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German Pages 426 Year 2020
Stephan M. Freys, Esther Pogatzki-Zahn (Hrsg.) Akutschmerztherapie in der Operativen Medizin
Stephan M. Freys, Esther Pogatzki-Zahn (Hrsg.)
Akutschmerztherapie in der Operativen Medizin
Herausgeber Prof. Dr. Stephan M. Freys DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus Bremen Chirurgische Klinik Gröpelinger Heerstr. 406–408 28239 Bremen E-Mail: [email protected]
Univ.-Prof. Dr. med. Esther Pogatzki-Zahn Universitätsklinik Münster Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Albert-Schweitzer-Campus 1, GB A1 48149 Münster E-Mail: [email protected]
ISBN: 978-3-11-059644-1 e-ISBN (PDF): 978-3-11-059748-6 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-059486-7 Library of Congress Control Number: 2020942622 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen mit den Autoren große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe der Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: von den Herausgebern. Satz/Datenkonvertierung: L42 AG, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Einleitung Akutschmerztherapie in der operativen Medizin, liebe Leserinnen und Leser, ist ein selbstverständlicher Bestandteil unseres ärztlichen Handelns. Bei allen derzeit existierenden möglichen Informationsquellen ist es das Bestreben der Herausgeber und sämtlicher Autoren dieses Buches, Ihnen ein praxisorientiertes Nachschlagewerk zu allen derzeit aktuellen Aspekten einer umfassenden schmerztherapeutischen Versorgung der Ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten im perioperativen Umfeld an die Hand zu geben. Dieses Buch richtet sich an alle perioperativ engagierten Chirurgen und Anästhesisten im stationären und ambulanten Bereich. Es ist gleichsam für alle anderen Berufsgruppen konzipiert, die im perioperativen Setting tätig sind, wie z. B. Pflegende, Physiotherapeuten und Psychologen. Die Akutschmerztherapie ist gleichgewichtet ein Pflichtbestandteil des Besteckkastens im modernen perioperativen Management und eine Kür des perioperativen Gesamterfolgs in besonderen Problemsituationen. Aus Sicht der Patienten ist sie ein oft entscheidender Erfolgsfaktor und Qualitätsindikator bei der Auswahl des Krankenhauses und kann Komplikationen und Langzeitfolgen verhindern. Aus diesem Grund sind gute schmerztherapeutische Konzepte in der perioperativen Medizin ausgesprochen sinnvoll, sollten dem aktuellsten Erkenntnisstand unterliegen und – da sie in den einzelnen operativen Bereichen oft sehr eng mit den operativen Besonderheiten assoziiert sind – prozedurenspezifisch sein. Nicht selten stellt die Akutschmerztherapie in manchen Situationen das an der Behandlung der Patienten beteiligte Personal vor besondere Herausforderungen; in solchen Fällen können interdisziplinäres Handeln und besondere schmerztherapeutische Kenntnisse gefragt sein. Die Abfolge der Kapitel dieses Buches soll Ihnen ein sehr praxisorientiertes Nachschlagewerk liefern, in dem aufeinander aufbauend und miteinander durch Querverweise verbunden – das adäquate Wissen um die Möglichkeiten einer modernen Akutschmerztherapie, – die richtige Organisation im Praxis- oder Klinikalltag und – die profunde handwerkliche Umsetzung spezifischer Maßnahmen in Abhängigkeit von der geplanten operativen Prozedur nahegebracht werden. In einem ausführlichen ersten Teil werden die Grundlagen der Akutschmerztherapie mit Darstellung der Pathophysiologie akuter und akut-chronifizierender Schmerzen, der Prinzipien der Schmerzerfassung und der grundlegenden Maßnahmen einer systemischen Schmerztherapie sowie der teilweise sehr komplexen Möglichkeiten der Regionalanalgesie-Verfahren abgehandelt. Auch psychologische Aspekte in der perioperativen Akutschmerztherapie werden thematisiert. Hierbei war es uns wichtig, in ausgewogener Weise den Spagat zu schaffen zwischen einer suffizienten Darstellung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse auf der einen Seite und einer didaktisch hilfreichen Wissensvermittlung für die Alltagsroutine auf der anderen Seite. So wünschen wir uns, dass alle auf ihre Kosten kommen, sowohl diejenigen, https://doi.org/10.1515/9783110597486-201
VI Einleitung
die sich ein etwas vertiefteres Wissen über schmerztherapeutische Behandlungsmöglichkeiten im perioperativen Setting wünschen, als auch diejenigen, die anhand von evidenzbasierten Handlungsempfehlungen und Hilfen für den klinischen Alltag (z. B. in Form von Therapieschemata, Merksätzen und Tabellen) Anregungen für die klinische Praxis erhalten wollen. Der zweite Teil des Buches widmet sich mit stets sinnvollen Rückblicken und Verweisen auf die Grundlagen der Darstellung einer prozedurenspezifischen Schmerztherapie. Die Idee hierfür ist geboren aus der Tatsache, dass eine perioperative Schmerztherapie nach unterschiedlichen operativen Prozeduren auch – zumindest in einem gewissen Rahmen – recht unterschiedliche Facetten aufweisen kann. In diesem Buch werden somit für nahezu alle operativen Fachgebiete sehr pragmatisch und praxisrelevant klare Empfehlungen und allgemein verständliche Regeln bei der Akutschmerztherapie im Umfeld der operativen Prozeduren gegeben. Auch hier war es ein wesentliches Bedürfnis, nicht nur einen kursorischen Überblick, sondern detaillierte Informationen zum aktuellen praktischen Vorgehen in spezifischen Einzelsituationen darzustellen. So werden immer wieder in übersichtlichen Schaubildern und Grafiken Therapieempfehlungen für die schmerztherapeutische Betreuung von Patienten in jeder chirurgischen Fachdisziplin gegeben, die eine direkte Umsetzung im Praxis- und Klinikalltag generieren helfen. Der hohe Erfahrungsschatz der Autoren in diesen Kapiteln, die sich teilweise seit Jahren mit der Optimierung der Akutschmerztherapie befassen, erlaubt jedem an der Schmerztherapie Beteiligten für diese Subspezialisierung ausreichende Einblicke und Anleitungen für das tägliche Handeln. Darüber hinaus werden in diesem Teil des Buches die Interdisziplinarität der Behandlung in der Akutschmerztherapie durch Beiträge aus dem physiotherapeutischen und pflegerischen Schmerzmanagement verdeutlicht und exzellente Einblicke in deren aktuellste Entwicklungen gegeben. Abgerundet wird das Buch dann durch einen dritten Teil, der sich den Besonderheiten bestimmter Patientengruppen widmet. Hier werden Patienten mit vorbestehenden Schmerzen, Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen, die Sondersituation bei Kindern und Schwangeren sowie bei geriatrischen Patienten dargestellt. Wie in allen anderen Kapiteln auch haben wir hierzu Autoren gewinnen können, die durch ihre langjährige Erfahrung und ausgesprochene Kompetenz auf diesen Gebieten einen klinisch relevanten Überblick über diese speziellen Patientengruppen und ihre Besonderheiten in der perioperativen Schmerztherapie geben können. Zusammenfassend soll die Systematik dieses Buches die Komplexität der Akutschmerztherapie in der operativen Medizin darstellen, Gemeinsamkeiten und übergeordnete Regeln erläutern und schließlich einen Detailblick für sehr individuelle Problemsituationen ermöglichen. Akutschmerztherapie in der operativen Medizin, liebe Leserinnen und Leser, ist ein selbstverständlicher Bestandteil unseres täglichen Handelns. Dieses Kompendium soll einen entscheidenden Beitrag dazu liefern, auf dass sie kein Buch mit sieben Siegeln bleibt. Stephan M. Freys, Esther Pogatzki-Zahn
Geleitwort 1 „Der Patient mit Schmerzen hat recht!“ Dieses Zitat stammt von Prof. Troidl , ehemaliger Lehrstuhlinhaber für Allgemein-und Viszeralchirurgie an der Universität Köln, von vor mehr als 25 Jahren und drückt sehr prägnant die Grundhaltung des Arztes Hans Troidl zum Patienten aus. Er war es der mich stimuliert hat, mich des Themas Akutschmerz anzunehmen und über 25 Jahre gemeinsam mit Chirurgen, Anästhesisten, der Pflege, der Physiotherapie und weiteren Berufsgruppen dies zu beforschen und in Workshops, Symposien etc. einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Interesse der Chirurgen am Akutschmerz stieg erheblich mit der Einführung der laparoskopischen Chirurgie im Jahre 1988, die weniger Schmerzen und eine schnellere Rekonvaleszenz versprach. Plötzlich waren die Intensität und die Dauer postoperativer Schmerzen in Ruhe und bei Bewegung ein wichtiger Outcome Parameter. Man kann sich heute nur noch schwerlich vorstellen, dass es damals Abgrenzungskämpfe zwischen den Berufsgruppen gab, die jeder den Schmerz und die Schmerztherapie für sich beanspruchten: der Chirurg, weil er ja die Schmerzen durch den Eingriff verursachte, der Anästhesist, weil die Schmerztherapie von Beginn an in seine Aus- und Weiterbildung integriert war. Es ging nicht um den Patienten, sondern um Berufspolitik. Heute geben nun ein Chirurg und eine Anästhesistin gemeinsam ein Buch mit dem Titel „AKUTSCHMERZTHERAPIE IN DER OPERATIVEN MEDIZIN“ heraus. Über 10 Jahre wurde gemeinsam daraufhin gearbeitet, dass Krankenhäuser und Praxen verpflichtend ein über alle Berufsgruppen hinweg gültiges Konzept zum Akutschmerzmanagement als Bestandteil ihres internen Qualitätsmanagements einführen. Mit dem gerade ergangenen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom September 2020 wurde ein wichtiger Meilenstein erreicht. Im Beschluss sind die wesentlichen Anforderungen an ein einrichtungsinternes Konzept zum Akutschmerzmanagement festgelegt worden; die Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA wurde ebenfalls entsprechend ergänzt. Ziel aller Bemühungen ist es, nach Operationen die individuell richtige Schmerztherapie sicherzustellen. Dies soll u.a. durch ein internes Akutschmerzmanagementkonzept erreicht werden. Patientinnen und Patienten mit bestehenden oder zu erwartenden Schmerzen sollen eine gezielte Betreuung erhalten, um Schmerzen vorzubeugen oder sie zu beseitigen. Indikationsspezifische Regelungen müssen wesentlicher Bestandteil sein. Die Einrichtung muss ihre personellen und organisatorischen Ressourcen für die Akutschmerztherapie darlegen sowie die Verantwortlichkeiten bei der Erfassung und Therapie der Akutschmerzen festlegen. In dem Konzept sollen ebenso die Maßnahmen zur schmerztherapeutischen Weiterbildung des Personals, die standardisierte Erfassung der patientenindividuellen Schmerzen und die Einbeziehung der Patientinnen und Patienten in die Therapieentscheidungen beschrieben werden. https://doi.org/10.1515/9783110597486-202
VIII Geleitwort 1
Diese wichtigen politischen Voraussetzungen im Blick, braucht es für den Therapeuten/die Therapeutin eine verlässliche Quelle, bei der die evidenzbasierten Informationen gefunden werden, die für die Umsetzung einer indikationsspezifischen Schmerztherapie prä-und postoperativ entscheidend sind. Mit dem vorliegenden Buch der Kollegen Freys und Pogatzki-Zahn ist ein wegweisendes und praxisorientiertes Nachschlagewerk zu nahezu allen Aspekten einer schmerztherapeutischen Versorgung der Patientinnen und Patienten im perioperativen Umfeld gelungen. Es ist nicht nur für Chirurgen und Anästhesisten im stationären und ambulanten Bereich, sondern auch für alle anderen Berufsgruppen konzipiert, die im perioperativen Setting tätig sind (Pflegende, Physiotherapeuten, Psychologen etc.) Im ersten Teil werden die Grundlagen der Akutschmerztherapie mit Darstellung der Pathophysiologie akuter und akut-chronifizierender Schmerzen sehr umfänglich beschrieben. Der sehr umfangreiche zweite Teil des Buches widmet sich der prozedurenspezifischen Schmerztherapie. „one size fits all“ ist eine überkommene Einstellung. Der empfundene akute postoperative Schmerz ist individuell und muss als solcher behandelt werden. Mehr als 10 verschiedene chirurgische Bereiche werden systematisch mit ihren jeweiligen Spezifika bearbeitet. Hier ist im Besonderen der Initiative „PROSPECT“ zu danken, die ich selbst über mehrere Jahre mit begleiten durfte und in der jetzt die beiden Herausgeber aktiv eingebunden sind. Das Buch endet schließlich mit einem dritten Teil zu besonderen Patientengruppen mit ihren Spezifika: Hierzu gehören Patienten mit Analgetikaabusus und Drogenabhängige, Kinder Schwangere und geriatrische Patienten. In der Form der Aufbereitung der komplexen Inhalte gehört das Buch, welches durch die Beiträge der jeweiligen Spezialisten ein hohes Niveau hat, in den Bestand jedes Therapeuten, der die Schmerzen der ihm anvertrauten Patienten möglichst verhindern, therapieren oder behandeln muss. Insofern wünsche ich dem neuen Standardwerk großen Erfolg. Edmund A. M. Neugebauer im September 2020
Geleitwort 2 Es ist mir ein Vergnügen und eine Ehre, ein Geleitwort für dieses wichtige Buch schreiben zu dürfen. Akutschmerztherapie hat sich in den über 30 Jahren, die ich nun intensiv akademisch und klinisch in diesem Gebiet tätig bin, drastisch gewandelt und verbessert. Es ist heute kaum vorstellbar, dass noch vor vierzig Jahren der Standard der postoperativen Schmerztherapie die intramuskuläre Injektion von Opioiden war – und sonst nichts! Seitdem hat sich dieses Gebiet zum Wohle der postoperativen Versorgung unserer Patienten – auch wenn an vielen Stellen noch nicht alles optimal ist – entscheidend weiterentwickelt. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien und die Zusammentragung von Evidenzen in Cochrane Analysen, den Prospect Guidelines und dem seit dem Jahr 1999 veröffentlichten und immer wieder neu aufgelegten, umfangreichen Buch ‘Acute Pain Management: Scientific Evidence’ der Australian and New Zealand College of Anaesthetists (ANZCA) zeigen, das eigentlich genügend Evidenz da ist, um perioperative Schemrztherapie effektiv zu gestalten. Parallel zu einer Verbesserung der wissenschaftlichen Grundlagen haben sich in den letzten Jahren auch die Strukturen zur Versorgung der Patienten mit postoperativen Schmerzen entscheidend verbessert. Seit der ersten Veröffentlichung des Konzepts eines Akutschmerzdienstes durch Brian Ready im Jahr 1988 hat sich dieses Konzept weltweit verbreitet und zu einer etablierten Struktur in vielen Kliniken geführt. Gleichzeitig ist offensichtlich geworden, dass ein solcher Dienst bereits in der präoperativen Phase zur Verbesserung der postoperativen Schmerztherapie beiträgt. Zudem wurde in den letzten Jahren erkannt, dass ein Akutschmerzdienst als ‘Transitional Pain Service’ nach der Entlassung des postoperativen Patienten wertvoll sein könnte. Ein solcher Service kann möglicherweise zur Rehabilitation, zur Vermeidung chronischer postoperativer Schmerzen und zur Verringerung der langfristigen Opioideinnahme beitragen; auch wenn wissenschaftliche Evidenz auf diesem Gebiet noch fehlt, sind erste Berichte aus einzelnen Kliniken weltweit sehr vielversprechend. All diese Entwicklungen machen deutlich, dass ein modernes Lehrbuch für den deutschsprachigen Raum dringend erforderlich war. Die beiden Herausgeber vertreten die wichtigsten Fachbereiche Anästhesie und Chirurgie. Sie sind ausgewiesene Experten auf Ihrem Gebiet und haben sowohl wissenschaftlich als auch gesundheitspolitisch die letzten Jahre das Feld maßgeblich national und international beeinflusst. Das, was sie und die zahlreichen Autoren hier vorlegen, deckt das Gebiet weitreichend und interdisziplinär ab. Das Lehrbuch behandelt das Thema der Akutschmerztherapie aus verschiedenen Blickwinkeln und betont dabei immer wieder die wichtigsten zugrundeliegenden Prinzipien: Evidenzbasis, Multimodalität, Prozedurspezifität und Interdisziplinarität.
https://doi.org/10.1515/9783110597486-203
X Geleitwort 2
Ich bin mir sicher, dass dieses Buch eine wichtige Lücke schließen und sowohl als Lehrbuch als auch als Nachschlagewerk gut angenommen wird und dann hoffentlich zum Wohlergehen unserer Patienten entscheidend beitragen kann. Stephan A. Schug Perth und Köln, Oktober 2020
Inhalt Einleitung V Geleitwort 1 VII Geleitwort 2 IX Autorenverzeichnis XXI
Teil I: Grundlagen der Akutschmerztherapie 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6
Akutschmerztherapie – Grundsätzliche Aspekte 3 Aufschlag 3 Paradigmenwechsel 3 Struktur 4 Evidenz 5 Organisation 6 Zertifizierung und Qualitätssicherung 7
2 2.1 2.2
2.4 2.5
Pathophysiologie postoperativer Schmerzen 11 Postoperative Schmerzen – ein Outcome-relevantes Symptom 11 Akute Schmerzen nach Operationen – Charakteristiken und pathophysiologische Mechanismen 12 Risikofaktoren für besonders starke Schmerzen nach einer Operation 14 Akute neuropathische Schmerzen nach Operationen 16 Chronifizierung postoperativer Schmerzen 18
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung 27 Schmerzerfassung und Dokumentation 27 Erfassung der Schmerzintensität 27 Funktionelle Beeinträchtigung 28 Interventionsgrenzen 29 Dokumentation 31 Patienteninformation und Risikoaufklärung 32 Qualitätsmanagement in der Akutschmerztherapie 33 QUIPS 33 Zertifizierung Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie 35 Certkom – Qualifizierte Schmerztherapie 36 Netzwerk Regionalanästhesie (net-ra) 37
2.3
XII Inhalt
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3
Systemische Schmerztherapie 39 Grundsätzliche Aspekte einer medikamentösen postoperativen Schmerztherapie 39 Balanciertes, postoperatives Schmerztherapiekonzept 39 Kontextfaktoren, die eine Schmerztherapie verbessern können 43 Interventionsgrenzen im Rahmen einer (systemischen) Schmerztherapie 43 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 44 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) 45 Opioide 58 Adjuvantien/Ko-Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie 81 Therapiekonzepte zur postoperativen Schmerztherapie 89
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.2 5.2.1 5.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.4.1 5.4.2 5.5
Regionalanästhesieverfahren 101 Lokalanästhetika, Adjuvantien 102 Lokalanästhetika 102 Adjuvantien 107 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 111 Spinalanästhesie 116 Epiduralanästhesie 120 Periphere Regionalanästhesieverfahren 124 Obere Extremität 125 Untere Extremität 129 Bauchwandblockaden 131 Wundinfiltrationen (Bolus und Kontinuierlich) 133 Kontinuierliche Wundkatheterinfiltration (WCI) 133 Lokale Wundinfiltrationsanalgesie (LIA) 134 Therapieüberwachung bei peripheren Regionalanalgesieverfahren, e. g. wenn ein Katheterverfahren genutzt wird 135
6 6.1 6.2
Psychologische Aspekte 139 Einleitung 139 Psychologische Patientenmerkmale als Risikofaktoren für den postoperativen Akutschmerz 139 Psychologische Patientenmerkmale und postoperative Schmerzchronifizierung 142 Psychologische Merkmale der perioperativen Situation 143 Praxisrelevante Aspekte zur Verbesserung der Akutschmerzen aus psychologischer Sicht 144 Fazit 145
6.3 6.4 6.5 6.6
Inhalt XIII
Teil II: Prozedurenspezifische Schmerztherapie 7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6
Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“ 149 Einleitung 149 Das Problem „akutes Abdomen“ 150 Wahl des Analgetikums 151 Applikationsregeln 153 Zielparameter einer adäquaten Schmerztherapie 154 Fazit 154
8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Sonden, Drainagen und Katheter 157 Einleitung 157 Sonden 157 Drainagen 160 Katheter 163 Zusammenfassung 163
9 9.1 9.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.4 9.4.1 9.4.2
Operationen in der Viszeralchirurgie 165 Einleitung 165 Laparoskopie oder Laparotomie? 166 Prä-, intra- und postoperative Maßnahmen 167 Präoperative Maßnahmen 167 Intraoperative Maßnahmen 168 Postoperative Maßnahmen 169 Stufenplan gemäß Schmerzintensität 170 Patienten mit geringer bis mittlerer Schmerzintensität 171 Patienten mit hoher Schmerzintensität 172
10 10.1
Operationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie 175 Allgemeiner Teil: Analgesieverfahren in der Orthopädie/Unfallchirurgie 175 Regionalanalgesieverfahren 175 Systemische Analgesieverfahren 179 Allgemeine operative Aspekte 179 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie in der Orthopädie/Unfallchirurgie 180 Große Gelenkeingriffe am Knie 180 Große Gelenkeingriffe an der Hüfte 183 Große Schulteroperationen 184 Amputationen an den Extremitäten 185 Fuß- und Handchirurgie 188
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5
XIV Inhalt
11 11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.1.6 11.2 11.3 11.3.1 11.3.2 11.3.3 11.3.4 12 12.1 12.2 12.3 12.4 12.5 12.6 12.7 12.8 13 13.1 13.2 13.3 13.4 13.5
14 14.1 14.2
Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie 193 Zugangswege und OP-Techniken machen den Unterschied: erste Säule der Schmerzverminderung/Schmerzbeherrschung 193 Lagerung 193 Thorakotomie 194 Thorakoskopie (VATS: Video-assistierte Thorakoskopie) 195 Sternotomie 196 Thoraxdrainagen 197 Thoraxchirurgische Eingriffe 198 Die Physiotherapie: zweite Säule der Schmerzverminderung/Schmerzbeherrschung 199 Medikamentöse Therapie: dritte Säule der Schmerzverminderung/Schmerzbeherrschung 201 Präventive Analgesie 201 Interkostalblockade 202 Periduralanästhesie 202 Systemische Analgesie 203 Operationen in der Gefäßchirurgie 205 Allgemeine Aspekte 205 Carotis‑Chirurgie 207 Abdominelle Gefäßrekonstruktionen 207 Periphere Gefäßrekonstruktionen 208 Amputationen 211 Wundversorgung (Ulcus cruris, Gangrän, Wundversorgung allgemein) 212 Varizenchirurgie 214 Prozedurenspezifische Schmerztherapie in der Gefäßchirurgie 215 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten 217 Epidemiologie – Verbrennungsmedizin in Zahlen 217 Diagnostik und Einschätzung der Prognose nach Verbrennungen 218 Analgesie – Monitoring und Dokumentation 219 Allgemeine Grundlagen der Schmerztherapie verbrannter Patienten 221 Pharmakologische Besonderheiten bei Patienten mit Verbrennungen 223 Operationen in der Kinderchirurgie 225 Einleitung 225 Psychische Unterstützung 225
Inhalt XV
14.3 14.4 14.5 14.5.1 14.5.2 14.5.3 14.6 14.7 14.8 15 15.1 15.1.1 15.1.2 15.1.3 15.2 15.3 15.4
Schmerzevaluation bei Kindern 226 Schmerzvermeidung 227 Prinzipielle Möglichkeiten der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern 227 Lokale Optionen 227 Regionale Schmerztherapie 229 Systemische Analgesie 229 Besondere Situationen 230 Alternative Schmerztherapie 231 Fazit 232 Operationen in der Gynäkologie 235 Hysterektomie und andere benigne intraabdominelle Eingriffe am weiblichen Genitale 236 Unterschiede bei totaler (TLH) und subtotaler (LASH) laparoskopischer Hysterektomie? 240 Abdominelle Hysterektomie 241 Vaginale Eingriffe inclusive Descensus- und Inkontinenzchirurgie 242 Ausgedehnte intraabdominelle Eingriffe: Cervix-, Endometrium-, Ovarial-Karzinom, Debulking-Operation 242 Vulvakarzinom 243 Onkologische Brustchirurgie: BET, Ablatio simplex, SSM, NSM, SLNB, ALND 244
Operationen in der Urologie 251 Schmerztherapie in der operativen Urologie: allgemeine Aspekte 251 16.2 Schmerztherapie in der operativen Urologie: spezielle Aspekte 254 16.2.1 Art der Operation als Grundlage für die Wahl der postoperativen Analgesie 254 16.2.2 Regionalanalgesieverfahren, die in der Urologie zur Anwendung kommen 256 16.2.3 Systemische Schmerztherapie nach urologischen Eingriffen 257 16.2.4 Spezielle prozedurenspezifische Empfehlungen in der Urologie 259 16 16.1
17 17.1 17.2 17.3 17.4 17.5
Operationen in der HNO-Heilkunde 261 Besondere Aspekte in der HNO 261 Beginn und Dauer der Schmerztherapie 262 Intraoperative lokale Anästhetika 265 Postoperative Schmerztherapie: Basismedikation 265 Postoperative Schmerztherapie bei hoher Schmerzintensität 266
XVI Inhalt
17.6 17.7 17.8 17.9
Prämedikation bei Eingriffen in Lokalanästhesie 266 Adjuvante medikamentöse Verfahren 267 Adjuvante nichtmedikamentöse Verfahren 267 Besonderheiten bei Kindern 268
18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie 271 18.1 Einleitung 271 18.2 Grundlagen 272 18.3 Lokalanästhesie 274 18.3.1 Intraorale Applikation 275 18.3.2 Extraorale Applikation 276 18.3.3 Beckenkamm, Kraniotomie 277 18.4 Sedierungsverfahren 277 18.5 Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie bei Eingriffen im MKG-Bereich 278 18.5.1 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) 279 18.5.2 Opioide 280 18.5.3 Antiphlogistika/Adjuvantien 280 18.5.4 Nichtmedikamentöse Maßnahmen 280 19 19.1 19.2 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.3 19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4 19.4 19.4.1 19.4.2 19.5 19.5.1 19.5.2
Ambulante Operationen 283 Einleitung 283 Derzeitige Situation der Schmerztherapie bei ambulanten Operationen 283 Qualität der Schmerztherapie bei ambulanten Eingriffen 283 Unerwünschte Wirkungen von Schmerzen nach ambulanten Eingriffen 284 Ursachen mangelhaften Schmerzmanagements bei ambulanten Eingriffen 284 Allgemeine Strategien zur Verbesserung der Schmerztherapie bei ambulanten Operationen 285 Identifikation von Risikopatienten 285 Patientenaufklärung 286 Wahl des Operationsverfahrens 286 Intraoperatives Management 287 Multimodale Schmerztherapie bei ambulanten Operationen 288 Aktuelle Richtlinien 288 PROSPECT 289 Gebräuchliche medikamentöse Analgetika zur Schmerztherapie nach ambulanten Operationen 289 Nicht-Opioid-Analgetika in der ambulanten Analgesie 289 Opioide in der ambulanten Analgesie 290
Inhalt XVII
19.5.3 19.5.4 19.6 19.6.1 19.6.2 19.7 19.8 19.8.1 19.8.2 20 20.1 20.2 20.3 20.4 20.5 20.6 20.7 20.8 20.9 20.10 20.11
Ko-Analgetika 290 Kortikosteroide 290 Lokale und regionale Anästhesieverfahren in der ambulanten Chirurgie 291 Infiltrationsanästhesien 291 Periphere Nervenblockaden 291 Nichtmedikamentöse analgetische Techniken 292 Schmerztherapie nach ambulanten Operationen im häuslichen Umfeld 293 Anweisungen für Patienten und Angehörige 293 Messung, Dokumentation und Qualitätssicherung 293 Organisation Akutschmerzdienst 297 Anspruch auf Schmerzbehandlung des Patienten 297 Konzeptioneller Versorgungsrahmen im Krankenhaus 297 Akutschmerzdienste 299 Vom Akutschmerzdienst zum Schmerzdienst 301 Personelle und organisatorische Voraussetzungen für Schmerzdienste 302 Rechtliche Grundlagen zur Delegation ärztlicher Leistungen 304 Zusammenarbeit im interdisziplinären Versorgungskontext 305 Rechtliche Stellung interdisziplinärer Zusammenarbeit 307 Finanzierung 308 Behandlungsstandards 309 Rechtliche Einordnung von Behandlungsstandards 310
21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie 313 21.1 Pflegerisches Handeln in der Akutschmerztherapie 313 21.2 Das pflegerische Schmerzassessment 314 21.2.1 Initiales Assessment 315 21.2.2 Differenziertes Assessment 315 21.2.3 Selbst- und Fremdeinschätzung im pflegerischen Schmerzassessment 316 21.2.4 Schmerzerfassung im Verlauf 319 21.2.5 Bedeutung des Schmerzassessment für das pflegerische Handeln 319 21.3 Pflegerische Aufgaben in der medikamentösen Schmerztherapie 320 21.3.1 Standardisierte Behandlungsschemata 321 21.4 Nicht medikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen als pflegerische Aufgabe 321 21.5 Information, Anleitung und Schulung 325
XVIII Inhalt
Patientenschulung 325 Schnittstellen im Schmerzmanagement 326 Pflegeexperten Schmerz 328 Die Pflegevisite als Element der Qualitätssicherung im Schmerzmanagement 329
21.5.1 21.6 21.7 21.8
22 22.1 22.2 22.3 22.4 22.5 22.6
Physiotherapie in der Akutschmerztherapie 333 Definition Physiotherapie 333 Prä-Operative Physiotherapie 334 Postoperativ stationär 336 Postoperativ nach Entlassung 338 Wie könnte eine physiotherapeutische integrative und sektorenübergreifende Akutschmerzversorgung aussehen? 339 Fazit 340
Teil III: 23
Besondere Patientengruppen
23.4 23.5
Patienten mit vorbestehenden Schmerzen (Analgetikaabusus und Drogenabhängige) 347 Einleitung 347 Chronischer und chronifizierter Schmerz 348 Patienten mit chronischen Schmerzen und medizinisch indizierter Opioidbehandlung 350 Schmerztherapie bei Patienten mit Opioidabhängigkeit 353 Strukturelle und organisatorische Voraussetzungen 355
24 24.1 24.2 24.3 24.4 24.5 24.6
Kinder 357 Der reifende Organismus 357 Schmerzerfassung 358 Schmerzprävention und nicht-medikamentöse Maßnahmen 363 Regionalanästhesie 365 Systemische Schmerztherapie 367 Organisatorische Besonderheiten 370
23.1 23.2 23.3
25 Besondere Patientengruppen: Schwangere 373 25.1 Einleitung 373 25.2 Analgetika 374 25.2.1 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) 374 25.2.2 Die klassischen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) 381 25.2.3 Spezifische COX-2-Hemmer 381 25.2.4 Opioide 382
Inhalt XIX
25.2.5 25.2.6 26 26.1 26.2 26.3 26.4
Regionalanalgesieverfahren postoperativ bei Schwangeren 383 Ko-Analgetika 384 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten 387 Schmerzen im Alter – eine Herausforderung 387 Für die postoperative Schmerztherapie relevante physiologische Anpassungen im Alter 390 Praktische Umsetzung geriatrischer Akutschmerztherapie 392 Fazit 394
Sachverzeichnis 395
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Dr. hc. K. Tobias E. Beckurts Krankenhaus der Augustinerinnen Klinik für Allgemein-, Visceral-, Thorax- und Unfallchirurgie Jakobstraße 27–31 50678 Köln E-Mail: [email protected] Kap. 7 Prof. Dr. med. Björn Behr Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinik Bergmannsheil Bochum Universitätsklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Schwerbrandverletztenzentrum Bürkle-de-la-camp Platz 1 44789 Bochum E-Mail: [email protected] Kap. 13 Dr. med. Matthias Beintker Südharz Klinikum Nordhausen Klinik für Urologie Dr.-Robert-Koch-Straße 39 99734 Nordhausen E-Mail: [email protected] Kap. 16 Ruth Boche Universitätsklinikum Münster Pflegedirektion, Stabsstelle Pflegeentwicklung Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude W30 48149 Münster E-Mail: [email protected] Kap. 21 Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen Augustusplatz 2 55131 Mainz E-Mail: [email protected] Kap. 18
Univ.-Prof. Dr. med. Eike Sebastian Debus Universitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg Klinik für Gefäßmedizin Martinistr. 52 20246 Hamburg E-Mail: [email protected] Kap. 12 Diana Dittmann Universitätsklinikum Jena Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Am Klinikum 1 07747 Jena E-Mail: [email protected] Kap. 3 Priv.-Doz. Dr. med. Joachim Erlenwein Universitätsmedizin Göttingen Klinik für Anästhesiologie Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen E-Mail: [email protected] Kap. 20 Prof. Dr. Stephan M. Freys DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus Bremen Chirurgische Klinik Gröpelinger Heerstr. 406–408 28239 Bremen E-Mail: [email protected] Kap. 1, 7, 9 Priv.-Doz. Dr. Dr. Hans Jürgen Gerbershagen Marienhospital Gelsenkirchen Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie Notfallmedizin und Schmerztherapie Virchowstraße 122 45886 Gelsenkirchen E-Mail: [email protected] Kap. 25
XXII Autorenverzeichnis
Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych. Michael Hüppe Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Ratzeburger Allee 160 23538 Lübeck E-Mail: [email protected] Kap. 6 Dr. med. Gunda Leschber Evangelische Lungenklinik Berlin Klinik für Thoraxchirurgie (Thoraxzentrum) Lindenberger Weg 27 13125 Berlin E-Mail: [email protected] Kap. 11 Priv.-Doz. Dr. med. Christine Meyer-Frießem Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil Klinik für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerzmedizin Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum E-Mail: [email protected] Kap. 26 Prof. Dr. med. Winfried Meißner Universitätsklinikum Jena Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Am Klinikum 1 07747 Jena E-Mail: [email protected] Kap. 3 Dr. med. Karl-Heinz Moser ATOS Klinik Köln Im Mediapark 3 50670 Köln E-Mail: [email protected] Kap. 19 Univ.-Prof. Dr. med. Oliver J. Muensterer Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie Langenbeckstrasse 1 55131 Mainz E-Mail: [email protected] Kap. 14
Ass.-Prof. Dr. Nadja Nestler Paracelsus Medizinische Privatuniversität Institut für Pflegewissenschaft und -praxis Strubergasse 21 5020 Salzburg Österreich E-Mail: [email protected] Kap. 21 Univ.-Prof. Dr. Prof. h. c. Dr. h. c. Edmund A. M. Neugebauer Medizinische Hochschule Brandenburg Theodor Fontane Campus Neuruppin, Haus O Fehrbelliner Straße 38 16816 Neuruppin E-Mail: [email protected] Geleitwort 1 Dr. Francesca Oppitz Wilhelmina Kinderziekenhuis (WKZ); Universitair Medich Centrum Utrecht (UMCU) Divisie Vitale Functies (DVF) Lundlaan 6 3584 EA Utrecht Niederlande E-Mail: [email protected] Kap. 24 Univ.-Prof. Dr. med. Frank Petzke Universitätsmedizin Göttingen Klinik für Anästhesiologie Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen E-Mail: [email protected] Kap. 23 Univ.-Prof. Dr. med. Esther Pogatzki-Zahn Universitätsklinik Münster Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Albert-Schweitzer-Campus 1, GB A1 48149 Münster E-Mail: [email protected] Kap. 1, 2, 4, 10, 16, 25
Autorenverzeichnis XXIII
Prof. Dr. Axel Schäfer Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim (HAWK) Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit Goschentor 1 31134 Hildesheim E-Mail: [email protected] Kap. 22 Priv.-Doz. Dr. med. Alexander Schnabel Universitätsklinikum Münster Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude A1 48149 Münster E-Mail: [email protected] Kap. 5 Prof. Dr. med. Stephan A. Schug MD FANZCA FFPMANZCA EDPM Em. Professor and Honorary Senior Research Fellow Anaesthesiology and Pain Medicine Medical School University of Western Australia Royal Perth Hospital GPO Box X2213 Perth WA 6847 Australia E-Mail: [email protected] Geleitwort 2 Prof. Dr. med. Wolfgang Schwenk Städtisches Klinikum Solingen Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Gotenstraße 1 42653 Solingen E-Mail: [email protected] Kap. 8 Prof. Dr. med. Christian J. P. Simanski St. Martinus Krankenhaus Klinik für Orthopädie & Unfall-, Hand- und Fußchirurgie Klosterstr. 32 40764 Langenfeld E-Mail: [email protected] Kap. 10
Dr. med. Juliane Straßburg-Jegelski Evangelische Lungenklinik Berlin-Buch Lindenberger Weg 27 13125 Berlin E-Mail: [email protected] Kap. 11 Prof. Dr. med. Klaus Stelter HNO Zentrum Mangfall-Inn Rosenheim, Bad Aibling, Wasserburg Münchener Str. 27 83022 Rosenheim E-Mail: [email protected] Kap. 17 Dr. med. Karen Wimmer DIAKO Ev. Diakonie-Krankenhaus Bremen Frauenklinik Gröpellinger Heerstraße 406–408 28239 Bremen E-Mail: [email protected] Kap. 15 Dr. med. Carl Vahldieck Universität zu Lübeck Institut für Physiologie Ratzeburger Allee 160 23562 Lübeck E-Mail: [email protected] Kap. 6 Prof. Dr. med. Peter Zahn Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum Bürkle-de-la-camp-Platz 1 44789 Bochum E-Mail: [email protected] Kap. 5, 13
Teil I: Grundlagen der Akutschmerztherapie
1 Akutschmerztherapie – Grundsätzliche Aspekte Stephan M. Freys, Esther Pogatzki-Zahn
1.1 Aufschlag Vordergründig spielt in jedem operativen Fachgebiet die Kernleistung des tatsächlichen operativen Handelns eine zentrale Rolle. Erfolg und Misserfolg dieses ärztlichen Handelns sind jedoch niemals durch einen singulären Akt gekennzeichnet. Vielmehr tragen multiple Faktoren wie schon bei der Entstehung des Krankheitsbildes, so auch bei dessen Bewältigung zu Erfolg und Misserfolg bei. Allen operativen Fachdisziplinen so wie der Anästhesie gleich ist das Bestreben, prä-, intra- und postoperative Prozesse so zu organisieren, dass ein strukturiertes Handeln resultiert. Dieses soll auf der einen Seite höchst patientenindividualisiert, auf der anderen Seite idealerweise durch leitliniengerechtes Handeln fundiert sein. Der „traditionell geprägte Operateur“ fokussiert wesentlich auf sein operatives Handeln als Kernleistung, allenfalls ergänzt durch ein kluges Management etwaiger Komplikationen. Gleichermaßen wird es zunehmend selbstverständlich, dass ein Beherrschen perioperativer Maßnahmen ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist. Aspekte wie Antibiotikaeinsatz, Physiotherapie, postoperativer Kostaufbau, Mobilisation, Antikoagulation und Schmerztherapie wurden traditionell eher als lästige, denn als erfolgsentscheidende Parameter „nebenbei organisiert“. Anästhesisten fühlen sich traditionell für bestimmte perioperative Aspekte, und hier im Besonderen für die perioperative Schmerztherapie, insofern zuständig, als dass sie – mit systemisch zu verabreichten Analgetika vertraut sind (z. B. Opioide), – regionalanalgetische Verfahren und ihre Besonderheiten beherrschen, die besonders effektiv in der postoperativen Phase sind, – häufig im Rahmen der speziellen Schmerztherapie weitergebildet und damit für die Schmerztherapie zusätzlich ausgebildet sind, – auf dem Gebiet der Schmerzmedizin ihren Forschungsschwerpunkt legen und – mit der Schmerztherapie eine der zentralen Säulen ihres Fachgebietes Anästhesie haben.
1.2 Paradigmenwechsel Angeregt durch die Diskussion um eine Qualitätssicherung hat sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Paradigmenwechsel auch in den operativen Fachdisziplinen ergeben. Das Thema „Akutschmerztherapie“ ist im Zuge dieser Qualitätsdiskussion als idealer Messparameter integraler Bestandteil zahlreicher Qualitätssicherungsmaßnahmen perioperativ geworden. Daneben zeigen die Ergebnisse unterschiedlich motivierter Patientenbefragungen, dass eine subjektiv als ausreichend empfundene
https://doi.org/10.1515/9783110597486-001
4 1 Akutschmerztherapie – Grundsätzliche Aspekte
Schmerztherapie mehr und mehr zum Entscheidungskriterium bei Arzt- und Krankenhauswahl mutiert. Nicht zuletzt haben verschiedenste Untersuchungen auch Zusammenhänge von Schmerz und Komplikationen so wie vice versa die Reduktion von Komplikationen durch eine gute perioperative Schmerztherapie zeigen können, die auch für Chirurgen von großem Interesse sind [1]. Diese Erkenntnisse führten an verschiedenen Fronten zu einer Konzentration auf die Notwendigkeit einer Optimierung der Akutschmerztherapie in allen Disziplinen (s. Infobox 1.1). Infobox 1.1: Optimierung der Akutschmerztherapie in Lehre und Klinik – Seit 2003 ist in der Weiterbildungsordnung aller patientenversorgenden Fachgebiete die Berücksichtigung schmerzmedizinischer Kompetenz mit Kenntnissen, Erfahrungen und Fertigkeiten in der allgemeinen Schmerzmedizin unter Berücksichtigung gebietsspezifischer Ausprägung fixiert. – Im Jahr 2012 wurde Schmerzmedizin als Pflichtlehr- und Prüfungsfach in der ärztlichen Approbationsordnung festgelegt. – Im Jahr 2014 erging ein Antrag des Deutschen Ärztetages, bei dem, analog der Qualitätsindikatoren „nosokomiale Pneumonie“ und „Dekubitus-Prophylaxe“ ein fächerübergreifender Qualitätsindikator „Schmerz“ für die Qualitätsmanagementsysteme der Krankenhäuser gefordert wurde. Hier ist es das Bestreben, „Schmerztherapie“ auf das gleiche Niveau wie „Hygiene“ zu heben, d. h. eine interprofessionelle und interdisziplinäre Organisation horizontal organisiert in einem Krankenhaus zu etablieren, wie es seit Jahren pflichtgemäß für die Hygiene gilt, die stets als unmittelbar der Geschäftsführung unterstellte Stabsstelle arbeitet. – Bereits seit vielen Jahren sind die wesentlichen Grundlagen einer Akutschmerztherapie in Form von 6 Thesen in der Ethik-Charta der Deutschen Schmerzgesellschaft definiert, eine weitergehende Präzisierung findet sich in der Forschungsagenda „Perspektive Schmerzforschung Deutschland“ der Deutschen Schmerzgesellschaft [2].
1.3 Struktur Gerade der interdisziplinäre Charakter einer strukturierten Akutschmerztherapie wird fächerübergreifend in den operativen Disziplinen eines Krankenhauses analog der positiven Erkenntnisse eines gut funktionierenden Hygiene-Managements vier wesentliche Prozesse befördern: – unmittelbar eine Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Patienten, – mittelfristig eine messbare Absenkung der Morbidität der Patienten, – langfristig eine Verhinderung der Chronifizierung von Schmerzen und – simultan eine ökonomische Bevorteilung aufgrund einer beschleunigten Mobilisation. Eine reduzierte Morbidität und Mortalität, eine messbare Reduktion der Krankenhausverweildauer sowie eine Verkürzung des Krankenstands so wie Vermeidung komplikationsbedingter Folgekosten sind die natürlichen Folgen.
1.4 Evidenz 5
Diese Kriterien bilden die Grundsäulen der Motivation, zugleich auch die Basis jeder ethischen Rationalisierung der Akutschmerztherapie. Schmerztherapie ist in allen Bereichen heute nicht mehr denkbar ohne die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und anderen an der Schmerztherapie beteiligten Berufsgruppen; hier sind insbesondere Psychologie, Physiotherapie und Pflegende zu nennen. Während eine interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit dieser Beteiligten in der chronischen (multimodalen) Schmerztherapie heute integrativer Bestandteil der Versorgung ist, hat das Hinzuziehen von schmerztherapeutisch weitergebildeten Psychologen oder gar die Einbindung dieser in die Regelversorgung von Akutschmerzpatienten aber noch Seltenheitswert. Die Bedeutung der Pflege für die Schmerztherapie nach Operationen hat sich dagegen auf verschiedensten Ebenen in den letzten Jahren deutlich verändert. So konnte durch die seit mehr als 10 Jahren existierenden professionsspezifischen Fortbildungen „Pain Nurse“, „Pflegeexperten Schmerz“ und „Algesiologische Fachassistenz“ eine Professionalisierung Pflegender im Rahmen der Schmerztherapie erreicht werden; viele dieser Pflegeexperten (in Deutschland sind mittlerweile an die 10.000 Pflegende in dieser Weise weitergebildet worden) sind hauptsächlich in Kliniken in der Akutschmerztherapie meist im Rahmen von Akutschmerzdiensten aktiv eingebunden, übernehmen wichtige partizipative Aufgaben und arbeiten dort eng und interdisziplinär mit den Ärzten des Akutschmerzdienstes sowie mit den auf der Station tätigen Pflegenden und Ärzten zusammen [3]. Auch wenn juristische Aspekte zu beachten sind [4], ist die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit zwischen Pflegenden und Ärzten in Bezug auf die Akutschmerztherapie in einem Krankenhaus verschiedentlich regelbar. Ein diesbezüglicher Weitblick bei den beteiligten Fachdisziplinen und Berufsgruppen könnte eine solche Form der Zusammenarbeit in Zukunft noch deutlich intensivieren, idealerweise mit der Integration weiterer Berufsgruppen in der Akutschmerztherapie (vergleiche Kap. 20). Merke: Akutschmerztherapie lebt von einer engen interdisziplinären Abstimmung zwischen den agierenden medizinischen Fachgebietsbeteiligten, Pflegeexperten und individuell zu beteiligenden Berufsgruppen. Sie ist ein wesentlicher Qualitätsindikator bei Arzt- und Krankenhauswahl.
1.4 Evidenz Grundlage jeder Initiative zur Implementierung einer sowohl fachspezifischen wie gleichzeitig berufsgruppenübergreifenden Akutschmerztherapie in einer Klinik, ist der Abgleich mit bestehenden Empfehlungen, Leitlinien und Möglichkeiten. Hier ist es die Aufgabe einer jeden Institution, die allgemeingültigen Vorgaben und Regeln den institutsspezifischen Besonderheiten (Art der Klinik/Praxis, des Patientengutes, der operativen Prozeduren ambulant vs. stationär) anzupassen und ein den lokalen Ge-
6 1 Akutschmerztherapie – Grundsätzliche Aspekte
gebenheiten Rechnung tragendes individuelles Regelwerk anzubieten. Ähnlich den vieldiskutierten „clinical pathways“ gibt es kein allumfassendes Schmerzmanagementsystem, das den jeweils bestehenden Notwendigkeiten „übergestülpt“ werden kann. Eine wesentliche Grundlage ist hier der Bezug zu bestehenden Leitlinien. Die aktuell in deutscher Sprache abgelaufene letzte Version der S3 Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ wird derzeit aktualisiert [5]. Gute Quellen für effektive und nicht-effektive Maßnahmen sind die evidenzbasierten Zusammenfassungen zur Akutschmerztherapie des Australian and New Zealand College of Anaesthetists [6] und die prozedurenspezifischen Empfehlungen der PROSPECT-Arbeitsgruppe (procedure specific postoperative pain management). Hier werden nach dem Cochrane Verfahren evidenzbasiert die Ergebnisse aktueller randomisierter Studien vidiert und daraus Empfehlungen zu bestimmten Prozeduren gegeben. Auf der PROSPECT-Homepage finden sich zum einen klar formulierte Empfehlungen, hinterlegt mit den zugrundeliegenden Originalarbeiten [7], die gleichfalls publiziert und damit durch Peer-Review Verfahren bestätigt sind. Interessant ist hier die Zusammenarbeit von Anästhesisten und Chirurgen schon seit mehr als 10 Jahren. Merke: Eine zeitgemäße Akutschmerztherapie bezieht sich auf evidenzbasierte Empfehlungen.
1.5 Organisation Wenngleich eine Akutschmerztherapie ein Paradebeispiel für eine sinnhaft durchzuführende Interdisziplinarität darstellt, so ist in gleichem Maße eine adäquate „Verpackung“ hilfreich. Bereits im Jahre 1992 wurde eine Mustervereinbarung zwischen dem Berufsverband der Chirurgen und dem Berufsverband der Anästhesisten beschlossen, die im Jahr 2018 modifiziert und aktuellen Erfordernissen angepasst im Jahr 2019 publiziert wurde [8]. Diese Empfehlungen fassen in übersichtlicher Form die Kompetenzen zwischen den beteiligten Berufsgruppen und medizinischen Fachgebieten zusammen und erlauben eine sichere Kooperation. Akutschmerztherapie ist nur so gut, wie die end-verantwortlich agierenden Persönlichkeiten sie miteinander verabreden. Eine solche schriftlich fixierte Kooperation garantiert den nachgeordneten Mitarbeitern die Durchführung eines gemeinschaftlich verabredeten Organisationsprozesses. Im Rahmen einer Mustervereinbarung können, gespiegelt an den individuell vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen, feste Verabredungen zu Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten bzgl. der unterschiedlichen Aufgaben im Rahmen der Akutschmerztherapie getroffen werden (s. Infobox 1.2).
1.6 Zertifizierung und Qualitätssicherung 7
Infobox 1.2: Mögliche Aufgaben im Rahmen der Akutschmerztherapie – Durchführung und Überwachung kontinuierlicher regionalanalgesiologischer Techniken zur peripheren oder rückenmarksnahen Nervenblockade auf betreuenden Stationen. – Durchführung einer systemischen PCA-Therapie mit Opioiden. – Anwendung anderer spezieller schmerztherapeutischer Methoden. – Perioperative Betreuung von Patienten, die ein erhöhtes Risiko postoperativer Schmerzen haben (u. a. präoperative chronische Schmerzen, präoperative Opioideinnahme, Substanzmissbrauch und Substitution, Durchführung bestimmter Operationen). – Schmerzmedizinische Beurteilung und/oder Mitbehandlung von Patienten auf Anforderung durch den primär behandelnden Arzt; insbesondere bei Patienten, die trotz bestehender systemischer Schmerztherapie starke Schmerzen oder eine schmerzbedingte Beeinträchtigung wichtiger Funktionen haben. – ………………………………………………………………………….……………………… (weitere, Zutreffendes bitte ankreuzen)
Merke: Idealerweise findet eine interdisziplinäre und berufsgruppenübergreifende gemeinsame Bemühung ihren Widerhall in der Repräsentanz im Leitbild einer Klinik bzw. des verantwortlichen Krankenhauses.
1.6 Zertifizierung und Qualitätssicherung Die gleiche Verbindlichkeit, die durch eine interdisziplinäre Vereinbarung zwischen unterschiedlichen Fachgebieten (operatives Fachgebiet und Anästhesiologie/Intensivmedizin) gewährleistet wird, sollte selbstverständlich auch allen an der Akutschmerztherapie Beteiligten gewährt werden. Ob eine solche Verbindlichkeit durch das Erstellen eines allgemein gültigen Qualitätsmanagement-Handbuches gelingt oder ob der Weg einer Zertifizierung quasi als „Disziplinierungsmittel“ ausgewählt wird, obliegt den lokalen Gegebenheiten. Derzeit existieren in Deutschland 2 ähnliche Zertifizierungsprojekte: – das Projekt „Schmerzfreies Krankenhaus“ mit der Zertifizierung „Qualifizierte Schmerztherapie“ durch die CertCom e. V. [9] und – das Projekt „Schmerzfreie Klinik“ mit der Zertifizierung „Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie“ durch den TÜV Rheinland [10]. Ein wesentlicher Vorteil einer Zertifizierung ist in der Tatsache zu sehen, dass das individuelle Ziel (Optimierung der Akutschmerztherapie für den Patienten) hier zu einem gemeinschaftlichen Ziel aller Beteiligten aufgewertet wird: es erfolgt eine quasi automatisierte Revision der Prozesse durch das anstehende Re-Audit und eine Struktur- und Prozessqualität werden vorgegeben. Wie eingangs dargestellt, ist es das Wesen der Bemühungen um die Akutschmerztherapie, eine Qualitätsverbesserung einzuführen. Möchte man nun nicht
8 1 Akutschmerztherapie – Grundsätzliche Aspekte
nur Struktur- und Prozessqualität optimieren, sondern ebenfalls, und das geht in hervorragender Weise bei der Akutschmerztherapie, eine Ergebnisqualität darstellen, so können die im Rahmen einer strukturierten Akutschmerztherapie erfassten Parameter hierzu Verwendung finden. Das Wesen einer vernünftigen Akutschmerztherapie ist die Dokumentation der in festgelegten Zeitintervallen durchgeführten Schmerzerfassung. Die hier in der Patientenkurve fixierte Schmerzintensität, die grundsätzlichen Therapie-Algorithmen und die möglicherweise hiervon abweichende Maßnahmen sind transparent und somit nachvollziehbar. Merke: Die Darstellung und Überprüfung zu erhebender Qualitätsdaten im Rahmen der Akutschmerztherapie können durch interne oder externe Audits überprüft werden.
Es ist hierbei möglich, für Patienten und Therapeuten gleichermaßen, „gefühlte“ in „gemessene Temperaturen“ zu überführen. Eine Beurteilung der Ergebnisqualität ist Realität. Eine im deutschsprachigen Raum seit Jahren erfolgreich funktionierende Initiative zur Qualitätssicherung in der Schmerztherapie stellt das QUIPS-Projekt (Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie) dar [11]. Dieses freiwillig anzuwählende System erlaubt mit Hilfe einer standardisierten Datenerhebung anhand weniger Qualitätsindikatoren und einer sofortigen Datenanalyse mit webbasiertem Daten-Feedback eine systematische Kontrolle der eigenen Ergebnisse auf nationalem Benchmark-Niveau. Eine solche, bis auf kleine Patientengruppen reduzierbare Analyse hilft der individuellen Station, der individuellen Klinik oder dem gesamten Krankenhaus mit dem von ihm gestalteten Organisationssystem einer Akutschmerztherapie zu einem für Arzt wie auch Patient „lernenden System“ zu werden. In den nächsten Jahren werden weitere Aspekte in der Akutschmerztherapie auf uns zukommen. Neben der möglichen Einführung von bisher noch nicht klar definierten Qualitätsindikatoren im Qualitätsmanagementsystem wird aktiv an der Identifizierung von geeigneten Patienten-Outcome-Parametern gearbeitet, die z. B. nicht nur die Schmerzintensität sondern auch funktionelle und psychosoziale Aspekte berücksichtigen. Darüber hinaus wird der Aspekt einer Frühprävention einer Schmerzchronifizierung möglicherweise einen größeren Stellenwert einnehmen; Leuchtturmprojekte aus Kanada und Skandinavien zeigen bereits, dass eine Kombination aus psychoedukativer, physiotherapeutischer und medizinischer Unterstützung nach Entlassung des Patienten aus dem Krankenhaus anhaltende Schmerzen und Opioideinnahmen deutlich reduzieren kann (vgl. Kap. 2). Und nicht zuletzt wird die Bedeutung der „enhanced recovery Programme“ auch in Deutschland die Notwendigkeit einer kurzeitigen aber guten Analgesie perioperativ erforderlich machen. All diese Aspekte demonstrieren eindrucksvoll, dass die Akutschmerztherapie nur interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend eine Chance hat erfolgreich zu sein bzw. noch erfolgreicher zu werden.
Referenzen 9
Referenzen [1]
van Boekel RLM, Warlé MC, Nielen RGC. Relationship Between Postoperative Pain and Overall 30-Day Complications in a Broad Surgical Population: An Observational Study. Ann Surg. 2017;13. doi: 10.1097/SLA.0000000000002583 [2] https://www.dgss.org/forschung-und-foerderung/forschungsagenda-schmerz-deutschland (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [3] Boche R, Nestler N, Erlenwein J, Pogatzki-Zahn E. Nursing pain experts in German hospitals: A compilation of activity profiles and tasks. Schmerz. 2018;32(1):48–55. [4] Erlenwein J, Moroder A, Biermann E, et al. Delegation ärztlicher Tätigkeiten in der Akutschmerztherapie. Anaesthesist. 2018;67(1):38–46. [5] https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/001-025.html (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [6] www.fpm.anzca.edu.au/resources/publications (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [7] www.postoppain.org (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [8] Freys SM, Erlenwein J, Koppert W, et al. Vereinbarung zur Organisation der Schmerztherapie chirurgischer Patienten des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen (Neufassung). Chirurg. 2019;90:648–51. [9] http://www.certkom.com/zertifizierungen/krankenhaeuser.html (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [10] www.tuv.com/germany/de/zertifizierung-akutschmerztherapie.html (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19). [11] www.quips-projekt.de (letztes Zugriffsdatum: 18.09.19).
2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen Esther Pogatzki-Zahn
2.1 Postoperative Schmerzen – ein Outcome-relevantes Symptom Schmerz ist eines der häufigsten Symptome nach Operationen. Die physiologische „Funktion“ von Schmerzen im Allgemeinen ist unter anderem eine schmerzbedingte Schonung des von einer Verletzung betroffenen Gewebes sowie das Vermeiden einer Überbeanspruchung. Eine Operation ist aber in engerem Sinne keine physiologische Verletzung, deren Heilung durch Schonung besonders gut verläuft. Schmerz nach Operationen beeinträchtigt im Gegenteil nachhaltig nicht nur das Wohlbefinden der Patienten, sondern kann auch negative Folgen auf die Erholung des Patienten, auf das Operationsergebnis, auf Komplikationen und die postoperative (auch Langzeit-) Erholung haben [1–4]. Letztendlich kann starker und anhaltender Schmerz nach einer Operation auch zu chronischen Schmerzen, Medikamentenübergebrauch und anhaltenden Funktionseinschränkungen sowie zu einer Reduktion von Lebensqualität und gesellschaftlichen (ökonomischen) Folgen führen [5,6]. Wir wissen heute im Umkehrschluss, dass die effektive Behandlung von Akutschmerzen das Risiko von Sekundärerkrankungen (wie perioperativer Herzinfarkt, Thrombose und pulmonale Komplikationen) vermindert und die für eine optimale biopsychosoziale Genesung notwendige Voraussetzung darstellt [2,7]. Durch eine effektive und gleichzeitig nebenwirkungsarme Schmerztherapie werden gezielte Physiotherapiemaßnahmen postoperativ erst möglich und unterstützen damit maßgeblich die funktionelle Erholung, z. B. nach größeren Knieoperationen. Eine optimierte Schmerzlinderung, insbesondere unter Belastungsbedingungen (Husten, Aufstehen, Physiotherapie durchführen können), ist entscheidend für eine Wiederherstellung der normalen körperlichen Funktion [8]. Dies alles macht deutlich, wie wichtig, neben der ethischen Verpflichtung, Leiden zu lindern, eine effektive Schmerzreduktion postoperativ ist. Merke: Schmerzfreiheit ist nicht das primäre Ziel einer guten postoperativen Schmerztherapie, sondern eine Prävention und Therapie starker, die Funktion und Erholung der Patienten beeinträchtigender Schmerzen.
Die Behandlung postoperativer Schmerzen ist (zumindest bei einer Vielzahl von Patienten) auch in Deutschland immer noch nicht zufriedenstellend [9–11]. Neben organisatorischen Problemen im Zusammenhang mit der postoperativen Schmerztherapie stellt eine weitere Herausforderung der Mangel an Wissen über die Mechanismen, die dem postoperativen Schmerz zugrunde liegen, dar. Viele der möglichen Behandlungsoptionen (z. B. Opioide) greifen nicht spezifisch in die eigentlichen pathophysiologischen Mechanismen postoperativer Schmerzen ein. Hinzu kommt, dass
https://doi.org/10.1515/9783110597486-002
12 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
Mechanismen von Schmerzen unter Ruhebedingungen z. T. anders sind als solche Mechanismen, die Schmerzen unter Belastungsbedingungen verursachen [12]. Auch Schmerzen nach unterschiedlichen Operationen können zumindest z. T. unterschiedlichen Mechanismen unterliegen (z. B. viszerale versus orthopädische Operationen). Und nicht zuletzt kann Schmerz mit neuropathischen Charakteristiken nach einigen Operationen auftreten; diese sind wiederum durch z. T. völlig andere Pathomechanismen erklärbar [13]. Leider sind viele dieser Pathomechanismen nach Operationen noch nicht vollständig geklärt; einiges weiß man jedoch schon aus präklinischen, translationalen und klinischen Untersuchungen [12,14,15]. Es ist daher notwendig, diese Mechanismen (zumindest in Grundzügen) zu kennen, um Therapien richtig und gezielt anwenden zu können. Ein weiteres Ziel der postoperativen Grundlagenforschung ist natürlich die Entwicklung neuer Substanzen und Therapieoptionen für die perioperative Schmerztherapie der Zukunft; schon heute können wir aber aus dem vorhandenen Wissen eine Mechanismen-orientierte Therapie soweit wie möglich zusammenstellen. Merke: Eine gute Schmerztherapie gründet auf dem Wissen der zugrundeliegenden Mechanismen, einer guten Diagnostik und individuellen Behandlungsschemata, und zwar spezifisch für bestimmte Schmerzcharakteristika, für bestimmte Operationen und für bestimmte Patienten.
Nicht zuletzt können Mechanismen-basierte und an individuelle Risiken der Patienten angepasste Therapien möglicherweise auch chronische Schmerzen nach Operationen verhindern. Auch wenn dies noch nach Zukunftsmusik klingt, ist aber auch hier schon Einiges bekannt. In den folgenden Abschnitten werden deshalb pathophysiologische Zusammenhänge des postoperativen Schmerzes aufgezeigt, die wichtig sind, um schon heute Mechanismen-adaptiert Schmerzen nach Operationen zu behandeln und ansatzweise auch eine Chronifizierung zu verhindern.
2.2 Akute Schmerzen nach Operationen – Charakteristiken und pathophysiologische Mechanismen Nach Operationen treten Schmerzen in Ruhe und bei Belastung auf; während Ruheschmerzen häufig gut therapierbar sind, sind Schmerzen, die unter Belastungssituationen entstehen (z. B. beim Husten nach einem thoraxchirurgischem Eingriff oder Schmerzen während der Physiotherapie) schwieriger und häufig unbefriedigend in den Griff zu bekommen. Merke: Schmerzintensitäten bei Belastung sind in der Regel höher, dauern länger an als Ruheschmerzen und können die Patientenerholung nachweislich verzögern bzw. die Erholung sogar nachhaltig verschlechtern.
2.2 Akute Schmerzen nach Operationen 13
Aus präklinischen postoperativen Schmerzmodellen wissen wir, dass jeder chirurgische Eingriff zu einem (prozedurenspezifischen) Gewebetrauma führt. Abhängig vom Gewebstrauma kommt es zur Aktivierung immunkompetenter Hautzellen, zu einem Axonverlust, der Freisetzung von verschiedensten Entzündungsmediatoren über mehrere Signalwege und der Induktion einer inzisionsbedingten Ischämie um den Ort der Verletzung [14,15]. Die Ischämie ist ein wesentlicher Mechanismus, der in Muskelschichten durch Freisetzung von H+ (↓ pH), Laktat, ATP, Bradykinin, NGF und anderen Mediatoren, Rezeptoren und Ionenkanälen (u. a. der TRPA1) zur Spontanaktivierung von bestimmten C-Faser-Populationen und dies wiederum zu Ruheschmerzen nach einer operativen Schnittverletzung führt [12,15]. Im Gegensatz dazu führt die Überempfindlichkeit von mechanosensitiven Aδ-Fasern u. a. zu Belastungsschmerzen nach einer Operation [15]. Neben ischämischen Prozessen sind Zytokine (IL-1β, IL-6, TNFα), Chemokine und neuroimmune Modulatoren (Histamin, Tryptase, 5-HT, NGF, CGRPα etc.) aus rekrutierten Fibroblasten, Mastzellen, Keratinozyten, Schwannzellen, peptidergen Nervenfasern und hautresidenten myeloiden Zellen an der Aktivierung und Sensibilisierung von Nozizeptoren in der Haut beteiligt [12,15]. Merke: Die lokale Freisetzung von Entzündungsmediatoren nach Inzision sensibilisiert direkt periphere Nozizeptoren in mehreren Gewebeschichten und Neuroinflammations- und Neuroimmunreaktionen in den Dorsalganglien (DRG).
Gliazellen (Satelliten-Gliazellen [SGC] und Mikroglia) synthetisieren und setzen Zytokine sowie Chemokine und Neurotrophine (NT) über mehrere Signalwege frei und tragen so unmittelbar zur mechanischen Überempfindlichkeit und damit wahrscheinlich zu Belastungsschmerzen bei. Über peptiderge TrkA+-Fasern kann möglicherweise eine Downstream-Signalübertragung und neuronale Erregbarkeit moduliert werden und auch hier spielt eine zunehmende Expression von Nav1.7-Kanälen seine Rolle [12,15]. Die Art und Schwere der Gewebeschädigung und ihre Veränderungen um die Verletzung herum bedingen eine Sensibilisierung (= Überempfindlichkeit) von Nozizeptoren, die als periphere Sensibilisierung bezeichnet wird, auch nach einer Schnittverletzung [16]. Darüber hinaus kommt es – unter anderem durch die Aktivierung und Sensibilisierung von Nozizeptoren – zu spinalen und supraspinalen Veränderungen, die zentrale Sensibilisierung genannt werden [12,15]. Beispielsweise wurden im Hinterhorn des Rückenmarkes molekulare Prozesse identifiziert, die eine Remifentanil-induzierte Hyperalgesie nach Inzision reguliert. So kommt es zur Phosphorylierung der spinalen NMDA Rezeptoruntereinheit (der NR2B-Untereinheit an der Tyr1472-Stelle): diese Phosphorylierung konnte in präklinischen Untersuchungen durch Ketamin verhindert werden [17]. Ergebnisse weiterer Untersuchungen, die die Wirkungen von Substanzen auf Rückenmarksebene untersucht haben, weisen auf differenzierte Mechanismen für verschiedene Schmerzmodalitäten (insbesondere Ru-
14 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
he- versus Belastungsschmerzen) hin. So konnten z. B. durch die Aktivierung spinaler GABA-Rezeptoren Überempfindlichkeitsreaktionen auf mechanische (und thermische) Reize vermindert werden, jedoch blieben Ruheschmerzen unberührt [18]. Genau umgekehrt verhielt es sich, wenn spinale Glutamattransporter moduliert wurden [19]. Letzteres scheint insbesondere interessant für eine mögliche Chronifizierung von Schmerzen zu sein. Auch eine Reduktion der Aktivierung von MAPK-Phosphatase (MKP)-3 (über extrazelluläre signalregulierte Kinasen (ERK) -1/2) führt zu anhaltenden Schmerzen in präklinischen Untersuchungen; hier kommt es allerdings zu anhaltendem evoziertem Schmerz [12,15]. Merke: Viele der pathophysiologischen Mechanismen nach einer operativen Verletzung sind spezielle, inzisionsspezifische „Entzündungsprozesse“ (in der Peripherie, aber auch im Rückenmark) und erklären, warum z. B. COX-Hemmer bei postoperativen Schmerzen eine so gute Effektivität haben.
Allerdings sind diese „Entzündungsprozesse“ nicht die gleichen Prozesse, die auch bei anderen Entzündungen auftreten [12]. Würden spezifische Therapeutika, die ischämischen Prozesse oder einzelne, bei postoperativen Schmerzen involvierte Zytokine, Chemokine oder Neurotrophine gezielt ausschalten, zur Verfügung stehen (z. B. als „Biologica“ die spezifisch in die Pathophysiologie des postoperativen Schmerzes eingreifen), so wären bestimmte schmerzauslösende Prozesse deutlich selektiver und wahrscheinlich auch nebenwirkungsärmer und es wäre vor allem möglich, gezielter den postoperativen Schmerz zu reduzieren. Erste klinische Untersuchungen dazu gibt es; diese waren bisher aber noch nicht so erfolgsversprechend, unter anderem wahrscheinlich deshalb, weil „einzelne Biologica“ die Schmerzen nach Operationen nicht alleine ausschalten können [20]. Weitere Prozesse, die im zentralen Nervensystem zu einer Veränderung führen, sind bisher erst rudimentär untersucht worden [21,22]. Derartige Erkenntnisse sind besonders wichtig, um in Zukunft Mechanismen zu identifizieren, die zu starken, belastungsabhängigen Schmerzen und zur Schmerzchronifizierung nach einer Operation führen.
2.3 Risikofaktoren für besonders starke Schmerzen nach einer Operation Nicht alle Patienten geben nach der gleichen Operation auch die gleichen Schmerzintensitäten an; es gibt einige Patienten, die stärkere Schmerzen nach Operationen haben als andere. Auch Schmerzverläufe in der postoperativen Phase sind häufig sehr individuell. Verschiedenste Untersuchungen lassen vermuten, dass bestimmte Patientenmerkmale dafür sorgen, dass Patienten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit stärkere Schmerzen erleiden nach einer Operation, mehr Analgetika benötigen
2.3 Risikofaktoren für besonders starke Schmerzen nach einer Operation 15
oder beides [23,24]. Relativ häufig untersucht wurden Alter und Geschlecht von Patienten; Frauen scheinen stärkere Schmerzen anzugeben als Männer und jüngere Patienten geben mehr Schmerzen an als ältere Patienten [23]. In einer Metaanalyse konnten kürzlich neben diesen beiden eher unveränderbaren Patientenfaktoren sieben weitere Prädiktoren identifiziert werden, die nach der Operation ein erhöhtes Risiko für starke postoperative Schmerzen darstellen [24] (Infobox 2.1). Infobox 2.1: Risikofaktoren für starke postoperative Schmerzen [24] – junges Alter – weibliches Geschlecht – Rauchen – depressive Symptome – Angstsymptome – Andere psychische Symptome/Stress – Schlafstörungen – höherer BMI – Vorhandensein von präoperativen Schmerzen – präoperative Einnahme von Analgetika
Merke: Angst, depressive Symptome und eine manifeste Depression sind Risikofaktoren, die mit starken postoperativen Schmerzen einhergehen.
Drei Aspekte scheinen in diesem Kontext besonders interessant zu sein: Zum einen scheinen einige psychologische Faktoren prädiktiv für starke postoperative Schmerzen zu sein [24]. Katastrophisierung, insbesondere schmerzbezogene Katastrophisierung (eine dysfunktionale Kognition, bei der der Betroffene immer das schlechteste Ergebnis erwartet, sich in Bezug auf Schmerzen nicht von ihnen ablenken lässt und sich zu sehr in seine Schmerzwahrnehmung hineinsteigert) ist ein Aspekt, der in einigen Untersuchungen mit einem Risiko für starke Akutschmerzen assoziiert war [25]. Dass dieser Aspekt in der Metaanalyse von Yang et al. nicht als Prädiktor auftauchte liegt möglicherweise daran, dass er in Subgruppen, wie z. B. chronischen Schmerzpatienten, prädiktiv ist, aber in Patienten ohne dieses Attribut nicht [25]. Auch Angst (erfasst mit dem STAI-State-Fragebogen) spielt eine besondere Rolle. Eine hohe präoperative Schmerzerwartung ist tatsächlich mit starken postoperativen Schmerzen assoziiert [25–27] und damit ein Prädiktor für ausgeprägte postoperative Schmerzen. Möglichweise ist eine subjektive (hohe) Schmerzerwartung ähnlich wie eine Katastrophisierung zu werten. Die Bedeutung präoperativer psychologischer Aspekte auch in Subgruppen von Patienten muss deshalb weiter untersucht werden. Ein zweiter wichtiger Aspekt im Hinblick auf Risikofaktoren für starke Akutschmerzen sind präoperative chronische Schmerzen und eine präoperative Opioideinnahme. Diese Faktoren, ebenfalls starke Prädiktoren für starke Akutschmerzen,
16 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
lassen vermuten, dass bei diesen Patienten das (vor allem zentrale) Nervensystem durch die chronischen Schmerzen und auch durch eine Opioideinnahme schon vorsensibilisiert ist (siehe Kap. 4). Zusätzliche Schmerzreize stoßen dann auf einen „hochregulierten“ Zustand (sowie auf eine herunterregulierte Inhibition [25]), so dass der neue Schmerzreiz besonders stark wahrgenommen wird. Trifft eine hohe präoperative Schmerzerwartung auf vorbestehende Schmerzen, so ist dies eine besonders schlechte Kombination, die mit besonders ausgeprägten postoperativen Schmerzen assoziiert ist [27]. Ein dritter bemerkenswerter Aspekt betrifft die „experimentelle“ Testung von sensorischen Empfindungen als Prädiktor für akute postoperative Schmerzen. Hier ist interessant, dass – entgegen der Erwartungen – sensorische Testungen nur wenig prädiktiv sind; bis auf eine niedrige endogene Inhibition (sensorisch getestet mittels der sog. conditional pain modulation, CPM) war kaum ein weiterer sensorischer Test (außer ggf. überschwellige Hitzereize) mit einem vermehrten Schmerz nach Operationen assoziiert [25,28]. Merke: Das Vorhandensein (und -sehr wichtig- die Identifizierung) präoperativer Prädiktoren für starke Schmerzen kann auf ein erhöhtes Risiko für starke Schmerzen nach der Operation hinweisen und auf die Notwendigkeit einer individualisierten Behandlung und besonderer Präventionsmaßnahmen aufmerksam machen.
So kann z. B. durch spezielle Therapieoptionen wie die Gabe von Ketamin (vgl. Kap. 4) oder durch den Einsatz eines Regionalanalgesieverfahrens bei einer Operation, die im Normalfall kein solches indizieren würde, bei Patienten mit zu erwartenden hohen postoperativen Schmerzintensitäten und einem komplizierten Verlauf präventiv behandelt werden. Spannend wäre es auch, die veränderbaren Risikofaktoren (wie z. B. Schlafstörungen oder Rauchen) zu modifizieren, um dadurch das Outcome zu verbessern; hierzu gibt es allerdings bisher wenige Untersuchungen. Psychologische Faktoren wie Angst oder Katastrophisierung lassen sich ggf. durch Edukation und/oder durch psychologische Interventionen modulieren.
2.4 Akute neuropathische Schmerzen nach Operationen Es ist möglich, dass Schmerzen nach einer Operation nicht nur nozizeptive Schmerzcharakteristiken aufweisen; auch neuropathische – oder besser (da für akute Schmerzen bisher nicht klassifiziert) – Neuropathie-ähnliche postoperative Schmerzen kommen ebenfalls vor. Neuropathische Schmerzen sind definitionsgemäß Schmerzen, die als direkte Folge einer Schädigung oder Läsion des somatosensorischen Systems auftreten [29]. Solche Schmerzen können durch die Verletzungen größerer Nerven oder Nervenplexus entstehen. Beispiele sind retroperitoneale Irritationen/Kompressionen oder Infiltrationen des Plexus coeliacus (z. B. bei Pankreaskarzi-
2.4 Akute neuropathische Schmerzen nach Operationen 17
nom oder operativer Entfernung eines solchen), Verletzung des Plexus axillaris bei Schulter- oder Oberarmverletzungen/-Operationen, Quetschungen von thorakalen Nerven nach Thorakotomien, oder Nervenverletzungen bei großen orthopädischen Operationen (meist Tumoroperationen im Hüft-/Oberschenkelbereich oder Amputationen). Durch die Läsion werden pathophysiologische Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem induziert (z. B. vermehrte Expression von Natriumkanälen an peripheren Nozizeptoren), die zu Spontanaktivität von Nozizeptoren, gestörter deszendierender Hemmung und weiteren Abweichungen mit der Folge gesteigerter Empfindlichkeiten und Schmerzen führen können [29]. Neuropathische Schmerzen treten in der Regel spontan auf; typisch sind dann brennende Charakteristiken. Aber auch andere, z. B. einschießende oder evozierte Schmerzcharakteristiken, die sich sehr stark von nozizeptiven Schmerzen abgrenzen, können auftreten (siehe Infobox 2.2). Infobox 2.2: Einige Neuropathie-ähnliche Schmerzcharakteristika – brennender Schmerz – stechender Schmerz – elektrisierender Schmerz – lanzierende Schmerzen – Kribbeln oder ein Gefühl von „Ameisenlaufen“ – anfallsartig einschießende Schmerzattacken – durch äußere Reize, die sonst nicht schmerzhaft sind, werden Schmerzen ausgelöst
Während bekannt ist, dass neuropathische Schmerzen nach bestimmten Operationen als chronische neuropathische Schmerzen auftreten [13], sind auch schon in den ersten Tagen nach Operationen Symptome von Patienten berichtet worden, die auf neuropathische Schmerzen hinweisen. Nach Sternotomie hatten z. B. 50 % der Patienten eine Dysästhesie im frühen postoperativen Stadium [1], in einer gemischten Operationspopulation betrug die Inzidenz Neuropathie-ähnlicher Schmerzen 3–4 % [30]. Derartige Schmerzen stellen für den Patienten sehr relevante Schmerzen schon im akuten Geschehen dar und implizieren eine differenzierte Diagnostik und Therapie. Eine Möglichkeit, diagnostisch klar akute nozizeptive von akuten neuropathischen Schmerzen zu unterscheiden, besteht aber bisher nicht. Es gibt darüber hinaus weder eine klare Definition für akute neuropathische Schmerzen, noch eine gute Möglichkeit diese zu diagnostizieren. Die zur Diagnose neuropathischer Schmerzen herangezogenen Fragebögen wie der painDETECT [31] oder der DN4 (Douleur Neuropathique en 4 Questions [32]) Fragebogen sind im akuten postoperativen Geschehen nicht validiert. Merke: Schmerzen, die in der akuten postoperativen Phase neuropathischen Charakter aufweisen, sind häufig nicht Opioid-sensitiv. Es ist deshalb abzuraten, Opioide bei dieser Art von Schmerzen in hohen Dosierungen zu verabreichen.
18 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
Es gibt so gut wie keine Studie, die Therapien für solche Neuropathie-ähnlichen akuten postoperativen Schmerzen untersucht oder geprüft haben. Es ist also nicht klar, ob die Substanzen, die chronische neuropathische Schmerzen reduzieren, auch bei akuten Neuropathie-ähnlichen Schmerzen indiziert sind bzw. welche der Substanzen dann besonders effektiv sind und welche nicht. Ein Therapieversuch mit für chronische neuropathische Schmerzen zugelassenen Subtanzen (siehe Kap. 4) wie Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin/Gabapentin) oder Antidepressiva (Trizyklische Antidepressiva, z. B. Amitriptylin) oder selektive Serotonin-Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer (z. B. Duloxetin), kann sinnvoll sein, wenn Opioide nicht ausreichend wirken, die Schmerzsymptomatik typisch für neuropathische Schmerzen ist und anhaltend über mehrere Tage bestehen bleibt (also eher in der subakuten Phase). Auch ein Regionalanalgesieverfahren kann alternativ (vor allem in der Akutphase) in Betracht gezogen werden, um akut bei neuropathischen Schmerzen die Symptome zu reduzieren und ggf. auch ihre Chronifizierung zu verhindern. Merke: Interessant ist, dass akute Neuropathie-ähnliche Schmerzen auch einen guten Prädiktor für das Auftreten chronischer neuropathischer Schmerzen nach Operationen darstellen [33].
Deshalb ist eine frühzeitige Therapie möglicherweise auch günstig bezüglich einer Prävention chronischer Schmerzen; allerdings ist auch dies bisher nicht eindeutig geklärt (bzw. die geeignetste Therapie unklar, siehe weiter unten). Merke: Akute neuropathische Schmerzen sind sowohl diagnostisch als auch therapeutisch nicht eindeutig definiert. Ein „individueller Heilversuch“ mit einer für chronische neuropathische Schmerzen zugelassenen Substanz muss daher sowohl mit dem Patienten besprochen („off-label use“) als auch den nachfolgend behandelnden Ärzten als solcher mitgeteilt werden. Bei Nicht-Ansprechen der Symptome auf die Therapie muss diese Therapie beendet werden.
Ein Patient mit anhaltenden neuropathischen Schmerzen nach Operation sollte zu einem Schmerztherapeuten oder Neurologen weitervermittelt werden, der mit der Therapie neuropathischer Schmerzen vertraut ist und den Patienten bei Persistenz der Symptome weiter betreut und therapiert.
2.5 Chronifizierung postoperativer Schmerzen Der „Blick“ von Anästhesisten und Chirurgen hinsichtlich postoperativer Schmerzen ist in erster Linie auf die perioperative Phase gerichtet. Was oft noch völlig verkannt wird ist die Tatsache, dass jeder chirurgische Eingriff prinzipiell auch langanhaltende postoperative Schmerzen verursachen kann. Die letzten 10 Jahre haben hier wichtige neue Erkenntnisse erbracht und das Thema chronischer Schmerz nach Operatio-
2.5 Chronifizierung postoperativer Schmerzen 19
nen einschließlich ihrer Vermeidung ist deutlich präsenter als je zuvor. Dies liegt unter anderem daran, dass heute Daten über die Inzidenz, auch abhängig von der Operation, über Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen und über Möglichkeiten ihrer Prävention deutlich valider sind als noch vor 10 Jahren. Die Definition von chronischen Schmerzen nach Operationen wurde kürzlich aktualisiert [6] (Infobox 2.3.) und auf verschiedene Patientenpopulationen wie ambulanten Patienten [34] und pädiatrische Patienten [35] ausgeweitet. Infobox 2.3. Definition chronischer postoperativer Schmerzen Vorgeschlagene Kriterien (nach Werner und Kongsgaard [36]): 1. Der Schmerz entwickelt sich nach einem chirurgischen Eingriff oder nimmt an Intensität nach dem chirurgischen Eingriff zu. 2. Der Schmerz sollte mindestens 3 bis 6 Monate dauern und die Lebensqualität signifikant beeinflussen. 3. Der Schmerz ist entweder eine Fortsetzung des akuten postoperativen Schmerzes oder entwickelt sich nach einer asymptomatischen (schmerzfreien) Periode. 4. Der Schmerz ist entweder auf das Operationsfeld beschränkt, projiziert auf das Innervationsgebiet eines Nerven im Operationsgebiet oder auf ein passendes Dermatom (Operation von tiefem somatischem oder viszeralem Gewebe). 5. Andere Ursachen des Schmerzes sollten ausgeschlossen werden, z. B. Infektion oder Tumorprogression.
Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass etwa einer von 10 Patienten chronische Schmerzen entwickelt und einer von 100 Patienten so starke chronische Schmerzen, dass bei diesem die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt ist [37]. Die häufigsten mit chronischen Schmerzen assoziierten Operationen sind Thoraxoperationen (offen, aber auch minimalinvasiv), Eingriffe an der Brust und orthopädische Operationen (vor allem Wirbelsäulen-OPs und Gelenkeingriffe [6]), vgl. Tab. 2.1. Diese Zahlen weisen auf ein großes sozioökonomisches Problem hin, dass bisher völlig verkannt wurde und ggf. auch zu der sogenannten „Opiodepidemie“ in den USA mit beigetragen haben könnte [39]. Merke: Das Problem ist weniger der Einsatz von Opioiden in der frühen postoperativen Phase zur Linderung akuter postoperativer Schmerzen; vielmehr ist es der vor allem poststationär weitergeführte Opioidkonsum, der bei einigen Patienten möglicherweise unangemessen ist.
Wichtig ist, dass eine Reduzierung des chronischen Schmerzes nach Operationen auf Inzidenz und Schmerzintensität ohne Berücksichtigung der Lebensqualität und Einschränkungen der Funktion des Patienten wenig sinnvoll ist. Allerdings liegen zu letzterem auch heute noch wenige Daten vor. Dies könnte sich aber mit der Einführung der 11. Revision der ICD (International Classification of Diseases) der WHO ändern; die Neuaufnahme von chronischen postoperativen Schmerzen in die kommen-
20 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
Tab. 2.1: Inzidenzen für einige chronische Schmerzsyndrome nach Operation (verändert nach Schug and Bruce [38]). Operations-Art
Inzidenz von chronischen postoperativen Schmerzen
Anteil von neuropathiInzidenz von schweren chronischen postoperativen schen chronischen postoperativen Schmerzen Schmerzen (Intensität > 5 von 10)
Amputationen
30 %–85 %
5 %–10 %
80 %
Thorakotomien
5 %–65 %
10 %
45 %
Mastektomien
11 %–57 %
5 %–10 %
65 %
Kaiserschnitt
6 %–55 %
5 %–10 %
50 %
Knieendoprothesen
13 %–44 %
15 %
6%
Hüftendoprothesen
27 %
6%
1 %–2 %
Inguinalhernien
5 %–63 %
2 %–4 %
80 %
Sternotomien
7 %–17 %
not reported
not reported
not reported
not reported
Abdominelle viszerale 17 %–21 % Operationen
de Version ermöglicht dann eine entsprechende Kodierung und die Aufarbeitung der Daten, eine deutlich differenziertere Information über Häufigkeit postoperativer chronischer Schmerzen, Patientencharakteristika und Begleiterkrankungen [6]. Chronischen Schmerzen nach Operationen liegen verschiedensten Ursachen zugrunde; sie entstehen insgesamt aus einer komplexen Interaktion neurobiologischer, kognitiver und psychosozialer Faktoren [37]. Operationsbedingte und Patienten-eigene Faktoren sind gleichermaßen von Bedeutung und determinieren damit auch die Risikofaktoren, ob postoperative Schmerzen chronifizieren oder nicht. So kann ein chronischer Schmerz die Folge anhaltender operationsbedingter pathophysiologischer Prozesse sein, die sich in unterschiedlicher Weise und ggf. durch bestimmte Faktoren getriggert nicht zurückbilden. Ein anderer Mechanismus kann die Verletzung von neuronalen Strukturen und die damit verbundenen Prozesse, die zu neuropathischen Schmerzen führen, sein; hierzu gehört zum Beispiel das Postthorakotomiesyndrom [13]. Auch zentrale Sensibilisierungsphänomene, z. B. ausgelöst durch vorherige Langzeiteinnahme von Opioiden, Voroperationen oder vorbestehende Schmerzen können chronische Schmerzen nach Operationen begünstigen. Interessanter Weise haben sich auch starke Akutschmerzen als ein Prädiktor für chronische Schmerzen herauskristallisiert; hier scheint eher die Dauer als die Intensität starker Schmerzen eine Rolle zu spielen [40]. Starke anhaltende Schmerzen können nachhaltig das Nervensystem sensibilisieren und dadurch die Chronifizierung praktisch „triggern“. Es ist aber bis heute unklar, ob akute postoperative Schmerzen kausal
2.5 Chronifizierung postoperativer Schmerzen 21
schlechte Inhibition (CPM)
intraoperative Nervenverletzung
Anästhesie-/ Operationsaspekte*
sensorische Empfindlichkeit (QST) weibliches Geschlecht
chronischer postoperativer Schmerz
starke und anhaltende postoperative Schmerzen
Katastrophisieren Stress
junges Alter Depressivität genetische Disposition präoperative Opioideinnahme präoperativer * Anästhesie- und OperationsSchmerz (e.g. aspekte wie z.B.: im OP-Gebiet) ⋅ Umfang der Operation ⋅ Operationsdauer ⋅ (geringe) Erfahrungen der Operateure ⋅ (offene) Operationstechnik ⋅ perikostale versus intrakostale Nähte
Neurotizismus (schlechtes) Coping
Angst
schlechte soziale Unterstützung
QST = „quantitative sensorische Testung“ (entspricht einer sensorischen Testung mit Funktionsbeurteilung relevanter Submodalitäten) CPM = „Conditioned pain modulation“ (entspricht einem sensorischen Test zur Ermittlung deszendierender Hemmmechanismen (vgl. Ruscheweyh et al. 2017). Abb. 2.1: Faktoren, die zur Entstehung chronischer postoperativer Schmerzen beitragen.
mit der Entstehung starker Schmerzen assoziiert sind oder ob ein Patient, der starke postoperative Schmerzen entwickelt, Risikofaktoren mit sich bringt, die für beides, akute und chronische Schmerzen, prädisponieren. Nicht zuletzt stellen auch noch psychosoziale Probleme, katastrophisierende Denkweisen, psychischer Stress und geschwächte Resilienzmechanismen Faktoren dar, die zu einer Schmerzchronifizierung beitragen können [41,42] (Abb. 2.1). Die Vielzahl dieser Faktoren und ihre Diversität bzw. ihre Kombinationen bei verschiedenen Patienten macht deutlich, dass nicht ein typischer Pathomechanismus bei allen Patienten einheitlich zur Schmerzchronifizierung führt. Ähnlich wie bei akuten Schmerzen wird auch bei chronischen Schmerzen nach Operationen versucht, durch Einschätzen von Risikofaktoren schon frühzeitig das individuelle Risiko eines Patienten für eine Chronifizierung individuell einzuschätzen. So sind in den letzten Jahren auch verschiedene Risiko-Scores entwickelt worden, um Vorhersagemodelle zur Risikoabschätzung für die Entwicklung klinisch relevanter chronisch-postoperativer Schmerzen zu entwickeln. Ein interessanter Ansatz ist z. B. ein Vorhersagemodell, dass chronische Schmerzen nach Brustoperationen webbasiert anhand von wenigen
22 2 Pathophysiologie postoperativer Schmerzen
Faktoren berechnet [43]. Als Prädiktoren werden in diesem Modell präoperative Schmerzen im operativen Bereich, hoher Body-Mass-Index, axilläre Lymphknotendissektion und stärkere akute postoperative Schmerzintensität am siebten postoperativen Tag in die Berechnung mit einbezogen [43]. Die online-Form des webbasierten Berechnungstools findet sich unter http://www.hus.fi/breastsurgery/predictivemodel. Obwohl genetische Faktoren ebenfalls wahrscheinlich eine Rolle spielen, hängt die derzeitige Vorhersage und Behandlung von CPSP (chronic postsurgical pain) hauptsächlich von klinischen Faktoren ab [44]. Bei einer Prädiktion ist möglicherweise auch nicht unerheblich, ob sich chronische nozizeptive oder chronische neuropathische Schmerzen entwickeln. Abhängig von der Ursache können chronische Schmerzen nach Operationen nozizeptive oder neuropathische Merkmale aufweisen oder beides. Neuropathische Schmerzmerkmale finden sich bei 35–57 % der CPSPPatienten; dies variiert je nach Art der Operation [13]. Neuropathische Schmerzen sind besonders häufig nach Thorax- und Brustoperationen zu finden. Vor allem neuropathische Schmerzen sind häufig mit verschiedenen Begleiterkrankungen wie depressiven Symptomen, Schlafstörungen/Schlaflosigkeit und Angstzuständen verbunden; auch nehmen die Mehrzahl der Patienten mit chronischen postoperativen neuropathischen Schmerzen regelmäßig zwei oder mehr Analgetika ein [45]. Interessanterweise können chronische neuropathische Schmerzen schon sehr früh nach einer Operation auftreten; die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei diesen Patienten dann auch chronische neuropathische Schmerzen entwickeln ist dann deutlich höher als bei den Patienten, die in der frühen Phase nach Operation keine neuropathischen Charakteristiken aufweisen [33]. Prävention einer Schmerzchronifizierung nach Operation Da die Schmerzchronifizierung durch die Operation initiiert wird, versuchen viele Untersuchungen durch eine perioperative Intervention den Prozess der Chronifizierung schon bei ihrer Entstehung zu verhindern. Obwohl eine Vielzahl von Medikamenten und auch Regionalanästhesietechniken untersucht worden sind, zeigen nur wenigen Studien einschlägige Erfolge. Mechanistisch gesehen spielen N-Methyl-D-Aspartat (NMDA)-Rezeptorantagonisten eine zentrale Rolle bei Sensibilisierungsprozessen im zentralen Nervensystem und auch bei Entzündungen. Eine perioperative Ketamingabe macht deshalb theoretisch Sinn, um diesen Prozess zu unterbrechen und damit das Risiko einer Chronifizierung zu senken. Und wirklich zeigen Studien auch bei großen orthopädischen Operationen [46] und bei Patienten mit präoperativen Schmerzen und präoperativer Opioideinnahme [47,48], dass die Intensität akuter und die Inzidenz chronischer Schmerzen reduziert werden kann, allerdings nicht bei allen Patienten gleich gut. Ggf. hat intravenöses Lidocain ebenfalls einen Effekt auf die Entwicklung chronischer Schmerzen nach der Operation, insbesondere nach einer Brustkrebsoperation [49]. Zu Dosierungen der Substanzen siehe Kap. 4.
2.5 Chronifizierung postoperativer Schmerzen 23
Merke: Zur Prävention von chronischen Schmerzen ist kein Medikament derzeit zugelassen. Alle Substanzen stellen für diese Indikation einen „off-label-use“ dar.
Auch Regionalanalgesieverfahren nach Thorakotomie und Brustkrebsoperation sowie kontinuierliche Wundinfiltration nach Kaiserschnitt und Spongiosa/-Knochenspanentnahme am Beckenkamm haben einen Einfluss auf die Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen [50,51]. Unklar ist allerdings bei allen Verfahren, wieviel und wie lange die Medikamente bzw. die kontinuierlichen Regionalanalgesieverfahren durchgeführt werden müssen. Eine interessante nicht randomisiert-kontrollierte Falluntersuchung zeigt, dass durch individuelle Dauer eines peripheren Regionalanalgesieverfahrens Phantomschmerzen und -empfindungen nach Amputation der unteren Extremitäten auf ein Minimum reduziert werden konnte [52]. Insgesamt muss letztendlich eine Risiko-Nutzen Abwägung zwischen Wirksamkeit und Sicherheit und eine individuelle Anpassung der Therapie vorgenommen werden. Alleine verabreicht ist allerding jedes dieser genannten Medikamente und Verfahren nur bei einigen Patienten und nur limitiert fähig, einen suffizienten und nachhaltigen Effekt zu erzielen. Es ist extrem wichtig zu beachten, dass die Chronifizierung von Schmerzen ein biopsychosozialer Prozess ist, der einen multidisziplinären Ansatz erfordert. Um einem biopsychosozialen Modell der Schmerzchronifizierung gerecht zu werden, haben einzelne Kliniken in der Welt versucht, diesem Prozess mit einer interdisziplinären, integrierten Versorgungsstruktur explizit zur Prävention chronischer Schmerzen entgegenzuwirken. Sogenannte „Transitional Pain Services (TPS)“, wie sie z. B. in Helsinki oder Toronto etabliert worden sind [53,54], behandeln von der präoperativen Phase bis nach der Entlassung aus dem Krankenhaus Patienten mit einem hohen Risiko für chronische postoperative Schmerzen. In Toronto umfassen die klinischen Dienstleistungen dieses TPS die Optimierung der medikamentösen Therapie durch Anästhesisten, die postoperative Physiotherapie und eine schmerzpsychologische Intervention [53]. Ähnlich arbeitet der TPS in Helsinki [54]. Der TPSService in Toronto wie auch in Helsinki bietet darüber hinaus ambulanten Patienten mit komplexen postoperativen Schmerzen bis zu 6 Monate nach der Operation proaktive und zeitnahe interdisziplinäre Unterstützung. Erste Ergebnisse von Beobachtungsstudien sind erfolgsversprechend [54,55], randomisierte Studien hierzu gibt es aber bisher nicht.
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3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung Diana Dittmann, Winfried Meißner
3.1 Schmerzerfassung und Dokumentation Die regelmäßige Erfassung und Dokumentation von Schmerzen sind zentrale Empfehlungen jeder evidenzbasierten Leitlinie (LL) [1,2]. Im Folgenden wird auf korrespondierende Empfehlungen der deutsche LL verwiesen, obwohl diese formal abgelaufen ist [3]. Aktueller, allerdings weniger ausführlich ist die US-LL [4]. In Kap. 21 wird auf die speziellen Aspekte des pflegerischen Schmerzassessments ausführlich eingegangen, die sich u. a. auf den Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen des Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) bezieht [2].
3.1.1 Erfassung der Schmerzintensität Unter Schmerzerfassung wird üblicherweise die Einschätzung der Schmerzintensität mittels quantitativer (Skalen) oder qualitativer Verfahren (Beschreibung) verstanden. Da zwischen den Intensitätsangaben bei der Selbsteinschätzung durch den Patienten und einer Fremdeinschätzung durch z. B. einen Angehörigen oder das Pflegepersonal erhebliche Diskrepanzen bestehen können, sollte der Patient wenn immer möglich seine Schmerzen selbst einschätzen. Zur Selbsteinschätzung der Schmerzintensität sollte idealerweise die numerische Ratingskala (NRS) benutzt werden, die üblicherweise eine Angabe beispielsweise auf einer Skala zwischen 0 und 10 mit den Ankern „0 = kein Schmerz“ und „10 = stärkster vorstellbarer Schmerz“ (Abb. 3.1a) erlaubt. Andere Skalierungen und Ankerformulierungen sind allerdings nicht selten. Die visuelle Analogskala (VAS, Abb. 3.1b) stellt die Schmerzintensität auf einer häufig 10 cm langen Linie mit den möglichen Endpunkten „kein Schmerz“ und „stärkste vorstellbare Schmerzen“ dar. Sie ist jedoch umständlicher zu handhaben und weniger reliabel als die NRS Skala, sie wird von z. B. älteren Patienten häufig nicht verstanden. Als Alternative für kognitiv eingeschränkte oder ältere Patienten kann die verbale Ratingskala (VRS, Abb. 3.1c) sehr gut benutzt werden. Zur Erfassung von Schmerzen bei Kindern wird hier auf das Kap. 24. verwiesen. Falls eine Selbstbeurteilung nicht möglich ist, stehen verschiedene validierte Instrumente zur Fremdbeurteilung von Schmerzen zur Verfügung. Bei Patienten mit Demenz kann z. B. eine valide Selbstauskunft häufig nicht erfolgen (vergleiche hier auch Kap. 26) Die Fremderfassung der Schmerzintensität kann bei diesen Patienten z. B. mit Hilfe des Instruments BESD („Beurteilung von Schmerzen bei Demenz“) erfolgen. Dieses beruht auf der amerikanischen Skala „Pain Assessment in Advanced https://doi.org/10.1515/9783110597486-003
28 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
(a)
verbale Ratingskala (VRS): schmerzfrei
(b)
mäßige Schmerzen
starke Schmerzen
sehr starke Schmerzen
unerträgliche Schmerzen
numerische Schätzskala (numerical rating scale, NRS):
0 kein Schmerz (c)
geringe Schmerzen
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 unerträgliche Schmerzen
visuelle Analogskala (VAS): kein Schmerz
unerträgliche Schmerzen
Abb. 3.1: (a) Verbale Ratingskala, (b) numerische Ratingskala, (c) visuelle Analogskala.
Abb. 3.2: Faces Pain Scale – Revised (FPS-R).
Dementia“ (PAINAD, AWMF-LL). Es fließen umfassende Aspekte wie Mimik, Körpersprache, die Reaktion auf Zuwendung (Trost), Atmung und Lautäußerung ein. Für jede dieser 5 Kategorien wird ein Punktwert vergeben („null“ für keine auffällige, „zwei“ für die stärkste Verhaltensreaktion). Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Punktwert der BESD nicht mit demjenigen einer NRS oder VAS gleichgesetzt werden kann (s. auch unten). Eine Kurzanleitung sowie Videobeispiele zur Anwendung der BESD, die vom Arbeitskreis Schmerz und Alter der Deutschen Schmerzgesellschaft e. v. erstellt worden ist (letzter Stand 2013), finden sich unter https://www.dgss.org/ die-gesellschaft/arbeitskreise/schmerz-und-alter/downloads/ sowie https://www. dgss.org/besd-videos/ (Abb. 3.2) [5].
3.1.2 Funktionelle Beeinträchtigung Es gibt Hinweise, dass eine zu eindringliche bzw. häufige Konfrontation der Patienten mit Fragen nach Schmerzen erst zu einer Fokussierung führen und damit einher-
3.1 Schmerzerfassung und Dokumentation 29
gehend zu einer verstärkten Wahrnehmung der Symptomatik [6]. Ferner erlaubt die Erfassung des Ruheschmerzes beim Patienten oft keine Aussage über die Auswirkungen der Schmerzen. Es setzt sich immer mehr die Einsicht durch: Nicht in erster Linie die Schmerzintensität, sondern vor allem die funktionellen Beeinträchtigungen durch Schmerzen, aber auch durch therapeutische Interventionen sind postoperativ relevant. So sollen Patienten durch erträgliche Schmerzen möglichst wenig bei den Funktionen beeinträchtigt sein, die der Rehabilitation und der Vermeidung von Komplikationen dienen. Diese sind im postoperativen Kontext, abhängig von der Art der Operation, vor allem eine eingeschränkte Mobilität, ein erschwertes Husten/Durchatmen und eine beeinträchtigte Schlafqualität. Daher sollte auch direkt danach gefragt werden, z. B. durch die folgenden drei einfachen Fragen (sofern relevant): – Behindert der Schmerz Sie beim Atmen/Husten? – Behindert der Schmerz Sie bei der Mobilisierung (Physiotherapie, Aufstehen)? – Sind Sie in der letzten Nacht durch Schmerzen aufgewacht? Diese Fragen spiegeln die tatsächliche Beeinträchtigung wider und sind in der Regel sehr gut verständlich [7]. Ggf. kann man den Patienten z. B. zum Husten auffordern, um die Frage für den Patienten zu konkretisieren und einen möglichst tatsächlichen Eindruck der Beeinträchtigung zu bekommen. Weiterhin wichtig, jedoch oft vernachlässigt, sind eine standardisierte Befragung und gleichbleibende Erhebungsbedingungen, sofern die Ergebnisse verglichen werden sollen. Zudem gibt es Hinweise, dass Patienten gegenüber Personal, das zum Behandlungsteam gehört, geringere Schmerzwerte angeben. Merke: Die Schmerzintensität beim Erwachsenen soll mit Hilfe einfacher eindimensionaler Schmerzintensitätsskalen regelmäßig erfasst werden. Die Einschätzung soll wenn möglich durch den Patienten selbst erfolgen. Es sollte zusätzlich das Ausmaß schmerzassoziierter Funktionseinschränkungen erhoben werden.
3.1.3 Interventionsgrenzen Die Erfassung von Schmerzen ohne Konsequenzen ist sinnlos. Viele Autoren empfehlen eine Klassifizierung der Schmerzintensität in mild (NRS 0–3), moderat (4–6) und schwer (7–10). Die dieser Klassifikation zugeordneten Schmerz-Scores variieren jedoch erheblich von Autor zu Autor, und hängen auch davon ab, ob nach Ruhe- oder Belastungsschmerz gefragt wird [8]. Patienten in einer Untersuchung in deutschen Krankenhäusern haben bei der Vergabe von Schulnoten für die Schmerztherapie unterschiedliche Noten für Schmerzen in Ruhe und bei Belastung gezeigt. Sofern man eine Schulnote von ≤ 2 als „Cut-off-Wert“ ansieht, können aus diesen Daten ein Ru-
30 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
heschmerz von 3 oder besser und ein Belastungsschmerz von 4 und besser als akzeptabel, höhere Werte dagegen als problematisch gewertet werden [9]. All diese Daten können jedoch allenfalls eine grobe Orientierung darstellen. Eine individuelle Behandlungsbedürftigkeit kann deutlich besser aus den Fragen nach funktioneller Beeinträchtigung abgeleitet werden (s. o.). Antwortet der Patient auf auch nur eine der Fragen nach Beeinträchtigung mit „ja“, sollte eine Intensivierung der Schmerztherapie dringend erwogen werden – unabhängig von der angegebenen Schmerzstärke. Darüber hinaus kann direkt nach Behandlungswunsch bzw. Schmerzakzeptanz gefragt werden: „Sie haben Ihre Schmerzen mit 4 eingeschätzt. Ist das für Sie erträglich? Sollen wir etwas gegen die Schmerzen tun?“ Wenn Patienten trotz erkennbar starker Beeinträchtigung Schmerztherapie ablehnen, sollte nach den Gründen gefragt werden. Oft liegen irrationale Ängste vor Nebenwirkungen der Therapie vor, die ausgeräumt werden können. Selten möchten Patienten jedoch – z. B. aus spirituellen Gründen – keine Schmerztherapie annehmen. Dies ist natürlich zu respektieren! Ähnliches gilt aber auch umgekehrt: Geben Patienten zwar hohe „Schmerz-Scores“ an, sind jedoch völlig unbeeinträchtigt, sollte dies nicht zu einem unreflektierten Behandlungsautomatismus führen. Bekannt ist, dass patientenbezogene Faktoren die Angabe der Schmerzintensität stark beeinflussen. Prädiktoren stärkerer postoperativer Schmerz-Scores sind unter anderem: jüngeres Alter, weibliches Geschlecht, präoperative chronische Schmerzen, präoperative Opioideinnahme, Katastrophisieren und die Fokussierung auf Schmerz. Jedoch sollte auch hier geprüft werden, ob die angegebenen höheren Schmerz-Scores immer mit einer Interventionsnotwendigkeit gleichzusetzen sind. Auch hier können Fragen nach Erträglichkeit und Einschränkung der Funktionalität helfen, die Behandlungsbedürftigkeit der Patienten besser einzuschätzen. Die Qualität der postoperativen Schmerztherapie ergibt sich aus dem Verhältnis von erwünschten und unerwünschten Wirkungen (Beispiel: opioidbedingte Übelkeit oder Sedierung); letztere werden jedoch selten ausreichend berücksichtigt, insbesondere wenn allein die Reduktion der Schmerzintensität im Vordergrund steht: Im Rahmen des Schmerz-Assessments sollten daher auch die wichtigsten therapieassoziierten Nebenwirkungen bzw. Folgen von Überdosierungen wie Übelkeit, Sedierung (Opioide), motorischer Beeinträchtigung, Sensibilitätsstörungen, Harninkontinenz, Blutdruckabfall (Regionalanästhesie) erfasst werden. Merke: Einen absoluten Grenzwert der Schmerzintensität gibt es nicht. Bei Schmerzintensität > 3 auf einer NRS Skala von 0–10 sollte immer die Behandlungsbedürftigkeit überprüft werden! Funktionelle Beeinträchtigung (Husten, Mobilisation, Schlaf) bedeuten fast immer Behandlungsbedürftigkeit! Auch der Behandlungswunsch sollte erfragt und bei einer Diskrepanz zwischen Schmerzintensität und Behandlungsbedürftigkeit nach Gründen für diese gesucht werden!
3.1 Schmerzerfassung und Dokumentation 31
Dennoch soll hier betont werden, dass auch starke Schmerzen per se eine Behandlungsnotwendigkeit darstellen können, sofern der Patient darunter leidet. Schmerzlinderung hat nicht nur das Ziel einer Funktionsverbesserung, sondern ist auch eine ethische Selbstverständlichkeit. Noch deutlich schwieriger wird die Entscheidung einer Behandlungsbedürftigkeit beim Einsatz von Fremderfassungsinstrumenten wie der BESD. Eine eindeutige Interventionsgrenze, die bei der BESD erreicht oder überschritten werden muss, um eine Schmerzintervention zu beginnen oder eine Schmerztherapie zu intensivieren, konnte in verschiedensten Untersuchungen nicht determiniert werden; zusammengefasst werden folgende Einschätzungen empfohlen [10], siehe Infobox 3.1. Infobox 3.1: Bewertung der Schmereinschätzung mit Hilfe der BESD bei Patienten mit Demenz (nach [10,11]) BESD-Punktebewertung (Werte von 0–10 sind möglich): – 0 Punkte: kein Schmerzverhalten erkennbar – Schmerz eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen – 1 Punkt: erhöhte Aufmerksamkeit für mögliche Schmerzursachen und weitere Schmerzzeichen – ab 2 Punkte: Schmerzen sind sehr wahrscheinlich. Ein schmerzhaftes Erleben ist sehr wahrscheinlich: – wenn zwei und mehr Punkte beobachtet werden und eine Erkrankung bekannt ist, die üblicherweise mit Schmerzen einhergeht – wenn während einer Aktivität höhere Werte eingeschätzt wurden als in einer Ruhesituation – eine Schmerzbehandlung zu einer Reduktion des Verhaltens nach BESD führt
3.1.4 Dokumentation Die sorgfältigste Schmerzevaluierung nützt nichts, wenn sie nicht dokumentiert wird („make pain visible“) und Konsequenzen hat. In der Regel wird empfohlen, die Schmerzen in der „Patientenkurve“ neben den übrigen Vitalparametern zu notieren. Dies kann auch auf gesonderten Schmerzprotokollen geschehen –entscheidend ist die Sichtbarkeit für alle Behandler. Die Häufigkeit der Messung hängt von der Schmerzintensität und -schwankung ab: postoperativ sollte sie alle 2–4 Stunden sowie nach Interventionen, später alle 8 Stunden erfolgen. Dabei sollten die Physiotherapeuten nicht vergessen werden. Sie erfassen und dokumentieren selbst oft sehr exakt schmerzbedingte funktionelle Beeinträchtigungen. Zu weiteren Aspekten eines Schmerzassessment einschließlich des Erst-Assessments bei Aufnahme eines Patienten in die Klinik durch i. d. R. das Pflegepersonal siehe Kap. 21.2.
32 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
3.1.5 Patienteninformation und Risikoaufklärung Patienten sollten nicht nur über komplexe Verfahren, sondern auch über die „gewöhnliche“ systemische Schmerztherapie und den zu erwartenden Schmerzverlauf informiert und aufgeklärt werden. Eine ausreichende präoperative Information ist eng mit einem besseren Behandlungsergebnis assoziiert [12]. Dabei soll eine Balance zwischen realistischer Aufklärung und Vermeidung eines „Nocebo“-Effektes durch Überbetonung von Schmerzen gewahrt bleiben. Im Vordergrund sollten lösungsorientierte Botschaften stehen: „Wir können jederzeit etwas tun“ anstatt „Es wird schmerzen“. Einige Autoren empfehlen, das Wort „Schmerz“ weitgehend zu vermeiden und stattdessen von „Beschwerden“ oder „Spüren der OPWunde“ zu sprechen, sofern sich dies umsetzen lässt [6]. Ein Teil dieser Aufgaben fällt in den Bereich der Pflege (siehe auch Kap. 21). Es gibt eine Reihe von Hinweisen, dass die Zufriedenheit der Patienten, selbst bei unveränderter Schmerzintensität, durch eine solche Information signifikant erhöht werden kann. Eine Risikoaufklärung durch den Arzt sollte folgende Punkte umfassen: – Realistische Informationen über den zu erwartenden Schmerz- (Beschwerde-)verlauf. Es sollte den Patienten vermittelt werden, dass es postoperativ zu Schmerzen (Beschwerden) kommen kann. Das Versprechen von „Schmerzfreiheit“ halten wir für unrealistisch und unerfüllbar, im Übrigen erwarten dies auch die meisten Patienten nicht (es sei denn, es wird ihnen suggeriert). Andererseits sollen keine Ängste geweckt werden. – Ermutigung, sich bei Schmerzen/Beschwerden beim Personal zu melden. Immer noch denken viele Patienten, Schmerzen „gehören dazu“ und müssten ertragen werden – oder sie scheuen sich, das Personal zu belästigen. Es sollte deutlich gemacht werden, dass übermäßige Beschwerden negative Konsequenzen für die postoperative Erholung haben können. – Information über die zur Verfügung stehenden Therapieverfahren, potenzielle Risiken und Alternativen. Den Patienten sollen die zur Verfügung stehenden Verfahren, Alternativen und ggf. auch die Konsequenzen einer nicht durchgeführten Schmerztherapie erläutert werden. Diese Aufklärung über medizinisch/pharmakologische Verfahren ist immer eine ärztliche Aufgabe. Zusätzlich ist es hilfreich, wenn in nachfolgenden Schulungen durch Fachpflegepersonal weitergehende Informationen z. B. zur genauen Einnahme der Medikation oder zum Umgang und zur Handhabung von Schmerzpumpen vermittelt und damit die Selbstkompetenz gesteigert und Ängste minimiert werden können. Im Gegensatz zur Risikoaufklärung über komplexe Verfahren (z. B. Regionalanalgesie) wird in vielen Kliniken bisher nicht routinemäßig über Risiken der systemischen Analgetika (z. B. Agranulozytose nach Metamizol, Atemdepression nach Opioiden) durch Ärzte aufgeklärt. Es gibt bisher keine verbindlichen Empfehlungen über Umfang und Form einer solchen Aufklärung. Unter pragmatischen Gesichts-
3.2 Qualitätsmanagement in der Akutschmerztherapie 33
punkten empfiehlt es sich, die oben beschriebene Information mit der Risikoaufklärung zu verbinden, wobei der Schwerpunkt auf der Informationsvermittlung, nicht der Darstellung der Risiken liegen sollte [13]. Merke: Allen Patienten sollen präoperativ Informationen über den wahrscheinlichen postoperativen Schmerzverlauf angeboten werden. Bei der Informationsvermittlung über wahrscheinliche Schmerzen sollten weder unrealistische Erwartungen noch Ängste aufgebaut werden [2]. Grundsätzlich muss der Patient über die geplanten Maßnahmen der perioperativen Schmerztherapie aufgeklärt werden. Die Kernbotschaft der präoperativen schmerzmedizinischen Aufklärung sollte aber in der Botschaft liegen „Wir werden uns kümmern!“.
3.2 Qualitätsmanagement in der Akutschmerztherapie 3.2.1 QUIPS Traditionell wird im medizinischen Bereich zwischen Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität unterschieden. Was bedeutet das für die Akutschmerztherapie? – Strukturqualität beschreibt, was vorhanden ist: z. B. Qualifiziertes Personal (Akutschmerzdienste), apparative Voraussetzungen (Vorhandensein von PCAPumpen), Dokumentationssysteme, Critical-Incidence Reporting. – Prozessqualität beschreibt, wie es gemacht wird: z. B. Erfassung und Dokumentation von Schmerzen, Befolgen von Algorithmen, rechtzeitige Gabe von Medikamenten. Auch die Indikationsqualität (bekommen die richtigen Patienten das richtige Verfahren?) kann als Teil der Prozessqualität betrachtet werden. – Strukturen und Prozesse bedingen die Ergebnisqualität: z. B. Schmerzintensität, Nebenwirkungen, Komplikationen, Liegedauer, Zufriedenheit, Lebensqualität. Merke: Meist beschränkt sich Qualitätserfassung auf Merkmale der Struktur- und Prozessqualität, denn diese sind leichter zu erfassen. Für die Messung der Ergebnisqualität muss man zum Äußersten schreiten – und den Patienten befragen.
Ziel des Benchmark-Projektes QUIPS (Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie) ist die Verbesserung der postoperativen Symptomkontrolle. Ausgewählte klinisch-demographische Daten (z. B. Alter, OP, Art der Narkose und Schmerztherapie) sowie Parameter der Prozess- und Ergebnisqualität werden am ersten postoperativen Tag bettseitig erfasst. Die Ergebnisqualität wird in erster Linie durch eine Patientenbefragung erfasst. Im Vordergrund stehen dabei die funktionellen Auswirkungen von Schmerzen, Nebenwirkungen der Therapie und Patientenzufriedenheit. Zusätzlich werden Daten zur Prozessqualität (z. B. regelmäßige Schmerzmessung) und weitere Einflussfaktoren (Art der Narkose) dokumentiert. Die Daten werden anonymisiert an eine Datenbank übermittelt, analysiert und zusammen mit Ver-
34 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
gleichsdaten anderer Kliniken webbasiert an die teilnehmenden Kliniken zurückgemeldet (s. Abb. 3.3a,b) Dadurch ermöglicht das Projekt eine rationale, ressourcenschonende und gezielte Qualitätsverbesserung. Darüber hinaus können die Auswirkungen von Interventionen oder Medikamentenumstellungen verfolgt werden.
Forschung
(a)
Register Feedback & Benchmarking
(b) Abb. 3.3: (a) Organisationsprinzip von QUIPS. (b) Screenshot QUIPS Benchmark-Server.
3.2 Qualitätsmanagement in der Akutschmerztherapie 35
Abb. 3.4: Anwendungsbeispiel QUIPS.
Ein Beispiel für die praktische Anwendung von QUIPS, die im Rahmen eines kontinuierlichen Qualitätsmonitorings, wiederholten Defizitanalysen und daraus abgeleiteten Verbesserungsschritten zu konkreten Qualitätsverbesserungen geführt hat, ist in Abb. 3.4 dargestellt. Die Teilnahme an QUIPS ist für eine geringe Nutzungsgebühr allen deutschen Kliniken möglich. Träger des Projektes sind wissenschaftliche Fachgesellschaften und Berufsverbände von Anästhesisten und Chirurgen aus Deutschland und Österreich. Weitere Informationen: Tab. 3.1, www.quips-projekt.de.
3.2.2 Zertifizierung Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie Ziel dieser Initiative ist es, die Qualität der Schmerztherapie nach operativen Eingriffen durch Überprüfung definierter Struktur- und Prozessmerkmale der peri- und postoperativen Versorgung zu verbessern (Tab. 3.1). Zu diesem Zweck wurde auf Basis der S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ ein Zertifizierungsverfahren entwickelt, mit dem operative Krankenhausabteilungen die Einhaltung von Qualitätsstandards zur Schmerztherapie überprüfen können. Die Überprüfung der Kriterien erfolgt im Rahmen eines Audits durch eine unabhängige Einrichtung (TÜV Rheinland). Dabei wird zunächst ein Voraudit durchgeführt, anschließend erfolgt das Zertifizierungsaudit sowie jährliche Überwachungsaudits. Die Messung der Ergebnisqualität ist nicht unmittelbarer Bestandteil dieser Initiative.
36 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
3.2.3 Certkom – Qualifizierte Schmerztherapie Diese Initiative prüft ebenfalls, ob festgelegte Qualitätsmerkmale erfüllt werden. Im Gegensatz zum Projekt „Zertifizierung Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie“ des TÜV erstreckt sich hier jedoch der Zertifizierungsprozess auf das gesamte Krankenhaus einschließlich der konservativen Abteilungen. Da bei der Certkom-Zertifizierung auch die tatsächlichen Ergebnisse des Schmerzmanagements in der Einrichtung bewertet werden, erfolgt im Anschluss an die Prüfung der Strukturen und Prozesse sowie der ggf. eingeleiteten Optimierungen eine Patienten- und Mitarbeiterbefragung in der Klinik. Nach anschließender Auswertung der Daten erhält die Klinik einen umfassenden Bericht zur Vorlage bei einer Zertifizierungsstelle. Der Zertifizierungsvorgang selbst erfolgt in Form von Visitationen, die durch eine akkreditierte Zertifizierungsstelle durchgeführt werden. Eine Rezertifizierung erfolgt nach 3 Jahren. Certkom wurde im Jahre 2017 von der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. übernommen und von dieser weiter betrieben (Tab. 3.1).
Tab. 3.1: Qualitätssicherungsmaßnahmen in der Akutschmerztherapie. Name
Träger
Info/Kontakt
QUIPS – Qualitätssicherung in der postoperativen Schmerztherapie
BDA, DGAI, BDC, DGCH ÖGARI, ÖGCH
nein www.quips-projekt.de [email protected] Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie Universitätsklinikum Jena Erlanger Allee 101 07747 Jena
Zertifizierung Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie Certkom – Qualifizierte Schmerztherapie
Deutsche Schmerzgesellschaft
Zertifizierung
Ergebnismessung
Feedback/ Benchmarking
Kosten
ja (kontinuierlich)
online
1500 € pro Jahr und Klinik (derzeit)
nein
Ergebnisbericht
zu erfragen
Ergebnisbericht
zu erfragen
https://www.tuv.com/ germany/de/zertifizierung-akutschmerztherapie.html TÜV Rheinland AG Am Grauen Stein 51105 Köln
ja, durch TÜV Rheinland
http://www.certkom. com/
ja (einzeija, tig) durch Paincert
Referenzen 37
3.2.4 Netzwerk Regionalanästhesie (net-ra) In dieser Initiative des Arbeitskreises Regionalanästhesie der DGAI haben sich deutschlandweit Kliniken zusammengeschlossen, um gemeinsam die Sicherheit und Qualität bei der Anwendung von Regionalanästhesieverfahren zu erhöhen. Im besonderen Fokus stand von Beginn an die Identifikation von Risikofaktoren in Bezug auf Infektionen und neurologische Schäden. Da diese Ereignisse jedoch insgesamt nur selten auftreten, sind für eine systematische Betrachtung und Auswertung sehr große Fallzahlen nötig, die nur im Rahmen eines solchen Netzwerkes erhoben werden können. Daher möchte das Netzwerk deutschlandweit über eine standardisierte Erhebung der Verfahren und ihrer Komplikationen eine wissenschaftlich fundierte und repräsentative Datenlage gewinnen. Folgende Ziele werden dabei verfolgt: – Prospektive Erhebung epidemiologischer Daten zur Sicherheit von Regionalanästhesie, insbesondere zu Infektionen und neurologischen Schäden. – Identifikation von Risikofaktoren für die Entwicklung von Komplikationen. – Identifikation notwendiger Prozesse im Rahmen der Sicherheits-Optimierung. Den teilnehmenden Zentren bietet sich über eine jederzeit verfügbare „Online-Auswertung“ die Möglichkeit, Veränderungen wahrnehmen und Abweichungen erkennen zu können. Darüber hinaus werden klinische Studien zu aktuellen Fragestellungen durchgeführt. Information unter https://www.ak-regionalanaesthesie.dgai.de/ nra.html. Referenzen [1]
[2] [3]
[4]
[5]
Meissner W, Erlenwein J, Stamer U. [Organisation of Perioperative Pain Management]. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2018;53(4):282–94. PubMed PMID: 29742787. Organisation der perioperativen Schmerztherapie. Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) (Hrsg.) (2011): Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen: 1. Aktualisierung. Osnabrück. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Schmerztherapie. Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. AWMF-Register Nr 041/001; Stand 21052007 (mit Änderungen vom 20042009). 2007;001–025:http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/001-25.html (am 16.07.2017). Chou R, Gordon DB, de Leon-Casasola OA, et al. Management of Postoperative Pain: A Clinical Practice Guideline From the American Pain Society, the American Society of Regional Anesthesia and Pain Medicine, and the American Society of Anesthesiologists' Committee on Regional Anesthesia, Executive Committee, and Administrative Council. The journal of pain : official journal of the American Pain Society. 2016;17(2):131–57. PubMed PMID: 26827847. Epub 2016/02/ 02. eng. Hicks CL, von Baeyer CL, Spafford PA, van Korlaar I, Goodenough B. The Faces Pain Scale-Revised: toward a common metric in pediatric pain measurement. Pain. 2001;93(2):173–83. PubMed PMID: 11427329.
