vgl. dazu Douglas 1973, S. 121f.; Narducci 2002a, S. 405 und May 2007, S. 258, die hier Ciceros Einsatz „for a standard of popular effectiveness“ betont. Brut. 183. Ebd., 184. Ebd., 185.

184

Das Wie des ciceronischen Philosophierens

darauffolgend die These erneut und kommt zum selben synthetischen Ergebnis;760 ebenso wiederholt er die Feststellung jener Einheit, als es um die Beurteilung seiner eigenen Person als Redner geht.761 Immer wieder also setzt Cicero, nachdem das Ergebnis schon längst benannt wurde, neu an und vollzieht, indem er jedes Mal zunächst beide Seiten gegeneinanderstellt und sodann im Verlauf zusammenführt, mehrmals die gleiche Entwicklung von der Analyse zur Synthese nach. Doch auch nach dieser mehrmaligen Betonung der Einheit von Elite und Volksmasse in kurzer Folge relativiert der Sprecher wieder – Volgus interdum non probandum oratorem probat.762 –, nur um nach einem ausgedehnten Vergleich von Scaevola und Crassus erneut zu bestätigen, dass trotz Unterschieden im Detail am Ende Einigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft eines Redners besteht: Ab utroque autem causa perorata si quaereretur uter praestaret orator, numquam profecto sapientis iudicium a iudicio volgi discreparet.763 Es folgt ein zusammenfassender Abschnitt, der abermals die strukturelle Entwicklung nachzeichnet, indem auf die analytische Frage hin, was den intelligens nun vom imperitus unterscheidet, wieder die Synthese postuliert wird.764 Der Unterschied besteht bei beiden Gruppen, wie betont wird, nur in der Art und Weise des Erkenntnisgewinns: Der Kenner sieht uno aspectu et praeteriens,765 aufgrund seiner Kenntnisse, seiner ars, was die Masse der Zuhörer eher intuitiv, durch ihre natura, erkennt.766 Das gefällte Urteil jedoch bleibt dasselbe – für die Bildungselite wie für die breite Masse.

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S. Brut. 188f.: Quod enim probat multitudo, hoc idem doctis probandum est. Denique hoc specimen est popularis iudici, in quo numquam fuit populo cum doctis intellegentibusque dissensio. Cum multi essent oratores in vario genere dicendi, quis umquam ex his excellere iudicatus est volgi iudicio, qui non idem a doctis probaretur? S. ebd., 190: De reliquis hoc adfirmo, qui volgi opinione disertissimi habiti sint, eosdem intellegentium quoque iudicio fuisse probatissimos. Vgl. zur Argumentation Steel 2002/03, S. 201: „Cicero’s argument is that there should, or perhaps even can, be no difference between the judgement of the masses and that of the experts when it comes to oratory.“ Brut. 193. Ebd., 198. S. ebd., 199: Praestat etiam illo doctus auditor indocto, quod saepe, cum oratores duo aut plures populi iudicio probantur, quod dicendi genus optumum sit intellegit. Nam illud quod populo non probatur, ne intellegenti quidem auditori probari potest. Ebd., 200. Vgl. Steel 2002/03, S. 201: „Cicero’s argument in this passage is that the difference between a learned and an unlearned assessment consists not in the choice of who is to be considered a good orator, but the reasons for the choice. Someone who does not know about rhetorical technique will look simply to the outcome, whereas someone who does know about oratory will be able to explain how an orator gets his result: there will not, however, be any difference in who is classed as a good orator.“ Vgl. ferner zu Probabilismus und Masse auch Baraz 2012, S. 133–137.

Zwischenfazit I: Disputation und Probabilismus

185

Was zeichnet also die Struktur dieses Exkurses aus? In Verschränkung von Disputationsmethodik und probabilistischer Suche nach dem Wahrscheinlichen setzt Cicero immer wieder neu bei der analytischen Ausgangssituation an, bei der die Erörterung durch die Gegenüberstellung beider Elemente der Dichotomie in den Gang gebracht wird, um das der Wahrheit möglichst Nahekommende, das veri simile zu ermitteln, das im konkreten Fall in der Urteilsidentität von Elite und Masse besteht. Damit das skeptisch orientierte veri simile auch zum tendenziell dogmatischen probabile werden kann, braucht es eine feste Überzeugungsstrategie, die den Glauben an das Ergebnis stärken kann und es lebenspraktisch relevant werden lässt. Dies leistet das wiederholte Wiederaufnehmen der Disputation aus verschiedenen Richtungen und in unterschiedlichen Zusammenhängen, welches somit als strukturelles Element zur Bekräftigung und Stärkung der Überzeugung fungiert. Philosophie und Rhetorik wie Zweifel und Glaube werden so in ihrer Spannung zwischen Analyse und Synthese mehrfach dekliniert und verschränkt, was schließlich auch die Dynamik des der Arbeit zugrundeliegenden Denkmusters eindrucksvoll belegen kann, die im konkreten Fall auch als didaktischer Prozess767 interpretiert werden kann.768

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768

So abstrakt gesehen darf man durchaus von einer auch erzieherischen Absicht der Werke sprechen; vgl. für die These eines abstrakten Beziehungskonzepts bei Cicero etwa auch Gildenhard 2007 generell sowie Algra 2003, S. 14 und Graff 1963, S. 61f. Vgl. allgemein zu einer Bedeutung pädagogischer Aspekte bei Cicero auch Arena 2007, S. 59f.; Johann 1981, S. 419; van der Blom 2010, S. 311–315 und de Lima 2010. Für eine Übersicht zu pädagogischen Begriffen und Vorstellungen bei Cicero vgl. Lind 1994, S. 24–33 sowie Ryan 1982, S. 334–342. S. für weitere pädagogische wie didaktische Implikationen des ciceronischen Philosophierens Passagen aus Kapitel 3.4, 4.4.2, 6.2.3, 7.4, 8 und 9.2 sowie Anm. 373, 916 und 1366. Das solchermaßen langsame Hinarbeiten auf ein Ergebnis in mehreren Wellen wurde für manche Textpassagen und Werke auch in der Forschung erkannt. So schreibt etwa Wisse 2002a, S. 383 für das dritte Buch von De oratore: „The climax of the treatment of the theme is Crassus’ statement that the orator who possesses full philosophical knowledge surpasses everyone else (3.143), but Cicero works toward this climax only gradually and cautiously. A number of times the discussion of the knowledge theme seems to be brought to a close, only to re-appear later; there are, so to speak, a number of successive ‚waves‘ in which the theme is developed […]. And in the course of this development the emphasis, broadly speaking, shifts from a fairly restricted ‒ but already demanding ‒ claim that the orator should master the philosophical department of ethics (which included psychology and political theory), toward the ‚maximalistic‘ claim that the ideal orator possesses universal knowledge.“ Vgl. auch Wisse/May 2001, S. 19 und Fuhrmann 2011, S. 55. S. auch ganz ähnlich die Konzeption des Lucullus und dazu Kapitel 4.3.1.

186

Das Wie des ciceronischen Philosophierens

Damit ergibt sich Ciceros Methodik als Synthese der synthetisierten Strukturelemente Philosophie‒Rhetorik und Skeptizismus‒Dogmatismus. Am Ende steht ein systematisch gedachtes, flexibles Instrumentarium der Wahrheitsfindung, das auch als Grundlage für die Untersuchung des Inhalts ciceronischen Philosophierens dient.769 Dieser soll im Folgenden Thema dieser Arbeit sein.

769

Görler 1974, S. 185 stellt korrekt fest, dass die ciceronische Erkenntnistheorie zugleich als Basis für Ciceros ganze Philosophie dient.

Das Was des ciceronischen Philosophierens Nach dieser an einer grundlegenden Denkstruktur Ciceros orientierten Darstellung der ciceronischen Methode sollen nun deren Implikationen für die inhaltliche Ebene der Philosophica ausgelotet werden. Nach einer kurzen Betrachtung kulturphilosophischer Aspekte, wie sie sich vor allem in der Zeit der intensiven Beschäftigung mit Philosophie in Ciceros letzten Lebensjahren herauskristallisieren, soll vor allem die damit verbundene ciceronische Sozialphilosophie im Mittelpunkt stehen. Letztlich wird sich das methodische Instrumentarium der Arbeit auch hierbei als nützlich und strukturell prägend herausstellen. 6

Philosophischer Universalismus: Ciceros Kulturphilosophie

6.1

Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen

Innerhalb einer in vielerlei Hinsicht intensiven Phase ciceronischen Philosophierens770 nehmen die Tusculanae disputationes eine zentrale Rolle ein und sind damit besonders geeignet, um auch auf inhaltlicher Ebene Denkmuster im philosophischen Werk Ciceros zu untersuchen. Cicero selbst weist ihnen im rekapitulierenden zweiten Proömium der Schrift De divinatione einen, wenn nicht den zentralen Platz zu:771 Totidem subsecuti libri Tusculanarum disputationum res ad beate vivendum maxime necessarias aperuerunt. Primus enim est de contemnenda morte, secundus de tolerando dolore, de aegritudine lenienda tertius, quartus de reliquis animi perturbationibus, quintus eum locum complexus est, qui totam philosophiam maxime inlustrat; docet enim ad beate vivendum virtutem se ipsa esse contentam.

Auf die Tusculanae disputationes geht Cicero dabei am ausführlichsten ein, indem er den Inhalt jedes einzelnen Buches nennt; zudem stellt er das Werk klimaktisch ans Ende der ersten Teilperiode – der absolute Ablativ mit relativem Satzanschluss, der den nächsten Teil einleitet, schließt gleichzeitig den ersten Teil ab. Auch inhaltlich wird das Werk durch den Hinweis, dass das fünfte Buch den Kern

770 771

S. das Weitere und dabei Anm. 776 und 778. Div. 2,2.

188

Das Was des ciceronischen Philosophierens

der Philosophie behandelt, hervorgehoben.772 Besonders auffällig ist der existentiell773 gerichtete Charakter der Schrift, die nach Kirfel „Grunderfahrungen der menschlichen Existenz“774 verhandelt. Das Werk ist, das wird dem Leser deutlich, in einer Zeit der persönlichen Krise, entzündet durch den Tod von Ciceros Tochter Tullia775 und die Enttäuschung über die politischen Umstände,776 geschrieben – sie sollen in besonderer Weise zur Linderung der, so Koch, eigenen „seelischen Verwirrung“777 beitragen.778 Auch die Abwandlung der Dialogtechnik779 hebt die Tusculanae disputationes innerhalb der übrigen Werke hervor, grenzt sie aber (wie die anderen Besonderheiten) nicht definitiv von ihnen ab.780 Diese Arbeit schließt sich somit nicht der Meinung an, dass das Philosophieren in den Tusculanae 772

773 774 775 776

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778

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780

Vgl. Schofield 2002, S. 102: Die Tusculanae disputationes seien „indubitably the centrepiece of the whole account. It figures at the climactic point in the opening section of the book, which then breaks off into the theological degression. Uniquely the topic of each of the five books of the Tusculans is separately […] listed; and book 5 is singled out as addressing the key issue in the whole of philosophy.“ Vgl. auch Prost 2016, S. 11f. Gildenhard 2007, S. 203 spricht im Zusammenhang mit dem fünften Buch von einem „,existential‘ turn“. Kirfel 2008, S. 5. Vgl. dazu Fuhrmann 1989, S. 221 und Grimal 1988, S. 442. S. bereits Anm. 25. Dass Cicero als vehementer Verteidiger der römischen res publica libera schwer unter, so Tusc. 2,5, his temporibus, den neuen politischen Vorzeichen unter Cäsars Alleinherrschaft, leidet, weiß man nicht nur aus seinen persönlichen Briefen, sondern lässt sich auch anhand der Proömien der Tusculanae disputationes erkennen. Ein „general sense of political disintegration and despair“ durchziehe, so Gildenhard 2007, S. 157, alle fünf Proömien. S. bereits Anm. 25. Koch 2006, S. 59; vgl. Kochs Monographie generell zur therapeutischen Funktion der Philosophie und der damit zusammenhängenden emotionspsychologischen Systematik in den Tusculanae disputationes. Vgl. ferner Erskine 1997, S. 40f. und Luciani 2016, S. 269, die für das Werk eine Doppelperspektive des Kranken und des Therapeuten erkennt. Selten deutet Cicero seine durch die genannten Schicksalsschläge bedingte missliche Lage in den Tusculanae disputationes explizit an, auffällig aber an prominenter Position im ersten Satz des ersten Proömiums in Tusc. 1,1 – laboribus senatoriisque muneribus […] liberatus – und emphatisch im fünften Proömium in ebd., 5,1, wo er von tam varia et tam multa tormenta fortunae spricht. S. auch andere Proömien, z. B. ac. 1,11; fin. 1,10 und nat. deor. 1,7. Die Abwandlung der Dialogtechnik erfolgt aus der Sichtweise dieser Arbeit freilich mehr an der Oberfläche, da sämtliche Ausprägungen der ciceronischen Disputationsmethodik unter dem Oberbegriff einer disputatio in utramque partem subsumiert werden können; s. dazu ausführlich Kapitel 3.2 und speziell Anm. 205. Man beachte z. B. die deutlichen Verbindungen mit dem Vorgängerwerk De finibus bonorum et malorum, das nicht nur im zweiten Proömium von De divinatione in enge Nachbarschaft gestellt wird; vgl. dazu u. a. Kirfel 2008, S. 23; Bringmann 1971, S. 138f.; Lefèvre 2008, S. 319–323; Lévy 1992, S. 446–452 und Prost 2016, S. 9–12.

Ciceros Kulturphilosophie

189

disputationes Merkmale einer nur temporären Phase in Ciceros Denken781 widerspiegelt, und sieht das Werk auch nicht wie Görler „allen gängigen Kategorien“782 entzogen, sondern fasst ihren Charakter als eine weitergehende Entfaltung eines philosophischen Kerns in Ciceros Denken auf.783 Der Hymnus an die Philosophie im fünften Proömium784 verdeutlicht dies, indem er zentrale Motive ciceronischen Denkens auf engstem Raum existentiell wendet und dadurch unterstreicht: O vitae philosophia dux, o virtutis indagatrix expultrixque vitiorum! Quid non modo nos, sed omnino vita hominum sine te esse potuisset?785 Wenn Cicero die moralische Funktion der Philosophie in persönlicher wie gesellschaftlicher Hinsicht preist, verweist dies auf zentrale Kategorien seines Denkens, was eben nicht Ausdruck einer zeitweiligen Abkehr von den eigenen Auffassungen ist, sondern Kennzeichen ihrer Überhöhung. Die Tusculanae disputationes stehen also innerhalb des Zeitraums der intensiven Beschäftigung mit Philosophie für eine Verdichtung des ciceronischen Denkens. Dies ist, folgt man der These eines ciceronischen Gedankenkerns, besonders an den Proömien786 des Werks zu erkennen, die nicht zuletzt die Aufgabe haben, grundlegende Gedankenlinien philosophischer Schriftstellerei auf den Punkt zu bringen.787 Diese basalen gedanklichen Linien lassen sich nach Felgentreu in vier Bereiche einteilen, nämlich „die äußeren Umstände literarischer Tätigkeit (historische Gegebenheiten, Ort und Entstehungssituation, das Publikum, Förderer oder sonstige Anstoßgeber), die Person des Autors (seine Motivation, sein Verhältnis zum Publikum oder dem Adressaten seiner Widmung, autobiographische Angaben), literaturtheoretische Erwägungen (die Gattungstradition, Vorbilder, Kritiker, das literarische Programm und seine Apologie) und den Inhalt des Werkes selbst (Inhaltsangabe, Exposition). Diese begrenzte Zahl präfatorischer Aussagen konkretisiert sich oft in Form traditioneller Topoi.“788 All diese Elemente lassen 781

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Vgl. Douglas 1995, S. 213, der von einer „temporary phase in Cicero’s thoughts and feelings“ spricht. Vgl. auch Lefèvre 2008, S. 224, der den „Sondercharakter der Tusculanae als Ausdruck von Ciceros spezieller Verfassung im Jahr 45“ betont, sowie Spahlinger 2005, S. 132. Im Sinne dieser Arbeit gegen eine Sonderstellung argumentiert auch Dunsch 2000, S. 310. S. dazu auch Anm. 222 und generell 50 mitsamt den dortigen Verweisen. Görler 1996, S. 210. S. dazu auch Kapitel 2.3.1 sowie Anm. 49 und die Verweise dort. S. besonders auch Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. Tusc. 5,5. Vgl. zum Terminus philosophia virtutis indagatrix Dross 2010, S. 280–287. Für einen Überblick über die Entwicklung der Proömien in der antiken Literatur vgl. Ruch 1958, S. 325–340 und Janson 1964, S. 14–24. Douglas 1995, S. 197 weist mit Recht auf die Bedeutung und Eigenständigkeit der Proömien hin. Felgentreu 1999, S. 140. Für konkrete Beispiele bei Cicero vgl. Schmidt 1978/79, S. 121–124; Gillingham 1950, S. 58f.; Bringmann 1971, S. 94–99 oder Ruch 1958, S. 429–438. Eine Übersicht über Funktionen und Vorbilder in Ciceros Proömien bietet Ruch 1958, S. 360f.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

sich in den Proömien der Tusculanae disputationes und denen der meisten anderen philosophischen Schriften in vielerlei Variationen finden, was in der Forschung häufig zum Urteil geführt hat, die Vorreden stünden disparat neben dem Rest der Abhandlungen.789 Dieses Vorurteil wird dabei von Cicero unterstützt, wenn er in einem Brief an Atticus ein volumen prohoemiorum erwähnt.790 Dem muss man allerdings, wie Koch, entgegnen, dass es „unerheblich [ist], ob Cicero bereits verfasste Vorreden sinnvoll anordnete oder sie eigens neu […] geschrieben hat“.791 Denn selbst wenn zutrifft, dass Cicero teilweise vorgefertigte Passagen verwendet hat, bedeutet das, wie auch Gildenhard treffend bestimmt, noch keine Sinnabwesenheit.792 Für eine strukturalistisch orientierte Untersuchung sind die spezifischen Merkmale der einleitenden Passagen sogar besonders wertvoll, sind sie doch Sammelbecken für Variationen ähnlicher Einheiten,793 für Themen, Motive 789

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Vgl. etwa Ruch 1958, S. 281, der bezogen auf die Tusculanae disputationes schreibt: „[C]ette tendance […] accentue le divorce entre l’introduction et l’exposé.“ Vgl. für aktuelle Beispiele Lefèvre 2008, S. 139; Schofield 2008, S. 77 und teilweise Baraz 2012, S. 7. Stadler 2004, S. 282, führt aus, dass die „Prooemien zu Ciceros philosophischem Spätwerk in dem Ruch stehen, gegenüber den dogmatischen Partien ein Eigenleben zu führen, das sie zu austauschbaren Versatzstücken macht“, und bemängelt diese Interpretation mit Recht. Die meist als Kritik zu verstehende Aussage über den fehlenden Zusammenhang zwischen Proömium und Hauptteil ist im Übrigen nicht ganz zutreffend. Im ersten Proömium von De natura deorum beispielsweise mischen sich allgemeine mit dezidiert auf das Werk bezogenen Überlegungen. Auch in den Tusculanae disputationes existieren, wenn auch nicht in gleicher Weise offensichtliche, Verbindungen; s. dazu auch das Folgende in Kapitel 6.2 und 6.3. Ebenso greifen Arbeiten zu kurz, die Proömien generell auf ihren Einleitungscharakter reduzieren, so z. B. Janson 1964, S. 12: „A preface […] is the introductory part of a long text, where the author has not yet begun to treat the main subject.“ Natürlich gibt es Kriterien, wie Proömien vom Hauptteil abgegrenzt werden können – vgl. z. B. das Kapitel über die Gattungsfrage bei Felgentreu 1999, S. 19–37 –, eine vollständige inhaltliche Absonderung allerdings ist, wie sich zeigen wird, nicht gerechtfertigt. Auch sollen die Proömien in dieser Arbeit nicht primär als eigene Gattung aufgefasst werden, wie Felgentreu 1999, S. 19 dies tut: „Die präfatorischen Texte der Antike weisen eigene Traditionsund Evolutionszusammenhänge auf und bilden insofern eine gesonderter Betrachtung zugängliche Textgruppe.“ S. Att. 16,6,4: Nunc neglegentiam meam cognosce. De gloria librum ad te misi, et in eo prohoemium id quod est in Academico tertio. Id evenit ob eam rem quod habeo volumen prohoemiorum. Ex eo eligere soleo. Koch 2006, S. 61. Vgl. Gildenhard 2007, S. 89: „Even if it were true that Cicero at times used a prefabricated passage […], this would not justify hermeneutic absence.“ Vgl. auch Stadler 2004, S. 282: Das Verfahren des Volumens müsse „nicht notwendig zu einem disparaten Ergebnis führen“. S. für ähnliche Argumentationsmuster bei der Frage, ob man Ciceros Philosophie als eklektisch bezeichnen könnte, Anm. 22. Vgl. Gillingham 1950, S. 21: Es finden sich „variations on a small number of themes“. Vgl. auch Schofield 2008, S. 77 sowie Baraz 2012, S. 7.

Ciceros Kulturphilosophie

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und Begriffe also, die sich in unterschiedlichen Ausgestaltungen wiederholen794 und sich in Gegensatzpaare ordnen lassen.795 Von diesen Voraussetzungen ausgehend, wird im Folgenden Ciceros kulturphilosophisches Konzept anhand von drei zentralen Dichotomien der Tusculanae disputationes beschrieben, bevor die Entwicklung hin zu einem Universalkonzept von Philosophie, wie es im fünften Buch der Schrift der gipfelt, nachgezeichnet werden soll. Als Ergänzungen dienen De finibus bonorum et malorum, die Academica posteriora, De natura deorum, Cato maior de senectute und der Lucullus. 6.2

Tusculanae disputationes: Zentrale kulturphilosophische Dichotomien der Proömien

Wie bei den Betrachtungen zu Ciceros Methodik sollen also auch bei der Frage nach dem Inhalt ciceronischen Philosophierens die Proömien der Tusculanae disputationes als Einleitung dienen; sie können sogar, ergänzt man die Befunde um einige andere Textstellen, aus sich heraus Art und Ziel einer ciceronischen Kulturphilosophie umreißen, wenn man das Instrumentarium dieser Arbeit erneut heranzieht. Auf diese Weise ergeben sich bei genauer Textlektüre als zentrale Ordnungskategorien in Hinblick auf eine Untersuchung kulturphilosophischer Aspekte die drei Dichotomien Römer–Griechen, Vergangenheit–Gegenwart und Elite–Masse.796 Für die Belange der Arbeit wichtige Ergebnisse zu diesen Gegensatzpaaren sind bereits in einem Aufsatz des Verfassers gewonnen worden.797 Sie sollen im Folgenden kurz referiert und darüber hinaus verstärkt in das übergeordnete Denkmuster Analyse–Synthese eingeordnet werden. Zur Vertiefung und Erweiterung der Überlegungen werden dabei vereinzelt Stellen aus dem Hauptteil und aus anderen philosophischen Werken angeführt. 794

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Schmidt 1978/79, S. 121 etwa spricht von einem „repertoire of recurrent arguments“ und führt einige Beispiele an. Ähnlich äußern sich Stroh 2008, S. 89 und Bringmann 1971, S. 96, der feststellt: „Unterschiede betreffen nicht die Substanz, sondern Auswahl, Formulierungen und Ponderierung der Argumente.“ Dies gilt in besonderem Maße, aber nicht ausschließlich für die Proömien. Adamczyk 1961, S. 354–364 beispielsweise hat für bestimmte Themen bzw. Motive eine Übersicht für fast die gesamte zweite größere Schaffensperiode erstellt. Vgl. auch Schofield 2008, S. 78f.: „Over and over again he explores tensions between the political and the philosophical life, between philosophy and rhetoric, between Greek and Roman culture and the resources of Greek and Latin, and the possibilities for resolving them – all with reference to his own situation, his own history and his own contribution and capacities.“ Vgl. zudem Baraz 2012, S. 26f. Verbunden mit der zweiten Dichotomie ist auch die Opposition Republik–Tyrannei, mit letzterer Dichotomie verbunden sind auch die Gegensatzpaare boni–mali und gloria solida–popularis gloria. Vgl. Bleistein 2014. Die folgenden Ausführungen basieren teilweise auf dem genannten Aufsatz.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

6.2.1 Die Dichotomie Römer–Griechen Das thematisch zentrale Gegensatzpaar Römer–Griechen erscheint in den ersten beiden Proömien unter der Perspektive der Analyse. Gleich zu Beginn wird so etwa im Rahmen eines generellen Kulturvergleichs798 der römische Mann der Öffentlichkeit dem griechischen Intellektuellen gegenübergestellt.799 Dabei ist, wie die vierte Vorrede zeigt,800 dem Römer die Auseinandersetzung mit Fragen des gelingenden Lebens durchaus nicht fremd, weshalb in diesem Zusammenhang die von Cicero zu Beginn des ersten Proömiums getroffenen definitorischen Abgrenzungen ausschlaggebend sind, welche Gildenhard treffend herausstellt: Philosophie darf nicht mit Weisheit, sapientia, gleichgesetzt werden, sondern ist als spezifische Form des Erwerbs von Weisheit zu definieren.801 Für den politischen und kulturellen Vergleich zwischen Rom und Griechenland bedeutet dies: Weisheit, wie Cicero sie deutet, mag der Leser damit nun politische Klugheit oder lebenspraktische Erfahrung verbinden, ist kein genuin griechischer Vorzug, sondern schon immer auch Bestandteil der römischen Kultur gewesen, wie der Autor auch am Beispiel des sagenhaften Königs Numa Pompilius, qui sapientia excelleret,802 798

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Das Resultat dieses Vergleichs wird dabei direkt zu Beginn des ersten Proömiums in Tusc. 1,1 vorweggenommen: Meum semper iudicium fuit omnia nostros aut invenisse per se sapientius quam Graecos aut accepta ab illis fecisse meliora. Hier und auch in den folgenden Kapiteln wird zwischen Gebieten, in denen die Römer, insbesondere die maiores, bereits von sich aus größere Leistungen vollbracht haben als die Griechen, wozu (ebd., 1,2) mores et instituta vitae resque domesticas ac familiaris ebenso zu rechnen sind wie der Staat mit seinen Einrichtungen und Gesetzen sowie das Militärwesen, und Bereichen, in denen die Römer sich etwas angeeignet und danach verbessert haben, unterschieden. Dass der künstlerische Bereich sowie das Feld der Philosophie vernachlässigt wurden, liegt nur in der Ausrichtung auf praktische Bedürfnisse und nicht in fehlendem Talent begründet; s. Tusc. 1,4 und 4,5. Vgl. dazu etwa Gildenhard 2007, S. 143 und Citroni 2003, S. 149. Vgl. Gildenhard 2007, S. 201 und auch Ardley 1969, S. 36 sowie Schofield 2008, S. 77, der festhält: „[O]ne common and overarching preoccupation of Cicero’s dialogue writing in general, and of his prefaces in particular, from De Oratore and De Republica on, is the assertion of Rome against Greece.“ Vgl. generell auch Görler 2017 und Koselleck 2010, S. 276f. sowie für die Dichotomie Griechen–Barbaren im griechischen Bereich auch Cartledge 1993, S. 36–62. S. Tusc. 4,5: Hanc amplissimam omnium artium, bene vivendi disciplinam, vita magis quam litteris persecuti sunt. Der Grund für die bislang fehlende schriftliche Beschäftigung mit der Philosophie ist demnach die praktische Veranlagung des Römers, dem angewandte Ethik nähersteht als schriftliche Erörterung über ethische Probleme. Vgl. Gildenhard 2007, S. 104: „[P]hilosophia is not to be identified with wisdom [sapientia] itself, but with a special form of pursuing wisdom [studium sapientiae].“ Vgl. dazu auch Mančal 1982, S. 177 und 193–196; Baraz 2012, S. 104–106 sowie allgemein Klima 1971. Tusc. 4,3.

Ciceros Kulturphilosophie

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verdeutlicht.803 Indem Cicero weiterhin philosophia und studium sapientiae in enge Verbindung bringt, unterstreicht er, dass Philosophie durchaus römischen Charakter besitzen kann und für eine auch literarische Beschäftigung seitens Cicero in Frage kommt.804 Dieses Vorhaben artikuliert er im Proömium zum ersten Buch: Philosophia […] inlustranda et excitanda nobis est.805 Nachdem die Römer sich die meisten anderen griechischen Künste bereits produktiv angeeignet haben, ist es nun an der Zeit, die Griechen auch in der Philosophie zu übertreffen. Während Cicero den Vergleich schon im Proömium zum ersten Buch durch Kriegsmetaphorik wie erat facile vincere non repugnantes806 emphatisch auflädt, wächst sich im zweiten Proömium der Akkulturationsprozess endgültig zu einer kulturellen Eroberung aus: Hortor omnis, qui facere id possunt, ut huius quoque generis laudem iam languenti Graeciae eripiant et transferant in hanc urbem.807 Es zeigt sich, dass insbesondere in den ersten beiden Proömien eine starke Trennung beider Nationen forciert wird, welche als Ausdruck eines analytischen Status gesehen werden muss. Demgegenüber schlägt Cicero in den Proömien zum vierten und fünften Buch einen gänzlich anderen Ton an: Philosophie wird nun weniger als Schauplatz der kulturellen Auseinandersetzung gesehen, sondern in einen größeren Kontext eingebettet, wenn der Autor das Streben nach Weisheit als universelles Anliegen vorstellt.808 Den Gipfelpunkt stellt dabei der Hymnus im 803

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Vgl. dazu auch Fox 2007a, S. 49: „Rather than try to purvey a particular doctrine, Cicero applies a philosophical reading to Rome itself, putting philosophy into action by interpreting familiar material so as to make apparent its philosophical dimensions, and casting Rome as a city in which philosophy appears not as a foreign import which will appeal only to those with a particular interest in Greek culture, but as something with a more organic relationship with native Roman institutions.“ Vgl. für die Rolle von Numa Pompilius auch rep. 2,28f. Vgl. dazu Gotter 2003, S. 175f. sowie Ardley 1969, S. 36–38. Vgl. darüber hinaus Koch 2006, S. 63: „Die Möglichkeit des römischen Philosophierens wird bei Cicero zur Wirklichkeit.“ Vgl. zum Ziel der Darstellung Latinis […] litteris, wie es in Tusc. 2,2 heißt, Schofield 2013, S. 75. S. für die Bedeutung des literarischen Unterfangens auch orat. 148. Tusc. 1,5. Ebd., 1,3. Ebd., 2,5. Vgl. Gildenhard 2007, S. 106–109, wo er auch ebd., S. 106 bzw. 108 von der Entwicklung einer „competitive acculturation“ hin zu einem „cultural conquest“ spricht. Die Attitüde wirke, so Atkins 2000, S. 483, aristokratisch, d. h. „competitive and patriotic“. Philosophie scheint hier fast als materielles Kulturgut in einer außenpolitischen Agenda zu fungieren, als Teil des gesellschaftlichen Kapitals, wobei die Römer als Erben die Möglichkeit haben, dieses Kapital zu vermehren; vgl. dazu Habinek 1995, S. 59f. und 65. Ganz anders argumentiert Koch 2006, S. 62, der dieses politische und damit außerphilosophische Argumentieren lediglich als protreptische Taktik auffasst; s. dazu auch Anm. 194 und 901. Vgl. Gildenhard 2007, S. 187: Cicero „portrays the pursuit of wisdom […] as a universal cultural concern“; vgl. auch ebd., S. 192 und Strasburger 1990, S. 54.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

fünften Buch dar, der besonders augenfällig den kosmopolitischen Anspruch der Philosophie herausstellt.809 Als Rom oder Italien und Griechenland verbindende Figur tritt dabei Pythagoras auf.810 Dieser wird zwar einerseits als inventor und amplificator811 des griechischen Begriffs philosophia dargestellt, Cicero versucht aber andererseits auch, Spuren des Philosophen in Süditalien und dessen Einfluss auf das römische Denken nachzuweisen.812 Durch die Verknüpfung griechischer und römischer Philosophiegeschichte im vierten Proömium entsteht so der Eindruck einer gemeinsamen griechisch-römischen Tradition,813 bis schließlich im fünften Proömium fast nur noch ein einheitliches Konzept von Philosophie zu erkennen ist, unabhängig davon, ob der Begriff dafür bereits etabliert ist oder nicht.814 Es lässt sich also in den Proömien eine Entwicklung beim Gegensatz Römer– Griechen feststellen. Während in den ersten zwei Proömien für eine römische Überlegenheit, sei sie nun naturgegeben oder auf die Fähigkeit der Aneignung bezogen, gestritten wird, stehen die Proömien des vierten und fünften Buches unter einem anderen Zeichen. Das vierte Proömium betont zwar immer noch die römische Eigenständigkeit, nicht zuletzt durch die weiterhin präsente Unterscheidung von griechischer philosophia und urrömischer sapientia, setzt aber schon einen starken Akzent auf das Verbindende, beispielsweise durch die Mittlerfigur Pythagoras.815 Das letzte Proömium behält die Trennung von Römern und Griechen nur noch sprachlich vereinzelt bei; so steht etwa Italiam gegenüber Graeciam, quae magna dicta est.816 An anderer Stelle scheint jedoch durch die Verwendung eines unspezifischen Demonstrativpronomens – eos qui primi se ad philosophiae studium contulerunt oder quodsi ab is inventa et perfecta virtus 809

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S. für den Hymnus auch Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. Die Idee des Kosmopolitismus ist vorwiegend stoisch: vgl. Pohlenz 1978, S. 75–77, 133, 137 und 217 sowie Schirok 2009, S. 50–55 und 91–96. Vgl. zudem generell auch Konstan 2009. S. ausführlicher dazu Kapitel 8 und 9. Vgl. Gildenhard 2007, S. 192. Vgl. für eine aktuelle Betrachtung zu Pythagoras’ Wirken in Italien Volk 2016. Tusc. 5,10. S. ebd., 4,2–4. Es spielt dabei keine Rolle, ob diese Verbindung historisch überprüfbar war, wie Lefèvre 2008, S. 116 treffend herausstellt: „Der Glaube an die verklärte Vergangenheit ist wichtig, nicht der Nachweis.“ Die Gründe für die postulierte prominente Stellung des Pythagoras zwischen Römern und Griechen mögen vielfältig sein – vgl. etwa Lefèvre 2008, S. 244; Gildenhard 2007, S. 200f. oder Koch 2006, S. 72f. –, der Funktion für den Text kommt entscheidende Bedeutung zu. Gildenhard 2007, S. 201, spricht von einem „Graeco-Roman amalgam“. S. für eine parallele Denkbewegung auch Brut. 254: Quo enim uno vincebamur a victa Graecia, id aut ereptum illis est aut certe nobis cum illis communicatum. Im Hauptteil des fünften Buches darf auch Archimedes als strukturelle Mittlerfigur betrachtet werden: Cicero findet sein überwuchertes Grab in seiner Zeit als Quästor in Sizilien; s. Tusc. 5,64f. und vgl. dazu etwa Baraz 2012, S. 114. Tusc. 5,10.

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est817 – keine Unterscheidung mehr möglich zu sein und somit kein Bezug zu irgendeiner Nation gezogen zu werden. Als Repräsentant einer solchen universal gültigen und synthetischen Auffassung von Philosophie darf Sokrates gelten, der gleichsam als Zielpunkt der fünften Vorrede als Begründer der Ethik gepriesen wird. Entsprechend spiegelt sich dies gegen Ende des fünften Buchs, wenn Sokrates die Welt als seine Heimat bestimmt: Socrates quidem cum rogaretur, cuiatem se esse diceret, „mundanum“ inquit; totius enim mundi se incolam et civem arbitrabatur.818 Der Philosoph als Kosmopolit löst die Oppositionsformation der Nationen auf.819 Damit lässt sich die Konfiguration der Dichotomie Römer–Griechen in den Proömien durch das Denkmuster Analyse–Synthese eindeutig beschreiben: Während hinter der scharfen Gegenüberstellung von Griechen und Römern in den ersten beiden Proömien analytische Denkoperationen stehen, erscheinen die letzten beiden Proömien im Zeichen der Synthese, die im vierten Proömium in Modifikation von Gedanken der ersten Vorrede noch auf einer konkreten Ebene erfolgt, indem das Konzept einer Ur-sapientia etabliert wird, welche als typisch griechisch angenommenes und als typisch römisch verstandenes Denken vereint: Idee und mos maiorum,820 disciplina und philosophia,821 Individualismus und Gebundenheit durch den Staat.822 Die Synthese im fünften Proömium schließlich – bestätigt durch das Ende des folgenden fünften Buches – geht darüber hinaus, indem sie die Dichotomie durch die Vorstellung einer übernationalen Gemeinschaft vollständig auflöst. Es zeigt sich, so Gawlick, „die betonte und konsequente Durchführung des hellenistischen Kosmopolitismus im geistigen Bereich“.823 Auf beinahe symmetrische Weise kommt in der Anordnung der Dichotomie über die

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Tusc. 5,2. Ebd., 5,108. Vgl. dazu auch Bees 2010a, S. 163: „Grenzen, politische Interessensbereiche sind durch den stoischen Kosmopolitismus aufgehoben.“ S. weiterführend Kapitel 8 und 9. Vgl. hierzu Klingner 1965, S. 137f.; Stadler 2004, S. 275 und Weber-Schäfer 1976, S. 114 sowie generell zum mos maiorum in Rom van der Blom 2010, S. 12–17 und 18– 25 sowie Blösel 2000. Sauer 2018, S. 69 fasst Ergebnisse der Forschung zusammen, indem er den mos maiorum als „flexibles, interpretationsoffenes Konzept“ bezeichnet: „Die jüngere Forschung hat herausgestellt, dass die im mos maiorum subsumierten römischen Wertvorstellungen weder eine Prinzipienmoral noch eine für sich gedachte Entität darstellen, sondern vielmehr als ein lose zusammenhängender Komplex rein handlungsbezogener Leitwerte verstanden werden können.“ Vgl. auch Sauer 2017, S. 310. Vgl. dazu Gildenhard 2007, S. 104. Vgl. hierfür Häfner 1973, S. 138. S. auch Kapitel 9.2. Gawlick 1956, S. 115; er blendet dabei allerdings teilweise die Entwicklung aus, die zwischen dem ersten und fünften Proömium eindeutig zu beobachten ist.

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fünf Proömien hinweg so der dynamische Charakter des Denkmusters Analyse– Synthese zum Ausdruck; es lässt sich dabei eine Entwicklung von der Analyse zur Synthese beobachten.824 In Proömien anderer Schriften erscheint die Dichotomie Römer–Griechen vor allem im Zusammenhang mit der Frage, ob man bislang griechische Philosophie auch in lateinischer Sprache darstellen solle oder ob ein Verweis auf die griechischsprachigen Werke genüge. Die Problematik wird etwa gleich zu Beginn des ersten Proömiums von De finibus bonorum et malorum angesprochen, als Cicero vier Gruppen möglicher Gegner seines Philosophieprojekts nennt: Erunt etiam, et ii quidem eruditi Graecis litteris, contemnentes Latinas, qui se dicant in Graecis legendis operam malle consumere.825 Es gebe Leute, die sich aus ihrer Missbilligung lateinischer Werke heraus nur mit griechischer Literatur beschäftigten. Ein Literat, der sich dieser Gruppe beugt, ist Varro, der im erhaltenen Proömium der Academica posteriora näher auf deren ablehnende Haltung eingeht:826 Nam cum philosophiam viderem diligentissime Graecis litteris explicatam, existimavi si qui de nostris eius studio tenerentur, si essent Graecis doctrinis eruditi, Graeca potius quam nostra lecturos, sin a Graecorum artibus et disciplinis abhorrerent, ne haec quidem curaturos, quae sine eruditione Graeca intellegi non possunt. Itaque ea nolui scribere quae nec indocti intellegere possent nec docti legere curarent.

Cicero reagiert in beiden Werken827 auf diese Gedanken und rechtfertigt seine literarischen Bemühungen mit einer Reihe von Entgegnungen: Auch Übertragungen griechischer poetischer Texte würden mit Vergnügen gelesen; seine Abhandlungen seien keine bloßen Übersetzungen und böten neue Aspekte, zumal auch griechische Texte oft nur Abwandlungen von bereits Geschriebenem darstellten; seine Schriften stünden nicht mit den abschreckenden Werken epikureischer Schriftsteller auf einer Stufe828 – man könne sich über das insolens domesticarum rerum fastidium829 demnach nur wundern. In De finibus bonorum et malorum wird die Apologetik jedoch am Ende zur selbstbewussten Aussage, dass die lateinische Sprache für philosophische Themen sogar geeigneter sei, gesteigert, die Antithese also deutlich akzentuiert: Sed ita sentio et saepe disserui,

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Damit ist die Interpretation von Baraz 2012, S. 107 zumindest unvollständig, wenn sie die unterschiedliche Einstellung den Griechen gegenüber als Ausdruck von „discordant sentiments […] reflective of Cicero’s own ambivalence, as well as of the difficulty he faces in presenting his project to a Roman audience“ beschreibt. Fin. 1,1. Ac. 1,4. S. fin. 1,4–10 bzw. ac. 1,10–12. S. dazu v. a. Kapitel 6.2.3. Fin. 1,10.

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Latinam linguam non modo non inopem, ut vulgo putarent, sed locupletiorem etiam esse quam Graecam.830 Dennoch steht auch hier am Ende die Synthese, der Ausgleich, wenn Bildung unabhängig von der Bildungssprache gedacht wird:831 Debeo profecto, quantumcumque possum, in eo quoque elaborare ut sint opera, studio, labore meo doctiores cives mei, nec cum istis tantopere pugnare qui Graeca legere malint (modo legant illa ipsa, ne simulent), et iis servire qui […] utrisque litteris uti velint.

Nicht die Überlegenheit des Griechischen oder Lateinischen beschließt das erste Proömium von De finibus bonorum et malorum; vielmehr mögen beide Sprachen zu ihrem Recht kommen, solange sie sich um die letztlich supranationale Angelegenheit der Philosophie sorgen – und so sieht man in diesem Sinne im fünften Proömium Römer über historische Stätten der Griechen wandeln.832 Auch diese Tendenz lässt sich ganz wie in den Tusculanae disputationes am Ende des fünften Buches, bei einer abschließenden Bewertung des Atticus, aufzeigen, wo der Ausgleich zwischen Griechisch und Latein sogar sprachlich durch einen Ausdruck der Gleichheit augenfällig wird: Sed mehercule pergrata mihi oratio tua. Quae enim dici Latine posse non arbitrabar, ea dicta sunt a te verbis aptis nec minus plane quam dicuntur a Graecis.833 Es zeigt sich: Bei der Bewegung von der Analyse zur Synthese handelt es sich um ein universales Denkmuster, das auf die Einheit als Ideal ausgerichtet ist, wie es im konkreten Fall die Synthese römischer und griechischer Philosophie darstellt. 6.2.2 Die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart Ein weiterer zentraler Gegensatz wird von Cicero zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgespannt. Gleich zu Beginn des ersten Proömiums kommt dabei die Änderung der politischen Verhältnisse unter Cäsar zum Ausdruck: Der Gebrauch von nostros834 schließt Cicero, seine Leser und insbesondere ehemalige Vertreter

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Fin. 1,1. Die Zuschreibung locuples bezieht sich zumindest auf den Wortschatz und die Ausdrucksmöglichkeiten der lateinischen gegenüber der griechischen Sprache. S. auch nat. deor. 1,8, wo zudem die Bildsprache des Kulturkampfes nochmals zu beobachten ist. Fin. 1,1. S. ebd., 5,1–6 und auch nochmals Kapitel 6.2.3. Fin. 5,96. Atticus kann als in Griechenland lebender Römer, der beide Sprachen beherrscht, als Figur der Synthese betrachtet werden. Tusc. 1,1.

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der römischen Elite mit ein. Gleich darauf jedoch wird diese generationenübergreifende Einheit durch eine Dichotomie zwischen dem Wir der Gegenwart und den Vorfahren ersetzt:835 Nam mores et instituta vitae resque domesticas ac familiaris nos profecto et melius tuemur et lautius, rem vero publicam nostri maiores certe melioribus temperaverunt et institutis et legibus.

Hier steht tatsächlich für eine kurze Zeit die Synthese am Anfang, ein analytischer Prozess teilt die gedachte Einheit allerdings in die Opposition Vergangenheit– Gegenwart auf. Auch an späteren Stellen wird dieser Bruch immer wieder betont, sodass offenkundig wird, dass die gute Entwicklung aus der Zeit der Vorfahren zum Ende gekommen ist.836 Der zu bedauernde Niedergang der Republik äußert sich folglich vornehmlich in einem Gegensatzpaar, das Cicero bemüht, nämlich dem von glorreicher Vergangenheit, eng verknüpft mit dem stark positiv konnotierten Begriff maiores,837 und verdorbener Gegenwart, konkret also von Republik und Tyrannei. Besondere Beachtung verdient der Exkurs im dritten Proöm, der versucht, eine kulturphilosophische Erklärung für den Übergang von der ruhmreichen Vergangenheit zur depravierten Gegenwart zu finden.838 Interessanterweise sind es gerade 835

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Vgl. dazu Habinek 1995, S. 60: „The use of nostros is sufficiently open-ended to allow for the possibility that the ‚we‘ unites Cicero, his readers, and previous representatives of the Roman elite. […] [In Tusc. 1,2] however, this trans-generational unity is replaced by a dichotomy between the ‚we‘ of the present and ‚our ancestors‘.“ Vgl. daneben auch Baraz 2012, S. 107. S. auch Beispiele aus anderen Werken, etwa div. 2,6. Tusc. 1,2. Dies zeigt sich besonders in den historischen Exkursen im ersten und vierten Proöm. Es wird im Zusammenhang mit dem Vergleich Römer–Griechen betont, dass gerade die Vorfahren den Staat mit guten Einrichtungen und Gesetzen geregelt haben und unter ihnen, so Tusc. 4,1, ein incredibilis […] cursus ad omnem excellentiam eingesetzt hat, der, wie man wohl ergänzen muss, nun zu einem jähen Ende gekommen ist. Vgl. dazu auch Gildenhard 2007, S. 114: „Cicero implies a discontinuity between his own time and that of the ancestors.“ Vgl. auch die Tabellen ebd., S. 116 und 129. Vgl. darüber hinaus Cairo 2015, S. 221, die in diesem Zusammenhang eine „ruptura total entre el mundo de los antepasados y el de los contemporáneos“ erkennt. Vgl. ferner Clarke 1956, S. 14f. sowie Roloff 1983, S. 298–301, der ebd., S. 299, Anm. 322 die gracchischen Reformen als Ausgangspunkt des Verfalls bestimmt; s. zu den Gracchen v. a. Kapitel 7. Für die Beschreibung der Gegenwart erkennt dabei Gildenhard 2013a, S. 259 einen „acute sense of impending catastrophe, generating a mood of pessimism and doom that endows his theorizing on civic ethics with a special sense of urgency“. S. z. B. Tusc. 1,2; 2,5; 4,3 und vgl. Weber-Schäfer 1976, S. 95; Clarke 1956, S. 43 und Griffin 1989, S. 10, die feststellt: „The Romans were moved more by the example of their maiores than by precept.“ Vgl. dazu auch Lefèvre 2008, S. 215–221; Gildenhard 2007, S. 176–178 und Koch 2006, S. 70f. S. auch part. 90–92 und Brut. 258 und vgl. dazu Arweiler 2003, S. 260.

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die Besten, optumus […] quisque,839 die den größten Schaden verursachen, nicht als Folge schlechter Anlagen, sondern indirekt aufgrund schädlicher gesellschaftlicher Einflüsse, welche dazu führen, dass die geistige Elite irrige Meinungen über das Gute annimmt und in der Folge falsch handelt: Hi quidem optuma petentes non tam voluntate quam cursus errore falluntur.840 In diesem Sinne deutet die Wendung alii everterunt suas civitates, alii ipsi occiderunt841 zweifelsfrei das Verhalten Cäsars und das Schicksal des Pompeius an.842 Ersterer wird damit auch eindeutig als Zerstörer der Republik ausgewiesen, wird an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart positioniert.843 Im fünften Buch der Tusculanae disputationes wird diese Spaltung in verdichteter Form demonstriert, wenn dem Tyrannen Dionysios der Weise als Ideal gegenübergestellt wird.844 Beide sind

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Tusc. 3,3. Ebd., 3,4. Vgl. hierzu z. B. Koch 2006, S. 69–72. Cicero erklärt damit geschichtlichen Wandel und politische Veränderungen in erster Linie moralisch; vgl. dazu Atkins 2000, S. 477; Clarke 1956, S. 15; Graver 2009, S. 123; Gawlick 1956, S. 96–98, Anm. 1 sowie Sprute 1983, S. 156f. und 170. Der Exkurs gibt dabei nicht nur auf der politischen Ebene eine Erklärung für den Untergang der Republik, sondern erklärt auch die Störung des Mikrokosmos – Koch 2006, S. 70 spricht zurecht auch von der „Verderbnis“ der einzelnen Seele; s. für die Interdependenz von Makro- und Mikrokosmos auch besonders Kapitel 7 und u. a. Anm. 1046. Die Annahme, dass tatsächlich falsche Meinungen existieren, steht dabei nicht im Widerspruch zu Ciceros probabilistischem Zugang: Wie es der Wahrheit nahekommende Sachverhalte gibt, so auch solche, die als unwahrscheinlich und in diesem Sinne falsch gelten müssen; s. für Ciceros Probabilismus Kapitel 4. Tusc. 3,4. Auch im Haupttext lassen sich mehr oder weniger deutliche Anspielungen auf Cäsar finden: vgl. Adamczyk 1961, S. 184–192. S. auch Anm. 855. Dabei kann zwischen der Person Cäsar und dem verursachenden strukturellen Prinzip Cäsar als Tyrann unterschieden werden; vgl. Strasburger 1990, S. 61 und daneben Clark/Ruebel 1985, S. 62. Das verursachende Prinzip zeichnet sich dabei nach Reckermann 1990, S. 513 durch unüberlegtes Urteilen aus: „In der ‚temeritas Caesaris‘ sieht Cicero die politische Konsequenz eines kulturellen Depravationsprozesses, an dessen Ende Bezugnahmen auf überindividuelle Normen keine handlungsorientierende Kraft mehr besitzen. Die Erinnerung an Grundzüge eines Wirklichkeitsverständnisses, das noch nicht von der Trennung zwischen Sehen und Erkennen, bzw. zwischen Zunge und Denkvermögen tangiert ist, hat deshalb bei Cicero auch eine politische Intention.“ S. dazu auch Kapitel 3.3.1 zur Trennung von res und verba. Vgl. ebenfalls Luciani 2010, S. 281–287. S. Tusc. 5,57–60 und 64–66. Vgl. dazu u. a. Strasburger 1990, S. 62; Lefèvre 2008, S. 228–230 und daneben Malitz 1988, S. 157. Eventuell kann der jüngere Cato als Idealtypus betrachtet werden; vgl. Gildenhard 2007, S. 121f.

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strukturell und prinzipiell zu verstehende Repräsentanten der zwei Endpunkte der hier besonders ausgeprägten Dichotomie.845 Einen Ausweg aus der analytisch zu verstehenden Situation bietet, wie das dritte Proömium unmissverständlich klarstellt, nur die Philosophie, die allein eine Auflösung der Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart leisten kann: Est profecto animi medicina, philosophia.846 Unter den gegebenen Umständen vermag es also, wie der kulturphilosophische Exkurs zeigt, ausschließlich die Beschäftigung mit Philosophie, die vor allem gesellschaftlich bedingten Krankheiten der Seele zu heilen und so Veränderungen zum Schlechten hin vorzubeugen. Denn, so Koch, die menschlichen „Irrtümer sind vor allem Fehler in der Auffassung dessen, was eigentlich gut oder das Beste sei“.847 Und weiter: „In der Aufklärung über echte Güter und echte Übel liegt also die ‚medizinische Leistung‘ der Philosophie.“848 Diese praktisch gedachte Hilfeleistung gilt sowohl für den privaten als auch den gesellschaftspolitischen Bereich, wie unter anderem dem Proömium zum ersten Buch von De natura deorum zu entnehmen ist: Et si omnia philosophiae praecepta referuntur ad vitam, arbitramur nos et publicis et privatis in rebus ea praestitisse quae ratio et doctrina praescripserit.849 Für die Einzelperson verschafft die Beschäftigung mit der Philosophie Linderung des Leidens an der Gegenwart und wird somit Beitrag zur anstrengenden,850 aber lohnenden Selbsttherapie. Seinen Höhepunkt findet dieser Gedanke abermals im Hymnus an die Philosophie im fünften Proömium, wo Philosophie als letzte Zuflucht dargestellt wird: His gravissimis casibus in eundem portum, ex quo eramus egressi, magna iactati tempestate confugimus.851 Die medizinische Leistung der Philosophie kann sich allerdings auch nach außen richten und gesellschaftspolitisch wirken.852 845

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Der Tyrann Dionysios ist dabei der Vertreter der Gegenwart. Zwar handelt es sich um ein historisches Beispiel, das Prinzip des Tyrannen ist jedoch ein überzeitliches und so soll es hier verstanden werden. Tusc. 3,6. Vgl. auch Lefèvre 2008, S. 226. S. bereits vorher Kapitel 4.2. Koch 2006, S. 72. Ebd.; vgl. auch Wood 1991, S. 212: Das Ziel sei es, den Geist seiner Zeitgenossen zu reinigen „by revealing to them their false beliefs“. Die Aufklärung über Güter und Übel, richtige und falsche Meinungen, soll dabei möglichst gründlich erfolgen, wofür Cicero im Hauptwerk das Bild eines vollständigen Ausreißens der schädlichen Wurzeln oder Wurzelfasern gebraucht, so etwa in Tusc. 3,13, 84 oder 4,57. Vgl. für die Verwendung der Medizinmetapher generell Dross 2010, S. 268–278. Nat. deor. 1,7. S. Tusc. 3,6: Est profecto animi medicina, philosophia; cuius auxilium non ut in corporis morbis petendum est foris, omnibusque opibus viribus, ut nosmet ipsi nobis mederi possimus, elaborandum est. Ebd., 5,5. S. weiterhin zum Hymnus Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. Vgl. beispielsweise Gildenhard 2007, S. 206. Strasburger 1990, S. 55 merkt an, dass sich auch in Ciceros scheinbar unpolitischen Schriften eine zweite politische Ebene auftut. Er weist damit auf das „Mißverständnis [hin], die Aufsuchung der Idealität in einer unwiederbringlichen Vergangenheit bedeute nur Flucht in Resignation und nar-

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Besonders deutlich wird dies wiederum im Proömium zum ersten Buch von De natura deorum:853 Nam cum otio langueremus et is esset rei publicae status ut eam unius consilio atque cura gubernari necesse esset, primum ipsius rei publicae causa philosophiam nostris hominibus explicandam putavi.

Nach einem wohl ironisch gemeinten Hinweis auf Cäsars Tyrannis verweist Cicero auf die Bedeutung seiner schriftstellerischen Bemühungen gerade auch für den Staat.854 Die Überbrückung der Dichotomie im Hinblick auf eine Synthese wird so auf mittelbare Weise erreichbar855 – über eine, so Heinze, „sittliche

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kotisierenden Selbstbetrug“. Reckermann 1990, S. 528 sieht folgerichtig in „philosophische[n] Argumente[n] eine prägende Kraft für das individuelle wie für das öffentliche Leben“. Vgl. auch Lefèvre 2008, S. 213 und 238 sowie Gildenhard 2007, S. 203. S. für einige konkrete Überlegungen Anm. 855. Nat. deor. 1,7. S. auch fin. 1,10. Vgl. zu dieser Verbindung von Republik und philosophischem Projekt auch Baraz 2012, S. 100f. In der Forschungsliteratur gehen dagegen manche davon aus, dass Cicero mehr oder weniger konkret auf die Politik Einfluss nehmen will, indem er direkt Kritik an Cäsar übt, etwa durch die Wahl der in den Dialogen sprechenden Personen oder durch die Wahl der historischen Beispiele; vgl. etwa Adamczyk 1961, S. 3, der gleich zu Beginn seiner Monographie Elemente politischer Propaganda, die natürlich gegen Cäsar gerichtet ist, benennt: „Elements of propaganda appear in a variety of forms. At one time, open criticism of Caesar’s regime, and at another, the studied omission of political material emphasize Cicero’s true political feeling. Often, the people singled out for praise or blame in Cicero’s choice of historical exempla, the characters chosen to participate in the dialogues, and even the literary form employed are made to serve his political designs.“ Andere – wie generell etwa Strasburger 1990 – glauben gar, in Ciceros Werken eine versteckte Aufforderung zur Auflehnung gegen Cäsar ausmachen zu können. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die zweimalige Erwähnung der Befreiung des Staates von der Königsherrschaft im vierten Proömium, das erste Mal gleich zu Beginn in Tusc. 4,1: Progressio admirabilis incredibilisque cursus ad omnem excellentiam factus est dominatu regio re p. liberata. Auffallend ist, dass Cicero hier eindeutig auf die res publica libera, nach Gildenhard 2007, S. 196 ein „government based on the principle of freedom“, anspielt und sie als Ergebnis der Befreiung aus einer Tyrannei darstellt. Die zweite Erwähnung in Tusc. 4,2 stellt sich noch konkreter dar: L. Brutus patriam liberavit. Die Befreiung aus der Tyrannei wird nun explizit auf die Vertreibung des letzten Königs durch Lucius Iunius Brutus zurückgeführt, was natürlich in Verbindung mit der Tatsache, dass Cicero die Tusculanae disputationes dem späteren Cäsarmörder Marcus Brutus widmet, welchen er gerade in den letzten zwei Proömien immer wieder persönlich anspricht, zu diversen Spekulationen führen muss. Wird hier lediglich ein literarischer Topos bemüht, um Cäsars Herrschaft auf subtile Weise als Tyrannei zu brandmarken, oder handelt es sich, wie Gildenhard ebd., S. 197 meint, um einen „encoded call to arms“, um – so ebd.,

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Gesundung der principes“856 und eine Wiederherstellung des mos maiorum.857 Korrespondierend mit dem Proömium wird die therapeutische Funktion der Philosophie auch am Ende des dritten Buches thematisiert. Cicero greift dabei auf die gleiche medizinische Bildsprache wie in der Vorrede zurück:858 Ut medici toto corpore curando minimae etiam parti, si condoluit, medentur, sic philosophia cum universam aegritudinem sustulit, sustulit etiam, si quis error alicunde extitit.

Tatsächlich kann nach Cicero die Philosophie über eine Beseitigung falscher Meinungen zur persönlichen und schließlich gesellschaftlichen Besserung beitragen.859 Philosophie als Strukturelement, sowohl konkret philosophische Theorie als auch praktisches Philosophieren, können so eine erneute Versöhnung von Vergangenheit und Gegenwart anleiten. Man kann zusammenfassen: Eine analytische Denkoperation hat dem Idealstaat der Vergangenheit den depravierten Staat der Gegenwart gegenübergestellt. Der zentrale Exkurs im dritten Proömium der Tusculanae disputationes begründet diesen Analyseprozess ausführlich: Gesellschaftlich bedingte moralische Fehlentwicklungen führen zur Verderbung der Führungsschicht, die – Cäsar ist Schlüsselfigur – die Republik in den Untergang gestürzt hat. Eine gegenläufige Entwicklung ist allerdings möglich; und so endet das dritte Proömium konsequenterweise nicht mit der Beschreibung der defizitären Gegenwart, sondern stellt eine Lösung in Aussicht, wenn sich sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft nach den

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S. 129 – nach der ruhmreichen Vergangenheit durch einen Tyrannenmord in der Gegenwart für die Zukunft eine „possibility of reviving the res publica“ aufleuchten zu lassen? Vgl. dazu auch Peetz 2008, S. 186 und Strasburger 1990, S. 29–38 sowie Baraz 2012, S. 131f. Je konkreter allerdings eine politische Aufforderung an Brutus gedacht wird, desto eher gerät der Rezipient in die Gefahr, anachronistisch zu interpretieren, Cicero gar als vates zu stilisieren; vgl. etwa Bringmann 2010, S. 237. S. auch die Ausführungen zum Stand der Forschung in Anm. 24. Heinze 1966, S. 310. Vgl. auch Sprute 1983, S. 157. Vgl. dazu Gildenhard 2013a, S. 239; Atkins 2000, S. 497; Sprute 1983, S. 152 und Leonhardt 2000, S. 59 sowie insbesondere auch Baraz 2012, S. 127 und Wassmann 1996, S. 284f., die beide ebenfalls den abstrakten Charakter des ciceronischen Projekts betonen. Tusc. 3,82. S. auch kurz darauf ebd., 3,84: Id se effecturam philosophia profitetur, nos modo curationem eius recipiamus. S. daneben ebd., 4,58–62 und 84f. Vgl. generell für den Gebrauch medizinischer Metaphorik im dritten Buch der Tusculanae disputationes Nussbaum 1994, S. 319, Anm. 70 und generell für Philosophie als Therapie Koch 2006 und Voelke 1993. S. zudem Anm. 777. Vgl. dazu auch Woolf 2015, S. 66: „Perhaps his boldest step of all, then, is to insist that philosophy need not only have value for its large-scale contributions to the betterment of Rome; it can and should be appreciated as a source of enjoyment for individuals too.“ S. dazu auch div. 2,5 und vgl. Woolf 2015, S. 66.

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Vorgaben der Philosophie richten. Als Folge eines Geschichtsbewusstseins, das die Spaltung von Vergangenheit und Gegenwart im Hinblick auf Zukünftiges interpretiert,860 besteht Hoffnung861 auf einen Syntheseprozess, der die glorreiche Vergangenheit auf eine bessere persönliche und politische Zukunft projiziert.862 Am Ende dieses Prozesses steht eine neue Gegenwart mit dem Antlitz der Vergangenheit, womit auch im für die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart zentralen dritten Proömium, verstärkt durch das Ende des Buches, ein prinzipielles Fortschreiten von der Analyse zur Synthese nachzuweisen ist.863 6.2.3 Die Dichotomie Elite–Masse In seinem kulturphilosophischen Exkurs zu Beginn des dritten Proömiums, der die Ursachen für den Verfall der Republik zu ergründen sucht, führt Cicero das Volk und damit quasi gleichgesetzt die Masse als entscheidenden Faktor864 an:865 860

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Vgl. dazu Gildenhard 2007, S. 130: Cicero „addresses the present in terms of the past and the future“. Vgl. darüber hinaus Kretschmar 1938, S. 113: „Da er die Vergangenheit überblickt, arbeitet er für die Zukunft, indem er die Forderungen der Gegenwart zu erfüllen sucht.“ Strasburger 1990, S. 55, spricht von einem „Geschichtsbewußtsein […], welches Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig im Blick hat, die Gegenwart allerdings einzuklammern neigt“. Entsprechend führt richtiges Philosophieren zu den Überzeugungen der Vorfahren, wie Ardley 1969, S. 32 herausstreicht: „Genuine philosophy deepens our appreciation of the models of past time, the mos maiorum.“ Reckermann 1990, S. 511 ordnet Ciceros Verwebung von Vergangenheit und Gegenwart in einen größeren Kontext ein: „Aus der Fähigkeit, die verschiedenen Dimensionen der Zeit zu einem einheitlichen Zeitbewußtsein zu verbinden, resultiert das Können, das der Mensch zur Erhaltung und zur kulturellen ‚Verschönerung‘ seines primär armen und im Blick auf das Weltall randständigen Daseins benötigt.“ Vgl. weiterhin Samotta 2009, S. 402. Nach Pöschl 1962, S. 178 glaubt Cicero daran, die Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart überwinden zu können. S. zur Erreichbarkeit eines Ideals bei Cicero auch Kapitel 7.2.2 und Anm. 1118 und 1179. S. dazu auch orat. 120: Quid enim est aetas hominis, nisi ea memoria rerum veterum cum superiorum aetate contexitur? Eine anfängliche Synthese wird, wie am Anfang des Kapitels gezeigt, gleich zu Beginn des ersten Proömiums zerstört. Kurz zuvor wird in platonischer Tradition auch der schlechte Einfluss der poetae genannt. S. ebenfalls Tusc. 2,27 und 4,68–72. Ebd., 3,3. Die verkürzte stoische Argumentation setzt bei der unverdorbenen Natur des Menschen an; schädliche gesellschaftliche Einflüsse führen letztendlich zu falschen Meinungen und Vorstellungen. Ein zentraler Missstand ist dabei nach Strasburger 1990, S. 59 die „Ausrichtung der Erziehung auf falsche moralische und politische Leitbilder“. Vgl. auch Gildenhard 2007, S. 170: Anliegen des Exkurses sei es „[to] locate the provenance of error almost exclusively in culture, more specifically education“. Cicero konstruiere, so ebd., S. 174, eine „simple […] dichotomy between natura and

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Das Was des ciceronischen Philosophierens Cum vero eodem quasi maxumus quidam magister populus accessit atque omnis undique ad vitia consentiens multitudo, tum plane inficimur opinionum pravitate a naturaque desciscimus.

