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German Pages 17 [20] Year 1915
ARCHÄOLOGISCHE GESELLSCHAFT ZU BERLIN
ALEXANDER CONZE GEDÄCHTNISREDE GEHALTEN
AM W I N C K E L M A N N S T A G E
IN DER ARCHÄOLOGISCHEN
1914
GESELLSCHAFT
ZU BERLIN VON
H. DRAGENDORFF
BERLIN 1915 DRUCK UND VERLAG VON GEORG REIMER
Wenige Tage, bevor auf der Schwelle einer neuen Zeit der Weltkrieg entbrannte, ist still ein langes Leben zu Ende gegangen, dessen ehrwürdiger Träger als der Nestor unter uns Archäologen stand. Am 19. Juli ist, fast 83 jährig, Alexander Conze entschlafen; friedlich, bescheiden, wie er gelebt, ist er von uns gegangen; in der Stille wölbte sich der Grabhügel über ihm. — Und kurze Zeit darauf stand die Welt in Flammen. Von einer wildbewegten, gewaltigen, aufpeitschenden Zeit, von den sich jagenden Ereignissen wurden wir vorwärtsgerissen in eine Gegenwart, die uns mit allen Pasern gefangen nimmt. Wie ein blendendes Licht tiefe Schatten hinter sich wirft und den Blicken entzieht, was unmittelbar hinter ihm liegt, so ist uns die Zeit unmittelbar vor den großen Ereignissen wie im Dunkel verschwunden, wie in weiter Ferne, und der riesige Maßstab, mit dem die Tagesereignisse gemessen sein wollen, hat uns das Augenmaß für die feineren Geschehnisse getrübt.
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Um so mehr ist es unsere Pflicht, an einem Tage, der wie der heutige der Erinnerung geweiht ist, uns zu sammeln, die Gedanken zurückzulenken, des Mannes zu gedenken, der so schlicht und bescheiden durchs Leben ging, und der doch Anspruch auf einen Ehrenplatz in unserer Wissenschaft hat; an dessen Grab unsere archäologische Wissenschaft, unser Museum, unser Institut, unsere Gesellschaft sich trauernd vereinen; dessen Andenken in unserer Wissenschaft fortleben wird, wenn der Glanz mancher blendenden Tagesgröße verblaßt ist. Alexander Conze war kein Mann, den weite Kreise kannten. Äußeren Ehren, billiger Popularität ist er immer abhold gewesen, in die breitere Öffentlichkeit mit seiner Person zu treten, hat er wenig Neigung verspürt, vielleicht allzu wenig. So ist die Zahl derer, die außerhalb des Kreises der Fachgenossen ihn kannten, klein geblieben, und ich glaube, auch innerhalb des Kreises der Altertumsforscher, wenigstens der jetzt lebenden, sind nicht allzu viele, die einen lebendigen Begriff mit seinem Namen verbinden; denen er mehr war als der Mann, der die Geschäfte des Archäologischen Instituts besorgte; die allenfalls wissen, daß er in Pergamon ausgegraben hatte, aber darüber hinaus eine klare Vorstellung haben, was er für unsere Wissenschaft bedeutete, welchen Platz er in ihr einnahm. Aus einer anderen Generation ragte Conze in die unsere hinein. Man muß sich klar machen, daß seine wissenschaftliche Produktion im Jahre 1855 beginnt; daß ein beträchtlicher Teil seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor das Jahr 1870 fällt, d. h. in eine Zeit, in der die, zu denen wir jüngeren jetzt als zu den Meistern und Führern unserer Wissenschaft aufblicken, soweit sie nicht noch auf der Schulbank saßen, gerade auf die Universität kamen. So vieles haben wir von unserem ersten Studiensemester an als einen festen Besitz unserer Wissenschaft betrachtet, ohne uns viel zu fragen, wo es herkam und wer es denn seinerzeit zuerst gefunden habe. Wie vielen unter uns ist gegenwärtig, um nur ein paar Beispiele anzuführen, daß Conze die erste Veröffentlichung und Würdigung des Kalbträgers von der Akropolis gab; daß er zuerst den Strangfordschen Schild, die Nachbildung des Schildes der Parthenos veröffentlichte und würdigte, daß er überhaupt die wissen-