38 3 Schmerzerfassung, Schmerzdokumentation, Qualitätsüberprüfung
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4 Systemische Schmerztherapie Esther Pogatzki-Zahn
4.1 Grundsätzliche Aspekte einer medikamentösen postoperativen Schmerztherapie Die systemische Schmerztherapie (also eine orale, intravenöse, rektale, subkutane oder transdermale Gabe eines Analgetikums) stellt immer noch die häufigste Analgesieform nach einer Operation dar und wird es wahrscheinlich auch bleiben. Wichtig Gesichtspunkte, die bei der Wahl und Zusammenstellung der Analgetika beachtet werden müssen, sind sowohl operationsspezifische, medikamenten-spezifische als auch patientenspezifische Aspekte (wie z. B. Alter, Begleitmedikation, Kontraindikationen). Auch Dosierungen, die Formulierung (intravenös – i. v., oral, sublingual – s. l.) in der das Medikament verabreicht werden soll und zusätzliche Medikamente zur Reduktion von Nebenwirkungen müssen beachtet werden. Weitere wichtige Punkte sind, welche Analgetika kombiniert werden können oder sogar sollten (und welche nicht!), und wie oft und wie lange sie gegeben werden sollen. Zudem gibt es Schmerzen oder Situationen, in denen gängige Analgetika nicht ausreichen oder ggf. sogar nur gering bis gar nicht effektiv sind. So können z. B. das Auftreten von Schmerzen mit neuropathischer Schmerzkomponente oder ausgeprägte Schmerzen bei chronischen Schmerzpatienten mit Langzeiteinnahme von Opioiden die Wahl spezieller Analgetika und Ko-Analgetika notwendig machen. All diese Aspekte werden in diesem Kapitel zusammenfassend aufgeführt, einzelne Substanzen genau beleuchtet und in den Kontext sinnvoller Therapiekonzepte für die perioperative Schmerztherapie gestellt.
4.1.1 Balanciertes, postoperatives Schmerztherapiekonzept Ein grundsätzliches Prinzip der postoperativen Schmerztherapie stellt die abgestufte und – wenn erforderlich – kombinierte Gabe von Analgetika unterschiedlicher Substanzgruppen (in der Regel ein Nicht-Opioid-Analgetikum [NOPA] mit einem Opioid) dar. Dieses Therapieprinzip ähnelt prinzipiell der Stufentherapie des WHO Stufenschemas, beruht aber (im Gegensatz zum WHO Stufenschema) auf einem 1. relativ guten Evidenzlevel [1–3] und wird 2. eher „umgedreht“ angewendet: es beginnt bei Operationen mit mittelstarken bis starken Schmerzen gleich „oben“ auf der Stufe 3 (Opioid plus NOPA), da zu diesem Zeitpunkt die Schmerzen am stärksten sind) und sollte sich im Verlauf nach der Operation entsprechend dem abnehmenden Verlauf von Schmerzen in den Stufen nach unten (Stufe 1, reines NOPA) bis hin zu BedarfsAnalgetikum und kein Analgetikum „abbauen“. Bei kleineren Operationen (z. B. Zahnextraktion, Metallentfernung o. ä.) reicht dagegen in der Regel die Bereitstelhttps://doi.org/10.1515/9783110597486-004
40 4 Systemische Schmerztherapie
lung eines NOPAs, ggf. sogar nur als Bedarfsanalgetikum. Auch wenn die verordnete Bedarfsanalgesie nicht von allen Patienten nach kleinen Operationen benötigt wird, stellt dies dennoch sicher, dass Patienten mit einem Bedarf ein Analgetikum schnell und unkompliziert erhalten können, falls sie es benötigen. Im Falle einer größeren Operation mir sehr wahrscheinlichen mittelstarken bis starken Schmerzen muss das Schmerzkonzept entsprechend angepasst werden (NOPA plus Opioid). Das Ergebnis ist nicht nur eine verbesserte Analgesie (zwei Analgetika wirken besser als eines), sondern auch die Reduktion der benötigten Dosis der Bedarfs-Analgetika. Die Reduktion der Dosis eines Analgetikums wird insbesondere dann erreicht, wenn ein (anderes) Analgetikum (z. B. das NOPA) fest als Basisanalgesie verabreicht wird, und das andere Analgetikum (das, das eingespart werden soll, z. B. ein Opioid) als Bedarfsmedikation „on top“ verordnet wird. Dies ermöglicht, dass genau die Dosis des Bedarfsanalgetikums (Opioids) verabreicht wird, die benötigt wird, um die Schmerzen des Patienten adäquat zu reduzieren. Hierdurch werden im Idealfall auch Nebenwirkungen und Risiken durch Opioide vermindert. Merke: Um die Dosis eines Opioids so gering wie möglich zu halten, sollte die Basisanalgesie, also das NOPA, in fester Dosierung und zu festen Zeitpunkten regelmäßig (abhängig von der Dauer der Wirksamkeit) verordnet werden. Das (zusätzliche) Opioid sollte, wenn möglich, als Bedarfsanalgetikum verabreicht werden.
Eine bedarfsadaptierte Opioidgabe kann oral, i. v. und sublingual erfolgen (siehe weiter unten: Opioide). Idealerweise sollte dies ein orales, und wenn ausreichend, nicht-retardiertes Opioid sein. Andere Applikationsformen und Formulierungen sind aber ebenfalls möglich und unter bestimmten Voraussetzungen sinnvoll. Während dieses Kombinations-Behandlungskonzept im angloamerikanischen Sprachgebrauch oft als „Multimodale Analgesia“ bezeichnet wird [4], benutzen wir im deutschsprachigen Gebrauch eher den Begriff „Balanciertes Analgesiekonzept“. Dies verhindert eine Verwechselung mit der multimodalen Analgesie im Rahmen der chronischen Schmerztherapie, bei der es darum geht, einem interdisziplinären Therapieansatz – losgelöst von einer medikamentösen Therapie – zu folgen. Infobox 4.1: Beispiel für ein balanciertes orales Analgesiekonzept Eine 61jährige Patientin erhält als Basisanalgesie nach einer Brusterhaltenden Operation (bei Brustkrebs) 1 g Metamizol oral alle 6 Stunden. Zusätzlich ist als Bedarfsmedikation Oxycodon 5 mg in nicht-retardierter Form angeordnet. Die Patientin fordert die Bedarfsmedikation am ersten postoperativen Tag 3 mal an, am zweiten postoperativen Tag 1 mal und am 3. postoperativen Tag kein mal. Daraufhin wird das NOPA am 4. postoperativen Tage als Bedarfsmedikation verordnet und die Patientin mit dieser Verordnung am 5. postoperativen Tag aus der Klinik entlassen.
4.1 Grundsätzliche Aspekte einer medikamentösen postoperativen Schmerztherapie 41
Bei stärkeren Schmerzen kann ein niedrig-dosiertes, retardiertes Opioid oral zusätzlich als weitere Basisanalgesie verabreicht werden. Letztendlich sollte die Basisanalgesie immer so dosiert werden, dass sie knapp unterhalb des Gesamt-Analgesiebedarfs des Patienten liegt (egal ob als reine Nicht-Opioid-Analgesie oder als NOPA plus retardiertem Basis-Opioid); der Rest sollte als Bedarf vom Patienten angefordert werden können. Voraussetzung hierfür sind logistische Möglichkeiten der bedarfsgerechten Anforderung so wie die Aufklärung des Patienten darüber, dass er bei Bedarf zusätzliche Analgesie anfordern kann. Des Weiteren muss eine Kontrolle der Effektivität so wie potenzieller Nebenwirkungen erfolgen; aus diesem Grund ist es wichtig, dass opioidhaltige Analgetika vom pflegerischen und ärztlichen Personal verabreicht werden und nicht rein „automatisiert“ durch den Patienten selber. Merke: Eine Opioid-Basisanalgesie (z. B. wenn zusätzlich zum NOPA ein retardiertes Opioid verabreicht wird) sollte täglich an den Grundbedarf des Patienten angepasst werden.
Das balancierte Analgesiekonzept beinhaltet nicht nur eine kombinierte Anwendung von Analgetika unterschiedlicher Substanzklassen, sondern kann z. B. auch eine Kombination von systemischen Analgetika mit einem Regionalanalgesieverfahren sein. In bestimmten (Einzel)-Indikationen kann – neben z. B. der Kombination eines NOPA mit einem Opioid – noch ein atypisches Analgetikum, ein sog. adjuvantes KoAnalgetikum hinzukommen (siehe Abb. 4.1). So kann als Basisanalgesie ein NOPA zum Einsatz kommen, das zum einen die Effekte der Regionalanalgesie verstärkt und den Bedarf des für die Regionalanalgesie eingesetzten Lokalanästhetikums reduziert Schmerzintensität
systemische Adjuvantien (z.B. Ketamin i.v.) systemische Opioide (oral; sublingual; i.v.)
Regionalanalgesieverfahren (Lokalanästhetika, ggf. mit Adjuvantien)*
Nicht-Opioid-Analgetika (z.B. NSARs/Metamizol/Paracetamol) Abb. 4.1: Balanciertes Analgesiekonzept in der postoperativen Schmerztherapie: Die Grundlage einer Analgesie bildet ein Nicht-Opioid-Analgetikum, ggf. auch in Kombination mit einem zweiten Nicht-Opioid-Analgetikum einer anderen Substanzgruppe (vgl. Text). Dies bildet eine Basisanalgesie, auf deren Grundlage zusätzliche Opioide eingespart und ggf. Opioid-bedingte Nebenwirkungen verringert werden können. Systemische Opioide „on top“ werden nach Bedarf (idealerweise Patienten-kontrolliert) verabreicht, systemische Adjuvantien kommen nur bei sehr ausgewählten Indikationen dazu (vgl. Text). Auch bei Regionalanalgesieverfahren profitiert der Patient in der Regel von einem zusätzlichen Nicht-Opioidanalgetikum, z. B. durch Analgesie in Bereichen, die durch eine Regionalanalgesie nicht analgetisch abgedeckt werden. (*werden in Kap. 4 abgehandelt)
42 4 Systemische Schmerztherapie
und zum anderen mögliche zusätzliche Schmerzen außerhalb des Bereiches der Regionalanalgesie reduziert (z. B. Schulterschmerzen bei thoraxchirurgischen Eingriffen, Schmerzen durch Katheter und Drainagen). Auch dies wird in der Regel als (modifiziertes) balanciertes Analgesiekonzept verstanden. Hier gilt allerdings: jedes Analgetikum sollte nur dann gegeben werden, wenn es einen Mehrwert (also eine zusätzliche Analgesie und/oder eine Reduktion weiterer Substanzen) darstellt, nicht weil man das „immer so“ macht. Nicht immer kann dies im postoperativen Kontext konkret geklärt werden. Ist ein solcher Mehrwert aber eindeutig nicht gegeben (oder werden unerwünschte Nebenwirkungen erzeugt, die dem Effekt entgegenstehen), sollte das Analgetikum abgesetzt und/oder auf ein anderes gewechselt werden. Bei längerer Anwendung eines Analgetikums nach Operationen sollte die Wirksamkeit und Notwendigkeit einer Medikation immer (z. B. durch Dosisreduktion oder Absetzen der Substanz) geklärt werden. Merke: Genauso wichtig wie das Ansetzen eines Analgetikums, ist sein Absetzen nach einer Operation. Da keine grundsätzliche Dauer einer notwendigen Analgetikatherapie nach einer Operation angegeben werden kann, muss das Absetzen individuell abgewogen werden. Unklare lange Bedarfsanforderungen (z. B. von Opioiden) durch einen Patienten sollten entsprechend abgeklärt und – wenn keine klare Ursache für den Schmerzmittelbedarf gefunden wird – hinterfragt werden.
Wenn Nicht-Opioide und Opioide nicht ausreichend wirksam sind (oder die Dosis von Opioiden über das übliche Maß hinaus gesteigert werden muss, um eine gute Analgesie zu ermöglichen), sollten verschiedene Ursachen in Betracht gezogen werden. Zum einen gibt es natürlich Patienten, die mehr Schmerzen nach einer Operation haben als andere. Hier ist zu prüfen, ob z. B. ein Regionalanalgesieverfahren Abhilfe schaffen kann [5]. Andere Alternativen sind eine bedarfsadaptierte PCIA (patientenkontrollierte intravenöse Analgesie) oder die zusätzliche Gabe eines „Adjuvants“/Ko-Analgetikums. Ähnliche (Opioid-reduzierende) Effekte haben Lidocain i. v. oder Clonidin/Dexmedetomidin i. v. All diese Substanzen stellen keine echten Analgetika im engeren Sinne dar. Vielmehr verstärken sie den Effekt von Opioiden, verringern dadurch zusätzlich die Schmerzen und vermindern z. T. deutlich den Dosisbedarf des Opioids. Sie gehören in der postoperativen Schmerztherapie zu einem „erweiterten“ balancierten Analgesiekonzept (Cave: off-label use), sollten aber immer individuellen Indikationen und Risiko-Nutzen-Abwägungen unterliegen und nur durch mit diesen Substanzen erfahrene Ärzte idealerweise Anästhesisten und/oder in der Schmerztherapie erfahrene Ärzte eingesetzt werden.
4.1 Grundsätzliche Aspekte einer medikamentösen postoperativen Schmerztherapie 43
4.1.2 Kontextfaktoren, die eine Schmerztherapie verbessern können Wesentlich für eine gute Schmerztherapie ist es, effektive Analgetika auszuwählen, die gut wirksam sind. Hinzu kommt, dass nachgewiesener Weise die Wirksamkeit von Analgetika verstärkt werden kann, wenn man sie im entsprechenden Kontext appliziert. Dies bedeutet, dass ein Analgetikum besser wirkt, wenn man dem Patienten bei der Verabreichung des Medikamentes dessen Wirksamkeit verbal kommuniziert, z. B. bei Aushändigen der Ibuprofen-Tablette dem Patienten den positiven Aspekt mit den Worten vermitteln: „Diese Tablette, die ich Ihnen jetzt gebe, ist ein wirksames Medikament gegen ihre Schmerzen“ oder beim Anhängen der Metamizol-Infusion mit den Worten: „Die Infusion, die ich Ihnen gerade anhänge, ist ein wirksames Schmerzmedikament“. Dies bedeutet in keinem Falle, dass ein Plazebo verabreicht werden soll, das keine Wirkung hat und als wirksam ausgegeben wird. Die Gabe eines Plazebos außerhalb von klinischen Studien ist absolut kontraindiziert und kann das Vertrauen des Arzt-Patienten-Verhältnisses nachhaltig schädigen. Vielmehr geht es um die Verstärkung einer Wirkung eines echten Analgetikums, die neurophysiologisch gut nachgewiesen ist und echten klinischen Benefit bietet.
4.1.3 Interventionsgrenzen im Rahmen einer (systemischen) Schmerztherapie Für jede Analgetikagabe, aber insbesondere für Analgesiekonzepte, die eine Bedarfsmedikation beinhalten, ist bedeutsam, wann diese Bedarfsmedikation verabreicht werden soll (und wann nicht). Klare Kriterien für die Bedarfsmedikation auf einer Station sind wichtig, um z. B. dem geschulten Pflegepersonal zu ermöglichen, eine verordnete Schmerzmedikation zeitnah an den Patienten auszuhändigen und eine Unter- so wie Übertherapie zu vermeiden. In den meisten Kliniken werden hierzu bestimmte Schmerzintensitätswerte herangezogen (in Kap. 3 werden verschiedene Schmerzintensitätsskalen vorgestellt). Einige Studien haben in der Vergangenheit unter Einsatz der Skalen untersucht, ab welcher Schmerzintensität ein Schmerz je nach Skala behandlungsbedürftig ist. Bei Schmerzintensitäten, die mit einer NRS oder VAS Skala (Wert von 0–10) erfasst werden, gibt es z. B. Hinweise darauf, dass Schmerz über 3 in Ruhe und über 5 bei Belastung vom Patienten als nicht mehr akzeptabel angesehen werden [6]. Gibt ein Patient also z. B. eine Schmerzintensität von 6 unter Belastungsbedingungen (z. B. während der Physiotherapie) an, kann dies ein Hinweis dafür sein, dass eine Bedarfsmedikation verabreicht werden sollte. Bei anderen Skalen kann diese Grenze variieren. Merke: Die Gabe einer Bedarfsmedikation darf nicht alleine anhand der Schmerzintensitätswerte erfolgen; auch weitere Aspekte müssen berücksichtigt werden.
44 4 Systemische Schmerztherapie
Wichtige Aspekte, die auch mit in Betracht gezogen werden müssen bevor eine Bedarfsmedikation verabreicht werden sollte, sind z. B. die Zeit, die seit der letzten Analgetikaapplikation verstrichen ist, der Wunsch eines Patienten, ein weiteres Schmerzmedikament zu erhalten (einige Patienten tolerieren den eigentlich über der Schwelle liegenden NRS-Wert und sind trotzdem in der Lage, Physiotherapie zu machen), potentielle Begleitsymptome und der allgemeine Patientenzustand so wie Nebenwirkungen und Risiken einer Behandlung. Hinzu kommt, dass nach jeder Gabe einer Bedarfsanalgesie die Wirksamkeit so wie potenzielle Nebenwirkungen und Komplikationen überprüft werden müssen. Infobox 4.2: Wichtige grundsätzliche Aspekte einer systemischen Analgesie 1. Ideal sind eine präoperative Planung und (spätestens) intraoperativer Start der Medikation. 2. Jede Anordnung muss individuell verordnet werden, auch wenn klinikinterne Algorithmen angewendet werden. 3. Jede Anordnung sollte zeitlich begrenzt sein und nur bei klarer Notwendigkeit sollte die Anwendung (begründet) verlängert werden. 4. Analgetika sollten nur dann (weiter) gegeben werden, wenn sie zu erkennbaren Effekten führen. 5. Als Goldstandard gilt – insbesondere bei stärkeren und starken Schmerzen – eine Kombination von mindestens 2 Analgetika/Analgesieverfahren unterschiedlicher Wirkmechanismen, i. d. R. ist dies ein NOPA und ein Opioid oder eine Regionalanalgesie. 6. Die Wirkmechanismen einzelner Analgetika und Adjuvantien sollten im Hinblick auf die Symptome des Patienten (z. B. nozizeptive versus neuropathische Schmerzkomponente) beachtet werden. 7. Jede Medikation sollte, wenn möglich, in einem positiven Kontext verabreicht werden. 8. Neben der Schmerzintensität sollten auch weitere Aspekte wie z.B. Funktionseinschränkungen und Begleitsymptome als Hinweis für eine systemische Analgetikagabe herangezogen werden.
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien Systemische Analgetika, die für den postoperativen Schmerz primär relevant sind, lassen sich grundsätzlich in NOPA und Opioide unterteilen. In beiden Analgetikagruppen gibt es noch weitere Subgruppen sowie dann, pro Subgruppe, verschiedene Einzelsubstanzen. Nicht alle diese Substanzen müssen in jeder Klinik Anwendung finden; es ist vielmehr sinnvoll, eine Auswahl bestimmter Substanzen regelmäßig einzusetzen. Primär ein NOPA und ein Opioid als Standardsubstanz und nur bei Kontraindikationen je ein bis zwei definierte Ausweichmöglichkeiten vorzuhalten ist dabei meist (minimalistisch) ausreichend. Im Folgenden werden trotzdem umfassend verschiedenste Substanzen aufgeführt, um einen Überblick zu geben und die Möglichkeit offen zu halten, sich für die eine oder die andere Substanz in einer Klinik zu entscheiden sowie bei Spezialfällen die Besonderheiten für weniger häufig eingesetzte Substanzen nachlesen zu können. Auch weitere Substanzen, die wirklich nur Ein-
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 45
zelindikationen vorbehalten sein sollten, werden kurz (unter Adjuvantien/Ko-Analgetika) behandelt.
4.2.1 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) Merke: Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) sind effektive Analgetika, die bei postoperativen Schmerzen als Mittel der 1. Wahl zur Basisanalgesie eingesetzt werden sollen, solange keine Kontraindikationen gegen die Substanz besteht [7].
NOPA führen zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Analgesie (je nach Substanz), sowie zu einer Einsparung von Opioiden und damit Reduktion von Nebenwirkungen von Opioiden (wie z. B. Übelkeit, Erbrechen, Darmmotilitätsstörungen, Juckreiz, Harnverhalt, Sedierung und Atemdepression), wenn sie in Kombination eingesetzt werden. Man unterscheidet grundsätzlich nicht-saure antipyretische Analgetika (Paracetamol, Metamizol) und „saure“ nicht-steroidale Antiphlogistika/Antirheumatika (NSARs, z. B. Ibuprofen oder Diclofenac); zu letzteren gehören auch die spezifischer COX-2 Hemmer (z. B. Etoricoxib, Parecoxib). Wirkmechanismen der NOPA Die Wirkmechanismen der Substanzen sind z. T. unterschiedlich (Infobox 4.3). Interessant ist, dass zwar die Wirkmechanismen der NSAR gut bekannt sind (z. B. Hemmung der Cyclooxygenasen), der exakte Mechanismus, warum Paracetamol und Metamizol schmerzhemmend wirken, aber bisher nicht genau geklärt ist. Infobox 4.3: Wirkmechanismus der NOPA NSAR: Die Hemmung der zwei beim Menschen vorkommenden Cyclooxygenasen COX-1 und COX2 (COX-3 wurde nur bei Tieren nachgewiesen, beim Menschen scheint es nicht vorzukommen bzw. keine Bedeutung zu haben) führt zur Hemmung von Prostaglandinen (z. B. PGE2), Prostacyclinen (z. B. PGI2, primär durch COX2 gebildet) und Thromboxan (z. B. TXA2, primär durch COX1 gebildet). Insbesondere die Hemmung der PGE2 Synthese in der Peripherie bei einer Entzündung als auch die Hemmung von PGE2 im zentralen Nervensystem führt (wahrscheinlich in Kombination) zur schmerzhemmenden Wirkung der NSAR. Die Hemmung der anderen Abbauprodukte der COX sind primär für die Nebenwirkungen verantwortlich. Paracetamol (Acetaminophen): Die analgetische (wie auch antipyretische) Wirkung wird im zentralen Nervensystem ausgelöst. Hier steigert Paracetamol u. a. die Serotonin-vermittelte deszendierende Hemmung an Interneuronen des dorsalen Rückenmarks, aktiviert indirekt CannabinoidCB1-Rezeptoren, hemmt die spinale Stickstoffmonoxid- (NO-)Produktion, blockiert spinale N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-) und Substanz-P/NK1-Rezeptoren und hemmt die Aktivität des COX-2-Enzyms im Rückenmark und Gehirn [8]. Allerdings findet die Hemmung des COX Enzyms an einer anderen Stelle als bei den NSARs statt und ist abhängig vom pH-Wert (niedriger ph = schlechtere Wirkung auf COX-Enzym), so dass gerade im entzündlichen Gewebe Paracetamol peripher keine relevante Wirkung aufweist.
46 4 Systemische Schmerztherapie
Metamizol: Metamizol ist ein Pyrazolonderivat und hat analgetische, antipyretische und spasmolytische Effekte. Metamizol ist allerdings ein Prodrug und wird in der Leber in 4 Metabolite abgebaut, von denen 2 (4-N-Methylaminoantipyrin [MAA] und 4-Aminoantipyrin [AA]) wahrscheinlich für den analgetischen Effekt verantwortlich sind. Es kommt u. a. zu einer COX-Hemmung (stärkere COX-2- als COX-1-Hemmung) sowie zur Aktivierung ATP-sensitiver Kaliumkanäle [9]. Zentral wirkt es über eine Hemmung von Glutamatrezeptoren, Substanz P/NK1-Rezeptoren, eine Aktivierung des Proteinkinase-C-Signalwegs und wahrscheinlich auch über COX-Hemmung [9].
NOPA stellen somit auf Grund ihrer Wirkmechanismen z. T. sehr unterschiedliche Substanzen dar. Allerdings kommt es durch Überlappung von Wirkmechanismen (wie z. B. der Hemmung von Cyclooxygenasen bei allen NOPA in unterschiedlichem Ausmaß und Wirkorten) auch zu Interaktionen und zur Addition von Nebenwirkungen insbesondere in höheren Dosierungen bei Kombination. Effektivität von Nicht-Opioid-Analgetika Alle NOPA reduzieren die Intensität postoperativer Schmerzen (siehe Tab. 4.1); allerdings ist die Effektivität von Paracetamol deutlich geringer als die der übrigen NOPA [2,10]. Sowohl COX-Hemmer als auch Metamizol senken darüber hinaus zusätzlich und klinisch relevant den Bedarf an Opioiden; bei Paracetamol ist auch dies deutlich geringer ausgeprägt [8,11]. Neuere Hinweise lassen vermuten, dass eine Kombination eines NSAR mit Paracetamol in relativ niedrigen Dosierungen einen supraadditiven Effekt hat (z. B. 200 mg Ibuprofen und 500 mg Paracetamol, [10]). Allerdings sind die meisten der hier eingegangenen Studien bei Zahnextraktionsoperationen durchgeführt worden. Ob ähnliches für andere Operationen auch gilt ist bisher unklar, erste Hinweise hierfür finden sich aber in einer neueren Metaanalyse [12]. Insgesamt stellt eine Kombination von zwei Nicht-Opioidanalgetika wie NSAR und Paracetamol (zu Kombinationen beider Substanzen/Substanzgruppen mit Metamizol gibt es bisher keine Untersuchungen) eine mögliche Option dar, um Opioide bei Risikopatienten (z. B. mit einem Obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom) besonders effektiv zu vermindern. Hinweise für Zusatzeffekte bei Kombination von 3 NOPA gibt es nicht; eine Kombination von 3 NOPA sollte deshalb vermieden werden. 2 COX-Hemmer sollten natürlich niemals kombiniert werden. Nebenwirkungen und Risiken von NOPA Bezüglich der Nebenwirkungen und Risiken der NSAR [2] ist zu beachten, dass potenziell alle durch eine COX-Hemmung hervorgerufenen Organschäden auftreten können. Als Komplikation Nr. 1 hinsichtlich Häufigkeit des Auftretens stehen gastrointestinale Probleme (insbesondere bei Hemmung der COX-1) im Vordergrund; hierzu gehören gastrointestinale Ulcera und Blutungen. Ihre Inzidenz ist z. T. abhängig von zusätzlichen Risikofaktoren und Begleiterkrankungen, zu denen ein höheres Alter der Patienten, vorbestehende gastrointestinale Erkrankungen wie Gastritis, Ul-
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 47
Tab. 4.1: Effektivität der NOPA für Schmerzen nach Operationen im Vergleich: Number needed to treed (NNT) für verschiedene Nicht-Opioid-Analgetika nach Operationen (modifiziert nach Moore et al. [10], Meyer-Friessem und Pogatzki-Zahn [13]). Die NNT gibt an, wie viele Patienten mit der entsprechenden Substanz (und Dosis) behandelt werden mussten, damit bei einem Patienten eine (hier definierte) 50 %ige Schmerzreduktion erreicht wurde; je niedriger die NNT, desto effektiver ist die Substanz. Substanz
Dosis (mg)
Anzahl der Patienten in den eingeschlossenen Studien
NNT (95 % CI)
Ibuprofen + Paracetamol
200 + 500
508
1,6 (1,5 bis 1,8)
Etoricoxib
120
798
1,8 (1,7 bis 2,0)
Diclofenac
100
589
1,9 (1,7 bis 2,3)
Metamizol
500
288
2,3 (1,9 bis 3,1)
Ibuprofen
400
5604
2,5 (2,4 bis 2,6)
Celecoxib
400
722
2,6 (2,3 bis 3,0)
Naproxen
500/550
784
2,7 (2,3 bis 3,3)
Ibuprofen
200
2103
2,9 (2,7 bis 3,2)
Paracetamol
975–1000
3232
3,6 (3,2 bis 4,1)
Diclofenac
50
757
3,7 (2,9 bis 4,7)
cus oder gastrointestinale Blutung sowie zusätzliche Kortikoideinnahme, Stress und Dauer und Höhe der Dosis der verabreichten Substanz gehören. Alle NSAIDs können zur renalen Vasokonstriktion führen und bei Patienten mit Hypovolämie oder anderen Risikofaktoren (z. B. ACE Hemmer) eine Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zum reversiblen Nierenversagen verursachen. Ebenfalls ist das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen bei Gabe fast aller NSAIDs erhöht, zumindest dann, wenn sie die COX-2 hemmen. Dies bedeutet gerade für Patienten mit vorbestehenden kardiovaskulären Risikofaktoren und/oder bei gleichzeitiger Gabe von ACE Hemmern ein deutlich erhöhtes Risiko. Während längere Zeit angenommen wurde, dass dieses erhöhte Risiko nur für spezifische COX-2 Hemmer besteht, ist heute ziemlich eindeutig, dass auch für unspezifische COX Hemmer (also solche die die COX-1 und die COX-2 hemmen), ein erhöhtes Risiko besteht. Nur für Naproxen und natürlich ASS scheint das kardiovaskuläre Risiko nicht erhöht zu sein. Unklar ist aber, wie lange ein Patient ein NSAID einnehmen muss bevor das Risiko ansteigt; es gibt Daten, dass eine kurze Einnahme von unter 10 Tagen das Risiko zumindest bei Nicht-Risikopatienten postoperativ nicht erhöht; ausgenommen sind hier Patienten nach einer Herz-Operation, für die immer, auch
48 4 Systemische Schmerztherapie
bei Kurzzeitgabe, das Risiko erhöht ist und NSAID deswegen insgesamt kontraindiziert sind. Eine erhöhte Blutungsneigung entsteht primär durch eine COX-1-Hemmung und ist daher bei spezifischeren COX-2 Hemmern geringer ausgeprägt. Acetylsalicylsäure acetyliert jedoch die COX-1 irreversibel und führt deshalb (über Hemmung der Thromboxansynthese und dadurch ausgelöster Thrombozytenaggregationshemmung) so lange zu einer erhöhten Blutungsneigung, bis nach Absetzen des ASS die Neusynthese von funktionsfähigen Thrombozyten den Verlust ausgeglichen hat (in der Regel nach ca. 5 Tagen). ASS ist deshalb für eine postoperative Schmerztherapie ungeeignet. Dagegen ist die Blutungsneigung durch unselektive NSARs und insbesondere durch Coxibe nicht bzw. fast nicht klinisch relevant erhöht. Allerdings ist die Debatte, was die Sicherheit von unselektiven NSARs bei Tonsillektomie anbelangt weiterhin uneinheitlich. Während einige Studien keine Erhöhung von Blutungskomplikationen nachweisen [14], ist bei anderen Studien die Lage nicht so eindeutig [15–17]. Während also bei Erwachsenen bei Tonsillektomien selektive COX-2 Hemmer bevorzugt eingesetzt werden sollen, ist bei Kindern entweder ganz auf NSARs zu verzichten (selektive COX-2 Hemmer sind bei Kindern in Deutschland nicht zugelassen), oder in Rücksprache mit dem Chirurgen einen Einsatz im Sinne einer Risiko-Nutzen Abwägung zu erwägen. Nicht unbeachtet werden darf die Neigung zu allergischen Reaktionen und pseudoallergischen pulmonalen Reaktionen (sog. Allergika-Asthma“) bei Gabe von NSARs. Diese wird durch ein Überangebot an bronchokonstriktorisch wirkenden Leukotrienen hervorgerufen und kommt bevorzugt bei COX-1-Hemmern und Patienten mit bekannten diathetischen Erkrankungen vor. Parecoxib, ein selektiver COX-2 Hemmer, ist explizit für die postoperative Schmerztherapie zugelassen und stellt ein sehr effektives NSAR dar, das zudem intravenös verabreicht wird und sich damit für die akute postoperative Phase in den ersten Stunden/Tagen nach Operationen besonders eignet. Es ist ein Prodrug für den aktiven Metaboliten Valdecoxib (Metabolisierung über die Isoenzyme CYP3A4 und 2C9), das in der Leber gebildet wird. Die Dosis für einen Erwachsenen Patienten beträgt 2 × 40 mg pro Tag. Bei Patienten mit schweren Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh-Score 10) ist die Anwendung kontraindiziert, bei Patienten mit mäßigen Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh-Score 7 bis 9) sollte die Hälfte der empfohlenen Dosis verabreicht und die Tageshöchstdosis auf 40 mg begrenzt werden. Ebenfalls nur die Hälfte der Dosis sollte bei Patienten mit schwerer Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min) oder bei Patienten mit einer Neigung zur Flüssigkeitsretention gegeben und die Nierenfunktion der Patienten engmaschig überwacht werden. Aufgrund der Pharmakokinetik ist bei Patienten mit leichter bis mäßiger Nierenfunktionsstörung (Kreatinin-Clearance 30 bis 80 ml/min) keine Dosisanpassung erforderlich. Nach koronaren Bypass-Operationen ist Parecoxib kontraindiziert, da es ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko für z. B. kardiovaskuläre/thromboembolische Ereignisse (Myokardinfarkt, Schlaganfall/TIA, Lungenembolie und tiefe
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 49
Venenthrombosen), und zu Komplikationen bei der sternalen Wundheilung führt. Bei allen COX-2 Hemmern (bei Valdecoxib allerdings möglicherweise vermehrt) besteht in seltenen Fällen die Gefahr von Hautreaktionen wie z. B. Stevens-JohnsonSyndrom, toxisch-epidermale Nekrolyse, Erythema multiforme, insbesondere bei Patienten mit bekannter Überempfindlichkeit gegen Sulfonamide. Metamizol weist im Rahmen der postoperativen Schmerztherapie gegenüber den NSAIDs bei ähnlich guter Effektivität [10] ein deutlich geringeres Nebenwirkungsprofil auf. Kardiovaskuläre und renale Risiken sind bei Metamizol ausgesprochen selten, das gleiche gilt für gastrointestinale Nebenwirkungen und Komplikationen. Die Kombination aus guter Analgesiequalität und geringer Organtoxizität erklärt den häufigen Einsatz in der postoperativen Schmerztherapie in Deutschland. Trotzdem sollten 3 Aspekte beachtet werden: – Zum einen ist bei Gabe von Metamizol eine allergische Reaktion nicht selten; diese kann von leichten allergischen (Haut)reaktionen bis hin zu Bronchospasmus oder Anaphylaktischem Schock reichen. Eine Anamnese hierzu ist wichtig so wie das Absetzen der Medikation bei Auftreten eines Allergieverdachtes. – Darüber hinaus sind Blutdruckabfälle bei Gabe von Metamizol beschrieben, vor allem bei zu schneller i. v. Gabe; die Ursache ist wahrscheinlich eine Öffnung von Kaliumkanälen. Durch eine Hemmung von Kaliumkanälen im Darm ist übrigens auch möglicherweise die spasmolytische Wirkung von Metamizol in höheren Dosierungen verantwortlich. Metamizol sollte deshalb langsam i. v. (1 ml/ min), kontinuierlich über einen Perfusor oder oral verabreicht werden. – Die dritte und unter Umständen schwerwiegende Komplikation von Metamizol ist das Risiko einer Agranulozytose. Von den zwei Metaboliten, die analgetisch wirksam sind, wird das 4-Methylaminoantipyrin (MAA) auch für die Bildung von Antikörpern gegen Granulozyten verantwortlich gemacht. Es kommt hierbei zu einer Bindung von MAA an die Membran von neutrophilen Granulozyten und somit zu einer Initialisierung einer Antigen-Antikörper Formation [18]. Diese induzierte Immunologische Antwort führt zur Zerstörung peripherer und im Knochenmark befindlicher Granulozyten. Die Folge davon ist ein Abfall der Granulozyten bis hin zur Agranulozytose (< 500/μl /l neutrophile Granulozyten); dies kann zu schwer beherrschbaren Infekten bis hin zur Sepsis und zum Tod führen. Die genaue Inzidenz einer Agranulozytose ist unklar, scheint aber abhängig vom Land der Anwendung/Herkunftsland des Patienten zu sein; genetische Aspekte könnten demnach eine Rolle spielen. Die genaue Inzidenz ist unklar, aus den großen Fall-Kontrollstudien aus Spanien, Deutschland, Polen und den Niederlande kann vermutet werden, dass die Metamizol-induzierte Agranulozytose eine Inzidenz von 0,96/1 Mio. Anwender bzw. 1/2 Mio. Anwendungstagen aufweist [19,20]. Eine Aufarbeitung von insgesamt 449 zwischen 1998 und 2012 gemeldeten Agranulozytosefällen beim BfArM [21] ergab, dass ca. 30 % der Agranulozytosefälle innerhalb von 7 Tagen nach der ersten Metamizolgabe auftraten; es gab aber auch Fälle, bei denen die Agranulozytose später als 10 Tage (und eini-
50 4 Systemische Schmerztherapie
ge mit einer Verzögerung von mehreren Wochen) nach Erstexposition auftraten. Dies weist darauf hin, dass kein klares zeitliches Fenster identifizierbar zu sein scheint, in dem die Diagnose einer Agranulozytose bzw. deren Ausschluss bei Metamizoleinnahme mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sichergestellt bzw. sicher ausgeschlossen werden kann. Da die Agranulozytose auch nach Beenden der Therapie mit Metamizol auftreten kann, kann der Bezug zur Ursache manchmal schwierig sein. Dies ist umso problematischer, als dass die Symptome einer Agranulozytose bzw. die Symptome der Komplikationen einer Agranulozytose recht unspezifisch sind. In der Auswertung von Stammschulte et al. [21] zeigte sich eine Altersabhängigkeit der Agranulozytose mit einer Häufung bei 20 bis 35jährigen Patienten. Sechs Patienten (3,7 %) waren jünger als 18 Jahre (jeweils zwei Patienten waren 11, 14 und 17 Jahre alt). Darüber hinaus konnten bisher keine spezifischen Faktoren herausgestellt werden, die eine Risikoidentifizierung mit Merkmalen für eine besondere „Empfindlichkeit“ für Metamizol in Bezug auf die Agranulozytose bezüglich Patientenfaktoren, Dosierungsmuster oder klinische Umstände erlauben [21]. Merke: Wichtig ist eine Risikoaufklärung des Patienten darüber, dass er Metamizol eingenommen hat und welche Symptome auftreten können, bei denen er sich sofort in ärztliche Behandlung zu begeben hat (vgl. Infobox 4.4).
Infobox 4.4: BfArM* Empfehlung zur Aufklärung von Metamizol-induzierter Agranulozytose Der behandelnde Arzt hat auf Zeichen einer Agranulozytose zu achten und den Patienten über das Risiko und mögliche Symptome aufzuklären. Mögliche Zeichen sind unter anderem: Verschlechterung des Allgemeinbefindens, Fieber, Schüttelfrost, Entzündungen im Bereich der Schleimhäute und Angina tonsillaris mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Bei Patienten unter antibiotischer Therapie können diese Zeichen fehlen. * http://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2009/RI-metamizol.html [87]
Eine Ende 2019 herausgegebene Expertenempfehlung des Arbeitskreises Akutschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft, des Wissenschaftlichen Arbeitskreises Schmerzmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Akutschmerz der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie unter Beteiligung von Vertretern der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft hat Empfehlungen zur perioperativen Anwendung von Metamizol herausgegeben; die Kernaussagen dieser Empfehlungen finden sich in Infobox 4.5 [22].
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 51
Infobox 4.5: Empfehlungen zur perioperativen Anwendung von Metamizol (aus Stamer et al. [22]) 1. Blutbildkontrollen nur zur Überwachung der Leukozyten-/Granulozytenzahl beim perioperativen Einsatz von Metamizol sollen nicht als Standard vorgegeben werden. Veranlasst hingegen die operative Abteilung (postoperative) Routinekontrollen von Laborwerten aus anderer Indikation, so soll auf eine Abnahme der Leukozyten- bzw. Granulozytenzahl zum Ausschluss einer Neutropenie, Agranulozytose bzw. Panzytopenie geachtet werden. 2. Medizinisches Personal soll sensibilisiert werden hinsichtlich klinischer Symptome, die auf eine Agranulozytose hinweisen können. 3. Bei Verdacht auf eine Agranulozytose soll die Therapie mit Metamizol und anderen potenziell auslösenden Medikamenten sofort unterbrochen werden. 4. Bei Verdacht auf eine Agranulozytose soll umgehend ein Differenzialblutbild zur Sicherung oder zum Ausschluss der Diagnose angefertigt werden. 5. Patienten sollen über die Gabe von Metamizol, das Nutzen-Risiko-Verhältnis und mögliche Alternativen aufgeklärt werden. Der Informationsbedarf des Patienten und ein möglicher „Nocebo-Effekt“ sollten berücksichtigt werden. 6. Patienten, denen Metamizol über einige Tage verabreicht worden ist und/oder die mit einer weiterlaufenden Metamizolmedikation aus stationärer oder ambulanter Behandlung entlassen werden, sollen über die Symptome einer Agranulozytose aufgeklärt werden. 7. Es soll dem Patienten empfohlen werden, bei entsprechender Symptomatik die Metamizolbehandlung abzubrechen und umgehend einen Arzt für eine Blutbildkontrolle aufzusuchen. 8. Im Entlassungsbrief soll der Hausarzt/weiterbehandelnde Arzt über die Metamizolmedikation informiert werden. 9. Hat ein Patient auf Metamizol mit einer Neutropenie, Agranulozytose oder Panzytopenie reagiert, sollen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um eine zukünftige Reexposition zu vermeiden.
Insgesamt wird von verschiedensten Autoren die Gesamt-Risiko-Nutzen Bewertung von Metamizol als Analgetikum als ausgesprochen positiv bewertet [23]. Würde es in Deutschland kein Metamizol geben, würden wahrscheinlich eine Vielzahl von Patienten (z. B. solche mit bestimmten Kontraindikationen für NSAR) entweder gar kein NOPA erhalten oder nur Paracetamol mit einer deutlich geringeren Effektivität und vor allem einer deutlich geringeren Einsparung von Opioiden postoperativ. Entsprechend wäre der Bedarf an Opioiden deutlich höher mit den damit verbundenen Nebenwirkungen und Risiken. In der Schwangerschaft sollte Metamizol, obwohl es keine Hinweise für einer Schädigung des Fetus gibt, nur bei sehr strenger Indikationsstellung verabreicht werden. Im 3. Trimenon ist Metamizol kontraindiziert (ggf. Schluss des Ductus Botalli). Metabolite von Metamizol werden in die Muttermilch ausgeschieden; deshalb darf bis zu 48 Stunden nach Anwendung von Metamizol nicht gestillt werden. Auch Säuglingen unter 3 Monaten oder unter 5 kg Körpergewicht sollte kein Metamizol verabreicht werden. Bei Patienten mit Leberzirrhose und Nierenfunktionsstörungen sollen laut Fachinformation hohe Dosierungen vermieden werden. Kein Metamizol erhalten sollten auch Patienten mit akut intermittierender hepatischer Porphyrie (Gefahr der Auslösung einer Porphyrie-Attacke), Patienten mit angeborenem Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel (Hämolysege-
52 4 Systemische Schmerztherapie
fahr) und Patienten mit Störungen der Knochenmarksfunktion (z. B. nach Zytostatikabehandlung) Paracetamol ist das am wenigsten effektive Analgetikum aus der Reihe der NOPA und sollte deshalb nur Analgetikum der 2. oder 3. Wahl sein. Allerdings ist bei einigen Patientengruppen (3. Trimenon der Schwangerschaft, erste 3 Lebensmonate) kein anderes NOPA zugelassen oder auf Grund bestehender Risiken kein anderes Analgetikum möglich (Patienten nach Bypass-Operation). Das wichtigste Risiko bei Gabe von Paracetamol ist die Erhöhung von Leberenzymen bis hin zur Lebertoxizität. Paracetamol wird überwiegend (80–95 %) über die Leber abgebaut und anschließend über die Nieren ausgeschieden. In der Leber wird ein geringer Teil des eingenommenen Paracetamols (ca. 5 %) zum toxischen Metaboliten N-Acetyl-p-BenzoeQuinon-Imin (NAPQI) umgewandelt; beteiligt dabei ist das Zytochrom P450 (CYP2E1; CYP3A4) [8]. Das potenziell toxische Abbauprodukt NAPQI wird noch in der Leber durch Konjugation mit Glutathion inaktiviert und an Cystein sowie Mercaptursäure gebunden, das über den Urin ausgeschieden wird. Eine kritische Anhäufung von NAPQI in der Leber führt zu Leberzellnekrosen und kann, im Extremfall, zum Leberausfallkoma führen. Wichtigste Risikofaktoren hierfür sind fastende Patienten, Alkoholabusus, gleichzeitige Gabe bestimmter, die entsprechende Leberenzymaktivität steigernder Medikamente, sowie eine Überdosierung von Paracetamol und Langzeiteinnahme [24]. Obwohl evidenzbasierte Daten fehlen, sollte bei Patienten mit chronischem Alkoholabusus (CYP-Aktivierung) sowie vorbestehendem Leberschaden und Mangelernährung auf die Gabe von Paracetamol verzichtet werden [8]. Unbedenkliche Tagesmaximaldosierungen hängen u. a. auch von der Dauer der Anwendung ab. Hauptsymptome eines drohenden Leberversagens aufgrund einer Paracetamolüberdosierung sind gastrointestinale Beschwerden wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen ca. 2–3 h nach Einnahme [8]. Nach etwa 24–48 h (Maximum nach 2 bis 3 Tagen) kommt es zu einer deutlichen Erhöhung der Leberenzyme, Hyperbilirubinämie und verlängerter Prothrombinzeit mit anschließendem akutem Leberversagen. Verschiedenste vor allem Kohortenstudien haben in den letzten 15 Jahren eine Assoziation zwischen einer Paracetamoleinnahme und einer erhöhten Inzidenz von Asthma sowie anderer allergischer Erkrankungen gezeigt. In einer großen multizentrischen Untersuchung (72 Zentren aus 31 Ländern) wurde ein etwa um 40–50 % erhöhtes Risiko für Asthma, Rhinokonjunktivitiden und Ekzeme bei 6 bis 7 Jahre alten Kindern, die in früher Kindheit (1.–2. Lebensjahr) Paracetamol eingenommen hatten, beobachtet [25]. Auch bei Erwachsenen und bei Kindern von Schwangeren, die Paracetamol eingenommen haben, konnte eine Assoziation zwischen Paracetamoleinnahme (abhängig von der Dauer und der Dosis) und allergischen Erkrankungen wie Rhinitis, Asthma oder Ekzemen hergestellt werden [8]. Auch hier spielt möglicherweise wieder Glutathion bzw. dessen Reduktion eine Rolle; Glutathion stellt eine wichtige Rolle als Schutzmechanismus vor gefährlichen Antioxidantien dar. Eine echte Kausalität zwischen Paracetamoleinnahme und diesen Erkrankungen konnte
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 53
bisher aber nicht festgestellt werden und die Kurzzeiteinnahme perioperativ ist möglicherweise auch wenig problematisch. Gleiches gilt wahrscheinlich für eine potenziell vermutete Assoziation zwischen Paracetamoleinnahme der Mutter und erhöhter Inzidenz von Kryptorchismus und ADHS bei Kindern [26]. Fazit ist, dass Paracetamol im letzten Trimenon das einzige NOPA ist, das überhaupt verabreicht werden kann und auch darf. Kardiovaskuläre Risiken bei Gabe von Paracetamol sind gering, aber dennoch sind Blutdruckanstiege so wie kardiovaskuläre Komplikationen (z. B. bei längerer Anwendung) beschrieben; Gründe hierfür könnten u. a. Effekte am Endothel durch den Glutathion-Verlust sein [27,28]. Für Paracetamol muss darüber hinaus, insbesondere bei schneller i. v. Gabe, ein möglicher Blutdruckabfall beachtet werden [29]. Da Paracetamol allerdings, um einen guten Effekt zu erzielen, schnell i. v. gegeben werden sollte, ist die langsame Gabe keine Option bei Auftreten einer Hypotension, sondern eher das Absetzen der Substanz [24]. Dosierungen von NOPA Wie oben schon ausgeführt ist bei Gabe eines NOPA idealerweise die maximal für einen Patienten erlaubte Wirkdosis zu applizieren, um ausreichend Effekte zu erzielen und weitere Analgetika einzusparen. Die intravenöse Gabe perioperativ/früh postoperativ kann von Vorteil sein, z. B. wenn postoperativ die Darmtätigkeit noch eingeschränkt ist. Merke: NOPA sind intravenös nicht wirklich effektiver als oral oder rektal aber in ihrer Wirkung zuverlässiger, wobei dies primär an der z. T. schlechteren Bioverfügbarkeit (vor allem bei rektaler Gabe, und dies insbesondere bei Paracetamol) liegt.
In Deutschland ist die intravenöse Applikationsformen für Metamizol (wegen Gefahr von Blutdruckabfällen langsam injizieren, bei Erwachsenen 1 g i. v. Einzeldosierung), für Parecoxib (Erwachsene 40 mg Einzeldosis zweimal am Tag), für Paracetamol (1 g, innerhalb von 15 Minuten injizieren, Cave: Blutdruckabfall!) und neuerdings auch für Ibuprofen (für Erwachsene zugelassen, 400–600 mg Einzeldosis, 3 mal am Tag) verfügbar. Die Gelbfärbung der Infusionslösung bei Metamizol entsteht durch Hydrolyse des Metamizols zu dem Abbauprodukt 4-Amini-Antipyrin und hat wahrscheinlich keinen Effekt auf Wirkung und Nebenwirkungen. Die Dosierungen und Kontraindikationen für die einzelnen Substanzen finden sich in Tab. 4.2.
54 4 Systemische Schmerztherapie
Tab. 4.2: NOPA (Erwachsene).
Diclofenac
Verabreichung
Einzeldosis
Maximale Tagesdosis
Kontraindikationen
p. o.
3× 50 mg/d retard: 2× 75 mg/d
200 mg (2 mg/kg)
supp.
25–100 mg 2–3×/d
Allergie, Asthma, COPD, Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden, koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV), Z. n. Herzinfarkt oder Apoplex, akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/ min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l), Volumenmangel, Schock, Porphyrie, Schwangerschaft und Stillzeit
120 mg
Allergie, Asthma, COPD aktives peptisches Ulkus oder akute gastrointestinale Blutung, Z. n. Herzinfarkt oder Apoplex, akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l), Schwangerschaft, Stillzeit, nicht eingestellter Hypertonus (relativ)
i. m./s. c. 75–150 mg einmalig
Etoricoxib
p. o.
(60–)90 mg/d
Ibuprofen
p. o.
2–3× 200–800 mg/d 2400 mg retard: 2–3× 800 mg/d
supp.
2–4× 600 mg/d
i. v./s. c.
2–3× /400–600 mg
p. o.
4× 500–1000 mg/d 3–4× 20–40 Trpf. 20 Trpf. = 500 mg
supp.
3–4× 1000 mg
i. v.
1 g/2,5 g
8–16 mg/kg
p. o. supp. i. v.
3–4× 500–1000 mg
4g
Metamizol
Paracetamol
4–6g
Allergie, Asthma, COPD, Ulzera im Gastrointestinaltrakt, Anamnese chronischer Magen-Darm-Beschwerden, schwere Leber-, Nieren- oder Herzinsuffizienz, Volumenmangel, Schock, Schwangerschaft (3. Trimenon) und Stillzeit (bei unreifen Neugeborenen bzw. ductusabhängigen Vitien) Allergie, Asthma, Volumenmangel, Schock Hämatopoesestörungen (Leuko-, Granulozytopenie), Porphyrie, Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenasemangel, Schwangerschaft, Stillzeit Bekannte Unverträglichkeit, schwere Leber- und Niereninsuffizienz, Glukose-6-Phosphat-DehydrogenaseMangel, Alkoholabusus, chronische Mangelernährung
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 55
Tab. 4.2: (fortgesetzt)
Parecoxib
Verabreichung
Einzeldosis
Maximale Tagesdosis
Kontraindikationen
i. v.
2× 20–40 mg/d
80 mg
Allergie, Asthma, aktives peptisches Ulkus oder akute gastrointestinale Blutung, koronare Herzerkrankung und Herzinsuffizienz (NYHA II-IV), Z. n. Herzinfarkt oder Apoplex, akute oder chronische Niereninsuffizienz (Kreatininclearance < 30 ml/min), schwere Leberfunktionsstörungen (Albumin < 25 g/l), Schwangerschaft, Stillzeit, nicht eingestellter Hypertonus (relativ)
Medikamenteninteraktionen/Wechselwirkungen von NOPA Alle NOPA mit einem COX-1 Effekt zeigen auch eine Plättcheninhibition durch COX-1 Bindung am Thrombozyten, allerdings in deutlich unterschiedlicher Art und Weise und mit unterschiedlich ausgeprägtem Effekt (Abb. 4.2). Bedeutsam wird dies für viele der NOPA erst dann, wenn sie bei Patienten mit einer (low-Dose) Aspirin Therapie zur Prävention kardiovaskulärer Komplikationen zusammen mit ASS gegeben werden. Aspirin hemmt eine Thrombozytenaggregation durch irreversible Acetylierung von Serin 530; die Acetylierung führt zu einer Hemmung der Bildung von Thromboxan A2 aus Arachidinsäure, und zwar für den betroffenen Thrombozyten irreversibel. Daraus resultiert eine Verminderung der Inzidenz von Herzinfarkt und Schlaganfall bei Risikopatienten. Interessanterweise hemmen verschiedene NOPA die COX-1 zwar an anderer Stelle des Enzyms, aber dennoch einige so, dass das ASS nicht mehr an seine Bindungsstelle gelangen und das Enzym hemmen kann. Dies führt zu einem in den meisten Fällen zeitlich begrenzten aber dennoch z. T. problematischen Verhindern des thrombozytenaggregationshemmenden Effektes von ASS und einem Anstieg von kardiovaskulären Komplikationen [30]. Besonders problematisch scheint dies für Ibuprofen zu sein. Ibuprofen bindet reversibel an Arginine 120 und Tyrosin 355 nahe der aktiven Seite des COX-1 Enzyms. Dies führt zu einer klinisch relevanten reversiblen Hemmung des ASS Effektes. Aufgehoben werden kann diese Interaktion, wenn Ibuprofen mindestens 2 Stunden vor der ASS Gabe verabreicht wird. Allerdings gilt dies nicht mehr bei einer 3-maligen Gabe von Ibuprofen auch in niedrigen Dosierungen, vor allem bei mehrtägiger Gabe. Merke: Eine Basisanalgesie mit Ibuprofen ist bei Patienten mit einer ASS Dauertherapie kontraindiziert.
56 4 Systemische Schmerztherapie
Eine ähnliche Interaktion ist für andere NOPA wie z. B. Naproxen und Celecoxib beschrieben (siehe Abb. 4.2 und Tab. 4.3 [31]), allerdings binden sie an anderer Stelle als Ibuprofen und die klinische Relevanz dieser Interaktion für Patienten mit ASSDauertherapie ist unklar. Paracetamol scheint ebenfalls die COX-1 in Thrombozyten zu hemmen, aber wohl nicht so, dass in Kombination mit ASS der ASS-Effekt klinisch relevant inhibiert wird [31,32]. Noch nicht ganz geklärt ist, ob die durch MetamizolAspirin Metamizole Ibuprofen Ser530 Naproxen Arg120 Celecoxib
aktives Zentrum
Tyr355
Tyr385
Paracetamol
Aspirin reversible Wasserstoffbrücken irreversible Acetylierung
COX-1 „hydrophober“ Kanal
Abb. 4.2: ASS verhindert durch die irreversible Acetylierung von Serin 530 den Zugang von Arachidonsäure zum aktiven Zentrum des Enzyms. Verschiedenen Nicht-Opioid-Analgetika bilden reversible Wasserstoffbrücken in der Nähe des aktiven Zentrums von Cyclooxygenase (COX)-1. Dies verhindert (1) den Eintritt von Aspirin in den hydrophoben Kanal; (2) irreversible Acetylierung von Ser530; und (3) Thrombozytenhemmung für den Rest der Thrombozytenlebensdauer. (verändert nach Polzin et al. [31]).
Tab. 4.3: Interaktion von verschiedenen NOPA und Aspirin (verändert nach Polzin et al. [31]). Substanz
Plättcheninhibition
Halbwertszeit
Aspirin-Interaktion
Aspirin
irreversibel
–
Ibuprofen
reversibel
1–4 h
ja
Naproxen
reversibel
12–24 h
Ja
Diclofenac
reversibel
1–2 h
nein
Celecoxib
reversibel
8–13 h
Ja
Paracetamol
reversibel
1–4 h
nein
Metamizol
reversibel
2–4 h
Ja
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 57
assoziierte COX-1 Interaktion zu einem klinisch relevanten Aufheben der ASS-Wirkung am Thrombozyten führt. Fakt ist, dass ein Metabolit von Metamizol reversibel an der aktiven COX-1 Bindungsstelle (Tyrosin 385 und Serine 530) bindet [31]. Auch dies führt anschließend zur Hemmung der Bindung von ASS, da die Bindungsstelle nicht mehr vom ASS Molekül erreicht werden kann. Die wenigen in-vivo Studien zeigen allerdings einen Effekt von Metamizol auf die ASS-induzierte Thrombozytenaggregationshemmung bei einer Therapiedauer von über 2 Tagen; umso länger die Therapie mit Metamizol (2 Tage kein Effekt, 4 Tage partielle Abschwächung der ASSinduzierten Thrombozytenaggregation versus 7 Tage komplette Hemmung), umso stärker war der Effekt [31,33,34]. Ob eine Kombinationstherapie (ASS und Metamizol) einen Effekt auf kardiale Komplikationen bei Kombination von Metamizol und ASS hat, ist aber bisher nicht nachgewiesen worden. Für Ibuprofen, Metamizol und andere Substanzen mit Effekt auf die ASS-Bindung an den Thrombozyten gilt: Einzelgaben mindestens 2 Stunden nach ASS Therapie haben keinen Effekt auf die Thrombozyten-aggregationshemmende Wirkung von ASS. Bei Mehrfachgaben von Ibuprofen unabhängig von der zeitversetzten Einnahme kann aber ab dem zweiten Tag schon eine Interaktion auftreten und eine zeitversetzte Gabe ist dann wahrscheinlich nicht mehr hilfreich. Bei magensaftresistenten ASSArzneiformen wird die Interaktion mit Ibuprofen ebenfalls nicht verhindert, egal wann das Ibuprofen gegeben wird. Falls Metamizol als perioperatives Basisanalgetikum bei Patienten mit ASS Dauertherapie gewählt wird, sollte das Metamizol mindestens 30 Minuten nach ASS Gabe – und nicht länger als 4 Tage – gegeben werden. Hier sind aber abschließende Daten noch ausstehend. Bei Mehrfachgabe von Metamizol wurde in einer Untersuchung bei strikter Einhaltung des 30-minütigen Abstands z. B. keine Beeinflussung der Thrombozytenaggregationshemmung beobachtet [35]. Weitere wichtige Wechselwirkungen von NOPA mit anderen Substanzen sind in Tab. 4.4 aufgeführt.
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Tab. 4.4: Wechselwirkungen von NSAR und anderen Medikamenten. Substanz/ Substanzgruppe
Wechselwirkung mit
Effekt
NSAR
ACE-Hemmern
ACE-Hemmung wird abgeschwächt
Kombination vermeiden
NSAR
Ciclosporin Tacrolimus
nephrotoxische Effekte werden verstärkt
Kombination vermeiden oder Nierenfunktion gut überwachen
NSAR
SSRI, Kortikosteroide, Antikoagulanzien
Verstärkung der Blutungsnei- Kombination vermeiden gung, e. g. gastrointestinal
NSAR
Methotrexat, Lithium
Renale Elimination wird vermindert, dadurch Wirkungsverstärkung
Kombination vermeiden
NSAR
Fluconazol
renale Elimination wird vermindert, dadurch Risiko toxischer Spiegel erhöht
Kombination vermeiden oder Dosisreduktion
Dynastat
CYP2C19-Substrate (z. B. Phenytoin, Diazepam oder Imipramin)
Konzentration der CYP2C19 Substrate steigt
Vorsichtig kombinieren
Metamizol
Methotrexat
Hämatotoxizität von Methotrexat kann verstärkt werden
Hinweis in Fachinformation; keine absolute KI.
Metamizol
Zytostatika
Ggf. erhöhte Gefahr der Knochenmarkfunktion?
Kombination laut Fachinformation kontraindiziert
Paracetamol
Warfarin (Coumadin); ggf. alle Vit-K-Antagonisten
Kombination vermeiden Wirkverstärkung des Warfarins mit deutlich erhöhtem Blutungsrisiko
Paracetamol
5-HT3-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Omeprazol)
Ggf. Wirkabschwächung von Paracetamol
Kombination vermeiden
4.2.2 Opioide Opioide stellen das Mittel der Wahl zur Therapie mittelstarker bis starker postoperativer Schmerzen dar. Sie sind effektiv und haben so gut wie keine organspezifischen Nebenwirkungen (Herz, Niere, Leber). Man unterscheidet pharmakologisch vier Wirkstoffklassen, die Phenanthrene, Phenylpiperidine, Benzomorphane und Phenylheptamine. Morphin, das aus dem Schlafmohn gewonnen wird, ist ein natürlich vor-
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 59
kommendes (nicht synthetisches) Opiat und gehört zur Gruppe der Phenanthren-µ -Agonisten. Fentanyl und seine Derivate Sufentanil, Alfentanil und Remifentanil gehören alle zur Phenylpiperidin-Klasse und werden auch als „synthetische Opioide“ bezeichnet. Propoxyphen und Methadon gehören zu den Diphenylheptanen und Pentazocin (ein gemischter Agonist-Antagonist mit ausgeprägter dysphorischer Wirkung) ist das einzige Benzomorphan. Opioide binden an Opioidrezeptoren im Gehirn und im Rückenmark (hier insbesondere an der Überleitungsstelle von Nozizeptoren auf nachgeschaltete Rückenmarksneurone im Hinterhorn des Rückenmarkes), an peripheren Nerven und im Magen-Darm-Trakt. Man unterscheidet μ-, κ- und δ-Rezeptoren; auch Rezeptorsubtypen (μ1, μ2 usw.) wurden beschrieben, die entweder von bestimmten Genen codiert werden oder durch einen posttranslationalen Proteinmodifikationsprozess entstehen. Die meisten Opioide sind µ-Rezeptoragonisten, jedoch mit unterschiedlichen Affinitäten zu diesem und dadurch unterschiedlicher intrinsischer Aktivität. Welche Effekte (Wirkung und Nebenwirkungen) über welchen Rezeptor hervorgerufen werden ist im Einzelnen bis heute nicht eindeutig geklärt; dass der analgetische Effekt jedoch vor allem µ-Rezeptor-vermittelt abläuft ist eindeutig und Reaktionen an diesen Subtypen sind am weitestgehendsten untersucht. Opioidrezeptoren sind strukturell typische G-Protein gekoppelte Rezeptoren mit 7 hydrophoben Regionen in der Zellmembran und 3 extrazellulären und drei intrazellulären Anteilen. Alle Opioidrezeptortypen sind intrazellulär an inhibitorische Gi/oProteinen gekoppelt. Bei Aktivierung eines µ-Rezeptors kommt es zu einer nachfolgenden Aktivierung und Konformationsänderung der transmembranen G-Proteine; hierdurch werden intrazelluläre Prozesse ausgelöst wie z. B. die Öffnung von Kaliumkanälen, Hemmung der Adenylatcyclase, Hemmung von Kalziumkanälen, Aktivierung intrazellulärer Second-Messenger-Systeme (z. B. MAPK) und Proteinphosphorylisierungen. Dies führt u. a. zur Inhibition, verminderter Neurotransmitterausschüttung und zu einer Verringerung der neuronalen Erregbarkeit. Die analgetische Wirkung wird bei systemischer Gabe von Opioiden auf Rückenmarksebene durch Hemmung der synaptischen Übertragung von Nozizeptoren auf die spinothalamischen Neurone und supraspinal durch Hemmung neuronaler Aktivität im Thalamus und Kortex und eine Aktivierung absteigender Bahnen ausgelöst. Bestimmte Agonisten können am µ-Rezeptor auch eine Internalisierung des Rezeptors auslösen, der dann zu einem Recyceln des Rezeptors mit erneuter Expression an der Zellmembran oder aber auch zum Abbau in Lysosomen und Reduktion der Rezeptorexpression führt. Auch noch wichtig zum Verständnis der Opioidwirkungen bzw. einer veränderten Opioidwirkung, z. B. bei chronischer Opioideinnahme, ist eine Desensitisierung von Opioidrezeptoren durch Phosphorilierungsprozesse am Rezeptor. Diese ist beta-Arrestin-vermittelt und führt zu einer Behinderung der G-Protein-vermittelten agonistischen Induktion der hemmenden Signalwege [36]. Dies kann nachfolgende Opioid-Wirkungen eines Agonisten am selben Rezeptor z. T. sehr ausgeprägt abschwächen. Dabei scheinen einige synthetische Opioide eine schnel-
60 4 Systemische Schmerztherapie
lere Desensibilisierung der Rezeptoren herbeizuführen als z. B. Morphin [37]. Diese Mechanismen können somit zu einem verminderten Effekt von Opioiden bei Patienten mit Opioiddauertherapie beitragen, aber ggf. sogar schon bei kurzer und hoher Opioidgabe zu einer Wirkabschwächung führen. Auch eine Aktivierung pronozizeptiver Vorgänge bei längerer Gabe von Opioiden ist nachgewiesen; hierzu gehört die Freisetzung von Dynorphin oder Sensitisierung von NMDA-Rezeptoren. Hier setzen schon heute mögliche Therapiemaßnahmen wie die Gabe von perioperativem Ketamin (als NMDA Rezeptorantagonist) oder Dexmedetomidin (als alpha2 Agonist) an, die perioperativ z. B. bei Patienten mit Langzeitopioideinnahme den zusätzlichen Opioidverbrauch reduzieren kann (siehe weiter unten, Adjuvantien). Einige Opioide haben neben ihrem Effekt am µ-Rezeptor auch weitere Wirkmechanismen, die zur Schmerzhemmung beitragen. Neben der µ-agonistischen Aktivität hemmt Tramadol z. B. die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin aus dem synaptischen Spalt (sog. Noradrenalin-Serotonin Reuptake-Inhibitor, NSRI) und Tapentadol hemmt die Wiederaufnahme von Noradrenalin (sog. Noradrenalin Reuptake-Inhibitor, NRI). Dies führt in Studien, trotz einer niedrigeren Affinität zum µ-Rezeptor (ca. 50 mal geringer als Morphin beim Tapentadol) zu einer guten Analgesie, insbesondere auch dann, wenn neuropathische Schmerzmechanismen und -symptome eine Rolle spielen. Bei Opioiden unterscheidet man zwei wichtige Eigenschaften. Zum einen die Affinität zum Rezeptor; eine hohe Affinität eines Opioids bedeutet, dass mehr Rezeptoren besetzt werden als bei geringer Affinität eines Opioids (unabhängig von der Wirkung am Rezeptor). Die andere wichtige Eigenschaft ist die Wirksamkeit am Rezeptor, um einen agonistischen Effekt auszulösen; dies nennt man intrinsische Aktivität (IA); je mehr IA, desto besser die Wirkung eines Opioids am Rezeptor selber. Merke: Die meisten gängigen Opioide haben eine niedrige Affinität und eine hohe Intrinsische Aktivität am µ-Rezeptor (Beispiele: Morphin, Piritramid, Hydromorphon, Oxycodon).
Die partiellen Antagonisten haben dagegen eine sehr hohe Affinität am µ-Rezeptor, dagegen aber nur eine geringe IA am µ-Rezeptor (Beispiel: Buprenorphin und Nalbuphin). Zusammen mit Morphin verabreicht verdrängen sie das Morphin aus der Bindung am µ-Rezeptor und „antagonisieren“ Morphin (oder einen anderen Agonisten) durch eine schwache intrinsische Effektivität. Allerding ist ein solcher Effekt und auch die bei Buprenorphin beschrieben Abschwächung der Effektivität erst bei einer hohen Dosierung erreicht (variabel; ca. 4 mg Tagesdosis). Diese Dosis wird in der postoperativen Schmerztherapie bei opioidnaiven Patienten so gut wie nie erreicht. Ein reiner Antagonist hat keine intrinsische Aktivität; er blockiert die G-ProteinAktivierung eines Agonisten und verhindert damit die nachfolgenden Effekte (z. B. Naloxon).
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 61
Die meisten Opioide werden durch Glucuronidierung oder durch das P450 (CYP)-System metabolisiert und Varianten in diesem Enzymsystem, die nicht selten sind, können zu veränderter Metabolisierung und damit zu individuellen Unterschieden in Wirkung und Nebenwirkungen von Opioiden führen. Da einige Opioide auch (aktive) Metabolite haben, kann diese Variation sehr vielschichtig sein, und betrifft im Übrigen auch Interaktionen mit Substanzen die die Aktivität dieser Enzyme verändern. Der Metabolismus von mehr als 90 % der klinisch wichtigsten Medikamente kann durch 7 CYP-Isozyme (3A4, 3A5, 1A2, 2C9, 2C19, 2D6 und 2E1) erklärt werden. CYP1A2, CYP2C8 und CYP2C9 machen ungefähr 10 % der Enzyme aus, CYP2D6 und CYP2E1 jeweils ungefähr 5 % und CYP2C19 ungefähr 1 %. CYP2D6 fehlt in einigen Populationen vollständig; so haben z. B. 6–10 % der Kaukasier einen CYP2D6-Mangel, der zu einer fehlenden oder zumindest abgeschwächten Wirkung von Tramal führt. Andere Patienten haben einen hohen Anteil dieses Enzyms, was zu einem raschen Metabolismus der Arzneimittel führt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass der Polymorphismus im menschlichen OPRM1-Gen, das für den MOP-Rezeptor (µ Opioid Peptide) kodiert, ebenfalls zu der großen Variation der Opioidwirkung beitragen könnte. Bei eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion sollte die Opioiddosierung vor allem entsprechend der klinischen Wirkung (start low – go slow) titriert werden. Merke: Bei starken Einschränkungen der Nierenfunktion (Kreatinin > 3 mg%, Harnstoff > 100 mg%) sind Buprenorphin, Fentanyl oder Hydromorphon zu bevorzugen, bei Einschränkungen der Leberfunktion (Bilirubin > 3 mg%) und -Synthese (Quick < 40 %) sind Fentanyl oder Hydromorphon zu bevorzugen (LONTS-Leitlinie 2019 [23]).
In der LONTS–Leitlinie (Langzeittherapie mit Opioiden für nicht-tumorbedingten Schmerz) wird zusammenfassend formuliert, dass sich keine eindeutigen Vorteile von bestimmten Opioiden bei eingeschränkter Organfunktion herleiten und diese Empfehlungen vor allem auf theoretischen pharmakokinetischen Überlegungen beruhen [23]. In der klinischen Praxis zeigt sich, dass auch mit Morphin bei eingeschränkter Nierenfunktion eine wirksame und verträgliche Therapie durchgeführt werden kann, wenn niedrig-dosiert begonnen und nur langsam die Dosis gesteigert wird. Ein sehr gutes Onlinetool für eine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz findet sich unter http://dosing.de/ Opioide zur postoperativen Schmerztherapie: einzelne Substanzen Opioide werden oft in schwache und starke Opioide eingeteilt. Schwache Opioide haben in der Regel eine deutlich geringe intrinsische Aktivität und zeigen eine Ceiling Effekt, so dass bei Steigerung der Dosis ab einer gewissen Grenze die Wirkung nicht weiter steigt; außerdem sollen sie ein geringeres Abhängigkeitspotenzial entfalten und sind deshalb auch (bis auf das unretardierte Tilidin mit Naloxon) nicht BtM-
62 4 Systemische Schmerztherapie
pflichtig. Der Überbegriff schwacher Opioide impliziert, dass sie bei geringen Schmerzen ggf. von Vorteil sind. Nebenwirkungen scheinen aber nicht wirklich geringer zu sein und Interaktionen sind häufig; Tramadol hat zusätzlich zu Opioid-typischen auch serotoninerge Nebenwirkungen. Tramadol (und auch Codein, das aber in Deutschland so gut wie nicht zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt wird) sind Prodrugs, die durch Cytochrom-(CYP-)Enzyme metabolisiert werden, deren Aktivität individuell sehr unterschiedlich ist. Arzneimittel-Interaktionen werden begünstigt. Tramadol zeigt unerwünschte zentrale serotonerge Effekte und alle schwachen Opioide haben, so wissen wir heute, auch ein Missbrauchspotential. Deshalb – und auch weil mittlerweile Präparate starker Opioide in niedrigen Dosierungen sowohl in der unretardierten als auch retardierten Form verfügbar sind – können auch bei mittelstarken Schmerzen, wenn Opioide zum Einsatz kommen sollen, starke Opioide verwendet werden. In Deutschland werden postoperativ vor allem Piritramid, Morphin, Oxycodon und Hydromorphon (und vermehrt auch Buprenorphin) eingesetzt. Alle diese Opioide gehören zu den starken Opioiden und sind damit – wenn sie in äquianalgetischen Dosierungen angewendet werden – gleich gut (äquianalgetischen Dosierungen, siehe Tab. 4.5, häufig benutzte Opioide zur postoperativen Schmerztherapie, Tab. 4.6) und dosisabhängig wirksam. Allerdings weist jede Substanz einige Besonderheiten
Tab. 4.5: Äquivalenzdosierungen der verschiedenen starken Opioide (kann individuell unterschiedlich sein). Morphin i. v.
10 mg
30 mg
60 mg
Oxycodon i. v.
7,5 mg
22,5 mg
45 mg
Hydromorphon i. v.
2 mg
6 mg
12 mg
Piritramid i. v.
15 mg
45 mg
90 mg
Sufentanil i. v.
7,5 µg
22,5 µg
45 µg
Buprenorphin i. v.
0,3 mg
0,9 mg
1,8 mg
Methadon s. c.
5 mg
15 mg
30 mg
Morphin p. o.
30 mg
90 mg
180 mg
Oxycodon p. o.
15 mg
45 mg
90 mg
Hydromorphon p. o.
4 mg
12 mg
24 mg
Buprenorphin s. l.
0,4 mg
1,2 mg
2,4 mg
Tapentadol p. o.
50 mg
150 mg
300 mg
Tramadol p. o.
300 mg
–
–
Methadon p. o.
10 mg
30 mg
40 mg
Fentanyl TTS*
12,5 µg/h
37,5 µg/h
75 µg/h
Buprenorphin TTS*
17,5 µg/h
52,5 µg/h
105 µg/h
i. v. = intravenös; p. o. = oral; s. l. = sublingual, *TTS = Transdermales Therapeutisches System
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 63
auf und hat z. T. leichte Unterschiede in der Ausprägung von Nebenwirkungen, die auch individuell von Patient zu Patient extrem schwanken können. Tramadol ist ein niedrig-potenter Opioid-Rezeptoragonist und hemmt darüber hinaus die Wiederaufnahme von Noradrenalin und Serotonin im ZNS. Es steht als Tab. 4.6: Gebräuchliche Opioidanalgetika zur oralen Applikation postoperativ: Dosierungen (Erwachsene), Wirkdauer und Besonderheiten. IR = immediate release (nicht retardiert). Retard: retardierte Formulierung. Äquivalenzdosis
Besonderheiten
300 mg
maximale Dosierung 400– 600 mg
300 mg
100 mg Tilidin ist 8 mg Naloxon zugesetzt.
30 mg
IR Tbl. kann gemörsert werden, in Wasser auflösen und Gabe via Sonde ab 8 CH Retard Tbl. nicht teilen, nicht mörsern, nicht zerkauen MST Granulat kann in Wasser aufgelöst (max. 20 Minuten stabil) und via Sonde ab 8 CH verabreicht werden
6–8 h
0,4 mg
sublinguale Gabe
5–10 mg
4–6 h
15 mg
p. o. retard
10 mg
8–12 h
Targin 10/5 enthält 10 mg Oxycodon und 5 mg Naloxon Tbl. nicht teilen, nicht mörsern, nicht zerkauen
p. o. IR
1,2 mg
4–6 h
4 mg
p. o. retard
4 mg
8–12 h (Jurnista 24 h)
Retardierte Kapsel kann geöffnet werden; Pellets unzerkleinert mit Nahrung via Sonde (ab 15 CH) IR-Tbl. kann gemörsert werden, in Wasser auflösen, via Sonde (ab 8 CH)
p. o.
5 mg
4–12 (verlängert sich bei Dauertherapie)
10 mg
Schwierig einzudosieren, sollte Experten vorbehalten sein
Applikationsform
Einzeldosierungen
IR
50–100 mg 2–4 h
retard
100 mg
Tilidin/ Naloxon
p. o. IR
50–100 mg 2 – 3 h
p. o. retard
100 mg
12 h
Morphin
p. o. IR
10 mg
3–4 h
p. o. retard
10 mg
8–12 h
MorphinGranulat (retardiert)
10 mg
8–12 h
Buprenorphin
s. l.
0,2– 0,4 mg
Oxycodon
p. o. IR
Tramadol
Hydromorphon
Levomethadon
Wirkdauer
12 h
64 4 Systemische Schmerztherapie
Racemat (1:1-Gemisch der [1 R,2 R]-Form und der [1 S,2 S]-Form) zur Verfügung und hat eine relativ hohe orale Bioverfügbarkeit von 60–75 %. Tramadol wird in der Leber über das Cytochrom-P450- Enzymsystem (CYP3A4 und CYP2D6) metabolisiert und es entsteht unter anderem der aktive Metabolit M1 (+)O-Desmethyl-Tramadol, aber auch weitere Metabolite (mindestens 11). Deshalb muss es bei Leberinsuffizienz vorsichtig eingesetzt und die Dosis reduziert werden. Sogenannte „Poor Metabolizer“ (PM, ca. 10 % der Kaukasier) mit zwei nicht funktionellen Allelen des CYP450 2D6 weisen keine Enzymaktivität auf und können Tramadol nicht in seinen aktiven M1Metaboliten umwandeln. Ultraschnelle Metabolisierer haben vermehrt Nebenwirkungen. CYP3A4-Induktoren und Inhibitoren (siehe Tab. 4.7) können eine Abschwächung oder Verstärkung der analgetischen Wirkung hervorrufen [38]. Tramadol kann Krampfanfälle auslösen und das krampfauslösende Potenzial von selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren, trizyklischen Antidepressiva, Neuroleptika und anderen, die Krampfschwelle herabsetzenden Arzneimitteln erhöhen und sollte bei einer Epilepsie, insbesondere wenn diese nicht ausreichend kontrolliert werden kann, nicht eingesetzt werden. Ca. 30 % einer Tramadoldosis werden unverändert renal ausgeschieden. Bei Niereninsuffizienz muss Tramadol vorsichtig eingesetzt und die DoTab. 4.7: Leberenzymabhängige Arzneimittelinteraktionen mit Opioiden. CYP3A4Inhibitoren
CYP3A4Induktoren
CYP2D6Inhibitoren
Grapefruchtsaft Amiodaron Boceprevir Cimetidin Ciprofloxacin Clarithromycin Diltiazem Dronedaron Erythromycin Fluconazol Fluvoxamin Fosamprenavir Indinavir Isoniazid Itraconazol Levomepromazin Nelfinavir Posaconazol Ritonavir Saquinavir Telaprevir Verapamil Voriconazol
Bosentan Carbamazepin Efavirenz Johanniskraut Phenobarbital Phenytoin Primidon Oxcarbazepin Rifampicin
Amiodaron Bupropion Celecoxib Chinidin, Darifenacin Dimenhydrinat Duloxetin Fluoxetin Levomepromazin Melperon Methadon Metoclopramid Moclobemid Paroxetin Perphenazin Promethazin Propafenon Propranolol Ritonavir Sertralin > 150 mg/d Terbinafin
weitere besondere Wechselwirkungen
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 65
Tab. 4.7: (fortgesetzt) CYP3A4Inhibitoren
CYP3A4Induktoren
CYP2D6Inhibitoren
weitere besondere Wechselwirkungen
Oxycodon
Clearance sinkt (Dosis muss ggf. reduziert werden)
Clearance steigt (Dosis muss ggf. erhöht werden)
Clearance sinkt (Dosis muss ggf. reduziert werden)
Selten: bei gleichzeitiger Anwendung von Oxycodon und Antikoagulantien auf Cumarin-Basis kommt es (selten) zur Abnahme oder Zunahme der International Normalised Ratio (INR)
Tilidin
Clearance sinkt (Dosis muss ggf. reduziert werden)
Clearance steigt (Dosis muss ggf. erhöht werden)
Tramadol
Plasmaspiegel von Tramadol steigen und die des wirksamen Metaboliten ODesmethyltramadol sinken (Analgesie vermindert, ggf. NW erhöht)
Fentanyl
Clearance sinkt (Dosis muss ggf. reduziert werden)
Clearance steigt (Dosis muss ggf. erhöht werden)
Buprenorphin
Clearance sinkt (Dosis muss ggf. reduziert werden)
Clearance steigt (Dosis muss ggf. erhöht werden)
Hydromorphon
UGT1A3, CYP2B7
Morphin
UGT2B7
Tapentadol
sis reduziert werden. Die orale Bioverfügbarkeit von Tramadol ist relativ hoch; weitere pharmakokinetische Charakteristiken siehe Tab. 4.8. Tramadol soll, relativ gesehen, weniger Obstipation, aber mehr Übelkeit und Erbrechen, Schwindel, Schwitzen und trockene Mundschleimhäute auslösen als andere Opioide (z. B. Morphin).
66 4 Systemische Schmerztherapie
Tab. 4.8: Pharmakodynamische Wirkung von Opioiden im Vergleich. Orale Opioide
Bioverfügbarkeit
tmax [h]
Eliminations-HWZ [h]
Wirkdauer [h]
Morphin
20–40 %
2 (–3 retard)
1,7–4,5
4 8–12 (retardiert)
Hydromorphon
24–36 %
3 2–5 (retard)
1,7–3,9
4–5 8–12 (retard) 18–24 (Jurnista)
Oxycodon
42–87 %,
1–1,5 3 (retard)
4–6
4
a
Tapentadol
32 %
1,25 3–6
5
k. A.
Nortilidin
100 %
0,86–1,5 4,7 (retard)
3–5 5,5 (retard)
4–6 8–12 (retard)
Tramadol
60–75 %
1,5
4
4–6
a
Resorption zweiphasig mit einer initial relativ kurzen Halbwertszeit von 0,6 Stunden für den kleineren Teil der Wirkstoffmenge. Die zweite Resorptionsphase verläuft langsamer und dauert etwa 6,9 Stunden. Oxycodon wird in Darm und Leber über das P450-Cytochromsystem zu Noroxycodon, Oxymorphon und verschiedenen Glucuronidkonjugaten verstoffwechselt. Hydromorphon wird in der Leber metabolisiert und renal überwiegend als konjugiertes Hydromorphon, Dihydroisomorphin und Dihydromorphin eliminiert.
Tillidin ist in Deutschland nur in Kombination mit Naloxon verfügbar. Tilidin wirkt am µ-Rezeptor, bzw. das Racemat (1:1-Mischung) aus den Enantiomeren der (1 R,2 S)-Form und der (1 S,2 R)-Form, hat eine sehr geringe orale Bioverfügbarkeit (6 %); es wird in der Leber durch CYP zu Nortilidin (aktiver Metabolit) metabolisiert und sollte deshalb ebenfalls nicht bei schwerer Leberinsuffizienz eingesetzt werden. Bei Niereninsuffizient hat es eine verminderte Clearance mit etwas verlängerter HWZ. Das in einer fixen Kombination (50 (Tilidin) : 4 (Naloxon)) beigesetzte Naloxon (reiner Antagonist) soll das Missbrauchspotenzial vermindern und verhindern, dass es intravenös missbraucht wird. Es wird nach oraler Resorption in der Leber verstoffwechselt, bei hohen oralen Tillidin-Dosierungen können jedoch ggf. auch Anteile in den Blutkreislauf gelangen. Die analgetische Wirksamkeit wird bis zu einer Dosis von ca. 600 mg nicht beeinträchtigt. Auf Grund erhöhten Abhängigkeitspotentials der unretardierten Form sind die Tropfen heute BtM-pflichtig. Piritramid ist ein BtM-pflichtiges starkes Opioid, das nur i. v. zur Verfügung steht und dies auch nur in deutschsprachigen Ländern. Daten zur Dosis-WirkungsBeziehung sowie zur Rezeptorpharmakologie von Piritramid sind rar; es wird vermutet, dass Piritramid wie Morphin auch an µ-Rezeptoren wirkt und dort ähnliche
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 67
Effekte ausübt. Piritramid weist mit 94,5 % eine wesentlich höhere Plasmaproteinbindung auf als die meisten anderen Opioide. Auf Grund eines hohen Verteilungsvolumens und einer langsamen Rückverteilung (abhängig vom Gewicht/Fettgewebe) ergibt sich eine relativ lange terminale HWZ von 6–10 Stunden. Ähnlich problematisch kann eine kontinuierliche Infusion sein; je länger die Infusion, desto mehr steigt die Eliminationshalbwertszeit an. Es kann deshalb bei zu schneller Nachinjektion oder zu langer Infusionsdauer zur Akkumulation mit dem Risiko von Nebenwirkungen kommen. Obwohl Piritramid deutlich schlechter untersucht und dadurch die Wirkungen und pharmakokinetischen Eigenschaften deutlich weniger bekannt sind als bei Morphin und Hydromorphon, weisen die wenigen Studien darauf hin, dass aktive Metabolite von Piritramid nicht relevant zu sein scheinen und die Ausscheidung über die Niere minimal ist, so dass Piritramid i. v. bei Niereninsuffizienz relativ sicher zu sein scheint [39]. Interessant ist immer noch die weit verbreitete Meinung, dass Piritramid weniger Übelkeit und Erbrechen hervorruft als Morphin; dieser Mythos konnte jedoch in neueren Studien ausgeräumt werden. Gegenüber Oxycodon zeigen neuere Studien sogar eine erhöhte Inzidenz [40]. Es soll auch etwas weniger Juckreiz durch geringere Histaminfreisetzung auslösen. Wenn es mit bestimmten Substanzen wie Cephalosporinene zusammen infundiert wird, kann es ausfallen [39]. Trotz allem hat sich in Deutschland Piritramid als wichtiges Opioid in der postoperativen Schmerztherapie durchgesetzt und wird sowohl im Aufwachraum (z. B. in sukzessiven Boli von 3,75 mg, CAVE: Nachinjektionszeit beachten, siehe oben) als auch in der PCIA (siehe Tab. 4.9) eingesetzt. Da es relativ teuer ist (Herstellungskosten sind hoch) und wenig Vorteile gegenüber Morphin (preiswerter) und sogar dem ähnlich teuren Oxycodon i. v. unterlegen zu sein scheint, kann man den weiterhin ungebrochenen Einsatz von Piritramid nur auf die „Altbewährtheit“ der Substanz zurückführen. Morphin ist das Opioid mit der besten Datenlage und liegt in fast allen möglichen Verabreichungsformen (außer als Schmerzpflaster, da sehr hydrophil) vor. Es ist bei Kindern ab dem 6. Lebensmonat zugelassen und wird als Referenzsubstanz bezüglich relativer Wirksamkeit aller Opioide genutzt (siehe Tab. 4.5). Relativ „ungünstig“ sind die schlechte Bioverfügbarkeit von Morphin (20–30 %) nach oraler Gabe (Achtung: Verhältnis der notwendigen Dosis von i. v. zu oraler ist 1:3, der meisten anderen Opioide 1:2) und die Metabolisierung in der Leber mit Bildung aktiver Metabolite. Morphin wird in der Leber durch die Glucuronyltransferase UGT2B7 in Morphin-3-Glucuronid (M3G) und in Morphin-6-Glucuronid (M6G) metabolisiert, bevor diese dann über die Niere ausgeschieden werden. M6G ist ein potenter μ-RezeptorAgonist, während M3G pharmakologisch inaktiv ist bzw. möglicherweise Nebenwirkungen erzeugt. Sowohl eine Leberinsuffizienz (fehlender „Abbau“ bzw. „Umwandlung“ in Metabolite) als auch eine Niereninsuffizienz (Akkumulation von Metaboliten) kann zu veränderter Wirkung und Nebenwirkungen führen. Die max. Wirkung
68 4 Systemische Schmerztherapie
Tab. 4.9: Intravenöse Dosierungen verschiedener Opioide bei Erwachsenen.
Einzeldosierung bei Gabe im AWR (ggf. Wdh. nach 10–20 Minuten)
Morphin
Piritramid
Oxycodon (inject)
Hydromorphon
2,5 mg
3,75 mg
1,5 mg
0,3–0,5 mg
Kontinuierliche Gabe (z. B. Analgesie auf Intensivstation) Beispiel für Perfusorfüllung mit nahezu äquianalgetischen Dosierungen
30 mg in 45 ml 45 mg in NaCl 0,9 % 45 ml NaCl 0,9 %
6 mg in 45 ml NaCl 0,9 %
mg/ml
0,6 mg
0,133
Infusionsrate
mit 2 ml/h beginnen, nach Wirkung dosieren
1 mg
PCIA Beispiele für Befüllung einer 100 ml Kassette (Konzentration)**
200 mg/100 ml 200 mg/100 ml 100 mg/100 ml
20 mg/100 ml
Bolusmenge bei entsprechender Pumpenbefüllung
Mit 1 ml beginnen, nach Wirkung dosieren
mg/Bolus
2 mg
2 mg
1 mg
0,2 mg
Sperrzeit*
5–15 min (10 min)
10–15 min (10 min)
5–15 min (10 min)
5–10 min (10 min)
Dosislimit/ 1 Stunden
8 mg
10 mg
4 mg
1 mg
Dosislimit 4 Stunden
30
30–40
15 mg
4 mg
* in Klammern der Vorschlag der Autoren aus Erfahrungswerten, ** Bei Verwendung verschiedener Opioide in einer Klinik bietet sich eine Befüllung an, die eine annähernd äquianalgetische Konzentration der Lösung erreicht, so dass die initiale Boluseinstellung komplett identisch ist. Das Dosislimit muss allerdings angepasst werden, siehe Tabelle.
nach i. v.-Gabe wird relativ spät, nämlich erst nach 15–30 min, erreicht (Cave: Überdosierung bei zu häufigem/schnellem Nachinjizieren). Hydromorphon ist ebenfalls ein reiner µ-Rezeptor Agonist. Es besitzt eine orale Bioverfügbarkeit von etwa 32 Prozent und wird in der Leber metabolisiert und renal überwiegend als konjugiertes Hydromorphon, Dihydroisomorphin und Dihydromorphin eliminiert. Aktive Metabolite sind aber nicht bekannt. Bei notwendigem Einsatz eines Opioids mit Metabolisierung zu vor allem inaktiven Produkten (wie Hydromorphon) und damit geringer veränderter Wirkung bei Niereninsuffizienz bietet sich deshalb Hydromorphon als Opioid besonders an. Daten hierzu liegen aber nur vereinzelt
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 69
vor und Dosisreduktionen müssen erwogen werden. Bei Hämofiltration steigt die Plasma-HWZ von Hydromorphon im Blut, bei Hämodialyse eher nicht. Hydromorphon ist vor allem in Form von retardierten und unretardierten Hartkapseln, so wie Injektions- und Infusionslösungen verfügbar (Tab. 4.6). Die retardierten Kapseln enthalten Pellets, die nach Öffnung der Kapsel weiterhin eine retardierte Formulierung aufweisen; eine Gabe über eine Magen- oder PEG Sonde ist deshalb möglich, ohne dass der retardierte Mechanismus verloren geht. Merke: Der Wirkbeginn nach Gabe der retardierten Form von Hydromorphon wird häufig erst verzögert, nämlich nach ca. 2 h erreicht. Deshalb muss gerade postoperativ frühzeitig mit einer retardierten Hydromorphontherapie begonnen werden oder der akute Schmerz durch eine nicht-retardierte Form von Hydromorphon anfangs ergänzt werden.
Oxycodon ist ein μ-Opioid-Rezeptor spezifischer Ligand mit klaren agonistischen Eigenschaften; agonistische Effekte am κ-Rezeptor und δ-Rezeptor sind ebenfalls beschrieben. Die μ-Opioidrezeptorbindungsaffinität von Oxycodon ist geringer als die von Morphin; allerdings hat einer der Metabolite, Oxymorphon, ebenfalls eine agonistische Wirkung mit sogar einer höheren Rezeptoraffinität, die zum Gesamteffekt von Oxycodon beiträgt. Oxymorphon wird auch in weitere (allerdings inaktive) Metabolite (Noroxycodon, Noroxymorphon) durch das Cytochrom-P450-System verstoffwechselt (CYP 2D6) und über die Niere ausgeschieden. Bei Patienten mit beeinträchtigter Nieren- oder Leberfunktion ist bei der Anwendung von Oxycodon Vorsicht geboten. Die Wirkstärke beträgt ungefähr 2:1 im Vergleich zu Morphin. Nach oraler Gabe beträgt die absolute Bioverfügbarkeit von Oxycodon 60–87 %; die maximale Plasmakonzentration wird bei der nicht-retardierten Formulierung nach etwa 1 bis 1,5 Stunden erreicht (siehe Tab. 4.6). Interessant ist die duale Kinetik der retardierten Formulierungen; hier hat Oxycodon einen schnellfreisetzenden Anteil von 30 %, der Rest wird retardiert freigesetzt. Im Direktvergleich war die Gesamtwirkung von Oxycodon etwa 1,8-fach stärker als nach Morphin (in äquianalgetischen Dosierungen, z. B. 20 versus 45 mg) und 2,2-fach wirksamer für den Spitzeneffekt [41]. Die leere Matrix der Retardtabletten wird unter Umständen sichtbar mit dem Stuhl ausgeschieden. Oxycodon ist neben der Tablettenform auch als Injektionslösung erhältlich; hier scheint eine relativ geringere Nebenwirkungsrate (Übelkeit/Erbrechen) das Oxycodon gegenüber dem Morphin zu favorisieren, wobei Studien hierzu uneinheitlich sind [42]. Außerdem gibt es ein orales (retardiertes) Kombinationspräparat, in dem zusätzlich der Opioid-Antagonist Naloxon (in fixer Kombination 2:1) enthalten ist. Die Wirkstoffkombination Oxycodon/Naloxon soll der Opioid-induzierten Darmträgheit entgegenwirken, dies wird durch Naloxon erreicht, dass im GI Trakt wirkt, dort den µ-agonistischen Effekten von Oxycodon entgegenwirkt, dann aber zu 97 % über den First-Pass-Effekt der Leber verstoffwechselt wird. Systemische Wirkungen des Naloxons (und damit einer antagonistischen Wirkung an zentralen µ-Rezeptoren) fin-
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det deshalb so gut wie nicht statt (Cave: Leberinsuffizienz). Bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Leberfunktionsstörung ist die Kombination deshalb kontraindiziert. Buprenorphin nimmt als partieller Agonist am µ-Rezeptor unter den Opioiden eine Sonderstellung ein; am κ-Rezeptor hat es eine antagonistische Wirkung ohne intrinsische Aktivität. Dies führt zu einem relativen Ceiling-Effekt, der sich aber bis zu einer Dosis von ca. 4 mg nicht auswirkt; allein die Nebenwirkungsrate scheint niedriger zu sein (auch das Risiko einer Atemdepression) im Vergleich zu anderen oralen Opioiden. Buprenorphin wird in Deutschland seltener als die meisten anderen Opioide zur postoperativen Schmerztherapie eingesetzt, was nicht ganz verständlich ist [43]. Nach sublingualer Gabe (oral schlechte Bioverfügbarkeit, Patient muss gezeigt werden wie die Tablette einzunehmen ist) hat Buprenorphin einen relativ raschen Wirkeintritt (20–30 min Wirkeintritt, maximale Wirkung nach 60–120 Minuten), eine 60- bis 100-mal höhere Potenz als Morphin (10 mg orales Morphin entspricht ca. 0,15–0,2 mg sublingualem Buprenorphin) und, durch die langsame Dissoziation vom Rezeptor (hohe Rezeptoraffinität), eine Wirkdauer von 6–8 h Stunden [44]. Weitere Vorteile sind die vergleichsweise geringe Störung der Elimination bei Niereninsuffizienz und ein relativ günstiges Nebenwirkungsprofil; ältere, kachektische oder geschwächte Patienten haben möglicherweise eine reduzierte Clearance; dadurch kann sich die Halbwertszeit von Buprenorphin verlängern [44]. Merke: Durch die notwendige sublinguale Gabe und damit verlässliche Wirksamkeit mit rel. geringem Atemdepressionsrisiko und möglicher Gabe bei Niereninsuffizienz eignet sich Buprenorphin ausgezeichnet für die postoperative Schmerztherapie bei Patienten, die postoperativ noch nicht oralisierbar sind, aber mehrere Tage eine verlässliche Analgesie benötigen.
Die lange (aber nicht retardierte!) Wirkdauer ermöglicht bei starken Schmerzen eine gleichbleibende Analgesie bei dreimaliger Gabe pro Tag (z. B. 3 × 0,2 mg oder 3 × 0,4 mg Buprenorphin). Der kurze Wirkeintritt macht auch eine Gabe zwischen den 3 regelmäßigen Applikationen bei unzureichender Schmerztherapie möglich; hier ist allerdings zu beachten, dass eine 2. Gabe erst frühestens 1 ½ Stunden nach der ersten Gabe erfolgen sollte, wenn der maximale Wirkeffekt der ersten Gabe erreicht und klar ist dass diese nicht ausreicht [43]. Tapentadol wird zu den (mittel)starken Opioiden gezählt und hat neben einer µRezeptor-agonistischen Wirkung zusätzlich einen hemmenden Effekt auf die Noradrenalin-Wiederaufnahme. Tapentadol führt dadurch zur Aktivierung absteigender Hemmung und Verminderung von exzitatorischen Aktivitäten im zentralen Nervensystem; letzteres ist mitverantwortlich für den analgetischen Effekt (Äquivalenzdosierung von Tapentadol zu Morphin ist 1:5, 50 mg Tapentadol entsprechen damit ca. 10 mg Morphin, siehe Tab. 4.5). Durch die dualen Wirkmechanismen von Tapentadol werden auch die unerwünschten Opioid-bedingten Nebenwirkungen vermindert [45].
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 71
In Studien zu postoperativen Schmerzen waren 50 mg Tapentadol äquipotent zu 10 mg Oxycodon mit verminderten Nebenwirkungen wie Nausea. Ein weiterer Vorteil von Tapentadol ist ein hepatischer Abbau unabhängig vom CYP-System (Glukuronidierung). Bei Niereninsuffizienz kann der inaktive Haupt-Metabolit (Tapentadol-OGlukuronid) akkumulieren, was ggf. zu Krampfanfällen führen kann. Insgesamt liegen wenig Erfahrungsberichte mit Tapentadol postoperativ vor, theoretisch eignet es sich aber gut zur postoperativen Schmerztherapie und insbesondere dann, wenn Patienten eine Leberinsuffizienz haben. Nebenwirkungen und Kontraindikationen von Opioiden Auch wenn unerwünschte Nebenwirkungen von Opioiden dosisabhängig sind, ist ihr Auftreten auch schon in analgetisch notwendigen Dosierungen möglich. Gleichzeitig ist das Auftreten von Nebenwirkungen bei jedem Patienten unterschiedlich. Die häufigsten Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen; da diese Nebenwirkungen sehr häufig auftreten und den Patienten maßgeblich in seiner Befindlichkeit stören können, ist schon sehr früh an eine symptomatische Therapie zu denken. Gängige Antiemetika finden sich in Tab. 4.10. Weitere häufige unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Miktionsstörungen und Juckreiz; bei letzterem kann ein Therapieversuch mit 5-HT1-Antagonisten, wie zum Beispiel Ondansetron (8 mg) unternommen werden. Zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel und Sedierung (auch als Vorbote der bedrohlichen Atemdepression) sind nicht selten; vor allem bei älteren Patienten kann dies sowohl einer aktiven Mobilisierung entgegenwirken als auch eine erhöhte Sturzgefahr beinhalten. Dies sollte auch in das Risiko-Nutzen-Abwägen bei der Anwendung von Regionalanalgesieverfahren einbezogen werden; ggf. ist eine Sturzgefahr durch letztere geringer als durch die alternative Opioidtherapie. Weitere Risiken bei Opioideinnahme sind: physische Abhängigkeit und Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung, verringerte kognitive Leistungsfähigkeit, Mundtrockenheit, verstärktes Schwitzen, Kopfschmerz, Obstipation, Tonuserhöhung der Blasenmuskulatur und weitere, eher bei chronischer Opioidtherapie relevanter Symptome (z. B. Einschränkung der emotionalen Schwingungsfähigkeit, Verlust des sexuellen Verlangens, Auswirkungen auf die Hypophysen-Gonaden Achse und auf das Immunsystem). Mögliche negative Auswirkungen auf Fahrfähigkeit sowie komplexe weitere Tätigkeiten sind ebenfalls zu beachten und aufklärungspflichtig, z. B. wenn dem Patienten Opioide auch bei Entlassung aus dem Krankenhaus verschrieben werden (LONTS-Leitlinie 2019 [23]). Kontraindikationen von Opioiden sind in Infobox 4.6 aufgeführt.
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Tab. 4.10: Antiemetika bei Übelkeit hervorgerufen durch Opioide. Wirkstoff
Verabreichung
Tagesdosis
Kontraindikationen
Dexamethason
oral intravenös
4–8 mg 4–8 mg
gastrointestinale Ulzera Infektionen Glaukom schwere Osteoporose Schwangerschaft, Stillzeit
Dimenhydrinat
oral Suppositorium intravenös
3–4 × 50–100 mg 3–4 × 80–150 mg 2–3 × 62–124 mg
Eklampsie Epilepsie Prostataadenom Glaukom Alkoholabusus zerebrovaskuläre Insuffizienz Schwangerschaft (strenge Indikation), Stillzeit
Metoclopramid
oral intravenös
3–4 × 10 mg 2–3 × 10 mg
mechanischer Ileus Neuroleptika Morbus Parkinson Epilepsie prolaktinabhängige Tumore Phäochromozytom Schwangerschaft (strenge Indikation), Stillzeit
Ondansetron
oral intravenös
4–8 mg 4 mg
Allergie Leitungsstörungen des Herzens Antiarrhythmikatherapie schwere Leberfunktionsstörungen Schwangerschaft (strenge Indikation), Stillzeit
Infobox 4.6: Allgemeine Kontraindikationen von Opioiden – Überempfindlichkeit gegenüber der entsprechenden Substanz oder einem der sonstigen Bestandteile – gleichzeitige Gabe von Monoaminoxidase-Hemmern oder wenn diese innerhalb der letzten 14 Tage abgesetzt wurden – Cave bei: Kopfverletzungen auf Grund des Risikos eines erhöhten Hirndrucks – schwere Atemdepression/Koma* (in nicht überwachten Situationen oder bei fehlender Reanimationsausrüstung) – schwere chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (COPD)* (in nicht-überwachten Situationen) – Paralytischer Ileus* * stellen relative Kontraindikationen dar; um eine adäquate Analgesie zu erreichen, sollten erst alle anderen möglichen Maßnahmen ausgeschöpft werden, bevor Opioide (unter adäquater Überwachung) verabreicht werden.
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 73
Patientenkontrollierte Analgesieverfahren (PCA) Die grundsätzliche Idee einer PCA ist die individuelle Titration des Analgetikums (in der Regel des Bedarfs-Opioids) durch den Patienten selbst. Dies soll dem individuell sehr unterschiedlichen Analgetika-Bedarf eines jeden Patienten gerecht werden. Das Prinzip ist nicht neu; es wurde vor vielen Jahrzehnten gegen viele Widerstände eingeführt und hat sich heute mit gutem Erfolg in der postoperativen Schmerztherapie als ein mögliches Verfahren etabliert. Die Verfeinerungen der Techniken haben auch dazu geführt, dass heute zur Steigerung der Mobilität des Patienten sehr kleine und mobile Infusionspumpen zur Verfügung stehen, die in speziellen Taschen von den Patienten über der Schulter getragen werden (oder im Falle von Zalviso, siehe unten, sogar am Bett verbleiben) können. Da viele Patienten mit oralen Analgesiekonzepten (siehe weiter unten) effektiv behandelt werden können, benötigen allerdings nur sehr wenige Patienten heute wirklich noch dieses z. T. aufwendige und an Schmerzpumpen gebundene Verfahren. Gezielt und gut überwacht eigesetzt ist die PCA als intravenöses oder sublinguales System aber immer noch ein exzellentes Verfahren, um bei starken Schmerzen nach Operationen Schmerzen individuell und gut zu therapieren. Patientenkontrollierte intravenöse Analgesie (PCIA) Eine intravenöse PCA ist nach großen Operationen mit zu erwartenden starken Schmerzen ein sinnvolles Therapiekonzept. Typische Indikationen für eine PCIA sind eine Ablehnung des Patienten für oder eine medizinische Kontraindikation gegen einen normalerweise indizierten Periduralkatheter oder eine ausgedehnte Operation mit zu erwartenden sehr starken Schmerzen, bei denen keine Regionalanalgesie eingesetzt werden kann, wie z. B. im Hals-Gesichtsbereich. Regionalanalgesieverfahren führen z. B. bei Operationen an den Extremitäten zu besserer Analgesie als eine PCIA und sind mit deutlich geringeren Nebenwirkungen behaftet (Übelkeit, Erbrechen, Darmmotilitätseinschränkungen). Auch bei Patienten, bei denen mit Therapieverfahren, die normalerweise nach bestimmten Operationen angewendet werden, keine ausreichende Analgesie erreicht wird, kann eine PCIA sinnvoll sein. Nicht indiziert ist eine PCIA bei kleineren Operationen oder dann, wenn eine Regionalanalgesie eingesetzt oder orale Opioide verabreicht werden können und zu einer guten Analgesie führen. Patienten, die das Verfahren nicht verstehen oder bei denen eine Compliance in Frage gestellt wird, dürfen keine PCIA erhalten. Jeder Einsatz einer PCIA erfordert immer die Aufklärung des Patienten über das Verfahren, seine Risiken und die sichere Durchführung sowie eine kontinuierliche Begleitung während der Anwendung der PCIA durch einen Akutschmerzdienst. Eine PCIA kann dann begonnen werden, sobald der Patient wach, ansprechbar, extubiert und orientiert und entsprechend den Anforderungen überwacht ist, in der Regel somit also im Aufwachraum/der perioperativen Überwachungsstation oder auf der Intensivstation. Ein PCIA-Katheter sollte immer mit einem Y-Stück direkt an ei-
74 4 Systemische Schmerztherapie
nen ZVK oder einer peripheren Venenverweilkanüle angeschlossen werden. Dabei darf kein Dreiwegehahn dazwischengeschaltet sein. Eine Infusion mit einem Rückschlagventil sollte grundsätzlich parallel laufen, um die Zufuhr des Opiates (rel. kleine Volumina werden verabreicht) und Überdosierungen durch Medikamentenstau zu vermeiden. Basis der Analgesie sind programmierte Bolusgaben, die durch den Patienten über eine Bolustaste angefordert werden können. In der Regel ist fast jedes Opioid einsetzbar; in Deutschland werden die in Tab. 4.9. aufgeführten Opioide bevorzugt eingesetzt und hiervon besonders häufig Piritramid, gefolgt von Morphin, Oxycodon oder Hydromorphon. Nicht jedes Opioid muss in einer Klinik vorgehalten werden; in der Regel werden pro Klinik ein Standardopioid gewählt und weitere Opioide nur bei besonderen Indikationen eingesetzt. Die erforderliche Höhe der Bolusdosis sollte ebenfalls einem Standard folgen (siehe als Beispiele Angaben in Tab. 4.9); sie wird dann im Verlauf der Anwendung, falls erforderlich, den jeweiligen Bedürfnissen der Patienten (durch Erhöhung/Erniedrigung der Bolusmenge) angepasst. Die Konzentration des Opioids in der Pumpe sollte immer gleichbleiben, um Verwirrungen und Fehlprogrammierungen zu vermeiden. Eine sog. Lock-out-Zeit (Sperrzeit), die ebenfalls in den Pumpensystemen eingestellt wird, verhindert eine erneute Substanzabgabe nach Bolusapplikation innerhalb eines definierten Intervalls. Merke: Die Sperrzeit verhindert nicht prinzipiell jede Überdosierung; sie vermindert aber die Gefahr, dass sich der Patient akzidentell überdosiert, indem er sich einen weiteren Bolus anfordert, bevor die Wirkung des vorhergehenden Bolus wirksam werden konnte.
Eine weitere Möglichkeit, eine Überdosierung zu verhindern, ist die Einstellung von Maximaldosierungen für bestimmte Zeitintervalle (1 und 4 Stunden, siehe Tab. 4.9). Wichtig ist, dass im Rahmen einer PCIA ausschließlich patientenkontrollierte Bolusgaben erfolgen, also keine kontinuierliche Infusion von Opioiden stattfindet. Letzteres ist mit deutlich mehr Risiken behaftet (Sedierung, Atemdepression) und sollte nur bei besonderen Einzelindikationen stattfinden. Der individuelle Bedarf des Patienten wird in der Regel durch die Häufigkeit der Bolusanforderungen abgedeckt. In der Regel ist eine Erhöhung oder Erniedrigung der Bolusdosis von den Standardeinstellungen selten notwendig. Eine Unzufriedenheit des Patienten und/oder unbefriedigende Schmerztherapie sollte zuerst daran denken lassen, dass der Patient das Verfahren nicht verstanden hat, die Opioide Nebenwirkungen wie z. B. Übelkeit hervorrufen und der Patient deswegen Bolusanforderungen vermeidet oder er aus anderen Gründen nicht den Bolusknopf oft genug oder zu oft betätigt. Erst nach erneuter Evaluation ist dann, falls die Einstellung der Pumpe nicht zu einer adäquaten Schmerzreduktion führt, die Basiseinstellung zu erhöhen. Möglich ist auch eine relative Unterdosierung am Morgen oder nach einer längeren Ruhephase des Patienten. Wie auch zu Beginn der PCIA muss hier mögli-
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cherweise ein höherer als der eingestellte Patientenbolus verabreicht werden, um die durch den Schlaf fehlenden Anforderungen durch den Patienten zu kompensieren. Die meisten Pumpensysteme haben hierfür eine „Arztbolusfunktion“, die durch eine Codeeingabe ausgelöst werden kann. Diese sollte aber ebenfalls nur dem 24 Stunden verfügbaren Schmerzdienst bekannt sein, um zu häufiges oder Fehl-Bedienen zu vermeiden. Die häufigsten Komplikationen bei Anwendung einer PCIA entstehen durch Fehlbefüllung (z. B. durch Fehlverdünnung der Lösung oder Verwechslung des Opioids) oder Fehlprogrammierung der PCIA-Pumpe. Deshalb sollten alle mit der PCIA verbundenen Schritte von Anfang an durch geschultes Personal (und idealerweise durch einen Akutschmerzdienst) erfolgen. Die modernen Pumpensysteme erlauben eine Vorprogrammierung der Pumpen, so dass eine Neueinstellung bei jedem neuen Patienten schnell und ohne neue Programmierung erfolgen kann. Zur Kontrolle von Nebenwirkungen, Prophylaxe von Komplikationen und technischen Problemen ist bei Anwendung eines Patienten mit einer PCIA immer die Betreuung durch einen Akutschmerzdienst (oder eine ähnliche Form einer 24 stündigen Versorgungsform) mandatorisch. Die Therapieanpassung und -kontrolle sollte dabei mindestens 2 mal täglich, bei Bedarf aber deutlich öfter, erfolgen und sowohl Wirkung, Nebenwirkungen und Begleitmedikationen sollten dokumentiert werden. Auch die zusätzliche Analgetikagabe sollte bei diesen Patienten durch den Akutschmerzdienst geregelt werden; sedierenden Medikamente und weitere Opioide sollten nicht gleichzeitig verabreicht werden. Allerdings ersetzt auch ein beteiligter Akutschmerzdienst nicht die ebenfalls notwendige Überwachung des Patienten durch das Pflegepersonal auf den Stationen, der den Akutschmerzdienst bei Problemen oder drohenden Komplikationen stets zeitnah informieren muss. Hierzu sollte das Stationspersonal regelmäßig geschult werden. Warnhinweise, die auf eine Überdosierung durch Opioide hinweisen wie z. B. Sedierung oder eine beginnende Atemdepression, gehören genauso dazu wie das Wissen um die Therapie einer solchen. Sublinguales Sufentanil als sublinguales patientenkontrolliertes Analgesieverfahren (Zalviso®) Zalviso® ist ein System, das als patientengesteuertes systemisches Analgesie-Verfahren konzipiert ist [43]. Es ist nur für die stationäre Schmerztherapie zugelassen und durch seine fixe Programmierung und Befüllbarkeit mit einem System zur sublingualen Applikation von Sufentanil-Tabletten geeignet. Zalviso® besteht aus einer Steuereinheit (die eigentliche „Pumpe“, mehrfach verwendbar), einer Medikamentenkartusche mit den Sufentanil – Tablette, die in das System eingesetzt wird (Einmalanwendung mit 40 Tabletten a 15 µg), dem Mundstück und verschiedenen weiteren Komponenten die das Verfahren als PCA möglich machen (Abb. 4.3). Die vom Patienten individuell gesteuerte Abgabe der Sufentanil- (15 µg)-Tablette kann mit einer (ebenfalls fixen) Lock-Out-Zeit von 20 Minuten ausgegeben werden. Ein Daumen-Pflaster,
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(a)
(b)
(c) Abb. 4.3: Das Zalviso System. (a) Das mobile Gerät in der fixierten Halterung. (b) Das mobile Zalviso-Gerät wird mit einem individuellen Patienten-Chip im Pflaster aktiviert. (c) Der Patient legt sich das Zalviso Gerät unter die Zunge, um dort die Sufentanil-Tablette zu positionieren. (Fotos von Daniel Segelcke/Esther Pogatzki-Zahn aufgenommen).
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 77
das der Patient trägt und das dem System individuell zugeordnet ist, steht zur Verfügung. Das Pflaster enthält einen Chip, der mittels der „Authorized Access Card“ registriert und mit der Pumpe, die dem Patienten ausgehändigt wird, „kommuniziert“. Bei Kontakt am Auslöser der Pumpe kann somit nur der Patient, der das kodierte Pflaster hat, auch die entsprechende Pumpe betätigen und auch nur eine Tablette „auswerfen“. Dies macht die patientenkontrollierte Anwendung möglich und soll die Verfügbarkeit des Systems für jeden anderen (Patienten und Personal) ausschließen. Bei jeder erfolgreichen Anforderung erfolgt ein Ton und eine Dosis wird verabreicht [43]. Für die Anwendung ist empfehlenswert, das Pflaster zusätzlich mit einem kleinen Folien-Pflaster zu sichern; falls sich das Pflaster trotzdem löst, kann es durch ein neues, das entsprechend registriert werden muss, ersetzt werden. Das Zalviso-System wird mit einem Sicherungskabel mit dem Pumpenhalter verbunden, das idealerweise am Bett fixiert wird. Sufentanil als Substanz war bisher in Deutschland nicht für die sublinguale Applikation zugelassen und steht, unabhängig von der Anwendung im Rahmen von Zalviso®, zufriedenstellendweiterhin nur intravenös zur Verfügung. Einzelne Tabletten sind nicht verfügbar. Da Sufentanil sehr lipophil ist, wird es sublingual appliziert gut über die orale Mukosa resorbiert. Hohe Spitzenplasmaspiegel wie bei i. v. Gabe treten nicht auf, und die Plasmahalbwertzeit ist verlängert, sodass der Patient deutlich weniger oft einen Bolus anfordern muss [46]. Die Blut-Hirn-Verteilungszeit ist schnell, so dass ein extrem schneller Wirkungseintritt erfolgt. Maximale Plasmakonzentrationen von Sufentanil werden etwa 50 Minuten nach einer sublingualen Einzeldosis erreicht. Günstig bezüglich Sufentanil ist der sehr hohe therapeutische Index im Vergleich zu anderen μ-Opioid Agonisten. Die Metabolisierung erfolgt in nur einen schwach aktiven Metaboliten (Desmethylsufentanil) und damit einher geht eine nur geringe Dosisanpassungsnotwendigkeit bei Niereninsuffizienz [47]. In einer kürzlich in Deutschland durchgeführten Beobachtungsstudie konnte bei Patienten mit akuten postoperativen Schmerzen nach verschiedensten Operationen eine wirksame und von den Patienten mit hoher Akzeptanz und Zufriedenheit bewertete Therapie nachgewiesen werden [48]. Dies bestätigt randomisiert-kontrollierte Studien bei Patienten nach Knie- und Hüftendoprothesen und bei Patientinnen nach abdominellen Operationen [49,50]. Die PCIA und Zalviso zeigten gleichwertig Effekte. Im Mittel verbrauchten die Patienten in den randomisierten Studien nach großen orthopädischen und abdominellen Eingriffen alle 80 Minuten eine neue sublinguale Sufentanil-Tablette [49,50]. Vorteile von Zalviso gegenüber einer PCIA sind z. B. ein Verzicht auf einen notwendigen i. v.-Zugang mit potenziellen Komplikationen (Infektionen, Hämatom etc.). Auch Fehlerquellen bei einer PCIA durch Fehl-Programmierung der Schmerzpumpe oder durch Fehl-Befüllung des Schmerzpumpen-Reservoirs entfallen. Durch Vorprogrammieren ist Zalviso® zudem einfach in der Vorbereitung. Allerdings muss ab und zu das Pflaster gewechselt und die Benutzung dem Patienten häufig mehrmals erklärt werden, da die Anwendung nicht ganz einfach ist.
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Für die Anwendung von Zalviso® ist u. a. von Bedeutung, dass die Sufentanil-Tablette nicht zerdrückt, gekaut oder geschluckt werden darf, da Sufentanil oral eine sehr schlechte Bioverfügbarkeit hat. Die bioadhäsive Formulierung der Nanotablette bleibt aber an der Mukosa haften; die Schleimhaut muss feucht sein die Tablette aus der oben am „Hals“ des Mundstückes befindlichen Öffnung ausgeworfen wird; diese Öffnung muss vom Patienten unter die Zunge gelegt werden und dies ist nicht immer von allen Patienten machbar nach einer Dosisapplikation für 10 Minuten weder gegessen noch getrunken werden sollte bei Bedarf zusätzliche Zalviso® Patronen (eine Patrone enthält 40 Sufentanil-Nanotabletten) verwendet werden können; eine Anwendung bei einem Patienten ist allerdings auf maximal 3 Tage begrenzt aufgrund der begrenzten Anzahl der untersuchten Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion und Leberfunktionsstörungen Zalviso® bei derartigen Patienten nur mit Vorsicht angewendet werden sollte.
Interessanter Weise fällt im klinischen Gebrauch auf, dass Patienten, die initial auf die ersten beiden sublingualen Opioidgaben nicht mit adäquater Schmerzreduktion reagieren, in der Regel auch im Verlauf bei weiterer Anwendung nicht erfolgreich mit Zalviso® zufriedenstellend therapierbar sind (persönliche Erfahrungen). Auch die Handhabung des Gerätes (Entnahme aus dem Pumpenhalter, an den Mund und unter die Zunge führen und mit dem Daumenpflaster den Auslöser bedienen) erfordert nicht nur eine gewisse Vigilanz sondern auch motorische und neurologische Beherrschung der erforderlichen Schritte, die gerade in der frühen postoperativen Phase nicht immer ganz selbstverständlich sind. Mobile Patienten betonen aber gerade die mögliche Mobilität, das System bleibt vor Ort und muss beim Aufstehen nicht mitgeführt werden. Wie bei der PCIA auch kann der Einsatz von Zalviso® ebenfalls zu opioidbedingten Nebenwirkungen und Risiken bis hin zu einer lebensbedrohlichen Atemdepression führen. Die Betreuung der Patienten mit einem Zalviso®-System sollte deshalb zwingend durch einen Akutschmerzdienst oder einem Akutschmerzdienstäquivalent – wie bei allen Patienten mit einer PCIA – in einer Klinik erfolgen. Zalviso® ist eine PCA mit allen Vor- und Nachteilen derselben und sollte deshalb auch allen Vorsichtsmaßnahmen unterliegen, die auch für ein PCIA System gelten. Es ersetzt weder eine PCIA noch ist es eine PCA „light“, da es ebenso wie jede PCIA ein starkes Opioid patientenkontrolliert verabreicht, mit sehr ähnlichen Vorteilen aber auch entsprechenden Risiken.