Durch den schlechten pädagogischen Einfluss der multitudo werden gerade die Besten, optumus quisque,866 dazu verleitet, falsche Prioritäten zu setzen und den Ruhm beim Volk zu suchen.867 Dem Streben nach popularis gloria setzt Cicero sein Konzept der gloria solida,868 seine Vorstellung vom wahren Ruhm entgegen,869 welcher in der consentiens laus bonorum,870 der Anerkennung durch die Guten besteht, die dem Lob durch die Massen diametral entgegensteht.871 Die Dichotomie boni–multitudo kristallisiert sich als Quintessenz des Exkurses heraus.872 Der Typus des politischen malus entsteht dabei als direkte Folge der unreflektierten Volksmasse; die moralische Dichotomie boni–multitudo geht somit der politischen Dichotomie boni–mali voraus und kann in ihrer Beeinflussung der Einzelperson als Ursprung allen politischen Übels gedeutet werden.873 Was bedeutet das Gegensatzpaar für die Philosophie? Sie wird in Rom von der Menge, die aus indocti besteht, getadelt, da sie von ihnen nicht richtig begriffen

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her potential on the one hand and, on the other, depraved customs and opinions“. Damit vereinfacht Cicero die stoische Argumentation zum Zwecke strukturaler Abstraktion erheblich, ignoriert beispielsweise die Möglichkeit, dass falsches Verlangen auch durch die Dinge selbst entstehen kann. Tusc. 3,3. S. auch Kapitel 6.2.2. Vgl. Koch 2006, S. 71: Sie halten „Befehlsposten, Ämter und Ruhm beim Volk für das Erstrebenswerteste überhaupt“. Vgl. auch in Bezug auf die Tugend der Gerechtigkeit – s. dazu näher Kapitel 7 – Nicgorski 2016, S. 224: „That most people lose sight of justice in pursuing glory was an axiom of Cicero’s moral and political analysis.“ Tusc. 3,3. Diese Unterscheidung ist, wie Gildenhard 2007, S. 180f. herausstellt, ein typisch römischer Kompromiss. Vgl. zur äußerst komplexen Entwicklung des ciceronischen gloriaKonzepts Sullivan 1941. Vgl. zur stoischen Inspiration des Konzepts Griffin 1989, S. 35 und Pohlenz 1978, S. 272. S. im Haupttext auch u. a. Tusc. 1,109f. und 2,58. Ebd., 3,3. Sauer 2018, S. 85 stellt korrekt fest, dass Cicero die „Genese einer politisch aktiven Bildungselite, deren Fokus auf der Frage nach dem richtigen Urteilen liegt“, im Auge hat. Natürlich ist diese Elite, wie bei Baraz 2012, S. 22 zu sehen ist, nicht automatisch für Ciceros Konzeption empfänglich; sie betont „the elite Romans’ unwillingness to fully engage with philosophy“. Natürlich ist diese Einteilung aus historischer Perspektive eindimensional, worauf etwa Meier 1980, S. 162 verweist. Zu diesem Gegensatzpaar schreibt Bernett 1995, S. 90: Es gebe eine „bei Cicero vorhandene Grundannahme eines antithetischen Dualismus im politischen Geschehen. Die […] beschriebenen Ereignisse sind determiniert vom (angenommenen) Gegensatz zwischen boni und mali/improbi, deren politische Zielvorstellungen einander widersprechen.“ Vgl. auch ebd., S. 92–119 und 265.

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werden kann874 – was auch die Erklärung für die Beliebtheit der epikureischen Lehre ist, deren Gehalt Cicero als Populärphilosophie für die Massen radikal abwertet.875 Analog zur Dichotomie Elite–Masse stellt Cicero dem Epikureismus eine elitäre vera elegansque philosophia876 gegenüber, welche, wie Koch herausstellt, „ihren Ausgangspunkt bei Sokrates nahm und sich in die Schulen der Akademiker, Peripatetiker und Stoiker verzweigte“.877 Cicero reiht sich mit einigen seiner Zeitgenossen in diese Tradition ein, wobei eine konkrete Verbindung beispielsweise im fünften Proömium von De finibus bonorum et malorum erfolgt, wo der Autor und einige seiner Freunde in Athen auf den Spuren verdienter Vertreter der ehrwürdigen philosophischen Tradition wandeln – Platon tritt dem Gesprächspartner Piso auf dem historischen Boden förmlich vor Augen: Velut ego nunc moveor. Venit enim mihi Platonis in mentem, quem accepimus primum hic disputare solitum; cuius etiam illi hortuli propinqui non memoriam solum mihi afferunt, sed ipsum videntur in conspectu meo ponere.878 Und so kann Cicero schließlich seine Schriften und die seiner Freunde den vernachlässigbaren Werken der epikureischen Schreiber direkt gegenüberstellen, wie er es etwa im ersten Proömium desselben Werkes tut:879 Ex eo credo quibusdam usu venire ut abhorreant a Latinis, quod inciderint in inculta quaedam et horrida, de malis Graecis Latine scripta deterius. […] Res vero bonas verbis electis graviter ornateque dictas quis non legat?

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S. Tusc. 5,6 und vgl. dazu etwa Cowell 1948, S. 272. Andererseits, so das zweite Proömium, zieht sich die Philosophie zurück und versucht, die Masse zu meiden. S. für diese Aspekte auch ac. 1,5; 2,5, 9 und fin. 3,7. S. etwa Tusc. 4,6. Dass diese Lehre, die in Rom unter anderem von Gaius Amafinius vertreten wird, auch von Ungebildeten verstanden werden kann, verleitet dazu, ihr das Prädikat Philosophie überhaupt abzusprechen. Diese Leute würden gerne Philosophen genannt werden, es handelt sich, so ebd., 2,7 um quoddam genus eorum qui se philosophos appellari volunt. Diese Abneigung kann man auch in anderen Proömien beobachten, etwa in ac. 1,5 oder fin. 3,2 und daneben vielfach in den Hauptteilen verschiedener Werke, beispielsweise Tusc. 5,27f.; fin. 2,49 oder nat. deor. 1,42f. Das eigentliche und viel gravierendere Problem der epikureischen Lehre stellt für Cicero natürlich deren Propagieren eines weitgehend politikfernen Lebens dar. Daraus resultiert nach Koch 2006, S. 74 auch deren „Ungeeignetheit […] für das Aufrechterhalten einer res publica“. Vgl. zur Kritik Ciceros an Epikur auch Baraz 2012, S. 110–113 und Prost 2016, S. 16f. S. zu Ciceros Einstellung dem Epikureismus gegenüber ferner Kapitel 6.4 und bislang auch Passagen aus Kapitel 3.2, 4.3.1 und 4.4.1. S. Tusc. 5,6. Koch 2006, S. 74; vgl. zu den Merkmalen dieser wahren Philosophie Ryan 1982, S. 328f. S. für Sokrates als Ausgangspunkt der Philosophie auch Kapitel 4.2 und 4.3. Fin. 5,2. Ebd., 1,8. Vgl. zu dieser Gegenüberstellung in den Tusculanae disputationes v. a. Gildenhard 2007, S. 147 und 166.

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Auch Pythagoras, der in den letzten beiden Proömien der Tusculanae disputationes eine herausgehobene Position innehat,880 darf als Ahnherr dieser wahren Philosophie gelten. Im fünften Proömium führt Cicero dessen Gleichnis von einem zahlreich besuchten Fest an: Wie es dort eine besonders edle Gruppe von Menschen gebe, die weder nach Applaus noch nach Gewinn strebe, sondern nur komme, um zu schauen und genau zu begreifen, was geschehe und wie es geschehe, so existierten auch in der realen Welt Menschen, qui ceteris omnibus pro nihilo habitis rerum naturam studiose intuerentur.881 Dabei lässt Cicero ihn betonen, dass diese Gruppe der Philosophen sehr klein sei – raros esse quosdam882 –, womit sich Cicero dezidiert als Mitglied einer philosophischen Elite ausweist.883 Konkrete Beispiele für Mitglieder dieser Gruppe können die in den Proömien der philosophischen Schriften immer wieder gelobten Zeitgenossen und Freunde Ciceros sein.884 Dass diese Gruppe auch in irgendeiner Weise politisch aktiv sein soll, wird durch das Bild des Festes nicht zwangsläufig impliziert, schließlich handelt es sich bei den elitären Besuchern lediglich um stille Betrachter. Ciceros Ideal aber ist das des theoretischen und praktischen Einsatzes für den Staat885 und so weisen andere Passagen in den Tusculanae disputationes eindeutig darauf hin, dass die Elite als politische gedacht wird; entsprechend erhält der Weise gegen Ende des ersten Buchs den Auftrag, allzeit für den Staat und seine Bürger zu sorgen.886 Für sein Projekt, die Philosophie auch in Rom zu etablieren und so eventuell langfristige politische Veränderungen zu bewirken, benötigt Cicero also zunächst gerade die Besten. Sein strukturell zu verstehendes Programm setzt beim Einzelnen an,887 bleibt aber konsequent abstrakt: Ausgangspunkt ist die philosophische Therapie, die durch die Aufklärung über richtige und falsche Meinungen zur moralischen Besserung führt und damit einerseits dem Individuum als Heilmittel dient, andererseits zur Eignung für die theoretische und praktische Politik beiträgt.888 Im Proömium zum Lucullus wird die Beschäftigung mit Philosophie darü880 881 882 883 884 885 886 887 888

S. v. a. Kapitel 6.2.1. Tusc. 5,9. Ebd. Gildenhard 2007, S. 166 spricht von einer „select group of supremely gifted writers, the equivalent, as it were, to the optimates in politics“. Dies sind etwa Varro in ac. 1,9 oder Brutus in fin. 3,6. S. für den Vorbildcharakter bestimmter Personen Kapitel zusammenfassend 9.2. S. dazu bislang zusammenfassend Kapitel 3.4, 4.5 und 5 sowie im Folgenden v. a. Kapitel 7. S. etwa Tusc. 1,91 und daneben fin. 3,68 und vgl. dazu u. a. Stadler 2004, S. 278f. sowie weiterhin Arweiler 2003, S. 261 und 283–286. Vgl. dazu im Kontext etwa Koch 2006, S. 21–24, 41–44, 47f. und 193 und s. dazu im Haupttext auch Tusc. 4,82–84. S. ausführlich Anm. 724 und die dortigen Verweise. Auch der Mensch Cicero macht von diesem Heilmittel Gebrauch, wie das Ende des Werks zeigt: s. Tusc. 5,121. Vgl. dazu auch Lefèvre 2008, S. 18 und 241 sowie allgemein Koch 2006. In politischer Hinsicht soll am Ende eine bessere Zukunft stehen; s. dafür Kapitel 6.2.2.

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ber hinaus explizit als optimo atque amplissimo quoque dignissima889 beschrieben und so darf man mit Recht schlussfolgern, dass es Ciceros Absicht ist, die Führungsschicht zu persönlicher wie auf den Staat bezogener Exzellenz zu führen.890 Ein besonderes Anliegen ist dabei die Erziehung der nachwachsenden Generation der Führungsschicht, der künftigen Elite: Der junge Mensch – so das dritte Proöm von De finibus bonorum et malorum – müsse bereits mit Bildungsinhalten konfrontiert werden: Iam infici debet iis artibus quas si, dum est tener, combiberit, ad maiora veniet paratior.891 Die multitudo hingegen scheint für Ciceros Projekt ungeeignet zu sein. Ciceros Elitedenken bringt, so scheint es, die Annahme mit sich, dass nicht jeder empfänglich für die Belehrung durch die Philosophie sei,892 und führt etwa nach Strasburger scheinbar dazu, „daß er sich für die […] erstrebte Breitenwirkung auf das Staatsleben vom Verständnis weniger tatbereiter Nachwuchspolitiker mehr verspreche als von einem weitgestreuten Publikumserfolg“.893 Ausdruck findet dies in zahlreichen Einlassungen in Ciceros Werken894 sowie pointiert im dritten Proömium von De finibus bonorum et malorum über die Person des Marcus Cato, der sich explizit trotz des unberechtigten Tadels der Masse philosophischen Studien widmete.895 Scharf und scheinbar fest zementiert tritt die Dichotomie Elite–Masse hervor. Analytisches Denken prägt also zunächst die Debatte um das Verhältnis von Elite und Masse, eine starke Oppositionsstellung zwischen für Erkenntnis und Therapie empfänglicher Führungsschicht und unreflektiert handelnder und falsch urteilender Masse ist unverkennbar.896 Eine vorschnelle Beurteilung des Denkens 889 890

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Ac. 2,6. Vgl. Gildenhard 2007, S. 174: Es ist Ciceros Ziel „[to] bring present and future members of Rome’s ruling élite (back) in touch with their natural excellence“; vgl. ebd., S. 74–76 sowie Atkins 2000, S. 489. S. zudem Kapitel 6.3. Fin. 3,9. S. etwa auch div. 2,4f. und zum Thema der Erziehung Anm. 767 und die Verweise dort. Vgl. Gawlick/Görler 1994, S. 1103f. und ebenfalls Gildenhard 2007, S. 174–176. Strasburger 1990, S. 65. Habinek 1995, S. 65 weist darauf hin, dass bereits das Bestreben einer sprachlich anspruchsvollen Ausgestaltung die Masse vom Diskurs auszuschließen vermag. Die Belege sind zahlreich: s. etwa Tusc. 2,11 und 63; 5,30, 46 und 104–106; fin. 2,44 und 50; 3,35; 4,66; nat. deor. 1,23 und 2,45. Vgl. zur negativen Darstellung des gemeinen Volks zudem etwa Bernett 1995, S. 125f. S. fin. 3,7: Erat enim, ut scis, in eo aviditas legendi, nec satiari poterat, quippe qui ne reprehensionem quidem vulgi inanem reformidans in ipsa curia soleret legere saepe. Dies dürfte natürlich nicht zuletzt Ausdruck des am Ende doch aristokratischen Denkens Ciceros sein, das trotz der Neubestimmung der boni in der Rede Pro Sestio offensichtlich ist. Müller 1971, S. 114 betont, dass durch die klare Gegenüberstellung von Weisem und Toren eine monarchisch geprägte politische Theorie begünstigt wird. Da Cicero den Weisen jedoch immer im Plural denkt, muss man seine Politik eher aristokratisch orientiert nennen. Bernett 1995, S. 265, stellt entsprechend fest, dass Cicero „Interesse an der Bestandserhaltung der traditionellen politischen Ordnung“ hat.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

führt jedoch auch bei diesem Punkt zu einem eindimensionalen Ergebnis; wie bisher muss auch das komplementäre Denkmuster der Synthese beachtet werden, insbesondere wenn es als Teil des Prozesses der Auflösung von Gegensätzen so deutlich in den Blick gerät wie hier und zumal, wie nun bereits vielfach demonstriert,897 die Synthese bei Cicero als idealer Ziel- und Endpunkt zu verstehen ist. Gerade die universalistische Tendenz der Dichotomie Römer–Griechen berücksichtigend, gilt es, die Proömien der Tusculanae disputationes und anderer Schriften auf Einheitsbestrebungen hin zu untersuchen. Unter dieser Perspektive erkennt man etwa im ersten Proömium von De finibus bonorum et malorum einen vorsichtigen Blick Ciceros auf ein breiteres Publikum, wo er konstatiert, dass er sich nicht dagegen wehren würde, wenn jeder seine Schriften lesen könne: Nec vero […] recusabo quo minus omnes mea legant.898 Deutlicher wird diese Ausrichtung im Proömium zum Lucullus, wo Cicero dezidiert plurimis899 nützen will, und insbesondere in den Academica posteriora, als Cicero Varros Ausführungen ausdrücklich zustimmt, durch gefälliges Schreiben auch weniger Gebildete zu erreichen:900 Et tamen in illis veteribus nostris, quae Menippum imitati non interpretati quadam hilaritate conspersimus, multa admixta ex intima philosophia, multa dicta dialectice, quae quo facilius minus docti intellegerent, iucunditate quadam ad legendum invitati.

Es handelt sich, so betrachtet, bei Ciceros Vorhaben um ein letztlich auch auf eine weitere Öffentlichkeit gerichtetes Projekt, für das eine schrittweise und langsame Popularisierung philosophischer Gedanken notwendig wird.901 Und so darf man korrigieren: Zwar ist die theoretische Grundierung der gebildeten Elite vorbehalten, die Möglichkeit einer Erfassung der Inhalte und damit einer Vorbereitung auf die Erkenntnis bringenden und therapeutisch wirkenden Folgen der Beschäftigung mit Philosophie wird jedoch allen zugestanden.902 897 898 899 900

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S. neben den bisherigen kulturphilosophischen Dichotomien in Kapitel 6.2.1 und 6.2.2 die Ergebnisse zu Ciceros Methodik in den Kapiteln 3, 4 und 5. Fin. 1,7. Ac. 2,6. Ebd., 1,8. Tatsächlich ist auch innerhalb dieser Passage in den Academica posteriora ein Ausgehen von der Analyse zu beobachten, wie an ebd., 1,4 zu erkennen ist: Itaque ea nolui scribere quae nec indocti intellegere possent nec docti legere curarent. Vgl. dazu Koch 2006, S. 67: „Die Einbürgerung der Philosophie kann nur gelingen, wenn Cicero seine Protreptik ‚sanft‘ beginnt und auf breiter Basis in die Sachdebatte einsteigt.“ Vgl. zudem Powell 1995b, S. 9 und Tornau 2006, S. 4. Görler 1974, S. 75 weist Annäherungstendenzen an das Volk auch für off. 2,35 und Lael. 18 nach. S. zudem das Folgende und zuvor auch Anm. 194 und 807. S. auch leg. 1,30 und vgl. dazu Gawlick 1956, S. 116f. sowie Harries 2002, S. 56, die in Bezug auf die Universalität des ius naturae schreibt: „Although he conceded that the formulation of theories about it was due to a small elite of the learned, he also argued

Ciceros Kulturphilosophie

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Wenn also die Unternehmung, die Besten zu gewinnen, von Erfolg gekrönt ist, besteht Hoffnung, dass auch die Masse den Nutzen des Philosophierens erkennt und so über die Philosophie eine politisch wie kulturell bessere Zukunft erreicht wird, wie auch Koch überzeugend schildert: „Über die Gewinnung von zunächst einzelnen Bürgern für ein philosophisches Verständnis soll und kann eine Veränderung der res publica erreicht werden.“903 Hierzu passt, dass Cicero der Philosophie auch im Hymnus im fünften Proömium, quasi als synthetisch wirkendes Strukturelement, große Bedeutung für ein funktionierendes gesellschaftliches Zusammenleben zuschreibt.904 Sowohl formal – in Form eines Hinweises auf die Bedeutung der religiösen Praxis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt905 – als auch inhaltlich bestätigt Cicero damit die entscheidende Rolle philosophischen Denkens, weshalb es in letzter Konsequenz allen, ergo jedem Einzelnen, vermittelt werden muss.906 Höchste Verwirklichung erhält diese Idee im universalistischen Konzept des consensus omnium, das sogar über die im dritten Proömium vorgestellte Konzeption der consentiens laus bonorum hinausreicht907 und dessen Auftreten in Ciceros Werk im Detail wie im Grundsätzlichen zu beobachten ist: Sowohl Gebildete als auch Ungebildete stimmen darin überein, dass der vir fortis et magnanimus908 Schmerz tapfer ertragen muss oder dass es Götter gibt,909 beide

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that ‚right reason‘ was common to all.“ Vgl. ebenfalls Koch 2006, S. 175. Auch in der Öffentlichkeit setzt Cicero beim Einzelnen und dessen Urteilsvermögen an; vgl. etwa Reckermann 1990, S. 528. Voraussetzung ist auch nach fin. 5,89 eine gewisse Allgemeinverständlichkeit; s. dazu auch orat. 117. S. zudem Anm. 915 und für De re publica Kapitel 7.2.2. Koch 2006, S. 68. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Achard 1981, S. 35 auf Basis der Reden: „Il est indiscutable que le regroupement de la plus large partie possible des ‚bons citoyens‘ pour la défense de la ‚res publica‘ est le principe essentiel de la politique de Cicéron.“ Vgl. dazu auch Koch 2006, S. 79: Es wird offenkundig, „dass das philosophische Denken […] insbesondere auch das öffentliche Leben bestimmen muss, wenn dieses gelingen soll“. S. zum Hymnus bereits das Vorherige und am Ende Kapitel 9.2 und die dortigen Verweise. S. dazu näher Kapitel 4.4. Vgl. dazu etwa Graff 1963, S. 61. Vgl. dazu auch Temelini 2002, S. 99f. Auch hier ergibt sich bei Achards Untersuchung der Reden in Achard 1981, S. 38 ein ähnliches Ergebnis: „Il est […] juste en définitive de dire que Cicéron passe très vite de la concordia ordinum au consensus bonorum, puis au consensus omnium.“ Vgl. Achard 1981, S. 97–102 und 105f. Für den consensusGedanken in den Briefen an Atticus vgl. Hariman 1989, S. 152f. Vgl. zum consensus omnium bonorum auch Strasburger 1956, S. 59–70 und generell Schian 1973. S. generell zum consensus-Begriff auch Passagen in Kapitel 3.3.1, 6.2.3 sowie 7.2 und 7.3 und zudem Anm. 251, 1062 und 1409. S. z. B. Tusc. 2,43. S. nat. deor. 1,44.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

Gruppen können zudem die Qualität eines Redners richtig einschätzen,910 doch auch eine umfassendere, allgemeine Übereinstimmung stoischer Prägung tritt in den Werken zum Vorschein: Innerhalb einer übereinkommenden Menschengemeinschaft911 löst sich auch die Dichotomie gloria solida–popularis gloria auf. In einer Erweiterung der Verbundenheit aller miteinander über den Tod hinaus wird am Ende von Cato maior de senectute die gloria nicht mit Blick auf das Volk oder die Menge der Guten gesucht, sondern mit Blick auf die Nachwelt912 – der consensus omnium reicht selbst über den Tod hinaus, der Universalismus wird der Zeit enthoben.913 Die Dichotomie Elite–Masse stellt sich somit ambivalent dar: Die Annäherung der beiden Pole, also die verderbliche Beeinflussung der Elite durch die Masse, hatte, analytisch wirkend, die Selbstdemontage der römischen Führungselite und damit auch den Untergang der Republik zur Folge.914 Nichtsdestotrotz bietet gerade die Etablierung der Philosophie durch eine Elite und deren Aufgreifen durch die Masse die Möglichkeit für die Wiederherstellung dieser Republik. Es scheint, als gebe es sowohl Tendenzen, die den Graben zwischen Gebildeten und Ungebildeten akzentuieren, als auch Überlegungen, eben diesen zu überwinden – als existiere ein Konflikt zwischen der Tendenz, die Weisen zu isolieren, und dem Gedanken, dass alle Menschen in gleicher Weise vernunftbegabt sind.915 Doch 910 911

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S. Brut. 183–200 und dazu ausführlich Kapitel 5. S. bereits Kapitel 6.2.1. Reckermann 1990, S. 528 schreibt treffend: „Die Klärung fundamentaler Fragen des menschlichen Wirklichkeitsverständnisses ist nicht die Angelegenheit allein von Fachphilosophen, sondern diejenige einer prinzipiell unbegrenzten Öffentlichkeit.“ S. zum Universalismus auch Kapitel 8 und 9. S. Cato 82: Nescio quo modo animus erigens se posteritatem ita semper prospiciebat, quasi cum excessisset e vita, tum denique victurus esset. Quod quidem ni ita se haberet, ut animi inmortales essent, haud optimi cuiusque animus maxime ad inmortalitatem et gloriam niteretur. Vgl. auch Fuchs 1971, S. 309. S. zudem auch die Ausführungen zu Laelius de amicitia in Kapitel 7.3. Vgl. auch Gildenhard 2007, S. 175. Vgl. Baldry 1965, S. 111, der bereits für das griechische Denken von einer „inconsistency […] between emphasis on the gap between wise men and fools and endeavours to bridge it“ spricht. Es gebe einen „recurring conflict between the tendency to isolate the wise, rejecting the common run of men as worthless fools, and the thought that all human beings are akin in the possession of reason and the potentiality of becoming wise“. Dies gelte dabei nicht nur für Cicero, sondern für die gesamte hellenistische Philosophie; vgl. dazu ebenfalls ebd., S. 141–203. Desmouliez 1976, S. 265 sieht diesen Widerspruch bei Cicero nicht aufgelöst: „Concluons donc que les réserves de Cicéron relatives à l’ignorance de la foule et sa thèse qui concerne l’universalité du sentiment esthétique se situent sur deux plans qui restent bien distincts.“ Auch Voigtländer 1980, S. 625f. bemerkt, „daß in der hellenistisch-römischen Philosophie die Antithese zwischen den Weisen (den Philosophen) und den Toren (den Vielen) auf der einen Seite, der Gedanke der im Geistigen gelegenen Gemeinsamkeit aller Menschen und das

Ciceros Kulturphilosophie

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kann dieser vermeintliche Widerspruch aufgelöst werden: Eine Synthese ohne philosophische Unterfütterung kommt nicht zu Stande – die Folge sind analytische Prozesse, an deren Ende die unversöhnliche Opposition zwischen Elite und Masse steht. Eine erfolgreiche Synthese, eine Auflösung der Dichotomie kann jedoch unter dem Vorzeichen des Strukturelements Philosophie gelingen, womit eine philosophische Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche, sowohl der boni als auch der multitudo, möglich wird.916 Am Ende des strukturellen Syntheseprozesses steht die universale Menschengemeinschaft,917 wie sie durch aktives Philosophieren realisiert wird. 6.3

Resümee: Ciceros Kulturphilosophie und die Struktur der Tusculanae disputationes

Analyse und Synthese spiegeln sich, wie gezeigt wurde, in Dichotomien und deren Auflösung wider und erweisen sich somit als gute Untersuchungsinstrumente für ciceronisches Denken auch im inhaltlichen Bereich. Auch für diesen konnte gezeigt werden, dass in Ciceros Werken die Synthese als Zielpunkt angestrebt wird, dass also ein Prozess des Übergangs von der Analyse zur Synthese zu beobachten ist. Ausgehend davon lassen sich einige weitergehende Beobachtungen zur Struktur der Tusculanae disputationes anstellen. Die Dichotomien werden dabei als bedeutende Ordnungskategorien aufgefasst, die zentrale Themen des kulturphilosophischen Programms Ciceros beleuchten können und erkennen lassen, dass zumindest die Gesamtheit der Proömien ein kohärentes Projekt entwirft,918 welches –

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daraus erwachsende Consensus-omnium-Argument auf der anderen Seite große Bedeutung haben“. Zur Auflösung bei Cicero s. das Weitere. S. für De re publica Kapitel 7.2.2. Vgl. dazu auch Barlow 1987, S. 374, der in Bezug auf die Erziehung einen Gegensatz zwischen richtig und falsch verstandener Philosophie ausmacht: „Philosophy, wrongly understood, comes to sight as the great obstacle to a civic education, for it leads the young men to reject their city as unlovable. Rightly understood, statesmanship fulfills the desires of the best young men for an understanding of eternal principles, and gives them a concern to make their city as good as possible.“ Dabei lässt sich, wie Koch 2006, S. 80 heraushebt, zwischen zweitem und fünftem Proömium eine Entwicklung ausmachen: Während in der zweiten Vorrede „geradezu der Rückzug von der Menge nahegelegt wird […], geht Cicero [im fünften] Vorwort offensiver zu Werke und plädiert für die Durchdringung der Gesellschaft mit philosophischem Denken“. Vgl. zum übergeordneten pädagogischen Programm in den Tusculanae disputationes allgemein Gildenhard 2007 sowie Adamczyk 1961, S. 182–184. Dass dabei Ansätze auf Platon zurückgehen, erörtern etwa Algra 2003, S. 15f. und Atkins 2000, S. 489. S. zu Aspekten der Pädagogik bei Cicero zudem Anm. 767 und die dortigen Verweise. S. weiterführend Kapitel 8 und 9. Vgl. dazu u. a. auch Baraz 2012, S. 5. Ob es sich um einen bewussten Akt des Autors handelt, soll offenbleiben; s. Kapitel 2 und auch Anm. 26. Ruch 1958, S. 437 streicht

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

darauf deuten die zahlreichen Verweise in den obigen Ausführungen hin – auch integraler Bestandteil des Gesamtwerks Tusculanae disputationes sowie der weiteren philosophischen Werke zu sein scheint.919 Von einem patriotisch geprägten Vergleich von Griechen und Römern in den ersten beiden Proömien der Tusculanae disputationes gelangt Cicero in den Proömien des vierten und fünften Buches zu einem versöhnlichen Ergebnis, wenn er ein supranationales Konzept von Philosophie entwirft. Dies stellt sich als essentieller Schritt dar, will Cicero doch in den Tusculanae disputationes griechische Philosophie Latinis litteris920 darstellen. Da die Philosophie sowohl als Hilfsmittel für die Person als auch für den Staat betrachtet wird, kommt diesem Vorhaben gerade in einer politisch fragwürdigen Gegenwart besondere Bedeutung zu.921 Cicero versucht, die glorifizierte Vergangenheit spiegelbildlich auf eine besser gedachte Zukunft zu projizieren. Der Weg dorthin wird im Verlauf des dritten Proömiums verdeutlicht: Er führt über ein theoretisch fundiertes therapeutisches Konzept der Aufklärung über Güter und Übel, das nach einer Gewinnung der Besten seine Wirkung auch in der gesamten Bevölkerung entfalten soll. Das höchste Ideal aber ist in Vereinigung aller drei synthetischen Bestrebungen eine zukünftige übernationale und allumfassende Menschengemeinschaft, wie sie Balbus in De natura deorum vorstellt:922 Est enim mundus quasi communis deorum atque hominum domus aut urbs utrorumque. […] Quaecumque sunt in omni mundo deorum atque hominum putanda sunt.

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die synthetische Natur des Programms der Proömien heraus: „Témoignages d’une conscience singulièrement lucide, documents de l’histoire et de l’éloquence, les prooemia révèlent l’activité synthétique du génie cicéronien. Plus que des modèles d’un genre, les préambules sont d’admirables synthèses. Toujours nous voyons l’esprit cicéronien en quête de synthèse: pensée grecque et pensée romaine, prudentia et sapientia, éloquence et philosophie en vue d’une παιδεία unique, théorie et pratique, fond et forme.“ Es handelt sich dabei, wie Habinek 1995, S. 62 richtig herausstellt, um ein kulturelles Programm, „[which] cannot be defined in terms as narrow as ‚preservation of the republic‘ or ‚defendence of the traditional aristocracy‘“, weil es sich komplexer darstellt – wie eigentlich schon die (bloße) Anwendbarkeit eines in sich antithetischen Strukturmusters zeigt. Vgl. Gildenhard 2007, S. 90. Tusc. 1,1. Gildenhard 2013a, S. 259 stellt dabei einen interessanten Zusammenhang zwischen kulturellem Aufstieg und politischem Niedergang her: „Cicero uses his dialogues to stage an alternative patterning of Roman history, with two main countervailing tendencies: Rome’s ascendancy in the cultural sphere; and Rome’s decline in the political sphere.“ Nat. deor. 2,154. S. generell auch nat. deor. 2,154f. und 164–167 und s. zudem ausführlich zum Motiv der Menschengemeinschaft Kapitel 8 und 9.

Ciceros Kulturphilosophie

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Wie für die Gesellschaft als Ganzes, so hat diese Vorstellung in Kombination mit weiteren Vorzügen der philosophischen Betätigung auch für den Privatmann Cicero heilende Funktion. Theorie und Praxis verschmelzen auf diese Weise im persönlichen wie staatlichen Bereich zu einer übergeordneten Einheit, welche die Struktur der Proömien der Tusculanae disputationes wie auch des ciceronischen Philosophierens offenbart.923 So wird also in Übereinanderblendung all dieser Erkenntnisse ein in sich stimmiges Konzept konstruiert, das auf die Herstellung einer Einheit ausgelegt ist924 und schließlich die Besserung von Person und insbesondere Staat verspricht. Erlaubt sei ausgehend von der Untersuchung der Vorreden aber auch ein neuer Blick auf die Gesamtstruktur der Tusculanae disputationes, über die vielfach debattiert wurde: Douglas und Seng sehen beispielsweise das Gewicht auf dem ersten und fünften Buch;925 Lefèvre schlägt vor, Teile des fünften Buchs als Keimzelle des Gesamtwerks zu betrachten,926 wie auch allgemein das fünfte Buch als eine Art Höhepunkt anerkannt wird. Setzt man bei den Proömien an, um die Gesamtstruktur des Werks zu erhellen, sei etwa auf Gildenhard, der die Verbindungen der Proömien des ersten und zweiten Buches sowie denen des vierten und fünften Buches heraushebt,927 oder Koch, der einen sachlichen Bezug der ersten drei Proömien zueinander und ein Neunansetzen im vierten Proömium sieht,928 verwiesen. Die Beobachtungen der letzten Seiten unterstützen all diese Zuschreibungen, können sie aber aus einer strukturell-prozessualen und stark von den Proömien her argumentierenden Perspektive ergänzen: Die ersten beiden Proömien entfalten einen Gegensatz zwischen Griechen und Römern, die beiden letzten streben nach einem Universalkonzept von Philosophie und allumfassender philosophischer Durchdringung, welches für den Einzelnen tröstende Funktion entwickelt und aus gesellschaftlichem Blickwinkel im Hymnus des fünften Proömiums über das Herausstreichen der sozialen Funktionen philosophischer Betätigung das Ideal der Menschengemeinschaft bereits anzitiert. Das dritte Proömium 923

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Arweiler 2003, S. 293 betont dabei die Synthese in der Person Ciceros selbst: „Dabei verwischen sich in den Dialogfiktionen die Grenzen zwischen dem historischen Verfasser, der eigenen Präsentation als Gesprächsteilnehmer und den als Vorläufer figurierenden Gestalten der römischen Geschichte.“ Es handele sich, so ebd., S. 294, um eine „einheitliche Selbstkonstruktion Ciceros im sorgfältig stilisierten Bild des Staatsmannes, der Vergangenheit und Gegenwart in zuverlässiger Bildung zusammenführt“. S. zum Gegensatzpaar Theorie–Praxis auch Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise. Vgl. auch Ruch 1958, S. 431: „Les prooemia montrent l’effort d’une conscience, déployé pour arriver à l’unité et à l’harmonie.“ Vgl. zur Einheitsdarstellung der Philosophie in den Proömien auch Baraz 2012, S. 8. Vgl. Douglas 1995, S. 208f. und Seng 1998, S. 342, der auch dem dritten Buch eine besondere Bedeutung zuspricht. Vgl. Lefèvre 2008, S. 328–332. Vgl. Gildenhard 2007, S. 90, 166, 187, 192 und 206. Vgl. Koch 2006, S. 61.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

schweigt zu diesem Thema explizit; implizit aber markiert es den Übergang zwischen den beiden Proömiengruppen, indem es in seinem Verlauf – beabsichtigt oder nicht, real gedacht oder nicht929 – ein für den Einzelnen wie für die Gesellschaft therapeutisch wirkendes Programm entwirft, das in der Lage ist, den idealen Endzustand, der in den Proömien zum vierten und insbesondere fünften Buch anklingt, herbeizuführen. Dabei wird in diesem dritten Proömium klar, dass jenes Programm nur mit der Philosophie als von Einzelnen gemäß eigenem Urteilen initiiertes, vernünftiges930 Hilfs- und Heilmittel, als hinzutretendes strukturelles Element, gelingen kann, da anderenfalls der verderbliche Einfluss der Masse und anderer Faktoren jene Entwicklung weiter vorantreibt, die bereits das Absinken von der glorreichen Vergangenheit zur unzulänglichen Gegenwart bewirkt hat. Diese Entwicklung gilt es umzukehren. Zu erkennen ist also ein zweifacher struktureller Prozess, nämlich von der Analyse zur Synthese, von den ersten beiden Proömien über das Programm des dritten Proömiums zu den Proömien der letzten beiden Bücher und innerhalb des dritten Proöms von der Andeutung einer misslungenen Synthese ohne die Philosophie zur Analyse und schließlich zur möglichen Synthese, die die Philosophie als Heilmittel voraussetzt. Somit wird in dieser Arbeit für eine strukturelle Entwicklung in den Proömien argumentiert und die dritte Vorrede als Dreh- und Angelpunkt, die fünfte als Höhepunkt im Hinblick auf die Bedeutung der Philosophie für einen weitergehenden philosophischen Universalismus interpretiert. Entsprechungen finden sich auch in den korrespondierenden Hauptteilen, wobei vor allem, wie die obigen Ausführungen zu den einzelnen Dichotomien ebenfalls gezeigt haben, dem Ende der Bücher besondere Bedeutung zukommt. Und so endet das dritte Buch mit einer besonders eindringlichen Werbung für die therapeutische Fähigkeit der Philosophie931 und wird gegen Ende des fünften Buches das Weltbürgertum des Sokrates zitiert. 6.4

Weiterführende Gedanken: Die Annäherung der unterschiedlichen philosophischen Lehren

Das umschriebene kulturphilosophische Konzept Ciceros, das auf einer universalen Vorstellung des Philosophierens basiert und das strukturell auf eine Synthese 929

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Vgl. auch Pfligersdorffer 1969, S. 21f.: Es ist ein „Philosophieren, das seine Effektivität und Virtus in der Gestaltung nicht nur des persönlichen, sondern auch […] in der des Zusammen- und Gemeinschaftslebens besitzt, und wenn schon nicht in realer Gestaltung […], so doch in ihrer konstruktiven Erstellung“. S. zur Frage der Autorintention auch Kapitel 2.2.2 und 2.3.1 sowie Anm. 26 und 150. Nach Tusc. 4,84 besteht die Philosophie aus einer Ansammlung vernünftiger Gründe: Philosophia ex rationum conlatione constet. Es besteht dabei ein direkter Zusammenhang mit ihrer heilenden Funktion. S. generell Tusc. 3,81–84 und zum Buchschluss Kapitel 6.2.2.

Ciceros Kulturphilosophie

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verschiedener Oppositionspaare gerichtet ist, ist, wie gezeigt,932 besonders deutlich im fünften Buch der Tusculanae disputationes zu erkennen. Im Folgenden soll unter Einbeziehung der Schriften Lucullus und De finibus bonorum et malorum933 veranschaulicht werden, dass sich diese universalistische Einheitstendenz auch auf die Präsentation der unterschiedlichen Lehren bezüglich der Frage nach dem höchsten Gut und dessen Bedeutung für ein glückliches Leben beziehen lässt. Denn: Die Synthetisierung philosophischer Lehrmeinungen und Schulen erstreckt sich nicht nur auf die bereits dargestellte934 erkenntnistheoretische Positionierung, sondern auch auf andere Bereiche der Philosophie, umfasst also nicht nur das Wie, sondern auch das Was des ciceronischen Philosophierens. Da Ciceros Probabilismus eine methodische Synthese darstellt, die unabhängig von Inhalten funktioniert, ist es ihm dabei auf einer Metaebene gestattet, Lehrmeinungen ohne philosophiehistorische Genauigkeit im Detail in Beziehung zu setzen. Die Lehren werden so in bisweilen simplifizierter Form gegenübergestellt, um das Wahrscheinliche ermitteln zu können.935 In diesem dialektischen Prozess, der per se über These und Antithese die Entwicklung von der Analyse zur Synthese repräsentiert, spiegelt sich die Anlage der philosophischen Dialoge wider – ob jene nun nach dem Wirken der Götter oder nach dem höchsten Gut fragen. Grundsätzlich werden alle oder zumindest die meisten philosophischen Schulen oder Lehren der ciceronischen Zeit in den Prozess einbezogen. Dass im Text nicht allen das gleiche Maß an Plausibilität, an Glaubwürdigkeit, zugestanden wird, liegt in der Natur des Glaubens begründet; dennoch ist jede der großen klassischen wie hellenistischen Schulen, auch gerade wegen der eigentlich großen Unterschiede, die zwischen ihnen liegen,936 geeignet, einen inhaltlichen wie vor allem strukturellen Beitrag zum Prozess der Synthese zu leisten. Dass aus skeptischen und dogmatischen Ansätzen vor allem im Lucullus Ciceros Probabilismus als deren Synthese dargestellt wird, wurde bereits gezeigt.937 Im Folgenden soll nun auf inhaltlicher Ebene kurz die Entwicklung hin zur Position des fünften Buchs der Tusculanae disputationes untersucht werden. Das Ende der Werke kann die Tendenz zur Synthese jeweils besonders gut verdeutlichen.

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S. verschiedene Passagen in Kapitel 6.2 und 6.3. S. für das Verhältnis der Tusculanae disputationes zu De finibus bonorum et malorum generell Anm. 780. S. Kapitel 4.3.1. S. dazu Kapitel 3 und 4 und speziell Anm. 306. Einige grundlegende Gemeinsamkeiten der hellenistischen Philosophenschulen wie die Fokussierung auf das glückliche Leben in einer Zeit politischer Individualisierung sind natürlich ebenso Voraussetzung für das In-Beziehung-Setzen der Texte; vgl. dazu Kirfel 2008, S. 17; Müller 1971, S. 112; Griffin 1988, S. 141; Malitz 1988, S. 155 und Harder 1971, S. 34. Eine schöne Übersicht über die Ausrichtung aller Schulen bietet Gehrke 1998, S. 102–109. S. ausführlich Kapitel 4.3.1.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

Erste Ansätze der Zusammenbringung verschiedener Schulen finden sich schon im Lucullus.938 Für eine Untersuchung eignet sich dabei vor allem der letzte Teil, der eigentlich den inhaltlichen Dissens der Philosophenschulen in den drei Teilgebieten der Philosophie darstellen will. Überblickt man die drei Passagen, die das Ende des Lucullus bilden, lassen sich jedoch auch auf inhaltlicher Ebene jeweils leichte Harmonisierungstendenzen feststellen. Eine Synthese stellt sich gerade in der Physik als schwierig dar, wird aber trotzdem über das postulierte gemeinsame Interesse an der Erforschung versucht. In der Logik relativiert sich der Dissens über den Hinweis auf die Übereinstimmung der Positionen im Wesentlichen. Bei der Ethik bleibt nur Epikur außen vor,939 während sich die Ansichten aller anderen relevanten Schulen über das höchste Gut zum honestum hin verdichten. Wie ist es um Synthesebestrebungen in Ciceros Werk über das höchste Gut und das größte Übel bestellt? Auch hier lässt sich gegen Ende, ab dem vierten Buch, eine Zunahme der synthetisierenden Tendenzen erkennen, welche insbesondere über das gerade in De finibus bonorum et malorum häufig verwendete Postulat vom nur in Worten bestehenden Unterschied zwischen verschiedenen Schulen940 erfolgt: zwischen alten Peripatetikern und Akademikern,941 zwischen Stoa und Peripatos942 und sogar zwischen Stoa und Akademie und Peripatos.943 In den letzten Kapiteln des fünften Buchs wird dabei gerade die peripatetische Lehre, die von Piso verteidigt wird, zum Inbegriff des Ausgleichs, einerseits durch die auf Harmonie ausgerichteten letzten Ausführungen Pisos,944 andererseits über die 938

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Vgl. Görler 1997, S. 53: „[N]ow and then the divergencies seem to be strangely played down.“ Vgl. auch Ryan 1982, S. 117f. S. für Einheitsbestrebungen bezüglich Dogmatismus und Skeptizismus ausführlich Kapitel 4.3.1. Zwar erfolgt im Lucullus keine allzu deutliche Positionierung zugunsten einer glaubwürdigen These, gerade im Teil über die Ethik lässt sich jedoch eine Gewichtung erkennen. Als Beispiel kann eben ac. 2,140 dienen, wo Cicero den Glauben an die Tugend als höchstes Gut dem Bekenntnis zur Lust vorzieht. Die Synthese von Lust und Tugend gelingt in ciceronischen Texten nicht – über diese Debatte, das stellt auch De finibus bonorum et malorum klar, kann keine Synthese von Epikur und den anderen Schulen gelingen; s. auch die Beispiele in Anm. 875. Auch Leonhardt 1999, S. 76 betont, dass „in der Ethik bei weitem nicht alle Möglichkeiten offen“ bleiben. Vgl. auch Gigon/Straume-Zimmermann 1988, S. 587–590. S. z. B. fin. 4,5, wo von veteribus Peripateticis Academicisque, qui re consentientes vocabulis differebant die Rede ist. S. z. B. ebd., 4,74: Conferam tecum quam cuique verbo rem subicias: nulla erit controversia. S. generell ebd., 4,72–78. S. z. B. ebd., 4,57: Zenon loquebatur aliter atque omnes, sentiebat idem quod ceteri. S. generell ebd., 4,21–23 oder 57f. Auch über die Figur des Piso wird ebd., 5,22 in diese Richtung argumentiert: Restant Stoici, qui cum a Peripateticis et Academicis omnia transtulissent, nominibus aliis easdem res secuti sunt. S. ebd., 5,94, wo auf die Ähnlichkeit der Ratschläge von Peripatetikern und Stoikern sowie die Nähe des Akademikers Arkesilaos zum Peripatos hingewiesen wird; s. für Arkesilaos besonders Anm. 498 und 503.

Ciceros Kulturphilosophie

217

kurze lockere Schlussunterhaltung der Beteiligten, während der sogar der Epikureer Pomponius die sprachliche Ausdrucksfähigkeit des Redners Piso lobt; die inhaltliche Diskrepanz zwischen ihm und Piso bleibt allerdings bestehen. Auch in diesem Werk bleibt Epikur also weitgehend ausgeschlossen, während die anderen Schulen eine prinzipielle Einheit bilden.945 Es kristallisiert sich beim Vergleich der verschiedenen Lehren demnach sowohl im Lucullus als auch in De finibus bonorum et malorum ein Gegensatz zwischen Epikur und allen anderen Schulen heraus. Doch findet sich am Ende des fünften Buches des letzteren Werkes bereits ein erster Ansatz zur Auflösung dieses Gegensatzpaares, wenn in der Verteidigungsrede des Piso gerade die Epikureer als Gewährsmänner für die These omnium bonorum virorum, id est sapientium omnibusque virtutibus ornatorum, vitam omnibus partibus plus habere semper boni quam mali946 angeführt werden. Selbst die sonst von Cicero so abfällig dargestellten epikureischen Denker messen also der Tugend großes Gewicht bei. Diese Argumentationsstruktur wird nach Ansätzen im Hauptteil947 am Schluss des fünften Buchs der Tusculanae disputationes wiederholt, das die zentrale Frage der hellenistischen Ethik nach der εὐδαιμονία diskutiert: Wenn auch die Epikureer 945

946 947

Vgl. auch Schmidt 1978/79, S. 125: „In opposition to Epicureanism he sees the other three schools, the Platonic or Academic, Peripatetic or Aristotelian and Stoic traditions as forming essentially a unity, speaking about the same things a little differently and in a different terminology.“ Vgl. ebenso Buckley 1970, S. 153. S. zur Darstellung Epikurs auch Anm. 875. Philosophiehistorisch betrachtet ahmt die Synthetisierung den Annäherungsprozess des Skeptikers Antiochus an die anderen Schulen nach; s. zu ihm auch Anm. 493. Ryan 1982, S. 99 bezeichnet diesen Prozess als „conscious synthesis of Academic, Peripatetic and Stoic teaching“; vgl. auch ebd., S. 94–99 und 277 sowie Steinmetz 1989, S. 17. Es lassen sich jedoch auch Argumente für einen Einfluss des Panaitios auf diese Harmonisierungstendenz finden: So schreibt etwa Stark 1966, S. 333, es sei klar, „dass sich Cicero von jener bei Panaitios vorliegenden Verbindung von akademisch-peripatetischer und stoischer Philosophie zur Fortführung dieses Amalgamierungsprozesses in seiner Staatsphilosophie bestimmen ließ“. Als konkretes Beispiel kann die Auseinandersetzung um die stoische Lehre über das höchste Gut im dritten und vierten Buch von De finibus bonorum et malorum gelten: Cicero kritisiert im vierten Buch die allzu einseitige, die körperliche Natur des Menschen nicht berücksichtigende Bestimmung des summum bonum durch die Stoa und verweist am Ende des vierten Buchs in fin. 4,79 auf Panaitios, der die Lehre der Stoa abgemildert und somit einen guten Kompromiss hergestellt hat: Quam illorum tristitiam atque asperitatem fugiens Panaetius nec acerbitatem sententiarum nec disserendi spinas probavit fuitque in altero genere mitior, in altero illustrior. Vgl. dazu etwa Gawlick/Görler 1994, S. 1040 und Pohlenz 1978, S. 207. Ganz anders sieht es z. B. Büchner 1964a, S. 386: Das Werk ende in der Aporie. Fin. 5,93. Ein Konsens ist beispielsweise teilweise schon in Tusc. 5,36 durch die dort zu beobachtende Stoisierung aristotelischer Gedanken zu beobachten. Vgl. generell zur Engführung von Stoa, Akademie und Peripatos in den Tusculanae disputationes und auch in De finibus bonorum et malorum Görler 1974, S. 163f. und 198–205.

218

Das Was des ciceronischen Philosophierens

sich der These semper beatum […] esse sapientem948 anschließen, müssen dem die Vertreter der anderen Schulen erst recht beipflichten. Diesem Fazit voraus geht eine ausführliche überaus positive Darlegung des epikureischen Standpunkts.949 Die Diskrepanz zwischen dieser und der sonst950 in ciceronischen Texten zu findenden Darstellung der epikureischen Lehren hat viele Interpreten irritiert und zu Erklärungsversuchen motiviert.951 Auf Strukturebene aber fügt sich diese Konvergenz ausgesprochen gut in das Gesamtbild ein und lässt sich, rekapituliert man die Entwicklung vom Lucullus bis hin zu den Tusculanae disputationes, als letzter Schritt eines fortwährenden Syntheseprozesses der philosophischen Lehren, der parallel zu einem sich steigernden Integrationsprozess Epikurs verläuft, deuten. Als finale Figur der Synthese tritt dabei Karneades auf, der als arbiter952 die Kontroverse der philosophischen Schulen auflöst und eine abschließende Einheit herzustellen vermag.953 So ergibt sich, ausgehend von einem Status der Getrenntheit, eine stringente Entwicklung hin zu einer Einheit bezüglich der inhaltlichen Fragestellung nach der Bedeutung des höchsten Gutes: Im Lucullus finden sich bereits erste Anzeichen der Gemeinsamkeit unterschiedlicher Schulen, wobei in ethischen Belangen Epikurs Lustkonzeption den Tugendkonzeptionen der anderen Philosophen unversöhnlich analytisch entgegengestellt wird. In De finibus bonorum et malorum 948 949

950 951

952 953

Tusc. 5,119. S. ebd., 5,87–118. Besonders gelobt wird zudem die Genügsamkeit Epikurs. Der Blick auf das Leben eines epikureischen Weisen führt letztlich dazu, dass der Epikureismus im fünften Buch der Tusculanae disputationes nicht mehr außerhalb des genus philosophorum zu sehen ist. S. v. a. Anm. 875. Lefèvre 2008, S. 167 erkennt zwar, dass „[a]nstelle der Konfrontation […] die Synthese gesucht“ wird, hält die Einfügung der epikureischen Passage allerdings ebd., S. 328 für rhetorische Taktik: „Während Cicero in den stoischen Büchern 2–4 und in der ‚stoischen‘ Sektion […] des fünften Buchs über weite Strecken philosophisch argumentiert und Exempla und Dichterzitate nur zur Auflockerung einfügt, erzählt er in dem ‚epikureischen‘ Passus […] fast durchweg Döntjes, die er selbst nicht immer ernst zu nehmen scheint. Sie stehen dem Rhetor jederzeit zur Verfügung.“ Ähnlich argumentiert Leonhardt 2000, S. 68. Auch Görler 1997, S. 53 spricht im Zusammenhang von einer rhetorisch bedingten Simplifizierung der philosophischen Lehren. Dies mag, wie auch zu Beginn des Kapitels und in Anm. 306 dargestellt, zutreffen, die Interpretation darf hier jedoch nicht enden; entscheidend ist die Frage nach der strukturellen Funktion der Vereinfachung. Tusc. 5,120. Vgl. dazu auch Schofield 2012, S. 239: „What Cicero needs at the end of the book is the voice of a major figure in philosophy who can be represented as standing above that particular fray: an arbiter not party to the controversy, helping us to see the need, if possible, to transcend it.“ Vgl. zum „neutralizing argument“ des Karneades auch ebd., S. 248. S. zur Bedeutung des Karneades an dieser Stelle für die Synthese im methodischen Bereich Kapitel 4.2 und Anm. 437; s. zudem Anm. 221.

Ciceros Kulturphilosophie

219

setzt sich diese Tendenz fort, die eine Opposition zwischen dem Epikureismus und einem – natürlich konstruierten – einheitlichen Philosophieentwurf der übrigen Schulen aufspannt. Eine Einschränkung am Ende des fünften Buches, die den Epikureern eine Hoch-, freilich nicht Höchstschätzung der virtus zugesteht, wird mit dem Schluss des fünften Buchs der Tusculanae disputationes in Beziehung gesetzt, wo Epikureer wie alle anderen Schulen der These zustimmen, dass der Weise immer glücklich sei. Die Kombination beider Zugeständnisse an Epikur und die Darlegung seines Standpunkts im letzten Buch der Tusculanae disputationes lassen seine Lehre letztlich überraschend kompatibel mit der Suffizienzthese erscheinen, dass nämlich die Tugend allein zum glücklichen Leben ausreichend sei.954 Im Text selbst wird diese finale Übereinkunft thematisiert:955 Necesse est semper beatum esse sapientem – sed quaeramus unam quamque reliquorum sententiam, si fieri potest, ut hoc praeclarum quasi decretum beatae vitae possit omnium sententiis et disciplinis convenire.

Aktiv wird also eine Einheit konstruiert, die, wenn es sich auch am Ende nur um einen Minimalkonsens handelt, geeignet ist, die Philosophie als Theorie und das Philosophieren als Praxis, letztlich die Philosophie als strukturelles Universalkonzept an sich zu stärken.956 Die Synthese hat damit einen Höhepunkt erreicht, insofern alle Schulen durch die konfigurierte Übereinstimmung in der Frage nach dem glücklichen Leben des philosophischen Weisen der Philosophie selbst die höchsten Weihen verleihen.957 Die behutsame Konvergenzstrategie gipfelt somit 954

955 956 957

Vgl. dazu beispielsweise Clarke 1956, S. 57; Gawlick/Görler 1994, S. 1043 oder Douglas 1995, S. 209. Koch 2006, S. 189 erkennt ein „Verfahren maximaler Integration verschiedener Positionen“. Tusc. 5,83f. Diese Syntheseleistung ist Cicero sogar wichtiger als eine konstante Darstellung, die ab ebd., 5,82 einem Universalkonzept von Philosophie nachgeordnet wird. Vgl. dazu bereits Henry 1925, S. 87: „Cicero tolerates diverse views on these subordinate topics, because he wishes to unite adherents of all sects on a more fundamental thesis, viz., that the wise or virtuous man is armed against all the ills of life.“ Vgl. zudem Lévy 2010a, S. 60: Am Ende herrsche Einigkeit bezüglich der These, dass der Weise glücklich ist, was auf Platon und Sokrates zurückzuführen sei. Vgl. dazu ferner Lévy 1992, S. 492: „La méditation sur l’éthique, commencée dans le Lucullus par l’énumération des multiples opinions sur le τέλος énoncées par les écoles ou les chapelles philosophiques, s’achève […] par l’exaltation non pas de telle ou telle doctrine, mais de la philosophie elle-même, c’est-à-dire de cet effort des hommes vers la perfection, contradictoire dans ses formes, mais unifié par l’identité du but recherché.“ Ähnlich beschreibt auch Schofield 2002, S. 106 die abschließende Syntheseleistung der Tusculanae disputationes: „The aura of triumph Cicero causes to hover over book 5 derives from the thought not merely that it is philosophy itself which brings a happiness invulnerable to fortune, but that – as the Academic method is particularly well-equipped to bring out – this is the conclusion virtually every school of philosophy can be repre-

220

Das Was des ciceronischen Philosophierens

in der universalen These, dass der Weise qua Philosophie in Theorie und Praxis glücklich ist. Nicht die Einzeldisziplin steht so am Ende der Tusculanae disputationes, sondern – erinnert sei an das Ergebnis des fünften Proömiums – ein Universalkonzept von Philosophie.958 Dieses Universalkonzept besitzt, wie die Untersuchung insgesamt gezeigt hat, dezidiert kulturphilosophischen Wert. 7

Tugend in Theorie und Praxis: Ciceros Sozialphilosophie

7.1

Zur Begründung der Textauswahl und zum Vorgehen

Nach der Bestimmung eines ciceronischen kulturphilosophischen Programms soll das Analyseinstrumentarium der Arbeit, das beschriebene Denkmuster, einen weiteren inhaltlichen Bereich ausführlich erhellen – Ciceros Sozialphilosophie. Seine Werke De re publica, De legibus, Laelius de amicitia und De officiis eint alle die zu Grunde liegende Motivation, das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft sowie das Zusammenleben in einer Gesellschaft zu beschreiben. Dass als zentraler Text für diese Thematik Ciceros Werk über den Staat gelten kann, ergibt sich abermals aus dem zweiten Proöm zu De divinatione, in dem Cicero eine rückblickende Klassifizierung seiner Schriften vornimmt. Aus der Retrospektive fügt er De re publica in seinen Werkkatalog ein:959 Atque his libris adnumerandi sunt sex de re publica, quos tum scripsimus, cum gubernacula rei publicae tenebamus: magnus locus philosophiaeque proprius a Platone, Aristotele, Theophrasto totaque Peripateticorum familia tractatus uberrime.

Die gerade philosophisch herausragende Bedeutung des Themas und somit auch des Werks wird prominent zu Beginn der zweiten Hälfte der Ausführung erwähnt.

958

959

sented as reaching, however much they may disagree on other issues.“ Auch Douglas 1995, S. 209 sieht einen Höhepunkt am Ende der Tusculanae disputationes: „[T]he whole culminates in as near a reconciliation of conflicting views as Cicero can get.“ Man könnte nach Lefèvre 2008, S. 178 auch von der „Unordnung im einzelnen und der Ordnung im ganzen“ oder nach Gawlick/Görler 1994, S. 1043 vom „Konsens im Wesentlichen und Dissens im Unwesentlichen“ sprechen. S. zuvor die Ausführungen in Kapitel 6.2 und 6.3. Vgl. hier zudem Douglas 1995, S. 208 und Gawlick/Görler 1994, S. 1122. Sauer 2017, S. 313 macht für De legibus eine ähnliche Beobachtung und fasst treffend zusammen: „In leg. 1,53–55 tritt Cicero schließlich in der Frage nach dem höchsten Gut zwischen der Alten Akademie, dem Peripatos und der Stoa unter Zenon als Schiedsrichter auf und stellt die Behauptung auf, dass sie in der entscheidenden Frage nach dem höchsten Gut trotz aller anderen Differenzen erstaunlicherweise übereinstimmen, nur unterschiedliche Benennungen wählen. Die Komplexität der philosophischen Positionen wird damit hart reduziert, die Unterschiede ihrer Lehren ausgeblendet.“ Div. 2,3.