5 schaftliche Rekonstruktion der Parthenos begann; daß er ein herrliches Stück, wie den Bologneser Kopf, der dann durch Furtwängler zu solcher Bedeutung gelangt ist, hervorzog und feine Bemerkungen an ihn knüpfte. Neues Material in den Kreis unserer Betrachtungen zu ziehen, den Bau unserer historischen Erkenntnis der monumentalen Hinterlassenschaft der Alten nicht nur mehr und mehr zu festigen, sondern ihn auch zu erweitern, war überhaupt von Anfang an Conzes klares Streben. Da war ihm nichts zu gering; Conze fragte nie danach, ob die Dinge klein und unscheinbar, ob sie schön oder nicht schön waren. Er wertete sie danach, ob sie uns etwas lehren konnten. Man lese nur einmal die immer knappen, kurzen Reise notizen, die der junge Doktor in der Archäologischen Zeitung veröffentlichte. An denen kann sich noch heute jeder Stipendiat ein Muster nehmen. Man lese vor allem die beiden Werke über seine Reisen auf den Inseln des thrakischen Meeres und aufLesbos, die auf vonRoss nicht betretenen Gebieten dessen Inselreisen fortsetzen sollten und die Vielseitigkeit des Interesses, die Sorgfalt der Beobachtung des jungen Gelehrten zeigen. So steht gerade Conze mit an der Spitze der Archäologen, die unser Arbeitsgebiet und unser Arbeitsmaterial gewaltig erweitert haben. Auch seine „Beiträge zur Geschichte der griechischen Plastik", die 1868 erschienen, haben den ausgesprochenen Zweck, diesem Forschungsgebiet neues Material zuzuführen. In ganz selbständiger Weise hat hier Conze sich in den Stoff versenkt. Ganz selbständig sucht auch er, was damals gerade erst begann, Archäologie und Kunstgeschichte zu verbinden. Aber er steht den damals auf diesem Gebiet führenden Männern frei gegenüber. Kein Wunder, daß seine stilgeschichtlichen Aufstellungen starken Widerspruch gefunden haben. Sie waren gewiß in manchen Punkten verfehlt. Und doch ist man überrascht, wie Conzes klarer, nüchterner Blick schon damals gewisse Schwierigkeiten, über die andere in ihrer Entdeckerfreude, ohne sie zu bemerken, hinweggeglitten waren, gesehen und damit Probleme, an denen wir heute noch arbeiten, aufgedeckt hat. Ich will nur eines hervorheben. Conze irrt gewiß in seiner Polemik gegen Friederichs Nachweis des polykletischen Doryphoros, aber er irrt, weil er ganz richtig das Problem der gegenseitigen Be-
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einflussung der attischen und peloponnesischen Bildhauerschule fühlte, weil er die Beziehungen, die den Doryphoros mit attischen Werken verbanden, nicht übersah und mit peloponnesischemUrsprung des Werkes nicht vereinigen zu können glaubte. Lösen konnte er das Problem nicht, können auch wir es heute noch nicht ganz. Wenn Conze aber in dieser Schrift weiter, entgegen der damaligen Auffassung, behauptete, daß die pasitelische Schule ihren Kanon sich nicht nach dem Muster älterer Vorbilder geschaffen, sondern unmittelbar ein Kunstwerk der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts als Kanon benutzt habe, so hat ihm die Folgezeit durchaus recht gegeben. Heute wissen wir, daß die Stephanosfigur die Kopie eines Werkes des 5. Jahrhunderts ist, keine Erfindung des Pasiteles. Weiter zielen andere Arbeiten Conzes. Schon 1862 hatte er seine Schrift über die,,Melischen Tongefäße" erscheinen lassen, in der er die erste zusammenfassende wissenschaftliche Veröffentlichung einer Gruppe hochaltertümlicher Tongefäße griechischen Fundortes gab. 1870—73 folgte in zwei Aufsätzen eine der bahnbrechendsten Arbeiten in unserer archäologischen Wissenschaft. In den Sitzungsberichten der Wiener Akademie erschien Conzes Aufsatz über die Anfänge der griechischen Kunst. Bis dahin begann die Geschichte der griechischen Kunst mit den Denkmälern des orientalisierenden Stiles, d. h. etwa ums Jahr 700 v. Chr. Conze faßte zum erstenmal in diesem Aufsatz die Vasen geometrischen Stiles zusammen, wies nach, daß der geometrische Stil zeitlich vor den orientalisierenden zu setzen sei, und schob so mit einem Schlage den Beginn der griechischen Kunst bis an den Anfang des 1. Jahrtausends hinauf. Der griechischen