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Infobox 4.7: Aspekte, die bei der perioperativen Gabe von Opioiden beachtet werden müssen – Eine gute Überwachung ist mandatorisch bei Gabe von Opioiden; folgende Aspekte gehören zu einer guten und sicheren Opioidtherapie: – regelmäßige Erfassung und Dokumentation von Schmerzen (und Reduktion bzw. Absetzen der Opioide sobald die Situation es zulässt) – regelmäßige Erfassung von Vitalparametern wie Vigilanz, Atmung und Kreislauf – regelmäßige Erfassung potenzieller Nebenwirkungen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Juckreiz), da diese behandelt werden müssen oder ggf. auf ein anderes Opioid umgestellt werden sollte – eine orale Gabe sollte bei stabiler Schmerzsituation bevorzugt werden; orale Opioide fluten langsamer an als intravenös verabreichte und führen zu einer gleichmäßigeren (und i. d. R. auch sehr schnellen) Schmerzreduktion bei Fehlen von extremen Dosisspitzen im Gehirn – sublinguale Applikation bestimmter Opioide ist eine gute Alternative zu oralen Opioiden, falls die orale Gabe nicht möglich ist – intravenöse Opioide (z. B. als Kurzinfusion) führen nicht nur vermehrt zu Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel oder Müdigkeit, sondern auch zu einer euphorisierenden und damit ggf. „Sucht“erzeugenden Wirkung – Patienten für eine PCA sollten sorgfältig überwacht, aufgeklärt und während der Therapie begleitet werden; dies kann durch einen Akutschmerzdienst erfolgen, der zusätzlich das Stationspersonal schult um Warnsymptome für mögliche Komplikationen frühzeitig zu identifizieren – ultraschnell anflutende Substanzformulierungen (wie z. B. Fentanyl Nasenspray) haben in der postoperativen Schmerztherapie „nichts zu suchen“; sie sind weder zugelassen für die postoperative Analgesie, noch sind sie notwendig und erhöhen einzig das Abhängigkeitspotential – intramuskuläre Gaben von Opioiden sind obsolet und auch subkutane Applikationen sollten, wenn möglich, vermieden werden – zusätzlich zentral sedierende Substanzen sollten vermieden werden
Opioide nach Operationen: Gefahr der Abhängigkeit In den USA bekommen chirurgische Patienten fast viermal mehr Opioide nach der Entlassung aus einer stationären Behandlung verschrieben als nicht-operierte Patienten; alleine Orthopäden waren in den USA für 7,7 % aller Opioidverordnungen verantwortlich und auch nach anderen Operation ist eine Überverschreibung von Opioiden evident [51]. Zwischen 3 % und 10 % der Opioid-naiven Patienten werden hierdurch zu chronischen Konsumenten [52]. Wesentlich scheint hier vor allem die Dauer der Therapie mit Opioiden nach der Operation zu sein; eine Auswertung von Krankenkassendaten in den USA zeigt, dass eine Verordnung einer einzigen Nachfüllpackung eines Opioids das Missbrauchspotential um mehr als 40 % erhöht [53]. Starke Schmerzen nach Operationen sollten deshalb, vor allen in den ersten Tagen, adäquat und auch mit Opioiden, wenn nötig, therapiert werden. Eine Dauertherapie nach einer Operation in einem vorher Opioid-naiven Patienten oder Zunahme der Opioiddosierung im weiteren Verlauf (z. B. nach Entlassung) bei vorbehandelten Patienten sind deshalb absolut zu vermeiden. Andere Möglichkeiten der Schmerzthera-
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pie und vor allem eine Suche nach Ursachen für verlängerte Schmerzen nach Operationen sind dann angezeigt. Schon vor der Operation kann eine Aufklärung und Therapieplanung im Rahmen eines „shared-decision-making“ Prozesses die Bedeutung von Schmerzen nach einer Operation, die Behandlungsoptionen (auch nicht-medikamentöse), die Wirkungen und Nebenwirkungen von Opioiden und die sich daraus ergebenden Konsequenz für die Einnahme von Opioiden (und anderen Medikamenten) aufzeigen [51]. Dies hat in einigen Studien zur Reduktion der Opioideinnahme bei gleichbleibender Zufriedenheit geführt [54]. Kürzlich gaben Forscher des Opioid Prescribing Engagement Networks (OPEN) der Universität von Michigan empfohlene Verschreibungsschemata für postoperative Opioide heraus. OPEN-Empfehlungen definieren eine Obergrenze von Opioiden für die postoperative Behandlung nach verschiedensten Operationen und fördern neben der Wahrnehmung von Grenzen per se auch die Allianz zwischen Patient und Arzt, wenn Patienten unangemessen große Mengen anfordern [55]. Da psychosoziale Faktoren einen Risikofaktor für einen Opioidfehlgebrauch nach Operationen darstellen und die Langzeiteinnahme oft mit einer Immobilisation und Funktionseinschränkung einhergeht, ist eine Edukation und multidisziplinäre Behandlung (Physiotherapie, Psychologe, Schmerzmediziner, Pflege) bei gefährdeten Risikopatienten indiziert (siehe hierzu auch Kap. 2). Auch die Beobachtung von Risikofaktoren für und Anzeichen von Suchtverhalten bei einem Patienten sollte frühzeitig zu einer Intervention und intensiveren Begleitung des Patienten nach der Operation führen. Hierzu gehört neben der medizinischen Behandlung auch eine psychosoziale Begleitung, die in den Hausärztlichen Bereich hineinreichen sollte, diese kann, frühzeitig begonnen, möglicherweise den Opioidabusus verhindern. Infobox 4.8: Anzeichen von arzneimittelabweichendem (Sucht-)Verhalten bei Patienten bei Therapie mit Opioiden (nach Jage et al. [56]) – aggressive Beschwerden über die Notwendigkeit höherer Opioiddosen – Anforderung spezifischer Opioide („nur das eine Opioid hilft mir“) – Anforderung einer bestimmten (parenteralen) Darreichungsform – kurzwirksamen Opioide werden wiederholt angefordert – unbeabsichtigte Eskalation wiederholter Gaben – (umständliche) Erklärungen, warum Opioide notwendig sind – (wiederholte) Nichteinhaltung des Therapieplans – Meldung von psychischen Auswirkungen – Einnahme/Anforderung anderer psychotroper Substanzen – gleichzeitiger/verdeckter Gebrauch von Alkohol, Benzodiazepinen und/oder illegalen Drogen – Verwendung von Opioiden aus anderen Gründen als Analgesie (z. B. Schlaflosigkeit) – in der Anamnese: – wiederkehrende Verschreibungsverluste; verdeckte Verschreibung von Medikamenten durch verschiedene Ärzte – Opioide von einem Freund/Ehepartner einnehmen, ohne ihn zu informieren – verdeckter Kontakt mit mehreren Apotheken
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 81
4.2.3 Adjuvantien/Ko-Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie Adjuvantien (auch als Ko-Analgetika bezeichnet) stellen Arzneimittel dar, die primär nicht für die Schmerztherapie entwickelt worden und keine eigentlichen Analgetika sind. Solange das nozizeptive System nicht aktiviert und moduliert ist, entfalten sie in der Regel keine oder nur geringe analgetische Wirkung. Viele dieser Substanzen modulieren aber 1. Mechanismen der Sensitisierung nozizeptiver Strukturen (z. B. bei Nervenverletzungen, anhaltenden Schmerzen, etc.), 2. folgen einer (anhaltenden) Aktivierung von Rezeptoren (z. B. der Opioidrezeptoren bei Langzeitopioideinnahme und/oder bei hohem Opioidbedarf) und 3. weitere pathophysiologische Folgen von sehr starken oder chronischen Schmerzen. Eine Vielzahl der hierunter fallenden Substanzen stellt auf Grund der Wirkmechanismen eine Indikation für chronische neuropathische Schmerzzustände dar (z. B. trizyklische Antidepressiva, Gabapentinoide, Dexamethason). Für die postoperative Schmerztherapie haben sich aber ebenfalls einige dieser Arzneimittel sowie weitere, meist intravenös verabreichbare Adjuvantien (z. B. Ketamin, Clonidin, Lidocain i. v.) als möglicherweise effektiv herausgestellt. Merke: Adjuvantien sind in der postoperativen Schmerztherapie nicht für jeden Patienten als Therapieoption indiziert, sondern sollten individuell und bei bestimmten Indikationen eingesetzt und damit einzelnen Patienten vorbehalten bleiben.
Hierzu gehören u. a. Patienten mit extrem starken Schmerzen oder mit einem besonders hohen oder besonders langen Opioidverbrauch postoperativ. Sie können dann in Erwägung gezogen werden, wenn mit der üblichen Substanzkombination aus NOPA und (hoher) Opioiddosis keine ausreichenden Effekte erzielt werden. Einige Patienten können auch von einer frühzeitigen, schon intraoperativ begonnenen Adjuvantientherapie profitieren, z. B. wenn sie vorab schon über längere Zeit mit hochdosierten Opioiden vorbehandelt worden sind. Bei diesen Patienten können Adjuvantien dann sehr effektiv den Schmerz und vor allem den Opioidverbrauch senken. Merke: Einige der Adjuvantien sorgen dafür, dass Opioide besser wirken und dadurch eingespart werden können.
Die Opioideinsparung geht im Idealfall mit einer Reduktion von Opioid-bedingten Nebenwirkungen einher (Übelkeit, Erbrechen, Harnverhalt, Pruritus, Sedierung und – im postoperativen Bereich oft auch sehr wichtig – opioid-bedingter Reduktion
82 4 Systemische Schmerztherapie
der Darmtätigkeit). Deshalb macht es ebenfalls Sinn, über den Einsatz dieser Substanzen nachzudenken, wenn Opioide so weit wie möglich vermieden werden sollen (z. B. bei Patienten mit akuter Pankreatitis, Patienten mit COPD oder OSAS perioperativ). Auch bei Patienten auf der Intensivstation können einige Adjuvantien unter Beachtung der Kontraindikationen sinnvoll eingesetzt werden, vor allem dann, wenn Opioide über einen längeren Zeitraum verabreicht werden müssen (S3 Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin[57]). Weitere mögliche Indikationen für bestimmte weiter unten aufgeführten Adjuvantien (z. B. Antidepressiva und Antikonvulsiva) können möglichweise auch eine Prävention oder Therapie (neuropathischer) chronischer Schmerzen darstellen. Merke: Bei einer zusätzlichen Applikation von Adjuvantien muss immer daran gedacht werden, dass sie ebenfalls Nebenwirkungen hervorrufen können.
Alle diese sogenannten Adjuvantien sind nicht nebenwirkungs- und risikofrei und ihr Einsatz zur postoperativen Analgesie stellt einen „off-label“ Einsatz dar. Es sollte deshalb bei ihrem Einsatz Nutzen und Risiko sehr gut abgewogen, der Patient über ihren Einsatz aufgeklärt und die Substanz nur so lange gegeben werden wie unbedingt notwendig. Merke: Ob eine Kombination von zwei oder mehr Adjuvantien zu einem additiven Effekt führt ist unklar; da sich Nebenwirkungen aber ebenfalls addieren (z. B. Sedierung) und der eigentliche Effekt einer Substanz nicht mehr gut eingeschätzt werden kann, sollte eine Kombination von Adjuvantien nur dann erfolgen, wenn eindeutig ein Benefit durch jede der Substanzen erzielt wird und keine andere Alternative (z. B. Durchführung eines Regionanalgesieverfahrens) möglich ist.
Mögliche Dosierungen für einzelne Adjuvantien zur perioperativen Anwendung sind in Tab. 4.11 angegeben. Tab. 4.11: Vorschläge zur Dosierung von Adjuvantien zur perioperativen Anwendung (z. T. adaptiert nach Meyer-Friessem und Pogatzki-Zahn [13]). Die Anwendung aller dieser Substanzen sollte nach genauer RisikoNutzen-Einschätzung erfolgen und stellt keinen evidenz-basierten Standard dar. Alle hier genannten Substanzen sind für die Indikation „Schmerz nach Operationen“ nicht explizit zugelassen. Substanz
Dosis*
Perfusorbefüllung
Laufrate des Perfusors (bei entsprechender Befüllung)
Clonidin i. v.**
intraoperativ: 0,5 – 2μg/kg KG/h postoperativ: 0,15–0,22 μg/kg/h
750 µg/50 ml (15 µg/ml) z. B. Perfusor mit 5 Amp. Clonidin (1 Amp. Clonidin enthält 1 ml = 150 μg) und 45 ml NaCl 0,9 % befüllen
intraoperativ: 2–10 ml/h bei 80 kg KG postoperativ: 1 ml/h beim 80-kg-Patienten
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien
83
Tab. 4.11: (fortgesetzt) Substanz
Dosis*
Perfusorbefüllung
Laufrate des Perfusors (bei entsprechender Befüllung)
Dexmedeto- intraoperativ: midin i. v. ** 0,5–1 µg/kg/h postoperativ: 0,2–0,5 µg/kg/h
200 µg/50 ml (4 μg/ml) z. B. Perfusor mit 1 Amp. Dexmedetomidin (= 200 μg/2 ml) und 48 ml NaCl 0,9 % befüllen
intraoperativ: 10–20 ml/h beim 80 kg-Patienten postoperativ: 2–10 ml/h beim 80 kg-Patienten
Ketamin i. v. (Racemat)**
intraoperativ: 0,5 mg/kg/h (ggf. 1 Stunde vor OP-Ende ausstellen oder reduzieren) postoperativ: 0,125 mg/kg/h (ggf. auch schon 1 Stunde vor Ausleitung), ggf. Initialbolus von 0,5 mg/kg KG vor dem Hautschnitt
500 mg/50 ml (10 mg/ml) z. B. Perfusor mit 1 Amp. Ketaminrazemat (500 mg/ 10 ml) und 40 ml NaCl 0,9 % befüllen
intraoperativ: 4 ml/h beim 80-kg-Patienten postoperativ: 1 ml/h beim 80-kg-Patienten Bolus vor Hautschnitt: 4 ml beim 80-kg-Patienten
Lidocain i. v.**
intraoperativ: 1,5–3 mg/kg/h postoperativ: 1,33 mg/kg/h ggf. 1,5 mg/kg KG vor Hautschnitt über 5–10 min injizieren
1 g/50 ml intraoperativ: (= 20 mg/ml) 120 mg/h = 6 ml/h beim z. B. 10 Amp. Lidocain 2 %; 80-kg-Patienten 1 Amp Lidocain postoperativ: 2 % = 100 mg/5 ml) 106 mg/h = 5,3 ml/h beim 80-kg-Patienten Bolus vor Hautschnitt: ggf. 120 mg = 6 ml beim 80-kgPatienten
Pregabalin oral
(150-) 300 mg einmalig vor Operation
Gabapentin oral
600 mg einmalig vor Operation
Dexamethason i. v.
12 mg vor Operation
* Die hier vorgeschlagenen Dosierungen sind nicht Dosis-Wirkungs-Studien abgeleitet; Studien hierzu fehlen für die Indikation fast völlig. Deshalb sollte die Dosis immer der Wirkung und den Nebenwirkungen eines Patienten angepasst werden. **Die Anwendung sollte unter Kontrolle von EKG, Herzfrequenz und Blutdruck erfolgen.
84 4 Systemische Schmerztherapie
Die wichtigsten Adjuvantien im Einzelnen Clonidin ist ein α2-Adrenozeptor-Agonist und löst damit einen sympathikolytischen, anxiolytischen und auch sedierenden Effekt aus; es kann zudem dazu beitragen, dass Opioide und Anästhetika eingespart werden und wirkt damit ko-analgetisch, wenn es zusammen mit Opioiden verabreicht wird [24]. Die Opioideinsparung scheint durch Clonidin deutlich effektiver zu sein als durch z. B. Paracetamol, aber etwas geringer als durch NSAIDs und Ketamin. Welchen Effekt eine Kombination von NSAIDs und Clonidin hat, ist dagegen noch unklar. Noch etwas besser ko-analgetisch als Clonidin wirkt möglicherweise Dexmedetomidin, das im Vergleich zu Clonidin eine stärkere Selektivität zum α2-Rezeptor aufweist und eine kürzere Halbwertszeit hat [57]. Es wirkt sowohl bei Erwachsenen [58] als auch bei Kindern [59]; gleichzeitig scheint die Delirrate reduziert, wenn es als Sedativum benutzt wird [57]. Die Gabe von Clonidin oder Dexmedetomidin i. v. als Ko-Analgetikum bietet sich vor allem bei Patienten postoperativ an, die unter hämodynamischer Beobachtung stehen (z. B. auf einer Intensiv- oder Überwachungsstation); da neben den ko-analgetischen Effekten auch eine Bradykardie-Gefahr (bei Clonidin auch Blutdruckabfall) besteht, muss der Patient hämodynamisch überwacht werden. Auf Grund der Wirkeffekte bieten sich beide Substanzen auch bevorzugt bei zusätzlich agitierten und/ oder deliranten Patienten an. Lidocain i. v. wurde bisher bei Patienten nach gastrointestinalen Eingriffen empfohlen, da es neben dem antihyperalgetischen und opioideinsparenden Effekt auch eine positive Wirkung auf die gastrointestinale Erholung haben soll. Eine aktuelle Metaanalyse zur perioperativen Lidocain-Wirksamkeit zeigt zwar immer noch einen signifikanten, aber nur wenig klinisch relevanten Effekt [60]. Somit sollte der Einsatz von Lidocain nur noch echten Einzelfallsituationen vorbehalten bleiben und nur bei nachweisbarem klinischem Effekt weitergeführt werden. Die intravenöse Gabe von Lidocain stellt darüber hinaus zum heutigen Zeitpunkt keine Alternative zur Epiduralanalgesie dar [60,61]. Bei individueller Indikation (z. B. bei Patienten mit langwierigem, schwierigem Verlauf nach abdominalchirurgischen Eingriffen und Kontraindikation gegen eine Epiduralanalgesie) können mit einer Lidocain i. v.-Therapie aber ggf. individuell gute Effekte (z. B. auf den Schmerz und den Opioidverbrauch) erzielt werden; hier ist eine Einzelfallentscheidung mit Risiko-Nutzen-Abwägung erforderlich. Die Gabe von Lidocain i. v. ist nicht ohne Risiko; mögliche Nebenwirkungen sind Wirkungen auf das ZNS (Schläfrigkeit, Schwindelgefühl, Ohrklingeln, verwaschene Sprache, Muskelzittern, Nystagmus, Sehstörungen bis hin zu generalisierten Krämpfen, Koma und zentrale Atemdepression) und das Herzkreislaufsystem (negative Inotropie, verlangsamte Erregungsleitung der Purkinje-Fasern, direkte Vasodilatation, Sinusbradykardie bis hin zu Herzstillstand). Lidocain sollte deshalb nur bei kontinuierlichem kardialem Monitoring auf einer Intensiv- oder Überwachungsstation angewendet werden. Lidocain wird zu etwa 70–90 % in der Leber verstoffwechselt und über die Nieren ausgeschieden. Vorsicht ist deshalb geboten bei Patienten mit wesentlicher Leber- bzw. Niereninsuffizienz, da hier die Da-
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 85
tenlage unklar ist. Kontraindikationen sind schwere Störungen des Erregungsleitungssystems, z. B. AV-Block II° und III°, Sick-Sinus-Syndrom, kardiogener Schock, bekannte Allergie oder Eingriffe in der Geburtshilfe [13]. Patienten unter laufender intravenöser Lidocain-Infusion müssen kardiovaskulär überwacht werden und dürfen nicht auf einer Normalstation behandelt werden. Ketamin i. v. kann bei Patienten, die einen hohen Analgetikaverbrauch aufweisen bzw. schon vor der Operation mit Opioiden therapiert wurden, relativ gute Effekte (Schmerzreduktion, z. B. durch verstärkte Opioidwirkung, Opioidreduktion) erzielen. Allerdings scheint dies – zumindest für die Einmalgabe von Ketamin vor Operationen, nicht so eindeutig zu sein, wie bisher immer dargestellt; eine neue sehr große Studie zur Delirprophylaxe mit Ketamin i. v. zeigte weder Effekte auf das Delir noch auf Schmerz und Opioidverbrauch nach der Operation [62]. Aktuelle Metaanalysen zur Effektivität von Ketamin auf Schmerz und Opioidverbrauch sind dagegen eher positiv, u. a. bei Operationen mit starken zu erwartenden Schmerzen [63–65]. Eine intra- und/oder postoperative Infusion von Ketamin zeigt – vor allem bei Opioid-vorbehandelten Patienten – zusätzlich zu einem kurzzeitigen Effekt auf Schmerz und Opioidverbrauch in den ersten Tagen nach Operation auch im Verlauf Wochen und Monate nach der Operationen noch Effekte bezüglich Schmerzen und schmerzbedingter Beeinträchtigung [66,67]. Darüber hinaus zeigt eine Metaanalyse auch einen Benefit von Ketamin zusammen mit Morphin in einer PCIA; diese vermindert den Opioidverbrauch und die Schmerzintensität signifikant und klinisch relevant [68]. Nebenwirkungen von Ketamin treten aber ebenfalls auf, und z. T. auch schon in niedrigen Dosierungen (Halluzinationen, Albträume etc.) [62]; diese schränken den postoperativen Einsatz z. T. ein. Benzodiazepine sind hilfreich, können aber ebenfalls zu Nebenwirkungen führen. Interessant ist, dass Ketamin i. v. bisher das einzige Adjuvans ist, dass die Entwicklung chronischer Schmerzen nach Operationen positiv beeinflusst [67,69]. Anders als zur Therapie akuter Schmerzen besteht hier wahrscheinlich aber die Notwendigkeit, Ketamin über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden zu verabreichen. Ein Konsensusprozess aus den USA hat Empfehlungen zur perioperativen Anwendung von Ketamin erarbeitet [70]. Diese Empfehlungen sind eher großzügig ausgefallen, wahrscheinlich mit Blick auf das Potenzial, dadurch dem in den USA problematischen Übergebrauch von Opioiden entgegenzuwirken (vgl. Infobox 4.9).
86 4 Systemische Schmerztherapie
Infobox 4.9: Konsensusempfehlung verschiedener amerikanischer Anästhesie-Gesellschaften zur perioperativen Gabe von Ketamin (verändert nach Schwenk et al. [70]) Kategorie
Empfehlung
Anwendungsgebiete
(1) perioperative Anwendung bei mittelschweren bis schweren Operationen mit zu erwartenden starken postoperative Schmerzen (2) perioperative Anwendung bei Patienten mit Opioidtoleranz (3) als Schmerzmittelzusatz bei opioidtoleranten Patienten mit Sichelzellenkrise (4) als Adjuvans bei Patienten mit OSAS
Dosierungsbereich
Bolus: bis zu 0,35 mg/kg Infusion: bis zu 1 mg/kg pro Stunde
relative Kontraindikationen
(1) kardiovaskuläre Erkrankungen, die schlecht eingestellt sind (2) Schwangerschaft, Psychose (3) schwere Lebererkrankung, Leberzirrhose (vermeiden), mäßige Lebererkrankung (Vorsicht) (4) erhöhter Hirndruck, erhöhter Augeninnendruck
Allerdings waren auch fast alle diese Empfehlungen auf einem Evidenzlevel C und maximal mäßiger Sicherheit der Evidenz eingestuft (basierend auf den zugrundeliegenden Studien). Merke: Auch Ketamin sollte nur bei ausgewählten Patienten angewendet werden.
Kortikosteroide, z. B. Dexamethason, zeigen z. T. relativ gute Effekte auf Schmerzintensität und Opioidverbrauch postoperativ. Allerdings erfolgt dieser Effekt erst ab einer Dosierung von > 0,1 mg/kg (in der Regel 8 bis idealerweise 12 mg Dexamethason i. v.). Dies ist mehr als zur antiemetischen Therapie notwendig ist. Bei einigen Indikationen ist ggf. sogar nur ein klinisch relevanter Effekt nach Mehrfachdosierungen zu erreichen. Wahrscheinlich ist die Einmalgabe nicht mit Wundheilungsstörungen assoziiert; ob Blutungskomplikationen bei einer Tonsillektomie erhöht sind ist umstritten. Da der Effekt aber sowieso eingeschränkt ist, kann der Einsatz von Dexamethason als Adjuvans zur Tonsillektomie nicht eindeutig empfohlen werden [71]. Gabapentin und Pregabalin binden mit hoher Affinität an die α2-δ-Untereinheit der spannungsabhängigen Kalziumkanäle; diese finden sich im peripheren und zentralen Nervensystem und ihre Hemmung führt zu einer Reduktion von aktivierendem Kalziumeinstrom und sorgen damit für eine Reduktion erregender Neurotransmitter [72]. Im perioperativen Setting scheinen beide, insbesondere Pregabalin, einmalig (präoperativ) verabreicht, einen positiven Effekt auf Schmerzen und Opioidverbrauch zu haben [73,74]. Hier macht wahrscheinlich die Dosis den Effekt, und in den Dosie-
4.2 Spezielle Schmerztherapie: Analgetika und Ko-Analgetika/Adjuvantien 87
rungen, in denen die Substanzen wirken, führen beide Substanzen meist ebenfalls zu Nebenwirkungen. Bei Pregabalin muss wahrscheinlich eine Dosierung von ≥ 150 mg (≥ 300 mg, um auch Übelkeit und Erbrechen zu reduzieren) verabreicht werden, bei Gabapentin ≥ 600 mg [74]. Nebenwirkungen, die dann auftreten, sind insbesondere Müdigkeit, Sedierung und, in Kombination mit Opioiden, auch ggf. atemdepressive Effekte. Diese können schon bei niedrigeren Einmaldosierungen als den hier aufgeführten auftreten. Weitere Nebenwirkungen sind Sehstörungen und Schwindel, Gangstörungen und Ataxie, vor allem dann, wenn die Substanzen in diesen Dosierungen mehrmals verabreicht werden, so dass auch die Gabe von Pregabalin oder Gabapentin als Adjuvans perioperativ nur bei besonderer Indikation – wenn überhaupt – empfohlen werden kann. Nur in wenigen Studien wurde Pregabalin oder Gabapentin mehr als einmal nach Operation verabreicht und ein zusätzlicher Effekt dadurch ist nicht eindeutig nachgewiesen. Es scheint auch einen Prozeduren-spezifischen Effekt zu geben; direkte Untersuchungen und Vergleiche hierzu fehlen aber bisher [73]. Einige Studien haben den Effekt von Pregabalin und Gabapentin auf die Inzidenz und Schwere chronischer postoperativer Schmerzen untersucht; bisher weist die Evidenz aus diesen Studien aber keinen Effekt von Pregabalin auf chronische postoperative Schmerzen nach [75]. Möglicherweise kann Pregabalin perioperativ verabreicht die Inzidenz chronischer neuropathischer Schmerzen reduzieren; hierzu liegen aber zu wenige gute Studien für chronische neuropathische Schmerzen vor [75]. Es besteht zum heutigen Zeitpunkt deshalb kein Grund, Pregabalin präventiv zu verabreichen. Pregabalin und Gabapentin stellen als Therapie für neuropathische Schmerzen die Substanzgruppe mit einer der höchsten Evidenzen für einen Effekt dar (allerdings mit einer relativ geringen NNT von ca. 7 [76,77]). Die gerade herausgegebene S2K Leitlinie „Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“ empfiehlt, dass Gabapentin und Pregabalin als Medikamente der ersten Wahl zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden sollen [77]. Hierzu muss diese Medikation aber langsam und individuell eindosiert werden, um Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. Für akute neuropathische Schmerzen sind die Substanzen nicht zugelassen; eine Therapie im Einzelfall ist natürlich möglich, sollte aber den Grundsätzen der Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen folgen und durch einen Schmerztherapeuten indiziert und im Verlauf nach der Operation begleitet werden [77]. Trizyklische Antidepressiva (z. B. Amitriptylin, Imipramin und Clomipramin) sind Substanzen, die neben dem Einsatz als Antidepressivum auch für die Therapie von neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden. Sie hemmen die Wiederaufnahme monoaminerger Neurotransmitter (Serotonin und Noradrenalin) und aktivieren dadurch z. B. absteigende inhibitorische (schmerzhemmende) Bahnen [76,77]. Gleichzeitig blockieren die trizyklischen Antidepressiva auch Natriumkanäle [78,79] und hemmen somit ektope Entladungen, allerdings werden auch noch mehrere andere Wirkmechanismen beschrieben [80]. Die „analgetischen“ Effekte entstehen
88 4 Systemische Schmerztherapie
schon bei deutlich geringeren Dosierungen als die, die für eine antidepressive Therapie notwendig sind. Wirksam waren diese Substanzen in Studien bei verschiedensten neuropathischen Schmerzentitäten, und mit einer niedrigeren (= besseren) NNT als Gabapentinoide (NNT 2–3); die neue S2K Leitlinie „Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen“ empfiehlt deswegen auch, dass trizyklische Antidepressiva zur Therapie von neuropathischen Schmerzen jeglicher Ursache als Medikamente der ersten Wahl eingesetzt werden [77]. Interessant für neuropathische Schmerzen nach Operationen könnte sein, dass in RCTs diese Substanzen (neben der schmerzhaften diabetischen Neuropathie und der postzosterischen Neuralgie) auch bei partiellen Nervenläsionen wirksam waren [77,80]. Dies macht diese Substanzgruppe möglicherweise auch interessant für die Therapie neuropathischer Schmerzen nach Operationen (chronisch, ggf. akut); sie sind aber nicht explizit zugelassen für diese Indikation. Eine langsame Eindosierung ist auch hier notwendig, wobei, wie erwähnt, nicht unbedingt hohe Dosierungen nötig sind (Amitriptylin z. B. 25 mg bis maximal 75 mg zur Nacht; ggf. mit 10 mg beginnen, langsam steigern). Nebenwirkungen sind u. a. Sedierung, Mundtrockenheit, Vergesslichkeit, Gewichtszunahme, Obstipation, Schwindel, orthostatische Dysregulation, Erektionsstörungen, Miktionsbeschwerden, Brechreiz, Tremor und kardiale Nebenwirkungen [77]. Anticholinerge Nebenwirkungen werden ggf. im Verlauf geringer. Bei langsamer Steigerung der Dosis sind Nebenwirkungen geringer und die Toleranz der Patienten ist besser. Ganz selten kommt es zu Leberschäden oder allergischen Reaktionen. Als relative Kontraindikation für trizyklische Antidepressiva gelten das Glaukom, die Prostatahypertrophie, Miktionsstörungen, ein gesteigertes Anfallsrisiko, Thrombose, Thrombophlebitis, kardiale Reizleitungsstörungen und Herzinsuffizienz. Wenn die eingesetzten Dosen über 100 mg/d liegen, empfiehlt es sich, insbesondere bei älteren Patienten, regelmäßige EKG-Ableitungen. Laborkontrollen der Transaminasen und des Blutbildes vor und während der Therapie durchzuführen [77]. Medikamenten-Interaktionen: Interaktionen ergeben sich mit Substanzen, die CYP-abhängig verstoffwechselt werden; hierzu gehören MAO-Hemmer (Risiko eines Serotonin-Syndroms), andere anticholinerg wirkende (Verstärkung der Nebenwirkungen) oder adrenerge Substanzen (Risiko von Arrhythmien). Carbamazepin und Barbiturate können die Konzentration von trizyklischen Antidepressiva senken und die Wirksamkeit reduzieren. Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer: Typisches Beispiel und oft im Rahmen chronischer Schmerzen eingesetzt ist das Duloxetin (weitere Substanz: Venlafaxin). Ihr anti-neuropathischer Effekt ist ähnlich (bis etwas schlechter) als der der trizyklischen Antidepressiva, allerdings sind die Nebenwirkungen wegen der geringen cholinergen Wirkung geringer. In den ersten Behandlungswochen treten am ehesten Übelkeit und Erbrechen auf, im Verlauf kommt es ggf. zu Blutdrucksteigerungen und Verschlechterung des Diabetes. Weitere Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit, vermehrtes Schwitzen, Mundtrockenheit, Obstipation, Appetitverlust, Schlaflosigkeit, Durchfall, Bewusstseinsstörungen und Zittern sowie
4.3 Therapiekonzepte zur postoperativen Schmerztherapie 89
einer Erhöhung des Augeninnendrucks [77]. Vor der Behandlung sollte – wie bei allen Antidepressiva – ein EKG abgeleitet und Laborkontrollen der Leber- und Nierenwerte und des Blutbildes durchgeführt werden. Kontraindikationen sind Leber- und schwere Nierenfunktionsstörungen sowie eine unkontrollierte Hypertonie [77]. Eine Duloxetin-Therapie wird bei neuropathischen Schmerzen (zugelassen nur für die diabetische Neuropathie) mit einer Dosis von 30 mg morgens begonnen und anschließend langsam gesteigert, um nach ca. 7–14 Tagen auf der Zieldosis von mindestens 60 mg (bis maximal 120 mg) zu steigern (Einmaldosis morgens). Ob diese Substanzen in der postoperativen Schmerztherapie (oder bei Therapie chronischer Schmerzen nach Operationen) einen Effekt zeigen, ist bisher nicht nachgewiesen.
4.3 Therapiekonzepte zur postoperativen Schmerztherapie Auch wenn sich in der postoperativen Schmerztherapie in den letzten 25 Jahren verschiedene, spezialisierte (meist Regionalanalgesie-basierte) Therapieverfahren für verschiedenste Operationen erfolgreich als Standardverfahren durchgesetzt haben (z. B. Epiduralanalgesieverfahren oder kontinuierliche periphere Katheterverfahren bei großen abdominellen bzw. großen Extremitäteneingriffen), kommt ihr Einsatz doch insgesamt gesehen nur einer geringeren Zahl an Patienten nach Operationen insgesamt zu gute. So erhalten rund 10–15 % aller Patienten in einer Klinik nach Operationen eine postoperative Regionalanalgesie oder ein anderes komplexes schmerztherapeutisches Verfahren (variiert von Klinik zu Klinik); diese Patienten werden dann in der Regel auch durch einen Akutschmerzdienst betreut, der sehr individuell und patientenorientiert die Schmerztherapie an den Bedarf des Patienten anpasst und dadurch exzellente Ergebnisse erzielt [82]. Alle anderen Patienten werden auf den Stationen vom regulären Stationspersonal und in der Regel anhand systemischer Analgetika versorgt; gerade hier besteht, laut größerer Datenerhebungen, noch deutlich Optimierungsbedarf [6,83]. Merke: Für jeden Patienten und nach jeder Operation, egal wie „klein“ oder minimal-invasiv die Operation ist, sollte (präoperativ) ein Schmerztherapiekonzept erstellt und mit dem Patienten besprochen werden.
Um auch Patienten nach eher „kleineren“ oder „mittelgroßen“ Operationen so weit wie möglich gerecht werden zu können, wurden deshalb Therapiestandards entwickelt, mit Hilfe derer es ermöglicht werden soll, unter Berücksichtigung organisatorischer und ökonomischer Voraussetzungen eine effektive und machbare Analgesie für möglichst viele Patienten zu ermöglichen [84,85]. Ein bis zwei solcher Prozeduren-übergreifenden Standardkonzepte in der Klinik machen die Umsetzung der systemischen Schmerztherapie deutlich einfacher und auch sicherer, da jeder Mitarbeiter
90 4 Systemische Schmerztherapie
sich mit dem eingesetzten Konzept auskennt, Dosierungen der Standardsubstanzen nicht verwechselt werden und Effekte abgeschätzt und bei Misserfolg Probleme eher identifiziert werden können. Merke: Jede Schmerztherapie sollte individuell für einen Patienten geplant und schriftlich mit Substanzname und Dosis angeordnet werden; dies gilt auch für Therapiestandards.
Vorteile eines Standards sind, dass sie die Umsetzung von Therapien in einer Klinik so sicher und so effektiv wie möglich gestalten, da jeder in der Klinik diese Substanzen kennt, mit ihren Dosierungen vertraut ist und auch über Nebenwirkungen und Komplikationen informiert ist. Standards sollten dabei aber immer unter Berücksichtigung von individuellen Patientenfaktoren (Begleiterkrankungen, Kontraindikationen, Vor- und Begleitmedikationen, Alter des Patienten, Vorerfahrungen und Erwartungen des Patienten) eingesetzt bzw. entsprechend adaptiert werden. Jede Anordnung sollte auch immer die (voraussichtliche) Dauer der Therapie beinhalten. In jeder Klinik sollten klinikinterne Standards und Behandlungspfade entsprechend der Patienten und Operationen (siehe hierzu auch einzelne Kapitel zu verschiedenen Operationsbereichen) entwickelt werden. Ein Beispiel für ein orales Analgesieschema für Patienten mit starken bis mittelstarken Schmerzen nach einer Operation ist die planmäßige Verabreichung eines retardierten Basisopioids zusätzlich zu einem Basis-NOPA, morgens und abends (Abb. 4.4). Solche stufenweise an den Bedarf des Patienten anpassbare Algorithmen sind extrem flexibel und lassen sich bei einer Vielzahl von Patienten, die postoperativ Opioide benötigen, einsetzen. Welches Opioid (und NOPA) dabei gewählt wird, ist abhängig von verschiedenen Faktoren; starke Opioide sind dabei geeigneter als schwache, da sie in der Dosissteigerung flexibler sind [86]. Morphin, Oxycodon (Abb. 4.4a) und Hydromorphon (Abb. 4.4b) eigenen sich gleichermaßen, wobei Oxycodon in retardierter Form eine schnell- und eine retardierte, langsam freisetzende Komponente aufweist; dies könnte in der postoperativen Schmerztherapie einen Vorteil darstellen, da es (für ein retardiertes Opioid) schnell zu einem vom Patienten identifizierbaren Effekt kommt, der in der Akutschmerztherapie von besonderer Bedeutung ist. Zur Prophylaxe potenzieller gastrointestinaler Nebenwirkungen kann auch Oxycodon mit Naloxon kombiniert verabreicht werden. Bei niereninsuffizienten Patienten oder Patienten mit Magen- oder PEG-Sonde bietet sich Hydromorphon an, da die in den retardierten Hydromorphon-Kapseln enthaltenen Pellets immer noch die retardierte Formulierung enthalten und über eine Magen- oder PEG-Sonde verabreicht werden können. Auch Morphin-Granulat kann aufgelöst und über eine Magensonde gegeben werden (siehe Tab. 4.6). Auch interessant ist die Gabe von Buprenorphin s. l. im Rahmen eines solchen Algorithmus (Abb. 4.4c); zwar stehen „nur“ nicht retardierte Formulierungen für Buprenorphin zur Verfügung; die „intermediäre“ Wirkdauer des Buprenorphin und trotzdem relativ schnelle Wirksamkeit macht dennoch eine „Art“ Algorithmus
4.3 Therapiekonzepte zur postoperativen Schmerztherapie 91
möglich. Dieser eignet sich insbesondere bei Patienten, die nicht oral Tabletten zu sich nehmen können (z. B. gastrointestinale Eingriffe, auch nach Entfernen eines Periduralkatheters). Wichtig bei der Anwendung eines solchen Standards, egal welches NOPA und welches Opioid in einer Klinik als Standard gewählt wird, ist, dass die Dosis nicht bei allen Patienten gleichermaßen wirksam sein kann. Sowohl hinsichtlich Alter, Nieren- und Leberfunktion, Größe und Dauer der Operation sowie des Bedarfs des Patienten, muss sowohl das Basisopioid wie auch das Bedarfsopioid individuell angepasst werden. Um nicht zu viel Opioid zu verabreichen, sollte das retardierte Opioid deshalb relativ niedrig dosiert werden; mit einem nicht-retardierten Opioid als Bedarfsmedikation kombiniert kann der Patient dann, falls notwendig, fehlende Dosierung nachfordern. Letzteres kann auch bei Schmerzspitzen, vor einer Physiotherapie oder bei Ziehen von Drainagen, verabreicht werden. Dies verhindert zum einen die Überdosierung von Patienten (durch das Wählen einer relativ geringen retardierten Dosis) als auch eine Unterdosierung bei den Patienten die mehr benötigen. Wird deutlich mehr nicht-retardiertes Bedarfsopioid angefordert, kann die retardierte Dosierung natürlich angepasst werden; umgekehrt gilt bei einer Nicht-Anforderung von Bedarfsanalgetikum eine sukzessive Reduktion der retardierten Dosierung. Idealerweise sollte die gleiche Wirksubstanz für das retardierte und nicht-retardierte Opioid gewählt werden. Für die Bedarfsanalgesie müssen klare Interventionsgrenzen definiert sein, die es dem Pflegepersonal ermöglichen, die Bedarfsmedikation dem Patienten auszuhändigen. Schulungen des Personals zu Interventionsgrenzen, Nebenwirkungen und Risiken einer Opioidgabe, Therapie von Komplikationen und das Vermeiden von Nebenwirkungen und Komplikationen und Fehlgebrauchs müssen regelmäßig stattfinden. Insgesamt erfordert die Durchführung eines solchen Schemas auf den Stationen eine regelmäßige Schulung des Personals. Individuell angemessene Überwachung und Kontrolle von Vigilanz, Atemfrequenz und Kreislaufparametern sollten intermittierend und bei besonderen Risikopatienten an den Bedarf angepasst erfolgen. Neben solchen Therapiekonzepten, bei denen in der Regel starke Opioide angewendet werden, kann auch ein schwaches Opioid, je nach Operation und/oder Schmerzintensität, postoperativ eingesetzt werden. Der sogenannte Würzburger Tropf war sicher eine gute Idee, vor mehr als 30 Jahren vielen Patienten eine bessere Schmerztherapie als gar keine zu ermöglichen; er enthält eine Kombination von Tramadol, Metamizol und DHB. Er entspricht aber aus heutiger Sicht nicht mehr einem angemessenen Therapiekonzept aus den folgenden Gründen [88]:
92 4 Systemische Schmerztherapie
Oxycodon-Schema Basisanalgesie/Tag: Oxycodon retard 10 mg* um 8:00 h und 20:00 h + Nicht-Opioid-Analgetikum (z.B. Metamizol 1 g alle 6 Stunden) Schmerz NRS > 4 in Ruhe Schmerz NRS > 7 unter Belastung ** ja
nein
Gabe von 5 mg* Oxygesic akut p.o. (maximal alle 4 h) weiterhin Schmerz NRS > 4/> 7** und mehr als 40 mg Oxygesic akut/Tag als Bedarfsmedikation angefordert ja Oxycodon retard-Dosis um 10 mg erhöhen***
nein
Oxycodon retard reduzieren und absetzen Akutschmerzdienst anfunken, falls: Oxycodon-Bedarf > 50 mg/Tag oder 1 h nach Oxycodon akut Gabe weiterhin NRS > 4/> 7
(a) Wichtig: Nach jeder Opioidgabe müssen Wirkung und Nebenwirkungen adäquat erhoben und dokumentiert werden * Einstiegsdosierung (kann ggf. niedriger oder höher gewählt werden; auch ohne Basismedikation möglich, dann nur Bedarfsmedikation) ** Weitere Indikatoren für Schmerzmittelbedarf (Funktion/Nebenwirkungen) hinzuziehen; Ursache unklarer starker Schmerzen sollte durch den behandelnden chirurgischen Kollegen untersucht werden. DD: Wundschmerz, enge Verbände, Infektionen, Blutungen/Hämatom, schlechte Lagerung, Kompartment, volle Blase, Ileus etc. *** Erfolg oder Misserfolg und Nebenwirkungen durch die veränderte Basisanalgesie müssen überprüft werden.
Abb. 4.4: Opioid-Algorithmen zur Anwendung in der postoperativen Schmerztherapie. Jedes Schema ist nach gleichem Muster aufgebaut. Es wird ein Nicht-Opioid-Analgetikum als Basisanalgesie verabreicht (in [a] Metamizol, in [b] Ibuprofen und in [c] Parecoxib). Diese dienen als Beispiele und können angepasst/ausgetauscht werden (pro Klinik sollten ein bis zwei NOPA gewählt werden, die allen Patienten ohne Kontraindikationen verabreicht werden [z. B. Ibuprofen zur oralen und Parecoxib zur intravenösen Gabe]; abhängig von Nebenwirkungen und Kontraindikationen kann ein weiteres NOPA als Reserveanalgetikum gewählt werden, z. B. Metamizol). On top wird, falls erforderlich ein Opioid verabreicht; bei starken Schmerzen als Basisanalgesie ein retardiertes, als Bedarfsanalgesie ein nicht-retardiertes Opioid. Das retardierte Opiat wird zweimal pro Tag (in [a] und [b] Oxygesic bzw. Hydromorphon) oder 3 mal am Tag (in [c] Buprenorphin) verabreicht. Bei Schmerzen die die Basisanalgesie nicht ausreichend therapiert, erfolgt die Gabe eines Bedarfsopioids in nicht-retardierter Form. Richtwerte für eine Bedarfsopioid-Gabe (in [a] Oxygesic akut®, in [b] Hydromorphon nicht-retardiert, in [c] Buprenorphin) können Ruhe-Schmerzen > 3, die den Patienten in seiner Befindlichkeit einschränken oder Belastungsschmerzen > 5, bei denen Aufstehen, Physiotherapie oder andere Aktivitäten nicht möglich sind, verabreicht werden. Wichtig: Die Opioidgaben sollten im postoperativen Verlauf kontinuierlich reduziert werden (erst das Basisopioid, dann das Bedarfsopioid), sodass der Patient je nach Operation und Schmerzen nach einigen Tagen wieder opioidfrei ist.
4.3 Therapiekonzepte zur postoperativen Schmerztherapie 93
Hydromorphon-Schema Basisanalgesie/Tag: Hydromorphon retard 2 oder 4 mg* um 8:00 h und 20:00 h + Nicht-Opioid-Analgetikum (z. B. Ibuprofen 600 mg 3 x/Tag) Schmerz NRS > 4 in Ruhe Schmerz NRS > 7 unter Belastung ** nein
ja Gabe von Hydromorphon 1,3 mg* p. o. (maximal alle 4 h) weiterhin Schmerz NRS > 4/> 7** und mehr als 4 x 1,3 mg* Hydromorphon/ Tag als Bedarfsmedikation angefordert
nein
Hydromorphon retard reduzieren und absetzen Akutschmerzdienst anfunken, falls: Hydromorphon-Bedarf > 16 mg/Tag oder 1 h nach Hydromorphon 1,3 mg weiterhin NRS > 4
ja Hydromorphon retard-Dosis um 2–4 mg* pro Gabe erhöhen (b) Buprenorphin-Schema
Basisanalgesie/Tag: Buprenorphin s. l. 0,2 mg* um 6:00 h und 14:00 h und 22:00 h + Nicht-Opioid-Analgetikum (z.B. Parexocib 40 mg um 8:00 h und 20:00 h) Schmerz NRS > 4 in Ruhe Schmerz NRS > 7 unter Belastung ** nein
ja Gabe von Buprenorphin 0,2 mg s.l.* (maximal alle 8 h und frühestens 2 h nach letzter Buprenorphin-Gabe) weiterhin Schmerz NRS > 4/> 7** und mehr als 2 x 0,2 mg Buprenorphin/Tag als Bedarfsmedikation angefordert ja Buprenorphin – Basis-Dosis um 0,2 mg* pro Gabe erhöhen; max 1,8 mg Buprenorphin/Tag *** (c) Abb. 4.4: (Fortsetzung)
nein
Buprenorphin reduzieren und absetzen Akutschmerzdienst anfunken, falls: Buprenorphin-Bedarf > 1,8 mg/Tag oder < 2 h nach Buprenorphin 0,2 mg Gabe weiterhin NRS > 4
94 4 Systemische Schmerztherapie
1.
Die fixe Kombination aus NOPA und Opioid entspricht nicht dem Konzept einer balancierten Analgesie. Das NOPA sollte in einer adäquaten Dosierung gegeben werden (Maximaldosierung), das Opioid dann „on top“, und (nur) dieses dann nach Bedarf, um die Dosis des Opioids so niedrig wie möglich zu halten. 2. Ein Effekt einer Kombination der beiden analgetischen Substanzen ist erst in einer Relation von 5 mg Tramadol zu 60 mg Metamizol nachgewiesen; dies entspricht einer Gabe von 500 mg Tramadol zu 6000 mg Metamizol. Dies ist in den meisten Dosierungsschemata selten umgesetzt und würde auch bedeuten, dass dies die entsprechende Tageshöchstdosis darstellt. Mehr geht dann nicht. Wenn aber mehr erforderlich ist muss ein weiteres (starkes) Opioid verabreicht werden. 3. Das Tramadol ist ein schwaches Opioid und hat verschiedene Aspekte, die gegen seinen Einsatz postoperativ sprechen bzw. es zumindest nicht als Opioid der ersten Wahl postoperativ adressieren. 4. Da heutzutage Dosierungen von starken Opioiden oral möglich sind, die auch schon in niedrigen Dosierungen verabreicht werden können (und dann z. T. sogar weniger Nebenwirkungen wie z. B. Übelkeit hervorrufen als bei Gabe von Tramadol), sind heute Alternativen verfügbar, die effektiver sind, effektiver gesteigert werden und an den Bedarf des Patienten besser angepasst werden können, da bedarfsadaptiert nachgefordert werden kann. 5. Die Wirksamkeit des „Tropfes“ setzt langsam ein und ist damit fast immer anfangs unzureichend. 6. Bei Schmerzspitzen (z. B. Physiotherapie) kann häufig nur unzureichend reagiert werden. 7. Eine Vielzahl der Patienten sind mit dem Würzburger Schmerztropf nur unzureichend behandelt, da die Maximaldosis von Tramadol nicht zu einem ausreichenden Effekt führt; die Folge ist dann eine unzureichende Schmerztherapie bzw. die Notwendigkeit der Umstellung auf ein starkes Opioid, das aber dann oft nicht verabreicht wird. 8. Dehydrobenzperidol wird als Antiemetikum zugesetzt. Seine Wirksamkeit im Würzburger Schmerztropf ist nie in Studien nachgewiesen worden. 9. Dehydrobenzperidol erzeugt häufig, zentralnervöse Nebenwirkungen wie Frühdyskinesien (Schluck- und Schlundkrämpfe, kloßige Sprache, dystone Bewegungen), Verwirrtheit, Nervosität, Angstreaktionen Depression, Gedächtnisstörungen, orthostatische Dysregulationen und Erregungsleitungsstörungen (AV-Block, Schenkelblock) sowie durch Senkung des peripheren Widerstandes (Alpha-Rezeptorenblockade) eine Blutdrucksenkung (Vorsicht bei bestehendem Volumenmangel). Merke: ein Therapieschema sollte so aufgebaut sein, dass erst das NOPA ausgereizt und dann erst das Opioid on top verabreicht wird.
Referenzen 95
Werden schwache Opioide eingesetzt, bietet sich das am ehesten on top eines NOPA bei gleichzeitig nicht zu erwartenden starken Schmerzen an. Werden starke Schmerzen erwartet, sollte, um die Dosis entsprechend anpassen zu können, immer ein starkes Opioid in der niedrigsten Dosierung die notwendig ist, verabreicht werden. Merke: Jedes Ansetzen eines Opioids verlangt auch nach einem Absetzen des gleichen nach einer Operation.
Wird der Patient mit einem Opioid entlassen und hatte vor der Operation kein Opioid, sollte im Entlassbrief das Heruntertitrieren des Opioids entsprechend empfohlen werden. Bei Patienten mit starken Schmerzen bei Entlassung muss eine ausreichende Schmerztherapie, wenn nötig auch mit Opioiden, gewährleistet werden. Diese sollte dann im Entlassbrief dargestellt und darauf hingewiesen werden, dass sie zeitnah entsprechend ausgeschlichen werden muss. Referenzen [1]
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5 Regionalanästhesieverfahren Alexander Schnabel, Peter Zahn Regionalanästhesieverfahren sind aus dem modernen perioperativen Anästhesiealltag nicht wegzudenken und bilden für eine Vielzahl an Operationen einen wichtigen Baustein im Rahmen einer prozedurenspezifischen, multimodalen, präventiven postoperativen Schmerztherapie. Grund hierfür ist, dass in den letzten Jahren in randomisierten, kontrollierten Studien als auch in großen retrospektiven Datenbankanalysen klar gezeigt werden konnte, dass periphere und rückenmarksnahe Regionalanästhesien einer herkömmlichen postoperativen Opioidgabe hinsichtlich der patientenrelevanten Zielgrößen postoperative Analgesie und Reduktion opioidbedingter Nebenwirkung klar überlegen sind [1–3]. Auch wenn in der Metaanalyse von Pöpping und Kollegen gezeigt wurde, dass Patienten mit einem Epiduralkatheter eine signifikant geringere perioperative Mortalität aufwiesen [3], wird die Risiko-NutzenKosten-Bewertung einer Epiduralkatheteranlage bei einer Vielzahl von Operationen (laparoskopische Gastrektomien, Kolektomien etc.) kontrovers diskutiert. Nichtsdestotrotz besteht klarer Konsens, dass mittels einer Epiduralkatheteranlage die postoperative pulmonale, kardiale und gastrointestinale Morbidität reduziert werden kann (u. a. Reduktion von Atelektasen, Pneumonien, Herzrhythmusstörungen, postoperativem Ileus), so dass die Epiduralkatheteranlage für offene Längslaparotomien, Thorakotomien sowie Patienten mit Risikokonstellationen (z. B. schwere pulmonale Vorerkrankungen) der Goldstandard bleibt[4]. Ähnliches gilt auch für Spinalanästhesien bei Hüft- und Knieoperationen [5]. Auch für periphere Regionalanästhesien in großen postoperativen Datenbankanalysen konnte gezeigt werden, dass bei Patienten nach einer Hüft- oder Knieendoprothese, die mit einer peripheren Regionalanästhesie versorgt wurden, ein signifikant geringeres Risiko für pulmonale Komplikationen vorlag [6]. Trotz alledem kommen Regionalanästhesieverfahren bei maximal 20–30 % der Patienten zum Einsatz. Neben wirtschaftlichen Gründen, wie z. B. der Sorge vor prozessbedingten Verzögerungen durch die Anlage von Regionalanästhesien, besteht weiterhin die Angst vor möglicherweise schweren Komplikationen durch diese Verfahren (s. Kap. 5.2.1, 5.2.2, 4.3). Alle Datenbankanalysen in den letzten Jahren konnten allerdings zeigen, dass schwere Komplikationen nach rückenmarksnahen (u. a. epidurale Hämatome, Abszesse, bleibende Nervenschädigungen) bzw. peripheren (u. a. bleibende Nervenschädigungen, LA-Intoxikationen) Regionalanästhesieverfahren bei korrekter Anwendung sehr selten auftraten [7–9]. Neben den „klassischen“ Regionalanästhesieverfahren, die durch Anästhesisten angewendet werden, spielen heutzutage auch Verfahren (Wundkatheter, LIA Technik, Lidocain-Infusionen) eine zunehmende Rolle, die von Seiten der Chirurgen zusammen mit Anästhesisten mit gutem Erfolg und geringen Risiken zum Einsatz kommen und damit auch Teil prozedurenspezifischer Schmerztherapieprotokolle im klinischen Alltag geworden sind. Im Folgenden werden deshalb alle aktuell gängigen Verfahren https://doi.org/10.1515/9783110597486-005
102 5 Regionalanästhesieverfahren
kurz vorgestellt, so dass prozedurenspezifische Analgesieprotokolle im Rahmen eines interdisziplinären Prozesses zwischen Anästhesisten und Chirurgen erstellt werden können, die natürlich bei patientenspezifischen Besonderheiten (z. B. pulmonale Vorerkrankungen, präoperative chronische Schmerzen) individualisiert werden sollten.
5.1 Lokalanästhetika, Adjuvantien 5.1.1 Lokalanästhetika Einteilung Die Struktur der unterschiedlichen Lokalanästhetika (LA) besteht entsprechend dem Löfgren-Schema aus einem lipophilen aromatischen Rest, einer Zwischenkette und einer hydrophilen Aminogruppe. Nach Art der Zwischenkette werden LA vom Estertyp und Amidtyp unterschieden (siehe Tab. 5.1) – Welche LA zu welchem SubstanzTyp gehören, kann man am Namen des LA erkennen – während Aminoester im Wirkstoffnamen ein „i“ im Namen tragen (z. B. Procain) weisen zwei „i“ im Namen auf ein Aminoamid-LA hin (z. B. Lidocain). Tab. 5.1: Pharmakokinetische Daten gängiger Lokalanästhetika. LA
max Dosis (mg)
pKa Wert
Proteinbin- Anschlagszeit dung (%) (min)
Wirkdauer (min)
Procain
9
5
langsam
ca. 60
Chlorprocain
9,1
–
5–10 min
ca. 40–60
Lidocain
200–300 (3–4 mg/kg) 7,9
65
schnell
mittellang
Prilocain
400 mg (5–6 mg/kg)
7,9
55
schnell
mittellang
Bupivacain
8,2
95
langsam
lang
Ropivacain
8,1
94
langsam
lang
Wirkdauer: kurz: 30–60 min; mittellang: 1–3 h; lang: > 3 h (mod. n. Zink und Ulrich 2018).
Wirkung Alle LA führen gleichsam zu einer reversiblen Blockade der neun funktionellen alpha-Untereinheiten spannungsabhängiger Natriumkanäle (Nav1.1 bis Nav1.9), wodurch die Entstehung und Fortleitung von Aktionspotentialen verhindert wird. Viele dieser alpha-Untereinheiten spannungsabhängiger Natriumkanäle befinden sich im
5.1 Lokalanästhetika, Adjuvantien 103
zentralen Nervensystem (Nav1.1, Nav1.2, Nav1.3 und Nav1.6) und auf peripheren Nerven, insbesondere A-delta und C Schmerzfasern (alle außer Nav1.4) – eine Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle auf diesen neuronalen Strukturen führt zu einer kompletten Hemmung der Schmerzfortleitung zum ZNS. Allerdings existieren auch bestimmte alpha-Untereinheiten auf nicht-neuronalen Geweben wie z. B. Nav1.5 in der Herzmuskulatur. Diese können ebenfalls durch LA blockiert werden und bieten die Erklärung für einige schwerwiegende Nebenwirkungen bei einer LAIntoxikation. Gleiches gilt für das zentrale Nervensystem und systemische Intoxikationen durch Lokanästhetika. Die Anschlagszeit von LA ist abhängig von dem Ionisierungsgrad, der durch den pKa-Wert angegeben wird. Die meisten LA haben einen leicht basischen pKa-Wert (7,6–8,1); somit liegt der Anteil der diffusionsfähigen ungeladenen Basen bei einem normalen Gewebe-pH von 7,4 lediglich bei etwa 20 % der injizierten LA-Menge. Je niedriger der pKa-Wert eines LA, desto höher ist der Anteil der lipophilen Basen und desto schneller ist die Diffusion durch die Nervenscheide und die Anschlagszeit. Erhöhte Gewebetemperatur und erniedrigter Gewebe pH, wie es bei einer Entzündung auftreten kann, führen zu einer schlechteren Wirksamkeit des Lokalanästhetikums. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Pharmakokinetik von LA ist die jeweilige Proteinbindung. Je höher die Proteinbindung eines LA ist, desto länger ist die Wirkdauer; eine geringe Proteinbindung und damit verbunden ein hoher Diffusionsgradient im Gewebe führt zu einer schnellen Anschlagszeit des LA (z. B. bei Chlorprocain) Nach der Injektion des LA z. B. im Rahmen der Periduralanästhesie, Spinalanästhesie oder der Blockade peripherer Nerven diffundiert die Substanz von außen nach innen in die Nervenstruktur. Entsprechend der unterschiedlichen Faserqualität spielen Myelinisierungsgrad und Durchmesser des Nervs eine entscheidende Rolle. Demnach werden dünne nicht- oder wenig myelinisierte Nervenfasern schneller blockiert als dicke myelinisierte Nervenfasern. Aus diesen pharmakodynamischen Voraussetzungen ergibt sich eine charakteristische zeitliche Reihenfolge des Ausfalls von sensorischen Qualitäten: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a2 þ b3 Vasomotorik – Schmerz – Kälte – Wärme – Berührung – Druck – Motorik Je nach Kapillardichte und Durchblutungssituation sowie der physikochemischen Eigenschaften erfolgt dann der Abtransport durch Adsorption der LA vom Injektionsort in das Gefäßsystem. Daher treten nach intrapleuraler, interkostaler und peritonsillärer Applikation die höchsten und nach subkutaner und intraartikulärer Injektion die niedrigsten Plasmakonzentrationen auf. Nach der Absorption in den Blutkreislauf werden die LA im Gegensatz zu vielen anderen Pharmaka nicht an Albumin, sondern in erster Linie an das saure Alpha1
104 5 Regionalanästhesieverfahren
Glykoprotein gebunden. Aufgrund der starken Plasmaspiegelschwankungen dieses Akutphaseproteins sowie des Einflusses von pH und Temperatur auf die Proteinbindung, ist die Plasmaproteinbindung der LA sehr variabel. Dabei ist der weitere Abbauweg der LA von der chemischen Grundstruktur abhängig. Aminoamid LA werden maßgeblich hepatisch metabolisiert (besonders durch CYP 3A4, CYP2D6 sowie CYP1A2) und zu etwa 5 % unverändert renal eliminiert. Damit korreliert die Eliminationshalbwertszeit von Prilocain, Ropivacain und Bupivacain sehr gut mit der hepatischen Perfusions- und Metabolisierungsrate. Aminoester LA werden nach der systemischen Absorption durch spezifische Plasma-Esterasen inaktiviert und die dabei entstehenden Aminoalkohole und Carbonsäuren renal eliminiert. Die in Tab. 5.2 dargestellten unterschiedlichen individuellen Faktoren können die Plasmabindung und Elimination von LA verändern. Wegen der schnellen Inaktivierung sind Intoxikationen durch Aminoester selten. Tab. 5.2: Einflussfaktoren für die Pharmakokinetik von Lokalanästhetika. Individueller Faktor
Einfluss
Grund
Neugeborene bis 3 Monate
Plasmacholinesterase um ca. 50 % verringert verringerte Konzentration Alpha 1 Glykoproteinen
verlängerte EliminationsHWZ – Intoxikationsgefährdung erhöht
„Alter Mensch“
reduziertes Fettgewebe und verzögerte Erregungsleitung
verlängerte Wirkung und höhere Plasmakonzentrationen
gestörte Leberfunktion
reduzierte Metabolisierung und verlängerte Wirkung verminderte Protein-synthese
Nierenfunktionsstörung
Gesamt-Clearance der LA redu- Akkumulation von LA und Metaziert boliten
fortgeschrittene Herzinsuffizienz Nieren und Leberdurchblutung reduziert
Exkretionsrate einiger Aminoamide vermindert
Schwangerschaft (besonders 2. Hälfte der Schwangerschaft)
erhöhte Gefährdung für systemisch toxische Effekte von LA
erhöhtes Herzzeitvolumen und verminderte Proteinbindung sowie erhöhte Progesteron bedingte Sensibilisierung des Herzes für LA
LA: Lokalanästhetika; HWZ: Halbwertszeit
5.1 Lokalanästhetika, Adjuvantien 105
Toxizität der Lokalanästhetika
systemische Toxizität
lokale Gewebetoxizität
kardiovaskuläre und ZNS Toxizität
Neurotoxizität und Myotoxizität sowie Knorpelschäden
allergische Reaktionen
hämatologische toxische Effekte
Methämoglobinämie
Abb. 5.1: Toxische Effekte von Lokalanästhetika (modifiziert nach Tonner, Pharmakologie, Anästhesie und Intensivmedizin 2011).
Nebenwirkungen Die systemisch-toxischen Nebenwirkungen gelten sicherlich als die gravierendsten Komplikationen bei der Anwendung von LA und treten auf, wenn die freie Plasmakonzentration der Substanz deutlich ansteigt und einen substanz-/patientenspezifischen Grenzwert übersteigt. Überdosierung des LA und eine akzidentielle intravasale Injektion stellen die wichtigsten Ursachen für eine systemische LA-Intoxikation dar. Da Natriumkanäle ubiquitär im Körper für die Reizweiterleitung auch an nicht neuronalen Geweben verantwortlich sind, können bei zu hohen Plasmakonzentrationen von LA zu Störungen der Reizweiterleitung, z. B. im Herz führen. Insgesamt wird das Risiko einer LA induzierten systemischen Toxizität (LIST) bei peripheren Nervenblockaden neueren Daten zufolge auf unter 0,01 % geschätzt [9,10]. Folgende Einflussfaktoren führen zu besonders hohen Plasmakonzentrationen: – gut vaskularisierte Injektionsorte (z. B. Muskelfaszien) – Dosierung und Menge des LA – Alter (je älter desto höher) – Vorerkrankungen (s. Tab. 5.2) – Liegedauer eines Schmerzkatheters (sofern vorhanden) Am häufigsten führt eine LIST zu: – kardiozirkulatorischer Toxizität (negativ chronotrop und dromotrop) mit Hypotonie, Myokardischämie und schweren Rhythmusstörungen bis hin zur Asystolie – zentralnervöser Toxizität – prodromal Status mit perioraler Taubheit, metallischem Geschmack – präkonvulsiver Status mit Tremor, Tinnitus, Nystagmus – konvulsiver Status – Grand mal Anfall, tonisch-klonische Krämpfe – ZNS Depression – Koma, Apnoe, Hypotonie
106 5 Regionalanästhesieverfahren
freie Plasmakonzentration
intravasale Applikation
interpleurale Applikation interkostale Blockade peridurale Anästhesie Plexus/Leitungsanästhesie subkutane Applikation
Zeit Abb. 5.2: Toxische Plasmaspiegel (Lokalanästhetika) (modifiziert nach Zink et al. 2009).
Therapie der LIST: – Sofortmaßnahmen – Zufuhr des Lokalanästhetikums stoppen – Oxygenierung sichern – Sauerstoffgabe, Atemwegssicherung – Krampfanfälle behandeln – Midazolam i. v. 0,05–0,1 mg/kg – Propofol 1–2 mg/kg – Kreislauftherapie – Reanimation beginnen (falls notwendig) und über einen Zeitraum von mind. 60 min durchführen – Adrenalin i. v. 10–100 µg – „Lipid-rescue“ – z. B. SMOFlipid 20 % – Bolus i. v. 1,5 ml/kg über 1 min. – Anschließend Infusion 0,25 ml/kg/min (15 ml/kg/h, Erwachsene 1000 ml über 1 h – Maximaldosierungsempfehlung 8 ml/kg – Nach Kreislaufstabilisierung bzw. erfolgreicher CPR laufende Lipidinfusion für mindestens 10 min weiterführen.
5.1 Lokalanästhetika, Adjuvantien 107
–
Arrhythmie behandeln – vermeide Lidocain – Vorsicht: Kaliumkanal- und Betablocker – erwäge Amiodaron und ggf. transkutaner oder transvenöser Schrittmacher
5.1.2 Adjuvantien LA kommen im Rahmen von peripheren und rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren häufig in Kombination mit sogenannten Adjuvantien zum Einsatz. Adjuvantien ermöglichen dabei vermittelt über andere Rezeptoren eine Analgesie bzw. Verstärkung und Verlängerung einer LA-Wirksamkeit, so dass letztlich die nötige Gesamtdosis an LA reduziert und die LA bedingten Nebenwirkungen (z. B. Motorblockade) verringert werden können. Merke: – Adjuvantien können ebenfalls dosisabhängig Nebenwirkungen verursachen bzw. sind häufig nicht zugelassen für eine Anwendung im Rahmen von Regionalanästhesieverfahren. Entsprechend müssen Patienten vor deren Anwendung gezielt über einen „off label use“ aufgeklärt werden. – essenziell, insbesondere bei der lokalen Applikation von Adjuvantien am peripheren und zentralen Nervensystem ist immer eine präklinische Toxizitätstestung vor einer klinischen Anwendung zum Ausschluss einer potenziellen Neurotoxizität!
Während Opioide bei rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren in der Praxis als etabliert angesehen werden, kommen andere Adjuvantien trotz nachgewiesener guter Effektivität bei peripheren und rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren seltener zum Einsatz. 5.1.2.1 Opioide (z. B. Sufentanil, Morphin) Aufgrund ihrer Effektivität und unterschiedlichen Pharmakologie (insbesondere Lipophilie) kommen Opioide bei verschiedenen Regionalanästhesieverfahren als Zusatz zum Lokalanästhetikum relativ häufig zum Einsatz [11]. Während das lipophile Sufentanil bei Epiduralanästhesien Standard und auch offiziell zugelassen ist, kommt das hydrophile Morphin insbesondere bei Spinalanästhesien (z. B. bei Kaiserschnitten) bzw. bei epiduralen Kaudalanästhesien zum Einsatz. Fentanyl ist in Deutschland dagegen nicht zugelassen, auch wenn es ebenfalls lipophil ist. Weiterhin konnten Opioidrezeptoren auch am peripheren Nerven nachgewiesen werden, was eine mögliche spezifische analgetische Wirkung von Buprenorphin am peripheren Nerven bei allen peripheren Regionalanästhesien erklären könnte; allerdings ist dies keine allgemeine Praxis in Deutschland und ebenfalls ein off-label use.
108 5 Regionalanästhesieverfahren
Wirkung M-Opioidrezeptoren finden sich sowohl am peripheren Nervensystem als auch im Bereich des zentralen Nervensystems (Ganglion am Hinterhorn im Bereich des Rückenmarkes, Gehirn). Opioide wirken dabei als Agonisten und führen zu einer Analgesie. Nebenwirkung Alle typischen opioidbedingten Nebenwirkungen können auch nach einer lokalen Applikation infolge einer systemischen Umverteilung auftreten, wobei es substanzspezifische Unterschiede gibt. Die Häufigkeit und Schwere der Opioid-bedingten Nebenwirkungen ist aber deutlich niedriger als nach systemischer Gabe. Nebenwirkungen durch Opioide sind: – Übelkeit und Erbrechen (insbesondere nach Gabe von Buprenorphin bei peripheren Nervenblockaden (→ Gabe von prophylaktischen Antiemetika) – Pruritus – Hypotonie und Bradykardie – vereinzelt Atemdepression (frühe Atemdepression nach lipophilen Opioiden [bis 12 h nach Applikation], späte Atemdepression nach hydrophilen Opioiden [12 h nach einer Applikation]) – Miktionsstörungen – vereinzelt Ileus (in Kombination mit einem Lokalanästhetikum bei epiduraler Gabe allerdings äußerst gering!) Empfehlung für die Praxis – Dosierungsempfehlung für Sufentanil bei EDA (single shot): 5–10 ml Ropivacain 0,5 % in Kombination mit 20 µg Sufentanil – Dosierungsempfehlung für Sufentanil bei EDA (single shot): Ropivacain 0,2 % plus 0,7–1 µg/ml Sufentanil kontinuierlich (5–10 ml/h) – Dosierungsempfehlung für Morphin bzw. Sufentanil bei Spinalanästhesie (z. B. für Sektiones, single shot): 1,3 ml Bupivacain hyperbar in Kombination mit 100 μg Morphin und 5 μg Sufentanil – Dosierungsempfehlung für Morphin bei Kaudalanästhesie (bei Eingriffen im oberen Abdominalraum, single shot): 1 ml/kg Ropivacain 0,2 % (max. 20 ml) in Kombination mit 20 μg/kg Morphin – Merke: Monitorüberwachung für 24 h, da Risiko für späte Atemdepression – Dosierungsempfehlung für Buprenorphin bei peripheren Nervenblockaden (0,3 mg)
5.1 Lokalanästhetika, Adjuvantien 109
5.1.2.2 Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten (z. B. Clonidin, Dexmedetomidin) Langwirksame LA in Kombination mit Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten werden häufig nach erfolgter off label Aufklärung bei epiduralen Kaudalanästhesien rückenmarksnah angewendet, während diese Kombination bei peripheren Regionalanästhesien trotz nachgewiesener Wirksamkeit (z. B. Verlängerung der Analgesiedauer, geringerer Bedarf an postoperativen Bedarfsanalgetika) eher selten zum Einsatz kommt [11]. Erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass Dexmedetomidin aufgrund einer selektiveren Wirkung am Alpha-2-Rezeptor eine stärkere Wirkung als Clonidin bei peripheren Regionalanästhesien hat [12]. Dabei ist aber noch unklar, ob eine lokale Applikation einer systemischen Gabe hinsichtlich der analgetischen Effektivität Vorteile aufweist. Wirkung Nach rückenmarksnaher Anwendung wirken Clonidin und Dexmedetomidin über Alpha-2-Adrenorezeptoren im Bereich des Rückenmarkshinterhorns analgetisch. Eine periphere Wirkung am Nerven ist aktuell nicht klar. Nebenwirkung Folgende Nebenwirkungen nach rückenmarksnaher und peripherer Gabe von Alpha2-Adrenorezeptoragonisten gilt es zu beachten: – Bradykardie und Hypotonie – Verlängerung der Motorblockade Merke: In einzelnen Fallberichten wurde von Atemdepression bei rückenmarksnaher Anwendung von Clonidin im Rahmen von epiduralen Kaudalanästhesien bei Frühgeborenen berichtet.
Empfehlung für die Praxis – Dosierungsempfehlung für Clonidin bei Kaudalanästhesie: 1 ml/kg Ropivacain 0,2 % (max. 20 ml) in Kombination mit 1 μg/kg Clonidin – Dosierungsempfehlung für Dexmedetomidin bei peripheren Regionalanästhesien: 1 ml/kg Ropivacain 0,2 % (max. 20 ml) in Kombination mit 1 μg/kg Dexmedetomidin 5.1.2.3 Kortikoide (Dexamethason) In vielen Publikationen konnte eine Verlängerung der Analgesiedauer durch die lokale Applikation von Dexamethason bei peripheren Regionalanästhesien nachgewiesen werden, wobei dies einer off label-Aufklärung bedarf [11]. Eine systemische Anwendung ist im Rahmen einer Prophylaxe von postoperativer Übelkeit und Erbrechen zugelassen; ob diese eine gleichzeitige Analgesie macht ist umstritten (vgl.
110 5 Regionalanästhesieverfahren
Kap. 4). Bei rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren (epidurale Punktionen) kommen Kortikoide trotz fragwürdiger Evidenz lediglich bei chronischen Schmerzpatienten zum Einsatz. Wirkung Eine klinisch signifikant überlegene Wirkung einer peripheren gegenüber einer systemischen Dexamethasongabe ist aktuell nicht klar. Ebenso ist der exakte Wirkmechanismus unklar. Bei rückenmarksnaher Anwendung wird eine entzündungshemmende und abschwellende Wirkung diskutiert. Nebenwirkung Folgende Nebenwirkung nach peripherer Applikation wurde bisher berichtet: Verlängerung der Motorblockade. Merke: In Kombination mit Ropivacain wurde im Rahmen eines Tierversuches eine höhere Apoptoserate von neuronalen Zellen im Sinne einer potenziell höheren Neurotoxizität gezeigt. Die klinische Relevanz ist aktuell nicht klar.
Empfehlung für die Praxis Dosierungsempfehlung für Dexamethason bei peripheren Regionalanästhesien: ein direkter Zusatz zu einem Lokalanästhetikum an den peripheren Nerven kann nicht empfohlen werden. Gabe von 4–8 mg Dexamethason intravenös in Kombination bei einem Regionalanästhesieverfahren kann die periphere Nervenblockade verlängern, PONV und ggf. Schmerzen reduzieren. 5.1.2.4 NMDA-Rezeptorantagonisten (Ketamin) Wirkung und Nebenwirkungen Ketamin ist ein nicht kompetitiver NMDA Rezeptor Antagonist und wird überwiegend als intravenöses Injektionsnarkotikum eingesetzt. Aufgrund seiner besonderen Pharmakologie führt es im Gegensatz zu anderen Injektionsnarkotika zu einer geringen Inzidenz an Atemdepression, aber auch zu einer dissoziativen Anästhesie mit Analgesie, Amnesie, Hypersalivation und teilweise auftretenden Halluzinationen und Albträumen. Regional hat es sich in klinischen Studien als deutlich analgesieverlängernd gezeigt, wenn man es zusammen mit einem Lokalanästhetikum bei einer Kaudalanästhesie kombiniert. Allerdings hat sich in Tierexperimenten Ketamin als potenziell neurotoxisch herausgestellt. Dies gilt für Konservierungsstoffe, aber auch für konservierungsmittelfreies Ketamin. Der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanäs-
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 111
thesie der DGAI empfiehlt deshalb den Einsatz von Ketamin als Supplement zur Kaudalanästhesie im Kindesalter nicht. Empfehlung für die Praxis: Eine regionalanalgetische Anwendung von Ketamin wird nicht empfohlen. Zu systemischem Einsatz von Ketamin vgl. Kap. 4.
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren Gemeinsame Kontraindikationen neuroaxialer Analgesieverfahren – Ablehnung durch den Patienten – Lokale Infektionen an der Punktionsstelle – Allergie auf LA – Geburtshilfliche Notfälle (Blutungen, schwere fetale Depression, Asphyxie, Plazentalösung) – Gerinnungsstörungen – Hypovolämie und Schock – signifikante Aortenstenose oder Herzfehler mit Rechts-Links Shunt und pulmonalem Hypertonus (Senkung des venösen Rückstroms, reduzierte linke Ventrikelfüllung und Zunahme des Rechts-Links Shunts) – umstritten: neurologische Vorerkrankungen wie Multiple Sklerose und generalisierte Infekte Eine nachgewiesene Bakteriämie/Kolonisation mit MRSA stellt keine grundsätzliche Kontraindikation für die Anlage eines Periduralkatheters bei Patienten dar. Die Entscheidung muss von dem zuständigen Facharzt nach genauer Risiko-Nutzen-Abwägung getroffen werden. Fixierte neurologische Störungen und Voroperationen stellen nicht notwendigerweise eine Kontraindikation dar; der neurologische Status muss aber bei der Prämedikation detailliert dokumentiert und der zuständige Facharzt informiert werden. Hier ist eine individuelle Nutzen-Risiko-Evaluierung erforderlich. Gerinnung Sowohl bei der Anlage als auch bei der Entfernung eines Periduralkatheters bzw. bei der Anlage einer Spinalanästhesie sind folgende Gerinnungsgrenzwerte zu beachten, um das Risiko einer epiduralen Blutung so gering wie möglich zu halten. Gerinnungsparameter, die beim Durchführen von neuroaxialen Regionalanästhesien bzw. Katheterentfernungen eingehalten werden sollten, um das Risiko so niedrig wie möglich zu halten (Laborwerte nicht älter als 3 Tage):
112 5 Regionalanästhesieverfahren
– – – –
Quick: > 50 % INR: < 1,4 bei Kumarintherapie PPT: < 50 sec Thrombozyten: > 50.000/µl
Oberhalb bzw. unterhalb dieser Werte darf eine Punktion bzw. eine Katheterentfernung nur nach individueller Nutzen-Risiko-Analyse erfolgen. Gerinnungsaktive Substanzen und antithrombotische Therapie Für die Anlage oder Entfernung von Epiduralkathetern ist eine Therapie mit Antithrombotika oder Thrombozytenaggregationshemmern ggf. zu unterbrechen. Zeitintervalle und Laborkontrollen sind in Tab. 5.3 aufgeführt. Alle Zeitangaben beziehen sich auf Patienten mit einer normalen Nierenfunktion (GFR > 40–50 ml/min). Die Kombination verschiedener Antithrombotika mit Thrombozytenaggregationshemmern erhöht das Blutungsrisiko und sollte unterbleiben. Bei niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosierung oder bei zweimal täglicher Gabe muss vor einer Katheteranlage oder -entfernung mindestens 24 Stunden gewartet werden. Die Bestimmung der Blutungszeit als Diagnostikum bei Patienten z. B. unter ASS Einnahme vor der Anlage einer PDA entfällt aufgrund der mangelnden prädiktiven Aussagekraft. Bei der Gabe von NOAKs muss die HWZ einer Substanz berücksichtigt werden (vgl. hier Tab. 5.4). Bei den meisten NOAKs beträgt diese. 12 h (bei Dabigatran ca. 14–17 Stunden); die Anlage oder das Entfernung von Epiduralkathetern sollte bei hoher Dosierung nach 4–5-facher HWZ (also frühestens 48 Stunden nach letzter Gabe) erfolgen. Die nächste NOAK Gabe sollte 6 h nach Anlage/Entfernen des Katheters erfolgen. Ein Bridging ist nicht notwendig.
4–6 h
15–20 h
22–24 h
24 h
120 min 25 min
niedermolekulare Heparine (Therapie) bei normaler Nierenfunktion
Fondaparinux (1 × 2,5 mg/d) Nierenfunktion normal
Danaparoid (2 × 750 I. E./d)
Natriumpentosanpolysulfat (max. 2 × 50 mg)
Hirudine Desirudin Bivalirudin
8–10 h 4h
48 h
48 h
36–42 h
24 h
aPTT, ECT ACT
Thrombozyten
Anti-Xa-Spiegel
3–4 h Kontraindikation bei rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren, 8h ggf. Bridging nach RS Hämostaseologie 6h 8h
Thrombozyten, Anti-Xa-Spiegel
Anti-Xa-Spiegel
4h
Thrombozyten, Anti-Xa-Spiegel
Thrombozyten bei Anwendung > 5 d
aPTT, (ACT), Thrombozyten
Thrombozyten bei Anwendung > 5 d
6–12 h
nach 36–42 h (immer Anti-XaSpiegel)
mindestens 48 h (immer Anti-XaSpiegel)
4h
mindestens 32–60 h (immer Anti-Xa-Spiegel)
16–30 h
8–12 h 16–24 h (immer PTT-Kontrol- 1 h le)
1h
niedermolekulare Heparine (Prophylaxe), Kreatinin-Clearance ≤ 30 ml/min
i. v. 4–6 h s. c. 8–12 h
8h
nach Punktion/ Laborkontrolle Katheterentfernung
36–42 h; ggf. Bridging Verfahren mit 4 h i. v. Heparin anstreben?
2–3 h
unfraktionierte Heparine (Therapie)
4h
+ ASS 100 vor Punktion/Katheterentfernung
12 h
1,5–2 h
unfraktionierte Heparine (Prophylaxe)
vor Punktion/ Katheterentfernung
4–6 h niedermolekulare Heparine (Prophylaxe): z. B. Clexane, Fragmin, Fraxiparin, Innohep, Mono Embolex Nierenfunktion normal
Halbwertszeit
Substanz
Tab. 5.3: Rückenmarksnahe Anästhesie und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Therapie.
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 113
Halbwertszeit
35–45 min
14–17 h
14–17 h
11–13 h
11–13 h
10–15 h
10–15 h
Tage
(biolog.) Lebensdauer der Thrombozyten
(biolog.) Lebensdauer der Thrombozyten
Substanz
Argatroban (Prophylaxe)
Dabigatran (max. 1 × 150–220 mg/d)
Dabigatran (max. 2 × 150 mg/d)
Rivaroxaban (1 × 10 mg/d)
Rivaroxaban (2 × 15 mg/d, 1 × 20 mg/d)
Apixaban (2 × 2,5 mg/d)
Apixaban (2 × 5 mg/d)
Vitamin-K-Antagonisten
Acetylsalicylsäure (100 mg/d)
Clopidogrel
Tab. 5.3: (fortgesetzt)
keine
nach Entfernung
keine
7–10 Tage
5–7 h
5–7 h
4–5,5 h
4–5,5 h
6h
6h
5–7 h
INR
PT; kalibrierte Anti-XaSpiegel
PT; kalibrierte Anti-XaSpiegel
PT; kalibrierte Anti-XaSpiegel
PT; kalibrierte Anti-XaSpiegel
aPTT, ECT, TT
aPTT, ECT, TT
aPTT, ECT, ACT
nach Punktion/ Laborkontrolle Katheterentfernung
Nach Entfernung
7–10 Tage
+ ASS 100 vor Punktion/Katheterentfernung
INR < 1,4
40–75 h
26–30 h
44–65 h
22–26 h
56–85 h
28–34 h
4h
vor Punktion/ Katheterentfernung
114 5 Regionalanästhesieverfahren
(biolog.) 7–10 Tage Lebensdauer der Thrombozyten
7–10 Tage (biolog.) Lebensdauer der Thrombozyten
Ticlopidin
Prasugrel
vor Punktion/ Katheterentfernung
Halbwertszeit
Substanz
Tab. 5.3: (fortgesetzt)
7–10 Tage
7–10 Tage
+ ASS 100 vor Punktion/Katheterentfernung
6 h nach Entfernung
nach Entfernung
nach Punktion/ Laborkontrolle Katheterentfernung
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 115
116 5 Regionalanästhesieverfahren
Tab. 5.4: Regionalanalgesieverfahren bei Gabe verschiedener NOAKS (adaptiert nach [13]). Substanz
HWZ [h]
Dosierung [mg/d]
Dabigatran
14–17
niedrig
1 × 150–220 28–34
2- bis 3-fache HWZ 6
hoch
2 × 150
56–85
4- bis 5-fache HWZ
niedrig
1 × 10
22–26
2- bis 3-fache HWZ 4–5,5
hoch
2 × 15 1 × 20
44–65
4- bis 5-fache HWZ
niedrig
2 × 2,5
26–30
2- bis 3-fache HWZ 5–7
hoch
2×5
40–75
4- bis 5-fache HWZ
niedrig
1 × 30
20–28
2- bis 3-fache HWZ 6–7
hoch
1 × 60
40–60
4- bis 5-fache HWZ
Rivaroxaban
Apixaban
Edoxaban
11–13
10–15
10–14
Pause vor Punktion/ Katheterentfernung [h]
Pause nach Punktion/Katheterentfernung [h]
D: Tag, h: Stunden, HWZ: Halbwertszeit
5.2.1 Spinalanästhesie Anatomie Die Punktion wird im Bereich der lumbalen Wirbelsäule zwischen Lendenwirbelkörper L2–L4 durchgeführt. Bei der Punktion werden in entsprechender Reihenfolge das Lig. Supraspinale, Lig. interspinale, Lig. flavum, Dura mater und die Arachnoidea bis zum Subduralraum mit der Nadel durchstochen. Eine Punktion unterhalb von L3 wird empfohlen, da der Conus medullaris bei immerhin 4 % der Erwachsenen erst bei L2/L3 endet. Das Lokalanästhetikum wird bei der Spinalanästhesie also direkt in den Subduralraum injiziert und führt sehr schnell zu einer vollständigen Analgesie. Indikation – alle kurzen-mittellangen Eingriffe unterhalb des Bauchnabels – Geburtshilfliche Eingriffe/Sectio Caesarea Die Spinalanästhesie gehört zu den anästhesiologischen Grundtechniken und ist verhältnismäßig schnell und sicher erlernbar – für die Spinalanästhesie werden etwa 45 Versuche für eine durchschnittliche Erfolgsquote von 90 % benötigt. Auch Operationen an der Wirbelsäule oder Begleiterkrankungen wie Spinalkanalstenose oder Bandscheibenerkrankungen scheinen den Erfolg einer Spinalanästhesie nicht wesentlich zu beeinflussen.
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 117
Perioperative Komplikationen Sympathikusblockade – Vasodilatation, venöses Pooling, Hypotonie – Respiratorische Insuffizienz bei hoher Spinalanästhesie, Lähmung der Interkostalmuskulatur – Therapie eines ausgeprägten Blutdruckabfalls im Rahmen der Sympathikolyse: – Beine hochlagern – Volumengabe – Sauerstoffgabe – Vasopressorengabe wie z. B. Cafedrin + Theodrenalin (Akrinor 1–4 ml) oder Ephedrin (5–10 mg i. v.) oder Noradrenalin 1:100 (5–10 µg i. v.) – Bei Bradykardie Atropin 0,25–1 mg i. v. Postoperative Komplikationen Postspinaler Kopfschmerz: – lageabhängiger Kopfschmerz meist ab dem 2. Tag beginnend – okzipital oder frontal betont – Ursache ist wahrscheinlich ein Liquorverlust über die Punktionsstelle in der Dura – Prophylaxe: Verwendung dünner Spinalnadeln mit konischer Spitze – Therapie: Nichtopioidanalgetika nach festem Schema (z. B. 3 × 400–600 mg Ibuprofen/Tag); individuelle Bettruhe, ausreichende Flüssigkeitszufuhr – nur bei weiter bestehendem Kopfschmerz > 6 Tage wird ein Blutpatch empfohlen (epidurale Injektion von 20 ml Eigenblut im Bereich der vorhergehenden Punktion) Transiente neurologische Symptome: – Auftreten innerhalb von 24 h nach dem Abklingen einer unauffälligen Spinalanästhesie – dumpfer Schmerzcharakter mit einer Schmerzstärke VAS –3–8 (Visuelle Analogskala 0–10) – Hyp- und Dysästhesien in der Glutealregion mit Ausstrahlung in die unteren Extremitäten – Dauer etwa 1–3 Tage ohne Residuum – Inzidenz 16,9 % für Lidocain und 19,1 % bei Mepivacain
118 5 Regionalanästhesieverfahren
Epidurale oder spinale Hämatome: [14] – Inzidenz: – SpA: 1:150.000–200.000 – PDA: 1:5400 – Geburtshilfe 1:200.000 – Operation Becken/Abdomen: 1:7300 – Thoraxchirurgie: 1:4300 – Gefäßchirurgie 1:1000 – die Hälfte aller Blutungen ereignet sich beim Entfernen eines Epiduralkatheters – Diagnostik bei neu aufgetretenen neurologischen Defiziten ist die umgehende Durchführung einer MRT Untersuchung. Symptomatische Raumforderungen nach epiduraler oder spinaler Punktion müssen unverzüglich chirurgisch entlastet werden; der Grad der Restitution neurologischer Funktionen hängt wesentlich von dem Zeitintervall ab (< 4–6 h), das zwischen dem Auftreten erster ernsthafter Symptome und der neurochirurgischen Intervention vergeht. Besonders ernstzunehmende Hinweise sind Motorblockaden bei thorakaler Epiduralanalgesie und Konus- oder Cauda-equina-Syndrom (Reithosenanästhesie, Blasenentleerungsstörung, Stuhlinkontinenz) bei lumbaler Epiduralanalgesie oder Spinalanästhesie. Über die Langzeitfolgen einer epiduralen Blutung oder eines epiduralen Abszesses (s. u.) für den Patienten ist wenig bekannt [21]. Es wird geschätzt, dass 60 % der Patienten mit epiduralen Komplikationen in eine Langzeitpflegeeinrichtung verlegt werden und sich eine Rate von Paraplegien mit etwa 1:55.000 ergibt. Epiduraler oder spinaler Abszess: [14] Inzidenz: 1:14.000–1:20.000. Epidurale oder spinale Abszess nach rückenmarksnaher Anästhesie sind extrem selten. Sie werden in der Regel durch Hautkeime verursacht. Lokale Infektionen können auch mehrere Tage nach Durchführung des Analgesieverfahrens zu ernsten Komplikationen führen. Bei Infektzeichen ist daher immer sofort eine Diagnostik mit MRT durchzuführen. Symptome gleichen denen eines epiduralen Hämatoms. Bei Verdacht ist der Katheter zu entfernen (Katheterspitze auf Keime untersuchen); die Gabe von Antibiotika ist frühzeitig zu beginnen. Empfehlungen für die Praxis SpA ist verhältnismäßig gut und sicher erlernbar mit hoher Erfolgsrate. Indikation sind Eingriffe unterhalb des Bauchnabels und geburtshilfliche Sectio caesarea. Um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden ist folgendes unbedingt zu beachten: – aseptische Bedingungen bei der Punktion – Punktionshöhe L3/4 ± 1 Segment
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 119
– – –
Verwendung von Kanülengröße mit kleinem Durchmesser (25 oder 27 G) und atraumatischer Kanülenkonfiguration (z. B. Pencil Point Kanüle) Einhaltung der S1 Leitlinie der DGAI „Rückenmarksnahe Regionalanästhesie und Thromboembolieprophylaxe/antithrombotische Medikation“ Anwendung eines präpunktionellen Ultraschallscans zur Bestimmung der optimalen Einstichstelle und der Punktionstiefe erhöht die Erfolgsrate! Aufgrund der hohen Inzidenz transienter neurologischer Symptome sollte auf die Verwendung von Lidocain und Mepivacain im Rahmen der Spinalanästhesie verzichtet werden.
Spinalanästhesie bei ambulanten Eingriffen Bisher galt die Spinalanästhesie aufgrund des möglichen Auftretens transienter neurologischer Symptome und einer langanhaltenden motorischen Blockade mit später Mobilisation für ambulante operative Eingriffe ungeeignet. Seit der Etablierung verschiedener kurzwirksamer LA wie Chlorprocain 1 % oder Prilocain 2 %, die für die neuroaxiale Applikation zugelassen sind, ist die Spinalanästhesie ein adäquates und sinnvolles Narkoseverfahren für kurze ambulante Eingriffe wie unfallchirurgische und orthopädische Eingriffe. – Kniearthroskopie – Meniskusentfernung/naht – minimalinvasive Arthrosebehandlung, Knorpelglättung – Fuß/Unterschenkel – arthroskopische Entfernung freier Gelenkkörper am Sprunggelenkt – minimalinvasive Arthrosebehandlung – Hallux valgus OP – Krallenzehe OP – Metatarsalgie OP – kleine septische Eingriffe (Abszessspaltung) – Lipomentfernung – Metallentfernung Nach den Empfehlungen der S1 DGAI Leitlinie „Empfehlungen zur Durchführung der Spinalanästhesie bei ambulanten Patienten“ wird die Anwendung dieser kurzwirksamen LA bei der Anwendung der Spinalanästhesie dringend aus folgenden Gründen gefordert: – schnelle Anschlagszeit – kurze Wirkdauer – geringe Inzidenz transienter neurologischer Symptome – kurze motorische Blockade Trotz höherer Kosten für kurzwirksame LA stellt die Spinalanästhesie ein ökonomisch sinnvolles Verfahren bei der Anästhesie ambulanter Patienten dar – nicht
120 5 Regionalanästhesieverfahren
zuletzt, da eine gut planbare Verlegung der Patienten gewährleistet ist und Nebenwirkungen wie postoperative Übelkeit, die Verwendung von Opioiden und eine Minderung der Vigilanz beträchtlich vermieden werden können. Dosierungen: – Chlorprocain 1 %: 40 mg (4 ml) bis max. 50 mg (5 ml) – Prilocain 2 %: 40 mg (2 ml)–60 mg (3 ml)
5.2.2 Epiduralanästhesie Anatomie Der anatomische Weg der Nadel entspricht dem einer Spinalanästhesie ohne dabei den Spinalraum zu perforieren – bei der Periduralanästhesie wird der Epiduralkatheter nach der Perforation des Lig. flavum in den entsprechenden Epiduralraum eingebracht. Indikation – große, konventionell durchgeführte gynäkologische, viszeralchirurgische (bei tiefen Rektumeingriffen auch laparoskopisch durchgeführte), und urologische Operationen – DaVINCI-Eingriffe (z. B. Blasen-CA und Ösophagus-CA) – gefäßchirurgische Eingriffe, bei denen eine Laparotomie durchgeführt wird – Thoraxeingriffe mit Thorakotomie Bei laparoskopischen oder thorakoskopischen Eingriffen muss eine Nutzen-RisikoAbwägung im Rahmen der Anlage eines thorakalen Epiduralkatheters für den Patienten durchgeführt werden. Neben der erwiesenen guten Analgesiequalität besitzt die thorakale Periduralanästhesie auch weitere über die Analgesie hinausgehende Effekte [13]. Kardiovaskuläre Effekte Besonders bei kardiovaskulären Risikopatienten, die sich einer großen abdominellen Operation unterziehen müssen, kann die thorakale Periduralanästhesie die Inzidenz an Herzrhythmusstörungen, Myokardinfarkten und akutem Herzversagen reduzieren [15]. Pulmonale Effekte Durch eine gute Analgesie der thorakalen Epiduralanästhesie kann die Bronchialtoillette verbessert und die postoperative Pneumonierate gesenkt werden.
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 121
Gastrointestinale Effekte Patienten nach offenen abdominalchirurgischen Eingriffen leiden mit einer thorakalen Periduralanästhesie weniger unter einem paralytischen Ileus als ohne entsprechend neuroaxiales Regionalanästhesieverfahren. Empfehlungen für die Praxis Die Epiduralanästhesie kann weiterhin als Goldstandard bei folgenden Eingriffen empfohlen werden: – Gefäßchirurgie: nur konventionelle Bauchaortenaneurysma-Operation – allerdings werden in Deutschland mittlerweile ca. 70 % der BAA endovaskulär versorgt – Thoraxchirurgie – Konventionelle abdominalchirurgische Eingriffe Laparoskopische kolorektale und gastrale Operationen verursachen weniger postoperative Schmerzen und haben eine geringere Inzidenz für einen paralytischen Ileus. Vorteile einer Periduralanästhesie auf Schmerztherapie, Pneumonierate und Darmmotorik konnten bei laparoskopischen Eingriffen nicht gefunden werden. Der Einsatz der thorakalen Epiduralanästhesie für die Kardiochirurgie hinsichtlich Schmerztherapie und Kardioprotektion konnte keine Vorteile zu einer systemischen Schmerztherapie aufzeigen. PCEA- Zusammensetzung Die PCEA (patientenkontrollierte Epidural-Analgesie) wird bei allen erwachsenen Patienten mit Ropivacain 0,2 % ggf. mit Zusatz von Sufentanil durchgeführt; besonders geeignet ist eine Dosierung von 0,7 µg/ml Sufentanil als Zusatz zu 2 %igem Ropivacain (s. Tab. 5.5). Wichtig ist, dass bei Zusatz eines Opioids in der Epiduralanalgesie kein weiteres Opioid systemisch verabreicht werden sollte; epidural verabreichtes Opioid gelangt immer zu einem gewissen Teil auch in das Gefäßsystem und die systemischen additiven Effekte sind dann nicht abschätzbar (Gefahr von Nebenwirkungen bis hin zur Atemdepression). Bei Patienten mit chronischen Schmerzen mit einer bereits präoperativ bestehenden Opioidtherapie wird diese perioperativ fortgesetzt. Ist eine PCEA geplant, so wird die PCEA ohne Opioid nur mit einem Lokalanästhetikum durchgeführt und die besteTab. 5.5: Basiseinstellung der PCEA-Systeme bei Erwachsenen mit Ropivacain 0,2 % (2 mg/ml) mit oder ohne Opioid. PDK
Kontinuierliche Rate
Bolus
Sperrzeit
thorakal
5–10 ml/h
2 ml
20 min
lumbal
3–8 ml/h
3 ml
20 min
122 5 Regionalanästhesieverfahren
hende Opioidmedikation unverändert, oder falls erforderlich, in einer erhöhten Dosierung fortgeführt. Therapieüberwachung Patienten mit einem kontinuierlichen Epiduralverfahren sollten durch geschultes Personal, in der Regel ist dies ein Akutschmerzdienst, betreut werden. Pro Tag werden routinemäßig 2 Visiten empfohlen. Die erste Visite (Regelarbeitszeit) sollte in der Regel ausführlich durch einen Arzt erfolgen und das Monitoring von Wirkung, Nebenwirkungen und Komplikationen umfassen. Die Anpassung der Analgesie, die Inspektion der Kathetereinstichstelle, das Auslesen der Infusionssysteme/Schmerzpumpe, ggf. Verbandwechsel und Therapiebeendigung sowie die Kommunikation mit dem Stationspersonal sollte ebenfalls dazugehören. Die zweite Visite abends beschränkt sich meist auf das Monitoring von Nebenwirkungen und Komplikationen und bei Bedarf auf die Anpassung der Analgesie. Ziel der Epiduralanalgesie sollte die Minimierung schmerzbedingter Beeinträchtigungen (vor allem Mobilisierung, Respiration, Ernährung, Schlaf) sein und die hierdurch nutzbare Mobilität des Patienten sollte ausgeschöpft werden. Jede motorische Blockade sollte vermieden und Nebenwirkungen, wenn möglich, durch Reduktion der Infusionsmenge oder durch Gegenmaßnahmen vermieden oder behandelt werden. Sensomotorische Ausfälle Bei sensomotorischen Ausfällen unter einer laufenden Epiduralanalgesie muss an folgende Möglichkeiten gedacht werden: – (häufigere) Nebenwirkung der verwendeten LA – (seltene) neuronale Kompression (Blutung, Abszess) – (seltene) spinale Dislokation des Katheters – (seltene) neuronale Verletzung im Rahmen der Katheteranlage Ausgeschlossen werden müssen vorbestehende sensomotorische Defizite. Motorische Blockaden der unteren Extremität treten vor allem bei lumbaler Epiduralanalgesie und bei hohen LA-Konzentrationen auf und gefährden die postoperative Rehabilitation. Ihre Ausdehnung sollte dokumentiert werde (z. B. mittels Kraftgrad nach Janda (5 = normale Muskelkraft, 4 = Bewegung gegen mäßigen Widerstand, 3 = Bewegung gegen Eigenschwere möglich, 2 = Bewegungseffekte unter Ausschaltung der Eigenschwere, 1 = sichtbare Muskelkontraktion ohne Bewegungseffekt, 0 = keine Muskelaktivität). Die Basisrate (und damit die LA-Dosis) sollte reduziert werden, bis die Ausfälle verschwinden. Bei einseitigen motorischen Blockaden kann das Zurückziehen des Katheters (falls dieser z. B. zu weit im Epiduralraum vorgeschoben worden ist) helfen, die motorische Blockade aufzuheben (Gerinnung und Zeitintervalle nach Gabe gerinnungshemmender Substanzen beachten!). Falls mode-
5.2 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 123
rate sensomotorische Ausfälle zugunsten der Analgesie toleriert werden (oder das Zurückziehen des Katheters nicht möglich ist), müssen diese täglich dokumentiert werden; ggf. muss intermittierend eine Kontrolle ihrer Rückläufigkeit durch kurzzeitiges Stoppen der Basisinfusion durchgeführt werden. Unzureichende Analgesie Die Qualität der Analgesie (insbesondere die Ausdehnung) kann durch die Infusionsrate gesteuert werden. Falls eine programmierbare Schmerzpumpe verwendet wird, kann zusätzlich zu der kontinuierlichen Infusionsrate auch ein patientengesteuerter Bolus verabreicht werden. Patienten sollte dies ausreichend erklärt werden. Sind Basisraten über 9 ml/h erforderlich, sollte eine Katheterfehllage ausgeschlossen werden. Dies kann durch die Gabe von „Arztboli“, z. B. 5 ml der Infusionslösung, erfolgen (Cave: Überwachung!). Ist der Katheter zu hoch oder zu niedrig angelegt worden ist, kann ggf. durch eine Lagekorrektur (Zurückziehen des Katheters) eine Verbesserung erzielt werden. Andernfalls muss eine Neuanlage erwogen werden. Häufige Manipulation und Diskonnektion des Katheters sollten unbedingt vermieden werden (z. B. zusätzliche Bolusapplikationen sollten nicht „aus der Hand“, sondern über die konnektierte Schmerzpumpe verabreicht werden). Epiduralkatheter sollten mit transparentem, adhäsivem Pflaster fixiert werden – dies ermöglicht die Einstichstelle zu begutachten, ohne dafür den Verband zu wechseln und das Risiko einer Infektion (und Katheterentfernung) einzugehen. Die Tunnelung des Katheters ermöglicht eine bessere Fixierung (Annaht des Katheters wird nicht empfohlen). Infusionssysteme mit relativ großem Infusionsvolumen (500–750 ml) verhindern das häufige Wechseln des Systems bei längerer Liegedauer. Therapiedauer Generell werden folgende Therapiezeiträume angestrebt: – Laparotomie 3–5 Tage, – Orthopädische und unfallchirurgische Eingriffe 3–5 Tage – Thorakotomie 5 Tage bzw. bis zum Entfernen der Thoraxdrainagen – Rippenserienfraktur, bei gegebener Indikation auch > 5 Tage Die zunächst geplante Therapiedauer wird an die klinische Situation des Patienten angepasst und sollte unter Rücksprache mit den Operateuren erfolgen; oft wird von operativer Seite, z. B. bei Verdacht auf einen Ileus, eine längere Liegedauer gewünscht. Grundsätzlich ist eine Therapiereduktion auch bei fehlenden Schmerzen innerhalb der ersten 3 Tage nach großen abdominellen oder thorakalen Eingriffen nicht sinnvoll, um die Lungenfunktion und die Erholung des Gastrointestinaltraktes nicht zu beeinträchtigen. Nach Beenden der PCEA-Therapie wird der Katheter nach Überprüfung der aktuellen Gerinnungsparameter (postoperativ nicht älter als 3 Tage) und unter Berück-
124 5 Regionalanästhesieverfahren
sichtigung der aktuelle DGAI-Leitlinien zur „Rückenmarksnahen Anästhesie und Antithrombotischer Therapie“ (s. Tab. 5.3 und Tab. 5.4) durch die Mitarbeiter des ASD entfernt und auf Vollständigkeit überprüft. Ergeben sich Hinweise für eine Infektion, so wird die Katheterspitze eingeschickt. Die Patienten erhalten weiterhin ein Nichtopioid-Analgetikum sowie bei Bedarf schwache (z. B. Tilidin oder Tramadol) oder starke Opioide (z. B. Morphin, Oxycodon oder Hydromorphon, vgl. Kap. 4). Innerhalb von 24 h nach Beendigung des epiduralen Schmerzverfahrens (idealerweise auch 4–6 Stunden nach Entfernen des Katheters) muss bei jedem Patienten eine Visite durch den ASD erfolgen. Hierbei erfolgt die Kontrolle neurologischer Parameter sowie der Eintrittsstelle des Katheters. Weiterhin wird der Erfolg der oralen Schmerztherapie beurteilt.
5.3 Periphere Regionalanästhesieverfahren Aufgrund des rapide zunehmenden Interesses an ultraschallgesteuerten Regionalanästhesieverfahren (verstärkte Verfügbarkeit von Geräten im OP, Etablierung der Ultraschallanwendung in der Weiterbildung, Erweiterung der Kenntnisse im Rahmen von Ultraschallkursen) hat die periphere Regionalanästhesie in den letzten Jahren einen Boom erlebt, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass ultraschallgesteuerte periphere Regionalanästhesieverfahren (Einzelpunktion, Katheterverfahren) einer nervenstimulationsgesteuerten oder landmarkenbasierten Technik in Hinblick auf Erfolgsrate und geringerem Risiko für akzidentelle Gefäßpunktionen überlegen sind [15]. Interessanter Weise konnte allerdings auch in neueren großen Datenbankanalysen nicht gezeigt werden, dass die Zahl an vorübergehenden Nervenschädigungen nicht unterschiedlich zu den herkömmlichen Anlagetechniken ist [10]. Permanente Nervenschädigungen nach peripheren Regionalanästhesien wurden in aktuellen Datenbankanalysen nicht berichtet, so dass dieses Risiko heute bei korrekter Anwendung sehr, sehr gering ist [7–10]. Dies hat auch zu Folge, dass insgesamt die Zahl an rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren zugunsten der peripheren Regionalanästhesieverfahren zurückgeht, vor allem für Eingriffe an den unteren Extremitäten. Aufklärung Im Rahmen eines Aufklärungsgespräches muss der Patient auf folgende generelle Risiken peripherer Nervenblockaden hingewiesen werden: – Infektion, – akzidentelle Gefäßpunktion, – passagere oder persistierende periphere Nervenschädigungen – technisches Versagen.
5.3 Periphere Regionalanästhesieverfahren 125
Merke: Es ist wichtig, den Patienten im Aufklärungsgespräch auf eine mögliche passagere motorische Blockade hinzuweisen, die eine Nebenwirkung der LA bzw. Anwendung der Adjuvantien ist.
Bei unkooperativen erwachsenen Patienten bzw. bei Verständigungsschwierigkeiten sollte primär eine periphere Regionalanästhesie als alleiniges Anästhesieverfahren (auch in Kombination mit einer Sedierung) nicht durchgeführt werden. Lange Zeit bestand trotz fehlender Evidenz Konsens, dass periphere Regionalanästhesieverfahren lediglich bei wachen Patienten angelegt werden sollten, um dem Risiko einer akzidentellen Nervenpunktion vorzubeugen (Injektionsschmerz!). Große Datenbankanalysen von Regionalanästhesien bei Kindern, die diese Verfahren nur im anästhesierten Zustand erhalten, haben aber gezeigt, dass die Rate an bleibenden Nervenschädigungen ebenfalls gering ist, so dass dies Inhalt einer aktuellen Debatte (periphere Regionalanästhesien bei anästhesierten oder wachen Patienten) ist. Entsprechend muss das Vorgehen beim vorausgehenden Prämedikationsgespräch mit den Patienten explizit abgesprochen werden. Spezifische Kontraindikationen Grundsätzlich werden absolute von relativen Kontraindikationen unterschieden: – Ablehnung des Verfahrens durch den Patienten – unmögliche Lagerung eines Patienten für die Anlage – Infektion im Punktionsgebiet oder dessen näherer Umgebung – Allergie gegen das verwendete Lokalanästhetikum oder Adjuvans Merke: Schwere Gerinnungsstörungen können wichtige Kontraindikationen insbesondere bei tiefen peripheren Nervenblockaden (N. ischiadicus) darstellen, so dass hier auch die Empfehlungen zur Anwendung von gerinnungshemmenden Substanzen bei rückenmarksnahen Regionalanästhesieverfahren der DGAI Berücksichtigung finden sollten.
Relative Kontraindikationen sind isolierte Nervenläsionen oder eine Polyneuropathie im Ausbreitungsgebiet der Nervenblockade, da eine mögliche akzidentelle Nervenpunktion vom Patienten nicht bemerkt wird.
5.3.1 Obere Extremität Der Plexus brachialis wird gebildet von den ventralen Ästen der Spinalnerven C5Th1. Je nach Lokalität des Plexus werden unterschiedliche Punktionsorte unterschieden, die je nach Operationslokalität bedeutsam ist.
126 5 Regionalanästhesieverfahren
5.3.1.1 Interskalenäre Blockade Anatomie Zwischen M. scalenus anterior und medius liegt die hintere Skalenuslücke, durch die der Plexus brachialis nach kaudal zieht. Er bildet dort den Truncus superior, medius und inferior. Merke: Ein besonderes Augenmerk muss auf die Gefäßsituation gelegt werden, da zwischen den einzelnen Nervenanteilen häufig die A./V. dorsalis scapulae oder der Plexus cervicalis superficialis liegt.
Indikation Eingriffe an Schulter und proximalem Oberarm. Spezifische Komplikationen – Blockade des N. laryngeus recurrens mit der Folge einer Recurrensparese (Heiserkeit; vorbestehende Parese des N. laryngeus recurrens als Kontraindikation) – Blockade des Ganglion stellatum (Horner-Syndrom mit der Symptomtrias: Miosis, Ptosis Enophthalmus) – Blockade des N. phrenicus mit der Folge einer Phrenikusparese (in seltenen Fällen Atemnot) – ggf. akzidentelle Punktion der A. vertebralis mit systemischer LA-Intoxikation – ggf. akzidentelle Punktion des Epidural- oder Spinalraumes mit hoher Spinalanästhesie – Pneumothorax Merke: Höchstes Risiko für periphere Nervenschädigungen (im Vergleich zu allen anderen Punktionsorten) aufgrund des geringen Myelinisierungsgrades der austretenden Spinalnerven.
Empfehlung für die Praxis Verfahren
Operationsdauer
Lokalanästhetikum
Dosierung
Single-Shot
2h
Ropivacain 0,75 %
10–15 ml
Katheterverfahren*
kontinuierlich
Ropivacain 0,2 %
4–8 ml/h
ggf. zusätzlicher Bolus
* Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
2–5 ml (maximal alle 30 Minuten)
5.3 Periphere Regionalanästhesieverfahren 127
5.3.1.2 Supraclaviculäre Blockade Anatomie Im supraclaviculären Punktionsbereich teilen sich die Trunci und bilden einen lateralen medialen und posterioren Faszikel. Der Plexus liegt hier noch zusammen lateral der A. subclavia. Merke: Häufig wird der Plexus durchzogen von der A. dorsalis scapulae, die aus der A. subclavia entspringt.
Indikation Eingriffe an Schulter oder Arm. Komplikationen – Blockade des N. laryngeus recurrens mit der Folge einer Recurrensparese (Heiserkeit; vorbestehende Parese des N. laryngeus recurrens als Kontraindikation) – Blockade des N. phrenicus mit der Folge einer Phrenikusparese (in seltenen Fällen Atemnot) – Pneumothorax Empfehlung für die Praxis
Verfahren
Operationsdauer
Lokalanästhetikum
Dosierung
Single-Shot
2h
Ropivacain 0,75 %
10–15 ml
Katheterverfahren*
kontinuierlich
Ropivacain 0,2 %
4–8 ml/h
ggf. zusätzlicher Bolus
2–5 ml (maximal alle 30 Minuten)
* Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
5.3.1.3 Infraclaviculäre Blockade Anatomie Die Faszikel des Plexus bracialis verteilen sich im infraklavikulären Bereich um die A. subclavia, wobei der posteriore Faszikel hinter der Arterie liegt. Der mediale und laterale Faszikel liegt unter der Muskelfaszie des M. pectoralis minor.
128 5 Regionalanästhesieverfahren
Indikation Eingriffe am Ober- bzw. Unterarm. Komplikationen Pneumothorax. Empfehlung für die Praxis Verfahren
Operationsdauer
Lokalanästhetikum
Dosierung
Single-Shot
2h
Ropivacain 0,75 %
10–15 ml
Katheterverfahren*
kontinuierlich
Ropivacain 0,2 %
4–8 ml/h
ggf. zusätzlicher Bolus
2–5 ml (maximal alle 30 Minuten)
* Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
5.3.1.4 Axilläre Blockade Anatomie Im Bereich des axillären Punktionsortes haben sich aus den Faszikeln die jeweiligen peripheren Endäste des Plexus brachialis gebildet. Diese liegen um die A. axillaris in der Gefäß-Nerven-Scheide. Dorsal der Arterie liegt immer der N. radialis. Der N. musculocutaneus hat meist die Gefäß-Nervenscheide bereits verlassen und muss separat im M. coracobrachialis blockiert werden. Indikation Eingriffe an Hand, Unterarm und distalem Oberarm. Komplikationen Akzidentelle Gefäßpunktion aufgrund der guten Vaskularisierung der Axilla.
5.3 Periphere Regionalanästhesieverfahren 129
Empfehlung für die Praxis Verfahren
Operationsdauer
Lokalanästhetikum
Dosierung
Single-Shot
2h
Ropivacain 0,375 %
20–30 ml
Katheterverfahren*
kontinuierlich
Ropivacain 0,2 %
4–8 ml/h
ggf. zusätzlicher Bolus
2–5 ml (maximal alle 30 Minuten)
* Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
5.3.2 Untere Extremität 5.3.2.1 N. femoralis Anatomie Der N. femoralis bildet den größten Teil des Plexus lumbalis und verlässt die Lacuna musculorum unter dem Leistenband. Er liegt dann lateral der A. femoralis (Merke: IVAN (von innen nach außen: Vene, Arterie, Nerv) auf dem M. iliopsoas und wird von dessen Faszie bedeckt. Distal des Leistenbandes erfolgt die Aufteilung des Nervens. Indikation Eingriffe an der Ventralseite des Oberschenkels bis einschließlich des Knies, Medialseite des Unterschenkels (Versorgungsgebiet des sensiblen Endast N. saphenus). Spezifische Komplikationen – postoperative Muskelschwäche des M. quadrips femoris, – ggf. erhöhte postoperative Sturzgefahr (Vorteil des N. saphenus Blocks ohne motorische Blockade bei gleicher Analgesiequalität) Empfehlung für die Praxis Verfahren
Operationsdauer
Single-Shot Katheterverfahren*
kontinuierlich ggf. zusätzlicher Bolus
* Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
Lokalanästhetikum
Dosierung
Ropivacain 0,375 %
20 ml
Ropivacain 0,2 %
5–10 ml/h 4–6 ml (maximal alle 30 Minuten)
130 5 Regionalanästhesieverfahren
5.3.2.2 N. saphenus Anatomie Der N. saphenus bildet den sensiblen Endast des N. femoralis und versorgt den medialen Teil des Unterschenkels bis zum Knöchel. Er verläuft im Adduktorenkanal auf der Medialseite des Oberschenkels zusammen mit der A. femoralis unter dem M. sartorius. Der rein sensible Nerv versorgt aber auch Teile der Knierückseite und entlässt proximal auch muskelversorgende Äste für den M. quadriceps femoris (z. B. M. vastus medialis), die auch für die analgetische Wirkung wichtig zu sein scheint. Ebenfalls wird die Haut distal der Patella über einen starken Ast sensorisch versorgt. Interessanterweise wird in der Literatur häufig von einer Adduktorenkanablockade statt einer Blockade des N. saphenus gesprochen, obwohl die am häufigsten angegebene Punktionsstelle (Mittelpunkt zwischen Spina illiaca anterior superior und Patella) proximal vom Adduktorenkanal liegt. Letztlich ist es sogar fraglich, ob eine distale Blockade des N. saphenus im Adduktorenkanal ähnlich analgetisch wirksam ist wie eine proximale Blockade oberhalb des Adduktorenkanals aufgrund der wichtigen muskelversorgenden Äste zum M. vastus medialis. Korrekterweise sollte deshalb von einer Blockade des N. saphenus gesprochen werden. Indikation Eingriffe im Bereich des Knies (arthroskopisch, offene Eingriffe), mediale Seite des Unterschenkels bis zum Knöchel. Spezifische Komplikationen Keine. Empfehlung für die Praxis Single-Shot, Ropivacain 0,2 %, 5 ml. 5.3.2.3 N. ischiadicus Anatomie Der N. ischiadicus wird gebildet von den Ventralästen von L4-S3 und kann im gesamten Verlauf der posterioren Oberschenkelseite blockiert werden. Aufgrund der zumeist verwendeten Ultraschalltechnik sind v. a. der infragluteale und popliteale Zugang relevant, während der anteriore Zugang bei Nervenstimulationstechnik genutzt wurde. Im subglutealen Bereich liegt der Nerv zwischen dem M. quadriceps femoris sowie der Glutealmuskulatur. Im poplitealen Bereich kann der Nerv oberhalb der A. poplitea aufgefunden werden, wobei die Teilungsstelle in den tibialen bzw. poplitealen Anteil identifiziert werden muss, damit eine vollständige Blockade beider Nerven erfolgt.
5.3 Periphere Regionalanästhesieverfahren 131
Indikation Operationen am Knie und Unterschenkel (Ausnahme des medialen Unterschenkels, der vom N. saphenus versorgt wird) Merke: Nur bei infraglutealer Punktion wird die dorsale Seite des Oberschenkels blockiert.
Spezifische Komplikationen Erschwerte Darstellbarkeit bei Anisotropie des Nerven bzw. großer Punktionstiefe. Empfehlung für die Praxis Verfahren
Operationsdauer
Single-Shot Katheterverfahren*
kontinuierlich ggf. zusätzlicher Bolus
Lokalanästhetikum
Dosierung
Ropivacain 0,375 %
20 ml
Ropivacain 0,2 %
5–10 ml/h 4–6 ml (maximal alle 30 Minuten)
*Höchstdosis beachten (0,5 mg/kg KG/Stunde)
5.3.3 Bauchwandblockaden 5.3.3.1 N. ilioinguinalis/iliohypogastricus Anatomie Der N. ilioinguinalis wird durch die ventralen Äste der Spinalnerven L1 bzw. L2 gebildet, während der N. iliohypogastricus sich aus den ventralen Ästen der Spinalnerven Th12 und L1 zusammensetzt. Die Nerven verlaufen dabei zwischen den M. transversus abdominis bzw. dem M. obliquus abdominis internus. Im Bereich der spina iliaca anterior superior des Beckens sollte deshalb die Nervenblockade erfolgen. Indikation Hernia inguinalis, Orchidopexie. Komplikationen – Motorblockade im Bereich des N. femoralis (insbesondere bei großen injizierten Volumina) – akzidentelle intraabdominelle Punktion
132 5 Regionalanästhesieverfahren
Empfehlung für die Praxis Single-Shot, Ropivacain 0,375 %, 0,1 ml/kg. 5.3.3.2 Rektusscheidenblock Anatomie Der M. rectus abdominis liegt eingebettet in einer so genannten „Rektusscheide“ bestehend aus einer anterioren und einer posterioren Muskelfaszie. Diese Faszien werden von den Aponeurosen des M. obliquus abdominis int. und ext. bzw. des M. transversus abdominis gebildet. Die Interkostalnerven 9–11 verlaufen dabei zwischen der posterioren Muskelfaszie sowie der Hinterwand des M. rectus abdominis, so dass dies die Zielstruktur für eine Blockade der medialen Bauchwand darstellt. Indikation Paraumbilikale Eingriffe (z. B. paraumbilikale Hernie). Spezifische Komplikationen Akzidentelle intraabdominelle Punktion, Leberpunktion. Empfehlung für die Praxis Single-Shot, Ropivacain 0,75 %, 10 ml (Kombination mit 9 ml NaCl, +0,1 mg Adrenalin. 5.3.3.3 Transversus abdominis plain (TAP) Block Anatomie Die laterale Bauchwand wird gebildet vom M. obliquus abdominis externus und internus bzw. vom M. transversus abdominis (von außen nach innen). Grundsätzlich werden 2 verschiedene Punktionsorte unterschieden: subkostaler Zugang (für Eingriffe im oberen Abdomen), kaudaler Zugang im Bereich des Nabels (für Eingriffe im unteren Abdomen). Das Lokalanästhetikum sollte zwischen die Muskelfaszien des M. obliquus abdominis internus und transversus abdominis appliziert werden. Je weiter dorsal die Applikation erfolgt, umso größer ist theoretisch die Ausbreitung (z. B. bis in den Epiduralraum), wie Kadaverstudien gezeigt haben. Indikation Eingriffe in unteren oder oberen Abdominaltrakt (z. B. Appendektomie, Kolektomie, Nephrektomie, Prostatektomie, Cholezystektomie).
5.4 Wundinfiltrationen (Bolus und Kontinuierlich) 133
Spezifische Komplikationen Akzidentelle intraabdominelle Punktion, Leberpunktion. Empfehlung für die Praxis Single-Shot, Ropivacain 0,75 %, 10 ml (Kombination mit 9 ml NaCl, +0,1 mg Adrenalin).
5.4 Wundinfiltrationen (Bolus und Kontinuierlich) Anatomie und Hintergrund Die einmalige perioperative lokale Wundinfiltration (local infiltration analgesia, LIA) sowie die kontinuierliche Wundinfiltration mit LA (wound catheter infusion, WCI) durch einen in die OP-Wunde eingebrachten Katheter ist seit Jahren ein anerkanntes postoperatives Analgesieverfahren. Vorteile beider Vorgehensweisen sind die einfache Durchführbarkeit z. B. durch den Operateur vor dem Verschluss der OP-Wunde, die geringe Invasivität sowie die große Sicherheit der Technik [16].
5.4.1 Kontinuierliche Wundkatheterinfiltration (WCI) Mehrere Metaanalysen konnten zeigen, dass die kontinuierliche Wundinfiltration mit Lokalanästhetika bei unterschiedlichen operativen Eingriffen zu einer guten postoperativen Schmerzhemmung, reduziertem Opioidverbrauch und einer hohen Patientenzufriedenheit führte ohne schwerwiegende Nebenwirkungen zu erzeugen [17]. Zusätzlich war die Wundinfektionsrate sehr niedrig (0,75 %) was sicherlich mit einer antiinflammatorischen Wirkung der verwendeten LA zusammenhängt. Weiterhin konnte in einigen Studien gezeigt werden, dass die WCI in ihrer analgetischen Effektivität im Vergleich zur Epiduralanalgesie nicht unterlegen war, sodass die WCI Technik für abdominelle Eingriffe und Sectio Caesarea von der PROSPECT (PROcedure SPECific Postoperative Pain ManagemenT) Gruppe empfohlen wurde [16]. Indikation – abdominelle Operationen (u. a. Appendektomie) und Leistenhernien Operation – unfallchirurgische und orthopädische Operationen wie Knie und Hüftgelenksersatz sowie Operationen an der Schulter (Arthroskopien, offene Schulteroperation) – Prostatektomie – Sectio caesarea und gynäkologische Operationen (z. B. Hysterektomien, Brustoperationen) – Wirbelsäulen-OPs – Mediane Sternotomie
134 5 Regionalanästhesieverfahren
Empfehlung für die Praxis Die Katheter werden durch den Chirurgen in der Wunde subfaszial oder subkutan eingelegt [18]. Vor Verlegung auf die Station wird der Katheter mit einer Schmerzpumpe konnektiert, die im Verlauf durch den ASD regelmäßig visitiert werden sollten, um Probleme schnell zu erkennen und ggf. die Schmerztherapie optimieren zu können. Die Laufraten und Dosierungen der LA können sich je nach Operationsort unterscheiden (siehe Tab. 5.6). Zusammenfassend wird empfohlen, für Operationen von Hüfte, Knie und Schulter einen subkutanen Wundkatheter mit z. B. Ropivacain 0,2 % (Laufrate 2–4 ml/h) für 48–72 h einzusetzen. Bei abdominellen offenen Eingriffen ist der Einsatz von Ropivacain 0,2 % mit einer höheren Laufrate von 5–10 ml/h via präperitonealem Wundkatheter sinnvoll. Ropivacain Dosierungen von 8–20 mg/h (1 % = 10 mg) für 48 h ergab Plasmaspiegel, die deutlich unter dem beschriebenen Toxizitätsspiegel für Ropivacain lagen. Tab. 5.6: Empfehlungen für Dosierungsprotokolle. Typ der Operation
Dosierung Lokalanästhetikum vor OP-Verschluss (Wundinfiltration)
Postoperative Schmerztherapie (Pumpe)
Schulter ASK
Keine
Bupivacain 0,25 %–0,5 % oder Ropivacain 0,2 %–0,5 % mit 2–5 ml/h für 48 h
Schulter OP offen
Ropivacain 0,75 %, 30 ml
Ropivacain 0,2–0,375 % mit 5 ml/h für 48–72 h
Knie (Kreuzband OP)
Bupivacain oder Ropivacain 0,25 % 20 ml
Bupivacain oder Ropivacain 0,25 % 2–4 ml für 48–72 h
Kniegelenksersatz
Ropivacain 0,5 %; 40 ml
Ropivacain 0,2 % mit 5 ml/h 48–72 h
Hüftgelenksersatz
Ropivacain 0,5 %; 40 ml
Ropivacain 0,2 % mit 5 ml/h 48–72 h
Abdominelle OPs
Ropivacain 0,2–0,5 % 20 ml
Bupivacain 0,5 % oder Ropivacain 0,2 % 5–10 ml/h für 48–72 h
5.4.2 Lokale Wundinfiltrationsanalgesie (LIA) Die lokale Wundinfiltration beinhaltet neben der Injektion von LA häufig auch die kombinierte Injektion von NSAIDs, Kortikoiden und Adrenalin und wird mittlerweile in vielen Ländern (UK, Skandinavien oder Australien) als gleichberechtigtes Analgesiekonzept z. B. zur kathetergestützten Regionalanästhesie bei laparoskopisch-abdominellen Eingriffen oder Knie- sowie Hüftgelenksprothesenersatz eingesetzt [19]. Da-
5.5 Therapieüberwachung bei peripheren Regionalanalgesieverfahren 135
bei konnte gezeigt werden, dass für den Gelenksersatz von Hüfte und Knie die LIA zumindest gleichberechtigt zur lumbalen Epiduralanästhesie war [20,21]. In Schweden werden z. B. die große Mehrzahl der Kniearthroplastien in LIA Technik durchgeführt. Nachteil der LIA sind weniger gute Steuerbarkeit (Analgesie und Nebenwirkungen) im Vergleich zu kontinuierlichen Katheterverfahren. Indikation – laparoskopische Operationen – unfallchirurgische und orthopädische Operationen wie Knie -und Hüftgelenksprothesenersatz Komplikationen – Unverträglichkeit/Anaphylaxie auf LA – Seltene LA-induzierte systemische Intoxikation Empfehlung für die Praxis Ropivacain 0,2 %, 40–100 ml (teilweise Mischungen mit Morphin, Adrenalin, siehe Tab. 5.6).