Ciceros Sozialphilosophie

221

Nicht nur diachron, also philosophiegeschichtlich, reiht sich die Schrift in eine Reihe mit den größten Namen der griechischen Staatstheorie ein, auch auf der synchronen Ebene wird solcherlei Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben als zeitloser magnus locus bezeichnet – die zentrale Positionierung am Beginn einer syntaktisch auffälligen Apposition verleiht der Zuschreibung dabei besonderes Gewicht. Auffällig ist die gleichzeitige Hervorhebung der aktiven wie kontemplativen Seite des Einsatzes für den Staat. Sowohl betont Cicero, dass das Werk in seiner politisch aktivsten Zeit entstand, als auch schreibt er dem Inhalt explizit philosophische Qualitäten zu. Damit wird De re publica im Zentrum von Ciceros Vorhaben, Philosophie und Staatslenkung zu verschränken, positioniert.960 Die Schrift bietet sich somit, ausgehend von Ciceros rückblickender Selbstinterpretation, als Basistext an, um weitergehende Betrachtungen anzustellen; ergänzt werden können die Ergebnisse vereinzelt durch die anderen erwähnten Werke. Im Folgenden sollen nun zunächst die zu untersuchenden Dichotomien vorgestellt und insbesondere an einer zentralen historischen Dichotomie die Grundstruktur des Werks aufgezeigt werden; das Proömium zum ersten Buch wird dabei erst nach der Untersuchung des Hauptteils betrachtet. Ein abschließender Vergleich mit ähnlichen strukturellen Elementen im später entstandenen Laelius de amicitia lässt Ciceros sozialphilosophisches Programm deutlich hervortreten. 7.2

De re publica: Zentrale sozialphilosophische Dichotomien

Bei textorientierter Lektüre können – wie bereits in einem veröffentlichten Vortrag des Verfassers kurz skizziert961 – auch in Ciceros politisch-philosophischem Staatswerk oppositionell angeordnete Begriffspaare ausgemacht werden, denen eine strukturierende Funktion zukommt.962 Als für den Hauptteil des Werks 960

961 962

Vgl. Kesler 1985, S. 73, der Ciceros Werk „at the center of Cicero’s attempt to combine philosophy and rhetoric, or philosophy and statesmanship, or, more broadly, the contemplative and the active life“ positioniert. Vgl. für einen Forschungsüberblick Lühlen 2003, S. 34f. sowie 34, Anm. 4, 34f., Anm. 5 und 35, Anm. 6. Vgl. Bleistein 2017. Die folgenden Ausführungen basieren teilweise auf diesem Vortrag. Zumindest für Ciceros politisches Denken wurde dies bereits rudimentär erkannt; vgl. etwa die grundsätzliche Aussage von Zarecki 2014, S. 147: „Cicero’s political philosophy had always revolved around diametric oppositions.“ Auch Atkins 2013, S. 65f. erkennt die prinzipiell binäre Strukturierung von De re publica: „The plot and theory of De republica are driven by at least five pairs of contraries.“ Konkret nennt er „political practice“–„scientific and philosophical enquiry“, „a general account of political affairs“–„Rome as a particular illustration of these affairs and model of the best practicable regime“, „the best conceivable ideal“–„best possible given prevailing circumstances“, „the rational“–„the irrational“, „the divine“–„the human“. Die meisten dieser Dichotomien lassen sich, wie in dieser Untersuchung gezeigt wird, allgemein-

222

Das Was des ciceronischen Philosophierens

übergeordnete Dichotomie, als Metadichotomie für De re publica, kann die Opposition Himmlisches–Irdisches stehen, die zwei im Werk immer wieder erwähnte Sphären aufspannt. Jede dieser Sphären ist sodann wieder von einem grundlegenden Gegensatzpaar geprägt: Ausgehend von einer Betrachtung der astronomischen Rahmung und ihrer politischen Spiegelung im irdischen Bereich zeigt sich die Dichotomie Optimaten–Popularen als konkret-historische Dichotomie auf der irdischen Ebene und Sonne–Sonne in Form einer Doppelsonne auf der himmlischen Ebene als geeignete Ordnungsschablone.963 In diesem Kontext soll das Begriffsinstrumentarium Analyse–Synthese erneut Struktur wie Thematik des Gesamtwerks erhellen.964 Zunächst werden dafür die untergeordneten Dichotomien in irdischer und himmlischer Sphäre genauer betrachtet, wobei der historischen Dichotomie Optimaten–Popularen im Hauptteil besondere Bedeutung zukommt. Im Anschluss wird die übergeordnete Perspektive eingenommen, um schließlich nach einer Vereinbarkeit der beiden Sphären zu fragen und die Relevanz einer solchen Synthese von himmlischer und irdischer Ebene für das erste Proömium aufzuzeigen, wo die übergeordnete Dichotomie als Opposition Theorie–Praxis965 erscheint. 7.2.1 Duo soles – duo populi: Getrenntheit als Ausgangspunkt Das Vorgespräch, in dem eine Reihe großer Einzelfiguren966 das Thema der Untersuchung einleitet und das zur Betrachtung der verschiedenen Staatsformen führt, teilt sich mit dem berühmten Schluss des Werks, dem Somnium Scipionis, eine auffällige Konzentration auf kosmische Phänomene.967 Für einen wechselseitigen

963 964 965 966

967

abstrakter fassen und zuspitzen. Manche Gegensatzpaare wie ,rational–irrational’ scheinen dagegen nicht konstitutiv für das Werk zu sein. Im Lateinischen werden die Dichotomien etwa als duo populi bzw. duo soles bezeichnet. Vgl. Barlow 1987, S. 356: „[T]he structure and arrangement of the dialogue may reveal the questions Cicero sought to address.“ Verbunden damit ist das lateinische Gegensatzpaar ars–usus und entfernt auch die ciceronische Variante der Opposition otium–negotium. Vgl. zur Zeichnung der Charaktere Sauer 2013, S. 179–188. Dyck 1998, S. 161 sieht darin generell keine historisch korrekte Darstellung der Figuren. Vgl. zum anachronistischen Setting der meisten Dialoge auch Gawlick/Görler 1994, S. 1022 oder Schmidt 1978/79, S. 125. Man kann also unter Berücksichtigung der Traumerzählung am Ende von De re publica von einer Rahmung des Werks unter dem Banner der Astronomie sprechen: vgl. dazu auch Fuhrer 2017, S. 31 und Atkins 2013, S. 48f., der schreibt: „[T]he science of astronomy frames the dialogue’s entire investigation into the nature of politics.“ Vgl. ebenso Atkins 2011, S. 456–462. Zuletzt und besonders deutlich hat Gallagher 2001 auf die große Bedeutung der astronomischen Bildsprache für Ciceros Staatswerk hingewiesen; vgl. insbesondere ebd., S. 509. Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts habe Ruch

Ciceros Sozialphilosophie

223

Zusammenhang der beiden Bereiche sprechen dabei vor allem die auffälligen Parallelen im Sprachgebrauch: So lässt sich dezidiert astronomischer Wortschatz beispielsweise bei der Beschreibung der Wandlungen der Verfassungsformen im ersten Buch erkennen;968 analog werden astronomische Beschreibungen durch Vokabular aus dem Feld des Politischen veranschaulicht, so etwa in Scipios Traum am Ende der Schrift.969 Zu Beginn des Vorgesprächs, nach dem nur teilweise erhaltenen Proömium, unterhalten sich Tubero, Scipios Neffe, und Scipio, die zu diesem Zeitpunkt noch zu zweit sind. Im Verlauf dieses Vorgesprächs, während der zwischen beiden begonnene Dialog durch neu eintreffende Freunde immer wieder unterbrochen wird, lässt sich eine langsame Steigerung bis hin zur radikalen Gegenüberstellung von irdischer und himmlischer Sphäre erkennen. Als zentral erweist sich dabei ein Bild, dessen programmatisches Potenzial auch bestimmend für das Hauptwerk wird: Tubero fragt Scipio nach der zweiten Sonne, über die im Senat Meldung ergangen ist; Scipio wiederum wünscht sich zur Klärung dieses Phänomens der himmlischen Spaltung in Form einer Doppelsonne970 zunächst den stoischen Philosophen Panaitios971 herbei, verweist schließlich aber auf Sokrates, der seiner Ansicht nach derlei naturwissenschaftliche Fragestellungen als irrelevant für das menschliche Leben erachtete:972

968 969 970

971 972

zwar die Rahmung durch die himmlische Sphäre hervorgehoben, doch noch immer gebe es keine systematische Untersuchung der Beziehung zwischen Astronomie und politischer Theorie; vgl. Gallagher 2001, S. 509. Vgl. Ruch 1944, S. 217–220, der auch methodisch ganz im Sinne dieser Arbeit formuliert: Es ist die Aufgabe des Interpreten, „jene wiederkehrenden Motive als Wegweiser aufzudecken, als die Leitfäden, die über den eigentlichen Dialog hinaus Vorgespräch und Somnium als ihrer Bedeutung nach im Hinblick auf die Ökonomie des Gesamtwerkes parallele Kompositionen gestalten“. Vgl. zudem Ruch 1948 und generell auch Bernett 1995, S. 49–51 zur auch in der Antike großen Tradition der, so ebd., S. 49, „Analogie zwischen dem Verhalten natürlicher Systeme mit ihren Bestandteilen und der Gesellschaft mit ihren Teilen“. S. für weitere Beobachtungen zu Ciceros Kosmosvorstellungen auch Kapitel 8 und 9. S. etwa rep. 1,45. Vgl. dabei zur Vorausdeutung auf Scipios Traum Ferrary 1995, S. 53. S. etwa. rep. 6,17. Vgl. insgesamt ausführlicher Gallagher 2001, S. 510f. und Atkins 2013, S. 54f. Bei der Doppelsonne handelt es sich um ein astronomisches Phänomen, das, wie man heute weiß, aus Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen entsteht. Im Werk allerdings hat es Symbolcharakter, wie im Verlauf des Kapitels deutlich wird. Vgl. zur physikalischen Erklärung als Halo-Erscheinung Büchner 1984, S. 96. Für eine Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zur Doppelsonne s. Anm. 990. Vgl. zu Panaitios etwa Long 1986, S. 211–213. Rep. 1,15.

224

Das Was des ciceronischen Philosophierens Quo etiam sapientiorem Socratem soleo iudicare, qui omnem eius modi curam deposuerit, eaque quae de natura quaererentur, aut maiora quam hominum ratio consequi possit, aut nihil omnino ad vitam hominum adtinere dixerit.

Tubero korrigiert daraufhin Scipios Ansicht:973 Nescio Africane cur ita memoriae proditum sit, Socratem omnem istam disputationem reiecisse, et tantum de vita et de moribus solitum esse quaerere. Quem enim auctorem de illo locupletiorem Platone laudare possumus? Cuius in libris multis locis ita loquitur Socrates, ut etiam cum de moribus de virtutibus denique de re publica disputet, numeros tamen et geometriam et harmoniam studeat Pythagorae more coniungere.

Es handele sich bei Scipios Sokratesbild um das Resultat einer falschen oder zumindest ungenauen Überlieferung.974 Platon als Gewährsmann stelle Sokrates als einen Philosophen dar, der ethische Fragestellungen mit Überlegungen nach Art des Pythagoras verbinde.975 Scipio steht an diesem Punkt des Gesprächs mit seinem Tadel des Panaitios aus irdischer Perspektive Tubero entgegen, der durch seine Ausführungen die naturphilosophischen Elemente der Sokrates-Figur stärkt. Später werden die widerstreitenden Positionen von Philus und Laelius eingenommen: Laelius kritisiert das Thema der Erörterung aufgrund der fehlenden lebenspraktischen Relevanz: Ain vero, Phile? Iam explorata nobis sunt ea quae ad domos nostras quaeque ad rem publicam pertinent? Siquidem quid agatur in caelo quaerimus.976 Auf die polemische Frage des Laelius entgegnet Philus mit dem Sokrates zugeschriebenen Weltbürgertum. So sei unser Haus nicht nur das, was von Wänden begrenzt werde, sondern mundus hic totus.977 Auch hier treten die beiden Ebenen deutlich hervor: Beschäftigung mit Irdischem, hier also dem Zustand des Staates, steht der Beschäftigung mit dem Himmlischen, hier also der Erscheinung der Doppelsonne, gegenüber; die Dichotomie Himmlisches–Irdisches wird konstituiert. Pointierter wird es im Folgenden, wenn Laelius kurz darauf über Philus’ Betrachtung der himmlischen Phänomene scherzhaft spottet: Immo vero te audiamus, 973 974

975 976 977

Rep. 1,16. Freilich tradiert Cicero in anderen Werken, etwa in Tusc. 5,10 oder ac. 1,15, dass Sokrates eben nicht verbindend wirkte, sondern die Philosophie vom Himmel herabholte und damit den Bereich der Ethik gerade gegenüber der alten Naturphilosophie stark machte. Eine solche Frage nach doxographischen Techniken tritt in dieser Arbeit jedoch in den Hintergrund. Unter strukturalistischer Perspektive stellt sich das Problem nicht in gleicher Weise, werden doch vor allem Anordnung und Funktion der Elemente innerhalb eines Werks untersucht. S. zur Stelle auch später Kapitel 7.2.3. Rep. 1,19. Ebd. S. zum Weltbürgertum des Sokrates auch Kapitel 6.2.1 und 6.3. S. weiterführend zum Kosmopolitismus Kapitel 8 und 9.

Ciceros Sozialphilosophie

225

nisi forte Manilius interdictum aliquod inter duos soles putat esse componendum, ut ita caelum possideant ut uterque possederit.978 Erstmals im Verlauf der Diskussion wird nun eine Parallele zwischen beiden Sphären gezogen: Ein Terminus aus dem irdischen Recht, interdictum,979 wird auf die Himmelsebene, konkret auf das analytisch zu verstehende Element der Doppelsonne, angewandt, wodurch sich, wie Pfligersdorffer treffend beschreibt, „drohend ermessen [lässt], welche Ungeheuerlichkeit dies für den Kosmos bedeuten würde, wenn die bisherige Ordnung in der einen Behausung durch eine widerstreitende Regelung ersetzt werden sollte“.980 Für die Untersuchung wird somit bereits hier eine analoge Betrachtung der beiden Ebenen nahegelegt. Schon bald darauf ergreift Scipio das Wort und spricht nun, in Widerstreit mit seiner Positionierung zuvor und im Vorgriff auf die Traumerzählung am Ende des Staatswerks,981 für die Betrachtung himmlischer Phänomene:982 Quid porro aut praeclarum putet in rebus humanis, qui haec deorum regna perspexerit, aut diuturnum, qui cognoverit quid sit aeternum, aut gloriosum, qui viderit quam parva sit terra, primum universa, deinde ea pars eius quam homines incolant, quamque nos in exigua eius parte adfixi, plurimis ignotissimi gentibus, speremus tamen nostrum nomen volitare et vagari latissime?

Wie ist dieses Schwanken Scipios zu erklären? Er ist, zumindest an diesem fortgeschrittenen Punkt des Vorgesprächs, auch eine Figur, die die Ausrichtung auf das Himmlische propagiert, ein Protagonist, der offensichtlich an dieser Stelle als Vertreter der supralunaren Sphäre konzipiert ist.983 Gemeinsam mit der oben untersuchten Passage betrachtet, kommt, wie es scheint, eine nicht aufgelöste Spannung zwischen Orientierung an irdischer Sphäre und Ausrichtung an himmlischer Sphäre zum Ausdruck.984 Die Metadichotomie, deren Pole in einzelnen Passagen von verschiedenen Protagonisten besetzt werden, kristallisiert sich, betrachtet man 978 979 980 981 982 983

984

Rep. 1,20. Beim juristischen Terminus handelt es sich nach Zetzel 1995, S. 115 um eine „injunction against disturbing possession of a property pending trial“. Pfligersdorffer 1969, S. 52. S. das Ende von Kapitel 7.2.2. Rep. 1,26. Vgl. auch Sauer 2013, S. 180: „Scipio nimmt zunächst eine Mittelposition ein: Er drückt zunächst sein Unbehagen gegenüber einer Erörterung astronomischer Beobachtungen aus, baut diese Distanz im Verlauf des Gesprächs jedoch immer mehr ab.“ Dabei, so ebd., S. 181, „bekennt sich Scipio letztlich zu einer Position, die mit Philus’ und Tuberos Auffassung harmoniert“. Vgl. zum größeren Hintergrund ebd., S. 182, Anm. 26. und darüber hinaus Fuhrer 2017, S. 27. Vgl. auch Müller 1968, S. 127–134 und Barlow 1987, S. 360. Mit Görgemanns 1968, S. 65 kann man diese Spannung in der Figur Scipios auch als Ausdruck der probabilistischen Ausgestaltung des Vorgesprächs deuten. Es gebe nur wahrscheinliche, keine gesicherte Erkenntnis; s. zum Probabilismus Ciceros ausführlich Kapitel 4.

226

Das Was des ciceronischen Philosophierens

das Vorgespräch als Ganzes, in der Figur des gebildeten Staatsmannes Scipio. Ein Ausgleich dieser analytisch gedachten Pole findet zu Beginn des Werks nicht statt. Im Anschluss wird die Gegenüberstellung am Ende des Vorgesprächs deutlich durch Laelius, dezidiert gegen Scipio gerichtet,985 artikuliert: Nach einer erneuten Heraushebung des Praktischen, also der Dinge, die auf usum vitae oder ipsam rem publicam986 bezogen werden können, erhebt Laelius schwerwiegende Vorwürfe und stellt einen kompositorisch wichtigen Bezug zum Volkstribunat des Tiberius Gracchus987 her, der als Auslöser einer Staatskrise ausgemacht wird:988 Quid enim mihi L. Pauli nepos, hoc avunculo, nobilissima in familia atque in hac tam clara re publica natus, quaerit quo modo duo soles visi sint, non quaerit cur in una re publica duo senatus et duo paene iam populi sint? Nam ut videtis mors Tiberii Gracchi et iam ante tota illius ratio tribunatus divisit populum unum in duas partis.

Scipio und Philus stehen in dieser dichotomischen Denkoperation auf der einen Seite mit ihrer Fokussierung auf Himmlisches und Göttliches, Laelius mit seiner Betonung des Irdischen und Menschlichen auf der anderen Seite. Zum ersten Mal parallelisiert letzterer Kosmos und Staat explizit durch die Frage, warum man zwei Sonnen untersuche und nicht die beunruhigende Spaltung im Senat und im Volk in Folge der gracchischen Reformversuche.989 Implizit bedeutet das: Sowohl auf der übergeordneten Ebene (manifest in der Metadichotomie Himmlisches–Irdisches) als auch auf der himmlischen (in Form der Doppelsonne990) und irdischen Ebene (ausgedrückt in der durch Tiberius 985 986 987

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Vgl. auch Atkins 2013, S. 34f. sowie Powell 1996, S. 20. Rep. 1,30. S. zur analytischen Funktion des Tiberius Gracchus bereits kurz Kapitel 4.3.1. Die prominente Rolle des Gracchus im Gesamtwerk hebt Woolf 2015, S. 94 heraus und bezeichnet den Volkstribunen als Antihelden; s. dazu auch Kapitel 9.2. Rep. 1,31. Mančal 1982, S. 164 erläutert diese Parallelisierung: „Daß weder die meteorologische Erscheinung der Doppelsonne […] noch die politische Erscheinung der Entzweiung einer gesetzmäßigen Notwendigkeit unterliegen, macht beide Phänomene vergleichbar.“ Vgl. darüber hinaus Schwamborn 1970, S. 23 sowie Glei 1991, S. 134 und Wood 1991, S. 163. Sauer 2013, S. 181 betont zu Recht, dass damit zwei grundverschiedene Haltungen angesprochen werden. Ebd., S. 183 führt er aus: „Die Opposition beider ‚Hermeneutiken‘ inszeniert Cicero zunächst verständigungsorientiert im Gespräch zwischen Scipio und Tubero […], dann konfrontativ durch das Eingreifen des Laelius: Dieser artikuliert gleich bei seiner Ankunft direkt und unmissverständlich seinen Unwillen gegenüber dem Thema Astronomie.“ Die Bedeutung der Doppelsonne wurde und wird in der Forschungsliteratur kontrovers diskutiert: Viele, darunter Ruch 1944, S. 220–223 und Pöschl 1962, S. 179–186, deuten die Erscheinung, teilweise ausgehend von nat. deor. 2,14, als dunkles Vorzeichen für Scipios Schicksal; vgl. auch Guillaumont 1984, S. 123–125. Ihnen entgegnet Büchner 1984, S. 96 dass Cicero gerade das nicht bezwecke: „Vielmehr kommt es ihm gelegen

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Gracchus verursachten Dichotomie Optimaten–Popularen991) herrscht ein Zustand der Analyse, der radikalen Spaltung. Man kann demnach kurz vor Beginn des Hauptteils von De re publica einen Status der umfassenden Getrenntheit als Ausgangspunkt des Dialogs ausmachen. Im Folgenden beschränkt sich das Werk und

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[…], die Doppelsonne mit der Aufspaltung des Senates zu parallelisieren.“ Büchner 1984, S. 97 zieht sogar die Möglichkeit in Betracht, die nirgendwo sonst bezeugte Himmelserscheinung sei eine Erfindung Ciceros: „Das von Cicero erfundene Motiv ist höchst geeignet, den Zustand des Staates zu symbolisieren, Kosmisches und Irdisches zu parallelisieren, sich über die Möglichkeit des Wissens klar zu werden und das Gespräch in Gang zu bringen.“ Unabhängig davon, ob es sich um ein reales Ereignis handelt, geht auch diese Arbeit von dieser symbolisch-kontrastiven Funktion des Textelements aus, wie sie Zarecki 2014, S. 40f. formuliert: „This metaphor sets up a binary structure that will be repeated throughout De Re Publica, not only in the physical organization of the work but also in its arguments.“ Dies verstärke die letztlich akademisch-skeptische Anlage des Werks. Vgl. in diesem Sinne auch Pfligersdorffer 1969, S. 49; Müller 1989, S. 108 sowie, beide oben erwähnten Ansätze bündelnd, Zetzel 1995, S. 111. Pohlenz 1931, S. 79–81 unterstreicht besonders die atmosphärische Funktion der Bildsprache. Gänzlich zurückzuweisen ist die Auslegung bei Schmidt 1973, S. 297, die Erwähnung der Doppelsonne diene lediglich zur „Heraushebung des philosophischen Wissens Scipios“. Weiterhin stellt sich in der Forschung die Frage nach dem Verhältnis der Erscheinung der Doppelsonne zum ebenfalls im Vorgespräch thematisierten Phänomen der Sonnenfinsternis, dem mittels rationaler Erklärung (mithilfe der Sphäre des Archimedes) jegliches bedrohliches Potenzial geraubt wird. Wurde etwa, wie beispielsweise Glei 1991, S. 126 meint, die Erscheinung einer doppelten Sonne im verlorenen Teil des Vorgesprächs auch bereits auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse erläutert und so das analytische Potenzial des Textelements zerstört? Wohl kaum, denn ein entscheidender Punkt spricht dafür, dass sich die beiden Himmelserscheinungen unterscheiden und auch im textuellen Kontext anders konzipiert sind. So argumentiert Pfligersdorffer 1969, S. 46 überzeugend: „[W]ährend Finsternisse als reguläre, in ihrem Auftreten genau voraus- oder auch zurückzuberechnende Erscheinungen sich ergeben, zeigt sich, ohne daß dies unbedingt ausgesprochen zu werden brauchte, daß die Doppelsonne gegenüber den kosmischen Geschehnissen nicht den Charakter des Regulären und gesetzmäßig Wiederkehrenden besitzt, daß vielmehr die Voraussetzungen ihres Auftretens in der an Unregelmäßigkeiten und Unbestimmbarkeiten so reichen und von diesen geprägten sublunaren Welt […] liegen müssen.“ Vgl. auch Mančal 1982, S. 165, Anm. 195. Es wird deutlich, dass sich das Phänomen der Doppelsonne eben nicht in eine Reihe mit anderen Himmelserscheinungen wie der Sonnenfinsternis stellen lässt. Vielmehr ist die Doppelsonne explizit in Abgrenzung zu diesen anderen, rational problemlos erklärbaren Erscheinungen konzipiert. Ruch 1965, S. 502 sieht diesen Unterschied nicht. Mit diesen Begriffen werden historisch die beiden sich in der späten römischen Republik gegenüberstehenden politischen Fraktionen genannt: Während sich die Optimaten auf die traditionelle Nobilität stützen, stellen sich die Popularen auf die Seite des Volkes. Es liegt nahe, die Dichotomie Optimaten–Popularen als in weiterem Kontext verwandt mit dem zuvor betrachteten Gegensatzpaar Elite–Masse zu sehen; s. dafür Kapitel 6.2.3.

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somit auch die Argumentation der Arbeit zunächst auf die beiden untergeordneten Ebenen. Im Fokus stehen die doppelte Sonne am Himmel sowie besonders die gesellschaftliche Spaltung im römischen Staat. Gerade bezogen auf die irdische Sphäre wird auch im Rest des Werks der Zustand der Analyse immer wieder angedeutet oder offen ausgesprochen und dies nicht nur in Bezug auf die Zeit der Unterhaltung 129 v. Chr.; auch der Gegenwartsbezug wird hergestellt, so etwa prominent im Proöm zum fünften Buch:992 Nostra vero aetas cum rem publicam sicut picturam accepisset egregiam, sed iam evanescentem vetustate, non modo eam coloribus isdem quibus fuerat renovare neglexit, sed ne id quidem curavit ut formam saltem eius et extrema tamquam liniamenta servaret.

Die concordia, die Einheit im Staat,993 ist folglich auch und insbesondere in Ciceros Gegenwart ein Desiderat, in der das Vorgehen des Gracchus einige Nachahmer gefunden zu haben scheint.994 Es stellt sich im Weiteren die Frage nach einem Ausweg: Kann es zur Einheit auf den beiden Ebenen, auf der himmlischen wie auch der irdischen, kommen? Dass sie, besonders auf der Erde, gewünscht und auch möglich ist, wird am Ende von Laelius’ Ausführungen klar, wenn er ein leidenschaftliches Plädoyer für die Einheit des Volkes hält: Senatum vero et populum ut unum habeamus et fieri 992 993

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Rep. 5,2. Der Begriff concordia ist Teil eines komplexen ciceronischen Denkgebäudes; vgl. dazu Temelini 2002. Speziell die ebd., S. 4 beschriebene abstrakte Grundbedeutung des Konzepts, die „public harmony or the harmony of the republic“, ist für die Belange dieser Arbeit relevant: „It was a basic principle or belief that the foundation of a functioning state must be the unity, friendship, agreement or reconciliation of its citizens.“ S. auch Kapitel 6.2.3 und Anm. 907 für das verwandte Konzept des consensus omnium. Pöschl 1962, S. 107 erkennt für das Proöm zum fünften Buch eine „schmerzliche Spannung zwischen dem idealen Staat der Vergangenheit und der zerrütteten Gegenwart“, die, so ebd., S. 171, „Anfang und treibende Kraft des Ganzen“ ist. Man darf dabei von einer Verstärkung des analytischen Zustands in der Zeit zwischen 129 v. Chr. und der Abfassung der Schrift ausgehen. Asmis 2005, S. 386 stellt treffend fest: „[T]he trend toward disintegration, which erupted in the tribunate of Tiberius Gracchus, has escalated to a takeover of the whole state by self-seeking individuals.“ Vgl. auch Pohlenz 1931, S. 98; Powell 2001, S. 27 und Bernett 1995, S. 85–117 sowie Pöschl 1962, S. 106f. Woolf 2015, S. 95 arbeitet heraus, dass sowohl der Zeitpunkt der Abfassung als auch der des Settings eine „growing fragility of traditional republican government“ repräsentieren. Wassmann 1996, S. 269–271 verweist auf eine Parallele zu den Tusculanae disputationes und schließt daraus ebd., S. 271 auf eine „Kontinuität der politischen Grundgedanken“. Somit liegt Gildenhard 2007, S. 123 falsch, wenn er gegenüber den Tusculanae disputationes einen funktionierenden Staat in De re publica annimmt. Auch in anderen Werken wird das Zustandekommen einer Spaltung thematisiert, etwa in off. 1,85.

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potest, et permolestum est nisi fit, et secus esse scimus, et videmus si id effectum sit et melius nos esse victuros et beatius.995 Es besteht Hoffnung auf eine Wiedererlangung der idealen Einheit, die dann letztlich zum Glück der Bürger führt.996 Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, welches strukturelle Element in besonderem Maße geeignet ist, jene Synthese zu befördern. 7.2.2 Iustitia: Möglichkeit einer Einheit auf irdischer und himmlischer Sphäre Bislang konnte gezeigt werden, dass, der übergeordneten Spaltung in Himmel und Erde nachgeordnet, die Analyse auf irdischer wie himmlischer Ebene als Ausgangspunkt fungiert und sich im kosmischen Bereich als Doppelsonne sowie im sublunaren Bereich als Dichotomie Optimaten–Popularen manifestiert. Im Folgenden wird gemäß der Textprogression des Staatswerks erörtert, welche Elemente konstitutiv für die Struktur dieser Oppositionen sind und ob bzw. wie die Dichotomien aufgelöst werden können. Zu diesem Zweck werden hierfür maßgebliche Textstellen betrachtet, ohne das gesamte Setting aus den Augen zu verlieren. Eine besondere Rolle spielen die Staatsdefinition und ihr Kontext, das Porträt des idealen Staatsmannes, die Streitrede für die Gerechtigkeit sowie die Traumerzählung am Ende der Staatsschrift. Zentrale Textelemente im ersten Buch Im restlichen Part des ersten Buches werden vier bedeutende Textelemente gewissermaßen als Eckpfeiler für das Gesamtwerk eingeführt, bevor sie im zweiten Buch spezifisch angeordnet werden. Sie sollen in diesem Kapitel vorgestellt und in ihrem Kontext kurz erläutert werden. Direkt im Anschluss an das Vorgespräch bittet Laelius Scipio darum, zu erörtern, was die beste Verfassung sei. In diesem Zusammenhang gibt Scipio in einer normativ aufzufassenden Textpassage die berühmte Definition von res publica und populus: „Est igitur“, inquit Africanus, „res publica res populi, populus autem non omnis hominum coetus quoquo modo congregatus, sed coetus multitudinis iuris consensu et utilitatis communione sociatus. […]“997 Der Staat wird als Sache des Volkes bestimmt, das Volk als Zusammenschluss einer Menge, die verbunden ist durch Übereinkunft im ius und gemeinsame utilitas. Schon anhand der Defi995

996 997

Rep. 1,32. Auch Asmis 2005, S. 385 sieht die Spaltung des Volks als Ausgangspunkt und deren Auflösung als Ziel des Dialogs: „The whole dialogue of Cicero’s De republica is thus devoted to solving a political problem of the greatest urgency: how to restore unity to the state.“ S. auch rep. 1,58. Vgl. generell zu Idealität und Realität in Zusammenhang mit Himmlischem und Irdischem auch Mančal 1982, S. 157–174. Rep. 1,39.

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nition lässt sich die Konfiguration des Gesamtwerks und seine Ausrichtung an einer finalen staatlichen Einheit ablesen. Der Terminus res publica führt, wie Asmis treffend feststellt, zwangsläufig zu einer Definition, die ein geeintes Volk zum Inhalt hat.998 Zum ersten Mal wird an dieser Stelle die Existenz der res publica darüber hinaus in die Nähe der Gerechtigkeit gerückt, welche als erstes bedeutendes textkonstituierendes Element gelten darf. Consensus iuris als Übereinkunft im Recht impliziert zwar nicht zwingend Gerechtigkeit als Basis für das Bestehen des populus und damit der res publica, doch ist über die etymologische bereits eine gedankliche Verbindung vorbereitet, die später im zweiten und insbesondere im dritten Buch wieder aufgegriffen werden kann.999 Nach der Darlegung, wodurch die res publica zusammengehalten wird, erfährt der Leser im Folgenden die causa coeundi, den vornehmlichen Grund dafür, dass die Menschen überhaupt Gemeinschaften bilden: Eius autem prima causa coeundi est non tam inbecillitas quam naturalis quaedam hominum quasi congregatio.1000 Als Hauptgrund für das Zusammenkommen der Menschen wird ein natürlicher Vereinigungstrieb genannt; die Gemeinschaftsbildung der Menschen wird demnach von der Natur gelenkt,1001 es gibt eine natürliche Tendenz zur Einheit. Allerdings wird hier ausdrücklich kein Automatismus propagiert, wie es besonders die zweifache terminologische Unschärfe durch quaedam und quasi verdeutlicht; die

998

Vgl. Asmis 2004, S. 577f. und daneben Asmis 2005, S. 400 sowie Glei 1991, S. 136. Vgl. ausführlich zur Staatsdefinition auch Mančal 1982, S. 142–179. 999 Es soll nicht abgestritten werden, dass eine zweite juristische Ebene, bei deren Untersuchung eine klare begriffliche Trennung dringend geboten ist, existiert; vgl. z. B. Atkins 2013, S. 131–138; Christes 2007, S. 97; Bernett 1995, S. 127–132 und generell Kohns 1970. Vgl. generell zu verschiedenen Begriffen des ius van Zyl 1991, S. 88–96 und 145f. Jedoch sind derlei Untersuchungen gänzlich unabhängig von Betrachtungen der strukturellen Komposition zu sehen, wie sie hier im Fokus stehen. Weil in dieser Arbeit textuelle Elemente, die sich auf bestimmte gedankliche Felder beziehen, betrachtet werden, ist eine detaillierte Begriffsscheidung auch nicht relevant. Letztlich sind beide Begriffe demselben abstrakten Konzept zuzuordnen, können ius und iustitia als Bestandteile des gleichen Strukturelements bestimmt werden. Vgl. dazu auch Schwamborn 1970, S. 40 sowie Cancelli 1972b, S. 80f. Ähnlich argumentiert Büchner 1984, S. 125 für den gesamten Passus der Staatsdefinition: „[E]s kommt auf genaue Unterscheidung nicht mehr an“, denn es lasse sich eine „Häufung von approximativen Begriffen, die eine Sache in ihrem weitesten Umfang umschließen“, erkennen. Zetzel 1995, S. 129 sieht, ähnlich wie Pöschl 1962, S. 120, in der Phrase consensus iuris keinen Hinweis auf eine „recognition of a universal idea of justice“, wobei er den vorbereitenden Charakter außer Acht lässt, wie ihn auch Büchner 1984, S. 123 erkennt. S. später Anm. 1108. 1000 Rep. 1,39. 1001 Vgl. Bees 2010a, S. 147: Die „Gemeinschaftsbildung der Menschen [wird] von der Natur gesteuert“. Vgl. auch Asmis 2005, S. 401 und generell Kohns 1976.

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Möglichkeit einer gesellschaftlichen Synthese ist angelegt,1002 natura allein aber ist für ihr tatsächliches Gelingen nicht ausreichend. Menschlichem Handeln kommt, wie sich zeigen wird, eine konstituierende Funktion auf dem Weg zur Einheit zu.1003 Im nächsten Schritt wird nun, sicherlich im Vorgriff auf den Naturrechtsgedanken im dritten Buch,1004 eine direkte Verbindung zwischen Natur und Gerechtigkeit hergestellt. Gäbe es in der Natur nicht gewisse Samen, so bestünde keine Möglichkeit der Entfaltung der übrigen Tugenden und auch des Staates: […] quaedam quasi semina, neque reliquarum virtutum nec ipsius rei publicae reperiatur ulla institutio.1005 Die Stelle ist sehr schlecht erhalten, jedoch muss es sich bei den Samen, von denen die Rede ist, um Samen der Gerechtigkeit handeln, zumal von den übrigen Tugenden die Rede ist, womit sehr wahrscheinlich die anderen drei Kardinaltugenden gemeint sind. In diesem Sinne konjiziert Perelli nachvollziehbar dam für die Stelle.1006 Folgt man ihr, heißt das: Von derselben Natur, die die Menschen vereinen kann, hat der Mensch Samen der Gerechtigkeit erhalten, woraus sich ein angeborenes Gerechtigkeitsempfinden ableiten lässt.1007 Die Natur als Akteur ist der ursächliche Antrieb für das soziale Miteinander, das sich vornehmlich auf Übereinkunft im Recht gründet. Der menschliche Sensor als Voraussetzung für das gelingende Miteinander ist eine ebenfalls von der Natur eingegebene Veranlagung des Menschen zur Gerechtigkeit, die das Bestehen der natürlichen Bindungen und somit den Staat aufrechterhält.1008 Eine Ausrichtung am Recht entspricht demnach einer Ausrichtung an der Gerechtigkeit. Auf Grundlage eines iuris consensus und durch natürliche Anlage im Menschen befördert, erwächst somit iustitia tatsächlich als erstes und zentrales Element des Textes.

1002

Büchner 1984, S. 123 betont ausdrücklich, dass es sich bei der naturalis congregatio um einen „anfängliche[n] Geselligkeitstrieb“ handelt. 1003 Einen ähnlichen Gedanken macht Atkins 2013 zum Hauptgegenstand seiner Untersuchung. 1004 S. dazu das Weitere. 1005 Rep. 1,41. 1006 Vgl. Perelli 1977, S. 20. Vgl. im Zusammenhang auch Asmis 2005, S. 104f. und 40; Johann 1981, S. 345 und 351f. sowie Perelli 1990, S. 21: Argumentiert werde bei Cicero für eine „tendenza istintiva dell’uomo verso le quattro virtù cardinali, e in primo luogo verso la giustizia“. S. auch leg. 1,30–34. Dass iustitia also nicht erwähnt wird, liegt wohl im fragmentarischen Zustand des Werks begründet. Zum stoischen Hintergrund des Samenbilds vgl. etwa Pohlenz 1978, S. 123. 1007 Vgl. Asmis 2005, S. 401f.: „It is understood that the virtue that deals with community in particular is justice. Naturally, therefore, humans have an inclination to justice.“ Vgl. auch Bees 2010a, S. 142 und 152 sowie Ruch 1965, S. 503. 1008 S. auch part. 78, wo Cicero in Bezug auf die Bereiche der virtus festhält: In communione autem quae posita pars est, iustitia dicitur. Vgl. Montefusco 1995, S. 61, die iustitia als „matter of social relationships“ bezeichnet.

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Auf die Gerechtigkeit als letztendliche causa quae genuit civitatem muss auch die planvolle Lenkung des Staates bezogen sein, um analytische Prozesse zu verhindern und die Einheit zu wahren:1009 Omnis ergo populus, qui est talis coetus multitudinis qualem exposui, omnis civitas, quae est constitutio populi, omnis res publica, quae ut dixi populi res est, consilio quodam regenda est, ut diuturna sit. Id autem consilium primum semper ad eam causam referendum est quae causa genuit civitatem.

Hier wird neben der Festigung der als Synthese zu betrachtenden Idealvorstellung des Staates ein weiteres Element eingeführt, das im Werk große Bedeutung beansprucht: Der Staat muss consilio quodam gelenkt werden. Dieses consilium beruht, wie gerade gezeigt, auf der naturgemäßen Gerechtigkeit, die den Staat erst hervorgebracht hat und für sein Bestehen, so darf man schlussfolgern, unverzichtbar ist. Dabei muss unter consilium mehr als nur bloßer Ratschlag verstanden werden; im Kontext lässt sich eine dezidierte Funktion im politischen System erkennen, handelt es sich um ein Element, das an exponierter struktureller Stelle1010 eine Verbindung zwischen einem Staatenlenker und dem übergeordneten Ziel des Erhalts der res publica herstellt. Es besteht, so Ruch, die „Wirklichkeit eines consilium, das Befehlsgewalt hat (imperium) und auf der Gerechtigkeit beruht, die dem innersten Wesen des Menschen entspricht“.1011 Als Element der politischen Praxis, als vernünftige und planvolle Regierung steht es der ratio nahe1012 – abermals eine früh angedeutete Verbindung, auf der im weiteren Textverlauf aufgebaut werden kann. In diesem Kontext des politischen Handelns wird im Anschluss folgerichtig die beste Verfassungsform erörtert.1013 Das Ergebnis ist bekannt: Keine der Einzelformen Monarchie, Aristokratie oder Demokratie ist uneingeschränkt geeignet, sondern nur eine Mischverfassung, die eine Art Synthese der Einzelformen darstellt, kann für Stabilität sorgen. Sie wird als aus den anderen drei Arten im rechten Verhältnis gemischt bezeichnet: Quartum quoddam genus rei publicae maxime probandum esse sentio, quod est ex his quae prima dixi moderatum et permixtum tribus.1014 Eine so geartete Verfasstheit des Staates geht in ihrem Grunde zurück 1009

Rep. 1,41. Auch Asmis 2004, S. 576 betont die bedeutende Stellung des Elements consilium für die gesamte untersuchte Passage. 1011 Ruch 1965, S. 504. Vgl. dazu auch Büchner 1952, S. 123–128 sowie Büchner 1984, S. 125 und Zetzel 1995, S. 130. 1012 Vgl. Ruch 1965, S. 506. 1013 Zur Verfassungsdiskussion als Ausdruck von Ciceros spezifisch probabilistischer Methodik vgl. Woolf 2015, S. 100. Gestützt wird dies durch die Tatsache, dass Cicero die sogenannte Mischverfassung in rep. 1,45 als maxime probandum bezeichnet. 1014 Rep. 1,45. Vgl. zur Mischverfassung auch Mančal 1982, S. 149–151. Powell 2018, S. 257f. weist darauf hin, dass die aktuelle Krise des Staates nichts mit der Ausgestaltung der Verfassung zu tun hat. 1010

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auf eine bestimmte Form des Gleichmaßes – die aequabilitas, wie Cicero im Zusammenhang der Diskussion feststellt: Haec constitutio primum habet aequabilitatem quandam.1015 Da also eine solche staatlich verfasste Gleichmäßigkeit als charakteristische Eigenschaft einer wohltemperierten Verfassung gilt, kommt ihr besondere Bedeutung für die Struktur des Textes zu und wird sie so als dritter wichtiger im ersten Buch eingeführter Baustein betrachtet. Eine derart als gleichmäßig definierte Mischverfassung wird weiterhin gleich zu Beginn der Debatte um die beste Verfassungsform als deren Ergebnis präsentiert und in Beziehung zum hier eingeführten Konzept des idealen weisen Staatsmanns gesetzt, dem das zuvor postulierte consilium zuzutrauen ist. Scipio erklärt unter Verwendung astrologischer Begriffe:1016 Mirique sunt orbes et quasi circuitus in rebus publicis commutationum et vicissitudinum; quos cum cognosse sapientis est, tum vero prospicere inpendentis, in gubernanda re publica moderantem cursum atque in sua potestate retinentem, magni cuiusdam civis et divini paene est viri.

Mit dem Verweis auf irdische Politik und himmlische göttliche Perfektion wird hier an exponierter Stelle Scipios innere Spaltung während des Vorgesprächs zitiert.1017 Nicht nur wird so Scipio als Vorbild des Konzepts des idealen Staatsmanns ins Spiel gebracht, es verleiht der an dieser Stelle beschriebenen Bestimmung eines solchen weisen rector, auf welchen als wichtiges textuelles Element in De re publica immer wieder rekurriert wird,1018 besonderes Gewicht im Hinblick auf die Gesamtstruktur des Werks. Demnach ist es Aufgabe des weisen Staatsmannes, die Gefahren für die Stabilität zu erkennen und, beachtet man die eben festgestellte strukturelle Wichtigkeit des Textelements an der untersuchten Stelle, den analytischen Bestrebungen vorzubeugen. Im Hauptteil des ersten Buchs der Staatsschrift wird, so darf man zusammenfassen, durch die Einführung zahlreicher strukturell wichtiger Elemente – prominent iustitia, consilium, aequabillitas und rector – die Grundlage für weitere Ausführungen gelegt. Der deskriptiven Zustandsbeschreibung im Vorgespräch – der Staat ist aufgrund analytischer Muster entzweit – werden hier normativ die Eckpfeiler eines funktionierenden, auf gesellschaftliche Synthese ausgerichteten Staatswesens gegenübergestellt. Aufgrund seines natürlichen Gerechtigkeitsempfindens und seiner Vernunftbegabung ist der Mensch zu planvollem Regieren, zu vernunftbezogener Regierungstätigkeit, die stets die Einheit im Blick hat, fähig. Den idealen und für diesen Zweck unterstützenden Rahmen bildet eine Mischverfassung als bestmögliches genus rei publicae, weil sie weniger anfällig ist als 1015

Rep. 1,69. Vgl. zur Stelle auch Asmis 2005, S. 402f. sowie genereller Pagnotta 2007, S. 48–66 und 105. 1016 Rep. 1,45. 1017 S. dazu Kapitel 7.2.1. 1018 Vgl. auch Asmis 2005, S. 409–411 und Zetzel 1995, S. 135.

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die Einzelformen.1019 Der Weise ist sich dieser Zusammenhänge bewusst und in besonderem Maße Wahrer eines Zustands der Synthese, indem er solche Entwicklungen wie jene, die zur gegenwärtigen Dichotomie Optimaten–Popularen geführt hat, vorhersieht und abwehrt.1020 Alle beschriebenen Elemente ergeben somit ein kohärentes Bild, das im zweiten Buch erweitert werden kann. Einheit durch Gerechtigkeit: Die Anordnung der zentralen Textelemente im zweiten Buch Nachdem im ersten Buch ein strukturelles Grundgerüst geschaffen wurde, liegt der Fokus im zweiten Buch auf der genauen Verbindung der einzelnen Bausteine. Sie werden aufgegriffen und schlussendlich in eine bestimmte Ordnung gebracht, was im Folgenden nachgezeichnet werden soll. Die erste Hälfte des zweiten Buchs zeichnet die Entwicklung des politischen Systems Roms zur besten aller realisierbaren Möglichkeiten deskriptiv nach.1021 Doch fungiert Rom nicht nur als historisches Beispiel; der römische Staat soll auch normativ als Vorbild für Staatsmänner und politische Theoretiker dienen.1022 Schon methodisch als Kombination platonischer und peripatetischer Verfahren

1019

Vgl. dazu auch Kohns 1970, S. 395 und Atkins 2013, S. 107 sowie Büchner 1952, S. 139 und Pöschl 1962, S. 12f. 1020 Vgl. auch Ferrary 1995, S. 57 und 157. 1021 Vgl. auch Bernett 1995, S. 123–127. Hathaway 1968, S. 8 sieht dabei eine interessante Parallele zur Entwicklung der Dichotomien in den Proömien der Tusculanae disputationes: Die Ankunft griechischer Kultur und auch Philosophie in Rom führt zunächst zur negativ wahrgenommenen Tyrannei: „The arrival of Greek arts coincides with the transition from the ancestral good and the birth of tyranny.“ Doch über Pythagoras als gewissermaßen vermittelnde Figur erreicht gerade die Philosophie, hier besonders als Naturphilosophie verstanden, nach ebd., S. 10 eine Besserung der Situation: „Pythagoras arrives only now; philosophy, the highest art, is now needed. Natural law or the ‚natural motion‘ of politics emerges only after the breakdown of social order.“ So kann Hathaway ebd., S. 6 seine These entwickeln: „Cicero did not believe in historical progress. He did believe in the evaluation of history by the lights of political philosophy.“ S. für die Tusculanae disputationes Kapitel 6.2.1 und 6.3. Vgl. zur Rolle des Romulus dabei Samotta 2009, S. 67–85. 1022 Vgl. Müller 2017, S. 49 sowie Asmis 2005, S. 393, die die römische Republik als „example“ und „exemplar“ bezeichnet. Dass die dargestellte Idealität nicht zwingend im Sinne einer platonischen Idee gedacht werden muss, dass eine allzu große metaphysische Aufladung also gerade angesichts der Abgrenzung gegenüber dem griechischen Staatsphilosophen in rep. 2,21 nicht anzunehmen ist, legt Müller 2017, S. 49f. überzeugend gegen z. B. Pöschl 1962 dar; vgl. auch Gildenhard 2013b, S. 239–248. S. auch Anm. 1184 und 1202.

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synthetisch angelegt,1023 kristallisiert sich die römische Mischverfassung am Ende der Diskussion als synthetisch zu verstehendes Ergebnis deskriptiver wie normativer, idealer wie empirischer Überlegungen als naturae imago1024 heraus.1025 Bleibt man innerhalb des bisherigen durch die Bildsprache evozierten Denkgebäudes, wird hier Rom als bestmögliches Abbild der naturgemäßen Ordnung, in der auch das natürliche Gerechtigkeitsempfinden des Menschen zu verorten ist, dargestellt. Vor allem aber erlaubt die Darstellung der historischen Entwicklung einen genaueren Blick auf die Anlage der gleichmäßig gemischten Verfassung. Diese zeichnet sich vor allem durch ihre inhärente, concordia fördernde Stabilität1026 aus, welche, so Müller, auf der ihr eigenen „Mischung von besonderer Qualität, die ein Maß bzw. eine Ausgewogenheit […] zum Ausdruck bringt“,1027 beruht. Evoziert wird hier eine die Begriffe wie temperatio und moderatio umschließende aequabilitas, wie sie bereits im ersten Buch als ein zentrales Textelement vorgestellt wurde:1028 Nisi aequabilis haec in civitate conpensatio sit et iuris et offici et muneris, ut et potestatis satis in magistratibus et auctoritatis in principum consilio et libertatis in populo sit, non posse hunc incommutabilem rei publicae conservari statum.

1023

Vgl. Müller 2017, S. 52f., der in der Verbindung von der platonischen „Form eines Gedankenexperiments“ und peripatetischer „typologische[r] Klassifikation“ eine „Synthese verschiedener, in der griechischen Tradition bisher dissoziierter Elemente“ sieht. Vgl. auch Asmis 2005, S. 395f. und dezidiert quellenkritisch Frede 1989. 1024 Rep. 2,66. 1025 Nach Atkins 2013, S. 65 wird hier ein Bezug zur kosmischen Ebene hergestellt: „[I]t points towards the cosmic order of the Dream of Scipio, which supplies an ideal model of order, divinity, and rationality.“ Abstrakter und für die strukturalistische Betrachtungsweise geeigneter formuliert es Hathaway 1968, S. 11: „Cicero believed that the ancient ways of Rome point in a dim way to certain true principles.“ Ähnlich sieht es Zetzel 1996, S. 317: Die Gesprächsteilnehmer „re-create in their minds the ideal past of Rome, a set of values and institutions that are at once historically contingent and representative of eternal values“. Hösle 2008, S. 160 betont die protohegelianischen Aspekte von Ciceros Vorgehensweise; S. in diesem Kontext auch Kapitel 2.3. 1026 Müller 2017, S. 59 führt dies näher aus: „Das entscheidende Moment in Rep. 2 ist vielmehr die jeweils angemessene innere Begrenzung bzw. Moderierung der drei Komponenten in ihrem normativen Anspruch: Die königlichen Elemente dürfen nicht zu viel Macht (potestas), die aristokratischen nicht zu viel Ansehen (auctoritas) und die demokratischen nicht zu viel Freiheit (libertas) haben.“ Vgl. auch Aalders 1968, S. 114–116 und Zetzel 2013, S. 187. 1027 Müller 2017, S. 57. Vgl. auch generell Wood 1991, S. 164–168, der allerdings besonders die realpolitisch-konservative Funktion der gemischten Verfassung betont. 1028 Rep. 2,57.

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Der umfassenden Ausgeglichenheit der gesellschaftlichen Ordnung kommt demnach eine wichtige Bedeutung für den Erhalt der besten Verfassungsart und somit für die Einheit des Staates zu.1029 Man kann an dieser Stelle den Zusammenhang mit dem Konzept des iuris consensus der Staatsdefinition im ersten Buch erkennen.1030 Ein solch ausgewogenes Staatssystem entspricht in perfekter Weise der Übereinkunft im Recht und darf folglich als gerecht bezeichnet werden. Die soziale Natur des Menschen ist hierfür anthropologische Voraussetzung, die genaue Ausgestaltung des menschlichen Miteinanders, auf gesellschaftliche Synthese ausgerichtet, bleibt menschlichem Handeln vorbehalten – und so gewinnt im Verlauf des geschichtlichen Exkurses die im Staat tätige Einzelperson immer mehr an Bedeutung.1031 Gegen Ende der Betrachtung der römischen Historie greift sodann Scipio den Gedanken vom ideal agierenden Staatsmann wieder auf und rekurriert so, mit wörtlichen Anklängen, auf ein weiteres bedeutendes Textelement des ersten Buches:1032 Id enim est caput civilis prudentiae, in qua omnis haec nostra versatur oratio, videre itinera flexusque rerum publicarum, ut cum sciatis quo quaeque res inclinet, retinere aut ante possitis occurrere.

Die Eigenschaften, die im ersten Buch dem Weisen zugeschrieben wurden, werden wiederholt und unter das Banner der prudentia gestellt, als deren konkrete Realisierung das im ersten Buch genannte Element consilium verstanden werden

1029

Vgl. dazu auch grundlegend Pagnotta 2007, S. 15, der aequabilitas als „concetto di unione integrate di diverse e opposte parti o elementi in un insieme equilibrato e proporzionato“ und ebd., S. 119 für Cicero als „l’elemento centrale nella formulazione del suo ricco e poliedrico pensiero“ beschreibt. Vgl. auch Nicgorski 2016, S. 187. 1030 Vgl. zu dieser Verbindung auch Pagnotta 2007, S. 67–83. 1031 Vgl. zu dieser Entwicklung Nicgorski 1991. 1032 Rep. 2,45. Obwohl wichtige Individuen wie Romulus schon zu Beginn der römischen Geschichte eine große Rolle spielen, ist doch erkennbar, wie Staatenlenker immer weiter in den Vordergrund treten: Ins Zentrum rückt, wie auch Asmis 2005, S. 405 konstatiert, der „model statesman, whose image has been emerging gradually“. Vgl. auch Müller 2017, S. 60–62. S. zur Bedeutung des Individuums bei Cicero generell Anm. 724 mitsamt den dort zu findenden Verweisen.

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kann. Der prudens zeichnet sich dabei, wie aus der Passage hervorgeht, vor allem durch vorausschauendes Handeln1033 aus. Wirklich systematisch eingeführt wird der Typus des weisen Staatsmannes kurz darauf in Abgrenzung zum Tyrannen Tarquinius, dem letzten römischen König:1034 Quare prima sit haec forma et species et origo tyranni inventa nobis in ea re publica quam auspicato Romulus condiderit, non in illa quam ut perscripsit Plato sibi ipse Socrates perpolito illo in sermone depinxerit, ut, quem ad modum Tarquinius, non novam potestatem nactus, sed quam habebat usus iniuste, totum genus hoc regiae civitatis everterit; sit huic oppositus alter, bonus et sapiens et peritus utilitatis dignitatisque civilis, quasi tutor et procurator rei publicae; sic enim appelletur quicumque erit rector et gubernator civitatis. Quem virum facite ut agnoscatis; iste est enim qui consilio et opera civitatem tueri potest.

Scipio weist zunächst darauf hin, dass Tarquinius nicht in den Besitz einer neuen Form von Macht gelangte, sondern die Monarchie durch den ungerechten Gebrauch einer Macht, die er bereits innehatte, zu Fall brachte und damit die ursprüngliche Ordnung destabilisierte. Ihm wird als Gegenmodell der gute, weise Mann gegenübergestellt, der als rector et gubernator civitatis kraft seines consilium sich auch – es werden hier zivilrechtliche Metaphern genutzt – als tutor et procurator rei publicae, als Wahrer einer ursprünglichen Synthese erweist.1035 Dieser Staatsmann wird in der Forschung seit Heinze eher als Typus und nicht als konkrete Person in einer Diktatur oder Monarchie gesehen.1036 Dies ist durch den Text gedeckt: Cicero selbst spricht von einem genus eius hominis.1037

1033

Vgl. auch Zarecki 2014, S. 178, Anm. 10 und Powell 2012, S. 32 sowie Müller 2017, S. 65, der von der „praktischen Deliberation in staatlichen Angelegenheiten“ spricht. Vgl. auch Marquez 2011, S. 422: „His version of the theory of the mixed constitution challenges any too pat reliance on ‚checks and balances‘ as a guarantee against tyranny, and rightly emphasizes the enormous importance of prudent and virtuous action for these checks and balances to work at all.“ Dass hier nicht der Begriff philosophia gebraucht wird, lässt sich nach Pöschl 1962, S. 167 mit dem aus den Tusculanae disputationes bekannten Begründungsmuster erklären, nach dem sapientia als urrömische Tugend dargestellt wird. S. für den Begriff der prudentia auch Anm. 218. 1034 Rep. 2,51. 1035 Vgl. zur Einführung des Staatsmann-Konzepts in Abgrenzung zum Typus des Tyrannen auch Nicgorski 1991, S. 142 und 241. 1036 Vgl. Heinze 1966 sowie Atkins 2013, S. 73. Eine spezifische Sicht vertritt Zarecki 2014, S. 161f.: Das rector-Ideal habe Cicero für sich selbst verfasst, es sei ein „personal construct“, ein „practical code of behavior for Cicero“ und damit tatsächlich als Hilfe für konkrete Einzelentscheidungen in der Praxis gedacht. 1037 Rep. 2,51. Vgl. dazu auch Zetzel 1995, S. 206.

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In diesem Zusammenhang wird nach Andeutungen im ersten Buch1038 ganz konkret Ungerechtigkeit als Faktor angeführt, der zum Untergang führt. Nicht Macht an sich, sondern deren ungerechter Gebrauch bringt die Ordnung aus dem Gleichgewicht und führt, folgt man der im Vorgespräch gezeichneten Denkbewegung, letztlich zu Tendenzen der Analyse, an deren Ende die Spaltung von Volk und Staat steht.1039 Dem Tyrannen, der ungerecht handelt, wird hierbei der ideale Staatsmann gegenübergestellt, der, wie man ergänzen darf, gerecht handeln muss, um die Einheit im Staat zu erhalten. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit etablieren sich nach Asmis als Kriterium für die Verfassungsdiskussion.1040 Auf dieser Deutung kann die Betrachtung der letzten erhaltenen Textstellen des zweiten Buchs aufbauen. Nachdem sodann erneut Textelemente des ersten Buchs aufgegriffen werden und die gleichmäßig gemischte Verfassung, die e tribus primis […] modice temperatum1041 ist, als Ergebnis der systematischen Debatte des ersten Buchs und der historischen Entwicklung im zweiten Buch bekräftigt wird und nachdem Rom als die irdische Verwirklichung dieses Ideals bestimmt wird,1042 zieht Cicero von dieser Zwischensicherung aus eine Linie zur Konzeption des idealen Staatsmanns, der nach seiner bedeutsamen Einführung im Mittelteil des Buchs nun zur zentralen Figur aufsteigt, nach der explizit schon lange – iamdudum1043 – gesucht wird, wie Scipio die zu untersuchende Passage einleitet. Erneut wird in diesem Rahmen dem Weisen prudentia, Voraussetzung für das verständige Regieren im Sinne des consilium, als Attribut zugeschrieben: „Prudentem fortasse quaeris?“ Tum ille: „Istum ipsum.“1044 Zur Veranschaulichung seiner Vorstellung von einer vernunft1038

S. rep. 1,65 und auch 2,48. Vgl. dazu auch Bernett 1995, S. 120: „Die res publica wird […] als ein quasi-körperhaftes Ganzes angesehen, dessen guter Zustand durch das Funktionieren und Kooperieren seiner Bestandteile aufrechterhalten wird. Treten in dieser funktionalen Harmonie, die auf die kontinuierliche Bestandserhaltung des Ganzen ausgerichtet ist, Störungen auf, bietet sich für das zum Aufruhr disponierte Potenzial die Gelegenheit, mit Erfolg aktiv zu werden.“ Daraus ergebe sich sodann, so ebd., ein „fortschreitender Verfall der ‚Teile‘ und ihres Zusammenhangs“. Umwälzungen führen zu Instabilität, gerade wenn historisch die Mischverfassung noch nicht ausgeprägt ist. Nach Pöschl 1962, S. 83f. zeigt Cicero hier, „daß Staatsumwälzungen – und zwar in jeder Richtung – in der römischen Geschichte tatsächlich eintreten konnten, solange die ideale Mischverfassung noch nicht verwirklicht war, daß sie aber, wenigstens zum Teil, durch kluge Politik […] verhindert oder rückgängig gemacht wurden“. Vgl. allgemein auch Zarecki 2014, S. 8 und 81 und ferner Büchner 1952, S. 125; Kesler 1985, S. 179 sowie ähnlich für De officiis Atkins 1990, S. 267–272. Vgl. zur Beschäftigung Ciceros mit Degeneration und Stabilität Nicgorski 2016, S. 167. 1040 Vgl. Asmis 2004, S. 584. 1041 Rep. 2,65. 1042 S. ebd., 2,66. 1043 Ebd., 2,67. 1044 Ebd. 1039

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gemäßen Staatenlenkung nutzt Scipio nun ein Bild: In Afrika habe er oft beobachten können, wie ein verständiger Mann auf einem wilden Tier geritten sei und es vorsichtig zu zähmen vermochte. Diesen Bestienbezwinger vergleicht er im Anschluss mit dem Teil der menschlichen Seele, der Verstand genannt werde, mit ea quae latet in animis hominum quaeque pars animi mens vocatur.1045 Das Wirken des Staatsmanns wird damit in Verbindung mit Vernunft und dem vernünftigen Seelenteil, mens, gebracht, die analytische Bestrebungen im Zaum hält und das Fundament für das consilium des weisen Staatsmannes bildet.1046 Um die Bedeutung der mens für die Zwecke der Untersuchung zu präzisieren, ist ein Blick in das Proöm des dritten Buches notwendig, welches zeigt, dass das Potenzial für die Erlangung dieser auf den Staat bezogenen Weisheit prinzipiell jedem Menschen eigen ist. Der Mensch, von Geburt an zwar schwach und gebrechlich, besitzt doch eine Seele, in der wie verschüttet ein divinus ignis ingenii et mentis1047 wohnt, also ein vernünftiger Seelenteil, wie er als Ergebnis des scipionischen Vergleichs bedeutsam wird.1048 Der Staatsmann zeichnet sich dadurch aus, dass er in besonderem Maße von diesem vernünftigen Teil der Seele Gebrauch macht.1049 1045

Rep. 2,67. Die Engführung von vernünftigem Teil der Seele und vernünftig handelndem Staatsmann weist darauf hin, dass sich die irdische Ebene letztlich in zwei Sphären (Mensch und Seele) aufteilt, wobei die Sphäre der Seele auf die vernünftig angelegte kosmische Ordnung verweist. Die so implizierte Einheit von Makro- und Mikrokosmos ist lange beobachtet worden und darf als kleinster gemeinsamer Nenner der De re publica-Forschung angesehen werden. Die hier verfolgte Interpretation betrachtet, wie anfangs erläutert, die irdische und himmlische Ebene zunächst weitgehend getrennt unter dem Blickwinkel des Instruments Analyse–Synthese und versucht erst im zweiten Schritt eine Parallelisierung und ein Zusammendenken der Ebenen, bei dem die mens eine entscheidende Rolle spielt; s. dazu Kapitel 7.2.3 und auch 7.2.5 sowie Anm. 840; s. weiterhin Kapitel 9.1. 1047 Rep. 3,1. 1048 Vgl. auch Gallagher 2001, S. 516f. und Lévy 2016b, S. 420. S. zur Vernunftfähigkeit jedes Menschen auch das Weitere und zuvor Kapitel 6.2.3 und speziell Anm. 902 und 915. 1049 Einer der herausstechenden Argumentationsstränge in der Monographie von Atkins 2013 befasst sich mit den Grenzen der menschlichen ratio im politischen Bereich und, ausgehend von rep. 2,57, der Macht der menschlichen Natur, die zwar nicht immer und automatisch, aber doch ab und an die Vernunft besiegt. Wie bereits bei den Ausführungen zum Hauptteil des ersten Buches bemerkt, werden hier normative Naturfinalität und Verstandesleistung komplementär gedacht. Die Naturkonzeption in rep. 2,57 steht also nur scheinbar im Widerspruch zur anderswo im Werk vertretenen Auffassung von der natürlichen und guten Ordnung. Müller 2017, S. 68 stellt fest, „dass die römische Verfassungshistorie weder ein kausal determiniertes Geschehen noch ein blindes und zielloses Treiben ist, das durch reinen Zufall im optimus status civitatis gelandet ist“; vgl. insgesamt ebd., S. 62–68. Aus struktureller Perspektive lässt sich antworten, dass eben bestimmte Elemente hinzutreten müssen, um zur angestrebten Synthese zu gelangen; s. dazu das Weitere. Vgl. zur Problematik auch Zetzel 1996, 1046

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Die gedankliche Konstruktion gipfelt in der Frage, ob der Staatsmann tatsächlich die Einheit im Staat aufrechterhalten und letztlich die vorherrschende Spaltung rückgängig machen kann, sowie in der Frage, welche strukturell zu verstehenden Elemente dafür notwendig sind. Als Laelius die entscheidenden Stichworte, officium und munus des weisen Staatsmannes, gibt und damit die Finalität der Diskussion in den Blick rückt, führt Scipio weiter aus, dass der ideale Staatenlenker seinen Mitbürgern, die schließlich ein ebensolches Potenzial in sich tragen,1050 Vorbild sein muss. Wieder verwendet er zur Verdeutlichung eine Metapher: Wie man bei Saiteninstrumenten oder Flöten und besonders auch in der Vokalmusik einen Zusammenklang einhalten muss, der aus unterschiedlichen Tönen besteht, und wie dieser Zusammenklang aus der Führung unterschiedlichster Stimmen entsteht und doch harmonisch und in sich stimmig ist, so sollte der Staat klingen:1051 Sic ex summis et infimis et mediis interiectis ordinibus ut sonis moderata ratione civitas consensu dissimillimorum concinit; et quae harmonia a musicis dicitur in cantu, ea est in civitate concordia, artissimum atque optimum omni in re publica vinculum incolumitatis, eaque sine iustitia nullo pacto potest esse.

Die Aufgabe des Staatsmanns ist demnach die Herstellung universeller Eintracht: Wie bei einem Instrument erfolgen Zusammenklang und Harmonie aus unterschiedlichen Stimmen. Die staatliche Eintracht steht somit als Balanceakt, der unterschiedliche Elemente – Senat, Ritterstand, Volk – zu einer harmonischen Gruppe zusammenführt,1052 im Zeichen der aequabilitas, der gesellschaftlichen Ausgeglichenheit, die natürlich etablierte Hierarchien berücksichtigt. Der ideale Staatenlenker schafft im Staat mittels ratio einen Idealzustand der Synthese, ein festes Band der concordia, in dem jegliche Spaltung aufgehoben ist.1053 Die SynS. 318; Büchner 1964a, S. 128; Johann 1981, S. 419 sowie insgesamt Perelli 1972, S. 311, der im Ergebnis von einem „conflitto fra idea dinamica e dialettica del progresso e conservatorismo statico“ ausgeht. Finnis 2011, S. 375f. gibt einen Überblick über verschiedene (v. a. stoische) Naturbegriffe. 1050 Nach Arkes 1992, S. 259 spürt das Volk zumindest Störungen der Ordnung und erkennt so analytische Tendenzen: „[A]t a certain level […] he seemed to understand […] that a discordant law was as instantly known and felt by a public of ordinary men as a discordant note was instantly recognized by a common audience.“ S. im Zusammenhang zur Dichotomie Elite–Masse Kapitel 6.2.3. 1051 Rep. 2,69. 1052 Vgl. Zarecki 2014, S. 61f: Er spricht von einem „balancing act, combining dissimilar elements – the Senate, equites, and plebs – into a harmonious grouping in which each element performs their role to perfection“. Vgl. auch Zetzel 1996, S. 301 und Ruch 1965, S. 507. 1053 Das gesamte Handeln des Staatsmanns wird von Zarecki 2014, S. 85f. korrekt als „forward-thinking“ dargestellt. Demgemäß wird die Wiederherstellung der Einheit als sein wichtigstes Ziel beschrieben.