Archäologie waren damit etwa drei Jahrhunderte gewonnen, bedeutsame Jahrhunderte, in denen die spätere politische Gruppierung Griechenlands sich ebenso vorbereitet wie die Kolonisation, in denen die Schrift aufgenommen wird und so vieles in Literatur und Kunst im Keime sich vorbildet, was sich dann in der helleren Folgezeit vor unseren Augen zur Blüte entwickelt. Weit über das geringe zufällige Material hinaus, das Conze sich damals aus den verschiedensten Museen zusammensuchen mußte, ist heute unser Material gerade für die geometrischen Stile gewachsen; durch systematische Ausgrabungen haben wir gerade für diese Stilperiode in Grie-
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chenland eine Fülle feinerer Kenntnisse gewonnen. Aber alle diese neue Erkenntnis hat die Grundlage von Conzes Arbeit nicht berührt. Die Bedeutung dieser Arbeit geht aber noch weiter. In Wien, wo Conze damals als Universitätsprofessor weilte, war er mit der Prähistorie des Gebietes nördlich der Alpen näher bekannt geworden. Die Beziehungen zwischen den prähistorischen Funden Mitteleuropas und den altgriechischen gingen ihm hier auf. Er erkannte, daß Fäden schon in grauer Vorzeit hinüber und herüber sich spannen, daß die eine Wurzel griechischer Kunst schließlich im europäischen Norden liege so gut wie die Heimat des entscheidenden Bestandteiles der Bevölkerung Griechenlands. Er wies die Archäologen auf die Prähistorie und zog diese in den Arbeitsbereich der Archäologen, die sie heute nicht mehr entbehren können. So war die Archäologie vorbereitet, als bald darauf seit Schliemanns Funden der Spaten sie in immer tiefere Schichten der Vorzeit führte. Das Schicksal hat Conze besonders glückliche Wege geführt. Dem jungen Gelehrten, der sein Studium abgeschlossen hatte, gab es reichliche Gelegenheit, die Stätten alter Kultur, die Schätze von diesen Stätten, selbst aufzusuchen. Die griechischen Originale des Britischen Museums und der Besuch Griechenlands waren es, die Conzes Wissenschaft die entscheidende Richtung gaben, und ich meine, seiner ganzen Lebensarbeit fühlt man es an, daß Conze einer der ersten zünftigen Archäologen war, die von Griechenland, vom Griechischen, nicht vom Römischen aus sich ihren Weg bahnten. Ein gutes Geschick hatte Conze auch den zähen Körper gegeben, der gern den Strapazen trotzt, sie sucht. Mit der Kenntnis des Südens, den seine Reisen dem jungen Gelehrten, dem ersten Stipendiat des Instituts gegeben, gaben sie ihm zugleich die Freude am Reisen, die ihm bis ins hohe Alter blieb, die Freude am frischen Erkundungsritt ins Fremde, Ferne, an der Arbeit im Terrain, die noch den 78 jährigen nicht davor zurückschrecken ließ, die Strapazen eines mehrwöchigen Aufenthaltes auf sturmgepeitschtem ödem Bergrücken in über 1000 m Meereshöhe, zur Aufdeckung des Heiligtumes auf Mamurt Kaleh bei Pergamon auf sich zu nehmen. Conze ist nie ein Bücherarchäologe geworden, nie der Gelehrte, der hinter seinem behag-
8 liehen Schreibtisch verarbeitet, was andere ihm in die warme Stube schaffen. Wie der Reiz seiner rassigen äußeren Erscheinung erst recht herauskam, wenn er in der knappen Joppe zum Ritt oder zum Gang ins Terrain bereit stand, so nahm auch, wer zu ihm in seine schlichte Arbeitsstube hinaufstieg, wo man dann meist stehend hinter seinem Pult verhandelte, den Eindruck mit, daß hier ein Mann schaffte, der eigentlich hinaus ins Terrain gehörte und nur gerade einmal zurückgekehrt war, um die Früchte seiner Fahrt aufzuarbeiten. Zunächst freilich kämen Jahre ruhiger akademischer Tätigkeit in Göttingen, in Halle, in Wien, auch sie eine glückliche Fügung für den jungen Gelehrten. Sie gaben ihm die Gelegenheit zu der systematischenVertiefung und Verbreiterung seiner Kenntnisse, wie sie eben nur die akademische Lehrtätigkeit mit sich bringt, zugleich aber auch die persönliche Einsicht