5.5 Therapieüberwachung bei peripheren Regionalanalgesieverfahren, e. g. wenn ein Katheterverfahren genutzt wird Für die Überwachung von Patienten mit einer kontinuierlichen peripheren Regionalanalgesie gelten sehr ähnliche Regeln wie bei Patienten mit einem Periduralkatheterverfahren (siehe oben). Auch hier sollte die Betreuung und das Entfernen des Katheters durch einen ASD postoperativ erfolgen. Die Visite des ASD (i. d. R. 2 Visiten pro Tag je nach Bedarf) umfasst auch hier das Monitoring von Analgesie, Nebenwirkungen und Komplikationen, die Anpassung der Analgesie, die Inspektion der Kathetereinstichstelle, ggf. Verbandwechsel und Therapiebeendigung. Entscheidend bei Anwendung einer periphere Regionalanalgesie ist ebenfalls neben einer adäquaten Analgesie das Verhindern von Funktionsbeeinträchtigungen. Für das Entfernen eines peripheren Regionalanalgesie-Katheters gelten weniger strenge Regeln als für die Epiduralanalgesie; der Katheter kann entfernt werden, solange keine schwerwiegenden Gerinnungsstörungen vorliegen. Je zentraler ein Katheter liegt, desto wichtiger ist aber, auch hier Gerinnung und Gabe von gerinnungshemmenden Substanzen bei der Katheterentfernung mit in Betracht zu ziehen. Bei motorischen Blockaden sollte auch hier die LA-Zufuhr reduziert oder die Blockadeausdehnung dokumentiert werden. Bleiben die Ausfälle bestehen, sollten sie neurologisch abgeklärt werden.
136 5 Regionalanästhesieverfahren
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6 Psychologische Aspekte Michael Hüppe, Carl Vahldieck
6.1 Einleitung Schmerzen nach Operationen weisen eine erstaunliche interindividuelle Variabilität auf. Bei vergleichbaren Eingriffen berichten manche Patienten postoperative starke Schmerzen, während andere Patienten angeben, gar keine Schmerzen zu haben. Für diese Variabilität werden sowohl psychische als auch somatische Merkmale des Patienten, Merkmale der Operation als auch krankenhausbezogene Struktur- und Prozessmerkmale als Begründung angeführt [1,2]. Dieser Beitrag fokussiert auf psychologische Merkmale, die den postoperativen Schmerzverlauf beeinflussen und über die Lehmann (1999) schrieb: „Psychological factors seem to be as important as the surgical trauma“ [3] und beschreibt psychologische Interventionen, die hier einen positiven Einfluss auf das postoperative Schmerzerleben haben können.
6.2 Psychologische Patientenmerkmale als Risikofaktoren für den postoperativen Akutschmerz Psychologische Patientenmerkmale sind bereits häufig mit postoperativem Schmerz in Beziehung gebracht worden [1]. Während ältere Analysen dabei auf zeit- und situationsunabhängige Persönlichkeitsmerkmale fokussierten, stehen in neueren Arbeiten Zustandsaspekte des Patienten und kognitive Prozesse im Zentrum. Patienten haben danach ein höheres Risiko für stärkere postoperative Schmerzen, wenn sie – emotional labil sind, – sehr schmerzempfindlich sind, – viel Angst in der Zeit vor der Operation haben, – niedergeschlagen und deprimiert sind, – schon vor der Operation (chronische) Schmerzen haben, – nach früheren Operationen starke Schmerzen hatten, – erwarten, dass nach der Operation starke Schmerzen auftreten, – befürchten, dass sie den Schmerzen hilflos ausgesetzt sind und darauf keinen Einfluss haben (Resignation) – Defizite in Schmerzbewältigungsstrategien haben. Ein systematisches Review beschreibt vorbestehende Schmerzen, Angst, (geringes) Alter, und die Operationsart als die vier bedeutsamsten Prädiktoren für die Intensität postoperativer Schmerzen [4]. Vorbestehende Schmerzen und (junges) Alter sind
https://doi.org/10.1515/9783110597486-006
140 6 Psychologische Aspekte
operationsunabhängig Prädiktoren für die Entwicklung ausgeprägter postoperativer Schmerzen [5]. Eine aktuellere Metaanalyse mit Fokus auf psychologische Korrelate identifiziert folgende Variablen mit sicherer Beziehung zum postoperativen Akutschmerz: Schmerzkatastrophisierung, Schmerzerwartung, Zustands- und Eigenschaftsangst, Depressivität und geringer Optimismus [6]. Merke: Schmerzkatastrophisierung ist nicht nur besonders häufig in Studien untersucht worden, sondern scheint auch ein besonders guter Prädiktor für die Entwicklung starker postoperativer Schmerzen zu sein.
Schmerzkatastrophisierung bezieht sich auf Gedanken und Bewertungen des Patienten und hat die drei Teilaspekte: „Gedanken“ („Ich muss die ganze Zeit an die Schmerzen denken.“), „katastrophisierende Sorgen“ („Die Schmerzen werden stark und unerträglich sein.“) und „Hilflosigkeit/Resignation“ („Es gibt nichts, was man gegen die Schmerzen tun kann.“). Khan et al. (2011) bezeichnen „Schmerzkatastrophisierung“ als „key predictor“ für postoperative Schmerzen und auch für die sich daraus entwickelnden chronischen Schmerzen [7]. Des Weiteren wird eine mittlere Korrelation von r = 0,41 zwischen Schmerzkatastrophisierung und der Intensität postoperativer Schmerzen berichtet [6]. Schmerzerwartung ist eine Teilkomponente der Schmerzkatastrophisierung, aber auch als alleiniger Prädiktor bedeutsam für eine Schmerzvorhersage [8–10]. Bei Patienten mit allgemeinchirurgischer Operation konnte gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit für starke postoperative Schmerzen 2,6-fach höher ist, wenn Patienten Schmerzen für wahrscheinlich halten [11]. Ähnliches wurde in einer Studie an Patientinnen festgestellt, die sich einem Kaiserschnitt unterziehen mussten [12]. Die mittlere Korrelation zwischen Depressivität und der Stärke postoperativer Schmerzen wird in einer Metaanalyse mit r = 0,25 und die zur präoperativen Zustandsangst mit r = 0,30 berichtet [6]. Merke: Die präoperative Frage, wie ein Patient die erwartete Schmerzintensität auf einer Skala von 0–10 einschätzt, kann schon Hinweise darauf geben, wie stark die Schmerzen wirklich sein werden.
Die psychologischen Variablen stehen häufig miteinander im Zusammenhang. Clasen (2015) zeigte, dass zwei Variablen einen unabhängigen Vorhersagewert für postoperative Schmerzen haben: (1) „Präoperativer beeinträchtigender Schmerz“, d. h. Schmerzen, die mit hohen schmerzbedingten Beeinträchtigungen einhergehen, und (2) „hohe Schmerzerwartung“ [13]. Zur ökonomischen Erfassung dieser Variablen
6.2 Psychologische Patientenmerkmale als Risikofaktoren für postop. Akutschmerz 141
wurde der Lübecker „Schmerzrisiko-Fragebogen“ entwickelt und validiert [14]. Abb. 6.1 zeigt den Lübecker „Schmerzrisiko-Fragebogen“. Die beiden Merkmale werden mittels numerischer Rating-Skalen (0 bis 10) beurteilt. Die schmerzbedingte Beeinträchtigung wird durch das Item 3 erfasst: Werte größer 3 kennzeichnen hohe schmerzbedingte Beeinträchtigung. Die Schmerzerwartung wird mit dem Item 5 erfasst: Werte ab 5 kennzeichnen hohe Schmerzerwartung. Beide Merkmale erhöhen das Risiko für starke postoperative Schmerzen, das Risiko ist aber noch höher, wenn die Merkmale in Kombination vorliegen. Fast 60 % Fragebogen zu Schmerzen Dieser Fragebogen ist für Patienten, die bei uns operiert werden. Ihre Angaben helfen uns, die Behandlung von Schmerzen nach der Operation besser zu planen. Zuerst interessieren uns Schmerzen, die Sie schon längere Zeit vor der Operation hatten. Es ist dabei egal, ob die Schmerzen mit der bevorstehenden Operation in Beziehung stehen oder nicht. 1. Hatten Sie schon längere Zeit (mehrere Wochen) Schmerzen, bevor Sie ins Krankenhaus gekommen sind? ○ Ja ○ Nein 2. Geben Sie bitte die durchschnittliche Schmerzstärke während der letzten 3 Monate an. (Wenn Sie unter mehreren Schmerzen leiden, so beziehen Sie Ihre Antworten auf Ihre Hauptschmerzen. Wenn Sie keine Schmerzen hatten, kreuzen Sie bitte die „Null“ an). 0
1
2
3
4
5
6
7
8
kein Schmerz
9
10
stärkster vorstellbarer Schmerz
3. In welchem Maße haben die Schmerzen in den letzten drei Monaten Ihren Alltag (Ankleiden, Waschen, Essen, Einkaufen etc.), Ihre Freizeitaktivitäten und Ihre Arbeitsfähigkeit (einschließlich Hausarbeit) beeinträchtigt? (Wenn Sie keine Schmerzen hatten, kreuzen Sie bitte die „Null“ an). 0
1
2
3
4
5
6
7
8
keine Beeinträchtigung
9
10
völlige Beeinträchtigung
Die folgenden Fragen beziehen sich auf Schmerzen, die mit der bevorstehenden Operation zusammenhängen. 4. Erwarten Sie, dass Sie nach der Operation in dem Bereich Schmerzen haben werden, in dem Sie operiert werden? ○ Ja ○ Nein 5. Was denken Sie, wie stark werden Ihre Schmerzen nach der Operation sein? 0
1
2
3
4
kein Schmerz Abb. 6.1: Lübecker „Schmerzrisiko-Fragebogen“.
5
6
7
8
9
10
stärkster vorstellbarer Schmerz
142 6 Psychologische Aspekte
der Patienten mit der Merkmalskombination aus beiden Faktoren beschreiben hohe postoperative Schmerzen, ein Effekt, der auch in Subanalysen mit unterschiedlichen Operationsgruppen nachgewiesen werden konnte [14]. Merke: Schmerzerwartung und beeinträchtigende vorbestehende Schmerzen erwiesen sich schon jeweils allein als Risikofaktoren für ausgeprägte postoperative Schmerzen und stellen in Kombination eine besondere Risikogruppe dar, die in der Betreuung besondere Beachtung finden sollte.
6.3 Psychologische Patientenmerkmale und postoperative Schmerzchronifizierung 10 bis 50 Prozent der Patienten, die sich einer Operation unterziehen, entwickeln persistierende postoperative Schmerzen, für 2 bis 10 Prozent der Patienten sind diese stark [15,16]. Diese Variabilität legt nahe, dass die postoperative Entwicklung persistierender Schmerzen von vielen präoperativen, intraoperativen und postoperativen Faktoren abhängig ist [17,18]. Für Aussagen zur Inzidenz persistierender postoperativer Schmerzen ist Bedingung, dass präoperative Schmerzen kontrolliert sind. Das ist in nur wenigen Fällen so. Johansen et al. (2012) untersuchten Patienten 3 bis 36 Monate nach unterschiedlichen operativen Eingriffen. Etwa 38 % der Patienten waren präoperativ schmerzfrei. Von diesen entwickelten 6,2 % mittlere bis starke persistierende Schmerzen (NRS 3– 10) [19]. Merke: Große Übereinstimmung für die Prädiktion persistierender Schmerzen besteht dahingehend, dass ausgeprägte postoperative Schmerzen die Entwicklung chronischer Schmerzen begünstigen [15,18,20].
Entsprechend werden oft (ohne weiteren empirischen Beleg) die psychologischen Faktoren für postoperative Schmerzchronifizierung angeführt, die auch für akute Schmerzen bedeutsam erscheinen. Sultansei, Clasen und Hüppe (2018) werteten viszeral- und gefäßchirurgische Patienten aus, die präoperativ, während des stationären Aufenthaltes sowie 3 und 6 Monate postoperativ hinsichtlich psychologischer Merkmale und Schmerzen untersucht wurden [21]. Hierbei zeigte sich, dass 32 % der Patienten, die vor der Operation schmerzfrei waren, persistierende Schmerzen entwickelten. Von diesen Patienten gaben mehr als 50 % 6 Monate nach der Operation eine durchschnittliche Schmerzintensität von NRS 3–5 an. Abb. 6.2 zeigt den präoperativen Gruppenunterschied zwischen Patienten, die postoperativ neue Schmerzen entwickelten im Vergleich zu denen, die postoperativ keine Schmerzen im Operationsgebiet benannten.
6.4 Psychologische Merkmale der perioperativen Situation 143
Patienten mit neuer chronischer Schmerzentwicklung haben höhere Ausprägung durchschnittliche Schmerzstärke
*
psychische Belastung (SCL-K9) Angst (HADS)
**
Depression (HADS) negative Stressverarbeitung (SVF-48)
(*)
Schmerzkatastrophisierung (PCS) 0,0
0,1
0,2
0,3
0,4 0,5 Effektstärke
0,6
0,7
0,8
0,9
Abb. 6.2: Merkmale von Patienten mit neuer chronischer postoperativer Schmerzentwicklung **: p < 0,001; *: p < 0,05; (*): p = 0,06 [21]. SCL-K9: Symptom Checkliste Kurzversion mit 9 Items; HADS: Hospital Anxiety and Depression Scale; SVF-48: Stressverarbeitungsfragebogen Kurzversion mit 48 Items; PCS: Pain Catastrophizing Scale
Merke: Patienten mit chronischer Schmerzentwicklung hatten präoperativ signifikant mehr Angst sowie stärkere Schmerzen in den ersten postoperativen Tagen.
6.4 Psychologische Merkmale der perioperativen Situation Die perioperative klinische Situation kann mit psychologischen Merkmalen charakterisiert werden, die für Patienten belastungserhöhende oder auch -reduzierende Wirkungen haben können. Hüppe und Klinger (2017) haben solche Merkmale aus der psychologischen Stressforschung für den anästhesiologischen und chirurgischen Kontext zusammengefasst [1]. Beispiele für solche Aspekte sind die Operationserwartung (unerwartet, z. B. Notfalloperation versus erwartet, z. B. elektive Operation), Kontrollierbarkeit (nurse controlled analgesia versus patient controlled analgesia), Operationsintensität (laparoskopisch versus konventionell), Wahrnehmbarkeit (Allgemeinversus Lokalanästhesie), persönliche Bedeutsamkeit (Appendektomie versus Hysterektomie) oder Vorerfahrung (Ersteingriff versus Revision). Wichtig ist, dass sich diese Merkmale in ihrer Beziehung zum postoperativen Schmerz gegenseitig ausgleichen oder verstärken können. Beispielsweise zeigt eine Untersuchung unter experimenteller Variation von Lokal- oder Allgemeinanästhesie bei Leistenhernienoperation geringere postoperative Schmerzen unter Lokalanästhesie [22]. Dieser Effekt wird offensichtlich aufgehoben, wenn Patienten sich frei für eine der zwei Anästhesieformen entscheiden können [23].
144 6 Psychologische Aspekte
6.5 Praxisrelevante Aspekte zur Verbesserung der Akutschmerzen aus psychologischer Sicht Psychologische Möglichkeiten der Einflussnahme auf akute Schmerzen bestehen durch Patienteninformation und -aufklärung im perioperativen Setting, durch Berücksichtigung von Wissen aus der Placeboforschung und durch psychologische Interventionsverfahren [1]. Patienten sollten im präoperativen Aufklärungsgespräch Informationen über den wahrscheinlichen postoperativen Schmerzverlauf und realistische Möglichkeiten der Schmerzreduktion erhalten (z. B. „wir wissen, dass Schmerzen nach einer Operation normal sind und in den ersten Tagen deutlich nachlassen. Wir haben viel Erfahrung und werden dafür sorgen, dass Schmerzen für Sie gut erträglich sind“). Patienten sollten Informationen bekommen, was sie selbst gegen Schmerzen tun können (z. B. „durch Ablenkung, oder Atmung können Sie auch selbst guten Einfluss auf Schmerzen nehmen und Sie sollten das Personal informieren, wenn Sie eine Schmerzverringerung wünschen“). Die Applikation analgetischer Substanzen sollte so erfolgen, dass Placeboeffekte dabei ausgenutzt werden. Für die Behandlung akuter Schmerzen im perioperativen Bereich lässt sich im Wesentlichen ableiten, die Medikation, sei sie über Infusionen, Spritzen oder Tablettengabe appliziert, so „offen“ wie möglich mit Hinweis auf ihre analgetische Wirkung erfolgen sollte. Als psychologische Interventionsverfahren haben sich für die Reduktion postoperativer Schmerzen Entspannungsverfahren (z. B. Induktion von Muskelentspannung oder Strategien zur Reduktion sympathischer Aktivität) und kognitive Techniken (z. B. Ablenkung; Lenkung von Gedanken auf positive Aspekte) als wirksam erwiesen [24]. Patienten sollten gefragt werden, ob sie entsprechende Verfahren kennen, und sie sollten zur Anwendung ermutigt werden. Die angesprochenen Maßnahmen wirken über die beschriebenen psychologischen Patientenmerkmale (z. B. Angstreduktion) und die psychologischen Merkmale der perioperativen Situation (z. B. Erhöhung der Kontrollierbarkeit) auf den postoperativen Schmerz. Für besondere Patientengruppen (z. B. kognitiv oder kommunikativ eingeschränkte Patienten, Patienten mit vorbestehenden Schmerzen oder Patienten mit psychischer Komorbidität) ist eine interdisziplinäre Betreuung unter Beteiligung von Medizin, Psychologie, Physiotherapie und Pflege anzustreben.
Referenzen 145
6.6 Fazit Psychologischen Merkmalen kommt eine erhebliche Bedeutung für akute postoperative Schmerzen zu. Besonders wichtig erscheinen nach aktuellem Stand: – der präoperative emotionale Zustand der Patienten, – die Erwartung, die Patienten hinsichtlich ihres Zustandes nach der Operation haben, – ob bereits präoperativ Schmerzen bestehen, die den Patienten beeinträchtigen sowie – der stressbezogene Umgang mit Schmerz („Schmerzkatastrophisierung“). Für die Entwicklung persistierender Schmerzen ist die Datenlage deutlich eingeschränkter. Aber auch dafür weisen Befunde auf die Bedeutung ausgeprägter postoperativer Schmerzen sowie den emotionalen präoperativen Patientenzustand hin. Neben den personenbezogenen Variablen weist die perioperative Situation psychologische Merkmale auf, die für Patienten belastungserhöhenden Charakter haben können. Psychologische Ansätze zur Verbesserung postoperativer Schmerzen bestehen durch – Patienteninformationen und Aufklärung – Berücksichtigung von Kenntnissen aus der Placeboforschung bei der Gabe analgetischer Substanzen sowie – psychologische Interventionstechniken. Für besondere Patientengruppen sollte der Einsatz eines interdisziplinären Behandlungsteams angestrebt werden. Referenzen [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]
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Teil II: Prozedurenspezifische Schmerztherapie
7 Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“ K. Tobias E. Beckurts, Stephan M. Freys
7.1 Einleitung Die Schmerzbehandlung beim „akuten Abdomen“ nimmt leider häufig noch eine Sonderrolle im Alltagsgeschehen einer Notaufnahme ein [1]. Hier gilt vielerorts auch heute noch das traditionelle chirurgische Paradigma einer – zumindest weitgehenden – „schmerztherapeutischen Abstinenz“ bis zum Vorliegen einer belastbaren (Verdachts-)Diagnose und der Festlegung des weiteren Behandlungspfads nach der Devise: „Schmerz ist das einzig konstante Symptom zur Diagnosestellung“. Die Gabe von Schmerzmitteln führt nach Ansicht der Traditionalisten zu einer Verschleierung von Symptomen und damit der Gefahr einer falschen Beurteilung des Schweregrads der Erkrankung. Beispielhaft für diese Position ist die Stellungnahme in dem im angelsächsischen Sprachraum weit verbreiteten Lehrbuch „Early Diagnosis of the Acute Abdomen“, ursprünglich von Cope 1926 verfasst. Noch in der 15. Ausgabe von 1979 [2] heißt es: „If morphine be given, it is possible for a patient to die happy in the belief that he is on the road to recovery.“ Ein weiteres immer wieder ins Feld geführtes Argument gegen die Gabe von stark wirksamen Schmerzmitteln ist die mögliche Beeinträchtigung des Bewusstseins und damit die erforderliche Fähigkeit der rechtswirksamen Einwilligung in einen chirurgischen Eingriff. Diese traditionellen Ansichten berücksichtigen aber nicht die Änderung der Rechtslage im Notfall und die verbesserte Bildgebung als maßgebliche Unterstützung des diagnostischen Prozesses. Die zunehmende Verfügbarkeit von CT, MRT und hochauflösenden Sonographiegeräten führt zu einer höheren Treffsicherheit und sicheren Erkennung von vital bedrohlichen Krankheitsbildern [3]. Die Bedeutung der Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung bei der primären Diagnostik und Festlegung der Behandlungspfade wird dadurch nicht in Frage gestellt, sie sind immer noch die Grundlage der Entscheidungsprozesse. Mangelnde Kenntnisse der primär operativ tätigen Erstuntersucher in Schmerzassessment und Schmerztherapie und eine völlig unbegründete, jedoch in der Realität existierende Angst vor Begleit- und Nebenwirkungen der hierbei einzusetzenden Analgetika, befördern leider immer noch die oben skizzierte restriktive Haltung. Schließlich ist die aktuell in der Diskussion stehende Überflutung der Krankenhaus-Notaufnahmen durch oft mit Bagatell-Diagnosen sich präsentierenden Patienten zu allen Tages- und Nachtzeiten ein Grund für Engpässe und Überlastungsszenarien. Am Ende werden gerade in diesen Situationen dann Patienten mit besonderen Problemen (chronische Schmerzen, ggf. vorbestehende Opioid-Medikation, Suchtverhalten, Palliativ-Situation) unterschätzt bzw. fehlgedeutet.
https://doi.org/10.1515/9783110597486-007
150 7 Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“
Infokasten 7.1: Probleme der Analgesie bei „akutem Abdomen“ – Fokussierung auf (rasche) Diagnosefindung – (vermeintliche) Verschleierung der Diagnosefindung – Angst vor Bewusstseinsbeeinträchtigungen – Unsicherheiten bei Schmerzassessment und -therapie – Angst vor Nebenwirkungen – Zeiten mit hohem Patientenaufkommen – „Problem-Patienten“: chronische Schmerzen, vorbestehende Opioidmedikation, vermeintliches Suchtverhalten, Palliativ-Situation
Gegenüber diesen vordergründig empirisch getriggerten Vorbehalten stehen jedoch klare Daten, die zeigen, dass eine primär opioidbasierte Analgesie bei „akutem Abdomen“ nicht das Risiko für eine Fehldiagnose beinhaltet und auch nicht zu Therapie-Fehlentscheidungen führt [4–6].
7.2 Das Problem „akutes Abdomen“ Das „akute Abdomen“ ist keine eigenständige Diagnose, sondern ein Zustand, der umgehendes und zielgerichtetes Handeln in Form von Diagnostik und Therapie erfordert. Die zu Grunde liegenden Ursachen für ein „akutes Abdomen“ sind mannigfaltig und umfassen Krankheitsbilder spezifischer Altersgruppen ebenso wie Erkrankungen, die durch konservative Therapiemaßnahmen beherrscht werden können, aber auch zahlreiche lebensbedrohliche Ursachen mit der Notwendigkeit einer umgehenden Notfalloperation (s. Tab. 7.1). Leitsymptome des akuten Abdomens sind starke Schmerzen bis hin zum Vernichtungsgefühl, peritonealer Reiz bis hin zum brettharten Abdomen, Übelkeit und insgesamt eine starke Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes. Die Ausprägung der Symptome ist unter anderem von Alter und Begleiterkrankungen der Patienten abhängig und kann durch weitere Faktoren (z. B. Immunsuppression) stark alteriert sein. Neben den oben aufgeführten, überwiegend „chirurgischen“ Diagnosen beim akuten Abdomen, können die Symptome auch auf Ursachen beruhen, die extraabdominell lokalisiert sind bzw. die keiner chirurgischen Therapie bedürfen und daher differentialdiagnostisch abzugrenzen sind. Zu erwähnen sind hier z. B. Urämie, Porphyrie, Bronchopneumonie [7]. Der überwiegende Teil der Fälle ist allerdings durch einige wenige Krankheitsbilder bedingt: akute Appendizitis, akute Cholezystitis, Dünndarmobstruktion, Nierenkolik, perforiertes Ulkus ventr./duod., akute Pankreatitis, Kolondivertikulitis und unspezifische Abdominalschmerzen , z. B. Gastroenteritis . Erfüllt ein klinischer Zustand die Kriterien des „akuten Abdomens“, ist also immer mit potenzieller Lebensbedrohung zu rechnen und entsprechend rasch zu handeln.
7.3 Wahl des Analgetikums
151
Tab. 7.1: Akutes Abdomen – Topografie. rechter Oberbauch
rechter Unterbauch
linker Unterbauch
linker Oberbauch
gesamtes Abdomen
Cholezystitis
Appendizitis
Divertikulitis
Milzabszess
Ileus
Gallenkolik
(inkarz.) Leisten-/ Schenkelhernie
(inkarz.) Leisten-/ Schenkelhernie
Milzinfarkt
Ulcus duodeni
Tuboovarialabszess/Adnexitis
Tuboovarialabszess/Adnexitis
atyp. Divertikulitis
Re-Divertikulitis
Extrauteringravidität
Extrauteringravidität
Nierenstein re
stielgedrehtes Ovar stielgedrehtes Ovar Nierenstein links
Aortendissektion/Ruptur
Lageanomale Appendizitis
Hodentorsion
mesenteriale Ischämie(!)
Leberabszess
Re-Divertikulitis
Hodentorsion
Pankreatitis
gen. Peritonitis
Da die Ursachen des „akuten Abdomens“ unterschiedlich sind, sind auch der Schmerzcharakter und damit die Wahl des optimalen Analgetikums und seiner Dosierung nicht einheitlich, sondern vom Einzelfall abhängig.
7.3 Wahl des Analgetikums Das Spektrum in der Notfallsituation anzuwendender Analgetika ist sehr überschaubar (Tab. 7.2). Eine möglichst kontinuierliche Gabe durch (Kurz-)Infusionen ist zu bevorzugen; bei diskontinuierlicher Gabe muss die Halbwertzeit der Medikamente berücksichtigt werden, um eine Unterschreitung eines wirksamen Medikamentenspiegels zu verhindern. Bei der Gruppe der nicht-steroidalen Antiphlogistika sind die weit verbreiteten Präparate Ibuprofen und Acetylsalizylsäure (wegen der enteralen Applikationsform für das Ibuprofen und wegen der Beeinträchtigung der Thrombozytenaggregation durch Acetylsalizylsäure) in der Notfallsituation eher ungeeignet. Bei den Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) haben sowohl Metamizol wie Paracetamol eine sehr gute antipyretische Potenz; Metamizol hat zusätzlich einen spasmolytischen Effekt, was seinen Einsatz bei Gallenkoliken und Harnleiterkoliken besonders effektiv macht. Steht die Spasmolyse bzw. ein kolikartiger Schmerz im Vordergrund, so sollte zusätzlich zu den Analgetika Butylscopolamin zum Einsatz kommen. Opioide führen dagegen eher zu einer Tonussteigerung der glatten Muskulatur, daher soll-
152 7 Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“
Tab. 7.2: Beispiele von systemischen Substanzen zur Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“. Substanz
Dosierung
Tageshöchstdosis
Bemerkungen
Paracetamol
500–1000 mg i. v./ Kurzinfusion
4g
wichtigste Kontraindikation Leberinsuffizienz
Metamizol
1000–2500 mg i. v./ Kurzinfusion
5g
Hypotension bei schneller i. v.-Gabe sehr selten: Agranulozytose!
Nicht-Opioid-Analgetika
Opioide*
Sedierung und Atemdepression, Übelkeit
Morphin
5–10 mg Kurzinf.
Buprenorphin
0,2–0,4 mg i. v.
Piritramid
7,5–15 mg i. v.
Spasmolytica Butylscopolamin
20–40 mg i. v.
100 mg
*Ideal ist eine titrierte Gabe.
ten sie in den oben genannten Fällen nur bei sehr starken Schmerzen eingesetzt werden. Die aus dem klinischen Einsatz bekannten Vertreter der schwachen Opioide (Tilidin/Naloxon, Tramadol) eignen sich für den Einsatz beim akuten Abdomen auf Grund ihrer ausschließlich enteralen Applikationsform sowie des analgetischen Ceiling-Effektes bei höheren Dosierungen weniger. Bei Gabe eines Opioids zusammen mit einer Substanz aus der Gruppe der NOPA (z. B. Metamizol) reduziert sich der Bedarf an Opioiden nachweislich, und damit auch deren Nebenwirkungen. Ob sich dieser Effekt bei Kombination von zwei NOPA addiert ist unklar; es sollten deshalb bei unzureichender Analgesie mit einem NOPA nicht ein weiteres NOPA gegeben, sondern ein Opioid zusätzlich verabreicht werden. Detaillierte Informationen zu substanzspezifischen Eigenschaften, Applikationsregeln, Besonderheiten und Kontraindikationen siehe bitte Kap. 4.
7.4 Applikationsregeln 153
7.4 Applikationsregeln Infokasten 7.2: Regeln zur Analgesie bei „akutem Abdomen“ – Schmerzerfassung bei Aufnahme – 1. Analgetikagabe < 15 Min. nach Aufnahme – i. d. R. parenterale Applikation – möglichst wenig unterschiedliche Analgetika – möglichst wenig „adjuvante“ Medikamente – Schmerzerfassung nach Analgetikagabe wiederholen
Grundsätzlich sollte unmittelbar nach Aufnahme des Patienten eine Schmerzerfassung durchgeführt werden und dann eine erste Analgetika-Gabe spätestens nach 15 Minuten erfolgen. Da in sehr vielen Fällen das „akute Abdomen“ mit Übelkeit und Erbrechen, zumindest aber gestörter intestinaler Passage einhergeht, verbietet sich eine orale/enterale Applikationsform. Auch subkutane oder intramuskuläre Applikationsformen sind wegen der unsicheren Resorptionsbedingungen gerade auch unter den Bedingungen eines Schockgeschehens obsolet. Vorgehen der 1. Wahl ist daher eine parenterale intravenöse Verabreichung. Jedem Patienten, der unter der Diagnose eines „akuten Abdomens“ in der Klinik behandelt wird, sollte umgehend ein ausreichend dimensionierter peripher-venöser Zugang gelegt werden. Es bietet sich an, die Anlage dieser Verweilkanüle mit der ohnehin erforderlichen Blutentnahme für das Aufnahmelabor zu kombinieren. Über diesen Zugang kann der Patient nicht nur die erforderlichen Schmerzmittel, sondern die in vielen Fällen ebenfalls indizierte Volumengabe erhalten. Zentralvenöse Zugänge sind in der Initialtherapie des Akuten Abdomens selten erforderlich, ihre Platzierung ist mit einem erhöhten zeitlichen Aufwand und methodenbedingten Komplikationsmöglichkeiten behaftet und sollte – falls notwendig- zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Gemäß der oben aufgezeigten Eigenschaften ist es zielführend, möglichst wenige, jedoch korrekt dosierte Analgetika anzuwenden, wobei eine Anpassung an die gemessene Schmerzintensität sinnvoll ist (Tab. 7.3). Ebenso sollte stets daran gedacht werden, eine Schmerzerfassung nach Analgetikagabe zu wiederholen, um ggf. notwendige Dosisanpassungen durchführen zu können. In der Notfallsituation ist die Gabe von Adjuvantien zunächst sicherlich zurückhaltend zu sehen, nach Erlangung einer eindeutigen Diagnose für das „akute Abdomen“ ändert sich dann die Situation.
154 7 Akutschmerztherapie des „akuten Abdomens“
Tab. 7.3: Beispiel „Schmerzschema Akutes Abdomen“. Schmerzintensität
Analgesie
NRS < 3
Novalgin 1 g/Paracetamol 1 g (KI/15 min)
NRS ≥ 3
Novalgin 2,5 g/Paracetamol 1 g (KI/15 min ggf. + Piritramid 3,75–7,5 mg (KI/15 min)
NRS ≥ 8
Novalgin 2,5 g/Paracetamol 1 g (KI/15 min) + Piritramid 7,5–15 mg (KI/15 min) oder repetitive Gabe Piritramid 3,75 mg i. v.
7.5 Zielparameter einer adäquaten Schmerztherapie In Abhängigkeit von der Ursache des „akuten Abdomens“ kann durch eine geeignete Schmertherapie in manchen Fällen eine fast völlige Schmerzfreiheit bzw. adäquate Schmerzsituation, in den anderen Fällen aber zumindest eine Senkung des Schmerzniveaus in ein für den Patienten zumutbares Maß erzielt werden. Als Grundlage für den Erfolg der Schmerztherapie sollte in der Akutsituation eine Schmerzerfassung erfolgen. Geben die Patienten in der unbehandelten Initialphase oft Werte von 8–10 auf der 11-stufigen Skala (und damit maximale Schmerzen) an, liegen die Werte bei gut eingestellten Patienten im Bereich von 2–4. Dabei ist selbstverständlich gerade bei der Therapie mit stark wirksamen Opioiden auch deren atemdepressive Wirkung zu berücksichtigen; solange die Schmerzen für den Patienten noch deutlich spürbar sind, wirken sie der Atemdepression entgegen. Bei zunehmender Analgesie der Schmerztherapie ist eine atemdepressorische Wirkung – wenn sie auch selten auftritt und i. d. R. durch Sedierung des Patienten eingeleitet wird – nicht auszuschließen. Daher ist eine sorgfältige klinische Überwachung der Patienten mit Opioiden unabdingbar; deren Notwendigkeit ergibt sich aber ohnehin im Zusammenhang mit der Diagnose des „akuten Abdomens“ [8].
7.6 Fazit – – – – –
bei „akutem Abdomen“ ist das Paradigma einer schmerztherapeutischen Abstinenz vor der endgültigen Diagnosestellung nicht mehr zeitgemäß jeder Patient mit akuten Schmerzen sollte ohne Zeitverzögerung analgetisch behandelt werden idealerweise folgt eine solche Medikation einem hinterlegten Schema hierbei kommen nur wenige benannte Medikamente zum Einsatz Schmerzerfassung vor und nach Analgetikagabe ist unerlässlich
Referenzen 155
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8 Sonden, Drainagen und Katheter Wolfgang Schwenk
8.1 Einleitung Sonden, Drainagen und Katheter werden in der Chirurgie vielfach aufgrund traditioneller Vorstellungen verwendet, die einer Überprüfung in modernen klinischen Studien mit geringer Irrtumswahrscheinlichkeit und hohem Evidenzgrad meistens nicht standhalten. Dabei wird durch die anwendenden Chirurgen oftmals unterschätzt welchen Einfluss Sonden, Drainagen und Katheter auf das Wohlbefinden der Patienten in der frühen postoperativen Phase haben. Allein die Tatsache, dass eine Sonde, eine Drainage oder ein Katheter aus einer Körperöffnung, dem Operationsgebiet oder dem Hals austritt führt bereits zu einer erheblichen Verunsicherung der Patienten. Die Sorge durch eine versehentliche Manipulation an Sonde, Drainage oder Katheter den Heilungsverlauf zu gefährden, führt oftmals dazu, dass Patienten die postoperative körperliche Aktivität stark einschränken oder sogar ganz unterlassen. Zudem können Sonden, Drainagen und Katheter erhebliche Schmerzen verursachen, und zwar sowohl in der Phase in der sie im Patienten einliegen als auch bei der Entfernung. Die wichtigste Überlegung zur Schmerztherapie bei Sonden, Drainagen und Kathetern ist daher, sich zu fragen ob diese postoperativ überhaupt erforderlich sind und wenn ja wie lange. Merke: – Der Verzicht auf überflüssige Sonden, Drainagen und Katheter ist die wichtigste schmerztherapeutische Maßnahme überhaupt. – An zweiter Stelle der sinnvollen Handlungen steht dann bei unverzichtbaren Sonden, Drainagen und Kathetern die möglichst frühe Entfernung dieser Fremdkörper.
8.2 Sonden Vor allem in der Viszeralchirurgie, aber auch bei gefäßchirurgischen Operationen werden auch heute noch regelhaft Nasogastralsonden eingelegt. Diese verbleiben häufig nach der Operation unter der Vorstellung, dass eine Magensonde zur „Entlastung“ des Magens bei einer postoperativen gastrointestinalen Atonie führt und somit Erbrechen und Aspirationen vermeidet. Gleichzeitig erhofft man sich von der Nasogastralsonde ein rascheres „Ingangkommen“ der regelrechten propulsiven Darmaktivität und somit eine verkürzte postoperative Atoniedauer. Es ist dabei unumstritten, das Nasogastralsonden von Patienten als unangenehm und schmerzhaft empfunden werden und der Wunsch von Patienten, die Magensonde möge so rasch wie möglich entfernt werden, ist eine alltägliche Erfahrung für jeden Chirurgen. In der wissenhttps://doi.org/10.1515/9783110597486-008
158 8 Sonden, Drainagen und Katheter
schaftlichen Literatur finden sich zwar Studien zur Analgesie bei der Anlage nasogastraler Sonden bei Kindern [1–3] aber keine Untersuchungen zum Ausmaß oder der Bekämpfung von Schmerzen durch liegende Magensonden. Im klinischen Alltag werden die Beschwerden einer liegenden Magensonde mit mäßigem Erfolg durch orale Lokalanästhetikagabe behandelt. Da eine effektive Schmerztherapie bei liegender Magensonde nicht bekannt ist, sollte die Indikation zur Verwendung von Magensonden besonders kritisch gestellt werden. Erste randomisierte kontrollierte Studien zur Zweckmäßigkeit nasogastraler Sonden nach abdominellen Operationen wurden bereits vor 30 Jahren publiziert [4,5]. Nelson et al. fassten 2005 die Daten von 28 randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) mit 4.194 Patienten zu Verwendung oder Verzicht einer nasogastralen Sonde zusammen [6]. Patienten ohne Magensonde (n = 2,087) hatten eine kürzere postoperative Darmatoniedauer (Relatives Risiko, RR: 0,46 [0,28; 0,64] p < 0,001). Patienten mit Magensonden hatten etwas häufiger pulmonale Komplikationen (RR: 1,35 [0,98; 1,86] p = 0,07). Wundinfektionen waren mit Magensonde etwas seltener (RR: 0,72 [0,50; 1,04] p = 0,08) und Anastomoseninsuffizienzen wurden in beiden Gruppen gleich häufig beobachtet (RR 0,86 [0,39; 1,90] p = 0,7). In einer späteren Metaanalyse von Verma und Nelson [7] mit 5.711 Patienten aus 37 RCT bestätigte sich der Vorteil der fehlenden Magensonde für die postoperative Darmatoniedauer (p < 0,0001), während die Rate pulmonaler Komplikationen (p = 0,09), die Wundinfektionsrate (p = 0,39) und die Rate der Anastomoseninsuffizienzen (p = 0,7) in beiden Gruppen gleich waren. Inzwischen liegen systematische Literaturreviews auch für einzelne abdominalchirurgische Operationen vor (Tab. 8.1). In diesen Untersuchungen konnten sowohl bei einer Mischung allgemeinchirurgischer Operationen als auch bei kolorektalen Resektionen oder Operationen von Magenkarzinomen keine Nachteile durch den Verzicht auf Magensonden gezeigt werden. Bei allgemeinchirurgischen Operationen führte der Verzicht auf die Magensonde zu einer geringeren Rate pulmonaler Komplikationen und des postoperativen Ileus und einer geringfügigen Verkürzung der Krankenhausverweildauer. Ebenso konnten Patienten ohne Magensonden nach Magenkarzinom-Operationen etwas früher entlassen werden. Nach kolorektalen Resektionen senkt der Verzicht auf eine Nasogastralsonde die Inzidenz pulmonaler Komplikationen und erwartungsgemäß der postoperativen Pharyngolaryngitis. Wenn Magensonden nach Ösophagusresektionen frühzeitig (1.–2. Tag) entfernt werden, hat dies im Vergleich zur längeren Liegezeit der Sonde (5.–6. Tag) keinen negativen Einfluss auf die Rate an Anastomoseninsuffizienzen, pulmonalen Komplikationen oder Letalität. Die Verweildauer im Krankenhaus sinkt aber um etwa 1 Tag. Merke: Im Rahmen elektiver viszeralchirurgischer Eingriffe sollte auf Magensonden verzichtet werden.
8.2 Sonden 159
Tab. 8.1: Ergebnisse systematischer Reviews und Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien (RCT) zur Verwendung einer Magensonde. Autor (Jahr)
Weijs (2017)
Da Wang (2014)
Operation
Ösophagusresektion
RCT
4
Magenresek- 8 tion bei Karzinom
Patienten
Anast.in- Pulmonal suffizienz
Letalität
Verweildauer
Risikoreduktion
gewichtete mittl. Diff.
NGT früh ex
NGT spät ex
RisikoRisikoreduktion reduktion
139
153
0,55 (0,10; 2,84)*
1,69 (0,73; 3,90)*
0,87 (0,33; 2,31)*
–1,1 (–5,5; 3,4)*
NGT Nein
NGT Ja
571
570
1,25 (0,68; 2,27)*
1,31 (0,90; 1,89)*
1,27 (0,34; 4,78)*
0,48 (–0,01; 0,98)°
Ileus Verma (2007)
Abdominalchirurgie1
27
2.845 2.866
1,14 (0,72; 1,80)*
1,45 (1,10; 2,92)**
0,51 (0,45; 0,56)**
Wundinfektion Rao (2011)
Kolorektale Chirurgie
7
700
716
0,90 (0,39; 2,08)*
0,53 (–0,39; 1,46)* Pharyngolaryngitis
0,37 (0,19; 0,74)**
0,71 (0,35; 1,45)*
0,14 (0,08; 0,26)**
* p > 0,05; ° p = 0,05 zugunsten –NGT; **p < 0,05 zugunsten –NGT Kolorektale Chirurgie 10 RCT, gemischte Abdominalchirurgie 7 RCT, Resektion von Magenkarzinomen/Gastrektomie 7 RCT; Cholezystektomie/Vagotomy 5 RCT; gynäkologisch-onkologische Operationen 2 RCT; abdominelle Aortenaneurysmata-Operation 2 RCT; Operationen bei Ulkus duodeni, Ösophagsuresektionen, Laparotomie bei Trauma, Leberresektionen jeweils 1 RCT
Nach Ösophagusresektionen können Magensonden früher als bislang üblich entfernt werden. Dadurch werden die sondenassoziierten Beschwerden und Schmerzen wirkungsvoll reduziert. Bei unverzichtbarer Magensonde können lokal applizierte Lokalanästhetika die Beschwerden vermindern, hochwertige klinische Studien dazu liegen aber nicht vor.
160 8 Sonden, Drainagen und Katheter
8.3 Drainagen Ebenso wie die Verwendung von Sonden stellt auch die Einlage von Drainagen eine traditionelle Behandlungsmaßnahme bei zahlreichen allgemein-, viszeral-, gefäßund thoraxchirurgischen Eingriffen dar. Zudem werden Drainagen regelmäßig in der Orthopädie/Unfallchirurgie verwendet und finden auch in anderen operativen Fächern regelmäßig Anwendung. Ebenso wie die Magensonde, sind auch Drainagen mit typischen Beschwerden und relevanten Schmerzen assoziiert. Diese Symptome sind je nach Lage der Drainage und Drainagematerial unterschiedlich stark ausgeprägt. Bekanntermaßen erzeugen Pleuradrainagen besonders starke Schmerzen, und zwar sowohl während sie einliegen, als auch bei der Entfernung. Redondrainagen können vor allem bei der Lage an sensiblen Strukturen (z. B. Periost oder intraartikulär) Schmerzen verursachen. Abdominelle Drainagen erzeugen dagegen seltener Schmerzen, wobei ältere rigide Drainagematerialien wie Gummi heute nicht mehr verwendet werden sollten. Silikondrainagen gelten zwar als besser verträglich, können aber ebenfalls Schmerzen verursachen. Merke: Oftmals wird der Schmerz nicht durch die Drainage selbst, sondern durch die Fixierungsnaht verursacht.
Im Folgenden wird die Evidenz zu Schmerzen bei verschiedenen Drainagetypen und -situationen dargestellt: Pleuradrainagen werden nach thoraxchirurgischen Operationen, thorakalen Traumata, Pneumothoraces und zur Drainage von Pleuraergüssen regelmäßig angewendet. Hochwertige klinische Studien zur Analgesie bei liegender Thoraxdrainage sind selten. Rahmann et al. [8] konnten in einer RCT bei Patienten mit malignen Pleuraergüssen nachweisen, das NSAID gegenüber Opioiden die Schmerzen der Drainage gleichermaßen reduzierten. Gleichzeitig wiesen die Autoren nach, dass kleinere Pleuradrainagen (12 French im Vergleich zu 24 French) mit geringeren Schmerzen einhergingen (Unterschied im VA-Score für Schmerzen –6 [–12; 0] p = 0,04) aber auch weniger effektiv waren (Pleurodeseversagen 30 % vs. 24 %). Sowohl die subkutane als auch die intrapleurale Gabe von Lokalanästhetika hatten in RCT keinen wesentlichen Einfluss auf die Schmerzen bei der Entfernung von Pleuradrainagen [9,10]. Ebenso führte die Auflage von 600 g Eisbeuteln auf die Drainagestelle für 15 Minuten vor der Entfernung der Pleuradrainage in einer RCT nicht zu geringeren Schmerzen [11]. Redondrainagen: Subkutane Saugdrainagen werden bei einer Vielzahl chirurgischer Operationen verschiedenster Teilgebiete der Chirurgie eingesetzt. Vor allem der Zug der Drainagen unter persistierendem Sog, aber auch die Lage der Drainagen
8.3 Drainagen 161
selbst kann durch Kontakt zu sensiblen Strukturen Schmerzen verursachen. Eine PubMed-Datenbanksuche ergab keine Studien zum Ausmaß oder der Bekämpfung von Schmerzen subkutaner Saugdrainagen. Allerdings bestehen zahlreiche RCT zur Effektivität dieser Drainagen. Kosins et al. [12] fanden 2013 52 RCT mit insgesamt 6.930 Patienten und konnten bezüglich der Bildung von Hämatomen einen Vorteil der subkutanen Drainage feststellen (Odds Ratio, OR: 0,74 [0,57; 0,97] p = 0,03), der allerdings verloren ging, wenn Mamma-Operationen ausgeschlossen wurden. Subkutane Saugdrainagen hatten keinen Einfluss auf die Inzidenz von Wundinfektionen (p = 0,48) und Abszessen (p = 0,24), verhinderten aber die Entstehung von Seromen (OR: 0,63 [0,49; 0,98] p < 0,01). Nach Ansicht der Autoren kann bei folgenden Eingriffen auf subkutane Drainagen verzichtet werden: Sectio caesarea, abdominelle und femorale Wunden, Knie- und Hüftgelenksendoprothetik, Adipositas und sogenannten „clean-contaminated“ Operationen Intraabdominelle Drainagen: Aufgrund der weichen Drainagematerialien sind intraabdominelle Drainagen prinzipiell nicht mit Schmerzen assoziiert. Dennoch führen liegende Drainagen zu einer verminderten Mobilität der Patienten und können so die postoperative Lebensqualität der Patienten vermindern und die Rekonvaleszenz verhindern. Niedergethmann et al. [13] haben die Evidenz zur Anwendung von Drainagen in der Abdominalchirurgie zusammengefasst (Tab. 8.2). Bei den meisten Operationen sollte auf Drainagen verzichtet werden, so dass drainageassoziierte Beschwerden und Schmerzen sicher vermieden werden. Vorteilhaft scheinen intraabdominelle Drainagen nur nach Pankreasresektionen zu sein. Hier ist die frühzeitige Entfernung nach Bestimmung der Aktivität von Amylase und Lipase am 3. oder 4. postoperativen Tag die effektivste Maßnahme zur Reduktion drainagebezogener Schmerzen. Merke: – Generell sollte die Indikation zur Einlage einer Drainage sehr streng gestellt werden. – Falls Drainagen unumgänglich sind, sollten diese so früh wie möglich entfernt werden. – Insbesondere für die Anlage, Liegezeit und Entfernung von Pleuradrainagen sollten klar definierte Behandlungsregime formuliert werden, um drainageassoziierte Schmerzen zu reduzieren.
162 8 Sonden, Drainagen und Katheter
Tab. 8.2: Empfehlung zu Einsatz prophylaktischer Drainagen (nach Niedergethmann et al. [13]). Fachgebiet
Operation
Empfehlung
Evidenzgrad1
Empfehlungsgrad2
Viszeralchirurgie
Schilddrüsenresektion
keine Drainage
1a
A
Ösophagusresektion
intrathorakale Drainage
4
C
Gastrektomie
keine Drainage
1a
A
perforiertes Ulkus duodeni
keine Drainage
3
B
Cholezystektomie
keine Drainage
1a
A
Gallengangrevision
keine T-Drainage, keine Zieldrainage
2
B
Leberresektion ohne biliodigestive Anastomose
keine Drainage
1b
A
Pankreaskopfresektion
Drainage 3–4 Tage 1b
A
Pankreaslinksresektion
Drainage 3–4 Tage 1b
A
Kolonresektion
keine Drainage
1a
A
Rektumresektion
keine Drainage
1b
A
Appendizitis
keine Drainage
2a
B
sekundäre Peritonitis
keine Drainage
4–5
C
Gefäßchirurgie
periphere arterielle Rekonstruktion
keine Drainage
1a
A
Thoraxchirurgie
VATS-Biopsie3 / Wedge-Resektion
keine Drainage
1b
A
Orthopädie und Unfallchirurgie
primäre Kniegelenksendoprothetik
keine Drainage
1a
A
primäre Hüftgelenksendoprothetik
keine Drainage
1a
A
proximale Femurfraktur
keine Drainage
2
B
vordere Kreuzbandplastik
keine Aussage möglich
2
B
1
1a = mind. eine Metaanalyse von RCT; 1b = mind. eine hochwertige RCT; 2 = mind. eine hochwertige vergleichende (quasi-experimentelle) aber nicht randomisierte Studie; 3 = mind. eine hochwertige nicht experimentelle Studie; 4 = Meinungen von Experten oder Expertenkommissionen; 5 = Fallserien. 2 A = aufgrund von Studien des Evidenzgrades 1; B = aufgrund Evidenzgrad 2 – 3; C = Aufgrund Evidenzgrad 4 – 5 3 VATS = video assisted thoracic surgery
Referenzen
163
8.4 Katheter Regelmäßig in der perioperativen Phase verwendete Katheter sind Blasenkatheter, Venenkatheter und arterielle Kanülen. Ebenso wie bei Sonden und Drainagen gilt auch hier das einfache Grundprinzip, das der Verzicht auf diese Katheter die beste Schmerztherapie darstellt. Unbedingt erforderliche Katheter sollten am Ende der Operation oder so früh wie möglich postoperativ entfernt werden. Klinische Studien zum Ausmaß der Schmerzen und einer effektiven Analgesie bei liegendem Blasenkatheter sind in der Literatur nur vereinzelt zu finden [14,15]. Dabei wurde festgestellt, dass das Füllungsvolumen des Blockungsballons mit dem Ausmaß der Schmerzen assoziiert sein kann. Bei intensivmedizinischen Patienten mit liegenden Blasenkathetern führte die Halbierung des Blockungsvolumens jedenfalls zu einer relevanten Schmerzreduktion [15]. Zudem konnte die intraoperative systemische Gabe von Dexmedetomidine, einem Beruhigungsmittel mit clonidinähnlichem Wirkmechanismus, das Ausmaß postoperativer blasenkatheterassoziierter Beschwerden signifikant mindern [14]. Während mehrere Studien zur optimalen Analgesie bei der Anlage von Venenkathetern in wachen Patienten publiziert worden sind, existieren keine Angaben zu den Schmerzen durch liegende peripher/zentralvenöse Venenkatheter oder arterielle Katheter.
8.5 Zusammenfassung Sonden, Drainagen und Katheter werden in der Chirurgie regelmäßig angewendet und verursachen im klinischen Alltag relevante Beschwerden und Schmerzen. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Ausmaß der Schmerzen zur wirkungsvollen Schmerzreduktion sind leider nur vereinzelt zu finden. Da aus zahlreichen randomisierten, kontrollierten Studien bekannt ist, dass Sonden, Drainagen und Katheter nach den meisten Operationen keinen sinnvollen Zweck erfüllen, sollten diese nicht verwendet oder am Ende der Operation entfernt werden. Postoperativ unverzichtbare Sonden, Drainagen und Katheter sollten nach Operationen so rasch wie möglich entfernt werden. Für besonders schmerzhafte Sonden, Drainagen und Katheter sollten in jeder Klinik Analgesie-Konzepte formuliert und konsequent angewendet werden. Referenzen [1] [2]
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9 Operationen in der Viszeralchirurgie Stephan M. Freys
9.1 Einleitung Die Akutschmerztherapie in der Viszeralchirurgie ist geprägt durch die große Bandbreite der operativen Eingriffe und damit verbunden einem sehr heterogenen Patientengut. Zum einen finden sich in der Viszeralchirurgie Eingriffe, die mit einer hohen Frequenz die „Chirurgie des Häufigen“ darstellen (Cholecystektomie, Leistenherniotomie, Schilddrüsenoperationen, Appendektomie) und zunehmend auch im ambulanten und vorwiegend kurz-stationären Bereich durchgeführt werden. Zum anderen finden sich in der Viszeralchirurgie höchst komplexe, partiell interdisziplinär durchzuführende Operationen, die einer extensiven perioperativen Betreuung bedürfen (Ösophagus-, Magen-, Leber- und Pankreaschirurgie). Prima vista erscheint somit eine kursorische Abhandlung sämtlicher Aspekte einer Akutschmerztherapie in der Viszeralchirurgie äußerst komplex, da ein großes Spektrum an Einflussfaktoren Berücksichtigung findet. Hier hat es sich jedoch als sehr pragmatisch erwiesen: – unterschiedliche „Regeln“ für laparoskopische Eingriffe und Eingriffe per Laparotomie aufzuzeigen, – eine Unterteilung in prä-operative, intra-operative und postoperative Schmerztherapie-relevante Maßnahmen zu treffen und schließlich – eine kursorische Einteilung in Eingriffe mit niederer und mittlerer zu erwartender Schmerzintensität sowie in Eingriffe mit hoher zu erwartender Schmerzintensität durchzuführen. Die Besonderheiten der Akutschmerztherapie bei ambulanten Patienten werden in Kap. 19 Ambulante Operationen dargestellt. Als Grundlage der Evidenzdarlegung für die im Folgenden dargestellten Kernaussagen wurde die Evidenzklassifizierung des Oxford Centre of Evidence-based Medicine (Version: März 2009) verwendet (s. Tab. 9.1). Tab. 9.1: Evidenzklassifizierung des Oxford Centre of Evidence-based Medicine. Empfehlungsgrad (EG) A
konsistente Level 1 Studien
B
konsistente Level 2 oder 3 Studien oder Extrapolationen von Level 1 Studien
C
Level 4 Studien oder Extrapolationen von Level 2 oder 3 Studien
D
Level 5 Evidenz oder inkonsistente oder unschlüssige Studien jedes Level
https://doi.org/10.1515/9783110597486-009
166 9 Operationen in der Viszeralchirurgie
9.2 Laparoskopie oder Laparotomie? Die Einführung minimal-invasiver Operationstechniken hat im besonderen Maße die Viszeralchirurgie verändert, ein wesentlicher Aspekt war und ist hier eine geringere Schmerzbelastung. Dennoch dürfen laparoskopische Operationen nicht fälschlicherweise als Operationen mit geringem Schmerzpotential stiefmütterlich hinsichtlich einer durchzuführenden Schmerztherapie angesehen werden. Vielmehr haben laparoskopische abdominalchirurgische Eingriffe unabhängig von der operativen Prozedur zu neuen Schmerzqualitäten und folglich auch zu neuen Maßnahmen im perioperativen Management geführt (Tab. 9.2). Tab. 9.2: Schmerzreduzierende Maßnahmen bei Laparoskopie. Evidenz Mini-Laparoskopie soweit möglich
Grad D
Niederdruck-Pneumoperitoneum
Grad A
erwärmtes Gas
Grad A
vollständige Desufflation
Grad D
intraperitoneale Instillation von Lokalanästhetika
Grad A
Wundrandinfiltration mit Lokalanästhetika
Grad A
Eine Reihe von technischen Maßnahmen bei der Erstellung des Pneumoperitoneums erlaubt eine Reduktion der prozedurenspezifischen postoperativen Schmerzen: – Besonders die Verwendung eines geringeren Druckniveaus und die Verwendung erwärmten Gases sind Faktoren, die in zahlreichen Studien positive Effekte zeigten. – Die gaslose Laparoskopie, die Verwendung von Lachgas oder Helium zeigten in mehreren Studien Vorteile, konnten sich in der Routine jedoch nicht durchsetzen. – In gleichem Maße zeigt die Verwendung von kleinen (3 mm) oder radial expandierenden Trokaren in einigen Untersuchungen Vorteile, auch hier stößt die technische Durchführbarkeit jedoch oft an Grenzen. – Deutliche Vorteile hinsichtlich der postoperativen Schmerzmessung zeigt die prä- oder postoperative Instillation von langwirkenden Lokalanästhetika an den Trokarinzisionen sowie eine standardisierte Instillation von 10 bis 20 ml langwirkender Lokalanästhetika intraperitoneal.
9.3 Prä-, intra- und postoperative Maßnahmen 167
9.3 Prä-, intra- und postoperative Maßnahmen Für eine systematische Betrachtungsweise ist es sinnvoll, die schmerztherapeutischen Maßnahmen in ihrer zeitlichen Abfolge bezogen auf den Operationszeitpunkt zu betrachten. Es ist hierbei selbstverständlich, dass es sich stets um ein zwischen Chirurgen und Anästhesisten interdisziplinäres Schmerzmanagement handelt. Ein unidisziplinäres Handeln sowie auch eine Fokussierung auf „den wesentlichen Faktor“ werden zunehmend von der Erkenntnis abgelöst, dass eine perioperative Schmerztherapie grundsätzlich multifaktoriell und prozedurenspezifisch durchgeführt werden sollte (siehe auch www.postoppain.org). Hierbei stehen die nachfolgend genannten Maßnahmen beispielhaft zur Verfügung und sollten gemäß des individuell vorhandenen Operationsspektrums, der interdisziplinären individuellen Absprachen und der zur Verfügung stehenden Ressourcen festgelegt und standardisiert angewendet werden.
9.3.1 Präoperative Maßnahmen Die zur Operationsvorbereitung dienenden Maßnahmen haben eine sehr unterschiedliche und doch miteinander zusammenhängende Zielrichtung: Beruhigung, ggfs. Sedierung, intestinale Dekontamination, Hautdekontamination, systemische Analgesie, Entzündungshemmung, Infektionsprophylaxe, Abschwellung, Blutungsprophylaxe, etc. Merke: Schmerztherapeutische Maßnahmen sind nicht nur die Verabreichung von Analgetika, sondern resultierten oft aus einem Ineinandergreifen der Effekte der o. g. Maßnahmen.
Bei viszeralchirurgischen abdominellen Eingriffen ist die Einlage eines thorakalen Periduralkatheter (PDK) auf adäquater Höhe der Inzision die Empfehlung der ersten Wahl. Typischerweise wird dann eine Kombination eines stark wirksamen Opioids mit einem Lokalanästhetikum empfohlen, da hier eine deutlich höhere analgetische Effizienz in dieser Kombination verglichen mit der Gabe von Lokalanästhetika allein besteht. Opioide alleine epidural verbieten sich durch das zu hohe Risiko einer Atemdepression. In Fällen, bei denen bereits präoperativ klar ist, dass eine Periduralanalgesie (PDA) nicht möglich ist, wird empfohlen, präoperativ zur systemischen Analgesie ein Nicht-Opioid-Analgetikum (NOPA) (in Deutschland häufig Metamizol oder ein NSAR/ Coxib) zu verabreichen, um dann hier eine Kombination mit einer kontinuierlichen prä- und intraoperativen i.-v. Lidocain-Gabe durchzuführen, die dann jedoch während der unmittelbaren postoperativen Phase unter Überwachung der Herz-Kreislauf-Funktion fortgeführt werden soll. Allerdings zeigen neuere Daten einen eher ge-
168 9 Operationen in der Viszeralchirurgie
ringen Effekt auf die Schmerzreduktion bei unklarem Risiko, so dass die Indikation für Lidocain i. v. eher restriktiv gestellt werden sollte (s. Kap. 4 Systemische Schmerztherapie). Bei laparoskopischen Eingriffen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Konversion zur Laparotomie erforderlich ist, wird die Anlage eines PDK nicht empfohlen. Zur systemischen präoperativen Analgesie kommen häufig Metamizol oder Coxibe zum Einsatz. Die Gabe von Dexamethason wird hier oft favorisiert, wobei der Wirkeffekt vorrangig antiemetisch und nachrangig Opioid-einsparend und analgetisch ist. Bei großen abdominal-chirurgischen Eingriffen per Laparotomie wird die systemische präoperative Gabe von Kortikosteroiden zur Analgesie oft kritisch gesehen, da hier eine Anastomosen- oder Wundheilungsstörung befürchtet wird, die Datenlage für die einmalige präoperative Gabe spricht jedoch auch hier sowohl für den antiemetischen und analgetischen Effekt.
9.3.2 Intraoperative Maßnahmen Hinsichtlich der viszeralchirurgischen Operationen, bei denen eine PDA initiiert wurde, unterscheiden sich die intraoperativen Maßnahmen nicht von den präoperativ begonnenen: es erfolgt eine Fortsetzung der PDA sowie eine fortgesetzte Kombination aus stark wirksamen Opioiden und Lokalanästhetika. Gleiches gilt für die systemische Gabe von NOPA und Lidocain i. v. Ähnlich verhält sich die Situation bei laparoskopischen Eingriffen, hier wird die systemische Gabe eines stark wirksamen Opioids während der Operation in Kombination mit einem NOPA am Ende des Eingriffes empfohlen. Zusätzlich kommen hier die bereits aufgezeigten Maßnahmen, insbesondere die intraperitoneale Instillation von Lokalanästhetika sowie die Wundrand-Infiltration mit Lokalanästhetika zur Anwendung. Ähnlich wie bei der Laparoskopie gibt es mittlerweile gute Daten zu chirurgischen schmerzreduzierenden Maßnahmen im Rahmen einer Laparotomie (Tab 9.3): – Eine Empfehlung mit niedrigem EG, jedoch hoher klinischer Relevanz ist „das daran Denken“, ggfs. eine Laparotomie durch eine Laparoskopie zu ersetzen. – Die Schnittführung zur Laparotomie horizontal anstelle einer vertikalen Mittellinien-oder pararektalen Inzision durchzuführen, ist eine schmerztherapeutische Maßnahme mit hoher Evidenz. Sowohl bei Einlage eines PDK (dermatomgerechte Analgesie) als auch bei systemischer Analgesie bietet diese Inzisionsform deutliche Vorteile, daneben gibt es klare Vorteile hinsichtlich des kosmetischen Resultats wie auch hinsichtlich der Inzidenz von Narbenhernien. – Zahlreiche Publikationen konnten darüber hinaus nachweisen, dass eine Hautinzision zur Laparotomie per Diathermie gegenüber der Inzision mit dem Skalpell schmerzrelevant ist, dies sowohl aufgrund der Inzision selbst, aber auch auf-
9.3 Prä-, intra- und postoperative Maßnahmen 169
–
grund der damit verbundenen Blutstillung, Kosmetik und postoperativen Infektionsrate im Hautniveau. Ein oft nachrangig adressiertes Problem ist die Aufrechterhaltung der Normothermie im Rahmen länger dauernder operativer Eingriffe. Hier gibt es klare Daten, die ein deutlich optimiertes postoperatives Outcome belegen, wenn Patienten in einer Normothermie gehalten werden, aber auch hinsichtlich der postoperativen Schmerzsituation zeigen diese Daten tendenziell Vorteile.
Tab. 9.3: Schmerzreduzierende Maßnahmen bei Laparotomie. Evidenz Laparoskopie soweit möglich
Grad D
horizontale Inzision
Grad B
Diathermie (anstatt Skalpell) zur Hautinzision
Grad C
Aufrechterhaltung Normothermie – Analgesie – Outcome
Grad D Grad A
9.3.3 Postoperative Maßnahmen Analog den aufgezeigten prä- und intra-operativen Maßnahmen geht es bei den postoperativ durchzuführenden schmerztherapeutischen Maßnahmen zunächst um eine Fortführung der individuell begonnenen Therapie. Bei laparoskopischen Eingriffen, bei denen primär keine PDA vorgesehen ist, wird bei der systemischen Analgesie vorrangig eine Kombination aus einer Basismedikation mit einem NOPA in Kombination mit einem stark wirkenden Opioid als Bedarfsmedikation angestrebt. Zusätzlich kommen hier oft antiemetische und entzündungshemmende Agenzien zum Einsatz. Bei primär mittels Laparotomie durchgeführten viszeralchirurgischen Operationen unterscheiden sich die postoperativen Maßnahmen dahingehend, ob ein PDK für die Fortführung der Schmerztherapie vorhanden ist oder nicht. Bei Versorgung mit einem PDK wird zusätzlich ausschließlich eine Basisanalgesie mit einem NOPA durchgeführt. Merke: bei Laparotomien stellt die PDA das Verfahren der ersten Wahl für die ersten 2–3 postoperativen Tage dar.
170 9 Operationen in der Viszeralchirurgie
Falls eine PDA postoperativ nicht (mehr) möglich ist, sollte eine intravenöse Patienten-kontrollierte Analgesie (PCA) mit einem stark wirkenden Opioid bei gleichzeitiger intravenöser Basismedikation mit einem NOPA favorisiert werden. Die Umstellung auf die orale Opioidgabe sollte nach PCA wenn möglich rasch und überlappend verlaufen. Auch möglich bei fehlendem PDK ist ein mit einem lang wirksamen Lokalanästhetikum bestücktes Katheter-System zur lokalen Wundinfiltration über den Zeitraum der ersten beiden postoperativen Tage. Dies macht es möglich, die systemische Analgesie auf das Minimum zu reduzieren (z. B. nur Basismedikation mit einem NOPA) und so Opioide einzusparen oder sogar ganz zu vermeiden (s. Kap. 4).
9.4 Stufenplan gemäß Schmerzintensität Grundsätzlich hat es sich als praktikabel erwiesen, die postoperative Schmerztherapie durch einen interdisziplinär festgelegten Stufenplan zu standardisieren. Die nachfolgend gegebenen beispielhaften Pläne sind für ein viszeralchirurgisches Patientengut am DIAKO Bremen festgelegt. Sie unterscheiden (Abb. 9.1) zwischen Eingriffen mit geringer bis mittlerer zu erwartender Schmerzintensität und Patienten mit hoher postoperativ zu erwartender Schmerzintensität. Natürlich soll diese Einteilung nur als Anhaltspunkt dienen (deshalb auch die Formulierung: „zu erwartende“ Schmerzintensität); innerhalb jeder Eingriffsgruppe können individuelle Patienten auch in die entsprechend andere Gruppe fallen.
geringe bis mittlere Schmerzintensität Indikationen mittelgroße bis kleine abdominelle und extraperitoneale Eingriffe ¾ Magenulkusübernähung ¾ konventionelle / laparoskopische Cholecystektomie ¾ Ileostomarückverlagerung / Dünndarmsegmentresektion ¾ konventionelle / laparoskopiche Appendektomie ¾ laparoskopische Exploration, Adhäsiolyse, Fundoplikatio, Magenbypass ¾ laparoskopische Kolonchirurgie ¾ laparoskopische Rektumresektion
hohe Schmerzintensität Indikationen • große abdominelle Eingriffe ¾ Ösophagusresektion ¾ Pankreasresektion ¾ Resezierende Eingriffe am Magen ¾ Leberresektion ¾ Konventionelle Kolonchirurgie ¾ Konventionelle Rektumresektion/-exstirpation abdominelle Gefäßchirurgie
VATS (videoassistierte Thorakoskopie)
Unter- oder Oberschenkelamputation
Inguinale Eingriffe
Thorakotomie
Proktologische Eingriffe incl. TEO (transanale endoskopische Operation) Varizen -Operation Kleinere Weichteiltumore Shunt- oder Port -Anlage
Abb. 9.1: Indikationen Stufenplan Akutschmerztherapie.
gültig für: Chirurgische Klinik DIAKO Bremen
9.4 Stufenplan gemäß Schmerzintensität 171
9.4.1 Patienten mit geringer bis mittlerer Schmerzintensität Bei Patienten mit geringer bis mittlerer zu erwartender postoperativer Schmerzintensität ist vorwiegend eine orale Medikation möglich und deshalb Therapieoption der ersten Wahl (Abb. 9.2; Therapieschema im DIAKO Bremen). Ist dies nicht der Fall, so sollte dann auf gleichem Niveau eine Analgesie mit denselben Medikamenten parenteral durchgeführt werden; dieses Vorgehen erleichtert besonderes auf pflegerischer Seite die Konsequenz der Durchführung. Wenn mittels in festgelegten Zeiträumen stattfindender Basisanalgesie mit einem NOPA und einer gleichsam festgelegten Bedarfsmedikation mit einem Opioid keine ausreichende Schmerzkontrolle möglich ist, dann greift die Umsetzung auf ein alterintraoperativ fakultativ
1 g Metamizolals KI i.v.20 min vor OP-Ende, Wundrandinfiltration mit Bupivacain (Carbostesin) 0,5% nach Wundgröße Intercostalblockade mit 20 ml Bupivacain (Carbostesin) 0,5 %
postoperativ IA
PDK möglich Ropivacain Sufentanil Metamizol Metoclopramid
(Naropin) (Sufenta) (Novalgin) (MCP)
+ ggf. + + bei NRS ≥ 3 + oder
Piritramid Piritramid
IB
PDK nicht möglich
+ +
Piritramid Metamizol Metoclopramid
IC
PDK und PCA nicht möglich
+ + bei NRS ≥ 3 +
(Dipidolor) (Dipidolor)
(Dipidolor) (Novalgin) (MCP)
0,2 % (nur AWR + ITS) 1g 1 Amp. = 2 ml = 10 mg
4-10 ml/h 1 µg/ml 1 -1 -1 -1
PDK-Perf. PDK-Perf KI i.v. KI i.v.
5 mg max.
1 -1 -1 -1
PCA i.v. KI i.v.
1g 1 Amp. = 2 ml = 10 mg
1 -1 -1 -1 1 -1 -1 -1
PCA i.v. KI i.v. KI i.v.
1 -1 -1 -1
Piritramid
(Dipidolor)
Metamizol Metoclopramid
(Novalgin) (MCP)
5 mg (titriert nur AWR + ITS) 1g 1 Amp. = 2 ml = 10 mg
Piritramid
(Dipidolor)
5 mg (auf besondere Anordnung)
1 -1 -1 -1 1 -1 -1 -1
KI i.v. i.v. KI i.v. KI i.v. KI i.v.
wenn PDK oder PCA nicht mehr erforderlich: Umstellung auf Schema II zu beachten: Metamizol kann bei Allergie oder Unverträglichkeit durch Paracetamol in gleicher Dosierung und Applikation Substituiert werden. In der Regel aber keine (!) zeitversetzte Gabe von Metamizolund Paracetamol ! Bei Patienten mit einem KG unter 50 kg und über 120 kg Dosisanpassung erforderlich, ebenso bei geriatrischen Patienten. PDK: Periduralkatheter, PCA: PCA-Pumpe, KI: Kurzinfusion (100 ml NaCl), NRS: numerische Rating-Skala, ITS: Intensivstation, AWR: Aufwachraum gültig für: Chirurgische Klinik DIAKO Bremen
Abb. 9.2: Stufenplan Akutschmerztherapie: geringe bis mittlere Schmerzintensität.
172 9 Operationen in der Viszeralchirurgie
nativ anzuordnendes Medikationsschema mit stark wirksamen Opioiden, sogenanntes Targin- oder Oxycodon-Schema (s. Kap. 4). Der Vorteil der Kombination von Naloxon und Oxycodon in einem Präparat mit retardierter Formulierung (z. B. Targin®) liegt in einer weitestgehend unbeeinträchtigten intestinalen Motilität, was gerade bei viszeralchirurgischen Eingriffen von Vorteil sein kann. Bei Patienten mit noch nicht begonnenem Kostaufbau oder anderen Gründen, die gegen eine orale Opioidgabe sprechen, bietet sich gerade in der Viszeralchirurgie das Buprenorphin-Schema an (s. Kap. 4). Merke: Buprenorphin ist ein Opioid zur sublingualen Gabe, dass bei Patienten, die Opioide zur Basisanalgesie benötigen, 3 mal am Tag verabreicht werden muss.
Letztendlich hat sich bei stark eingeschränkter Nierenfunktion auch das sogenannte Palladon-Schema (mit dem stark wirksamen Opioid Hydromorphon) etabliert, welches analog zu dem oben genannten Oxycodon-Schema gegeben werden kann (zu Dosierungen und Pharmakokinetik von Opioiden s. Kap. 4).
9.4.2 Patienten mit hoher Schmerzintensität Demgegenüber beinhaltet der Stufenplan für Patienten mit hoher postoperativ zu erwartender Schmerzintensität 3 unterschiedliche Szenarien (Abb. 9.3; Therapieschema im DIAKO Bremen): – bei Vorhandensein und Nutzbarkeit eines PDKs erfolgt hier eine fortgesetzte Bestückung des PDK bei gleichzeitiger intravenöser Basismedikation mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum. – Bei Fehlen eines PDK erfolgt eine intravenöse PCA (PCIA) als Bedarfsmedikation bei gleichzeitiger intravenöser Basismedikation mit einem NOPA. Zusätzlich wird an dieser Stelle (wie unter 9.3.3 bereits beschrieben) die Einlage eines KatheterSystems zur kontinuierlichen Wundinfiltration mit einem langwirkenden Lokalanästhetikum über 48 Std. empfohlen. – Sind weder die Versorgung mit einem PDK noch eine PCIA möglich, so empfiehlt sich dann die intravenöse Gabe eines stark wirksamen Opioids in festgelegten Zeitabständen vor dem Hintergrund einer ebenfalls in kontinuierlichen Zeitabständen durchgeführten Gabe eines NOPA als Basismedikation. Eine Eskalation kann hier durch zusätzliche i. v. Gabe eines stark wirksamen Opioids auf individuelle Anordnung erfolgen. Dieses Verfahren ist allerdings, das muss hier betont werden, deutlich weniger effektiv, mit mehr Nebenwirkungen verbunden und beinhaltet auch mehr Risiken, die es dann. z. T. notwendig machen, den Patienten auf eine Überwachungsstation zu verlegen.
9.4 Stufenplan gemäß Schmerzintensität 173
intraoperativ intraoperativ fakultativ fakultativ
g Metamizol Metamizol als als KI KI i.v. i.v. 20 20 min min vor vor OP-Ende, OP-Ende, 11 g Wundrandinfiltration mit mit Bupivacain Bupivacain (Carbostesin (Carbostesin )) 0,5% 0,5% nach nach Wundgröße Wundgröße Wundrandinfiltration
postoperativ postoperativ II II A A
orale orale Applikation Applikation möglich möglich Metamizol Metamizol Metamizol Metamizol
(Novalgin) Tabl Tabl .. (Novalgin) (Novalgin) Tr Tr .. (Novalgin)
500 mg mg 500 40 = =2 2 ml ml = = 11 g g 40
2-2-2-2 2-2-2-2 -1 -1 -1 -1 -1 11 -1
oral oral oral oral
bei NRS NRS ≥≥ 3 3 bei + +
Tilidin + + Naloxon Naloxon Tilidin
(Valoron N) N) Tr Tr .. (Valoron
30 = = 1,5 1,5 ml ml = = 75 75 mg mg 30
-1 -1 -1 -1 -1 11 -1
oral oral
II B B II
orale Applikation Applikation nicht nicht möglich möglich orale KI i.v. i.v. KI
bei NRS NRS ≥≥ 3 3 bei + +
Metamizol Metamizol
(Novalgin) (Novalgin)
g 11 g
-1 -1 -1 -1 -1 11 -1
Piritramid Piritramid
(Dipidolor) (Dipidolor)
mg max. max. 55 mg
-1 -1 -1 -1 -1 max. max. KI KI i.v. i.v. 11 -1
(Perfalgan (Perfalgan ))
11 g g
11 -1 -1 -1 -1 -1 -1
KI KI i.v. i.v.
-0-1 -0 -0 11 -0-1
oral oral
alternativ alternativ zu zu Metamizol: Metamizol: Paracetamol Paracetamol
bei bei längerfristigem längerfristigem Opioidbedarfund Opioidbedarfund oraler oraler Medikation Medikation auf auf besondere besondere Anordnung: Anordnung: Oxycodon/Naloxon Oxycodon/Naloxon
(Targin )) (Targin
10/5 mg mg 10/5
zu beachten: beachten: zu Metamizol kann kann bei bei Allergie Allergie oder oder Unverträglichkeit Unverträglichkeit durch durch Paracetamol Paracetamol in in gleicher gleicher Dosierung Dosierung und und Applikation Applikation Metamizol Substituiert werden. werden. In In der der Regel Regel aber aber keine keine (!) (!) zeitversetzte zeitversetzte Gabe Gabe von von Metamizol Metamizol und und Paracetamol! Paracetamol! Substituiert Bei Patienten Patienten mit mit einem einem KG KG unter unter 50 50 kg kg und und über über 120 120 kg kg Dosisanpassung Dosisanpassung erforderlich, erforderlich, Bei ebenso bei bei geriatrischen geriatrischen Patienten. Patienten. ebenso KI: Kurzinfusion Kurzinfusion (100 (100 ml ml NaCl), NaCl), NRS: NRS: numerische numerische Rating-Skala Rating-Skala KI: gültig gültig für: für: Chirurgische Chirurgische Klinik Klinik DIAKO DIAKO Bremen Bremen
Abb. 9.3: Stufenplan Akutschmerztherapie: hohe Schmerzintensität.
Folgende einfachen, jedoch dem klinischen Alltag anzupassenden Grundsätze fördern deutlich eine gelungene Schmerztherapie in der Viszeralchirurgie: – Wann immer möglich, sollte es das Ziel der postoperativen Schmerztherapie sein, bei den ebenfalls in festen Zeitabständen durchzuführenden Schmerzerfassungen am Patienten die schmerztherapeutischen Maßnahmen dem individuellen Schmerzniveau anzugleichen. – Grundsätzlich ist stets eine Kombinationstherapie in der beispielhaft skizzierten Weise sinnvoller als eine Einzeltherapie mit z. B. nur einem stark wirksamen Opioid. – Einer PCA ist stets der Vorzug gegenüber einer Pflege- oder Arzt-kontrollierten i. v. Analgesie zu geben.
174 9 Operationen in der Viszeralchirurgie
– –
Es sollte immer das Ziel sein, soweit es der orale Kostaufbau erlaubt, eine orale Medikation einer intravenösen Medikation vorzuziehen. Sämtliche schmerztherapeutischen Maßnahmen sollten simultan durch eine begleitende physiotherapeutische Unterstützung sekundiert werden.
Schmerztherapie in der Viszeralchirurgie ist ein wesentlicher Baustein im Gesamtkonzept der frührehabilitativen Maßnahmen nach einer Operation. Sie kann nur dann hilfreich und sinnvoll sein, wenn die begleitenden Maßnahmen wie Mobilisation, Kostaufbau, Physiotherapie, Antikoagulation, ggfs. notwendige Antibiotika-Prophylaxe bzw. -Therapie und engmaschige klinische Betreuung im Einklang stehen. Referenzen Chou R, Gordon DB, deLeon-Casasola OA, et al. Guidelines on the Management of Postoperative Pain. JPain. 2016;17(22):131–57. Gerbershagen HJ, Aduckathil S, van Wijck AJ, et al. Pain intensity on the first day after surgery: a prospective cohort study comparing 179 surgical procedures. Anesthesiology. 2013;118(4):934– 44. Maier C, Nestler N, Richter H, et al. Qualität der Schmerztherapie in deutschen Krankenhäusern. Dtsch Arztebl Int. 2010;107(36):607–14. MeißnerW, Komann M, Erlenwein J, et al. Qualität postoperativer Schmerztherapie in deutschen Krankenhäusern. Dtsch Arztebl Int. 2017;114(10):161–7. Schnabel A, Pogatzki-Zahn E. Prädiktoren für chronische Schmerzen nach Operationen. Schmerz. 2010;24(5):517–33. „Schmerzbehandlung bei Operationen“ Eine Patienten-Leitlinie zur S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ (AWMF-Register Nr. 041/001). https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/001-025.html [letzter Zugriff 28.08.2020] www.quips-projekt.de [letzter Zugriff: 28.08.2020] https://esraeurope.org/prospect/ [letzter Zugriff: 28.08.2020] www.iasp-pain.org [letzter Zugriff: 28.08.2020]
10 Operationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie Christian J. P. Simanski, Esther Pogatzki-Zahn In der Orthopädie/Unfallchirurgie mit ihrem umfangreichen Eingriffsspektrum, zahlreichen operativen Zugängen und unzähligen Implantaten erschließt es sich fast von selbst, dass Empfehlungen zur postoperativen Schmerztherapie nicht generalisiert abgegeben werden können. Ein methodologischer Zugangsweg zur besseren Evidenz ist das prozedurenspezifische Analysevorgehen, da beispielsweise die Studienlage zur effektiven Schmerztherapie nach Hüftgelenkstotalendoprothese eine andere sein kann als nach Kniegelenkstotalendoprothese. Die internationale und interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Anästhesiologen und Chirurgen PROSPECT (procedure specific postoperative pain management) hat es sich zur Aufgabe gemacht, unterschiedlichste Prozeduren bezüglich des Endpunktes Schmerzreduktion und -therapie detailliert ähnlich der Cochrane-Methodologie zu analysieren und dann, in Abhängigkeit von Nutzen und Risiken, Empfehlungen für die perioperative Schmerztherapie zu geben [1]. Für die entsprechenden großen operativen Prozeduren in der Orthopädie/Unfallchirurgie gibt es diesbezüglich von dieser Arbeitsgruppe Ausarbeitungen, die es dem verantwortlichen Operateur und Anästhesisten evidenzbasiert ermöglichen, prä-, intra- und postoperativ schmerzreduzierend auf den Patienten nach verschiedensten Operationen einwirken zu können. Ähnliches hat die abgelaufene S3-Leitlinie versucht zu generieren. Aus diesem Grund wird im Folgenden im speziellen (zweiten) Teil des Kapitels auf die verschiedenen großen Operationen und Besonderheiten bezüglich der Schmerztherapie im Rahmen dieser Operationen eingegangen. Einige Aspekte der Schmerztherapie sind dennoch für alle Operationen im orthopädisch-unfallchirurgischen Gebiet ähnlich. Hinzu kommt, dass viele Operationen in der Orthopädie/Unfallchirurgie nicht unbedingt große Operationen darstellen, Schmerzen nach diesen Operationen aber dennoch stark sein können [2]. Für derartige Operationen werden Möglichkeiten der perioperativen Analgesie im allgemeinen (ersten) Teil dieses Kapitels dargestellt, da sie eher allgemeingültigen Charakter besitzen.
10.1 Allgemeiner Teil: Analgesieverfahren in der Orthopädie/Unfallchirurgie 10.1.1 Regionalanalgesieverfahren Grundsätzlich ist unumstritten, dass Regionalanalgesieverfahren eine ausgezeichnete und verlässlichere Analgesie erzeugen, die allen anderen Verfahren überlegen ist [3]. Mehrere Metaanalysen konnten die Vorteile regionaler Analgesieverfahren gegenüber systemischen Formen der Analgesie auch und gerade für Eingriffe an Knohttps://doi.org/10.1515/9783110597486-010
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chen und Extremitäten belegen und empfehlen diese Analgesieform bei zu erwartenden mittelstarken bis starken Schmerzen [4–6]. Dies gilt insbesondere für orthopädische Eingriffe, die auch heute immer noch mit starken Schmerzen verbunden sind. Unter den 12 mit den stärksten postoperativen Schmerzen verbundenen Operationen finden sich 9 orthopädische Operationen [2]. Werden Regionalanalgesieverfahren eingesetzt, sind diese Operationen meist mit weniger Schmerzen verbunden [2]. Es können sowohl single-shot als auch Katheterverfahren zum Einsatz kommen (vgl. Kap. 5); der Einsatz von Katheterverfahren setzt dabei eine klinikinterne regionalanästhesiologische Kompetenz und adäquate Betreuung der Patienten mit kontinuierlichen Regionalanalgesieverfahren rund um die Uhr voraus. Hier erweisen sich gute Interaktionen zwischen Anästhesisten und Chirurgen sowie dem Akutschmerzdienst einer Klinik als wegweisend für eine gute und sichere Analgesie, die sich auf Grund guter funktioneller Konsequenzen auch auf das Operationsergebnis und die Entlassung des Patienten positiv auswirken können. Sollten Regionalanalgesieverfahren perioperativ nicht durchführbar sein (z. B. Fehlschlagen des Blocks, schwierige anatomische Verhältnisse), sollte im Rahmen eines multimodalen systemischen Therapiekonzeptes (s. Kap. 4) bedarfsadaptiert der Schmerz therapiert werden. Allerdings ist dies im Zeitalter der ultraschallgesteuerten Regionalanalgesie nur noch selten notwendig und das Nachblocken (z. B. bei disloziertem Katheter) in der Regel auch relativ unproblematisch. Falls trotz alledem keine Regionalanalgesie möglich ist, sollten zu erwartende mittelstarke Schmerzen mit Hilfe oraler Opioide in Kombination mit Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) eingesetzt werden, bei starken Schmerzen patientenkontrollierte Verfahren wie eine PCA (s. Kap. 4). Auch an den Einsatz von Adjuvantien, z. B. bei Patienten mit Risiken für starke postoperative Schmerzen (s. Kap. 2) sowie nicht-medikamentöse Verfahren (s. Kap. 21.4) sollte in der Unfallchirurgie und Orthopädie gedacht werden. Merke: Die in einer Klinik präferierte Regionalanalgesietechnik sollte Teil eines umfassenden Therapiekonzeptes sein, um eine angemessene Analgesie zu fördern, optimale Physiotherapie und Rehabilitation zu ermöglichen, Nebenwirkungen zu verhindern und gleichzeitig die Opioidexposition insgesamt so weit wie möglich zu minimieren.
Gerade in der Orthopädie/Unfallchirurgie ist der Kontakt zwischen Chirurgen, Akutschmerzdienst und Physiotherapeuten mandatorisch, um die Erholung des Patienten so optimal wie möglich zu gestalten. Lokale einzeitige Nervenblockaden (single-shot Verfahren) Single-shot Nervenblockaden eignen sich prinzipiell für alle Eingriffe der Orthopädie/Unfallchirurgie, wenn die sensorische Versorgung des Operationsfeldes über einzelne Nerven erfolgt, die technisch erreichbar sind. Einzeitige Nervenblockaden ermöglichen in der Regel eine schmerzfreie postoperative Phase für ca. 6–12 Stunden
10.1 Allgemeiner Teil: Analgesieverfahren 177
(abhängig vom Lokalanästhetikum, das benutzt wird), bei Zusatz von Adjuvantien sogar bis zum Morgen des ersten postoperativen Tages. Zu spezielleren Ausführungen bezüglich einzelner Nervenblöcke und den idealen Substanzapplikationen verweisen wir auf das Kap. 5. Aufgrund einer möglichen begleitenden motorischen Blockade muss bei single-shot Verfahren gewährleistet werden, dass eine Mobilisation des Patienten, wenn operationstechnisch möglich, erfolgen kann. Außerdem muss ein Übergang der Analgesie von regional auf systemisch schon geplant sein, bevor das Abklingen der Lokalanästhesiewirkung zu starken Schmerzen führt. Merke: Die single-shot Regionalanalgesie erfordert das Bereitstellen einer wirksamen Bedarfsmedikation. Auch sollte der Patient idealerweise schon präoperativ darüber aufgeklärt werden, dass die gute Analgesie nach der Operation im Verlauf langsam nachlassen wird und er sich rechtzeitig melden soll, um ein Analgetikum zu erhalten.
Im Sinne einer balancierten Analgesie bietet es sich an, schon intraoperativ (oder, bei oralen Substanzen auch schon präoperativ) mit einem NOPA zu beginnen und dieses zu festen Zeiten (z. B. Ibuprofen 600 mg alle 8 Stunden) zu verabreichen. Eine in der Regel orale Bedarfsmedikation kann dann entweder aus einem zweiten NOPA bestehen oder aus einem (nicht-retardierten) Opioid. Letzteres kann dann bei Schmerzexazerbation über ein bestimmtes Maß hinaus vom Patienten angefordert werden (vgl. Kap. 4). Für diese Art der Analgesie eignen sich vor allem kommunikationsfähige und kognitiv nicht eingeschränkte Patienten. Natürlich profitieren auch solche Patienten von einer Regionalanalgesie, die patientenindividuelle Risikofaktoren für eine Opioidanalgesie mitbringen; bei letzteren sollte dann aber die kontinuierliche Analgesie über einen Katheter und falls notwendig über mehrere Tage in Betracht gezogen werden, da eine single-shot Regionalanalgesie eben doch nur eine zeitlich begrenzte Analgesie bietet. Bei Patienten, denen man nicht zutraut, sich rechtzeitig zu melden, muss unbedingt regelmäßig die Analgesiequalität kontrolliert werden, insbesondere zu den Zeiten, an denen ein Nachlassen der Analgesie nach single-shot Blockade wahrscheinlich ist. Periphere kontinuierliche Nervenblockaden mittels Katheter Die kontinuierliche Applikation eines Lokalanästhetikums über einen nahe eines großen peripheren Nerven oder eines Nervenplexus eingelegten Katheters ist heute das Verfahren der Wahl bei den großen Gelenkoperationen wie Knie- oder SchulterOperationen, um eine exzellente Analgesie zu erreichen. Sehr gut eignen sie sich auch bei traumatischen Verletzungen und Amputationen (Kreissägenverletzungen der Finger etc.), da die Durchblutung des z. B. reimplantierten Fingers verbessert wird. Die Effekte und vor allem eine effiziente Balance zwischen Analgesie und Reduktion von Nebenwirkungen ist dann gegeben, wenn:
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1.
die Platzierung des Katheters möglichst nahe des sensorischen Teils des Nerven (plexus) und (z. B. beim N. ischiadicus) idealerweise distal des Abgangs motorischer Äste, eingelegt wird (z. B. mittels Ultraschalltechnik) 2. die Lokalanästhetika-Applikation individuell eingestellt und angepasst wird und im Idealfall durch den Patienten (mit)gesteuert werden kann (patientenkontrollierte kontinuierliche Regionalanalgesie) 3. das Lokalanästhetikum so niedrig wie möglich dosiert und ggf. mit einem Adjuvans kombiniert wird 4. permanente, ubiquitär verfügbare Kompetenz (24 Stunden Akutschmerzdienst) zur Durchführung und Überwachung derselben vorliegt Merke: Wesentlich bei einer kontinuierlichen Nervenblockade nach großen Gelenkoperationen ist eine gute Balance zwischen guter Analgesie und geringstmöglicher Motorblockade, insbesondere dann, wenn das Gelenk aktiv mobilisiert werden soll. Zu Besonderheiten der Techniken und Auswahl der Substanzen s. Kap. 5.
Wundinfiltration Ist eine Nervenblockade nicht möglich, kann bei allen Engriffen aus dem orthopädisch-unfallchirurgischen Spektrum die subkutane Wundinfiltration zur postoperativen Analgesie und damit zur besseren Mobilität und höheren Patientenzufriedenheit zumindest für einige Stunden nach der Operation beitragen. Auch kontinuierliche Wundinfiltrationen sind möglich, in der Unfallchirurgie allerdings wenig gebräuchlich, da periphere Nervenblockaden eine gezieltere und effektivere Variante darstellen. LIA (Lokale Infiltrations-Analgesie) Bei der lokalen Infiltrationsanalgesie (auch LIA-Technik genannt) wird durch den verantwortlichen Operateur intraoperativ der Operationssitus mit Lokalanästhetika infiltriert, wobei die Lokalisation der Infiltration eine entscheidende Rolle für die Effektivität spielt (z. B. bei der Knie-TEP die komplette tiefe Infiltration der dorsalen Kniegelenkskapsel, bei der Hüft-TEP die noch vorhandene Hüftgelenkskapsel). Dabei kommen verschiedenste Lokalanästhetika und eine Kombination von Pharmaka zum Einsatz. Diese kann als „single-shot“ oder als Wundkatheter-Analgesie kontinuierlich durchgeführt werden und wird im Kap. 5 ausführlich dargestellt. Im speziellen (zweiten) Teil werden die Vor- und Nachteile für die einzelnen Operationen diskutiert.
10.1 Allgemeiner Teil: Analgesieverfahren 179
10.1.2 Systemische Analgesieverfahren Mit einer systemischen Analgesie kann bei den meisten Patienten nach Operationen zumindest eine zufriedenstellende Analgesie erreicht werden; entscheidend ist hier, dass für die Analgesie eine durchdachte Kombinationstherapie von Analgetika angewendet (sog. balanciertes Analgesiekonzept) und dieses an die Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst wird. Bei alleiniger systemischer Schmerztherapie wird in der Regel ein NOPA fest (z. B. Ibuprofen 600 mg alle 8 Stunden) und zusätzlich ein Bedarfsanalgetikum (z. B. Hydromorphon in nicht-retardierter Formulierung 1,3 mg) verordnet. Falls das Bedarfsanalgetikum nicht ausreicht, kann auch zusätzlich ein niedrigdosiertes retardiertes Opioid verordnet werden. Detaillierte Ausführungen über Analgetika und Beispiele für verschiedene Analgesiekonzepte einschließlich einer PCA finden sich in Kap. 4. Jede Klinik sollte mindestens ein Konzept für eine systemische Analgesie entsprechend ihres Patientenklientels erstellen (Behandlungspfade und/oder Algorithmen), regelmäßig Schulungen zur Durchführung der Konzepte und Risikoprävention anbieten und durch regelmäßige Qualitätskontrollen die Effektivität überprüfen. Patienten müssen geschult und z. B. über die Möglichkeit der Bedarfsmedikationsanforderung aufgeklärt werden. Vor Entlassung aus der Klinik sollte die Weiterführung mit dem Patienten besprochen und schriftlich im Entlassungsbrief formuliert werden.
10.1.3 Allgemeine operative Aspekte Um das intraoperative Trauma (und damit Schmerzen) zu reduzieren, sollten möglichst atraumatische Operationstechniken favorisiert werden. Maßgeblich hierzu ist die Wahl eines adäquaten Zuganges. Minimal-invasive Operationstechniken scheinen durch kleinere Inzisionen in besonderem Maße geeignet, postoperative Schmerzen zu senken [7]. An erster Stelle bei den Patientenängsten im perioperativen Setting rangiert die Angst vor einer schmerzhaften Drainagenentfernung. Verschiedene Studien konnten keinen signifikanten Vorteil bezüglich Hämatombildung und Wundinfektionsinzidenz bei orthopädisch-unfallchirurgischen Eingriffen aufzeigen, der den Einsatz von Wunddrainagen rechtfertigt [8]. Eine vergleichende prospektivkontrollierte, randomisierte Studie (Wunddrainage vs. keine Drainage) fand geringere postoperative Schmerzintensitäten in der „keine Drainage“-Gruppe [9]. Schlussendlich zählt die Drainagenvermeidung zu den ersten intraoperativ durch den Operateur zu beeinflussenden Schmerztherapiemaßnahmen überhaupt. Die Wahl des Nahtmaterials kann ebenfalls postoperative Schmerzen beeinflussen. So wurde in einer Metaanalyse eine höhere Schmerzinzidenz nach Wundverschluss mit nicht-resorbierbarem gegenüber resorbierbarem Fadenmaterial nachgewiesen [10]. Für den Hautverschluss stehen resorbierbare Fäden zur Verfügung, welche das schmerzhafte Entfernen eventuell „eingewachsener“ Fäden erübrigen.
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10.2 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie in der Orthopädie/Unfallchirurgie Auf Grund der nachgewiesenen überproportional starken Schmerzen im orthopädisch-unfallchirurgischen Bereich [2] sowie der prozedurenspezifischen Besonderheiten ist es sinnvoll, einige Operationen ausführlicher zu diskutieren. Für häufig in einer Klinik durchgeführte Operationen bietet es sich in jeder Klinik an, Standards zu entwickeln, die an Evidenz und klinikinternen Gegebenheiten angelehnt und von allen an der Behandlung der Patienten beteiligten Behandlern gelebt werden (vgl. auch Kap. 4).
10.2.1 Große Gelenkeingriffe am Knie Die Knie-Endoprothetik stellt eine der häufigsten, großen operativen Eingriffsarten in der Orthopädie dar und geht mit starken postoperativen Schmerzen einher, die die Erholung und auch das operative Ergebnis nachhaltig beeinflussen können. Nicht kontrovers ist, dass Regionalanalgesieverfahren und hier vor allem kontinuierliche Femoralisblockaden (insbesondere wenn sie mit einer Ischiadikusblockade kombiniert werden) eine besonders gute postoperative Analgesie hervorrufen und einer systemischen Analgesie hinsichtlich Reduktion von Schmerzen überlegen sind [6,11]. Neuroaxiale Verfahren sind zwar gleichwertig analgetisch wirksam aber mit schwerwiegenderen Risiken verbunden, so dass sie bei Kniegelenkseingiffen nicht mehr empfohlen werden [12]. Bevorzugt eingesetzt werden single-shot oder kontinuierliche Femoralisblockaden, die das Versorgungsgebiet Knie postoperativ gut abdecken; präoperative Femoralisblockaden können intraoperativ zu einer Vollnarkose opioideinsparend wirken; postoperativ kann, wenn ein Katheterverfahren gewählt wird, oft der Opioidbedarf bis auf ein Minimum reduziert bzw. ganz auf Opioide verzichtet werden. Dies ermöglicht die in ERAS-Programmen auch als besonders wesentlich eingeschätzte frühe und intensive Mobilisation und Physiotherapie nach einer Knie-OP. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass die Analgesiequalität nach Knie-TEP noch gesteigert werden kann, wenn der Femoralisblock mit einer Blockierung des Nervus Ischiadikus [6] kombiniert wird; dies kann sowohl als single-shot oder als Rescue-Injektion intermittierend erfolgen und ist besonders bei Patienten mit Schmerzen in der Kniekehle indiziert. Insgesamt scheint die Blockade des Ischiadikusversorgungsgebietes nach Kniegelenksoperation wichtiger zu sein als bisher gedacht und verbessert die Analgesie und die Gesamtergebnisse signifikant [6]. Allerdings muss beachtet werden, dass es im Zusammenhang mit einer Femoralisnervenblockade zu einer Quadrizeps-Muskelschwäche kommen kann, die potenziell die Sturzgefahr des Patienten erhöht. Bei niedrig-dosiertem Lokalanästhetikum ist der Effekt klinisch wenig relevant. Trotzdem sollten Patienten mit einer periphe-
10.2 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie 181
ren Nervenblockade sich niemals alleine mobilisieren. Durch die ultraschallgesteuerte gezielte Katheteranlage und den Einsatz niedriger Konzentrationen und Laufraten von Lokalanästhetika postoperativ, ist eine kontinuierliche Regionalanalgesie für die ersten 2–3 Tage auch mit einer Physiotherapie vereinbar. Sie ermöglicht in vielen Fällen erst durch eine exzellente Analgesiequalität die physiotherapeutischen Maßnahmen und verbessert dadurch möglicherweise noch das Operationsergebnis. Alternativ zum konventionellen Femoralisblock kann eine Adduktor-Kanalblockade dafür sorgen, dass die Quadrizepsmuskulatur unbeeinflusst bleibt; hier wird der sensible Endast des N. femoralis, der N. saphenus, weiter distal geblockt und erzeugt eine gute Analgesiequalität mit entsprechend geringen motorischen Einschränkungen [3,13] (vgl. Kap. 5). Ob eine Adduktorkanalblockade gleichwertig zu einer konventionellen (oberen) Femoralisblockade hinsichtlich der Analgesiequalität ist, ist bisher nicht geklärt [14,15]. Die LIA stellt eine mögliche weitere Alternative zu den peripheren Nervenkathetern mit etwas unterschiedlichem Risiko-Nutzen dar. Kerr and Kohan beschrieben erstmalig die tiefe, hochvolumige (100 ml) intra- und periartikuläre Injektion einer Kombination von Lokalanästhetikum (z. B. Ropivacain), nichtsteroidalem Antirheumatikum (z. B. Ketorolac), Morphin (z. B. Epimorphine) und Epinephrin. In anderen Studien wurde diese postoperativ zusätzlich über einen intraartikulären Katheter appliziert, der am Folgetag entfernt wurde, dieses wirkte signifikant schmerzreduzierend und opioidsparend [16,17]. Allerdings hält die single-shot LIA (eine Kathetereinlage ins Kniegelenk wird nicht mehr empfohlen), nicht so lange an wie es für eine effektive Physiotherapie in den ersten Tagen nach der Operation notwendig wäre und erfordert deshalb eine anschließende effektive multimodale Analgesie mit ggf. systemischen Opioiden, die bei einer kontinuierlichen Nervenblockade möglicherweise vermieden werden kann. Auch Muskel- und Knorpelschäden durch die große Menge an Lokalanästhetika können nicht ausgeschlossen werden. Jede Klinik sollte idealerweise eines der Regionalanalgesieverfahren als Standardverfahren in einem Behandlungspfad für Knie-TEPs auswählen; jedes dieser Verfahren hat Vor- und Nachteile und die Verweildauer in Deutschland von mindestens 3 Tagen nach Knie-TEP erlaubt jedes der Verfahren ohne die Liegedauer des Patienten im Krankenhaus zu verlängern. Ganz im Gegenteil sind Regionalanalgesieverfahren in der Lage, die Liegedauer und die Funktion nach Knie-OP positiv zu beeinflussen.
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Infobox 10.1: Regionalanalgesieverfahren bei Knie-TEP 1. Wahl: Basisanalgesie mit NOPA + Inguinale Femoralisblockade als Katheterverfahren* + ggf. zusätzlich laterale Nervus-Ischiadicus-Katheterblockade (NIK) ** oder + Adduktorkanalblockade* oder + single-shot LIA Bei Kontraindikationen oder Ablehnung von Regionalanalgesieverfahren: 2. Wahl: Basisanalgesie mit NOPA + PCA (Opioid-basierte patientenkontrollierte Analgesie) Nach 2–6 Tagen (abhängig von der individuellen Schmerzsituation des Patienten, Mobilisierbarkeit und Nebenwirkungen) sollte auf NOPA plus Bedarfsmedikation mit oralem Opioid umgestiegen werden (vgl. Kap. 4). * z. B. Ropivacain 0,2 % oder Bupivacain 0,2 %; individuelle Einstellung der Laufrate über Infusionsschmerzpumpe 3–15 ml/h (je nach Bedarf); ggf. 1–2 patientenkontrollierte Boli pro ½ Stunde mit der Hälfte der stündlichen Infusionsdosis). Angaben gelten für Erwachsene Patienten. Cave: Empfohlene Ropivacain/Bupivacain-Höchstdosis beachten: 0,5 mg/kg KG/h **Über den nicht mit einer Infusionsschmerzpumpe bestückten NIK kann bei Bedarf 2 mg/kg KG Xylonest 1 % appliziert werden. Ein Katheter, der länger als 24 Stunden nicht benutzt wurde, sollte nicht mehr verwendet, sondern entfernt werden.
Wird auf eine Regionalanalgesie nach großen Knieoperationen ganz verzichtet, ist in der Regel die Gabe eines Opioids in Kombination mit einem NOPA erforderlich, um dem Patienten eine aktive Beteiligung an Physiotherapie zu ermöglichen. Eine Vielzahl von Untersuchungen weist darauf hin, dass auch nach Knieoperationen die Gabe von Opioiden nicht unproblematisch ist (z. B. erhöhte Fallneigung) und – insbesondere bei Patienten mit Risikofaktoren – zu einer Langzeiteinnahme von Opioiden führen kann [18]. Falls aber kein Regionalanalgesieverfahren möglich ist, muss eine konsequente systemische Analgesie durchgeführt werden, idealerweise dann als balanciertes Analgesiekonzept. Bei großen Knieoperationen bieten sich immer eine Gabe eines konventionellen NSAR´s oder eines selektiven COX-2 Hemmers, oder, bei Kontraindikation, die Gabe von Metamizol oder Paracetamol an (vgl. Kap. 4). Kann keine Regionalanalgesie zum Einsatz kommen, kann eine NSAR/Coxib auch mit Paracetamol oder Metamizol für die ersten postoperativen Tage kombiniert werden. Opioide können dann – soweit notwendig – entweder oral, sublingual oder intravenös erfolgen. Merke: Im Idealfall ist bei einer Knie-TEP ein PCA Verfahren anwendbar, wenn keine Regionalanalgesie durchgeführt werden kann.
Die Durchführung einer PCA mit Opioiden ist in. Kap. 4 detailliert beschrieben.
10.2 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie 183
Operative Aspekte Kontrollierte Studien zeigen, bezogen auf die postoperativ zu erwartende Schmerzintensität, keine signifikanten Unterschiede bezüglich verschiedener Operationstechniken. Jedoch zeigt der Sub-Vastus- im Vergleich zum parapatellaren Zugang ein schnelleres Erreichen der 90 Grad-Flexion des betreffenden Kniegelenkes. Die Wahl des operativen Zuganges sollte sich jedoch primär an den anatomischen Gegebenheiten des Patienten orientieren. Eine Blutsperre kann sich negativ auf die postoperative Erholung einschließlich Schmerzen auswirken. Physiotherapeutische Rehabilitation nach Knie-TEP Der Einsatz intensiver physiotherapeutischer Maßnahmen wird generell unabhängig von der Schmerzsymptomatik zur Verbesserung des Outcomes (Beweglichkeit, Belastungsfähigkeit, Mobilisation) empfohlen. Hierzu ist es aber gerade wichtig, die bestmögliche Analgesie zu erzielen, idealerweise bei uneingeschränkter Motorik. Klinikeigene Behandlungspfade können hier helfen, den Ablauf und das interdisziplinäre Zusammenarbeiten so effektiv wie möglich und reibungslos zu gestalten, so dass alle, Patient und Behandler, davon profitieren. Gute Analgesie, die eine optimale frühe Physiotherapie ermöglicht, kann das postoperative Outcome positiv beeinflussen. Neben dem Standardprogramm wie passive Mobilisation des Kniegelenks in Flexion und Extension, Dehnung und Muskelkräftigung können weitere Aktivitäten wie Mobilisation am Tag der Operation und frühes Treppensteigen ab dem 2. postoperativen Tag das Outcome verbessern. Spezielle Aspekte zu physiotherapeutischen Maßnahmen bei Knie-TEP finden sich in Kap. 22. Interessant ist auch, dass präoperative Übungstherapien sich positiv auf postoperativen Schmerz so wie Funktion und körperliche Aktivität sowohl bei Knie- als auch bei Hüft-TEP auswirken [19] (vgl. Kap. 22). Die lokale Kühlung der operierten Extremität nach implantierter Knie-TEP zeigte signifikant geringere Schmerzintensitäten und sollte wenn möglich immer zum Einsatz kommen.
10.2.2 Große Gelenkeingriffe an der Hüfte Auch in der Hüftchirurgie stellen Regionalanalgesieverfahren die effektivsten Analgesieverfahren dar. Allerdings sind primäre Hüft-TEPs mittlerweile durch verbesserte Operationsverfahren deutlich weniger schmerzhaft als früher und eine systemische Analgesie ist oft völlig ausreichend. Bei sekundären Hüft-TEPs oder bei großer Tumorchirurgie im Bereich der Hüfte und/ oder des proximalen Femurs stellt die Periduralanalgesie weiterhin ein ausgesprochen effektives Verfahren dar, das bei fehlenden Kontraindikationen ein gutes Nutzen-Risiko-Profil aufweist (vgl. Kap. 5). Große tumorchirurgische Eingriffe im Bereich der Hüfte (z. B. interne oder externe Exartikulation) profitieren sehr von der Epiduralanalgesie, insbesondere bei Lagerungsmanövern.
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Auch in der Hüftchirurgie sollte jedes Regionalanalgesieverfahren mit einem NOPA kombiniert werden. Konventionelle NSARs oder Coxibe sind dabei sehr effektiv, aber auch Metamizol kann bei KI von NSARs eingesetzt werden (vgl. Kap. 4). Paracetamol (oder Metamizol) kann in Kombination mit NSAR´s, verwendet werden, falls kein Regionalanalgesieverfahren eingesetzt werden kann. Bei starken Schmerzen können Opioide verabreicht werden; diese sollten, wenn keine Regionalanalgesie eingesetzt wird, patientenkontrolliert erfolgen (vgl. dazu Kap. 4). Einige Studien und Metaanalysen zeigen eine signifikante Schmerzreduktion durch periartikuläre und lokale Infiltration des Operationsgebietes nach Hüft-TEP Implantation [20–22], aber nicht nach osteosynthetischer Versorgung einer hüftgelenksnahen Fraktur [23]. Allerdings wird die LIA für Hüft-TEP heute nicht mehr als Analgesieverfahren im Hüftbereich empfohlen [24]. Operative Aspekte Wenngleich die Wahl des Implantates nicht nur nach schmerzreduzierenden Gesichtspunkten gewählt werden sollte, so zeigten sich beim Vergleich zementierter Hüft-TEP vs. zementfreier Hüft-TEP in einer kontrollierten Studie signifikant geringere Schmerz-Scores in der zementierten Hüft-TEP Patientengruppe. Allerdings ist die Endoprothesenauswahl von anderen Patientenfaktoren abhängig zu machen als allein von den zu erwartenden postoperativen Schmerzintensitäten. Unabhängig vom Anästhesieverfahren kann durch die Vermeidung von Drainagen eine zusätzliche intraoperative Schmerztherapie erwirkt werden.
10.2.3 Große Schulteroperationen Die PROSPECT Working Group hat ganz aktuell evidenzbasierte Empfehlungen für große Schulteroperationen, insbesondere Rotatorenmanschetten-Operationen herausgegeben (https://esraeurope.org/prospect und Toma et al. [25]). Aus den ausgewerteten Studien konnten die in Infobox 10.2 aufgeführten Empfehlungen für diese Operation gegeben werden. Infobox 10.2: Empfehlungen für große Schulteroperationen (Rotatorenmanschetten-Operation, Toma et al. [25]) – NOPA (NSAR; Paracetamol) plus – Regionalanalgesie – kontinuierliche Interskalenusblockade (ISK) über Katheter – single-shot ISK – supraklavikuläre Nervenblockade mit oder ohne axillären Nervenblock (keine erste Wahl) – Opioide als Rescue-Analgesie
10.2 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie 185
Wie auch bei den unteren Extremitäten (siehe oben, vgl. auch Kap. 5) ist die Regionalanalgesie idealerweise mit einem Katheter unter kontinuierlicher (oder intermittierender) Lokalanästhetikazufuhr durchzuführen, um ein an den Bedarf des Patienten angepasstes Regime zu fahren. Auch hier wird üblicherweise Ropivacain 0,2 % oder Bupivacain 0,2 % eingesetzt, die Laufrate individuell idealerweise über eine Schmerzpumpe eingestellt (z. B. 2–10 ml/h je nach Bedarf und wenn eine Schmerzpumpe verwendet wird) und die Möglichkeit von 1–2 patientenkontrollierten Boli pro Stunde gegeben. Verfahrenstypische aber seltene Nebenwirkungen sind eine N. phrenicus-Parese und ein Horner-Syndrom. Tritt dies auf, sollte die Lokalanästhetikazufuhr unterbrochen und der Patient, abhängig von der Symptomatik, solange überwacht werden, bis die Symptome abgeklungen sind. Dexamethason i. v. kann vor der Operation zur Verlängerung der Wirkdauer peripherer Nervenblockaden sowie zur Reduktion von Nebenwirkungen eingesetzt werden [25].
10.2.4 Amputationen an den Extremitäten Die perioperative Analgesie bei Amputationen an Extremitäten erfordert eine besondere, in der Regel multidisziplinäre Herangehensweise. Wichtig ist es, die z. T. extreme perioperative Schmerzsituation in den Griff zu bekommen, so wie chronischen Schmerzen und Phantomschmerzen so weit wie möglich entgegenzuwirken. Viele Patienten kommen mit bereits vorbestehenden Schmerzen zur Amputation, haben ggf. Analgetika über Monate und Jahre eingenommen und bringen zusätzlich psychosoziale Begleitaspekte mit; all diese Faktoren stellen besondere Risiken für starke akute und die Ausbildung chronischer Schmerzen dar. Gleichzeitig belastet einen Patienten in der Regel unabhängig von seiner Vorgeschichte der Verlust einer Extremität; eine Amputation ist ein extrem einschneidendes Erlebnis, das immer – und individuell unterschiedlich in Art und Ausprägung – eine psychosoziale Mitbehandlung erfordert [26]. Merke: Eine Amputation erfordert ein sehr individuelles perioperatives Vorgehen mit interdisziplinärer Begleitung und Betreuung sowie eine sehr effektive, individualisierte Analgesie.
Regionalanalgesieverfahren Durch eine Epiduralanalgesie kann eine exzellente Analgesie nach Amputationen an der unteren Extremität (z. B. Amputation der proximalen unteren Extremität) erreicht werden; sie scheint – im direkten Vergleich zu einem peripheren Nervenkatheter – noch etwas effektiver zu sein [27]. Andererseits ist eine Platzierung der peripheren Nervenkatheter seltener kontraindiziert und kann ebenfalls und über einen längeren Zeitraum eine nahezu vollständige sensorische Abdeckung der Extremitäten
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gewährleisten. In einer prospektive Beobachtungsstudie konnte durch individuelle Dauer der Analgesie über einen peripheren Nervenkatheter (mittlere Dauer 30 Tage) sogar die Entstehung von Phantomschmerzen verhindert werden [28]. In der Akutphase kann bei Auswahl von Techniken für z. B. Amputationen im Kniebereich die Platzierung mehrerer Katheter in Betracht gezogen werden, um die neuroanatomische Blockade zu maximieren. Merke: Konsequente und individuell angepasste Nervenblockaden können effektiv starke Akutschmerzen therapieren wie auch möglicherweise präventiv das Risiko chronischer Postamputationsschmerzen einschließlich Phantomschmerzen verringern.
An der oberen Extremität kann ebenfalls die periphere proximale Katheteranlage (in der Regel Nervenplexuskatheter) vor der Operation eine gute perioperative Analgesie gewährleiten. Die aktuelle Literatur ist aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns, Kathetertechniken, Dosierungsschemata und Outcome-Parameter ausgesprochen heterogen [29]. Interessant ist aber gerade bei Amputationen neben der Lokalanästhetika-basierten Regionalanalgesie die Anwendung von Adjuvantien zusammen mit Lokalanästhetika (am Nerven); dies ermöglicht eine noch bessere Analgesiequalität und damit effektivere Reduktion von Schmerzen und Analgetikaverbrauch. Auch zusätzliche patientenkontrollierte Bolusgaben zur kontinuierlichen Infusion können hilfreich sein, um Schmerzspitzen zu reduzieren und individuell den Bedarf zu titrieren. Systemische Analgesieverfahren Wenn keine Regionalanalgesie möglich ist, muss eine multimodale (gut auf den Patienten abgestimmte) Analgesie perioperativ durchgeführt werden. Interessant ist, dass eine gute Analgesiequalität durch systemische Analgesieverfahren das Risiko für chronische Schmerzen vermindern kann; dies weist darauf hin, dass vor allem eine gute Analgesie und nicht wirklich eine spezifische Substanz für das LangzeitOutcome entscheidend sein könnte [30]. Eine gute Akutschmerztherapie nach Amputation ist aber ohne Regionalanalgesie schwieriger zu erreichen und potenziell mit mehr Nebenwirkungen verbunden. Grundsätzlich sollte nach multimodalen Gesichtspunkten (also einer Kombination aus NOPA und Opioid, idealerweise anfangs als PCA, danach über orale Opioide) behandelt werden (vgl. Kap. 4). Nach Amputationen sind – wenn keine Regionalanalgesie möglich ist – auch zusätzliche Substanzen aus der Gruppe der Ko-Analgetika angezeigt; allerdings sollten all diese Substanzen nicht ohne Grund verabreicht werden. So sind z. B. Gabapentinoide, zumindest auf lange Sicht, nicht nachgewiesen effektiv, um Phantomschmerzen verlässlich zu verhindern; prophylaktisch ist deshalb die Gabe von Gabapentin oder Pregabalin nicht indiziert [29,31].
10.2 Spezieller Teil: Prozedurenspezifische Schmerztherapie 187
Merke: Es gibt keinen Nachweis dafür, dass Gabapentinoide perioperativ das Risiko für oder die Schwere von Phantomschmerzen nach einer Amputation vermindern.
Gabapentinoide sollten, da sie Nebenwirkungen hervorrufen können, nur bei wirklich guter Indikation eingesetzt werden. Kurzzeitig perioperativ verabreicht können sie helfen, den Verbrauch von Opioiden zu reduzieren (z. B. Pregabalin 300 mg präoperativ und alle 12 Stunden 150 mg für 1–3 Tage, Achtung Nebenwirkungen, s. Kap. 4). Perioperativ stellt ihre Anwendung aber immer einen off-label-use dar; sie sind kontraindiziert bei Niereninsuffizienz und sollten nicht mit weiteren sedierenden Medikamenten kombiniert werden. Alternativ kann der Einsatz von Ketamin perioperativ (über einen Perfusor, 12–72 Stunden verabreicht, nur unter hämodynamischer Kontrolle) erfolgen. Ketamin kann auch bzw. insbesondere dann gegeben werden, wenn eine Einsparung von Opioiden erreicht werden soll, z. B. bei Opioidvorbehandelten Patienten (vgl. Kap. 23). Ketamin ist zudem in der Lage, das Risiko chronischer Schmerzen zu reduzieren; allerdings ist dies nicht für Phantomschmerzen eindeutig und explizit nachgewiesen [29,31]. Weitere Möglichkeiten zur Akutschmerztherapie, z. B. wenn Opioide eingespart werden sollen, sind die Gabe eines Antidepressivums, Clonidin/Dexmedetomidine oder i. v. Lidocain mit individuellem Versuch einer Schmerzreduktion perioperativ, falls die anderen Substanzen keine ausreichende Linderung bringen. Untersuchungen explizit für Schmerzen nach Amputationen gibt es hierzu allerdings ebenfalls nicht oder kaum und deshalb ist eine Indikationsstellung nach guter Risiko-Nutzen-Abwägung zu stellen (vgl. Kap. 4). Ähnliches gilt für Calcitonin, dessen Effekt hypothetisch auf Grund einer Aktivierung absteigender serotonerger inhibitorischer Mechanismen, Verringerung der Produktion von Prostaglandinen und entzündungsfördernden Zytokinen und Modulation von spannungsgesteuerten Ca2+-Kanälen denkbar wäre, aber bisher nicht eindeutig nachweisbar war [31]. Merke: Abgeraten werden muss von einer Polypragmasie der Schmerztherapie bei Amputationen; die Kombination von einem oder maximal zwei NOPA, einem Opioid und einem Adjuvans/Ko-Analgetikum sollte immer mit dem Ziel eines zusätzlichen Effektes erfolgen und bei Nicht-Erreichen dieses Zieles wieder abgesetzt werden.
Die Wahl der Analgetika und Ko-Analgetika in der Akutschmerzphase muss natürlich den individuellen Patientenfaktoren angepasst und die Dauer der Therapie gut abgewogen werden. Entwickelt der Patient dann im Verlauf nach der Operation Phantomschmerzen und sind diese nicht durch eine Spiegeltherapie (siehe unten: nicht-medikamentöse Verfahren) auf ein adäquates Niveau zu reduzieren, kann die Eintitrierung eines Gabapentinoids (oder eines anderen fist-line Therapeutikums für Phantomschmerzen) erwogen werden; dies sollte aber stets durch einen Schmerzthe-
188 10 Operationen in der Orthopädie und Unfallchirurgie
rapeuten mit Erfahrungen in der Behandlung von Phantom- und Postamputationsschmerz begleitet werden, der den Patienten im weiteren Verlauf betreut. Werden Phantomschmerzen chronisch, sollten auch mögliche periphere Prozesse der Schmerzentstehung von den zentralen Reorganisationsprozessen abgegrenzt werden, psychosoziale Aspekte sollten bedacht werden und deshalb eine Therapie idealerweise interdisziplinär in speziellen Zentren erfolgen. Nichtmedikamentöse Verfahren Prinzipiell sollte nicht-medikamentös postoperativ all das eingesetzt werde, was dem Patienten subjektiv hilft (vgl. Kap. 22). Bei Phantomschmerzen (auch schon in der frühen Phase nach Operation) kann ein positiver Effekt über die sogenannte Spiegel-, Imaginations- oder auch visuelle Rückkopplungstherapie erzielt werden. Patienten visualisieren ihre fehlenden Gliedmaßen imaginär z. B. mit einem Spiegel durch Beobachten der intakten gespiegelten Extremität, durch virtuelle Systeme (z. B. über sog. „Virtual Reality Brillen“) oder über Videos der zuvor aufgezeichneten intakten Extremität. Gleichzeitig werden sie aktiv aufgefordert, z. B. Bewegungen der Phantomgliedmaße mit den beobachteten Bewegungen zu synchronisieren. Klinische Studien belegen einen Effekt bei Phantomschmerzen, der z. T. sehr gut ist und, wenn die Therapie weitergeführt wird, auch anhaltend sein kann. Der Effekt wird auf verschiedene Mechanismen zurückgeführt, unter anderem auf eine Reduktion der dysfunktionalen kortikalen Reorganisation im Kortex, der sich nach einer Amputation ausbildet [32]. In den meisten Kliniken hat in der Ergotherapie und/oder der Physiotherapie dieses Verfahren Einzug gehalten; auch in der akuten postoperativen Phase kann die Spiegeltherapie als Verfahren eingesetzt werden, sobald Phantomschmerzen vom Patienten berichtet werden. Im weiteren Verlauf kann durch den Patienten diese Therapie zu Hause fortgeführt werden.