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these ist dabei der einer natürlichen Ordnung auf der Erde angemessene gesellschaftliche Zustand – nicht zuletzt ist die Natur Triebfeder des menschlichen Zusammenscharens.1054 Um diesen natürlich ideal gedachten Zustand herbeizuführen, nutzt der weise Staatsmann, wie im zitierten Abschnitt erneut betont wird, seinen Verstand – moderata ratione klingt der Staat in Übereinstimmung der unterschiedlichen Elemente. Nur mithilfe vernünftiger und abwägender Überlegung gelingt es dem Individuum, die unterschiedlichen Stimmen im Staat zu vereinen.1055 Die ratio, die natürlich innerhalb der strukturalistischen Betrachtung denselben semantischen Raum aufspannt wie mens, prudentia und im Konkreten consilium, ist allerdings hier nur das Mittel; das unmittelbare Telos, auf das die hier instrumentell zu interpretierende Vernunft bezogen ist, ist die Gerechtigkeit.1056 Sie wird als das kittende Element und somit als zentraler Strukturbaustein präsentiert, der die societas hominum und die res publica zusammenhält,1057 ohne dass diese auseinanderfällt, wie es anscheinend zur Zeit des Gesprächs sowie am Ausgang der Republik in Ciceros Gegenwart der Fall ist. Nach Gallagher gehen dementsprechend menschliche Großtaten, wie sie der Staatsmann im Dienst der Synthese vollbringen kann, aus dem menschlichen Intellekt hervor1058 und besitzen, wie man anhand der gewonnenen Ergebnisse schlussfolgern darf, einheitsstiftende Gerechtigkeit (iustitia) als Grundlage und Ziel.1059 Wie ist das Konzept der Gerechtigkeit, wie sie sich hier darstellt, zu verstehen? Die Ausführungen haben zeigen können, dass offensichtlich aequabilitas als zentraler Inhalt der Gerechtigkeitskonzeption dient. Der im ersten Buch eingeführte iuris consensus wird entfaltet und als exzellent ausbalancierte Ständeharmonie 1054

Vgl. auch Arkes 1992, S. 259: „Cicero readily understood that the harmonies of music and the harmonies of law bore a relation to the harmonies of mathematics. All of them found their root in a logic immanent in nature.“ 1055 Vgl. Atkins 2013, S. 78: „The statesman uses reason (ratio) to guide the disparate orders of the commonwealth into a just, harmonious, and rational order.“ 1056 Das absolute Telos, freilich, stellt die gesellschaftliche Einheit, abstrakt die Synthese, dar. 1057 Vgl. dazu auch u. a. Dieter 1968, S. 35; Schofield 1995a, S. 72; Schwamborn 1970, S. 42; Pöschl 1962, S. 126; Müller, 2017, S. 61f. und Barlow 1987, S. 367. Vgl. zum Zusammenhang von societas und consensus Cancelli 1972a, S. 259–261. 1058 Vgl. Gallagher 2001, S. 517: Sie seien „initiated out of the intellect (mens) and informed by wisdom (sapientia)“. 1059 Atkins 2013, S. 114 bleibt unvollständig, wenn er das Mittel zur Herstellung von Harmonie im Staat auf „concessions to human desires“ beschränkt. Er misst in diesem Zusammenhang der ratio eine bedeutendere Funktion bei; vgl. auch Nicgorski 1993, S. 786f. Dagegen identifiziert Büchner 1952, S. 133f., stoisches Gedankengut annehmend, Vernunft und Gerechtigkeit, sieht sie quasi als Bestandteile eines strukturalen Elements: „Am Schluss des zweiten Buches wäre man reif zur Erkenntnis, dass diese ratio des Staates, auf die alles bezogen wird und die das gestaltende Prinzip in der Geschichte ist, die Gerechtigkeit ist.“

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gedacht, deren Ordnungsstruktur dem Leitprinzip des Gleichmaßes folgt. Gerechtigkeit in einem solchen Staat meint demnach, dass jedes Glied seine Funktion erfüllt und so zur allumfassenden Harmonie beiträgt, die bereits auf die später gepriesene kosmische Harmonie verweist.1060 Aequabilitas als konkrete inhaltliche Füllung der iustitia stellt somit eine Weiterentwicklung von Ciceros Gerechtigkeitsverständnis dar, wie er es in seinem Frühwerk De inventione formuliert: Iustitia est habitus animi communi utilitate conservata suam cuique tribuens dignitatem.1061 Die angestrebte synthetische concordia, faktisch ein ausgewogener consensus ordinum,1062 verlangt vom Staatsmann eine reflektierte Praxis des Ausgleichens und Harmonierens. Ohne sie kann Gerechtigkeit nicht zum Ideal der Synthese führen.1063 Mit der Idee eines systematisch ausgleichenden und somit 1060

S. dafür das Weitere und zudem ausführlich Kapitel 8 und 9. Ein Vergleich mit Platons Staatslehre bietet sich natürlich an: Gerechtigkeit kommt allen drei Gruppen zu und bildet somit die Gesamtklammer. Vgl. Powell 2012, S. 28 und weiterführend Marquez 2012, S. 196 sowie darüber hinaus Horn 2007b, S. 51. In dieser Arbeit soll allerdings die strukturelle Funktion der Elemente im Vordergrund stehen. S. für Unterschiede zu Platon Anm. 1022, 1184 und 1202. 1061 Inv. 2,160. Vgl. dazu u. a. Mayer-Maly 1971, S. 383f.; Bees 2010a, S. 157; Johann 1981, S. 343; Fontanella 2012, S. 120f.; van Zyl 1991, S. 116; Horn 2007b, S. 48; Schofield 2013, S. 85 und Dyck 2004, S. 111, der sogar aequabilitas und suum cuique tribuere identifiziert: „Suum cuique tribuere is Cicero’s paraphrase for aequitas, which is the principle underlying the commands and prohibitions of law […], i. e., it determines what constitutes recte facere.“ Thome 2000, S. 107 definiert das zumindest in manchen Kontexten verwandte Konzept der aequitas als „ausgleichende, auf den jeweiligen Fall bezogene Gerechtigkeit“ – es gelte der Leitgedanke des aequum, dessen, „was billig und angemessen ist“. S. auch fin. 5,65f. und vgl. dazu van Zyl 1991, S. 107f. Vgl. weiterhin Fantham 1973, S. 285–287 und Fontanella 2012, S. 122 und ebd., Anm. 30. Fuhrmann 1960, S. 498 betont zusätzlich die ausgedrückte Bindung der römischen dignitas-Vorstellung an den Gedanken einer solchen distributiven Gerechtigkeit, wobei dignitas als Schlüssel, „nach dem sich bemißt, wie Gleiches an Gleiche und Ungleiches an Ungleiche verteilt werden soll“, verstanden wird. Long 1995b, S. 234 beschreibt Gerechtigkeit ausgehend von seiner Untersuchung von De officiis als „natural and rational way for individual human beings to organize their lives in ways that are socially beneficial“; vgl. zudem ebd., S. 225. Vgl. daneben für Ciceros Werk über die Pflichten auch Wood 1991, S. 76–78 und 230, Anm. 19; van Zyl 1991, S. 120–136 sowie Henry 1925, S. 100–104. S. zur Bedeutung von iustitia als Strukturelement in De officiis das Weitere. 1062 Vgl. dazu auch Strasburger 1956, S. 12f. S. zudem Kapitel 6.2.3 und zum consensus omnium-Konzept auch Anm. 907. 1063 Vgl. dazu auch Glei 1991, S. 135: „Ciceros Streben nach Eintracht entsprang nicht einem oberflächlichen Harmoniebedürfnis, sondern vielmehr der philosophisch fundierten Überzeugung, der Staat könne ohne Gerechtigkeit, d. h. ohne die ‚concordia‘ bzw. den ‚consensus ordinum‘, nicht bestehen. Die Aufgabe des Staatsmannes sah er daher darin, die Eintracht um jeden Preis zu bewahren bzw. wiederherzustellen.“ Vgl. zudem Asmis 2004, S. 583.

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gerecht handelnden Staatslenkers trägt Gerechtigkeit sowohl personelle als auch institutionelle Züge und spannt daher die Dimensionen der optima civitas und des optimus civis auf, die das thematische Grundgerüst des ganzen Staatswerks bilden.1064 Dass iustitia dasjenige Element darstellt, das zur Synthese führen kann,1065 wird ganz am Ende des zweiten Buchs als Gipfelpunkt der Erörterung verstärkend als Bedingung für die Fortsetzung des Gesprächs wiederholt: Hoc verissimum esse, sine summa iustitia rem publicam geri nullo modo posse.1066 Es darf als unumstößliche Wahrheit gelten, dass der Staat ohne Gerechtigkeit nicht regiert werden kann, wobei der wörtliche Anklang an die zuvor betrachtete Stelle auffällt,1067 was die These von der Gewichtigkeit des Strukturelements iustitia deutlich herausstreicht. Der Fokus bei dieser letzten, an prominenter Stelle direkt vor dem abschließenden Satz des zweiten Buches zu findenden Überzeugung liegt im Vergleich zur ersten Erwähnung noch stärker auf der konkreten politischen Tätigkeit (geri), wodurch die zentrale Position des gerecht handelnden Individuums abschließend gestärkt wird. Es wird klar: iustitia als abstraktes Element kann mithilfe konkreter weiser Akteure die irdische Einheit ermöglichen.1068 Im zweiten Buch von De re publica werden also die bereits für das erste Buch wichtigen textuellen Elemente weiterentwickelt und letztlich in eine lineare Verbindung gebracht, die über das consilium des rector eine aequabilitas umschreibende iustitia bewirkt, auf deren Grundlage allein die staatliche Einheit bewahrt oder wiederhergestellt werden kann. Am historischen Beispiel wird dabei die Relevanz der Überlegungen für die politische Praxis aufgezeigt, werden historisches und abstraktes Ideal in Einklang gebracht.1069 Auf Grund seiner Vernunft handelt der weise Staatsmann ausgleichend und gerecht und stellt somit die Ein1064

Vgl. dazu grundlegend Müller 2017, S. 60–62. Ruch 1965, S. 508 bemerkt: „So geht der einzelne nicht anonym im Staatswesen auf, und andererseits ist der Staat kein unpersönliches, abstraktes Prinzip.“ 1065 Vgl. auch Arena 2007, S. 57 sowie Höffe 2017, S. 88. 1066 Rep. 2,70. 1067 S. ebd., 2,69. 1068 Vgl. hierzu auch Marquez 2012, S. 191 und zudem Radford 2002, S. 35. 1069 Vgl. dazu auch Dieter 1968, S. 36 und Mančal 1982, S. 146f. Vgl. zudem Atkins 2013, S. 7, der die Argumentation des ersten Teils des zweiten Buches mit den in diesem Teil angestellten allgemeingültigen Überlegungen verbindet und ein „intellectual movement to impose order on disorder and to reconcile (universal) reason with (particular) history“ erkennt. Auch Büchner 1952, S. 124 harmonisiert diese Erkenntnis mit den Gedanken des historischen Teils des zweiten Buches: Rom sei „Resultat der in der Geschichte wirkenden Vernunft […], die auf natürlichem Wege zur besten Form drängt“. Man muss also nicht wie Marquez 2012, S. 200 eine Spannung zwischen einer „abstract idea of the people as a community united through agreement in law“ und einer „idea of the patria as the historically developed object of the people’s love“ annehmen. Die Überlegungen von Zetzel 2001, S. 84 und 92 zum fast vollständig verlorenen vierten Buch fügen sich gut in das Bild ein; vgl. zum vierten Buch ebenso Brüllmann 2017.

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heit aus gesellschaftlich Unterschiedlichem her. Auf diese Weise kann Gerechtigkeit, gespiegelt durch gerechte Handlungen eines Individuums, staatliche Einheit wahren und gesellschaftliche Verwerfungen auflösen. Die strukturelle Verwirklichung dieser ideal gedachten Konzeption ist die Auflösung der Dichotomie Optimaten–Popularen und die Herstellung eines ursprünglichen wie naturgemäßen Zustands der Synthese. Iustitia ist dabei nicht nur in strukturaler Hinsicht, sondern auch in der Linie der Textprogression Kulminationspunkt des zweiten Buches. Mit Scipios an diese Ergebnissicherung anschließenden Ankündigung, die reliqua1070 am nächsten Tag zu behandeln, wird das Textelement iustitia an der Schnittstelle zum nächsten Buch positioniert und behält so seine Strahlkraft auch für die Diskussion des Folgetags bei, wo Gerechtigkeit strukturell wie inhaltlich noch weiter ins Zentrum gerückt wird. Gerechtigkeit im Zentrum: Die Streitrede für die Gerechtigkeit im dritten Buch Nach der linearen Anordnung der Elemente in den ersten beiden Büchern, die ein kohärentes Narrativ ergibt, wird im dritten Buch dessen ideale Form näher in den Blick genommen. Der Hauptteil des dritten Buchs ist dabei nach Art einer ciceronischen Disputation angelegt und besteht dementsprechend aus einer Streitrede für und einer wider die Gerechtigkeit. Gemäß Ciceros probabilistischer Herangehensweise wird auf diese Art erwiesen, welche Position der Wahrheit am nächsten kommt.1071 Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes des dritten Buchs allerdings erscheint ein genaues Nachvollziehen der Argumentation unmöglich, zumal die Reaktionen der Gesprächsteilnehmer auf die einzelnen Beiträge nicht mehr exakt zu rekonstruieren sind; zumindest die Grundstruktur lässt sich dennoch dank vor allem Augustinus’ De civitate Dei1072 grob nachzeichnen. Es spielt zunächst Philus den advocatus diaboli und behauptet, dass ein Staat ohne ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit nicht regiert werden kann, wobei er die an anderen orientierte iustitia der egoistischen sapientia und prudentia gegenüberstellt. Folgerichtig wird die Mischverfassung als Folge des gegenseitigen Misstrauens der Menschen dargestellt und somit das Erreichen der Synthese mittels der veranschaulichten Kette der ersten beiden Bücher in Frage gestellt. Philus widerspricht so auffällig exakt dem bis zum Ende des zweiten Buches aufgebauten Denkschema und stellt sich letztlich gegen die Gerechtigkeit als einheitsstiftendes Element. Aus der Perspektive der Textprogression betrachtet, ist Philus an dieser Stelle als analytisch wirkende Figur konzipiert, die die erreichten Fortschritte der 1070

Rep. 2,70. Vgl. zur probabilistischen Methode an dieser Stelle van Zyl 1991, S. 31 und 202 und daneben Lévy 2010a, S. 49 sowie insgesamt für res publica Powell 2018, S. 253. Sauer 2013, S. 188–192 spricht von verschiedenen Rezeptionshaltungen. S. ausführlich zu Ciceros Methodik Kapitel 3, 4 und 5. 1072 S. civ. 2,21. 1071

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gedanklichen Linie mit dem Element der Gerechtigkeit an ihrem Ende in Zweifel zieht und die Synthese somit herausfordert.1073 Ein Neuansetzen wird erforderlich.1074 Es folgt als Konsequenz die fast vollständig verlorene Rede des Laelius für die Gerechtigkeit sowie darauf aufbauende Ergänzungen durch Scipio und Laelius, die im Vergleich zu Philus’ Ausführungen wohl von den Gesprächsteilnehmern als deutlich wahrheitsgemäßer eingestuft werden.1075 Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Debatte um die Gerechtigkeit im Zentrum des Textverlaufs von De re publica angesiedelt ist, iustitia somit den inhaltlichen Mittelpunkt des Werks bildet. In der Laeliusrede wird das Strukturschema der ersten beiden Bücher wieder aufgegriffen und, im Gegensatz zu seiner Negation bei Philus, weitergedacht. Ratio wird hier als wahres Gesetz bestimmt, das entsprechend der menschlichen Natur für alle unabhängig von Zeit und Ort gültig und Richtschnur für das Leben ist:1076 Est quidem vera lex recta ratio, naturae congruens, diffusa in omnis, constans, sempiterna, quae vocet ad officium iubendo, vetando a fraude deterreat, quae tamen neque probos frustra iubet aut vetat, nec improbos iubendo aut vetando movet. […] Nec erit alia lex Romae, alia Athenis, alia nunc, alia posthac, sed et omnes gentes et omni tempore una lex et sempiterna et inmutabilis continebit.

1073

S. für die Herausforderung einer bereits etablierten Synthese etwa auch die Ausführungen zum Lucullus in Kapitel 4.3.1 oder jene zu De natura deorum in Kapitel 4.4.1. 1074 Vgl. dazu auch Johann 1981, S. 250. S. für die ciceronische Konzeption des Neuansetzens Kapitel 5. 1075 Dies lässt sich zumindest aus den erhaltenen Textstellen, Paraphrasierungen späterer Autoren und der einhelligen Forschungsmeinung ableiten; vgl. etwa Höffe 2017, S. 75. 1076 Rep. 3,33. Atkins 2013, S. 5 richtet an dieser Stelle, wie bereits zuvor – s. etwa Anm. 1059 –, den Fokus vor allem auf die Bedeutung der Vernunft als Weltvernunft. Er bestimmt ratio stoisch: „On Cicero’s account, reason in its pure form is divine; it regulates the forces of nature and the patterns of the cosmos, along with the lives of human beings.“ Die Vernunft wurde, wie das Proömium des dritten Buches zeigt, den Menschen zwar in Form eines vernünftigen Seelenteils von der Natur gegeben, jedoch scheint der Schwerpunkt hier wie im restlichen Werk deutlich auf der Zielgerichtetheit der Vernunft, auf der Frage nach lex und ius zu liegen, wie auch unten die Vergleichsstellen in De legibus zeigen. Die strukturell-finale Linie der ersten beiden Bücher wird explizit nicht umgekehrt; iustitia bleibt als zentrales Strukturelement auf dem Weg zur Einheit bestehen. Vgl. für verschiedene Deutungen und Akzentuierungen der Stelle u. a. auch Jürß 1982, S. 513f. und 595; Ferrary 1995, S. 67 sowie Dieter 1968, S. 35f.; Mančal 1982, S. 175f. und Marquez 2012, S. 191. Vgl. zum Verhältnis von natura und ratio im Kontext zudem Perelli 1972, S. 310f. und Müller 2017, S. 62–68. S. zum Universalismus, der auch an dieser Stelle offensichtlich wird, weiterführend Kapitel 8 und 9.

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Um die Passage, die sich in einem stark korrupten Umfeld finden lässt und zudem nur bei Laktanz indirekt überliefert ist,1077 zu erhellen, soll kurz De legibus als Vergleichstext mit ähnlichem Gedankenhorizont herangezogen werden. Dort wird lex zunächst für irdische wie himmlische Ebene1078 als Weltgesetzlichkeit respektive inneres Gesetz bestimmt: Lex est ratio summa insita in natura, quae iubet ea, quae facienda sunt, prohibetque contraria. Eadem ratio quom est in hominis mente confirmata et confecta, lex est.1079 Die irdische lex1080 wird im Folgenden als mens ratioque prudentis und iuris atque iniuriae regula1081 genauer definiert1082 und damit inhaltlich dem consilium von Ciceros Staatsschrift, dem Recht von Unrecht unterscheidenden und somit gerechten Überlegen des Staatsmannes, gleichgesetzt. Später erfolgt auch eine strukturelle Engführung, welche die innere lex, wieder dem consilium analog, als Mittel zur Erlangung von Rechtsübereinkunft und Gerechtigkeit deutet. Die Debatte läuft hierbei auf das allen gemeinsame ius, den iuris consensus aus De re publica hinaus, der am Ende der Kausalkette als Ergebnis herausgehoben wird:1083 Quibus enim ratio a natura data est, isdem etiam recta ratio data est, ergo et lex, quae est recta ratio in iubendo et vetando; si lex, ius quoque; et omnibus ratio; ius

igitur datum est omnibus.

Die ratio, die auf himmlischer Ebene Weltvernunft ist, entspricht auf irdischer Ebene also einer lex iustorum iniustorumque distinctio,1084 einer nach Sauer „inneren natürlichen Urteilskraft“,1085 die dem weisen Staatsmann innewohnt und 1077

S. inst. 6,8. Auch an der betrachteten Stelle in De legibus werden also die beiden für De re publica konstitutiven Ebenen aufgespannt. 1079 Leg. 1,18. Vgl. dazu auch Asmis 2008, S. 7 und Dyck 2004, S. 109f. 1080 Gigon 1977a, S. 363 geht von einer fehlerhaften Überlieferung oder einem Fehler Ciceros aus. Der Begriff lex könne nicht gleichzeitig für ratio in der Natur und für ratio im Menschen stehen. S. zur Widerlegung das Folgende. 1081 Leg. 1,19. 1082 S. auch ebd., 1,42 und 58. Dass der Gedanke stoischen Ursprungs ist, zeigt nat. deor. 2,79. 1083 Leg. 1,33.Vgl. zur Stelle und zur syllogistischen Form auch Dyck 2004, S. 157. S. auch leg. 1,19: A lege ducendum est iuris exordium. Vgl. dazu weiterhin Asmis 2008, S. 7 und Nicgorski 2016, S. 140f., Anm. 55. Zum Verhältnis von Recht und Gesetz vgl. auch Ferrary 1995. Zum stoischen Hintergrund vgl. Bees 2010a, S. 142f. Gigon 1977a, S. 364 rückt lex, die in der Antike von delectus hergeleitet wurde, in die Nähe der Gerechtigkeit, welche, ganz im Sinne der inhaltlichen Füllung als aequabilitas, als distributive Gerechtigkeit zu verstehen ist. Vgl. generell zudem Gawlick 1956, S. 96–98, Anm. 1 und 97–108. 1084 Leg. 2,13. 1085 Sauer 2018, S. 78. Korrekt stellt er ebd., S. 79 als Schlussfolgerung für De re publica fest: „Scipio betrachtet keine habitualisierten Verhaltensweisen, sondern allein die Ent1078

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die letztlich auf iustitia als Ziel gerichtet ist, wie Ciceros Schrift über die Gesetze auch explizit ausführt: Nos ad iustitiam esse natos, neque opinione, sed natura constitutum esse ius. Id iam patebit, si hominum inter ipsos societatem coniunctionemque perspexeris.1086 Hier schließt sich der Kreis zur Staatsdefinition aus dem ersten Buch von De re publica: Die Natur schafft die Ausgangsvoraussetzungen zur gesellschaftlichen Verbundenheit, indem sie von Geburt an den Menschen die Gerechtigkeit vor Augen führt. Es ist die Aufgabe jedes Menschen, kraft vernünftiger Reflexion an ihr festzuhalten; es ist das Ziel aller Menschen, quasi kosmopolitisch,1087 die Spaltung zu überwinden und in einer Rechtsgemeinschaft zur Einheit zu gelangen: Omnes inter se naturali quadam indulgentia et benivolentia, tum etiam societate iuris contineri.1088 Das Verb contineri beschreibt dabei treffend den Zustand der Synthese, der aus dieser in beiden ciceronischen Werken angelegten Struktur folgt.

scheidungsfähigkeit des Individuums, das Richtige zu wählen“ – nämlich „nach seinem (professionalisierten) Ermessen, und zwar auf der Basis vernünftiger Überlegung, empirischer Beobachtung oder Beachtung der Tradition“. Vgl. auch Sauer 2018, S. 83f. und Sauer 2017, S. 310 und ebd., Anm. 26, wo er ratio an dieser Stelle vor allem als menschlichen Verstand und nicht als unbewegliche Vernunft definiert. Vgl. weiterhin Barlow 1987, S. 369, der für De legibus feststellt: „In De Legibus, Cicero puts this standard more clearly: the standard of justice and injustice is ‚the mind and reasoning of the prudent man‘. The prudent man is one who combines the art of ruling with knowledge of nature […]. The man who possesses right reason guides his actions by a natural and eternal standard and gauges them according to the circumstances. The unchanging standard gives rise to manifestly changeable results.“ Vgl. zudem Schofield 1995b, S. 193: Dargestellt werde „reason in its prescriptive and practical mode, taking as its scope the just and the unjust“, den der Mensch mit der „divine mind which rules the universe“ teilt. Ähnlich gegen ein unbewegliches theoretisches Modell argumentiert Fox 2007a, S. 104 aus einer dekonstruktivistischen Perspektive: „Cicero dramatizes the very question of theory and practice in discussing Rome’s constitution, and, while debating Rome in philosophical terms, makes clear his misgivings about any ultimate formula for Rome that rests too heavily upon theoretical models.“ Vgl. zudem Nicgorski 2016, S. 182 und für De officiis etwa Wood 1991, S. 74f. und 82. 1086 Leg. 1,28. Vgl. zur Stelle auch Harries 2013, S. 107 und 115f. sowie Wood 1991, S. 73 und Dyck 2004, S. 144f., der iustitia als Element herausstellt, das die Gesellschaft zusammenhält. 1087 Vgl. hierzu Alonso 2013, S. 32f. und zudem Inabinet 2017, S. 109, der im Kontext hervorhebt: „[A] shared sense of law […] helped form a unity of humankind that is the benchmark of justice.“ Vgl. weiterhin Wright 1995, S. 190: „The interconnection of justice, law, reason, and nature is in the interests of both citizen and world-citizen.“ Vgl. insgesamt zum Gedankenzusammenhang hier auch Kaufmann 2008, S. 265f. S. zum Universalismus weiterführend Kapitel 8 und 9. 1088 Leg. 1,35. Vgl. auch Dyck 2004, S. 163 zur Stelle: „[S]ociety, then, would spring from a combination of self-interest and natural tendency.“ S. auch off. 2,73 und vgl. dazu Dyck 2004, S. 163.

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Durch die Zuschreibungen in beiden Werken wird darüber hinaus erneut verdeutlicht, dass das Potenzial zur vernünftigen Überlegung allen Menschen eigen ist, da es in ihrem Wesen angelegt ist.1089 Dabei ist der Einzelne frei in seinen Entscheidungen; denn dezidiert wird in der betrachteten Stelle aus De re publica festgestellt, dass kein Zwang zur Zustimmung besteht und man sich als Frevler auch von der universellen Vernunft abwenden kann.1090 Wie schon im kulturphilosophischen Bereich beobachtet, geht Cicero von der Willensfreiheit des Menschen aus, der gemäß jedes Individuum selbstständig überlegt, ob es der menschlichen Natur und Recht wie Gerechtigkeit entsprechend handeln möchte.1091 Der ideale Staatsmann tut dies in perfekter Weise, der Tyrann ist in diesem Denkkonstrukt als exaktes Gegenteil konstruiert. Man kann mit Sauer schlussfolgern, dass „Protagonisten mit dem richtigen Blick auf die Sache entscheiden und dabei ihrer inneren natürlichen Urteilskraft (lex) folgen. Diese lex – transzendiert in der Weltvernunft (ratio summa) – gebiete unmittelbar, was in einer jeweiligen Situation zu tun sei und was nicht.“1092 Diese Feststellung greift die auffällige Analogführung von gottähnlicher Vernunft auf himmlischer Ebene und menschlich-praktischer Vernunft auf irdischer Ebene auf. Hier, in der Mitte des Gesamtwerks, wird, nach Andeutungen im Proömium zum dritten Buch,1093 erstmals die übergeordnete Dichotomie Himmlisches–Irdisches wieder zitiert und sogar eine Verschränkung beider Ebenen angedeutet, wenn eine direkte Linie zwischen irdischer lex, die dem consilium als Ausdruck des menschlichen vernünftigen Seelenteils (mens) entspricht, und himmlischer ratio gezogen wird. Der Schluss des Staatswerks wird diese Verknüpfung weiterdenken. Der Gedanke wird im Weiteren negativ gewendet und dramatisiert: Sollte der Staat mangels Gerechtigkeit und gerecht handelnder Personen untergehen, so verlöre auch das himmlische Vernunftgesetz seinen Wirkbereich, wie in der wohl direkt anschließenden Passage über die Zerstörung der civitas augenscheinlich wird:1094 1089

S. für De legibus zudem noch leg. 1,29f. S. zur Vernunftfähigkeit jedes Menschen auch zuvor Anm. 1048 sowie Kapitel 6.2.3 und besonders Anm. 902 und 915. 1090 S. rep. 3,33 und für De legibus v. a. leg. 1,31. Vgl. Graver 2012, S. 115f.: Trotz eines menschlichen Gespürs für Gerechtigkeit verhielten sich nicht alle Menschen gerecht. Vor allem aufgrund falscher Meinungen würden Fehlurteile getroffen. 1091 Auch Nicgorski 2016, S. 176 betont die Bedeutung des freien Willens bei Cicero in diesem Zusammenhang: „All, then, are capable of participating in an agreement based on jus.“ Vgl. dazu auch Gallagher 2001, S. 518 und Kesler 1985, S. 222. Dieses Denkmuster gilt, wie gezeigt, auch für den kulturphilosophischen Bereich: s. Kapitel 6.2. S. zur Freiheit des Einzelnen bei Cicero zudem Kapitel 4.4.2 und Anm. 723 und zur Bedeutung der Einzelperson generell Anm. 724 und die Verweise dort. 1092 Sauer 2018, S. 78. Vgl. im Zusammenhang auch Sauer 2012, S. 67–83 und für die Frage nach dem Verhältnis von positivem Recht und Naturrecht bei Cicero ebd., S. 65. 1093 S. rep. 3,1–4. 1094 Ebd., 3,34.

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Itaque nullus interitus est rei publicae naturalis ut hominis, in quo mors non modo necessaria est, verum etiam optanda persaepe. Civitas autem cum tollitur, deletur, extinguitur, simile est quodam modo, ut parva magnis conferamus, ac si omnis hic mundus intereat et concidat.

Im Gegensatz zum menschlichen Tod wird der Tod des Staates als unnatürlich betrachtet, kommt eine Auslöschung der res publica einem Weltuntergang gleich, woraus klar wird: Gerechtigkeit entspricht dem Gebot von Vernunft und Gesetz. Gerade die auch hier virulente kosmologische Orientierung verleiht der Aussage besonderes Gewicht. Ganz in diesem Sinne endet die Laeliusrede mit einer Warnung, die die aktuelle Gespaltenheit wieder in Erinnerung ruft, explizit, indem der historische Bezug zum Vorgespräch hergestellt wird: […] Asia Ti. Gracchus, perseveravit in civibus, sociorum nominisque Latini iura neclexit ac foedera.1095 Laelius spricht von den Fehlern des Tiberius Gracchus: Er habe die Rechte der Bundesgenossen und Latiner missachtet. Daran schließt sich eine konkrete, auf Gegenwart und Zukunft bezogene Warnung an:1096 Quae si consuetudo ac licentia manare coeperit latius, imperiumque nostrum ad vim a iure traduxerit […], etsi nobis qui id aetatis sumus, evigilatum fere est, tamen de posteris nostris et de illa immortalitate rei publicae sollicitor, quae poterat esse perpetua, si patriis viveretur institutis et moribus.

Wie kam es demnach zur gegenwärtigen Situation der Analyse, zur Spaltung im Staat? Ganz in der Argumentationslinie des zweiten Buchs bleibend, ist der Status der Getrenntheit durch eine Abkehr von ius und eine Hinwendung zu vis entstanden. Durch die Etablierung von Gewalt als staatliches Leitbild hat sich die res publica vom Recht abgewandt und sich damit, erinnert man sich an das omnipräsente strukturelle Narrativ und speziell die kittende Funktion der iustitia, von der Gerechtigkeit entfernt.1097 Gerechtigkeit erwächst somit als synthetisch wirkendes Textelement, das zur glorreichen Vergangenheit führte, die offensichtlich vom Status der Einheit geprägt war und entsprechend in den letzten Worten der Rede an prominenter Stelle zitiert wird (si patriis viveretur institutis et moribus). Wie in den Tusculanae disputationes1098 wird an dieser Stelle ein Gegensatz zwischen ruhmvoller Vergangenheit, die auch hier auf instituta und mores1099 gründet, und defizitärer Gegenwart, die hier an der durch Gracchus bewirkten Dichotomie Optimaten–Popularen 1095

Rep. 3,41. S. Kapitel 7.2.1. Rep. 3,41. 1097 Vgl. dazu Zetzel 1996, S. 316. 1098 S. zur Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart dort Kapitel 6.2.2. 1099 Vgl. zum mos maiorum in De re publica McConnell 2017, S. 61–67. S. näher zum Konzept des mos maiorum Anm. 820. 1096

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leidet, aufgespannt.1100 Eine Abkehr von der Gerechtigkeit hat dabei die momentane Gespaltenheit und damit den Niedergang bewirkt, wie besonders eindringlich – Rem publicam verbo retinemus, re ipsa vero iam pridem amisimus.1101 – im Proöm zum fünften Buch dargestellt; nur iustitia kann, folgt man der textuellen Konzeption der ersten beiden Bücher und den Implikationen von Laeliusrede und den untersuchten Passagen aus De legibus, auch wieder eine Synthese herstellen. Dabei kommt es, auch das wird hier abermals und erneut parallel zur Konzeption in den Tusculanae disputationes1102 herausgehoben, in besonderem Maße auf die Einzelperson an. Tiberius Gracchus als Protagonist wird an die Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart gesetzt, hat die Entzweiung aktiv durch seine vitia bewirkt. Denn: Letztlich sind es die Qualitäten der Staatsmänner, die das Überleben des Staates bestimmen, während sein Untergang Resultat ihrer Fehler ist.1103 Dass dieses Gedankengebäude im Zentrum des Werks zu finden ist und über die Figur des Tiberius Gracchus eine direkte Verbindung zum Vorgespräch1104 und damit zur programmatischen Rahmung der Schrift gezogen wird, betont seine inhaltliche Relevanz für die Argumentation sowie vor allem seine strukturale Bedeutung für die Tektonik des ciceronischen Werks. Zudem verweist die programmatische Bezugnahme auf eine kosmische Vernunft auf den Rahmen des Werks und verleiht der These besonderes Gewicht. Bestätigt wird diese durch einen weiteren bedeutsamen Rückgriff, wenn Laelius an seine zusammenhängende Rede wie an die Debatte aus dem ersten Buch anknüpfend im Gespräch mit Scipio erneut den consensus iuris zitiert: Primum mihi populus non est, ut tu optime

1100

Vgl. dazu u. a. Roloff 1983, S. 299, Anm. 11, 303 und 322. S. auch off. 2,43. Vgl. Iacobini 2014 für die These, dass der Abfall vom mos maiorum zu fehlender politischer Einheit und zum Untergang des Staates führt. 1101 Rep. 5,2. 1102 S. zu den Auswirkungen der Handlungen Einzelner dort Kapitel 6.2.2 und 6.2.3 und speziell zur Dichotomie Elite–Masse Kapitel 6.2.3 sowie zudem zusammenfassend Kapitel 6.3. 1103 Vgl. Powell 2012, S. 25: „Ultimately, it is the good qualities of the rulers that determine the survival of the state, and the downfall of a state […] is the result of their bad ones.“ Sauer 2018, S. 81 bemerkt: „Bei Cicero ist vor allem die Vorstellung eines (offenbar selbstgesteuerten) Prozesses bemerkenswert, infolge dessen aus dem rechten Entscheiden zahlreicher Individuen auch ein idealer Staat entsteht.“ Fuhrmann 1960, S. 490 bindet diesen Fokus auf das Individuum an die Staatsdefinition zurück: „Der res publica konnte als einer res niemals eine eigene Rechtspersönlichkeit zugeschrieben werden; sie verlangte vielmehr begrifflich die Zuordnung an Personen.“ S. zum Individuum bei Cicero auch Anm. 724 sowie die dortigen Verweise. 1104 S. Kapitel 7.2.1. Vgl. auch Zarecki 2014, S. 49: „With the breakdown of concordia came the splintering of the State into factions, creating a bifurcated State similar to the one noted by Laelius at the beginning of De Re Publica.“

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definisti Scipio, nisi qui consensu iuris continetur.1105 Dass an dieser Stelle auffälligerweise Scipios Volksdefinition unvollständig – der zweite Bestandteil des gemeinsamen Nutzens wird ausgespart – zitiert wird, legt den Fokus umso stärker auf die Rechtsübereinkunft als offensichtlich maßgeblichen Part des staatsphilosophischen Konzepts.1106 Interessant stellt sich auch der semantische Gehalt des finiten Verbs dar: Populus und somit auch die res publica werden wörtlich durch iuris consensus zusammengehalten (continetur), was wie in der oben betrachteten Parallelstelle1107 die strukturelle Anlage der Definition betont: Im Zustand der Synthese werden die verschiedenen Elemente zusammengehalten, während analytische Tendenzen, wie sie seit Gracchus zu beobachten sind, zum Auseinanderbrechen des Bandes führen. Ohne iuris consensus kann somit kein Volk und auch kein Staat bestehen. Iuris consensus überlagert sich spätestens hier mit iustitia und übernimmt ihre Funktionen, auch als Gegenbegriff zu vis. Man erkennt die Engführung beider Begriffe, die im Textverlauf Teil eines Strukturelements geworden sind.1108 Seine 1105

Rep. 3,45. Vgl. auch Pöschl 1962, S. 132f.: „In der Laelius-Rede wird der römische Staat an der Norm der Gerechtigkeit gemessen; darum wird das alte Rom gepriesen und die Gegenwart verurteilt.“ Gerechtigkeit ist das wichtigste Kriterium zur Verbürgung des Zusammenhalts im Staat, weshalb die Frage nach der Staatsform an dieser Stelle erneut aufgegriffen wird und dabei der Schwerpunkt auf dem iuris consensus liegt. S. auch rep. 3,43f. 1106 De legibus unterstreicht diese Hierarchie, wenn Cicero in leg. 1,42 als Sprecher bemerkt: Iustitia […] propter utilitatem constituitur, et utilitate illa convellitur. Vgl. zur Stelle Dyck 2004, S. 187. S. auch die Argumentation in leg. 1,49. Vgl. zudem Büchner 1984, S. 124, der schon für rep. 1,39 feststellt: Die „utilitas, alles dem Leben Dienliche, findet seine Schranken an allem, was Recht ist“. Ciceros Werk De officiis legt Wert auf eine Kongruenz von honestum und utile, im Einzelnen auch von Gerechtigkeit und Nutzen; vgl. dazu z. B. Mayer-Maly 1971, S. 374; Bees 2010a, S. 164 und Johann 1981, S. 421f. Kohns 1974, S. 494 stellt treffend fest: „[C]onsensus iuris bezeichnet […] die rechtliche, communio utilitatis die dingliche materielle Seite ein und desselben Sachverhaltes.“ Auch Wood 1991, S. 129 sieht dezidiert keinen Widerspruch, jedoch eine Priorisierung, wenn er von einer „association in justice for the common interest“ spricht; vgl. ebd., S. 140 sowie Nicgorski 2016, S. 170f. S. zu De officiis auch das Folgende. 1107 S. leg. 1,35. 1108 S. zuvor Anm. 999. Auch Marquez 2012, S. 193 erkennt eine Purifizierung der Idee des Staates: „It is only after Laelius […] denies that injuria, the lack of ius (justice, right) can ever benefit the res publica […] that we finally arrive at the ‚purified‘ idea of the res publica, in which the ius in the consensus iuris that constitutes the people must be identical to the natural ius.“ Eine ähnliche Entwicklung stellt Zetzel 2013, S. 189–194 fest. Vgl. zudem Zetzel 1996, S. 308: Laelius sei „gradually moving up to a universal (quite literally) definition of justice and of reason“; vgl. ebd., S. 316. Spätestens hier kann man Kohns 1974, S. 488–493 widersprechen. Schwamborn 1970, S. 40 hat zwar recht, wenn er die allzu starren „juristisch-staatsrechtlichen Übersetzungen“ kritisiert, nimmt aber fälschlicherweise an, dass es sich daher bei diesem Konsens um eine „dem

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Existenz führt zur Synthese, sein Fehlen konzeptionell zur Analyse und historisch zur Spaltung im Staat. Eine ähnlich zentrale Bedeutung dieses durch iustitia geprägten Strukturprinzips lässt sich auch in Ciceros letztem philosophischen Werk De officiis finden: Immer wieder werden verschiedene Aspekte des Gerechtigkeitskonzepts verhandelt,1109 Gerechtigkeit dabei als stabilisierendes Moment etabliert1110 und von Ungerechtigkeit als destabilisierendem Element abgegrenzt, für welches neben Tiberius Gracchus1111 vor allem Cäsar als Negativbeispiel herausgestellt wird.1112 Die Überlegungen zu Recht und Unrecht gipfeln im dritten Buch in der Verknüpfung der iustitia mit einer umfassenden societas humani generis1113 und der Bekenntnis, dass es sich bei der Gerechtigkeit um die höchste aller Tugenden handelt: Iustitia enim una virtus omnium est domina et regina virtutum.1114 Cicero greift also noch gut zehn Jahre nach seinem Staatswerk auf das dort etablierte Strukturmodell zurück, dessen Grundlage er bereits in seinem Frühwerk mit seiner Definition von iustitia als aequabilitas gelegt hatte. Es ist davon auszugehen, dass, auf der etablierten Denkstruktur aufbauend und vor diesem Hintergrund, am Schluss des dritten Buchs von De re publica eine Perspektive für den idealen, gerechten Staat eröffnet wurde. So endete es nach von Albrecht wahrscheinlich mit einem erneuten Hinweis auf die tatsächlich zu ver-

irrationalen Bereich zugeordnete Zustimmung und ‚Einmütigkeit‘“ handelt. Vgl. wieterhin Büchner 1952, S. 123 und Cancelli 1972b, S. 80f. Auch in leg. 1,48 werden Recht und Gerechtigkeit verbunden, insofern beide um ihrer selbst willen zu erstreben sind; vgl. dazu Dyck 2004, S. 199: „Ius and iustitia are scarcely distinguishable here.“ Vgl. im Zusammenhang zur Verbindung mit aequitas ebd., S. 144 und 199. 1109 S. etwa off. 1,20–29 und 155; 2,38–43 oder 3,29–32. 1110 S. die bisherigen Betrachtungen, beispielsweise in Anm. 1061, 1085 und 1106. Vgl. zudem etwa Schofield 1995b, S. 204; Wood 1991, S. 74 und Dieter 1968, S. 46 sowie Arweiler 2003, S. 258f. 1111 S. off. 2,43. Der Vater der beiden Gracchi wird demgegenüber als positives Exemplum herausgearbeitet; vgl. dazu Long 1995b, S. 230. 1112 Vgl. auch Wassmann 1996, S. 282, der von off. 1,20 ausgeht: „Die entscheidende Tugend zur Bewahrung der umfassenden Lebensgemeinschaft ist die Gerechtigkeit; die Ungerechtigkeit hingegen […] zerstört die Gemeinschaft.“ Vgl. für Cäsar ebd.; Long 1995b, S. 225 und Nussbaum 2000, S. 181. S. für das analytische Wirken Cäsars auch die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart in Kapitel 6.2.2. 1113 S. dazu Kapitel 8 und 9. 1114 Off. 3,28. Vgl. dazu u. a. Atkins 1990, S. 258 und 262 sowie Wood 1991, S. 78, der Gerechtigkeit als für Cicero wichtigste Kardinaltugend unterstreicht; sie sei „in a way even more natural than wisdom and courage and their respective obligations, for their very existence and the possibility of their exercise depend on the maintenance of society and hence on the upholding of justice“. S. ebenso leg. 1,48. Nicgorski 2016, S. 110f. geht darüber hinaus und beobachtet prominent im dritten Buch eine Einheit aller Tugenden; vgl. dazu auch Nussbaum 2000, S. 181.

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wirklichende Mischverfassung als „Verwirklichung der Gerechtigkeit“1115 und auch nach Zetzel ist bezüglich des Vernunftgesetzes eine Entwicklungslinie in Richtung einer Zukunft, in der dieses Gesetz auf der ganzen Welt anerkannt wird,1116 zu sehen. Tatsächlich wurde im Verlauf des dritten Buchs die Bedeutung der Gerechtigkeit und der auf ihr gründenden naturbasierten Vernunft, die sowohl als Weltvernunft ein wahrhaftiges Gesetz etabliert als auch im Individuum als praktische prudentia und consilium wirken kann, für einen Idealstaat unterstrichen. Der einzelne weise Staatsmann entscheidet sich aus freien Stücken für iustitia als einheitsstiftende Kraft und kann somit potenziell den in der Gegenwart herrschenden Zustand der Analyse aufheben, indem er die widerstreitenden Parteien vereint.1117 Eingebettet in die probabilistisch angelegte Diskussion in beide Richtungen erwächst somit die synthetisch wirkende Gerechtigkeit als der Wahrheit nahekommende Orientierungshilfe für das politische Handeln.1118 Letztlich wird die strukturelle Linie der ersten beiden Bücher damit nicht nur gewahrt, sondern überhöht: Der weise Staatsmann orientiert sich an einer höheren Idee der Gerechtigkeit, die praktische Vernunft des Menschen verweist auf das kosmische Weltgesetz und die im historischen Staat notwendige Ausgeglichenheit der Stände über einen iuris consensus geht in einem abstrakten Konzept der iustitia auf.1119 Somit gerät die himmlische Ebene im Zentrum des Werks wieder stärker in den Fokus – eine Tendenz, die sich am Schluss des ciceronischen Staatswerks fortsetzt. Dieser soll nun im Kontext des Musters Analyse–Synthese betrachtet werden. 1115

Von Albrecht 2013, S. 384. Er geht ebd., S. 383 auch davon aus, dass die Ewigkeit eines solchen idealen Staates das dritte Buch abschloss. 1116 Vgl. Zetzel 1996, S. 307: Die Richtung weise „to a future in which this law will be universally recognized on earth“. 1117 Vgl. dazu auch Sprute 1983, S. 157. Büchner 1952, S. 139 sieht gewisse Gegensätze schon an dieser Stelle aufgelöst: „Die Antinomien des ersten Buches sind am Ende des dritten Buches überwunden in der Erkenntnis, dass Gerechtigkeit und consilium die eine sapientia sind, die den Staat steuert.“ Er hat mit der Feststellung recht, dass im Verlauf der ersten drei Bücher gewisse Harmonisierungstendenzen zu beobachten sind; jedoch übersieht er gerade die durch den Rückgriff auf das erste Buch erzeugte Betonung der anhaltenden zentralen Dichotomie Optimaten–Popularen, die auf einen Zustand der radikalen Analyse in Gesprächs- und Autorgegenwart hinweist. 1118 Vgl. auch Gawlick 1956, S. 75f., Anm. 1: „Bei Cicero soll die Methode die konstitutive Bedeutung der Idee der Gerechtigkeit für den Staat als das verum eruieren.“ Damit ist Zetzel 1996, S. 306 vehement zu widersprechen, wenn er behauptet: Cicero „has moved the question of ‚justice‘ away from either personal or political issues to a transcendent realm that has no immediate relevance to the concerns of the res publica“. Das Ideal mag zwar realistischerweise unerreichbar sein, soll aber durchaus und gerade in der Praxis als Leitstern dienen. Eine Möglichkeit der Synthese ist bei Cicero immer angelegt; s. auch Anm. 1179. S. zum Probabilismus Ciceros Kapitel 4. 1119 Weitergedacht wird das bei Ferrary 1995, S. 71: Die ewige res publica folge auf das ewige Gesetz.

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Der Traum Scipios: Himmlische Einheit und irdische Getrenntheit? In den letzten beiden Büchern gelangt erneut der praktisch agierende Staatsmann, der am Glück der Bürger, an der beata civium vita1120 interessiert ist, in den Blick.1121 Im weitgehend verlorenen Hauptteil des sechsten Buchs wird abermals auf die Zwietracht im Staat hingewiesen sowie die Forderung nach einem idealen Staatsmann erhoben, der prudens ist und sich in der Folge kraft seiner Vernunft nach den Vorgaben der Gerechtigkeit richtet.1122 Dies ist im Verlauf des Werks zu einem stabilen strukturellen Narrativ geworden. Zudem wird ein weiterer motivischer Bogen zum Werkbeginn geschlagen, wenn später die ausbleibenden Ehrungen für die Ermordung des Tiberius Gracchus beklagt werden,1123 wobei die Beseitigung des Auslösers der analytischen Entwicklungen einen ersten Hoffnungsschimmer für eine besser gedachte Zukunft symbolisiert. Auf die Frage nach dem wahren Ruhm für den Staatsmann erzählt1124 Scipio abschließend von einem Traum, den er bei einem Besuch bei König Masinissa in Afrika hatte, in dem ihm sein Adoptiv-Großvater Africanus der Ältere und sein leiblicher Vater Aemilius Paullus erschienen sind. Da es sich um den zweiten Part der programmatischen Rahmung handelt und erneut irdische und himmlische Sphäre als Strukturebenen erscheinen,1125 soll hier nun wieder explizit die Frage nach der Auflösung der Spaltung auf der Erde, in Form der betrachteten gesellschaftlichen Dichotomie, wie im Himmel, in Form der Doppelsonne, gestellt

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Rep. 5,8. Obgleich das fünfte Buch kaum erhalten ist, darf man von einer starken Präsenz der Figur des Staatsmanns ausgehen. Zarecki 2014, S. 42 sieht eine Verbindung zum zweiten Buch: Starke Einzelpersönlichkeiten der römischen Geschichte ließen die Mischverfassung funktionieren und der im fünften Buch ausführlich dargestellte ideale Staatsmann „confirms this hypothesis by combining the most desirable aspects of monarchy, the mixed constitution, and the Roman past into a single figure“. Vgl. weiterhin Coleman 1964, S. 9. S. für den Zusammenhang mit dem Glück der Bürger zuvor rep. 1,32 und 58 und Kapitel 7.2.1 sowie später für De amicitia Kapitel 7.3.2 und Anm. 1330. 1122 S. rep. 6,1f. Macrobius benennt in seinem Kommentar in somn. 1,8 das Ergebnis der bisherigen Ausführungen: In omni rei publicae otio ac negotio palmam iustitiae disputando dedit. Gerechtigkeit habe in allen Bereichen des Staates die Siegespalme verliehen bekommen. 1123 S. ebd., 6,8. Vgl. hierzu Pöschl 1962, S. 85 sowie 87 und 94. 1124 Zur narrativen Bewegung in der Traumerzählung vgl. Powell 1990, S. 127f. Für eine Interpretation des Aufbaus des Traums nach Art einer mystischen Initiation vgl. Wojaczeck 1983 und Wojaczeck 1985. Zumindest, so Görgemanns 1968, S. 63 treffend, stellt Cicero klar, dass „Scipios Traum nicht mantisch, nicht als Einbruch des Übernatürlichen zu verstehen ist, sondern als ein Erlebnis, das von der Person des Träumenden und seiner Situation bestimmt ist.“ 1125 S. Kapitel 7.2.1. 1121

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werden, wobei es sinnvoll erscheint, beide Sphären getrennt zu betrachten. Die Metadichotomie Himmlisches–Irdisches ist dabei besonders im Schlussteil ständig präsent und soll erst im Anschluss eine umfassende Würdigung erfahren. Zunächst soll die himmlische Sphäre unter dem Blickwinkel der Denkbewegung Analyse–Synthese untersucht werden. In Scipios Erzählung blickt Masinissa kurz vor Beginn des Traums in den Himmel1126 und ruft den Sonnengott an:1127 Ad quem ut veni, conplexus me senex conlacrimavit aliquantoque post suspexit ad caelum, et: „Grates“ inquit „tibi ago summe Sol, vobisque reliqui caelites, quod ante quam ex hac vita migro, conspicio in meo regno et his tectis P. Cornelium Scipionem, cuius ego nomine recreor ipso: itaque numquam ex animo meo discedit illius optimi atque invictissimi viri memoria.“

Es fällt auf, dass an dieser Stelle im Gegensatz zum Werkbeginn nicht mehr von zwei Sonnen die Rede ist, vielmehr der eine Sonnengott angerufen wird. Dies muss, wenn wir das programmatische Potenzial der Metaphorik beachten, als eine deutlich artikulierte Aufhebung der Trennung am Himmel betrachtet werden. Die eine Sonne ist nun dux und princeps, es gibt keine Aufteilung des Einflussbereichs auf zwei Sonnen mehr, wie noch zu Beginn scherzhaft von Laelius bemerkt.1128 Noch deutlicher wird dies innerhalb des Traums, wenn Africanus die Verbundenheit aller Dinge in den himmlischen Sphären veranschaulicht:1129 Deinde subter mediam fere regionem Sol obtinet, dux et princeps et moderator luminum reliquorum, mens mundi et temperatio, tanta magnitudine ut cuncta sua luce lustret et compleat.

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Auch dies kann als Rückverweis auf das Vorgespräch gedeutet werden, wo Laelius den Blick in den Himmel brandmarkt. Trotz der weitgehenden Beschränkung auf die irdische Sphäre im Hauptteil wird er nun hier explizit ein zweites Mal gewagt, freilich nun auch religiös konnotiert. 1127 Rep. 6,9. 1128 S. ebd., 1,20 und dazu Kapitel 7.2.1. Zetzel 1995, S. 225 ist also zuzustimmen, wenn er auf die strukturelle Bedeutung der Sonne im Gesamtwerk und explizit auch an dieser Stelle betont: „Masinissa addresses the sun less because of Numidian solar religion than because of the importance of the sun in Rep. (e. g. the prodigy of the double sun at 1.15.1) and particularly in the Somnium.“ 1129 Rep. 6,17.

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Die eine Sonne ist Lenkerin, wirkt auf vernünftige Weise und ordnet die Welt.1130 Auf der himmlischen Sphäre ist somit, von der Textprogression her betrachtet, der Status der Einheit hergestellt, was auch in zahlreichen weiteren Passagen des Traums betont wird, wenn die unvorstellbare Schönheit der himmlischen Sphäre beschrieben wird. Diese Schönheit erwächst aus ihrer Wohlgeordnetheit,1131 die bewirkt, dass gewisse Störungen wie die Erscheinung einer Doppelsonne ohne Folgen zu bleiben scheinen.1132 Die im Anschluss an die zitierte Stelle geschilderte Sphärenharmonie ist dabei Ausdruck der idealtypisch verwirklichten Synthese im Kosmos.1133 Gerade so wird auch der Status der Himmelsregion als Kontrastfolie 1130

Dies kann natürlich nicht nur im Hinblick auf die Aufhebung der Analyse am Himmel gedeutet werden, sondern lässt auch eine Parallelisierung von Sonne und Staatsmann zu, die beide mit den gleichen Attributen versehen werden. Vgl. dazu Gallagher 2001, S. 513–518. Zarecki 2014, S. 90 hat den Konnex zuletzt überzeugend herausgestellt: „[T]he role of the sun in regulating the motion of the universe is comparable to the role of the rector in guiding the State.“ Insofern darf man berechtigte Zweifel an der Deutung, z. B. bei Ruch 1944, S. 220–223, formulieren, die Doppelsonne sei als schlechtes Omen für Scipio zu verstehen, der realiter kurz nach dem fiktiven Gesprächszeitraum gestorben ist; s. Anm. 990. 1131 S. zur ewigen Ordnung der Welt auch nat. deor. 2,43, 51 sowie 56 und vgl. dazu beispielsweise Gallagher 2001, S. 512 und zudem Bretzigheimer 1985, S. 141 und 144. Es handelt sich dabei um eine weitestgehend stoische Vorstellung. S. dazu detailliert Kapitel 8 und auch 9. 1132 Vgl. Ruch 1965, S. 502f. Jedoch wertet er die Doppelsonne lediglich als Trugbild; sie sei „kein Wahrzeichen der Gegenwart, nur Mahnung dessen, was geschehen könnte“, weshalb er davon ausgeht, dass das Phänomen der zweifachen Sonne nicht unkommentiert bleibe, sondern eine „Erklärung zweifellos in einer der verlorenen Stellen von De republica“ zu finden sei. Er sieht somit eine Parallele zur rational erklärbaren Sonnenfinsternis, die, wie oben gezeigt – s. Anm. 990 –, nicht gezogen werden sollte. Die Doppelsonne nämlich ist explizit in Abgrenzung zu anderen Erscheinungen konzipiert. Richtig ist, dass sie, wie der Buchschluss zeigt, keine ernsthafte Gefahr darstellt, dennoch handelt es sich bei der anfänglichen Spaltung im Himmelsbereich um eine, wenn auch symbolisch zu deutende, Beschreibung einer himmlischen Störung – die sich jedoch ohne fremdes Zutun auflöst. Ganz anders sieht Pfligersdorffer 1969, S. 49 die Doppelsonne als Platzhalter für die Gefahr „der weltweiten Ausdehnung der discordia vom menschlichen Bereich aus“. Ob und wie stark Interferenzen mit dem irdischen Bereich gesehen werden müssen, wird sich noch herausstellen, wenn die erwähnte Metadichotomie in den Blick gerät; s. dazu Kapitel 7.2.3. 1133 S. rep. 6,17f. Der Einheit am Himmel widerspricht nicht, dass noch über der Sonne ein göttliches Wesen angenommen wird (zentral in rep. 6,17 und 6,29). Vielmehr steht die Auflösung der Doppelsonne symbolisch-repräsentativ für eine wohlgeordnete Himmelssphäre, in der jedes Element seinen festen Platz hat. Vgl. zur Gottfigur etwa Powell 1990, S. 158. Roloff 1983, S. 318, Anm. 73 weist darauf hin, dass nach nat. deor. 2,60 conservare und tueri und damit Stabilität Ziel der göttlichen Tätigkeit ist. Die musikalische Harmonie im zweiten Buch (rep. 2,69) lässt sich dabei als Vorverweis auf eine kosmische Harmonie am Werkende verstehen; vgl. Glei 1991, S. 133: Die Meta-

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zur Welt der Menschen deutlich, zumal im Hauptteil insbesondere die Ordnungssystematik des Staates und seiner Elemente, die seinen Erfolg gewährleisten können, thematisiert wurde. In Abgrenzung zum Staat ist die Synthese am Himmel niemals in wirklicher Gefahr, zeichnet sich die Himmelsphäre doch über längere Zeit betrachtet – Störungen gleichen sich von selbst aus – durch ewige Stabilität aus: Supra Lunam sunt aeterna omnia.1134 Wie steht es mit der irdischen Ebene, wenn man die beschriebene Kontrastfolie anlegt und nach einer möglichen ähnlichen Denkbewegung von der Analyse zur Synthese fragt? Im gleichen Kontext wird die sublunare, irdische Ebene radikal der himmlischen gegenübergestellt: Infra autem eam iam nihil est nisi mortale et caducum […], supra Lunam sunt aeterna omnia.1135 Die Betonung der Hinfälligkeit des Irdischen lässt den Zustand der Analyse fest zementiert erscheinen und weist auf den Fortbestand der gesellschaftlichen Dichotomie auch am Ende des Werks hin. Noch gesteigert und geradezu bildlich demonstriert wird die anhaltende Spaltung in Staat und Welt innerhalb der folgenden auch auf das Vorgespräch rückverweisenden Ausführungen zum Ruhm für den Staatsmann: Weltlicher Ruhm relativiert sich aufgrund der geringen Größe der Erde und dadurch, dass man auf der Erde nur an vereinzelten, eng umgrenzten Orten wohnt. Die Erdbewohner sind demnach so weit voneinander abgeschnitten, dass keinerlei Verbindung zwischen ihnen möglich ist: Eosque qui incolunt terram non modo interruptos ita esse ut nihil inter ipsos ab aliis ad alios manare possit, sed partim obliquos, partim transversos, partim etiam adversos stare vobis.1136 Africanus unterstreicht hier die radikale Getrenntheit der Menschen, die sich in verschiedenen Graden gegenüberstehen, wofür die Adjektive obliquos, transversos und adversos erscheinen – klimaktisch angeordnete Begriffe, die nicht nur geographisch1137 zu verstehen sind, sondern bei denen auch negative semantische Konnotationen mitschwingen. Menschen werden nicht nur bildlich auf einer strukturell zu interpretierenden Ebene in Opposition zueinander positioniert, zugleich wird dieser universelle analytische Zustand auch bewertet, da er auf einer zweiten Bedeutungsebene als von Neid und Feindschaft geprägt dargestellt wird.1138 Dies gilt sowohl für verschiedene Nationen als auch für Teile einer gespaltenen Gesellschaft.1139 Die auf Rom bezogene Dichotomie Optimaten–Popularen wird so international gewendet und umfasst endgültig die gesamte sublunare Sphäre. pher aus dem zweiten Buch werde „in der Sphärenharmonie des ‚Somnium Scipionis‘ zu einem kosmischen Prinzip“. 1134 Rep. 6,17. 1135 Ebd. S. ganz ähnlich nat. deor. 2,56 und Cato 77. 1136 Rep. 6,20. Vgl. dazu Bretzigheimer 1985, S. 146: „Winzigkeit und Unverbundenheit sind die Merkmale der menschlichen Lebensräume.“ 1137 Vgl. für eine geographische Erklärung der Adjektive Zetzel 1995, S. 243f. und Büchner 1984, S. 485–487. Letzterer hebt ebd., S. 486 auch die klimaktische Anordnung hervor. 1138 S. weiter auch rep. 6,21. 1139 Powell 2012, S. 33 sieht diese zweifache Tendenz schon im dritten Buch.

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Die so universal gewordene und unveränderbar wirkende Analyse kann jedoch nicht vorschnell als Ergebnis der Debatte um die Möglichkeit einer Synthese im irdischen Bereich betrachtet werden. Ausgehend vom oben erörterten Hauptteil, kommen Elemente zum Tragen, die eine Auflösung der staatlichen wie gesellschaftlichen Opposition ermöglichen können. Die von Africanus etablierte totale Oppositionsstellung erregt auch bei Scipio Unbehagen, weswegen er zweimal im Verlauf des Traums auf die Erde zurückblickt, auch, als er gerade über die Schönheit der himmlischen Sphäre staunt: Haec ego admirans, referebam tamen oculos ad terram identidem.1140 Africanus’ Reaktion fällt deutlich aus – Haec caelestia semper spectato, illa humana contemnito.1141 –, doch Scipio widerruft nicht und weist somit darauf hin, dass die irdische Ebene nicht außer Acht gelassen werden darf.1142 Persönlich gewendet, verweist die auffällige Blicklenkung auf die innere Spannung der Dialogfigur Scipio zurück.1143 Selbst kurz vor dem Ende des Staatswerks ist damit noch kein Ausgleich eingetreten, bleibt die zu Grunde liegende Dichotomie Himmlisches–Irdisches also auch im Protagonisten bestehen. Durch das wiederholte Rekurrieren auf die irdische Situation gerade in dem Teil des Werks, der am stärksten auf die Schönheit der himmlischen Welt abzielt, ergeben sich einige Implikationen für die Interpretation der Traumerzählung – vornehmlich für eine positive Tendenz der irdischen Sphäre. Als Grundlage für die bestehenbleibende Hoffnung für die sublunare Ebene fungiert dabei die menschliche Seele, die dank ihres himmlischen Ursprungs inmitten der Hinfälligkeit der irdischen Dinge eine Ausnahme bildet: Nihil est nisi mortale et caducum praeter animos munere deorum hominum generi datos.1144 Besonders der vernünftige Seelenteil, wie man aufgrund der Ausführungen der ersten Bücher ergänzen darf, birgt Potenzial, die irdische Situation der radikalen Analyse aufzuheben. Die Seele kann damit als Bindeglied zwischen beiden Ebenen beschrieben werden1145 und so über ihre göttliche Abkunft erklären, wieso und auf welche Weise die durch Vernunft etablierte Gerechtigkeit überhaupt synthetisch wirken kann: Über die

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Rep. 6,19. Ebd., 6,20. Zuvor schon, ebd., 6,17, ruft Scipios Blickrichtung den Unmut des Africanus hervor: Quam cum magis intuerer, „quaeso“, inquit Africanus, „quousque humi defixa tua mens erit? Nonne aspicis quae in templa veneris? […]“ Vgl. dazu Atkins 2013, S. 65 und Kesler 1985, S. 214. 1142 Admirans ist hier aufgrund des folgenden tamen zwingend konzessiv zu verstehen. Zetzel 1995, S. 242f. stellt dabei treffend fest, dass hier wie in rep. 1,26 keine generelle Verachtung der irdischen Tätigkeit ausgedrückt wird. Büchner 1984 schweigt zur Bedeutung dieser doch auffälligen Reaktion Scipios. 1143 S. dazu Kapitel 7.2.1. 1144 Rep. 6,17. 1145 Die daraus folgenden Implikationen für die in der Schrift wirksame Metadichotomie werden in Kapitel 7.2.3 erläutert. 1141

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bestehende Verbindung zwischen beiden Sphären kann vermittels der Seele als Instrument ein Funken der Wohlgeordnetheit der Himmelsregion auf der Erde walten und eine parallele Ordnung zumindest initiieren.1146 Diese Anfänge bedürfen jedoch des Elements der Gerechtigkeit, wie nicht nur aus den Ergebnissen des Hauptteils von De re publica, sondern auch aus der Schlusspassage des Werks, dem Traum Scipios, entnommen werden kann. Zunächst wird im Verlauf der Traumerzählung ein Ergebnis der Diskussion im Hauptteil aufgegriffen und als gottgefällig dargestellt:1147 Nihil est enim illi principi deo, qui omnem mundum regit, quod quidem in terris fiat acceptius, quam concilia coetusque hominum iure sociati, quae civitates appellantur; harum rectores et conservatores hinc profecti huc revertuntur.