in alle Fragen des archäologischen Unterrichts, seiner Ausdehnung, seiner Hilfsmittel. Schon während seiner Tätigkeit in Halle hatte er emsig an der Ausgestaltung der dortigen kleinen Gipssammlung gearbeitet, um seinen Studenten das Anschauungsmaterial zu vermehren. In Wien, wo Conze der Begründer des österreichischen archäologischen Universitätsunterrichtes wurde, schuf er mit Otto Hirschfeld zusammen in dem archäologisch-epigraphischen Seminar eine Unterrichtsstätte, in der historische und archäologische Forschung sich verbanden. Aus dem Streben heraus, Unterrichtsmittel zu beschaffen, entstand hier sein Werk „Heroen- und Göttergestalten", vor allem aber seine Vorlegeblätter, auf die unsere archäologischen Übungen noch jetzt angewiesen sind und die viel zu wenig Nachfolge und Umgestaltung gefunden haben. In Wien aber hat Conze auch schon seine Ansichten über die Vertiefung des archäologischen Unterrichtes, seine Ausdehnung namentlich auf die Schulkreise geformt, die er dann in seinem ferneren Leben zu verwirklichen strebte. So hatte Conze sich sein wissenschaftliches Rüstzeug erworben, seine Anschauungen geprägt, als er in weitere verantwortungsvolle Stellungen berufen ward, in denen seine organisatorischen Fähigkeiten sich voll entfalten konnten. 1877 wurde Conze nach Berlin berufen, um die Leitung der Antikenabteilung der Kgl. Museen zu übernehmen. Zugleich trat er in die Zentraldirektion des Archäologischen Instituts ein, in der er schon 1878, zunächst
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nebenamtlich, die Geschäfte des Generalsekretars übernahm. Noch nicht ein Jahr nach seiner Übersiedelung gewann durch sein eifrigstes Eintreten das Berliner Museum in eigener Ausgrabung die pergamenischen Skulpturen und trat dadurch mit einem Schlage in die Reihe der großen Museen ein. Pergamon brachte aber dem Museum nicht nur reiche Schätze, brachte nicht nur der griechischen Kunstgeschichte ein ganzes neues Kapitel. Mit der pergamenischen Expedition begann eine ganz neue Phase der Tätigkeit des Museums. Von Anfang an zielte die pergamenische Expedition nicht mehr nur auf den Erwerb von Museumsstücken ab, sondern auf die gesamte Erforschung Pergamons. Das war Conzes Eigenstes. Jede Ausgrabung, auch die von einem Museum unternommene, muß eine wissenschaftliche Unternehmung sein, kein Raubzug, so gut wie jedes Museum eine wissenschaftliche Arbeitsanstalt ist, keine Raritätenkammer. Schon in der Antrittsvorlesung, in der Conze in Wien seine Anschauungen von den Aufgaben der archäologischen Wissenschaft entwickelte, hatte er die Erforschung und Freilegung eines ganzen antiken Stadtbildes in allen Einzelheiten gefordert. In zwei von ihm organisierten Expeditionen, welche das Heiligtum von Samothrake erforschten, Terrain, Bauten, Einzelfunde in gleicher Weise berücksichtigend, hatte er einen Teil dieses Programmes selbst verwirklichen können. Seine dortigen Erfahrungen kamen nun der Riesenaufgabe der Erforschung Pergamons zugute, die er als großzügige Unternehmung mit einem Stabe von Mitarbeitern in die Wege leitete, und die er bis zu seinem Tode, kann man sagen, zuerst als Museums-, dann als Institutsunternehmung weitergeführt hat. Schon in Samothrake hatte Conze seinen Erfolg erreicht durch das enge Zusammenarbeiten mit dem Architekten, ohne das wir uns jetzt eine große Grabung nicht mehr denken können. Was sich dort bewährt hatte, ward in Pergamon in größerem Stile fortgesetzt, und der Charakter großer, allseitig erschöpfender wissenschaftlicher Unternehmungen ist von da ab der Ehrentitel der Grabungen unseres Berliner Museums geblieben. Nicht zuletzt unseren großen Ausgrabungen, der Art, wie sie geleitet und durchgeführt wurden, verdankt die deutsche Archäologie ihre führende Stellung auf griechischem Boden. Mehr oder weniger haben da alle anderen von uns gelernt.