10.2.5 Fuß- und Handchirurgie Gerade in der Fuß-, Sprunggelenk- und auch Handchirurgie bietet sich eine periphere Nervenblockade zur intraoperativen und postoperativen Analgesie an. Dies erleichtert bei der Fußchirurgie z. B. auch die Manschettenanlage der Blutsperre supramalleolär bzw. vermindert die nachfolgenden Schmerzen hierdurch. Die Durchführung von prä-/intraoperativen regionalen Blöcken ist allerdings extrem kurz. Eine single-shot Blockade in der Fußchirurgie hat vergleichbar gute Effekte, wenn sie durch den Chirurgen und den Anästhesisten durchgeführt wird [33]. Die mittlere Wirkdauer des Blocks kann bis zu 14 Stunden anhalten und in einer sehr hohen Patientenzufriedenheit resultieren [34–36]. Klinikintern sollte abgestimmt werden, wer den Block anlegt; während bei der oberen Extremität die Regionalanalgesie doch etwas komplexer ist, bietet sich immer, falls möglich, idealerweise die ul-
Referenzen 189
traschallgesteuerte Anlage durch den Anästhesisten an, die zu einer Verminderung der Komplikationen bei gleich guter oder verbesserter Analgesie und Reduktion des Lokalanästhetikabedarfs führt [37]. Fazit für die Praxis Es gibt zahlreiche effektive unspezifische und prozedurenspezifische Schmerzreduktionsmaßnahmen in der Orthopädie/Unfallchirurgie, die durch den verantwortlichen Operateur eigenständig durchgeführt werden können. Jede Klinik sollte evidenzbasierte Konzepte für häufige Operationen entwickeln. Zusätzlich sollten immer Behandlungsschemata für die systemische Schmerztherapie vorhanden sein, die eine Bedarfsmedikation zur schnellen Therapie von z. B. Schmerzen bei Physiotherapie beinhaltet. Die beste Effektivität einer während des gesamten Patientenaufenthaltes konzipierten Schmerztherapie wird jedoch durch ein interdisziplinäres Zusammenwirken von Anästhesisten, Operateur, speziellem Schmerztherapeuten, Physiotherapeuten und ggf. Orthopädietechnikern erzielt. Referenzen [1] [2]
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11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie Gunda Leschber, Juliane Straßburg-Jegelski In der Thoraxchirurgie sind die Wahl des Zugangs, die Eingriffsarten und Operationstechniken vielfältig und unterscheiden sich zum Teil erheblich hinsichtlich der ausgelösten Schmerzen. Das Spektrum reicht von ausgedehnten Resektionen, bei denen eine (unphysiologische) Spreizung der Rippen erforderlich wird, bis zu Eingriffen am Mediastinum, bei denen ein zervikaler Schnitt als Zugang ausreichend oder auch eine Sternotomie notwendig sein kann. Neben der Lagerung zur Operation sind Dauer des Eingriffs und Verschlusstechniken von Bedeutung. Nicht zuletzt bilden thorakale Eingriffe ein extrem hohes Risiko für chronische postoperative Schmerzen (s. Kap. 1). Es gilt also, sich mit den Besonderheiten dieses Fachgebietes vertraut zu machen, um die Schmerzentstehung zu verstehen und darauf Einfluss nehmen zu können.
11.1 Zugangswege und OP-Techniken machen den Unterschied: erste Säule der Schmerzverminderung/Schmerzbeherrschung 11.1.1 Lagerung Bereits bei der Lagerung des Patienten auf dem OP-Tisch ist einiges zu beachten, um die Schmerzentstehung zu reduzieren. Die Mehrzahl der Eingriffe erfolgt in Seitenlagerung mit anteflektierten Armen, wobei darauf geachtet werden muss, dass die tischseitige Schulter des Patienten frei ist und nicht voll aufliegt, um eine Kompression des Plexus brachialis zu vermeiden. Auf eine Elevation des anderen freien Armes über das Niveau der Schulter muss aus demselben Grunde verzichtet werden. Essenziell zur Vergrößerung des interkostalen Raumes ist beim seitwärts gelagerten Patienten das Abwinkeln des OP-Tisches um ca. 30° in Höhe zwischen der Brustwarze und dem Nabel. Vorsicht muss man hier bei Patienten mit Erkrankungen der Wirbelsäule walten lassen. Die ventral und dorsal angebrachten Stützen müssen gut abgepolstert sein, und nach vier Stunden Operationszeit ist eine Lagerungskontrolle indiziert, insbesondere, wenn der Operationstisch mehrfach bewegt wurde (ventrale/dorsale Kippung). Bei einer Mediastinoskopie wird in Rückenlage der Kopf des Patienten rekliniert, um das Einführen des Mediastinoskops zu erleichtern. Eine Testung, wie weit diese Reklination möglich ist, sollte schon bei der Aufklärung erfolgen. Intraoperativ müssen eine Überstreckung oder ein zu starkes Drehen der Halswirbelsäule vermieden werden. Eingriffe in Rückenlage erfolgen mit an- oder ausgelagerten Armen, auch hier ist eine Elevation der Arme über 90° kontraindiziert. Bei einer Sternotomie bewirkt eine Rolle unter der Wirbelsäule eine zusätzliche Erweiterung des Brustkorbes. https://doi.org/10.1515/9783110597486-011
194 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
11.1.2 Thorakotomie Die antero-axilläre oder die antero-laterale Thorakotomie werden heute am häufigsten zur Thoraxeröffnung angewandt und haben die postero-laterale Thorakotomie weitgehend abgelöst. Der Grund dafür ist die Kombination von guter Übersichtlichkeit und Erreichbarkeit der wichtigsten anatomischen Strukturen bei gleichzeitig deutlich reduziertem Weichteiltrauma. Nach Durchtrennen von Haut und Subkutis werden der M. latissimus komplett erhalten und M. serratus lediglich im Faserverlauf gespalten, im Gegensatz zur postero-lateralen Thorakotomie, bei der der M. latissimus quer durchtrennt wird (zum Teil komplett). Letzteres führt u. a. dadurch zu deutlich stärkeren Schmerzen akut und trägt ggf. auch zu anhaltenden Schmerzen bei. Die Eröffnung des Interkostalraums unterscheidet sich bei den Techniken nicht: sie erfolgt an der Oberkante der unteren Rippe oder in der Mitte der Interkostalmuskulatur, um eine zu große Nähe zum Gefäßnervenbündel an der Unterkante der Rippe zu vermeiden. Merke: Bei der Thoraxeröffnung wird ein Thoraxsperrer eingesetzt; dieser sollte nur langsam und schrittweise geöffnet werden, um so die elastischen Rückstellkräfte der Thoraxwand nicht zu überfordern bzw. eine Rippenfraktur zu verhindern.
Moderne Spreizsysteme passen sich bereits der Konfiguration der Rippen an. Bei sehr starrem Thorax ist die primäre Osteotomie indiziert. Sie ist mit deutlich weniger Schmerzen assoziiert als eine iatrogene Rippenfraktur oder Luxation der Rippe am ventralen Knorpel-Knochenübergang. Merke: Beim Verschluss der Thorakotomie mit Perikostalnähten gilt es, die Rippen in die physiologische Position zu reponieren. Ein ca. fingerbreiter Abstand entspricht der normalen Anatomie.
Dies verursacht weniger Schmerzen als eine komplette Approximierung der Rippen (Stoß auf Stoß), die sowohl in den kostosternalen als auch besonders in den kostovertebralen Gelenken eine Fehlstellung induziert. Bewährt hat sich in unserer Erfahrung anstelle der Einzelknopftechnik eine fortlaufende Schlingennaht, weil dadurch der Druck beim Approximieren der Rippen gleichmäßig auf die gesamte Thorakotomie verteilt wird. Rippen, die ventral am Übergang des knöchernen zum knorpeligen Anteil disloziert sind, müssen readaptiert werden, da sonst eine permanente Instabilität resultiert, die für den Patienten bei jedem Hustenstoß, ggf. auch bei forcierter Atmung, einen Schmerzreiz auslöst.
11.1 Zugangswege und OP-Techniken machen den Unterschied 195
Infobox 11.1: Vermeidung von Schmerzen bei der Thorakotomie – antero-laterale/-axilläre Thorakotomie anstelle der postero-lateralen – sparsame Muskeldurchtrennung zur Reduzierung des Weichteiltraumas – Vergrößerung des Interkostalraums durch Abknicken des OP-Tisches – Abpolsterung der Weichteile/Rippen beim Einsetzen des Thoraxsperrers – langsames Aufdrehen des Thoraxsperrers – ggf. Osteotomie einer Rippe zur Vermeidung einer iatrogenen Rippenfraktur – Repositionierung der Rippen in physiologischer Stellung beim Verschluss der Thorakotome
11.1.3 Thorakoskopie (VATS: Video-assistierte Thorakoskopie) Merke: Ein entscheidender Vorteil der Thorakoskopie liegt in der deutlichen Reduktion des Thoraxwandtraumas, besonders durch die Vermeidung der Rippenspreizung. Allerdings gilt leider nicht in jedem Fall, „je kleiner der Eingriff, desto schmerzärmer“.
Besondere Umstände bei der Ausführung eines kleinen Eingriffs können erhebliche Schmerzen verursachen. So muss das „Hebeln“ mit den Instrumenten an der Brustwand vermieden werden, denn im Unterschied zu der flexiblen Bauchdecke ist die starre Thoraxwand für Bewegungen der Instrumente nur bedingt geeignet (Abb. 11.1). Durch Vermeidung von Druck beim Bewegen der Kamera oder der thorakoskopischen Instrumente wird die Kompression der Interkostalnerven und des beteiligten Weichteilgewebes reduziert und eine Periostreizung vermieden. Bei Notwendigkeit multipler Trokarzugänge ist zudem auf eine Platzierung möglichst im Verlauf eines Interkostalraums zu achten, um nicht zusätzliche Nervenschädigungen zu verursachen. So ist es auch besser, flexible Trokare zu verwenden, die den Druck verringern und die Zugänge eher ventral zu legen als im schmaleren dorsalen Zwischenrippenraum. Ein einfacher Weichteilschutz gestattet das Einführen mehrerer Instrumente über einen Zugang (sog. Hilfsinzision). Durch den Kollaps der Lunge entsteht auch ohne Gasinsufflation intrathorakal ein Arbeitsraum, der erlaubt, sogar ohne Trokare zu operieren. Zur Schmerzprävention ist zudem die Verwendung einer 30°-Winkeloptik als 5 mm-Version besser als die 10 mm-Optik [1]. Infobox 11.2: Vermeidung der Schädigung des Interkostalnervens bei der Thorakoskopie – übermäßige Spreizung/Druck im Interkostalraum vermeiden – sparsame Kauterisierung im Interkostalraum – Hebeln durch Instrumente/Kamera vermeiden – Verwendung flexibler Trokare – Verwendung von 5 mm Instrumenten/Optik – Bergung von Präparaten über den zentralen Zugang (breiterer Interkostalraum)
196 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
(a)
(b)
Abb. 11.1: Einführen thorakoskopischer Instrumente ohne Hebelwirkung (a), mit Hebelwirkung an den Rippen (b).
11.1.4 Sternotomie Sternotomien werden in der Thoraxchirurgie relativ selten verwendet, z. B. bei der Resektion von Mediastinaltumoren oder bei Lungentransplantationen. Dabei wird in der Regel eine Längssternotomie durchgeführt, aber auch für quere Durchtrennung oder eine partielle Sternotomie gibt es Indikationen, so bei offener Korrektur von Brustwanddeformitäten oder bei retrosternalen Strumaresektionen. Auch bei der Sternotomie muss der Thoraxsperrer langsam geöffnet werden und beim Verschluss auf eine anatomische Rekonstruktion des Sternums geachtet werden, damit die Rippen ihre physiologische Stellung wieder einnehmen können. Insgesamt verursacht eine Sternotomie aber deutlich weniger Schmerzen, da die Interkostalnerven nicht tangiert werden.
11.1 Zugangswege und OP-Techniken machen den Unterschied 197
11.1.5 Thoraxdrainagen Nahezu jeder thoraxchirurgische Eingriff zieht die Einlage einer Drainage nach sich. Abhängig von der Art der Operation ist die Verwendung einer singulären Thoraxdrainage oft ausreichend, nur bei Dekortikationen oder schwer emphysematös verändertem Lungengewebe werden zwei Drainagen platziert. Die Größe der Drainagen hat Einfluss auf die Schmerzintensität ebenso wie ihr Material: flexible, weiche Silikondrains werden besser vertragen als rigide starre Schläuche. Abhängig vom Habitus des Patienten und der Notwendigkeit einer intrapleuralen Spülung (Empyem oder Hämatothorax) werden 24 Charrière (Ch) Drainagen verwendet, bei schlanken Patienten mit Spontanpneumothorax reicht eine max. 20 Ch Drainage. Bei der Einlage einer Thoraxdrainage, z. B. wegen eines Pneumothorax, kann eine Reduktion des Schmerzereignisses auf vielfältige Weise erreicht werden. So sollte der Patient in entspannter Rückenlage mit leicht abgewinkeltem Arm liegen und ein orales Schmerzmittel schon zuvor verabreicht bekommen. Als bester Zugang eignet sich das muskelfreie Dreieck ventral des M. latissimus dorsi in der vorderen Axillarlinie in Höhe des 4./5. Interkostalraums. Dort wird zunächst sowohl ein Depot von Lokalanästhetikum in die Haut als auch an der Oberkante einer Rippe so tief in den Interkostalraum gesetzt, dass die Pleura mitbetäubt ist. Das Sondieren mit der Nadel zeigt das Erreichen des Pleuraraums an. Schmerzempfindlich sind neben der Haut besonders das Periost und die sensibel sehr gut innervierte parietale Pleura. Das erklärt, warum die Einlage der Drainage als so schmerzhaft empfunden wird, denn wenn der Schlauch intrathorakal an der Pleura reibt oder an diese durch die sich entfaltende Lunge gedrückt wird, entsteht ein heftiger Schmerzreiz. Eine gute und rasch wirkende Schmerzmedikation schafft Abhilfe. Auch bei optimaler Platzierung können Schulter- und Nackenschmerzen auf der operierten Seite auftreten. Dies wird mit einer Häufigkeit von 31–85 % in der Literatur beschrieben [2]. So verursacht eine weit in den Apex des Thorax vorgeschobene Drainage Schmerzen, die sich auf die Schulter projizieren und die oft nach einem Mobilisieren der Drainage (Herausziehen um einige Zentimeter) reduziert oder aufgehoben werden können. Eine andere Ursache der Schulterschmerzen, evtl. in Kombination mit einem Singultus, ist die Irritation des Zwerchfells durch eine dort aufliegende Drainage. Letztendlich kann auch die intraoperative Lagerung einen Einfluss auf Schulterschmerzen haben („Coracoid Impingement Syndrome“ und Überdehnung des Bandapparates der Schulter) [3]. Jede Thoraxdrainage verursacht Schmerzen, deshalb sind die Anzahl und Liegedauer täglich kritisch zu prüfen. Unter Umständen kann die Drainage bereits in den ersten postoperativen Tagen entfernt werden, wenn die Luftleckage länger als 8 Stunden sistiert. Auch bei größeren Ergussmengen von bis zu 300–400 ml/24 h ist eine Entfernung problemlos möglich, Ausnahmen bestehen lediglich bei blutigem oder chylösem Erguss [4,5].
198 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
11.1.6 Thoraxchirurgische Eingriffe Thoraxchirurgische Operationen werden in solche mit geringer, mittlerer oder hoher postoperativer Schmerzintensität eingeteilt (Tab. 11.1). Die Mediastinoskopie gilt als Eingriff mit geringer Intensität, da über die kollare Inzision nur das Platysma durchtrennt und die gerade Halsmuskulatur nach lateral gedrängt werden. Hingegen löst eine Thorakoskopie ein mittleres Schmerzereignis aus, und eine Thorakotomie gilt als ein hoch schmerzauslösender Zugangsweg, ebenso Eingriffe am Rippenfell. Die sensible Versorgung der Pleura parietalis erfolgt über Afferenzen aus den Interkostalnerven, dagegen besitzt die viszerale Pleura keine sensible Innervation. Eine thorakoskopische Talkumpoudrage zieht initial einen hohen Schmerzreiz nach sich, bedingt durch die abakterielle Entzündungsreaktion, welches das Talkum an den beiden Pleurablättern hervorruft, um diese miteinander zu verkleben. Die Teilresektion einer Rippe oder eine iatrogen intraoperativ verursachte Rippenfraktur kann einen Schmerzreiz deutlich verstärken. Die alleinige Einlage einer Thoraxdrainage (z. B. beim Pneumothorax oder Pleuraempyem) kann bei ungenügender periinterventioneller Analgesie ebenfalls mittlere bis starke Schmerzen verursachen. Die Manipulationen am Lungenparenchym oder an mediastinalen Strukturen verursachen aufgrund fehlender sensibler Innervation selber keine Schmerzen, sofern sie nicht mit Resektionen am knöchernen Thorax verbunden sind.
Tab. 11.1: Einteilung der postoperativen Schmerzintensität nach thoraxchirurgischen Zugangswegen und Operationen. Schmerzintensität
Zugangswege/Operationen
gering
Mediastinoskopie Anteriore Mediastinotomie
mittel
Mini-Thorakotomie zur Einlage einer Thoraxdrainage Thorakoskopie Sternotomie
hoch
Thorakoskopie mit Eingriffen an der Pleura Thorakotomie Brustwandresektion Brustwandkorrektur
11.2 Die Physiotherapie: zweite Säule der Schmerzverminderung 199
11.2 Die Physiotherapie: zweite Säule der Schmerzverminderung/ Schmerzbeherrschung In der Thoraxchirurgie ist eine perioperative Physiotherapie wesentlich für die Schmerzfreiheit und sie beginnt idealerweise bereits in der präoperativen Phase. Dort erlernen Patienten Atem- und Hustentechniken, trainieren an Atemtrainern und werden auf die Aspekte der Sekretolyse hingewiesen. Durch die Schulung im Vorfeld wissen sie, was nach der Operation von ihnen erwartet wird und sie können sich postoperativ besser darauf einlassen (vgl. auch Kap. 22). Die Eingriffe in der Thoraxchirurgie mit Einlungenventilation machen eine rasche Mobilisierung des Patienten erforderlich, um die Entfaltung der Lunge nach der Operation zu unterstützen und die Gefahr von Sekretstau, Minderbelüftungen und Pneumonie gering zu halten. Körperliche Schonung oder Immobilisation sind nicht erforderlich, sondern riskant, da viele der thoraxchirurgischen Eingriffe bei Malignomen erfolgen und damit mit einem erhöhten Thrombose- und Embolierisiko einhergehen. Jedoch lässt nur ein schmerzzufriedener Patient die direkte postoperative Mobilisation zu. Schon am Operationstag wird mit Atem- und Hustenübungen begonnen, daneben sollen die Patienten aufstehen und kleinere Wege laufen. Ab dem ersten postoperativen Tag unterstützt Inhalationstherapie die Sekretolyse. Insbesondere bei Manschettenresektionen, bei denen die Kontinuität des bronchialen Epithels und damit der ungestörte Sekrettransport durch das Flimmerepithel unterbrochen wurden, ist ein Sekretverhalt die Regel. Bis zur Rekonstitution müssen die Patienten angehalten werden, den hinter der Anastomose angestauten Schleim über die Nahtstelle hinweg zu husten. Eine mechanische Vibration erleichtert den Sekrettransport, zum Beispiel durch sogenannte PEP-Geräte (positive expiratory pressure/Flutter), bei denen in der Ausatmung eine Kugel oszilliert, deren Schwingung sich auf die Atemwege übertragen. Es gibt daneben Atemtrainer, mit denen sowohl die in- als auch exspiratorische Phase unterstützt werden kann, und die mit einem erhöhten Ausatemwiderstand das Lösen des Sekrets unterstützen. Hilfreich ist die Verwendung des sogenannten Hustentuchs, das sich der Patient um den Thorax zieht und damit eigenständig die Brustwand bei Hustenstoß stabilisiert (Abb. 11.2). Denselben Effekt erreicht der Patient, wenn er sich zum Husten in eine Zimmerecke stellt (Abb. 11.3). Infobox 11.3: Spezielle Ziele der Physiotherapie nach Thoraxeingriffen sind – Sekretmobilisation – Vermeidung von Schonhaltungen – Förderung der Mobilisation – Komplikationsprophylaxe
200 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
Abb. 11.2: Verwendung eines „Hustentuches“ zur Stabilisierung der Thoraxwand.
Abb. 11.3: Stabilisierung der Thoraxwand bei Hustenübungen durch beidseitigen Gegendruck der Wände in einer Ecke.
11.3 Medikamentöse Therapie: dritte Säule der Schmerzverminderung 201
11.3 Medikamentöse Therapie: dritte Säule der Schmerzverminderung/Schmerzbeherrschung Die enorme Bedeutung einer guten Akutschmerztherapie nach thoraxchirurgischen Eingriffen lässt sich durch 1. eine verbesserte und schnellere Mobilisation und Erholung des Patienten in der Akutphase nach Operation und 2. eine mögliche Beeinflussung des Postthorakotomiesyndroms erklären; Letzteres betrifft Thorakotomien und Thorakoskopien gleichermaßen und wird mit einer Häufigkeit vom 33–52 % beziffert [6]. Diese Rate kann nur durch eine effektive Analgesie gesenkt werden; allerdings ist bisher unklar, ob neuropathischen Postthorakotomieschmerzen (mit einer Prävalenz von ca. 50 % bei Patienten mit Postthorakotomieschmerzen) wirklich durch eine gute Akutschmerztherapie präventiv verhindert werden können. Wie in Kap. 4 ausführlich dargestellt soll die systemische Schmerztherapie sowohl an die zu erwartende Schmerzintensität ausgerichtet als auch an den Bedarf jedes einzelnen Patienten angepasst werden. So sind bei Thoraxeingriffen mit niedriger Schmerzintensität (Tab. 11.1) Metamizol, nicht-steroidale Antiphlogistika (NSAR) oder andere Nichtopioide bei den meisten Patienten ausreichend, bei hohen Schmerzintensitäten sind dagegen Opioide bei fast jedem Patienten in den ersten postoperativen Tagen indiziert. Da die meisten Patienten in der Thoraxchirurgie schlucken können und selten eine Magen-Darm-Passagestörung aufweisen, sollten alle Analgetika, auch Opioide, möglichst oral verabreicht werden (vgl. Kap. 4). Besonderheit gibt es bei Pleurodesen (bei Pneumothorax-Operationen oder malignen Ergüssen), da sich hier die Verabreichung von nicht-steroidalen Antiphlogistika verbietet, denn diese verhindern die gewünschte Entzündungsreaktion und gefährden dadurch das operative Ergebnis. Stattdessen ist Metamizol zu empfehlen, dessen antientzündliche Wirkung geringer ist. Auch die Gabe von Kortikoiden soll nach Möglichkeit nach Pleurodesen vermieden werden Ergänzend zu der oralen Schmerztherapie haben sich in der Thoraxchirurgie die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Verfahren als hilfreich erwiesen [3,7] (vergleiche auch die PROSPECT-Empfehlungen https://esraeurope.org/prospect/procedures/thoracotomy-2015/summary-recommendations-8/).
11.3.1 Präventive Analgesie Eine Wundinfiltration mit Lokalanästhetika vor Anlage des ersten Schnittes bzw. eine Infiltration der Interkostalräume vor der Anlage der Trokare schaltet die Schmerzleitung bereits vor Eintritt des Traumas aus. Die wissenschaftlichen Studien sind heute eindeutig dahingehend, dass eine präemptive Analgesie nicht entscheidend ist; das bedeutet, dass der Beginn der Analgesie keine große Bedeutung hat [7]. Dagegen sollte eine präventive Ausschaltung von Schmerz (also eine Ausschaltung so lange wie behandlungsbedürftige Schmerzen vorhanden sind) angestrebt werden [7]
202 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
(vgl. auch Kap. 4]. Dies bedeutet, dass eine über eine längere Zeit anhaltende Schmerzausschaltung, wie z. B. durch eine Interkostal- oder Paravertebralblockade oder – wahrscheinlich am effizientesten – durch kontinuierliche Periduralanalgesie, ideal für eine postoperative Schmerztherapie nach großen thorakalen Eingriffen ist, um anhaltende Schmerzen über einen längeren Zeitraum zu reduzieren und ggf. sogar das Postthorakotomiesyndrom zu verhindern.
11.3.2 Interkostalblockade Die Blockade der Interkostalnerven unterbricht die afferente Übertragung der C- und Aδ-Fasern zum Rückenmark. Am offenen Thorax werden unter Sicht und Schonung des Grenzstrangs dorsal in den Interkostalräumen T3–T8 Einzelinjektionen (z. B. mit 0,5 % Bupivacain) gesetzt (s. auch Kap. 5). Sinnvoll ist es, jeweils Injektionen in mindestens zwei Dermatome ober- und unterhalb der Inzision zu verabreichen. Zu beachten ist, dass die Operationswunde und die Thoraxdrainage meist auf unterschiedlichen Dermatomen liegen und somit die Ausschaltung verschiedener Nerven erforderlich ist. Eine Einlage eines Katheters im Interkostalraum entlang des Verlaufes des Interkostalnerven ermöglicht eine länger anhaltende lokale Analgesie. Diese Technik eignet sich bei einer Thorakotomie. Alternativ kann, ebenso wie bei der Thorakoskopie, ein Katheter subpleural paravertebral längs vorgeschoben werden, der dann mehrere Interkostalräume erreicht, in Analogie zu der Blockade mit Einzelinjektionen. Die suffiziente Lage ist nach Instillation des Analgetikums anhand der Vorwölbung unter der Pleura parietalis zu bemerken. Bei Anwendung von liposomalem Bupivacain wird die Halbwertszeit von ca. 12 Stunden eines Lokalanästhetikums bis zu einer Wirkdauer von 122 Stunden verlängert. Beim Verschluss einer Sternotomie gibt es die Möglichkeit der retrosternalen Platzierung eines Katheters. Allerdings sind Sternotomien, obwohl eine größere knöcherne Läsion verursacht wird, in der Regel weit weniger schmerzhaft als eine Thorakotomie, sodass diese Technik nur selten angewandt wird. Allerdings ist die Ausbildung chronischer Schmerzen nach Sternotomien mit 15–20 % ebenfalls sehr hoch. Neben der Interkostalblockade durch die Chirurgen hat sich die paravertebrale Nervenblockade über mehrere Segmente durch die Anästhesisten als unilaterale Analgesie bei thoraxchirurgischen Eingriffen bewährt (s. Kap. 5).
11.3.3 Periduralanästhesie Noch immer gilt die thorakale Periduralanästhesie (PDA, englisch: epidural anaesthesia) als Goldstandard bei Thoraxeingriffen mit mittlerer bis starker Schmerzintensität. Die Höhe des Periduralkatheters (PDK) liegt zwischen Th 4–6/12, womit die tho-
11.3 Medikamentöse Therapie: dritte Säule der Schmerzverminderung 203
rakalen Segmente ausgeschaltet werden, in denen der Schmerz erzeugt wird, ohne dass durch eine Affektion von C4 mit Beeinträchtigung des N. phrenicus die Gefahr einer Ateminsuffizienz besteht. (s. auch Kap. 5). Der PDK wird bereits nach der Einleitung der Narkose beschickt, allerdings dauert es ca. 20 Minuten, bis die Wirkung einsetzt. Da die Sympathikolyse vor der Schmerzausschaltung eintritt, ist eine gute Koordination/Kooperation zwischen Thoraxchirurgie und Anästhesist erforderlich, um eine Hypotonie zu vermeiden. In der Regel reicht der Schmerzreiz, der durch das Einsetzen und Öffnen des Thoraxsperrers ausgelöst wird, um dieser Hypotonie entgegen zu wirken. Auch bei traumatischen Thoraxverletzungen ist der Einsatz der PDA effektiver im Vergleich als die intravenöse Analgesie.
11.3.4 Systemische Analgesie Liegen Kontraindikation gegen einen PDK vor, sollte eine intravenöse Analgesie vorrangig als patientenkontrolliertes intravenöses Verfahren (PCIA) mit Infusionspumpen (z. B. mit Piritramid oder Morphin) eingesetzt werden, am besten in Kombination mit einem Nicht-Opioid-Analgetikum (NOPA) z. B. Metamizol als Basisanalgetikum (vgl. Kap. 4, dort finden sich auch Dosierungs- und Handhabungsempfehlungen zur PCIA). Bei einer Einschwemmpleurodese kann durch eine vorherige Instillation von Lokalanästhetikum über die liegende Thoraxdrainage die Schmerzintensität durch das eingespülte Talkum reduziert werden. Opioid-Gaben sind effektiv, wenn Kontraindikationen gegenüber den oben genannten Verfahren vorliegen, jedoch deutlich schlechter steuerbar. Sie kommen nur in Einzelfällen zur Anwendung. Es empfiehlt sich hierbei, Opioide mit nicht-steroidalen antiinflammatorischen Substanzen zu kombinieren, eine Monotherapie mit Opioiden ist in der Regel nicht ausreichend (s. Kap. 4). Infobox 11.4: Beispiele für eine Schmerzmedikation in Abhängigkeit vom operativen Zugang (zu Pharmakologie einzelner NOPA und Opioide so wie orale Analgesiealgorithmen s. Kap. 4). – Mediastinoskopie: Basismedikation mit einem NOPA + Bedarfsmedikation mit einem oralen starken, unretardierten (kurzwirksamen) Opioid – Thorakoskopie: Basismedikation mit einem NOPA + Bedarfsmedikation mit einem oralen starken, unretardierten Opioid, bei starken Schmerzen auch eine zusätzliche Opioid-Basisanalgesie mit einem retardierten (langwirksamen) Opioid für 1–2 Tage – Thoraxdrainage: Basismedikation mit einem NOPA + Bedarfsmedikation mit einem stark wirkenden Opioid – Pleurodese: Basismedikation mit einem NOPA (keine NSAR/Steroide) + Bedarfsmedikation mit einem stark wirkenden unretardierten Opioid – Thorakotomie: Basismedikation mit einem NOPA + PDA
204 11 Akutschmerztherapie in der Thoraxchirurgie
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12 Operationen in der Gefäßchirurgie Eike Sebastian Debus
12.1 Allgemeine Aspekte Gefäßmedizinische Patienten sind an krankheitsbedingte Schmerzen adaptiert, wenn sie an einer fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) leiden. Der unablässige Schmerz zwingt sie zu dauerhafter medikamentöser Analgesie, da physikalische Maßnahmen (i. e. Schlafen im Sitzen, Heraushängen der betroffenen Extremität aus dem Bett, körperliche Inaktivität) nicht mehr ausreichen, um den Schmerz effektiv zu bekämpfen (Abb. 12.1). Daher ist bei diesen Patienten sowohl mit der Angst vor neuerlichen Schmerzereignissen als auch mit einem vorbestehenden Schmerzmittelkonsum und der hieraus resultierenden Gewöhnung an Analgetika zu rechnen. Zugleich führt die Chronizität des Leidens durch die permanente Schmerzsymptomatik zu progredienter Inappetenz, sowie reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand.
Abb. 12.1: Patient mit kritischer Ischämie. Er kann durch Herunterhängen seines Beines den Ischämieschmerz lindern. Der orthostatische Druck kann ausreichen, um die Durchblutung bis zur Schmerzfreiheit zu steigern.
https://doi.org/10.1515/9783110597486-012
206 12 Operationen in der Gefäßchirurgie
Aus diesen Gründen sollten im Management dieser Patienten folgende Einzelaspekte besondere Berücksichtigung finden [1,2]: – Der schmerzauslösende Effekt bestimmter diagnostischer Eingriffe ist zu beachten: neben der invasiven Angiographie stehen nicht invasive diagnostische Maßnahmen wie Duplexsonographie/Farbduplexsonographie, Angio-MRT oder Angio-CT zur Verfügung. – Im Rahmen der intraoperativen Lagerung sind Besonderheiten wie Querschnittslähmungen, empfindliche Amputationsstümpfe, Kontrakturen und Decubitalulcera insbesondere an den Fersen zu berücksichtigen. Eine unnötige Überstreckung der Gelenke (z. B. der HWS bei Carotiseingriffen, BWS/LWS bei Aorteneingriffen) ist zu vermeiden. Aus einer Überstreckung von Gelenken können postoperative Schmerzen resultieren. – Ein möglichst atraumatisches operatives Vorgehen ist anzustreben. Ein statischer Zug und Druck durch Sperrer und Haken ist zu vermeiden und sollte durch eine dynamische Hakenhaltung ersetzt werden. – Die Lokalisation und Ausdehnung des Zugangsweges ist den Erfordernissen anzupassen: Es empfiehlt sich die zu rekonstruierende Gefäßregion auf der Cutis zu markieren, um unnötig lange Hautinzisionen mit der Gefahr von Wundheilungsstörungen mit protrahierten Schmerzen zu vermeiden. – Soweit wie möglich sollte auf das Einlegen von Drainagen verzichtet werden. Drainagen, Sonden und Katheter sollten zurückhaltend eingesetzt und frühzeitig entfernt werden. Der Nutzen einer Hämatom- und Seromreduktion sollte gegen das Risiko einer Schmerzinduktion durch die Drainage abgewogen werden. Eine optimale Blutstillung und bedarfsgerechte Gerinnungseinstellung verringern das Auftreten postoperativer Hämatome (und Revisionseingriffe) und vermindern die Notwendigkeit von Drainagen. – Ein schonender, spannungsfreier Hautverschluss ist anzustreben. Resorbierbare Intrakutannähte erübrigen eine eventuell schmerzhafte Entfernung des Hautverschlussmaterials. Merke: – atraumatisches operatives Vorgehen ist oberstes Ziel – unnötige Inzisionslängen können durch präoperative Markierung (z. B. Carotisbifurkation, Femoralisgabel) vermieden werden – übermäßiger und permanenter Zug und Druck durch Sperrer und Haken vermeiden, stattdessen dynamische Hakenapplikation – auf das auf das Einlegen von Drainagen sollte soweit wie möglich verzichtet werden – schonender, spannungsfreier Hautverschluss, wenn sinnvoll mit resorbierbarem Nahtmaterial
12.3 Abdominelle Gefäßrekonstruktionen 207
12.2 Carotis‑Chirurgie Zunehmend werden aufgrund des optimalen Hirnischämie-Monitorings Carotiseingriffe in Regional- oder auch Lokalanästhesie durchgeführt [2]. Vergleichende Studien zur Schmerzintensität gegenüber der Allgemeinnarkose liegen jedoch nicht vor. Das Schmerzrisiko ist bei diesen Anästhesieformen gegen den Vorteil des Monitorings abzuwägen, und Patientenpräferenzen sollten berücksichtigt werden. Die „American Society of Anesthesiologists“ empfiehlt die postinzisionale Wundrandinfiltration zur Schmerzreduktion [1,3]. Merke: Wundrandinfiltration mit langwirkenden Lokalanästhetika
12.3 Abdominelle Gefäßrekonstruktionen Die bei Aufnahme eingeleitete Schmerztherapie beim akuten Abdomen (z. B. symptomatisches oder perforiertes Aortenaneurysma) führt nicht zu einer Verschleierung der Symptomatik und nicht zu einer Verschlechterung in der Diagnosestellung! Stellt sich also ein Patient mit abdominellen Schmerzen vor, so sollte noch vor Diagnosestellung zuerst eine Schmerzmedikation eingeleitet werden. In einer Metaanalyse konnten Grantcharov et al. [4] einen Vorteil des abdominellen Querschnittes gegenüber dem Längsschnitt bezüglich der postoperativen Schmerzen nachweisen. Proske et al. [5] untermauerten diese Aussage mit einer weiteren Studie unter Einschluss von 94 Patienten. Die Diskussion zu dieser Thematik ist allerdings noch nicht abschließend geführt, da auch Studien publiziert wurden, die nicht konkordant zu den genannten Arbeiten sind. So konnten Sieunarine et al. [6] in einer prospektiv randomisierten Studie mit 100 eingeschlossenen Patienten keinen signifikanten Unterschied im postoperativen Schmerzempfinden in Abhängigkeit vom Zugangsweg zur infrarenalen Aorta nachweisen. Möglicherweise ist die Fallzahl zu gering gewählt, um eine Signifikanz zu zeigen. Zu dieser Fragestellung muss berücksichtigt werden, dass unter Studienbedingungen unterschiedliche Erfahrungen mit den verschiedenen Zugangswegen auch das Ergebnis der Operation beeinflussen können und die nötige Übersicht im Operationsfeld in die Entscheidung des Zugangsweges einfließen muss. Bei abdominellen Gefäßeingriffen sollte – wenn immer möglich – die Allgemeinnarkose durch eine Epiduralanästhesie ergänzt werden. Diese sollte postoperativ zur effektiven und nebenwirkungsarmen Analgesie fortgeführt werden. Mann et al. [7] sahen ebenfalls einen Vorteil unter der Kombination von Allgemeinnarkose und patienten-kontrollierter Epiduralanästhesie (PCEA) mit einer signifikanten Schmerzreduktion in den ersten 5 postoperativen Tagen in Ruhe (p = 0,001) und beim Husten (p = 0,002) durch Allgemeinnarkose und zusätzliche PCEA mit 0,125 %
208 12 Operationen in der Gefäßchirurgie
Bupivacain und Sufentanil gegenüber Allgemeinnarkose und postoperativer PCA mit i. v. Morphin. In einer großen Metaanalyse konnten Rodgers et al. [8] darüber hinaus eine signifikante Senkung von Mortalität und Morbidität durch die Anwendung von Epidural- oder Spinalanästhesie belegen. Begünstigend für die periphere Durchblutungssituation ist sicher auch der vasodilatative Effekt der rückenmarksnahen Narkoseformen. Bei fehlenden Kontraindikationen (i. e. Antikoagulation, Thrombocytenaggregationshemmung) sollten Epiduraloder Spinalanästhesie somit regelhaft Anwendung finden. Merke: – bei abdominellen Schmerzen noch vor Diagnosestellung Analgesie starten – aus analgetischer Sicht ist der abdominelle Querschnitt bei gleicher Zugangsmöglichkeit zum Operationsfeld gegenüber dem Längsschnitt zu bevorzugen – bei abdominellen Gefäßeingriffen soll die Allgemeinnarkose durch eine thorakale Epiduralanästhesie ergänzt und postoperativ fortgeführt werden
12.4 Periphere Gefäßrekonstruktionen Bei bereits präoperativ bestehenden Ischämie- oder Wundschmerzen (pAVK Stad III oder IV nach Fontaine) sollte bereits präoperativ eine suffiziente Analgesie und zeitnahe operative Versorgung gewährleistet sein. Insbesondere bei Eingriffen an der unteren Extremität ist durch eine Beachtung der Lymphanatomie (insb. Leiste, Kniekehle) das Risiko von Lymphfisteln, Lymphozelen und Lymphödemen zu beachten, da Lymphödeme oder Lymphfisteln eine Ursache für postoperative Schmerzen darstellen können. Ebenso führt die damit verbundene Schwellung der betroffenen Extremität zu Spannungsschmerzen und einer reduzierten Mobilität. Aus diesem Grunde sollte bei Lymphödemen eine manuelle Lymphdrainage erfolgen, die zu einer verbesserten Mobilisierung und reduziertem Schmerzempfinden der Betroffenen führt. Durch eine Lymphdrainage ist eine Verminderung der Gewebespannung zu erreichen. Als Kontraindikation gilt eine lokale Entzündung. Die „American Society of Anesthesiologists“ empfiehlt auch hier die postinzisionale Wundrandinfiltration zur Schmerzreduktion [1]. Im Rahmen von peripheren Bypassoperationen soll bei fehlender Kontraindikation eine Epiduralanästhesie in Kombination mit einer Allgemeinnarkose erfolgen. Die Vorteile der rückenmarksnahen Analgesieverfahren wurden vielfach belegt. Insbesondere bei Gefäßpatienten ist die rasche postoperative Mobilisierung von großer Bedeutung, da es hierdurch zu einer signifikanten Senkung der perioperativen Mortalität und der Morbidität bezüglich Thrombose, Lungenembolie, Herzinfarkt und Pneumonie kommen kann, wie Rodgers et al. in einer Metaanalyse an 9559 Patienten nachweisen konnte [8].
12.4 Periphere Gefäßrekonstruktionen 209
Begünstigend für die periphere Durchblutungssituation und damit indirekt eine Schmerzreduktion ist auch der vasodilatative Effekt der rückenmarksnahen Narkoseformen. Grifith et al. [9] konnten einen signifikanten Vorteil in der postoperativen Schmerzreduktion nach peripherer Bypass-Chirurgie durch Anwendung der Leitungsanästhesie belegen. Daher wird die postoperative Fortführung der Leitungsanästhesie in der peripheren Bypass-Chirurgie empfohlen. Merke: – schonendes Gewebemanagement zur Vermeidung von (Lymph-)ödemen – bei fehlenden Kontraindikationen sollte eine milde Kompression oder eine Lymphdrainage erfolgen – bei peripheren Bypassoperationen bei fehlender Kontraindikation: Epiduralanästhesie in Kombination mit Allgemeinnarkose – postoperative Leitungsanästhesie in der der peripheren Bypass-Chirurgie empfohlen
Der praktische Ablauf des Schmerzmanagements im Rahmen eines Fast Track Konzeptes in der Behandlung des fortgeschrittenen pAVK in der Einrichtung des Autors ist in den Tabellen 12.1 und 12.2 dargestellt. Tab. 12.1: Standard Operating Procedure: Ablauf Schmerztherapie mit kritischer Ischämie – chronisch (PAVK Stadium III/IV) am Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg. Indikationen zur Anlage Alle Patienten mit chronischer PAVK Stadium III–IV mit eines Regionalkatheters: Schmerzsymptomatik am Fuß-Unterschenkel elektive Aufnahmen
– – – –
– akute Aufnahmen
– – – –
–
Überprüfung der aktuellen Schmerztherapie und Planung der Intervention, Operation durch Gefäßchirurg Klärung des geplanten Eingriffes und der vorhandenen und geplanten Antikoagulation Anmeldung eines Schmerzkonsils am Aufnahmetag Beurteilung des Patienten durch Schmerzdienst innerhalb von 24 Stunden (oder präoperativ, wenn Eingriff für nächsten Tag geplant) zur Anlage eines Regionalkatheters Anlage eines PDK oder Ischiadicus Katheters am Aufnahmetag oder präoperativ Überprüfung der aktuellen Schmerztherapie und Planung der Intervention, Operation durch Gefäßchirurg Klärung des geplanten Eingriffes und der vorhandenen und geplanten Antikoagulation Anmeldung eines Schmerzkonsils am Aufnahmetag Beurteilung des Patienten durch Schmerzdienst innerhalb von 24 Stunden (oder präoperativ, wenn Eingriff für nächsten Tag geplant) zur Anlage eines Regionalkatheters Anlage eines PDK oder Ischiadicus Katheters innerhalb von 2 Tagen nach Aufnahme
210 12 Operationen in der Gefäßchirurgie
Tab. 12.1: (fortgesetzt) Indikationen zur Anlage Alle Patienten mit chronischer PAVK Stadium III–IV mit eines Regionalkatheters: Schmerzsymptomatik am Fuß-Unterschenkel postoperative Betreuung von Schmerzkathetern
– – – – –
Handhabung der Schmerzkatheter
–
–
tägliche Visite durch Schmerzdienst gemeinsam mit Stationsarzt am Vormittag gemeinsame Entscheidung zur Entfernung des Schmerzkatheters Verständigung zwischen Schmerzdienst und Gefäßchirurg für Änderungen der Schmerztherapie Pause der Regionalanästhesie am Vormittag des 4. postoperativen Tages nach Beurteilung der Schmerzsymptomatik im Verlauf des Tages, Entfernung des Katheters am gleichen Abend ein Abstellen oder ein Pausieren des Schmerzkatheters sollte nicht länger als 2 Stunden erfolgen. In diesem Fall muss der Schmerzdienst oder 1. anästhesiologische Dienst unverzüglich informiert werden nei Eintreten von Parästhesien oder Paresen pausieren der Regionalanästhesie und unverzügliche Informationsweitergabe an den Schmerzdienst oder 1. anästhesiologischen Dienst.
Tab. 12.2: Protokoll der perioperativen „Fast-track“-Rehabilitation für chronische kritische Ischämie (pAVK St. III–IV) am Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg. Zeitpunkt
Prozedur
präoperativ
Patienteneinverständnis zur Datendokumentation, Informationsgespräch über perioperative Behandlung und Entlassungsziel 6.–7. Tag; basale i. v. Nicht-Opioid Analgetika, Vermeidung systemischer Opioide; Basale Leitungsanästhesie durch Ischiadicus Katheter. Alternativ distale thorakale oder lumbale kombinierte PCA-PDA (LA / Opioid; Level Th9-L2); Nahrungsaufnahme bis 6 Stunden und klare Flüssigkeit bis 2 Stunden vor Operation.
intraoperativ
nach Narkoseeinleitung i. v. Nicht-Opioid Analgetika; minimal invasiver Zugang (endoskopische Venenentnahme); keine Drainage, wenn möglich; Entfernung Magensonde vor Extubation
Operationstag
Aufnahme auf IMC; basale i. v. Nicht-Opioid Analgetika, Vermeidung systemischer Opioide; Limitierung der postoperativen i. v.-Flüssigkeit auf 500 ml, bei orthostatischer Dysregulation zusätzlich i. v. 500–1000 ml Kristalloide; normale Krankenhauskost; 3 Proteindrinks/Tag; kurzer Spaziergang auf dem Flur, Mobilisation in den Stuhl für 2 h
1. postoperativer Tag
Verlegung Normalstation. Basale orale Nicht-Opioid Analgetika, Vermeidung systemischer Opioide; keine i. v. Flüssigkeit; Trinkmenge > 1500 ml; normale Krankenhauskost; Mobilisation außerhalb des Bettes > 8 h, zweimal Spaziergang auf dem Flur; Entfernung Blasenkatheter
12.5 Amputationen 211
Tab. 12.2: (fortgesetzt) Zeitpunkt
Prozedur
2. postoperativer Tag
Basale orale Nicht-Opioid Analgetika; normale Krankenhauskost; Trinkmenge > 1500 ml; komplette Mobilisation
3. postoperativer Tag
Fortsetzen wie Tag 2 bis zur Entlassung.
4. postoperativer Tag
Entfernung Ischiadicuskatheter/PDK; Umstellung auf orale Schmerztherapie
6.-7. postoperativer Tag
Entlassung
10.-12. postoperativer Tag (wenn Patient ambulant)
ambulante Wiedervorstellung; Entfernung Hautklammern; Planung des Follow-up
PDA = Periduralanästhesie, LA = Lokalanästhetikum, AWR = Aufwachraum, PDK = Periduralkatheter, ZVK = zentraler Venenkatheter, IMC = Intermediate Care Station
12.5 Amputationen Das Ziel der rekonstruktiven Gefäßchirurgie liegt darin, Amputationen zu vermeiden. Selbst bei schweren und irreversiblen Gewebedefekten lässt sich dies oft durch periphere Rekonstruktionen erreichen. Eine Minoramputation von Zehen oder dem Vorfuß kann dann in Regional- und Leitungsanästhesie (Fußblock) durchgeführt werden. In der Literatur wird der Einfluss der Epiduralanästhesie auf das Auftreten von Phantomschmerzen nach Extremitätenamputation kontrovers diskutiert. Jahangiri et al. [10] beschreiben an 24 Patienten einen Rückgang der Inzidenz von Phantomschmerzen durch präoperative Epiduralanästhesie mit einer Kombination aus Morphin und Bupivacain oder aus Diamorphin, Bupivacain u. Clonidin [11]. In dieser Studie wurde die Epiduralanästhesie 3 Tage vor der Maioramputation begonnen. Andere Autoren [12] finden dagegen in größeren Studien keinen Vorteil zugunsten der Epiduralanästhesie, haben diese allerdings auch nur für einen kürzeren Zeitraum präoperativ eingesetzt. Hieraus lässt sich ableiten, dass eine Epiduralanästhesie offenbar nur dann einen protektiven Einfluss auf die Inzidenz von Phantomschmerzen hat, wenn sie bereits mindestens 3 Tage vor der Amputation ansetzt. Es gibt keinen Nachweis für die Annahme, dass die intravenöse Gabe von Ketamin das postoperative Schmerzempfinden von Patienten mit Maioramputationen der unteren Extremität beeinflusst [13]. Allerdings kann die Applikation von Bupivacain per Dauerinfusion an den Nervenstumpf die Schmerzen in den ersten 48 Stunden nach Maioramputation signifikant reduzieren (p < 0,001), wie Pinzur et al. bereits 1996 in einer Placebo-kontrollierten Studie an 21 Patienten nachweisen konnte [14].
212 12 Operationen in der Gefäßchirurgie
Nach Maioramputation sollte daher in den ersten 48 Std. eine Dauerinfusion mit Bupivacain durchgeführt werden. Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) führt zu keiner dauerhaften Reduktion von Phantomschmerzen nach Maioramputation. Hierzu liegt eine repräsentative Studie von Finsen et al. [15] vor, die in einer prospektiv randomisierten Untersuchung an 51 Patienten keinen dauerhaften Unterschied zugunsten einer Gruppe beobachten konnten. Ein passager zu beobachtender Effekt der TENS nach 4 Monaten ist ein Jahr postoperativ nicht mehr nachweisbar. Auch wenn ein Teil der Patienten eine reduzierte Lebenserwartung hat und selbst eine mittelfristige Schmerzreduktion mit einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität einhergehen kann, sollte die postoperative Anwendung von TENS nicht generell empfohlen werden. Diese Ergebnisse wurden kürzlich durch eine systematische Cochrane Analyse bestätigt [16]. Das Auftreten von Phantomschmerzen oder lokalen persistierenden Schmerzen im Amputationsstumpf ist bis heute ein nicht gelöstes Problem. Einer aktuellen nationalen Umfrage zufolge leiden etwa 70 % der Amputierten an diesen teilweise immobilisierenden Symptomen [17]. Merke: – so früh wie möglich (Tage!) vor geplanter Majoramputation Epiduralanästhesie beginnen – nach Maioramputation in den ersten 48 Std.: lokale Dauerinfiltration mit Bupivacain
12.6 Wundversorgung (Ulcus cruris, Gangrän, Wundversorgung allgemein) Verbandwechsel sind durch die Manipulation an der Wunde in der Regel mit starken Schmerzen verbunden. Der Patient muss über die im Zusammenhang mit der Manipulation zu erwartenden Schmerzen unterrichtet werden, und es sollte ihm ermöglicht sein, bei unzureichender Analgesie den Verbandwechsel durch ein „Stopsignal“ bis zum Erreichen suffizienter Schmerzfreiheit zu unterbrechen. Unter Spannung angebrachte Verbände können Spannungsblasen hervorrufen, die eine neue Schmerzquelle darstellen können. Ebenso sind stark haftende Verbände zu vermeiden, weil diese zu Schmerzen beim Abziehen führen. Das Anfeuchten der Verbände mit körperwarmer Spüllösung oder die Instillation eines Lokalanästhetikums kann den Schmerz beim Ablösen der Verbände lindern. Gazeverbände haben nach Einschätzung der „European Wound Management Association“ eine hohe Wahrscheinlichkeit, beim Verbandwechsel Schmerzen auszulösen. In einem systematischen Review fanden Vermeulen et al. [18] 4 von 6 Arbeiten, in denen Gazeverbände als stark haftend und daher schmerzhafter als Schaumverbände eingestuft wurden. Ebenso führen die Gazeverbände zu einer Auskühlung der
12.6 Wundversorgung (Ulcus cruris, Gangrän, Wundversorgung allgemein) 213
Wunde (insbesondere, wenn sie angefeuchtet werden) und zu einer Austrocknung der oberflächlichen Gewebeschichten. Dieses wiederum führt nicht nur zu Wundschmerzen beim Abziehen, sondern auch zu einem Absterben der oberflächlichen Gewebeschichten. Außer bei mumifizierter Nekrose – hier sind wir bestrebt, die Wunde als Barriereschutz vor Infektionen trocken zu halten – sind derartige Verbände daher zu vermeiden. Die feuchte Wundbehandlung gilt – mit Ausnahme der trockenen Nekrose – auch unter analgetischen Gesichtspunkten als Therapie der Wahl. Der Einsatz des Verbandmaterials sollte auch aus analgetischen Gesichtspunkten – soweit sinnvoll – so gewählt werden, dass die Intervalle zwischen den Verbandwechseln möglichst lang sein können (transparente Verbände, Vakuumverbände, Okklusionsverbände zur feuchten Wundbehandlung). In einzelnen Arbeiten wird die Vakuumtherapie als schmerzreduzierend beschrieben, da die Intervalle zwischen den Wechseln verlängert werden und die Gesamttherapiezeit verkürzt werden kann. Allerdings ist es hier wichtig, zwischen schaumbasierten und gazebasierten Vakuumverbänden zu unterscheiden: während schaumbasierte Vakuumverbände durch das Einwachsen von Granulationsgewebe regelhaft zu deutlichen Schmerzen beim Verbandswechsel führen, ist dies bei gazebasierten Saugverbänden deutlich weniger der Fall, wie Fraccalvieri et al. in einer vergleichenden Studie nachweisen konnte [19]. Die Autoren befürworten daher ein differenziertes Vorgehen und empfehlen den schaumbasierten Wundverband nur bei neuropathischen Wunden einzusetzen, wenn der Verbandswechsel nicht unter Narkosebedingungen stattfindet. Briggs et al. [20] konnten anhand einer visuellen Analogskala den Vorteil von Folienverbänden mit der Lokalanästhesie-haltigen Salbe EMLA® gegenüber trockenem Verbandmaterial bei primär heilenden Operationswunden belegen, was ebenfalls auf die verlängerten Verbandintervalle zurückgeführt wurde. In dieses Cochrane Review flossen sechs randomisierte Studien unter Einschluss von 317 Patienten ein, in denen die analgetische Salbe EMLA® mit einem Placebo verglichen wurde. Die Ergebnisse fielen sämtlich signifikant zugunsten der Behandlungsgruppe aus. Größere Verbandwechsel sekundär heilender oder chronischer Wunden sollten ggf. in Narkose oder geeigneter Alternative (Leitungsanästhesie, Regionalanästhesie, Analgosedierung) vorgenommen werden. Ruhigstellung und Druckentlastung von Wunden wirken ebenfalls schmerzlindernd. Bei Nekrosektomien und Wunddebridements ist durch Auftragen von lokal anästhesierenden Salben eine deutliche Schmerzreduktion bis hin zur völligen Schmerzfreiheit zu erzielen [20]. Ist diese nicht gegeben, sollte wie für größere Verbandwechsel verfahren werden. Zusammenfassend ist das Schmerzmanagement von Wunden multifaktoriell verursacht und benötigt daher einen holistischen Ansatz unter Beachtung sämtlicher oben genannter Faktoren [21].
214 12 Operationen in der Gefäßchirurgie
Merke: – vor Verbandwechseln oder Nekrosektomien: rechtzeitige Analgesie – der Verbandswechsel darf nicht schmerzhaft sein – Verbände immer spannungsfrei anlegen – Austrocknen von Wunden vermeiden, führt zu Wundschmerzen und ist daher, außer bei mumifizierter Nekrose, zu vermeiden
12.7 Varizenchirurgie Die Varizenchirurgie ist in den letzten Jahren durch neue endoluminale Methoden erweitert worden. Die Frage, ob diese Methoden einen Vorteil bezüglich der Schmerzreduzierung gegenüber der Operation nach Babcock haben, ist heute nicht endgültig geklärt. Aremu et al. [22] verneinen einen schmerzreduzierenden Einfluss der TriVexMethode gegenüber der Babcock-Operation, andere dagegen schreiben der endoluminalen Lasertherapie der Vena saphena magna einen Benefit bezüglich der postoperativen Schmerztherapie gegenüber der Babcock-Operation zu. Shamiyeh et al. [23] verglichen Patienten nach einseitiger mit beidseitiger OP nach Babcock. Hier fand sich kein signifikanter Unterschied im postoperativen Schmerzempfinden in beiden Gruppen. Die „Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Krampfaderleidens“ [24] der gefäßchirurgischen und phlebologischen Fachgesellschaften sieht die konventionellen Operationsverfahren auch aus den oben genannten Gründen weiterhin als „Gold Standard“ zur Sanierung des Krampfaderleidens an. Eine abschließende Bewertung der endoluminalen Verfahren kann nach Aussage dieser Leitlinie aufgrund fehlender Langzeitergebnisse jedoch noch nicht erfolgen. Allerdings sind seither eine Reihe von randomisierten Studien erschienen, die verschiedene endovenöse Sklerosierungsverfahren mit der klassischen Babcock-Operation vergleichen. Sie kommen mehrheitlich zu dem Schluss, dass die Schmerzen postoperativ durch die endoluminalen Verfahren reduzierbar sind, was sich in einer Verkürzung der Krankschreibungen niederschlägt. Noppeney et al. errechneten hierzu einen Benefit von 406.553 weniger Arbeitsunfähigkeitstagen in Deutschland, wenn die varizentragende Bevölkerung konsequent mittels Radiofrequenzablation anstatt mittels Babcock-Operation behandelt werden würde [25]. Ein wichtiger Begleitaspekt ist darüber hinaus, dass die endoluminalen Verfahren in Tumeszenz- Analgesie durchgeführt werden können, die auch postoperativ zu einer nachhaltigeren Schmerzlinderung im Vergleich zur klassischen Narkose beitragen kann.
Referenzen 215
12.8 Prozedurenspezifische Schmerztherapie in der Gefäßchirurgie Die Schmerztherapie in der Gefäßchirurgie ist facettenreich und erfordert in Abhängigkeit von der Eingriffsart und der Lokalisation des Eingriffes unterschiedliche Herangehensweisen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte, die in den unterschiedlichen Bereichen zu berücksichtigen sind, ist in Tab. 12.3 aufgeführt. Tab. 12.3: Übersicht der wichtigsten eingriffsbezogenen Empfehlungen zur spezifischen analgetischen Behandlung. Eingriffsart
spezifische Empfehlung zur Analgesie
Carotis-Chirurgie und supraaortale Äste
Lokale Infiltration des Wundrandes
abdominelle Eingriffe
Quere Laparotomie Thorakale Periduralanästhesie
periphere Gefäßrekonstruk- regionale Infiltrationsanästhesie tionen wenn möglich Hochlagerung und leichte Kompression zur Lymphödemprotektion und -therapie Amputationen
Epiduralanästhesie möglichst mehrere Tage vor geplanter Amputation beginnen intraoperativ Infiltrationskatheter in die Nähe der Nervenstümpfe einlegen und Bupivacain für mehrere Tage postoperativ infiltrieren
Wundbehandlung
lokale Schmerzen beim Verbandswechsel minimieren Austrocknung und Auskühlen der Wunde vermeiden unnötig häufige Verbandswechsel vermeiden
Varizenchirurgie
Tumeszensanästhesie
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13 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten Peter Zahn, Björn Behr
13.1 Epidemiologie – Verbrennungsmedizin in Zahlen Von etwa 4.423 stationär in Deutschland aufgenommenen brandverletzten Patienten im Jahr 2018 waren 1.802 schwerbrandverletzte Erwachsene und 2.621 Kinder (59 %) mit thermischen und chemischen Verletzungen (Jahresbericht Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin Stand 2019, https://www.verbrennungsmedizin.de). Dabei handelte es sich meistens um männliche Patienten im Alter zwischen 16 und 59 Jahren, die sich in ca. 70 % der Fälle im Rahmen eines häuslichen oder freizeitbedingten Unfalls schwere Verbrennungen zugezogen haben – in ca. 20 % der Fälle lag ein Arbeitsunfall zugrunde. Bei diesen Patienten betrug das Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche im Durchschnitt ca. 14 % – als häufigste Begleitverletzung wurde mit 31 % das Inhalationstrauma diagnostiziert [1]. Durch den verursachten Lungenschaden verschlechtert sich die Überlebensprognose deutlich; gleiches gilt bei höherem Alter [1]. Die Sterblichkeit lag 2012 im Mittel bei 10 %. Aktuell stehen in Deutschland 183 Betten für schwerbrandverletzte Patienten zur Verfügung, die von der Zentralen Anlaufstelle für die Vermittlung von Betten für Schwerbrandverletzte der Feuerwehr Hamburg (zentrale Anlaufstelle in Hamburg 040-42851-3998) koordiniert werden (Empfehlungen der European Burns Association: 1 Intensivbett pro 1 Mio. Einwohner). Entsprechend der S2k Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ (AWMF Register Nr. 044/001; zuletzt überarbeitet August 2018 [10]) und den Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin“ werden folgende Kriterien für die Versorgung in einem Schwerverbrannten-Zentrum festgelegt: a) bei Erwachsenen – Verbrennungen 2. Grades von 15 % und mehr der Körperoberfläche – Verbrennungen 3. Grades von 10 % und mehr der Körperoberfläche b) bei Kindern – Verbrennungen 2. Grades von 10 % und mehr der Körperoberfläche – Verbrennungen 3. Grades von 5 % und mehr der Körperoberfläche c) Verbrennungen 2. und 3. Grades oder entsprechende Schädigung durch chemische Substanzen mit Lokalisation im Gesicht, an der Hand, am Fuß oder im Genitalbereich – einschließlich der durch elektrischen Strom verursachten thermischen Schäden. d) Inhalationstraumata, auch in Verbindung mit leichten äußeren Verbrennungen; vom Vorhandensein eines solchen ist grundsätzlich bei Explosionsunfällen auszugehen
https://doi.org/10.1515/9783110597486-013
218 13 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten
13.2 Diagnostik und Einschätzung der Prognose nach Verbrennungen Ausdehnung der Verbrennung: das Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche (vKOF) kann mit Hilfe der Neunerregel nach Wallace (siehe Tab. 13.1) oder der Handflächenregel (Handinnenfläche des Patienten = 1 % vKOF) eingeschätzt werden (AWMF S2 Leitlinie Verbrennungsmedizin; [1]). Verbrennungstiefe: Die Graduierung der Verbrennungstiefe setzt sich maßgeblich aus dem klinischen Bild und der Regenerationsfähigkeit des Epithels zusammen und wird in 4 Schweregrade (s. Tab. 13.2) eingeteilt [1,2]. Tab. 13.1: Bestimmung der verbrannten Körperoberfläche (vKOF) mit der Neunerregel. Erwachsener (vKOF%)
Kind (vKOF%)
Kopf und Hals
9
16
Arme
je 9
je 9
Thorax (ventral und dorsal)
je 9
je 8
Abdomen (ventral und dorsal)
je 9
je 8
Beine
je 18
je 17
Genitale
1
-
Tab. 13.2: Einteilung der Verbrennungsgrade. VerbrenKlinisches Bild nungsgrad
Verbrennungstiefe
Ausheilung
I
Rötung, Schmerzen
Oberflächlich, Epithelschaden ohne Zelltod
keine Narbenbildung
II a
Blasenbildung, starke Schmerzen,
Schädigung der Epidermis und oberflächliche Anteile der Dermis
meist ohne Narbenbildung
II b
Schmerzen, Blasenbildung, keine Rekapillarisierung
weitgehende Schädigung der Dermis, Erhalt der Haarfollikel
mit Narbenbildung
III
keine Schmerzen, Epidermisfetzen, Gewebe nach Reinigung weiß
Vollständige Zerstörung von Epidermis und Dermis
Defektheilung
IV
Verkohlung, Lyse
Zerstörung weitgehender Schichten Defektheilung mit Muskeln, Sehnen, Gelenken, Fett
13.3 Analgesie – Monitoring und Dokumentation 219
Prognose des verbrannten Patienten: die Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten lässt sich mit dem Abbreviated Burn Severity Index (ABSI) gut abschätzen. Ein weiterer Score zur Abschätzung der Überlebenswahrscheinlichkeit des Patienten ist der simple Baux Index, der lediglich das Alter des Patienten sowie das Ausmaß der zweit- und drittgradigen Verbrennung in Prozent vKOF berücksichtigt. Dabei entspricht eine Summe von mehr als 100 einer Überlebenswahrscheinlichkeit von 10 %. Bei der Beurteilung des Verbrennungsausmaßes werden oberflächliche erstgradige Verbrennungen nicht berücksichtigt. Man unterscheidet drei Phasen des Verbrennungstraumas: 1. Schockphase (Dauer 24–48 h): – Störung der Kapillarpermeabilität durch Freisetzung verschiedener Mediatoren wir Histamin, Leukotrienen und Zytokinen – extravasale Ansammlung von Proteinen und massive Ödembildung – Hypovolämie – ein generalisiertes Kappilarleck tritt bei > 20 % verbrannter Körperoberfläche auf 2. Ödemrückresorption (nach 48 h): – Wiederherstellung der physiologischen Kappillarschranke und Rückresorption extravasaler Flüssigkeit – ggf. Volumenüberlastung, Lungenödem 3. Inflammation und Infektion (nach ca. 5 Tagen): – verbrennungsinduzierte systemische Entzündung und Multiorganversagen bei > 20 % verbrannter Körperoberfläche in ca. 30 % der Fälle – Sepsis
13.3 Analgesie – Monitoring und Dokumentation Etwa 75 % der intensivpflichtigen Verbrennungspatienten berichten über starke Schmerzen während ihrer Behandlung und perioperativer Schmerz ist aus Patientensicht der häufigste Stressor. Zudem ist Schmerz während der Behandlung von Patienten mit Verbrennungen ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines Delirs und der Entwicklung von Verbrennungstrauma-induzierten chronischen Schmerzen [3,4]. Starke Schmerzen nach einem Verbrennungstrauma führen auch besonders häufig zu einem posttraumatischen Stresssyndrom (posttraumatic stress disorder, PTSD). Validierte Scoring-Systeme sollen zur Therapiesteuerung der Analgesie eingesetzt werden und die Evaluation des Analgesieniveaus sollte mindestens alle 8 Stunden erhoben werden. Bei wachen und zur Kommunikation fähigen Patienten sollte die individuelle Einschätzung der vorliegenden Schmerzen durch den Patienten selbst erfolgen, z. B. mit der Numerischen Rating Skala (vgl. Kap. 3). Bei Patienten, die nicht oder nur unzureichend zur Kommunikation in der Lage sind, sowie bei ko-
220 13 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten
gnitiv eingeschränkten oder deliranten Patienten müssen Messinstrumente zur Fremdbeurteilung des Schmerzes angewandt werden. Der Behavioral Pain Score (BPS) wurde bei invasiv beatmeten Intensivpatienten entwickelt (s. Tab. 13.3) und beinhaltet als Kriterien zur Bewertung der Schmerzintensität die Beurteilung des Gesichtsausdruckes, Bewegung der oberen Extremität und die Adaptation an das Beatmungsgerät. Die Interventionsgrenze für den Beginn oder eine Modifikation der Schmerztherapie ist ein BPS von über 6; bei nicht-beatmeten, wachen aber kognitiv eingeschränkten oder deliranten Patienten kann der BPS-NI (NI = nicht intubiert) verwendet werden – dabei wurde das Item Adaptation an das Beatmungsgerät durch das Item Vokalisation ersetzt (Interventionsgrenze BPS-NI > 6). Tab. 13.3: Behavioral Pain Score (BPS): Wertespanne 3–12; Interventionsgrenze > 5–6. Beurteilung
Beschreibung
Punkte
Gesichtsausdruck
entspannt teilweise angespannt stark angespannt Grimmasieren
1 2 3 4
obere Extremität
keine Bewegung teilweise Bewegung Anziehen mit Bewegung der Finger ständiges Anziehen
1 2 3 4
Adaptation an das Beatmungsgerät
Tolerierung seltenes Husten Kämpfen mit dem Beatmungsgerät Ventilation mit dem Beatmungsgerät nicht möglich
1 2 3 4
Bei Patienten mit bereits vorbestehenden kognitiven Einschränkungen kann auch der Score zur Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) (s. Tab. 13.4) zur Verbesserung der erforderlichen Analgesie beitragen. Interventionsgrenzen für die vorgeschlagenen Scores, ab denen eine Schmerztherapie modifiziert oder gestartet werden sollte: – bei wachen, kooperativen Patienten (NRS) – Numerische Rating Skala (NRS) – Ruheschmerz > 3; Belastungsschmerz > 5 – bei sedierten, beatmeten Patienten (BPS): Schmerzscore > 5–6 – bei dementen Patienten (BESD): Schmerzscore > 5
13.4 Allgemeine Grundlagen der Schmerztherapie verbrannter Patienten 221
Tab. 13.4: Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD); Wertespanne 0–10, Interventionsgrenze > 5, (www.schmerzgesellschaft.de). Beurteilung
0
1
2
Atmung (unabhängig normal von Lautäußerung)
gelegentlich angestrengt Atmen, kurze Phasen der Hyperventilation
lautstark angestrengt Atmen, lange Phasen der Hyperventilation
negative Lautäußerungen
keine
gelegentliches Stöhnen oder Ächzen, leise negativ oder missbilligend äußern
wiederholt beunruhigend Rufen, laut Stöhnen oder Ächzen, Weinen
Gesichtsausdruck
lächelnd, nichtssagend
traurig, ängstlich, sorgenvoller Blick
Grimassieren
Körpersprache
entspannt
angespannt, nervös hinund hergehend, Nesteln
starr, geballte Fäuste, angezogene Knie, sich entziehen oder Wegstoßen, Schlagen
Trost
Trösten nicht notwendig
Ablenken oder Beruhigen durch Stimme oder Berührung möglich
Trösten, Ablenken, Beruhigen nicht möglich
13.4 Allgemeine Grundlagen der Schmerztherapie verbrannter Patienten Bei verbrannten Patienten sind folgende Schmerzszenarien direkt nach dem Verbrennungstrauma zu erwarten: – akuter somatischer nozizeptiver Schmerz aufgrund des aktuellen Verbrennungstraumas – prozedurale evozierte Schmerzen ausgelöst durch Interventionen wie Verbandswechsel, Anlage von Drainagen oder Kathetern, Mobilisation und physiotherapeutische Maßnahmen Dabei gelten folgende schmerztherapeutische Regeln: – Erstellung eines analgetischen Konzeptes unmittelbar nach dem erlittenen Verbrennungstrauma (vgl. Kap. 4) – regelmäßige Schmerzdokumentation (min. 3 × /Tag) – multimodales Analgesiekonzept – Kombination aus Nicht-Opioid Analgetika (NOPA) (regelmäßig zu festgelegten Zeitpunkten) Opioiden und ggf. adjuvanten Nichtanalgetika (vgl. Kap. 4) und/oder Regionalanästhesie (vgl. Kap. 5) – nicht-medikamentöse Therapieansätze wie Physiotherapie und psychologische Betreuung – Konzept für die Behandlung von Durchbruchschmerzen oder evozierten Schmerzen ausgelöst durch Prozeduren oder Interventionen wie z. B. Mobilisation oder
222 13 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten
Verbandswechsel, z. B. schnell wirksame (immediate relase, IR) orale oder intravenöse Opioide Vorschlag für ein entsprechendes multimodales Analgesiekonzept: – Basisanalgesie Stufe 1: NOPA wie z. B. Ibuprofen (10 mg/kg alle 6 h), Paracetamol (10–15 mg/kg alle 6 h), Etoricoxib 90 mg/d oder Parecoxib 20–40 mg i. v. alle 6–12 h (maximal 80 mg/d). Allerdings ist bei den meisten Verbrennungsverletzungen diese alleinige Basisanalgesie nicht ausreichend. – Basisanalgesie Stufe 2: Retardierte Opioide. Bei den Opioiden können Oxycodon (10–20 mg alle 8–12 h) oder Hydromorphon (4–8 mg alle 8–12 h) verabreicht werden. Applikation der Analgetika zu festgelegten Zeitpunkten. Bei Bedarf auch höhere Dosierungen und/oder Kombination mit Adjuvantien – Behandlung von Durchbruchschmerzen bzw. prozeduralen Belastungsschmerzen: Im Rahmen eines entsprechenden Konzeptes/Algorithmus können die Patienten eine festgelegte Analgetikadosierung z. B. eines Opioids anfordern, das im Gegensatz zu den retardierten Formen eine schnell wirksame Komponente besitzt – eine sogenannte nicht retardierte immediate release Substanz. Diese stehen sowohl für Oxycodon als auch für Hydromorphon zur Verfügung und wirken ca. 15–20 min nach Applikation. Für größere Verbandswechsel ist dieses Vorgehen häufig nicht ausreichend. Hierfür bietet sich die auf den Eingriff beschränkte Analgosedierung z. B. mit i. v. Remifentanil oder auch mit i. v. Ketamin an. Remifentanil hat eine hervorragende kontextsensitive Halbwertszeit und wird weitgehend organunabhängig verstoffwechselt. Aufgrund der Gefahr einer ausgeprägten Thoraxrigidität sollte auf Bolusgaben verzichtet und eine kontinuierliche Gabe via Perfusor (0,1–0,3 µg/kg/min) verwendet werden. Aufgrund von Vorerkrankungen, vorbestehender Opioiddauertherapie oder Schweregrad der Verbrennung kann es zu individuellen Unterschieden bei der Sensitivität auf Opioide kommen, sodass in Einzelfällen von den vorgeschlagenen Dosierungen abgewichen werden kann. Eine Kombination mit Propofol zur Analgosedierung in Kombination mit Remifentanil ist möglich. Ketamin hat unterschiedliche Wirkmechanismen und kann als Bolus und kontinuierliche Infusion (KetaminRazemat: 0,2–0,5 mg/kg Bolus; 2–4 µg/kg/min kontinuierliche Gabe – bei S-Ketamin Dosierungen halbieren) verwendet werden. Zusammen mit niedrig dosiertem Benzodiazepin eignet es sich gut zur Analgosedierung. – Adjuvantien: Substanzen wie Clonidin (3 µg/kg Bolus und kontinuierliche Gabe von 0,5–1,5 µg/kg/h) oder Dexmedetomidin (kontinuierliche Gabe 0,2–1,4 µg/ kg/h) können zur bereits bestehenden Basistherapie Stufe 2 hinzugegeben werden – aufgrund der Nebenwirkungen wie Bradykardie und Hypotonie werden diese Substanzen allerdings ausschließlich auf Intensivstationen oder Intermediate Care Stationen verwendet. Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin helfen bei Patienten mit Verbrennungen die Opioiddosierungen zu reduzieren. Beim Auftreten neuropathischer Schmerzen nach Verbrennungen (Inzidenz 2–
13.5 Pharmakologische Besonderheiten bei Patienten mit Verbrennungen 223
–
42 %, [5] können Gabapentin oder Pregabalin zur Schmerztherapie verwendet werden [6]. Regionalanästhesie: Die Anwendung peripherer oder neuroaxialer Regionalanästhesieverfahren im Rahmen des Schmerzkonzeptes verbrannter Patienten bieten viele Vorteile [7] – Verzicht oder Reduktion des Opioidbedarfs und damit Reduktion opioidinduzierter Nebenwirkungen – verbesserte gastrointestinale Motilität – Reduktion der Gefahr für pulmonale Komplikationen oder Delir – wacher und gut mobilisierbarer Patient – möglicherweise die Reduktion der Inzidenz chronischer Schmerzen nach Verbrennungen – hohe Patientenzufriedenheit
Periphere oder neuroaxiale Regionalanästhesieverfahren mit Katheteranlage, bieten eine gute patientenkontrollierte Basisanalgesie und ermöglichen dem Patienten, durch Bolusgaben von Lokalanästhetika auch bei prozeduralen Schmerzen eine suffiziente Analgesie zu erreichen (vgl. Kap. 5) .
13.5 Pharmakologische Besonderheiten bei Patienten mit Verbrennungen Aufgrund starker Flüssigkeits- und Volumenschwankungen im Rahmen der unterschiedlichen Phasen der Verbrennungsverletzung verändern sich auch die pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Eigenschaften der Analgetika und Adjuvantien. Der Plasmaproteinverlust entsteht über verbrannte Hautareale und durch die Infusion großer Mengen an Flüssigkeit kommt es zu einer zusätzlichen Reduktion der Albuminkonzentration. Albumin ist ein wichtiges Bindungsprotein für unterschiedliche Substanzen. Weiterhin führt die große Volumengabe auch zu einer erhöhten Verdünnung von applizierten Analgetika. Innerhalb der ersten 48 Std. sind das Herz-Zeitvolumen und die Durchblutung der Nieren und Leber reduziert, sodass es möglicherweise zu einer verlängerten Halbwertszeit von Opioiden und anderen Analgetika kommen kann. Daher könnte in dieser Zeit eine Dosisreduktion (Therapie nach Wirkung und Nebenwirkung) sinnvoll sein [8]. Nach dem 3. Tag erhöht sich die Nieren- und Leberdurchblutung in der Regel wieder, sodass jetzt eine erhöhte Ausscheidung von Analgetika eine Dosiserhöhung notwendig machen kann. Weiterhin zeigte eine kürzlich veröffentlichte Publikation, dass bei Patienten mit Verbrennungen die Wirksamkeit von Opioiden aufgrund molekularer Veränderungen reduziert ist [9]. Zusammenfassend sind die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Eigenschaften von Analgetika und Adjuvantien verändert, sodass bei diesen Patienten immer eine individuelle Dosisanpassung der
224 13 Schmerzmanagement bei verbrannten Patienten
Analgetika erforderlich ist. Tendenziell sind bei einem größeren Verbrennungsausmaß auch eine große Fläche der mit Schmerzfasern versorgten Haut betroffen und so starke Schmerzen und eine erhöhter Analgetikabedarf zu erwarten. Referenzen [1] [2]
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14 Operationen in der Kinderchirurgie Oliver J. Muensterer
14.1 Einleitung Die postoperative Schmerztherapie in der Kinderchirurgie ist eine besondere Herausforderung aufgrund von mehreren speziellen Faktoren. Zum einen versorgt die Kinderchirurgie ein sehr breites Spektrum an zum Teil seltenen Indikationen. Dadurch fehlt gerade bei Indexfällen in vielen Zentren die Routine. Zum anderen gibt es kaum ein Fach, in dem so unterschiedliche Patienten behandelt werden. Diese reichen vom 400 g Frühgeborenen mit nekrotisierender Enterokolitis zum adipösen Teenager mit Gallensteinen, der über 100 kg auf die Waage bringt. Zudem gibt es in Deutschland keine formelle Weiterbildung oder Zertifizierung für Kinderanästhesie. Kinderchirurgische Eingriffe sind unterschiedlich schmerzhaft. Viele ambulante Prozeduren können in lokaler Oberflächen- oder Infiltrationsanästhesie durchgeführt werden. Auf der anderen Seite gibt es Operationen wie die Korrektur einer Trichterbrust, die mit extremen Schmerzen einhergehen und ein multimodales, interdisziplinäres Schmerzbehandlungskonzept erfordern. Nicht zuletzt spielt bei der Schmerzempfindung bei Kindern in besonderem Maße auch die Angst und das psychische Wohlbefinden des Kindes eine Rolle. Eine besondere Herausforderung in diesem Zusammenhang ist der eingeschränkte verbale Zugang zu sehr jungen Kindern, Säuglingen und Neugeborenen. Aus all dem Beschriebenen lässt sich ableiten, wie wichtig gerade bei Kindern und Jugendlichen ein multimodales postoperatives Schmerzkonzept ist.
14.2 Psychische Unterstützung Schmerzen hängen als subjektive Empfindung sehr von der Psyche eines Kindes ab. Ein wichtiger Faktor dabei ist es, dem Patienten ein altersgerechtes Umfeld zu bieten. Dazu gehören nicht nur etwa bunt angemalte Wände oder Comicfiguren an den Türen. Vielmehr geht es darum, ganzheitlich auf die Bedürfnisse des Patienten und seiner Familie einzugehen. Angesichts des in der Kinderchirurgie behandelten breiten Altersspektrums ist es eine beträchtliche Schwierigkeit, jedem Patienten ein solches Umfeld zu schaffen. Daher fordern die meisten Kinderchirurgen und Pädiater, dass Kinder vorrangig in speziellen Kinderkliniken behandelt werden sollten, in denen das gesamte Personal auf diese Umstände eingestellt ist. Einen Einfluss auf postoperative Schmerzen bei Kindern spielt in hohem Maße auch die Einstellung der Eltern. Eine Studie an 10 bis 18-jährigen ambulant operierten Patienten zeigte, dass es prinzipiell zwei unterschiedliche Verläufe nach der Operation gab. Die eine Hälfte der Studienteilnehmer erholte sich schnell von dem Ein-
https://doi.org/10.1515/9783110597486-014
226 14 Operationen in der Kinderchirurgie
griff und ging innerhalb weniger Tage wieder normalen Aktivitäten nach. Die andere Hälfte brauchte viel länger bis zur Normalisierung des Alltages. Der wichtigste Faktor, ob ein Kind sich schnell oder langsam erholte waren interessanterweise die präoperativen positiven oder negativen Erwartungen der Eltern an die postoperativen Schmerzen des Kindes [1]. Mit anderen Worten, eine entsprechende Führung durch das ärztliche Personal schon bei der Indikationsstellung hat einen positiven Einfluss auf die späteren Schmerzen des Kindes nach der Operation. Dass kindgerechte psychologische Interventionen postoperative Schmerzen lindern können ist gut belegt [2]. Zu solchen Interventionen gehören unter anderem Ablenkungsmanöver. Für ältere Kinder von 4 bis 8 Jahren waren beispielsweise spezielle Smartphone-Apps effektiv, die Angst bereits bei der Narkoseeinleitung zu minimieren [3]. Ähnliche Effekte hatten Virtual Reality Spiele bei 4 bis 12-Jährigen [4]. Wir geben den Eltern die Möglichkeit, bis zur Einleitung beim Kind zu bleiben. Gleichzeitig versuchen wir, den Kindern durch das Anbieten von Alternativen ein Gefühl der Kontrolle zu geben (indem wir beispielsweise fragen: „möchtest Du nach der OP einen roten oder blauen Verband haben?“). Schließlich werden die Kinder in unserer Klinik vor dem Transport in den Operationssaal oral mit 0,5 mg/kg Midazolam prämediziert [5].
14.3 Schmerzevaluation bei Kindern Voraussetzung für eine suffiziente Schmerzbehandlung ist das Erkennen von postoperativen Schmerzen. Vitalparameter eignen sich nur bedingt zur Evaluation von Schmerzen bei Kindern, da die Parameter stark von Alter, Gemütszustand, Hydratation und dem individuellen Kind abhängen. Kinder reagieren im Gegensatz zu Erwachsenen auf starke Schmerzen häufiger apathisch als expressiv. Es kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass ein stilles, zurückgezogenes Kind nach einer Operation keine Schmerzen verspürt. Es gibt eine Reihe von Skalen, die bei Kindern zur Schmerzerfassung eingesetzt werden (Details hierzu s. Kap. 24). Nur wer systematisch die Schmerzen bei den Patienten erfasst, kann adäquat darauf reagieren. Zunächst muss das Pflegepersonal entsprechend eingebunden werden. Protokolle zur standardisierten Schmerzerfassung sind dabei unerlässlich. Schließlich müssen explizite Schwellen für analgetische Interventionen oder eventuell auch die Benachrichtigung des diensthabenden Arztes in den postoperativen Anordnungen explizit angegeben werden.
14.5 Prinzipielle Möglichkeiten der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern 227
14.4 Schmerzvermeidung Die beste postoperative Schmerzbehandlung ist die Vermeidung von schmerzhaften Eingriffen. Dazu gehört, dass wir uns besonders als Kinderchirurgen immer fragen sollten, ob eine Untersuchung oder ein Eingriff wirklich notwendig ist. Schon bei jeder Blutentnahme, bei jeder angemeldeten Kontrastmitteluntersuchung und besonders natürlich bei Untersuchungen in Narkose muss man sich die Frage stellen, ob das Ergebnis der Untersuchung eine Konsequenz für die klinische Entscheidungsfindung im Sinne des Patienten hat. Wenn nicht, sollte die Untersuchung oder der Eingriff storniert werden. Leider steht dies im Gegensatz zur Finanzierungsstruktur unseres Gesundheitssystems, bei dem nicht etwa gute Medizin, sondern Prozeduren und Diagnosen finanziell entlohnt werden. Wenn eine Operation durchgeführt werden muss, sollte diese so minimalinvasiv wie möglich durchgeführt werden. Es gibt eindeutige Belege, dass ein laparoskopischer Eingriff im Vergleich zur offenen Variante für viele kinderchirurgische Operationen mit einer schnelleren Rekonvaleszenz und geringeren postoperativen Schmerzen einhergeht [6–10]. Bei anderen Eingriffen scheinen die postoperativen Schmerzen äquivalent zu sein [11,12]. Das postoperative Entfernen von Pflastern, Verbänden und Nahtmaterial ist für Kinder in vielen Fällen ein traumatisierendes Ereignis. Kinder kommen oft mit der Angst zu uns, weil sie wissen, dass „die Fäden gezogen werden“. Wir lösen dieses Problem, indem wir in allen Fällen resorbierbares Nahtmaterial für die Hautnaht verwenden und die Wunde ausschließlich mit Hautadaptationsstrips abdecken, die von selbst abfallen und nicht aktiv entfernt werden müssen. Bei noch zu erwartender Sekretion aus einer Wunde kann diese mit einem locker aufgelegten Mullverband abgedeckt werden, dessen Entfernung keine Schmerzen verursacht. Klebende Pflasterverbände sind in der Kinderchirurgie unserer Meinung nach obsolet.
14.5 Prinzipielle Möglichkeiten der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern In diesem Kapitel werden die Besonderheiten einer Schmerztherapie bei Kindern aus Sicht des Kinderchirurgen beleuchtet. Details zu Erfassung und medikamentöser Therapie postoperativer Schmerzen bei Kindern finden sich im Kap. 24.
14.5.1 Lokale Optionen Die einfachste Lokalanästhesie ist die Oberflächenanästhesie. Das topische Aufbringen einer Mischung von Lokalanästhetika (EMLA-Creme®) auf intakte Haut im OPGebiet kann z. B. bei der Leistenhernienoperation eine effektive Analgesie hervor-
228 14 Operationen in der Kinderchirurgie
rufen [13], obwohl der Effekt bei der Zirkumzision im Vergleich zum dorsalen Penisblock weniger ausgeprägt ist [14]. Bei Platzwunden sollte vor der Versorgung eine mit Lokalanästhetika getränkte Kompresse für mindestens 20 Minuten aufgelegt werden [15]. Die Diffusion des Lokalanästhetikums in das Gewebe scheint die Schmerzreaktion zu vermindern [16]. Die dabei angewandten Mischpräparate sind das sogenannte LET (Lidocain, Epinephrin, Tetracain), das PP (Prilocain, Phenylephrin) und das heute wegen Problemen mit dem Betäubungsmittelgesetz kaum noch angewandte TAC (Tetracain, Adrenalin, Cocain). Um die Intervention so effektiv wie möglich zu gestalten, sollten in einer Kindernotaufnahme standardisierte Protokolle befolgt werden, nach denen bereits bei der Triage des Patienten ein Lokalanästhetikum auf alle Platzwunden appliziert wird [17]. Dadurch wird die anschließende Versorgung erleichtert. Wegen erhöhter Resorption des Lokalanästhetikums sollten Wunden über 5 cm Länge nicht unbedingt mit topischen Anästhetika behandelt werden [18]. Eine mit LET vorbehandelte Wunde kann nahezu schmerzfrei anschließend mit Lokalanästhetika infiltriert werden [19]. Die Kanüle sollte gerade bei Kindern möglichst klein gewählt werden (27 G oder 30 G), außerdem sollte die Kanüle innerhalb der bestehenden Wunde eingestochen werden, um die Schmerzen einer erneuten Hautpenetration mit der Nadel zu vermeiden [20]. Bei der Infiltrationsanästhesie muss man die maximal sichere Dosis des jeweiligen benutzten Lokalanästhetikums beachten. Für Bupivacain beträgt die maximale Dosis 2 mg/kg, für Ropivacain und Lidocain 3 mg/kg. Als Faustregel gilt ein maximales Infiltrationsvolumen von nicht mehr als 1 ml/kg KG einer 0,25 %igen Lösung des Lokalanästhetikums. Das Anwärmen des Lokalanästhetikums auf 38–40° C vor der Infiltration [21] und eine Mischung im Verhältnis 9 zu 1 mit 8,4 % Bicarbonatlösung [22,23] führt zu einer deutlichen Verringerung des dabei auftretenden Brennens und sollte bei Kindern daher grundsätzlich angewandt werden. Bei einigen Operationen können direkt im Verletzungs- oder Operationsgebiet Lokalanästhetika infiltriert werden. Zum einen ist dies bei der laparoskopischen Leistenhernienoperation möglich, bei der wir die Hydrodissektion um den inneren Leistenring mit Lokalanästhetika durchführen (Abb. 14.1). Zum anderen ist bei manchen Frakturen eine Bruchspaltanästhesie sinnvoll, bei der das Lokalanästhetikum in den Frakturspalt injiziert wird. Studien belegen eine gute Effizienz des Verfahrens bei Kindern [24] mit weniger Nebenwirkungen als bei der Sedierung mit Midazolam und Ketamin [25].
14.5 Prinzipielle Möglichkeiten der postoperativen Schmerztherapie bei Kindern 229
Abb. 14.1: Subperitoneale Infiltration mit 0,25 % Bupivacainlösung (zwischen weißen offenen Pfeilen) bei der laparoskopischen Leistenhernienoperation führt zu einer direkten Lokalanästhesie im Operationsgebiet. Der offene Processus ist in Bildmitte mit dem Kreis gekennzeichnet. Die Testikulargefäße sind mit Stern, der Ductus deferens mit einer Linie markiert.
14.5.2 Regionale Schmerztherapie Die regionale Schmerztherapie erfordert ein dezidiertes anatomisches Wissen der Innervation des betroffenen Gebietes, da dabei Nerven oder Gruppen von Nerven gezielt mit einem Depot an Lokalanästhetikum temporär ausgeschaltet werden müssen. Zu den regionalen Schmerzverfahren zählen der Pudendus- oder Peniswurzelblock bei der Zirkumzision, der Armplexusblock bei der Versorgung von Frakturen an der oberen Extremität, sowie die meist anästhesiologisch angewandten Verfahren der spinalen, kaudalen oder periduralen Anästhesie. Auch die Leitungsanästhesie der Finger und Zehen nach Oberst [26] gehört in diese Kategorie. Da sich die Technik dieser Methoden kaum zwischen Kindern und Erwachsenen unterscheidet, wird im Detail auf das Kap. 5 verwiesen.
14.5.3 Systemische Analgesie Ambulant operierte Kinder werden im Allgemeinen mit einer oralen Analgetikabehandlung nach Hause entlassen. Dabei empfiehl sich die Kombination von zwei Medikamenten, wobei eines für 2–3 Tage fest angesetzt wird (zum Beispiel Ibuprofen 10 mg/kg Körpergewicht peroral dreimal täglich für 3 Tage) und ein weiteres Medikament als Bedarfsmedikament bei Schmerzspitzen zusätzlich gegeben werden kann (beispielsweise Paracetamol 15 mg/kg Körpergewicht peroral in nicht kürzer als vierstündigen Abständen). Dadurch haben die Eltern und Patienten die Möglichkeit, individuell auf die aktuelle Schmerzsituation zu reagieren. Bei stationär aufgenommenen Patienten kann die Analgesie auch intravenös verabreicht werden. Kinder sollten nur im absoluten Ausnahmefall intramuskuläre In-
230 14 Operationen in der Kinderchirurgie
jektionen bekommen. Kinder, die postoperativ Opiate bekommen, werden bei uns obligat zentral überwacht, um bei Apnoen sofort reagieren zu können. Eine insgesamt sehr gute Methode der postoperativen Analgesie mit Opiaten ist auch bei Kindern die patient-controlled-analgesia (PCA). In einer Umfrage wurde dieses Verfahren in den meisten Kliniken bei Kindern über 5 Jahren eingesetzt [27]. Aber auch bei jüngeren und neurologisch eingeschränkten Kindern können die Eltern, Betreuer oder Pflegekräfte die PCA als sogenannte PCA by proxy bedienen. Allerdings gibt es auch Risiken bei der Anwendung der PCA bei Kindern, insbesondere aufgrund von Programmierfehlern, Protokollfehlern, fehlendem Monitoring, Bedienung durch Angehörige, wodurch z. B. eine fehlerhafte kontinuierliche Infusion resultieren kann [28].
14.6 Besondere Situationen Frühgeborene können innerhalb der ersten 24 Stunden nach einer Narkose eine postoperative Apnoe entwickeln [29]. Daher müssen sie in dieser Zeit kardiopulmonal überwacht werden und sollten keine atemdepressiven Medikamente, insbesondere keine Opiate erhalten. Das gleiche gilt für sehr junge reifgeborene Patienten, wie solche nach Pyloromyotomie bei hypertropher Pylorusstenose. Die postoperativen Schmerzen bei der laparoskopischen Leistenherniotomie und bei der laparoskopischen Pyloromyotomie sind meist recht gering, so dass sie mit Paracetamol behandelt werden können. Kinder mit Frakturen, Polytraumata, und insbesondere Verbrennungen, brauchen eine sofortige, multimodale Schmerzbehandlung. Sie sollten frühzeitig mit einer Kombination von Nichtopioid-Analgetikum, nichtsteroidalem Antiphlogistikum und ggf. einem Opiat behandelt werden. Eventuell empfiehlt sich hier auch der Einsatz einer PCA und/oder in Abhängigkeit vom Verletzungsmuster der Einsatz von (kathetergestützten) Regionalanalgesieverfahren. Zu den schmerzhaftesten Operationen in der Kinderchirurgie zählt die sogenannte minimalinvasive Korrektur einer Trichterbrust nach Nuss. Dabei wird ein gekrümmter Stahlbügel zwischen Herz und Sternum eingebracht und dann um 180° umgedreht, so dass der Bügel die Vertiefung der Trichterbrust nach außen drückt. Man kann sich vorstellen, dass eine solche Manipulation in den ersten Tagen nach der Operation nicht angenehm ist. Zu den Behandlungskonzepten nach solchen Eingriffen gehört die Periduralanästhesie und die Opioid-PCA, sowie neuerdings die thorakoskopische intraoperative Anlage von subpleuralen Schmerzkathetern (Abb. 14.2). Diese Katheter haben Mikroperforationen und erlauben die Infiltration des subpleuralen Gewebes und damit der Interkostalnerven mit Lokalanästhetika für die ersten Tage nach der Operation. Unsere Erfahrungen mit diesem Verfahren sind sehr positiv. Eine andere Methode ist die Kryobehandlung der betreffenden Interkostalnerven während der Operation, wodurch eine Taubheit im Operationsgebiet für einige Monate erreicht wird [30].
14.7 Alternative Schmerztherapie 231
(a)
(b)
Abb. 14.2: Schmerzbehandlung mit subpleuralen Kathetern zur kontinuierlichen Infiltration der Interkostalnerven mit Ropivacainlösung. Die Katheter werden auf beiden Seiten (a, Pfeile) thorakoskopisch angelegt (b, Katheter mit offenem Pfeil markiert) und bleiben 2–4 Tage in situ.
Eine besondere Herausforderung bei der Schmerztherapie sind Kinder mit entwicklungsneurologischen Einschränkungen, weil sie Schmerzen oft nicht wie andere verbalisieren können. Hier ist es wichtig, auch die Eltern oder Betreuer einzubinden, die das Kind gut kennen und wissen, welche Reaktionen Zeichen von Schmerzen bedeuten.
14.7 Alternative Schmerztherapie Einige Eltern bringen die Frage auf, ob eine alternativ-komplementäre Schmerzbehandlung nach einer Operation nützlich ist. In einer Studie entschieden sich 98 % von 396 Eltern für eine intraoperative Nadelakupunktur bei ihren Kindern zur postoperativen Schmerzbehandlung, wenn diese ihnen zusätzlich zur Standardschmerztherapie angeboten wurde [31]. Eine Metaanalyse von 5 Studien zeigte, dass bei Kindern eine perioperative Akupunktur tatsächlich das Schmerzempfinden nach Operationen im Kopf-Halsbereich signifikant senkt [32]. Andere alternative Behandlungsmethoden wie Homöopathie, Massage, Yoga, Kräutermedizin und Chiropraktik waren laut einer sehr ausführlichen systematischen Analyse ineffektiv [33]. Auch für die präoperative Hypnose konnte bei einer Gruppe von 120 randomisierten Kindern vor
232 14 Operationen in der Kinderchirurgie
unfallchirurgischen Operationen kein positiver Effekt zur postoperativen Schmerzlinderung oder Angstreduktion gefunden werden [34]. Eine universelle Behandlung von Schmerzen nach einem Eingriff, insbesondere bei muskuloskelettalen Verletzungen ist die lokale Kühlung. Hier muss nur darauf geachtet werden, dass es zu keinen Kälteschäden im Gewebe kommt, und dass das Kind systemisch nicht unterkühlt. Ein Kältepack, durch ein Handtuch geschützt, für 10–20 Minuten möglichst vom Patienten selbst auf die Operationsstelle aufgebracht, zeigt erfahrungsgemäß eine ausgezeichnete Wirkung.
14.8 Fazit Der erste Schritt zur Vermeidung postoperativer Schmerzen ist die Prävention im Sinne einer sinnvoll gestellten, klinisch relevanten Indikationsstellung aller Eingriffe bei Kindern. Schon beim Eingriff selbst können Maßnahmen ergriffen werden, um postoperative Schmerzen zu minimieren. Postoperativ gibt es je nach Art des Eingriffes und des Settings verschiedene Möglichkeiten, Schmerzen effektiv zu behandeln. Idealerweise werden die Schmerzen schon antizipiert und präventiv behandelt, wobei eine Kombination von Basisund Bedarfsanalgesie gegeben werden sollte, stets mit der Möglichkeit zur Eskalation bei entsprechendem Bedarf. Kinder sollten in einem altersentsprechend geeigneten Umfeld behandelt werden, indem ein standardisiertes, multimodales Konzept zur postoperativen Angstund Schmerzreduktion besteht und von allen Beteiligten umgesetzt, quasi im Alltag gelebt wird. Wichtige Schlüsselpersonen dieses multimodalen Konzeptes zur Schmerzbehandlung sind Pflegekräfte, Therapeuten, Anästhesisten, Chirurgen, Eltern, Betreuer sowie letztlich auch die Patienten selbst. Referenzen [1]
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15 Operationen in der Gynäkologie Karen Wimmer Die Intention dieses Kapitels ist es, den unterschiedlichen Schmerzqualitäten und Ursachen in der operativen Gynäkologie ihre entsprechende individuelle Aufmerksamkeit und den damit verbundenen Behandlungsansatz zu zollen. Die Grundsätze der perioperativen systemischen Analgesie basieren auf einem Balancierten Analgesieschema, wie zu Beginn dieses Buches dargestellt (Kap. 4). Die dort aufgeführten Analgetika sowie die vorgestellten Analgesiekonzepte gelten, wie für alle operativen Disziplinen, auch für die Gynäkologie. Sie werden hier im Einzelnen deshalb nicht mehr aufgeführt. In diesem Kapitel soll viel mehr auf die individuellen Merkmale der gynäkologischen Chirurgie mit ihren beteiligten Organsystemen und daraus abzuleitenden Besonderheiten für die postoperative Schmerztherapie eingegangen werden. Bei der Recherche wurde deutlich, dass prospektiv randomisierte Studien mit entsprechender qualitativer Evidenz in der eingriffsspezifizierten Schmerztherapie der operativen Gynäkologie eher selten sind, so dass hier noch weiterer Bedarf existiert. Aktuelle retrospektive Analysen mit Vergleichskohorten existieren, jedoch wurde bei diesen das Augenmerk eher auf den Analgetika-Gesamtbedarf (Opioidverbrauch), das Verordnungsverhalten und einen ggf. resultierenden Opioidmissbrauch gelenkt, ohne dezidiert individuelle Prädispositionsfaktoren bezüglich Schmerz vorab zu filtern. Auch kleine Beobachtungsstudien existieren in hoher Zahl, jedoch auch diese nur in entsprechend großer Heterogenität – sprich: die Datenlage für eingriffsspezifische adjustierte perioperative Schmerztherapie speziell in der Gynäkologie ist zum Teil sehr dünn. Aus diesem Grund werden hier die heutigen Erkenntnisse aus der Allgemeinchirurgie mit den validen Daten der gynäkologischen operativen Verfahren und themenspezifischen Erkenntnissen zusammengeführt, um somit eine Basis zu schaffen, auf der die Entwicklung einer fachspezifischen Analgesiestrategie entwickelt und verlässlich durchgeführt werden kann. Perioperatives allgemeines Management wie Überprüfung einer atraumatischen Patientenlagerung, Desinfektion, Antibiotikaprophylaxe und Prämedikation sind selbstverständlicher Bestandteil der perioperativen Akutschmerztherapie. Dieses Kapitel ist entsprechend der unterschiedlichen Organsysteme und des Eingriffsumfangs sortiert, so dass es als Nachschlagewerk mit entsprechenden Handlungs- und Anordnungsempfehlungen fungieren kann.
https://doi.org/10.1515/9783110597486-015
236 15 Operationen in der Gynäkologie
15.1 Hysterektomie und andere benigne intraabdominelle Eingriffe am weiblichen Genitale Optimierte Therapie des „Schmerzes per se“ im Rahmen der Narkose Anhand einer Metaanalyse zum systematischen zusätzlichen Einsatz von Gabapentinoiden zur Allgemeinanästhesie im Rahmen von abdominellen Hysterektomien konnte ein signifikant reduzierter Bedarf an postoperativem Opioidverbrauch inclusive Übelkeit und Erbrechen verzeichnet werden. Die Gabe von Antikonvulsiva (Gabapentin oder Pregabalin) kann ebenfalls für 24 Stunden Opioidverbrauch und Schmerzen senken, deutliche Nebenwirkungen sind aber meist nicht zu vermeiden. Bei Patienten mit zu erwartenden starken Schmerzen macht ein Regime, wenn man eine mögliche Sedierung und ggf. weitere Nebenwirkungen (Schwindel, Sehstörungen etc., siehe Kap. 4) in Kauf nimmt, aber im Rahmen von Risiko-Nutzen-Abwägungen ggf. Sinn. Wahrscheinlich (viele Dosis-Wirkungs-Untersuchungen dazu gibt es bisher nicht) ist 300 mg Pregabalin die Dosis die ggf. gegeben werden muss, um einen analgetischen Effekt zu erzielen und diese Dosis führt bei sehr vielen Patienten zu einer Sedierung nach der Operation. Merke: Gabapentinoide wirken nur begrenzt (für maximal 24 Stunden nach der Operation) schmerzlindernd und opioideinsparend; bei mehrmaliger Gabe muss mit Nebenwirkungen wie Schwindel, Müdigkeit, Sehstörungen etc. gerechnet werden (s. Kap. 4).
Die präoperative Gabe von Dexamethason i. v. sorgt im Rahmen der Einleitung für dreierlei Effekte: eine verbesserte Antiemese, eine antiinflammatorische Wirkung (der Prostaglandin induzierte brennende Schmerz) und eine Verstärkung der Analgesie. Allerdings muss, wenn eine Analgesie erreicht werden soll, mehr Dexamethason als zur antiemetischen Therapie verabreicht werden (mindestens 10–12 mg bei Erwachsenen). Nicht zuletzt ist auch unklar, ob eine Kombination der vorgenannten Adjuvantien noch einen Benefit bringt gegenüber einer der beiden Substanzen alleine. Pragmatisch erscheint deshalb folgendes Vorgehen bei abdomineller Hysterektomie: Gabe eines NOPA zusammen mit einem Opioid-Algorithmus (s. Kap. 4) und – bei Risikopatienten für starke postoperative Schmerzen – entweder Pregabalin (300 mg) oder Dexamethason (10–12 mg). Bemerkenswerterweise hat die rein intraoperative Applikation von Musik zur Reduktion von postoperativen Schmerz einen Evidenz Grad A, so dass jeder Patientin die Möglichkeit zur intraoperativen Musikapplikation ihrer Wahl eröffnet werden sollte. Weitere Nicht-medikamentöse Maßnahmen sind in Kap. 21.4 dargestellt.
15.1 Hysterektomie und andere benigne intraabdominelle Eingriffe 237
Grundzüge chirurgischer Techniken und ihr Einfluss auf das postoperative Schmerzpotential Bei den diversen Formen der Hysterektomie sind, im Hinblick auf die Rekonvaleszenz der Patientinnen und den Umfang von Schmerzintensität und -dauer, die Unterschiede in den Operationsverfahren maßgeblich entscheidend. So sind hier von Seiten des operativen Eingriffes folgende Schmerzinitiatoren zu nennen, auf die sowohl Anästhesist als auch Operateur beiderseits positiven Einfluss nehmen können: – Unterschiedliche Zugangswege mit unterschiedlichem Schmerzpotenzial je nach Ausmaß und Art – Gasfüllung des Abdomens – die Einlage eines Fremdkörpers postoperativ (Drainage) – andere inflammationsinitiierende Maßnahmen (Nahtmaterial) – Arten der Gewebepräparation und -inzision a) Unterschiedliche Zugangswege bergen unterschiedliche Schmerzintensitäten und somit auch unterschiedliche Qualitäten von postoperativer Rekonvaleszenz und Analgetikabedarf in sich. So ist der transabdominelle offene Zugangsweg per Queroder gar Längslaparotomie nicht nur bezüglich der potenziellen Gefahr einer Wundheilungsstörung und Wundinfektion ein Risiko für die Patientin. Aufgrund der Größe der Wundfläche und den daraus resultierenden Bewegungseinschränkungen sind hier zusätzliche gezielte Analgesieverfahren für eine suffiziente Rekonvaleszenz in allen Bereichen notwendig. Diese sollten jedoch in einer Weise gewählt werden, dass optimierte Analgesie oder gar Schmerzfreiheit nicht durch zusätzliche Risiken und Nebenwirkungen wie prolongierte Immobilität, Meteorismus, Thrombosegefahr und verlängertes Verbleiben eines transurethralen Dauerkatheters erkauft werden müssen. Merke: Der minimalinvasive Zugang ist ein Meilenstein in den chirurgischen Disziplinen, jedoch ist trotz modernster Technik der vaginale Zugang nach wie vor unangefochtener Spitzenreiter im Hinblick auf Minimierung des postoperativen Schmerzes und der Rekonvaleszenz. Eingedenk aller Begeisterung für die minimal invasive sollte die vaginale Eingriffstechnik weiterhin beherrscht werden und ihren regelhaften Einsatz finden.
b) Gasfüllung des Abdomens: Eingedenk der Tatsache, dass die Errungenschaften der minimalinvasiven Chirurgie immens sind, so hat sich mit ihr auch ein neues Nebenwirkungsspektrum aufgetan. Hier seinen einmal kurz die biochemischen Grundlagen erläutert, weshalb sich der Aufbau eines CO2-Pneumoperitoneums in vielfacher Weise nachteilig auf die Rekonvaleszenz von Patienten auswirkt und weshalb der Einsatz eines möglichst niedrigen intraabdominellen Druckprofils unter Verwendung von angefeuchtetem und/oder angewärmtem Gas diese nachteiligen Effekte wiederum schmälert:
238 15 Operationen in der Gynäkologie
Die Effekte von komprimiertem trockenem und kaltem CO2-Gas können auf makroskopischer, mikroskopischer, zellulärer und metabolischer Ebene beobachtet werden. Diese lokalen Effekte sind: Auskühlen des Bauchraumes/Peritoneums, Entstehung von oxidativem Stress, Austrocknen der Mesothelien, Zerreißen sowohl der Interzellularverbindungen als auch des Zellgerüstes/der Zellmembran der Mesothelzellen, verminderter Abtransport von Sauerstoffradikalen und reduzierte peritoneale Durchblutung. All diese Effekte verursachen peritoneale Azidose, Hypoxie und Nekrose. Somit kommt es zu einer Freilegung der Basallamina und von extrazellulärer Matrix, sowie einer Lymphozyteninfiltration, die ihrerseits die Ausschüttung von Zytokinen wie Il-1, Il-6, Il-8 und TNF alpha nach sich zieht. Diese Effekte werden besonders durch hohe intraperitoneale Drücke und Insufflationsgeschwindigkeiten als auch durch lange laparoskopische Eingriffsdauern hervorgerufen und verstärkt. Somit wird eine immunologische Inflammationskaskade in Gang gesetzt, die nicht nur unterschiedliche und prolongierte Schmerzqualitäten und Adhäsionen hervorruft, sondern auch fraglich eine Tumorzellverschleppung begünstigt. Auf weitere systemische Effekte wie Beeinflussung des kardiorespiratorischen Systems, Hypothermie und Azidose wird in diesem Kapitel nicht weiter eingegangen, da sie nicht Gegenstand dieses Themas sind – jedoch sind sie ebenso relevant. Diese Kaskade kann deutlich reduzierter ausfallen, wenn das CO2-Gas angefeuchtet, annähernd körperwarm, mit möglichst niedrigem Druck und ebenso langsam insuffliert wird. Arbeiten mit Niedrigdrucksystemen, die eine kontinuierliche Aufrechterhaltung der Eingriffsgegebenheiten trotz niedrigster intraabdomineller Drücke sicherstellen, belegen diese Daten, bzw. die entsprechenden positiven Effekte. Darüber hinaus gibt es schon seit Längerem Ansätze zur Modifikation des Gases durch Hinzunahme von oder Ersatz des CO2 durch Lachgas (N2O) mit einem Anteil von 10 % mit dem Effekt, zusätzlich postoperative abdominelle und Schulterschmerzen zu reduzieren. c) Verwendung von intraabdominellen Drainagen: Diesbezüglich verweisen wir auf das Kapitel Viszeralchirurgie. Der Einsatz von Drainagen sollte nur bei chirurgischer Sinnhaftigkeit und so wenig wie möglich erfolgen. Eine frühzeitige Entfernung sowie gezieltes Platzieren, so dass das Drainagenende nicht stumpf an Peritoneum oder Organkapseln „anstößt“ und somit eine peritoneale Reizung verursacht, sind ebenso zu beachten. Zu weiteren Einzelheiten s. Kap. 8. d) Nahtmaterial: mittlerweile sind Nahtmaterialien in einer solch großen Vielfalt an unterschiedlichen Eigenschaften erhältlich, dass wir oft vor der „Qual der Wahl“ stehen. Grundsätzlich steht jedoch auch hier ein maximales Maß an Inflammationsreduktion und Gewebeschonung kombiniert mit sinnvoller Haltbarkeit im Vordergrund. Die Wahl des Fadenmaterials sollte immer gerade so dünn gewählt werden, dass die Zugfestigkeit ausreichend und die Materialmenge so gering wie möglich
15.1 Hysterektomie und andere benigne intraabdominelle Eingriffe 239
ausfällt. Im oberflächlichen Bereich wirken sich zusätzliche antibakterielle Beschichtungen, monofile Herstellung, um Fistelbildung und Bakterieninvasion zu minimieren, und zügige Resorption positiv auf eine inflammationsarme und unkomplizierte Wundheilung aus. Zusätzlich ist eine Gewebetraumatisierung bei monofilen Fäden minimal, was jedoch wiederum mit Haltbarkeit eingebüßt wird. Vorteile von sogenannten strukturierten Nähten ist der mögliche Verzicht auf Knoten im Gewebe, können jedoch durch Verkapselung und Fibrosierung wiederum zu einer chronischen Inflammation führen. Fadenmaterial aus tierischem Collagen unterscheidet sich im Gegensatz zu synthetischen Polymeren in seiner Art der Resorption dahingehend, dass organisches Material enzymatisch abgebaut werden muss, synthetische Fäden sich jedoch einer einfachen Hydrolyse unterziehen. Zusammenfassend lässt sich also empfehlen nach vorhandener Möglichkeit überwiegend synthetisches monofiles Fadenmaterial zu verwenden, welches eher dünn ausfällt, in seiner Stärke genügend Zugkraft aufweist und im besten Fall noch antibakteriell beschichtet ist. e) Arten der Gewebepräparation und -inzision: Gewebeversiegelnde Inzisionsund Präparationstechniken haben im Vergleich zur scharfen Inzisionen einen Vorteil in Bezug auf verminderten Blutverlust und postoperatives Schmerzausmaß. Nach eigener Erfahrung hat besonders der vornehmliche Einsatz der Cutting-Funktion beim Diathermieskalpell versus Koagulationsfunktion einen auffällig positiven Einfluss auf den postoperativen Schmerz, so dass unsere Patientinnen häufig mit Analgetika für geringe Schmerzintensität ausreichend abgedeckt sind. Schlussfolgerung in Bezug auf den bewussten Einsatz chirurgischer Techniken a) Der Zugangsweg: Wenn möglich primär vaginales Vorgehen, laparoskopisches Vorgehen möglichst kurz wählen; Pfannenstielschnitt vor Längslaparotomie bevorzugen falls medizinisch vertretbar; Diathermieschnitt und Präparation vor scharfer instrumentaler Präparation bevorzugen, bei der Lokalinfiltration mit einem langwirksamen Lokalanästhetikum im Bereich der Bauchdeckeninzisionen (Ropivacain) b) CO2-Gas-Füllung: angewärmtes, angefeuchtetes Gas mit langsamer Insufflation, niedrigem intraabdominellen Erhaltungsdruck und möglichst kurzer Eingriffsdauer, Rest-Gas-Gehalt so gering wie möglich halten c) Drainageneinlage: wenn möglich Verzicht! beim Platzieren der Drainagen darauf achten, dass die Spitze nicht unmittelbar an Peritoneum oder Organkapseln „anstößt“ d) Hemmung/Therapie von inflammationsverursachenden Maßnahmen: Nahtmaterial: so wenig wie möglich, überwiegend synthetisches monofiles Fadenmaterial, Fadenstärke so dünn wie vertretbar, im besten Fall noch antibakteriell beschichtet Dexamethason im Rahmen der Einleitung für dreierlei Effekte: Antiemese, antiinflammatorische und analgetische Wirkung und somit additiv f) Arten der Gewebepräparation und -inzision: Gewebeversiegelnde Inzisions- und Präparationstechniken gegenüber scharfen Inzisionstechniken bevorzugen.
240 15 Operationen in der Gynäkologie
15.1.1 Unterschiede bei totaler (TLH) und subtotaler (LASH) laparoskopischer Hysterektomie? Im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen totaler laparoskopischer Hysterektomie (TLH) und (subtotaler) laparoskopischer suprazervikaler Hysterektomie (LASH) beziehen sich die bis dato durchgeführten Studien eher auf die postoperativen Themenschwerpunkte Sexualfunktion, chronischer Schmerz und intraoperative Risiken sowie Blutverlust. Es scheint ein generell besseres perioperatives Outcome für die LASH vorzuliegen, jedoch lässt sich ein eindeutiger Benefit bezüglich des postoperativen Schmerzens aus der aktuellen Datenlage nicht extrahieren. Unseres Erachtens wurde dieser Punkt jedoch auch bis dato nicht hinreichend untersucht, weshalb beide Vorgehen in diesem Kapitel zusammengefasst werden (s. Tab. 15.1).
Tab. 15.1: Vorgehen bei TLH und LASH. Was tut der Anästhesist? präoperativ
perioperativ
– –
i. v. 8–12 mg Dexamethason im Rahmen der Einleitung ggf. alternativ Gabe von Pregabalin 300 mg oral (Details s. Kap. 4)
–
Allgemeinanästhesie
Was tut der Gynäkologe?
– – –
– – – postoperativ
–
–
Kombination aus Paracetamol und NSAID/Cox 2 selektiver Hemmer Opioide als Bedarfsmedikation z. B.: Oxycodon akut, bei starken Schmerzen auch in retardierter Form (Kap. 4)
– – –
langsame CO2-Insufflation niedriger intraabdomineller Erhaltungsdruck (Zielwert 8 mmHg) Lokalinfiltration mit langwirksamen Lokalanästhetikum im Bereich der Trokareinstichstellen (z. B. Ropivacain) (Details s. Kap. 5) Restgasgehalt so gering wie möglich halten Drainagen, falls notwendig, regelhaft platzieren Wahl und Einsatz des Fadenmaterials nach o. g. Kriterien Kombination aus Paracetamol und NSAID/Cox 2 selektiver Hemmer Opioide als Bedarfsopioid, z. B.: Oxycodon Stufenplan Akutschmerztherapie: geringe/mittlere Schmerzintensität (s. Kap. 9)
15.1 Hysterektomie und andere benigne intraabdominelle Eingriffe 241
15.1.2 Abdominelle Hysterektomie Neben den bereits oben aufgeführten Punkten sollte im Rahmen der immer differenzierteren Methoden der lokalanästhetischen Verfahren zugunsten einer Reduktion von systemisch verabreichten Analgetika dem Transversus-abdominis-plane Block (TAP-Block) vermehrt Aufmerksamkeit gewidmet werden (vgl. Kap. 5). Aktuell stellt sich eine zuverlässige Auswertbarkeit in Richtung einer klaren Empfehlung dahingehend noch schwierig dar, dass diverse Formen des TAP-Block existieren (sowohl bezüglich Infiltrationszusammensetzung als auch Applikationsart), die zudem auch in der bisher geringen durchgeführten Menge noch an Vergleichbarkeit mangeln. Trends zeichnen sich jedoch bereits „pro TAP-Block“ ab, so dass wir ihn als eine gleichwertige Methode zum PDK in unsere Empfehlung mit aufnehmen (s. Tab. 15.2).
Tab. 15.2: Vorgehen bei abdomineller Hysterektomie. Was tut der Anästhesist? präoperativ
– –
siehe Tab. 15.1 PDK (Lokalanästhetikum plus starkes Opioid für postoperative analgetische Zwecke -Vorteile gegen Risiken der invasiven Methode abwägen, vgl. Kap. 5)
perioperativ
–
Allgemeinanästhesie, PDK in Verbindung mit LA und starkem Opioid, welches für eine hinreichende Analgesie bei aufwachenden Patienten sorgt alternativ evtl. TAP-Block
–
Was tut der Gynäkologe?
– – –
–
postoperativ
– – –
bei leichten und mittleren Schmerzen siehe Tab. 15.1 bei staken Schmerzen PCA- -Pumpe (vgl. Kap. 4) PDK bei Hochrisikopatienten
– –
elektrische und gewebeversiegelnde Präparationstechniken Wahl und Einsatz des Fadenmaterials nach o. g. Kriterien Lokalinfiltration mit langwirksamen Lokalanästhetikum im Bereich der Trokareinstichstellen (z. B. Ropivacain) (Details s. Kap. 5) oder Applikation eines Kathetersystems epifaszial zur kontinuierlichen Applikation von Lokalanästhetika bei leichten und mittleren Schmerzen s. Tab. 15.1 bei starken Schmerzen PCA- Pumpe oder Stufenplan Akutschmerztherapie: hohe Schmerzintensität (s. Kap. 9)
242 15 Operationen in der Gynäkologie
15.1.3 Vaginale Eingriffe inclusive Descensus- und Inkontinenzchirurgie Tab. 15.3: Vaginale Eingriffe. Was tut der Anästhesist?
Was tut der Gynäkologe?
präoperativ
–
s. Tab. 15.1
perioperativ
–
regionalanästhetische Verfah- – ren (Spinalanästhesie/PDK) vor allgemeinanästhetischen Verfahren bevorzugen, falls von der Patientin toleriert
postoperativ
–
s. Tab. 15.1
–
Wahl und Einsatz des Fadenmaterials nach o. g. Kriterien
s. Tab. 15.1
Merke: – Eine Inflammation verursacht einen brennenden Wundschmerz und wird posttherapeutisch am effektivsten mit NSAR therapiert. – Je höher der intraabdominelle CO2-Druck umso mehr Inflammation. – Dexamethason perioperativ hat einen 3-fachen positiven Effekt auf das postoperative Outcome, wenn es in ausreichender Dosis verabreicht wird.
15.2 Ausgedehnte intraabdominelle Eingriffe: Cervix-, Endometrium-, Ovarial-Karzinom, Debulking-Operation Die Besonderheit bei diversen abdominellen gynäkologisch-onkologischen Eingriffen ist ihre Ausdehnung. So werden bei Debulking-Eingriffen neben dem inneren Genitale und einer systematischen Lymphonodektomie im Bereich der Iliacalgefäße, der Obturatorloge sowie paraaortal und paracaval auch des Öfteren Teile von Verdauungs- und Harnorganen entfernt, so dass die Eingriffsdauer rasch 6 Stunden überschreiten kann. Die Wundflächen sind entsprechend ausgedehnt, Flüssigkeitsverluste über Transpiration nicht zu unterschätzen, die Gefahr von Lagerungsschäden größer, Auskühlen der Patientin, was wiederum die Hämostase maßgeblich mit beeinflusst, wahrscheinlicher und die entsprechenden eingriffsspezifischen Risiken zusätzlich erschwerend. Das ERAS (Enhanced Recovery After Surgery)-Prinzip wurde ursprünglich für erweiterte Eingriffe am Verdauungstrakt entwickelt, ist jedoch auch auf gynäkologisch-onkologische übertragbar. Ziel dieses Managements ist es, den Körper durch ein spezielles multimodales Konzept auf den operativen Eingriff und die Rekonvaleszenzphase vorzubereiten. Eine gezielte Verkürzung der prä- und perioperativen Nüchternheit zur Vermeidung einer katabolen Stoffwechsellage mit entsprechenden Folgen gehört ebenso da-
15.3 Vulvakarzinom 243
zu wie eine frühe Mobilisation, darmmotilitätsunterstützende Maßnahmen und ein großzügiger Einsatz regionalanästhetischer Verfahren (s. Tab. 15.4). Tab. 15.4: Radikale intraoperative onkologische Eingriffe. Was tut der Anästhesist?