Auch diese abgewandelte Wiederholung der Staatsdefinition übergeht den Aspekt des gemeinsamen Nutzens und hebt auf die Verbundenheit der Menschen im Recht und die ausgeglichene Wohlordnung im Staat ab, was gemäß den Ausführungen zum dritten Buch und besonders im Kontext der himmlischen Ordnung und Schönheit der iustitia entspricht.1148 Hinzu tritt auch hier wieder ein auf das Individuum bezogenes Element: Erneut wird das Modell des idealen Staatslenkers dargestellt, dem ein Platz im Himmel sicher ist. Seine Leistung ist die Lenkung und Erhaltung von harmonisch organisierten menschlichen Gemeinschaften, die im Recht geeint, somit in der Gerechtigkeit verbunden sind.1149 Die Fundierung der Staaten durch die Gerechtigkeit vermag dieser weise Staatsmann durch den vernünftigen Seelenteil, der himmlisch-göttlicher Abstammung ist und so auch die Gottgefälligkeit der dargestellten Synthesetendenzen begründet. 1146

Vgl. auch Gallagher 2001, S. 517: „Through such human action governed by the divine soul, the superlunar realm intervenes into the sublunary, political realm, and regulates the movements of commonwealths, as the sun regulates the movements of the planets.“ Dieter 1968, S. 35 sieht die sapientia als weiteres verbindendes Element: Sie befähige den Menschen, „sein Verhalten und seine Handlungen nach dem göttlichen Willen auszurichten. Die sapientia bringt also die menschliche Vernunft mit der göttlichen in Einklang.“ 1147 Rep. 6,13. 1148 Hier ist auch eine Verbindung beider Herangehensweisen an die Gerechtigkeit zu erkennen, wie sie Schofield 1995b, S. 194 beschreibt: „Justice, then, could be approached via consideration of divine providence or via reflection upon animal behaviour. The first route into the subject is what we might call metaphysical, the second is seen by the Stoics as the method proper to ethics.“ Beide Herangehensweisen sind, wie er ebd., S. 210 feststellt, nötig. Vgl. auch Woolf 2015, S. 110. 1149 Vgl. dazu auch Nitschke 2007, S. 133: Da die Götter den Menschen nicht determinieren, ist Gerechtigkeit auf Erden originäre Aufgabe des Menschen. Ein besonderes Augenmerk liegt hier im Kontext zusätzlich auf der individuellen Belohnung für den so gerecht handelnden Staatsmann. S. für die Bedeutung des Individuums bei Cicero zentral Anm. 724 und ebenso die dortigen Verweise.

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Entsprechend muss die kurz darauf erfolgende Aufforderung an Scipio verstanden werden: Sed sic Scipio ut avus hic tuus, ut ego qui te genui, iustitiam cole et pietatem, quae cum magna in parentibus et propinquis, tum in patria maxima est.1150 Africanus ermuntert Scipio zur Kultivierung von Pflichtbewusstsein und Gerechtigkeit und bindet sie historisch an Scipios Vorfahren.1151 Dass auch hier die persönliche Involviertheit in die Geschicke der Gesellschaft im Mittelpunkt steht, zeigt besonders der Verweis auf Scipios Großvater Africanus und Scipios leiblichen Vater Paullus. Wie diese beiden die Einheit des Staates sicherstellen konnten, so ruht in Scipio das Potenzial, diese Einheit zu erneuern. So kann der zeitlose Mythos ganz konkret an das römische Tugendideal mit der Gerechtigkeit an der Spitze1152 angeschlossen werden. Pietas ist dabei im Zusammenhang nichts anderes als die Verwirklichung gerechten Handelns durch die vernunftgemäße Orientierung an der Heimat und an den Vorfahren, die diese Heimat im Zustand der Synthese zu halten vermochten.1153 An diese Feststellung wird am Ende des Traums mit einer weiteren an Scipio gerichteten Ermutigung erinnert, wenn die Unsterblichkeit der Seele und damit ihre himmlische Abstammung bewiesen wird:1154 Hanc tu exerce optimis in rebus! Sunt autem optimae curae de salute patriae, quibus agitatus et exercitatus animus velocius in hanc sedem et domum suam pervolabit, idque ocius faciet, si iam tum cum erit inclusus in corpore, eminebit foras, et ea quae extra erunt contemplans quam maxime se a corpore abstrahet.

Die Ausrichtung an der Gerechtigkeit wird hier konkretisiert: Die Seele soll in den besten Dingen geübt werden, was zur Stärkung des vernünftigen Seelenteils und in der Konsequenz zur Entfernung der Seele vom Körper, der Teil der irdischen Ebene bleibt, führt. In ihrer auf diese Weise bewirkten immer stärkeren Orientierung an der vernünftig eingerichteten himmlischen Sphäre kann sie mit der iustitia als kittendem Element die analytischen Prozesse in der Gesellschaft aufhalten. Der animus löst sich in seinem Streben nach der himmlischen Ebene vom Körper, bleibt jedoch immer an die sublunare Welt zurückgebunden und kann dort, so inspiriert, synthetisch wirken, indem er die Gerechtigkeit als Basis einer Einheit im Staat pflegt und kultiviert.1155 Nur so kann Scipio dem Vaterland gerecht wer1150

Rep. 6,16. Vgl. auch Büchner 1976, S. 27. 1152 S. Anm. 1114. 1153 Zur engen Verknüpfung von pietas und iustitia s. z. B. nat. deor. 2,153. 1154 Rep. 6,29. 1155 Vgl. dazu auch Gallagher 2001, S. 516: „The remarks of Paulus and Africanus suggest that within the discourse of De Re Publica the soul is regarded to have a nature and power by which human beings may establish new commonwealths and prevent the degeneration of existing ones.“ Bei Gallagher fehlt jedoch der wichtige Hinweis, dass Gerechtigkeit das Element ist, das die Staaten zusammenhält. Dass dem so ist, zeigt die 1151

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den. Auffallend ist auch an dieser prominenten Stelle die Universalisierungstendenz, indem generell auf die menschliche Seele rekurriert wird und gerade nicht Scipios Exklusivität betont wird: Weil die Seele diese Kraft besitzt, haben für Africanus letztlich Menschen in ihrer Seele die Fähigkeit angelegt, den Lauf der irdischen Dinge zu ändern und Staaten vor dem Untergang zu bewahren.1156 Die außerweltliche Tendenz des Abschnitts muss demnach in erster Linie als symbolische Überhöhung einer abstrakten Strukturkomposition gedeutet werden, wie aus dem Folgenden noch deutlicher wird, wo Africanus zuletzt unter Erwähnung des Textelements der Gerechtigkeit erneut auf die Gefahr des Zerfalls, des Untergangs von Gemeinschaften hinweist:1157 Namque eorum animi qui se corporis voluptatibus dediderunt, earumque se quasi ministros praebuerunt, inpulsuque libidinum voluptatibus oboedientium deorum et hominum iura violaverunt, corporibus elapsi circum terram ipsam volutantur, nec hunc in locum nisi multis exagitati saeculis revertuntur.

Die analytischen Prozesse werden in Gang gesetzt und dauerhaft begünstigt, wenn man gegen die deorum et hominum iura verstößt. Beachtet man die im Hintergrund aktive Metadichotomie und die Gleichsetzung von Recht und Gerechtigkeit in der Entwicklung des Texts,1158 werden hier somit kurz vor dem Abschluss der Schrift nochmals ihre übergeordnete Spaltung in zwei Ebenen sowie ihr zentrales Textelement zitiert. Dass an dieser Stelle erstmalig auch Rechte der Götter erwähnt werden, legt am Höhepunkt des Werks eine stärkere Parallelisierung und sogar Verschränkung der beiden Pole Himmel und Erde nahe.1159 In der zitierten Passage werden darüber hinaus, ebenso wie in der gesamten Schlusspassage der Staatsschrift, nicht nur die negativen Folgen für populus und res publica verdeutlicht, sondern, individuell gewendet, auch die harten persönlichen Konsequenzen drastisch geschildert. Die Seelen ungerecht handelnder Menschen wälzen sich, wenn sie den Körper verlassen haben, ganz nahe um die Erde und kehren an diesen Ort erst zurück, nachdem sie viele Jahrhunderte lang Qualen gelitten haben. Somit darf das letzte Kapitel als Fazit ex negativo angesehen werden: Individuen wie Tiberius Gracchus sorgen durch ihre Ungerechtigkeit, direkt anschließende Passage. S. auch Cato 77f. sowie das zweite Buch von De natura deorum, etwa nat. deor. 2,37, 79 und 154. 1156 Vgl. Gallagher 2001, S. 517: „Since the human soul has these powers, for Africanus, human beings have in their immortal soul the ability to change the course of earthly events, and preserve commonwealths from decay.“ S. dazu die vorherigen Beobachtungen sowie zudem jene in Kapitel 6.2.3 und speziell in Anm. 902 und 915. 1157 Rep. 6,29. 1158 Man denke insbesondere an den im dritten Buch thematisierten Umschlag von Recht in Gewalt, auf den hier sicherlich indirekt angespielt wird. 1159 Zetzel 1995, S. 253 spricht von einer „final allusion to the links between divine and human justice“. Ob man eine der Erde gleichgeordnete himmlische Gerechtigkeit annehmen muss, ist fraglich und wird weiter unten diskutiert: s. Anm. 1184.

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die in einer unvernünftigen Abkehr von ius und einer die Ausgeglichenheit zerstörenden Hinwendung zu vis hervorgerufen wird, konkret beobachtbar in ihrer Hingabe an körperlich-irdische Gelüste, an libidines und voluptates, zum Auseinanderfallen der Gesellschaft.1160 Ihre Seelen lösen sich nicht möglichst weit vom Körper, orientieren sich auf systematischer Ebene also nicht an vernünftiger Gerechtigkeit, sondern bleiben auf der Erde verhaftet und frönen irrationaler Ungerechtigkeit. Damit endet De re publica in einem negativen Ton, der den Leser zunächst ratlos zurücklässt.1161 Man erkennt eine problemlose Einheit im himmlischen Bereich, die im Irdischen durch vernunftorientierte iustitia, die eine der himmlischen Harmonie analoge Wohlordnung anstrebt und zu der explizit aufgerufen wird, auch erreicht werden könnte. Sie würde dann die res publica zur Einheit führen und dem Individuum einen Platz im Himmel einbringen. Momentan aber sind die Menschen voneinander abgeschnitten, es herrscht ein Zustand der Getrenntheit, auch und vor allem am Ende des Werks. Abrupt an dieser Stelle aus dem Traum gerissen – die Analyse wird hier auch sprachlich offenkundig: Ille discessit; ego somno solutus sum.1162 – bleibt Scipio und jedem anderen potentiellen gerechten, weisen Staatsmann nur die Hoffnung.1163 Er braucht trotz all des offenkundig werdenden Skeptizismus etwas, an das er sich halten kann: die menschliche Seele. Die probabilistische Anlage des Werks tritt damit auch an dessen Ende deutlich hervor: Zweifel und Glaube verbinden sich auf strukturaler Ebene zu einem Konzept, das zwar nur der Wahrheit möglichst nahekommt, jedoch trotzdem als Leitstern für das politische Handeln dienen kann und muss.1164 Wie dieses Konzept gedacht wird, zeigt nicht zuletzt die strukturelle Entwicklung des Werks, die abschließend nochmals in den Blick genommen werden soll. Sie gibt auch weiter Aufschluss über die dem Werk zugrundeliegende Opposition zwischen Himmel und Erde.

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Tatsächlich wird Tiberius Gracchus in De re publica im Rahmen der Tyrannentopik wohl vorgeworfen, emotional fehlgeleitet nach Gewaltherrschaft zu streben. Nach Pöschl 1962, S. 85 zählt er gemäß rep. 2,48 zur Gruppe derjenigen, qui etiam liberata iam civitate dominationes adpetiverunt. S. zuvor Anm. 987. 1161 Vgl. Kesler 1985, S. 185: „The future is unclear, and even in his dream in Book VI the future is undetermined.“ Görler diskutiert etwa in Görler 1995, S. 90, Anm. 14, ob das überlieferte Ende tatsächlich dem Ende des Originals entspricht. 1162 Rep. 6,29. 1163 Vgl. Atkins 2013, S. 77: „The statesman needs hope (spes), not in the fleeting and fickle promises of fame and glory as typically understood, but in something more stable.“ 1164 Vgl. dazu auch Görgemanns 1968, S. 66, der das subjektive Traumerlebnis mit Ciceros Wahrscheinlichkeitskonzept zusammenbringt. S. zur probabilistischen Methodik Ciceros Kapitel 4.

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7.2.3 Himmel und Erde: Ciceros Staatsphilosophie und die Struktur von De re publica Auch im Bereich der politischen Philosophie hilft das Untersuchungsinstrument Analyse–Synthese, Dichotomien zu definieren, ihre Auflösung zu beschreiben und darauf aufbauend Interpretationsangebote zu machen. Der Fokus liegt dabei auf zwei an sich entgegengesetzten Strukturebenen, die durch die Rahmung in Vorgespräch und Traumschluss aufgespannt und kontrastiert werden: Auf der himmlischen Ebene steht die Doppelsonne stellvertretend für einen analytischen Zustand, im Bereich des Irdischen spiegelt sich die Analyse in der durch das ungerechte Handeln des Tiberius Gracchus ausgelösten historischen Dichotomie Optimaten–Popularen, die als Ausdruck einer tieferen strukturalen Spaltung gedeutet werden muss. Der Hauptteil von De re publica geht von dieser doppelten Zerteilung, einem universellen Zustand der Analyse aus; es stellt sich im Verlauf der Schrift für beide Ebenen, die auch am Ende radikal gegenübergestellt werden, die Frage nach der Möglichkeit einer Synthese. Analyse und Synthese auf himmlischer und irdischer Ebene Im Himmel ergibt sich, wie gezeigt wurde,1165 die Einheit ohne Weiteres, da diese Sphäre einem vernünftigen und wohlgeordneten Plan folgt. Störungen wie die der Doppelsonne werden automatisch ausgeglichen, eine Synthese wird allein aufgrund der vernünftigen Ordnung erreicht, wenn die zweifache Sonne, strukturell betrachtet, zu einer einzigen Sonne mit göttlichem Charakter mutiert.1166 Bei der irdischen Sphäre verhält es sich anders: Staat, Bürger, gar alle Erdbewohner sind auch noch in den letzten Kapiteln der Schrift gespalten und getrennt. Die res publica erscheint weiterhin geprägt von der historischen Dichotomie Optimaten– Popularen in Folge der gracchischen Reformversuche. Sie ist, wie das Proöm des fünften Buchs zeigt, selbst in Ciceros Zeit noch vorhanden. Eine Synthese kann hier nur als nicht verwirklichtes Ideal gedacht werden, was historisch durch die Idealisierung der Vergangenheit Roms geschieht und strukturell anhand der Tektonik des Gesamtwerks demonstriert werden kann.1167 Zum Ende des Werks

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S. das Ende von Kapitel 7.2.2. Vgl. auch mit Hinblick auf das Denkmuster Analyse–Synthese Ruch 1965, S. 501: „Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit müssen sich also dem Gesetze unterstellen, werden zur Gleichmäßigkeit.“ 1167 Damit werden die systemimmanente wie die historische Ebene gedeckt, womit Marquez 2012, S. 202 zu widersprechen ist: „Cicero’s understanding of Rome suggests that the political community achieves its telos historically rather than immanently.“ Vgl. ebd., S. 201–203. 1166

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hin gehäuft auftretende Andeutungen wie die Beseitigung des Spalters Gracchus und die augenfällige Parallelisierung zur himmlischen perfekten Ordnung betonen jedoch die bereits zu Beginn artikulierte Möglichkeit1168 einer irdischen Synthese. Jedoch: Ohne hinzutretende Elemente können die staatliche Einheit und auch die Einheit im Volk nicht wiederhergestellt werden. Nur, das haben die Ausführungen gezeigt, vernünftiges und gesellschaftlich ausgleichendes Handeln von Individuen, das eingedenk der Fehler der Vergangenheit auf Gerechtigkeit gründet und ständig vorausschauend auf diese bezogen bleibt,1169 kann die Entwicklung umkehren und zur Einheit führen. Auf die Strukturebene mit ihrer linearen Anordnung der Textelemente übersetzt bedeutet das: Der rector ist der Akteur, seine Methode als prudens das consilium, sein Telos das abstrakte Konzept iustitia, deren semantische Füllung die aequabilitas als aktives Ordnen und deren Ergebnis eine der kosmischen Ordnung analoge gesellschaftliche concordia als Syntheseideal.1170 Letztendlich fungiert so iustitia als Element, das die Synthese auf der sublunaren Sphäre herzustellen vermag. Fehlt dieses Element und fehlen gute Staatsmänner,1171 treten Entwicklungen ein, an deren Ende der Zustand der Analyse steht, wie er sich historisch an der Spaltung in Optimaten und Popularen manifestiert. Merklich ist also das für Ciceros Kulturphilosophie untersuchte Oppositionspaar Vergangenheit–Gegenwart mit der hier betrachteten Dichotomie Optimaten–Popularen verschränkt;1172 letztere ist konkreter Ausdruck und logische Folge der abstrakten Oppositions-Kategorisierung auf der Zeitachse. Das Gewicht in De re publica liegt dabei klar auf der gegenwärtigen, historisch begründeten gesellschaftlichen Spaltung, die immer wieder konstatiert und bisweilen mit einer als Idealbild konstruierten Synthese in der Vergangenheit kontrastiert wird. Damit gelangt, wie bei den Tusculanae disputationes,1173 auch hier der dynamische Charakter des Denkmusters Analyse–Synthese in den Blick. Während die Synthese als erhoffter Endzustand für die Praxis relevant wird, fungiert doch die Analyse als essentieller Bestandteil der Denkbewegung, ist sie notwendiger Startpunkt zur Verdeutlichung der Denkrichtung. Auf Ciceros Staatsschrift bezogen, bedeutet dies, wie Ruch korrekt feststellt: „Der Staat muß also dynamisch aufgefaßt werden […]; innere Spannungen müssen vorhanden sein, um überwun1168

S. rep. 1,32 und dazu Kapitel 7.2.1. Im vierten Buch ist in rep. 4,1 von der mens quae futura videt, praeterita meminit die Rede. 1170 Sauer 2018, S. 82 argumentiert einleuchtend dafür, dass die aufgeführten Werte wie prudentia und iustitia dabei nicht transzendiert zu denken sind; vielmehr „bleiben sie selbstreferentiell und bilden als […] Handlungsmuster wichtige Referenzpunkte des idealen Politikers“. 1171 Vgl. Ruch 1965, S. 509 und Pöschl 1962, S. 166. 1172 S. bereits kurz Kapitel 7.2.2 und für die Dichotomie Vergangenheit–Gegenwart Kapitel 6.2.2. 1173 S. dazu Kapitel 6.3. 1169

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den zu werden.“1174 Damit diese Überwindung gelingt, muss das Strukturelement iustitia hinzutreten, das sich als Kondensat einer strukturellen linearen Bewegung herausstellt. Es steht in zweifacher Weise im Zentrum von Ciceros Staatsschrift: Thematisch ist Gerechtigkeit Kristallisationspunkt des beschriebenen omnipräsenten Narrativs: Der weise Staatsmann nutzt seine Vernunft, um mithilfe der ordnenden iustitia die Synthese zu erreichen. Tektonisch steht Gerechtigkeit mit der prominenten Positionierung am Ende des zweiten Buchs und im dritten Buch1175 im Zentrum der Schrift und verweist so auch durch die Stellung darauf, dass sie dasjenige strukturelle Element ist, das zur Synthese führen kann.1176 Noch verstärkt wird diese Anlage durch weitere thematische Rückgriffe an Scharnierstellen des Werks: So erscheint Tiberius Gracchus beispielsweise als auslösendes Element für die analytischen Entwicklungen im Vorgespräch wie in der Laeliusrede im dritten Buch, seine Ermordung wird zu Beginn des sechsten Buchs angerissen; und so wird zum Beispiel an Werkanfang und -ende sowie in Laelius’ Argumentation für die Gerechtigkeit durch den Verweis auf die himmlische Sphäre ein kosmischer Rahmen geschaffen.1177 Im irdischen Bereich bewegt sich all dies im Spannungsfeld von Einzelperson und gesellschaftlichem System. Während der Zustand der Synthese im Himmel nämlich ohne individuelles Zutun wieder eintritt, bedarf es auf der Erde vernünftig handelnder, ordnend wirkender und damit gerechter Einzelner, die iustitia etablieren, welche schließlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt verbürgt. Man darf demnach mit Ruch festhalten:1178

1174

Ruch 1965, S. 507. Vgl. auch Gallagher 2001, S. 512f., der allerdings von einer zyklischen Bewegung ausgeht: „According to Scipio, the advance of the Roman commonwealth is also composed of such cycles of movements, first, motion towards an unbalanced, depraved form of the state, followed by a motion that re-establishes the sort of balance required by the nature of commonwealths.“ 1175 Es ist davon auszugehen, dass die Gerechtigkeit auch im vierten Buch noch eine bedeutsame Rolle einnimmt, beweisen lässt sich dies aufgrund des schlechten Erhaltungszustands des vierten Buches allerdings nicht. 1176 Vgl. auch Zetzel 1996, S. 310: Gerechtigkeit sei das „centrepiece of the work“. Vgl. zudem Mercier 2010, S. 331 und bezüglich De officiis auch Long 1995b, S. 215 und 218. 1177 Vgl. dazu auch Zetzel 1995, S. 235: „The contemplation of the heavens in the large sense advocated in the Somnium serves as a coda to the themes of astronomy in book 1 and of divine and human law in book 3.“ 1178 Ruch 1965, S. 504. Im Sinne der Notwendigkeit beider Bestandteile des Denkmusters Analyse–Synthese und eines hinzutretenden Elements im Zentrum argumentiert er ebd., S. 507 für eine zwangsläufige Existenz von Spannungen: „Ein prästabilisiertes Gleichgewicht würde das Zentrum überflüssig machen.“

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Das Was des ciceronischen Philosophierens Kosmos und Staat sind bedingt durch das Bestehen eines Zentrums: im ersten Falle durch das Walten eines Naturgesetzes, im zweiten durch die Wirklichkeit eines consilium, das Befehlsgewalt hat (imperium) und auf der Gerechtigkeit beruht, die dem innersten Wesen des Menschen entspricht.

Es muss also unzureichend und vorschnell genannt werden, wenn Atkins zwei völlig gegensätzliche Konzepte annimmt, dabei dem himmlischen Bereich perfekte Balance und Harmonie und der irdischen Sphäre nur Attribute wie zufallsbestimmt oder partikular zuschreibt,1179 hebt der Text doch gerade auf das Potenzial der irdischen Welt im Hinblick auf ein Syntheseideal in der Gesellschaft ab. Ebenso ist keine völlige Störungsfreiheit in den himmlischen Sphären anzunehmen: Die supralunare Ebene zeichnet sich zwar durch ihre schöne und ewige Ordnung aus, doch verdeutlicht das Phänomen der Doppelsonne, dass sie in symmetrischer Spiegelung zur irdischen Ebene das Potenzial besitzt, aus den Fugen zu geraten. Analyse und Synthese auf übergeordneter Ebene In diesem Zusammenhang stellt sich nun die Frage nach Interferenzen und Interdependenzen zwischen den beiden bislang vornehmlich getrennt untersuchten Strukturebenen. Während Pfligersdorffer hierbei eine negative „drohende […] Konsequenz des Umsichgreifens und der […] Ausdehnung der discordia vom menschlichen Bereich aus“1180 erkennt, geht Gallagher von einer potentiellen positiven Beeinflussung der sublunaren Welt aus, wenn sich die Menschen an der himmlischen Ordnung orientieren;1181 neutral formuliert es Kesler, wenn er konstatiert, dass Veränderungen der einen Ebene auf der anderen direkt gespiegelt werden.1182 Zetzel dagegen schließt eine irgendwie geartete wechselseitige

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Vgl. Atkins 2013, S. 5; vgl. auch ebd., S. 66–71, wo Atkins auf die Unerreichbarkeit der irdischen Stabilität hinweist: „Given the cosmology of the Dream, which draws a sharp distinction between the conditions of earth and the supralunar heavenly realm, it is clear that the earthly monarch will be incapable of duplicating the stability of his heavenly counterpart.“ Für eine Erreichbarkeit des Ideals plädiert dagegen Asmis 2005, S. 398. S. zuvor auch Anm. 1118. 1180 Pfligersdorffer 1969, S. 49. Vgl. auch ebd., S. 46 und s. Anm. 1132. 1181 Vgl. Gallagher 2001, S. 517: „[H]uman beings establish and govern commonwealths by following the pattern of the commonwealth of stars and planets in the heavens.“ Vgl. Auch Jürß 1982, S. 515. S. auch Cicero selbst in orat. 119, wo er den wechselseitigen Bezug himmlischer und menschlicher Dinge für das rhetorische Vermögen als gewinnbringend beurteilt: Omnia profecto, cum se a caelestibus rebus referet ad humanas, excelsius magnificentiusque et dicet et sentiet. Vgl. dazu Reydams-Schils 2016, S. 100. 1182 Vgl. Kesler 1985, S. 152: „If the laws of heavenly motion sometimes seem to be changeable, perhaps it is because the heavenly things reflect or announce great changes among the human things.“

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Beeinflussung aus, da er die astrologisch bestimmten Visionen einer kosmischen Gerechtigkeit nur im Bereich des philosophischen Mythos sieht.1183 Aus einer strukturalistisch inspirierten Perspektive können diese Zuschreibungen korrigiert und ergänzt werden: Wie die Argumentation des Kapitels zeigen konnte, sind die beiden Sphären prinzipiell parallel angelegt, eine vergleichende Betrachtung wird aufgrund zahlreicher Verschränkungen im Wortschatz wie aufgrund verbindender Elemente wie der menschlichen Seele durch den Text selbst nahegelegt. Diese Arbeit argumentiert dafür, dass aus dieser Konfiguration zunächst weder negative noch positive Interferenzen, zudem keine historisch konkreten Wechselwirkungen zwischen den Ebenen abgeleitet werden können, sondern nur ebenenimmanent jeweils eine mangelhafte Ausgangssituation der Analyse und eine erhoffte Synthese als idealer Endzustand augenfällig konstruiert sind, wobei die strukturale Denkbewegung im Bereich der himmlischen Sphäre eine störungsfreie und damit an sich besser zu bewertende Variante des irdischen Musters, das eines weiteren Elements bedarf, darstellt.1184 Wie Ruch korrekt feststellt, wirkt dabei das Grundprinzip der Analogie: „[W]as auf einer anderen Ebene geschieht, ist nicht Ursache, sondern lediglich Parallelerscheinung.“1185 Die Ebenen sind also nicht kausallogisch aufeinander bezogen, sondern dürfen als analog konfiguriert gelten. Ihr Unterschied liegt, wie beobachtet, in ihrer unterschiedlich sicheren Verwirklichung der Synthese. Am Himmel lässt sich eine automatische Teleologie beobachten, auf der Erde, so Ruch, „mindert sich die Möglichkeit der Voraussicht, und wir können deshalb keine Gewißheit beanspruchen“.1186 Bedenkt man nun den praktischen Schwerpunkt der Schrift, der nicht zuletzt an der zentralen Dichotomie sichtbar wird, sowie Ciceros stets auf eine bessere Zukunft gerichtetes Denken, stellt sich die himmlische Sphäre, wie zuvor schon angedeutet,1187 vor allem als programmatische und strukturelle Kontrastfolie dar, durch die die 1183

Vgl. Zetzel 1996, S. 318. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob auch eine kosmische, sicherere iustitia anzunehmen ist. Der Text gibt dafür keine Hinweise; doch selbst wenn man geneigt ist, ihre Existenz in den verlorenen Partien des Werks zu vermuten, müsste sie als abstrakte Veranschaulichung der automatischen Verwirklichung der Synthese am Himmel mehr denn als naturphilosophische Realität interpretiert werden. Auch Pohlenz 1931, S. 102 schließt eine metaphysische Deutung aus und weist dabei auf die Unterschiede zu Platon hin: „Bei Plato hat es die metaphysische Bedeutung, daß hinter der menschlichen Gerechtigkeit die kosmische ‚Gerechtigkeit‘, Gesetzmäßigkeit und Harmonie sichtbar wird, die auf den gleichen letzten Urgrund zurückweist. Bei Cicero soll die Größe und Schönheit der Welt den rechten Wertmaßstab für die Schätzung des Irdischen geben.“ 1185 Ruch 1965, S. 510. Anders und im Sinne einer Einheit beider Ebenen argumentiert er in Ruch 1948, S. 169: „L’unité de l’État et du Cosmos, postulée dès le prooemium, […] trouve enfin sa confirmation dans l’accomplissement entrevu de la destinée de Scipion.“ 1186 Ruch 1965, S. 500. Vgl. für eine mögliche interessante Parallele der Konfiguration bei Cicero zum Unterschied zwischen aristotelischer Teleologie und einer notwendigen zusätzlichen Leistung durch das ἡγεμονικόν in der Stoa Tuozzo 1996, S. 111. 1187 S. Kapitel 7.2.2. 1184

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Teleologie der menschlichen Ebene erhellt werden kann. Insoweit erscheinen die beiden Pole der Metadichotomie Himmlisches–Irdisches unvereinbar, treten beide Ebenen als parallel konzipiert hervor, bleiben aber ohne direkte Verbindung. Doch auch für diesen übergeordneten Zustand der Analyse ist ein Endpunkt der Synthese im Werk angelegt, wofür sich zunächst ein zweiter Blick auf das Vorgespräch im ersten Buch lohnt. Dort hatte Scipio zunächst gegen die Betrachtung der himmlischen Ebene gesprochen und dabei Panaitios’ Untersuchungen mit Verweis auf Sokrates’ Präferenz für die menschlichen Belange getadelt, woraufhin Tubero auf Platons Sokrates verwies, der gerade auch die naturwissenschaftlichen Überlegungen des Sokrates stark macht und dabei auf die Tradition des Pythagoras verweist. In Kontrastierung zu Scipios späterem Lob kosmisch orientierter Kontemplation ließ sich das Schwanken als Ausdruck einer Spiegelung des analytischen Zustands im Inneren der Scipio-Figur deuten.1188 Doch ergibt sich aus der untersuchten Stelle noch eine zweite Bedeutungsebene: Direkt im Anschluss an Tuberos korrigierende Anmerkungen lässt sich Scipio nämlich durch die Argumentation überzeugen1189 und ergänzt, dass Platon seine literarische Sokrates-Figur genau mit der Absicht gestaltet hat, Naturwissenschaftliches und Ethisches zu verweben:1190 Itaque cum Socratem unice dilexisset, eique omnia tribuere voluisset, leporem Socraticum subtilitatemque sermonis cum obscuritate Pythagorae et cum illa plurimarum artium gravitate contexuit.

Somit kann der gesamte probabilistisch angelegte1191 Schlagabtausch programmatisch verstanden werden, sieht man doch nicht nur im Kleinen die Wirksamkeit des Denkmusters Analyse–Synthese, sondern auch die Tektonik, der der Aufbau des Werks grundlegend folgt. Während anfangs ein klarer Gegensatz zwischen einer irdischen und einer himmlischen Sphäre aufgespannt wird, bei dem Tubero und der stoische Philosoph Panaitios für eine Beschäftigung mit Himmelserscheinungen stehen und Scipio dagegen auf Sokrates als Gewährsmann rekurriert, sich nur mit irdischen Angelegenheiten zu beschäftigen, wird dieser Gegensatz im zweiten Teil der Passage aufgehoben, die Analyse von Himmlischem und Irdischem bereits im Kleinen überwunden: Tubero und Scipio verwiesen in einer auf Vernunft basierenden Debatte rhetorisch-dialektischer Provenienz1192 auf Platons einende Sokrates-Figur. Deren Gestaltung manifestiert sich pointiert im letzten, programmatisch zu verstehenden Wort des Abschnitts: Contexuit bezeichnet die aktive Arbeit des Sprechers, verschiedene Aspekte zu einem Ganzen zu verwe1188

S. dazu Kapitel 7.2.1. Vgl. dazu auch Perelli 1971, S. 391. 1190 Rep. 1,16. Vgl. dazu auch Burkert 1965, S. 195 und ebd., Anm. 52 sowie Sauer 2013, S. 181f. 1191 Vgl. Müller 1968, S. 131 und s. zu Ciceros Probabilismus Kapitel 4. 1192 S. hierfür Kapitel 3 und 5. 1189

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ben.1193 Es handelt sich demnach um eine Denkbewegung, die von einer Getrenntheit ausgeht, die Beschäftigung mit Irdischem und die Beschäftigung mit Himmlischem scheinen sich zunächst auszuschließen. Doch in Platons Sokrates und durch das rationale Nachvollziehen der Sprechertätigkeit in einer Diskussion nach beiden Seiten hin verbinden sich letztlich beide Bereiche der Beschäftigung zu einer fruchtbaren Einheit im Zeichen der Synthese: Die Darstellung Platons als Autor, der, wie Atkins festhält, kosmologische, mathematische und astronomische Ideen mit von Sokrates inspirierten ethischen Diskussionen verwebt, gibt einen ersten Hinweis darauf, dass Naturwissenschaft und menschliche Belange tatsächlich gewinnbringend verbunden werden können.1194 Bestätigt wird eine Verschränkung von Himmelsmetaphorik und politischem Ereignis auch beim Zusammenfall von Sonnenfinsternis und Apotheose des Romulus, den Scipio während des Vorgesprächs erwähnt. Ennius habe nach Thales von Milet eine Gesetzmäßigkeit hinter der furchterregenden Himmelserscheinung erkannt, sodass sich alle vorherigen Verfinsterungen der Sonne bis zur Zeit des Romulus auf den Tag genau berechnen ließen:1195 Atque hac in re tanta inest ratio atque sollertia, ut ex hoc die quem apud Ennium et in maximis annalibus consignatum videmus, superiores solis defectiones reputatae sint usque ad illam quae Nonis Quinctilibus fuit regnante Romulo; quibus quidem Romulum tenebris etiamsi natura ad humanum exitum abripuit, virtus tamen in caelum dicitur sustulisse.

Jene erste errechnete Sonnenfinsternis geht einher mit der Gottwerdung des Romulus, einem wichtigen Schritt der idealistischen Überhöhung der von ihm gegründeten Stadt Rom, deren idealer Charakter, wie gezeigt,1196 ein wichtiger Bestandteil der Argumentation im zweiten Buch darstellt. Hier wird eine am Beginn der römischen Republik etablierte, überzeitlich gültige strukturelle Verkettung himmlischer und irdischer Ereignisse angedeutet, die, wie es scheint, auch für den weiteren historischen Verlauf maßgeblich sein wird.1197 Herauszuheben ist in die1193

Das Wort hat poetologischen Wert: Man denke an Ovids Arachnegeschichte, die auch als Grundlage für poetologische Interpretationsversuche dient. 1194 Vgl. Atkins 2013, S. 51: „The portrait of a Plato who incorporated cosmological, mathematical, and astronomical ideas into Socratic-inspired discussions of ethics provides the first hint in the dialogue that natural science and human affairs may in fact be brought into a productive relationship.“ Vgl. auch Atkins 2011, S. 457. Müller 1968, S. 131 erkennt die angelegte Struktur: Die Einseitigkeit beider Standpunkte „drängt zur Synthese“. 1195 Rep. 1,25. Eine astronomische Erklärung, auch für die Berechnung des Tags, der bei Ennius erwähnt wird, gibt Zetzel 1995, S. 116. 1196 S. Kapitel 7.2.2. 1197 Vgl. dazu Zetzel 1995, S. 238. Auf die Gottwerdung des Romulus wird an weiteren wichtigen Stellen im Werk verwiesen; s. rep. 2,17 und 6,24 und vgl. hierfür nochmals Zetzel 1995, S. 116.

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sem Zusammenhang die Grundlegung der astronomischen Überlegungen durch die Vernunft – Perikles kann seinen Athener Mitbürgern die Furcht vor der Himmelserscheinung nehmen, indem er ihnen die rationalen Hintergründe der vernünftigen Ordnung, der ratio atque sollertia, erläutert: Quod cum disputando rationibusque docuisset, populum liberavit metu.1198 Dies ist programmatisch zu verstehen: Auf der Ebene des Staatswerks kommt der ratio in Verbindung mit der irdischen Erklärung überirdischer Phänomene eine besondere Bedeutung zu.1199 Wie stellt sich das Oppositionspaar Himmlisches–Irdisches im Hauptteil dar? Nach ersten Andeutungen im dritten Buch bezüglich einer Verbindung irdischer lex und himmlischer ratio rückt am Werkende die menschliche Seele und konkret deren vernünftiger Seelenteil als beide Ebenen verbindendes Element in den Mittelpunkt.1200 Dieser wird explizit als Bestandteil beider Sphären beschrieben und gibt Antwort auf die Frage, warum eine irdische Synthese überhaupt möglich ist und warum der geeignete Staatsmann kraft seiner Vernunft Gerechtigkeit verwirklichen kann. Sowohl initiiert ein Funke der himmlischen Sphäre die lineare Entwicklung auf der Erde als auch orientiert sich das Individuum, nicht determiniert durch Triebe, sondern durch seinen Geist und in eigener Verantwortung, an der Ordnung und Ausgeglichenheit am Himmel. Die Verbindung ist also eine reziproke und auf systematischer Ebene ebenso wirksam wie auf persönlicher.1201 Der animus ist demnach auch nicht als metaphysisches Versatzstück griechischer Philosophie zu verstehen, entfaltet sich das Element doch in einer dezidiert römischen Umgebung und innerhalb Ciceros ureigener struktureller Konstruktion. Viel mehr als nur platonisches Rudiment,1202 für Rom aufbereitet, verdeutlicht sie 1198

Rep. 1,25. Vgl. dazu Gallagher 2001, S. 510. S. zur Abgrenzung vom Phänomen der Doppelsonne Anm. 990. 1199 Nach Pfligersdorffer 1969, S. 58 wird bereits hier der menschliche Geist dem Kosmos zugeordnet. Vgl. auch Ruch 1948, S. 166. 1200 S. verschiedene Passagen in Kapitel 7.2.2. Vgl. auch Nitschke 2007, S. 129: „Die Ebene der Götter bildet […] über die Tugendfrage eine verbindende und verbindliche Einheit mit der Ebene der Menschen. Das Medium ist die Ratio und das tugendhafte Handeln nach dieser.“ 1201 Vgl. Marquez 2012, S. 183: „Cicero attempts to synthesize elements of both of these models of political community in an attempt to sufficiently account for Roman political reality, both normatively and empirically.“ Vgl. zudem ebd., S. 188; Horn 2007b, S. 49 sowie Pfligersdorffer 1969, S. 59f., der durch dieses wechselseitige Befruchten eine Vereinbarkeit von negotium und otium für möglich hält; s. zu diesem Begriffspaar auch Anm. 1213. 1202 Damit richtet sich die Auslegung dieser Arbeit auch gegen stark von Platon her argumentierende Beiträge wie etwa Pöschl 1962, S. 108–110; exemplarisch sei die Interpretation der Traumerzählung ebd., S. 131 zitiert: „[I]m Somnium geht die Spannung von Kosmos und Staat völlig in der platonischen Einheit auf.“ Vgl. auch Horn 2007b, S. 53, der insbesondere die „These vom staatsfundierenden Charakter der Gerechtigkeit“ als ciceronische Neuerung gegenüber Platon wertet. Zur Quellenfrage für das Somnium Scipionis vgl. z. B. Michel 1965, S. 242 und Graver 2009, S. 122, die letztlich

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die strukturale Anlage des Gesamtwerks mit dem von einer Analyse ausgehenden Ziel einer irdischen Synthese,1203 woraus unmittelbar die praktischen Implikationen für den römischen Staatsmann folgen: Das Individuum muss sich mittels seines göttlich gedachten Vernunftfunkens an der Theorie der himmlischen Ordnung orientieren, sich im besten akademischen Sinne mit ihr auseinandersetzen, um Einsichten in die irdische Praxis zu gewinnen und so zu erkennen, dass nur gerechtes Handeln im Einzelnen und Gerechtigkeit auf struktureller Ebene zu einer der supralunaren Synthese analogen Einheit in Volk und Staat, dem Grundsatz von Ciceros politischer Philosophie,1204 führen.1205 Eine wirkliche res publica, in der jeder die ihm zugemessene Aufgabe verrichtet, entsteht als Folge dieser Struktur.1206 eine Mischung aus platonischen und stoischen Einflüssen erkennt. S. auch Anm. 1021 und 1184. Glei 1991, S. 134 hebt des Weiteren hervor, dass das Werk nicht eschatologisch zu interpretieren ist: „Das den Staat allererst konstituierende Recht erfährt am Ende von Ciceros Staatsschrift eine kosmologische Begründung: Im Somnium Scipionis geht es nicht um eine Eschatologie, sondern um die Einordnung des Naturrechtsgedankens in einen universalen naturphilosophischen Zusammenhang; die Traumeinkleidung ist hier kein Hinweis auf eine Apokalypse […], sondern ein Symbol der spekulativen Vernunft.“ 1203 Erkannt wurde diese Strukturbewegung im Prinzip auch von Müller 1989, S. 106. Er stellt, De oratore und das Staatswerk vergleichend, fest: „Machart und Richtung in der Beweisführung sind fast identisch: Einheit–Spaltung–neue Synthese.“ Vgl. zudem Müller 1965, S. 157: „In wesentlichen Zügen sind […] das Bildungsideal des vollkommenen Redners und das des idealen Staatsmannes identisch. Das Höchste ist die Verknüpfung von praktischer Erfahrung und theoretischer Bildung.“ S. zur Verbindung der beiden Werke auch Anm. 352 und zum Verhältnis von Theorie und Praxis Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise. 1204 Vgl. Zarecki 2014, S. 49. 1205 Eine gute Zusammenfassung bietet Barlow 2012, S. 235f.: „Preserving social harmony (concordia) is the ultimate principle of the polity as Cicero understands it, because the polity is an expression of the natural human impulse of sociability as improved and extended by a rational agreement on the principles of justice.“ Vgl. weiterhin Pfligersdorffer 1969, S. 56: Es „besteht die concordia, artissimum atque optimum omni in re publica vinculum incolumitatis und als solches die iustitia voraussetzend, im concentus oder consensus dissimillimorum, der sich ergibt unter der maßvoll abstimmenden Wirkung der ratio, die durch Zumessen jeweils bestimmter Aufgaben an die einzelnen Stände eine in sich geschlossene Ordnung grundlegt, die zu ihrem Bestand die Besinnung auf die jeweils eigene Funktion und die Respektierung der jeweils anderen Aufgaben, also eine Haltung der iustitia, zur Voraussetzung hat“. Vgl. zudem Glei 1991, S. 135f. und Asmis 2001, S. 111 sowie Jürß 1982, S. 515. 1206 S. hierfür die Diskussion in rep. 3,43–47. Vgl. Kohns 1970, S. 401: Die res publica sei nicht die Ordnung selbst, sondern die Folge der Ordnung. Vgl. auch Ferrary 1995, S. 57 und Wood 1991, S. 138 sowie Mančal 1982, S. 147, der die Tatsache, dass „die ‚Sache‘ […] ‚Sache‘ nur im Augenblick ihres Hergestelltseins“ ist, auf Ciceros perfectum-Vorstellung zurückführt.

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Vorgespräch, Hauptteil und abschließende Traumerzählung verdeutlichen somit: Der menschliche vernünftige Seelenteil, mens, ist das Element, welches die übergeordnete Dichotomie auflösen kann. Hiervon ausgehend ist es der iustitia möglich, die Synthese auf der Erde analog zu deren automatischer Herstellung am Himmel zu verwirklichen. Deutlich treten so Aufbau und Gehalt des Gesamtwerks zu Tage, wenn man die drei betrachteten Dichotomien zum Ausgangspunkt der Überlegungen macht. Erst mit diesen Zusammenhängen im Hinterkopf kann das einleitende Proömium, welches ganz im Sinne anderer ciceronischer Vorreden für das Werk grundsätzlich bedeutende Themen verhandelt,1207 kompetent beleuchtet werden.1208 In seinem Verlauf erscheinen Präsentation und Auflösung der Dichotomien in einem neuen Licht. 7.2.4 Theorie und Praxis: Ciceros Staatsphilosophie und das erste Proöm von De re publica In der ersten Vorrede,1209 die das Gesamtwerk einleitet und ganz in der Proömientradition grundlegende Gedankenlinien vorzeichnet, wird zuerst die Dichotomie Himmlisches–Irdisches unter spezifisch politischer Perspektive beleuchtet und erscheint dabei für die Zwecke der Einleitung als Gegensatz zwischen Theorie und Praxis.1210 Eine im Verlauf des Proöms angestrebte Überbrückung jener Opposition ergibt weitere neue Aspekte für die Interpretation des Gesamtwerks und insbesondere des Abschlusses von De re publica. Im Folgenden soll die Struktur der erhaltenen1211 einleitenden Paragraphen nachgezeichnet werden. Angerissen wird die übergeordnete Thematik gleich zu Beginn des überlieferten Textes im Zusammenhang eines wohl zuvor aufgespannten Gegensatzes zwischen Bürgern, die sich politisch betätigen, und einer Reihe von Leuten, die private Ruhe vorziehen. Als Beispiel für erstere Gruppe wird der ältere Cato genannt: In his undis et tempestatibus ad summam senectutem maluit iactari, quam in illa tranquillitate atque otio iucundissime vivere.1212 Schon hier wird der Unterbau skizziert: Auf der einen Seite steht das anstrengende politische Handeln, das negotium, auf der anderen Seite ein friedliches otium im kleinen privaten Kreis, wobei der Zusammenhang impliziert, dass nicht Müßiggang gemeint ist, sondern

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S. hierfür Kapitel 6.1. Das betont auch Fox 2007a, S. 107: „The prologue, then, presents a dialectic, one which, ostensibly, requires for its resolution the detailed philosophical investigation to which it is merely the prologue.“ 1209 Vgl. für einen Forschungsüberblick Lühken 2003, S. 34 sowie ebd., Anm. 4; 34f., Anm. 5 und 35, Anm. 6. 1210 S. dazu das Folgende und zudem Kapitel 7.2.5. 1211 Grob die erste Hälfte der Einleitung ist verloren. 1212 Rep. 1,1. 1208

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ein nur theoretisches politisches Dasein fernab der Wirren der Realpolitik.1213 Cicero positioniert sich in Nachfolge Catos und artikuliert dadurch zu Beginn des Proöms deutlich die Dichotomie Theorie–Praxis.1214 Noch verstärkt wird die Kontrastierung in Ciceros anschließenden Überlegungen: Tugend in der Praxis besteht demnach vor allem in der Staatslenkung und der Verwirklichung earum ipsarum rerum quas isti in angulis personant, reapse non oratione.1215 Abschätzig äußert sich der Sprecher über die Theoretiker im stillen Winkel; damit sind Philosophen gemeint, die generell1216 gegenüber Gesetzgebern keinerlei Einfluss auf die gesellschaftliche Wirklichkeit ausüben: Nihil enim dicitur a philosophis, quod quidem recte honesteque dicatur, quod non ab iis partum confirmatumque sit, a quibus civitatibus iura discripta sunt.1217 Innerhalb des Gegensatzpaars Theorie–Praxis werden also die Philosophen dem Pol der Theorie zugeordnet, die Staatsmänner dem Pol der Praxis. Unterlegt wird dies mit

1213

Vgl. zur Stelle auch Lévy 2012a, S. 69: „[D]ans le De re publica, l’otium est condamné comme étant celui de philosophes qui proclament in angulis des principes qui sont purement verbaux.“ Seine Feststellung, dass otium im Gesamtwerk zurückgewiesen werde, ist allerdings einseitig. Der Begriff des otium wird mehrmals bei Cicero verhandelt und tangiert solche Gegensätze wie den zwischen vita activa und vita contemplativa sowie die βίος-Debatte, die sich an Ciceros Biographie entzündet; vgl. dazu umfassend beispielsweise Kretschmar 1938. Erwähnt sei auch noch Ciceros Konzept des otium cum dignitate, auf das hier sicherlich Bezug genommen wird. Fuhrmann 1960 beleuchtet dies, auch für De re publica, umfassend und skizziert ebd., S. 482f. grob die Forschungsdebatte um die Phrase; vgl. ebenso Häfner 1973, S. 143; Christes 1988 und jetzt auch Luciani 2010, S. 67–77 und 86–95, der für Cicero einen Mittelweg im Sinne einer Synthese annimmt. All das bezieht sich auf eine von Cicero selbst ausführlich geführte Diskussion. Hier soll demgegenüber in erster Linie der strukturelle Gang der Einleitungskapitel untersucht werden. S. zur verwandten Diskussion um Theorie und Praxis Anm. 1214. 1214 Vgl. generell zu diesem Gegensatzpaar in der Vorrede auch Müller 1965, S. 148–154. Allerdings sieht Müller ebd., S. 162 einen Primat der Praxis, während diese Arbeit von einer tendenziell gleichwertigen Synthese der Pole ausgeht. Vgl. generell zu Theorie und Praxis bei Philosophen des Hellenismus Gehrke 1998. S. bislang für Überlegungen zu dieser Dichotomie Passagen aus vorherigen Kapiteln und folgend Kapitel 8 sowie Anm. 311, 362, 384, 682 und 1253. S. zur verwandten Frage nach otium und negotium Anm. 1213. 1215 Rep. 1,2. 1216 Für eine konkrete Identifizierung der Philosophen mit Epikureern gibt es keinen Anlass, wie auch Kesler 1985, S. 133f. richtig bemerkt; vgl. auch Büchner 1964b, S. 132f. 1217 Rep. 1,2. S. auch ebd., 1,3: Ergo ille, civis qui id cogit omnis imperio legumque poena, quod vix paucis persuadere oratione philosophi possunt, etiam iis qui illa disputant ipsis est praeferendus doctoribus. Quae est enim istorum oratio tam exquisita, quae sit anteponenda bene constitutae civitati publico iure et moribus? Vgl. für die Bedeutung des Wirklichkeitsbezugs für das ciceronische Philosophieren beispielsweise Schäublin 1990, S. 88; Reydams-Schils 2016, S. 91 und Sauer 2018, S. 77–85.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

einer Strategie, die auch in den Proömien der Tusculanae disputationes1218 zur Abgrenzung der Römer von den Griechen zur Anwendung kommt: Eos qui his urbibus consilio atque auctoritate praesunt, iis qui omnis negotii publici expertes sint, longe duco sapientia ipsa esse anteponendos.1219 Weisheit wird in die Nähe von prudentia gerückt und somit Staatspraktikern in weitaus höherem Maße als Gesellschaftstheoretikern zugestanden. Klar konturiert erweist sich in der Konsequenz Ciceros Zwischenfazit, das aktiv zur politischen Betätigung aufruft und reflektierende Kontemplation rigoros ablehnt: Teneamus eum cursum qui semper fuit optimi cuiusque, neque ea signa audiamus quae receptui canunt, ut eos etiam revocent qui iam processerint.1220 Hier bereits durch die erste Person Plural angedeutet, treten in Folge persönliche Aspekte in den Vordergrund, wird wie im Hauptteil neben der gesellschaftlich-systematischen Ebene eine individuell-konkrete präsentiert. In jenem persönlichen Bereich unterstreicht Cicero für sich selbst die Analyse:1221 Is enim fueram, cui cum liceret aut maiores ex otio fructus capere quam ceteris propter variam suavitatem studiorum in quibus a pueritia vixeram, aut si quid accideret acerbius universis, non praecipuam sed parem cum ceteris fortunae condicionem subire, non dubitaverim me gravissimis tempestatibus ac paene fulminibus ipsis obvium ferre conservandorum civium causa, meisque propriis periculis parere commune reliquis otium.

Cicero selbst habe den Verlockungen der Muße widerstanden und sich aktiv für einen entbehrungsreichen Einsatz in der Tagespolitik entschieden.1222 Im Verlauf der Diskussion versucht Cicero als Sprecher, die Argumente, die gegen ein solches Engagement vorgebracht werden, zu entkräften. Noch vor der Widerlegung typischer Einwände – beispielsweise Mühen und Entbehrungen, Gefahr für Leib und Leben, Charakterlosigkeit der Politiker – führt Cicero dabei an erster Stelle ein anderes Argument für die Favorisierung der Praxisorientierung 1218

S. etwa Tusc. 1,1–5. S. auch Kapitel 6.2.1. Rep. 1,3. 1220 Ebd. Stevenson 2005, S. 143 betont für die Stelle deutlich den Vorrang der Politik vor der Philosophie; vgl. auch Baraz 2012, S. 17 und Reydams-Schils 2016, S. 106f. sowie Blößner 2001, S. 202. Generell geht letzterer stark von den historischen Absichten Ciceros aus. In diesem Zusammenhang stellt er ebd., S. 246f. fest, dass Politiker und Philosophen im Gegensatz zu Platons und Aristoteles’ Vorstellungen zwar dasselbe Ziel verfolgen, jedoch unterschiedliche Mittel verwenden. Barlow 1987, S. 358 erweitert seine Feststellung durch einen Bezug zur hellenistischen Glücksvorstellung: „The attack on philosophy by Cicero emphasizes his belief that political philosophy had abandoned its starting point, a concern with the happiness of men in cities, and replaced it with a concern for individual happiness regardless of city.“ 1221 Rep. 1,7. 1222 Blößner 2001, S. 220–228 sieht De re publica daher als Ciceros Werbeschrift für sich als Staatsmann. Vgl. für einen ähnlichen Ansatz generell Zarecki 2014. 1219

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an: Die Natur selbst treibe den Menschen zur Verteidigung des Gemeinwohls: Unum hoc definio, tantam esse necessitatem virtutis generi hominum a natura tantumque amorem ad communem salutem defendendam datum, ut ea vis omnia blandimenta voluptatis otique vicerit.1223 Es handelt sich zudem um einen Vorverweis auf die Staatsdefinition Scipios, in der gerade die Theorie über staatliche Belange einen ersten Höhepunkt erreicht und wo zur Initiation durch die Natur noch theoretisch fundiertes praktisches Handeln im Sinne einer Verschränkung beider Bereiche treten muss.1224 Mehr noch: Durch den Gebrauch des Verbs definio und die damit verbundene gedankliche Leistung gibt Cicero ein Paradebeispiel für Theoretisierung an einem Punkt, an dem die Praxis eigentlich den ersten Rang einnimmt. Eine Synthese ist von vornherein angelegt. Dementsprechend folgt direkt auf die Argumentation wider die Theorie ein erster Versuch der Annäherung beider Pole, wenn Cicero auf den Einwand der Gegner eingeht, der Theoretiker werde das Staatsruder nur in einer Zwangslage in die Hand nehmen. Er plädiert dezidiert für eine gedankliche Beschäftigung mit der Praxis nahestehender politischer Philosophie: Arbitrarer hanc rerum civilium minime neglegendam scientiam sapienti propterea, quod omnia essent ei praeparanda, quibus nesciret an aliquando uti necesse esset.1225 Gerade jene, die sich fernab der Gesellschaft über den Staat Gedanken gemacht haben, werden in den Rang von Staatsmännern gehoben: Quos ego existimo, etiamsi qui ipsi rem publicam non gesserint, tamen quoniam de re publica multa quaesierint et scripserint, functos esse aliquo rei publicae munere.1226 Als Beleg für eine so geartete Verbindung von Theorie und Praxis, von ars und usus, werden sodann die Sieben Weisen der Griechen genannt, die sogar über die Theorie hinaus in politische Aufgaben eingebunden waren, zumal es ihnen, ganz der Konzeption des restlichen Werks folgend, auf die Bewahrung staatlicher Gemeinschaften ankam:1227 Eos vero septem quos Graeci sapientis nominaverunt, omnis paene video in media re publica esse versatos. Neque enim est ulla res in qua propius ad deorum numen virtus accedat humana, quam civitatis aut condere novas aut conservare iam conditas.

1223

Rep. 1,1. S. auch ebd., 1,3: Et quoniam maxime rapimur ad opes augendas generis humani, studemusque nostris consiliis et laboribus tutiorem et opulentiorem vitam hominum reddere, et ad hanc voluptatem ipsius naturae stimulis incitamur. Vgl. dazu etwa Blößner 2001, S. 211 und Bees 2010a, S. 142. 1224 S. Kapitel 7.2.2. 1225 Rep. 1,11. 1226 Ebd., 1,12. 1227 Ebd.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

Die Rückprojektion einer verwirklichten Synthese in die Vergangenheit folgt dabei der Tendenz der historischen Rahmung, die das an die Vorrede anschließende Gespräch im Jahr 129 v. Chr. stattfinden lässt.1228 Analog zur Konstruierung der Analyse am Beginn des Proöms wendet Cicero nun auch das Umfeld der Synthese von Praxis und Theorie ins Persönliche, wenn er in sich selbst die Auflösung der Opposition in einer umfassenden Synthese verwirklicht sieht:1229 Quibus de rebus, quoniam nobis contigit ut idem et in gerenda re publica aliquid essemus memoria dignum consecuti, et in explicandis rationibus rerum civilium quandam facultatem, non modo usu sed etiam studio discendi et docendi […] essemus auctores, cum superiores ali fuissent in disputationibus perpoliti, quorum res gestae nullae invenirentur, ali in gerendo probabiles, in disserendo rudes.

Regierungstätigkeit und deren Erklärung, Empirie und systematische Wissenschaft, usus und studium, überlagern sich in der Figur des weisen Staatsmannes, der für sein Hinwirken auf einen gesellschaftlichen Zusammenhalt Theorie und Praxis auf perfekte Weise verbinden kann.1230 Zarecki hält fest, dass somit Philosophen wie Staatsmänner handeln und Staatsmänner wie Philosophen denken können.1231 Es lässt sich, wie gezeigt werden konnte, für die Vorrede zum ersten Buch für die institutionelle wie individuelle Ebene ein Übergang von der Analyse zur Synthese hinsichtlich der Dichotomie Theorie–Praxis feststellen. Anfangs scharf kontrastiert, zeigt die Vorrede, wie sich scheinbar unversöhnliche Gegensätze unter dem Banner vernünftigen Abwägens – Cicero leitet den zweiten Teil mit arbitrarer1232 ein, was nicht unreflektiertes Meinen, sondern überlegtes und begründetes Entscheiden bedeutet – im Staat wie in der Einzelperson auflösen lassen. Nach der Herstellung dieses Settings erscheint die direkte Überleitung auf den Gesprächszirkel, der eine Reihe für eine solche Synthese in Frage kommender

1228

S. zur Rahmung Kapitel 7.2.1 und 7.2.3. Rep. 1,13. 1230 S. für ähnliche Überlegungen im Spätwerk z. B. Tusc. 5,72. 1231 Vgl. Zarecki 2014, S. 33: „[T]he way has been cleared for philosophers to act as statesmen and for statesmen to think as philosophers.“ Vgl. ebenso Atkins 2013, S. 49f.: „Despite the potential for tension and antagonism between philosophy and politics, Cicero suggests in the preface that the two must be combined in some meaningful way.“ Vgl. darüber hinaus Woolf 2015, S. 97; Hölzing 2011, S. 51 und Kesler 1985, S. 126f. Grilli 1971, S. 46 verweist auf die βίος-Debatte: Ethische Perfektion sei eine „integrazione dei due generi di vita“ in einem βίος σύνθετος; s. dazu auch Anm. 1213. Stroh 2008, S. 59 folgert daraus für die Tugendkonzeption: „[W]eil die Tugend […] etwas sei, was außerhalb der Praxis gar nicht existiere, darum sei wahre Politik nichts anderes als praktizierte Philosophie.“ 1232 Rep. 1,11. 1229

Ciceros Sozialphilosophie

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Personen vorstellt,1233 deren Dialog1234 die mögliche gesellschaftliche Synthese als Sujet hat.1235 Scipio nimmt dabei gewissermaßen als ideale historische Inkarnation einer solchen Einzelperson den ersten Rang ein, was auch dadurch herausgestrichen wird, dass er als erstes und letztes Subjekt des Gesamtwerks1236 dessen Alpha und Omega darstellt. Prinzipiell hat Cicero aber, wie auch im Spätwerk, die gesamte gesellschaftliche Elite1237 und in letzter Konsequenz jeden vernunftbegabten Menschen im Blick.1238 Explizit aufgenommen und bestätigt wird diese Verknüpfung von Person und Thema im Proömium zum dritten Buch, wo Cicero in Bezug auf ii ipsi qui in horum librorum disputatione versantur1239 festhält:1240 Quid enim potest esse praeclarius, quam cum rerum magnarum tractatio atque usus cum illarum artium studiis et cognitione coniungitur? Aut quid P. Scipione, quid C. 1233

Vgl. auch Powell 2012, S. 31: „Best of all […] is the combination of natural intelligence, sound education, and the study of philosophy, which was to be found in Scipio and his friends who are the characters in the dialogue.“ Ebenso betont Ardley 1969, S. 35 den Fokus auf die einzelnen Personen: „The important thing is not ‚philosophy‘ in the abstract, but the quality of the philosopher; and best of all the quality of the experienced and philosophic statesman.“ 1234 S. Kapitel 7.2.1 und 7.2.2. 1235 Die Entwicklung im Proömium hat ähnlich auch Zarecki 2014, S. 32 erkannt, wobei er den Fokus auf eine Opposition zwischen Philosophen und Politikern legt, die nach Ansicht dieser Arbeit in der Dichotomie Theorie–Praxis aufgeht: „To counter the philosophers, Cicero first recognizes the dichotomy between philosophers and politicians, thus establishing a common point of departure for the following argument. He then breaks down the dichotomy by using himself as an example of the successful blending of Greek philosopher with Roman statesman. Finally, he removes the distinction completely by uniting in Scipio the best of both worlds; that is, Scipio combines the ethics of a philosopher with the pragmatism of a statesman.“ Scipio ist zeitlich vor Cicero der ideale Ausdruck einer solchen Synthese. Kesler 1985, S. 219 nimmt dabei auch für die Vorrede eine probabilistische Anlage an: „[I]n the alembic of Cicero’s skepticism […] the distinction between the opinions of political men and of systematic philosophers [is] dissolved.“ S. für Ciceros Probabilismus Kapitel 4. 1236 S. rep. 1,14 bzw. 6,29. 1237 Vgl. auch Sauer 2018, S. 85: Es gehe um die „Genese einer politisch aktiven Bildungselite, deren Fokus auf der Frage nach dem richtigen Urteilen liegt“. Vgl. dazu auch generell Barlow 1987. 1238 S. zuvor Kapitel 6.2, 6.3 und auch 7.2.2. 1239 Rep. 3,5. 1240 Ebd. Vgl. dazu Pöschl 1962, S. 152: „Die Entfaltung des menschlichen Geistes gipfelt sowohl in der Philosophie wie auch in der politischen Gemeinschaftsbildung und Staatengründung.“ Vgl. dazu ebenso Wood 1991, S. 123 und Müller 1989, S. 107, der von zwei Genesen ausgeht, der „vortheoretische[n] praktisch-geistige[n] Lehre der Staatsmänner“ und der „Staatslehre der etablierten Philosophie“, deren Synthese zur Vollkommenheit führt.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens Laelio, quid L. Philo perfectius cogitari potest? Qui, ne quid praetermitterent quod ad summam laudem clarorum virorum pertineret, ad domesticum maiorumque morem etiam hanc a Socrate adventiciam doctrinam adhibuerunt.