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Die Erfoschung Pergamons war so recht eigentlich Conzes Lebenswerk, mit dem er ganz verwachsen war. Nachdem der erste Abschluß erreicht war, leitete er die monumentale Veröffentlichung der Funde, sorgte in mustergültiger Weise und mit Einsetzen seiner ganzen Persönlichkeit für die Sicherung und Konservierung der Funde und veranlaßte, daß nunmehr das Archäologische Institut im Einverständnis mit den Kgl. Museen die weitere Erforschung des Stadtgebietes übernahm, die es bis zum heutigen Tage fortgesetzt hat und als ein Vermächtnis Conzes fortsetzen wird. 1887 legte Conze sein Amt am Museum nieder, um sich ganz seiner Tätigkeit am Archäologischen Institut zu widmen. Schon lange fühlte er, daß die Personalunion der beiden leitenden Stellungen nicht mehr aufrecht zu erhalten sei und jede eine volle Kraft verlange. Er entschied sich für das Institut; ihm hat er sich dann gewidmet bis an sein Lebensende, und wir dürfen wohl sagen: wie das Institut heute dasteht, so hat Conze es geformt. Treue Helfer und Berater haben ihm dabei zur Seite gestanden. Conze selbst wäre der letzte, der alles für sich in Anspruch nehmen würde. Nur zu bescheiden hat er stets fast ängstlich darauf gesehen, daß nicht als sein Verdienst hervorgehoben werde, was seiner Meinung nach im letzten Grunde auf andere zurückging. Aber gerade, daß Conze es verstanden hat, sich beraten zu lassen, auf Gebieten, die ihm ferner lagen, sich die richtigen Berater zu wählen, das Richtige zu erkennen und Anregungen, die er als recht und gut erkannt hatte, mit der ganzen Energie, die ihn auszeichnete, aufzugreifen und durchzuführen, ist eine der Eigenschaften gewesen, die ihn zur Leitung eines so vielseitigen Organismus, wie das Institut ist, besonders befähigte. In einer schwierigen Zeit hat Conze die Leitung des Instituts übernommen« Zwar war mit der Umwandlung des römischen Institutes zuerst in eine preußische Staats-, dann in eine deutsche Reichsanstalt sein Fortbestand gesichert. Aber weder aus dieser Umwandlung noch, was weit wichtiger, aus dem allmählichen, fast unmerklichen Wandel der Verhältnisse um das Institut und dem Wandel seiner Aufgaben in Jahrzehnten hatte man die Konsequenzen gezogen. Conze lag es ob, sie zu ziehen. Gerade dieser Teil seiner Tätigkeit hat scharfen Widerspruch gefunden. Es ist hier natürlich
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nicht der Ort, diese Fragen aufzurollen, noch weniger, abzuwägen, ob in jedem einzelnen Falle die gewählte Form des Vorgehens die richtige oder die einzig mögliche war. Ich glaube aber, in der Sache selbst wird die Folgezeit mehr und mehr Conze recht geben, soweit nicht die Gegenwart ihm schon lange recht gegeben hat. So, wie das Institut war, konnte es auf die Dauer nicht fortbestehen, konnte es im besten Falle noch einige Zeit künstlich konserviert werden. Die Umbildung des Instituts, wie Conze sie vollendete, mußte kommen. Sie hatte sich bereits von selbst angebahnt, den ganz veränderten Verhältnissen und ganz veränderten Bedürfnissen entsprechend. Lebensfähig ist nur eine Organisation, die sich den jeweiligen Bedürfnissen und Verhältnissen anzupassen imstande ist, die die Elastizität besitzt, sich ihnen entsprechend zu modeln. Ein Institut ist kein Selbstzweck. Man kann es in starrer Form wohl künstlich eine Weile weiter konservieren, aber nicht auf die Dauer als einen lebendigen Faktor erhalten. Was kommen mußte, hat Conze mit festen Griffen durchzuführen gesucht, ehe es zu spät war, und er hat so das Institut davor bewahrt, sich eines Tages als eine schöne Antiquität auf einem stillen Ehrenplatz zu finden, an dem die lebendige Wissenschaft vorüberflutete. Es lag nur in der Natur der Verhältnisse, daß das Institut mehr und mehr seinen internationalen Charakter verlor: daß in dem Zeitalter des wachsenden Verkehrs einerseits, andererseits der staatlichen Organisierung des Antikendienstes in allen Ländern, vornehmlich auch in Italien, die corrispondenza archeologica als Aufgabe des Institutes zurücktrat und ihm dafür die Organisation großzügiger Sichtung, Sammlung und Veröffentlichung des in immer reicherer Fülle zuströmenden Materials, das der einzelne kaum mehr zu überschauen, geschweige denn zu bewältigen vermochte, zufiel. Es war nur natürlich, daß einem Institut wie dem unsrigen mehr und mehr die Aufgabe erwuchs, in eigenen, aus rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten veranstalteten Unternehmungen ganz bestimmte wissenschaftliche Zwecke zu verfolgen, die Antwort auf bestimmte, von der Wissenschaft formulierte Fragen zu suchen. Es lag nur in der Natur der Sache, daß dem Institut mehr und mehr die Ausbildung unseres archäologischen Nachwuchses zufiel, daß ihm vor allem die Schulung der Archäo-
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logen in der Tätigkeit im Terrain, an großen wissenschaftlichen Unternehmungen zufiel; daß ihm auch in der monumentalen Schulung des Philologen und Schulmannes eine entscheidende Rolle zufallen mußte.
E s lag endlich nur
in den Verhältnissen, daß das Institut der allgemeinen Verschiebung des Schwergewichtes archäologischer Arbeit in den griechischen Osten nachgeben mußte.
Ist darüber anderes versäumt worden, ist vielleicht eine Zeitlang
unsere römische Zweiganstalt, deren Stellung und Aufgaben sicher ungleich komplizierter ist, zu sehr neben der athenischen zurückgetreten, nun, so ist es an uns, da zu bessern, nachzuholen, auszugleichen. Wie Conze das Institut ausgebaut hat, dafür mag zunächst eine Zahl angeführt sein.