Was tut der Gynäkologe?
präoperativ
–
Guidelines der ERAS-Society
perioperativ
–
–
–
regionalanästhetisches Verfahren (PDK) zusätzlich zum allgemeinanästhetischen Verfahren Guidelines der ERAS-Society
–
Guidelines der ERAS-Society
–
postoperativ
–
Wahl und Einsatz des Fadenmaterials nach o. g. Kriterien Wundinfiltration mit Lokalanästhetikum (s. o.) oder Applikation eines Kathetersystems epifaszial zur kontinuierlichen Applikation von Lokalanästhetika Guidelines der ERAS-Society
15.3 Vulvakarzinom Die operative Behandlung des Vulvakarzinoms stellt einen massiven Eingriff in körperliche und psychische sexuelle Integrität unserer Patientinnen dar. Um zumindest ein Minimum an psychologischer und funktioneller Rekonvaleszenz zu gewährleisten haben mittlerweile plastisch-rekonstruktive Lappenrekonstruktionen Einzug in die chirurgische Versorgung gehalten, die ihrerseits wiederum ein adjustiertes periund postoperatives Management zur verbesserten Wundheilung und analgetischen Versorgung nach sich zieht. Wir favorisieren aufgrund der Ausdehnung der Wundflächen eine postoperative Versorgung mittels PDK als auch eine intensivierte postoperative Wundversorgung, um neben der psychoonkologischen Betreuung die postoperative Heilungsphase zu erleichtern und zu optimieren (s. Tab. 15.5).
244 15 Operationen in der Gynäkologie
Tab. 15.5: Operative Versorgung Vulvakarzinom. Was tut der Anästhesist? präoperativ
–
s. Tab. 15.2
perioperativ
–
Allgemeinanästhesie, PDK in Verbindung mit LA und starkem Opioid, welches für eine hinreichende Analgesie bei aufwachenden Patienten sorgt
postoperativ
–
Was tut der Gynäkologe?
– – – –
– Fortführung der Regionalanästhesie per PDK über 3 bis 5 Tage –
– – – –
Präparation sowohl vulvär als auch inguinofemoral mittels Diathermieskalpell Wahl und Einsatz des Fadenmaterials nach o. g. Kriterien Drainageneinlage restriktiv und kurzzeitig Sprühpflasterverband bei leichten und mittleren Schmerzen siehe Tab. 15.1 oft in Verbindung mit PDK ausreichend. Prolongation der Antibiotikaprophylaxe mit Cephalosporin und Metronidazol über 5 Tage „offene“ Lagerung in leicht angewinkelter Lagerung Versorgung mittels Dauerkatheter über 5 Tage 2 × tägliche Spülung der genitalen Wundfläche mit Schleimhautdesinfizienz Versorgung der Hautnarben über 6 Wochen mit Vitamin-E-Spray
15.4 Onkologische Brustchirurgie: BET, Ablatio simplex, SSM, NSM, SLNB, ALND Die nicht-kosmetische Brustchirurgie unterscheidet sich bezüglich der schmerzgenerierenden Ursachen schon allein deshalb grundsätzlich von dem Großteil der Genitalchirurgie, dass sie innere Räume wie den Intrathorakal- als auch Intraabdominalraum nicht tangiert. Aus diesem Grunde finden sich in diesem Bereich der Chirurgie diverse Möglichkeiten der lokal begrenzten Analgesieverfahren auf die im Folgenden weiter eingegangen wird (s. Tab. 15.6 und 15.7). Bei der onkologischen Brustchirurgie kommen Schmerzinitiatoren zum Tragen wie: – Inflammation – oberflächlicher Wundschmerz – Größe der Wundfläche – bewegungsabhängige Wundalteration Mechanismen der postchirurgischen Inflammation je nach Ausmaß der Gewebealteration, Menge und Art des verwendeten Fadenmaterials, sowie Drainageneinlage
15.4 Onkologische Brustchirurgie 245
kommen ebenso hier wie in den oben beschriebenen Operationsverfahren als Schmerztrigger zum Tragen, halten sich jedoch bei den nicht-plastischen Eingriffen in einem überschaubaren Rahmen. Aufgrund der guten Erfahrungen bezüglich der Triaswirkung bei abdominellen Eingriffen wäre ein systematischer Einsatz von Steroiden auch bei großen Brusteingriffen und demzufolge entsprechend großen Wundflächen zu überdenken, natürlich vor dem Hintergrund, dass bei patientenspezifischer Prädisposition für Wundheilungsstörungen und Diabetes mellitus der Einsatz dann zurückhaltend erfolgen sollte. Mechanische Methoden Der oberflächliche Wundschmerz variiert stark nach Defektgröße und/oder Bewegungsalteration bei konstitutionsabhängig unterschiedlich mobilem Organ. Zumindest die Bewegungs- und Mobilitätsabhängige Alteration lässt sich relativ einfach und ebenso effektiv mittels intraoperativ angelegtem Tape- und/oder Kompressionsverband effektiv reduzieren. Auch das Anlegen einer Thoraxbandage findet nach wie vor weit verbreitete konsequente Anwendung, jedoch haben wir diese Methode verlassen, da die Wickel zu einem nicht unerheblichen Teil von den Patientinnen als sehr unangenehm oder gar beengend empfunden wurden. Auch wenn objektiv nicht vorhanden, so mündete die empfundene Einengung gerade bei älteren Patientinnen häufig zu einer reduzierten Atemexkursion des Thorax mit entsprechender Risikoerhöhung für die Entstehung bronchopulmonaler Infekte. Systemische Analgesie In Deutschland kommt es im Hinblick auf den postoperativen Wund- und Druckschmerz zu einem regelhaften Einsatz von NSARs, dessen Nutzen international im Rahmen von Publikationen nicht hinreichend untersucht, jedoch in Deutschland empirisch belegt ist (s. Kap. 4). Lokal begrenzte Analgesieverfahren Folgende Analgesieverfahren kommen aufgrund der Wundausdehnung eher bei großflächigen Eingriffen wie den ablativen Brusteingriffen und kompletten axillären Lymphknotendissektionen (ALNB) zum Tragen: Der Paravertebralblock (PVB) im Rahmen der onkologischen Brustchirurgie resultiert in wesentlich niedrigeren postoperativen Schmerz-Scores, niedrigerem Morphinbedarf und wesentlich reduziertem Auftreten von PONV (postoperative nausea and vomiting). Zusätzlich konnte eine Verkürzung des stationären Aufenthaltes verzeichnet werden.
246 15 Operationen in der Gynäkologie
Kontinuierliche Applikation von Lokalanästhetika im Wundbereich über ein operativ eingebrachtes Kathetersystem (z. B. Ropivacain®) führt, versus des single-shot PVB zu einer deutlich verlängerten postoperativen Lokalschmerzkontrolle mit ebenfalls signifikanter Reduktion des Schmerzlevels, ist jedoch äquieffektiv zur kontinuierlichen Paravertebralblockade. Der Paravertebralblock ist wegen mangelnder Evidenz aktuell noch nicht in offizielle Empfehlungen aufgenommen worden, stellt jedoch mittlerweile mit entsprechender Erfahrung bei multimorbiden Patientinnen eine stark favorisierte Methode dar. Er zählt aber zu den neuroaxialen Regionalanalgesieverfahren und ist damit mit ähnlichen Risiken behaftet, ist in der Ausdehnung nicht immer ausreichend und auch in der Platzierung der Katheter(spitze) für kontinuierliche Verfahren nicht unproblematisch (siehe Kap. 5). Er soll aber auch bei chronischen Schmerzen nach Operationen einen möglichen Effekt haben, so dass es sich ggf. in großen Zentren lohnt, dieses Verfahren zu etablieren. Die Pektorale Nervenblockade (pectoral nerve blocks, Pecs) gliedert sich in 2 Bereiche: Beim Pecs I-Block wird zwischen den Mm. pectoralis major und minor infiltriert, beim Pecs II-Block 2 zwischen M. pectoralis minor und M. serratus anterior. Interessanterweise konnte intraoperativ ein deutlich reduzierter Bedarf an systemischen Analgetika bei der Kombination von PEC 1 + 2 erzielt werden, wobei für die postoperative Schmerzreduktion der isolierte PEC 2 ausreichend war. Beim Vergleich von PVB versus PEC war im Hinblick auf die länger anhaltende postoperative Schmerzkontrolle (18 Std. postoperativ) der PVB dem PEC nachvollziehbarer Weise überlegen und die Kombination aus PEC und kontinuierlicher Wundinfiltration hat keinen Benefit erbracht. Serratus Arcaden Blockade: die lokalanästhetische Blockade der Serratusarkade hat sich gegen den PVB nicht durchgesetzt. Praxis-Tipp: – Aufgrund der aktuellen Datenlage ist die Kombination von PVB und Lokalinfiltration über Kathetersysteme in Form einer kontinuierlichen Applikation zu favorisieren. – Bei einem Eingriff mit simultaner Rekonstruktion im Sinne einer Implantateinlage im Hinblick auf eine mögliche Erhöhung des postoperativen Infektionsrisikos ist eine kontinuierliche Lokalinfiltration präthorakal per Kathetersystem zu vermeiden und evtl. additiv eine PEC 2 Anlage zu erwägen.
15.4 Onkologische Brustchirurgie 247
Tab. 15.6: Kleine Brusteingriffe (BET, SLNB). Was tut der Anästhesist?
Was tut der Gynäkologe
präoperativ
–
s. Tab. 15.1
perioperativ
–
Allgemeinanästhesie, PDK in Verbindung mit LA und starkem Opioid, welches für eine hinreichende Analgesie bei aufwachenden Patienten sorgt
–
–
Präparation per Diathermie-CuttingFunktion Intraoperativer Tape-Verband oder Anlage eines Kompressions-BHs Drainageneinlage kurzzeitig
s. Tab. 15.1
–
s. Tab. 15.1
postoperativ
–
–
Tab. 15.7: Große Brusteingriffe: Ablatio mammae, großflächige Rotationslappenplastiken, SSM, NSM, ALND. Was tut der Anästhesist? präoperativ
– – –
s. Tab. 15.6 Dexamethason 8 mg i. v. Anlage PVB-System
perioperativ
–
s. Tab. 15.6
Was tut der Gynäkologe?
– –
–
s. Tab. 15.6 Einlage eines Kathetersystems in den Wundbereich falls keine PVB-Anlage von anästhesiologischer Seite erfolgt sein sollte oder additiv CAVE: bei simultaner Rekonstruktion mit Implantat nur Pecs II-Block Intraoperativer Tape-Verband
–
s. Tab. 15.6
–
postoperativ
–
s. Tab. 15.6
Schlussfolgerung in Bezug auf den bewussten Einsatz chirurgischer Techniken – Inzision und Präparation per Diathermie (Cutting-Funktion) – Drainageneinlage: wenn möglich Verzicht! beim Platzieren der Drainagen darauf achten, dass die Spitze nicht unmittelbar am Peritoneum oder Organkapseln „anstößt“ – Hemmung/Therapie von Inflammationsverursachenden Maßnahmen: Dexamethason im Rahmen der Einleitung, reduzierter/gezielter Einsatz von Fadenmaterial (überwiegend synthetisches monofiles Fadenmaterial, Fadenstärke so dünn wie vertretbar, im besten Fall noch antibakteriell beschichtet)
248 15 Operationen in der Gynäkologie
Ausblicke Operative Laparoskopie
Verwendung eines CO2 + N2O-Gasgemisches
Mammachirurgie
PVB + kontinuierliche Lokalinfiltration bei ausgedehnteren Eingriffen und multimorbiden Risikopatientinnen
Transabdominelle offene Chirurgie
TAP-Block als gleichwertige Alternative zum PDK
Abkürzungen ALNB
Axillary Lymphnode Dissektion
BET
Brusterhaltende Therapie (Lumpektomie, Quadrantektomie)
ERAS
Enhanced Recovery After Surgery
NSM
Nipple sparing Mastektomie (Mamillen-sparende Mastektomie)
PEC
Pectoral Nerve Block
PONV
Postoperative pain, nausea and vomiting
PVB
Paravertebralblock
SLNB
Sentinellymphnodebiopsie
SSM
Skin sparing Mastektomie (Hautsparende Mastektomie)
TAP
Transversus abdominis plane block
Referenzen Es wurde maßgeblich Bezug auf die Stellungnahmen der PROSPECT-Arbeitsgruppe (PROcedure SPECific Postoperative Pain ManagemenT) genommen, welche Reviews und Metaanalysen aus den Jahren 2006 bis 2019 erstellt und Richtlinien für Anästhesie, postoperative Schmerztherapie und chirurgische Interventionen erarbeitet hat. Aleixo GF, Fonseca MCM, Bortolini MAT, et al. Total Versus Subtotal Hysterectomy: Systematic Review and Meta-analysis of Intraoperative Outcomes and Pstoperative Short-term Events. Clin Ther. 2019;41(4):768–789. Azari L, Santoso JT, Osborne SE. Optimal pain management in total abdominell hysterectomy. Obstet Gynecol Surv. 2013;68(3):215–27. Blanton E, Lamvu G, Patanwala I, et al. Non-opioid pain management in benign minimally invasive hysterektomie: A systematic review. Am J Obstet Gynecol. 2017;216(6):557–567. Byrne M, Aly A. The surgical Suture. Aesthet Surg J. 2019;39:S67-72. Eggemann H, Ignatov A, Frauchiger-Heuer H, et al. Laparoscopic-assisted vaginal hysterectomy versus vaginal hysterectomy for benign uterine disease: a prospective, randomized, multicenter, double-blind trial (LAVA). Arch Gynecol Obstet. 2018;297(2):479–485.
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16 Operationen in der Urologie Matthias Beintker, Esther Pogatzki-Zahn
16.1 Schmerztherapie in der operativen Urologie: allgemeine Aspekte Die Urologie stellt ein Fach mit einer Vielzahl von verschiedenen Operationen dar, nach denen die Intensität und z. T. auch die Art der Schmerzen stark variieren können. Die Therapie von Schmerzen bezieht sich in der Urologie zusätzlich auch auf nicht-operative Bereiche wie z. B. Schmerzen durch Nieren- oder Blasenstein. Nicht zuletzt ist die schmerztherapeutische Betreuung von Patienten mit einer Tumorerkrankung, insbesondere am Lebensende, ebenfalls eine wesentliche Aufgabe der Schmerztherapie in der Urologie. In diesem Kapitel fokussieren wir insbesondere auf die operative Urologie und deren schmerztherapeutische Besonderheiten. Merke: Eine adäquate Akutschmerztherapie stellt in der ambulanten und der stationären operativen Urologie ein anerkanntes Qualitätsmerkmal dar.
Eine gute und effektive Schmerztherapie ist aus rechtlichen und ethischen Aspekten eine vordringliche Aufgabe, in der Urologie genauso wie in anderen Disziplinen. Nach einer alten Erhebung aus der Urologie haben bis zu 60 % der Patienten postoperative Schmerzen und nur 35 % erhalten eine Schmerztherapie, dies zudem erst nach Aufforderung und zumeist leider nicht immer in der notwendigen Dosierung. Neuere Untersuchungen bestätigen, dass weiterhin der Bedarf einer guten Schmerztherapie nach urologischen Operationen groß ist [1,2], zum einen in der Akutphase, zum anderen aber auch als Prävention von Komplikationen und einer Schmerzchronifizierung [3]. Gerade Patienten nach großen Operationen wie z. B. einer offenen Nephrektomie, Zystektomie und Prostatektomie geben relativ hohe Schmerzintensitäten an. Schmerzen nach Operationen können chronisch werden und dies häufiger als ursprünglich vermutet. Dies gilt auch für urologische Eingriffe: nach Prostatektomien oder Nephrektomien weisen 10–30 % der Patienten noch Monate nach der Operation Schmerzen auf, manche Patienten sogar noch Jahre später [3,4]. Die Chronifizierung wird durch eine Vielzahl von Faktoren determiniert, von denen sowohl operative als auch Patienten-eigene (wie Angst, Depressivität, Katastrophisierung, bereits bestehende chronische Schmerzen vor der Operation, präoperative Opioide) eine Rolle spielen (vgl. Kap. 2).
https://doi.org/10.1515/9783110597486-016
252 16 Operationen in der Urologie
Merke: Ziele einer guten Schmerztherapie in der Urologie sollten die adäquate Reduktion postoperativer Schmerzen, das Vermeiden schmerzbedingter negativer Auswirkungen wie Stress, Funktionseinschränkungen und Mobilitätsstörungen, Therapie von schmerzbedingten Nebenwirkungen so wie die Prävention chronischer Schmerzen darstellen.
Durch eine gute Schmerztherapie können das Outcome, die Rekonvaleszenz und letztendlich auch das Operationsergebnis verbessert und beschleunigt werden [5]. Prozeduren-spezifische Aspekte einer Schmerztherapie in der Urologie sind in den letzten Jahren genauso in den Vordergrund gerückt wie die Berücksichtigung von Besonderheiten spezieller Patientengruppen und individueller Risikofaktoren für starke und anhaltende Schmerzen. Ein erster Schritt ist es, Patienten vor der Operation gut über Ziele und Möglichkeiten einer guten Schmerztherapie aufzuklären, sie über bevorstehende Maßnahmen zu informieren und Möglichkeiten der Beteiligung an der Schmerztherapie aufzuzeigen [6]. Merke: Jeder Patient sollte in die Schmerztherapie mit einbezogen werden; dies verbessert die Qualität der Schmerztherapie und die Zufriedenheit der Patienten und beginnt schon vor der Operation.
Wie in anderen operativen Disziplinen sollte die Wahl des Analgesieverfahrens nach bestimmten Grundsätzen erfolgen; hierbei ist die fachliche Zuständigkeit, aber insbesondere auch die interdisziplinäre Absprache und Zusammenarbeit zwischen Operateuren und Anästhesisten gefragt. Bestimmte Patienten brauchen hierbei besondere Aufmerksamkeit, z. B. Patienten mit vorbestehenden Schmerzen, besonderen psychischen Belastungen etc. [7,8] (siehe hierzu auch Kap. 2 und Kap. 23). Das Hinzuziehen eines Akutschmerzdienstes ist dann z. T. auch schon präoperativ hilfreich, um eine reibungslose Therapieplanung und Therapiedurchführung und eine Prävention von Komplikationen im Rahmen der Schmerztherapie zu ermöglichen. Für große Operationen mit zu erwartenden starken Schmerzen sollten in der Urologie Standards bzw. SOPs in jeder Klinik (nach den Grundsätzen der evidenzbasierten Erkenntnisse und der Machbarkeit/Verfügbarkeit in einer Klinik) erstellt und für alle zur Verfügung gestellt werden. Interessant ist am Beispiel der Prostatektomie der große Unterschied von Schmerzen bei Patienten mit Regionalanalgesieverfahren (maximaler Schmerz im Durchschnitt 2 von 10) im Vergleich zu Allgemeinanästhesie und nachfolgender systemischer Analgesie (maximaler Schmerz im Durchschnitt 5 von 10, [2]). Dies weist wie bei vielen anderen Operationen auch darauf hin, dass eine deutlich bessere und zuverlässigere Analgesie mit regionalanästhesiologischen Verfahren erzielt werden kann.
16.1 Schmerztherapie in der operativen Urologie: allgemeine Aspekte 253
Merke: Regionalanalgesieverfahren sind auch bei urologischen Eingriffen die effektivsten Analgesieverfahren.
Generell sind Regionalanalgesien als single shot oder als Katheterverfahren möglich (vgl. Kap. 5); sie haben in der Urologie einen hohen Stellenwert, sind effektiv und, reduzieren, wenn als kontinuierliche Verfahren eingesetzt, effektiv Ruhe- und Belastungsschmerzen über mehrere Tage und machen die Gabe von Opioide in der postoperativen Phase häufig überflüssig. Auch nach kleinen Operationen treten bei einigen Patienten stärkere Schmerzen auf, die vielleicht nicht ganz so intensiv sind wie Schmerzen nach großen Eingriffen, aber doch den postoperativen Erholungsprozess entscheidend beeinträchtigen können. Interindividuelle Unterschiede bei Schmerzen sind hier zu beachten. Es ist nicht immer vor der Operation schon ersichtlich, welcher Patient starke und welcher weniger starke Schmerzen entwickelt. Deshalb sind bedarfsadaptierte (idealerweise orale) Therapieschemata hier besonders effektiv (vergleiche hierzu auch Kap. 4). Merke: Neben Schmerzstandards für bestimmte häufig durchgeführte (große) Operationen in einer Klinik (Prozeduren-spezifische Standards) sollten auch Operations-übergreifende Behandlungsschemata und Algorithmen zur schnellen und bedarfsgerechten Therapie von Schmerzen bei Patienten nach urologischen Operationen erarbeitet und umgesetzt werden.
Eine rein medikamentöse Schmerztherapie ist heute obsolet, nicht-medikamentöse Maßnahmen können sowohl die Schmerzintensität reduzieren, Nebenwirkungen von Analgetika senken, supplementierend wirken und zusätzlich dem Patienten auch ein Gefühl von Selbstwirksamkeit geben (siehe hierzu auch Kap. 21.4). Merke: Neben medikamentösen Therapien sollten auch nicht-medikamentöse Schmerztherapiemaßnahmen zur Analgesie eingesetzt werden.
Vor jeder postoperativen Schmerztherapie steht aber eine gute und dem Patienten und der Operation entsprechend angemessene Schmerzanamnese und Aufklärung. Eine gute Schmerzerfassung fängt schon vor der Operation an. Zu erfassen sind vor einer urologischen Operation die üblichen Aspekte (siehe Kap. 3) wie z. B. vorbestehende Schmerzen einschließlich ihrer Intensität unter Ruhe und Belastung, ihre Frequenz, Qualität und Dauer sowie Lokalisation. Anzusprechen sind auch ein bereits bestehender Schmerzmittelgebrauch oder ggf. auch Schmerzmittelübergebrauch und Unverträglichkeiten, psychische Befindlichkeiten mit besonderem Bezug auf die aktuelle Krankheits- und Kliniksituation, sowie allgemeine psychologische Aspekte. Wichtig sind ebenfalls frühere Operations- und Schmerzerfahrungen und die Effekti-
254 16 Operationen in der Urologie
vität vormaliger Therapien so wie Erwartungen des Patienten an den Schmerzverlauf nach der Operation. Nicht zuletzt sollte neben einer Information und einer Edukation zum Thema Schmerzbehandlung (hier in enger Kooperation mit dem Pflegepersonal) auch eine Information über geplante schmerztherapeutische Behandlungsmethoden und über eine Möglichkeit der aktiven Teilnahme an der Schmerztherapie (z. B. die Möglichkeit, sich bei Schmerzspitzen zu melden, um eine Bedarfsmedikation zu erhalten) erfolgen. Bei den meisten Patienten schafft das Gefühl, gut aufgeklärt und in die Therapie aktiv mit eingebunden zu sein, Vertrauen und führt nach der Operation zu einer deutlichen Verbesserung der Zufriedenheit mit der Schmerztherapie [6].
16.2 Schmerztherapie in der operativen Urologie: spezielle Aspekte 16.2.1 Art der Operation als Grundlage für die Wahl der postoperativen Analgesie Die präoperative Wahl des geeigneten Analgesieverfahrens sollte das zu erwartende Schmerzrisiko und die individuellen Aspekte des Patienten in die Entscheidung mit einbeziehen. Urologische Eingriffe können anhand ihres Ausmaßes ganz grob in drei Stufen eingeteilt werden (siehe Infobox 16.1). Infobox 16.1: Einteilung urologischer Operationen nach der zu erwartenden Schmerzintensität Stufe I: Leichte, wenig schmerzhafte Eingriffe – Urologische Endoskopie (Zystoskopie, Ureterorenoskopie) – Transurethrale Resektion der Harnblase (TUR-B) – Urethrotomia interna – Biopsie – Genitaleingriffe Stufe II: Mittelgroße Eingriffe mit zu erwartenden mittleren Schmerzen – Nierentransplantation – Inguinale Operationen (Orchidopexie, Orchiektomie) – Transurethrale Resektion der Prostata (TUT-P) – LASER-Eingriffe der Prostata – Radikale Prostatektomie (Da-Vinci-Verfahren) Stufe III: Große Eingriffe mit in der Regel starken und auch länger anhaltenden Schmerzen – Retroperitoneale Operationen – Zystektomie (Da-Vinci-Verfahren und offen) – Nephrektomie (insbesondere offene Verfahren) – Radikale Prostatektomie (offen)
16.2 Schmerztherapie in der operativen Urologie: spezielle Aspekte 255
Natürlich ist diese Einteilung eher grob und die Schmerzsituation kann individuell bei Patienten sehr unterschiedlich sein, auch nach einer gleichen oder sehr ähnlichen Operation. Deshalb sollte nach der Operation immer eine individuelle Anpassung erfolgen. Grundsätzlich sind aber nach bestimmten Operationen prozedurenspezifische Schmerzkonzepte sinnvoll und auch evidenzbasiert möglich. So sind für Operationen der Stufe III Regionalanalgesieverfahren (wie z. B. ein Periduralkatheter [PDK]) perioperativ sehr sinnvoll, da die Periduralanalgesie nicht nur zu einer deutlich besseren Analgesie führt, sondern auch die postoperative Erholung verbessert, Opioide einsparen und Komplikationen vermindern kann (Details hierzu siehe Kap. 5). Außerdem ermöglicht sie eine kontinuierliche Schmerztherapie über die ersten Tage nach der Operation, so dass vor allem eine Beeinträchtigung durch Schmerzen bezüglich Mobilisation, Physiotherapie und Erholung vermieden werden kann. Die Betreuung von Patienten mit postoperativer Epiduralanalgesie sollte durch einen geschulten (24-h-)Akutschmerzdienst gewährleistet sein. Voraussetzung für einen sicheren und effektiven Verlauf sind mindestens 2 Visiten durch den Akutschmerzdienst pro Tag, die Schulung des und eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Stationspersonal [9]. Die Dauer der postoperativen Periduralanalgesie hängt vom postoperativen Verlauf ab, sie sollte jedoch 5 Tage v. a. wegen der steigenden Infektionsgefahr nur in Ausnahmefällen überschreiten. Besonderheiten zur Interdisziplinären Zusammenarbeit und Arbeit eines Akutschmerzdienstes sind im Kap. 20 ausführlich beschrieben. Heute stehen neben der Periduralanalgesie auch andere regionale Analgesieverfahren zur Verfügung, die bei einigen urologischen Eingriffen auf Grund einer Risiko-Nutzen-Einschätzung alternativ eingesetzt werden können. Zur Nutzen-Risiko-Abwägung gibt es für bestimmte Operationen Empfehlungen, welche (regional)analgetischen Verfahren sinnvoll sind; solche prozedurenspezifischen Empfehlungen werden von einer internationalen Expertengruppe (PROSPECT) erstellt (https://esraeurope.org/prospect/). Auch Leitlinien der nationalen Gesellschaften können hier weiterhelfen. Es ist sinnvoll, für häufig in einer Klinik durchgeführte Operationen Behandlungspfade und/oder SOPs zu entwickeln, die an die vorhandene Evidenz und die in der Klinik verfügbaren Gegebenheiten angepasst sind. Es können immer auch einzelne Patienten mit besonderen Risiken für eine mögliche Exazerbation der Schmerzsituation nach der Operation (z. B. Patienten mit vorbestehenden Schmerzen und Opioideinnahme, mehrfache Voroperationen, vgl. Kap. 23) trotz „nur“ mittlerer Eingriffsgröße (Stufe II) von einer Periduralanalgesie profitieren, die dann wiederum den Heilungsverlauf verbessert. Hierbei muss stets eine individuelle Risiko-Nutzen Abwägung erfolgen. Für Eingriffe mit zu erwartenden geringen und mittleren Schmerzen kann eine systemische Analgesie postoperativ ausreichend sein; sie muss aber bedarfsadaptiert erfolgen und setzt deshalb gute und patientenkontrollierte Behandlungsschemata voraus (vgl. Kap. 4). Gleiches gilt, wenn intraoperativ ein single-shot-Regionalanalgesieverfahren eingesetzt wird.
256 16 Operationen in der Urologie
16.2.2 Regionalanalgesieverfahren, die in der Urologie zur Anwendung kommen Ein besonders effektives Regionalanalgesieverfahren für große Operationen ist die Periduralanalgesie [10], deren Anlage unter Berücksichtigung der individuellen Besonderheiten des Patienten (vgl. Kap. 5), dem zu erwartenden Eingriff und zu erwartenden Belastungen während des Eingriffs (Blutverlust, Blutungen, Schmerzreize) erfolgen und durch einen Akutschmerzdienst optimal nach der Operation versorgt werden kann (vgl. Kap. 20). Bei Patienten, die auf Grund von Kontraindikationen oder einer persönlichen Ablehnung keinen PDK erhalten können, sind lokale Nervenblockaden oder neure Formen der Regionalanalgesie wie z. B. der TAP-Block sinnvoll. Da diese (meist single-Shot) Verfahren zwar auch eine gute Analgesie verursachen, diese aber zeitlich begrenzt abhängig von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums sind, sollte eine patientenkontrollierte multimodale Analgesie immer sofort und überlappend mitverordnet werden (siehe hierzu Kap. 4). Gleiches gilt bei Beendigung der Periduralanalgesie. Zur Durchführung und Besonderheiten der Periduralanalgesie und des TAP-Blocks wird hier auf das Kap. 5 verwiesen. Neben der Periduralanalgesie und dem TAP-Block spielen Blockaden einzelner Nerven in der Urologie eine große Bedeutung. Indikationen für eine Nervenblockade sind vor allem inguinale oder Genitaleingriffe so wie individuelle Indikationen bei bestimmten Risiken für eine andere Narkoseform. Voraussetzungen für jede Regionalanalgesie sind neben Anamnese und Aufklärung entsprechende Laboruntersuchungen (Blutbild, Gerinnung, Leber- und Nierenfunktion), eine klinische Untersuchung zum Ausschluss von Kontraindikationen (z. B. lokaler Infektionen) und eine gute Überwachung des Patienten. Folgende Nervenblockaden kommen in der Urologie häufig zum Einsatz: Peniswurzelblock, z. B. zur Zirkumzision Der Peniswurzelblock erfolgt durch Infiltration und Blockade des Nervus dorsalis penis unterhalb der Symphyse im Bereich des Ligamentum suspensorium penis unterhalb der tiefen Penisfaszie (Buck) mit z. B. 10 ml Lidocain 12 % und Infiltration des Penisrückens mit 3–5 ml Lidocain 2 % oder (um eine verlängerte Wirkung postoperativ zu erzielen) mit Bupivacain 0,5 % oder Ropivacain 0,75 %, Ilioinguinalis-Blockade Die Blockade des N. ilioinguinalis ist sinnvoll bei Orchidopexien, Hydrozelen- und Varikozelenoperationen, Skrotaleingriffen und Herniotomien. Sie wird im Bereich der Spina iliaca anterior superior 2,5–3 cm medial und 2,5–3 cm caudal davon bis zur Innenfläche des Os ilium mit z. B. 10(–20) ml Bupivacain 0,5 % (alternativ Ropivacain) durchgeführt, ggf. auch in 2 Schichten (subfaszial/subkutan). Zusätzlich kann der Funiculus spermaticus infiltriert werden.
16.2 Schmerztherapie in der operativen Urologie: spezielle Aspekte 257
Pudendusblock Der Pudendusblock wird im Bereich der Spina ischiadica im Bereich des Ligamentum sacrospinale angebracht. In Steinschnittlage ist das Tuber ischiadicum gut zu tasten. Angewendet werden z. B. 5 ml Lidocain 1 % und 5 ml Bupivacain 0,5 %. Prostatablock Die Schmerzausschaltung ist für eine Biopsie bei ausgewählten Patienten möglich. In Seitenlage werden lateral des Überganges zur Samenblase und entlang der lateralen Prostataseite von der Spitze bis zur Basis sonografisch kontrolliert nach Hautquaddel 2 cm posterior des Tuber ischiadicum z. B. 5 ml Lidocain 1 % und 5 ml Bupivacain 0,5 % beidseits appliziert Grundsätzlich ist die Wirkung des Lokalanästhetikums 5 Minuten nach Applikation gegeben, sollte aber vorab eruiert werden und hält je nach Art der Lokalanästhetikums 2 bis 6 Stunden an. Merke: Nach einer single-shot Regionalanalgesie ist die Applikation eines Nichtopioid-Analgetikums (NOPA) und ggf. die Bereitstellung eines Opioids als Bedarfsmedikation notwendig, um bei Abklingen der Wirkung der Regionalanalgesie einen guten Übergang zur systemischen Schmerztherapie zu ermöglichen und Analgesielücken zu vermeiden.
Sehr effektiv und bei jeder Operation sehr einfach vor oder nach dem „operativen Schnitt“ durchführbar ist eine lokale Wundinfiltration zur Schmerzausschaltung. Dies erzeugt in vielen Fällen eine gute Analgesie bis in die ersten postoperativen Stunden hinein. Dazu wird z. B. ein langwirkendes Lokalanästhetikum in die Wundränder infiltriert, z. B. Bupivacain 0,2 % bis zu 2 mg/kg Körpergewicht Gesamtdosis (vgl. Kap. 5). Bei größeren Eingriffen kann auch ein Wundinfiltrations-Katheter zur kontinuierlichen Applikation (z. B. Ropivacain 0,2 %) eingelegt werden. Merke: Wundinfiltrationen sind effektive und komplikationsarme Analgesieverfahren in der Urologie, die quasi bei jeder Operation angewendet werden können, solange kein anderes Regionalanalgesieverfahren zum Einsatz kommt.
16.2.3 Systemische Schmerztherapie nach urologischen Eingriffen Eine systemische Schmerztherapie erfolgt in der Regel im Sinne einer multimodalen, balancierten Analgesie (vgl. auch Kap. 4). Hierbei kombiniert man ein NOPA (regelmäßige Gabe) und ein Opioid (in der Regel als Bedarfsmedikation). Als NOPA bietet sich die Gabe von Metamizol oder eines nichtsteroidales Antirheumatikums (NSAR) an. Hinzu kommt bei kleineren und mittelgroßen Eingriffen (und Möglichkeit einer oralen Medikation) ein orales Opioid in nicht-retardierter Form als Bedarfsmedikati-
258 16 Operationen in der Urologie
on; falls dies nicht ausreicht, kann ein retardiertes Opioid hinzugenommen werden [9]. Bei großen Eingriffen (z. B. bei Kontraindikation für eine Epiduralanalgesie) bietet sich als Alternative für die ersten postoperativen Tage eine Therapie mit einer patientenkontrollierten intravenösen Analgesie (PCIA) an. Dieses Verfahren ist zwar der Epiduralanalgesie unterlegen, führt aber bei richtiger Betreuung durch einen Akutschmerzdienst zu einer ebenfalls zufriedenstellenden Analgesiequalität und ist anderen Opioidapplikationen überlegen. Opioide, Dosierungen und Vorgehensweisen bei einer PCIA und auch oraler Analgesiealgorithmen sind in Kap. 4 ausführlich beschrieben. Wichtig ist, dass auf Kontraindikationen (KI) und individuelle Risiken der Patienten geachtet und die Analgesie so wie die Dosierungen an den Bedarf des Patienten angepasst und auch wieder stufenweise reduziert werden. Folgende Basis- und Bedarfsmedikationen sind beispielhaft für einen Erwachsenen, 80 kg KG möglich (zu den Besonderheiten der einzelnen Substanzen und Bedarfskonzepten siehe Kap. 4), dort finden sich auch weitere Behandlungsalgorithmen als Beispiele: – Eingriffe der Stufe I: – Basismedikation (NOPA), z. B. Metamizol 4 × 1 g (bei KI Paracetamol 4 × 1 g) – Bedarfsmedikation: schwach wirksames Opioid, z. B. Tramadol 100 mg – Eingriffe der Stufe II: – Basismedikation: z. B. Metamizol 4 × 1 g (bei KI Paracetamol 4x1g) plus Oxycodon retard 10 mg 2 × /d – Bedarfsmedikation: Oxycodon akut 5–10 mg – Eingriffe der Stufe III: – Basismedikation: z. B. Metamizol 4 × 1 g (bei KI Paracetamol 4 × 1g) plus Regionalanalgesieverfahren (bei KI Opioid-PCIA) In der Regel sollte bei den Operationen der Stufe III ein Periduralkatheter oder bei KI alternativ ein anderes Regionalanalgesieverfahren eingesetzt werden. Auch wenn ein Regionalanalgesieverfahren zum Einsatz kommt, ist die Gabe von NOPA hilfreich, z. B. um Schmerzen außerhalb des PDK Gebietes zu lindern und die Analgesie zu verbessern. Die einzelnen Substanzen, nicht aber die Substanzgruppen, können wahlweise (und je nach Verträglichkeit/KI etc.) grundsätzlich ausgetauscht werden (z. B. Morphin oder Hydromorphon statt Oxycodon, äquianalgetische Dosierungen benutzen, siehe Kap. 4). In einer Klinik sollte aber ein sogenannter Standard gewählt werden, von dem nur in besonderen Situationen, z. B. bei KI des Patienten, abgewichen werden sollte. Falls Patienten-spezifische Besonderheiten auftreten, die zu starken postoperativen Schmerzen über das Maß der zu erwartenden Schmerzen hinaus führen können, kann schon vor der Operation eine abweichende Vorgehensweise gewählt werden. Wichtig ist hierbei z. B. ein besonderes Risiko für Patienten mit chronischen vorbestehenden Schmerzen, bei denen im Rahmen der systemischen Schmerztherapie
16.2 Schmerztherapie in der operativen Urologie: spezielle Aspekte 259
zur Reduktion des Opioidbedarfs sogenannten adjuvante Substanzen (z. B. Lidocain i. v. oder Ketamin) in Erwägung gezogen werden können (vgl. Kap. 4 und Kap. 24.1). Detaillierte Informationen zu substanzspezifischen Eigenschaften, Applikationswegen, Besonderheiten und Kontraindikationen von allen in der postoperativen Schmerztherapie eingesetzten systemischen Schmerzmedikamente siehe bitte Kap. 4.
16.2.4 Spezielle prozedurenspezifische Empfehlungen in der Urologie Abdomino-thorakale Eingriffe in der Urologie Besondere Bedingungen liegen bei Operationen großer Nierentumore vor. Wenn möglich sind ein thorakaler PDK und in der postoperativen Phase die patientengesteuerte epidurale Analgesie (PCEA) kombiniert mit einem NOPA unter Beachtung der Verhältnisse einer möglicherwiese gestörten enteralen Passage einzusetzen. Ober- und Unterbaucheingriffe in der Urologie Nephrektomien, Harnleiteroperationen nach Lokalisation proximal oder distal, Zystektomien und alle Formen der Harnableitung verlangen individuelle Entscheidungen. Bei offenen, größeren Operationen an Niere und Harnblase (z. B. Zystektomie) ist ein PDK intraoperativ so wie postoperativ als PCEA indiziert. Bei KI gegen einen PDK sollte als Alternative eine PCIA mit einem starken Opioid (z. B. Piritramid, Oxycodon oder Morphin) verabreicht werden. Ein NOPA ist immer sinnvoll und zwar regelmäßig als Basisanalgesie. Anzustreben sind außerdem ein früher Kostaufbau und die baldmögliche Oralisierung der Schmerztherapie für einen optimalen und möglichst komplikationsfreien Verlauf. Laparoskopische Eingriffe in der Urologie sind nicht zwangsläufig immer „kleine Eingriffe“ mit geringen postoperativen Schmerzen. Gleiches gilt für Operationen, die mit neuen Verfahren durchgeführt werden, wie z. B. die robotisch assistierte radikale Zystektomie. Allerdings gibt es gerade zu letzteren Eingriffen bisher wenige Daten und Erhebungen. Aus eigenen Erfahrungen am UK Münster werden robotisch assistierte radikale Zystektomien mit einem PDK intra- und postoperativ versorgt. Aus den bisherigen Erfahrungen lässt sich aber auch vermuten, dass nach robotisch-assistierter Prostatektomie eine Periduralanalgesie en principe nicht zwingend notwendig ist und eine gute Analgesie über orale Opioide plus NOPA, angepasst an den Patienten, zu einer guten Analgesie führen kann.
260 16 Operationen in der Urologie
Retroperitoneale Eingriffe Individuelle Besonderheiten sind bei lumbalen Niereneingriffen ohne Nierenentfernung, perkutanen Niereneingriffen, Harnleiteroperationen und retroperitonealen Lymphadenektomien oder Nebennierenoperationen zu beachten. Präoperativ sollte eine Lokalanästhesie zusätzlich vorgenommen werden. Intraoperativ empfiehlt sich bei großen und langen Eingriffen eine Epiduralanalgesie; bei KI ist postoperativ eine PCIA und die Gabe eines NOPA sinnvoll. Eingriffe am Genitale Diese Eingriffe können in Allgemein- und/oder Regionalanästhesie durchgeführt werden [11,12]. Präoperativ ist eine Entscheidung zur Leitungsanästhesie, zum Peniswurzelblock oder über einen Kaudalblock bei Kindern (siehe hierzu Kap. 24) zu treffen. Die Gabe eines NOPA ist sinnvoll. In der postoperativen Phase sollten ein NOPA mit einem Opioid kombiniert werden. Referenzen [1]
Maier C, Nestler N, Richter H, et al. The quality of pain management in German hospitals. Dtsch Arztebl Int. 2010;107(36):607–614. doi:10.3238/arztebl.2010.0607 [2] Gerbershagen HJ, Aduckathil S, van Wijck AJ, et al. Pain intensity on the first day after surgery: a prospective cohort study comparing 179 surgical procedures. Anesthesiology. 2013;118(4):934– 944. [3] Gerbershagen HJ, Ozgür E, Dagtekin O, et al. Preoperative pain as a risk factor for chronic postsurgical pain – six month follow-up after radical prostatectomy. Eur J Pain. 2009;13(10):1054– 1061. [4] Fletcher D, Stamer UM, Pogatzki-Zahn E, et al. Chronic postsurgical pain in Europe: An observational study. Eur J Anaesthesiol. 2015;32(10):725–734. [5] Pöpping DM, Elia N, Van Aken HK, et al. Impact of epidural analgesia on mortality and morbidity after surgery: systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Ann Surg. 2014;259(6):1056–1067. [6] Schwenkglenks M, Gerbershagen HJ, Taylor RS, et al. Correlates of satisfaction with pain treatment in the acute postoperative period: results from the international PAIN OUT registry. Pain. 2014;155(7):1401–1411. doi:10.1016/j.pain.2014.04.021. [7] Gerbershagen HJ, Pogatzki-Zahn E, Aduckathil S, et al. Procedure-specific risk factor analysis for the development of severe postoperative pain. Anesthesiology. 2014;120(5):1237–1245. [8] Yang MMH, Hartley RL, Leung AA, et al. Preoperative predictors of poor acute postoperative pain control: a systematic review and meta-analysis. BMJ Open. 2019;9(4):e025091. [9] Englbrecht JS, Pogatzki-Zahn EM. Perioperative Schmerztherapie bei abdominellen und thorakalen Operationen. Schmerz. 2014;28(3):265–281. [10] Pöpping DM, Zahn PK, Van Aken HK, et al. Effectiveness and safety of postoperative pain management: a survey of 18 925 consecutive patients between 1998 and 2006: a database analysis of prospectively raised data. Br J Anaesth. 2008;101(6):832–840. [11] Beintker M. Schmerztherapie in der Kinderurologie in Harzmann R: Schmerztherapie und Palliativmedizin in der Urologie. Ecomed Verlag. Seiten 64–71. [12] Sommerkamp H. Lokalanästhesie-Techniken in der Urologie in Harzmann R: Schmerztherapie und Palliativmedizin in der Urologie. Ecomed Verlag. Seiten 43–48.
17 Operationen in der HNO-Heilkunde Klaus Stelter
17.1 Besondere Aspekte in der HNO Bei Eingriffen im Kopf-Hals-Bereich spielt, neben der zum Teil sehr hohen Schmerzintensität, die gute Durchblutung mit konsekutiver Schwellung und die Stigmatisierung durch sichtbare äußere Hautschnitte/Narben und Hämatome eine wichtige Rolle. Die Schmerzintensität ist außerdem bei vielen Patienten individuell sehr unterschiedlich und erfordert ein angepasstes Analgesiekonzept, das Aufzeigen von Verhaltensregeln (Kopfhochlage, Nahrungsaufnahme, Schwellungs- und Nachblutungsprophylaxe), eine schon frühzeitige Edukation und Begleitung so wie, falls erforderlich, eine psychologische Mitbetreuung der Patienten in besonderen Fällen. Die Art und Dauer der Operation beeinflussen die postoperativen Schmerzen. Wenig traumatisierende Operationsverfahren mit Minimierung des Gewebeschadens durch minimal invasive Zugangswege und moderne „kalte“ Operationstechniken sind zu bevorzugen [1]. Merke: Die Dauer der Operation hat einen Einfluss auf postoperative Schmerzen und Schwellung: Je länger die Operation im Kopf-Hals-Bereich, desto mehr Schwellung und Schmerzen.
Allerdings sind einige kurze Operationen (wie die Tonsillektomie) ebenfalls sehr schmerzhaft und komplizieren durch andere Aspekte (Schluckbeschwerden, Schwellungen etc.). die Schmerztherapie und Heilung. Zuletzt spielt das Patientenalter noch eine Rolle. So geben Kinder und ältere Patienten nach Tonsillektomie oft wesentlich weniger Schmerzen an, haben einen niedrigeren Analgetikaverbrauch und eine geringere Gesamterkrankungsdauer als Erwachsene und Jugendliche. Definition HNO- und Kopf-Hals-Operationen werden grob nach geringem, mittlerem und höherem postoperativen Schmerzpotential kategorisiert (Tab. 17.1).
https://doi.org/10.1515/9783110597486-017
262 17 Operationen in der HNO-Heilkunde
Tab. 17.1: Zu erwartende postoperative Schmerzen in Abhängigkeit von der Operation. Operation
Schmerzintensität
–
kleine Eingriffe an den Weichteilen des Gesichts, der Mundhöhle und des Halsbereiches (z. B. diagnostische Lymphknotenentnahme) Panendoskopien des oberen Aerodigestivtraktes Operationen im Bereich der Nase und der Nasennebenhöhlen Mittelohreingriffe, Felsenbeinchirurgie
gering
größere Eingriffe an den Gesichtsweichteilen (z. B. lokale und regionale Lappenplastiken, Totale Resektionen der großen Kopfspeicheldrüsen) Eingriffe der ästhetischen Gesichtschirurgie (Profilplastiken, Face lift usw.)
mittel
Endopharyngeale Operationen (z. B. Tonsillektomie, Tumorresektionen) größere Eingriffe Halsweichteile wie funktionelle und radikale Neck dissection oder Laryngektomien größere tumorchirurgische Eingriffe im Bereich des Kiefer- u. Gesichtsskeletts Traumatologische Eingriffe bei frontomaxillären, Mittelgesichts- u. Unterkieferfrakturen Spaltung großer entzündlicher Weichteilprozesse (Abszesse, Phlegmonen)
hoch
– – – – – – – – – –
17.2 Beginn und Dauer der Schmerztherapie Die Einleitung der postoperativen Schmerztherapie sollte aus pharmakologischen Überlegungen (Wirkspiegel, zunehmende Vigilanz des Patienten) bereits während der operativen Maßnahmen erfolgen, so dass sie rechtzeitig ihre Wirkung entfalten kann, bevor der Patient das Bewusstsein erlangt. Die systemische Pharmakotherapie sollte in eine Basis- und Bedarfstherapie gegliedert werden und einem Stufenschema folgen (vgl. Kap. 4). In Abhängigkeit von der zu erwartenden Schmerzintensität ist mit der postoperativen Schmerztherapie auf der jeweils höheren Stufe zu beginnen, so dass der Patient schmerzfrei bleibt. Dabei sollten die verschiedenen Halbwertszeiten der verabreichten Analgetika beachtet werden und rechtzeitig und bevor Schmerzen auftreten entsprechend nachtitriert werden. Abb. 17.1 zeigt einen typischen Schmerzverlauf nach Tonsillektomie mit deutlichen, nicht akzeptablen Schmerzspitzen morgens (aus [2]). Ist keine adäquate Basisanalgesie verfügbar, werden Patienten morgens mit Schmerzen wach; ausreichende Bedarfsanalgesie muss zusätzlich und auch nachts gewährleistet sein, um die Schmerztherapie individuell adäquat zu gestalten. Kasuistik: Tonsillektomie Die Tonsillektomie ist eine der häufigsten und schmerzhaftesten Eingriffe in der HNO-Heilkunde und spielt daher in der Akutschmerztherapie eine besondere Rolle.
17.2 Beginn und Dauer der Schmerztherapie 263
Abb. 17.1: Typischer Zick-Zack-Verlauf einer Schmerzkurve nach Tonsillektomie. Patienten wachen an den ersten 4 Tagen nach Operation mit Schmerzen auf, weil in der Nacht zu wenig Schmerzmittel verabreicht wurde.
Sowohl bei der Tonsillektomie sowie bei vielen enoralen Tumoroperationen im Bereich des Schlundes auch, kommt es unmittelbar postoperativ zu stärksten Schmerzen, die schon präventiv behandelt werden müssen. Ein Abwarten bis Schmerzen auftreten ist ethisch nicht vertretbar und auch medizinisch kontraproduktiv, da starker postoperativer Schmerz in der frühen Phase nach der Operation ein wichtiger Prädiktor für Komplikationen und persistierende Schmerzen auch in der HNO sind. Die einfache totale Tonsillektomie (OP Zeit: 10 min) verursacht aufgrund der freiliegenden C1-Fasern (Abb. 17.2) in den ersten postoperativen Tagen mittlere bis starke Schmerzen und wird gerne bagatellisiert [2,3], während z. B. eine totale Parotidektomie mit komplett freiliegendem N. Fazialis (OP Zeit: > 3 h) nur mittlere bis geringe Schmerzen unmittelbar postoperativ verursacht, (Abb. 17.3). Vermeidung von Komplikationen Die Analgetikatherapie sollte im Kopf-Hals-Bereich aufgrund der lokalen Besonderheiten keinen signifikanten Einfluss auf Atemantrieb, Blutgerinnung, Brechreiz und neurologischen Status haben. Ein verminderter Atemantrieb in Verbindung mit einer oropharyngealen oder laryngealen Schwellung kann schnell zur Asphyxie führen.
264 17 Operationen in der HNO-Heilkunde
Abb. 17.2: Typisches Bild nach extrakapsulärer Tonsillektomie. Kurze OP Dauer, aber freiliegende Muskelfasern des M. constrictor pharyngis mit hoher Schmerzintensität.
Abb. 17.3: Typisches Bild nach totaler Parotidektomie. Lange OP Dauer, aber bei langstreckig freigelegten motorischen Nerven (N. Fazialis) nur geringe Schmerzintensität.
Bei enoralen Eingriffen mit offenen Wunden ist ein postoperatives Erbrechen unbedingt zu vermeiden, da die Magensäure auf der frischen Wunde besonders schmerzintensive Entzündungen hervorruft und ebenfalls zu konsekutiven Schwellungen führen kann. Wegen der ohnehin häufig postoperativ auftretenden Schluckbeschwerden und der oft notwendigen oralen Nahrungskarenz sollte die Medikation in der intraoperativen und frühen postoperativen Phase intravenös/parenteral erfolgen. Eine orale Applikation von Schmerzmitteln ist häufig in der intraoperativen und frühen postoperativen Phase nicht möglich.
17.4 Postoperative Schmerztherapie: Basismedikation 265
17.3 Intraoperative lokale Anästhetika Nach Eingriffen mit offenen Wunden im Oropharynx (z. B. Tonsillektomie) sollte intraoperativ eine Wundinfiltration mit einem langwirksamen Lokalanästhetikum zur Anwendung kommen. Auch wenn die Studienlage in Bezug auf die Wirksamkeit von Wundinfiltrationen bei Tonsillektomien divergent ist, konnten mehrere randomisierte Studien eine signifikant geringere Schmerzintensität in der frühen postoperativen Phase im Vergleich zu Placebo feststellen, wobei sich die postoperative Infiltration gegenüber der präinzisionalen Infiltration als besser wirksam darstellt[2,4]. Merke: Einige Patienten verspürten in der Aufwachphase eine Atemnot und starke Dysphagie, weil sie im betäubten Rachen den Luftzug und den Speichelfluss nicht spürten. Das kann zu Panik führen und bedarf deshalb schon präoperativ einer guten Aufklärung des Patienten.
Vorsicht ist geboten mit präinzisionalen Lokalanästhetika auch bei Eingriffen an motorischen Hirnnerven (N. Fazialis). Hier kann das Lokalanästhetikum eine unbeabsichtigte Lähmung hervorrufen, die ein intraoperatives Nervenmonitoring unmöglich macht.
17.4 Postoperative Schmerztherapie: Basismedikation Zur sogenannten Basismedikation zählen die Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) (Paracetamol und Metamizol) und NSARs wie Diclofenac, Ketoprofen und Ibuprofen. Ihre Gabe zeigt nachweislich eine gute Basisanalgesie und ist nach aktuellen Analysen nicht mit einer erhöhten blutungsbedingten Revisionsrate verbunden, können im Gegenzug aber neben Schmerzen auch das postoperative Erbrechen reduzieren. Paracetamol intravenös wird sehr häufig für die postoperative Analgesie eingesetzt, da es kaum einen Einfluss auf die plasmatische Gerinnung oder die Thrombozytenfunktion hat. Die alleinige Gabe von Paracetamol führt allerdings zu keiner ausreichenden Schmerzreduktion [5]. Paracetamol oral ist gegenüber allen NSAR und Metamizol bei der postoperativen Schmerztherapie unterlegen [6]. Auch kann es bei oraler Gabe höherer Dosen Paracetamol zu Erbrechen kommen [5,7]. Keine Cochrane Metaanalyse fand bisher ein signifikant erhöhtes Nachblutungsrisiko bei der Gabe von NSAR (ohne Azetylsalizylsäure) [8–10]. Eine Kombination aus Ibuprofen mit Paracetamol scheint analgetisch effektiver zu sein als eine alleinige Gabe von Paracetamol [11]. Allen Cochrane Metaanalysen gemein ist, dass NSARs (außer ASS) das postoperative Erbrechen signifikant im Gegensatz zu Paracetamol und Opioiden reduzieren. Bei HNO-Eingriffen mit mittlerer Schmerzintensität (NRS 3–5) sollte diese Basismedikation in der Regel ausreichend sein.
266 17 Operationen in der HNO-Heilkunde
Besondere Beachtung verdienen Kontraindikationen wie chronische Leberschäden (u. a. Paracetamol), Nierenfunktionseinschränkungen und Magen- und Darmulzera (NSAR), Störungen der Knochenmarksfunktion, Erkrankungen des hämatopoetischen Systems (Metamizol) und natürlich Allergien gegen eine der Substanzen (vgl. Kap. 4).
17.5 Postoperative Schmerztherapie bei hoher Schmerzintensität Bei stärkeren Schmerzen (NRS > 5) sollte eine balancierte Analgesie mittels eines Bedarfsopioids in Kombination mit einem oder einer Kombination aus 2 NOPA erfolgen (vgl. Kap. 4). Die Kombination von Oxycodon und Ibuprofen und/oder Paracetamol bietet in vielen Fällen eine adäquate Analgesie nach HNO-chirurgischen Eingriffen ohne eine Atemdepression zu verursachen [12]. Besonders nach Tonsillektomien zeigte sich der günstige Einfluss der kombinierten Gabe eines Opioids mit einem NOPA auf den postoperativen Analgetikakonsum und die Schmerzintensität [13]. Bei Eingriffen im Kopf-Hals-Bereich ist bei Patienten mit erhöhtem Schmerzmittelbedarf eine sublinguale Opioidgabe oder eine patientenkontrollierte intravenöse Analgesie (PCIA) als Applikationsform indiziert. Detaillierte Informationen zu substanzspezifischen Eigenschaften, Applikationsregeln, Analgetika-Algorithmen, Besonderheiten und Kontraindikationen siehe Kap. 4.
17.6 Prämedikation bei Eingriffen in Lokalanästhesie Bei Eingriffen in Lokalanästhesie sollte eine leicht sedierende und anxiolytische Prämedikation, die gleichzeitig auch Schmerz reduziert, verabreicht werden. Midazolam bewirkt bei Eingriffen in Lokalanästhesie eine psychovegetative Entkoppelung mit Stressreduktion, reduziertem Schmerzempfinden, Verlängerung der Anästhesiewirkung und Reduktion des postoperativen Analgetikabedarfs Eine Prämedikation vor Eingriffen in Lokalanästhesie im Kopf-Hals-Bereich sollte verabreicht werden bei: – unruhigen Patienten, bzw. Patienten mit großer Erwartungsangst – umfangreichen, lang andauernden Eingriffen – Patienten mit kardialen, pulmonalen oder endokrinen Vorerkrankungen, bei denen Behandlungsstress vermieden werden muss – Patienten mit leichter geistiger Behinderung – Patienten mit Anfallsleiden
17.8 Adjuvante nichtmedikamentöse Verfahren 267
17.7 Adjuvante medikamentöse Verfahren Kortikosteroide Die Gabe eines Kortikosteroids vermindert die postoperativen Schmerzen und Weichteilschwellung und erhöht das postoperative Wohlbefinden. Nach Tonsillektomien werden durch 5–50 mg Dexamethason signifikant geringere postoperative Schmerzen im Vergleich zu Placebo erreicht [14,15]. Zudem zeigen sich geringere Nebenwirkungen (Übelkeit/Erbrechen) und ein reduzierter Analgetikakonsum [15]. Geringere Nebenwirkungen wurden mit einem oralen Steroid ebenfalls nach Mastoidektomien und zahnchirurgischen Eingriffen gezeigt [16]. Daher wird die Gabe eines Glukokortikoides prä- und/oder postoperativ empfohlen. CAVE: Kortikosteroide erhöhen den Blutzuckerspiegel, Erhöhen den Blutdruck und wirken aktivierend bei Depression oder Angstpsychosen (Suizidgefahr). Antibiotika In einer Metaanalyse über sieben randomisierte Studien zeigte sich, dass die prophylaktische Gabe von Antibiotika nach Tonsillektomie den postoperativen Schmerz oder Nachblutungen nicht vermindert [17]. Gleiches gilt für Standardeingriffe an Nase/Nasennebenhöhlen und Ohr. Derzeit werden peri- und postoperative Breitbandantibiotika empfohlen bei: – langen Eingriffen (> 3 h Schnitt-Naht Zeit) – Eingriffen mit Eröffnung des Schlundes (Pharyngotomien) – des Innenohres (Cochleaimplantate) – der Dura mater (Schädelbasiseingriffe) – bei Revisionseingriffen mit vorhandenem bradytrophem Narbengewebe – bei Drainage von Abszessen
17.8 Adjuvante nichtmedikamentöse Verfahren Während der akuten postoperativen Schwellungsphase sowie nach Traumen und Blutungen sollte Kälte in Form von kalten Packungen (z. B. Brucheis, Kunsteis, feuchte Tücher) angewandt werden. Die Applikation sollte, unter Berücksichtigung des Empfindens des Patienten, intermittierend und zeitlich beschränkt erfolgen. Kälteanwendungen tragen bei einigen Patienten zu einer geringeren Schmerzintensität und vor allem geringerer Schwellung bei. Insbesondere nach Osteotomien des Oberoder Unterkiefers oder des Nasenbeins (Rhinoplastiken) machen lokale Kälteanwendungen Sinn. Dagegen kann die Anwendung von Wärme postoperativ nicht empfohlen werden. Nach einer Neck dissection mit Nervenschädigung des N. accessorius hat eine postoperativ durchgeführte Physiotherapie einen positiven Einfluss auf Bewegungseinschränkungen und Schulterschmerzen [18].
268 17 Operationen in der HNO-Heilkunde
Insbesondere nach zahnärztlichen oder oropharyngealen Eingriffen ist die Gewährleistung einer konsequenten Mundhygiene zur Prophylaxe postoperativer Infektionen von besonderer Bedeutung. Nahrungskarenz Die präoperative und postoperative Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz sollte auf ein Minimum reduziert werden. Besonders nach Tonsillektomien sollte frühzeitig kalte Flüssigkeit (Wasser oder Tee) getrunken werden, um die Schlundmuskulatur zu trainieren und Schwellungen vorzubeugen. Auch sollte ausreichend gegessen (nicht heiß, nicht scharf, nicht sauer) und gekaut werden, um Fibrinbeläge abzulösen und einer Wundinfektion vorzubeugen. Daher macht eine Analgetikaeinnahme entsprechend 20–30 min vor dem Essen Sinn.
17.9 Besonderheiten bei Kindern Zuwendung und Ablenkung Präoperative Aufklärung und Schulung zur Schmerztherapie gehört bei allen Patienten zu einer guten Schmerztherapie dazu, ist aber bei Kindern noch einmal besonders wesentlich; Angst (bei Kind und Eltern) kann Schmerz verstärken und Unwissenheit einer guten Schmerztherapie entgegenwirken. Eine erhöhte Zuwendung und Ablenkung kann dagegen einen positiven Einfluss auf postoperative Schmerzen haben. Ablenkung in Form von Lehr- oder Unterhaltungsfilmen kann zu günstigen Effekten führen. Eine Studie aus Cincinnati stellte fest, dass postoperativ gezeigte Filme den Schmerzmittelverbrauch bei Kindern nach einer Tonsillektomie senken [19]. Antitussiva (Dextromethorphan) Es gibt Hinweise, dass Dextromethorphan einen positiven Einfluss auf postoperative Schmerzen bei HNO-Eingriffen bei Kindern haben kann. In einer Studie mit über 40 Kindern, die sich einer Adenotonsillektomie unterzogen, war der Schmerzmittelverbrauch intra- und postoperativ in der Hustensirup-Gruppe signifikant reduziert [20]. Nach einer Tympanomastoid-Operation konnte eine andere Studie, welche 38 Kinder einschloss, ebenfalls einen geringeren Analgetikakonsum sowie außerdem eine geringere postoperative Schmerzintensität in der Hustensaftgruppe feststellen [21]. Besondere Aspekte in der postoperativen Kinderschmerztherapie sind in Kap. 24 dargestellt.
Referenzen 269
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270 17 Operationen in der HNO-Heilkunde
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18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie Monika Daubländer
18.1 Einleitung „Der starke Schmerz bei Erkrankungen der Zähne und Kiefer lässt die besondere Bedeutung dieser Organe hervortreten. Dem Zahnarzt wird durch die Mittel der örtlichen Betäubung ein unschätzbares Gut in die Hand gegeben, das er mit allen wissenschaftlichen und technischen Grundlagen beherrschen muss.“ So beschrieb Guido Fischer bereits 1911 die Notwendigkeit für eine adäquate Schmerzausschaltung im Mund-, Kiefer-, Gesichtsbereich und die Bedeutung der Lokalanästhesie in diesem Fachgebiert. Auch heute noch nimmt die Lokalanästhesie im Rahmen der Ausschaltung von akuten Schmerzen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich eine zentrale Rolle ein. Dies gilt sowohl für die intraoperative als auch anhaltende Schmerztherapie für die ersten Stunden nach der Operation. Daten zur Intensität von Schmerzen in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie werden zunehmend generiert. Im Rahmen des QUIPS-Projektes (Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie) wurden zum Beispiel auch kieferchirurgische Eingriffe evaluiert, so dass die Datenlage hier transparenter geworden ist [1–4]. Es liegen derzeit Auswertungen zur Frakturversorgung, mikrovaskulären Lappenversorgung und sagittalen Spaltung des Unterkiefers zur Dysgnathiekorrektur vor. Nach Frakturversorgung und Rekonstruktion kranio-maxillo-fazialer Defekte mit mikrovaskulär gestieltem Radialislappen konnte eine unzureichende postoperative Schmerztherapie festgestellt werden [2,3]. Auch Unterschiede bei der Behandlung von Unterkiefer- bzw. Mittelgesichtsfrakturen wurden detektiert [4]. Es zeigte sich, dass nach Unterkieferfrakturversorgung sowohl Ruhe- als Belastungsschmerz stärker waren, während die Mobilität nach Mittelgesichtsfrakturen stärker eingeschränkt war. Merke: Eine prozedurenspezifische Behandlung analog der zu erwartenden Schmerzintensität sollte in Zukunft auch in der MKG stärker fokussiert werden (Tab. 18.1).
https://doi.org/10.1515/9783110597486-018
272 18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie
Tab. 18.1: Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgische Eingriffe: zu erwartende Schmerzintensitäten (modifiziert nach S3 Leitlinie Behandlung akuter postoperativer und posttraumatischer Schmerzen AWMF-Register Nr. 041/001). Operation
zu erwartende Schmerzintensität
–
gering
– – – – – – – – – – – – –
kleine Eingriffe an den Weichteilen des Gesichts, der Mundhöhle, des oberen Aerodigestivtraktes und des Halsbereiches (z. B. diagnostische Lymphknotenentnahme) Endoskopien des oberen Aerodigestivtraktes Laserchirurgische Eingriffe im Gesicht und der Mundhöhle Operationen im Bereich der Nase und der Nasennebenhöhlen
mittel Dentoalveoläre Operationen größere Eingriffe an den Gesichtsweichteilen (lokale und regionale Lappenplastiken, Entfernung der großen Kopfspeicheldrü sen) Eingriffe der ästhetischen Gesichtschirurgie (Profilplastiken, Face lift usw.) hoch Endopharyngeale Operationen größere Eingriffe Halsweichteile wie funktionelle und radikale Neck dissection größere tumorchirurgische Eingriffe im Bereich des Kiefer- u. Gesichtsskeletts Traumatologische Eingriffe bei frontomaxillären, Mittelgesichts- u. Unterkieferfrakturen Umstellungsosteotomien und kraniofaziale Eingriffe Spaltung großer entzündlicher Weichteilprozesse (Abszesse, Phlegmonen) Korrekturen größerer angeborener oder erworbener Weichteil- u. Knochendefekte
18.2 Grundlagen Das operative Spektrum in der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie umfasst trotz der anatomisch kleinen Region ein breites Portfolio an operativen Eingriffen [5]. Dieses reicht von der dentoalveolären Chirurgie (z. B. operative Zahnentfernung, Implantationen) bis hin zu umfangreichen mikrovaskulären Lappenrekonstruktionen und skelettal verlagernden kraniofazialen Eingriffen. Hinzu kommen die Entnahmeorte außerhalb des Kopf-Halsbereiches bei einem freien oder mikrovaskulär gestielten Gewebetransfer wie z. B. Beckenkamm, Unterarm (Radialislappen), Unterschenkel (Fibulatransplantat). Auch das Patientengut weist eine große Spannbreite auf. Kinder mit Fehlbildungen werden bereits im Säuglingsalter operiert, um möglichst früh eine physiologische und anatomisch korrekte orofaziale Situation herzustellen. Am anderen Ende der Altersspanne befinden sich die Betagten und Hochbetagten, bei denen multiple medizinische Risikofaktoren vorliegen und die sich dennoch aufgrund entzündlicher
18.2 Grundlagen 273
dentogener Befunde Zahnsanierungen oder nach einem Sturz einer Frakturversorgung unterziehen müssen. Die Patientenklientel mit Frakturen im Kiefer- und Gesichtsbereich ist überwiegend männlich (68 %) und zwischen 20 und 75 Jahren alt [1]. Während bei den jüngeren Patienten Unfälle und Rohheitsdelikte häufige Ursachen sind, überwiegen bei den älteren Patienten synkopale Ereignisse und Stolperstürze. Ein weiteres typisches Patientencluster liegt bei den Plattenepithelkarzinomen der Mundschleimhaut vor. Überwiegend handelt es sich um Männer, die häufig einen Alkohol- und Nikotinabusus sowie eine unzureichende Mundhygiene betreiben. Insbesondere bei entzündlichen Prozessen (z. B. Logenabszessen) und Frakturen bestehen bereits präoperativ Schmerzen, so dass die Schmerztherapie bereits zu diesem Zeitpunkt beginnen und postoperativ fortgeführt werden muss. Merke: Idealerweise sollte das perioperative Schmerzmanagement generell bereits präoperativ beginnen.
Dies umfasst die Aufklärung über die zu erwartenden Schmerzen und die geplante analgetische Therapie mit dem Patienten schon in der Operationsaufklärung. Dies kann falsche Erwartungen, Stress und Angst reduzieren [3]. Als Instrumente zur Schmerzeinschätzung durch die erwachsenen Patienten sollte die Numerische Ratingskala und bei Kindern die Faces-Pain-Scale Revised eingesetzt werden (s. Kap. 3 und 24). Ambulante Patienten erhalten einen Medikationsplan für die ersten zwei postoperativen Tage. Bei stationären Patienten legt der Operateur die Therapie fest, idealerweise so dass mit Verlegung aus dem OP die Schmerztherapie sofort umgesetzt werden kann. Merke: Wird ein Patient mit einer noch wirksamen Lokalanästhesie auf die Station verlegt, soll schon die Bedarfsmedikation für die weitere Schmerzbehandlung (auch erst Stunden später) notiert sein.
Bestehen bereits vor der Operation chronische Schmerzen, insbesondere im Kieferund Gesichtsbereich sollten diese konsiliarisch abgeklärt und ggf. eine spezielle Medikation mit Koanalgetika bzw. ein Opiatwechsel diskutiert werden (zum Umgang mit Patienten mit chronischen Schmerzen vor OP s. Kap. 23). In diesen Fällen sind ggf. auch eine erweiterte Diagnostik mittels Schmerzfragebogen und psychometrischen Instrumenten wie der DASS (Depression-, Angst-, Stress-Skala) sowie ein entsprechendes psychologisches oder psychosomatisches Konsil sinnvoll. Zur intraoperativen Anästhesie sollte die Lokalanästhesie, wann immer möglich, eingesetzt werden. Entweder ist sie die alleinige Form der Schmerzausschaltung ggf. ergänzt durch sedierende Verfahren oder sie ergänzt die Allgemeinanästhesie durch
274 18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie
die Blockade der Nozizeption im Operationsgebiet. Auch Analgetika können bereits prä- und intraoperativ verabreicht werden, um die postoperative Analgesie einzuleiten. Bei Eingriffen in reiner Lokalanästhesie sollte die erste Analgetikumdosis eingenommen werden, bevor die Lokalanästhetikawirkung vollständig abgeklungen ist.
18.3 Lokalanästhesie Die zahnärztliche Lokalanästhesie ist eine sehr effektive und mit einer Komplikationsrate von 4,5 % sichere Methode der Schmerzausschaltung für Operationen im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich. Aufgrund der hohen Vaskularisation der Gewebe werden in der Regel Lösungen mit einem vasokonstriktorischen Zusatz verwendet. Der Goldstandard ist Adrenalin in unterschiedlich hoher Konzentration. Als Alternative steht Oktapressin zur Verfügung, das jedoch durch die schwächere und verzögert einsetzende Wirkung nur als Medikament der zweiten Wahl anzusehen ist. Infobox 18.1: Vorteile der Vasokonstriktion als Zusatz zum Lokalanästhetikum sind – verzögerte Resorption des Lokalanästhetikums vom Injektionsort – Reduktion der systemischen Plasmaspiegel des Lokalanästhetikums – Verlängerung der Wirkdauer des Lokalanästhetikums – Verstärkung der Wirkintensität des Lokalanästhetikums – Reduktion der lokalen Blutung.
Als Risiko einer Vasokonstriktion sind die systemischen sympathomimetischen Effekte des Adrenalins anzusehen, die infolge der Resorption der Substanz vom Injektionsort und Verteilung im gesamten Körper ausgelöst werden. Vor allem kardiovaskuläre Nebenwirkungen wie Tachykardie und Hypertonie sind typisch. Da das Risiko direkt mit der Dosis assoziiert ist, sollte das Adrenalin immer so gering wie möglich dosiert werden. Global betrachtet überwiegen, gerade bei operativen Maßnahmen, die Vorteile durch die Verwendung einer vasokonstriktorhaltigen Lösung (Tab. 18.2). Bei Lösungen mit Articain als Lokalanästhetikum ist Adrenalin in einer Dosierung von 1:100.000 (10 Mikrogramm/ml), 1:200.000 (5 Mikrogramm/ml) und 1:400.000 (2,5 Mikrogramm/ml) zugesetzt. Die Lösungen mit Lidocain als Lokalanästhetikum enthalten Adrenalin in der Dosierung 1:50.000, 1:80.000, 1:100.000. Typischerweise wird in Zentraleuropa Articain als Lokalanästhetikum eingesetzt. Es handelt sich dabei um ein Säureamidpräparat mit einem Thiophenring und einer Esterbindung. Durch die Spaltung der letzteren in Gewebe und Plasma durch unspezifische Pseudocholinesterasen entsteht die pharmakologisch inerte Substanz Articainsäure. Die endgültige Metabolisierung findet wie bei allen Amidpräparaten in der Leber statt. Aufgrund des dualen Abbauweges weist Articain eine sehr kurze Plasmahalbwertszeit von ca. 20 Minuten und eine rasche Plasma-Clearance auf. Ein weiterer Vorteil ist die hohe Plasmaproteinbindung, die bei ca. 96 % liegt. Da die ge-
18.3 Lokalanästhesie 275
Tab. 18.2: Häufig verwendete Lokalanästhetika in der Zahnmedizin. Konzentration der Lösung
Wirkdauer (min)
Pulpa
Weichteile
Infiltration
Leitungsanästhesie
Articain mit Adrenalin
4
55–75
180–240
150–180
180–240
Lidocain mit Adrenalin
2
30–60
120–180
60–170
85–190
Mepivacain o. V.
3
15–20
25–165
25–90
40–165
Bupivacain o. V.
0,5
60–90
120–540
40–400
240–540
bundenen Lokalanästhetikummoleküle nicht die Blut-Hirn-Schranke und Plazentaschranke überwinden können, wirkt sich dieses Charakteristikum positiv auf das Intoxikationsrisiko und die Anwendung in der Schwangerschaft aus. Mit einer analgetischen Potenz von 5 und einer systemischen Toxizität von 1,5 (jeweils bezogen auf Procain) ergibt sich bei Articain ein Quotient von 3,3 für das Verhältnis von Wirkung zu Toxizität. Im Vergleich zu Lidocain (2), Mepivacain (2) und Bupivacain (1,75) ist dies die günstigste Relation. Articain wird im dentalen Bereich typischerweise als 4 %ige Lösung eingesetzt. Dies kann bei sehr ausgedehnten Infiltrationen unter Umständen das zur Verfügung stehende Volumen (berechnet pro Kilogramm Körpergewicht) einschränken. In diesem Fall sollten stattdessen andere Lokalanästhetika (z. B. Lidocain 2 %) mit geringerer Konzentration eingesetzt werden.
18.3.1 Intraorale Applikation Für die intraorale Applikation stehen verschiedene Techniken zur Verfügung (Tab. 18.3). Die Infiltrationsanästhesie ist die am häufigsten angewendete Methode. Hierbei wird die Lokalanästhesielösung submukös in das zu behandelnde Areal appliziert. Blockiert werden die terminalen Fasern des entsprechenden Trigeminusastes (N. maxillaris, N. mandibularis). In der Regel werden bei jeder Injektion ca. 1 bis 1,5 ml injiziert. Bei der Leitungsanästhesie erfolgt die Applikation des Depots am peripheren Nervenast, in der Regel in der Nähe eines Foramens, durch das der Nerv aus dem Knochen austritt (z. B. N. infraorbitalis) oder in ihn eintritt (z. B. N. mandibularis). Bei dieser Technik kann mit relativ wenig Lokalanästhesielösung (ca. 1,5 ml) das gesamte periphere Versorgungsgebiet des Nervs betäubt werden. Ein Risiko ist die Verletzung des Nervs durch die Kanüle. Da dies beim wachen und auch moderat sedier-
276 18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie
Tab. 18.3: Leitungsanästhesien in der MKG-Chirurgie. Nerv
Innervationsgebiet
Injektionsort
Volumen (ml)
N. infraorbitalis (von intra- oder extraoral)
Alveolarfortsatz, Zähne und vestibuläre Schleimhaut im Oberkieferfrontzahnund Prämolarenbereich, Haut seitliche Nase und Wange
Foramen infraorbitale
1 bis 1,5
N. nasopalatinus
Gaumenschleimhaut distal der Schneidezähne
Foramen incisivum
0,1 bis 0,2
N. palatinus major
Alveolarfortsatz und Gaumenschleimhaut Prämolaren- und Molarenbereich
Foramen palatinum 0,3 bis 0,5 major
Oberkiefer
Unterkiefer N. alveolaris inferior, in der Regel gemeinsam mit N. lingualis
Foramen Alveolarfortsatz und Zähne der Unterkieferhälfte, Haut und Schleimhaut Kinn mandibulare und Unterlippe, linguale Schleimhaut und Mundboden
1,5 bis 2
N. buccalis
Wangenschleimhaut, vestibuläre Schleimhaut Unterkiefer im Molarenbereich
Vorderkante des aufsteigenden Unterkieferastes
0,5 bis 1
N. mentalis (von intra- oder extraoral)
Haut und Schleimhaut Kinn und Unterlippe, Unterkieferfrontzahngebiet
Foramen mentale
0,5 bis 1
ten Patienten einen typischen elektrisierenden Schmerz auslöst, und dann die Kanülenposition geändert werden kann, um eine intraneurale Injektion zu verhindern, sollte beim narkotisierten Patienten diese Technik nicht angewendet werden, da hier das Warnsignal nicht auftritt.
18.3.2 Extraorale Applikation Auch extraoral ist die Infiltrationsanästhesie des Operationsgebietes die typische Lokalanästhesietechnik. Die subkutane Injektion erfolgt nach vorheriger Desinfektion der Haut. Bei ausreichend hoher Konzentration des Lokalanästhetikums im Bereich des N. facialis ist mit einer vorübergehenden Parese zu rechnen und ggf. darüber aufzuklären. Einige der Leitungsanästhesien können auch von extraoral durchgeführt werden. Dies betrifft in erster Linie die Nn. supraorbitalis, infraorbitalis und mentalis.
18.4 Sedierungsverfahren 277
18.3.3 Beckenkamm, Kraniotomie Auch bei der Beckenkammentnahme und Kraniotomie hat sich die Infiltrationsanästhesie der Wundränder und Weichteile bewährt. Hierzu werden in der Regel Ropivacain oder Levobupivacain verwendet.
18.4 Sedierungsverfahren Da sehr viele Patienten Angst vor einer operativen Behandlung im Mund-, Kiefer- Gesichtsbereich haben, haben Sedierungsverfahren eine lange Tradition und vor allem im angloamerikanischen Bereich eine weite Verbreitung. Es hat sich jedoch ein Paradigmenwechsel vollzogen, so dass aktuell im zahnmedizinischen Bereich nicht die Sedierung, sondern die Anxiolyse und Stressreduktion im Vordergrund stehen. Dieser auch als minimale Sedierung bezeichnete Zustand mit erhaltenen Schutzreflexen und selbstständiger Atmung und erhaltener Kooperationsfähigkeit kann sowohl inhalativ mittels Lachgas als auch oral mittels eines kurz wirksamen Benzodiazepins (z. B. Midazolam) erreicht werden. Eine moderate Sedierung kann durch die intravenöse Gabe von Midazolam erzielt werden. Vorteil dieser Technik ist die Titration nach klinisch evaluierter Sedierungstiefe. Selbstverständlich muss zur Schmerzausschaltung eine Lokalanästhesie erfolgen. Indirekt verbessern die Anxiolyse und Stressreduktion die Effekte der Lokalanästhesie und reduzieren den postoperativen Analgetikabedarf. Infobox 18.2: Besonders indiziert sind Anxiolyse- und Stressreduktions-Verfahren bei [5] – Patienten mit hoher Erwartungsangst – unruhigen Patienten – umfangreichen, lang dauernden Eingriffen – Patienten mit kardialen, pulmonalen und/oder endokrinen Vorerkrankungen, bei denen Behandlungsstress vermieden werden muss – Patienten mit leichter körperlicher/geistiger Behinderung – Patienten mit Anfallsleiden
Aber auch als Prämedikation vor Frakturversorgungen in Allgemeinanästhesie führt Midazolam zu niedrigeren Schmerzangaben postoperativ [4].
278 18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie
18.5 Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie bei Eingriffen im MKG-Bereich Für die Einzelgabe von Analgetika für akute postoperative Schmerzen bei Erwachsenen ist die Evidenz sehr gut [6]. Demzufolge lassen sich sehr gut SchmerztherapieSchemata darstellen, die sich an der zu erwartenden Schmerzintensität orientieren (Tab. 18.4). Besondere Regeln gelten im Kindesalter (Tab. 18.5 und Kap. 24). Da das split mouth-Modell bei der operativen Weisheitszahnentfernung besonders oft im Rahmen von Medikamentenstudien benutzt wird, liegen viele Daten vor, die im Rahmen von Reviews regelmäßig bewertet werden. Primäre Zielgröße ist dabei die Schmerzreduktion um 50 % für einen Zeitraum von vier bis 6 Stunden. Außerdem kann die NNT (number needed to treat) berechnet werden. Erstmals fanden auch Nebenwirkungen der Medikation Eingang in die differenzierte Bewertung der Analgetika [7]. Dabei zeigt sich deutlich, dass die Nebenwirkungsrate der Nichtopioide in den Studien, denen des Placebos vergleichbar war. Bei den Kombinationspräparaten mit Opioiden oder Opioid alleine traten häufiger Nebenwirkungen auf. Dies kommt in der niedrigen NNH (number needed to harm) zum Ausdruck.
Tab. 18.4: Beispiel für Schmerztherapie nach Schmerzintensität beim Erwachsenen für die ersten drei Tage postoperativ. Schmerzintensität
oral
alternativ
gering (NRS 1 bis 3)
Ibuprofen 400 mg: 1-1-1 oder Arcoxia 90 mg 1-0-0-0 (max. 3 Tage) Rescue-Medikation: Novalgin 20 Trpf. (500 mg) oder Paracetamol 1000 mg
Sonde: Ibuprofen 400 mg 1–1–1 oder Diclofenac 50 mg dispers 1-0-1, ggf. + sondengängiges PPI-Präparat (z. B. Nexium 20 mg) Rektal: Diclofenac 50 mg Supp 1-0-1 + ggf. PPI i. v. Rescue-Medikation: Novalgin 20 Trpf über Sonde i. v., Novalgin 500 mg i. v. oder Paracetamol 1 g i. v.
mittel (NRS 4 bis 6)
Ibuprofen 600 mg: 1-1-1 Alt.: Arcoxia 90 mg 1-0-0-0 Rescue-Medication: Novalgin 40 Trpf. oder Paracetamol 1000 mg ggf. Tramadol 20 Trpf.
Sonde: Ibuprofen 600 mg 1-1-1 oder Diclofenac 50 mg dispers 1-1-1 + sondenfähiges PPI Präparat Diclofenac 50 mg Supp 1-1-1 + PPI i. v. Rescue-Medikation: Novalgin 40 Trpf., Novalgin 1 gr. i. v. Paracetamol 1 g. i. v. Tramadol 20 Trpf. Piritramid 7,5 mg s. c.
18.5 Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie bei Eingriffen im MKG-Bereich 279
Tab. 18.4: (fortgesetzt) Schmerzintensität
oral
alternativ
hoch (NRS > 6)
Ibuprofen 600 mg 1-1-1-1 oder Arcoxia 90 mg 1-0-0-0 Jeweils plus Novalgin 40 Trpf. Rescue-Medikation: Oxycodon 10 mg oral oder Hydromorphon akut 1,6 mg oral ggf. Oxycodon – der Hydromorphin-Schema **
Sonde: Ibuprofen 600 mg plus Novalgin 30 Trpf 1-1-1-1 oder Diclofenac 50 mg dispers + Novalgin 30 Trpf. 1-1-1 + sondenfähiges PPI Präparat Diclofenac 50 mg Supp + Novalgin 40 Trpf 1-1-1 + PPI i. v. plus Novalgin 40 Trpf. oder Novalgin 1 g. i. v. oder Paracetamol 1 g. i. v. Hydromorphon akut (1,6 mg) falls retardiertes Opioid, bei z. B. Dysgnathie-OP Morphingranulat 10 mg alle 12 Stunden über Magensonde oder Hydromorphon ret. 4 mg alle 12 Stunden*
*zur Gabe von Opioiden über Magensonde siehe Kap. 2, ** siehe Kap. 4
Tab. 18.5: Beispiel für Schmerztherapie beim Kind. Operation
Medikation
Lippenspalte (3 Monate, ca. 5 kg KG)
Ibuprofen supp. 60 mg 1-0-1
Gaumenspalte (9–12 Monate, 7–9 kg KG)
Ibuprofen supp. 60 mg 1-1-1
Velopharyngoplastik (5 Jahre)
Ibuprofen supp 125 mg 1-1-1 oder: Ibuprofen Saft 2 % p. o. 15–30 mg/kg KG 1-1-1
Osteoplastik (9–12 Jahre)
Ibuprofen Saft 2 % p. o. 15–30 mg/kg KG 1-1-1
18.5.1 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) Aufgrund ihrer guten analgetischen und antiphlogistischen Wirkung sind die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR’s) die Mittel der ersten Wahl. Insbesondere schnell wirksame Medikamente und fixe Kombinationen sind in der Lage, eine gute und langanhaltende Analgesie zu erzielen (vor allem auch bei ambulanten Operationen). Vor allem Ibuprofen, Etoricoxib so wie die Kombination von Ibuprofen und Paracetamol weisen eine hohe Effektivität und günstige Risikorelation auf. Speziell für
280 18 Akutschmerztherapie bei Operationen in der MKG-Chirurgie
den zahnärztlichen Bereich ist Etoricoxib 90 mg für 3 Tage zugelassen und sehr effektiv bei einmaliger Gabe pro Tag. Aspirin sollte aufgrund seiner thrombozytenaggregationshemmenden Wirkung nicht eingesetzt werden. Auch für Diclofenac gilt diese Einschränkung, auch wenn der Effekt schwächer ist.
18.5.2 Opioide Ist eine ausreichende Schmerzreduktion durch Nicht-Opioide, Lokalanästhetika und nicht medikamentöse Verfahren nicht möglich, ist die Indikation für die Opioidgabe gegeben. Diese sollte primär oral (wenn möglich) oder parenteral z. B. mit einem PCA-System erfolgen (s. zu Opioiden und Opioid-basierten Algorithmen auch Kap. 4). Eine Opioidverordnung ohne Ausschöpfung der möglichen Alternativen sollte unbedingt vermieden werden [8].
18.5.3 Antiphlogistika/Adjuvantien Die Gabe von Kortikosteroiden unterdrückt die Mastzellproduktion und Sekretion von Zytokinen, Kinin und Histamin. Infolge der Hemmung von Thromboxan und Bradykinin soll es zu einer reduzierten Vasodilation und Gefäßpermeabilität und damit reduzierter Ödembildung kommen [9]. Weitere Effekte, die ebenfalls Ödem-reduzierend sind, werden in der Hemmung der lysozym-induzierten Membranruptur gesehen, die die Freisetzung von proteolytischen Enzymen und Hyaluronidase reduziert. Insbesondere bei Nervläsionen soll die Entzündungshemmung die neuronale Regeneration verbessern. Nachteilig sind die möglichen lokalen und systemischen Nebenwirkungen wie die avaskuläre Osteonekrose, Wundheilungsstörungen, höhere Infektionsrate sowie die Unterdrückung der Nebennierenrinde und Psychosen. Merke: Da sowohl die Schmerz- als auch Schwellungsreduktion erheblich sind, wird eine kurzzeitige perioperative Kortikosteroidgabe insbesondere bei dentoalveolären Eingriffen, aber auch Dysgnathieoperationen empfohlen [5,9].
18.5.4 Nichtmedikamentöse Maßnahmen Während der akuten postoperativen Schwellungsphase sowie nach Traumen und Blutungen sollte Kälte in Form von kalten Packungen (z. B. Brucheis, Kunsteis, feuchte Tücher) angewandt werden [5]. Durch eine lokale Kältetherapie werden so-
Referenzen 281
wohl der postoperative Schmerz als auch die Schwellung reduziert [10]. Infolge der kälteinduzierten Vasokonstriktion wird auch die Temperatur der Weichteile reduziert. Hierdurch sinkt die Perfusion der Gewebe, die metabolischen Prozesse werden verlangsamt und der entzündliche Prozess klingt ab. Allgemein anerkannte Empfehlungen zum Vorgehen hinsichtlich Umfang und Dauer gibt es jedoch nicht. Alternativ steht die Hilotherapie zur Verfügung, bei der mittels einer speziell konfigurierten Gesichtsmaske Wasser, das konstant und kontrolliert mit einer Temperatur von 15 Grad Celsius eingestellt, auf die betroffene Region appliziert wird [10]. Die Effekte sind Schmerzreduktion und Schwellungsprophylaxe, Risiken wie Unterkühlung oder gar Erfrierungen werden so vermieden. Darüber hinaus ist, insbesondere nach intraoralen Eingriffen, die Gewährleistung einer konsequenten Mundhygiene zur Prophylaxe postoperativer Infektionen von besonderer Bedeutung [5]. Auch die initiale Ernährung mittels nasogastraler Sonde kann daher angezeigt sein. Referenzen [1]
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19 Ambulante Operationen Karl-Heinz Moser
19.1 Einleitung Weltweit nimmt die Zahl der operativen Eingriffe zu, die in ambulanten Einrichtungen durchgeführt werden. Aber nicht nur die Zahl der ambulanten Eingriffe nimmt zu, sondern auch deren Komplexität. Ursächlich dafür ist der globale ökonomische Druck auf die Gesundheitssysteme [1] und der zunehmende Pflegenotstand in den Krankenhäusern – auch in Deutschland. Dies bedeutet anderseits auch, dass immer mehr Patienten mit potenziell schmerzhaften Eingriffen innerhalb der ersten zwei Stunden nach einer Operation, nach Hause entlassen werden. Merke: Nicht die Operation selbst, sondern die adäquate postoperative Schmerztherapie ist der limitierende Faktor in der ambulanten Chirurgie.
Eine postoperative Schmerztherapie mit individueller Einstellung u. a. auch mit Hilfe von Opioiden – wie in der Klinik üblich – verbietet sich unter anderem auch dadurch, dass Übelkeit und Erbrechen (Post-operative nausea and vomiting = PONV) so wie andere potentielle Nebenwirkungen auftreten und sich dadurch wiederum die Zahl von Krankenhauseinweisungen erhöhen kann [2]. Es wird deshalb in diesem Kapitel versucht Lösungen aufzuzeigen, wie dieses Szenario gelöst werden kann.
19.2 Derzeitige Situation der Schmerztherapie bei ambulanten Operationen 19.2.1 Qualität der Schmerztherapie bei ambulanten Eingriffen Viele internationale Studien untersuchten die Qualität der Schmerztherapie nach ambulanten Eingriffen. Die Ergebnisse sind aber mehr als enttäuschend. So berichten mehrere nationale [3,4] und internationale Studien [5] übereinstimmend, dass ca. 25–40 % der Patienten nach einem ambulanten Eingriff innerhalb der ersten 24 Stunden mittlere bis starke Schmerzen haben. In Deutschland existiert seit 2007 eine S3 Leitlinie zur „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ (AWMF, Nr.041/001). Darin wird ausgeführt, dass eine wirkungsvolle Akutschmerztherapie nicht nur auf der alleinigen medikamentösen Therapie beruhen sollte. Ebenso wichtig seien organisatorische Strukturen, Instrumente zur
https://doi.org/10.1515/9783110597486-019
284 19 Ambulante Operationen
Schmerzerfassung und Dokumentation und intraoperative Schmerzreduktionsmaßnahmen. Eine Datenerhebung zur Akutschmerztherapie nach ambulanten Operationen von Lux et al. im Jahr 2005 [6] und 2009 [3] bei Chirurgen und Anästhesisten zeigte jedoch, dass die S3 Leitlinie im ambulanten Bereich nur teilweise umgesetzt wird. So erfolgt die Schmerzerfassung nur in 40 % der auf die Umfrage antwortenden Praxen. Eine Kombination von Lokalanästhesie und Inhalationsanalgesie wird ambulant nur von einer Minderheit der Praxen in etwa 3–9 % praktiziert. Regionalanästhesieverfahren werden in der Regel überhaupt nicht genutzt.
19.2.2 Unerwünschte Wirkungen von Schmerzen nach ambulanten Eingriffen Eine inadäquate Schmerztherapie nach ambulanten Eingriffen ist inakzeptabel. Der Patient kann sich nur im beschränkten Umfang an medizinisches Personal wenden und fühlt sich mit seinen Schmerzen dann oft allein gelassen. Als Konsequenz daraus kommt es oft zu vermehrten telefonischen Konsultationen mit dem behandelnden Arzt zur Unzeit und bei therapieresistenten Fällen zur stationären Aufnahme in ein benachbartes Krankenhaus. Neben der Schädigung des Rufes und der für die Versichertengemeinschaft entstehenden Kosten, kann dies im ungünstigen Fall auch gerichtliche Verfahren nach sich ziehen. Darüber hinaus können Schmerzen auch nachhaltig negativen Einfluss für den Patienten haben. Starke postoperative Schmerzen können neben Schlaflosigkeit [7] zu einer verminderten Mobilisation führen, welche den Patienten dann die Möglichkeit beraubt sich zu Hause selbst zu versorgen. Studien zeigten ferner, dass die Rekonvaleszenzzeit durch starke Schmerzen sich signifikant verlängert [8,9]. Neben diesen Kurzzeiteffekten können starke postoperative Schmerzen auch Langzeiteffekte haben. So entwickeln Patienten, die postoperativ unter starken Schmerzen litten, deutlich häufiger auch chronische Schmerzen 6–12 Monate nach einer Operation (vgl. Kap. 2), auch nach ambulanten Operationen [9].
19.2.3 Ursachen mangelhaften Schmerzmanagements bei ambulanten Eingriffen Die Schmerzintensität wird von Seiten der Operateure oft unterschätzt und im schlimmsten Fall gegenüber dem Patienten sogar negiert („das kann doch gar nicht so weh tun“). Merke: Ursächlich für die oft unzureichende Schmerztherapie sind sehr häufig mangelhafte organisatorische Strukturen.
19.3 Allgemeine Strategien zur Verbesserung der Schmerztherapie 285
Darüber hinaus wird oft auch aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen keine effektive Schmerztherapie eingeleitet. Paradoxerweise sind Patienten im ambulanten Bereich auch mit einer mittelmäßigen Akutschmerztherapie zufrieden. Befragt man nämlich Patienten nach einem ambulanten Eingriff, so berichten die Patienten in fast allen Studien, trotz der Defizite einer fast ausschließlich pharmakologischen Schmerztherapie, über ein Zufriedenheitsniveau mit der postoperativen Schmerztherapie von 80–90 % [4]. Verschiedene Studien konnten diesen scheinbaren Widerspruch lösen, indem sie nachwiesen, dass die Patientenzufriedenheit mit der Schmerztherapie nicht mit dem postoperativen Schmerzniveau korreliert. Viel wichtiger schien den Patienten die präoperative Aufklärung zu sein und das Gefühl zu haben, dass die postoperativen Schmerzen vom Operateur ernst genommen werden und der Patient mit in die Schmerztherapie einbezogen werden sollen [10]. Die Befragungen nach Zufriedenheit sind deshalb kein guter Indikator für die Qualität der Schmerztherapie, sondern vielmehr für Begleitaspekte, die mit der Schmerztherapie zusammenhängen.
19.3 Allgemeine Strategien zur Verbesserung der Schmerztherapie bei ambulanten Operationen 19.3.1 Identifikation von Risikopatienten Ein sehr wichtiger Aspekt der präoperativen Vorbereitung ist es, zu erkunden, bei welchen Patienten mit starken Schmerzen und einem erhöhten Schmerzmittelbedarf zu rechnen ist. Diese Patienten sind im weiteren Verlauf gefährdet, chronische Schmerzen zu entwickeln. In verschiedensten Studien konnten Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer postoperativer Schmerzen aufgezeigt werden ([11,12] vgl. Kap. 2, Abb. 2.1). Hierzu gehören u. a. – präoperative Schmerzen im geplanten Operationsgebiet – sonstige chronische Schmerzen (z. B. Kopfschmerzen, Rückenschmerzen) – psychosoziale Faktoren (wie z. B. Überforderung, Stress, Katastrophisierung etc.) – postoperativ starke Schmerzen – ggf. weibliches Geschlecht – niedriger sozioökonomischer Status – Betäubungsmittelmissbrauch. Aus Kombination einiger dieser Faktoren wurde ein Score entwickelt, der Chronic Pain Prevention Screener (CPPS, 11). Wegen seiner Einfachheit und Zuverlässigkeit verwenden wir diesen Score in der präoperativen Routinediagnostik zur Identifizierung von Risikopatienten (unter Verwendung der Faktoren präoperativer Schmerz, Überforderung und Stress).
286 19 Ambulante Operationen
Ein nicht unwesentlicher Faktor für verstärkte postoperative Schmerzen rückt zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen: die Angst [13]. Gerade im ambulanten Bereich ist die Angst nicht zu unterschätzen. Die damit verbundenen starken, unangenehmen Gefühle können zu einer unangemessenen psychologischen Bewältigungsstrategie führen (fear avoidance model). Diese kontraproduktiven Bewältigungsstrategien können – wenn Sie nicht präoperativ entdeckt werden – postoperativ in einer Katastrophisierung oder Kinesiophobie münden. Beides führt dann zu vermehrter Schmerzwahrnehmung, verminderter Patientenzufriedenheit und verzögerter Genesung. Einfache Interventionen wie die kognitive Verhaltenstherapie und progressive Muskelrelaxation können in diesen Fällen helfen die Angst zu lindern, um den postoperativen Schmerz besser zu ertragen ([14], vgl. auch Kap. 6).
19.3.2 Patientenaufklärung Die moderne Hirnforschung hat nachgewiesen, dass die Erwartungshaltung bei einer Therapie ebenso wichtig sein kann wie der Wirkstoff selbst [15]. Somit machen die Aspekte Empathie und Vertrauen zwischen Patient und Chirurg einen wichtigen Teil der Wirkung eines Medikamentes, auch von Analgetika, aus. Man spricht hierbei vom sog. Kontextfaktor (vgl. Kap. 6). Merke: Es ist wesentlich, dass der Chirurg nicht nur über den geplanten Eingriff, sondern auch über die postoperativen Schmerzen – und hier insbesondere in einem positiven, vertrauensvollen Kontext, mit dem Patienten spricht.
Ein entsprechend geführtes Gespräch kann schon zu einer erheblichen Stressreduktion beim Patienten und damit auch zu einer besseren Schmerzbewältigung beitragen. In dem präoperativen Gespräch muss über die zu erwartenden postoperativen Schmerzen und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten informiert werden. Es sollte deutlich gemacht werden, dass die Basismedikation eine wirksame Therapie darstellt und die Nebenwirkungen kalkulierbar sind. Ferner sollte über die erforderliche Dosierung und die durchschnittliche Dauer des Medikamentenbedarfs gesprochen werden. Diese Aspekte sind bei einer ambulanten Operation nochmal umso wesentlicher, da im Verlauf der postoperativen Behandlung der Kontakt mit dem Behandlungsteam nur noch kurz ist.
19.3.3 Wahl des Operationsverfahrens Da bekannt ist, dass bestimmte Operationen, wie zum Beispiel die Cholezystektomie [14], Hämorrhoidektomie [16] und Tonsillektomie [17], sowie Operationen mit langen
19.3 Allgemeine Strategien zur Verbesserung der Schmerztherapie 287
Operationszeiten zu vermehrten postoperativen Schmerzen führen, ist das Wissen um das Operationsverfahrens für die Einschätzung des Schmerzintensitätsrisikos ebenfalls von großer Bedeutung. Prozedurenspezifische Empfehlungen für schmerzreduzierende Operationstechniken und Maßnahmen sollten, wenn möglich, immer beachtet werden. Als Beispiel, welche Bedeutung die richtige Wahl des Operationsverfahrens im ambulanten Bereich hat, sei die Hämorrhoidektomie genannt. So kann bei Anwendung der Ferguson Technik statt der Milligan-Morgan Technik der postoperative Schmerz verringert werden und eine noch weitere Verringerung der Schmerzen kann durch die Nutzung einer Bipolaren Schere wie z. B. der LigasureClamp erzielt werden [16].
19.3.4 Intraoperatives Management Zur wichtigsten, durch den Operateur zu beeinflussenden, Schmerzreduktionsmaßnahmen zählt die Vermeidung von Drainagen im ambulanten Bereich. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Hämatombildung und Wundinfektionsrate durch Drainagen nicht signifikant gesenkt werden können [18]. Daneben sollte das intraoperative Trauma durch atraumatische Operationstechniken reduziert werden, d. h. es sollte minimal invasiven Operationstechniken der Vorzug gegeben werden [19]. Der Hautverschluss sollte spannungsfrei mit resorbierbaren
erhöhtes Risiko postoperativ starke Schmerzen zu entwickeln
ja
Identifikation von Risikonein kein erhöhtes Risiko faktoren und/oder unangefür erhöhte postmessener Angst operative Schmerzen
kann ein schmerzarmes Operationsverfahren angeboten werden nein
ambulante Operation
ja
multimodale Schmerztherapie (prozedurentypisch)
stationäre Behand- ambulante lung erwägen Operation
multimodale Schmerztherapie (prozedurenspezifisch) Gabe von 300 mg Pregabalin präoperativ zur Anxiolyse erwägen
Gabe von 4–10 mg Dexamethason präoperativ erwägen
Abb. 19.1: Entscheidungspfad ambulante vs. stationäre Operation.
Wundkatheter zur Bolusinjektion 2 × tgl. erwägen
288 19 Ambulante Operationen
Nahtmaterial durchgeführt werden. Hautklammern führen nach Studien zu einem etwas erhöhten Schmerzniveau.
19.4 Multimodale Schmerztherapie bei ambulanten Operationen Um eine Reduktion der Einzeldosis eines Schmerzmedikamentes und damit dessen Nebenwirkung zu erzielen, werden in der Schmerztherapie Medikamente unterschiedlicher Stoffgruppen kombiniert. Die sogenannte multimodale (oder auch balancierte) Therapie geht von der Vorstellung aus, dass durch die Kombination von Opiaten, Nichtopiaten, Lokalanästhetika und Regionalanästhesien additive bzw. synergistische Effekte erzielt werden, da die Schmerzausschaltung an verschiedenen Stellen ansetzt. Nebenwirkungen addieren sich dadurch wenig oder gar nicht. Für eine ausführliche Darstellung dieses Konzeptes und der einzelnen Subtanzen vergleiche Kap. 4.1. Trotz Evidenz für eine Effektivität der balancierten Analgesie auch im ambulanten Bereich [20], wird dieses Verfahren hier nicht ausreichend bzw. nur sehr selten genutzt.
19.4.1 Aktuelle Richtlinien Das Konzept der multimodalen Schmerztherapie ist mittlerweile hinreichend evidenzbasiert und in den internationalen Leitlinien fest etabliert. Die Amerikanische Gesellschaft für Anästhesiologie empfiehlt im ambulanten Bereich die Anwendung von regionalen Blocks und die rund um die Uhr Gabe von Cox-2-Inhibitoren, NSARs oder Paracetamol [21]. Die Anwendung von Lokalanästhetika und Nicht-Opioid-Analgetika ist gerade für den ambulanten Bereich von großer Bedeutung. Sie kann nicht nur die Schmerzreduktion verbessern, sondern auch den Bedarf an weiteren Analgetika wie z. B. Opioiden reduzieren bzw. diese ganz vermeiden. Dies ist besonders im ambulanten Bereich von Bedeutung, da Opioide zu einer verlängerten Verweildauer im Aufwachbereich und zu einer Erhöhung der Krankenhauseinweisungen führen. Weitere Substanzen, die besonders bei Risikopatienten für starke postoperative Schmerzen erwogen werden können, sind Alpha-2-delta-Modulatoren (Gabapentin und Pregabalin) [22] sowie N-Methyl-D-Aspartat (NMDA) Rezeptor Antagonisten (z. B. das Ketamin) [23] so wie Alpa-2-Rezeptoren Antagonisten (Clonidin) [24]; hier ist allerdings zu beachten, dass der Einsatz dieser Substanzen zur Schmerzreduktion nach Operationen einen off-label Einsatz darstellt und ebenfalls Nebenwirkungen hat, die im ambulanten Bereich problematisch sein können (z. B. Sedierung bei Gabapentinoiden). Diese Substanzen so wie ihr Nutzen in der perioperativen Schmerztherapie werden ausführlich in Kap. 4 besprochen.
19.5 Gebräuchliche medikamentöse Analgetika zur Schmerztherapie 289
19.4.2 PROSPECT Die unterschiedlichen, chirurgischen Eingriffe (orthopädisch, viszeralchirurgisch, proktologisch oder gefäßchirurgisch) besitzen ihre speziellen Schmerzcharakteristika. Dementsprechend sollte eine prozedurenspezifische Schmerztherapie durchgeführt werden. Spezielle Empfehlungen können auf der PROSPECT Webseite (www. postoppain.org) nachgelesen werden. Leider sind diese Empfehlungen immer noch optimiert für einen stationären Aufenthalt und erfuhren kein „Update“ oder eine Erweiterung für Prozeduren, welche im ambulanten Bereich durchgeführt werden. Sie bedürfen deshalb einiger Modifikationen durch den ambulanten Operateur. Im ambulanten Bereich müssen deshalb auf der Basis der wenigen PROSPECT Vorschläge vom Operateur selbst eigene Protokolle für die häufigsten in der Praxis vorkommenden Operationen entwickelt werden (siehe auch Abb. 19.1).
19.5 Gebräuchliche medikamentöse Analgetika zur Schmerztherapie nach ambulanten Operationen 19.5.1 Nicht-Opioid-Analgetika in der ambulanten Analgesie Nicht-Opioid-Analgetika wie NSAR oder Coxibe sollten in der ambulanten Chirurgie in regelmäßigen Intervallen unter Beachtung der Tagesmaximaldosen und Kontraindikationen (u. a. Asthma bronchiale, Nierenfunktionsstörungen, Herzinsuffizienz, Zerebralsklerose, Störungen der Homöostase) verordnet werden. Wichtig ist, diese Medikamente nicht nach Bedarf zu verordnen, da bei zu später Einnahme der therapeutische Wirkspiegel nicht mehr erreicht wird und eine höhere Dosierung des Nichtopiats erforderlich wäre, um den therapeutischen Wirkspiegel zu erzielen. Selektive COX-2 Inhibitoren sollten zur akuten Schmerztherapie bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen, pAVK und thromboembolischen Erkrankungen, nicht angewendet werden, wegen vermehrt nachgewiesener thromboembolischer Komplikationen. In verschiedensten Metaanalysen wurde gezeigt, dass NSAR und auch Metamizol wirksamer als Paracetamol sind und bei Metamizol noch ein spasmolytischer Effekt hinzukommt [25]. Die Kombination von NSAR mit Paracetamol (und wahrscheinlich auch weitere Kombinationen wie NSARs und Metamizol) können möglicherweise einen additiven Effekt aufweisen und sind gerade in der ambulanten Analgesie von Vorteil, wenn kein Opioid zur Verfügung steht oder dies unbedingt vermieden werden soll (vgl. Kap. 4).
290 19 Ambulante Operationen
19.5.2 Opioide in der ambulanten Analgesie Die Gabe von starken Opiaten spielt eine wichtige Rolle bei ambulanten Operationen im Aufwachraum. Patienten mit einem hohen Bedarf kurz nach der Operation brauchen ggf. auch im Verlauf mehr Opioid. Allerdings scheuen viele Operateure, Opioide auch für zu Hause zu verschreiben, z. B. aus Angst vor einer möglichen Sedierung, Atemdepression, Übelkeit, Obstipation und Harnverhalt. Es sollten beim ambulanten Patienten, wenn immer möglich, den schwächeren mittelstarken Opiate Tramadol oder Tilidin/Naloxon der Vorzug gegeben werden – am Besten in Kombination mit antiemetischen Medikamenten und ggf. Laxantien.
19.5.3 Ko-Analgetika Gabapentin und Pregabalin führen, präoperativ verabreicht, zu einer Anxiolyse und Sedierung des Patienten. Sie wirken darüber hinaus ggf. auch analgetisch und haben einen opioidsparenden Effekt und können bei einigen Patienten das PONV -Risiko verringern ([26–28] vgl. hierzu auch Kap. 4). Wie im stationären Setting sind aber auch im ambulanten Bereich die verfügbaren Studien nicht eindeutig bezüglich der Schmerzreduktion [29]. Hinzu kommt der sedierende Effekt in höheren Dosen (die es wahrscheinlich braucht, um einen zuverlässigen Effekt zu erzielen), welcher in der ambulanten Chirurgie unerwünscht ist. Eine Studie bei orthopädischen Patienten konnte aber nachweisen, dass 300 mg Pregabalin zu einer präoperativen Anxiolyse und Verminderung des Opioidbedarfs beitrug, ohne dass es zu einer vermehrten Sedierung kam, welche die Entlassung aus dem Aufwachraum verzögerte [30]. Insgesamt bleibt aber – wie im stationären Bereich auch – die Wirksamkeit in der akuten Schmerztherapie limitiert und ist wahrscheinlich nur auf Kosten von Nebenwirkungen zu erzielen. Zur Prävention chronischer Schmerzen durch diese Substanzen siehe ebenfalls Kap. 4.
19.5.4 Kortikosteroide Eine vor kurzem veröffentliche Metaanalyse zeigte, dass die perioperative Gabe von Dexamethason nicht nur PONV sondern auch den postoperativen Schmerz und den Opioidbedarf reduziert. 4–10 mg Dexamethason perioperativ wird nunmehr im ambulanten Bereich als wertvoller Baustein der multimodalen Therapie angesehen [31].
19.6 Lokale und regionale Anästhesieverfahren in der ambulanten Chirurgie 291
19.6 Lokale und regionale Anästhesieverfahren in der ambulanten Chirurgie Der sinnvollste Schritt wäre, den Schmerz am Entstehungsort zu bekämpfen, bevor er das Rückenmark oder das Gehirn erreicht und dort dann wieder mit nebenwirkungsbehafteten Medikamenten gedämpft werden muss. Es hat sich gezeigt, dass Regionalanalgesieverfahren am effektivsten postoperative Schmerzen reduzieren können; im ambulanten Bereich ist ihr Einsatz aber nicht unumstritten. Zu allgemeinen und speziellen Aspekten der Regionalanalgesie wird hier auf das Kap. 5 verwiesen. Im Folgenden werden spezielle Aspekte der Regionalanalgesie bezüglich ambulanter Eingriffe kurz aufgegriffen.
19.6.1 Infiltrationsanästhesien Die Anwendung einer Infiltrationsanästhesie mit Lokalanästhetika am Ende der Operation sollte mittlerweile bei jeder Operation selbstverständlich sein. Bei mittellang wirkenden Lokalanästhetika wie Lidocain, Mepivacain oder Prilocain beträgt die analgetische Wirkung in Abhängigkeit vom blockierten Nerv 2–3 Stunden. Sie sollten deshalb durch lang wirksame Lokalanästhetika, wie Bupivacain, Levobupivacain oder Ropivacain, ersetzt werden. Damit können Analgesiezeiten von mindestens 4– 6 Stunden erzielt werden. Ropivacain zeichnet sich zudem noch durch eine niedrigere Kardiotoxizität und geringere motorische Blockade aus; weshalb wir dieses Medikament im ambulanten Bereich bevorzugen. Durch die Zugabe von Clonidin (< 1ug/ kg) kann die Wirkungsdauer bis zu 12 Stunden verlängert werden. Bei dieser Dosierung von Clonidin treten auch nur geringe Auswirkungen auf den Blutdruck oder die Herzfrequenz auf ([32], vgl. Kap. 5).
19.6.2 Periphere Nervenblockaden Single-Shot Verfahren In vielen Studien wurde eine gute Effektivität der peripheren Nervenblockaden bei geringer Nebenwirkungsrate bestätigt. Dazu zählen die (single shot) Blockade der Nn. ileoinguinalis und hypogastricus bei der Leistenhernienoperation und der Femoralisblock bei der Operation des vorderen Kreuzbandes. Faszienblöcke wie der TAP (Transversus Abdominis Plane) Block bei der laparoskopischen Hernienoperation oder bei der Cholecystektomie sind ebenfalls interessante Blockadetechniken, werden allerdings nicht den Nervenblockaden zugeordnet (vgl. Kap. 5). Single shot Spinalanästhesien stellen für die ersten Stunden nach Operation auch effektive Analgesieverfahren dar. Der Patient kann aber erst entlassen werden, wenn die Blockade von Sensorik und Motorik rückläufig ist. Bei rückenmarknahen Verfahren ist zusätz-
292 19 Ambulante Operationen
lich die Funktion der Blase ein weiteres Kriterium für die Entlassung. Patienten müssen über das potenzielle Auftreten von „transienten neurologischen Symptomen (TNS)“ informiert sein. Auch die Aufklärung über potenzielle postspinale Punktionskopfschmerzen ist obligatorisch. Die Befunde der Abschlussvisite durch den Anästhesisten müssen dokumentiert werden. Kontinuierliche Regionalanalgesieverfahren Im ambulanten Bereich werden aus juristischen und organisatorischen Gründen peridurale Katheter in Deutschland nicht eingesetzt. Bei mittleren Eingriffen wird aber die Implantation von Wundkathetersystemen empfohlen, welche eine kontinuierliche Abgabe eines Lokalanästhetikums in niedrigen Mengen in den Wundbereich über einen einfachen Pumpenmechanismus ermöglichen. Die Effektivität und Sicherheit dieser Verfahren wurden in mehreren Studien vor allem aus dem anglosächsischen Bereich und skandinavischen Ländern publiziert [33]. In Deutschland erfordern diese Systeme aber eine rasche ärztliche Verfügbarkeit und in der Regel eine mehrmals tägliche Betreuung durch einen ambulanten Pflegedienst. Auf Grund des Wirtschaftlichkeitsgebotes wird derzeit im ambulanten Bereich eine extrabudgetäre Finanzierung von den gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt. Wir implantieren deshalb nur einen Wundkatheter ohne Pumpensystem und führen eine 1–2-malige tägliche Bolusgabe über den liegenden Katheter mit einem langwirksamen Lokalanästhetikums durch. Zur Auswahl für einen Wundkatheter kommen bei uns Patienten, die bereits präoperativ einen hohen CPPS (chronic pain prevention screener) [11] haben. Bei diesen Patienten ist mit einer erniedrigten Schmerzschwelle zu rechnen und es besteht die Gefahr der Chronifizierung des Schmerzes. Regionalanalgesieverfahren haben sich als präventiv diesbezüglich herausgestellt (vgl. hierzu Kap. 2).
19.7 Nichtmedikamentöse analgetische Techniken Zu den nichtmedikamentösen Basismaßnahmen zählen, wie in der Klinik, im ambulanten Bereich: Ruhigstellung, physikalische Maßnahmen wie z. B. Kühlung, Kompression, adäquate Lagerung sowie psychologische Entspannungs- und Imaginationstechniken. (Details hierzu s. Kap. 21.4)
19.8 Schmerztherapie nach ambulanten Operationen im häuslichen Umfeld 293
19.8 Schmerztherapie nach ambulanten Operationen im häuslichen Umfeld 19.8.1 Anweisungen für Patienten und Angehörige Wie bereits erläutert sollte der Patient keine unnötigen starken Schmerzen zu Hause erleiden, da dies zum einen für den Patienten unakzeptabel ist und zu unnötigen Vorstellungen beim Hausarzt, in der Notfallambulanz oder Krankenhausaufnahme führen kann. Deshalb sollten genaue schriftliche Anweisungen dem Patienten und seinen Angehörigen mitgegeben werden, in denen der Patient entnehmen kann, wie er die Schmerzmittel einnehmen muss und bis wie weit er die Medikation steigern kann, wenn der Schmerz stärker wird. Es muss auch Vorsorge getroffen werden, für die Zeit, in der der Patient mobiler wird oder vielleicht plötzlich extrem starke Schmerzen erleiden kann, wie z. B. bei der Defäkation nach einer Hämorrhoidenoperation. Gleiches gilt nach Abklingen einer Regionalanalgesie, die dazu führt, dass der Patient bei Entlassung vielleicht noch schmerzarm war, aber im Verlauf Schmerzen entwickeln kann. Neben medikamentöser Therapie sollte auch auf nichtmedikamentöse Verfahren hingewiesen werden. Merke: Zusammen mit dem Schmerzmittelrezept bildet der Anweisungsbogen für die unmittelbare Zeit nach der Operation das „Entlassungsschmerzpaket“.
Operation bei der vermehrte postoperative Schmerzen zu erwarten sind
intensive Aufklärung mit Erläuterung des NRS und Verhalten bei starken Schmerzen zu Hause
keine weiteren NRS ist zu Hause nein Maßnahmen konstant > 5 erforderlich ja
telefonische Erreichbarkeit sicherstellen (Operation an Wochenanfang legen) Entlassungsschmerzpaket mit Opiat (Oxycodon 5 mg) bereitstellen
max. 2-malige Gabe von Oxycodon 5 mg keine Besserung stationäre Einweisung erwägen
Abb. 19.2: Entscheidungspfad postoperative Analgesie nach ambulanter Operation.
19.8.2 Messung, Dokumentation und Qualitätssicherung Die Schmerzerfassung und Dokumentation sind ein wesentlicher Bestandteil der Akutschmerztherapie. Im ambulanten Bereich hat sich die Numerische Rating Skala
294 19 Ambulante Operationen
(NRS) zur Erfassung der Schmerzintensität bewährt, denn sie kann auch telefonisch gut erfolgen. Grundsätzlich sollte der Schmerz in Ruhe, bei Mobilisation und Respiration erfragt werden. In vielen Studien konnte gezeigt werden, dass der NRS ein valides und objektives Messinstrument ist. Es konnte ferner nachgewiesen werden, dass der Schmerz vom behandelten Arzt signifikant niedriger bewertet wurde als vom Patienten selbst. Deshalb muss die vom Patienten geäußerte Schmerzstärke als Grundlage für die Therapie verwendet werden. Ein Wert von bis zu 3/10 in Ruhe und bis zu 5/10 bei Mobilisation gilt bei vielen Autoren als akzeptabel [34]. Höhere Werte werden als behandlungsbedürftig angesehen. Da ein Patient, der ambulant operiert wurde, in der Regel weitaus mobiler unterwegs ist als ein Patient im Krankenhaus, ist öfters mit einem Wert über 5/10 NRS zu rechnen. Zur Qualitätssicherung wird in der Klinik das QUIPS-Tool verwendet. Inzwischen ist dieses Modul auf den ambulanten Bereich erweitert worden. Im Prinzip stellt dieses Tool ein valides Instrument zur Qualitätssicherung auch im ambulanten Bereich dar [15]. Da die Eingabe der Daten jedoch im Schnitt 9 Minuten dauert, würde dies bei 30–40 Operationen pro Woche eine medizinische Fachangestellte 240–360 Minuten binden und dies ohne eigentlichen wirtschaftlichen Gegenwert. „High Volume“ Praxen werden deshalb nur sehr schwierig von der Notwendigkeit dieses Tools überzeugt werden können. Referenzen [1]
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20 Organisation Akutschmerzdienst Joachim Erlenwein
20.1 Anspruch auf Schmerzbehandlung des Patienten Schmerzen im Rahmen operativer Eingriffe und Prozeduren sind für Patienten nicht nur unangenehm und individuelles Leiden. Starke Schmerzen erhöhen auch das perioperative Risiko von Komplikationen, beeinflussen das funktionelle operative Ergebnis und erhöhen entsprechende Versorgungs- und Folgekosten. Ein Anspruch auf Schmerzfreiheit, wie er teils suggeriert wird, ist medizinisch nicht realistisch und rechtlich nicht existent. Patienten haben im Rahmen ihrer Behandlung jedoch einen Rechtsanspruch auf Schmerzbehandlung, dem maßstäblich der Facharztstandard und der aktuelle Stand der Medizin zugrunde liegen [1]. Als behandelnder Arzt ist dabei nicht nur auf die aktive Behandlung von Schmerzen zu fokussieren, sondern auch auf deren Prävention. „…Eine ungenügende Schmerztherapie, oder auch schon die Vernachlässigung der Prävention von Schmerzen“ kann im strafrechtlichen Sinne Folgen haben [2]. Der Tatbestand der Körperverletzung ist erfüllt, „wenn Schmerzen verschlimmert, aufrechterhalten und nicht gelindert werden“ [2]. Merke: In der Pflicht, eine adäquate Schmerztherapie zu leisten, stehen nicht nur die aktiv handelnden Mitarbeiter, sondern auch die Chefärzte und die Klinikleitung im Rahmen ihrer Organisationsverantwortung.
Immer wieder wurde aufgezeigt, dass neben fehlendem Wissen an der Schmerztherapie gerade aufgrund organisatorischer Defizite eine unzureichende Versorgungsqualität in der perioperativen Schmerzbehandlung besteht. Umgekehrt lässt sich darstellen, dass durch Implementierung von Versorgungsstrukturen und Behandlungsabläufen Qualitätsverbesserungen erreicht werden [3,4]. Ein organisatorischer Versorgungsrahmen sollte deshalb in jeder Klinik den „Raum“ schaffen, der eine adäquate Behandlung perioperativer Schmerzen ermöglicht.
20.2 Konzeptioneller Versorgungsrahmen im Krankenhaus Die Behandlung perioperativer Schmerzen ist ein Paradebeispiel für einen fach-, professions- und abteilungsübergreifenden Prozess mit zahlreichen Schnittstellen. Schnittstellenübergreifende Regelungen erlangen somit eine besondere Bedeutung. In dieser spezifischen Ausgangslage ist eine Verantwortungsübernahme des Krankenhausbetreibers wesentlich. Es empfiehlt sich hier, analog zu anderen Bereichen mit übergreifendem Regelungs- und Steuerungsbedarf (Transfusions- und Hygienewesen) für das Krankenhaus einen übergreifend verantwortlichen (Schmerz-)Beaufhttps://doi.org/10.1515/9783110597486-020
298 20 Organisation Akutschmerzdienst
tragten zu implementieren. (s. auch Kap. 20.7 „Zusammenarbeit im interdisziplinären Versorgungskontext“) Konzeptionell lässt sich bei der Behandlung von Patienten mit perioperativen Schmerzen im Krankenhaus – entsprechend eines abgestuften Ressourceneinsatzes – zwischen allgemeinen und spezialisierten Versorgungsstrukturen unterscheiden: (1) Aufgaben und Selbstverständnis der allgemeinen schmerztherapeutischen Versorgung basieren auf der rechtlichen Verantwortung des primär behandelnden Arztes. Dies ist im Bereich des OPs und der anästhesiologisch geführten Überwachungseinheiten (z. B. Aufwachraum, Intensivstation) der verantwortliche Anästhesist, in den chirurgischen Verantwortungsbereichen der verantwortliche Chirurg. Diese werden jeweils durch die nicht-ärztlichen Bereichsmitarbeiter unterstützt. Diese Pflicht umfasst nicht nur die ausreichende symptombezogene Behandlung der Schmerzen. Sie umfasst ebenso die umfassende Prävention und Hinzuziehung eines geeigneten Spezialisten bzw. einer fachkundigen Einrichtung, wenn die Grenzen des eigenen Wissens und die Fähigkeiten zur Schmerzbehandlung erreicht sind [2]. Auf Ebene der allgemeinen schmerztherapeutischen Versorgung sollten bereits bei Beginn einer Behandlung durch den primär verantwortlichen Arzt Risikofaktoren für ungünstige Verläufe, ein verstärktes Schmerzerleben oder funktionelle Einschränkungen erfasst und bei der Behandlungsplanung berücksichtigt werden. Medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapiemaßnahmen sollten unmittelbar nach Aufnahme patientenindividuell angeordnet werden. (2) Neben der Unterstützung der allgemeinen Versorgungsebene bei differenzierten schmerzmedizinischen Fragestellungen und Therapiekonzepten, oder bei Patienten mit entsprechender Komorbidität (z. B. chronische Schmerzen, Opioid-Anhängigkeit) erfordern bestimmte Eingriffe mit speziellen Analgesietechniken die Betreuung durch schmerzmedizinisch spezialisierte interprofessionelle Teams (= spezialisierte Versorgung). Diese Teams agieren abteilungs- und fachübergreifend ergänzend zur allgemeinen Behandlung. Wichtig ist, dass in der Schmerzbehandlung die allgemeinen und spezialisierten Versorgungstrukturen nicht unabhängig voneinander agieren, sondern gegenüber dem Patienten als interdisziplinäres Behandlungsteam auftreten, in das die jeweilige Fachkompetenz eingebracht wird. Dies erfordert eine enge Kommunikation und Therapieabstimmung (s. Abb. 20.1). Schmerzmedizinisch spezialisierte Teams können auch im Sinne der Organisationsverantwortung der Krankenhausleitung den Patientenanspruch auf angemessene Schmerztherapie sichern. Die Berufsverbände der Chirurgen und Anästhesisten empfehlen im Rahmen ihrer aktualisierten gemeinsamen Vereinbarung zur Zusammenarbeit in der Schmerztherapie für die spezialisierte Patientenversorgung einen Schmerzdienst (SD) [16].