Nicht nur wird hier und im Folgenden wie in den Tusculanae disputationes eine Verbindung von Römern und Griechen angenommen,1241 sondern werden namentlich Exponenten der Synthese von Theorie und Praxis genannt, mit Scipio an der Spitze.1242 Sie nehmen es sich zur Aufgabe, Staaten so einzurichten, dass sie dauerhaft bestehen bleiben: Id est in rerum natura longe maximi consili, constituere eam rem publicam quae possit esse diuturna.1243 Dieses Ziel zu erreichen, bedarf eines in der mens1244 angelegten höchsten consilium, das, wie das Ende des zweiten Buches gezeigt hat und das dritte Buch anschließend vertiefen wird, auf dem Element der Gerechtigkeit aufbaut. 7.2.5 Ciceros politische Philosophie Über diese strukturale Anlage mit ihrem Gipfeln in der Auflösung aller Dichotomien ist so nicht nur eine Verbindung zwischen dem Proömium zum dritten Buch und dem Vorgespräch des ersten Buches sowie dem Gesamtwerk hergestellt, sondern auch zwischen den Dichotomien Theorie–Praxis und Himmlisches–Irdisches. Das im Hauptteil der Dichotomie Optimaten–Popularen und der Doppelsonne als himmlischer Dichotomie übergeordnete Gegensatzpaar erscheint in den Proömien als Opposition zwischen ars und usus, wobei dem Himmel die Theorie und der Erde die Praxis zugeordnet werden kann, wie es beispielsweise Laelius auch im Vorgespräch andeutet.1245 Scipio wird in diesem Rahmen somit nicht nur als zwischen Himmel und Erde schwankende, sondern auch als zwischen Denken und Handeln hin- und hergerissene1246 Figur porträtiert. Diese Spannung wird, wie in der Diskussion zentraler Stellen von De re publica gezeigt werden konnte, im 1241

S. für die Tusculanae disputationes Kapitel 6.2.1. S. auch rep. 3,7: Quod illi verbis et artibus aluerunt naturae principia, hi autem institutis et legibus. Vgl. dazu Gigon 1977b, S. 352: „In der Sache hat Cicero vor allem anderen eine doppelte Synthese angestrebt: die historische Synthese zwischen römischen und griechischen Dingen und die systematische Synthese zwischen Praxis und Theorie.“ Vgl. auch Müller 1989, S. 107 und Schofield 2013, S. 74: Ciceros Staatsphilosophie „[is] undermining both the Greek dichotomy between the active and the contemplative life, and the Roman polarity of otium (leisure) and negotium (public or private business)“. 1242 S. auch generell rep. 3,7 und vgl. dazu Bees 2010a, S. 148. 1243 Rep. 3,7. 1244 S. zu ihrer Bedeutung Kapitel 7.2.2 und 7.2.3. 1245 S. z. B. rep. 1,31f. 1246 Vgl. Barlow 1987, S. 360: Scipio ist „torn between the life of thought and the life of action“.

Ciceros Sozialphilosophie

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Hauptteil immer wieder verhandelt,1247 wobei die Spaltung von kosmischer und sublunarer Sphäre und, unter der Perspektive des Proömiums, von Theorie und Praxis an vielen Stellen wieder aufgetan wird.1248 Eine endgültige Auflösung kann, strukturell betrachtet, erst am Werkende im Somnium Scipionis erfolgen.1249 Betrachtet man nun den Buchschluss aus einem Spannungsfeld der Oppositionen heraus, lässt sich zusammenfassend eine Synthese auf mehreren Ebenen und so ein Kondensat der ciceronischen politischen Philosophie feststellen: Die Dichotomie am Himmel löst sich von alleine auf, die Spaltung auf der Erde in zwei unversöhnliche gesellschaftliche Gruppierungen bleibt vorerst1250 bestehen. Um eine in Aussicht gestellte Synthese zu erreichen, ist Gerechtigkeit nötig, die am Ende einer linear angeordneten Kette verschiedener Textelemente steht. Das nötige Rüstzeug für ihre Etablierung erhält der weise Staatsmann aus der himmlischen Sphäre; der vernünftige Seelenteil fungiert als Verbindungsstück zwischen Himmel und Erde, wodurch sich die übergeordnete Opposition zwischen Himmel und Erde auflösen lässt. Gespiegelt wird dies in der Person des Staatenlenkers, der sich an beiden Sphären, irdischer und himmlischer, orientiert. Übersetzt auf die in den Proömien verhandelten Zugänge zur Wirklichkeit bedeutet das: Der ideale Staatenlenker nutzt zur Bewältigung seiner Aufgaben – Etablierung und Wahrung von Staaten durch Gerechtigkeit – politisch-naturphilosophische Theorie und erfahrungsbasierte Praxis gleichermaßen; wenn sich beide Pole so zu einer fruchtbaren Einheit verbinden, wird systematisch diese vierte und letzte Dichotomie überwunden.1251 So verstanden, hinterlässt das abrupte Ende des Werks einen deutlich optimistischeren Eindruck: Spätestens wenn Scipio aufwacht, gibt es keine Gren1247

S. die bisherigen Ausführungen und vgl. etwa Woolf 2015, S. 97 und Pöschl 1962, S. 166f. sowie Müller 1968, S. 122. 1248 Vgl. Atkins 2013, S. 50, Anm. 10. 1249 Vgl. auch Weber-Schäfer 1976, S. 112 und Müller 1965, S. 153f. 1250 Vgl. dazu auch Woolf 2015, S. 112. 1251 Vgl. auch Pfligersdorffer 1969, S. 59f. Prinzipiell richtig, jedoch mit zu starkem Akzent auf der Jenseitsorientierung, argumentiert Kretschmar 1938, S. 58: „In Scipios Person hat Cicero die zwei Denkungsarten [des Staatslenkers und des Philosophen] […] zu vereinen gesucht, indem er beiden das gleiche Endziel gibt, nämlich das ewige Dasein im Schauen des Kosmos.“ Sie spricht von einem Versuch der „Synthese durch den Traum“. Nicht ganz überzeugend konstatiert Gigon 1977b, S. 354f. eine ciceronische Ambivalenz: „Die Welt der Gestirne ist gleichzeitig der Lohn der Praxis und der Gegenstand einer Theorie, die alle Praxis hinter sich gelassen hat.“ Büchner 1989, S. 484 will demgegenüber die Anwendung der Kategorien Theorie und Praxis, konkret vita activa und vita passiva, auf den Werkschluss überhaupt nicht gelten lassen; es gehe „vielmehr um den Maßstab: an der Großartigkeit des Kosmos soll man sich orientieren“. Allein auf das Somnium Scipionis bezogen, hat er recht; wie aber die vorangegangene Untersuchung zeigen konnte, ist eine solche Beurteilung der Traumerzählung unter der Perspektive des Proömiums möglich und geboten. Wie sich eine Verbindung von Politik und Philosophie real tatsächlich auswirken könnte – nämlich eher abstrakt und wenig konkret –, untersucht Griffin 1989.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

zen zwischen Philosophen und Staatenlenkern mehr.1252 Wie eine strukturalistisch inspirierte Deutung zeigen konnte, besteht gerade am Ende des Traums Hoffnung für die irdische Wirklichkeit.1253 Der erwachte Staatsmann kann sich als Politiker und Philosoph in Personalunion direkt ans Werk machen.1254 7.3

De amicitia: Zentrale sozialphilosophische Strukturen

Durch die ausführliche Untersuchung von De re publica konnte Ciceros politische Philosophie deutlich umrissen werden. Sie beschäftigt sich mit dem gewünschten Verhalten von Menschen und den erhofften Auswirkungen im Gefüge des Staates. Das Anschlusswerk Laelius de amicitia1255 erlaubt es darauf aufbauend, einen Blick auf den philosophischen Überbau zu werfen. Die folgende kürzere Untersuchung von Ciceros spätem Werk über die Freundschaft widmet sich also der Beantwortung der Frage, wie sich Menschen generell idealerweise anderen gegenüber verhalten sollten. Ziel ist ein besseres Verständnis von Ciceros Sozialphilosophie, in die sich seine Vorstellungen zur Politik, wie sich zeigen wird, mühelos einfügen lassen. Dafür soll zunächst erörtert werden, inwiefern De amicitia als Nachfolger für das Staatswerk gelten darf, bevor die vergleichende Betrachtung der grundlegenden Struktur Aufschluss über Inhalt und Gehalt geben wird. Die Dichotomie Freund–Freund, demnach die Trennung von Freunden, wird dabei leitend sein.

1252

Vgl. Zarecki 2014, S. 42: „By the time Scipio awakens from his dream in Book 6, there are no longer any barriers between philosophers and statesmen.“ 1253 Thome 2000, S. 117 bezeichnet passend spes als „Erwartung des Guten“, wobei sie dabei „nicht nur privater Begriff, sondern staatserhaltende Kraft“ ist; s. zuvor auch Anm. 1163. Damit ist auch gegen alle Arbeiten zu argumentieren, die wie Klingner 1965, S. 140 oder Maurach 1997, S. 65 den Schlussteil der staatstheoretischen Schrift als ersten frühen Schritt hin zu einem eher theoretisch orientierten Dasein interpretieren. Vielmehr ist Klima 1971, S. 138 zuzustimmen, die über verschiedene Werke hinweg eine konstante Spannung zwischen Theorie und Praxis ausmacht: „Die durch die politische Lage bedingte Spannung zwischen vita activa und vita contemplativa, die bereits im Somnium Scipionis spürbar wird, durchzieht auch die Proömien zu den philosophischen Schriften.“ S. auch Anm. 1214 und die dortigen Verweise. 1254 Konkret an Scipio denkt dabei Zetzel 1996, S. 316f. Wohl ist die Figur aber abstrakter zu verstehen, denn der historische Scipio scheitert nur wenige Tage nach dem Ende des für den Dialog angesetzten Datums. 1255 Im Folgenden wird das Werk als De amicitia bezeichnet, um der Vergleichbarkeit mit der Staatsschrift Ausdruck zu verleihen. Neuhausen 1981, S. 25–47 behandelt die Frage nach dem ursprünglichen Titel des Werks ausführlich; vgl. daneben Gotter 1996a, S. 340f., Anm. 2.

Ciceros Sozialphilosophie

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7.3.1 De amicitia und De re publica: Kohärenz und Kontinuität Nur wenige Zeit nach den Ereignissen von De re publica kommen drei der Teilnehmer des Gesprächs über den Staat anlässlich des mysteriösen Tods von Scipio wieder zusammen. Schon durch das basale Setting wird so angedeutet, dass beide Werke, gemeinsam mit Cato de senectute, in engem Zusammenhang gelesen werden sollten.1256 Doch auch darüber hinaus zeigt sich eine formale und inhaltliche Kontinuität, die Ausdruck in unterschiedlichen konkreten und subtilen Hinweisen im ganzen Werk findet. Diese sollen im Folgenden kurz erwähnt und eingeordnet werden. Zunächst wird schon zu Beginn, vor der Definition des Gegenstands, eine lückenlose lineare Verbindung zum Staatswerk hergestellt, wenn im Sinne einer Fortsetzung genau deren Ende zitiert wird: Scipio sei als ideale Inkarnation des Typus des weisen Staatsmanns gemäß der Verheißung der Traumerzählung in den Himmel aufgestiegen.1257 Damit verbunden wird nun jenes Versprechen wörtlich aufgenommen und Gerechtigkeit retrospektiv als zentrales Element und Thema des Werks bestätigt: Animos hominum esse divinos, iisque, cum ex corpore excessissent, reditum in caelum patere optimoque et iustissimo cuique expeditissimum.1258 Der konkrete Rückbezug auf den Titel der Schrift erfolgt direkt anschließend, womit endgültig eine Vergleichsfolie für das Werk über die Freundschaft etabliert ist:1259 Quod idem Scipioni videbatur, qui quidem, quasi praesagiret, perpaucis ante mortem diebus, cum et Philus et Manilius adesset et alii plures tuque etiam Scaevola mecum venisses, triduum disseruit de re publica.

Sodann werden weitere Protagonisten der Staatsschrift in ähnlichem Kontext positioniert: Neben Tarquinius Superbus als Prototyp des Tyrannen1260 trifft dies vor 1256

Zarecki 2014, S. 137 sieht eine Verbindung von Cato de senectute und De amicitia zu De re publica hinsichtlich u. a. dramatischem Setting, Wahl der Gesprächsteilnehmer und Themen. Vgl. auch Kesler 1985, S. 77f. und 193f.; Nicgorski 2008, S. 86–89; Steinmetz 1990, S. 145 sowie Ruch 1943, S. 141–143 und Neuhausen 1981, S. 22–24; 83–85 und 180f. 1257 S. Lael. 12: Hoc vere tamen licet dicere P. Scipioni ex multis diebus quos in vita celeberrimos laetissimosque viderit, illum diem clarissimum fuisse, quom senatu dimisso domum reductus ad vesperum est a patribus conscriptis populo Romano, sociis et Latinis, pridie quam excessit e vita, ut ex tam alto dignitatis gradu ad superos videatur deos potius quam ad inferos pervenisse. Vgl. dazu auch Nicgorski 2008, S. 86. 1258 Lael. 13. Ein weiterer konkreter Bezug findet sich später ebd., 25: Tum magis id diceres Fanni, si nuper in hortis Scipionis, cum est de re publica disputatum, adfuisses. Qualis tum patronus iustitiae fuit contra accuratam orationem Phili! 1259 Ebd., 14. 1260 Erstmals erwähnt wird der Typus des Tyrannen ebd., 52 und Tarquinius Superbus als konkretes Beispiel ebd., 53.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

allem auf Tiberius Gracchus zu, der erneut als Beginn einer negativen Entwicklung hin zu einer verderbten Gegenwart vorgeführt wird: Deflexit iam aliquantum de spatio curriculoque consuetudo maiorum.1261 Seine negative Rolle wird dadurch noch verstärkt, dass er hier direkt mit Scipios Tod in Verbindung gebracht und damit als Auslöser einer initialen Analyse gezeichnet wird:1262 Tib. Gracchus regnum occupare conatus est vel regnavit is quidem paucos menses. Num quid simile populus Romanus audierat aut viderat? Hunc etiam post mortem secuti amici et propinqui quid in P. Scipione effecerint, sine lacrimis non queo dicere.

Auch die Figurenkonstellation stellt sich in diesem Zusammenhang ähnlich dar, nimmt Laelius doch wie in De re publica das Wirken solcher Männer zum Anlass, die aktuelle Lage zu beklagen und sich Sorgen um die Zukunft zu machen: Mihi autem non minori curae est qualis res publica post mortem meam futura, quam qualis hodie sit.1263 Mit diesem Ausblick auf die unmittelbare Zukunft wird freilich auch in De amicitia auf die weitere negative Entwicklung bis hin zur unbefriedigenden Gegenwart des Autors angespielt.1264 Schließlich laden die Verweise auf die zwei Ebenen des Staatswerks sowie die beide verschränkende programmatische Bildsprache dazu ein, auch De amicitia unter der Perspektive von Analyse und Synthese zu untersuchen: Zunächst werden das Thema des vorliegenden Werks und die für De re publica so zentrale Sonnenmetaphorik in der Mitte der Schrift auffällig verbunden und legen eine gemeinsame Lektüre nahe: Solem enim e mundo tollere videntur qui amicitiam e vita tollunt.1265 Auch hier werden also die zwei bekannten Ebenen aufgespannt: Während die Schau der Schönheit der himmlischen Sphäre regelrecht dazu drängt, sie mit einem guten Freund zu teilen, erfordert die Vergänglichkeit der irdischen Region Trost bei geliebten Menschen.1266 Es fällt auf, dass das Desiderat in beiden 1261

Lael. 40. Drijepondt 1963, S. 79 konstatiert: Cicero „sucht Anschluss an die alte Tradition aus der Zeit, zu der das politische Elend seinen Anfang nahm“. 1262 Lael. 41. Angedeutet wird ein unnatürlicher Tod Scipios ebd., 12. Ebd., 41 wird jener dann direkt mit Anhängern des verstorbenen Tiberius Gracchus, die sein schändliches Vermächtnis weiterführen, in Verbindung gebracht. Vgl. zu Scipios Todesumständen Powell 1990, S. 82f. sowie Nicgorski 2008, S. 87f. Vgl. allgemein zur negativen Darstellung des Tiberius Gracchus auch in De amicitia Bellincioni 1970, S. 197–205. S. zuvor Anm. 987. 1263 Lael. 43. 1264 Vgl. dazu auch Powell 1990, S. 101, der eine Anspielung auf Sulla und v. a. Cäsar vermutet. Trotz seiner Ermordung scheinen die Übel der Zeit nicht beseitigt. S. generell vergleichend Kapitel 7.2.1 und 7.2.2. 1265 Lael. 47. Vgl. zum Bild u. a. Powell 1990, S. 103 sowie Nicgorski 2008, S. 95 und 99f. S. für die Metaphorik in De re publica auch Anm. 990. 1266 S. Lael. 88 bzw. 100. Vgl. für die metaphorische Verbindung zu den Tusculanae disputationes Neuhausen 1981, S. 225 und 240.

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Fällen emotionale Nähe durch freundschaftliche Verbundenheit ist – eine Verbundenheit, die den Fokus des Traktats auf Übereinstimmung und letztlich Einheit verrät. Ihre konzeptionelle Verwirklichung zu zeigen, ist Ziel der folgenden Strukturuntersuchung. 7.3.2 Unum ex duobus: Die Struktur von De amicitia Zumeist ist bislang, ging es um Fragen der Struktur von De amicitia, untersucht worden, ob verschiedene Überarbeitungen für das Proöm anzunehmen sind und wie diese im vorliegenden Text voneinander geschieden werden können; zudem betrachtete man, mit Laelius’ Einteilung als Grundlage,1267 Fragen der Gliederung.1268 Der Begriff der ciceronischen amicitia selbst ist ein schillernder;1269 verschiedene Aspekte sind in der Forschung akzentuiert worden: Lange in erster Linie als pragmatische Grundlage politischer Allianzen aristokratischer Führungsriegen betrachtet,1270 wurde im Laufe der Zeit auch die persönlich-emotionale Seite betont.1271 Heute gelten oft, wie etwa bei Baraz, beide Pole als konstituierend für das ciceronische Freundschaftskonzept.1272 In der folgenden vergleichenden Betrachtung soll das Textelement amicitia zunächst unabhängig vom historischkulturellen Kontext im Hinblick auf seine Funktion für die Gesamtstruktur untersucht werden. Erst sollen dabei, wie bereits bei der Untersuchung von De re publica, Setting und Ausgangssituation dargestellt werden; im Anschluss gerät davon ausgehend die strukturelle Entwicklung des Textes in den Blick.

1267

S. Lael. 16. Burton 2007, S. 16 sowie ebd., Anm. 13 und 14 kann als kurzer Überblick dienen; vgl. daneben auch Heldmann 1976, S. 72–81 und Neuhausen 1981, S. 48–88 und 111–116. 1269 Vgl. dabei zum Problem der Definition v. a. Ganter 2015, S. 3–15 und 65, Anm. 158. Gotter 1996a, S. 344 spricht von einer „begriffliche[n] Offenheit“ der amicitia. Vgl. generell zur Bedeutung römischer amicitia in der Forschung Heil 2005, S. 110f., Anm. 9. S. zudem das Folgende und später Anm. 1299. 1270 Vgl. z. B. Hutter 1978, S. 141f. und Konstan 1994, S. 2f. sowie Spielvogel 1993, S. 5, der zudem ebd., S. 9–13 die Bezüge zum römischen Klientelwesen betont. 1271 Vgl. rekapitulierend u. a. Powell 1995a, S. 33 und 43f. sowie Baraz 2012, S. 152 und generell Konstan 1997. 1272 Vgl. Baraz 2012, S. 152; vgl. weiterhin Konstan 1997, S. 137; Rollinger 2014, S. 56– 67 und 413 sowie ferner Lind 1994, S. 37f. Thome 2000, S. 108f. trennt Ciceros politischen Freundschaftsbegriff von seiner griechisch-idealistischen Vorstellung von amicitia in der Philosophie: So sei Freundschaft für Cicero „nicht nur ein privater Wert, sondern auch ein wichtiger politischer Faktor“ und von Relevanz für die Außenpolitik, während, so ebd., S. 109, Ciceros Theorie in De amicitia idealistisch „ganz unter griechischem Einfluss“ stehe. Dass die Theorie sehr wohl direkte Implikationen für die Praxis birgt, zeigt das vorliegende Kapitel. 1268

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Analyse als Ausgangspunkt des Werks Bei näherer Betrachtung fällt hierbei auf, dass, ganz analog zu Ciceros großem Staatswerk,1273 die Trennung einer ehemals bestehenden Verbindung am Anfang steht, wenn das bittere Ende einer guten Freundschaft zwischen Publius Sulpicius und Quintus Pompeius geschildert wird:1274 Meministi enim profecto Attice et eo magis, quod P. Sulpicio utebare multum, cum is tribunus pl. capitali odio a Q. Pompeio qui tum erat consul, dissideret, quocum coniunctissime et amantissime vixerat, quanta esset hominum vel admiratio vel querella.

Es wird demnach die gleiche Entwicklungslinie wie zu Beginn von De re publica offensichtlich: Eine ursprüngliche Synthese, eine Einheit im Sinne freundschaftlicher Verbundenheit, zerbricht plötzlich – das Ergebnis kann als Zustand der Analyse beschrieben werden.1275 Gedanklich und syntaktisch durch ein erklärendes itaque verbunden wird direkt im Anschluss das Thema der Unterredung präsentiert:1276 Itaque tum Scaevola cum in eam ipsam mentionem incidisset, exposuit nobis sermonem Laeli de amicitia habitum ab illo secum et cum altero genero C. Fannio Marci filio paucis diebus post mortem Africani.

Auch das zentrale Gespräch über die Freundschaft wird also in diesen kompositorischen Rahmen von Analyse und Synthese gestellt, zudem in einer gedanklichen Einheit mit dem für das Gedankengebäude maßgeblichen Duo Laelius und Scipio verknüpft. Die Konfiguration dieser Zweierkonstellation wiederholt dabei auffällig die für das einleitende Kontrastpaar Sulpicius und Pompeius festgestellte Entwicklung. Wo zunächst die ehemalige Verbundenheit dieser zwei so herausragenden Figuren herausgestellt wird – Accepissemus a patribus maxime memorabilem C. Laeli et P. Scipionis familiaritatem fuisse.1277 –, bricht jäh der Tod Scipios als trennendes Ereignis jene innige Verbindung auf.1278 In der Folge steht insbesondere die Reaktion des zurückgebliebenen1279 Freundes Laelius auf jenen 1273

S. Kapitel 7.2.1. Lael. 2. Vgl. zum historischen Sulpicius-Pompeius-Vorfall Powell 1990, S. 77. 1275 Vgl. auch Pangle 2003, S. 107: „[T]he framing story […] is occasioned by the rupture of a long, intimate, and celebrated friendship between Publius Sulpicius […] and Quintus Pompeius.“ Vgl. zudem Neuhausen 1981, S. 177. 1276 Lael. 3. 1277 Ebd., 4. 1278 Vgl. dazu auch Neuhausen 1981, S. 177 und zudem Miller 2015, S. 189f. Tod und Freundschaft sind, so ebd., S. 190, von Anfang des Werks an miteinander verbunden. 1279 Dass Laelius nun auf sich allein gestellt ist, drückt Fannius prägnant in Lael. 6 durch omnium oculos in te esse coniectos unum aus. 1274

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analytischen Bruch im Fokus des Gesprächs. Fannius übernimmt die Rolle des Fragenden und erkundigt sich explizit nach Laelius’ Umgang mit dem großen Verlust – Ex me quaerunt, credo ex hoc item Scaevola, quonam pacto mortem Africani feras.1280 –, woraufhin Scaevola betont, wie gleichmütig jener den Schmerz ertragen habe.1281 Laelius’ Erwiderung ist interessant: Zunächst tröste er sich selbst durch die Überzeugung, dass Scipio nichts Schlimmes widerfahren sei, wobei er auf dessen eigene Ausführungen über die Unsterblichkeit der Seele in der Traumerzählung des Vorgängerwerks De re publica verweist.1282 Vielmehr als das, könne Laelius sein Leben als glücklich bezeichnen, da er es gemeinsam mit Scipio verbracht habe: Sed tamen recordatione nostrae amicitiae sic fruor ut beate vixisse videar, quia cum Scipione vixerim, quocum mihi coniuncta cura de publica re et de privata fuit.1283 Die Erwähnung der Staatsschrift im Kontext ist nicht zufällig, denn Laelius nimmt in deren Vorgespräch kurz vor Beginn des Hauptteils die gleiche Funktion wie am Ende des Vorgesprächs von De re publica ein, indem er die Hoffnung formuliert, die eingetretene Spaltung überbrücken zu können.1284 Auch in De amicitia klingt so vor dem Übergang zum Kern der Schrift eine mögliche Synthese an, besteht, in einer recordatio anklingend, ein echtes Potenzial für die Überwindung der anfänglichen Analyse. Die zentrale Frage der Untersuchung lautet somit: Kann das feste Band der amicitia, auch für die Zukunft, wiederhergestellt werden und welche Elemente tragen dazu bei? In diesem Strukturschema fungiert amicitia selbst als Ausdruck der Synthese und entspricht somit im Vergleichsmodell De re publica dem Staat, der res publica. Ganz diesem analogen Aufbau parallel gezeichnet, wird danach, vor einer ausführlicheren Beleuchtung des Themas, die amicitia definiert und schon allein durch diese Stellung in die Nähe des Staates gerückt. Auch inhaltlich lässt sich eine Analogführung feststellen, wenn das Wesen der Freundschaft als voluntatum studiorum sententiarum summa consensio1285 und somit als Übereinkunft eingeführt wird. Wie in De re publica wird die Definition im Laufe des Werks mehrmals wiederholt und variiert und so Freundschaft etwa als omnium divinarum humanarumque rerum cum benivolentia et caritate consensio1286 oder omnium rerum

1280

Lael. 7. S. ebd., 8: Ego id respondeo quod animum adverti, te dolorem quem acceperis cum summi viri tum amicissumi morte, ferre moderate nec potuisse non commoveri nec fuisse id humanitatis tuae. 1282 S. ebd., 10–14. 1283 Ebd., 15. 1284 S. Kapitel 7.7.2 zu rep. 1,32. 1285 Lael. 15. 1286 Ebd., 20. 1281

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consiliorum voluntatum sine ulla exceptione communitas1287 beschrieben.1288 Entscheidender Teil der Bestimmung ist dabei immer die consensio oder communitas, womit amicitia definitiv als erwünschter Zustand der Synthese ausgewiesen wird.1289 Dass sie als tatsächlich realisierbar gedacht ist, zeigt die anschließende Formulierung: Quod amicitiae nostrae memoriam spero sempiternam fore.1290 Wo zuvor der Begriff recordatio den ersehnten Zustand der Verbundenheit nur implizit andeutete, wird hier die memoria explizit mit der Hoffnung auf einen ewigen Synthese-Zustand im Nachruhm verbunden.1291 Man darf festhalten: Der Ausgangszustand der Schrift über die Freundschaft lässt sich anhand von ähnlichen Strukturelementen wie in De re publica in das Denkprinzip Analyse–Synthese einordnen. Eine in der unmittelbaren Vergangenheit existente Synthese, eine Einheit der Freunde, wird durch das nachhaltig schädliche Wirken einer Einzelperson, namentlich Tiberius Gracchus, zerstört. Dieser von allen Gesprächsteilnehmern wahrgenommene Zustand der Analyse erklärt die oft in der Forschung konstatierte bedrohliche Atmosphäre zu Beginn beider Werke.1292 Doch schöpft Laelius am Ende der einleitenden Passagen der beiden Abhandlungen Hoffnung auf eine Überwindung der Spaltung, auf eine Überbrückung der Trennung in Staat respektive Freundschaft. Die Anfangskonstellation in De amicitia fungiert so letztlich als private Abwandlung der in der großen Staatsschrift festgestellten universellen Spaltung in Volk und Republik. Analyse und Synthese dienen in beiden Einleitungen als passgenaue terminologische Zuschreibungen für das Bestehen und Fehlen von Verbindungen im Großen wie im Kleinen.

1287

Lael. 61. Eine erste Definition der Freundschaft findet sich in inv. 2,166: Amicitia voluntas erga aliquem rerum bonarum illius ipsius causa, quem diligit, cum eius pari voluntate. Vgl. dazu etwa Spielvogel 1993, S. 8. S. in De re publica analog etwa rep. 1,39; 3,45 und 6,13 und s. Kapitel 7.2.2. 1289 Vgl. auch Zarecki 2014, S. 139 und zur Verwandtschaft mit De re publica ebd., S. 141 sowie Bellincioni 1970, S. 125–133, der die Bedeutung der consensio im Rahmen der Freundschaft betont. Powell 1990, S. 94 weist darauf hin, dass in der Philosophie oft die „idea that friendship is based on similarity“ zu finden ist. 1290 Lael. 15. 1291 Somit wird sicherlich auch auf die ciceronische Idee der wahren gloria verwiesen; s. dazu Kapitel 6.2.3 und Anm. 869. 1292 Vgl. etwa Leach 1993, S. 5–9. Ebd., S. 7 weist sie auf die Verbindung zum ganzen Staat hin: „Understanding that Cicero does not idealize the moment of the De Amicitia but rather contextualizes it within a progression of negative events sharpens our attention to these declinations. From an historical perspective one might see them linked with the decline of the republic.“ Pangle 2003, S. 107 spricht von „deep fractures in Roman society that underlay Sulpicius’s and Pompeius’s rupture and probably also Scipio’s death“. Vgl. auch ebd., S. 107 und Nicgorski 2008, S. 87. 1288

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Einheit durch Tugend: virtus als Element der Synthese Betrachtet man diese auffällig parallele Struktur, darf man annehmen, dass sich auch für De amicitia bestimmte Textelemente und ein hauptsächliches katalysatorisches Textelement als Bedingung für das Zustandekommen einer Synthese herausfiltern lassen. Die folgende kurze Untersuchung des Hauptteils wird diese Annahme bestätigen. Zunächst wird, ebenso wie in De re publica, die Verbindung der Freundschaft als eine der Natur gemäße dargestellt, welche sich aus dem in der Verbundenheit der Menschen ruhenden Potenzial, aus dem menschlichen Vereinigungstrieb, ergibt: Nihil est enim tam naturae aptum.1293 Weitergedacht wird dies kurz darauf: Sic enim mihi perspicere videor ita natos esse nos ut inter omnes esset societas quaedam, maior autem, ut quisque proxume accederet.1294 Jedoch ist eine natürliche, besonders enge Beziehung, wie sie hier etwa für Verwandte konstatiert wird, kein Garant für ein freundschaftliches Verhältnis. Wie schon in De re publica wirkt die Natur nämlich nur initiierend und birgt lediglich das Potenzial für eine als letztes Ziel zu verstehende Synthese; hinzutreten muss das menschliche Handeln, für das jeder Einzelne in freier Entscheidung verantwortlich ist, wie Laelius später selbst betont: In amicitia autem nihil fictum est, nihil simulatum et quidquid est, id est verum et voluntarium.1295 Konkreter herausgestellt wird diese notwendige Kombination von Natur und menschlichem Zutun an anderer Stelle:1296 Quanta autem vis amicitiae sit, ex hoc intellegi maxime potest quod ex infinita societate generis humani quam conciliavit ipsa natura, ita contracta res est et adducta in angustum, ut omnis caritas aut inter duos aut inter paucos iungeretur.

Die Abstufung zwischen universaler Menschengemeinschaft, die als kulturphilosophisches Synthese-Ideal immer im Hintergrund steht, und besonders enger Beziehung zwischen wenigen – eine stoisch inspirierte Einteilung1297 – spiegelt die Konfiguration der Dichotomie Elite–Masse in Ciceros kulturphilosophischen

1293

Lael. 17. Ebd., 19. S. u. a. auch ebd., 27, 32 und 50 und daneben für die soziale Verbundenheit aller Menschen fin. 3,63 sowie off. 1,11–13, 50–52 und 157f. Vgl. zudem dazu Pangle 2003, S. 106. S. zudem für De re publica zuvor Kapitel 7.2 und weiterhin Kapitel 8 und 9. 1295 Lael. 26. 1296 Ebd., 20. Ähnlich ist auch ebd., 32 zu verstehen: Sed quia natura mutari non potest, idcirco verae amicitiae sempiternae sunt. Natur und menschliches Handeln müssen zusammenwirken. S. dazu insgesamt für De re publica Kapitel 7.2.2. 1297 Vgl. Powell 1990, S. 87f. S. Kapitel 8 und auch 9. 1294

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Betrachtungen wider und zeigt, dass das Potenzial zu freundschaftlicher Verbindung durch korrektes Verhalten in jedem Menschen angelegt ist.1298 Idealerweise richten sich möglichst viele Menschen nach dieser ihrer Natur, in der Realität trifft dies nur auf wenige zu. So lässt sich auch die Tatsache erklären, dass Laelius selbst von verschiedenen Ausprägungen der Freundschaft spricht, die dem absoluten Ideal unterschiedlich nahekommen.1299 Sie sind dabei nicht als qualitativ unterschiedliche Konzepte von amicitia, sondern als verschieden starke Entwicklungen des einen Freundschaftsideals zu verstehen, wie es in De amicitia präsentiert wird. Unterschwellig präsentes Ziel von Ciceros sozialphilosophischem Ansatz ist natürlich, analog zum kulturphilosophischen Projekt, eine möglichst große Menge zu erreichen, um eine Gesundung des Zusammenlebens in einem geeinten römischen Staat zu erreichen.1300 Zwar ist zunächst eine Elite angesprochen, wobei ein eklatanter Mangel an vorbildlichen, dieser Elite zuzurechnenden Männern herrscht, die es wert sind, als Freunde gewählt zu werden: Sunt igitur firmi et stabiles et constantes eligendi; cuius generis est magna penuria.1301 Doch ist explizit auch die breite Masse für freundschaftliche Verbindungen empfänglich, wie das Beispiel der Volksversammlung zeigt, die die charakterliche Qualität eines Redners, und somit jedes potentiellen Freundes, wohl einschätzen kann.1302 Und so handelt es sich eben nicht um ein rein elitäres Programm, wie es etwa

1298

S. Kapitel 6.2.1, 6.2.3 und 6.3 zur Kulturphilosophie und für De re publica Kapitel 7.2.2. Fundament und notwendiges Element für die Aufhebung der Dichotomie ist die Philosophie in Theorie und Praxis. 1299 Die Frage nach verschiedenen im Werk präsentierten Graden von Freundschaft ist in der Forschungsliteratur ausführlich behandelt worden: vgl. etwa Pucci 1963, S. 357f.; Görler 1974, S. 48f. und 64; Powell 1995a, S. 37 und Powell 1990, S. 19, der festhält: „Cicero himself alternates between a more idealistic point of view, which recalls Stoic approaches to ethics, and sections of a more empirical nature, which may reflect Peripatetic models as well as Roman historical experience.“ Fürst 1997, S. 423–427 interpretiert De amicitia wegen dieser Binarität als akademisches Werk, das auf einer disputatio in utramque partem basiert und erkennt dabei eine ciceronische Präferenz für die ideale Form der Freundschaft. Heldmann 1976, S. 78 geht von drei Abstufungen aus und unterscheidet „(a) die Vorstellung einer vollkommenen Freundschaft der ohne Einschränkung vollkommen Guten und Weisen; Laelius weist sie zurück und setzt an ihre Stelle (b) das Ideal der wahren und eigentlichen Freundschaft unter Guten und Weisen, wie die römische Geschichte sie beispielhaft hervorgebracht hat; schließlich (c) die gewöhnlichen Freundschaften des täglichen Lebens“. S. zum Freundschaftsbegriff Ciceros auch Kapitel 7.3.1 und Anm. 1269. 1300 S. Kapitel 6. 1301 Lael. 62. 1302 S. ebd., 95 und s. für eine Parallele Brut. 183–200, wo Cicero mehrmals neu ansetzt, um zu erweisen, dass auch das Volk das Auftreten eines Redners richtig einordnen und bewerten kann – wie in Kapitel 5 dargestellt.

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Habinek verkürzt wahrnimmt,1303 sondern um ein extensives Modell,1304 das letztlich für alle realisierbar ist und sogar Standesschranken überwinden kann.1305 Die sich dabei wohl schon hauptsächlich aus philosophisch gebildeten Aristokraten rekrutierende Elite kann dabei natürlich als initiatives charakterliches Vorbild dienen: Sed eadem bonitas etiam ad multitudinem pertinet.1306 Das sich in der Dichotomie Elite–Masse niederschlagende Denkmuster gestaltet sich somit ähnlich wie in den Tusculanae disputationes.1307 Ausgehend von Wenigen kann das Konzept wahrer Freundschaft auch der ganzen Volksmenge nahegebracht werden. Was nun ist die Grundlage der geforderten charakterlichen Qualität, durch die sich die Elite auszeichnet? Was ist das strukturelle Element, das in der Theorie die Synthese einer amicitia befördert und in der Praxis im Typus des idealen Freundes wirksam ist, der auf der hier betrachteten privaten Ebene dem idealen Staatsmann entspricht? Bald nach der ersten Definition findet sich ein erster Hinweis: Sed hoc primum sentio nisi in bonis amicitiam esse non posse.1308 Entscheidend für das Zustandekommen einer Freundschaft ist demnach, wie bereits angedeutet,1309 die charakterliche bonitas der Beteiligten. Nur so kann gegenseitige Zuneigung wirklich zu einem Verhältnis der Synthese werden, welches es wert ist, als amicitia bezeichnet zu werden. Auch hierbei wird die utilitas als Ursache strikt abgelehnt und nur als positive Begleiterscheinung eingestuft.1310 Der zentrale Begriff, das Element, auf das sich die charakterliche Eignung und alle mit ihr verbundenen

1303

Habinek 1990, S. 182 liest De amicitia explizit politisch und erkennt in erster Linie aristokratische Interessen: „In a general sense, the insistence that amici must share the same values and hold one another to them is an attempt to enhance the solidarity of the ruling elite.“ Ziel sei eine „revitalization of the aristocracy per se“. 1304 Vgl. Nicgorski 2008, S. 97: Cicero „[is] interested in bringing forward a flexible and potentially extensive model of friendship“. Für Cicero ist dabei die Realisierbarkeit maßgeblich und so erkennt Nicgorski ebd. darin eine Parallele zur Ablehnung von Platons Idealstaat in De re publica. 1305 S. Lael. 69: Maximum est in amicitia parem esse inferiori. S. auch off. 2,30f. 1306 Lael. 50. 1307 S. Kapitel 6.2.3. 1308 Lael. 18. S. ähnlich auch ebd., 65 und 74. 1309 S. vorher zu ebd., 50. 1310 S. etwa ebd., 27, 30, 51 oder 100. Hutter 1978, S. 154f. betont, dass durch virtus geschlossene Freundschaften von auf Nützlichkeitserwägungen gründenden Bekanntschaften abgegrenzt werden; vgl. auch Narducci 1989, S. 97–102. S. Kapitel 7.2.2 und weiterführend Anm. 1106 für die Behandlung von utile und honestum in De re publica, De legibus und De officiis.

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Begriffe1311 letztlich zurückführen lassen, ist aber vielmehr virtus, weil sie Freundschaften initiiert und erhalten kann: Virtus amicitiam et gignit et continet nec sine virtute amicitia esse ullo pacto potest.1312 Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich kommt damit dem Begriff virtus die gleiche Funktion zu wie der iustitia in De re publica, von der es im zweiten Buch der Staatsschrift in nahezu gleichem Wortlaut hieß: Eaque sine iustitia nullo pacto potest esse.1313 Wie die Gerechtigkeit, so ist auch die Tugend nicht nur systematisch-formal zu verstehen, sondern auch ganz praktisch an Einzelpersonen gebunden, wie die direkt anschließenden Ausführungen zeigen, wo explizit die consuetudo vitae sermonisque als Maßstab für die Ausdeutung der virtus festgeschrieben wird und Männer wie Cato und Scipio als tugendhafte Vorbilder bezeichnet werden.1314 Der semantische Gehalt speist sich dabei aus einem weiten Bedeutungsrahmen, wie Powell treffend feststellt: Virtus ist hier relativ abstrakt, in einem sehr weiten Sinne zu verstehen.1315 Eine herausgehobene Rolle spielt dabei die beneficentia, die im Bereich der Freundschaft eine besonders relevante Ausformung der Tugend darstellt und eng mit der Gerechtigkeit verbunden ist, wie Cicero in De officiis herausstellt, wenn er schreibt, dass sich die ratio qua societas hominum inter ipsos et vitae quasi communitas continetur1316 aus Gerechtigkeit und der ihr verwandten Wohltätigkeit zusammensetzt, aus iustitia in qua virtutis splendor est maximus ex qua viri boni nominantur et huic coniuncta beneficentia quam eandem vel benignitatem vel liberalitatem appellari licet.1317 Auch als benevolentia tritt der Vorzug des Wohlwollens und der Wohltätigkeit in De amicitia auf und wird als wichtige Voraus1311

S. etwa Lael. 19, wo einige Zuschreibungen für bonitas aufgeführt werden: Ita vivunt ut eorum probetur fides integritas aequitas liberalitas, nec sit in eis ulla cupiditas libido audacia, sintque magna constantia ut ii fuerunt, modo quos nominavi, hos viros bonos ut habiti sunt sic etiam appellandos putemus. S. für weitere mit bonitas assoziierte Begriffe beispielsweise Lael. 65 oder 92 und vgl. für aufgeführte Qualitäten wie constantia, fides und veritas Fiore 1997, S. 62. 1312 Lael. 20. Vgl. dazu u. a. Steinberger 1955, S. 77; Pucci 1963, S. 345 und 347; Mančal 1982, S. 106f. sowie Heil 2005, S. 112 und 121. Vgl. auch Gotter 1996a, S. 349 für die hier angedeutete „Verschmelzung von virtus, amicitia und concordia“; vgl. zudem ebd., S. 353. S. zudem off. 1,20 für den Zusammenhang von virtus und bonitas. 1313 Rep. 2,69. S. dazu Kapitel 7.2.2. 1314 S. Lael. 21: Iam virtutem ex consuetudine vitae sermonisque nostri interpretemur nec eam ut quidam docti verborum magnificentia metiamur virosque bonos eos qui habentur, numeremus, Paulos Catones Galos Scipiones Philos. Die Polemik richtet sich dabei nicht gegen alle Philosophen, sondern in Anlehnung an die Gedanken des ersten Proöms von De re publica – s. dazu Kapitel 7.2.4 – nur gegen jene, die sich einseitig den Worten und damit der Theorie verschrieben haben. 1315 Vgl. Powell 1990, S. 90: Virtus „should be understood in the widest possible sense“. Als Strukturelement überwiegt die funktionale Bedeutung für den systematischen wie persönlichen Bereich. 1316 Off. 1,20. 1317 Ebd.

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setzung einer Freundschaft ausgewiesen: Sublata enim benivolentia amicitiae nomen tollitur, propinquitatis manet.1318 Neben Gerechtigkeit, dem zentralen Textelement von De re publica, kommt so auch der für Freundschaft besonders wichtigen konkreten Tugend der beneficentia eine entscheidende Rolle für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu.1319 Ebenfalls analog zu Ciceros Staatswerk werden die Folgen beschrieben, sollte das tragende Strukturelement der virtus fehlen: Nam cum conciliatrix amicitiae virtutis opinio fuerit, difficile est amicitiam manere, si a virtute defeceris.1320 Schwindet bei einem der beiden Partner die tugendhafte Einstellung, bricht die Freundschaft auseinander, setzt ein analytischer Prozess ein. Wieder zeigt sich dabei, dass das Individuum aus eigener Kraft handelt und sich sowohl für als auch gegen die virtus entscheiden kann. Für diesbezügliche Verfehlungen nennt Laelius im Laufe des Werks einige Beispiele, prominent etwa kompetitives Ruhmstreben, für das gerade die Besten anfällig seien.1321 Bedenkt man den ähnlichen argumentativen Hintergrund in den Proömien der Tusculanae disputationes,1322 erkennt man die Anspielungen auf die korrumpierte Gegenwart unter Cäsar und in den Wirren nach seiner Ermordung1323 und so, dass an dieser Stelle ebenfalls eine beklagenswerte gesamtgesellschaftliche Spaltung im Hintergrund steht, welche auch in privaten Trennungen1324 ihren Niederschlag findet. Kesler bemerkt demnach richtig, dass die Ursachen für die Auflösung von Freundschaften dieselben

1318

Lael. 19. S. auch ebd., 23: Quodsi exemeris ex rerum natura benivolentiae coniunctionem, nec domus ulla nec urbs stare poterit, ne agri quidem cultus permanebit. S. zudem beispielsweise auch ebd., 26, 50 oder 82. 1319 Vgl. auch Fiore 1997, S. 68: „Cicero could maintain […] that justitia and beneficentia hold societas together.“ Vgl. zudem Atkins 1990, S. 263–266 und Nussbaum 2000, S. 181. 1320 Lael. 37. Das stets drohende Potenzial einer Analyse wird schon zuvor ebd., 23 angedeutet: Quae enim domus tam stabilis, quae tam firma civitas est quae non odiis et discidiis funditus possit everti? Oft hören die Menschen eben nicht auf ihre Natur und ignorieren Mahnungen, wie ebd., 88 deutlich macht: Sed cum tot signis eadem natura declaret quid velit anquirat desideret, tamen obsurdescimus nescio quo modo nec ea quae ab ea monemur, audimus. Demgegenüber entspricht tugendhaftes Verhalten, aus dem Freundschaft folgt, nach Nicgorski 2008, S. 102 einem „right reading of nature“; s. auch Anm. 1296. S. für De re publica zahlreiche Passagen in Kapitel 7.2.2. 1321 S. Lael. 34: Pestem enim nullam maiorem esse amicitiis quam in plerisque pecuniae cupiditatem, in optimis quibusque honoris certamen et gloriae; ex quo inimicitias maximas saepe inter amicissimos exstitisse. S. auch off. 1,26 und vgl. dazu Long 1995b, S. 225. 1322 S. hierzu das dritte Proömium der Tusculanae disputationes und dazu Kapitel 6.2.2 und 6.2.3. 1323 Nicgorski 2008, S. 105 spricht von „forms of servile clientelism, bitter factionalism, and outright conspiracies for power and control“. Vgl. auch Heil 2005, S. 120f. 1324 S. etwa das Beispiel von Sulpicius und Pompeius in Kapitel 7.3.1.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

sind wie jene für die Spaltung von Staaten.1325 Für die Gegenwart des Dialogs wird, in auffälliger Parallele zu De re publica, Tiberius Gracchus als Prototyp des Freundschafts-Spalters vorgestellt,1326 der als analytisches Element auch konkret für die initiale Trennung der idealen Freundschaft zwischen Laelius und Scipio verantwortlich gemacht wird. Es wird deutlich: Wenn zwei Menschen sich nicht einig in der Bejahung der virtus sind, kann keine wirkliche Freundschaft entstehen; wenn sich also einer von beiden von der virtus entfernt, diese Übereinkunft in der Tugend aufgibt, wenn sich keine Stabilität einstellt,1327 kommt es zur Analyse. Noch expliziter wird die Einheit-Zweiheit-Konzeption mit Tugend als synthetisierendem Element an späterer Stelle im Hauptteil. Virtus wird dabei als Element präsentiert, das auf beiden Seiten vorhanden sein muss, zumal immer zwei Menschen beteiligt sind: Quoniam solitaria non posset virtus ad ea quae summa sunt, pervenire, coniuncta et consociata cum altera perveniret.1328 Auf diese Weise kann im praktischen tugendhaften Handeln eine als Synthese gedachte soziale Verbindung entstehen,1329 die schließlich auch das Glück der Beteiligten verbürgt.1330 Als höchstes Ideal einer solchen Synthese ist, vorbereitet durch den Begriff eines exemplar sui,1331 das völlige Einswerden der Vorstellungen zweier Menschen zu verstehen, wenn der Freund zum eigenen alter ego wird: Verus amicus […] est enim is qui est tamquam alter idem.1332 Das dem Menschen von Natur aus eigene und seiner Natur ange1325

Vgl. Kesler 1985, S. 195: „The causes of the dissolution of friendships are therefore also causes of the dissolution of regimes.“ Etwas weit geht er, wenn er ebd. amicitia in diesem Kontext als dezidiert politischen Begriff interpretiert. 1326 S. Kapitel 7.3.1 und Lael. 37 und 40f. und für De re publica initial Kapitel 7.2.1. Vgl. dazu Gotter 1996a, S. 349f. und Heil 2005, S. 120, der Tiberius Gracchus als Machtpolitiker beschreibt, welcher Freundschaft als „Austausch von Dienstleistungen“ versteht und nicht auf virtus gründet. Vgl. ebenso Fiore 1997, S. 62: „[T]rue friendship, based on natural love, benevolence and probity, thus outlasts a friendship based on the exchange of goods, which passes when the goods are exchanged.“ S. auch Anm. 1262. 1327 Vgl. Leach 1993, S. 12–20 zur Bedeutung von Beständigkeit, Stabilität und Konstanz für Freundschaften. Er schreibt ebd., S. 12: „[I]t is dissimilitudines caused by dispares mores or disparia studia which dissolve friendships.“ 1328 Lael. 83. Vgl. auch Hutter 1978, S. 162: „In friendship […] virtue must be present in every member encompassed in the relationship.“ 1329 Vgl. dazu Giebel 2014/15, S. 124, Anm. 34: „Da die Tugend sich im sozialen Handeln verwirklicht, braucht sie die Gemeinschaft.“ 1330 S. Lael. 84 zur beata vita: Quod cum optumum maxumumque sit, si id volumus adipisci, virtuti opera danda est, sine qua nec amicitiam neque ullam rem expetendam consequi possumus. Wie in De re publica – s. rep. 1,32 und 58 und Kapitel 7.2.1 – wird der Zustand der Analyse mit dem Glück der Bürger verbunden. 1331 S. Lael. 23: Amicum qui intuetur, tamquam exemplar aliquod intuetur sui. Vgl. dazu Derrida 1994, S. 19–21 und Miller 2015, S. 188 und s. Kapitel 2.4 und Anm. 158. 1332 Lael. 80. Vgl. dazu Fiore 1997, S. 68: „In the end close, personal friendship issues into a unity of views and feelings.“ Vgl. zudem Mančal 1982, S. 109: Wesentlich für den

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messene Streben nach Einheit wird besonders im Vergleich mit dem Tierreich deutlich: Quanto id magis in homine fit natura! qui et se ipse diligit et alterum anquirit, cuius animum ita cum suo misceat ut efficiat paene unum ex duobus.1333 Als völlig verwirklichte Synthese darf somit eine Freundschaft gelten, die auf der Basis der virtus aus zwei Individuen wahrlich eine lebendige Einheit herzustellen vermag.1334 Es ist diese Idee des anderen als exemplar sui und alter ego, die den Ausgleich von Gegensätzen in der Freundschaft bewirkt – und die Derrida zu seinen poststrukturalistischen Überlegungen zur Freundschaft inspiriert hat: Quocirca et absentes adsunt et egentes abundant et inbecilli valent et quod difficilius dictu est mortui vivunt.1335 Im Gegensatz zu beispielsweise De re publica ist hier das Scheitern, wie es oben angedeutet wurde, explizit berücksichtigt, vielleicht aus der politischen Erfahrung der Jahre zwischen der Veröffentlichung beider Werke. So finden sich konkrete Handlungsanweisungen für die Beendigung einer Freundschaft, sollte man ein Schwinden der virtus bei einem Freund feststellen und sollten seine vitia hervortreten.1336 Die Empfehlung eines solchen sanften Analyse-Prozesses resultiert aus der Güterabwägung heraus, dass eine deutlich striktere und problematischere Spaltung aus einem unüberlegten Fortführen der Freundschaft erwachsen könnte, weswegen folgerichtig im Anschluss vor entstehenden Feindschaften gewarnt wird: Cavendum erit ne non solum amicitiae depositae, sed etiam inimicitiae susceptae videantur.1337 Indem er diese letzten Gedanken verbindet, warnt Laelius

Einzelnen ist die „Überwindung seiner eigenen Negativität, seiner Einzelheit“. S. für den Gedanken auch off. 1,56 und vgl. Powell 1990, S. 115. Vgl. für die Grundlegung des intersubjektiven alter ego-Gedankens bei Aristoteles Keul 2004. S. für die strukturalistische Bedeutung das Folgende. 1333 Lael. 81. 1334 Vgl. Leach 1993, S. 13. Auf die zu beobachtende aristotelische Gedankenwelt weist Powell 1990, S. 91 hin. S. auch Lael. 92 und vgl. Powell 1990, S. 113. Vgl. zu stoischen Aspekten Reydams-Schils 2002, S. 239f. 1335 Lael. 23. Vgl. Derrida 1994, S. 189, der Ciceros Freundschaftsmodell als „à la fois original et type reproductible, le visage et son miroir, l’un et l’autre“ charakterisiert. Vgl. dazu erläuternd auch Miller 2015, S. 187 und s. Kapitel 2.4 und Anm. 158. Vgl. weiterhin Altman 2016, S. 218f. 1336 S. v. a. Lael. 76. Ähnliches findet sich auch in off. 3,43f. 1337 Lael. 77. Historisch-konkret deutet Takahata 2004, S. 184 die Porträtierung von Freundschaften und Feindschaften und zieht dabei Cato de senectute als Vergleich heran: Es „redet in De amicitia Laelius zwar allein, aber er behandelt das Thema der Freundschaft nicht als etwas absolut Gutes, wie das Thema der senectus behandelt worden ist, sondern eher in skeptischer Weise. Daher kommen […] die beiden Themen der guten und schlechten Freundschaft abwechselnd zur Sprache. De senectute bezweckt, die Alten zu würdigen, während De amicitia bezweckt, die gegenwärtigen Freundschaften zu kritisieren.“ Vgl. zur inimicitia auch Rollinger 2014, S. 122–132.

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nun folgerichtig vor Heuchelei und Unaufrichtigkeit, die prinzipiell auf Synthese ausgerichtete soziale Verbindung zwischen zwei Menschen nochmals unterstreichend:1338 Nam cum amicitiae vis sit in eo ut unus quasi animus fiat ex pluribus, qui id fieri poterit, si ne in uno quidem quoque unus animus erit idemque semper, sed varius commutabilis multiplex?

Im Hauptteil von De amicitia wird, so darf man zusammenfassen, eine stringente Denkbewegung vorgestellt, die mit jener in De re publica zu vergleichen ist. Menschen ist von Natur aus der Drang zur Bildung von Verbindungen eigen, für deren Zustandekommen sie sich daneben aktiv einsetzen müssen. Wie die res publica durch die Ausrichtung von Individuen auf die konkrete Tugend iustitia als Synthese am Ende einer linearen Denkstruktur hervortritt,1339 so tut dies eine amicitia zwischen zwei Einzelpersonen, wenn diese ihr Leben an der virtus orientieren. Entsprechend fällt die Warnung vor einer Analyse aus, die einsetzt, wenn sich der Einzelne – als historisches Negativbeispiel dient hier wie da Tiberius Gracchus – von tugendhaftem Verhalten abwendet. Auf diese Grundgedanken des Werks kommt Laelius abschließend nochmals zu sprechen: Ad illa prima redeamus eaque ipsa concludamus aliquando.1340 Die Untersuchung folgt dieser Vorgabe. Hoffnung auf Synthese am Schluss des Werks Die letzten Gedanken des Werks werden emphatisch mit einem wiederholten Ausruf des zentralen Textelements – virtus, virtus – eingeleitet, gefolgt von der strukturprägenden Funktionsbeschreibung dieses Elements, wie es bereits am Anfang vorgestellt wurde:1341 Virtus, virtus, inquam, C. Fanni et tu Q. Muci et conciliat amicitias et conservat. In ea est enim convenientia rerum, in ea stabilitas, in ea constantia; quae cum se extulit et ostendit suum lumen et idem aspexit adgnovitque in alio, ad id se admovet vicissimque accipit illud quod in altero est; ex quo exardescit sive amor sive amicitia.

Die so entstandene Ringkomposition1342 unterstreicht gemeinsam mit der pathetischen Einkleidung – neben der markanten Repetitio fällt darunter Vokabular wie 1338

Lael. 92. S. dazu zusammenfassend Kapitel 7.2.5. 1340 Lael. 100. 1341 Ebd. 1342 Vgl. Powell 1990, S. 118 und Fürst 1997, S. 426. 1339

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lumen und exardescit – ganz analog dem Zweck der Gerechtigkeit in Ciceros Staatswerk die Bedeutung der Tugend für Zustandekommen und Wahrung von Freundschaften. Als ideal gedachte Vollendung dieser Synthese-Bewegung gilt ein derart inniger gegenseitiger Austausch zwischen zwei Freunden, dass schließlich aus zwei Individuen eine einheitliche innige Verbindung entsteht, Eines aus zwei Elementen wird. Wie stellt sich nun, davon ausgehend, der analytische Zustand der Ausgangssituation dar? Zunächst wird sie aufgegriffen und noch weiter ins Essentielle gewendet: Sed quoniam res humanae fragiles caducaeque sunt, semper aliqui anquirendi sunt quos diligamus et a quibus diligamur; caritate enim benevolentiaque sublata omnis est e vita sublata iucunditas.1343 Doch fehlt Laelius eine solche Zuneigung gerade nicht, kann doch eine durch virtus installierte ideale Freundschaft wie zwischen ihm und Scipio sogar zeitliche Schranken überwinden: Mihi quidem Scipio quamquam est subito ereptus, vivit tamen semperque vivet; virtutem enim amavi illius viri, quae exstincta non est.1344 Zuvor bereits kurz angedeutet,1345 hebt sich auf diese Weise die Spaltung zu Beginn der Schrift in einer Synthese der beiden Pole Vergangenheit und Gegenwart auf, wird die Überbrückung der räumlichen Ferne durch das aktive Erinnern sogar noch befördert: Sed nec illa extincta sunt alunturque potius et augentur cogitatione et memoria mea.1346 Auch hierbei kann man in De re publica gefestigte Denkmuster erkennen: Auf einer höheren, Zeit und Raum verbindenden Ebene ist es die geistige Tätigkeit – man denke an die Funktion der menschlichen mens in der Staatsschrift1347 –, welche die Synthese initiiert. Das bewusste Erinnern verbindet Vergangenheit und Gegenwart auf der Metaebene; virtus stellt das Element dar, das auf der untergeordneten Ebene und in Alltag sowie Praxis Freundschaften

1343

Lael. 102. Ebd. Vgl. dazu auch Miller 2015, S. 188, Derrida und Cicero parallelisierend: „Friendships are […] for both Cicero and Derrida unique private experiences grounded in an aspiration to the universal, and hence they are at once moments of great political peril (Blossius and Gracchus) and promise (Scipio and Laelius).“ 1345 S. Lael. 23. 1346 Ebd., 104. Vgl. auch Nicgorski 2008, S. 99, der betont, dass Freundschaft bei Cicero horizontal wie vertikal gedacht wird, also „throughout the world community“, dabei „esteemed ancestors“ einschließend. Vgl. auch ebd., S. 104: Es gebe „personal links from present horizontal circles of friends to those exemplars of the past“. S. dazu auch Cato 82 und für die Bedeutung der memoria zudem Brut. 9–14 und vgl. dazu auch Gowing 2000 und speziell ebd., S. 59. 1347 S. v. a. Kapitel 7.2.3. 1344

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entstehen und bestehen lässt.1348 Die Freundschaft existiert so nicht nur in der Erinnerung, sondern lebt in Wirklichkeit als unvergängliche Verbindung weiter.1349 Und so endet das Werk hoffnungsvoll-positiv, wird die zentrale Aussage der Schrift in aufforderndem Ton dauerhaft festgehalten: Haec habui de amicitia quae dicerem. Vos autem hortor ut ita virtutem locetis, sine qua amicitia esse non potest, ut ea excepta nihil amicitia praestabilius putetis.1350 Die Ermunterung gilt dabei auch in De amicitia jedem Einzelnen, der bereit ist, tugendgeleitete Freundschaften aufzubauen. Wie der ideale Staatsmann sich in Theorie und Praxis an der konkreten Tugend der iustitia orientieren soll, um die staatliche Ordnung zu etablieren und zu konservieren, so soll sich der ideale Freund in der Lebenswirklichkeit ganz allgemein an die Tugend halten, auf dass so in die Wege geleitete Freundschaften der Hoffnung für eine Gesundung des Staates Auftrieb verleihen.1351 Dieser sozialphilosophische Ansatz, der sowohl De re publica als auch De amicitia umspannt, kann nun als Abschluss des Gesamtkapitels skizziert werden. 1348

So zeigt sich auch, dass Nicgorski 2008, S. 102 recht hat, wenn er, selbst mit der Feststellung in Lael. 86, dass manche die Tugend geringschätzten und unter die Freundschaft stellten, anmerkt, dass in De amicitia unmissverständlich amicitia auf virtus folgt und nicht umgekehrt: „Though Laelius explicitly acknowledges that there are those who put friendship even ahead of virtue in seeking happiness, his determination of precedence between the elements is decidedly the opposite. Friendship is to follow goodness.“ Vgl. dagegen z. B. Pangle 2003, S. 117–121, der, von Lael. 83 ausgehend, einen Widerspruch in der Bewertung von amicitia und virtus ausmacht: Es sei fraglich, ob es Freundschaft sei, die Tugend ermögliche oder Tugend, die Freundschaft ausdrücke und erhalte. Eventuell kann man von einem reziproken Verhältnis ausgehen, die basale Strukturlinie aber zeichnet eine Entwicklung von der Analyse über die Tugend zur Synthese in der Freundschaft. 1349 Auch Derrida 1994, S. 266 hat diese Universalität der Oppositionsaufhebung erkannt. Miller 2015, S. 184 definiert von Derridas Überlegungen ausgehend den Freund als „a second self who crosses the categories of being“ und stellt ebd., S. 187 unter der Perspektive der exemplar-Logik für die in De amicitia auftretenden Charaktere fest: „Those characters […] exercise a reflective and exemplary function for the reader that like the friend bears a transverse relation to the most basic ontological categories of presence versus absence, living versus dead, that structure our existence. That is to say that, rather than falling squarely within those categories, the logic of the exemplar cuts across them, denying their mutual exclusivity and opening new possibilities of thought and existence.“ Freundschaft selbst erwächst, so ebd., S. 195 als „moment of universal singularity“. Auch Büchner 1952, S. 90 hebt die Universalität der Freundschaft hervor. S. zum Universalismus bei Cicero weiterführend Kapitel 8 und 9. 1350 Lael. 104. 1351 Dass auch dies auf eine probabilistische Grundüberzeugung – s. näher Kapitel 4 – im Laelius zurückgeht, zeigt Neuhausen 1981, S. 105–107. Vgl. für die politischen Implikationen des Werks etwa Narducci 1989, S. 79–84. Vgl. darüber hinaus Miller 2015, S. 189, der mit Derrida Freundschaft, Philosophie und Politik zusammendenkt und „the promise of a future that is at once radically particular (rooted in the affections of the past) and open to all and hence universalizable – a politics of friendship“ herausstellt.