Als das Institut eine Reichsanstalt wurde, setzte man den
Zuschuß aus Reichsmitteln auf 63 000 M. fest. Als Conze die Leitung übernahm, betrug er 98 000 M., als er sie niederlegte, 165 000 M.
Schon darin
spricht sich die Erweiterung der Tätigkeit des Instituts unter Conzes Führung aus, und sie erfolgte nach allen oben angedeuteten Richtungen.
Schon vor
Conze hatte sich das Institut intensiv der Veröffentlichung großer, zusammengehöriger Monumentengruppen zugewandt. hier als Vorbild gewirkt.
Die Inschriften-Corpora hatten
Conze war hier der würdige Schüler Gerhards.
Schon ehe er ans Institut übersiedelte, war es ihm gelungen, einen Plan zu verwirklichen, den er seit seiner Stipendiatenzeit mit sich trug.
Seine
Sammlung der attischen Grabreliefs zeigt aber zugleich auch schon den Fortschritt Conzes über die bisherigen Corpora hinaus. Nicht mehr das Bild auf dem Denkmal, sein Inhalt, stand für ihn im Vordergrund, sondern das Denkmal als Ganzes forderte er. Materialpublikationen für unsere wissenschaftliche Arbeit hat das Institut mehr und mehr zu einer seiner Hauptaufgaben gemacht. Große und kleine Komplexe, j e nachdem sich Gelegenheit und Kräfte fanden, sind so auf den wissenschaftlichen Markt gebracht. Neben die alten Serienpublikationen traten Sammlungen wie die der Grabreliefs aus Süd-Rußland, dem östlichen Griechenland und von den Inseln, die Bearbeitung der mykenischen Vasen, der Vasenfunde von der Akropolis u. a.; Katalogarbeiten, die die Schätze einzelner Museen der Arbeit zugänglich machen sollten, kamen dazu, und in dem Katalog der Bibliothek des römischen Instituts erhielt unsere
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Wissenschaft ihr bestes bibliographisches Hilfsmittel, zu dem die von Conze begründete Bibliographie des Archäologischen Jahrbuches die fortlaufende Ergänzung bildet. Vor allem dankt die Zweiganstalt in Athen Conze ihre Entwicklung. Kurz vor seinem Eintritt in die Zentraldirektion war sie ins Leben gerufen. Unter seiner Amtsführung hat sie sich ihre Weltstellung geschaffen. Sie erhielt in dem zweiten Sekretär eine Vermehrung ihres Personals, und die Wahl dieses zweiten Sekretars trägt Conzes Gepräge.
Indem man W. Dörpfeld an die
Stelle berief, erkannte man das Bedürfnis an, bei jeder größeren Unternehmung sich die Hilfe des Architekten zu sichern. Zugleich wurde damit wissenschaftlicher Architekturforschung am Institut eine Stelle geschaffen. Welch wichtiger Faktor gerade die athenische Zweiganstalt im archäologischen Leben geworden ist, welchen Anteil sie mit ihren großen, eigenen Unternehmungen ebenso wie mit ihrem Unterricht, mit den engen Beziehungen, die sie zur archäologischen Forschung anderer Nationen, insbesondere der Griechen selbst, geschaffen hat, brauche ich hier nicht auszuführen. In den letzten Jahren seiner Tätigkeit als Generalsekretär hat dann Conze noch eine zweite äußere Erweiterung des Instituts erreicht, die Gründung der Römisch-Germanischen Kommission, als einer Zentralstelle für einheimische archäologische Forschung, einer Stelle, die auch auf diesem Gebiete die Arbeit organisieren, die Kräfte zu gemeinsamem Vorgehen fassen sollte.
zusammen-
Auch der einheimischen Forschung war Conze schon in
Wien näher getreten, wie es überhaupt bezeichnend für seine ruhige Art ist, die nichts überstürzte, aber auch nichts, was er einmal als richtig erkannt hatte, wieder aus den Augen verlor, daß die Ideen, auch wenn sie erst am Ende seines Lebens zur Ausführung kamen, schon in seiner Frühzeit in Anfängen sich nachweisen lassen. Schon in seiner bereits angeführten Wiener Antrittsvorlesung hatte er die Erforschung der vorrömischen und römischen Reste in Österreich und Deutschland als eine der Aufgaben der Archäologie hingestellt und war selbst mit mehreren Veröffentlichungen aus diesem Gebiet hervorgetreten.
So war er vorbereitet, als jetzt immer lauter aus
Westdeutschland der Ruf nach einer derartigen Organisation erscholl.