20.3 Akutschmerzdienste 299
spezialisierte Versorgung Akteure: Schmerzdienst mit schmerzmedizinisch spezialisiertem Arzt, pflegerischen Schmerzexperten ggf. Psychologe, Physiotherapeut, andere Fachberatung
Techniken/Verfahren: spezielle Analgesie-Techniken (patientenkontrollierte Analgesie, Periduralkatheter, periphere Nervenkatheter), schmerzmedizinische Konsile, Beratung, Mitbehandlung, Anbindung an spezialisierte Einrichtungen (z.B. Schmerzmedizin, Palliativmedizin, Psychiatrie), Schulung von Stationsmitarbeitern, psychologische Betreuung
Fachkompetenz
interdisziplinäres Behandlungsteam
Patienten
Beratung/ Schulung
Feedback
Fachkompetenz allgemeine Versorgung Akteure: Stationspflege, Stationsarzt, Operateur, Anästhesisten, Physiotherapeuten
Techniken/Verfahren: Schmerzanamnese, Schmerzerfassung und Dokumentation, Konzepte zur Schmerz Prophylaxe und Therapie, Behandlungsstandards (Sicherung der Handlungsfähigkeit des Stationspersonals!), festgelegte Interventionstrigger, ab denen z.B. schmerzmedizinisch spezialisierte Versorgungsstrukturen hinzugezogen werden
Abb. 20.1: Möglichkeiten der Interaktion zwischen allgemeiner und spezialisierter Versorgung in der perioperativen Akutschmerztherapie (verändert nach Erlenwein et al. [18]).
20.3 Akutschmerzdienste Erste Versorgungsmodelle sogenannter Akutschmerzdienste (ASD) entstanden ab 1985, zunächst vorwiegend in Krankenhäusern in den USA und Deutschland (Übersicht in [17]). Die Implementierung dieser spezialisierten Versorgungsteams erfolgte vorwiegend um Techniken, wie die patientenkontrollierte intravenöse Analgesie und peridurale Katheterverfahren auf peripheren Stationen zu ermöglichen [5]. Mit der Etablierung von ASD ergaben sich parallel 2 wesentliche Entwicklungen: 1. breitere Nutzung spezieller Analgesieverfahren 2. Verbesserung chirurgischer Möglichkeiten und Techniken. Inzwischen hat sich die Versorgungsform des ASD in der klinischen Praxis weitgehend etabliert. Die zuletzt gültige Version der deutschen S-3 Leitlinien zur Akut-
300 20 Organisation Akutschmerzdienst
schmerztherapie enthält die Empfehlung der Implementierung eines ASD [6]. Auch international wird das Model des ASD präferiert [7,8]. Allerdings existierte bisher kein Konsens über strukturelle Anforderungen. Einzig waren fünf Minimalkriterien vorgeschlagen worden, die aus Expertensicht im Rahmen einer wissenschaftlichen Befragung im Jahr 2002 beschrieben wurden [9]: – Personal für Visiten – Organisation auch während des Bereitschaftsdienstes – schriftliche Vereinbarungen – regelmäßige Erhebung von Schmerz-Scores – regelmäßige Dokumentation von Schmerzen. International beschrieben sind zudem verschiedene personelle Versorgungskonzepte (Arzt-basiertes Modell, Arzt und Pflege als Team, pflegebasiertes Modell), wobei jedoch in Deutschland eine pflegebasierte Versorgung aufgrund der rechtlichen Anforderungen an die Delegation ärztlicher Leistungen nicht umsetzbar ist. Die in den Kliniken derzeit vorgehaltenen Strukturen zur innerklinischen schmerzmedizinischen Versorgung sind derzeit recht unterschiedlich: – In 80 % der deutschen Krankenhäuser ist ein ASD implementiert, jedoch ohne Berücksichtigung spezifischer Kriterien oder Definitionen und entsprechender personeller Ausstattung. – Berücksichtigt man die im Jahr 2002 beschriebenen Minimalkriterien, werden diese nicht einmal von der Hälfte der derzeit implementierten ASD erfüllt [10]. – Besonders kritisch erscheint dabei die sich mehrheitlich schlecht darstellende personelle Ausstattung: nur in 24 % der Krankenhäuser mit ASD sind in der Personalstellenplanung ärztliche Stellenanteile hierfür vorgesehen, für Pflegende in 50 % der Krankenhäuser [11]. – Zudem erscheint es kritisch, dass die ASD in den meisten Krankenhäusern auf die postoperative Betreuung von invasiven Analgesieverfahren ausgerichtet sind, nicht aber auf die Betreuung komplexer Schmerzpatienten (z. B. Patienten mit vorbestehenden Schmerzen) oder die Umsetzung einer differenzierten schmerzmedizinischen Diagnostik und Therapie. Bestimmte Notwendigkeiten ergeben sich jedoch allein schon aus rechtlichen und organisatorischen Gründen (Abb. 20.2). Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) veröffentliche im Jahr 2019 eine Empfehlung für „Personelle und organisatorische Voraussetzungen für Schmerzdienst in Krankenhäusern“, welche explizit auf die Organisationsverantwortung der Klinikleitung verweist, zu diesem Zwecke ausreichende Ressourcen zur Verfügung zu stellen [18].
20.4 Vom Akutschmerzdienst zum Schmerzdienst 301
Verantwortung für Therapieverfahren (z. B. patientenkontrollierte Analgesieverfahren, Versorgungsstrukturen für 24 Stunden/7 Tage) Organisationsverantwortung Anspruch auf Facharztstandard und Schmerzbehandlung nach dem aktuellen medizinischen Stand ärztliche Leistung: Delegation ärztlicher Leistungen an nicht-ärztliche Mitarbeiter: 1. anordnen, 2. beaufsichtigen und 3. überprüfen persönlicher Kontakt des Arztes zum Patienten vor Anordnung und Delegation erforderlich, Überwachung einer medikamentösen Therapie ist eine Leistung des ärztlichen Kernbereichs (= ist nicht-delegierbar) Anforderungen des Betreuungsspektrum (operativ/nicht-operativ/Kinder usw.) Anforderungen des Patientenkollektivs (z. B. Komorbidität) strukturelle und organisatorische Gegebenheiten des Krankenhauses (z. B. mehrere Standorte, Pavillonsystem vs. Zentralklinikum) Abb. 20.2: Rechtliche und organisatorische Implikationen für Akutschmerzdienste.
20.4 Vom Akutschmerzdienst zum Schmerzdienst Nicht nur begrifflich, sondern auch inhaltlich zeigt sich eine Heterogenität in der Ausgestaltung der ASD. Dabei zeigt sich eine große Varianz in der fachlichen Breite des Therapieangebots. So ist ein Großteil der derzeitigen Dienste auf die Betreuung von invasiven Analgesieverfahren ausgerichtet. Nur ein geringer Anteil vermag es, differenzierte Therapiekonzepte nach dem biopsychosozialen Schmerzverständnis umzusetzen. Die DGAI-Empfehlung „Personelle und organisatorische Voraussetzungen für SD in Krankenhäusern“ [18] definiert einen SD anhand des zu erfüllenden Tätigkeitsspektrums: Ein solcher (immer) ärztlich geleiteter Dienst soll klinikweit die spezialisierte schmerzmedizinische Versorgung von Patienten sicherstellen und gleichzeitig in der Regelversorgung idealer Weise die personelle Verfügbarkeit und notwendige qualifikatorische Expertise zur Diagnostik und Behandlung akuter, chronischer, und tumorassoziierter Schmerzen garantieren. Zur Vermeidung zusätzlicher Schnittstellen sollen somit die Anforderungen aller schmerzmedizinischen Aspekte unter dem Dach eines einzelnen Dienstes im Krankenhaus erfüllt werden.
302 20 Organisation Akutschmerzdienst
Infobox 20.1: Die DGAI definiert folgende Tätigkeitsfelder, die sich aus der Praxis der innerklinischen spezialisierten schmerzmedizinischen Versorgung ergeben 1. die Betreuung von Patienten mit invasiven Analgesieverfahren (z. B. von Katheterverfahren und der patientenkontrollierten Analgesie), 2. eine schmerzmedizinische Beurteilung und Beratung (Konsiliartätigkeit) des primär behandelnden Arztes, z. B. bei diagnostischen Fragestellungen oder zur Ausarbeitung von differenzierten Therapiekonzepten und 3. die schmerzmedizinische Mitbehandlung (Liaisontätigkeit) während eines Krankenhausaufenthaltes im Auftrag des primär behandelnden Arztes, z. B. bei der Umsetzung, Mitbehandlung oder Ausführung von Therapiekonzepten bei selektierten Patienten mit besonderem Behandlungsbedarf. Außerdem wird anstatt des etablierten Begriffs des „ASD“ der Begriff des „Schmerzdienstes“ (SD) präferiert, unter anderem um die Breite der krankenhausweiten Versorgung darzustellen. Dieser wird bevorzugt im Folgenden verwendet.
20.5 Personelle und organisatorische Voraussetzungen für Schmerzdienste In der Empfehlung verweist die DGAI darauf, dass personelle Ressourcen des SD so kalkuliert und bereitgestellt werden sollten, dass sie – gesetzliche Anforderungen zum Arbeitsschutz, – haftungs- und vertragsrechtliche Grundsätze der Patientenversorgung und – zeitliche Ressourcen für Dokumentation, Qualitätsmanagement sowie Fort- und Weiterbildung sicherstellen können. Für die Qualifikation des ärztlichen Leiters wird empfohlen, dass dieser neben der Facharztqualifikation die Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“ führt sowie einen 50-Stundenkurs zur „psychosomatischen Grundversorgung“ absolviert haben sollte (Hinweis: Übergangsfrist von 5 Jahren, da die Qualifikation Spezielle Schmerztherapie bisher nicht flächendeckend sichergestellt ist). Diese Empfehlungen zur Qualifikation des Leiters wurden analog auch in der Aktualisierung der Vereinbarung zwischen den Berufsverbänden zur Zusammenarbeit bei der Schmerzbehandlung chirurgischer Patienten aufgegriffen. Jeder im SD tätige Arzt soll den Facharztstandard erfüllen, nicht-ärztliche Mitarbeiter, die im SD eingesetzt werden, sollen eine Zusatzqualifikation zum Pflegerischen Schmerzexperten (z. B. Pain Nurse, Algesiologische Fachassistenz) absolviert haben. Da die strukturellen und baulichen Gegebenheiten von Krankenhäusern sehr unterschiedlich sind und der notwendige personelle Ressourceneinsatz somit abhängig von Lage und Größe (z. B. Zentralklinikum vs. Pavillonsystem, mehrere Standorte) ist, muss bei der Personalkalkulation ein entsprechender Mehraufwand z. B. durch größere Wegstrecken zwischen Therapieeinheiten berücksichtigt werden. Unabhän-
20.5 Personelle und organisatorische Voraussetzungen für Schmerzdienste 303
gig von baulichen und organisatorischen Gegebenheiten werden Richtwerte als Anhalt zur Einschätzung des Personalaufwandes für den SD definiert. Als Maßstab bei der Betreuung von invasiven Analgesieverfahren sollten mindestens zwei Patientenkontakte pro Tag erfolgen können, wobei der Erstkontakt mit mind. 20 Minuten, Folgekontakte mit mind. 10 Minuten zu kalkulieren sind. Entsprechend des Delegationsprinzips soll täglich mindestens eine Visite durch einen Arzt erfolgen. Bei Kontakten im Rahmen der Konsiliar- und Liaisontätigkeit werden für den Erstkontakt mindestens 45 Minuten, sowie für Folgekontakte mindestens 20 Minuten kalkuliert. Bei der Tageseinteilung und Besetzung des SD sollte ein häufiger Wechsel der Mitarbeiter nach Möglichkeit vermieden werden, da dieser oft mit Informationsverlusten einhergeht. Zur Vermittlung von Kompetenzen in der Schmerzbehandlung sollten Weiterbildungsassistenten im Rahmen von festen Rotationen (mind. 2 Monate mit täglichen Patientenkontakten) aktiv in die Tätigkeit im SD eingebunden werden. Hier ist eine ausreichende Supervision durch den leitenden Arzt des SD mit Einführungs- und Abschlussgespräch sinnvoll. Die zu erwerbenden Fähigkeiten und Kenntnisse, welche die DGAI als Zielsetzung hierzu empfiehlt, sind in Infobox 20.2 dargestellt. Infobox 20.2: Fähigkeiten und Kenntnisse in der Weiterbildung im Schmerzdienst nach DGAI Empfehlung Medizinische und rechtliche Grundlagen – Schmerzphysiologie (Nozizeption, Weiterleitung und Verarbeitung) – psychologischer Einfluss auf das Schmerzerleben – Kenntnisse zu Risikofaktoren für starke Schmerzen und deren Folgen und Kenntnisse zu Chronifizierungsmechanismen – Biopsychosoziales Schmerzverständnis und Kenntnisse zu wichtigen Krankheitsbildern in der Schmerzmedizin, Differenzialdiagnosen und Psychische Komorbiditäten – rechtliche Grundlagen Untersuchung – Schmerzerfassung bei Patienten, inkl. spezieller Patientengruppen (Kinder und Jugendliche, intubierte Patienten, Patienten mit kognitiven Einschränkungen) – Fähigkeit eine Schmerzanamnese durchzuführen – Fähigkeit zur körperlichen Untersuchung des Bewegungsapparates inkl. orientierender neurologischer Untersuchung Therapie – Mechanismen-orientierte Therapie mit Analgetika, Co-Analgetika und Adjuvantien sowie Lokalanästhetika, invasiven Verfahren inkl. anatomischer Grundlagen, Kenntnisse zu nicht-medikamentösen Verfahren – Kenntnisse und Fähigkeiten zur Schmerztherapie bei Kindern und Jugendlichen, Alten, Schwangeren und stillenden Frauen, beim Patienten mit chronischen Schmerzen, Patienten mit Opioidvormedikation, beim abhängigen oder ehemals abhängigen bzw. substituierten Patienten – einfache psychologische Interventionen
304 20 Organisation Akutschmerzdienst
– –
Kenntnisse und Fähigkeiten zur Prävention, differentialdiagnostischen Abklärung und Behandlung von Komplikationen in der Schmerztherapie Kenntnisse zu Missbrauch von Analgetika und deren Prävention
Technik und Organisation – Kenntnisse über technische Aspekte (Schmerzpumpe/Pumpensysteme und Pflastersysteme) – organisatorische Kenntnisse
Außerdem sollte eine regelmäßige Fortbildung aller am SD beteiligten Mitarbeiter erfolgen. Die DGAI empfiehlt hierzu mind. 3 dokumentierte Fortbildungsstunden zum Thema Schmerzmedizin im Jahr. Neben personellen Ressourcen bedarf es einer apparativen und technischen Basisausstattung (s. Infobox 20.3) sowie der Verfügbarkeit von Lagerungsräumen. Bei Bedarf sollten die Mitarbeiter des SD Untersuchungsräume ohne Anwesenheit eines potenziellen Bettnachbarn nutzen können. Infobox 20.3: Apparative und technische Basisausstattung des Schmerzdienstes nach DGAIEmpfehlung – Messinstrumente zur Erfassung der Schmerzintensität (alters- und kognitionsgerecht) – Hilfsmittel zur körperlichen und orientierend-neurologischen Untersuchung – mobiles Pulsoximeter (CE und betriebsgeprüft) – Verbands-/Visitenwagen oder anderes Behältnis (oder eine stationsgebundene Lösung) zur hygienischen Lagerung von Verbands- und Verbrauchsstoffen für die Visiten auf den Stationen – Verbands- und Verbrauchsstoffe, Ersatz für Pumpensysteme – ein in allen Bereichen zugängliches oder eigenes Dokumentationssystem – mobile Pumpensysteme und/ oder stationäre Spritzenpumpen (CE und betriebsgeprüft)
20.6 Rechtliche Grundlagen zur Delegation ärztlicher Leistungen Die Akutschmerztherapie ist eine schnittstellenreiche interprofessionelle und interdisziplinäre Aufgabe, sodass eine vertrauensvolle und geregelte Zusammenarbeit aller Beteiligten von hoher Bedeutung ist. Aufgrund des Arztvorbehaltes ist ein rein pflegebasiertes Modell in Deutschland nicht umzusetzen, dennoch muss nicht jede ärztliche Leistung durch den Arzt persönlich erfolgen. Dieser kann unter bestimmten Voraussetzungen ärztliche Tätigkeiten an nicht-ärztliches Personal delegieren. Hierzu bedarf es zunächst eines Arzt-Patienten-Kontaktes. Außerdem muss ein Arzt die zu delegierende Tätigkeit 1) anordnen, 2) beaufsichtigen und 3) überprüfen. Delegation setzt die unmittelbare Erreichbarkeit des Arztes voraus. Delegationsfähig sind Tätigkeiten, die nicht „aufgrund ihrer Gefährlichkeit oder wegen der Unvorhersehbarkeit etwaiger Reaktionen ärztliches Fachwissen voraussetzen und deshalb vom Arzt persönlich durchzuführen sind“.
20.7 Zusammenarbeit im interdisziplinären Versorgungskontext 305
Merke: Tätigkeiten des ärztlichen Kernbereichs, z. B. Anamnese, Befunderhebung und Bewertung, Indikationsstellung, Aufklärung, Therapieplanung, Therapieentscheidungen können nicht delegiert werden [12].
Dies ist organisatorisch von Bedeutung, da es sich bei den Tätigkeiten der klinischen Praxis des SD meist genau um solche Tätigkeiten handelt. So ist beispielsweise im Hinblick auf eine medikamentöse Therapie nur die Applikation von Medikamenten delegierbar, wohingegen die Überwachung der Therapie dem Arzt persönlich obliegt. Die Delegation ärztlicher Tätigkeiten ist jeweils im Einzelfall zu prüfen. Der Rahmen einer Delegationsbefugnis wird gerade im SD überschritten, da die Pflegekraft darüber entscheiden muss, wann sie den delegierenden Arzt um Entscheidungshilfe bittet und wann nicht. Bzgl. pflegerischer Zusatzqualifikationen zum Pflegerischen Schmerzexperten (z. B. Pain Nurse, Algesiologische Fachassistenz) muss eine klare Abgrenzung zwischen einer damit einhergehenden fachlichen Qualifikation von mehr Entscheidungsbefugnis erfolgen. Aus juristischer Sicht geht die Qualifikation zum Pflegerischen Schmerzexperten jedoch nicht mit einer Erweiterung der Entscheidungs- oder Therapiekompetenz einher, schon gar nicht ergibt sich hier eine Legitimation für eine selbstständige Tätigkeit im Sinne eines Ersatzes des Arztes (Substitution ärztlicher Tätigkeiten) [12]. Die Übertragung einer nicht-delegierbaren ärztlichen Kernaufgabe stellt einen Behandlungsfehler dar und geht für den übertragenden Arzt mit entsprechendem Risiko einher; für denjenigen der die Tätigkeit übernimmt stellt dies ein Übernahmeverschulden dar [2,12].
20.7 Zusammenarbeit im interdisziplinären Versorgungskontext Zur Einbeziehung spezieller Versorgungsstrukturen kann es im Behandlungsverlauf zu unterschiedlichen Zeitpunkten kommen (Abb. 20.3). Die Zusammenarbeit kann primär geplant sein oder sich aufgrund von Hinzuziehung im Behandlungsverlauf ergeben. Dementsprechend sollten auch klinikintern Indikationen für die primäre Mitbehandlung durch den SD und Trigger für die Hinzuziehung im Behandlungsverlauf festgelegt werden. Indikationen für die primäre Mitbehandlung ergeben sich zum einen über bestimmte Eingriffe bzw. Analgesietechniken, mit denen die Patienten behandelt werden. Zum anderen macht es Sinn, dass bestimmte Patienten, insbesondere beim Vorliegen von Risikofaktoren und Merkmalen, die häufig mit einer erhöhten Schmerzintensität einhergehen, vom SD mitbetreut werden. Solche Merkmale für das Einbeziehen des SD können sein: bestehende Schwangerschaft, chronische Schmerzerkrankung, psychiatrisch, neurologische Erkrankungen, Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen.
306 20 Organisation Akutschmerzdienst
Krankenhausaufnahme
stationärer Behandlungsprozess
Entlassung
⋅Entlassungsplanung ⋅ambulante/nachstationäre Betreuung ⋅Anbindung an spez. schmerzmedizinische Einrichtung ⋅schmerzmedizinische Diagnostik ⋅schmerzmedizinische Mitbehandlung ⋅Behandlungskoordination (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie usw.) ⋅Moderation/Koordination Team-Patienteninteraktion ⋅spezielle Analgesieverfahren ⋅Anpassung bedarfsgerechte syst. Analgesie ⋅frühe Detektion von Risikoverläufen ⋅Anamnese und Risikoeinschätzung ⋅Aufbau eines vertrauensvollen Patientenkontakts ⋅Behandlungsplanung und Koordination ⋅Erarbeitung realistischer Therapieziele und Erwartungen Abb. 20.3: Einbeziehung des Schmerzdienstes im Behandlungsprozess.
Erfolgt die Betreuung nicht aufgrund eines speziellen Analgesieverfahrens, kann z. B. durch eine präoperative Visite durch den SD das Analgesiekonzept erstellt und mit den beteiligten Akteuren abgestimmt werden. Neben der Planungs- und Koordinationsleistung ist es von Bedeutung, frühzeitig mit dem Patienten ein realistisches Therapieziel zu erarbeiten. Dies kann, bei entsprechender Komorbidität auch die Arbeit an Schmerz- und Krankheitsverständnis umfassen. Die gemeinsame Behandlung von Patienten durch die primär behandelnden Kollegen und den SD muss stets in enger Kommunikation zwischen den beteiligten Partnern und deren Stationsmitarbeitern erfolgen. Der SD soll 24 Stunden am Tag erreichbar sein und dies möglichst über eine einheitliche Kontaktmöglichkeit (z. B. Telefonnummer, Pager usw.). Diese Kontaktmöglichkeit sollte auch für andere an der Behandlung beteiligter Berufsgruppen, wie z. B. Physiotherapeuten, bekannt und jederzeit erreichbar sein. Auch sollte die Dokumentation des SD standardisiert und für die primär betreuenden Fachkollegen und deren Stationsmitarbeiter einsehbar sein. Es sollten detaillierte schriftliche Vereinbarungen zwischen dem SD, der diesen tragenden Fachabteilung und den bettenführenden Fachabteilungen des Krankenhauses bestehen. Diese sollten neben der Festlegung, wer in welchem Versorgungsbereich die primäre Verantwortung zur Schmerzbehandlung inne hat die fach- und berufsgruppenspezifischen Aufgaben im Behandlungsprozess festlegen [16] (s. auch
20.8 Rechtliche Stellung interdisziplinärer Zusammenarbeit 307
Kap. 1). Es empfiehlt sich dabei auch zu fixieren, welcher Arzt in welchen Versorgungsbereichen bzw. für welche Versorgungsaspekte bei schmerzmedizinsicher Mitbehandlung Anordnungen trifft, damit es zu keinen ärztlichen Parallelanordnungen kommt. Aus Praktikabilitätsgründen und zur Vermeidung unnötiger Schnittstellen macht es Sinn, dass der Arzt des SD im Rahmen seiner Behandlung direkt Anordnungen in den jeweiligen Versorgungsbereichen machen kann. Bei Konsilleistungen ist dies nicht erforderlich, da diese per definitionem rein beratend sind. Um Anordnungen zu treffen, welche oft auch mit Delegation von ärztlichen Leistungen einhergehen, bedarf es gegenüber den nicht-ärztlichen Mitarbeitern der Station eines Weisungsrechtes des SD-Arztes. Die im perioperativen Behandlungsprozess eines Patienten zahlreichen Schnittstellen von der Aufnahme bis hin zur Entlassung bergen stets das Risiko einer inadäquaten Schmerzbehandlung. Strategien zur Reduktion von Schnittstellen haben organisatorisch für die Akutschmerztherapie eine hohe Bedeutung. Die Behandlungsabläufe sollten im Rahmen der Erarbeitung von schriftlich fixierten standardisierten Prozessbeschreibungen vereinheitlicht definiert werden. Die inhaltliche Erarbeitung und Pflege dieser standardisierten Vorgehensweisen sollten durch eine interdisziplinär und interprofessionell besetzte Arbeitsgruppe erfolgen. Zudem sollten regelmäßig ergebnisbezogene Qualitätsmerkmale erfasst werden und die Erkenntnisse dieser Qualitätssicherung in die Überarbeitung des Vorgehens einfließen. Die Berufsverbände haben in Ihrer Vereinbarung hierzu formuliert, dass das Schmerzmanagement in die Qualitätsmanagementsysteme der Krankenhäuser zu implementieren sei, mit entsprechend übergeordneten Strukturen, analog der Hygiene [16].
20.8 Rechtliche Stellung interdisziplinärer Zusammenarbeit Die Bedeutung einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit in der Akutschmerztherapie, macht es notwendig, die rechtliche Stellung des interdisziplinären Zusammenwirkens zwischen Kollegen verschiedener Fachdisziplinen zu betrachten. Dieses entspricht im Gegensatz zu dem weisungsabhängigen vertikalen Verhältnis zwischen Arzt und Pflegenden einer jetzt weisungsunabhängigen horizontalen Arbeitsteilung [12]. Dabei ist grundsätzlich der primär die Behandlung übernehmende Arzt verantwortlich für die Behandlung von Schmerzen. Dieser ist verpflichtet, einen qualifizierten Arzt hinzuzuziehen oder den Patienten weiter zu überweisen, wenn seine Kenntnisse oder Fähigkeiten zur Schmerzbehandlung nicht ausreichen. Nur diejenigen Handlungen, die der Facharztstandard der gefragten Profession abdeckt, dürfen durchgeführt werden. Eine Unterlassung der Hinzuziehung eines „Spezialisten“ trotz fehlender eigener Kompetenzen und eine Fortsetzung der Therapie mit den eigenen unzureichenden Fähigkeiten, kann den Tatbestand des Übernahmeverschuldens erfüllen [2]. Bei der horizontalen arbeitsteiligen Zusammenarbeit gilt der Vertrauens-
308 20 Organisation Akutschmerzdienst
grundsatz, was bedeutet, dass die Zusammenarbeitenden von der Richtigkeit der Diagnose und Therapie gegenseitig ausgehen dürfen. Merke: Dieser Vertrauensgrundsatz gilt nicht bei zeitlich nachgeordneter Behandlung (z. B. nach Überweisung oder Übernahme in eine andere Fachabteilung), wo Diagnose, Indikation und Therapie bei Übernahme der Behandlung jeweils überprüft werden müssen. Bezogen auf die Therapie hat Eigenverantwortung jeweils stets der unmittelbar Handelnde [2,12].
20.9 Finanzierung Schwierig ist unter dem derzeitigen Kostendruck der Krankenhäuser besonders die personelle Besetzung. Die Kosten sind auch der häufigste Grund dafür, dass Krankenhäuser keinen SD vorhalten [10]. Dabei ist fraglich, ob, und wenn wie, eine schmerzmedizinische Expertise und Mitbehandlung bei speziellen Fragestellungen in diesen Krankenhäusern sichergestellt wird. Lange Zeit bestanden Hoffnungen, dass Zusatzerlöse über die DRGs zu erreichen wären. Die Ziffer 8–919 „Komplexe Akutschmerztherapie“ blieb trotz mehrfacher Überprüfung erlösneutral und brachte nicht den erhofften Zusatzerlös für dieses Leistungen. Das heißt, dass in den Kalkulationskrankenhäusern keine höheren Kosten darstellbar waren. Eine zu Zeiten des Wechsels von tagesgleichen Sätzen zu Fallpauschalen darstellbare Situation, in der die Klinikleistungen im Vergleich zu heute deutlich heterogen waren, konnte zeigen, dass sich durch die Nutzung regionaler Analgesietechniken finanzielle Gewinne für die Klinik erzielen ließen. Hier zeigte sich also, dass sich Aufwandskosten nicht nur deckten, sondern einen positiven Einfluss auf die Behandlungseffizienz und somit einen Nutzen hatten [13]. Heutzutage lassen sich aufgrund fehlender Kontraste derartige Effekte nicht mehr ohne weiteres aufzeigen, da die Kliniken im Rahmen der DRGs in ihrem Leistungsumfang deutlich homogener wurden und sich Liegezeiten und Erlöse angeglichen haben. Dies zeigt, dass es sich in der Frage nach der Finanzierung weniger um die Frage nach einer Zusatzvergütung drehen darf, sondern viel mehr um die Frage der Verteilung der Mittel im Krankenhaus. In ihrer Empfehlung einer Versorgung mit einem abteilungsübergreifend tätigen SD fordern die Berufsverbände der Chirurgen und Anästhesisten die Krankenhausträger und die Kostenträger auf, die notwendigen strukturellen und budgetären Voraussetzungen für eine adäquate schmerzmedizinische Versorgung in den Krankenhäusern zu schaffen. Auch die DGAI greift in ihrer Empfehlung das Thema der finanziellen Sicherstellung der schmerzmedizinischen Versorgung auf und betont, dass klinikintern die Sicherstellung der spezialisierten schmerzmedizinischen Versorgung fach- und abteilungsübergeordnet eine hohe Priorität haben sollte und ein ausreichendes Budget zur Verfügung stehen soll. Denkbar sind im Prinzip vier Finanzierungsmodelle für SD [11]:
20.10 Behandlungsstandards 309
– – – –
Finanzierung über das Budget der den SD tragenden Abteilung, meist der Anästhesiologie interne Leistungsverrechnung Umlageverfahren Cost-Center-Lösung
Modelle, die über ein Abteilungsbudget oder die zu erbringenden Leistungen abgerechnet werden, haben das potentielle Risiko, dass entweder Ressourcen, die für die schmerzmedizinische Versorgung bestimmt sind anderweitige Abteilungsbereiche kompensieren oder auf Leistungen am Patienten verzichtet wird, um die eigene Abteilungsbilanz zu verbessern. Transparent sind die Modelle des Umlageverfahren oder des Cost-Centers. Bei der Umlage werden z. B. Stellenanteile aus allen Abteilungen anteilig für die Besetzung des SD-Personals zusammengelegt. Da die Leistungen des SD im ureigentlichen Sinne Leistungen eine Cost-Centers sind, also Leistungen die keine direkten Erlöse generieren, aber Systemrelevanz haben, ist die Finanzierung über ein abteilungsunabhängiges Budget der Krankenhausleitung das Modell mit der größten Transparenz [11]. Es fehlt derzeit an einer belastbaren Datengrundlage zur Darstellung der tatsächlichen Kosten durch die Betreuung des SD. Schätzungshalber fallen im Durchschnitt in einem größeren Klinikum ca. 100 Euro kalkulatorische Gesamtpersonalkosten inkl. Personalnebenkosten (ohne Bereitschaftsdienste) pro Patient an (Beispiel SD der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Göttingen, s. folgenden Abschnitt).
20.10 Behandlungsstandards Da die Patientenbetreuung durch SD personalaufwändig ist und ökonomisch weder für alle Patienten möglich noch medizinisch sinnvoll ist, bedarf es effektiver Versorgungskonzepte für diejenigen Patienten, die keine speziellen Behandlungsindikationen mit sich bringen, jedoch von einer systematischen Akutschmerztherapie profitieren. Diese Gruppe stellt den größten Patientenanteil im Krankenhaus dar. SD betreuen in der Regel je nach Charakteristik des Krankenhauses einen Patientenanteil von 5 bis 25 % der Patienten [10]. Konzepte zur Prophylaxe und Therapie perioperativer Schmerzen in Form von Behandlungsstandards der betroffenen Kliniken haben sich als effektive Instrumente bewährt. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass die Einführung von Behandlungsstandards die Versorgungsqualität der Akutschmerztherapie verbessert [3,4]. Ziel der Standardisierung ist es, die Behandlungsprozesse systematisch zu definieren. Vorrangiges Ziel ist hierbei, eine geringere Abhängigkeit der Versorgungsqualität von einzelnen Mitarbeitern zu erreichen. Behandlungsstandards sind selbst gefundener und festgelegter Konsens der Beteiligten. Im Kontext der Steuerung der Akutschmerztherapie sollten sie einen Handlungskorridor vorgeben, der dem Stati-
310 20 Organisation Akutschmerzdienst
onspersonal jederzeit zielgerichtetes Handeln ermöglicht, wenn sich ein Patient wegen Schmerzen meldet – auch unabhängig von der Anwesenheit eines Stationsarztes. Um Schnittstellen und damit verbundene Behandlungsabbrüche und Therapieumstellungen zu vermeiden, sollten Behandlungsstandards zur Akutschmerztherapie zudem für alle Arbeitsbereiche des Krankenhauses vorhanden sein und abteilungsübergreifende Gültigkeit besitzen [14]. Trotz der Leitlinienempfehlung, perioperative Konzepte zur Prophylaxe und Therapie zu implementieren, ergeben sich aus den Leitlinien keine Empfehlungen zur Gestaltung der Inhalte dieser Konzepte. Konzepte scheinen auf dem Papier in 97 % aller deutschen Krankenhäuser zu existieren. Jedoch zeigt sich bei differenzierter Betrachtung, dass diese nur in 66 % der Krankenhäuser abteilungsübergreifende Gültigkeit aufweisen. Eine Prozessanalyse von perioperativen Behandlungsstandards aus verschiedenen Krankenhäusern zeigt, dass in der Praxis eine große konzeptionelle und inhaltliche Heterogenität besteht [15]. Diese besteht insbesondere im Grad der Handlungstiefe und Steuerungsmöglichkeit des Behandlungsprozesses. Manche Standards ergeben definierte Handlungsabfolgen, manche ermöglichen nur die Zuordnung bestimmter Analgetika und bedürfen eines erheblichen Maßes an implizitem Wissen der Mitarbeiter, um daraus eine Handlung zu ergeben. Zur Verbesserung der Konzeption wurden Mindestkriterien zur Erstellung von Behandlungsstandards zur Akutschmerztherapie für Normalstationen definiert [14]: Infobox 20.4: Mindestkriterien für Behandlungsstandards [14] 1. unmittelbare Verfügbarkeit eines unretardierten hochpotenten Opioids als Bedarfsmedikation (ohne Rücksprache mit einem Arzt oder der Abhängigkeit von einer Eskalationsstufe) 2. zeitlich definierte Effektivitätskontrolle nach applizierter Bedarfsmedikation 3. zeitnah (max. 1 Stunde) mögliche und definierte Wiederholung der Bedarfsmedikation bei persistierenden Schmerzen 4. Basismedikation mit festgelegtem Nichtopioid und (ggf. retardiertem) Opioid (Nicht-Opioide ergänzt durch kontraindikationsbezogene Alternative; Vorgabe zum „wann“ und „wie“ der Dosissteigerung für die Opioidtherapie) 5. Handlungsanweisung bei weiter unzureichendem Therapieerfolg (z. B. Hinzuziehung des ASD bei persistierenden Schmerzen (NRS > 3) nach einer bestimmten Anzahl applizierter Bedarfsmedikationen)
20.11 Rechtliche Einordnung von Behandlungsstandards Aus rechtlicher Sicht ist die Therapie unter Zuhilfenahme eines Behandlungsstandards genauso zu handhaben, wie bei jeder anderen medikamentösen Therapie auch. Es bedarf dazu eines persönlichen Kontakts zwischen Arzt und Patient. Nach ärztlicher Anamnese, Befunderhebung und Bewertung, Indikationsstellung, Therapieplanung und Aufklärung kann die Therapie erfolgen. Die Indikation muss, wie bei jeder Therapieanordnung, individuell für jeden Patienten durch den Arzt geprüft
Referenzen 311
werden. Die Planung der Therapie (Auswahl, Dosierung und Festlegung der Applikation usw.) und des Behandlungsablaufs wird durch die Inhalte des Standards erleichtert und differenziert beschrieben. Diese detaillierte Anweisung lässt sich delegieren. Therapieentscheidungen obliegen dem Arzt. Wie bei allen delegierten ärztlichen Leistungen obliegt auch im Rahmen der Nutzung eines Behandlungsstandards die Überwachung dem Arzt [12]. Die Nutzung von Behandlungsstandards zeichnet sich vorteilhaft aus, da Transparenz für alle Mitarbeiter besteht. Je konkreter der Handlungskorridor, desto klarer die Vorgaben und desto geringer die Notwendigkeit, Handlungsfolgen individuell durch die Mitarbeiter zu interpretieren. Das bloße Vorhandensein eines Behandlungsstandards zur Analgetika-Applikation innerhalb einer Klinik ergibt keine Handlungslegitimation für nichtärztliches Personal. Standards stellen somit auch nicht ohne Weiteres die analgetische Versorgung der Patienten sicher. Durch einen Behandlungsstandard wird auch nicht die persönliche Pflicht des Arztes zur Überwachung der Therapie, sowie zur Auswahl, Anleitung und Überwachung der nichtärztlichen Mitarbeiter bei Delegation (hier: Applikation von Analgetika durch Pflegende) aufgehoben. Transparenz und Erfahrung der Mitarbeiter mit einem bestimmten Vorgehen wirken sich jedoch positiv auf den Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsaufwand des Arztes aus [12]. Referenzen [1] [2] [3]
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21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie Ruth Boche, Nadja Nestler
21.1 Pflegerisches Handeln in der Akutschmerztherapie Schmerz ist ein Phänomen, mit dem Pflegende in vielen Versorgungssituationen konfrontiert sind. Im operativen Setting ist dies besonders häufig; Schmerzen treten hier bei Patienten vor allem natürlich nach der Operation auf, gegebenenfalls haben Patienten aber auch bereits präoperativ Schmerzen, die während des weiteren Krankenhausaufenthaltes noch eine Rolle spielen können [1]. Pflegende sind oft die ersten Ansprechpartner für Patienten, haben einen weitaus häufigeren Patientenkontakt als viele andere Beteiligte und können durch den Alltagsbezug die Schmerzsituation bei Patienten aus einem sehr umfassenden Blickwinkel beurteilen, so dass sie dadurch automatisch eine zentrale Rolle im Schmerzmanagement besetzen [2]. Aufgrund der gesundheitspolitischen und ökonomischen Bedeutung des Phänomens Schmerz und der zentralen Rolle in der pflegerischen Versorgung hat das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) 2005 den Nationalen Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten und tumorbedingten Schmerzen verabschiedet [3]. 2011 erfolgte die Veröffentlichung der Aktualisierung dieses Standards. Dieser gibt vor, wie das pflegerische Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgen soll [4]. Eine Fokussierung auf akute Schmerzen war in der Aktualisierung des Standards notwendig, da aus der Praxis die Notwendigkeit einer klaren Zielgruppenorientierung berichtet wurde, aber auch eine Wissenserweiterung zur Versorgung von Patienten mit akuten Schmerzen diesen Schritt erforderte [2]. Um für die Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen die entsprechenden pflegerischen Aufgaben festzuschreiben, wurde nachfolgend der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen formuliert und verabschiedet [5]. Dieser Standard hat eine andere Zielorientierung, da das primäre Ziel neben der Schmerzlinderung vor allem der Erhalt der Funktionalität, die soziale Teilhabe sowie der Erhalt oder die Steigerung der Lebensqualität der Betroffenen ist [5]. Dieser Standard muss in der Therapie und Begleitung von Patienten mit akuten postoperativen Schmerzen bei bestehenden schmerzassoziierten Komorbiditäten mit bedacht werden. Der Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen ist für alle pflegerischen Settings für die Versorgung von Patienten mit akuten Schmerzen bindend und umfasst das (pflegerische) Schmerzassessment, die Durchführung der medikamentösen Therapie, die Prophylaxe sowie Behandlung medikamentöser Nebenwirkungen, die Planung und Durchführung nicht medikamentöser Maßnahmen sowie die Information, Anleitung und Schulung von Patienten und ihren Angehörigen. Dabei werden die für die Pflege notwendigen Strukturen (Rahmenbedingungen), die Prozesse (Handlungsebene) sowie die zu erreichenden Ergebnisse beschriehttps://doi.org/10.1515/9783110597486-021
314 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
ben und festgelegt [6]. Der Expertenstandard ist ein monoprofessionelles Instrument, um die professionseigenen pflegerischen Aufgaben im interprofessionellen Team festzulegen. Es wird hiermit nicht der Anspruch verfolgt, die Schmerztherapie bzw. das interprofessionelle Schmerzmanagement festzuschreiben, wohl aber die pflegerischen Aufgaben, die notwendig sind, damit Pflegende ihre Rolle im interprofessionellen Team wahrnehmen können [3,4]. Als grundlegendes Ziel beschreibt der Expertenstandard die Durchführung eines „adäquaten Schmerzmanagement(s), das dem Entstehen von (akuten) Schmerzen vorbeugt, sie auf ein erträgliches Maß reduziert oder beseitigt“ [4]. Dabei geht es um die Vermeidung unnötigen Leids sowie einer verlangsamten Genesung wie auch um die Verhinderung einer möglichen Chronifizierung des Schmerzes [4]. 1 Merke: Das pflegerische Schmerzmanagement beginnt mit dem pflegerischen Auftrag bei der Aufnahme des Patienten, um frühzeitig mögliche Schmerzen oder Risikofaktoren für Schmerzen zu erkennen.
21.2 Das pflegerische Schmerzassessment Da Schmerz ein subjektives Phänomen ist und nur die betroffenen Patienten selbst zuverlässige Aussagen über ihre Schmerzsituation machen können, bedarf es einer systematischen Schmerzerfassung als ersten Schritt im pflegerischen Schmerzmanagement. Dies stellt die Basis für eine suffiziente Schmerzbehandlung dar [7]. Die Schmerzeinschätzung ist Aufgabe des gesamten Behandlungsteams, wobei durchaus professionsspezifische Aspekte einfließen. Für die Pflege bedeutet dies, dass insbesondere in alltagsnahen pflegerischen Situationen, wie z. B. der Körperpflege, der Mobilisation oder dem Transfer, eine Einschätzung der Schmerzen erfolgen kann, die dann für eine weitere Therapieplanung und -evaluation verwendet werden. Dies bietet die Möglichkeit, ein für den individuellen Patienten passendes Therapieregime zu entwickeln und so eine möglichst rasche Genesung zu ermöglichen. Es bedarf eines systematischen Vorgehens in der Schmerzerfassung, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass Patienten sich von sich aus melden. Viele Patienten erwarten aufgrund von Erkrankungen und Therapien Schmerzen und ertragen diese [8]. Gleichfalls wollen viele Patienten nicht lästigfallen. Bei der Schmerzerfassung hat die Selbstauskunft der Patienten immer Vorrang vor einer Fremdeinschätzung [4] (vergleiche auch Kap. 3). Die Einschätzung der
1 Nach Fertigstellung des Kapitels ist eine Aktualisierung und Zusammenlegung der beiden Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ und „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ zum Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ erfolgt. Die hier dargestellten Inhalte behalten jedoch ihre Gültigkeit.
21.2 Das pflegerische Schmerzassessment 315
Schmerzsituation des Patienten sollte bereits zu Beginn der stationären Aufnahme/ des pflegerischen Auftrags erfolgen und untergliedert sich in eine initiale sowie eine differenzierte Erfassung des Schmerzes.
21.2.1 Initiales Assessment Im initialen (präoperativen) Assessment wird grundlegend erhoben, ob Schmerzen vorhanden sind oder ein Risiko für akute Schmerzen besteht. Dieses Risiko ist in operativen Abteilungen bereits durch den operativen Eingriff in der Regel gegeben. Das initiale Assessment ist immer einem differenzierten Assessment vorgeschaltet und beinhaltet die Erhebung möglicher Risikofaktoren für besonders starke Schmerzen und durch Schmerz bedingte Probleme wie z. B. eine verminderte Mobilität oder verringerte Nahrungsaufnahme. Liegt kein Schmerz vor, wird in regelmäßigen Abständen, auf jeden Fall aber bei einer Situationsänderung z. B durch eine Operation oder einen diagnostischen Eingriff, erneut erhoben, ob akuter Schmerz vorliegt oder Risikofaktoren hierfür vorhanden sind [4].
21.2.2 Differenziertes Assessment Wird im initialen Assessment festgestellt, dass Schmerzen vorliegen, folgt eine differenzierte Schmerzerfassung. Hierbei wird neben der Lokalisation und der Intensität der Schmerzen auch die Qualität der Schmerzen sowie die Auswirkungen möglicher schmerzbedingter Probleme wie einer eingeschränkten Mobilität, Schlafstörungen, etc. erhoben. Es kann bedeutsam sein, den individuellen Schmerzausdruck des betroffenen Menschen zu erheben, um ggf. möglichst rasch reagieren zu können. Vor allem bei Menschen, die sich sprachlich nicht oder nur erschwert verständigen können, sind diese spezifischen Zeichen wichtig, denn sie stellen die primäre Möglichkeit der Schmerzerkennung dar. Ebenfalls zu erheben sind mögliche bedeutsame Schmerzerfahrungen, die auf die aktuelle Situation (z. B. eine frühere Operation mit nachfolgenden starken Schmerzen) Einfluss haben können, bekannte schmerzlindernde oder -fördernde Faktoren, die der betroffenen Person aus dem Alltag bekannt sind, wie mögliche bereits vorhandene chronische Schmerzen. Merke: Bei vorhandenen Schmerzen erfolgt, angepasst an die entsprechende Gesamtsituation, ein differenziertes Schmerzassessment mit spezielleren Fragen (S. hierzu Infobox 21.1).
In welchem Umfang ein initiales sowie differenziertes Schmerzassessment erfolgt, ist insbesondere vom pflegerischen Kontext abhängig. So wird im Setting Krankenhaus
316 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
häufig eine Fokussierung auf die aktuell relevante Situation gegeben sein, wobei bereits vorhandene Schmerzerfahrungen und Schmerzerwartungen von Bedeutung sein können. Sie können direkten Einfluss auf die aktuelle Schmerzsituation haben. So sollte, wenn Angst vor möglichen Schmerzen nach einer Operation vorhanden ist, dies den Pflegenden bekannt sein, damit sie darauf eingehen und reagieren können. Infobox 21.1: Fragen an den Patienten im differenzierten Assessment – Wie stark ist der Schmerz? (Intensität) – Wo tritt der Schmerz auf? (Lokalisation) – Wie fühlt sich der Schmerz an? (Qualität) – Wann tritt der Schmerz auf? – Wie lange hält der Schmerz an? – Was verstärkt, was lindert den Schmerz? – Woran hindert Sie der Schmerz? – Gibt es frühere Schmerzerfahrungen?
21.2.3 Selbst- und Fremdeinschätzung im pflegerischen Schmerzassessment Pflegende erheben regelmäßig Schmerzen der Patienten, indem sie diese mittels validierter Einschätzungsskalen zur Schmerzstärke befragen; eine Auswahl der Skalen für die Selbsteinschätzung der Schmerzintensität ist in Kap. 3 aufgelistet. Neben der Selbsteinschätzung von Schmerzen der Patienten erfassen sie auch mögliche schmerzassoziierte Verhaltensweisen bei den Personen, die aufgrund kognitiver Einschränkungen oder Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage sind, ihre Schmerzen selber einzuschätzen. Diese als besonders vulnerabel geltenden Patientengruppen (z. B. jüngere Kinder und Säuglinge, analgosedierte Patienten, behinderte Menschen, Menschen mit kognitiven Einschränkungen) bedürfen einer regelhaften Beobachtung auf Verhaltensänderungen, um mögliche Verhaltensweisen, die auf Schmerzen hindeuten, zu erkennen. Merke: Für die Fremdeinschätzung von Schmerzen bei Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen stehen validierte Instrumente zur Verfügung, die genutzt werden können, um ein systematisches und strukturiertes Vorgehen in der Beobachtung zu ermöglichen.
Häufig genutzte Instrumente wie das „Zurich Observation Pain Assessment“ Tool (ZOPA) (Tab. 21.1.) und das Instrument „Beurteilung von Schmerzen bei Demenz“ (BESD) (siehe Kap. 3) sind mehrdimensionale Instrumente, die eine Fremderfassung mittels einer Kombination von häufig mit Schmerz verbundenen Verhaltensweisen beinhalten. Pflegende beobachten dabei Patienten, die sich nicht oder nicht eindeutig verbal äußern können, in Pflegesituationen und schätzen diese Beobachtungen anhand ei-
21.2 Das pflegerische Schmerzassessment 317
Tab. 21.1: ZOPA (Zurich Observation Pain Assessment). keine Anzeichen Lautäußerungen
– –
Stöhnen/Klagen Brummen
Gesichtsausdruck
– – – – –
verzerrter, gequälter Gesichtsausdruck starrer Blick Zähne zusammenpressen (Tubus beißen) Augen zukneifen Tränenfluss
Körpersprache
– – –
Ruhelosigkeit Massieren oder Berühren eines Körperteils angespannte Muskeln
Physiologische Indikatoren
–
Veränderungen der Vitalzeichen – Blutdruck/Puls – Atmung Veränderung der Gesichtsfarbe – Schwitzen/Röte
–
nes der oben genannten Instrumente ein. Diese Einschätzungen können die Grundlage für eine medikamentöse und/oder nicht medikamentöse Schmerztherapie bilden. Merke: Treten auffällige Verhaltensweisen auf, bedarf es immer auch einer zusätzlichen fachlichen Einschätzung, um mögliche andere Gründe für veränderte Verhaltensweisen abzugrenzen.
Wird ein Schmerz anhand der Schmerzskalenwerte und/oder der fachlichen Einschätzung angenommen, so werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet und anschließend erneut evaluiert. Eine Beurteilung, ob ein auffälliges Verhalten ein Zeichen für Schmerz ist, ist nicht immer durch eine kurzfristige Beobachtung möglich. Es besteht daher oft die Notwendigkeit einer längeren individuellen Beobachtungszeit bei der die pflegefachliche Expertise von besonderer Bedeutung ist. Untersuchungen haben mittlerweile gezeigt, dass durchaus eine Diskrepanz zwischen den verbalen Äußerungen (Verneinen von Schmerz) und dem tatsächlichen Verhalten insbesondere bei Menschen mit mittelgradiger bis schwerer Demenz vorliegen kann, so dass die fachliche Beobachtung mithilfe entsprechender Fremdeinschätzungsinstrumente bedeutsam ist [9]. Merke: Die Wahl des Einschätzungsinstrumentes hängt von der kognitiven Leistungsfähigkeit ab. Dabei kann die Anwendung einer Selbst- wie auch Fremdeinschätzung gleichzeitig sinnvoll sein, um beide Ergebnisse in die Beurteilung der Situation einfließen zu lassen.
318 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
Grundsätzlich muss vor der Wahl zwischen einer Selbst- oder einer Fremdeinschätzung eine Einschätzung der kognitiven Leistungsfähigkeit eines Patienten stattfinden. Hierbei gilt es herauszufinden, inwieweit das Verhalten und die verbalen Äußerungen übereinstimmen oder ob Abweichungen vorhanden sind. Ggf. muss bei Abweichungen neben der Selbsteinschätzung auch eine Fremdeinschätzung erfolgen, um eine mögliche Schmerzsituation der Patienten (zum Ablauf s. Abb. 21.1), die sie selber nicht adäquat einschätzen oder artikulieren können, zu erkennen. Wird ein auffälliges Verhalten bei einer Person beobachtet, deren Kommunikation, Bewusstsein oder Kognition beeinträchtigt oder unklar ist, erfolgt eine Verlaufskontrolle. Die Häufigkeit dieser Kontrollen ist individuell festzulegen und richtet sich nach der jeweiligen Schmerzsituation des Patienten. Immer muss eine solche Kontrolle nach einer Schmerzmittelgabe oder einer anderen schmerzreduzierenden Maßnahme erfolgen. Eine regelhafte Verlaufskontrolle richtet sich nach den allgemeinen Vorgaben des Nationalen Expertenstandards Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen [4]. Liegen Schmerzen vor, erfolgt eine Erfassung mindestens dreimal täglich, also einmal pro (Pflege-)Dienst. Darüber hinaus ist bei Patienten ein möglicher Schmerz einzuschätzen, wenn unverhofft ein auffälliges Verhalten auftritt oder sich die Situation bei der jeweiligen Person verändert (zum Beispiel durch eine diagnostische oder therapeutische Maßnahme). Ist das Verhalten unauffällig, wird in individuell festgelegten Zeitabständen das Verhalten der Patienten erneut beobachtet und eingeschätzt; dies sollte entsprechend in die Pflegeplanung mit aufgenommen werden. Weitere Beobachtungen erfolgen darüber hinaus, wenn auffälliges Verhalten zu beobachten ist.
Schmerz/schmerzhafte Situation
nicht
Selbsteinschätzung
beeinträchtigt Verlaufskontrolle in regelmäßigen Abständen - bei akuten Schmerzen 1 × pro Schicht Schmerzprotokoll führen: - Qualität - zeitlicher Verlauf - verstärkende/lindernde Faktoren - Alltagsaktivitäten - Medikamenteneinnahme
nein
Einschätzung zu: - Kommunikation - Bewusstsein - Kognition
beeinträchtigt oder unklar
Verhaltensmerkmale werden beobachtet ja Anpassung der Schmerztherapie Verlaufskontrolle 45 min nach Schmerzmittelgabe oder Schmerz reduzierender Maßnahmen
Abb. 21.1: Entscheidung zur Selbst- und Fremdeinschätzung angelehnt an [9].
Fremdeinschätzung z. B. BESD/ZOPA
21.2 Das pflegerische Schmerzassessment 319
21.2.4 Schmerzerfassung im Verlauf Nach erfolgtem Schmerzassessment zu Beginn der pflegerischen Versorgung gilt es im weiteren Behandlungsverlauf, eine regelhafte Schmerzerfassung des Ruhe- sowie Belastungsschmerzes durchzuführen, wobei der Expertenstandard eine Erfassung einmal pro Dienst, also dreimal täglich, bei akuten Schmerzen empfiehlt [4]. Eine Differenzierung zwischen Ruhe- und Belastungsschmerz wird dabei dringend empfohlen, da häufig stärkere Schmerzen bei Bewegungen/Belastungen auftreten und Patienten (s. auch Kap. 3) diese durchaus bis zu einem gewissen Grad tolerieren, dadurch aber deutlicher eingeschränkt sein können. Belastungsschmerzen sind deshalb wahrscheinlich besonders wichtig, um angemessene Bewegungen und Mobilisation von Patienten trotz gewisser Schmerzen sicherzustellen. Als Interventionsgrenzen für eine mögliche medikamentöse wie nicht medikamentöse Therapie gelten zurzeit 3 Punkte in Ruhe bzw. 5 Punkte bei Bewegung/Belastung analog der Numerischen Rating Skala. Bei Erreichen dieser sogenannten Cut-off-Werte gilt es für die Pflegenden eine bestehende Anordnung umzusetzen (oder diese einzuholen) sowie die geplanten nicht medikamentösen Maßnahmen umzusetzen [4]. Die Beeinträchtigung von bestimmten Aktivitäten wie Abhusten oder aus dem Bett aufstehen durch Schmerzen sollte aber ebenfalls erhoben und in die Therapiebedürftigkeit mit einbezogen werden.
21.2.5 Bedeutung des Schmerzassessment für das pflegerische Handeln Die Berufsgruppe der Pflegenden hat die häufigsten Patientenkontakte und kann eine regelmäßige Schmerzerfassung am ehesten sicherstellen. Daher sollte diese primär in ihrem Aufgabenprofil liegen. Davon unabhängig ist es sicher ebenso wichtig, dass alle anderen ebenfalls mit der Versorgung und Therapie der Patienten betrauten Berufsgruppen gleichfalls mögliche Schmerzen erheben, um in den jeweils spezifischen Versorgungssituationen Schmerzen zu erkennen. Hier kann beispielhaft die Schmerzerfassung durch Physiotherapeuten genannt werden, die Patienten ebenfalls in spezifischen, möglicherweise schmerzhaften Situationen betreuen. Eine Begründung für eine pflegerische Schmerzerfassung liegt aber auch in der Bedeutung der Erhebung für das pflegerische Handeln selbst. Neben der Informationsbereitstellung für das interprofessionelle Team, um zu einer für den Patienten guten Therapieplanung zu kommen, hat das Wissen um mögliche Schmerzen Auswirkungen auf die Art und Weise der pflegerischen Versorgung. So kann das Vorhandensein von Schmerz beispielhaft Einfluss auf die Art der Mobilisation oder des Transfers haben und ebenfalls die Notwendigkeit einer pflegerischen Information zum Thema oder eine Schulungsnotwendigkeit offenlegen [10].
320 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
21.3 Pflegerische Aufgaben in der medikamentösen Schmerztherapie In der medikamentösen Schmerztherapie besetzen Pflegende eine wichtige Rolle. Zum Aufgabenbereich der Pflegenden gehört die Verabreichung der ärztlich verordneten Analgetika. Hierfür braucht es, wie im Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen beschrieben, aktuelles und umfassendes Wissen zur medikamentösen Schmerzbehandlung [4]. Dieses umfasst neben pharmakologischen Kenntnissen der Medikamente auch Wissen über die Wirkung und die möglichen Nebenwirkungen von Analgetika (s. hierzu Kap. 4). Beim Bereitstellen und der Verabreichung von Medikamenten kann es zu Fehlern kommen. Diese können durch die Beachtung der 6-R-Regel minimiert werden [11] (s. Infobox 21.2). Infobox 21.2: 6-R-Regel Richtiger Patient: Das zu verabreichende Medikament muss für diesen Patienten ärztlich verordnet sein. Richtiges Medikament: Überprüfung, ob das Medikament korrekt ist. Verwechselungsgefahr bei ähnlich klingenden Medikamentennamen (z. B. Palladon® und Polamidon) Richtige Dosierung/richtige Konzentration: Bei Opioiden gibt es häufig eine retardierte und eine schnell freisetzende Form (nicht retardiert), meistens in unterschiedlichen Stärken, daher ist es wichtig, genau auf die Dosierung, die Stärke, des angeordneten Medikaments sowie auf die Form der Verordnung zu achten. Richtige Applikation/richtige Applikationsart: Pflegende benötigen Wissen über die unterschiedlichen Applikationsformen von Analgetika. Der Patient braucht Informationen darüber, wie er die Tablette, Kapsel oder die Tropfen zu nehmen hat. Es gibt Tabletten, die z. B. unter die Zunge (sublingual) oder in die Wangentasche (buccal) gelegt werden. Richtiger Zeitpunkt: Bei der Einnahme der Analgetika ist der Zeitpunkt der Einnahme vor oder nach der Mahlzeit oder ggf. unabhängig von den Mahlzeiten zu festen Uhrzeiten wichtig. Die Zeitintervalle zwischen den Einzelgaben z. B. 6 Stunden bei 4 × täglich oder 12 Stunden bei 2 × täglich sind einzuhalten und Patienten benötigen Informationen über die zu beachtenden Zeitintervalle der Einnahme. Richtige Dokumentation: Die Dokumentation sollte einheitlich und für alle am Behandlungsprozess beteiligten Berufsgruppen gut nachvollziehbar erfolgen. Die Abgabe von Opioiden muss gesondert im Betäubungsmittelbuch dokumentiert werden.
Die Weitergabe von Informationen bezüglich des medikamentösen Schmerzmanagements, gerade bei Opioid-naiven Patienten, vermittelt Wissen, reduziert Ungewissheit und Risiken auf Seiten der Patienten. Inhalte dieser Information könnten z. B. die Wirkweise der Analgetika, deren Nebenwirkungen und Möglichkeiten diese zu beeinflussen, das Zeitintervall der Medikamenteneinnahme und die Aufforderung sich bei Unsicherheiten und Problemen zu melden, beinhalten.
21.4 Nicht medikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen als pflegerische Aufgabe 321
Merke: Edukation ist ein wichtiger Bestandteil in der medikamentösen Schmerztherapie
21.3.1 Standardisierte Behandlungsschemata Die Behandlung postoperativer akuter Schmerzen folgt einer bestimmten Systematik. Standardisierte Behandlungsschemata (s. Kap. 4) bieten hierbei eine große Hilfe. Sie verringern die Wartezeiten von Patienten auf eine adäquate Schmerzbehandlung und bieten einen stabilen Handlungsrahmen für Pflegende in der postoperativen Schmerzbehandlung. Sie regeln eine mögliche Basis- wie auch Bedarfsmedikation, die nach schriftlicher Anordnung durch den behandelnden Arzt von Pflegenden umgesetzt werden. Innerhalb eines festgesetzten Rahmens können Pflegende selbständig Analgetika verabreichen. Hierzu ist die Festlegung sogenannter Interventionsgrenzen notwendig, welche den Pflegenden selbständig die Verabreichung einer Bedarfsmedikation ermöglicht, wenn dies schriftlich angeordnet ist. Natürlich müssen für diese Verabreichung Grenzen festgelegt werden, so dass nach einer bestimmten Anzahl von Bedarfsgaben der zuständige Arzt informiert wird, um die medikamentöse Schmerztherapie entsprechend der Schmerzangaben des Patienten anzupassen. Die Dauer der Analgetika-Therapie sollte zeitlich begrenzt sein, um ggf. eine gemeinsame Evaluation durchzuführen und festzustellen, ob ein Patient über die zeitlichen Grenzen hinaus behandlungsbedürftige Schmerzen hat. Eine solche Evaluation bedingt die Überprüfung durch eine regelmäßige Schmerzerfassung und gegebenenfalls Anpassung oder zeitgerechte Beendigung der Analgetika-Therapie; letzteres bedarf allerdings ebenso einer schriftlichen ärztlichen Anordnung, genauso wie die Initiierung einer medikamentösen Therapie.
21.4 Nicht medikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen als pflegerische Aufgabe Eine Standardebene im Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen ist die Anwendung von nicht medikamentösen Maßnahmen zur Schmerzreduktion [4]. Die Anwendung der Maßnahmen steigert die Patientenzufriedenheit und wird als Ergänzung zur medikamentösen Therapie empfohlen. Die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit unterschiedlicher nicht medikamentöser Maßnahmen ist nur bedingt gegeben, dennoch ist ihr Stellenwert in der Behandlung von Schmerzen unstrittig. In internationalen Leitlinien wie auch dem nationalen Expertenstandard sind hier vor allem psychologische, physikalische und edukative Maßnahmen benannt [4]. Der Einsatz der unterschiedlichen Methoden wirkt sich positiv auf das Schmerzerleben der Patienten aus, liefert einen Beitrag zur Genesung und kann die Lebensqualität erhöhen.
322 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
Merke: Der Einsatz nicht-medikamentöser Maßnahmen hat nicht das Ziel, den Einsatz von Analgetika komplett zu ersetzen; vielmehr kann die Kombination von medikamentöser und nicht medikamentöser Schmerztherapie zu einer Reduktion der Analgetikadosis und somit zu einer Verminderung der unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Die nicht medikamentösen Maßnahmen unterstützen die medikamentöse Schmerztherapie und zeigen dem Patienten zusätzliche Möglichkeiten auf, eigenständig etwas gegen die Schmerzen zu tun und damit seine Selbstwirksamkeit zu steigern. Patienten haben das Gefühl, die Behandlung mitgestalten und mitsteuern zu können. Im Idealfall werden die unterschiedlichen und für die individuelle Situation zutreffenden Möglichkeiten der nicht medikamentösen Schmerztherapie schon präoperativ mit dem Patienten besprochen und abgestimmt. Positive Auswirkungen hat die Anwendung nicht medikamentöser Maßnahmen auf die emotionale Belastung, Müdigkeit und Schlafqualität, Muskelentspannung, Angst vor Schmerzen, Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffzufuhr [12]. Der Patient und seine Bedürfnisse und Präferenzen wie z. B. ein ausreichender Schlaf-Wach-Rhythmus, Ruhephasen im Wechsel mit Phasen der Bewegung, Mobilisation und Ablenkung sind handlungsleitend. Die Anwendung nicht medikamentöser Maßnahmen (s. Infobox 21.3) wird dabei mit dem Patienten besprochen, die Reaktion auf die Maßnahme erörtert, diese entsprechend dokumentiert und für das weitere Schmerzmanagement möglicherweise angepasst. Infobox 21.3: Mögliche nicht medikamentöse Maßnahmen zur Anwendung bei Erwachsenen sind [4] – Kälte- und Wärmeanwendungen – Bewegung und Mobilisation – Lagerung/Positionierung – Massage – Aromapflege – Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) – Akupunktur – Maßnahmen zur Veränderung der Aufmerksamkeit – Ablenkung, geleitete Imagination, gezielter Einsatz von Musik – Psychologische Interventionen wie Hypnose – Maßnahmen zur Ablenkung und Veränderung der Aufmerksamkeit – Gespräche, Fernsehen, Singen, Beten – Musik – Imaginationsübungen – Tag-Nachtrhythmus
Häufige nicht medikamentöse Maßnahmen, die Pflegende anwenden, sind Bewegung, Mobilisation, Gespräche sowie Lagerung oder Kälteanwendungen.
21.4 Nicht medikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen als pflegerische Aufgabe 323
Lagerung/Positionierung Bei der Lagerung/Positionierung der Patienten geht es um eine Veränderung der Position oder Lage, um hierdurch einen vorhandenen Schmerz zu minimieren oder diesen zu vermeiden [4]. Allerdings gibt es hierzu bisher nur wenig Evidenz. Trotzdem wird empfohlen, Bewegungsübungen im Bett (wenn nicht kontraindiziert), die Vermittlung schmerzarmer Bewegungsabläufe, Hilfe beim Aufstehen und Gehen oder geeignete Positionen zum Abhusten (s. Abb. 21.2) in die postoperative Versorgung einzubinden [4].
Abb. 21.2: Um Schmerzen beim Abhusten nach abdominellen Operationen zu lindern, kann der Patient unter Anleitung lernen, im aufrechten Sitzen ein Handtuch oder ein Kissen an die Wunde zu drücken. Wenn dies Linderung verschafft und das Abhusten erleichtert, kann der Patient dies anschließend selbständig ausführen.
Kälteanwendung Eine typische, ebenfalls häufig postoperativ angewendete Maßnahme stellt die Anwendung von Kälte in Form von Eispacks dar. Hierbei werden gefrorene Gelpakete oder Tüten mit gecrashtem Eis oder gefrorenen Erbsen auf die betroffene Körperstelle platziert. Die Anwendung sollte 5–10 Minuten dauern; mögliche Nebenwirkungen wie Auskühlung oder sogar Vereisung müssen dabei unbedingt vermieden werden [13]. Eine Anwendung ist ebenfalls nur möglich, wenn der Patient die Anwendung ausrei-
Abb. 21.3: Gefrorenes Gelpaket wird z. B. in ein Handtuch eingeschlagen, um Hautschädigungen zu vermeiden.
324 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
chend versteht, über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt ist und er die Kühlanwendung eigenständig bei Unbehagen entfernen kann. Wichtig ist dabei, dass zwischen dem Eispack und der Haut immer eine Schutzhülle wie ein Kissenbezug oder ähnliches gegeben wird, um Hautschädigungen zu vermeiden (s. Abb. 21.3). Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) Eine weitere Maßnahme, die gut in der Akutversorgung angewendet werden kann, sich aber bisher nur in einzelnen Kliniken etablieren konnte, stellt die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS) dar. Hierbei werden Elektroden in der Nähe der schmerzenden Körperstelle, z. B. einer Operationswunde, platziert und mit einem speziellen Gerät leichte Stromreize appliziert, die der Patient als Kribbelgefühl wahrnimmt. Die schmerzlindernde Wirkung beruht wahrscheinlich auf einer Unterbrechung der Schmerzweiterleitung auf Rückenmarksebene. Viele Studien bescheinigen eine gute Wirksamkeit für die postoperative Situation, insbesondere in der Abdominal- und Thoraxchirurgie, der Gynäkologie und Orthopädie [14]. In der Regel wird diese Methode dann nach entsprechender Einweisung vom Patienten in Eigenregie angewendet. Wichtig bei der Anwendung ist, dass keine Metallteile (z. B. Klammern) im Bereich der Stimulationselektroden (oder zwischen ihnen) platziert sind, da diese sich sonst erwärmen und zu Verbrennungen führen können. Aromapflege In der Akutschmerztherapie kann zusätzlich die Aromapflege angewendet werden. Es handelt sich hierbei um den gezielten und geschulten Einsatz naturbelassener ätherischer Öle, fetter Pflanzenöle, Hydrolate und deren Aromapflegeprodukte in bester Qualität. Sie dient der Förderung und Erhaltung des Wohlbefindens, der Stress- und Angstreduktion, lindert Nebenwirkungen von Therapien und fördert somit die Patientenzufriedenheit. In jedem Fall sollte der Anwendung eine gezielte Schulung zur Aromapflege vorausgehen. Die in der Aromapflege angewendeten Öle können schmerzlindernd, angstreduzierend wirken und zu einer Verbesserung des Wohlbefindens und der Lebensqualität beitragen [15]. Virtual Reality In der neueren Literatur finden sich Hinweise, dass Angebote der Virtual Reality über entsprechende VR-Brillen als ablenkende Maßnahmen sinnvoll sein können [16,17]. Angebote können dabei z. B. virtuelle Spiele sowie entspannende Darstellungen von Naturlandschaften sein. Insbesondere zeigen sich positive Effekte bei Kindern, da diese rascher in die virtuelle Welt einzutauchen vermögen als dies Erwachsenen häufig möglich ist.
21.5 Information, Anleitung und Schulung 325
21.5 Information, Anleitung und Schulung Das Aufgabenspektrum der Pflege hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt und nicht zuletzt zeigt sich dies in der Übernahme von edukativen Aufgaben durch Pflegende. Sie informieren Patienten, sie leiten diese an und führen ebenfalls Schulungen durch. Die Übernahme von Schulungen wird von der Weltgesundheitsorganisation als Kernbereich professioneller Pflege betrachtet und im Nationalen Expertenstandard Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen werden Informationen, Anleitungen und Schulungen als ein wichtiges Element im pflegerischen Schmerzmanagement dargestellt [4]. Merke: Nur durch eine ausreichende Information der betroffenen Person bezogen auf das Schmerzmanagement und die aktive Mitgestaltung durch den Patienten, kann ein möglichst umfassendes und nachhaltiges Schmerzmanagement umgesetzt werden.
Eine zielgerichtete, auf den individuellen Patienten abgestimmte Anleitung wie auch Schulung (z. B. zur zeitgerechten Einnahme der Schmerzmedikamente oder zur Durchführung nicht medikamentöser Maßnahmen) ermöglicht eine nachhaltige Sicherung der eingeführten Maßnahmen, insbesondere unter dem Aspekt der Sicherung über Sektorengrenzen hinweg. Dabei steht das Ziel im Vordergrund, den Patienten in die Lage zu versetzen, die geplanten Maßnahmen zu verstehen und ihn aktiv am Behandlungsprozess zu beteiligen [18].
21.5.1 Patientenschulung Während die Information der Patienten als erste Stufe der Edukation lediglich die Weitergabe allgemeiner Inhalte umfasst, beinhaltet die Patientenschulung die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten bezogen auf das Problem Schmerz und der damit verbundenen schmerzbedingten Probleme. Schriftlich fixierte Konzepte stellen dabei eine Voraussetzung dar, um das Vorgehen der Schulung zu vereinheitlichen [4,19]. Zwar ist die einzelne Maßnahme nicht auf die individuelle Situation des Betroffenen ausgerichtet, sondern richtet sich vielmehr an alle Patienten einer bestimmten Gruppe (z. B. alle Patienten, die aufgrund einer Gelenkoperation Schmerzen haben), allerdings sollten die Lernvoraussetzungen und Lernmöglichkeiten des einzelnen Patienten berücksichtigt werden. Die Schulung sollte die Wissensvermittlung zur medikamentösen (z. B. wie nehme ich ein bestimmtes Medikament ein) und nicht medikamentösen Schmerztherapie (z. B. die Anwendung von Kühlelementen) umfassen. Daneben sollte die Bedeutung der Schmerzerfassung und ihrer Durchführung sowie das Einüben praktischer Fertigkeiten Inhalt sein. Eine Schulung dient ebenfalls dem Abbau von Ängsten, Möglich-
326 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
keiten von Fragen durch den Patienten und das Einbeziehen des Patienten, um Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Um eine möglichst rasche Genesung des einzelnen Patienten sicher zu stellen, bedarf es deshalb der Vermittlung von für den einzelnen Patienten individuell geeigneten Maßnahmen. Nur so kann letztendlich eine Partizipation der Patienten im Sinne der Sicherung der eingeführten Maßnahmen stattfinden. Merke: Ziel der pflegerischen edukativen Maßnahmen ist immer die Stabilisierung und/oder Förderung der Alltagskompetenz im Sinne der Aktivitäten des täglichen Lebens.
Durch kürzere Krankenhausverweildauer bedarf es in der Regel einer Fortführung des Schmerzmanagements in der Häuslichkeit oder in weiterbetreuenden Einrichtungen und damit einer möglichst selbständigen Durchführung des Schmerzmanagements durch die Patienten oder der betreuenden Personen. Hieraus ergibt sich eine Notwendigkeit der expliziten Edukation vor Entlassung des Patienten. Um die Durchführung durch den Patienten sicher zu stellen, sind die Inhalte auf den Alltag des Patienten ausgerichtet und abgestimmt. Jede Schulungsmaßnahme muss strukturiert, geplant und patientenorientiert stattfinden. Sie sollte durch zielgruppenspezifische schriftliche Patienteninformationen (z. B. als Flyer) unterstützt werden. Diese können von den Pflegenden in der Edukation genutzt werden und dem Patienten eine Reflexion und/oder Vertiefung ermöglichen. Vor allem vor dem Hintergrund ambulanter Operationen, kürzerer Krankenhausverweildauern und sich wandelnder Lebenssituationen werden mündliche sowie schriftliche Informationen immer bedeutsamer. Dies ermöglicht die Patienten mit ausreichenden Kompetenzen zur Selbstpflege auszustatten und beugt damit der plötzlichen Hilfslosigkeit nach Entlassung in den häuslichen Bereich vor. Merke: Die Patientenedukation muss an die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Patienten angepasst werden.
21.6 Schnittstellen im Schmerzmanagement Im Jahr 2015 wurden in deutschen Krankenhäusern 19,2 Millionen Patientenfälle behandelt [20]. Eine Rehospitalisierung erfolgt dabei bei rund 20 % der Patienten und steigt sogar bis auf 50 % bei älteren Patienten an. Risikogruppen für eine stationäre Wiederaufnahme sind dabei neben Menschen mit Erkrankungen des Herz-KreislaufSystems sowie des Atmungssystems und des Stoffwechsels auch Personen mit Verletzungen, die langanhaltende Beeinträchtigungen mit sich bringen, wie zum Beispiel nach großen Gelenkeingriffen oder Schädel-Hirn-Traumatisierungen [21]. Aufgrund der Erfahrungen mit gängigen Entlassungspraktiken fordert das AQUA-Institut daher
21.6 Schnittstellen im Schmerzmanagement 327
eine systematische Erfassung von Risikopatienten und eine frühzeitige Entlassungsplanung unter Einbeziehung der Patienten und ihrer Angehörigen. Auch sollte eine gezielte Beratung und Schulung der Betroffenen erfolgen. Beides ist laut AQUA-Institut durch den Einsatz speziell qualifizierter Pflegender zu gewährleisten [21]. Pflegende haben die Aufgabe, die durchgeführte Pflege zu evaluieren und eine Fortführung der durchgeführten und effektiven Maßnahmen einzuleiten [4]. Dies bedeutet, dass eine pflegerische Informationsweitergabe bei der Entlassung aus dem Krankenhaus an nachbetreuende Einrichtungen zum Schmerzmanagement erfolgen muss. Es ist dabei zu fordern, dass sowohl die als effektiv einzustufenden Maßnahmen, insbesondere die pflegerischen, also nicht medikamentösen Maßnahmen als auch die Form der Schmerzerfassung, die angewendet worden ist, weiterzugeben sind. Dies gilt besonders für Patienten mit kognitiven Einschränkungen. Hier sollte die für den jeweiligen Patienten geeignete Form der Schmerzeinschätzung mittels Selbst- oder Fremdeinschätzungsinstrument beibehalten werden. Dies gibt den Patienten Sicherheit, ermöglicht eine Beurteilung möglicher Schmerzäußerungen oder schmerzassoziierter Verhaltensweisen im Verlauf und über Sektorengrenzen hinweg. Eine Einschätzung von Risikopatienten erfolgt zum einen durch Identifikation von Patienten mit chronischen Schmerzen und zum anderen einer (möglichen) instabilen Schmerzsituation vor der Entlassung [5]. Hierbei wird sowohl der Schmerz selbst, die Beeinflussung der Funktionalität, der sozialen Teilhabe, der Lebensqualität sowie die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Chronifizierung eingeschätzt, um nachfolgend im interprofessionellen Team mögliche Interventionen abzustimmen und zu planen [5]. Dies gilt auch in der Akutversorgung im Krankenhaus, da hier viele Patienten mit begleitenden chronischen Schmerzen, bedingt durch chronische Erkrankungen, vorhanden sind und als Risikopatienten für einen problematischen Schmerzverlauf gelten (vgl. auch Kap. 23). Merke: Insbesondere bei Patienten mit instabilen Schmerzsituationen oder komplexen Akutschmerzsituationen sollte die Möglichkeit der Hinzuziehung eines Pflegexperten Schmerz [22] innerhalb einer Klinik ermöglicht werden.
Die pflegerischen Schmerzexperten können die vom AQUA-Institut geforderte Beratung und Schulung von Patienten und ihrer Angehörigen zu schmerzspezifischen Fragen übernehmen und mit dem Patienten Notwendigkeiten für das Schmerzmanagement nach der Entlassung besprechen. Hier geht es insbesondere um die Befähigung der Patient und/oder ihrer Angehörigen zur regelhaften und selbständigen Schmerzeinschätzung bei weiterbestehenden Schmerzen, die Anleitung zur korrekten Schmerzmedikamenteneinnahme sowie die Information und Anleitung zur selbständigen Durchführung nicht medikamentöser Maßnahmen.
328 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
Merke: Risikopatienten (chronische Schmerzpatienten) und Patienten mit noch vorhandenen postoperativen Schmerzen sollten vor der Entlassung besonders geschult und informiert werden.
Diese Beratung und Schulung wird oftmals notwendig, da Patienten nach nur kurzem Krankenhausaufenthalt mit weiterbestehenden akuten Schmerzen aus dem Krankenhaus entlassen werden und die im Krankenhaus durchgeführte medikamentöse wie nicht medikamentöse Schmerztherapie fortgeführt werden sollte. Um dies alltagsorientiert für die Patienten zu gestalten und damit eine Weiterführung zu gewährleisten, ist eine auf den Alltag der jeweiligen Person ausgerichtete Beratung und/oder Schulung notwendig. Aufgrund der Alltagsnähe von Pflegenden kann dies daher gut durch pflegerische Schmerzexperten und der speziellen schmerzspezifischen Fortbildung erfolgen.
21.7 Pflegeexperten Schmerz Durch die Veröffentlichung der Nationalen Expertenstandards [3,4,5] ist für Pflegende eine verbindliche Grundlage zum pflegerischen Schmerzmanagement geschaffen worden. In diesem Kontext haben sich Fortbildungen etabliert, die eine spezifische Expertise über das grundsätzlich geforderte Wissen und Können zum Thema Schmerz für Pflegende vermitteln [22]. Die hier fortgebildeten Pflegeexperten Schmerz verfügen über spezielle Kenntnisse im pflegerischen Schmerzmanagement und können sowohl das Schmerzassessment unterstützen als auch geeignete pflegespezifische Maßnahmen zur Schmerzlinderung auswählen und das interprofessionelle Schmerzmanagement mit ihren spezifischen Kompetenzen unterstützen [4,5]. Sie haben, wie in den Expertenstandards gefordert, eine besondere Rolle im pflegerischen Schmerzmanagement inne, da sie mitverantwortlich sind für die Konzeption und Umsetzung des (pflegerischen) Schmerzmanagements in ihrem Einsatzbereich. Ihre Einsatzgebiete sind in Krankenhäusern sehr unterschiedlich. So sind sie sowohl auf allgemeinen Pflegestationen, auf der Intensivstation und in der Anästhesie, vor allem aber auch in Akutschmerzdiensten tätig [23]. Hieraus ergeben sich die unterschiedlichen Tätigkeiten der Pflegeexperten Schmerz für ihren jeweiligen Aufgabenbereich. Die speziellen Aufgaben umfassen an erster Stelle die Versorgung/Betreuung von Patienten mit komplexen Schmerzproblemen in operativen und konservativen Abteilungen und die Betreuung von Patienten mit invasiven Schmerztherapieverfahren. Neben den Aufgaben in der direkten Patientenversorgung sind die Pflegeexperten Schmerz mit edukativen und konzeptionellen Aufgaben betraut (s. Infobox 21.4). Diese beziehen sich auf die hausinterne Schulung zum pflegerischen Schmerzmanagement, die Umsetzung der Nationalen Expertenstandards zum Schmerzmanagement in der Pflege und die Mitarbeit in Projektgruppen zum Thema Schmerz [23].
21.8 Die Pflegevisite als Element der Qualitätssicherung im Schmerzmanagement 329
Infobox 21.4: Das Aufgabenspektrum von Pflegenden in der Akutschmerztherapie umfasst unter anderem – Pflegerische Anamnese der Schmerzsituation – Erhebung von Akut- und chronischem Schmerz – Einschätzung der Stabilität der Schmerzsituation – Festlegung einer Pflegediagnose Schmerz – Planung möglicher Therapiemaßnahmen (Abstimmung mit anderen Berufsgruppen) – Einbezug nicht-medikamentöser Maßnahmen – Angebot zu Information, Schulung, Beratung für Patienten und/oder pflegerische Kollegen
Die pflegerische Expertise von Pflegexperten Schmerz auf den Stationen, im Akutschmerzdienst und übergeordnet durch Herauslösung aus dem Stationsalltag ermöglicht die Unterstützung und ggf. die Koordination aller am Prozess beteiligten Berufsgruppen im perioperativen Schmerzmanagement. Die Kommunikation ohne hierarchische Hürden der Pflegeexperten Schmerz zu Pflegenden auf der Station verbessert die Umsetzung eines umfassenden, pflegerischen Schmerzmanagements für Patienten auf den Stationen. Merke: Pflegeexperten Schmerz haben eine ausgewiesene Expertise in der pflegerischen Versorgung von Patienten mit Schmerzen.
21.8 Die Pflegevisite als Element der Qualitätssicherung im Schmerzmanagement Die Pflegevisite ist ein Element der Qualitätssicherung und besteht schwerpunktmäßig aus einer gemeinsamen Beurteilung, Reflexion und Bewertung der einzelnen Schritte des Pflegeprozesses [24]. Eine Pflegevisite kann zu einzelnen Punkten des Pflegeprozesses durchgeführt werden z. B. mit dem Schwerpunkt auf das pflegerische Schmerzmanagement. Pflegende setzen den Fokus hierbei auf den vorhandenen oder zu erfahrenden Schmerz des Patienten. Es werden die Pflegeanamnese zum Schmerz und die daraus abzuleitenden Maßnahmen erörtert und mit dem Patienten gemeinsam besprochen. Die Einbeziehung des Patienten in den Prozess der Pflegevisite kommt an dieser Stelle eine große Bedeutung zu. Patienten werden aktiv in das pflegerische Schmerzmanagement aufgenommen, bekommen Informationen zur Schmerzbehandlung, zur Analgetikatherapie und den eigenen Möglichkeiten zur Schmerzreduktion. Die Pflegeziele werden gemeinsam mit dem Patienten erarbeitet und finden sich in der Pflegeplanung wieder. Eine präoperative Pflegevisite z. B. bei chronischen Schmerzpatienten hilft dem Patienten seine Ängste zu reduzieren, bietet den Pflegenden die Möglichkeit über das postoperative pflegerische Schmerzmana-
330 21 Pflegerische Aspekte in der Akutschmerztherapie
gement zu informieren und mit dem Patienten gemeinsam Erwartungen und Ziele zu formulieren. Der Patient wirkt damit aktiv am Pflegeprozess mit. Infobox 21.5: Ziele der Pflegevisite [24] – Qualitätssicherung und -entwicklung – Erhebung des Hilfsmittel- und Pflegemittelbedarfs – Überprüfung der Wirksamkeit des Pflegeplans – Erfassung von Ressourcen und Problemen des Patienten – Ermittlung des aktuellen Pflegebedarfs – Förderung der Autonomie von Patienten – Einbeziehung des Patienten in seinen Pflegeprozess
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22 Physiotherapie in der Akutschmerztherapie Axel Schäfer Physiotherapie ist fester Bestandteil der Nachsorge bei einer Vielzahl unterschiedlicher Operationen. Neben der frühfunktionellen postoperativen Mobilisation rücken zunehmend weitere Maßnahmen der Physiotherapie in den Fokus, die einen Beitrag zur Akutschmerztherapie leisten können. Dies schließt auch Maßnahmen ein, die als Prehabilitation schon vor der eigentlichen Operation durchgeführt werden. Merke: Ein Hauptziel einer perioperativen aktiven Physiotherapie ist die Prävention von chronischen postoperativen Schmerzen (CPSP), die bei bis zu 50 % der Patienten nach elektiven chirurgischen Eingriffen auftreten können.
CPSP kann mit erheblichen negativen Folgen für die Lebensqualität der Betroffenen und hohen Kosten für Gesundheits- und Sozialsysteme einhergehen (siehe auch Kap. 1). In Finnland und Kanada wurden bereits Konzepte implementiert, um die Inzidenz von CPSP und ihren Folgen zu verringern [1,2]. Diese Konzepte sind interdisziplinär organisiert und umfassen prä- und perioperativ das Screening von Risikofaktoren, Edukation, Optimierung der medikamentösen Analgesie sowie psychologische und physiotherapeutische Maßnahmen (siehe Kap. 1). Da funktionelle Bewegungen und damit zusammenhängende Alltagsaktivitäten und Partizipation nach Operationen häufig eingeschränkt sind [3], werden auch physiotherapeutische Maßnahmen in dieses Konzept mit einbezogen.
22.1 Definition Physiotherapie Physiotherapie ist eine komplexe Intervention mit dem Ziel, Bewegung auf Ebene der Funktion, Aktivität und Partizipation wiederherzustellen, zu erhalten und zu fördern. Infobox 22.1: Die physiotherapeutische Intervention beinhaltet nach Probst (2009, zit. nach [4]) – Anamnese und körperliche Untersuchung, – eine daraus resultierende physiotherapeutische Diagnose – eine Prognose, – Zielvereinbarungen, – Behandlungsplanung, – physiotherapeutische Maßnahmen – Überprüfung der vereinbarten Ziele
https://doi.org/10.1515/9783110597486-022
334 22 Physiotherapie in der Akutschmerztherapie
Die Aufgabe der Physiotherapie besteht darin, mittels Informationen aus Anamnese und körperlicher Untersuchung eine physiotherapeutische Diagnose zu stellen, um existierende oder potentielle Beeinträchtigungen, Aktivitäts- oder Partizipationseinschränkungen und die damit zusammenhängenden Umwelteinflüsse sowie Fähigkeiten und Störungen des Patienten zu identifizieren [5]. Auf Grundlage der physiotherapeutischen Diagnose wird eine Prognose gestellt, Ziele mit den Patienten vereinbart, geeignete Maßnahmen geplant und durchgeführt und im weiteren Verlauf das Therapieergebnis mit den vorher gesetzten Zielen abgeglichen (Abb. 22.1). Im Folgenden werden physiotherapeutische Maßnahmen im prä, peri- und postoperativen Setting vorgestellt, die, direkt oder indirekt, präventive Wirkung auf die Manifestation von CPSP haben können.
Auflösung Problemstellung Anamnese/Reanamnese Revision/ Überprüfung
Datenauswertung/ Dateninterpretation
Überprüfung Goal Setting physiotherapeutische Diagnose und Prognosse physiotherapeutische Maßnahmen
Goal Setting Interventionsplanung/ Behandlungsvertrag
Abb. 22.1: Die physiotherapeutische Intervention adaptiert nach Probst 2009, zit. nach [4].
22.2 Präoperative Physiotherapie Eine verbesserte körperliche und mentale Ausgangssituation vor der Operation kann das postoperative Ergebnis positiv beeinflussen. Verschiedene interdisziplinäre Ansätze, wie z. B. „Better in Better Out“ oder „Strong for Surgery“ [6] werden unter dem Begriff Prehabilitation zusammengefasst. Prehabilitation umfasst präoperatives Krafttraining, Ausdauertraining, funktionelles Training von Alltagsaktivitäten, Atemtherapie, Edukation, Gangschule und Hilfsmittelberatung sowie ggf. Ernährungs-
22.2 Präoperative Physiotherapie 335
beratung oder Raucherentwöhnung. Die Wirksamkeit der Prehabilitation in Bezug auf reduzierte Krankenhausaufenthaltsdauer und verbesserte postoperative physische Parameter nach kurativen oder palliativen OPs konnte in verschiedenen Studien gezeigt werden [7]; vergleiche zur Evidenzlage Infobox 22.2. Merke: Prehabilitation wird insbesondere für Patienten mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von CPSP empfohlen [8].
Um Patienten mit Risiko frühzeitig identifizieren zu können, sollten schon bei Indikationsstellung für die Operation Risikofaktoren mit geeigneten Tests erhoben werden. Dies umfasst das Messen der funktionellen Kapazität und Übungstoleranz, der Schmerzintensität und -empfindlichkeit sowie der Funktion und körperlichen Belastbarkeit mittels standardisierter Tests und Assessments. Dies kann u. a. mit Fragebögen geschehen, wie etwa dem Schmerzempfindlichkeitsfragebogen [9], quantitativen sensorischen Tests (QST) zur Messung der Druck- oder Kälteschmerzschwelle [10], oder aktivitätsbezogene Assessments wie dem Sechs-Minuten Gehtest. Infobox 22.2: Evidenz für Effekte verschiedener physiotherapeutischer Maßnahmen im Rahmen der Prehabilitation 1. Präoperative Übungs- und Atemtherapie kann pulmonale Komplikationen und Krankenhausaufenthaltsdauer nach Herzchirurgie reduzieren [11]. 2. Präoperative Übungstherapie kann postoperativen Schmerz bei Knie- und Hüft-TEP reduzieren sowie Funktion und postoperative körperliche Aktivität verbessern [12–15]* 3. Präoperative Atemtherapie, Ausdauertraining und Krafttraining können postoperative Komplikationen nach abdominalen OPs verringern [16]; eine 30-minütige physiotherapeutische Intervention bestehend aus Atemtherapie und Edukation konnte die Inzidenz von pulmonalen Komplikationen und Pneumonien verringern [17]. 4. Edukation und Musik können die Angst vor OP und Schmerz danach reduzieren [18]. * Effektgrößen waren teilweise nur klein [15].
Merke: Da die Durchführung der Prehabilitationsmaßnahmen in Einrichtungen oft durch Zeit- und Mobilitätsprobleme eingeschränkt ist, wird insbesondere für ältere Patienten eine Durchführung im häuslichen Setting mit Fokus auf dem Üben von Alltagaktivitäten empfohlen [16].
Idealerweise, aber noch lange nicht flächendeckend, wird Prehabilitation durch den Einsatz von eHealth-Technologie wie Apps oder webbasierten Programmen unterstützt [19]. Neben einer Verbesserung der körperlichen Belastbarkeit von Patienten durch gezieltes und intensives Kraft- und Ausdauertraining sowie funktionelles Training, gilt es auch die mentalen Ausgangsbedingungen zu verbessern. Über Edukation können Patienten auf ein realistisches postoperatives Szenario vorbereitet werden, z. B. in Bezug auf häusliche Hilfe, Pflegebedarf und erforderliche Hilfsmittel
336 22 Physiotherapie in der Akutschmerztherapie
[20]. Insbesondere Schmerzedukation mit den Inhalten Neurophysiologie und Schmerzverarbeitung scheint geeignet, um Angst und Sorge zu vermindern [21]. Weitere Inhalte können die funktionelle und aktivitätsbezogene Prognose, Selbstmanagement, Hilfsmittel, häusliches Umfeld, Unterstützungsmöglichkeiten sowie positive Effekte körperlicher Aktivität sein [21]. Für Patienten, die gesteigerte Angst, Sorge oder generelle Anspannung zeigen, sind Entspannungsmaßnahmen wie progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, autogenes Training oder auch Musik geeignet, die eine angstmindernde und beruhigende Wirkung gezeigt haben [22].
22.3 Postoperativ stationär Anstelle der üblichen standardisierten postoperativen Versorgung („one size fits all“) wird heute eine individuelle, an das Risikoprofil und die Belastbarkeit der Patienten angepasste physiotherapeutische Versorgung empfohlen [8]. Patienten mit einem hohem Risiko für die Entwicklung von CPSP benötigen eventuell vier Mal am Tag Physiotherapie, bei anderen kann eine einmalige Beratung ausreichend sein. Eine Umverteilung der Ressourcen zugunsten von Patienten mit erhöhtem Risiko könnte zu einer Verbesserung des Outcomes nach Operationen beitragen. Unabhängig von der Art der Operation wird frühfunktionelle Mobilisation und Aktivierung, wenn möglich mit Aufstehen am ersten postoperativen Tag, empfohlen [23,24]. Merke: Der Fokus der postoperativen Physiotherapie sollte auf der Steigerung von Funktion und Aktivität und weniger auf der Schmerzwahrnehmung der Patienten liegen.
Konkret bedeutet dies am Beispiel der stationären Akutrehabilitation nach Einsatz von Kniegelenkstotalendoprothesen [25], dass die erste Mobilisation bereits am Tag der Operation stattfindet und mit Treppensteigen am zweiten postoperativen Tag begonnen wird. Der Fokus liegt hier auf dem Training der Aktivitäten des täglichen Lebens in einem der Wohnsituation nachempfundenen Trainingsbereich, unterstützt durch motivierende, positive Verstärkung seitens des Physiotherapeuten. Dies findet zusätzlich zur Standardbehandlung wie Gangschule, passive Mobilisation des Kniegelenks in Flexion und Extension, Dehnung, Muskelkräftigung und Atemtherapie statt. Empfohlen wird eine tägliche, intensive, individuelle Physiotherapie (Dauer 45 bis 120 Minuten) mit dem Ziel der Entlassung bis spätestens Tag 6. Im Rahmen einer Metaanalyse wurde gezeigt, dass dieser „accelerated pathway“ die stationäre Krankenhausaufenthaltsdauer im Mittel um 3,47 Tage (95 %KI 1,27; 5,67) verringerte [25]. Die Evaluation eines neuen Behandlungspfades für Patienten mit minimal invasiv eingesetzten Kniegelenksteilprothesen in den Oxford University Hospitals (UK) [26] zeigte, dass von 669 operierten Patienten 517 (77 %) spätestens am Tag nach der
22.3 Postoperativ stationär 337
Operation entlassen wurden. Der Behandlungspfad sieht Edukation und Mobilisierung am Operationstag, statische Quadrizepsanspannung und Vermeidung der Kniegelenksflexion zu Hause vor. Am Tag 5 nach Operation erfolgte eine Wiedervorstellung in der Physiotherapie mit Beginn der Erarbeitung der Kniegelenksflexion [26]. Weitere wichtige Aspekte sind angstmindernde Kommunikation, aktivitätsbezogene Zielsetzung sowie der Einbezug von Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie oder der Awareness and Commitment Therapy (ACT) [27]. Unterstützend kann Elektrotherapie einen schmerzlindernden Effekt haben. Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit zeigen eine kurzfristige (24 bis 48 Stunden) Schmerzreduktion [28,29] sowie verminderten Opioidverbrauch [29] für die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) bei Patienten nach Versorgung mit einer Knie TEP. Passive Maßnahmen wie manuelle Lymphdrainage können die Beweglichkeit nach Knie TEP Versorgung verbessern [30,31] sowie postoperativen Schmerz verringern [31]. Auch Massage kann akuten postoperativen Schmerz [32,33] und Angst [33] nach Herzoperationen reduzieren; hier sei aber betont, dass (wie bei chronischen Schmerzen auch) das vorrangige Ziel der Physiotherapie die Aktivierung der Patienten ist und passive Maßnahmen nur ergänzend und kurzfristig erfolgen sollten. Für kontinuierliche passive Bewegung mittels Motorschiene konnten keine klinisch relevanten Effekte auf Schmerz, Bewegungsausmaß und Lebensqualität nach Knie TEP Versorgung gezeigt werden [34,35]. Auch die Effekte von Kryotherapie auf Blutverlust, Schmerz und Bewegungsausmaß nach Knie TEP sind wahrscheinlich zu klein, um den Einsatz zu rechtfertigen [35,36]. Ebenso wenig zeigte das Tragen von Kompressionsstrümpfen nach Knie TEP Effekte auf Schwellung, Schmerz und Kniefunktion [37]. Spiegeltherapie bei Amputationen: Ein weiteres im Rahmen der Physiotherapie häufig verwendetes Verfahren zur Reduktion von Phantomschmerzen nach Amputationen ist die Spiegeltherapie. Diese kann bei Amputationen der oberen und unteren Extremitäten durchgeführt werden, sobald Phantomschmerzen auftreten. Phantomschmerzen können nach einer Amputation schon früh postoperativ, aber auch erst später, nach Entlassung der Patienten aus der Klinik auftreten. Durch das Fehlen des sensomotorisch kortikalen Inputs kommt es zu einer kortikalen Reorganisation im Sinne einer veränderten Somatotopie nach Amputationen. Dies geht mit der Entstehung von Phantomschmerzen einher [38]. Das Spiegeltraining reduziert Phantomschmerz und beeinflusst kortikale Reorganisation [39,40]. Neuere Untersuchungen zeigen, dass das Vorkommen eines Teleskop-Phänomens („Schrumpfen der amputierten Gliedmaße“) ein Prädiktor für non-Responder einer Spiegeltherapie darstellt [41]. Auch für Complex Regional Pain Syndrome (CRPS) kann Spiegeltherapie, ggf. zusammen mit vorherigem Imaginationsstraining und Lateralisationstraining, hilfreich sein [42]. Die Spiegeltherapie ist einfach und kann, nach Anleitung, vom Patienten selbständig zu Hause durchgeführt werden.
338 22 Physiotherapie in der Akutschmerztherapie
22.4 Postoperativ nach Entlassung Auf Grundlage der körperlichen Belastbarkeit und des Risikoprofils werden individuelle Programme entwickelt, die progressiv an die sich ändernde Belastbarkeit der Patienten angepasst werden und eine Erhöhung des Aktivitätsniveaus und der Partizipation zum Ziel haben. Dabei sollten, analog zu den Grundsätzen einer multimodalen Schmerztherapie, angstmindernde Kommunikation, aktivitätsbezogene Zielsetzung, zeitkontingente Trainingssteuerung (Pacing) sowie Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie einbezogen werden [43]. Die Umsetzung sollte im häuslichen Setting erfolgen, unterstützt durch eHealth-Technologie wie Apps, Messenger-Dienste und Telekommunikation. Der Fokus liegt auf Übungstherapie mit höchstmöglicher Intensität, Unterstützung des Selbstmanagements sowie Motivation zur Steigerung körperlicher Aktivität. Weitere Bestandteile sind eHealth gestütztes körperliches Training oder auch Entspannung sowie eine engmaschige Begleitung der Patienten durch das interdisziplinäre Team. Konkret würde das für die postoperative Versorgung am Beispiel eines Patienten nach Lungentransplantation so aussehen, dass im Rahmen eines Hausbesuchs die körperliche Belastbarkeit, Funktion, Symptome sowie die räumliche Umgebung und das soziale Umfeld beurteilt werden. In einem ersten Schritt werden gemeinsam mit dem Patienten relevante Ziele vereinbart, z. B. „Ich möchte wieder selbstständig im Supermarkt einkaufen“. Um das Ziel zu erreichen muss der Patient in der Lage sein, den 400 m weit entfernten Supermarkt zu Fuß zu erreichen, die Einkäufe mit einem Rollwagen nach Hause zu ziehen und in den ersten Stock zu bringen. Um die körperliche Belastbarkeit zu steigern, wird mit dem Patienten ein Trainingsprogramm vereinbart, welches aus Ausdauertraining auf dem Fahrradergometer, einer stufenweisen Steigerung der Gehstrecke sowie Kräftigungsübungen für die untere Extremität und Beweglichkeitsübungen für den Rumpf bestehen. Weiterhin wird in den ersten drei Physiotherapieeinheiten Edukation mit den Inhalten Schmerzneurophysiologie und Wichtigkeit körperlicher Aktivität durchgeführt. In wöchentlichen Abständen finden auch fernmündliche Wiederbefunde durch den Physiotherapeuten in Verbindung mit Zielanpassung und motivierenden Gesprächen statt. In diesem Zusammenhang hat sich auch der Einsatz von eHealth für das Erfassen von Symptomen und zur Unterstützung des körperlichen Trainings nach Lungenresektion als vorteilhaft für die Regeneration herausgestellt [44].
22.5 Physiotherap. integrative u. sektorenübergreifende Akutschmerzversorgung 339
22.5 Wie könnte eine physiotherapeutische integrative und sektorenübergreifende Akutschmerzversorgung aussehen? Physiotherapeutischen Maßnahmen wie Edukation und der Einbezug von grundlegenden Maßnahmen der Schmerztherapie wie angstmindernde Kommunikation, motivierende Gesprächsführung oder zeitkontingentierte Trainingssteuerung sind in die herkömmliche Versorgung gut integrierbar. Allerdings könnten hier seitens der Physiotherapie erweiterter Qualifikation bzw. interdisziplinärer enger Zusammenarbeit in Bezug auf die Erhebung von Risikofaktoren, schmerzbezogenen Assessments und den Einbezug oben genannter Maßnahmen aus der Schmerztherapie nötig sein, da diese nicht immer Bestandteil der Berufsqualifikation sind. Eine Implementation der o. g. Maßnahmen in die stationäre Versorgung erscheint machbar, da es zu einer Umverteilung der Ressourcen zugunsten der Patienten kommt, die aufgrund Ihres Risikoprofils am meisten davon profitieren. Dies erfordert allerdings ein Umdenken in der Indikationsstellung für postoperative Physiotherapie, flexiblere Nachsorgepläne [8] so wie eine Refinanzierung durch die Krankenkassen nach stationärer Entlassung. Merke: Die Umsetzung der Prehabilitation und der ambulanten Nachsorge im häuslichen Setting kann über den Einsatz von eHealth und Kommunikationstechnologie unterstützt werden.
Der folgende Abschnitt beschreibt ein mögliches Versorgungsszenario für die perioperative Versorgung von Risikopatienten zur Prophylaxe postoperativer CPSP und ihre Folgen mit Schwerpunkt auf der Physiotherapie [2]: Ein interdisziplinäres Gesamtkonzept ist in Abb. 22.2 aufgeführt. Patienten mit einem hohen Risiko für CPSP werden bei Operationsindikationsstellung physiotherapeutisch untersucht und erhalten ein maßgeschneidertes, eHealth-unterstütztes präoperatives Heimprogramm mit wöchentlichem Monitoring durch den Physiotherapeuten. Patienten mit einem niedrigen Risiko erhalten eine Anleitung für Eigenübungen und die üblichen präoperativen Empfehlungen. Nach der Operation werden Risikopatienten vom Physiotherapeuten untersucht. Dieser erstellt ein dem Risikoprofil und der Belastbarkeit entsprechendes individuelles physiotherapeutisches Programm, welches durch den Stationsphysiotherapeuten durchgeführt wird. Nach Entlassung werden Risikopatienten in ein individualisiertes, eHealth gestütztes Heimprogramm eingeführt, welches über einen Zeitraum von 6 Wochen durchgeführt und wöchentlich durch den Physiotherapeuten begleitet und ggf. angepasst wird. Nach Ablauf der 6 Wochen findet die physiotherapeutische Abschlussuntersuchung statt mit Empfehlungen für eine Weiterführung der Nachsorge unter Einbezug der lokalen Versorgungsinfrastruktur (z. B. Sportvereine, Praxen). Bis zu einem Jahr nach der Operation werden (falls weitere Risikofaktoren bestehen) Anrufe bei den Patienten durchgeführt, um den Fortschritt der Patienten zu überwachen.
340 22 Physiotherapie in der Akutschmerztherapie
Aufnahme
OP
Entlassung
zuhause
stationär
zuhause
hohes Risiko: PT-Untersuchung, maßgeschneidertes HeimUntersuchung: programm, - medizinisch Edukation - funktionell Diagnose niedriges Risiko: Risikoprofil Aufklärung, Information, Selbstmanagement
hohes Risiko: PT-Untersuchung, Festlegen der funktionellen Untersuchung: Meilensteine, - medizinisch intensive PT, - funktionell Edukation Diagnose niedriges Risiko: Risikoprofil Aufklärung, Information, Selbstmanagement
hohes Risiko: PT-Untersuchung, maßgeschneidertes Heimprogramm 6 Wochen, Edukation, Monitoring niedriges Risiko: Aufklärung, Information, Selbstmanagement
Kontext
interdisziplinäres Team eHealth Technologie Infrastruktur und Logistik (Station, Räume, Betten, mobile Endgeräte, Monitoring) proaktive, aktivierende und angstmindernde Kultur
Ende des Programms bei Erreichen der Meilensteine
Prozess
Indikation
Zeit Abb. 22.2: Idealvorstellung einer physiotherapeutischen Versorgung im Rahmen der Akutschmerztherapie modifiziert nach [8].
22.6 Fazit –
–
–
Physiotherapeutische Maßnahmen wie Übungstherapie, Edukation und physikalische Therapie können im prä-, peri- und postoperativen Setting, über Schmerzreduktion, Verbesserung der Funktion, Angstreduktion und körperliche Aktivierung direkt oder indirekt der Manifestation von CPSP entgegenwirken. In der derzeitigen Versorgung ist jedoch Prehabilitation für Risikopatienten nicht vorgesehen, postoperativ kommen häufig standardisierte Nachbehandlungskonzepte zum Einsatz („one size fits all“) und die ambulante Nachbehandlung außerhalb der Rehabilitationseinrichtungen ist wenig koordiniert und meist monodisziplinär. Angesicht der hohen Prävalenz- und Inzidenzzahlen für CPSP braucht es dem Risikoprofil angepasste, individuelle Interventionen, die auch den Möglichkeiten und Wünschen der Patienten Rechnung tragen, z. B. durch Programme, die in der gewohnten häuslichen Umgebung stattfinden.
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Teil III: Besondere Patientengruppen
23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen (Analgetikaabusus und Drogenabhängige) Frank Petzke
23.1 Einleitung Für die perioperative Schmerztherapie bestehen im Zusammenhang mit chronischen Schmerzen und Opioidabhängigkeit einerseits sehr unterschiedliche aber zunehmend in einem gemeinsamen Spektrum verbundene Herausforderungen. Die erste Herausforderung ist die Differenzierung chronischer und/oder chronifizierter Schmerzen beim betroffenen Patienten und deren häufige Behandlung mit Substanzen, die einerseits einen Entzug auslösen können aber andererseits potenziell auch eine schädliche Anwendung und Abhängigkeit zur Folge haben können. Dies trifft derzeit insbesondere für Opioide zu, aber in geringerem Maße auch für Pregabalin und als Folge der Änderung der Verordnungsmöglichkeiten von Cannabinoiden in der Zukunft vermutlich auch für diese Substanzgruppe. Der häufige (Über-)gebrauch von Nicht-Opioiden kann dagegen zu organ-toxischen Komplikationen im perioperativen Setting beitragen. Die zweite Herausforderung ist die medikamentöse Schmerztherapie im Kontext einer anamnestisch behandelten, bekannten und/oder manifesten Substanzabhängigkeit, wobei in diesem Kapitel die Substitutionsbehandlung im Vordergrund stehen soll. Bei nicht wenigen dieser Patienten kann auch eine chronische Schmerzerkrankung zur Aufrechterhaltung der Abhängigkeit beitragen. Gerade im Bereich der Einordnung einer Opioidabhängigkeit sind die Übergänge fließend, eindeutige Kriterien für eine Abhängigkeit von medizinisch indizierten Opioiden liegen derzeit noch nicht vor, die klassischen Kriterien für eine Substanzabhängigkeit sind für Schmerzpatienten nicht oder schlecht geeignet (z. B. körperlicher Entzug, Toleranzentwicklung, viele Aspekte des schädlichen Gebrauchs) [1,2]. Im Rahmen der perioperativen Schmerzbehandlung dieser Patientengruppen kommt den organisatorischen Abläufen und strukturellen Ressourcen eine große Bedeutung zu. Die präoperative Identifizierung von Patienten mit Risiken ist entscheidend für die Bahnung der Therapie, die in unterschiedlichem Maße auch auf begleitende (interdisziplinäre) schmerz- und suchtmedizinische Expertise angewiesen ist. Eine strukturierte postoperative Betreuung (z. B. durch Akutschmerzdienst, Schmerzkonsildienst) ist für komplexe Fälle notwendig, auch hier gilt es Patienten mit Risiken einer ungünstigen Entwicklung in Bezug auf postoperativen Medikamenten- und insbesondere Opioidbedarf, für chronische postoperative Schmerzen oder weiterer Chronifizierung einer vorbestehenden Schmerzsymptomatik rechtzeitig zu identifizieren und eine kompetente Schmerzbehandlung zu bahnen. Die Langzeitbehandlung chronischer Schmerzen mit Opioiden wurde in den letzten 30 Jahren von tumorbedingten auch auf nicht-tumorbedingte Schmerzen übertragen und führte zu einer weltweiten Ausweitung der Verordnung von Opioiden, https://doi.org/10.1515/9783110597486-023
348 23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen
insbesondere aber in Nordamerika, Europa (inklusive Deutschland) und Australien, trotz limitierter Evidenz zu Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit [3]. In den USA war diese Zunahme seit 2000 von einem drastischen Anstieg der durch verschriebene Opioide verursachten Todesfällen begleitet, vielfach mit Beginn der Verordnung im postoperativen Setting. Eine Ausweitung der illegalen Verwendung seit 2010 von initial Heroin und zuletzt Fentanyl hat die Wahrnehmung einer krisenhaften Opioidepidemie verstärkt, mit restriktiven Auswirkungen auf die Anwendung von Opioiden in der Behandlung chronischer Schmerzen [3] und Initiativen zur Verringerung einer Überbehandlung akuter Schmerzen. Anzeichen einer solchen Entwicklung finden sich für Deutschland nicht, die grundsätzliche Problematik der kompetenten Versorgung betroffener Patienten besteht aber in gleicher Weise. Merke: Trotz einer zuletzt stabilen Opioidverordnung kann für Deutschland aber durchaus eine Fehlversorgung mit Opioiden in der Versorgung festgestellt werden. Eine Opioidepidemie wie in den USA besteht in Deutschland nicht.
So findet sich zum Beispiel eine hohe Verschreibungsrate für Patienten mit Fibromyalgiesyndrom oder somatoformer Schmerzstörung, sowie ein auffälliger Anteil junger Männer mit psychiatrischen Komorbiditäten und Zunahme von Abhängigkeitsentwicklungen bei Dosierungen > 120 mg MÄQ/Tag [4]. Diese problematische Entwicklung verdeutlicht die Notwendigkeit eines rationalen, kontrollierten und kritischen Umgangs mit den entsprechenden Medikamenten im Rahmen der Indikation chronischer und akuter Schmerzen, die Integration in interdisziplinäre multimodale Therapiekonzepte sowie die enge Kooperation mit der Suchtmedizin.
23.2 Chronischer und chronifizierter Schmerz Akute Schmerzen stellen in der Regel ein Warnsignal dar, das nach Abheilung der auslösenden Ursache wieder verschwindet. Viele Krankheitsbilder, wie z. B. Arthrose, Rückenschmerzen, neuropathische Schmerzen, können aber auch zu anhaltenden chronischen Schmerzen führen. In Deutschland geben bis 26,9 % der Bevölkerung anhaltende Schmerzen in den letzten drei Monaten an, dabei sind viele Patienten nur kaum oder gering durch die Schmerzen beeinträchtigt, aber 7,4 % geben eine starke Beeinträchtigung im Alltag und Beruf an [5]. Wenn Schmerzen länger bestehen bleiben, können sie sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickeln. Dabei können die körperlichen, psychologischen und sozialen Folgeerscheinungen bald eine größere Rolle spielen als die ursprüngliche Schmerzursache, der Schmerz „chronifiziert“. Dies ist bei etwa 2 % der Bevölkerung der Fall [5].
23.2 Chronischer und chronifizierter Schmerz 349
Zusammenfassend ist chronischer Schmerz häufig, aber nur bei einem Teil der Patienten chronifiziert im Sinne einer chronischen Schmerzerkrankung. Schon für Patienten mit chronischen Schmerzen allgemein ist das Risiko für das Auftreten stärkerer postoperativer Schmerzen erhöht und damit vermutlich auch für das Auftreten chronisch postoperativer Schmerzen. Tritt die Chronifizierung dazu, finden sich bei den Patienten häufiger weitere zusätzliche psychologische (z. B. Ängstlichkeit und Katastrophisieren), körperliche (z. B. allgemeine Dekonditionierung, funktionelle Defizite) und andere therapiebezogene Risikofaktoren (z. B. Behandlung mit multiplen Analgetika und Koanalgetika) für ein schlechteres postoperatives Outcome in Bezug auf Schmerz und Funktion. Für alle Patienten mit chronischen Schmerzen ist die Dosis und Dauer einer präoperativen Therapie mit Opioiden ein wichtiger weiterer (Risiko-)Faktor, auf den unter Abschnitt 23.3 genauer eingegangen wird. Merke: Für die präoperative Anamnese ist die Erfassung chronischer Schmerzen, ihrer Dauer und Intensität, ihrer Behandlung (einschließlich analgetischer Medikation) und eine grobe Einschätzung in Bezug auf den Grad der Chronifizierung notwendig.
In der Infobox 23.1 sind einige typische klinische Anzeichen beschrieben. Infobox 23.1: Typische Anzeichen einer Chronifizierung unabhängig von der Ursache der Schmerzen – länger als 8 bis 12 Wochen anhaltende Schmerzen – nicht ausreichende Wirksamkeit von Medikamenten und anderen Therapiemaßnahmen – Ausbreitung der Schmerzen – häufige Wechsel von Ärzten und Therapeuten – hochgradige schmerzbedingte Beeinträchtigung im täglichen Leben – Veränderungen im Freizeit- und Bewegungsverhalten (Rückzug, Schonung) – negative Auswirkungen auf die berufliche und private Situation – deutliche Veränderungen in der Stimmung
Derzeit befinden sich einige Risiko-Scores in Entwicklung und Evaluation, die die Risikoeinschätzung (für starke Akutschmerzen sowie für eine Chronifizierung postoperativer Schmerzen) auch für Patienten mit chronischen Schmerzen ggfs. erleichtern und verbessern sowie die Auswahl von Patienten für intensivere interdisziplinäre präoperative Maßnahmen steuern könnten. Die perioperative Versorgung von Patienten mit chronischen Schmerzen umfasst ein breites Spektrum an möglichen Maßnahmen, die in der praktischen Umsetzung personelle und idealerweise interdisziplinäre Ressourcen erfordern, die in der Regelversorgung aber nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Dabei spielt auch die Art des geplanten Eingriffs eine Rolle, bei denen ein besonderes Chronifizierungsrisiko angenommen wird (z. B. Thorakotomie, Mamma-Operationen, Operationen mit Nervenverletzungen, wiederholte orthopädische Eingriffe). Zentrales Ziel sollte ein kla-
350 23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen
res, risikoadaptiertes Konzept der Schmerzbehandlung für den einzelnen Patienten sein, dass im Rahmen einer Betreuung im (Akut)-Schmerzdienst überprüft und angepasst werden kann. Infobox 23.2: Optimierung der perioperativen Schmerztherapie bei Patienten mit chronischen/ chronifizierten Schmerzen, nach [6–9] – Information und Aufklärung über das geplante Schmerzkonzept – Berücksichtigung der Vorerfahrungen der Patienten, insbesondere auch in Bezug auf Wirkung und Verträglichkeit von Analgetika – gezielte psychologische Interventionen/Unterstützungen prä-/postoperativ – Physiotherapeutische Beurteilung und Vorbereitung präoperativ – Nutzung von Lokal- und Regionalanästhesie wann immer möglich – Nutzung nicht-medikamentöser Therapieverfahren (z. B. TENS) – optimierte Gabe von Nicht-Opioid-Analgetika – wenn notwendig, Analgesie mit Opioiden (inkl. PCIA) – perioperative Gabe von Adjuvantien – gute Evidenz für Ketamin (Bolus 0,5 mg/KG, dann 10 µg/Kg/min) – i. v. Lidocain mit geringer Evidenz für den „normalen“ Patienten, bei individuellen Patienten aber ggfs. effektiv – Gabe von Gabapentin/Pregabalin mit Hinweisen, ggfs. Gabe bei Hochrisikoeingriffen überlegen – klare Führung der Patienten mit verbindlichen Verabredungen und regelmäßigen schmerztherapeutischen Visiten bei Bedarf – Überprüfung der medikamentösen Schmerztherapie zur Entlassung, Empfehlungen zur Anpassung, Reduktion, Ausschleichen (nicht nur Opioide) – Vermittlung in interdisziplinäre multimodale schmerztherapeutische Behandlung bei anhaltenden Schmerzen und Analgetikabedarf postoperativ und/oder Vorliegen von Risiken einer Chronifizierung oder bereits eingetretener Chronifizierung
Für das Fibromyalgiesyndrom, einem chronischen Schmerzsyndrom mit generalisierten Schmerzen und veränderter Schmerzverarbeitung werden Veränderungen im körpereigenen Opioidsystem angenommen, die mit klinisch schlechterem Ansprechen auf Opioide und höherer perioperativer Schmerzintensität einhergehen können. Spezifische Vorgehensweisen sind diesbezüglich bisher allerdings nicht untersucht. Hier ist die enge Abstimmung der geplanten Schmerztherapie entscheidend, da Patienten in der Regel über vielfältige Vorerfahrungen verfügen, die bei der Optimierung der Behandlung genutzt werden können.
23.3 Patienten mit chronischen Schmerzen und medizinisch indizierter Opioidbehandlung Eine Behandlung chronischer Schmerzpatienten mit Opioiden ist nicht mit einer Chronifizierung gleichzusetzen, diese kann auch ganz ohne eine Opioidgabe vorliegen, umgekehrt ist nicht jeder Patient mit medizinisch indizierten Opioiden chronifi-
23.3 Patienten mit chronischen Schmerzen 351
A. Patienten mit chronischen Schmerzen ohne Opioide
Opioidresponder mit anhaltender funktioneller und klinischer Besserung
? Fehleinnahme unklarer/mäßiger Opioideffekt Nebenwirkungen
Fehl- bis schädlicher Gebrauch andere als analgetische Wirkungen
Patienten mit medizinischer Opioidabhängigkeit
B. Patienten mit Opioidabhängigkeit nach erfolgreichem Entzug
in Substitutionsbehandlung: Heroin, Methadon, Buprenorphin, Morphin, Naltrexon
mit anhaltendem Gebrauch Einnahme anderer Substanzen illegale Opioide
aus primär medizinischer Indikation, legale Opioide
Abb. 23.1: Spektrum des Opioidgebrauchs bei A) Patienten mit chronischen Schmerzen und B) Patienten mit einer Opioidabhängigkeit.
ziert. Dabei sind die positiven Langzeiteffekte einer Behandlung mit Opioiden überschaubar, für sogenannte Responder aber sicher sinnvoll und mit relevanter Besserung der Funktionalität und Lebensqualität verbunden [2]. Nicht selten wird aber eine Opioidbehandlung problematisch durch fehlende klinische Wirkungen, starke Nebenwirkungen, anderen Hauptwirkungen als analgetische Effekte (Stressreduktion, Schlaf), Fehl- bis schädlichem Gebrauch oder in seltenen Fällen eine Opioidabhängigkeit [1,2]. In diesen Kontexten können Opioide erheblich zu einer Chronifizierung beitragen. In Abb. 23.1A ist das Spektrum des Opioidgebrauchs bei Patienten mit chronischen Schmerzen dargestellt. In der präoperativen Einschätzung sollte versucht werden, den Patienten entsprechend einzuordnen. Im Folgenden sind ein paar typische Hinweise für einen problematischen Umgang mit Opioiden aufgelistet, die insbesondere auf Fehlgebrauch und schädlichen Gebrauch hinweisen können [2]. Dies hat für das unmittelbare perioperative Schmerzmanagement Konsequenzen (ggfs. erhöhter Opioidbedarf) und ist von großer Bedeutung für die weitere Therapieplanung nach Entlassung. Infobox 23.3: Erste Hinweise auf Fehlgebrauch, schädlichen Gebrauch und/oder medizinische Opioidabhängigkeit (nach [2]) – deutlicher Wirkverlust im Therapieverlauf – wechselnde Schmerzlokalisationen, multilokuläre Ausbreitung (Generalisierung) der Schmerzen, Transformation des Primärschmerzes unter laufender Therapie – Hinweise für eine Opioid-induzierte Hyperalgesie (Tendenz zur Schmerzausbreitung, Erhöhung der Schmerzempfindlichkeit und Opioidresistenz) – nicht abgesprochene Dosiserhöhungen, Änderung Therapieschemata – hoher Ruheschmerz sowie Diskrepanz zwischen Schmerzangabe und Verhalten – häufige Einnahme einer Bedarfsmedikation mit nicht-retardierten Opioiden, insbesondere intravenöse Applikationsformen, transmukosale/transnasale Fentanyle
352 23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen
– – –
verschwiegene Einnahme von Substanzen mit Suchtpotential (Diskrepanzen beim Drug-Monitoring) Drängen auf Verschreibung weiterer psychotroper Substanzen (Benzodiazepine) anhaltender Widerstand gegen Änderungen der Opioidtherapie trotz – Wirkungslosigkeit und/oder Symptomen einer ärztlich unerwünschten psychotropen Wirkung (Euphorie, Sedierung, Angstlinderung) – psychotroper (zumeist dosisabhängiger) Nebenwirkungen (Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen)
Merke: In allen Fällen einer unklaren bis schädlichen Wirkung der Opioide sollten zur Entlassung klare Empfehlungen zur Fortführung der Opioidtherapie erfolgen und eine schmerzmedizinische (in seltenen Fällen suchtmedizinische) Behandlung eingeleitet werden.