Ciceros Sozialphilosophie

7.4

297

Resümee: Ciceros Sozialphilosophie – Tugend im Geiste

Analyse und Synthese erweisen sich auch im großen Bereich der ciceronischen Sozialphilosophie als geeigneter Untersuchungsrahmen wie auch prägendes Denkmuster in der Anlage der Texte und erlauben einen fokussierten Blick auf Ciceros sozialphilosophische Vorstellungen, welche unter dieser strukturalistischen Perspektive als kohärentes Projekt hervortreten. Dafür sollen die Ergebnisse des Kapitels im Folgenden zusammengeführt werden. Gedanklicher Startpunkt ist für beide Werke, De re publica und De amicitia, der desolate Zustand des römischen Gemeinwesens, dessen Verfallsprozess mit den Ereignissen vor der Jahrhundertwende eingesetzt hat und in dessen Folge eine umfassende Analyse zu beobachten ist. Innerhalb derselben Figurenkonstellation wird zunächst ein Auseinanderfallen von Volk und Staat, dann auch eine durch den gewaltsamen Tod Scipios erzwungene Trennung im privaten Bereich beklagt. Beide Auswirkungen sind aufeinander zu beziehen und dürfen als Ausdruck der omnipräsenten und allumfassend empfundenen Spaltung gedeutet werden.1352 Für beide Bereiche jedoch gibt es einen ähnlich gearteten Ausweg, bestehend aus einem hinzutretenden Strukturelement, das den Konnex zwischen einer zu Beginn der Werke aufgespannten Analyse und einer am Ende beider Schriften idealiter beschriebenen Synthese leisten kann. Für den perfekten Staat ist dies iustitia, für die ideale Freundschaftsbeziehung die virtus,1353 womit für die Freundschaft ein noch allgemeinerer und abstrakterer Strukturfokus impliziert wird. Nicht mehr eine konkrete Ausprägung der Tugend, sondern Tugend selbst in all ihren Formen

1352

Oft sind es außerhalb der Gemeinschaft stehende Individuen, die sich nicht nach den Vorgaben von Freundschaft und Gerechtigkeit richten und so analytische Prozesse in Gang setzen, wie auch Wright 1995, S. 192 feststellt: „Those who are outside the community are those who deliberately reject the ties of justice, friendship, and humanity.“ 1353 Vgl. dazu Nicgorski 2008, S. 107, Anm. 16. Er stellt ebd., S. 89 fest: „Laelius is in fact specifically praised for maintaining friendship marked by justice.“ Vgl. zudem Höffe 2017, S. 88. Nach Derrida 1994, S. 308 erfolgt die Anbindung von Tugend und Gerechtigkeit an den „ami-frère“ zu allen Zeiten, von Platon bis Montaigne, von Aristoteles bis Kant und von Cicero bis Hegel. S. zum Zusammenhang auch fin. 3,70: Etenim nec iustitia nec amicitia esse omnino poterunt, nisi ipsae per se expetuntur. In off. 1,55f. wird ein spezifischer Konnex zwischen Freundschaft und der Tugend der Gerechtigkeit nahegelegt: Illud enim honestum quod saepe dicimus etiam si in alio cernimus tamen nos movet atque illi in quo id inesse videtur amicos facit. Et quamquam omnis virtus nos ad se allicit facitque ut eos diligamus in quibus ipsa inesse videatur tamen iustitia et liberalitas id maxime efficit. S. auch ac. 1,23 für eine Verbindung von amicitia, iustitia und aequitas und vgl. dazu Takahata 2004, S. 68.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

und Verwirklichungen gilt als Mittel zur Heilung der Gemeinschaft,1354 wobei beispielhaft beneficentia oder benevolentia als spezielle Ausformungen der virtus herausgestrichen werden. Einher gehen somit beim Vergleich beider Werke für De amicitia eine Weitung des Betrachtungsgegenstands – jeder Einzelne in seinen Beziehungen zu anderen Menschen – und eine semantische Verallgemeinerung des rettenden Elements – virtus statt der konkreten iustitia – mit einer Verengung und Konkretisierung des theoretischen Rahmens – die prinzipielle Anlage spart abstrakte politische Theorie, zumal in ihrer ständigen Verweisung auf eine kosmische Kontrastfolie, aus. Der Fokus verschiebt sich somit von den großen staatlichen Fragen und ihrer Spiegelung an kosmisch-ewigen Zusammenhängen hin zu privaten Gespannen, wie sie konstitutiv für den römischen Staat als solchen sind. Mögen nun Ciceros persönliche Erfahrungen des Scheiterns in den Wirren der großen Politik oder die empfundene theoretische Notwendigkeit für eine komplementäre Vervollständigung seines sozialphilosophischen Ansatzes ausschlaggebend für den so beschriebenen Wechsel des Bezugspunktes gewesen sein – beide Blickwinkel können und sollen sich ergänzen. In De re publica entwickelt Cicero eine umfassende politische Theorie, die auf die Herstellung und Erhaltung der römischen Republik als staatliche Einheit verschiedener Akteure ausgerichtet ist. In De amicitia betrachtet er innerhalb dieses staatlichen Rahmens einzelne kleine Einheiten und fragt danach, wie diese entstehen und bewahrt werden können. Wie aber die politischen Wirren direkte Auswirkungen auf private Freundschaften haben können, wie es der Vorfall um Sulpicius und Pompeius oder die Ermordung Scipios verkörpern, so – ein für ciceronische Philosophie essentieller Gedanke – kann man von der Synthese im Kleinen in direkter Linie zur übergreifenden staatlichen Einheit gelangen. Zwar bezieht sich De amicitia zunächst auf die privaten gesellschaftlichen Verbindungen, diese sind jedoch durchaus als Keimzellen einer weiter gedachten sozialen Verknüpfung im Sinne einer Einheit im Staat zu verstehen. Mithilfe der Tugend als Katalysator ergeben sich etwa verbindende Sympathien zwischen Fremden,1355 zu Ende gedacht sogar allen Menschen. Im Sinne einer Auflösung der Dichotomie Elite–Masse kommt eine solche tugendhafte Haltung herausragender Menschen, die ihr Handeln an der natürlichen Zuneigung anderen gegenüber ausrichten, letztlich auch der Volksmenge zugute:1356

1354

S. für die vereinigende Kraft von virtus und iustitia auch off. 2,17 und vgl. dazu Long 1995b, S. 228. 1355 S. Lael. 28: Nihil est enim virtute amabilius, nihil quod magis adliciat ad diligendum quippe cum propter virtutem et probitatem etiam eos quos numquam vidimus, quodam modo diligamus. 1356 Ebd., 50.

Ciceros Sozialphilosophie

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Non enim est inhumana virtus neque inmunis neque superba, quae etiam populos universos tueri eisque optume consulere soleat; quod non faceret profecto, si a caritate vulgi abhorreret.

Freundschaft als synthetischer Status wirkt somit selbst wieder synthetisch auf größere Gruppen und greift so indirekt auf die übergeordnete Sphäre des Staates über, um die Spaltung im Volk aufheben, die verderbte Gegenwart heilen und die durch Einzelne ausgelösten analytischen Tendenzen aufhalten zu können.1357 Auf diese Weise kann amicitia in Hinblick auf eine umfassende Gemeinschaft letztlich den ganzen Staat, sogar die ganze Welt im Sinne der gewünschten republikanischen Einheit prägen und formen: Quae in rerum natura totoque mundo constarent quaeque moverentur, ea contrahere amicitiam, dissipare discordiam.1358 Fehlen das strukturell notwendige Element virtus und sie ins Werk setzende Individuen, greift discordia um sich und lässt Bündnisse, Verträge, Abkommen und Vereinbarungen brechen.1359 Dieses Strukturmodell wird zudem im fünften Buch von De finibus bonorum et malorum kosmologisch ausgeweitet, wenn Gerechtigkeit und Freundschaft von Piso in einen übergeordneten natürlichen Zusammenhang eingeordnet werden:1360 1357

Vgl. Brüllmann 2017, S. 94, der die „Gefährdung des Staates durch das Fehlverhalten einzelner“ als „ein Leitmotiv in Ciceros politischem Denken“ erkennt; s. zur Bedeutung des Individuums auch Anm. 724 und die Verweise dort. Drijepondt 1963, S. 79 bemerkt darüber hinaus richtig: „Die richtige Art der amicitia mit ihrem Geist der Zusammenarbeit zum Heil der res publica würde auch Tyrannis vorbeugen.“ 1358 Lael. 24. Vgl. auch Arena 2007, S. 63: „The libera res publica of old is now in decay, and Cicero seems to see the remedy as the cultivation of virtue on the part of all its citizens. All members of the community must learn to act virtuously, willingly fulfilling their civic responsibilities according to their place in society.“ S. für weitere Überlegungen zu dieser Gedankenlinie mit Blick auf einen Universalismus Kapitel 8 und 9. 1359 Sicherlich kann man hier Parallelen zu Empedokles’ Konzeption von φιλίᾳ und νεῖκος ziehen; vgl. zu Empedokles’ Gegensatzpaar etwa O’Brien 2005, S. 326f. Empedokles erscheint damit als weiterer frühgriechischer Denker, der die Dynamik einer Opposition als grundlegendes Strukturprinzip annimmt; s. für Heraklits Oppositionsdenken Kapitel 2.3.3 und Anm. 107. 1360 Fin. 5,65. Vgl. zur Stelle und zur auffälligen Nähe von Freundschaft und Gerechtigkeit etwa Mingay 1973, S. 263. S. ähnlich auch ac. 1,21: Iam virtus in animi bonis et in corporis cernitur et in quibusdam quae non tam naturae quam beatae vitae adiuncta sunt. Hominem enim esse censebant quasi partem quandam civitatis et universi generis humani, eumque esse coniunctum cum hominibus humana quadam societate. S. auch fin. 3,73: Atque etiam ad iustitiam colendam, ad tuendas amicitias et reliquas caritates quid natura valeat, haec una cognitio potest tradere. Vgl. dazu auch Lee 2002, S. 24f. Zur Interdependenz von iustitia, amicitia und natura vgl. zentral Keilbach 2008, S. 48– 51 und 81f. Vgl. zudem Dyck 2004, S. 144 und Wright 1995, S. 188, der schreibt: „The final move, and the most innovative, was to extend civic friendship within the polis to goodwill towards all within the megalopolis of the inhabited world.“ Vgl. zu stoischen Aspekten der Idee Reydams-Schils 2002, S. 251 und s. weiterführend Kapitel 8 und 9.

300

Das Was des ciceronischen Philosophierens In omni autem honesto, de quo loquimur, nihil est tam illustre nec quod latius pateat quam coniunctio inter homines hominum et quasi quaedam societas et communicatio utilitatum et ipsa caritas generis humani; quae nata a primo satu, quod a procreatoribus nati diliguntur et tota domus coniugio et stirpe coniungitur, serpit sensim foras, cognationibus primum, tum affinitatibus, deinde amicitiis, post vicinitatibus, tum civibus et iis, qui publice socii atque amici sunt, deinde totius complexu gentis humanae. Quae animi affectio suum cuique tribuens atque hanc, quam dico, societatem coniunctionis humanae munifice et aeque tuens iustitia dicitur.

Die Verwobenheit von Allgemeinem und Konkretem wird durch die Natur begründet, was Niederschlag in Ciceros sozialphilosophischer Überzeugung findet.1361 Denn diese Struktur erscheint sozialpolitisch sowohl abstrakt als auch persönlich fruchtbar – jede Perspektive ist ohne die andere nicht denkbar: Akteure müssen sich im politischen Spannungsfeld an der Theorie der Synthese orientieren, um auch praktisch die Einheit zu etablieren. Gleichzeitig ergibt sich das Allgemeine nur aus den Handlungen einzelner Herausragender, deren Menge möglichst groß werden soll; für die Theorie abstrahiert man die Essenz tugendhaft-gerechten Verhaltens, wie sie sich in Aktionen der Individuen äußert. Auf einer übergeordneten Ebene kommt in beiden Schriften der menschliche Geist, die mens, ins Spiel, um Theorie und Praxis zu verbinden. In De re publica lassen sich die durch mens zu vereinbarende himmlische und irdische Ebenen des Hauptteils auf ars und usus des ersten Proömiums zurückführen;1362 in De amicitia erfolgt mithilfe menschlicher geistiger Tätigkeit eine mit der Aufhebung der Dichotomien Vergangenheit–Gegenwart und Elite–Masse verschränkte intraindividuelle Synthese in Form einer amicitia – konkret durch eine gedankliche aktive Erinnerungsleistung.1363 Dass jene theoretisch wie praktisch möglich ist, demonstrieren Laelius’ monologische Ausführungen, in denen sich zeigt, wie in der Schrift über die Freundschaft sowohl ein abstraktes Strukturkonzept entworfen als auch eine private Überwindung von Schmerz und Trauer geleistet wird. Als synthetisches zentrales Element für Ciceros Sozialphilosophie ergibt sich somit theoretisch wie praktisch eine Art

1361

Vgl. dazu Wright 1995, S. 183f.: „Justice is […] practised as the regulator of mutual rights and obligations in public co-operation, which enables the city to function.“ Vgl. zudem van Zyl 1991, S. 137: „Ciceronian justice has an inextricable link with the rights and duties of the individual and of the community in their multifarious relationships with other individuals, communities, states and even beyond.“ 1362 S. v. a. zusammenfassend Kapitel 7.2.5. 1363 S. Kapitel 7.3.2. Vgl. zudem Mančal 1982, S. 119, der mit einer elatio animi, wie sie im Somnium Scipionis zu beobachten ist, „den Zweck des Über-sich-hinauskommens, der Überwindung der Einzelheit“ verknüpft – eine Leistung des animus besonders auch in De amicitia.

Ciceros Sozialphilosophie

301

Tugend im Geiste, die für die spezifisch staatsphilosophischen Gedanken als geistig vermittelte Gerechtigkeit konkretisiert wird.1364 Die derart skizzierte Konzeption muss dabei freilich immer als Ideal gedacht werden, dennoch ist ein in diesem sozialphilosophischen Sinne politischer Aufbruch möglich und machbar, ein Aufruf zum Handeln unterschwellig präsent1365 – auch in erzieherischer Hinsicht.1366 Es ergibt sich, wenn man De re publica und De amicitia unter einem ebensolchen Gesichtspunkt gemeinsam liest, eine Verschränkung von Mikro- und Makropolitik,1367 die teleologisch entworfen ist und eine universale Auflösung von Oppositionen befördern soll. Zeitliche, räumliche, ständische Grenzen werden im Lichte einer universellen Tugend im Geiste obsolet. Die Hoffnung auf eine solche Synthese ist in Ciceros Werken und in Ciceros Realität definitiv angelegt. 1364

Vgl. auch Horn 2007b, S. 48, der Gerechtigkeit bei Cicero entsprechend nicht nur politisch versteht, sondern generell als „Begriff der Sozialmoral“ beschreibt. 1365 Nicgorski 2016, S. 219, der Freundschaft als wichtigen Part ciceronischer Politik ausmacht, bestätigt diesen ‚call for action‘: „True friendship, for Cicero, is like the true statesmanship or the perfectly just political order, never realized completely; knowing its nature, however, is a critical need for the sake of action.“ S. auch off. 1,55f. und 2,30f. sowie dazu Nicgorski 2016, S. 240, Anm. 42 und Long 1995b, S. 229. 1366 Wood 1991, S. 87 betont auch für Ciceros sozial-politisches Denken die erzieherische Notwendigkeit einer Aufklärung über das, was richtig und falsch ist: Die „eradication of false opinions by the education of the ruling classes and in turn their enlightened rule of the Roman people“ ist dabei lebenslanges Projekt. Vgl. dazu auch Strasburger 1990, S. 55, der den politischen Aspekt des Erziehungsprogramms hervorhebt: Ziel sei die „Wiedergeburt einer politischen Führungsschicht aus dem Geiste der Philosophie als Rettung Roms und des Reiches“. Vgl. weiterhin Algra 2003, S. 14 sowie Steel 2013, S. 239, die festhält: Cicero „conceived of his project of Latin philosophy in civic-patriotic terms and construed the reason for the breakdown of the ancestral commonwealth as a failure in traditional educational discipline, which he sets out to remedy both within and by means of his literary works“. Vgl. hierbei für die besondere Bedeutung der Erziehung des Staatsmanns Barlow 1987, S. 353 und 359. Dass besonders die Jugend im Fokus steht, stellt Wassmann 1996, S. 269 fest: „Cicero sah in der philosophisch ausgerichteten Erziehung der Führungsschicht, vor allem der Jugend, zu dem Ziel der societas hominum das Heilmittel für die wesentlich als moralischer Verfall verstandene Krise des römischen Gemeinwesens.“ Vgl. zudem Stadler 2004, S. 275; Graff 1963, S. 61; Knoche 1976, S. 130f.; Adamczyk 1961, S. 202; Algra 2003, S. 14. S. für Ciceros Kulturphilosophie Kapitel 6 und für weitere Überlegungen zur Bedeutung pädagogischer Aspekte speziell Anm. 767 wie auch die dortigen Verweise. 1367 Vgl. dazu etwa Fox 2000, S. 285f., der von einem „call to participation in public life designed to resonate more widely than the limits of an individual’s experience would allow“ spricht. Vgl. auch McConnell 2017, S. 53 und zudem Nicgorski 2008, S. 85. Ebd., S. 104 definiert er die Mikropolitik in De amicitia mit Bezug auf die res publica: „Despite the almost insurmountable obstacles that the temptations and stresses of political life pose to goodness and to genuine friendship, Cicero seems to hold up such friendship as something of a last and best hope for securing and sustaining the type of

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung

Auch bei der Betrachtung der Inhalte ciceronischen Philosophierens und der mit ihnen verbundenen Spannungen wurde das Strukturmuster Analyse–Synthese als geeignete Schablone für die Herausarbeitung von Oppositionspaaren, deren Auflösung und der sich daraus ergebenden Rückschlüsse bestätigt. Nach der Untersuchung des Was in Ciceros philosophischen Schriften unter kultur- wie sozialphilosophischer Perspektive sollen nun erneut in Form eines Ausblicks kurz einige Implikationen skizziert werden, welche sich aus der gemeinsamen Betrachtung dieser beiden Bereiche ergeben. Die Entwicklung von einer ursprünglichen Synthese zur durch Individuen ausgelösten Analyse, die die Argumentation in Gang setzt, hin zu einer möglichen neuen Synthese unter Hinzutreten eines bestimmten Elements ist dabei eine auffällige Gemeinsamkeit der Struktur der Proömien der Tusculanae disputationes und jener der Werke De re publica und De amicitia. Beide Texte sind demnach von ähnlichen Denkmustern geprägt: Es existiert zu Beginn eine Trennung, die man anhand von Dichotomien beobachten kann; am Ende steht die gewünschte potentielle Einheit, die aber immer bestimmter struktureller Elemente bedarf und die aktiv durch geeignete Individuen hergestellt werden muss. Für den kulturphilosophischen Bereich fungiert hierbei philosophia selbst, verstanden als aktive Tätigkeit, als katalysatorisch wirkendes Textelement, für die Sozialphilosophie ist es aus der politisch-konkreten Perspektive des Staatswerks iustitia und aus der Warte persönlich ausgreifender Freundschaftsverbindungen virtus. Daneben stellt der menschliche Geist, mens, jeweils auf der übergeordneten Ebene, die hier die Verbindung von Kosmos und Erde meint und dort die Überzeitlichkeit menschlicher Verbindungen über den Tod hinaus, das Strukturelement dar, das eine Einheit qua seiner Funktion auf den Weg bringen kann.1368 Diese Strukturen bündelnd, kann man von einer kultur- wie sozialphilosophischen Konfiguration Ciceros sprechen, die letztlich ein Philosophieren der Einzelperson nach Maßgabe einer Tugend im Geiste beschreibt.1369 Diese Orientierung gebende Denkstruktur erwächst dabei, wie immer wieder aus den Ausführungen hervorging,1370 auch aus der prinzipiell disputativen und probabilistischen Anlage der Werke.

leadership that might protect and further develop the Republic.“ Eine Hoffnung auf Besserung besteht demnach auch in De amicitia. 1368 Vgl. auch Pöschl 1962, S. 152: „Die Entfaltung des menschlichen Geistes gipfelt sowohl in der Philosophie wie auch in der politischen Gemeinschaftsbildung und Staatengründung.“ 1369 Vgl. auch, den Aspekt der Tugend vernachlässigend, Chalkomatas 2007, S. 243: „Nach Ciceros Verständnis ist alle geistige Tätigkeit aus dem Studium der Philosophie entsprungen.“ Ebd., S. 244 führt er weiter aus: „[A]lle konkreten geistigen Tätigkeiten werden bei Cicero oft unter dem Oberbegriff ‚philosophia‘ subsumiert.“ 1370 S. Kapitel 3, 4 und 5.

Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung

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Mit den so zusammengetragenen Ergebnissen zeigt sich daher auch, dass diese ciceronische Strukturiertheit für jede der beiden philosophischen Schreibphasen Ciceros Gültigkeit beanspruchen kann, sowohl die Schriften der fünfziger als auch jene der vierziger Jahre sich dem universalen Betrachtungsmuster von Analyse und Synthese, von Dichotomien und ihrer Auflösung (mittels bestimmter Elemente) unterordnen lassen.1371 Inhaltlich gewendet bedeutet dies, dass tatsächlich ein Kern ciceronischen Philosophierens existiert und bestimmt werden kann.1372 Sicherlich: In den Monaten zwischen Tullias Tod und Cäsars Ermordung beschäftigt sich Cicero äußerst intensiv mit der Philosophie; vor allen anderen Werken lassen die Tusculanae disputationes und besonders ihre Proömien in verdichteter Weise Rückschlüsse auf ciceronisches Denken während dieser Phase und schließlich auch allgemein zu, wie die bisherigen Untersuchungen veranschaulichen konnten.1373 Mit dieser grundlegenden und starken Beschäftigung mit den Gedankengebäuden der Philosophie ist zudem natürlich eine gewisse Theoretisierung des ciceronischen Philosophierens verbunden. Man könnte daher, wenn man den Gedanken weitertreibt, die an den Tusculanae disputationes entwickelte Kulturphilosophie als theorielastigeren Part der Gesamtanlage werten, wohingegen die von De re publica und De amicitia abgeleitete Sozialphilosophie als tendenziell praktischer orientiert erscheint. Dass beide Perspektiven, theoretische Praxis und praktische Theorie also, bei Cicero jedoch prinzipiell synthetisch verschränkt und Teil einer einheitlichen Konzeption sind, wurde mehrfach gezeigt1374 und kann zudem an Ciceros letztem Werk De officiis mustergültig veranschaulicht werden, das die Strukturelemente der zuvor betrachteten Werke verbindet.1375 Kondensiert finden dort verschiedene Elemente ciceronischen Philosophierens zusammen. Gleich der Beginn des Werks leistet dabei eine Zusammenschau vieler bislang betrachteter Dichotomien:1376 Quamquam te Marce fili annum iam audientem Cratippum idque Athenis abundare oportet praeceptis institutisque philosophiae propter summam et doctoris auctoritatem et urbis quorum alter te scientia augere potest altera exemplis tamen ut ipse ad 1371

Damit kommt diese Arbeit zu einem anderen Ergebnis als Sauer 2016, S. 9, der die strukturellen Unterschiede der beiden Schreibphasen betont: „In den frühen Philosophica der fünfziger Jahre wird dabei stets Einigkeit erzielt, in den späteren stehen sich oft die Hauptgesprächspartner mit verschiedenen Positionen gegenüber.“ Vgl. ähnlich Sauer 2017, S. 315 und darüber hinaus Baraz 2012, S. 9f. sowie Gildenhard 2007, S. 128–130. S. auch Anm. 50 und die dortigen Verweise. 1372 S. Kapitel 2.3.1, Anm. 49 und die Verweise dort. 1373 S. die Einleitungen zu den Kapiteln über die ciceronische Methodik (Kapitel 3.2 und 4.2) sowie für Ciceros Kulturphilosophie Kapitel 6. 1374 S. besonders Kapitel 7.2.4 und 7.2.5 sowie Anm. 1214 und die dortigen Verweise. 1375 Bereits für das Wie ciceronischen Philosophierens, Ciceros Methodik, konnte De officiis eine einleitende Verbindung der zuvor betrachteten Elemente leisten; s. off. 2,8 und dazu Kapitel 5. 1376 Off. 1,1.

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Das Was des ciceronischen Philosophierens meam utilitatem semper cum Graecis Latina coniunxi neque id in philosophia solum sed etiam in dicendi exercitatione feci idem tibi censeo faciendum ut par sis in utriusque orationis facultate.

Cicero verbindet zu seinem Nutzen das Griechische mit dem Lateinischen,1377 empfiehlt seinem Sohn sowohl die Vorbilder der Vergangenheit als auch das Wissen der Gegenwart1378 und deutet nicht zuletzt seine Engführung von Philosophie und Rhetorik an.1379 Wenn er anschließend auf die Wirkung seiner Bemühungen zu sprechen kommt, betont er seinen Einsatz im gleichen Maß für Menschen, die des Griechischen unkundig sind, wie auch für Gebildete und bringt damit eine weitere Öffentlichkeit1380 als Ziel seiner Schriften ins Spiel:1381 Quam quidem ad rem nos ut videmur magnum attulimus adiumentum hominibus nostris ut non modo Graecarum litterarum rudes sed etiam docti aliquantum se arbitrentur adeptos et ad dicendum et ad iudicandum.

Sprechen und Urteilen werden dabei in enge Nachbarschaft gestellt, womit auf die grundlegende Bedeutung menschlicher Kommunikation für das Zustandekommen eines Urteils hingewiesen, mithin also abermals das Zusammenspiel von Disputation und Erkenntnis (eines Wahrscheinlichen) herausgestellt wird.1382 So erwächst aus sokratischer und peripatetischer Tradition ein aus eigener Überlegung heraus und frei getroffenes Urteil: Sed tamen nostra legens non multum a Peripateticis dissidentia quoniam utrique Socratici et Platonici volumus esse de rebus ipsis utere tuo iudicio.1383 Gleich zu Beginn also steht De officiis, indem es auf synthetische Leistungen der Vorgängerschriften verweist, selbst im Zeichen der Synthese.

1377

S. zur Dichotomie Kapitel 6.2.1. S. zur Dichotomie Kapitel 6.2.2. 1379 S. hierfür Kapitel 3. 1380 S. zur Dichotomie Kapitel 6.2.3. Später in off. 1,11–14 wird klar, dass wirklich alle Menschen gemeint sind; s. dazu das Weitere. 1381 Off. 1,1. 1382 S. auch Kapitel 5. S. zudem off. 1,13, wo das Streben nach Wahrheit als menschliches Proprium dargestellt wird: Inprimisque hominis est propria veri inquisitio atque investigatio. S. auch off. 1,16. Reckermann 1990, S. 516 erkennt ausgehend auch von dieser Stelle eine Verbindung zu Ciceros politischen Vorstellungen: „Ciceros Theorie des philosophischen Wissens und seine Theorie der Politik folgen einem vergleichbaren Motiv.“ S. für die Bedeutung der Kommunikation auch zuvor Kapitel 3.3.1 und dort die Anm. 254 und 311 sowie Kapitel 9. 1383 Off. 1,2. Diese Feststellung ist nicht zuletzt deshalb von Relevanz, weil Cicero im Folgenden in erster Linie dem Stoiker Panaitios folgen wird. 1378

Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung

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Zudem bestätigt die Vorrede des Werks in ihrem Verlauf, dass philosophia an sich, aktives Philosophieren im Sinne der ciceronischen Kulturphilosophie,1384 ein bedeutender Motor für die erwähnten Zusammenhänge sein kann. Sie rückt ins Zentrum, wenn das Thema der Schrift erstmals angerissen wird:1385 Nam cum multa sint in philosophia et gravia et utilia accurate copioseque a philosophis disputata latissime patere videntur ea quae de officiis tradita ab illis et praecepta sunt.

Der Fokus der Philosophie auf die Pflichten ist universal und bezieht, obwohl manche besser geeignet erscheinen als andere, prinzipiell alle Philosophenschulen mit ein. Ähnlich wie etwa in De natura deorum folgt Cicero dabei im Rahmen seines Probabilismus der Stoa, ohne ihre Lehre über pflichtgemäßes Handeln in Form einer Übersetzung als absolute Wahrheit darzustellen:1386 Sequimur igitur hoc quidem tempore et hac in quaestione potissimum Stoicos non ut interpretes sed ut solemus e fontibus eorum iudicio arbitrioque nostro quantum quoque modo videbitur hauriemus.

Als Maßgabe dient damit ein aktives Philosophieren, das sich verschiedener Quellen bedienen kann, aber am Ende ein eigenes Urteil bildet und erlaubt – und als Mittel der Wahl erscheint, wie es auch Kern des kulturphilosophischen Programms Ciceros ist.1387 Schon während dieser einleitenden Überlegungen wird darüber hinaus eine Brücke zu Ciceros sozialphilosophischem Programm geschlagen: Das für eine Erörterung pflichtgemäßen Handelns zentrale Element honestum1388 ist die Scharnierstelle, wenn ex negativo bestimmt wird, dass Freundschaft und Gerechtigkeit nur unter Maßgabe des sittlich Guten und Tugendhaften kultiviert werden können:1389 Nam qui summum bonum sic instituit ut nihil habeat cum virtute coniunctum idque suis commodis non honestate metitur hic si sibi ipse consentiat et non interdum naturae bonitate vincatur neque amicitiam colere possit nec iustitiam nec liberalitatem.

1384

S. Kapitel 6. Off. 1,4. 1386 Ebd., 1,6. S. Kapitel 4.4.1. Zu Stoa und insbesondere Panaitios als Quelle von De officiis vgl. Dyck 1996, S. 17–29. 1387 S. dafür Kapitel 6 und besonders Kapitel 6.3. Vgl. weiterführend Griffin 1988, S. 146: „Philosophy provided […] the concepts with which to analyse moral problems.“ Vgl. auch Griffin 1989, S. 32–37 und ferner Gotter 2003, S. 179. 1388 Honestas ist dabei Teil desselben strukturellen Konzepts wie honestum. 1389 Off. 1,5. 1385

306

Das Was des ciceronischen Philosophierens

Die Konzepte honestum und virtus überlagern sich: Die Orientierung des Einzelnen an einem höchsten sittlichen Gut ist Voraussetzung für tugendhaftes Handeln. Im Folgenden werden jene auf verschiedene bereits erörtere Bereiche ciceronischen Denkens ausgreifenden Vorüberlegungen einer Verknüpfung von Philosophie, Tugend und Gemeinschaft aufgegriffen und in das Konstrukt eines Universalismus eingebettet, wie er bereits in Kultur- und Sozialphilosophie als Kosmopolitismus1390 und kosmische Verbundenheit, als Menschengemeinschaft und Überzeitlichkeit, als übergreifende, natürliche Einheit und allumfassender, naturgegebener Zusammenhang anzitiert wurde.1391 Cicero verleiht dem zuvorderst Ausdruck in der Überzeugung vom gemeinsamen Trieb aller nach Vereinigung, einem coniunctionis appetitus,1392 wobei die Natur und die auf ihr basierende menschliche Vernunft als Triebfeder des Gesamtzusammenhangs etabliert werden:1393 Natura vi rationis hominem conciliat homini et ad orationis et ad vitae societatem ingeneratque inprimis praecipuum quendam amorem in eos qui procreati sunt impellitque ut hominum coetus et celebrationes et esse et a se obiri velit.

Den Menschen zeichnet dabei gegenüber dem Tier eben jene Teilhaftigkeit an der Natur aus, die ihm erlaubt, einen universalen Überblick zu behalten und so etwa auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in Hinblick auf seine Lebensgestaltung zu verknüpfen:1394

1390

S. hierzu beispielsweise bereits Anm. 809 und 819. S. neben dem Methodikkapitel (Kapitel 2) und Anm. 35 mit den dortigen Verweisen Passagen aus nahezu sämtlichen anderen Kapiteln, auch in den Anmerkungen (S. etwa, nur exemplarisch, Anm. 701 oder 1294), und zusammenfassend Kapitel 9. 1392 Off. 1,11. 1393 Ebd., 1,12. Vgl. zur Stelle Atkins 1990, S. 269 und zur Verbundenheit aller Menschen Wright 1995, S. 188–193 und Baldry 1965, S. 113–140. Vgl. zur Entwicklung des Motivs der universalen Menschengemeinschaft Strasburger 1990, S. 54. Vgl. zudem Alonso 2013, S. 34, der im Zusammenhang mit ius gentium und ius naturale schreibt: „[T]he interaction between the Natural Law and the Law of Nations gives greater internal consistency to the humanist-cosmopolitan project, both ethically and legally. This project […] consists fundamentally in spreading solidarity and transforming the global political alliance of all with all into a truly universal society.“ Vgl. speziell zu Panaitios ebd., S. 179–186, zu Poseidonios ebd., S. 186–190 und zu Antiochus ebd., S. 190–194 sowie allgemein zu Poseidonios Long 1986, S. 216–218. Vgl. für die stoische Grundlage des Konzepts etwa Pangle 1998, S. 262 und s. zudem das Folgende. 1394 Off. 1,11. 1391

Zwischenfazit II: Kosmopolitismus und Tugendorientierung

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Homo autem quod rationis est particeps per quam consequentia cernit causas rerum videt earumque praegressus et quasi antecessiones non ignorat similitudines comparat rebusque praesentibus adiungit atque adnectit futuras facile totius vitae cursum videt ad eamque degendam praeparat res necessarias.

Zielpunkt der Lebensgestaltung ist naturgemäß eine Vereinigung mit anderen, aus der eine societas hominum coniunctioque1395 und letztlich eine universale Gemeinschaft aller Menschen, eine omnibus inter omnes societas,1396 entsteht – ein Gedanke, der stoisch inspiriert1397 ist. 1395

Off. 1,17. S. auch ebd., 1,50. Vgl. zum Begriff auch Long 1995b, S. 234. Off. 1,51. S. auch generell ebd., 1,50–52 und 3,20–27. 1397 Cicero referiert hier und bezieht sich in weiten Teilen auf die stoische οἰκείωσις-Lehre, die den Zusammenhang von Individuum und Natur beleuchtet, wobei aufgrund der besonders auch für die Ältere Stoa nicht optimalen Quellenlage unterschiedliche Auslegungen dieses Zusammenhangs existieren. S. für die Darstellung der Lehre bei Cicero zunächst auch das dritte Buch von De finibus bonorum et malorum sowie das zweite Buch von De natura deorum und vgl. generell für die Bedeutung der οἰκείωσιςLehre Mayer-Maly 1971, S. 379f. und Mingay 1973. Lee 2002, S. 12–19 fasst verschiedene Forschungsmeinungen zusammen; vgl. zudem aktuell Forschner 2018, S. 163, Anm. 1. Nach ihm, so ebd., S. 164 zeigt die Lehre, „wie wir im Mündigwerden zum Begriff des wahrhaft Guten […] gelangen und durch den Besitz des Begriffs zum Tun des Guten bewegt werden“. Ebd., S. 165 schreibt er weiter: „Oikeiosis ist zum einen ein Wirken der Allnatur, durch das sie ein Lebewesen sich selbst, seiner eigenen Verfassung geneigt macht und sein Streben auf Funktionen und Ziele ausrichtet, die seiner Verfassung entsprechen. Sie ist zum anderen ein Prozess, durch den ein Lebewesen schrittweise seiner selbst inne und dadurch mit sich selbst vertraut, sich selbst freund, mit sich selbst eins und einig wird.“ Bees 2004, S. 149–157 betont neuerdings besonders die Bedeutung pantheistischer Kosmoslehre, in die sich das Individuum als Teil eines Beziehungsgeflechts und in Folge seiner genetischen Programmierung einordnet, und zeigt generell, dass viele Ideen schon bei Zenon selbst grundgelegt sind. Er sieht ebd., S. 177 und in Bees 2010a, S. 127 συμπάθεια – s. zuvor Anm. 250 – als Grundlage einer sozialen οἰκείωσις und schreibt ebd.: „Nach der Grundvoraussetzung der stoischen Ethik sind alle Menschen in gleicher Weise Teile der göttlichen Allnatur, verbunden durch ein göttliches Pneuma, das die Sympathie bewirkt, ein ‚Mitfühlen‘ aller Teile.“ Er schlussfolgert ebd., S. 128: „Die Verwandtschaft aller Menschen […] ist erst in der Stoa zu einem integrativen Bestandteil eines philosophischen Systems geworden.“ Vgl. dazu auch Richter 2011, S. 74–80 und Forschner 2018, S. 169f. sowie ferner Powell 1990, S. 87f. Lee 2002, S. 121–136 stellt hingegen die Problematik heraus, von einer sozialen οἰκείωσις zu sprechen. Generell bespricht sie zudem verschiedene Ansätze zum mit der οἰκείωσις-Lehre verbundenen Zusammenhang von Ethik und Naturphilosophie und widerspricht dabei etwa Striker 1996, S. 295, die die οἰκείωσις nicht als Grundlage der stoischen Ethik sieht. Gildenhard 2013b, S. 263–266 erkennt für die De officiis-Stelle nicht nur stoische Gedanken, sondern auch einen platonischen Einfluss. Dass sich Zenon für die Stoa zudem auch an Aristoteles orientiert hat, streicht Bees 2010c auf der Basis von nat. deor. 2,20–22 heraus. Für die Arbeit soll die Frage nach den konkreten Quellen und ihrer genauen Rezeption durch 1396

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

Dass in dieser Konfiguration, die zudem als auch sokratische präsentiert wird,1398 Gerechtigkeit eine besondere Rolle spielt, wird nicht nur direkt im Anschluss an die erste Beschreibung einer universalen Menschengemeinschaft deutlich, wenn iustitia als Bewahrerin menschlicher Gemeinschaften präsentiert wird,1399 sondern indirekt auch dadurch, dass die societas mit der res publica, die, wie gezeigt,1400 auf der Gerechtigkeit basiert und durch sie zustande kommt, als bedeutendste aller gesellschaftlichen Bindungen herausgestrichen wird: Sed cum omnia ratione animoque lustraris omnium societatum nulla est gravior nulla carior quam ea quae cum re publica est uni cuique nostrum.1401 Theologisch begründet wird dieses Konstrukt sodann im dritten Buch, wo die sozialen Tugenden mit Gerechtigkeit an ihrer Spitze1402 als notwendige Pflicht den Göttern gegenüber dargestellt werden.1403 Iustitia, mithin Tugend an sich, ist damit unter der Perspektive einer allumfassenden Gemeinschaft aller Vernunftbegabten1404 universal zu denken1405 Cicero zurücktreten und in erster Linie auf die textinterne Strukturierung abgehoben werden. S. auch Kapitel 2. 1398 Am Ende ist Nicgorski 1993, S. 785 recht zu geben, wenn er feststellt, dass stoische und sokratische Philosophie verschränkt werden: „[I]t is commonplace to see in this Stoicism one of the most powerful influences in European thought in the direction of a universal, transnational human community. Cicero does not, however, merely report or transcribe Stoicism; he incorporates it selectively, in an outlook or philosophical viewpoint formed from what he understands to be a Socratic stance, an approach he associates with the school of Academic Skepticism rather than the Stoic school.“ S. für das Weltbürgertum des Sokrates Kapitel 6.2.1 und s. für Ciceros Vereinheitlichungstendenzen bislang Kapitel 3 und 4 sowie etwa Anm. 206, 367 und 575. 1399 S. off. 1,20 und dazu Kapitel 7.2.2. 1400 S. zuerst Kapitel 7.2. 1401 Off. 1,57. 1402 S. dazu bereits Kapitel 7.2.2 und Anm. 1114. 1403 S. off. 3,28 und vgl. Reydams-Schils 2016, S. 99: „In De officiis, then, the possibility has emerged of a study of nature that, because it has the community of gods and humans as its focal point, does not pull human beings away from community but, on the contrary, deepens the human sense of sociability and grounds the social virtues that are so important to Cicero.“ Sie weist diesen argumentativen Zusammenhang ebd. als dezidiert stoisch aus; vgl. auch ebd., S. 101 und ebd., Anm. 7. Konkret sieht sie ebd., S. 101 eine „connection […] between the community of gods and men […] and justice“. 1404 Vgl. auch Bees 2010a, S. 163: „Die Liebe zum Mitmenschen, zentraler Bestandteil der Oikeiosislehre, ist begründet mit der kosmischen Einheit der vernunfthaften Wesen, Götter und Menschen.“ Vgl. auch Horn 2007a, S. 120 sowie Gawlick 1956, S. 5 und ebd., Anm. 1 und s. davon ausgehend leg. 1,22–30. 1405 Vgl. auch Nussbaum 2000, S. 185: „Duties of justice are fully universal, and impose strict, exceptionless obligations.“ Bees 2010a, S. 151 stellt einen Zusammenhang zwischen der οἰκείωσις-Lehre und Gerechtigkeit her: Mit der Annahme, dass die menschliche Natur mit der Allnatur verbunden sei und Menschen gleichartige Teile der Weltseele seien, gelte, so ebd., S. 152, die Prämisse, „dass die Quelle des Rechts in der naturgesteuerten Gemeinschaftsbildung des Menschen zu suchen ist“. Auch nach Zenon

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und entspricht, wie Bees herausstellt, letztlich dem Guten,1406 womit honestum und virtus auch kosmologisch in eins gesetzt werden. Der Mensch als Teil dieser größeren Einheit muss sich gemäß seiner Vernunft an diesem Guten orientieren1407 und in Theorie wie Praxis, durch ars und usus, zum Erhalt der Gemeinschaft beitragen und für ihre dauerhafte Stabilität sorgen:1408 Naturam debemus ducem sequi communes utilitates in medium adferre mutatione officiorum dando accipiendo tum artibus tum opera tum facultatibus devincire hominum inter homines societatem. Fundamentum autem est iustitiae fides id est dictorum conventorumque constantia et veritas.

In De officiis finden also eine theoretische Perspektive der Praxis, wie sie das aktive Philosophieren der Tusculanae disputationes verkörpert, und eine praktische Perspektive der Theorie, wie es die mentale Ausrichtung an iustitia und virtus zur Etablierung von Staat und freundschaftlichen Verbindungen in De re publica und De amicitia darstellt, zusammen, indem sich Elemente von Kulturphilosophie und Sozialphilosophie vereinen und in ihrer Spannung zwischen Analyse und Synthese mehrfach verschränken. Es zeigt sich so auch: Der Kern ciceronischen Philosophierens, obwohl in unterschiedlichen Phasen unterschiedlich stark ausgeformt und theoretisch wie praktisch unterschiedlich gewichtet, ist prinzipiell derselbe1409 und lässt auf Grundprinzipien ciceronischen Denkens sei, so Bees 2010a, S. 151, οἰκείωσις der Anfang der Gerechtigkeit. Vgl. weiterhin Bees 2004, S. 306–313. 1406 Vgl. Bees 2010a, S. 132: „Das Gute ist deshalb gerecht, weil es mit dem Gesetz in Einklang steht und die Gemeinschaft herstellt.“ Die Seele wisse, so ebd., S. 131, um das, was gut und gerecht ist. 1407 Vgl. auch Graver 2009, S. 123, die feststellt, dass bei Cicero eine „notion that human nature is initially oriented toward the good“ zu sehen ist. 1408 Off. 1,22f. Vgl. zu der hier offenkundig werdenden Verbindung von fides und iustitia Michel 1960, S. 30 und Morford 2002, S. 93. 1409 Dass sich etwa Ciceros politisches Ideal dabei nicht geändert hat, weist Stadler 2004, S. 283 über eine Parallelisierung von Textstellen aus De re publica und den Tusculanae disputationes nach: Es sei so, „daß [Cicero] lebenslang eine Idee vom wahren Dienst am Staat vorschwebte. Jedoch konnte er dies unter der Diktatur Caesars nicht immer mit unmißverständlicher Deutlichkeit aussprechen. Diese Konstante in Ciceros Denken bewirkt, daß selbst Texte, deren einzelne Abschnitte zu verschiedenen Zeiten abgefaßt wurden, […] zu einer inneren Einheit verschmelzen.“ Dezidiert politisch bedeute dies, so ebd., dass Ciceros werteorientierter Konservatismus – vgl. dazu auch Lind 1979 – im Sinne einer Wahrung der alten res publica mit ihren überkommenen Werten und ihrer ständischen Organisation das Denken des politischen Aufsteigers wie das des desillusionierten alten Staatsmannes durchziehe; vgl. auch Klima 1971, S. 139. Doch auch hierbei sind Modifikationen zu erkennen, wie beispielsweise Achard 1981, S. 38 an der Neubestimmung des consensus ordinum als consensus bonorum – s. dazu auch Kapitel 6.2.3 und 7.2.2 sowie Anm. 907 – aufzeigen kann. Vgl. zudem für Parallelen in fin. 3,63–66; rep. 3,7 und off. 1,51–60. Bees 2010a, S. 161. Weiterhin bestätigt auch

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Das Was des ciceronischen Philosophierens

schließen. Das althergebrachte, simple Narrativ von einer politisch-philosophisch aktiven Phase in den fünfziger Jahren und einer kontemplativen Zeit unter Cäsars Diktatur, während der sich Cicero archivarisch an einer philosophischen Enzyklopädie versucht,1410 sollte deshalb zumindest überdacht werden, zeigen sich doch die Bedeutung aktiven Philosophierens im Sinne einer teilweise abstrakten, teilweise konkreten Tugendorientierung und eine aktive Orientierung an übergeordneten staatlichen, gesellschaftlichen und kosmischen Zusammenhängen im Sinne einer philosophischen Weltbetrachtung sowohl im Staatswerk als auch in den Disputationen auf dem Landgut. Die Ausrichtung am Individuum ist dabei als unterschwellig präsente Aufforderung, die erneut bestätigte Dynamik des Denkmusters Analyse–Synthese damit nicht zuletzt didaktisch zu verstehen.1411 Am Ende steht ein systematisch gedachtes, auf das Individuum zugeschnittenes kultur- und sozialphilosophisches Programm, das für die Besserung persönlicher und gesellschaftlicher Gegebenheiten konstruiert ist und das schließlich auch hinter der ciceronischen Methodik der Wahrheitsfindung steht,1412 wie sie zuvor beleuchtet wurde.

Mansfeld 1994, S. 177–179 und 186f., Ciceros Aussagen in inv. 2,116–121 und Tusc. 5,47 betrachtend, die Konstanz in Ciceros Denken. Dass es sich bei constantia im Allgemeinen um ein wichtiges Prinzip Ciceros handelt, veranschaulicht Tracy 2012, S. 80 und 85. S. weiterhin Anm. 50 wie auch die dort zu findenden Verweise. 1410 Vgl. dazu auch sehr treffend Gawlick 1956, S. 118: „Nicht die Vorstellung einer historischen Enzyklopädie treibt Cicero voran, sondern die Verknüpfung der Probleme selbst.“ 1411 S. zur hohen Bedeutung des Einzelnen Anm. 724 und die dortigen Verweise sowie zum Stellenwert pädagogisch-didaktischer Aspekte Anm. 767 und die dortigen Verweise. 1412 Vgl. zu dieser Verbindung andeutungsweise auch Inabinet 2017, S. 110: „[E]loquence and wisdom united were the gateway to then imagine and institute shared judgement for universal truth, laws, and justice.“

Schlussbemerkungen und Resümee Am Ende seines Lebens hat Cicero seine Vorstellung vom Aufbau der Welt als universale Verkettung aller Dinge beschrieben, bei der ein Element erst im Strukturzusammenhang zu seiner Bedeutung kommt. Auf dieser Grundlage hat diese Arbeit Methodik und Inhalt von Ciceros Philosophie untersucht und ist dabei selbst struktural vorgegangen. Stellt man abschließend die Frage, wie dieses Vorgehen letztendlich für Cicero selbst zu begründen ist, bieten sich für diese Frage nach der Herkunft des ciceronischen Denkens mehrere Erklärungsmöglichkeiten an: so etwa vom Rezipienten zu erkennende textuelle Bezüge zu griechischen Vordenkern im Sinne der Intertextualitätstheorie1413 oder die Existenz eines grundlegenden menschlichen Denkmusters gemäß der Annahme strukturalistischer Anthropologie oder natürlich eine kreative Eigenleistung des ciceronischen Geistes unter auch romantischer Perspektive. Dass sich diese Antworten keineswegs ausschließen müssen, soll abschließend gezeigt werden, wenn das Fazit wichtige Ergebnisse bündelt, weiterführende Fragen anreißt und größere Linien zieht. 9

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

9.1

Universum und Struktur

Zunächst soll in Verschränkung von Form und Inhalt sowohl der ciceronischen Gedankenwelt als auch der Vorgehensweise dieser Arbeit ein Element in den Fokus rücken, das als maßgeblich für alle bislang betrachteten literaturtheoretischen und ciceronischen Texte gelten darf: Wie immer wieder am Rande thematisiert,1414 ist eine deutliche Ausrichtung an einem strukturellen Universalismus erkennbar, der sowohl Ciceros Philosophie – zuvor platonisch und vor allem stoisch und synkretistisch sokratisch bestimmt1415 – als auch die synkretistische Methodik dieser Arbeit in ihrer Kombination von romantischer und vor allem strukturalistischer Theorie1416 betrifft. Dies liegt zunächst darin begründet, dass, wie gezeigt,1417 sowohl bestimmte antike als auch romantische und

1413

S. Anm. 11. S. hierzu bereits Kapitel 8 und die (exemplarischen) Verweise in Anm. 1391. 1415 S. die Überlegungen in Kapitel 8 und v. a. Anm. 1398. 1416 S. Kapitel 2. 1417 S. die Verweise in Anm. 1414. 1414

312

Schlussbemerkungen und Resümee

strukturalistische Vorstellungen von einer systematischen Verbundenheit aller Dinge ausgehen, die es überhaupt erlaubt, ein Systemgebilde aufzustellen, wie es auch bei Cicero zum Ausdruck kommt: Nihil est enim, quod ad artem redigi possit, nisi ille prius qui illa tenet quorum artem instituere volt, habet illam scientiam, ut ex iis rebus, quarum ars nondum sit, artem efficere possit.1418 Dick beschreibt dies für das strukturalistische wilde Denken Lévi-Strauss’:1419 Das wilde Denken entnimmt Erscheinungen und Objekte ihren empirischen Zusammenhängen, um mit ihnen Zeichen-Systeme zu erstellen, worin diese Erscheinungen und Objekte bestimmte Bedeutungen erhalten. Bedeutungen, die diese Erscheinungen und Objekte nicht von sich aus besitzen, sondern erst innerhalb logischer Systeme dauerhaft annehmen. Diesem inhäriert eine nichtempirische Verweis-Struktur. Entscheidend ist, daß jener logische Mechanismus, der als primum movens den so entstehenden Systemen zugrunde liegt, einen Code aufweist, der universal übersetzbar ist. Am Ende ist es eine Struktur, die alle Erscheinungen in einen gesetzmäßigen Zusammenhang bringt.

9.1.1 Universalismus bei Cicero Die Annahme einer solchen universalen Grundstruktur, die sich aus dem In-Beziehung-Setzen und Ordnen von Einzelelementen ergibt, ist dabei bereits in der Antike vorgedacht.1420 Konkret lässt sich bei Cicero, wie Reckermann richtig bemerkt, eine natürliche Verwandtschaft der Dinge, eine rerum consentiens conspirans, continuata cognatio1421 feststellen, die die Dinge aktiv in Beziehung treten lässt:1422 1418

De orat. 1,186. S. Kapitel 2.4 und Anm. 159, die dortigen Verweise und dazu wie dort de orat. 1,186; 3,179 und fin. 3,74. 1419 Dick 2009, S. 277. 1420 Vgl. etwa Rosenmeyer 1988, S. 29–31 und dabei für Platon ebd., S. 30 und für Aristoteles ebd., S. 29. S. auch Kapitel 2.3 und v. a. Anm. 64, 80, 81, 83, 84, 107 und 113. 1421 Nat. deor. 2,19. 1422 Reckermann 1990, S. 510. Vgl. zudem ebd., S. 510 zur stoisch begründeten Annahme, „der Mensch sei im Kontext der Natur jenes Lebewesen, das par excellence zur Verbindung von Gegensätzen befähigt und verpflichtet sei“ und vgl. weiter ebd., S. 521f.: „Wenn die ‚unio naturae‘ durch ein konkretes Wissen bezeichnet werden soll, so muß es möglich sein, die grundsätzlich unüberschaubaren Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den ‚genera rerum‘ zu einer nachvollziehbaren ‚affinitas‘ zwischen bestimmten ‚res‘ zu verdichten.“ Vgl. darüber hinaus Ryan 1982, S. 206f.: „[M]an uniquely possesses the conception of ‚connectedness‘ […] [and] the ability to ‚transfer and combine‘ […] impressions.“ Bernett 1995, S. 42 führt diesen universellen Zusammenhang auf Oppositionsstrukturen zurück: „Der allgemeine Widerspruch zwischen den Substanzen ist der Grund für den universellen Zusammenhang aller Dinge und die Bewegung bzw. den Wandel in den Erscheinungen der Wirklichkeit.“ Vgl. weiterhin

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

313

Danach ist die Entfaltung der sozialen und politischen Welt eine Erweiterung der ‚naturalis quaedam … congregatio‘, während sämtliche Leistungen der menschlichen Vernunft als Erweiterungen einer naturhaft angelegten Fähigkeit zum Vergleichen und zum Verbinden verschiedener Vorstellungen interpretierbar sind. Die menschliche ‚ratio‘ reagiert damit zunächst auf die natürliche Verwandtschaft, die alles Seiende im Kontext der ‚rerum natura‘ miteinander verbindet.

Die so mittels Vernunft ermittelten Zusammenhänge leiten sich dabei implizit von der universellen Grundstruktur ab, die in der Beziehung der Einzelelemente besteht. Der Mensch kann, so der im Kern stoische Gedanke weiter, kraft seines Verstandes diese Verbundenheit der Dinge und diese ihr zugrundeliegende Ordnung erkennen.1423 Zudem sei in diesem Zusammenhang erneut auf die bereits bei Heraklit1424 und sodann bei Lévi-Strauss beobachtete metaphysische Tendenz eines solchen Universalismus hingewiesen.1425 Immer wieder in der Menschheitsgeschichte werden, wenn von einer Einheit der Dinge, ergo von synthetischem Denken, die Rede ist, kosmische und universale Zusammenhänge ins Spiel gebracht – so auch bei Cicero, wie immer wieder im Verlauf dieser Arbeit angeklungen ist, beispielsweise beim Zusammenhang von res und verba in De oratore1426 oder bei der Feststellung der himmlischen Einheit in der Harmonie der Sphären in De re publica.1427 Die Etymologie von Kosmos kann zur Klärung beitragen: Dass κόσμος zunächst Ordnung und Geordnetheit bedeutet, liegt daran, dass überhaupt Dinge in Ordnung gebracht werden können und geordnet sind, wofür zwingend ihre gegenseitige Abhängigkeit im Ganzen angenommen werden muss. Kosmos

Pagnotta 2007, S. 91, der die Welt als „una struttura ben ordinate e organizzata nelle sue molteplici parti“ bezeichnet. 1423 Vgl. Ryan 1982, S. 207: „Our notion of overall connectedness among things […] rests upon a primitive notion all rational creatures possess qua rational.“ Vgl. weiter ebd., S. 208: „The human agent possesses naturally that conception by means of which, via the impressions of sense and reason, he can come to grasp this underlying order and structure.“ Der Gedanke gehe, so ebd., S. 206–208, auf die Stoa zurück. S. weiterhin das Folgende. 1424 Baldry 1965, S. 27 betont die komplexe Einheit aus Gegensätzen bei Heraklit und sieht „the unity of humanity within a wider unity, bound together by reason“. Vgl. zum Zusammenhang von Heraklit und stoischen Vorstellungen etwa Schmidt 2008, S. 215– 219 und Kaufmann 2008, S. 232f. und 242f. 1425 S. Kapitel 2.3 und dort auch Anm. 106. 1426 S. Kapitel 3.1.1. Vgl. auch Dugan 2005, S. 154: Der Zusammenhang von res und verba werde präsentiert als „cosmic truth: it is an expression of the divine harmony of the universe as a whole reflected in the very workings of the earth, stars, and planets“. S. neben de orat. 3,19–25 auch 178f. 1427 S. Kapitel 7.2.2. Vgl. auch Bernett 1995, S. 120 und ferner zum Verhältnis von Kosmopolitismus und Republikanismus bei Cicero Hölzing 2011, S. 46–66.

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Schlussbemerkungen und Resümee

meint also die Welt und zwar als geordnetes Ganzes, in dem alle Elemente miteinander strukturell bedingt in Verbindung stehen.1428 Und so ist es eine nur logische Folge, wenn Cicero am Ende von De natura deorum die stoische Kosmologie einer universalen Verbundenheit aller Dinge für die wahrscheinlichste aller referierten Meinungen hält1429 – führt sie doch die strukturelle Entwicklung von den Einzeldisziplinen hin zur Universalphilosophie zu Ende, indem sie die irdische Synthese transzendiert. Der Zusammenhang aller Dinge wird auf ein natürliches, göttliches Wirken projiziert: Haec ita fieri omnibus inter se concinentibus mundi partibus profecto non possent nisi ea uno divino et continuato spiritu continerentur.1430 Letztlich ist es die göttlich durchwirkte Natur, die die Synthese bewirkt: Der omnium consensus ist die Stimme der Natur, die naturae vox.1431 Idealer Zielpunkt ist nach stoischem Vorbild die universale Gemeinschaft, die vom Gesetz der Natur gelenkt wird, welches identisch mit der Vernunft gedacht werden muss.1432 Da Cicero immer für den Einzelnen wie die ganze Gesellschaft argumentiert, Makro- und Mikrokosmos zu verbinden sucht,1433 bedeutet das für das stoisch inspirierte Konzept, dass der Mensch den Syntheseprozess nachvollziehen kann, weil er Anteil an der Weltvernunft be-

1428

Vgl. dazu grundlegend DiLorenzo 1978, S. 250–258. Ebd., S. 252 wird die Etymologie von Kosmos beleuchtet: „The reason the world is called kosmos, ‚order […]‘ is that all in it is interdependent.“ DiLorenzo folgert danach ebd., S. 253: „The universe is indeed one; and it is one because all the diverse parts of it are interdependent.“ Vgl. auch ebd., S. 255: „The primary meaning of kosmos is an order of parts taken together as a whole. The allure of the ensemble is not separable from the organization of its constituent parts.“ Dass dieser Zusammenhang bereits in Platons Γοργίας zu finden ist, wird ebd., S. 252 und 257 beleuchtet. Und so lässt sich der Gedanke auch mit dem eher platonisch geprägten ersten Buch der Tusculanae disputationes in Einklang bringen: Wenn die Seele ihrer Natur folgt, kann sie die Dinge und, so darf man weiterdenken, auch ihre Zusammenhänge erkennen; s. etwa Tusc. 1,46: Atque ea profecto tum multo puriora et dilucidiora cernentur, cum, quo natura fert, liber animus pervenerit. Die Darstellung der Verwandtschaft von platonischem Gedankengut und Stoizismus in den Tusculanae disputationes generell bemerkt Lévy 1992, S. 487. Vgl. generell zur Verbindung von stoischer und platonischer Ethik Alesse 2007. 1429 S. dazu das Ende von Kapitel 4.4.1. Quelle für, so Bees 2010b, S. 204, diesen Gedanken „einer Vollkommenheit der Welt […], die sich im Ganzen und in allen Teilen manifestiert“, ist im Großen und Ganzen das zweite Buch der Schrift De natura deorum. 1430 Nat. deor. 2,19. Vgl. auch Nitschke 2007, S. 125 und ferner Pohlenz 1978, S. 133. 1431 Tusc. 1,35. S. zu Ciceros consensus-Konzept Anm. 907 und die dortigen Verweise. Im Kontext sei auch auf die Bedeutung eines consensus in der Stoa hingewiesen; vgl. hierzu etwa Schian 1973, S. 134–166. 1432 Vgl. Clarke 1956, S. 44 und darüber hinaus Pohlenz 1978, S. 133 und 259 sowie Schirok 2009, S. 56–58. S. die Überlegungen zum dritten Buch von De re publica in Kapitel 7.2.2 sowie Kapitel 8. 1433 S. auch Anm. 1046.

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

315

sitzt.1434 Die vorgestellte Struktur wird so durch den Rückgriff auf stoische Lehren metaphysisch begründet und als eine organische dargestellt.1435 Für Cicero war diese als stabiles und ewiges Naturgesetz1436 verstandene strukturelle Anlage, wie Bees richtig feststellt, eine Konzeption, die sein Werk „von Anfang bis Ende durchzieht, von dem man sagen kann, dass es für sein Selbstverständnis als Staatsmann, Redner und philosophischer Autor von erheblicher Bedeutung war“1437 und die somit universale Gültigkeit beansprucht. Ganz in diesem Sinne charakterisiert sich Cicero im Orator selbst: Ita sunt [aures] avidae et capaces et saepe aliquid immensum infinitumque desiderant.1438

1434

S. zuvor die Überlegungen zum dritten Buch von De re publica in Kapitel 7.2.2 sowie Kapitel 8. Vgl. Weber-Schäfer 1976, S. 116: „Cicero geht es darum, die wesensmäßige Identität der Weltvernunft und der Vernunft des verständigen Mannes (prudens) zu demonstrieren.“ Vgl. auch Nitschke 2007, S. 127: „Ordnung und Natur, Vernunft und Gott bilden […] eine dialektische Einheit.“ Forschner 2018, S. 177 folgert für die Stoa richtig: „Die Stoa vertrat keinen kruden ethischen Naturalismus. Die vernünftige Person konstituiert sich nicht rein naturwüchsig, sondern durch reflexive Klärung und willlentliche Aufnahme von durch die Natur vorgegebenen, teleologisch-providentiell interpretierten Anlagen und Tendenzen.“ Vgl. darüber hinaus Mančal 1982, S. 166. 1435 Vgl. grundlegend Bees 2010a, S. 168, der auch einen Bezug zur οἰκείωσις-Lehre – s. dazu Kapitel 8 und v. a. Anm. 1397 und 1405 – herstellt: „Cicero folgt stoischer Lehre, wie sie von Zenon begründet wurde, wenn er das Gesetz der Natur zum Maßstab des Denkens und Handelns macht. Seine Argumente bauen auf der stoischen Kosmologie, wonach Götter und Menschen eine Gemeinschaft vernunftbegabter Wesen bilden, verbunden durch ein göttliches Pneuma, auf der Oikeiosislehre, wonach die Liebe zu allen Menschen von der Natur gewollt und dem Menschen als Trieb eingesetzt ist, und auf der Lehre von der Prolepsis, wonach dem Menschen eine Anlage zum Guten von Gott gegeben ist. Handelt der Mensch nach diesen Vorgaben, so erfüllt er den Willen des Gottes, der göttlichen Allnatur, deren Gebote und Verbote sich als ‚Gesetz der Natur‘ […] darstellen. Der Inhalt dieses Gesetzes ergibt sich aus der für das stoische System wesentlichen Tendenz der Erhaltung des Kosmos.“ Vgl. auch Jürß 1982, S. 392f. und 397 sowie ebd., S. 508, wo er einen Bezug zum συμπάθεια-Gedanken – s. dazu Kapitel 8 und v. a. Anm. 1397 – herstellt. Vgl. zudem Graver 2012, S. 113: „He strongly favors a cosmology in which all events are arranged for the good by an organizing principle called Nature […] and he is inclined to believe that both individual human beings and societal groups are endowed by Nature with the very capacities we need in order to behave rightly and fulfil our function as rational animals.“ S. zum Begriff des Organischen bislang Kapitel 3.3.1 sowie Anm. 110, 111, 113 und 124. 1436 Vgl. auch Ruch 1965, S. 501. S. etwa nat. deor. 2,115, 119; Tusc. 5,69; rep. 3,33 oder 6,17. S. bislang besonders Kapitel 4.4 und 7. Vgl. zu verschiedenen Aspekten der Ewigkeit bei Cicero Luciani 2010, S. 165–194. 1437 Bees 2010a, S. 138f. Vgl. auch Gildenhard 2013a, S. 239: „[A] unifying vision informs his entire theoretical oeuvre.“ 1438 Orat. 104.