Conze
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wußte auch hier die rechten Berater zu finden. Und was er mit ihnen für richtig erkannt hatte, setzte er mit der ihm eigenen Energie gegen manche Schwierigkeit und manchen Widerstand durch. Die A n g l i e d e r u n g der R ö m i s c h G e r m a n i s c h e n K o m m i s s i o n an d a s I n s t i t u t i s t eine w i s s e n s c h a f t liche T a t gewesen, ein großer Schritt vorwärts auf dem Gebiete der Heimatsforschung, ein Gewinn aber auch für die klassische Archäologie. Damit waren nicht nur diese provinzialarchäologischen Studien als vollberechtigt anerkannt, sondern es war zugleich ein für allemal eine künstlich aufrecht erhaltene Schranke zwischen zwei Wissensgebieten gefallen, deren Fortschritt abhängig ist von ihrem ständigen Hand in Hand gehen. Für alle Zeit war damit die Brücke geschlagen vom Süden zum Norden. Der Entwicklung dieses jüngsten Kindes istConze mit besonderer Vorliebe gefolgt. Dankbar darf gerade ich es aussprechen, wie er nicht nur in allen äußeren Fragen der Organisation mir zur Seite gestanden, dem Anfänger geraten und geholfen hat, sondern wie er sich bis in die Einzelheiten hinein für die Arbeit der Kommission interessierte. Die beneidenswerte Fähigkeit, bis ins höchste Alter hinzuzulernen, sich für neue Gebiete zu interessieren, zeigt sich gerade hier. Es ist wohl kein Zufall, daß Conze gerade in dieser Zeit, in der er die feine Detailarbeit westdeutscher Archäologen näher kennen lernte, die Kisten öffnete, in denen die hellenistische Keramik von Pergamon verpackt lag, und in den Abhandlungen der Berliner Akademie eine lehrreiche Studie über sie veröffentlichte, Vorstufen der römischen Terra sigillata aufdeckend. Seinerseits aber ließ er seine reichen Erfahrungen auch der westdeutschen Römerforschung zuteil werden. Wenn die Erforschung des Römerlagers von Haltern von Anfang an zu einem weitausschauenden, allseitig durchgeführten Unternehmen gestempelt wurde, so ist das wohl zum guten Teil Conzes Einfluß, der seine Erfahrungen damit auf deutschen Boden übertrug. Diese Ausgrabungen hat Conze mit lebhaftestem Interesse verfolgt. Häufig besuchte er sie persönlich, und scherzend haben wir wohl manchmal gesagt, daß das westfälische Römerlager mit seinen unscheinbaren Resten und Spuren, daß das Städtchen Haltern dem stolzen Pergamon in Conzes Herzen eine gefährliche Konkurrenz mache. Das warme Interesse Conzes an der Arbeit dort
15 und überall in Deutschland, das jeder fühlte, seine Persönlichkeit hat nicht wenig dazu beigetragen, die Tätigkeit unseres Instituts in Westdeutschland populär zu machen.
Am Tage der Eröffnung des Halterner Museums, das
die Funde aus dem Römerlager ganz im Sinne Conzes am Fundort zusammenhalten sollte, hat ihn die Stadt Haltern zu ihrem Ehrenbürger ernannt. Bis zum Jahre 1906 hat Conze das Amt des Generalsekretars geführt. Dann erst legte er es nieder; nicht, um sich als 75 jähriger in wohlverdiente Ruhe zurückzuziehen, sondern um — zu arbeiten.
In seinen Jahren müsse
man doch allmählich über seine Zeit disponieren, sagte er mir einmal mit der unerbittlichen Klarheit, die ihn auszeichnete.
Er müsse sich doch klar
darüber sein, daß ihm keine allzu lange Zeit mehr beschieden sei, und gewisse Arbeiten, die müsse er vor seinem Tode fertigstellen.
Pergamon und die
Grabreliefs bedurften der letzten Hand, und die konnte nur er daran legen. Mit der ihm eigenen Klarheit zog er die Konsequenz daraus.
So ist er tätig
geblieben bis zuletzt, man kann sagen, bis der Tod ihm die Feder aus der Hand nahm.
Treu blieb er auch dem Institut, in dessen Zentraldirektion
er als eifriges Mitglied bis in den Beginn dieses Jahres gearbeitet hat, helfend beratend aus seiner reichen Erfahrung heraus.
Als ein jäher Tod seinen
Nachfolger im Amte hinwegraffte, da ist mir unvergeßlich, mit welcher Selbstverständlichkeit der fast 80 jährige die Zügel des Instituts wieder ergriff und die ganze Last der Verwaltung noch einmal auf sich nahm, bis er sie in meine Hände legen konnte. Wie er dann weiter geduldig bis ins kleinste hinein mir immer wieder geholfen hat, mich einzuarbeiten, das vergesse ich ihm nie. Universität und Schule, Museum und Institut, sie alle trauern an seinem Grabe.