Systematische Untersuchungen zum perioperativen Management bei einer chronischen Therapie mit Opioiden liegen kaum vor, die folgenden Empfehlungen basieren auf der Aufarbeitung klinischer Erfahrungen. Grundsätzlich sind hier auch die Empfehlungen zur Optimierung der perioperativen Schmerztherapie bei Patienten mit chronischen/chronifizierten Schmerzen (s. Infobox 23.2) zu berücksichtigen, um den Bedarf an zusätzlichen Opioiden zu minimieren bzw. zu optimieren. Zweites Ziel ist die Verhinderung einer Entzugssymptomatik und Sicherstellung einer ausreichenden Gabe zusätzlicher Opioide, falls diese notwendig wird. Die folgende Infobox 23.4 enthält Vorschläge zur Sicherstellung der ausreichenden perioperativen Versorgung von Patienten mit Opioiden. Infobox 23.4: Grundsätzliche Überlegungen zur perioperativen Schmerztherapie bei Patienten mit Opioidbehandlung, in Ergänzung zu den Prinzipien aus Infobox 23.2 – Opioiddosen ≤ 60 mg Morphinäquivalent/Tag sind eher als unproblematisch einzuschätzen. – Bei kleinen und mittleren Eingriffen Vortherapie mit Opioiden unverändert fortführen, gilt für orale und transdermale Anwendung. Ggfs. mit höherem Opioidbedarf postoperativ rechnen. – Bei Eingriffen mit unmittelbar positivem Effekt auf die präoperativen Schmerzen, Dosis postoperativ ggfs. anpassen (ca. 50 % der Ausgangsdosis), transdermale Pflaster präoperativ absetzen und postoperativ mit oraler Medikation neu titrieren (ca. 50 % der Ausgangsdosis). – Bei großen Eingriffen und/oder mit längerer Nahrungskarenz postoperativ, Umstellung der Opioidtherapie (Oral und transdermal) auf parenterale Gabe (ca. 50 % der Ausgangsdosis). – Narkoseregime mit länger wirksamen Opioiden (Fentanyl, Sufentanil), ggfs. Inhalationsnarkose, Vermeidung von Remifentanil-Gabe wegen Hyperalgesieinduktion. – Überprüfung der Gabe von Koanalgetika mit Fortführung von Antidepressiva und Antikonvulsiva, ggfs. perioperative Dosisanpassung.
Insbesondere höhere Opioiddosierungen mit MÄQ von > 60 mg und mehr sind zu berücksichtigen, für Dosen > 120 mg MÄQ sind auch weitere schmerzbezogene Komorbiditäten zu vermuten [4]. Hier ist eine besonders enge Kommunikation mit den Patienten notwendig. Eine parenterale Substitution erscheint für größere Eingriffe
23.4 Schmerztherapie bei Patienten mit Opioidabhängigkeit 353
mit höheren anästhesiologischen Risiken sinnvoll, um hier eine bessere Anpassung und Steuerung, meist im Setting einer intensivmedizinischen Überwachung, zu ermöglichen. Transdermale Systeme sind träge in ihrer Steuerbarkeit und sollten ggfs. in Situationen mit zu erwartenden starken Änderungen des Opioidbedarfs präoperativ entfernt werden. Dabei ist zu beachten, dass bis zu 24 h noch eine Restwirkung möglich ist, so dass die postoperative Schmerztherapie, falls Opioide benötigt oder die präoperative Therapie substituiert wird, sorgfältig titriert werden muss (z. B. mit Dosisfindung über i. v. PCA). Die perioperative Gabe von Adjuvantien (siehe Infobox 23.2) ist im Einzelfall zu prüfen und insbesondere für höhere Dosen (> 120 mg MÄQ) relevant. Konkrete Studien für Patienten unter chronischer Opioidtherapie liegen nicht vor, die Adjuvantien vermindern aber womöglich den Opioidbedarf (Gabapentinoide, Ketamin, Lidocain) oder reduzieren eine postoperative Hyperalgesie (Ketamin), was bei einem hohen Opioidbedarf sinnvoll erscheint [6,7]. Eine weitere Option ist die Dosisanpassung von Koanalgetika (Antidepressiva, Antikonvulsiva), die perioperativ auch fortgeführt werden sollten falls keine Kontraindikationen vorliegen. Letztlich ist eine enge Betreuung der Patienten entscheidend für einen guten Verlauf, der individuell extrem unterschiedlich sein kann. Dabei kann einerseits eine flexible Steuerung der Opioidapplikation durch i. v.-PCA oder angemessene orale nicht-retardierte Bedarfsmedikationen (in Dosis und Häufigkeit, z. B. bis zu 6 × 1/101/6 des Tagesbedarfs) zur Vermeidung einer Unterbehandlung, und andererseits eine klare Beschränkung der Opioidgaben bei Hinweisen auf Fehl- und schädlichem Gebrauch/Abhängigkeit gefordert sein. Merke: Die wiederholte und gezielte Einforderung einer intravenösen Opioidgabe trotz klinisch angemessener Schmerztherapie weist auf eine Opioidproblematik des Patienten hin.
23.4 Schmerztherapie bei Patienten mit Opioidabhängigkeit Auch für diese Patientengruppe gibt es keine wissenschaftlich etablierten Standards, allgemeine Dosisempfehlungen sind nicht sinnvoll oder möglich. Wie zuvor gibt es zwei Ziele der Schmerzbehandlung: 1. einen Entzug zu vermeiden und 2. den zusätzlichen analgetischen Bedarf sicher zu stellen [8–10]. Dabei kommen die zuvor geschilderten Aspekte einer optimierten Schmerztherapie unter Einsatz alternativer Verfahren (siehe Infobox 23.2) zum Tragen, mit einigen zusätzlichen Besonderheiten aufgrund der Substitutionstherapie und Aspekten der Abhängigkeitserkrankung. In Abb. 23.1B sind diese sehr verschiedenen Patientengruppen beschrieben. In allen Fällen der Substitutionstherapie ist eine Abstimmung mit
354 23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen
Tab. 23.1: Auftreten von Entzugssymptomen nach Absetzen von Morphin, Heroin oder Methadon (nach [10]). Stadium
Symptome
Morphin
Heroin
Methadon
0
Craving, Angst
6h
4h
12 h
1
Gähnen, Rhinorrhoe, Tränenfluss, Hyperhidriosis
14 h
8h
32–48 h
2
Mydriasis, Gänsehaut, Anorexie, Tremor, Schmerzen, u. a.
16 h
12 h
48–72 h
3
Schlaflosigkeit, Unruhe, Übelkeit, Tachykardie, Tachypnoe, Hypertension
24–36 h
18–24 h
> 49 h
4
Erbrechen, Diarrhoe, Fieber, Muskelkrämpfe
36–48 h
24–36 h
der suchtmedizinischen Betreuung sinnvoll. In Tab. 23.1 sind die Zeitverläufe einer Entzugssymptomatik beschrieben, einige der Symptome erreichen erst nach ein bis zwei Tagen (für Methadon 3 Tage) ihren Höhepunkt [10]. Bei entzogenen/abstinenten Patienten besteht zum Teil eine höhere Sensitivität gegenüber Opioiden, andererseits kann eine mangelhafte Analgesie das Rückfallrisiko erhöhen. Wichtig ist hier der Einsatz „opioidsparender oder -vermeidender“ Verfahren. Merke: Die Regionalanalgesie, auch „nur“ als Single-Shot-Therapie, idealerweise aber kontinuierlich solange bis therapiebedürftige Schmerzen abgeklungen sind, ist ideal geeignet, um Opioide einzusparen.
Im Einzelfall ist ggfs. auch eine opioidfreie Anästhesie umsetzbar. Kann auf eine Opioidtherapie nicht verzichtet werden, sind retardierte Opioide nach Zeitschema und ggfs. auch eine i. v.-PCA denkbar. Auch hier gilt es, eine mangelhafte Analgesie zu vermeiden und die Opioiddosis nach Intensität der Schmerzen zu titrieren. Ein zügiges Absetzen postoperativ ist sinnvoll, bei anhaltendem Opioid-Bedarf ist eine schmerztherapeutische Behandlung anzuschließen [8,10]. Naltrexon soll durch seinen µ- und κ-Antagonismus mit 24 h Wirkdauer (HWZ im ZNS bis 72 h) die Wirkung eingenommener Opioide „prophylaktisch“ aufheben. Es kann nur bei sicher opioidfreien Patienten eingesetzt werden, die Durchführung eines Naloxon-Tests vor Anwendung ist notwendig. Die Behandlung führt zur Hochregulation der Opioidrezeptoren und einer erhöhten Sensibilität. Deshalb ist bei elektiven Eingriffen ein Absetzen mindestens 72 h vor dem Eingriff zu empfehlen. Im Notfall kann versucht werden, eine opioidfreie Narkose und Schmerztherapie umzuset-
23.5 Strukturelle und organisatorische Voraussetzungen 355
zen. Bei Gabe von Opioiden besteht ein höheres Risiko einer Atemdepression. Tramadol wird wegen seines geringen µ-agonistischen Effekts für die postoperative Schmerztherapie zur vorsichtigen Titration empfohlen [8,10]. Eine Substitution mit Methadon, einem reinem µ-Agonisten (meist 60–120 mg/ Tag), kann über Rezepturen oder Fertigarzneimittel erfolgen. Buprenorphin oder Buprenorphin/Naloxon (meist 8–24 mg/Tag) sind als Fertigarzneimittel verfügbar. Beide werden zur Substitution meist 1 × /Tag eingesetzt. Für das perioperative Vorgehen wird überwiegend die Fortführung der Substitutionsdosis empfohlen, die zur Verbesserung der Analgesie auf 2 Dosen verteilt werden kann. Merke: Besteht bei Patienten unter einer solchen Substitutionstherapie postoperativ ein zusätzlicher Opioidbedarf, kann dieser durch µ-Agonisten in nicht-retardierter und bei hohem Bedarf auch in Kombination retardierter und nicht-retardierter Opioide „on top“ erfolgen.
Auch Methadon selbst kann als zusätzliches Analgetikum eingesetzt werden, wobei Methadonrazemat 10 mg p. o. einer Dosis von 5 mg p. o. Levomethadon oder 2,5 mg s. c. Levomethadon entspricht. Die Indikation für die Gabe von Adjuvantien in dieser Situation ergänzt durch α2-Agonisten ist großzügig zu stellen. Der Übergang in die anschließende suchtmedizinische Betreuung und Rückführung der Dosis im Verlauf ist zu beachten. Für Buprenorphin wird bei eher stark schmerzhaften Eingriffen auch eine Umstellung auf einen reinen µ-Agonisten 3–5 Tage vor der Operation empfohlen, dem entgegen stehen die mit dem Absetzen verbundene Angst und Stress für die betroffenen Patienten [7,8,10]. Bei Patienten mit aktivem illegalen Gebrauch ist der tatsächliche Opioidbedarf zur Vermeidung eines Entzugs nur schwer abzuschätzen. Ein Versuch, den Entzug durch Gabe von Methadon (bis zu 30 mg am ersten Tag) oder Buprenorphin zu lindern, ist möglich, allerdings ist damit oft keine ausreichende Analgesie verbunden. Dann ist ein Vorgehen wie bei etablierter Substitution (z. B. eine Kombination mit einem anderen µ-Agonisten) notwendig. Eine suchtmedizinische Beratung zur Aufnahme einer Substitutionsbehandlung sollte idealerweise vor schrittweisem Absetzen der postoperativen Opioidmedikation erfolgen [8,10].
23.5 Strukturelle und organisatorische Voraussetzungen Die kompetente perioperative Betreuung von Patienten mit chronischen und chronifizierten Schmerzen, mit und ohne Behandlung mit Opioiden sowie mit Opioidabhängigkeit, erfordert neben der Etablierung von Standards für die Routine auch die Möglichkeit einer begleitenden schmerzmedizinischen Betreuung, um auf die individuellen Bedürfnisse dieser heterogenen Patientengruppen im Therapieverlauf (auch nach der Entlassung) angemessen eingehen zu können. Dies kann in der Interaktion
356 23 Patienten mit vorbestehenden Schmerzen
mit den mitbehandelnden operativen Fächern und idealerweise mit einem Partner aus der Suchtmedizin zu einer Verbesserung der Versorgung chronischer Schmerzpatienten im Krankenhaus und im ambulanten Setting beitragen. Referenzen [1]
Campbell G, Bruno R, Lintzeris N, et al. Defining problematic pharmaceutical opioid use among people prescribed opioids for chronic noncancer pain: do different measures identify the same patients? Pain. 2016;157(7):1489–98. [2] Langzeittherapie mit Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen (LONTS) von 04/2020. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/145-003.html [zuletzt aufgerufen am 24.09.2020]. [3] Hauser W, Schug S, Furlan AD. The opioid epidemic and national guidelines for opioid therapy for chronic noncancer pain: a perspective from different continents. Pain Rep. 2017;2: e599. [4] Häuser W, Schubert T, Scherbaum N, Tolle T. Guideline-recommended vs high-dose long-term opioid therapy for chronic noncancer pain is associated with better health outcomes: data from a representative sample of the German population. Pain. 2018;159(1):85–91. [5] Häuser W, Schmutzer G, Hinz A, Hilbert A, Brähler E. Prevalence of chronic pain in Germany. A representative survey of the general population. Schmerz. 2013;27:46–55. [6] Edwards DA, Hedrick TL, Jayaram J, et al. American Society for Enhanced Recovery and Perioperative Quality Initiative Joint Consensus Statement on Perioperative Management of Patients on Preoperative Opioid Therapy. Anesth Analg. 2019;Aug;129(2):553–566. [7] Poels S, Joppich R, Wappler F. Perioperative Versorgung des schmerzkranken Patienten Anästh Intensivmed. 2016;57:133–146. [8] Ward EN, Quaye AN, Wilens TE. Opioid Use Disorders: Perioperative Management of a Special Population. Anesth Analg. 2018;127(2):539–547. [9] Karamchandani K, Klick JC, Dougherty ML, et al. Pain Management in Trauma Patients Affected by The Opioid Epidemic: A Narrative Review. J Trauma Acute Care Surg. 2019;Aug;87(2):430– 439. [10] Jage J, Heid F. Anästhesie und Analgesie beim Suchtpatienten. Der Anästhesist. 2006;Jun;55 (6):611–28.
24 Kinder Francesca Oppitz Schmerztherapie bei Kindern umfasst mehrere inhomogene, vulnerable Patientengruppen (Frühgeborene bis Teenager). Sie erfordert ausgeprägtestes interdisziplinäres Denken und das Einbeziehen der Eltern. Schmerzprävention, Vermeidung von Angst und Aufbau von Vertrauen sind obligate Basis. Therapeutisch stehen Patientensicherheit und eine ausreichend lang wirksame Therapie bei Minimierung von Nebenwirkungen im Vordergrund. Gute Qualität in der perioperativen Kinderschmerztherapie ist Teil eines gelungenen Heilungsprozesses und erhöht die Zufriedenheit der Familien.
24.1 Der reifende Organismus Operationen und deren Nachbehandlung sowie diagnostische Prozeduren gehen oft mit intensiven Schmerzerfahrungen einher. Diese treffen bei Kindern auf einen sich noch in der Entwicklung befindenden Organismus. Dort können sie lokal und systemisch Langzeitveränderungen hervorrufen. Besonders sehr junge Kinder verfügen über eine ausgesprochene Plastizität des Nervensystems. In der späteren Kindheit finden störanfällige Reifungsprozesse statt. In der Adoleszenz vollziehen sich nochmals viele strukturelle und intensive Umbauvorgänge. Das Wissen über kritische Zeitfenster für ein besonders hohes Schädigungsrisiko ist begrenzt. Sicher ist, dass Langzeitveränderungen nicht nur das kindliche Nervensystem betreffen. Im Rahmen einer fehlerhaften Adaptation auf diese Reize kann es zu Veränderungen in Kognition, Immunfunktion und hormoneller Regulation kommen. Auch wird das Auslösen sogenannter funktioneller Störungen diskutiert [1]. Zudem ist bei einer zum Zeitpunkt der Geburt hervorragend funktionierenden Nozizeption aber gleichzeitig einer noch nicht ausgereiften Schmerzhemmung davon auszugehen, dass Schmerzreize verstärkt wahrgenommen werden. Merke: – Intensiver Schmerz bedeutet nicht allein hohe Schmerzstärke. – Auch rezidivierende, milde Reize (z. B. Verbandswechsel) oder Stress sind in der Lage, negative Langzeitfolgen auszulösen.
Von besonderem aktuellen Interesse ist die Entwicklung persistierender postchirurgischer Schmerzen (CPSP) im Kindesalter. Die mediane Prävalenz liegt bei 20 % nach 1 Jahr – nach großen Operationen auch deutlich höher. Die Entwicklung chronischer Schmerzen nach einer Operation bei Kindern scheint ein multifaktorielles Geschehen zu sein, bei dem noch lange nicht alle Faktoren und ihre Interaktionen bekannt sind. https://doi.org/10.1515/9783110597486-024
358 24 Kinder
Eine möglicherweise deutliche Gewichtung liegt auf psychologischen Aspekten bei Kindern und Eltern; gefühlte Hilflosigkeit und gehäufte Schulfehltage so wie schlechter Schlaf vor der Operation scheinen wichtige Risikofaktoren für die Entwicklung chronischer Schmerzen nach Operationen bei Kindern zu sein [2]. Als ein weiterer wesentlicher Risikofaktor gilt das Ausmaß der perioperativen Schmerzen. Merke: Suffiziente Kinderschmerztherapie in allen Altersgruppen trägt maßgeblich zum Erfolg eines operativen Eingriffs bei. In einem vulnerablen Gesamtorganismus ist sie gleichzeitig Schutz und Therapie.
24.2 Schmerzerfassung Erfassen (Realisieren) und Dokumentieren (Sichtbarmachen) von Schmerz sind Grundvoraussetzung für Schmerzkontrolle. Reines Datenerheben ohne Konsequenz ist so ineffektiv wie das Therapieren erfasster Zahlenwerte. Nicht der Wert, das Kind wird behandelt. Aus vielen Gründen stellt oft bereits die Schmerzerfassung eine Herausforderung dar. Für verschiedene Situationen existieren eine Vielzahl von diversen Erfassungsinstrumenten. Wenige sind in deutscher Sprache validiert. Bei der Auswahl sollten neben diesem Aspekt auch Praktikabilität und Akzeptanz durch die Anwender eine Rolle spielen. Ab einem Alter von 4 Jahren gilt die Selbstbeurteilung als Goldstandard. Sowohl Pflegende als auch Eltern bewerten meist die Schmerzintensität anders als das Kind selbst. Für die Selbsteinschätzung können postoperativ folgende Skalen empfohlen werden: – FPS-R (Faces Pain Scale – Revised nach Hicks) [3] (Abb. 24.1) – NRS/VRS [VAS] (Numerische Rating-Skala/Verbale Ratingskala [Visuelle Analogskala]) Verwendung ca. ab dem achten Lebensjahr (VAS ist z. T. ungenau). Die FPS-R ist dabei das am ehesten von Kindern für eine breite Altersspannweite zu empfehlende Selbsterfassungsinstrument. Ideal wäre es, wenn für die Instruktion der Skala bei Kindern eine standardisierte Form gewählt wird.
Abb. 24.1: Faces Pain Scale-Revised. Für die Gesichter werden von links nach rechts Punktwerte von 0 (kein Schmerz) bis 10 (sehr starker Schmerz) vergeben. Die Anwendung erfolgt nach einer streng standardisierten Anleitung. (This Faces Pain Scale-Revised has been reproduced with permission of the International Association for the Study of PAIN® [IASP]).
24.2 Schmerzerfassung 359
Empfohlen wird dabei folgende Formulierung: „Diese Gesichter zeigen, wie weh etwas tun kann (wie sehr etwas schmerzen kann). Dieses Gesicht hier (auf das Gesicht ganz links deuten) zeigt, dass es gar nicht weh tut (ggf. kann auch „schmerzt“ verwendet werden)“. Je nachdem auf welches Gesicht das Kind zeigt, vergeben Sie die Punkte 0, 2, 4, 6, 8 oder 10 für die Gesichter von links nach rechts, so dass „0“ = „kein Schmerz“ und „10“ = „sehr starker Schmerz“ bedeutet. Vermeiden Sie Worte wie „glücklich“ und „traurig“. Ziel dieser Skala ist es zu messen, wie die Kinder sich innerlich fühlen und nicht, wie ihr Gesichtsausdruck ist (http://www.usask. ca/childpain/fpsr/). Die Übersetzung dieser Instruktionen ist auf der Webseite der IASP in verschiedensten Sprachen herunterladbar und für den klinischen Gebrauch ohne Gebühren nutzbar; den genauen Link finden Sie hier: https://www.iasp-pain. org/Education/Content.aspx?ItemNumber=1823&navItemNumber=1119. Merke: – Zur Erfassung der Schmerzintensität bei Kindern sollten validierte Schmerzskalen zur Selbsteinschätzung eingesetzt werden. Besonders geeignet und in vielen Sprachen verfügbar ist die FPS-R. – Die weit verbreiteten Smiley-Skalen eignen sich nicht zur validen Schmerzmessung. Mit ihnen werden tendenziell Emotionen gemessen.
Bei Kindern mit Kommunikationsschwierigkeiten und Patienten unter 3 Jahren muss auf Fremdbeurteilungsskalen zurückgegriffen werden. Besonders problematisch sind Kinder, die jünger als 3 Monate sind oder unter einer schweren Mehrfachbehinderung leiden. Sie äußern Schmerz sehr unspezifisch. Zur Fremdbeurteilung nach Operationen eignen sich folgende Skalen: – KUSS-Skala: 15 s lang Beurteilung von Gesichtsausdruck, Rumpf- und Beinhaltung, motorische Unruhe, Weinen [4]; Die KUSS Skala ist ein gut validiertes und einfaches Instrument zur postoperativen Schmerzmessung bei Kindern im Alter von 0 bis 4 Jahren, das sich in Deutschland gut durchgesetzt hat (s. Abb. 24.2) – r-FLACC-Skala (Face, Leg, Activity, Cry, Consolability – Revised): Für kognitiv beeinträchtigte Kinder zwischen 1 und 18 Jahren. Die deutsche Fassung ist nicht validiert. Die Anwendung ist vergleichbar der KUSS-Skala [5]
360 24 Kinder
KUSS: Kindliche Unbehagens- und Schmerz-Skala (nach Büttner) postoperativer Schmerz bei nichtbeatmeten Kindern (0–4 Jahre) Weinen
- gar nicht - Stöhnen, Jammern, Wimmern - Schreien
0 1 2
Gesichtsausdruck
- entspannt, lächelnd - Mund verzerrt - Mund und Augen grimassieren
0 1 2
Rumpfhaltung
- neutral - unstet - Aufbäumen, Krümmen
0 1 2
Beinhaltung
- neutral - strampelnd, tretend - an den Körper gezogen
0 1 2
motorischen Unruhe
- nicht vorhanden - mäßig - ruhelos
0 1 2 Summe
0–10
Ab 4 Punkte: Notwendigkeit der Schmerztherapie prüfen Abb. 24.2: KUSS Skala: Das Kind sollte 15 Sekunden beobachtet werden. Danach wird der KUSSWert gebildet. Häufige Beobachtungen erhöhen die Validität.
NCCPC-PV (Non-communication Children’s Pain Checklist – Postoperative Version) und NCCPC-R (revised): Für schwer mehrfachbehinderte Kinder zwischen 3 und 18 Jahren. Die deutsche Fassung ist zufriedenstellend validiert. 10-minütiges Erheben von Schmerzindikatoren (Lautäußerung, Sozialverhalten, Mimik, Aktivitätslevel, Körper und Extremitäten, physiologische Zeichen) [6], siehe Abb. 24.3. Infobox 24.1: Folgendes Vorgehen kann für die Erfassung der Schmerzintensität bei Kindern abhängig vom Alter grob empfohlen werden: – Kinder < 4 Jahre: Fremdeinschätzung mit der Kuss Skala – Kinder 4–12 Jahre: Selbsteinschätzung mit der FPS-R* – Kinder > 8 Jahre: Selbsteinschätzung mit der NRS** *Für Kinder zwischen 4 und 8 Jahren sollte ggf. eine Schmerzerfassung via Fremdbeobachtung gleichzeitig durchgeführt werden. **Bei Kindern zwischen 8 und 12 Jahren sollte ggf. eine Befragung mit der Faces Pain Scale – Revised gleichzeitig durchgeführt werden
1. Phase Fixzeitmessung:
Beobachterin: Datum der Beobachtung:
Station:
2. Phase Fixzeitmessung: Kontrollmessung 2 Std. nach Schmerzmittelgabe:
Zeit: Start
Stop
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 stärkster Schmerz
1 = nur ein wenig
2 = ziemlich oft
0 0 0 0
0 0 0 0
3 = sehr oft
1 1 1 1
1 1 1 1
2 2 2 2
2 2 2 2
3 3 3 3
3 3 3 3
NB NB NB NB
NB NB NB NB Total
Total
NB = nicht beurteilbar
Abb. 24.3: NCCPC-R Skala: Validiert ist dieses Instrument für kognitiv eingeschränkte Kinder von 3–18 Jahren. Das Ausfüllen des Erfassungsinstrumentes sollte erfolgen, nachdem der Beobachter 10 Minuten im gleichen Raum mit dem Kind war.
5. unkooperativ, griesgrämig, gereizt, unzufrieden 6. weniger Kontakt zu anderen, zurückgezogen 7. sucht Trost oder körperliche Nähe 8. schwer ablenkbar, kann nicht zufrieden gestellt oder beruhigt werden
Beziehung/Kontakt
1. stöhnen, jammern, wimmern (ziemlich leise) 2. weinen (mäßig laut) 3. wchreien, brüllen (sehr laut) 4. bestimmter Laut oder Ausdruck für Schmerz (z.B. Wort, Schrei od. Art von Lachen)
Verbal
0 = nicht vorhanden
Schmerz-Checkliste für nicht-kommunizierende Kinder – Revidierte Fassung (NCCPC-R) Wie viele Male in den letzten zwei Stunden hat das Kind folgendes Verhalten gezeigt? Die Einstufung soll nicht auf dem typischen Verhalten basieren oder in Beziehung zu dem vorgenommen werden, was es normalerweise tut. Bitte kreisen Sie pro Zeile eine Zahl ein. Falls ein Punkt nicht anwendbar ist, d.h. ein Kind grundsätzlich nicht fähig ist, ein Verhalten oder einen Ausdruck von sich aus zu zeigen (z.B. das Kind isst keine feste Nahrung oder kann nicht greifen), oder grundsätzlich nicht bekannt ist, ob dieses Verhalten vom Kind überhaupt gezeigt werden kann, markieren Sie für diesen Punkt ‚nicht beurteilbar‘ (NB).
0 kein Schmerz
Numerische Beurteilungsskala (NRS) Bitte in jedem Fall vor dem Ausfüllen der NCCPC-R auf der NRS eine ganzzahlige Einschätzung der vermuteten aktuellen Schmerzintensität im Moment der Erhebung vornehmen (durch Einkreisen der entsprechenden Nummer).
vermutete Ursache bei Verdacht auf akute Schmerzepisode akute oder kurzzeitig (< 1 Monat) zurückliegende Verletzung: allgemeine gesundheitliche Kondition: akute Erkrankung: pflegerische/medizinische Verrichtung: andere:
Anlass der Erfassung Initialwertbestimmung: Verdacht auf akute Schmerzepisode:
Name d. Kindes: Geburtsdatum:
24.2 Schmerzerfassung 361
Gesichtsausdruck
Abb. 24.3: (Fortsetzung)
Gesamtergebnis
28. Isst weniger, kein Interesse am Essen 29. Schläft mehr als üblich 30. Schläft weniger als üblich
Essen/Schlafen
22. Schlottern, zittern 23. Veränderte Hautfarbe, Blässe 24. Schwitzen, Ausdünstung 25. Tränen 26. Scharfes Einatmen, nach Luft schnappen 27. Atem anhalten
Physiologische Zeichen
0 0 0
0 0 0 0 0 0
0 0 0 0 0 0
16. Schlaff 17. Steif, spastisch, angespannt, starr 18. Herumfuchteln oder einen schmerzenden Körperteil berühren 19. Schützt, bevorzugt oder schont schmerzhafte Stelle 20. Reflexartiges Wegziehen oder bewegt Körperteil weg, reagiert empfindlich auf Berührung 21. Den Körper in einer bestimmten Art bewegen, um Schmerz anzuzeigen (z.B. Kopf zurückwerfen, Arme hängen lassen, Knie anziehen etc.)
Haltung, Körper und Extremitäten
0 0
0 0 0 0 0
14. Bewegungslos, weniger aktiv, ruhig 15. Herumzappeln, erregt, sehr unruhig
Aktivität
9. Stirnrunzeln 10. Augenbewegung, beinhaltet: zusammenkneifen, weit geöffnet, verdrehen 11. Mundwinkel nach unten ziehen, lächelt nicht 12. Lippen: schmollen, zusammenpressen, zittern 13. Zähneklappern oder Zähneknirschen, Kaubewegungen oder Zunge herausstrecken
1 1 1
1 1 1 1 1 1
1 1 1 1 1 1
1 1
1 1 1 1 1
2 2 2
2 2 2 2 2 2
2 2 2 2 2 2
2 2
2 2 2 2 2
3 3 3
3 3 3 3 3 3
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3 3
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NB NB
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Total
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Total
Total
Total
362 24 Kinder
24.3 Schmerzprävention und nicht-medikamentöse Maßnahmen 363
Mindestens einmal pro Pflegeschicht, immer jedoch vor und nach Interventionen, sollten Schmerzwerte erhoben werden. Es ist wichtig, das Kind nicht nur in Ruhe zu befragen, sondern auch bei alltäglichen Belastungen (Spielen, Essen, Waschen). Oft werden Cut-off-Werte formuliert, um Interventionsgrenzen festzulegen. Von vielen Autoren wird ab einem Wert von 4 (NRS 0–10; Kuss Skala) von einem Analgetika (mehr)bedarf ausgegangen. Die Dringlichkeit des Therapiebedarfes soll mit steigender Punktzahl steigen. Allerdings gilt wie bei Erwachsenen auch (vgl. Kap. 3), dass Schmerz, Analgetika-bedingte Nebenwirkungen, funktionelle Einschränkungen und der Wunsch des Patienten stets im Gesamtkontext betrachtet werden sollten. Besonders das Vermeiden Opioid-typischer Nebenwirkungen rückt bei Kindern verstärkt in den Fokus. Funktionell gewinnt die subjektive Schlafqualität operierter Kinder als Ziel einer Schmerztherapie an Bedeutung. Merke: – Kinder zur Schmerzmessung nicht wecken – standardisierte Schmerzwerterhebung (beiläufig bei Visite erhobene Werte spiegeln nicht den tatsächlichen Zustand) – gleichzeitiges Monitoring der Schmerztherapie-Nebenwirkungen (v. a. Opioid-induziert), Erfassen von Funktionseinschränkungen durch Schmerzen und Therapiewunsch der Kinder
24.3 Schmerzprävention und nicht-medikamentöse Maßnahmen Viele Kinder lassen sich perioperativ mit einer rein pharmakologisch geplanten Analgesie nicht zufrieden stellen. Das ist oft Grund für Eskalationen im Nachtdienst bzw. Furcht vor (Intensivierung einer) Kinderschmerztherapie. Verdeutlicht man sich die Anteile, die das Empfinden „Schmerz“ bei Kindern formen, wird erkennbar, wie wichtig präventive und zusätzliche Maßnahmen über die reine Schmerzmittelgabe hinaus sind. Priorität hat die Schmerzvermeidung (Abb. 24.4). Man geht davon aus, dass 60 % der Kinder perioperativ unter signifikanter Angst leiden. Besonders gefährdet sind 2–5jährige und Kinder mit multiplen Vorerfahrungen („Frequent Flyer“). Das führt nicht nur zu höherem postoperativem Schmerz, sondern gilt auch als Risikofaktor für CPSP. Bereits präoperativ sollten Risikokinder erkannt und gemeinsam mit (katastrophisierenden) Eltern geortet und ggf. auf die bevorstehende Situation vorbereitet werden. Das Vermeiden von Distress durch kindgerechtes Vorgehen und die Stärkung aktiver Bewältigungsstrategien (Ablenkung, Tablets, Mitbestimmung) ist wirkungsvoll, wenn es in allen perioperativen Phasen angewandt wird [2]. Positive Evidenz zur Anwendung physikalischer und anderer nicht-medikamentöser Maßnahmen konnte bisher für aktive Musiktherapie, Akupunktur, Hypnose und Ablenkung/Imagination gezeigt werden [7,11].
364 24 Kinder
Abb. 24.4: Planung einer medikamentösen Kinderschmerztherapie und gebräuchliche Medikamente. Einstieg antizipierend je nach Schmerzhaftigkeit des Eingriffes. An Kombination mit Adjuvantien denken (Cave: Gebrauch im off-label-Bereich).
Merke: – Was ein Kind angenehm findet und nicht schadet, darf angewandt werden. – Denkbar sind z. B. Lagerung, Kälte-/Wärmepackung, Laserakupunktur; ab ca. 3 Jahren auch TENS. – Vorsicht bei der Anwendung von Coolpacks in Regionen mit Regionalanästhesie (Erfrierungen).
Orale Zuckerstoffe (z. B. 24 %ige Saccharose 0,1–1 ml) werden vor allem bei prozeduralem Schmerz bei jungen Säuglingen häufig eingesetzt. Sie führen effektiv zu einer Reduktion akuter Schmerzreaktionen. Weder schmerzbedingte spinale Reflexe noch die kortikale Aktivität werden reduziert (kein Schutz vor Hyperalgesie). Repetitiv angewandt lässt der positive Effekt nach. Auch hohe Dosen sollten vermieden werden (neurologische Langzeitauswirkungen?). Es empfiehlt sich die Kombination mit anderen Maßnahmen. Topische Analgetika (z. B. EMLA-Creme®) können bei kleineren Eingriffen an der Hautoberfläche bestens zur Schmerzprävention genutzt werden. Die Wirktiefe ergibt sich aus der Einwirkzeit (max. 6 mm nach 3–4 Stunden). Sowohl Menge, Areal als auch Dauer müssen altersadaptiert angepasst werden (Methämoglobinbildung). Bei verkürzter Einwirkzeit kann EMLA®bereits beim Frühgeborenen angewandt werden. Die Effektivität ist hier umstritten. EMLA®allein ist ungeeignet beim Lanzettstich. Gute Wirkung ist bei Gefäß-, Lumbal- und Shuntpunktionen beschrieben.
24.4 Regionalanästhesie 365
24.4 Regionalanästhesie In der Hand eines erfahrenen Arztes ist die kindliche Regionalanästhesie beeindruckend effektiv, nebenwirkungsarm und besitzt eine niedrige Komplikationsrate. Daher ist sie ein wesentlicher Baustein der kindlichen Schmerztherapie. Wann immer sinnvoll möglich, sollte in allen Altersgruppen der Einsatz erwogen werden. Idealerweise erfolgt die Anlage beim schlafenden Kind vor einem chirurgischen Reiz und wird bereits während der Operation genutzt. Periphere Verfahren sollten rückenmarksnahen vorgezogen werden. Bei Vorhandensein eines ASD (Akutschmerzdienst) ist oft das Einbringen eines Katheters zur kontinuierlichen Applikation sinnvoll. Kasuistik Ein 6 Monate alter Säugling (7 kg KG) erhält für eine ausgedehnte orthopädische Fußoperation einen Ischiadikus- und einem Femoralisblock (OP-Gebiet). (Lokalanästhetikahöchstdosen Tab. 24.1). Die Narkoseführung ist nun beinahe opioidfrei möglich. Das Kind wacht direkt am OP-Ende ruhig auf. Die eingesparte Ausleitungszeit wiegt den kurzen Aufwand bei Einleitung auf. Durch die kontinuierliche Applikation eines niedrig-konzentrierten Lokalanästhetikums (Ropivacain 0,2 % mit einer Laufrate von 0,7 ml/Stunde über den Ischiadikuskatheter, entsprechend der Hälfte der maximalen Höchstdosis bei diesem Kind) verbringt das Kind eine entspannte Nacht. Opioid-typische Nebenwirkungen werden umgangen. Der Katheter wird am 2. Tag nach Anlage entfernt und die Analgesie mit Ibuprofen 70 mg alle 8 Stunden fortgeführt. Im klinischen Alltag bestehen interdisziplinär oft Unsicherheiten in der praktischen Anwendung und Umsetzung z. B. von kontinuierlichen Regionalanalgesieverfahren. Dies führt im ungünstigsten Fall zum Verzicht ohne echte Kontraindikationen. Es gibt für das Kindesalter Empfehlungen zum sicheren Umgang mit typischen Kontroversen [8]. Als Beispiel sei das drohende Kompartmentsyndrom genannt. Bisher existiert kein Anhalt für Risikoerhöhung bzw. Diagnoseverzögerung eines Kompartmentsyndroms unter Regionalanästhesie. Alle dokumentierten Fälle zeigten sich mit massivem Durchbruchsschmerz (keine Kontrolle durch übliche Schmerzmittel möglich) und wiederkehrender motorischer Blockade bei gleichzeitigem Sensibilitätsverlust. Ratsam ist es, intraoperativ kurzwirksame Lokalanästhetika und postoperativ niedrige Konzentrationen zu verwenden (z. B. Ropivacain 0,1 %). Besser als Verzicht auf eine effektive Schmerzreduktion ist ein angemessenes, kontinuierliches Monitoring und die Betreuung durch einen ASD im Hause. Adjuvantien, appliziert zusammen mit einem Lokalanästhetikum, können die Wirkung eines Regionalverfahrens verlängern bzw. optimieren. Gegenwärtig ist Clonidin das am vielseitigsten und sichersten einsetzbare Adjuvans. Es sollte unter Beachtung von Kontraindikationen (Bradykardie, Hypotonie) regelmäßig bei Regionalanästhesie im Kindesalter genutzt werden. Vorsicht bei Kindern jünger als 6 Monate (potenzielle Apnoegefahr).
366 24 Kinder
Tab. 24.1: Empfohlene Höchstdosen für Lokalanästhetika. Bei Neugeborenen und kleinen Säuglingen sind höhere Plasmaspiegel möglich (geringer Anteil von saurem Alpha-1-Glykoprotein; cave bei repetitiver/kontinuierlicher Gabe). Aufgrund unvollständiger Myelinisierung sind niedrigere Konzentrationen ausreichend. Die Wirkdauer ist kürzer als beim Erwachsenen (Gewebsperfusion). Lokalanästhetikum
Höchstdosis single shot (mg/kg)
Höchstdosis kontinuierlich mg/kg/h)
Besonderheiten
Ropivacain
3–4
0,4
– –
< 12 Jahre Ropivacain 0,2 % Nicht bei Peniswurzelblock (Vasokonstriktion)
Bupivacain
2,5
0,25
– –
meist Bupivacain 0,25 % Peniswurzelblock meist 0,5 %
–
–
keine kontinuierliche Gabe (Tachyphylaxie) Cave Kinder < 6 Wochen (verminderter hepatischer Metabolismus) Mepivacain 1 %
(Levobupivacain) (2,5)
(0,25)
Mepivacain
nicht empfohlen
5
–
Lidocain
5–7
2
–
Lidocain 0,5–1 %
Prilocain
5–7
nicht empfohlen
–
Methämoglobinämie (Risiko höher als bei Erwachsenen) nicht bei Kindern < 6 Monate
–
Neben den häufigen anästhesiologisch durchgeführten Blockaden (z. B. Kaudal-/Epiduralanästhesie, periphere Nervenblockaden), kann es bei kleinen Eingriffen sinnvoll sein, intraoperativ chirurgisch Lokalanästhetikum zu applizieren (vgl. hierzu Kap. 5 und 19): – unter Sicht direkt auf den Nerv (Ilioinguinalis-/Iliohypogastricus-Blockaden) – eigenständiger Single Shot Block (Peniswurzelblock) – Wundrandinfiltration Merke: – Regionalanalgesieverfahren sind effektiv und nebenwirkungsarm, besonders wenn sie bei eingelegtem Katheter kontinuierlich für mehrere Tage postoperativ angewendet werden. – Single-Shot-Verfahren sind wirksam, aber die Wirkung hält nur kurz an. – Bei ambulanten Eingriffen ist das Kind bei Entlassung oft schmerzarm und entwickelt zuhause dann massive Schmerzen.
24.5 Systemische Schmerztherapie 367
24.5 Systemische Schmerztherapie Medikamente sind perioperativ unverzichtbar. Bei Kindern sind einige Besonderheiten zu beachten. Wie bei Erwachsenen auch korreliert die OP-Länge nur sehr gering mit Schmerzhaftigkeit bei Kindern. Bei Kindern gibt es bisher nur wenig Evidenz über prozedurenspezifische Schmerzen/Schmerzdauer. Merke: Vereinfacht gilt: systemische Analgetika (z. B. Opioide) sollten individuell titriert werden.
Pathophysiologisch haben Kinder jünger als 3–6 Monate oft einen relativ geringeren Medikamentendarf als Erwachsene; Kleinkinder einen höheren. Auch ist die orale Resorption bis zu einem Alter von 3 Jahren beeinträchtigt. Die rektale Aufnahme ist schwer vorhersagbar, v. a., wenn das Medikament sehr tief appliziert wird. S. c. und i. m. Injektionen sind obsolet. Intraoperativ begonnene Konzepte werden postoperativ fortgeführt. Merke: – Sinnvoll ist, Nicht Opioid Analgetika (NOPA) mit verschiedenem Wirkmechanismus zu kombinieren (Cave Kontraindikationen). – Bei vorhandenem i. v. Zugang sollte dieser direkt postoperativ primär zur Schmerztherapie genutzt werden (alternativ bzw. im Verlauf weiter oral [rektal]). – Beginn der Medikation nach festem Schema (NOPA anfangs immer fest, ggf. auch ein retardiertes Opioid) plus Bedarfsmedikation (im Verlauf Wechsel auf reine Bedarfsmedikation). – Starke Opioide immer titrieren. Monitorpflicht (mind. 24 Stunden).
Daten zur Effektivität opioidsparender Analgetika existieren mit Einschränkungen auch für Kinder. Insgesamt ist die Datenlage zu spärlich, um für alle üblichen Medikamente Aussagen zu treffen. Als effektiv angesehen werden in manchen Populationen: Paracetamol, NSAID´s, Dexamethason, Clonidin, Dexmedetomidin, Ketamin [9]. Nicht Opioid Analgetika (NOPA) Ibuprofen gilt, kurzfristig eingesetzt bei Kindern als sicher (cave: Hypovolämie perioperativ, akutes Nierenversagen). Zugelassen ab 3. bis 6. Lebensmonat je nach Applikationsform (siehe Kap. 4). Da ein Präparat zur i. v. Gabe in Deutschland gerade erst eingeführt wird, ist die Erfahrung damit noch unzureichend. Außerdem ist, auch wegen der z. B. geringeren Nachblutungsgefahr von selektiven COX-2-Inhibitoren, intravenöses Parecoxib interessant, z. B. bei Tonsillektomien. Für diese Substanz kann derzeit allerdings keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen werde, da sie bei Kindern nicht zugelassen ist. Diclofenac ist nur für ältere Kinder zugelassen.
368 24 Kinder
Dosierung: Ibuprofen 10 mg/kg, Intervall 8 h, Tagesmaximaldosis 40 mg/kg (oral, rektal), Diclofenac 1–2 mg/kg, Intervall 8 h, Tagesmaximaldosis 3 mg/kg (oral, rektal). Metamizol: Für Metamizol existieren aus vielen Gründen wenig Daten. Die Ablehnung eines kurzen perioperativen Einsatzes erscheint momentan nicht gerechtfertigt (cave: nicht bei Asthma oder Kreislaufinstabilität; unklares Agranulozytoserisiko – Eltern aufklären). Zugelassen ab 3. Lebensmonat (rektal ab 4 Jahren). Dosierung: 10–20 mg/kg (2,5 mg/kg/h), Intervall 6 h, Tagesmaximaldosis 80 mg/kg (oral, rektal, i. v. als langsame Kurzinfusion!) Paracetamol nicht unkritisch einsetzten (cave: Verwechslung ml und mg – akute Lebertoxizität; Dosisunsicherheit rektal/p. o.; schwache analgetische Wirkung – evtl. nur in Kombination wirksam; evtl. Erhöhung des Asthmarisikos; Interaktion mit 5-HT3-Antagonisten – Abschwächung einer antiemetischen Therapie). Eine i.v. Therapie sollte bevorzugt werden. Dosierung: – intravenös: 15 mg/kg KG als Einzeldosis, Intervall 6 h, Tagesmaximaldosis 60 mg/kg. – Cave: bei Kindern < 10 kg: 7,5 mg/kg Einzeldosis, lt. Zulassung aber fraglicher Wirkspiegel, – maximale Tagesdosis 30 mg/kg KG, off label use bei Frühgeborenen. – Rektal Loading dose! (oral nicht nötig): – < 3 Monate 20 mg/kg, Repetitionsdosis 15 mg/kg, Intervall 8–12 h, – Tagesmaximaldosis 35–60 mg/kg, > 3 Monate 35–40 mg/kg, Repetitionsdosis 15–20 mg/kg, Intervall 4–8 h – Tagesmaximaldosis 60–90 mg/kg Zu genauen Wirkmechanismen, Dosierung und Zulassungsbeschränkungen einzelner NOPA abhängig vom Lebensalter (auch für einzelne Darreichungsformen sind hier Unterschiede bei einzelnen Substanzen gegeben) für Kinder siehe auch Kap. 4. Merke: – NOPA sollten in der Regel nach einem festen Schema (z. B. alle 6 Stunden für Metamizol) verabreicht werden; – hier sollten wenn möglich nicht die Abstände der Einzelgaben verkürzt oder verlängert werden.
24.5 Systemische Schmerztherapie 369
Schwache Opioide Schwache Opioide werden oft in ihrer Wirkung überschätzt. Hat ein Kind unter NOPA starke Schmerzen, benötigt es starke Opioide. Kinder mit einem Risiko für Atemdepressionen sind auch unter schwachen Opioiden zu überwachen. Ceiling-Effekt beachten. Tramadol hat möglicherweise Vorteile bei abdominellen und neuropathischen Schmerzen. Zulassung ab 2. Lebensjahr (cave: prokonvulsiv, Enzympolymorphismus). Dosierung: unretardiert 1 mg/kg, max. 50 mg, Intervall 4 h (oral), retardiert 2 mg/ kg, max.100 mg, Intervall 8 h (oral) 0,3 mg/kg/h, max. 10 mg/h (i. v.) Nalbuphin steht nur i. v. zur Verfügung. Zugelassen ab 18. Lebensmonat. Reversierung einer opioidbedingten Atemdepression möglich; sedierend. Dosierung: 0,05–0,1 mg (0,1 mg/kg/h), Intervall 3–4 h (i. v.) Starke Opioide Diese sind in allen Altersklassen einsetzbar, allerdings nicht für alle Altersgruppen gleichermaßen zugelassen. Die Anwendung von PCA-Pumpen erfordert das Vorhandensein eines ASD. Nebenwirkungen (Übelkeit, Obstipation) müssen antizipiert und prophylaktisch behandelt werden. Eine ausreichende Überwachung ist obligat. Auf Station wird Naloxon als Notfallmedikament bereitgestellt und die Überwachung einer Opioidanalgesie so wie die Behandlung von Komplikationen durch Schulungen regelmäßig unterrichtet (10 µg/kg). Piritramid wirkt etwas schneller und länger als Morphin. Morphin hat den Vorteil, dass es auch oral verabreicht werden kann (als MorphinGranulat). Das höchste Risiko für Atemdepressionen haben Neugeborene und Kinder mit neurologischen Grunderkrankungen. Dosierung: Piritramid 0,05–0,1 mg (i. v.), Morphin 0,05 mg (i. v.) nicht-retardiert 0,2 mg/kg, max.4 mg, Intervall 4 h (oral), retardiert 0,4 mg/kg, max.10 mg, Intervall 8 h (oral). Merke: – Die Dosierung von Opioiden erfolgt titriert und unter adäquater Überwachung, insbesondere in der Anfangsphase einer Opioidtherapie. – Die Gabe retardierter Opioide erfordert eine adäquate Abschätzung des ungefähren Verbrauchs, z. B. durch vorherige bedarfsangepasste Gabe nicht-retardierter Opioide.
370 24 Kinder
Auch Algorithmen zur opioidbasierten postoperativen Schmerztherapie bei Kindern sind möglich (s. Kap. 4). Systemisch applizierte Adjuvantien sollten v. a. bei Schmerzrisikokindern erwogen werden. Während Clonidin gut etabliert ist (oral 4 µg/kg; i. v.2 µg/kg), ist die Datenlage zu anderen Medikamenten rar. Ketamin wird zur akuten Notfallversorgung routinemäßig verwendet. Es könnte Bedeutung in der Prävention des CPSP gewinnen. Lidocain intravenös ist vielversprechend, z. B. wenn bei großen Eingriffen keine Regionalanästhesie möglich ist. Das gilt auch für Gabapentin. Beim off-labelEinsatz dieser Medikamente muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden. Zu genauen Wirkmechanismen, Dosierung und Zulassungsbeschränkungen systemisch applizierter Opioide und Adjuvantien abhängig vom Lebensalter s. Kap. 4.
24.6 Organisatorische Besonderheiten Kinder brauchen Zeit, gut geschultes Personal, personelle Kontinuität und ein kindgerechtes Umfeld. Ein ASD, der auch Kinder behandelt, sollte heutzutage selbstverständlich sein. Das kindliche Bett ist „geschützter Raum“ (Verbandswechsel im Untersuchungszimmer). Qualitätsverlust findet oft an sogenannten Schnittstellen statt. Benötigt ein Kind bei Entlassung noch Opioide, ist eine persönliche Kontaktaufnahme mit dem weiterbehandelnden Kinderarzt anzuraten. Klare Strukturen und Prozesse sind für Kinder besonders wichtig. Das größte Hindernis in der Kinderschmerztherapie ist ärztliche Gleichgültigkeit. Möchte man Klarheit über die eigene Ergebnisqualität aus Sicht der Kinder und ein kontinuierliches Qualitätsmonitoring (zielgerichteter Ressourceneinsatz), steht das Projekt QUIPSInfant zur Verfügung [10]. Referenzen [1] [2] [3] [4]
[5]
[6] [7]
Victoria NC, Murphy AZ. Exposure to Early Life Pain: Long Term Consequences and Contributing Mechanisms. Curr Opin Behav Sci. 2016;7.61–68. Rabbitts JA, Fisher E, Rosenbloom BN, Palermo TM. Prevalence and Predictors of Chronic Postsurgical Pain in Children: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Pain. 2017;18:605–614. Hicks CL, von Baeyer CL, Spafford PA, van Korlaar I, Goodenough B. The Faces Pain Scale – Revised: Toward a common metric in pediatric pain measurement. Pain. 2001;93:173–183. Büttner W, Finke W, Hillecke M, et al. Entwicklung eines Fremdbeobachtungsbogens zur Beurteilung des postoperativen Schmerzes bei Säuglingen. Anasthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1998;33:353–361. Malviya S, Voepel-Lewis T, Burke C, Merkel S, Tait AR. The revised FLACC observational pain tool: improved reliability and validity for pain assessment in children with cognitive impairment. Paediatr Anaesth. 2006;16:258–265. Breau LM, Finley GA, McGrath PJ, Camfield CS. Validation of the Non-communicating Children’s Pain Checklist – Postoperative Version. Anesthesiology. 2002;96:528–535. Boric K, Dosenovic S, Jelicic Kadic A, et al. Interventions for postoperative pain in children: An overview of systematic reviews. Paediatr Anaesth. 2017;27:893–904.
Referenzen
[8]
371
Lönnqvist PA, Ecoffey C, Bosenberg A, Suresh S, Ivani G. The European society of regional anesthesia and pain therapy and the American society of regional anesthesia and pain medicine joint committee practice advisory on controversial topics in pediatric regional anesthesia I and II: what do they tell us? Curr Opin Anaesthesiol. 2017;30:613–620. [9] Zhu A, Benzon HA, Anderson TA. Evidence for the Efficacy of Systemic Opioid-Sparing Analgesics in Pediatric Surgical Populations: A Systematic Review. Anesth Analg. 2017;125:1569–1587. [10] QUIPS – Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie (2011). QUIPSinfant Kindermodul. www.quips-projekt.de/de/quipsinfant (08/2018) [11] Wren AA, Ross AC, D'Souza G, Almgren C, Feinstein A, Marshall A, Golianu B. Multidisciplinary Pain Management for Pediatric Patients With Acute and Chronic Pain: A Foundational Treatment Approach When Prescribing Opioids. Children 2019;21;6(2):33.
25 Besondere Patientengruppen: Schwangere Hans Jürgen Gerbershagen, Esther Pogatzki-Zahn
25.1 Einleitung Die postoperative Schmerztherapie bei Schwangeren stellt – aufgrund der generellen Problematik einer potentiellen Schädigung des Fötus und einer gleichzeitig meist schlechten Evidenzlage über wirkliche Risiken – eine besondere Herausforderung dar. Zugleich sollten einer schwangeren Frau, die operiert werden muss, aber auch wirksame Analgetika nicht vorenthalten werden und eine Analgesie sollte nach bestem Kenntnisstand sicher und effektiv auch bei Schwangeren durchgeführt werden. Postoperativer Schmerz kann potenziell ebenso problematisch sein und Kind und Mutter gefährden. Die Gefahr durch Analgetika besteht vor allem bezüglich einer potenziellen teratogenen Schädigung sowie anderer intrauteriner oder nach Entbindung relevanter Beeinflussung des Fetus/Neugeborenen. Insgesamt ist das Wissen über den Effekt von Analgetika auf den Fötus aber sehr beschränkt. Randomisiert-kontrollierte Studien werden bei Schwangeren selbstredend nicht durchgeführt. Daher reduziert sich das Wissen vor allem auf Anwendungsbeobachtungsstudien und Fallberichte sowie auf tierexperimentelle Studien (letzteres vor allem bezüglich des teratogenen Risikos). Aus den Fachinformationen der pharmazeutischen Unternehmen lassen sich in der Regel wenig wegweisende Informationen entnehmen. Im Abschnitt Schwangerschaft werden die meisten Analgetika als „kontraindiziert“ eingestuft oder es wird auf eine „strenge Indikationsstellung“ hingewiesen. Ob diese Einstufungen in der Packungsbeilage bedeuten, dass Erkenntnisse über Gefahren einer potenziellen Schädigung des Kindes vorliegen oder ob diese Angaben aus Vorsichtsgründen gemacht werden, wird in den meisten Fällen nicht klar. Informationen aus tierexperimentellen Untersuchungen sind auch nur schwer zu interpretieren, weil die Studienergebnisse nur bedingt auf den Menschen übertragbar sind. In der Regel werden in den reproduktionstoxischen Tierexperimenten viel höhere Dosen angewendet als bei der Therapie beim Menschen. Bevor das Analgetikum im Mutterleib zum Fötus gelangt, muss es die Plazenta passieren. Insbesondere das Molekülgewicht spielt eine wesentliche Rolle bei der Passage der Planzentaschranke („je niedriger das Molekulargesicht desto besser wandert es durch die Plazenta“). Als niedriges Gewicht gelten weniger als 600– 800 Dalton, was für die meisten Analgetika zutrifft. Lipophile Substanzen werden einfacher durch die Plazenta in den fötalen Kreislauf transportiert als hydrophile. Medikamente, die an Proteine gebunden sind, können deutlich schlechter durch die Planzentaschranke transportiert werden.
https://doi.org/10.1515/9783110597486-025
374 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
Merke: Generell muss vor Gabe eines Analgetikums Risiko-Nutzen für Schwangere und Fötus so gut wie möglich abgewogen werden.
Hilfreich sein kann hier mit aktuellen und evidenzbasierten Empfehlungen das Zentrum Embryotox [1] (www.embryotox.de). Embryotox ist ein Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité, das eng mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zusammenarbeitet. Es analysiert und interpretiert aktuelle und auch nicht-publizierte Studien sowie Empfehlungen des BfArM und der EMA, um aktuelle Ratschläge zur Anwendung von Medikamenten in der Schwangerschaft und Stillzeit zu geben [1].
25.2 Analgetika 25.2.1 Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA) NOPA stellen eine wichtige Gruppe von Analgetika zur postoperativen Schmerztherapie dar. Auf Grund ihrer z. T. guten analgetischen Effektivität und – bei Kombination mit Opioiden – einer potenziellen Reduktion von Opioiden und Opioidnebenwirkungen postoperativ (vgl. Kap. 4), eignen sie sich sehr gut auch in der Schwangerschaft postoperativ zur Analgesie. Allerdings sind auf Grund der Risiken für den Fötus Besonderheiten für jede Substanzgruppe zu beachten. Eine Zusammenfassung/Übersicht findet sich in Tab. 25.1.
hoch
hoch
hoch
hoch
Metamizol
Ibuprofen
Diclofenac
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
Erfahrung nach Teratogenität Embryotox
Paracetamol
Nicht-Opioide
Medikament
Anwendung möglichst vermeiden; mögliche Anwendung, wenn andere Analgetika kontraindiziert sind. Relative Kontraindikation im 1. Trimenon, absolute Kontraindikation im 3. Trimenon
gesamte Schwangerschaft einsetzbar. Da Ibuprofen besser analgetisch wirksamer gilt Paracetamol nur im 3. Trimenon als 1. Wahl
Empfehlung
1./2. Trimenon: unwahrscheinlich 3. Trimenon: frühzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus Botalli; fetale und neonatale Nierenfunktionsstörung bis zur Anurie; Nekrotisierende Enterokolitis (widersprüchlich); Empfindlichkeit des Ductus arteriosus Botalli wächst mit zunehmendem Gestationsalter
Einsatz im 1. und 2. Trimenon möglich, aufgrund größerer Erfahrung mit Ibuprofen, wird dies bevorzugt. Kein Einsatz im 3. Trimenon (ab 28. Schwangerschaftswoche)
1./2. Trimenon: unwahrscheinlich 1. Wahl im 1. und 2. Trimenon. Kein Einsatz 3. Trimenon: frühzeitiger Verschluss des Ductus arteim 3. Trimenon (ab 28. Schwangerschaftsriosus Botalli; fetale und neonatale Nierenfunktionswoche) störung bis zur Anurie; Nekrotisierende Enterokolitis (widersprüchlich); Empfindlichkeit des Ductus arteriosus Botalli wächst mit zunehmendem Gestationsalter
1. Trimenon: Leukämie beim Kind (widersprüchlich; Studienergebnisse sollten sehr zurückhaltend interpretiert werden) 3. Trimenon: Einzelfallberichte von frühzeitigem Ductus arteriosus Botalli Verschluss und Oligohydramnion
hyperkinetisches Verhalten im Kindesalter (nicht eindeutig) Kryptorchismus (widersprüchliche Daten) Asthma und andere Kranken des allergischen Formenkreises (Daten insgesamt nicht eindeutig)
mögliche Erkrankungen des Kindes
Tab. 25.1: Empfehlungen für den Einsatz von einzelnen Nicht-Opioiden und Opioiden in der Schwangerschaft.
25.2 Analgetika 375
gering
Etoricoxib
Tramadol
mittel
gering
Celecoxib
Opioide
mittel
Indometacin und Naproxen
1./2. Trimenon: unwahrscheinlich 3. Trimenon: frühzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus Botalli; fetale und neonatale Nierenfunktionsstörung bis zur Anurie; Nekrotisierende Enterokolitis (widersprüchlich); Empfindlichkeit des Ductus arteriosus Botalli wächst mit zunehmendem Gestationsalter
mögliche Erkrankungen des Kindes
Einsatz im 1. und 2. Trimenon möglich, aufgrund größerer Erfahrung mit Ibuprofen und Diclofenac, werden diese bevorzugt. Kein Einsatz im 3. Trimenon (ab 28. Schwangerschaftswoche) Indometacin oder andere NSAR zur Tokolyse wird nicht mehr empfohlen
Empfehlung
Unwahrscheinlich
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
Ibuprofen bzw. Paracetamol bevorzugt
bisher kein Anhalt schlechte Datenlagen: Aufgrund der prostaglandin-an- aufgrund unzureichender Erfahrungen und für Teratogenität tagonistischen Wirkung muss man von gleichen Neben- nicht belegter Vorteile gegenüber Ibuprofen (wenige vorliewirkungen, wie bei den NSAR ausgehen und Diclofenac nicht zu empfehlen gende Daten)
Bisher kein Anhalt schlechte Datenlagen: Aufgrund der prostaglandin-an- aufgrund unzureichender Erfahrungen und für Teratogenität tagonistischen Wirkung muss man von gleichen Neben- nicht belegter Vorteile gegenüber Ibuprofen (wenige vorliewirkungen, wie bei den NSAR ausgehen und Diclofenac nicht zu empfehlen gende Daten)
unwahrscheinlich
Erfahrung nach Teratogenität Embryotox
Medikament
Tab. 25.1: (fortgesetzt)
376 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
gering
mittel
gering
mittel
mittel
Tilidin
Morphin
Piritramid
Buprenorphin
Oxycodon
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich (Vielzahl von Studien bei Substitutionstherapien bei Opioid-Abhängigkeit)
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
Erfahrung nach Teratogenität Embryotox
Medikament
Tab. 25.1: (fortgesetzt)
bei strenger Indikationsstellung kann Morphin verwendet werden; alternativ kommt auch Tramadol und Buprenorphin in Betracht
aufgrund größerer Erfahrungen sollte Tramadol, Morphin oder Buprenorphin bevorzugt werden
Empfehlung
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
bei strenger Indikationsstellung kann Oxycodon angewendet werden; generell besteht mehr Erfahrung mit Tramadol, Morphin und Buprenorphin
bei strenger Indikationsstellung kann Buprenorphin verwendet werden; alternativ kommt auch Tramadol und Morphin in Betracht
obwohl es zu den am häufigsten eingesetzten Opioiden aufgrund der fehlenden Studienlage sollten in deutschen Geburtskliniken gehört, gibt es nur wenige andere Opiate bevorzugt werden dokumentierte Untersuchungen
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
mögliche Erkrankungen des Kindes
25.2 Analgetika 377
mittel
mittel
hoch
Fentanyl
Hydromorphon
Dexamethason
Gaumenspalten (bei Einnahme zwischen 8–11. Schwangerschaftswoche)
unwahrscheinlich
unwahrscheinlich
Erfahrung nach Teratogenität Embryotox
Medikament
Tab. 25.1: (fortgesetzt)
2./3. Trimenon: Je nach Therapiedauer und Dosis intrauterine Wachstumsretardierung, Frühgeburt, vorübergehende Hypoglykämien, Hypotonien und Elektrolytstörungen beim Neugeborenen
pränatal: Atemdepression des Neugeborenen nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
Pränatal: Atemdepression des Neugeborenen Nach längerfristiger Anwendung der Schwangeren bis zur Geburt: Entzugssymptome beim Neugeborenen Akuter Opiatentzug der Schwangeren kann zu intraoperativem Fruchttod oder frühzeitigen Wehen führen
mögliche Erkrankungen des Kindes
als systemisches Analgetikum nicht empfohlen bei zu geringem analgetischen Zusatznutzen abgewogen werden kann die i. v. Anwendung zur Verlängerung einer peripheren Regionalanalgesie
bei strenger Indikationsstellung kann Hydromorphon angewendet werden; laut Embryotox „eine kurzfristige therapeutische Gabe erscheint auch in der Schwangerschaft vertretbar und ist nicht mit einem Substanzabusus zu vergleichen.“
Kann in allen Phasen der Schwangerschaft verwendet werden. Für längerfristige transdermaler Gabe nur bei strenger Indikationsstellung
Empfehlung
378 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
25.2 Analgetika 379
Paracetamol Paracetamol ist das einzige NOPA, das in der gesamten Schwangerschaft gegeben werden kann; allerdings ist es nicht das effektivste (vgl. Kap. 4). Deshalb sollte es postoperativ insbesondere im 3. Trimenon eingesetzt werden; zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft sind NSARs absolut kontraindiziert und auch Metamizol sollte wenn möglich nicht verabreicht werden. Im 1. und 2. Trimenon sind die effektiveren NSARs noch einsetzbar und sollten auf Grund der besseren Wirksamkeit bevorzugt werden, solange keine Patientinnen-eigenen Kontraindikationen für NSARs vorliegen. Der Wirkmechanismus von Paracetamol ist nicht endgültig geklärt (vgl. Kap. 4). Es gilt – nachdem noch anfänglich Ungewissheit über die Sicherheit von Paracetamol in der Schwangerschaft herrschte – heute die Annahme, dass kein Fehlbildungsrisiko beim Fötus im Zusammenhang mit Paracetamoleinnahme der Mutter besteht [2]. Allerdings ist durch verschiedenste vor allem epidemiologische Studien die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft mit dem Auftreten von verschiedensten Erkrankungen beim Kind in Zusammenhang gebracht worden. Eine prospektive Kohortenstudie mit über 60.000 Kindern zeigte z. B. eine signifikante Steigerung von hyperkinetischen Störungen bei Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft. Die Häufigkeit nahm linear mit den Anwendungswochen von Paracetamol zu, insbesondere bei Anwendung zum Ende der Schwangerschaft. ADHSverdächtiges Verhalten 7-jähriger Kinder stieg ebenfalls mit der Anwendung von Paracetamol insbesondere im 2. und 3. Trimenon [3,4]. Auch eine Assoziation von dem Auftreten von Kryptorchismus wurde bei einer mehr als 2-wöchigen Anwendung von Paracetamol bei über 2300 untersuchten Kindern festgestellt [5]. In Tierversuchen zeigten pränatale Paracetamol Anwendung antiandrogenen Störungen [6]. Bei Mädchen zeigte sich eine geringfügig frühere pubertäre Entwicklung (Sekundärbehaarung, Akne) von 1–3 Monaten. Bei Jungen ergaben sich keine Unterschiede [7]. Das wahrscheinlich umstrittenste Risiko von Paracetamol ist das Auftreten von allergischen Diathesen (Asthma, Rhinokonjunktivitiden, Ekzeme) bei Kindern von Müttern, die in der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen haben [8,9]. Die Ergebnisse dieser und weiterer Studien sowohl über den Hodenhochstand als auch über die hyperkinetischen Störungen und das Auftreten von Asthma und anderen Erkrankungen aus diesem Formenkreis müssen aufgrund des Studiendesigns jedoch vorsichtig interpretiert werden. Überzeugende Erklärungen, die einen kausalen Zusammenhang mit der Paracetamol-Einnahme vermuten lassen, fehlen [2]. So sieht es auch die Pharmakovigilance Working Party (PhVWP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA); sie empfiehlt aber trotzdem, Paracetamol in der Schwangerschaft und bei Kindern nur dann einzusetzen, wenn es eindeutig erforderlich ist [10]. Ähnlich sieht die Empfehlung auf der Embryotox Internetseite aus; hier wird auch darauf hingewiesen, dass die Einnahme von Paracetamol einer Nicht-Einnahme
380 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
(und damit den Folgen durch die bestehenden Schmerzen) oder einer Alternativeinnahme von Opioiden insbesondere im 3. Trimenon abgewogen werden sollte [2]. Merke: Trotz aller oben angesprochenen. sehr „heiß“ diskutierten Untersuchungsergebnisse zu potentiellen Gefahren einer Paracetamoleinnahme bei Schwangeren bleibt Paracetamol das NOPA der ersten Wahl im 3. Trimenon der Schwangerschaft, da alle anderen (und effektiveren) NOPA zu diesem Zeitpunkt kontraindiziert sind [2].
Empfehlenswert ist dabei immer, die Einnahme (Dauer der Gabe und Dosis) von Paracetamol entsprechend des klinischen Zustandes zu begrenzen [2]. Merke: Im 1. und 2. Trimenon sollte, wenn keine Kontraindikationen bestehen, das besser wirksame Ibuprofen dem Paracetamol vorgezogen werden.
Metamizol Über Metamizol sind mehr als 300 Schwangerschaften im 1. Trimenon systematisch analysiert worden – womit der Erfahrungsumfang nach Embryotox als hoch gilt [11]. Ein teratogener Effekt von Metamizol erscheint sehr unwahrscheinlich [12,13]. Für das 2. und 3. Trimenon liegen einzelne Fallberichte über die Entwicklung eines Oligohydramnions sowie eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus Botalli vor [14], vermutlich aufgrund einer Hemmung der Prostaglandinsynthese. In den Fallberichten, bei denen Metamizol schließlich abgesetzt wurde, verbesserte sich die klinische Situation. Darüber hinaus sind Störungen der Hämatopoese beim Neugeborenen aufgetreten. Merke: In der Schwangerschaft sollte auf Metamizol, wenn möglich, verzichtet werden.
Am ehesten kann Metamizol im 2. Trimenon eingesetzt werden, und zwar dann, wenn andere Medikamente kontraindiziert sind. Es ist aber nicht das Medikament der 1. Wahl. Im 1. Trimenon besteht eine relative, im 3. Trimenon eine absolute Kontraindikation für Metamizol. Falls Metamizol bei unbemerkter Schwangerschaft eingenommen wurde, hat dies bei Einnahme im 1. Trimenon keine Konsequenzen, bei später Einnahme (d. h. 3. Trimenon) sollte dopplersonographisch der Ductus ateriosus Botalli überprüft werden.
25.2 Analgetika 381
25.2.2 Die klassischen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) Die Gruppe der NSAR stellt nach Operationen die am effektivsten wirksamen NichtOpioid-Analgetika dar (vgl. Kap. 4). Die nach Embryotox dokumentierten Erfahrungen mit NSAR in der Schwangerschaft sind bezüglich des Ibuprofens und Diclofenacs hoch [15,16]. Für Ibuprofen bestehen zusätzlich viele tierexperimentelle Informationen und auch klinische Beobachtungsstudien zeigten keine Assoziationen mit Fehlbildungen bei Kurzzeiteinnahme in der Schwangerschaft [17]. Merke: Im 1. und 2. Trimenon sind NSAR, insbesondere Ibuprofen, das Mittel der 1. Wahl nach Operationen, wenn ein Nicht-Opioid eingesetzt werden soll und keine generellen Kontraindikationen bestehen.
Diclofenac kann im 1. und 2. Trimenon von Schwangeren auch eingenommen werden, wird allerdings nur eingeschränkt empfohlen. Indometacin und Naproxen werden auf Grund geringerer Erfahrungen nicht empfohlen. Prostaglandine sind für das Offenhalten des Ductus arteriosus Botalli verantwortlich. Durch Inhibition der Synthese durch NSAR kann sich der Ductus frühzeitig verschließen. Je reifer der Fötus in der Entwicklung ist, desto höher ist das Risiko, dass sich der Ductus arteriosus Botalli unter NSAR – Einnahme verschließt. Die möglichen Folgen sind pulmonaler Hypertonus, Oligohydramnion, nekrotisierende Enterokolitis und Hyperbilirubinämie [18]. NSAR können ebenfalls die neonatale Nierenfunktion negativ beeinflussen bis hin zur Anurie, was ein Oligohydramnion zur Folge haben kann. Störungen der Blutgerinnung und Abschwächung der Uteruskontraktur mit vermehrtem peripartalem Blutverlust sind ebenfalls beschrieben [19]. Merke: Ibuprofen und andere NSAR sollten im 3. Trimenon nicht eingesetzt werden.
Bei wiederholter Einnahme im letzten Schwangerschaftsdrittel sollte der fetale Kreislauf sonographisch (Doppler-Sonographie) auf Veränderungen der Hämodynamik im Ductus arteriosus kontrolliert und ein Oligohydramnion ausgeschlossen werden [15,16].
25.2.3 Spezifische COX-2-Hemmer Zu spezifischen COX-2 Hemmern und ihrer Anwendungssicherheit in der Schwangerschaft liegen so gut wie keine Untersuchungen in der Schwangerschaft vor. Lediglich zu Celecoxib gibt es Daten bei der Anwendung im 1. Trimenon. Bei den 174 untersuchten Schwangerschaften zeigten sich kein Unterschied an Fehlbildungen zur Ver-
382 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
gleichsgruppe [20]. Da auch die Coxibe die Prostatglandin-Synthese hemmen, muss davon ausgegangen werden, dass die gleichen Risiken wie bei den NSAR im 3. Trimenon auftreten.
25.2.4 Opioide Opioide sind in der Schmerztherapie auch bei Schwangeren nicht immer zu vermeiden. Den Nebenwirkungen und potenziellen Risiken der Opioide (wie auch anderen Schmerzmitteln) auf den Fetus sind die Komplikationen von Schmerzen (u. a. Sympathikusaktivierung, Stress, Vasokonstriktion etc.) entgegenzuhalten. Um den Einsatz von Opioiden gerade in der postoperativen Schmerztherapie so kurz und gering wie möglich zu halten, sollten alternative Verfahren (z. B. regionale Analgesieverfahren) eingesetzt werden und die Gabe effektiver Nicht-Opioid-Analgetika ausgeschöpft werden, die den Opioidbedarf signifikant senken können. Auch weitere Subtanzen wie Dexamethason (siehe unten) bieten sich als Ko-Analgetika an. Merke: Opioide sind bei Schwangeren nicht kontraindiziert; sie sollten nur so kurz wie möglich und so gering dosiert wie nötig verabreicht werden. Ideal ist eine bedarfsgerechte Opioid-Gabe durch die Patientin selbst, die am besten weiß wie viel sie benötigt (z. B. über eine PCA-Pumpe (s. Kap. 4).
Welches Opioid während der Schwangerschaft für die Kurzzeitanalgesie am besten geeignet ist, ist bisher nicht geklärt. Aufgrund der größeren Erfahrungen empfiehlt Embryotox ganz allgemein – falls ein Opioid dringend indiziert ist – die Anwendung von Tramadol, Buprenorphin oder Morphin in der Schwangerschaft. Für kein Opioid gibt es klare Hinweise auf Teratogenität. Die verschiedenen Opioide werden seit Jahrzehnten bei Schwangeren eingesetzt, jedoch liegen nur wenige Studiendaten in Bezug auf Teratogenität vor. Eine kleine Anzahl von Studien, die verschiedene Opioide in der Analyse zusammengefasst haben, zeigten ein erhöhtes Risiko von kardialen Malformationen (v. a. Septumdefekte, Kieferspalten, Klumpfuß und Spinal bifida, [21]). Das umfangreiche Review von Lind über kongenitale Fehlbildungen im Zusammenhang mit Opioiden führt über die 68 eingeschlossenen Studien eine lange Liste an Limitationen im Studiendesign und Statistik auf [22]. Viele dieser Studien haben Patienten mit Opioid-Abusus oder Opioid-Substitution (z. B. Methadon) untersucht [22]. Diese Studien können deshalb für das Abschätzen eines Risikos für Schwangeren zur kurzfristigen postoperativen Opioideinnahme nicht herangezogen werden. Assoziationen von einer kurzzeitigen Einnahme von Opioiden nach Operation auf die Teratogenität des Fetus sind bisher nicht systematisch untersucht worden [22]. Daher ist in der Tab. 25.1 das Risiko für Teratogenität überwiegend als unwahrscheinlich eingestuft. Nichtsdestotrotz kann mit absoluter Bestimmtheit dieses Risiko
25.2 Analgetika 383
nicht ausgeschlossen werden, weshalb Opioide nur mit klarer Indikation und so kurz wie möglich in der Schwangerschaft eingenommen werden sollten. Opioide haben wahrscheinlich keinen Einfluss auf das Wachstum des Fetus [23]. Ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten wird bei inhomogener Studienlage kontrovers diskutiert. Eine retrospektive Studie mit ca. 500 Frauen zeigte eine höhere Frühgeburtlichkeit mit 8 % vs. 3 % [24] sowie in einem schwedischem Register nach der Einnahme von Tramadol [25]. Allerdings wurde in zwei weiteren Studien kein Zusammenhang mit Frühgeburtlichkeit erkannt [26,27]. Auch bei diesen Studien wurden die Opioide längerfristig eingenommen. Bei der (Langzeit-)Einnahme von Opioiden bis kurz vor der Geburt muss mit geringeren fetalen Bewegungen, geringerer Variabilität der Herzfrequenz, Atemdepression und Entzugserscheinungen des Neugeborenen gerechnet werden. Daher ist in diesen Fällen eine Entbindung in einem Perinatalzentrum indiziert. Die typischen Entzugssymptome wie Tremor, Diarrhoe, Zittrigkeit aber auch Trinkschwäche können auch erst 48–72 Stunden nach der Entbindung beim Kind auftreten und lange anhalten. Bei Buprenorphin ist dies möglicherweise geringer ausgeprägt als bei Methadon [22,28]. Merke: Da bei Opioidentzug während der Schwangerschaft von intrauterinem Fruchttot berichtet wurde, ist davon abzuraten einen Entzug während der Schwangerschaft durchzuführen [28].
25.2.5 Regionalanalgesieverfahren postoperativ bei Schwangeren Regionalanalgesieverfahren sind perioperativ bei Schwangeren absolut von Vorteil; sie erreichen oft eine besonders gute Schmerzreduktion, so dass auf weitere Analgetika z. T. komplett verzichtet werden kann. Der generelle Einsatz von Lokalanästhetika bei Schwangeren ist möglich, es sollten aber solche Lokalanästhetika gewählt werden, die eine hohe Plasmaeiweißbindung aufweisen. Dies vermindert die Plazentaübertritt. Ideal sind Bupivacain und Ropivacain (ersteres besser untersucht, wahrscheinlich aber kein Unterschied) für periphere Nervenblockaden oder Spinal-/Periduralanalgesie sowie Articain für die Infiltrations- und Leitungsanästhesie vorwiegend in der Zahnheilkunde. Lidocain, Mepivacain und Prilocain sollten, da sie eine deutlich niedrigere Plasmaeiweißbindung aufweisen, nicht verwendet werden. Unter Prilocain sind zusätzlich Methämoglobinämien bei Neugeborenen und Schwangeren aufgetreten. Auch der Einsatz von Zusätzen wie Adrenalin (in Dosierungen 1:100.000), die sowohl das Kind schädigen als auch die Plazentadurchblutung beeinträchtigen können, sollte vermieden werden. Adrenalin sollte bei Schwangeren, wenn, dann nur in geringeren Konzentrationen (z. B. 1:200.000), dem Lokalanästhetikum zugesetzt werden.
384 25 Besondere Patientengruppen: Schwangere
25.2.6 Ko-Analgetika Der Einsatz aller Ko-Analgetika zur perioperativen Schmerztherapie ist ein off-label Einsatz und Daten zu Risiken für den Einsatz in der Schwangerschaft liegen für nur wenige dieser Substanzen vor. Deshalb sollte ihr Einsatz ausgesprochen restriktiv erfolgen. Am besten untersucht ist hierbei Kortison, allerdings in der Regel für den Langzeiteinsatz. Kortison Insgesamt scheint das Risiko von der Entstehung von Gaumenspalten (mit oder ohne Lippenbeteiligung) leicht erhöht zu sein, wenn zwischen der 8.–11. Schwangerschaftswoche Kortison eingenommen wird. Nachdem eine Metaanalyse einen positiven Zusammenhang beschrieb [29], konnten nachfolgende Studien dies nicht belegen. Je nach Dosis und Dauer der Medikamenteneinnahme kann eine intrauterine Wachstumsretardierung (IUGR), Frühgeburtlichkeit sowie vorübergehenden Hypoglykämie, Hypotonie und Elektrolytstörungen beim Neugeborenen vorkommen [29]. Deshalb, sowie auf Grund des nur geringen analgetischen Zusatznutzens von systemischem Dexamethason (s. hierzu Kap. 4) ist die systemische Gabe als Analgetikum bei Schwangeren perioperativ nicht indiziert. Für Dexamethason als Zusatz zu Nervenblockaden gibt es gute Studien, die darauf hindeuten, dass die Dauer von peripheren Nervenblocken deutlich verlängern werden kann und somit eventuell die benötigte Dosis anderer Analgetika reduziert werden könnte. Gleiches gilt für folgende Substanzen: Clonidin, Dexmedetomidine und Buprenorphin, deren Einsatz allerdings in der Schwangerschaft gut abgewogen werden muss gegen systemische Nebenwirkungen, die auch bei der lokalen Anwendung nicht ausbleiben (vgl. Kap. 5). Referenzen [1] [2] [3] [4]
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26 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten Christine Meyer-Frießem
26.1 Schmerzen im Alter – eine Herausforderung Schmerzen im Alter stellen eine Herausforderung dar. In Deutschland sind derzeit über 20 % der Bevölkerung über 65 Jahre; erwartungsgemäß wird sich dies auf bis zu 33 % in den nächsten Jahrzehnten steigern (Statistisches Bundesamt). Der größten Datenerfassung aus den letzten Jahren folgend ist der typische postoperative Patient zu 43,5 % über 61 Jahre und häufiger weiblich [1]. Patienten jenseits des 70. Lebensjahres werden in die Gruppe der geriatrischen Patienten gezählt. Neben einer veränderten Pharmakokinetik und -dynamik erschweren hier insbesondere (hirn-)organische Veränderungen, psychische und soziale Faktoren (wie z. B. Angst vor Fremdbestimmung, Autonomieverlust, ängstliche Zurückhaltung, passive Copingstrategie, Einsamkeit, Trauer, depressive Grundstimmung) die Schmerztherapie. Im Hinblick auf physiologische Veränderungen im Alter als auch auf eine stetig wachsende Anzahl an Komorbiditäten (z. B. kardio-/zerebrovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Osteoporose) und folglicher Polypharmazie, bedürfen diese Patienten besonderer Beachtung. Zum einen ist durch eine eingeschränkte Kommunikation mit dem alten Menschen ein Schmerzassessment oft erschwert. Zum anderen rückt der akute Schmerz aufgrund zahlreicher Komorbiditäten und anderer Symptome mit vitaler Behandlungspriorität in den Hintergrund. Des Weiteren nimmt der Anteil chronischer Schmerzen hauptsächlich auf dem Boden degenerativer muskuloskelletaler Beschwerden im höheren Lebensalter zu. Demzufolge bedarf die geriatrische Akutschmerztherapie eines ganzheitlichen Ansatzes. Definition „Geriatrischer Patient“: Der geriatrische Patient zeichnet sich durch das Vorliegen Geriatrie-typischer Multimorbidität (z. B. Immobilität, kognitive Defizite, chronische Schmerzen, Angststörung, herabgesetzte Belastbarkeit, Seh- oder Hörbehinderung, Gleichgewichtsstörung, Polymedikation) als auch ein höheres Lebensalter in der Regel über 70 Jahre aus. Seine Behandlung bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes. Schmerzassessment Voraussetzung für eine adäquate Schmerztherapie im Alter ist mehr denn je das individuelle Erkennen und regelhafte Evaluieren von Schmerzen [6]. Aufgrund kognitiver Einschränkungen geriatrischer Patienten ist oftmals die Anamnese schwierig und die Benutzung eindimensionaler Schmerz-Scores nur eingeschränkt möglich. Zudem wer-
https://doi.org/10.1515/9783110597486-026
388 26 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten
Komorbidität z.B. Leber-/Niereninsuffizienz
verringerte Compliance
pharmakokinetische und -dynamische Veränderungen
Polypharmazie
eingeschränkte Kognition
eingeschränkte Mobilität/Selbstständigkeit
Schluckstörung/ Gastroparese der alte Patient
Angst Depression Hilflosigkeit Einsamkeit
Medikamentenabhängigkeit
Seh-/Hörschwäche verminderte Kommunikationsfähigkeit Gangunsicherheit/ Sturzrisiko/gestörtes Gleichgewicht chronische Schmerzen
Abb. 26.1: Darstellung möglicher zu beachtender physiologischer, psychischer und sozialer Einflussfaktoren auf das postoperative Schmerzmanagement beim geriatrischen Patienten.
den aus Schmerzäußerungen oftmals nicht die richtigen oder konsequenten Schlussfolgerungen gezogen und Schmerzen nicht hinreichend behandelt (AWMF S3). Die üblichen standardisierten Assessmentinstrumente wie z. B. die Numerische Rating Skala versagen unter Umständen beim geriatrischen Patienten. Das Assessment sollte in erster Linie durch aktives Nachfragen, ob Schmerzen vorliegen, Beobachtung indirekter (z. B. gequälte Laute, Stöhnen, Weinen oder Schreien, unerklärliche Aggression, verzerrte Mimik, Schonhaltungen, Unruhe, Abwehr der Pflege, Appetitmangel, Schlafstörungen) als auch physiologischer Hinweise (z. B. vegetativ, flache Atmung, angespannte Muskulatur) erfolgen. Auch sollten Schmerzsynonyme wie „aua“ oder „weh“ in die Evaluation mit einbezogen werden. Zudem sind visuelle Hilfen (z. B. visuelle Analogskala) in ausreichend großer Schrift unter ausreichender Beleuchtung anzuwenden; diese setzen aber eine gewisse kognitive Übertragungsfähigkeit voraus (AWMF S3).
26.1 Schmerzen im Alter – eine Herausforderung 389
Bei kognitiv stark beeinträchtigten Patienten sollten multidimensionale Beobachtungsskalen wie z. B. die von der Deutschen Schmerzgesellschaft erarbeitete BESD-Skala (Beurteilung des Schmerzverhaltens bei Demenz) oder DOLOPLUS-2-Skala eingesetzt werden (s. Kap. 3) Ergänzend scheint eine aktuelle als auch im Verlauf und ggf. retrospektive Erhebung aller in der Therapie beteiligter Berufsgruppen und auch regelmäßiger Bezugspersonen oder Angehöriger vor allem bei Patienten mit Ängsten und kognitiven Einschränkungen von Bedeutung. Auch sollten Unterschiede der Schmerzäußerungen während Ruhephasen im Vergleich zu Aktivitätsphasen in das Screening miteinfließen. Definition „BESD“: Beurteilung des Schmerzverhaltens bei Demenz. In den fünf Beobachtungskategorien Atmung, negative Lautäußerung, Gesichtsausdruck, Körpersprache und Reaktion auf Trost werden Verhaltensmerkmale mit einem Punktwert von 0 bis 2 eingeschätzt. Addiert kann der Gesamtwert 10 Punkte erreichen. Dieser Punktwert ist nicht mit der Schmerzintensität auf der Numerischen Ratingskala gleichzusetzen. Als Cut-off-Wert für die Einleitung therapeutischer Maßnahmen wird ein Gesamtwert zwischen 2 (in Ruhe) und 4 (während Aktivität) empfohlen. Im Vordergrund steht jedoch die individuelle relative Veränderung nach analgetischer Maßnahme. Folgen von Schmerzen im Alter Bekanntermaßen können perioperative Schmerzen zu zahlreichen Komplikationen führen (s. Kap. 2). Negative Folgen wie Immobilität, fehlende Kooperation, Unbehagen, Entstehung oder Verstärkung von Ängsten, Steigerung des Sympathikotonus mit erhöhtem Sauerstoffbedarf, Verstärkung von Übelkeit und Erbrechen mit folglich verminderter Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bis hin zur Desorientiertheit und posteropativem Delir können im Funktionskomplex des alten Menschen die postoperative Rehabilitation deutlich verzögern. Ältere Patienten neigen aufgrund eines unzureichenden Schmerzmanagements zur Verstärkung bereits bestehender chronischer Schmerzen und/oder zur Chronifizierung von akuten Schmerzen.
390 26 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten
26.2 Für die postoperative Schmerztherapie relevante physiologische Anpassungen im Alter Tab. 26.1: Physiologische Veränderungen im Alter, ihre Auswirkungen und Konsequenzen für das perioperative Schmerzmanagement beim geriatrischen Patienten. In Anlehnung an [2]. Auswirkung
Praktische Konsequenz
Fettgewebe
relative Zunahme des Fettgewebes
erhöhtes Verteilungsvolu- verzögerte Wirksamkeit, ermen für lipophile Analgeti- höhte Konzentration lipophika ler Analgetika (z. B. Buprenorphin) und verlängerte Eliminationshalbwertzeiten (z. B. von Piritramid) beachten
Gastrointestinaltrakt
Gastroparese, Motilitätsabnahme, Dysphagie
verlangsamte Magendarmpassage, längere Resorptionszeit, Obstipationsneigung
auf Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme achten; Applikationsweg von Analgetika bedenken (ggf. Tropfen oder sublinguale Gabe statt Tabletten); strenge Indikationsstellung für Opioide bzw. prophylaktische Gabe von Laxantien
Herz-Kreislaufsystem
Abnahme Herzzeitvolumen, verringerte Organdurchblutung, arteriosklerotische Veränderungen
eingeschränkte kardiovaskuläre Kompensationsmechanismen, Neigung zu Stürzen durch Schwindel und Hypotonie, siehe Auswirkung auf Leber und Niere
verzögerte Wirkung und verzögerten Wirkbeginn von Analgetika beachten
Leber
Leberinsuffizienz, verringerte Leberdurchblutung
Verzögerter Abbau/Metabolisierung hepatisch eliminierter Analgetika
Bevorzugung renal eliminierter Analgetika, ggf. initial geringere Dosierung und/oder verlängertes Einnahmeintervall wählen
Lunge
verringerte Vitalkapazität, geschwächte Atemmuskulatur, Schlafapnoe
Gefahr der Hypoxämie durch Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks, abgeschwächter Hustenstoß mit Gefahr der Atelektasenbildung und Pneumonie
Verzicht auf Opioide oder Gabe der geringst möglichen Opioidmenge in Kombination mit Atemtraining
Muskulatur/ Skelett
degenerative Veränderungen, Osteoporose, Abnahme Muskelmasse
chronische Schmerzen, Kraftverlust, Immobilität, Sturzgefahr, Frakturrisiko
optimales Schmerzmanagement zur Vermeidung (weiterer) Schmerzchronifizierung, Einsatz nichtmedikamentöser Verfahren wie Aktivierung
26.2 Relevante physiologische Anpassungen im Alter 391
Tab. 26.1: (fortgesetzt) Auswirkung
Praktische Konsequenz
sensorische (nozizeptive) Beeinträchtigung bzw. Veränderung
Hör-/ Sehminderung, eingeschränkte Temperatur- und Berührungsempfindlichkeit (z. B. Polyneuropathie), verminderte periphere Nozizeption (Frühwarnfunktion beeinträchtigt), ausgeprägte Hyperalgesie nach wiederholter überschwelliger noxischer Stimulation verstärkte Aktivierung schmerzassoziierter Hirnareale; Abnahme Effektivität des antinozizeptiven Hemmsystems
individuelles Schmerzassessment ggf. mit visuellen Hilfen verwenden, frühzeitig an Brille oder Hörgerät denken, aktiv nach Schmerzen fragen, aufmerksame Diagnostik (z. B. Kontrolle Festigkeit eines Verbandes); optimales Schmerzmanagement zur Vermeidung der Schmerzchronifizierung
Gehirnatrophie, kognitive Beeinträchtigung, Demenz
Kommunikationsschwierigkeiten, Desorientiertheit, eingeschränkte Compliance
individuelles Schmerzassessment, individuelle Kommunikation und Empathie, Orientierungshilfen geben, TagNacht-Rhythmus erhalten (z. B. Uhr aufhängen)
Reduktion myelinisierter Nervenfasern, Reduktion Nervenleitgeschwindigkeit
kürzere Anschlagzeit von peripheren Nervenblockaden, längere Wirkung sensorischer und motorischer Nervenblockaden
Reduktion der Lokalanästhetikadosis
Niere
Niereninsuffizienz, verringerter renaler Blutfluss
verringerte renale Clearance und Elimination mit Gefahr der (toxischen) Kumulation
Vermeidung von NSAR und Coxiben sowie Bevorzugung hepatisch eliminierter Analgetika (z. B. Hydromorphon vor Morphin); ggf. initial geringere Dosierung und/oder verlängertes Einnahmeintervall wählen
Proteine
Abnahme Proteinsynthese
erhöhter Anteil freien ungebunden Analgetikums
Medikamenteninteraktion beachten
Gefahr der Dehydratation, länger anhaltende Blutkonzentrationen von Analgetika
auf Flüssigkeitsaufnahme achten, Dosierung anpassen, rasches Anfluten hydrophiler Substanzen beachten (z. B. Morphin)
Nervensystem
Wasserhaushalt Abnahme Gesamtkörperwasser (plus perioperative Verluste)
392 26 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten
26.3 Praktische Umsetzung geriatrischer Akutschmerztherapie Kasuistik: Herr B. L., 81 Jahre, ist in der Nacht im Altenheim gestürzt und hat sich eine mediale Schenkelhalsfraktur zugezogen. Im Prämedikationsgespräch fällt ein reduzierter Allgemein- und kachektischer Ernährungszustand (58 kg bei 1,84 m) auf. Neben einer ischämischen Kardiomyopathie bei KHK, einer kompensierten Niereninsuffizienz und einem Diabetes mellitus zeigt er Anzeichen einer Demenz. Medikamentös ist er u. a. mit einem Betablocker, einem ACE-Hemmer, einem Statin, einem Schleifendiuretikum, ASS und Metformin eingestellt. Für die Operation am nächsten Morgen entscheidet sich der Anästhesist für eine möglichst schonende balancierte Vollnarkose mit Larynxmaske in Kombination mit regionalanalgetischen Verfahren (Single Shot Blockade N. femoralis, N. cutaneus femoralis lateralis und N. obturatorius). Bereits kurz nach der Operation kann Herr L. schmerzfrei aus dem Aufwachraum auf die periphere Station verlegt werden. Nach Abklingen der Blockaden erhält Herr L. ab dem Abend nach festem Zeitschema Novaminsulfon (4 × 500 mg) per os. Aufgrund seiner Komorbiditäten wird primär auf NSAR und Opioide verzichtet. Um die antithrombozytäre Wirkung abzuschwächen, wird die morgendliche Novaminsulfondosis mit einem 30minütigen Intervall zur Einnahme von ASS verabreicht. Am ersten postoperativen Tag wird der Patient desorientiert und mit schmerzverzerrtem Gesicht im Bett bei der Visite aufgefunden. Auf Nachfragen kann er keine adäquate Antwort zu seinem aktuellen Schmerzempfinden geben. Zunächst erklärt die diensthabende Schwester Herrn L., wo er sich befindet, kontrolliert den Verband und reicht ihm Wasser zum Trinken. Nach den hausinternen SOPs verabreicht sie ihm Oxycodon nicht-retardiert 5 mg per os. Bereits nach kurzer Zeit liegt Herr L. wieder mit entspanntem Gesicht im Bett und kann sich an seinen Sturz und die notwendige Operation erinnern. Unter stabilen Nierenwerten, Ausschluss einer Leukopenie und ohne Symptome einer Agranulozytose kann Herr L. mit bereits reduzierter Novaminsulfondosis (2 × 500 mg per os) ein paar Tage später in die Reha entlassen werden. Systemische Schmerztherapie Grundsätzlich können alle Analgetika, die regelhaft in der Schmerztherapie eingesetzt werden, auch bei älteren Patienten verordnet werden. Jedoch können Analgetika aufgrund einer veränderten Pharmakokinetik und -dynamik langsamer anschlagen, stärker und länger wirken, verstärkt Nebenwirkungen erzeugen, und/oder kumulieren. Deswegen sollte die systemische Schmerztherapie unter strenger Indikationsstellung, Beachtung von Indikationen, Kontraindikationen, Interaktionen und potentieller Nebenwirkungen erfolgen [3][4]. Siehe auch Kap. 4 und Tab. 26.1. Folgende Grundsätze sollten umgesetzt werden: – Medikamentendosierung: „start low, go slow“ – Dosistitration mit möglichst niedrigster Dosis [6] – möglichst kurze Applikationsdauer
26.3 Praktische Umsetzung geriatrischer Akutschmerztherapie 393
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strenge Indikationsstellung von NSAR (hinsichtlich renaler, gastraler und kardiovaskulärer Nebenwirkungen) sowie Opioiden (hinsichtlich psychotroper Nebenwirkungen, Sturzgefahr und Obstipation) optimalen Applikationsweg wählen (z. B. Tropfenform bei Dysphagie) möglichst großes Applikatonsintervall zur Erhöhung der Compliance wählen (z. B. nur einmal tägliche Einnahme)
Zur Minimierung von Nebenwirkungen ist im Einzelfall die bedarfsorientierte Gabe gegenüber einer regelmäßigen Verabreichung in Betracht zu ziehen. Zentrale und periphere Regionalanalgesie Hinsichtlich eines günstigeren Risiko-Nutzenprofils sollte der Regionalanalgesie gegenüber der systemischen Schmerztherapie der Vorzug gegeben werden. Vorteilhaft erscheint dabei vor allem das Einsparpotential von Opioiden. Generell können alle im Kap. 5 besprochenen Verfahren zur Anwendung kommen. Bei neuroaxialen Verfahren sollte im Hinblick auf die Polymorbidität und -medikation im Alter vor allem ein Augenmerk auf eine antikoagulatorische Begleitmedikation gelegt werden. Durch eine gleichzeitig bestehende Niereninsuffizienz oder die Einnahme von Acetylsalicylsäure kann sich die Halbwertzeit der Antikoagulantien verändern und ein verlängertes Intervall vor Punktion bzw. Katheterentfernung muss eingehalten werden. (Vergleiche Kap. 5). Im Alter kann die Anlage rückenmarksnaher Katheter durch kalzifizierende Degenerationen und damit einhergehend eingeschränkter Positionierbarkeit erschwert sein [5]. Aufgrund eines geringeren Liquorvolumens ist mit einer höheren Blockade zu rechnen und eine Reduzierung des Lokalanästhetikavolumens angezeigt. Zudem sollte bei epiduraler Anwendung von Opioiden eine verstärkte systemische Wirkung beim alten Menschen beachtet werden. Bei peripherer Nervenblockade kann bei gleichzeitig reduzierter Zahl myelinisierter Nervenfasern und Nervenleitgeschwindigkeit mit einer kürzeren Anschlagzeit als auch einer längeren Wirkung sensorischer und motorischer Nervenblockaden gerechnet werden. Generell ist bei geriatrischen Patienten eine engmaschige Überwachung wichtig, um frühzeitig die Zeichen einer Lokalanästhetikaintoxikation erkennen zu können. Kritisch sollte bedacht werden, dass regionalanalgetische Verfahren ggf. eine Mobilisierung verzögern können. Nichtmedikamentöse Schmerztherapie Besonders im Alter hat die nichtmedikamentöse Schmerztherapie einen hohen Stellenwert. Physio- und ergotherapeutische Übungen, körperliche Aktivierung, physikalische Maßnahmen (z. B. Wärme, Kälte, Lagerung), Entspannungsübungen, psychologische Unterstützung zum Abbau von Ängsten, Musik, aber auch einfach mensch-
394 26 Besondere Patientengruppen: Geriatrische Patienten
liche Zuwendung zeigen unterstützende analgetische Wirkung ohne Inkaufnahme von organischen Nebenwirkungen. (s. auch Kap. 21).
26.4 Fazit Patienten im hohen Lebensalter bedürfen aufgrund von Polymorbidität und -pharmazie eines individuellen Schmerzmanagements. Dieses sollte nach sorgfältiger Evaluation aus einem multimodalen, balancierten Analgesiekonzept bestehen. Neben einem bedachten Einsatz von Analgetika nach dem Prinzip „start low, go slow“ sind auch nicht-medikamentöse Verfahren auszuschöpfen. Insgesamt sind regionalanalgetische Verfahren aufgrund eines günstigen Risikonutzenprofils gegenüber einer systemischen Schmerztherapie zu bevorzugen. Referenzen [1] [2]
[3] [4] [5] [6]
Gerbershagen HJ et al. Pain intensity on the first day after surgery: a prospective cohort study comparing 179 surgical procedures. Anesthesiology 2013; 118:934–944. Laufenberg-Feldmann R und Jage J. Akutschmerztherapie in Pädiatrie und Geriatrie: Akutschmerztherapie im Alter –ein ganzheitlicher Ansatz. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46(5): 354–363. Schuler M und Grießinger N. Opioide bei Nichttumorschmerz im höheren Lebensalter. Schmerz 2015; 29:380–401. Schuler M (2016) Schmerztherapie beim älteren Patienten, 1. Auflage. De Gruyter, Berlin. Herminghaus A, Löser S, Wilhelm W. Anästhesie bei geriatrischen Patienten: Teil 2. Anaesthesist 2012; 61:363–74. American Society of Anesthesiologists Task Force on Acute Pain Management (2012) Practice guidelines for acute pain management in the perioperative setting. Anesthesiology 116: 248– 273.
Internetlinks https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/001-025.html: S3-Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ (erstellt 2007, Addendum 2009, aktuell in Überarbeitung). https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/145-001m_S3_Schmerzassessment-bei-aelterenMenschen_in-der-vollstationaeren_Altenhilfe_2018-02_01.pdf: S3-Leitlinie „Schmerzassessment bei älteren Menschen in der vollstationären Altenhilfe“ (Stand 2018). www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2015/bevoelkerung/bevoelkerung_2015_pk.html: Statistisches Bundesamt (Zugriff 09/2018).
Sachverzeichnis 6 6-R-Regel 320 A Abbreviated Burn Severity Index 219 Abdominelle Gefäßrekonstruktionen 207 Ablenkung 268 ABSI 219 Acetaminophen 45 Adduktor-Kanalblockade 181 Adjuvans 42 Adjuvantien 44, 81, 102, 107, 176, 222, 267, 280, 353 Adjuvanzien 365 Adrenalin 274 Agranulozytose 49 Agranulozytoserisiko 368 akutes Abdomen 149-151, 153-154 – Leitsymptome 150 – Regeln zur Analgesie 153 – Schmerzschema 154 – Wahl des Analgetikums 151 Akutschmerz 139 – postoperativer 139 Akutschmerzdienst 176, 255, 299, 365 allergische Reaktionen 48 allgemeine schmerztherapeutische Versorgung 298 alpha Untereinheiten 102 Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten 109 Alter 387, 389-390, 393-394 Ambulante Operationen 283 Amputation 185-186, 188, 211 – nichtmedikamentöse Verfahren 188 – Regionalanalgesieverfahren 185 – Systemische Analgesieverfahren 186 Amputationen Extremitäten 185 Analgesieschema 90 Analgetikaabusus 347 Anastomoseninsuffizienz 158 Angst 286, 363 angstmindernde Kommunikation 337 Anleitung 325 Antibiotika 267 Antikoagulantien 393 Antiphlogistika 280 Antitussiva 268
Anxiolyse 277 Aortenaneurysma 207 Apnoe 230 Arbeitsteilung 5 Armplexusblock 229 Aromapflege 324 Articain 274 Asphyxie 263 Assessment 388 Atemdepression 266, 369 Atemtherapie 334 Audit 8 Ausdauertraining 334 Axilläre Blockade 128 B Babcock Operation 214 Balanciertes Schmerztherapiekonzept 39, 40, 179, 235, 288 Basisanalgesie 171, 222, 262 Baux Index 219 Behandlung postoperativer Schmerzen 11, 39, 171, 177, 367 Behandlungsstandards 309 Behandlungsverlauf 319 Behavioral Pain Score 220 Benchmark 8 Beobachtungsskala 389 Berufsgruppen 5 Berufsverband 6 BESD 27, 220, 316, 389 Beurteilung von Schmerzen bei Demenz 27, 220, 316 Biologica 14 biopsychosoziales Modell 23 Bioverfügbarkeit 53 Blockade peripherer Nerven 103 Blutungsneigung 48 Bolusanforderung 74 BPS 220 Brustchirurgie onkologisch 244 Bupivacain 102, 228, 275 Buprenorphin 70, 355 C Cannabinoide 347 Carotis-Chirurgie 207
396 Sachverzeichnis
Certkom – Qualifizierte Schmerztherapie 36 Ceyling Effekt 61 Chlorprocain 102 Chronic Pain Prevention Screener 285 Chronifizierung 12, 347 – postoperativer Schmerzen 18 chronische postoperative Schmerzen 285, 333 chronische Schmerzen 11 Clonidin 81, 84, 109, 370 CO2-Pneumoperitoneum 237 Compliance 391, 393 conditional pain modulation 16 Coracoid Impingment Syndrome 197 COX-1 45 COX-2 45 COX-2 Hemmer 45 COX-2-Hemmer 381 CPSP 22, 333 craniofaciale Eingriffen 272 Cut-off-Werte 363 Cyclooxygenasen 45 D DASS 273 Definition chronischer postoperativer Schmerzen 19 Delegation ärztlicher Leistungen 300, 304 dentoalveoläre Chirurgie 272 Depression-, Angst-, Stress-Skala 273 Dermatom 19 Dexamethason 81, 109, 236 Dexmedetomidin 109 Dextromethorphan 268 DGAI-Empfehlung 301 Diathermie 168, 239 Diclofenac 265, 368, 381 DN4 Fragebogen 17 Dokumentation 31, 358 DOLOPLUS-2 389 Downstream-Signalübertragung 13 Drainagen 157, 238 DRG 308 Drogenabhängige 347 Durchbruchschmerzen 222 dynamische Hakenhaltung 206 Dysphagie 393
E Edukation 16, 334, 339 EG 165 eHealth 335, 339 Einschwemmpleurodese 203 Einteilung urologischer Operationen 254 Elektrotherapie 337 Embryotox 374 EMLA-Creme® 213, 227 Empfehlungs-Grad 165 endoluminale Lasertherapie 214 Enhanced Recovery After Surgery 180, 242 Entspannungsverfahren 144 Entzugssymptomatik 354 Entzündungsmediatoren 13 Entzündungsprozesse 14 Epiduralanalgesie 185 Epiduralanästhesie 120, 207-208, 366 – Anatomie 120 – Indikation 120 Erbrechen 264 Evidenzklassifizierung 165 Expertenstandard – Schmerzmanagement 313 F Faces-Pain-Scale Revised 273, 358 Fast Track Konzept Bypass-Chirurgie 209 Femoralisblockade 180 Fibromyalgiesyndrom 348 Finanzierung 308 Frakturrisiko 390 Fremdbeurteilungsskalen 359 Fremdeinschätzung 27, 316 Frühgeborene 230 Führung 226 Funktionelle Beeinträchtigung 28 funktionelle Erholung 11 funktionelles Training 334 Fuss- und Handchirurgie 188 G Gabapentin 86, 370 Gabapentinoide 81, 236 GABA-Rezeptoren 14 Gasfüllung 237 gaslose Laparoskopie 166 Gazeverbände 212
Sachverzeichnis 397
Gefäßchirurgie – prozedurenspezifische Schmerztherapie 215 Gelenkeingriffe – Hüfte 183 – Knie 180 Geriatrische Patienten 387 geschultes Personal 370 Gewebemanagement 209 Gewebepräparation 239 Gliazellen 13 Grundlagenforschung 12 H Hämatothorax 197 Hautverschluß 206 Hilotherapie 281 HNO-Heilkunde 261 Hüft-TEP 183 Hydromorphon 68 Hysterektomie 236 – abdominell 241 – laparoskopisch 240 I Ibuprofen 265, 367 ICD 19 Ilioinguinalis-Blockade 256 Imaginationstherapie 188 Immobilität 389 Implementierung 300 Indikationsstellung 226 individueller Heilversuch 18 Infiltrationsanästhesie 225, 228, 275, 291 Information 325 Infraclaviculäre Blockade 127 Inhalationstherapie 199 Inhalationstrauma 217 interdisziplinäre Zusammenarbeit 307 Interdisziplinarität 6, 357 Interkostalblockade 202 Interkostalnerv 195 Interkostalraum 195, 197, 202 Interskalenäre Blockade 126 Interskalenusblockade 184 Interventionsgrenzen 29, 43, 363 Intraabdominelle Drainagen 161 intraabdominelle Eingriffe 242 intramuskuläre Injektionen 230 intraoperative Maßnahmen 168
intrinsische Aktivität 60 Inzisionen 179 Ischämie 13 Ischiadikusblockade 180 ISK 184 K Kälte – lokal 267 Kälteanwendung 323 Kältetherapie 280 kardiovaskuläre Komplikationen 47 Katastrophisierung 15, 286 Katheter 157, 163, 177 Katheterverfahren 176 Ketamin 81, 85, 110, 370 Ketoprofen 265 Kinder 268, 357 Kinderchirurgie 225-226, 229, 231 – Alternative Schmerztherapie 231 – Psychische Unterstützung 225 – Schmerzevaluation 226 – Systemische Analgesie 229 Kinderschmerztherapie 357 Knie-TEP 181-182 Ko-Analgetika 41, 44, 81, 290, 353, 384 kognitive Techniken 144 Kommunikation 387, 391 Komorbiditäten 387 Komplexe Akutschmerztherapie 308 Kompressionsstrümpfen 337 Konsiliartätigkeit 302 Kontextfaktoren 43, 286 Kontinuierliche Regionalanalgesieverfahren 292 Kontinuierliche Wundkatheterinfiltration 133 Kopf-Hals-Bereich 261 Kopfhochlage 261 Körperverletzung 297 Kortikosteroide 86, 109, 267, 290 Kortison 384 Krafttraining 334 Kryotherapie 337 KUSS-Skala 359 L Lachgas 277 Lagerung 193 Lagerung/Positionierung
323
398 Sachverzeichnis
Langzeitveränderungen 357 Laparoskopie 165, 166 Laparotomie 165-166, 168 Lappenrekonstruktion 272 LASH 240 Lebertoxizität 52, 368 Leitbild 7 Leitlinien 6 Leitungsanästhesie 229, 275 LET 228 Levomethadon 355 LIA 134, 178, 181, 184 Liaisontätigkeit 302 Lidocain 102, 228, 274 Lidocain, Epinephrin, Tetracain 228 Lidocain i.v. 81, 84, 370 Löfgren Schema 102 Lokalanästhesie 227, 266, 271, 274 Lokalanästhetika 102, 166, 168 – Einteilung 102 – Wirkung 102, 366 Lokalanästhetikaintoxikation 393 Lokale Infiltrations-Analgesie 178 lokale Kühlung 232 Lokale Nervenblockaden 176 Lokale Wundinfiltrations Analgesie 134 LONTS–Leitlinie 61 Lunge 195, 197, 199 Lymhödem 208 Lymphdrainage 209, 337 Lymphfistel 208 Lymphocele 208 M Maioramputation 211 Massage 337 Mediastinoskopie 193, 198, 203 Mediastinum 193 Mepivacain 275 Merkmale 143 – psychologische 143 Metamizol 45-46, 49, 265, 368, 380 Metamizol-induzierte Agranulozytose 50 Methadon 355 Midazolam 226, 266, 277 Minoramputation 211 Mittelohr 262 MKG-Chirurgie 271 Morphin 58, 67, 107, 369
Motorschiene 337 Multimodale Analgesia 40 Multimodale Schmerztherapie 221, 288 Mundhygiene 268, 281 Musik 236 Mustervereinbarung 6 N N. femoralis 129 N. ilioinguinalis/iliohypogastricus 131 N. ischiadicus 130 N. phrenicus-Parese 185 N. saphenus 130 Nachblutungsrisiko 265 Nadelakupunktur 231 Nahrungsaufnahme 261 Nahrungskarenz 268 Nahtmaterial 238 Nalbuphin 369 Naloxon 60 Naloxon-Test 354 Naltrexon 354 Naproxen 47 Nasogastralsonden 157 Nationaler Expertenstandard Schmerzmanagement 313 NCCPC-PV 360 NCCPC-R 360 Nebenwirkungen 357 Nebenwirkungen durch Opioide 108 Neckdissektion 262 Nekrosektomie 213 Nephrektomie 251 Nervenblockade 178, 391, 393 Nervenmonitoring 265 Netzwerk Regionalanästhesie 37 Neunerregel nach Wallace 218 neuroaxial 393 Neuroaxiale Analgesieverfahren 111 neuroimmune Modulatoren 13 neuropathische Schmerzen 16-17 Neutropenie 51 Nicht medikamentöse schmerzreduzierende Maßnahmen 321 nichtmedikamentöse Maßnahmen 267, 280, 363, 393 Nicht-Opioid-Analgetika 39, 45, 167, 176, 279, 289, 374 nichtsteroidale Antirheumatika 381
Sachverzeichnis 399
Nierenfunktion 61 NMDA-Rezeptorantagonisten 22, 110 Nocebo-Effekt 32, 51 NOPA 39, 45, 151, 167, 203, 257, 265, 279, 367, 374 – Dosierungen 53 – Medikamenteninteraktionen 55 – Nebenwirkungen 46 – Risiken 46 Normothermie 169 nozizeptive Schmerzen 17 Nozizeptoren 13, 17 NRS 27, 43, 358 NSAID/NSAR 45, 381, 393 numerische Ratingskala 27, 273 O Oberflächenanästhesie 225, 227 off-label-use 23 Operationstechniken 261 operative Aspekte 179, 183 operative Gynäkologie 235 Opioide 39, 58, 61, 71, 79, 107, 168, 280, 290, 382, 393 – Abhängigkeit 79, 347, 353 – Analgesie 177 – Einnahme 15 – Einsparung 81 – einzelne Substanzen 61 – Epidemie 19, 348 – Kontraindikationen 71 – Nebenwirkungen 71 – PCA 230 – Verbrauch 133 Orale Zuckerstoffe 364 Organisation Akutschmerzdienst 297 Organisationsverantwortung 297 Orthopädie 175 Osteoporose 387 Osteotomie 194 Oxford Centre of Evidence-based Medicine 165 Oxycodon 69, 266 Oxycodon mit Naloxon 90 P Pacing 338 Pain Assessment in Advanced Dementia 28 Pain Nurse 5 PAINAD 28
painDETECT Fragebogen 17 Palladon-Schema 172 Panzytopenie 51 Paracetamol 45, 52, 265, 368, 379 Paravertebralblockade 202, 245 Parecoxib 48 Parotidektomie 263 Pathomechanismen 12 Pathophysiologie 11 Patientenaufklärung 286 Patienteninformation 32 Patientenkontrollierte Analgesieverfahren 73, 170 patientenkontrollierte Epidural-Analgesie 121, 207 patientenkontrollierte intravenöse Analgesie 42 Patienten-Outcome-Parameter 8 Patientensicherheit 357 pAVK 205 PCA 73, 170, 176, 230 PCEA 121-123, 259 – Sensomotorische Ausfälle 122 – Therapiedauer 123 – Therapieüberwachung 122 – Unzureichende Analgesie 123 PCIA 42, 73, 172, 203, 258, 266 PDA/PDK 167, 172 Pecs 246 Pectorale Nervenblockade 246 Peniswurzelblock 229, 256 Periduralanalgesie 167, 256 Periduralanästhesie 103, 202, 230 Periduralkatheter 167, 202 perioperative Schmerztherapie 3 periphere arterielle Verschlusskrankheit 205 Periphere Gefäßrekonstruktionen 208 Periphere Nervenblockaden 177, 291, 366 Periphere Regionalanästhesieverfahren 124125, 129, 131, 133, 135 – Aufklärung 124 – Bauchwandblockaden 131 – Obere Extremität 125 – Spezifische Kontraindikationen 125 – Therapieüberwachung bei peripheren Regionalanalgesieverfahren 135 – Untere Extremität 129 – Wundinfiltrationen 133 periphere Sensibilisierung 13
400 Sachverzeichnis
persistierender postchirurgischer Schmerz 357 Pflegeexperte Schmerz 305, 328 Pflegerische Aspekte 313 pflegerisches Schmerzmanagement 313 Pflegevisite 329 Phantomschmerzen 186, 211 Pharmakokinetik 387, 392 Pharmakovigilance Working Party 379 Physiotherapeutische Rehabilitation 183 Physiotherapie 199, 221, 267, 333 Piritramid 369 Placeboeffekte 43, 144 Plasmakonzentration 103 Plättcheninhibition 55 Plazenta 373 Pleura 197-198, 202 Pleuradrainage 160 Pleuraempyem 198 Pleurodese 201, 203 Plexus axillaris 17 Plexus brachialis 193 Plexus coeliacus 16 Pneumoperitoneum 166 Polypharmazie 387 PONV 283 Postamputationsschmerzen 186 postinzisionale Wundrandinfiltration 207 Postoperative Maßnahmen 169 postoperative Physiotherapie 336 Postoperative Schmerzen 11 postoperative Schmerztherapie 278 Postthorakotomiesyndrom 201 posttraumatischen Stresssyndrom 219 Prädiktoren 15, 30 Prädiktoren postoperativer Schmerz 139 Prädiktoren postoperativer Schmerzscores 30 präemptive Analgesie 201 Prämedikation 266 präoperative chronische Schmerzen 15 Präoperative Maßnahmen 167 Präoperative Physiotherapie 334 präoperative Schmerzerwartung 15 Prävention 297 Prävention einer Schmerzchronifizierung 22 Pregabalin 86, 347 Prehabilitation 333-334 Prilocain 102 Prilocain, Phenylephrin 228 Procain 102
Prognose nach Verbrennungen 218 PROSPECT 6, 133, 175, 255, 289 Prostaglandine 45 Prostatablock 257 Prostatektomie 251 Proteinbindung 103 prozedurale Belastungsschmerzen 222 prozedurenspezifische Schmerztherapie 101, 180, 255, 367 psychologische Interventionen 226 psychosomatischen Grundversorgung 302 PTSD 219 Pudendusblock 229, 257 PVB 245 Q QST 335 Qualitätsmanagement 33 Qualitätsmonitoring 370 Qualitätssicherung 3, 7, 293, 329 Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie 33 QUIPSInfant 370 QUIPS-Projekt 8, 33, 271, 294 R Rechtliche Einordnung 310 Rectusscheidenblock 132 Redondrainage 160 Regionalanalgesieverfahren 16, 18, 41, 175, 253, 256, 291, 383, 393 Regionalanästhesie 223, 365 Regionalanästhesieverfahren 101, 223 Regionale Schmerztherapie 229 Rehabilitation 389 renale Vasokonstriktion 47 Resorption 367 retardiertes Opioid 41 r-FLACC 359 Rippen 193-196 Risikoaufklärung 32, 50 Risikofaktoren 14, 139 Risikofaktoren für starke postoperative Schmerzen 15 Risikopatienten 285 Risiko-Score 21 Ropivacain 102, 228 Rückenmarksnahe Regionalanästhesieverfahren 111
Sachverzeichnis 401
S Schluckbeschwerden 264 Schmerzassessment 314-315 – Beurteilungskriterien 315 – differenziertes 315 – initiales 315 Schmerzbewältigung 286 Schmerzchronifizierung 8, 14, 139, 142, 251 – postoperative 142 Schmerzdienst 298 Schmerzdokumentation 221 Schmerzerfassung 8, 27, 284, 314, 358 Schmerzerwartung 15-16, 140 Schmerzintensität 27, 170 Schmerzkatastrophisierung 140 Schmerzmanagement 284, 313, 388-391, 394 – nationaler Expertenstandard 313 Schmerzmanagementsystem 6 Schmerzmangement 307 Schmerzmodelle 13 Schmerzprävention 363 Schmerzrisiko-Fragebogen 141 – Lübecker 141 Schmerzscore 29, 387 Schmerzskalen zur Selbsteinschätzung 359 Schmerztherapie verbrannter Patienten 221 Schmerzverlauf 262 Schmerzvermeidung 227, 363 Schnittführung 168 Schnittstellen 297, 326, 370 schriftlich fixierte Kooperation 6 Schulteroperationen 184 Schulung 325 Schwache Opioide 369 Schwangere 373 Schwellung 261 SD 298 Sedierungsverfahren 277 Sekundärerkrankungen 11 Selbstauskunft 314 Selbstbeurteilung 358 Selbsteinschätzung 27, 316 Selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer 88 sensorische Testungen 16 shared-decision-making 80 single-shot Blockade 188 single-shot Regionalanalgesie 177 Single-Shot Verfahren 291
Sonden 157 spannungsabhängige Natriumkanäle 102 spezialisierte schmerztherapeutische Versorgung 298 Spezielle Schmerztherapie 302 Spiegeltherapie 187, 337 Spinalanästhesie 103, 116-117, 119 – ambulant 119 – Anatomie 116 – Indikation 116 – Perioperative Komplikationen 117 – Postoperative Komplikationen 117 split mouth-Modell 278 Spontanpneumothorax 197 Standardisierte Schmerzwerterhebung 363 Starke Opioide 369 Sternotomie 193, 196, 202 Stufenplan 170 Stufentherapie 39 Sturzgefahr 390, 393 Subperitoneale Infiltration 229 Subsititutionsbehandlung 347 Sufentanil 107 Sufentanil sublingual 75 Supraclaviculäre Blockade 127 Sympathikolyse 203 Systemische Analgesieverfahren 179 Systemische Schmerztherapie 39, 179, 257 T TAC 228 TAP-Block 132, 256 Tapentadol 70 Targin-Schema 172 TENS 212, 324 teratogene Schädigung 373 Tetracain, Adrenalin, Cocain 228 Therapiekonzepte Schmerztherapie 89 Thorakoskopie 195, 198, 202-203 Thorakotomie 194-195, 198, 202 Thoraxchirurgie 193, 196, 199, 201, 203 Thoraxdrainage 197-198, 202-203 Thoraxsperrer 194, 196 Thoraxwand 194-195 Thrombozytenaggregation 55 Thrombozytenaggregationshemmung 48 Thrombozytenfunktion 265 Tillidin 66 TLH 240
402 Sachverzeichnis
Tonsillektomie 261-262 Topische Analgetika 364 Tramadol 63, 355, 369 Transitional Pain Service 23 Transkutane Elektrische Nervenstimulation 212, 324 Transversus abdominis plain (TAP) Block 132 Trimenon 380 TriVex Methode 214 Trizyklische Antidepressiva 81, 87 Trokare 195, 201 U Übernahmeverschulden Unfallchirurgie 175 Urologie 251
307
V Vaginale Eingriffe 242 Vakuumtherapie 213 Valdecoxib 48 Varizenchirurgie 214 VAS 27, 43 verbale Ratingskala 27 Verbandmaterial 213 Verbrennungsmedizin 217 Verbrennungstiefe 218 Verbrennungstrauma 219 Versorgungskontext 305 Versorgungsqualität 297 Virtual Reality 226 visuelle Analogskala 27 visuelle Rückkopplungstherapie 188 Viszeralchirurgie 165 Voraussetzungen für Schmerzdienste 302 VRS 27 Vulvakarzinom 243
W WCI 133 WHO Stufenschema 39 Wunddebridement 213 Wunddrainagen 179 Wundinfiltration 170, 172, 178, 257, 265 Wundrand-Infiltration 168 Wundversorgung 212 Würzburger Tropf 91 Z Zalviso® 75 zentrale Sensibilisierung 13 Zertifizierung 7, 35 Zertifizierung Qualitätsmanagement Akutschmerztherapie 35 ZOPA 316 Zugangsweg 239 Zurich Observation Pain Assessment 316 Zuwendung 268 Zytokine 13, 238