316

Schlussbemerkungen und Resümee

9.1.2 Universalismus in Strukturalismus und anderen Literaturtheorien Dass strukturalistisch inspirierte Theorie dabei geeignet ist, diesen Strukturzusammenhang zu betrachten, wird nicht nur durch Lévi-Strauss’ Systemverständnis nach Dick1439 klar, sondern auch in Schiwys Zuschreibung, der den Strukturalismus als „Methode, den Menschen im ganzen, sowohl in seiner kosmologischen wie seiner historischen Stellung zu erforschen“1440 bezeichnet, deutlich. Voraussetzung dafür ist es, von einer total1441 zu verstehenden organischen Einheitsstruktur auszugehen, wie es sich auch aus den obigen Betrachtungen zu Ciceros Philosophieren ergeben hat und wie es in der Moderne bereits in romantischen Weltdeutungen zu finden ist, wo sich Systemorientierung und Kosmopolitismus als Ausdruck eines solchen organischen Einheitsmodells verbinden.1442 Dabei sind durchaus auch direkte Verbindungen zu beobachten: Attridge unterstreicht etwa für den Strukturalisten Michael Riffaterre, dass er die Annahme einer komplexen organischen Einheit romantischer Ästhetik entlehnt habe.1443 Dick stellt entsprechend fest:1444 Um zu sichten und zu klassifizieren, was da ist, erstellt der menschliche Geist semiologische Systeme. Und es ist die differentielle Form ober eben Struktur dieser semiologischen Systeme, wodurch jenes lebendige, organische, signifikative Ganze, das man Überbau nennt, eine bestimmte Ordnung erhält.

1439

S. zuvor Kapitel 9.2.1. Schiwy 1971, S. 148. Dabei hebt er ebd., S. 46 besonders auf die Systematik der Sprache ab: Es sei Aufgabe der synchronen Sprachwissenschaft, Sprache „als System zu beschreiben, in dem alles mit allem zusammenhängt, die Zahl ihrer Grundelemente, deren mögliche Differenzierungen und Oppositionen zu ermitteln, die Funktionen und gegenseitigen Beziehungen innerhalb des komplizierten Mechanismus zu erforschen, wodurch die menschliche Sprache zum Kommunikationsmittel ersten Ranges wird“. 1441 Vgl. dazu Schiwy 1971, S. 137–140. S. auch Anm. 104, 1485 und 1504. 1442 S. zum Begriff des Organischen das Folgende und bislang Kapitel 3.3.1, Anm. 110, 111, 113 und 124 sowie zuvor Kapitel 9.1.1. Vgl. Guillén 1971b, S. 18, der als romantische Triebkräfte „two different, though obviously related, historical forces: a desire for system; and an internationalist or cosmopolitan spirit“ erkennt. Vgl. zudem Harland 1999, S. 69: „The organic model appears everywhere in Romantic literary theory.“ Im Gegensatz zu etwa Aristoteles, so ebd., S. 69f., sei romantische Theorie dabei mehr am Entstehungsprozess als am Status des Produkts interessiert. In der Rezeption romantischer Theorie entwickelt Northrop Frye ähnliche Vorstellungen von Universalismus: vgl. dazu etwa Eagleton 1983, S. 92f.; Scholes 1974, S. 117–128 und Harland 1999, S. 195–199. 1443 Vgl. Attridge 1995, S. 83. S. zur Verbindung von Strukturalismus und Romantik zuvor auch Kapitel 2.3.3 sowie Anm. 122. 1444 Dick 2009, S. 206. S. Kapitel 2.4 und dazu wie dort de orat. 1,186; 3,179 und fin. 3,74. 1440

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

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Das Potenzial des menschlichen Geistes, ein System zu konstruieren, hängt also maßgeblich von der Annahme eines organischen Ganzen ab, das mit dem oben referierten Naturbegriff in Zusammenhang steht.1445 Jene Naturkonzeption ist es schließlich, die eine Parallelisierung ciceronischer und strukturalistischer Form und Methode erlaubt. Gerade für Lévi-Strauss und Barthes bestehen für menschliche Kommunikation bestimmte natürliche Voraussetzungen,1446 die als naturgesetzliche Strukturen erscheinen und das menschliche Denken bestimmen, wie es auch Dick festhält:1447 [Strukturen] spiegeln sich ab im menschlichen Denken, da sie elementaren Naturgesetzen entsprechen und das menschliche Leben seinerseits den Naturgesetzen, eben jenen Strukturen, unterworfen ist.

Ein Naturgesetz darf am Ende für Cicero wie für die Strukturalisten als ordnende Instanz gelten, die eine Verknüpfung der Elemente zu Strukturen, die der Mensch zu erkennen im Stande ist, überhaupt erst ermöglicht. In besonderem Maße äußerst sich dies im menschlichen Denken und konkret in der Sprache als Basis der Kommunikation, welche die Erkenntnis von Strukturen zum Ausdruck bringt.1448 Ergänzt man diese anthropologische Erkenntnismöglichkeit naturbedingter Strukturierung um die Annahme einer grundsätzlich binären Strukturiertheit des menschlichen Denkens1449 als weitere Voraussetzung des anthropologischen Weltzugangs, so lässt sich auch das Denkmuster Analyse–Synthese als ganzes in die beschriebene metaphysische Struktur einfügen.1450 Dick stellt dazu treffend 1445

Vgl. dazu auch Dick 2009, S. 216: „Weil er zu einem geordneten Makrokosmos gehört, errichtet der menschliche Geist Ordnungs-Systeme.“ 1446 Vgl. dazu auch Boon 1972, S. 227, der für Lévi-Strauss die „notion that human communication is limited by the same sort of structural principles that appear to govern natural phenomena“ erkennt. Barthes wiederum bestimmt nach Connolly 2007, S. 111 gemäß dieser Voraussetzungen die antike Rhetorik, „presenting language as an ordered system that could best be comprehended in terms of natural categories“. Daraus ergebe sich, so ebd., eine Transformation der komplexen Regeln rhetorischer Überzeugungsleistung „into a matter of natural law“. 1447 Dick 2009, S. 172. 1448 S. auch zuvor Kapitel 3.3.1 und 8 sowie Anm. 254 und 311. Vgl. auch Scholes 1974, S. 190: „In the structuralist vision of man, a new awareness of the nature of language and the processes of thought has led to a new awareness of human universality.“ 1449 S. Kapitel 2.3.2. 1450 Vgl. für die metaphysische Qualität binären und strukturalistischen Denkens auch Harland 1987, S. 85: „In fact, there has always been an affinity between binarism and Metaphysical philosophy. Just as any philosophy which seeks to found the world upon objects before relations must inevitably incline towards objects in their most elementary atomic form, so any philosophy which seeks to found the world upon relations before objects must inevitably incline towards relations in their most elementary binary form. Binary thinking thus appears in the philosophy of Plato, especially in the Sophist. […]

318

Schlussbemerkungen und Resümee

fest: „Alles das, was ist, tritt oppositiv und korrelativ zueinander ins Verhältnis, wodurch es in eine universale dialektische und differentielle Ordnung, eben in jene Meta-Struktur, eingegliedert wird.“1451 Was als Betrachtungsinstrument und auf der Ebene des Textes Analyse und Synthese heißt, wird vor dem metaphysischen Hintergrund und in Anbetracht einer zugrundeliegenden menschlichen Bewusstseinsstruktur zu verschiedenen Ausprägungen einer naturbedingten Vernunft. Dick schreibt weiter:1452 Hinter […] der empirisch-faktischen Realität – die von der analytischen Vernunft geordnet und von der dialektischen Vernunft im Milieu der Intelligibilität totalisiert werde – befinde sich eine zweite, verborgene, nichtsdestoweniger aber objektive Realität: das Sein der Strukturen.

Sowohl ein ordnendes analytisches als auch ein totalisierendes synthetisches Denkvermögen verweisen also auf eine tieferliegende, allen Dingen gemeinsame Grundstruktur, die im letzten Schritt mit der Natur in eins gesetzt wird, was die analytischen und synthetischen Operationen des Menschen an sich als natürliche, kosmisch-ordnende Fähigkeiten erhöht. Mit Dick lässt sich schlussfolgern:1453 Die Dialektische Vernunft ist für Lévi-Strauss eine Eigenschaft des esprit humain. Sie setzt den Menschen kognitiv-intellektuell instand, die vermittels analytischer Vernunft isolierten Einzeltatsachen in ihren Beziehungen aufeinander zu untersuchen. […] Aufgabe der dialektischen Vernunft ist es, die interiorisierten Einzeltatsachen daraufhin zu prüfen, wie sie Teile desselben Mosaiks sind, an welcher Stelle sie sich einfügen lassen – in ein Mosaik, das die Natur ist.

And binary thinking becomes quite obsessive in the philosophy of Hegel, where the Categories think themselves into existence.“ Vgl. weiterhin Harland 1987, S. 76: Strukturalistische Philosophie „proposes to outleap the dimension of experience, to start from a starting point outside of experience. And such a move in philosophy is precisely the move that has always been described – and often despised – as ‚metaphysical‘“. 1451 Dick 2009, S. 278. Vgl. auch ebd., S. 192: „Das menschliche Denken vermag, die Strukturen, oder vielmehr den Meta-Code aller Strukturen, ‚im ewigen Prozeß der Bewegung der Entstehung und Aufhebung von Widersprüchen‘ zu entdecken.“ Es gebe, so ebd., einen „unbewußten universalen Code, der alle empirischen Phänomene strukturiert“. Hier sei auf eine spannende Parallele zum Neuplatonismus Plotins verwiesen, wenn Hadot 1998, S. 182 den Unterschied der plotinischen Dialogstruktur gegenüber der platonischen herausarbeitet: „Elle suit les mouvements de procession et de conversion, les phrases de distinction et de réunion, les étapes de multiplication interne dans lesquels se constitue le monde intelligible. Ces différents procédés d’analyse et de synthèse, d’affirmation et de négation sont destinés à faire entrevoir le reflet de l’Un transcendant dans la multiplicité intelligible.“ 1452 Dick 2009, S. 189. 1453 Dick 2009, S. 199.

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

319

Der Mensch, der an der natürlichen Allvernunft Anteil hat, ist in das universale und kosmische Strukturmodell von Analyse und Synthese eingeordnet. Dieser Zusammenhang gilt, wie gezeigt wurde, gleichermaßen für Ciceros Philosophieren und für die strukturalistischen Voraussetzungen dieser Arbeit. 9.2

Universum, Individuum und Struktur

Wenn der Mensch so als Teil dieser Gesamtstruktur betrachtet wird, stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle der Einzelne in diesem Gefüge spielt. Bislang wurde nur herausgestellt, dass er passiv dazu in der Lage ist, die übergeordneten und unterbewussten Strukturen zu erkennen. Tatsächlich ist in strukturalistischen Theorien die Tendenz zu finden, das Subjekt teilweise oder ganz auszuschalten, es als durch die Struktur quasi determiniert darzustellen, wie es auch Bolz beschreibt:1454 Indem der Strukturalismus den Inhalt zugunsten einer Analyse reiner Beziehungen abblendet, zeigt er, wie eine unbewußte Aktivität des Geistes jedem Inhalt Formen aufprägt; die Regeln des Codes sind unbewußt. In diesem ‚Kantisme sans sujet transcedental‘ schrumpft das Subjekt zum insubstantiellen Ort eines anonymen Denkens. Indem der Strukturalismus vom Subjekt abstrahiert, schlägt er den Menschen wieder der Natur zu.

Im Folgenden soll in Ablehnung eines solch radikalen Systemverständnisses untersucht werden, wie dem Einzelnen als Subjekt auch eine aktive Rolle zukommen kann. Immer wieder hat sich in der Untersuchung gezeigt, dass in ciceronischen Texten der Mensch nicht nur passiv Anteil an einer Weltvernunft hat, um bereits Vorgezeichnetes nachzuvollziehen, sondern auch und vor allem aktiv versuchen soll, analytische Strukturen zu verändern und auf einen Synthesestatus hinzuarbeiten. Als Beispiele können die Debatte um einen freien Willen des Individuums im Rahmen der probabilistischen Methodik1455 oder die kosmisch begründete Aufgabe des Staatsmanns zu einer Verbindung von Theorie und Praxis1456 dienen, ganz generell aber lässt sich in De re publica feststellen, dass die Natur zwar erheblichen Einfluss auf menschliche Gemeinschaften besitzt, sie aber nicht

1454

Bolz 1990, S. 1. Vgl. auch Patzig 1981, S. 111–114 und besonders ebd., S. 113f., wo er den Unterschied zu Kant deutlich hervorhebt: „Kant […] ließ das Eigenrecht des Individuellen bei aller Betonung der strukturellen Prägung durch aporische Formen unserer Erkenntnis unangetastet.“ Etwas optimistischer hinsichtlich der Bedeutung des Subjekts v. a. bei Lévi-Strauss formuliert Donato 1967, S. 555. 1455 S. Kapitel 4.4.2. 1456 S. Kapitel 7.2.4, 7.2.5 und 7.4.

320

Schlussbemerkungen und Resümee

vollständig determiniert1457 – vielmehr nimmt der Einzelne einen zentralen Rang im naturgesetzlichen Zusammenhang ein. Während die Stoa vom Kosmos ausgeht, in den der Mensch eingeordnet wird, setzt Cicero beim Individuum an, das selbstständig und selbsttätig mittels seiner Vernunft nicht nur die Verbundenheit der Dinge und die grundlegenden Strukturen erkennen und nachvollziehen kann, sondern auch in den Verlauf der Dinge eingreifen und Strukturen verändern kann.1458 Der strukturelle folgt einem natürlichen Prozess; das Denkmuster Analyse–Synthese ist zwar selbst in der Natur angelegt, besitzt aber gerade, indem es nachvollzogen wird, Relevanz für das menschliche Denken und Handeln, denn, so Reckermann: „Bei der Beachtung von Ähnlichkeiten zwischen Verschiedenem werden Einsichten in Ursachen, Zusammenhänge und Folgen der vergleichend beobachteten ‚res‘ gewonnen.“1459 Eine solche Verbindung von Freiheit und Ordnung beschreibt das Spezifische des ciceronischen Philosophierens.1460 Der immer wieder als Beleg für ciceronische Denkstrukturen herangezogene Hymnus an die Philosophie im fünften Proömium der Tusculanae disputationes1461 kann dies letztgültig bestätigen: Philosophie wird hier als quasi-natürliche, ordnende Macht dargestellt, die für die Gesellschaft synthetische Funktion hat und dem Einzelnen, der sich aus freien Stücken heraus für sie entscheidet, Trost spenden und Zuflucht bieten kann:1462 Cuius in sinum cum a primis temporibus aetatis nostra voluntas studiumque nos compulisset, his gravissimis casibus in eundem portum, ex quo eramus egressi, magna iactati tempestate confugimus. O vitae philosophia dux, o virtutis indagatrix expultrixque vitiorum! quid non modo nos, sed omnino vita hominum sine te esse potuisset? Tu urbis peperisti, tu dissipatos homines in societatem vitae convocasti, tu eos inter se primo domiciliis, deinde coniugiis, tum litterarum et vocum commu1457

S. Kapitel 7.2.2 und auch Anm. 1049. Vgl. auch Koch 2006, S. 47: „Stoisches Anliegen ist es, ,das Ganze‘ zu verstehen und von dort aus den Menschen einzugliedern. Die Kosmologie ist das Erste, und von ihr aus gewinnt alles Weitere seinen relativen Standpunkt. […] Cicero dagegen nimmt seinen Ausgangspunkt beim Menschen, und hier nicht so sehr bei dessen Rationalität als Erstem, sondern bei seinem Verantwortungs- und Freiheitsbewusstsein.“ 1459 Reckermann 1990, S. 510. Vgl. auch Jürß 1982, S. 509, der festhält, es gebe bei Cicero eine „Auffassung von einem geordneten, von einer göttlichen Kraft durchwirkten Kosmos, aus dessen Studium der Mensch Kraft für die Gestaltung seiner gesellschaftlichen Welt ziehen kann und soll“. 1460 Vgl. auch Hippel 1955, S. 206, der treffend herausstellt, dass Ciceros Weltbild „menschliche Freiheit mit göttlicher Ordnung zu verbinden“ suche. Vgl. zudem Mančal 1982, S. 168, der die Bewegung der Sterne als geeignetes Beispiel anführt: „Die Beschäftigung mit der Gesetzmäßigkeit der Sternenbewegung zeigt dem Einzelnen, daß nicht nur in ihm allein ratio et mens ist, sondern auch in caelo mundoque.“ Vgl. weiterhin Pohlenz 1978, S. 259. 1461 S. bislang Kapitel 3.2, 4.2 und 6. 1462 Tusc. 5,5. 1458

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

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nione iunxisti, tu inventrix legum, tu magistra morum et disciplinae fuisti; ad te confugimus, a te opem petimus, tibi nos, ut antea magna ex parte, sic nunc penitus totosque tradimus.

In der gebetsartigen Anrufung einer strukturierenden philosophischen Allmacht durch das Individuum verschränken sich Freiheit und Ordnung im Sinne von Ciceros sozialer Kulturphilosophie:1463 Philosophie als Strukturelement wirkt als Antrieb und bringt verschiedene Elemente gesellschaftlichen Lebens zusammen, der Einzelne aber muss sich aktiv für die Hilfe der philosophia entscheiden, um die von ihr initiierten strukturellen Bewegungen zu unterstützen und zu fördern. Ungebildete dagegen wenden sich durch eigene Entscheidung gegen das beschriebene Strukturkonzept und wirken der etablierten Ordnung entgegen:1464 Hic error et haec indoctorum animis offusa caligo est, quod tam longe retro respicere non possunt nec eos, a quibus vita hominum instructa primis sit, fuisse philosophos arbitrantur.

Nur weil er frei ist, kann der Mensch sich für oder gegen die strukturelle Ordnung entscheiden und für oder gegen sie handeln. Eine solche Auffassung von Philosophie und Welt verweist vom antiken Standpunkt aus bereits auf die zunehmende Bedeutung des Subjekts in den folgenden Jahrhunderten1465 und vor allem in der Moderne, wie auch Koch richtig herausstellt: „Rationalität bietet […] nicht die Entscheidung selbst; sie ist vom – und hier darf ein Leitbegriff neuzeitlicher Philosophie eingesetzt werden – Subjekt zu leisten.“1466 Ciceros Philosophieren hat, so darf man etwas pointiert festhalten, aufklärerisches Potenzial. Nicht zuletzt deshalb darf der immer wieder angeklungene1467 pädagogisch-didaktische Impuls der Schriften nicht unerwähnt bleiben, der sich besonders in den zahlreichen, oft an zentraler Stelle auftretenden Einzelpersonen spiegelt. Synthesefiguren wie Karneades, Philon oder Scipio ver1463

S. Kapitel 6, 7 und besonders 8. Tusc. 5,6. 1465 So befindet sich Cicero nach Lefèvre 2008, S. 260–266 mit seinem philosophischen Denken „auf dem Weg zur Individualphilosophie Senecas[,] […] auf dem Weg zur Autarkie der einzelnen Persönlichkeit und dem Individualismus der Kaiserzeit“. Gegen diese Auffassung argumentiert beispielsweise Gill 2006, S. 377. 1466 Koch 2006, S. 193. Vgl. auch Oiserman 1988, S. 157, der über Ciceros Philosophie schreibt: „Elle parle la langue du bon sens, elle s’adresse à tous les hommes, elle met en discussion les sujets de la vie de tous les jours, elle est ouverte à toutes les préoccupations du peuple romain.“ Vgl. weiterhin Gawlick 1956, S. 128: Bei Cicero „erscheint die Welt […] schon nicht mehr als etwas Gegebenes, sondern als etwas Aufgegebenes, als regulative Idee der Teleologie, die den Leitfaden für die Betrachtung der Natur abgibt“. Vgl. zudem ebd., S. 120–123 und 128–130 sowie Ueding/Steinbrink 2011, S. 36. 1467 S. hierfür Anm. 767 und die Verweise an jener Stelle. 1464

322

Schlussbemerkungen und Resümee

binden dabei in ihrer Orientierung an einem Ideal Gegensätze und wirken als Vorbild auf eine Einheit hin, während Analysefiguren wie Tiberius Gracchus oder Cäsar als Negativbeispiele dienen, wenn sie analytische Prozesse der Spaltung in Bewegung setzen.1468 Sokrates kommt dabei eine besondere Rolle zu:1469 Zunächst als Analysefigur für die Opposition zwischen Philosophie und Rhetorik,1470 ist er sonst als ultimative Figur der Synthese konfiguriert, wofür zunächst für seine Philosophie ein alle relevanten Schulen umfassendes synkretistisches Ideal1471 konstruiert wird, auf dessen Grundlage sodann etwa Skeptizismus und Dogmatismus oder Theorie und Praxis als Einheit erscheinen und der weltbürgerliche Universalismus als Idealzustand etabliert wird. In Sokrates als Initiator eines discidium und als mundanus der einen Welt verbinden sich damit, strukturell und auf von einer Metaebene aus betrachtet, auch Analyse und Synthese selbst und werden so als notwendige Pole eines Denkmusters demonstriert. Cicero sieht sich am Ende vor allem in seiner Nachfolge, erscheint bisweilen, freilich methodisch bedingt, als analytische Figur, vor allem aber als Theoretiker wie Praktiker einer Synthese, der selbst als Vorbild in sokratischer Tradition möglichst viele Menschen zum Philosophieren bewegen will. Seine verlorene Schrift Hortensius war dafür wohl bestes Zeugnis: Nam et cohortati sumus, ut maxime potuimus, ad philosophiae studium eo libro, qui est inscriptus Hortensius.1472 Strukturell gewendet kommt das Individuum also nur durch eine Verschränkung von Analyse und Synthese, die beide Pole als notwendig erachtet, ins Spiel. Die Dynamik des Denkmusters verhindert, dass ein für immer feststehender Gesamtzusammenhang aller Einzelelemente, mag er auch synthetisch erzeugt oder ausgestaltet sein, dem Subjekt jede Freiheit einer eigenen Entscheidung nimmt, ermöglicht aber gleichzeitig, dass für die analytisch zu verstehenden einzelnen Dinge eine Perspektive der Verknüpfung existiert, durch die sich das Subjekt im Universum verortet. So verstanden, kann die zentrale Terminologie dieser Arbeit sicherlich auch in einem wörtlichen Sinne auf den Einzelnen appliziert werden: Die Analyse mag rational klärend sein, führt aber oft in die Aporie; eine Synthese hingegen schleift Ecken und Kanten, bietet aber in ihrem Ergebnis ein abstraktes Ideal, an dem sich das Individuum orientieren kann.1473 Strukturalistische Perspektive und Subjektsbegriff müssen sich somit nicht ausschließen, sondern gehen für die Betrachtung ciceronischer Texte eine fruchtbare Symbiose ein.

1468

S. beispielsweise für Karneades die Verweise in Anm. 221. S. für Sokrates bei Cicero Anm. 270. 1470 S. dazu Kapitel 3.3.1 und Anm. 270. 1471 S. Kapitel 8 und 9 sowie Anm. 1398 und die dortigen Verweise. 1472 Div. 2,1. S. auch fin. 1,2 oder ac. 2,6. 1473 Maurach 1997, S. 62 fasst den Zusammenhang der Begriffe für Cicero ganz gut, wenn er für Ciceros politischen Einfluss festhält: „[N]achdem die Synthese von Denken und Tun unmöglich geworden war, trat das Analysieren der Lage und Notwendigkeit stärker hervor.“ 1469

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

9.3

323

Individuum außerhalb des Textes: Autor und Leser

Was sagt eine solche Symbiose nun für den Autor des Werkes in der historischen Realität und wie profitiert der Leser in der Wirklichkeit des Rezipienten von ihr? Wie also verhält es sich mit dem Individuum außerhalb des Textes? Auf der Ebene des Produzenten, des Autors, lässt sich fragen, ob der strukturell interpretierte philosophische Entwurf ein auch für die Realität entworfenes Konzept oder eine unerreichbare Utopie, die sich auf die Fiktivität der Literatur beschränkt, darstellt. Verharrt der aus Form und Inhalt der Texte hervorscheinende Universalismus im utopischen Raum? Für den Menschen Cicero zumindest scheint das Erkennen des Zusammenhangs der philosophischen Lehren und Thesen therapeutische Wirkung entfaltet zu haben.1474 So muss bei Cicero am Ende nicht zuletzt deshalb ein universal gedachter Konsens stehen, weil so das Glück des Einzelnen begründet werden kann – es folgt aus der Beschäftigung mit Philosophie an sich.1475 Die Linderung von Schmerz und Sorge gilt dabei für die in den Werken präsente Autorfigur; ob auch der historische Cicero ähnliche Erfahrungen gemacht hat, ist anzunehmen, bleibt aber ungewiss. Auf gesellschaftlicher Ebene ließe sich sodann fragen: Wie ist es um den Zusammenhang von Philosophieren und politischem Wirken bestellt? Diese Frage könnte man sehr eindeutig und konkret beantworten und etwa mit Baldry behaupten, dass die Idee einer umfassenden Einheit der Menschen keine wirklichen Auswirkungen auf sein politisches Denken und seine gesellschaftlichen Vorstellungen hatte,1476 was man beispielsweise an Ciceros konservativer Einstellung zur ständisch strukturierten Gesellschaft erkennen könne.1477 Generell wird, historisch völlig korrekt, zumindest für den Hellenismus die Diskrepanz zwischen philosophischen Thesen und Realpolitik sowie der Mangel an konkreten politischen Handlungsanweisungen und an Beispielen für wirklich nach philosophischen Prinzipien handelnden Herrschern betont.1478 In der Forschungsliteratur zu Cicero wird eine Verbindung natürlich trotzdem versucht, wofür, wie bekannt, konkrete und abstrakte Entwürfe1479 existieren; der konkrete Ansatz krankt an seiner mangelnden Beweisbarkeit, der abstrakte an seiner Vagheit. Auf diese Weise lässt sich die Kluft zwischen Cicero, dem praktischen Philosophen, und Cicero, dem Realpolitiker, also nicht oder nur unbefriedigend überbrücken – die

1474

S. Tusc. 3,84 und 5,121 und dazu Kapitel 4.2 und 6. S. etwa Tusc. 5,72 und zudem Kapitel 4.2 und 6.4. Vgl. auch Bees 2010a, S. 134, der zudem eine Parallele zu Kleanthes zieht. 1476 Vgl. Baldry 1965, S. 200: „[T]he idea of human unity had no fundamental effect on Cicero’s thinking.“ 1477 Vgl. Baldry 1965, S. 200f. und darüber hinaus Carter 1972, S. 36. 1478 Vgl. z. B. Griffin 1988; Griffin 1989; Jocelyn 1977, S. 326 und 366; Malitz 1988, S. 155 oder Gehrke 1998, S. 101f. 1479 S. Anm. 24. 1475

324

Schlussbemerkungen und Resümee

Begrifflichkeiten bleiben semantisch unverbunden nebeneinander stehen.1480 Burkert bringt es auf den Punkt:1481 Ciceros Hinwendung zur Philosophie […] steht von vornherein im Zeichen eines Dilemmas; […] hier kollidiert der Wunsch nach Synthese mit dem Zwang zur Entscheidung.

Es zeigt sich: Allein auf der Ebene der historischen Person muss jeder Versuch einer Vereinbarkeit von Theorie und Praxis außerhalb des Textes scheitern.1482 An dieser Stelle tritt der Leser der ciceronischen Werke hervor. Wie die Untersuchung gezeigt hat, lässt sich gerade anhand der Struktur der Werke zeigen, dass mithilfe ciceronischer Methodik ein kultur- und sozialphilosophisches Programm für den Einzelnen und die Gesellschaft konstruiert ist, welches ein Ideal evoziert, das als tatsächlich erreichbar gedacht wird. Da das zugrundeliegende Denkmuster zunächst unabhängig von der Intention eines Autors gedacht wird, kommt dem Rezipienten der Texte die entscheidende Funktion zu. Der Leser als Individuum ist die Instanz, in der das Denkmuster zu seiner Anwendung kommt, in dem die Symbiose von Strukturalismus und Subjektbegriff erst Realität wird. Dies gilt sowohl für romantische1483 wie vor allem strukturalistische Literatur-

1480

Vgl. z. B. Gawlick/Görler 1994, S. 1099: Die Ausweitung des Begriffs Philosophie ist „Ausdruck einer Überzeugung, die sich Cicero selbst früh gebildet hatte: dass Philosophie, Politik und Rhetorik (sei es im Dienste der Politik oder im Dienste der Rechtspflege) eine unauflösbare Einheit bilden“. Vgl. auch Kurczyk 2006, S. 350f., die von der Konstruktion „einer Synthese aus philosophischer Bildung, rednerischer Kompetenz und treuem Engagement für den Staat“ spricht. 1481 Burkert 1965, S. 175f.; vgl. auch Görler 1990b, S. 72: „Freilich war die Verbindung [von Philosophie und Politik] das Ideal und wurde als solches nicht erreicht. Im Leben hatte Cicero zu wählen zwischen Philosophie und Politik.“ 1482 Ganz unabhängig davon ist es zunächst für jeden Denker geboten, zunächst zwischen persönlichem Lebensentwurf und philosophischen Ideen zu trennen. 1483 Vgl. etwa Harland 1999, S. 70, wo die Leistung des Individuums als Ausdruck eines kreativen Prozesses erscheint: „The quality of the organic is referred to the synthetic powers of the creative imagination.“

Weiterführende Überlegungen: Universum, Individuum, Struktur

325

theorie,1484 wobei die Überlegungen von Greimas zum Interpretationsprozess1485 und vor allem von Barthes zur Bedeutungsherstellung durch den Leser1486 hervorzuheben sind, als auch für die Interpretation antiker1487 und im Speziellen ciceronischer Texte. Dies hält Reckermann fest, der für die Interpretation einen Rahmen fordert, „innerhalb dessen zunächst als disparat erscheinende Ausführungen als Komponenten einer in sich stimmigen Theorie wahrgenommen werden können“,1488 was letztendlich zur begründeten Auffassung führt, „daß Ciceros Darstellungsform bewußt an das ‚animi iudicium‘ des Lesers appelliert und ihn mit der Forderung konfrontiert, verschiedene Überlegungen zur Einheit eines Gedankens zusammenzufügen“.1489 Dies geschehe aus der Überzeugung heraus, „daß philosophische Gedanken, auch wenn sie für sich selbst schon wahr sind, erst durch einen Akt freier Anerkennung die Kraft lebensgestaltender Einsicht gewinnen können“1490 – ein Appell, der in Ciceros Werken prinzipiell angelegt ist, 1484

Vgl. ganz zentral Culler 1975, S. 222: „The reader must organize the plot as a passage from one state to another and this passage or movement must be such that it serves as a representation of theme.“ Zur Frage, wie der Übergang von Status zu Status geleistet werden kann, schreibt er ebd.: „One can attempt to establish a coherent causal series, in which disparate incidents are read as stages towards a goal, or a dialectical movement in which incidents are related as contraries whose opposition carries the problem that must be resolved.“ 1485 Vgl. zu Greimas’ Isotopie-Konzept Culler 1975, S. 75–95. Ebd., S. 91 hält er fest: „[I]sotopies are not produced by the simple repetition of semantic features […]. Their unity is produced not so much by intrinsic features of their parts as by the intent at totality of the interpretive process: the strength of the expectations which lead readers to look for certain forms of organization in a text and to find them.“ 1486 Vgl. dazu Culler 1975, S. 243: „The text may not have a structure assigned to it by a grammar of narrative, but that is because the operations of reading enable it to be structured in various ways. […] [T]he text […] does not itself contain a meaning but involves the reader in the process of producing meaning according to a variety of appropriate procedures.“ 1487 Vgl. etwa Jordan 1992, S. 21, der für Heraklits Texte betont, dass sie in hohem Maße nach einer Interpretation durch den Leser verlangen. 1488 Reckermann 1990, S. 508. Voraussetzung dafür ist die Annahme, dass in ciceronischen Texten eine Einheit nicht oder nicht offensichtlich durch den Autor vorbereitet ist, wie ebd. dargelegt wird: „Cicero entwickelt in […] dialogischen Texten seine Konzepte gewöhnlich so, daß er verschiedene Gedanken in sich isoliert darstellt, sie aber nicht zu einer systematisch gegliederten Einheit verknüpft.“ 1489 Ebd., S. 509. 1490 Ebd. Dies bedeutet, so ebd., S. 508, für die Interpretation: „Jede Cicero-Interpretation […] muß einerseits der Tendenz zur gedanklichen Distraktion entgegenhandeln und andererseits deutlich machen, warum Cicero seine Konzepte wie ‚disiecta membra‘ behandelt, so daß sie in der Regel nur im Modus der Latenz in unterschiedlichen Kontexten auftreten.“ Vgl. dazu weiterhin zentral Fox 2007a, S. 79: „The presentation of contradictory positions does not aim […] at the production of a synthesis of views; rather, it presupposes the ultimate fallibility of any view (though there are certainly

326

Schlussbemerkungen und Resümee

wie es Ciceros Warnung vor reiner Autoritätshörigkeit im Proömium von De natura deorum grundsätzlich zum Ausdruck bringt:1491 Quin etiam obest plerumque iis qui discere volunt auctoritas eorum qui se docere profitentur; desinunt enim suum iudicium adhibere, id habent ratum quod ab eo quem probant iudicatum vident.

Wenn also nicht die historische Person Cicero Ausgangspunkt ist, sondern die ciceronischen Texte als Grundlage einer Strukturierung betrachtet werden, von der ausgehend erst eine historische Realität beleuchtet werden kann, kommt man den oben aufgeworfenen Fragen deutlich näher, wenn auch eine solche Annäherung durch die Voraussetzungen dieser Arbeit weitgehend abstrakt bleiben muss: Analyse und Synthese bilden ein naturgegebenes Strukturprinzip, ein rational definiertes Denkmuster, das teleologisch auf die Synthese gerichtet ist. Ein Text bietet die theoretischen Anhaltspunkte, die sich zunächst in Oppositionen, dann im Prozess des vernünftigen Nachdenkens, mithin des Philosophierens, zu einer höheren Synthese zusammenordnen lassen und so ein theoretisches wie praktisches philosophisches Programm entfalten, dessen Wahrscheinlichkeit geprüft werden muss, bevor es als glaubwürdig für die Praxis bestimmend wird. Cicero selbst hat dafür bereits am Anfang seiner schriftstellerischen Tätigkeit eine treffende Metaphorik gefunden, wenn er die Art und Weise beschreibt, wie der Maler Zeuxis das Bild eines schönen Mädchens nicht anhand einer einzigen Vorlage, sondern aus den schönsten Teilen verschiedener Vorlagen neu zusammenfügt, und wenn er diese Metaphorik analog auf seine Tätigkeit als Autor überträgt:1492 Quod quoniam nobis quoque voluntatis accidit, ut artem dicendi perscriberemus, non unum aliquod proposuimus exemplum, cuius omnes partes, quocumque essent in genere, exprimendae nobis necessarie viderentur; sed omnibus unum in locum coactis scriptoribus, quod quisque commodissime praecipere videbatur, excerpsimus et ex variis ingeniis excellentissima quaeque libavimus.

Da alle Teile im Rahmen eines Gesamtzusammenhangs miteinander verbunden sind, ist es möglich, die Elemente auch über Grenzen hinweg aufeinander zu besome positions, usually Epicurean ones, that are intrinsically more fallible than others), and points towards the reader, rather than the author, as the source of any likely synthesis or authoritarian standpoint.“ Im Gegensatz zu Fox geht diese Arbeit allerdings davon aus, dass eine Synthese durchaus bereits durch die Textstruktur selbst angelegt sein kann, weshalb der Schlussfolgerung von Fox 2007, S. 79 zu widersprechen ist, dass Cicero eine Vision Roms zeichne, „where tensions remain largely unresolved, and where even desirable philosophical outcomes are rendered relative, and subjected to an ironic juxtaposition with different, more cynical or realistic views“. 1491 Nat. deor. 1,10. S. zur Stelle Kapitel 4.2 und 4.4. 1492 Inv. 2,4.

Die Struktur als Medium von Interpretation und Rezeption

327

ziehen und die Dinge nach ihrer Analyse synthetisch neu zu konfigurieren. Mančal beschreibt dies entsprechend: „[D]as Ausgewählte ist aber nicht bloßes Teil, sondern Teil eines gegebenen, realen Ganzen; zugleich aber soll es ein Teil eines anderen, neuen Ganzen werden.“1493 Es handelt sich um eine im Grunde strukturalistische Methode des Zerlegens und Zusammensetzens innerhalb eines Systems mit aufeinander bezogenen Elementen.1494 Und somit schließt sich der Kreis von Produzent, Rezipient und Struktur, von Autor, Interpret und Text: Strukturmomente stehen in philosophischen Texten in Verbindung – Alia ex alia nexa […] videantur.1495 – und müssen vom vernunftbegabten Menschen selbstständig betrachtet, in Beziehung gesetzt und für die Praxis nutzbar gemacht werden – dies war Ciceros Vorgehen in der Antike und ist das des Rezipienten beim Lesen von Ciceros Philosophica heute. 10

Die Struktur als Medium von Interpretation und Rezeption

Die Form dieser Arbeit, das Analyse-Synthese-Instrumentarium, an dem sich der Aufbau der Betrachtungen orientiert hat (Kapitel 1 und 2), konnte zeigen, dass in ciceronischen Texten eine Analyse-Synthese-Denkstruktur konstant1496 wirksam ist, die sowohl Ciceros Methodik (Kapitel 3, 4 und 5) als auch die Inhalte seines Philosophierens (Kapitel 6, 7 und 8) bestimmt.1497 Es handelt sich bei dem von Trennung und Einheit geprägten Denkmuster also nicht nur um eine nützliche Interpretationsfolie, sondern um eine strukturelle Ordnungskategorie der antiken Texte und, dieser Schritt sei erlaubt, ebenso um ein bewusst oder unterbewusst zur Anwendung gelangendes Denkmuster des Autors und ein Rezeptionsmuster des Lesers (Kapitel 9). Als Analyse erscheinen dabei verschiedene Dichotomien, die gemeinsam mit ihrer prozessualen Auflösung sowohl die methodischen Modalitäten als auch das kultur- wie sozialphilosophische Programm der untersuchten Texte definieren. Beide Linien treffen sich am Endpunkt eines inhaltlich wie

1493

Mančal 1982, S. 192; vgl. generell ebd., S. 190–193. S. Barthes’ Methodik in Kapitel 2.3.2 und Anm. 54. So kann schlussendlich der oft erhobene Eklektizismusvorwurf – s. Anm. 22 – auch aus der Perspektive der Literaturtheorie entkräftet werden: Es findet kein beliebiges Auswählen, sondern ein strukturelles und strukturiertes Zusammendenken statt. Insofern ist Buckley 1970, S. 154 zuzustimmen, wenn er feststellt: „[T]he ‚eclecticism‘ of Cicero come[s] out of a recurring failure to understand a philosophy within the context of its own methodological structures and coordinates.“ 1495 Nat. deor. 1,9. 1496 S. zu dieser oft gestreiften These Anm. 50 und die dortigen Verweise. 1497 S. zur Verbindung von Methodik und Inhalt konkret in Ciceros Werken bereits Kapitel 8 und 9 sowie einzelne Beobachtungen in etwa Anm. 1203, 1382 und 1412. 1494

328

Schlussbemerkungen und Resümee

formal bestimmten Universalismus,1498 der Philosophie und Rhetorik (Kapitel 3), Zweifel und Glauben, Skeptizismus und Dogmatismus, Vernunft und Erfahrung (Kapitel 4), Griechen und Römer, Vergangenheit und Gegenwart, Elite und Masse (Kapitel 6), Optimaten und Popularen, Sonnen am Himmel, Parteiungen und Menschen auf der Erde und nicht zuletzt Theorie und Praxis (Kapitel 7) umfasst: Er ist supranational, überzeitlich und allumfassend bestimmt, rhetorisch-dialektisch und probabilistisch ausgestaltet. Das Ziel, auf das alles ausgerichtet ist, stellt damit als Synthese ein Universalkonzept von Philosophie dar, das den Zusammenhang aller Dinge repräsentiert (Kapitel 8 und 9). Der Weg dorthin wird geebnet durch möglichst viele Individuen,1499 die als Vorbilder1500 pädagogisch1501 wirkend Philosophie und Rhetorik als Disputation zusammendenken und probabilistisch orientiert ein Wahrscheinliches als Richtschnur suchen (Kapitel 3 und 4), welches sie nach Maßgabe von Philosophie, Vernunft und Tugend generell wie konkret, theoretisch wie praktisch als Ideal verfolgen, um gute, gerechte Strukturen der Gesellschaft zu erhalten und kosmopolitisch auszubauen und um den schlechten, degenerierten Status des Gemeinwesens in Anlehnung an die himmlische Wohlordnung wiederherzustellen (Kapitel 6 und 7).1502 Dabei vereinigen und verschränken sich philosophisch-skeptische Disputationsmethodik mit rhetorischdogmatischem Wahrscheinlichkeitsdenken (Kapitel 5) sowie theoretische Praxis der Kulturphilosophie und praktische Theorie der Sozialphilosophie (Kapitel 8) zu einer Synthese von Form und Inhalt, die sowohl Ciceros Werke als auch diese Arbeit prägt (Kapitel 2 und 9). All dies ergibt sich aus der Struktur der betrachteten Texte. Sie wird damit zum Medium der Interpretation. Denn: Die textuellen Einzelelemente der Struktur sind nach bestimmten Mustern miteinander verbunden (alia ex alia nexa), die Rückschlüsse auf die Denkstruktur ciceronischen Philosophierens zulassen. Am Ende seines Lebens hat Cicero so seine Vorstellung vom Aufbau der Welt beschrieben – in einer Weise, die es erlaubt hat, sein Verständnis von Philosophie und Philosophieren, von Welt und Weltzugang deutlich zu machen. Sein philosophisches Werk ließ sich dadurch nicht zuletzt als deutlich einheitlicher beschreiben, als dies bislang oft getan wurde. Die Wirkmächtigkeit seiner Gedanken und Vorstellungen, die bis zum Post1498

S. zur universalistischen Tendenz bei Cicero exemplarisch verweisend auch Anm. 1391. 1499 S. zur für Cicero in jeglicher Hinsicht hohen Bedeutung des Einzelnen Anm. 724 und die dortigen Verweise. 1500 Vorbilder werden in den Schriften immer wieder genannt; s. dazu rekapitulierend Kapitel 9.2 und dort Anm. 1468. 1501 S. zu pädagogischen und didaktischen Aspekten Anm. 767 und die dortigen Verweise. Neben der Vorbildwirkung einzelner Personen ist dabei in erster Linie das in Kapitel 5 näher erörterte Konzept des ständigen Neuansetzens zu nennen; s. für letzteres auch Anm. 768. 1502 Viele der Begriffe werden auch in Ciceros philosophischen Werken auf engerem Raum verbunden, beispielsweise in Tusc. 5,72 oder leg. 1,60–62.

Die Struktur als Medium von Interpretation und Rezeption

329

strukturalismus eines Derrida reicht,1503 ist dabei genau auf diese strukturelle Einheit und Einheitlichkeit seines Philosophierens zurückzuführen. Es ist zuallererst die in einen strukturellen Gesamtzusammenhang eingebettete Strukturleistung mit dem Ziel einer universalen Synthese, die ihre Wirkung auf die Nachwelt entfaltet hat. Die Struktur wird damit auch zum Medium der Rezeption. Daraus ergibt sich: Nicht nur idealistisches Schwärmen für einen umfassenden Philanthropismus, sondern vor allem die Idee einer Zusammenordnung der Teile zu einem Ganzen nach bestimmten Strukturmustern ist der Vater eines Gedankens, der ausgehend von Cicero immer wieder in der Geschichte der Menschheit erscheint und mustergültig bei Humboldt formuliert ist:1504 Wenn es eine Idee giebt, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher missverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist, so ist es die der Menschlichkeit, das Bestreben, die Gränzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen stellen, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen grossen, nahe verbrüderten Stamm, ein zur Erreichung Eines Zweckes, der freien Entwicklung innerlicher Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äusserste Ziel der Geselligkeit, und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.

Wenn also bei Humboldt, wie Doležel festhält, eine „Vision von der poetischen Struktur als einem Netzwerk von aufeinander bezogenen Bestandteilen, die in ein einheitliches Ganzes eingebunden sind“1505 wirksam ist, lässt sich dies nicht nur durch die strukturalistische Betrachtung Humboldts erklären, sondern sich auch konkret auf die Quelle eines humanistischen Bildungsbegriffs – Cicero – zurückführen, der nicht Quelle ist durch sein Rekurrieren auf griechische Vordenker, nicht durch sein historisches Wirken und vor allem nicht durch eine – oft anachronistisch postulierte – Vorformulierung humanistischer Ideale, sondern wegen der Art und Weise, wie der Strukturzusammenhang in seinen Texten dargestellt ist und wie der Leser mithilfe des Denkmusters Analyse–Synthese die Struktur herstellt. Die Wirkmacht der ciceronischen Gedanken ergibt sich aus der Leistung des Individuums, der Theorie der Rezeption und, nicht zuletzt, aus der Struktur selbst.

1503

S. für Derrida Kapitel 2.4 sowie 7.3 und 7.4. Vgl. für die Wirkmächtigkeit speziell der ciceronischen Naturrechtsanverwandlung Kaufmann 2008, S. 271–292. S. für die Rezeption Ciceros zuvor auch Anm. 22. 1504 Von Humboldt 1839, S. 426. Vgl. zur Zeitlosigkeit auch Lévi-Strauss’ Konzept des wilden Denkens und dazu Dosse 1997a, S. 236: „Instead of history identified with humanity, Lévi-Strauss proposed the timelessness of the savage mind, which grasps the world in a renewed synchronic totality.“ 1505 Doležel 1999, S. 81.

Literaturverzeichnis 1

Editionen

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Register 1

Orts- und Namenregister

Aemilius Paullus Macedonicus, L. 254, 260 Afrika 239, 254 Amafinius, C. 205 Anaximander 35 Antiochus von Askalon 65, 72, 85, 114, 124f., 135, 139, 142, 145–147, 150, 217, 306 Antonius Orator, M. (Antoine) 71–75, 80f., 83, 87, 93, 131 Archimedes von Syrakus 194, 227 Aristoteles (Aristotle) 30, 34f., 60, 62, 65–67, 69, 71, 79, 81, 85f., 95, 99, 128, 145, 147, 182, 220, 274, 293, 297, 307, 312, 316 Arkesilaos (Arcesilaus, Arcésilas) 67, 81, 85, 110, 121f., 125–131, 133, 137f., 142, 145, 148–150, 155, 216 Athen 205, 245 Atticus, T. Pomponius 183, 190, 197, 217 Augustinus von Hippo 35

Catulus, Q. Lutatius 72, 130, 141f. Chrysipp von Soloi 139 Cicero, M. Tullius (Cicéron, Cicerone) 11–16, 18–27, 36–38, 45, 47, 51–57, 59–78, 80–94, 96–158, 161–194, 196–229, 231–238, 241f., 244–248, 250–254, 259, 262–268, 270–280, 282–284, 286–291, 293, 295–317, 319– 329 Cicero, Q. Tullius 165, 167–169, 171– 173, 176–178 Cornutus, L. Annaeus 31 Cotta, C. Aurelius 67, 151, 156–165, 167f. Crassus, L. Licinius 71–74, 76f., 79–82, 85, 87, 185

Balbus, Q. Lucilius 157–163, 168 Blossius, C. 295 Brutus, L. Iunius 201 Brutus Caepio, M. Iunius 63, 82, 90, 102, 201f., 206

Empedokles 299 Ennius, Q. 269 Epikur 153, 162, 205, 216–219

Caesar, C. Iulius 20, 169, 188, 197, 199, 201f., 252, 282, 291, 303, 309f., 322 Caesar Strabo Vopiscus, C. Iulius 72 Cato Minor, M. Porcius (der Jüngere) 199, 207 Cato Censorius, M. Porcius (der Ältere) 97, 272f., 290

Gracchus, C. Sempronius 97, 198 Gracchus, Tib. Sempronius 97, 125f., 198, 226–228, 249–252, 254, 262–265, 282, 286, 292, 294f., 322 Griechenland (Greece) 61f., 78, 98, 192–194

Demetrios von Phaleron 66 Diodotos 82f. Dionysios von Syrakus 199f.

Fannius, C. 281, 284f., 294

368 Heraklit von Ephesos 43, 299, 313, 325 Homer 31 Hortensius Hortalus, Q. 141f. Isokrates 93, 99, 102 Italien 194 Karneades von Kyrene (Carneades, Carnéade) 65, 67, 69, 79, 81, 104, 110–112, 116, 119, 121, 124f., 127, 129f., 132–134, 136, 139, 141f., 145, 147, 149f., 154f., 170, 173, 218, 321f. Kleanthes 323 Klitomachus (Clitomachus) 127, 134 Krates von Theben (Crates) 85 Laelius, C. 97, 224, 226, 228f., 240, 245, 249–251, 255, 265, 277f., 282–288, 291–297, 300 Lactantius, L. Caecilius Firmianus 246 Lucullus, L. Licinius 121, 125f., 128– 139, 142f., 145, 155, 158 Lucretius Carus, T. 64 Macrobius Ambrosius Theodosius 254 Manilius, M´. 281 Masinissa 254f. Metrodorus 127 Numa Pompilius 192f. Ovidius Naso, P. 269 Panaitios von Rhodos 135, 217, 223f., 268, 304–306 Perikles 269 Philon von Laris(s)a (Philo) 65, 85f., 124, 127, 129, 134, 141f., 144– 147, 150, 321 Philus, L. Furius 224–226, 244f., 278, 281 Piso Frugi Calpurnianus, M. Pupius 205, 216f.

Register Platon (Plato) 30, 34f., 44, 46, 62, 64, 66, 68, 78, 81, 83, 85, 91–94, 99f., 102, 109, 124, 126, 128, 131, 144f., 147, 149f., 205, 211, 219f., 224, 237, 242, 267–270, 274, 289, 297, 312, 315, 317 Plotin 318 Pompeius Magnus, Cn. 199 Pompeius Rufus, Q. 284, 286, 291, 298 Poseidonios 306 Pseudo-Longinus 45 Pyrrhon von Elis 108 Pythagoras von Samos 34, 194, 206, 224, 234, 268 Rom (Rome) 61, 143, 178, 192–195, 202, 204f., 207, 212, 221, 234f., 238, 243, 245, 247, 257, 263, 269f., 301, 326 Romulus 236f., 269 Sallustius Crispus, C. 53 Scaevola, Q. Mucius 281, 284f., 294 Scipio Aemilianus, P. Cornelius (der Jüngere) (Scipion) 223–227, 229, 233, 235–240, 244–246, 250f., 254–262, 265, 267–269, 275, 277–282, 284–286, 290, 292, 295, 297f., 321 Scipio Africanus, P. Cornelius (der Ältere) 97, 254f., 257f., 260f. Seneca, L. Annaeus 321 Sextus Empiricus 141 Simonides von Keos 157 Sokrates (Socrates) 67, 77–79, 93, 99, 109f., 126, 128, 131, 134, 143f., 147–149, 155, 173, 177, 195, 205, 219, 223f., 237, 268f., 278, 308, 322 Sulla Felix, L. Cornelius 282 Sulpicius Rufus, P. 284, 286, 291, 298 Tarquinius Superbus, L. 237, 281

369

Stellenregister Thales von Milet 269 Theophrast von Eresos (Theophrastus) 60, 85, 220 Tubero, Q. Aelius 223–226, 268 Tullia (Tochter Ciceros) 188, 303 Varro, M. Terentius 143f., 146–149, 196, 206, 208

2

Velleius, C. 157, 163 Vergilius Maro, P. 17 Zenon von Kition (Zénon) 126, 128, 130, 133, 147, 216, 220, 307f., 315 Zeuxis von Herakleia 326

Stellenregister

AUGUSTINUS civ. 2,21

244

CICERO Att. 1,30,1 16,6,4

560 190

ac. 1,4 1,5 1,8 1,9 1,10–12 1,11 1,15 1,21 1,23 1,40–42 1,46 2,5 2,6 2,7 2,7f. 2,7–11 2,8 2,9 2,10 2,11f. 2,12 2,15 2,15f. 2,17

196, 208 83, 205 208 206 196 188 224 299 297 117 66f. 205 207f., 322 114f., 122 116 123 66, 115, 118, 134 115, 205 114 124 125 125f. 128 125

2,17–21 2,19 2,32 2,32–36 2,33 2,58 2,59 2,61 2,61f. 2,62 2,66 2,67 2,69–71 2,70 2,72–97 2,74 2,78 2,88 2,98 2,98f. 2,99 2,104 2,105 2,108 2,112 2,139 2,140 2,142

128 117 128 128 134 117 118, 129, 134 129 133 129 125, 130f. 134 131 132 132 131 134 117 132 134 132–135 132 135 134 134 107 139, 216 113

Brut. 6f. 9–14 22–24 120

70, 102 295 63 67

370

Register

152f. 153 158–162 183 183–200 184 185 188f. 190 193 198 199 200 208f. 254 258 306 309 309 330 331

95 93 90 183 183, 210, 288 183 183 184 184 184 184 184 184 76 194 198 102 102 82f. 102 102

Cato 77 77f. 82 85

257 261 210, 295 109

de orat. 1,2 1,3 1,7 1,13 1,16 1,17 1,19 1,33 1,35–42 1,43 1,45f. 1,46 1,63 1,111 1,186 1,186–216 1,187f. 1,206

143 143 144 145–147 143f. 147 80 96 147 148 148 149 74 85 57, 312, 316 54 82 73

1,263 2,8 2,32 2,40 2,59 2,120 2,121 2,124 2,128 2,132 2,134 2,139 2,140 2,141 2,146 2,148 2,159 3,19 3,19–24 3,19–25 3,20 3,21 3,22 3,23 3,24 3,54 3,59 3,59–73 3,60 3,60f. 3,61 3,67 3,68 3,69 3,71 3,72 3,79f. 3,80 3,96 3,107 3,110 3,125 3,141 3,145 3,178f. 3,179 3,215

67, 81 174 155, 158 72 155 174 138 138 138 139 139f. 140 139 139 140 141f. 83 74 76 74, 313 75 75 73, 75 76 77, 80 73 78, 102 92 78 78 78 87 79 78 79 80 67 81 76 67, 79, 87 65 77 65 87 313 57, 76, 312, 316 73

371

Stellenregister div. 1,5 1,7 1,8 1,8f. 1,9 1,10 1,91 1,132 2,1 2,2 2,3 2,4 2,4f. 2,5 2,6 2,8 2,100 2,148 2,149 2,150

166 167, 169 167f. 168 168, 171 168 171 169 103, 322 104, 187 220 14, 60, 178 207 202 198 170 170f. 170f. 171f. 173f., 177

fat. 1 3 11

174 65 175

fin. 1,1 1,2 1,4–10 1,7 1,8 1,10 2,2f. 2,17 2,44 2,49 2,50 3,2 3,6 3,7 3,9 3,35 3,63 3,63–66 3,68

196f. 322 196 208 205 188, 196, 201 66 67, 82 207 205 207 205 206 205, 207 207 207 287 309 206

3,70 3,73 3,74 4,5 4,21–23 4,57 4,57f. 4,66 4,72–78 4,74 4,79 5,1–6 5,2 5,10 5,22 5,65 5,65f. 5,89 5,93 5,94 5,96

297 299 57, 312, 316 216 216 216 216 207 216 216 217 197 205 67 216 299 242 209 217 216 197

inst. 6,8

246

inv. 1,1 1,2 1,4 1,5 2,4 2,8 2,10 2,116–121 2,160 2,166

98 96 97 97 326 97 180 310 242 286

Lael. 2 3 4 6 7 8 10–14 12 13

284 284 284 284 285 285 285 281f. 281

372 14 15 16 17 18 19 20 21 23 24 25 26 27 28 30 32 34 37 40 40f. 41 43 47 50 51 52 53 61 62 65 69 74 76 77 80 81 82 83 84 86 88 92 95 100 102 104

Register 281 285f. 283 287 208, 289 287, 290f. 285, 287, 290f. 290 56, 291–293, 295 299 281 287, 291 287, 289 298 289 287 291 291f. 282 292 282 282 282 287, 289, 291, 298 289 281 281 286 288 289f. 289 289 293 293 292 293 291 292, 296 292 296 282, 291 290, 293f. 288 282, 289, 294 295 295f.

leg. 1,18 1,19 1,22–30 1,28 1,29f. 1,30 1,30–34 1,31 1,33 1,35 1,42 1,48 1,53–55 1,58 1,60–62 2,13 3,14 nat. deor. 1,1 1,1–5 1,2 1,3 1,3f. 1,4 1,6 1,7 1,8 1,9 1,10 1,11 1,12 1,17 1,23 1,42f. 1,44 1,57 1,60 2,1 2,2 2,14 2,19 2,20–22 2,37 2,43

246 246 308 247 248 208 231 248 246 247, 251 246, 251 252 220 246 328 246 66 152 104 153 153 164 153, 154 14, 154 188, 200f. 197 11, 327 110, 154, 156, 163, 174, 326 66, 134, 147, 155 118f., 155f. 118, 156, 174 207 205 209 157f. 157 67 158 226 312, 314 307 261 256

373

Stellenregister 2,45 2,51 2,56 2,60 2,79 2,84 2,115 2,119 2,153 2,154 2,154f. 2,164–167 2,168 3,4 3,5 3,6 3,7 3,94 3,95

207 256 256f. 256 246, 261 164 315 315 260 212, 261 212 212 67, 158 159 159 159 160 161 161–163, 171

off. 1,1 1,2 1,3 1,3f. 1,4 1,5 1,6 1,11 1,11–13 1,11–14 1,12 1,13 1,16 1,17 1,20 1,20–29 1,22f. 1,26 1,50 1,50–52 1,51 1,51–60 1,55f. 1,56 1,57 1,85

303f. 304 66 92 305 305 305 306 287 304 306 304 304 307 252, 290, 308 252 309 291 307 287, 307 307 309 297, 301 293 308 228

1,155 1,157f. 2,7f. 2,8 2,17 2,30f. 2,35 2,38–43 2,43 2,69 2,73 3,20 3,20–27 3,28 3,29–32 3,43f.

252 287 182 180, 182, 303 298 289, 301 208 252 250, 252 290 247 174 307 252, 308 252 293

orat. 3 3f. 5 6 6f. 7 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 46 61–64 79 100f. 101 104 113 114 115 117 118 119 120

90 90 90 90 90 90 91 91 91 92 92 92 93 54, 93 92, 93 93 67 92 77 96 91, 96 315 54, 83, 94 95 93 95, 209 94 266 203

374

Register

123 227 233 237

95 77 57 121

parad. 2

101

part. 3 5 78 79 139

74 117 84, 231 84 84f.

rep. 1,1 1,2 1,3 1,7 1,11 1,12 1,13 1,14 1,15 1,16 1,19 1,20 1,25 1,26 1,30 1,31 1,31f. 1,32 1,39 1,41 1,45 1,58 1,65 1,69 2 2,17 2,21 2,28f. 2,45 2,48

272, 275 273 273–275 274 275f. 275 276 277 223 224, 268 224 225, 255 69f. 225, 258 226 226 278 229, 254, 264, 285, 292 229f., 251, 286 231f. 223, 232f. 229, 254, 292 238 233 235 269 234 193 236 238, 262

2,51 2,57 2,65 2,66 2,67 2,69 2,70 3,1 3,1–4 3,5 3,7 3,33 3,34 3,41 3,43f. 3,43–47 3,45 4,1 5,2 5,8 6,1f. 6,9 6,13 6,17 6,17f. 6,19 6,20 6,21 6,24 6,29

237 235, 239 238 235, 238 238f. 240, 243, 256, 290 243f. 239 248 277 278, 309 245, 248, 315 248 249 251 271 251, 286 264 228, 250 254 254 255 259, 286 223, 255–258, 315 256 258 257f. 257 269 256, 260–262, 277

top. 6f. 8

68 117

Tusc. 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,17 1,30 1,35

188, 192, 197, 212 198 193 192 61, 69, 193 62, 64f. 63, 69 66, 108 108, 118 109 314

375

Stellenregister 1,39 1,40 1,46 1,83 1,91 1,109f. 1,118 2,1 2,2 2,4 2,5 2,7 2,9 2,11 2,27 2,43 2,55 2,58 2,63 3,3 3,4 3,6 3,13 3,81–84 3,82 3,84 4,1 4,2 4,2–4 4,3 4,5 4,6 4,7 4,47 4,57 4,58–62 4,68–72 4,82–84 4,84 4,84f. 5,1 5,2f. 5,5 5,6 5,9 5,10

109 109 314 109 206 204 109 105 105, 193 62 61, 105, 188, 193, 198 63, 65, 205 65–68 207 203 209 109 204 207 199, 203f. 199 106, 200 200 214 202 200, 202, 323 198, 201, 264 201 194 192, 198 192 205 108, 174 108, 118 200 202 203 206 214 202 106, 188 107 106, 189, 200, 320 205, 321 206 194f., 224

5,11 5,27f. 5,30 5,33 5,36 5,46 5,47 5,57–60 5,64f. 5,64–66 5,69 5,72 5,82 5,83 5,83f. 5,84 5,87–118 5,104–106 5,108 5,119 5,120 5,121

108f., 126, 134 205 207 174 217 207 310 199 195 199 315 276, 323, 328 219 110f. 219 111 218 207 195 218 111, 218 112, 206, 323

MACROBIUS somn. 1,8 6,8

254 254

PLATON rep. 1,16

144

bleistein Alia ex alia nexa ie Studie zeigt ein für Cicero konstitutives Denk muster in seinen philosophischen Schriften auf und nutzt die Erkenntnisse für eine Interpretation von Ciceros Verständnis von Philosophie und Welt. Grundlage hierfür ist eine Methodik, die in weiten Teilen dem literaturtheoretischen Strukturalismus zugeordnet werden kann, der als Ordnungsangebot aufgefasst wird, um neues Licht auf einen bekannten Klassiker zu werfen. Prinzipiell geht die Arbeit von der Textstruktur aus, in der sich ein dichotomes Denken manifestiert: So lassen sich im Text zunächst begriffliche Gegensatzpaare (binäre Oppositionen) identifizieren. Jedoch ist die strukturale Gegenüberstellung in Ciceros Philosophica immer nur der Ausgangspunkt eines Denkmusters, das von der Analyse (Trennung) zur Synthese (Vereinigung von Getrenntem) fortschreitet. Die Studie erhebt dabei den Anspruch, das abstra­hierte Denkmuster Analyse – Synthese als globale Interpretationsfolie für das Philosophieren Ciceros zu ­beschreiben und anzuwenden.