Mit ihnen unsere Gesellschaft, deren langjähriges Mitglied er war,
die er selbst als Vorsitzender geleitet, in der er so oft das Wort ergriff, namentlich um über seine neuesten pergamenischen Funde zu berichten.
In die
Trauer um den Gelehrten, um den Organisator aber mischt sich harmonisch die Trauer um den Menschen, dem wir mit der Achtung Verehrung und Liebe zollen durften. Aufrecht und unbeirrt, allem Scheine und aller Halbheit abhold, ein Mann aus einem Guß, ist Conze durchs Leben gegangen. Was er für recht erkannt hatte, das setzte er durch; mochte es ihn wohl auch einmal
selbst hart ankommen, auf sein Handeln hatte das keinen Einfluß. Alles um der Sache willen, um der Sache willen aber auch alles. So konnte er auch fernerstehenden kalt und hart erscheinen, weil er gewaltsam aus sachlichen Erwägungen und Verhandlungen alles Menschliche fernhielt. Wer ihn näher kannte, wer sich die Mühe nahm, ihn zu verstehen, der fühlte sehr bald, ein wie warmes Herz sich hinter dieser manchmal herben Art verbarg, wieviel strenger Gerechtigkeitssinn hier mit Wohlwollen gepaart war. Und er schätzte dann ein freundliches persönliches Wort nach langen sachlichen Verhandlungen, einen kurzen Gruß am Schluß eines knappen, rein sachlichen Schreibens höher als billige Liebenswürdigkeiten, mit denen er anderwärts überhäuft wurde. So hat Conze Generationen von Archäologen an sich vorüberziehen sehen. Nichts schien ihm das Alter anhaben zu können. Frisch und stählern blieb sein Körper, frisch sein Geist. Und mit dieser Frische bewahrte er sich auch die Fähigkeit, die Fühlung mit seiner Umwelt nicht zu verlieren. Conze haben wir jungen und jüngsten alle noch gekannt. Treu seinen alten Freiinden, trat er doch jedem neuen, bei dem er ehrliches Streben sah, freundlich entgegen, wußte auch noch mit dem jüngsten Stipendiaten umzugehen, so daß man den gewaltigen Altersabstand fast vergessen konnte. So klingt auch gerade aus dem Kreise der jungen die Trauer um ihn. Er war uns keine ferne Größe. Wir kannten und liebten ihn. Ein gütiges Geschick hat ihn bis. zuletzt geleitet. Noch einmal ist er in diesem Frühling hinausgezogen nach Griechenland. An seine Sammlung der Grabreliefs wollte er die letzte Hand legen und zugleich, was er bisher sich immer versagt hatte, seiner treuen Lebensgefährtin sein Griechenland zeigen. Noch einmal hat ihn die griechische Sonne, die er so liebte, bestrahlt. Erfrischt kehrte er heim, und unvergeßlich bleibt mir die trauliche Teestunde, als ich ihm — ohne feierliches Zeremoniell, so hatte er sich's erbeten — das Diplom überbrachte, das ihn zum Ehrenmitglied des Instituts ernannte, und als nun die beiden greisen Reisenden ihre Reiseerlebnisse und -abenteuer mit einer Frische erzählten, um die mancher junge sie beneiden konnte. Einen Schatten warf auf seine letzten Lebenswochen die Kunde von Unruhen, die
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sein Pergamon bedrohten, die Früchte seiner Lebensarbeit und die treuen Arbeiter, die ihm dort, zum Teil seit Jahrzehnten, zur Seite gestanden hatten. Ihnen zu helfen und die Altertümer zu schützen, das war seine letzte Sorge. Leise, ohne längeres Krankenlager, hat ihn der Tod uns genommen. — In diese Gedächtnisfeier hinein klingt das Tosen des Weltkampfes, der eine neue Zeit bringen wird. In unseren Hoffnungen auf eine glänzende Zukunft darf aber die Erinnerung nicht untergehen, die dankbare Erinnerung an die Zeit, die hinter uns liegt, und an jeden einzelnen, der da geholfen hat an dem festen Grunde zu bauen, auf dem wir einen neuen, glänzenderen Bau aufrichten wollen. So folge auch Alexander Conze unser Dank übers Grab hinaus, Dank für alles, was er uns geschaffen hat, Dank auch für das Beispiel treuer selbstloser Pflichterfüllung, ehrlicher Arbeit, echter deutscher Persönlichkeit, das er uns gegeben. —